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Georg Ebers
DIE NILBRAUT
Herrn Carl Hallberger widmet dies Buch am Abschluß eines Vierteljahrhunderts treuer, nie getrübter, immer fester geknüpfter Freundschaft
Georg Ebers.
Vorwort.
»Die Nilbraut« ist keines Vorwortes bedürftig.
Nur für die Fachgenossen hab’ ich zu bemerken, daß ich mich von der Autorität des trefflichen de Goeje habe bestimmen lassen, an der eigenen Vermutung festzuhalten, das Wort Mukaukas sei nicht für den Namen, sondern für den Titel des Mannes zu halten, den die arabischen Quellen, deren ich mich zu bedienen hatte, als denjenigen bezeichnen, welcher als Statthalter des byzantinischen Kaisers die ihm anvertraute Provinz der muslimischen Macht überantwortete. Karabaceks dem Mukaukas gewidmete Untersuchungen waren mir leider nicht mehr zu benützen gestattet.
Daß ich den alten Horus Apollon (Horapollon) in das siebente Jahrhundert versetze, wird mir jeder mit Recht verdenken, der den Verfasser der Hieroglyphica für denselben hält wie den ägyptischen Gelehrten gleichen Namens, der nach Suidas unter Theodosius lebte und den schon Stephanus von Byzanz (Ende des fünften Jahrhunderts) erwähnt. Doch der erstgenannte Lexikograph, Suidas, zählt die Werke des Grammatikers und Kommentators griechischer Dichter Horapollon aus, ohne die Hieroglyphica, auf die es hier allein ankommt, zu erwähnen, und alle anderen Alten, welche des Namens Horapollon gedenken, lassen, wie auch C. Leemans, der beste Kenner der Hieroglyphica, zugibt, volle Freiheit, zwei Horapollon anzunehmen, von denen der zweite recht wohl erst im siebenten Jahrhundert gelebt haben kann, da zu seiner Zeit die genauere Kenntnis der Hieroglyphenschrift schon vielfältiger verloren gegangen sein mußte, als wir dies für das vierte Jahrhundert nach Christus annehmen möchten, wenn wir bedenken, daß sich noch gut ausgeführte hieroglyphische Inschriften aus der Zeit des Decius 250 n. Chr. erhalten haben. Der ägyptische Kommentator griechischer Dichter hat schwerlich eines Uebersetzers bedurft, während die Hieroglyphica erst von Philippus ins Griechische übertragen worden zu sein scheinen. Unsere Kombination, nach welcher der auf ägyptisch Horus (Sohn der Isis) genannte Schriftsteller der Isisinsel Philae entstammte, auf welcher der heidnisch-ägyptische Kultus am längsten geübt ward und wo sich auch einige Kenntnis der Hieroglyphenschrift bis spät erhalten haben wird, trägt den wahren Verhältnissen in der von uns gewählten Epoche Rechnung.
Tutzing am Starnberger See, den 1. Oktober 1886.
Georg Ebers.
Erstes Kapitel.
Die Hälfte eines Lustrums war vergangen, seitdem sich Aegypten der jungen, mit unerhörter Kraft und Schnelligkeit aufgewachsenen Macht der Araber unterworfen hatte. Leichten Kaufes war es einer wohl geführten kleinen Schar muslimischer Krieger in die Hände gefallen, und die schöne Provinz, welche noch vor kurzem eine Zier des byzantinischen Kaiserreiches und die treueste Pflegerin des Christentums gewesen, gehorchte jetzt dem Chalifen Omar und mußte es dulden, den Halbmond sich überall neben dem Kreuze erheben zu sehen.
Ein heißerer Sommer hatte das unglückliche Land nur selten gedrückt, und der Nil, dessen Wachstum man in der »Nacht des Tropfens« am 17. Juni wie immer mit festlichen Vorbereitungen erwartet, hatte bisher die Hoffnung der Aegypter betrogen und war, statt zu steigen, kleiner und kleiner geworden. – In dieser Zeit der Besorgnis – am 10. Juli des Jahres 643 – zog eine Karawane von Norden her in Memphis ein.
In der entvölkerten, verfallenden Pyramidenstadt, welche sich in Form eines mächtigen Schilfblattes nur in die Länge entwickelt hatte, da ihrem Wachstun. in die Breite durch den Nil und das libysche Gebirge Schranken gesetzt waren, zog schon diese kleine Karawane die Blicke der Vorübergehenden auf sich, während es die Memphiten in früheren Jahren kaum für der Mühe wert geachtet hatten, den Kopf aufzuheben, wenn unabsehbare, mit Handelsgütern befrachtete Wagenreihen, wenn stattliche Züge von Ochsenwagen, glänzende kaiserliche Reitermanipeln oder endlose Prozessionen die mehr als meilenlange Hauptstraße belebten.
Der Kaufherr, welcher aus einem Dromedar von ausgesucht edler Zucht der Karawane voranritt, war ein hagerer, in weiche Seide gekleideter Muslim. Ein breiter Turban bedeckte den kleinen Kopf dieses Mannes und warf einigen Schatten auf sein zartes, ältliches Gesicht.
Der Aegypter, welcher neben dem Kaufherrn als Führer auf einem flinken Eselein dahinritt, sah oft und gern in dies an sich nicht schöne Antlitz mit den eingefallenen Wangen, dem spärlichen Vollbart und der großen Adlernase; denn es glänzten aus demselben zwei helle Augen von anmutender Besonnenheit und herzlicher Güte. Aber dieser schmächtige alte Herr, dem Schmerz und Krankheit manche Furche in die wohlwollenden Züge gegraben, verstand auch zu befehlen und seinem Willen Geltung zu verschaffen, das sah man dem feinen, fest geschlossenen Munde an, und dem Eifer, womit die trotzigen, bärtigen, bis an die Zähne bewaffneten Kriegergestalten, welche ihm folgten, seinen Winken gehorchten.
Sein ägyptischer Begleiter, der Vorsteher der Hermeneuten oder Fremdenführerzunft, ein mürrischer, bräunlicher Memphit, zog, wenn er einmal sich den wilden Dromedarreitern unversehens näherte, den Rücken ein, als sei er eines Hiebes oder Stoßes gewärtig, während er dem Kaufherrn Haschim, dem Eigner der Karawane, furchtlos und mit der ausgiebigen Sprechlust seines Standes Rede und Antwort gab.
»Wie gut Du hier in Memphis Bescheid weißt!« sagte der Aegypter, nachdem der alte Herr seinem Erstaunen über die traurige Veränderung und den Rückgang der Stadt, Ausdruck gegeben.
»Vor dreißig Jahren,« entgegnete der Kaufmann, »hat mich mein Geschäft häufig hieher geführt. Wie viele Häuser stehen jetzt leer und fallen zusammen, in denen es damals nur für schweres Geld Unterkunft gab! Ueberall Trümmer! Wer hat diese schöne Kirche so jämmerlich verstümmelt? Von den Meinen, ich weiß es von dem Feldherrn Amr selbst, ist kein christliches Gotteshaus angetastet worden.«
»Es war ja die Hauptkirche der Melchiten, der Kaiserknechte,« rief der Führer, als liege schon darin die Erklärung für das Geschehene; der Kaufherr aber nahm das nicht an, sondern fragte: »Nun, und was liegt denn so Schlimmes in ihrer Lehre?«
»Was?« versetzte der Aegypter, und seine Augen begannen zornig zu funkeln. »Was? Sie zerstücken die göttliche Person des Heilands und legen ihr verschiedene Naturen bei. Und dazu! Alle Griechen hier zu Lande haben, bevor die Deinen dem Gräuel ein Ende machten, uns, die Herren des Landes, gestützt auf die kaiserliche Macht, wie Sklaven geknechtet. In ihre Kirchen trieben sie uns mit Gewalt, und was ägyptischen Blutes war, wie Rebellen und Aussätzige ward es behandelt. Verlacht und verketzert haben sie uns wegen unsers Glaubens an die eine göttliche Natur unsers Heilands.«
»Und darum,« fiel ihm der Kaufherr ins Wort, »habt ihr, sobald wir die Griechen vertrieben, unmilder gegen sie und ihre Gotteshäuser gehandelt als wir, die ihr ›Ungläubige‹ scheltet, gegen euch.«
»Milde gegen sie?« entgegnete der Aegypter höhnisch und schaute mit einem bösen Blick auf das zerstörte Bauwerk. – »Sie haben geerntet, was sie gesäet, und wer jetzt in Aegypten – gelobt sei der Heiland! – nicht an euren einigen Gott glaubt, der bekennt sich zu der einen Natur unsers Herrn Jesus Christus. Die Melchitenrotte, ihr habt sie vertrieben, und an uns ist es dann gewesen, Hand an die Häuser ihres erbärmlichen Heilands zu legen, den sie aus der Synode zu Chalcedon – verdammt soll sie sein! – seiner göttlichen Würde entkleidet.«
»Aber die Melchiten sind doch immer eure Glaubensgenossen, sind Christen,« sagte der Kaufherr.
»Christen?« wiederholte der Führer und zuckte verächtlich die Achseln. »Mögen sie sich selbst dafür halten! Was mich und mit mir groß und klein in diesem Lande angeht, sind wir der Meinung, daß sie mit nichten berechtigt sind, sich unsre Glaubensgenossen, sich Christen zu nennen. Verflucht sind sie alle und sollen sie sein samt ihren hundert, nein tausend teuflischen Ketzereien, die unsern Gott und Erlöser zu einem Dinge machen möchten wie das Götterbild dort an dem steinernen Pfosten. Oben ist’s eine Kuh, unten ein Mensch, und welcher verständige Mann, frag’ ich, kann zu solchem Zwitterbalg beten? Wir Jakobiten, Monophysiten oder wie man uns sonst nennt, geben von der göttlichen Natur unsers Herrn und Heilands kein Titelchen preis, und soll es nun einmal mit dem alten Glauben vorbei sein, so will ich ein Muslim werden und mich zu eurem großen einigen Gott bekehren; denn bevor ich mich zu der Ketzerei der Melchiten bekenne, lieber lasse ich mich mit Weib und Kind in Stücke zerhacken. Wer weiß, wie’s noch kommt! Es bringt ja auch manchen Vorteil, der eure zu werden; denn ihr habt die Macht, und ihr mögt sie behalten! Von Fremden werden wir nun einmal beherrscht, und wer zahlte nicht lieber die kleinere Steuer an den weisen und gesunden Chalifen in Medina als die größere an die melchitische, bresthafte Kaiserbrut in Konstantinopel? Der Mukaukas Georg ist gewiß kein schlechter Mann; aber wie er den Widerstand gegen euch so schnell aufgab, ist er der gleichen Meinung gewesen. Als rechtliche, fromme Leute, unsre Nachbarn, vielleicht sogar unsre Stammverwandten, zieht er euch, ich weiß es von meinem Bruder, den byzantinischen Ketzern, Menschenschindern und Bluthunden vor; und dabei ist der Mukaukas ein so guter Christ wie nur einer.«
Der Araber hatte dem Memphiten, den sein Führeramt zwang, sich selbst zu unterbrechen, aufmerksam und bisweilen mit seinem Lächeln zugehört. Jetzt ließ der Aegypter die Karawane in eine Gasse einbiegen, welche zu der dem Strome gleichlaufenden Straße führte, in der sich einige von Gärten umgebene Häuser stattlich erhoben.
Sobald Mensch und Tier auf dem bessern Pflaster weiter zogen, sagte der Kaufherr: »Ich habe den Vater des Mannes, den Du da nanntest, recht wohl gekannt. Er war ein reicher und dabei wohlgesinnter Herr, und auch von seinem Sohne hört’ ich nur Gutes. Darf er immer noch den Titel ›Statthalter‹ oder – wie sagtest Du gleich? – eines Mukaukas führen?«
»Gewiß, Meister!« entgegnete der Hermeneut. »Es gibt in Aegypten kein älteres Geschlecht als das seine, und wenn der alte Menas schon reich war, so ist es der Mukaukas Georg noch mehr, durch Erbschaft und das Heiratsgut seiner Gattin. Einen verständigeren, gerechteren Statthalter können wir uns nicht wünschen! Auch den Unterbeamten sieht er auf die Finger, aber so schnell wie sonst werden die Geschäfte doch nicht mehr erledigt; denn wenn er auch kaum älter ist als ich, und ich stehe am Ende der Fünfzig, so kommt er doch aus dem Kranksein nicht mehr heraus, und schon seit Monaten hat ihn niemand mehr ausfahren sehen; selbst wenn euer Statthalter ihn sehen will, kommt er von drüben herüber. Ein Jammer ist’s um den Mann, und wer hat ihm den stattlichen Leib zu Grunde gerichtet? Die Melchitenhunde sind es gewesen! Frag’ nur am Nil, so lang er ist, nach dem Urheber eines Unglücks, und Du wirst immer dieselbe Antwort bekommen. Wo der Melchit, der Grieche hintrat, da war’s aus mit dem Graswuchs!«
»Aber dem Mukaukas, dem höchsten Beamten des Kaisers...« hob der Araber an; doch der andere unterbrach ihn und rief:
»Er, denkst Du, sei sicher vor ihnen gewesen? An seine eigene Person haben sie freilich nicht getastet; aber es ist noch schlimmer gekommen; denn bei einem Aufstand der Melchiten gegen die Unsren – in Alexandria war es, und der verstorbene griechische Patriarch Cyrus hatte die Hand mit im Spiele – da sind ihm zwei Söhne, zwei schöne, blühende Männer, wie tolle Hunde erschlagen worden, und das hat ihm den Rücken gebrochen.«
»Armer Mann!« seufzte der Araber. »Und ist ihm kein anderes Kind verblieben?«
»Doch, Herr, doch! Ein Sohn und des ältesten Witwe. Die ist freilich nach dem Tod ihres Gatten ins Kloster gegangen, aber ihr Kind, die kleine Maria, zehn Jahre wird sie alt sein, hat sie bei den Großeltern gelassen.«
»Das ist schön,« rief der Kaufherr, »das wird Sonnenschein in das Haus gebracht haben.«
»Gewiß, Herr! Und es fehlte da auch sonst – eben jetzt noch – gewiß nicht an Freude. Der einzige überlebende Sohn, Orion heißt er, ist vorgestern aus Konstantinopel heimgekehrt, wo er lange gewesen, und das hat ein Leben gegeben! Die halbe Stadt war wie närrisch. Tausende sind ihm entgegengezogen, als wär’ es der Heiland; Ehrenpforten haben sie ihm gebaut, und selbst die Meinen – von Zurückhalten war da keine Rede. Alle wollten den Sohn und Erben des großen Mukaukas sehen, und die Weiber natürlich allen voran!«
»Das kommt so heraus,« sagte der Araber, »als sei der Heimgekehrte solcher Ehre nicht würdig.«
»Wie man’s ansieht,« versetzte der Aegypter und zuckte die Achseln. »Er ist einmal der einzige Sohn des ersten Mannes im Lande.«
»Verspricht aber nicht, dem Alten ähnlich zu werden?«
»Doch, doch!« rief der andere. »Mein Bruder, ein geistlicher Herr, der Vorsteher unsrer großen Schule, war sein Lehrer, und ein gleicher Kopf wie Orion, sagt er, sei ihm nicht wieder begegnet. Alles flog ihm nur so an, und dabei ist er fleißig gewesen wie armer Leute Kind. Ruhm und Ehre, meint Marcus, hätten wir, die Eltern und seine Vaterstadt Memphis von ihm zu erwarten; aber ich, ich seh’ auch die Schatten, und ich sage Dir, die Weiber verdrehen ihm den Kopf und richten ihn endlich zu Grunde. – Schön ist er, stattlicher noch als der Alte in seinen Jahren, und das macht er sich zu nutz, und wo ihm etwas Anmutiges begegnet – und es stellt sich ihm überall in den Weg —«
»Da greift der junge Taugenichts zu,« lachte der Muslim. »Wenn es weiter nichts ist, was Dich ängstigt, so freut mich’s für ihn. Er ist jung, und dergleichen gibt sich.«
»Nein, Herr; auch mein Bruder, – er ist jetzt in Alexandria und immer noch blind und närrisch eingenommen für den früheren Schüler – auch er sieht darin eine gefährliche Klippe. Wenn das sich nicht ändert, so wird er weiter und weiter abweichen von den Geboten des Herrn und Schaden nehmen an seiner Seele, und die Gefahren umstehen ihn überall wie brüllende Löwen. Die edle Gabe der Schönheit und des gewinnenden Wesens, die führt ihn noch ins Verderben; und ich wünsch’ es nicht, aber mir ahnt es...«
»Du siehst schwarz und urteilst hart,« erwiderte der Alte. »Die Jugend...«
»Auch die Jugend,« entgegnete der Führer, »die christliche wenigstens, soll sich selbst beherrschen, und wenn einer, so bin ich geneigt, dem schönen Burschen das Beste zu gönnen, und daß ich’s nur gestehe: wenn er mich grüßt, so ist mir’s gleich, als wär’ mir etwas Gutes begegnet, und so geht es noch tausend anderen Männern in Memphis, und den Weibern erst recht; doch trotz alledem hat schon manche viele bittere Thränen um ihn vergossen. Aber, bei allen Heiligen, wenn man vom Wolf spricht, gleich... Sieh nur, da ist er!... Halt, haltet ein wenig, ihr Leute! Es lohnt sich, Herr, einen Augenblick zu verziehen!«
»Das stattliche Viergespann dort an der hohen Gartenpforte ist seins?«
»Es sind die pannonischen Renner, die er mitgebracht hat, schnell wie der Blitz und dabei... Aber dort... Sieh! Ach, nun treten sie hinter den Gartenzaun zurück; aber Du, Du mußt sie doch von Deinem hohen Dromedar aus sehen können. Das kleine Fräulein da bei ihm, das ist die Tochter der Witwe Susanne, der dieser Garten und der schöne Palast hinter den Bäumen gehört.«
»Ein herrlich Besitztum!« rief der Araber.
»Das will ich meinen,« entgegnete der Memphit; »der Garten reicht bis an den Nil, und wie er gepflegt ist!«
»Hat hier nicht früher der Kornhändler Philammon gewohnt?« fragte der Kaufherr, als stiegen alte Erinnerungen in ihm auf.
»Freilich! Er war Susannens Gemahl und muß ein Fünfziger gewesen sein, als er um sie freite. Die Kleine ist ihre einzige Tochter, die reichste Erbin im ganzen Gau, aber trotz ihrer sechzehn Jahre nicht recht ausgewachsen, eines alten Vaters Kind, weißt Du, und doch hübsch und lustig, eine Lachtaube in Mädchengestalt, und so schnell und beweglich! Ihre eigenen Leute haben sie das ›Bachstelzchen‹ getauft.«
»Gut, gut und treffend,« versetzte der Kaufherr vergnügt. »Klein ist sie, mehr Kind als Jungfrau, aber mir gefällt das zierliche, muntre Geschöpf. Der Sohn des Mukaukas – wie hieß er?«
»Orion, Herr,« entgegnete der andere.
»Alle Wetter,« schmunzelte der Alte, »Du hast nicht geschmeichelt, Mann! Einem Jüngling wie diesem ›Orion‹ begegnet man nicht alle Tage! Welcher Wuchs! Wie die braunen Locken ihm stehen! Und auch das trifft zu: diese Art verzieht zuerst die eigene Mutter, und die anderen Frauen folgen dann ihrem Beispiel. Er hat auch ein offenes, kluges Gesicht, hinter dem etwas steckt. Hätte er nur den purpurnen Rock und den goldenen Krimskrams in Konstantinopel gelassen! Dergleichen paßt nicht mehr in diese traurige, verfallende Stadt.«
Während der letzten Worte trieb der Memphit sein Eselein wieder zum Gang an, der Araber hielt ihn indessen zurück; denn ihn fesselte, was sich hinter der Gartenmauer zutrug.
Er sah dort, wie der schöne Orion ein weißes Hündchen, einen Seidenspitz von besonderer Feinheit, der augenscheinlich ihm gehörte, dem kleinen Fräulein auf den Arm gab, sah, wie sie es küßte, und ihm einen langen Grashalm um den Hals schlang, als wollte sie ihm Maß damit nehmen. Dann wurde der Alte gewahr, wie sie beide mutwillig lachten, wie sie einander in die Augen blickten und endlich Abschied nahmen. Dabei hob sie sich auf den Zehen zu einem seltenen Strauche empor, an dessen Spitze zwei köstliche purpurne Glocken blühten, pflückte sie rasch, reichte sie ihm errötend, und wies die Hand, womit er sie beim Aufstreben zu den Blumen unterstützt hatte, mit einem fröhlichen Schlage von ihrem Arme zurück, und die sonnigste Glücksempfindung leuchtete dem Jüngling aus ihrem frischen Gesichtchen entgegen, wie er die Stelle, welche ihre Finger getroffen hatte, küßte und dann auch die Blumen mit den Lippen berührte.
Der alte Herr schaute dem allen so teilnahmvoll und heiter zu, als erwecke es die lieblichsten Erinnerungen in seinem Gemüte, und seine guten Augen lachten, als Orion, nicht weniger schalkhaft und fröhlich als sie, ihr einige Worte ins Ohr raunte, und sie den langen Grashalm aus dem Gürtel zog, ihm schnell und als gälte es, ihn zu strafen, damit über das Gesicht fuhr und darauf flüchtig wie ein Reh über Rasen und Beete, ohne seiner wiederholten Rufe: »Katharina, allerliebste, große Jungfrau Katharina!« zu achten, dem Palast entgegen floh.
Das war ein reizendes kleines Abenteuer gewesen, und der alte Haschim hielt es in seiner Seele fest und freute sich immer noch daran, als er mit den Seinen schon wieder ein ziemlich Stück Weges zurückgelegt hatte. Er war Orion, dem Sohn des Mukaukas Georg, dankbar für dies liebliche Schauspiel, und als er das Viergespann desselben in langsamem Trabe sich der Karawane nähern hörte, wandte er sich nach ihm um und behielt es im Auge.
Aber nachdem die vier Pannonier, der mit mancherlei in Silber getriebenen Figuren bedeckte Wagen und sein Lenker, die ein Ganzes von seltener Schönheit und bestem Geschmack bildeten, langsam an ihm vorbei gekommen waren, um dann windschnell auf der nun freien Straße vorwärts zu sausen und in dichten Staubwolken zu verschwinden, hatte des Kaufherrn Antlitz den heitern Ausdruck verloren, und es lag etwas tief Wehmütiges in seiner Stimme, als er einem der jungen Kameltreiber befahl, die Blumen, welche hinter ihnen im Staube lagen, vom Wege aufzulesen und ihm zu bringen.
Er war Zeuge gewesen, wie der schöne junge Mann mit einem Blick und einer Bewegung, als zürne er sich selbst, die freundliche Gabe auf den heißen Staub der Straße geschleudert.
»Dein Bruder hat Recht,« rief nun der Alte dem Memphiten zu. »Für diesen jungen Mann sind die Frauen eine gefährliche Klippe, und er für sie, wie ich fürchte. Die arme Kleine da drüben!«
»Das Bachstelzchen meinst Du?« fragte der Führer. »O, mit der könnt’ es doch leicht etwas Ernstliches werden! Die lieben Mütter machen das Ding schon fertig. Sie sitzen beide im Golde, und wo Tauben sind, fliegen Tauben zu. Gottlob, die Sonne steht schon über den Pyramiden! Laß Deine Leute in der großen Herberge dort einkehren. Der Wirt ist ein redlicher Mann, und es fehlt bei ihm auch nicht an Schatten!«
»Was die Tiere und Knechte angeht,« versetzte der Kaufherr, »so mögen sie hier rasten. Ich, der Karawanenführer und einige Leute wollen uns etwas stärken, und dann führst Du uns zu dem Statthalter; ich habe mit ihm zu reden. Es ist nicht mehr früh...«
»Unbesorgt!« entgegnete der Aegypter. »Der Mukaukas empfängt an so glühenden Tagen am liebsten nach Sonnenuntergang. Wenn Du mit ihm zu thun hast, bist Du mit mir an den Rechten gekommen. Laß einige Goldstücke springen, und ich schaffe Dir noch heute durch den Hausmeister Sebek Gehör – er ist mein Vetter. Während ihr hier rastet, reite ich in die Statthalterei und bring’ Dir dann Nachricht.«
Zweites Kapitel.
Die Herberge, in welche der Kaufmann Haschim mit den Seinen einzog, lag, rings von Palmen umgeben, an einer erhöhten Stelle des Weges. Vor der Zerstörung der heidnischen Altertümer im Nilthal war sie ein Tempel Imhoteps, des ägyptischen Aeskulap, des freundlichen Gottes der Heilkunde, gewesen, welcher auch in der Totenstadt seine besondere Verehrungsstätte besessen. Diese war halb zerstört, halb vom Wüstensande begraben worden, während ein unternehmender Wirt den hübschen Imhoteptempel in der Stadt samt dem dazu gehörenden heiligen Hain für billiges Geld angekauft hatte. Seitdem war er von einer Hand in die andere gegangen, an die massiv gebauten Tempelräume hatte sich ein großes hölzernes Haus für die Aufnahme von Reisenden geschlossen, und in dem Palmenhain, welcher bis zu dem schlecht erhaltenen Uferdamm reichte, erhoben sich Ställe und sah man eingezäunte Plätze für angetriebene Herden. So glich das Ganze einem Viehmarkt, und in der That kamen die Metzger und Roßkämme der Stadt gern hieher, um ihren Bedarf zu befriedigen. Dagegen zog der Palmenhain, einer der wenigen, die in der Nähe der Stadt stehen geblieben waren, die Bürger von Memphis an, um »Lüftchen zu riechen« und sich in seinem Schatten eine Güte zu thun. Hart am Strome hatte der Wirt Tische und Bänke aufstellen lassen, und in dem kleinen Hafen auf seinem Grundstück gab es Boote zu mieten. Auch wer zu seinem Vergnügen von der Stadt aus Wasserfahrten machte, der legte hier gern an und nahm unter den Palmen des Nesptah eine Erfrischung.
Die beiden Häuserreihen, welche diesen Sammelplatz für vernünftige und unvernünftige Wesen früher von der Straße getrennt und sich nach dem Nil hin neben ihm erhoben hatten, waren längst eingestürzt und von den Wirten der Erde gleich gemacht worden. Jetzt sah man unter Leitung von arabischen Vögten einige hundert Arbeiter beschäftigt, eine gewaltige Ruine aus der Zeit der ptolemäischen Könige, die kaum zweihundert Schritte von dem Palmenhain entfernt lag, abzutragen und die großen, schön behauenen Kalk– und Marmorquadern, sowie die zahlreichen hohen Säulen, welche das Dach des Zeustempels von Memphis getragen hatten, trotz der brennenden Hitze des Nachmittags aus Ochsenkarren zu laden und sie dem Damme und von dort aus auf flachen Kähnen dem östlichen Nilufer zuzuführen.
Dort errichtete Amr, der Feldherr und Stellvertreter des Chalifen, seine neue Residenz. Die Tempel der alten Götter wurden dabei als Steinbrüche benützt, und es fanden sich in ihnen nicht nur sorgsam behauene Werkstücke vom festesten Gestein, sondern auch griechische Säulen jeder Ordnung in Menge, die man jenseits des Stromes nur wieder auszustellen hatte; denn die Araber verschmähten kein Material, ja sie verwandten sorglos beim Bau ihrer Gotteshäuser Quadern und Säulen, auch wenn sie aus heidnischen Tempeln oder christlichen Kirchen kamen.
In dem Herbergentempel des Imhotep waren Wände und Decken ursprünglich über und über mit Götterbildern und hieroglyphischen Inschriften bedeckt gewesen; aber der Rauch des Herdfeuers hatte sie längst geschwärzt, glaubenseifrige Hände waren nicht müde geworden, sie zu verstümmeln, und über manche hatte man Kalk geworfen und ihn mit christlichen Symbolen oder sehr weltlichen Kritzeleien in griechischer oder der Volksschrift der Aegypter bedeckt.
In der früheren großen Tempelhalle nahm der Araber mit den Seinen die Mahlzeit ein, und alle enthielten sich dabei des Weines, mit Ausnahme des Karawanenführers, der kein Muslim war, sondern zu der persischen Sekte der Masdakiten gehörte.
Nachdem der alte Herr sich an einem besonderen Tischchen gesättigt, rief er jenen an und befahl ihm, den Ballen mit dem Teppich sicher, aber leicht ablösbar auf die Sänfte zwischen den beiden großen Lastkamelen zu legen.
»Ist schon geschehen,« versetzte der Perser, ein Prachtmensch, groß und breit wie eine Eiche, und mit einem Kopfe, den das blonde Haupthaar wie eine Löwenmähne umwallte, indem er sich den mächtigen Schnurrbart wischte.
»Desto besser,« entgegnete Haschim. »Komm mit mir ins Freie!«
Damit ging er dem Masdakiten in den Palmenhain voran.
Das Tagesgestirn war hinter den Pyramiden, der Totenstadt und der libyschen Bergkette zur Rüste gegangen, und sein Widerschein bemalte nun den östlichen Himmel und das nackte Kalkgebirge von Babylon jenseits des Stromes mit Farben von unbeschreiblich wechselvoller Schönheit. Es war, als hätten alle Rosenarten, die der erfahrenste Gärtner in Arsinoë oder Naukratis züchtete, von der goldgelben an bis zu der purpurnen und der mit tiefem violettlichem Schwarzrot gesättigten, die Farben hergegeben, um die Flächen, die Vorsprünge und Schluchten des Gebirges gedankenschnell mit zauberhaften Tinten zu übergießen.
Dem alten Manne schwoll die Brust bei diesen. Anblick, und indem er tief aufatmete, legte er die zarte Hand auf den Riesenarm des Persers und sagte: »Euer Meister Masdak lehrt, es sei Gottes Wille, daß der eine nicht mehr und nicht weniger sein eigen nenne als der andere und daß es weder Arme noch Reiche gebe auf Erden; denn jeder Besitz gehöre allen gemeinsam. Nun schau einmal mit mir hieher! Wer dies nicht gesehen, hat gar nichts gesehen; es gibt nichts Schöneres hienieden, und wem gehört es? Dem armen, einfältigen Salech dort, den wir aus Gnade halb nackt den Kamelen nachtraben lassen, ist sie so gut zu eigen wie Dir und mir und dem Chalifen. Seinen großen Werken gegenüber hat Gott uns alle so gestellt, wie es euer Meister begehrt. Wie viel Schönes ist doch im allgemeinen Besitz unseres Geschlechts! Seien wir dankbar dafür, Rustem; denn wahrlich, es ist nicht wenig. – Das Eigentum, welches der Mensch erwirbt oder verliert, damit ist es freilich etwas ganz anderes. Auf der gleichen Rennbahn stehen wir alle, und was ihr begehrt, das fordert nur, dem Schnelleren Blei an die Füße hängen, damit keiner dem andern zuvorkommt, das würde... Aber weiden wir jetzt lieber die Augen an der wundervollen Schönheit da drüben! Sieh nur, was vorhin wie diese purpurfarbene Glockenblume erschien, das wird jetzt zum Rubin, was wie Veilchen schimmerte, zum dunklen Amethyst. Der goldene Rand dort an den Wolken, der faßt die Juwelen zusammen, und das alles ist mein, ist Dein, ist unser, so lange sich Auge und Herz daran ergötzt und erhebt.«
Da lachte der Masdakit mit einem quellfrischen, wohltönenden Lachen laut auf und rief: »Ja, Meister, wer Deine Augen hätte! Es sieht freilich bunt genug aus dort am Himmel und an den Bergen, und so rote Farben hat’s daheim selten; doch was nützt uns der Zauber? Du siehst Rubinen und Amethyste da oben, aber ich? – Die Juwelen in Deinem Teppich, die bedeuten was anderes als das lustige Gefunkel! Nichts für ungut, Meister, aber für den Ballen dort gäb’ ich alle Sonnenuntergänge auf Erden, und es sollt’ mich nicht reuen!« Dabei lachte er wieder hell auf und fuhr fort: »Doch Du, Väterchen, Du würdest Dich hüten, den Handel zu schließen! – Was uns Masdakiten betrifft, so ist die Zeit für uns noch nicht gekommen!«
»Und wenn sie da wäre, und Du bekämst den Teppich?«
»Dann verkaufte ich ihn und legte den Erlös zu meinem Ersparten und ginge nach Hause und kaufte mir Land, und nähm’ mir ein hübsches Weib und züchtete Kamele und Rosse.«
»Aber übermorgen kämen die Armen, die nichts zurückgelegt und kein gutes Geschäft mit dem Abendrote gemacht haben, und jeder verlangte ein Stück Deines Landes, ein Kamel und ein Fohlen, Du bekämest nie wieder einen herrlichen Sonnenuntergang zu sehen, und Dein hübsches Weibchen würde mit Dir in die Welt ziehen, um Dir zu helfen, mit anderen zu teilen. Lassen wir’s nur beim alten, mein Rustem, und der Höchste bewahre Dir Dein braves Herz, Du närrischer Querkopf.«
Da beugte sich der Riese auf den Arm seines Herrn, und während er ihn dankbar küßte, kehrte der Fremdenführer mit langem Gesichte zurück; denn er hatte zu viel versprochen. Der Mukaukas Georg war – ein ganz unerhörtes Ereignis – gerade als er um Gehör für den Araber bitten wollte, in die Gondel getragen worden, um mit seinem Sohne und den Frauen des Hauses eine Wasserfahrt zu unternehmen. – Die Heimkehr Orions, hatte der Hausmeister gesagt, habe den alten Herrn wie verjüngt. Haschim müsse nun bis morgen warten, und er, der Führer, rate ihm, in der Stadt, in der Herberge des Sostratus, wo es an nichts fehle, zu übernachten.
Aber der Kaufherr zog es vor, hier zu bleiben. Der Aufschub bekümmerte ihn wenig, zumal er ohnehin einen ägyptischen Arzt wegen eines alten Leidens um Rat fragen wollte, und einen tüchtigeren und gelehrteren als den berühmten Philippus, versicherte der Hermeneut, könne er im ganzen Lande nicht finden. Hier draußen sei es ja schön, und von den Bänken am Ufer aus lasse sich der Komet beobachten, der sich seit einigen Tagen zeige und gewiß schlimme Zeiten verkünde. Die ganze Stadt sei wie gelähmt von Besorgnis; das zeige sich recht deutlich hier in der Wirtschaft des Nesptah; denn sonst füllten sich, wenn die abendliche Kühlung eintrete, die Tische und Bänke unter den Palmen mit Wasserfahrern und Spaziergängern, aber jetzt, wer getraue sich in diesen Angsttagen an Vergnügen zu denken?
Damit bestieg er wiederum den Esel, um den Arzt zu rufen, der alte Haschim aber begab sich am Arm des Masdakiten zu den Bänken unter den Palmen und schaute von dort aus gedankenvoll zum Sternenhimmel empor, während sein junger Gefährte von der Heimat träumte und sich dort auch ohne den kostbaren Teppich und nur für sein Erspartes Weideland kaufen, ein Haus bauen und ein hübsches Weibchen darin walten sah. Ob es blond oder braun ausfallen würde? Blond wär’ ihm lieber gewesen.
Aber hier brach sein Lustschloß zusammen; denn es näherte sich etwas auf dem Nil, das seine Aufmerksamkeit anzog und ihn veranlaßte, auch seinen Herrn darauf hinzuweisen.
Vor ihnen lag der Strom wie ein breites Band von schwarzem Silberbrokat. Der zunehmende Mond spiegelte sich in seiner kaum merklich bewegten Fläche, und wo sein Wasser sich kräuselte, verbrämte er die niedrigen Wellenhäupter mit hellflimmerndem Glanze. Fledermäuse schwangen sich durch die Nachtluft von der Totenstadt her auf den Nil zu und wiegten sich über ihn hin wie vom Winde bewegte leichte Schatten. Nur wenige dreieckige Segel schwebten wie helle Riesenvögel über dem dunklen Wasser, aber von Norden, von der Stadt her, näherte sich auf dem Strome ein großer Körper mit glanzvoll und weithin schimmernden Lichtaugen den Palmen.
»Ein stattliches Boot, gewiß das des Mukaukas Georg!« sagte der Kaufherr, und langsam trieb es von der Mitte des Flusses her gerade auf den Hain zu.
Inzwischen hatte sich auch auf der Landstraße hinter der Herberge Pferdegetrappel vernehmen lassen. Haschim schaute sich um und sah Fackelträger, welche vor einem Wagen herliefen.
»Bis hieher,« sagte der Alte, »wird der Kranke fahren und dann, um die Nachtluft auf dem Wasser zu vermeiden, sich im Wagen nach Hause begeben. Seltsam, da begegne ich heut’ zum zweitenmale seinem viel besprochenen Sohne.«
Bald kam die Lustfahrtgondel des Statthalters den Palmen näher. Es war ein großes, schönes Fahrzeug von Cedernholz mit reich vergoldetem Zierat und dem Bilde des Johannes, des Schutzheiligen der Familie, an der Spitze. Der Strahlenkranz, welcher das Haupt dieser Figur umgab, war mit Lampen besetzt, und große Laternen erhoben sich neben ihr und am Hinterteile des Bootes. Dort ruhte unter einem Baldachin der Mukaukas Georg und neben ihm seine Gattin Neforis. Ihnen gegenüber saß ihr Sohn und eine Jungfrau von hohem Wuchse, zu deren Füßen ein Kind von zehn Jahren kauerte und das liebliche Köpfchen an sie geschmiegt hielt. Eine ältere Griechin, die Erzieherin der Kleinen, saß neben einem sehr großen Manne, dem Arzte Philippus, auf einem Polster, das der Baldachin nicht mehr beschirmte. Heller Lautenklang begleitete das Boot, und derjenige, welcher die Saiten kunstfertig schlug, war der jüngst heimgekehrte Orion.
Dies alles bot einen gar erfreulichen Anblick: das schönste Bild einer vornehmen, in Liebe vereinten Familie. Aber wer war die Jungfrau an der Seite des jungen Orion? Diesmal wandte er ihr die ganze Aufmerksamkeit zu, und wenn er tiefer in die Saiten griff, suchte er ihre Augen, und es hatte dann zuweilen das Ansehen, als spiele er für sie allein, und solche Auszeichnung schien ihr in der That zuzukommen; denn als das Fahrzeug in den kleinen Hafen einfuhr und Haschim ihre Züge zu unterscheiden vermochte, war er überrascht von ihrer edlen, echt griechischen Schönheit.
Jetzt stiegen einige reichgekleidete Sklaven, welche mit dem Gespann auf der Straße gekommen sein mußten, auf das Boot, um den kranken Herrn in den Wagen zu tragen, und es zeigte sich nun, daß der Stuhl, worauf der Leidende saß, mit Armen versehen war, welche ihn zu heben und fortzubewegen gestatteten. Ein großer Schwarzer ergriff diese an der hinteren Seite, und wie ein anderer sich anschickte, sie an der vorderen zu erfassen, drängte ihn Orion zurück, trat an seine Stelle, hob den Stuhl und mit ihm den Vater auf und trug ihn über die Landungsbrücke, welche das Schiff mit dem Ufer verband, an Haschim vorüber dem Wagen zu. Heiter und ohne Anstrengung verrichtete der junge Mann die Arbeit des Trägers, schaute sich auch wohl liebreich nach dem Vater um, rief den anderen Frauen – nur seine Mutter, welche den Leidenden sorglich mit Tüchern umhüllt hatte, und der Arzt folgten dem Kranken – munter zu, auszusteigen und ihn hier zu erwarten, und schritt dann im Licht der Fackeln, welche ihm vorangetragen wurden, weiter.
»Armer Mann!« dachte der Kaufherr, indem er dem siechen Mukaukas nachschaute. »Aber das Traurigste und Schwerste verweht leicht wie Nebel im Winde, wenn man einen Sohn besitzt, der einen so freundlich dahinträgt.«
Erklärlich mußte er nun finden, daß Orion damals die Blumen von sich geworfen; ja, wie die Jungfrau, der das Kind zärtlich am Arm hing, ans Land trat, sagte er sich, daß es die kleine Tochter der reichen Witwe Susanna allerdings schwer haben werde, neben dieser hohen, königlichen Erscheinung das Feld zu behaupten. Welch eine Gestalt, welch fürstliche Haltung hatte dies Mädchen, und wie wohllautend und liebreich klang es, als sie dem Kinde die Namen einiger Sternbilder nannte und es auf den Kometen hinwies, der eben aufging.
Haschim saß im Dunkeln und konnte ungesehen beobachten, was auf der Bank am Ufer, welche durch eine der Laternen des Schiffes beleuchtet worden war, weiter vorging, und er freute sich der unerwarteten Zerstreuung; denn was den Sohn des Mukaukas anging, erweckte seine Teilnahme und Neugier. Es lockte ihn, sich ein Urteil über diesen ungewöhnlichen jungen Mann zu bilden, und der Anblick des schönen Mädchens dort auf der Bank erwärmte sein altes Herz. Das Kind mußte Maria, die Enkelin des Statthalters sein.
Jetzt brach der Wagen auf, jetzt brauste er auf der Straße von dannen, und nach einiger Zeit kehrte Orion zu den Wartenden zurück.
Armes, reiches Töchterchen der Witwe Susanna. Wie so ganz anders verkehrte er mit der schönen Jungfrau dort, als mit der Kleinen. Sein Auge hing wie berauscht an ihren Zügen, mitten in der Rede stockte er bisweilen, während er zu ihr sprach, und das, was er sagte, mußte bald ernst und fesselnd, bald witzig sein; denn nicht nur sie, sondern auch die Erzieherin der Kleinen hörte ihm mit Spannung zu, und wenn die schöne Jungfrau auflachte, so klang es ganz besonders wohltönend und rein. Es lag etwas so Hoheitvolles in ihrem Wesen, daß solche Aeußerung unbefangener Heiterkeit an ihr überraschte und sich ausnahm wie der Duft einer prächtigen Blume, von der man bis dahin glaubte, sie sei nur geschaffen, um dem Auge wohlzuthun und nicht auch den anderen Sinnen. Und diejenige, an welche alles gerichtet war, was Orion sagte, hörte ihm nicht nur aufmerksam, sondern in einer Weise zu, welche den Kaufherrn lehrte, daß der Erzähler selbst ihr noch mehr gefiel, als was er so lebhaft mitzuteilen wußte. Wenn dies Mädchen mit dem Statthalterssohne eins ward, ja das gab ein Paar!
Nun kam die Wirtin Taus, eine behäbige, tüchtige Aegypterin in mittleren Jahren, und trug selbst ihre berühmten Spritzkuchen, die sie eben eigenhändig gebacken, Milch, Trauben und Obst auf, und dabei glänzten ihre Augen vor Freude und geschmeicheltem Ehrgeiz; denn der Sohn des großen Mukaukas, der Stolz der Stadt, der früher gar oft auf Wasserfahrten mit fröhlichen Genossen, meist griechischen Offizieren, die nun alle, alle gefallen oder aus dem Lande vertrieben waren, nicht nur um ihrer Kuchen willen bei ihr vorgesprochen hatte, erwies ihr nun die Ehre, sie so bald nach der Heimkehr aufzusuchen. Ihre geläufige Zunge stand nicht still, wie sie ihm erzählte, auch sie und ihr Mann seien ihm bis zur Ehrenpforte beim Menesthore entgegengezogen, und mit ihnen ihre Emau mit ihrem Bübchen. Sie sei nämlich nun verheiratet, und diesen ersten Kleinen habe sie »Orion« getauft.
Und als der junge Mann darauf fragte, ob die Emau noch immer ein so reizendes Geschöpf sei und der Mutter so ähnlich sehe wie früher, drohte Frau Taus ihm mit dem Finger und fragte, indem sie auf die Jungfrau wies, ob der fröhliche Vogel, dem so manche bei seinem Aufbruch nachgeseufzt habe, sich endlich in den Käfig begeben, und ob die schöne Dame dort vielleicht...
Aber Orion schnitt ihr das Wort ab und sagte, noch sei er sein eigener Herr, aber er fühle schon die Schlinge am Halse. Da wurde das schöne Mädchen noch röter als bei der ersten Frage der Wirtin; er aber überwand schnell die eigene Befangenheit und versicherte munter, das Töchterchen der braven Taus sei eins der hübschesten Kinder von Memphis gewesen und nicht weniger eifrig gefeiert worden, als die Spritzkuchen ihrer trefflichen Mutter. Frau Taus möge die junge Frau von ihm grüßen.
Da entfernte sich die Wirtin gerührt und geschmeichelt, er aber griff wieder zur Laute, und während die anderen sich erfrischten, folgte er der Aufforderung der Jungfrau und sang das Lied des Alkaios, um welches sie ihn bat, mit wohllautender, aber gedämpfter Stimme zur Laute, die er meisterlich schlug. Die Augen des Mädchens hingen an seinem Munde, und er schien wiederum nur für sie in die Saiten zu greifen. Als die Zeit zum Aufbruche kam und die Frauen das Schiff bestiegen, ging er in die Herberge, um die Zeche zu zahlen. Bald kam er allein zurück, und der Kaufherr sah, wie er ein Tüchlein, das die Jungfrau auf dem Tische liegen gelassen, aufnahm und es schnell an die Lippen zog, während er dem Boote zuschritt.
Den prächtigen roten Blumen war es heute morgen weniger freundlich ergangen. Dem Mädchen dort auf dem Wasser gehörte das Herz des jungen Mannes. Seine Schwester konnt’ es nicht sein; aber wie hing es mit ihm zusammen?
Der Kaufherr sollte es bald erfahren; denn der Führer kehrte zurück und gab ihm Auskunft. – Es war Paula, die Tochter des Thomas, des weit berühmten griechischen Feldherrn, der die Stadt Damaskus so ausdauernd und tapfer gegen die Kriegsmacht des Islam verteidigt hatte. Sie war die Nichte des Mukaukas Georg; aber nur mäßig begütert, eine Verwandte des Hauses, die man nach dem Verschwinden ihres Vaters – denn auch seine Leiche hatte man nicht gefunden – in der Statthalterei aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommen: eine Melchitin. Der Hermeneut war ihr schon deswegen wenig gewogen, und wenn er auch gegen ihre Schönheit nichts einzuwenden hatte, so wollte er doch wissen, daß sie stolz und hochfahrend sei und keines Menschen Liebe zu erwerben verstehe; nur das Kind, die kleine Maria, hänge wohl an ihr. Ein öffentliches Geheimnis sei es, daß sogar die Gattin ihres Oheims, die brave Neforis, die stolze Nichte nicht möge und sie nur dulde dem kranken Mann zu gefallen. Was hatte die Melchitin auch zu Memphis in einem gut jakobitischen Hause zu suchen? Jedes Wort des Führers atmete jene Abneigung, die von niedrig stehenden und gesinnten Menschen so leicht denjenigen zu teil wird, welche die Güte der eigenen Wohlthäter genießen.
Aber die schöne, hoheitvolle Tochter eines großen Mannes hatte das alte Herz des Kaufherrn gewonnen, und sein Urteil blieb durch das des Memphiten ganz unbeeinflußt. Es sollte auch bald Bestätigung finden; denn der Arzt Philippus, den der Führer gerufen, ein täglicher Besucher der Statthalterei, dessen gediegenes Wesen dem Araber das größte Zutrauen einflößte, nannte Paula ein so herrliches Geschöpf, wie es der Himmel in seinen besten Stunden nur selten schaffe. Doch der da oben scheine sein eigenes Meisterwerk vergessen zu haben; denn seit Jahren sei ihr Dasein grausam getrübt.
Dem alten Herrn konnte der Arzt Linderung der Schmerzen versprechen; überhaupt sagten beide einander so wohl zu, daß sie sich erst in später Nachtstunde als gute Freunde trennten.
Drittes Kapitel.
Das Boot des Mukaukas glitt indessen, von kräftigen Ruderschlägen getrieben, ruhig dem Laufe des Stromes entgegen. Es ward darin bald geflüstert, bald gesungen. Die kleine Maria war an der Brust Paulas entschlummert, die griechische Erzieherin blickte bald nach dem Kometen, der sie beängstigte, bald auf Orion, dessen Schönheit ihr alterndes Herz entzückte, bald auf die Jungfrau, der sie nicht gönnte, von diesem Liebling der Götter so bevorzugt zu werden. Es war eine köstliche, warme, stille Nacht, und das Mondlicht, welches das Meer zwingt, flutend zu wachsen, läßt auch die wogenden Gefühle in der Menschenbrust steigen und schwellen. Was Paula forderte, das sang Orion, als sei nichts ihm fremd, was auf der Leier eines griechischen Dichters die nun hinabgesunkene Welt jemals entzückt, und je länger sie fuhren, desto heller und schöner klang seine Stimme, desto schmelzender und bestrickender ward ihr Ausdruck, mit desto feurigerem Werben wandte sie sich an das Herz des Mädchens; und so gab Paula sich dem süßen Zauber gefangen, und wenn er die Laute senkte und sie leise fragte, ob sein Vaterland nicht schön sei in solcher Nacht, welches Lied ihr das liebste, ob sie ahne, was es für ihn bedeute, im Hause der Seinen sie gefunden zu haben, ließ auch sie sich hinreißen, ihm im Flüsterton Antwort zu geben.
Unter den dichten Baumkronen des schlummernden Gartens zog er ihre Hand an die Lippen, und sie ließ es bebend geschehen. – Schwere, schwere Jahre lagen hinter ihr. Des Arztes Ausspruch war nur zu wahr gewesen. Harten Schicksalsschlägen war für sie, die stolze Tochter eines großen Vaters, eine Reihe von peinigenden Demütigungen gefolgt. Das Leben der aus Mildherzigkeit im reichen Hause aufgenommenen, wenn auch nicht armen, so doch verlassenen Anverwandten war längst zu einem schweren Dornenpfad für sie geworden, aber vorgestern hatte sich das alles geändert. Orion war ja da! Wie ein schönes Schicksalsgeschenk hatten Haus und Stadt seine Heimkehr gefeiert, und auch ihr war ein reicher Anteil daran zugefallen. Nicht wie die verlassene Verwandte, sondern wie das herrliche, vornehme Weib, das sie war, hatte er sie begrüßt. Sonnenschein ging aus von seinem Wesen, und der drang ihr mitten ins Herz und ließ sie das Haupt wieder aufrichten wie eine Blume, die man wieder unter den freien Himmel stellt, nachdem ihr Licht und Luft lang entzogen. Sein frischer Geist und froher Lebensmut erquickten ihr Herz und Sinn, die Beachtung, die er ihr schenkte, stärkte ihr gesunkenes Selbstvertrauen und erfüllte ihre Seele mit warmem Dank. Ach, und wie köstlich schien es ihr, sich dankbar, innig dankbar fühlen zu dürfen! Und dann, dann war der heutige Abend gekommen, der schönste, herrlichste, den sie seit Jahren genossen. Er hatte sie wieder gelehrt, was sie beinahe vergessen, daß sie noch jung, daß sie noch sei, daß sie das Recht besitze, glücklich zu sein, Entzücken zu empfinden und zu erwecken, vielleicht sogar zu lieben und wieder geliebt zu werden.
Sein Kuß brannte noch auf ihrer Rechten, wie sie das kühle Zimmer betrat, wo Frau Neforis hinter ihrem Spinnrocken neben dem Lager ihres kranken Gatten, der sich immer in später Stunde zur Ruhe begab, der Heimkehrenden harrte. Mit übervollem Herzen drückte Paula die Lippen auf die Hand des Oheims, des Vaters Orions, – durfte sie sagen »ihres« Orion? Dann küßte sie – wie lange war dies nicht geschehen! – auch ihre Base, seine Mutter, während sie ihr mit der kleinen Maria eine gute Nacht wünschte; Neforis aber nahm ihren Kuß kühl und verwundert hin und blickte nur forschend auf sie und ihren Sohn. Gewiß kamen ihr dabei mancherlei Gedanken, doch hielt sie es für angemessen, ihnen fürs erste keinen Ausdruck zu geben. Als habe sich nichts Besonderes ereignet, ließ sie die Mädchen sich entfernen, überwachte sie die Leute, welche ihren Gemahl in das Schlafzimmer trugen, gab sie ihm die weißen Kügelchen, deren er, um zu schlafen, bedurfte, schob sie ihm mit unermüdlicher Sorgfalt die Kissen so lange zurecht, bis ihm seine Lage behagte. Dann erst, und nachdem sie sich überzeugt hatte, daß ein Diener im Nebenzimmer wache, verließ sie ihn und suchte – es lag Gefahr im Verzug – ihren Sohn auf.
Die große, starke, etwas schwerfällige Frau war in ihrer Jugend ein stattliches, schlankes Mädchen, eine vornehme Erscheinung, ihr etwas nüchternes und unbewegliches Antlitz dagegen nie hervorragend schön gewesen. Aber die Jahre hatten ihm wenig angethan, und es war jetzt ein hübsches, volles, kühles Matronengesicht geworden, das bei langjähriger, aufopfernder Krankenpflege die Farbe verloren. Ihre Geburt und Stellung verliehen ihr etwas Sicheres und Selbstbewußtes, doch lag nichts Gewinnendes, Anziehendes in ihrem Wesen. Andermanns Leid und Freud war nicht das ihre, aber sie konnte sich darum doch bis zur Aufopferung mühen und plagen, und ihr Herz war fähig, sich für andere bis zu leidenschaftlicher Glut zu erhitzen. Freilich mußten diese anderen ihre nächsten Angehörigen sein, und nur diese. So war denn eine treuere, sorgfältigere Gattin und zärtlichere Mutter schwer zu finden, aber wollte man das, was an Liebe in ihr lebte, mit einem Gestirn vergleichen, so reichten seine kurzen Strahlen nicht über ihre allernächsten Blutsfreunde hinaus, und diese empfanden es billigerweise dankbar als etwas Besonderes und Beglückendes, in dem engen Liebeskreis dieser unfreigebigen Seele Aufnahme gefunden zu haben.
Jetzt pochte sie an Orions Wohnzimmer, und er begrüßte den späten Besuch mit Ueberraschung und Freude. Sie kam, um Wichtiges mit ihm zu besprechen, und that es schon jetzt, weil Paulas und ihres Sohnes Benehmen von vorhin sie zur Eile zwang. Es war zwischen diesen beiden etwas vorgegangen, und die Nichte ihres Gatten stand weit außerhalb des engen Gebietes ihrer Liebe.
Es lasse sie nicht schlafen, leitete sie ihre Anrede ein. Sie habe einen Wunsch auf dem Herzen, und der Vater teile denselben. Orion wisse wohl, was sie meine; sie habe ja schon gestern mit ihm darüber geredet. Der Vater sei ihm liebreich entgegengekommen, habe seine Schulden gern und ohne ein tadelndes Wort bezahlt, und nun sei es an ihm, einen Strich über das alte, ungebundene Leben zu machen und einen eigenen Hausstand zu gründen. Die Braut, er wisse es ja, sei gefunden. »Vorhin,« sagte sie, »ist Susanna bei uns gewesen. Du, Bösewicht, sie gesteht es selbst, hast ihrer Katharina heute morgen das Köpfchen völlig verdreht!«
»Leider,« unterbrach er sie verdrießlich. »Dies Schönthun mit den Weibern ist mir geradezu zur Gewohnheit geworden; aber es soll von nun ab aus damit sein. ‘s ist meiner nicht mehr würdig, und jetzt, liebe Mutter, jetzt fühl’ ich...«
»Daß der Ernst des Lebens beginnt,« stimmte Neforis ein. »Eben dahin zielt auch der Wunsch, der mich zu Dir führt. Du kennst ihn, und ich wüßte nicht, was Du dagegen einwenden solltest. Kurz und gut, laß mich morgen die Sache mit Frau Susanna ins reine bringen. Ihrer Tochter Neigung bist Du gewiß, sie ist die reichste Erbin im Lande, gut erzogen, und, ich wiederhole es, sie hat Dir ihr Herzchen geschenkt.«
»Und sie mag es behalten!« lachte Orion.
Da rief die Mutter erregt: »Ich bitte Dich, Deine Heiterkeit für passendere Zeiten und komische Dinge zu sparen – ich mein’ es sehr ernst, wenn ich sage: Das Mädchen ist lieb und gut und soll Dir, so Gott will, eine treue, zärtliche Gattin werden. Oder hast Du etwa das eigene Herz in Konstantinopel gelassen? Sollte Dich die schöne Verwandte des Senators Justinus... Aber Thorheit! Du setzest doch wohl selbst kaum voraus, daß wir diese flatterige Griechin...«
Da umfaßte sie Orion und rief zärtlich: »Nein, Mütterchen, nein! Konstantinopel liegt weit, weit hinter mir in grauen Nebeln, jenseit der äußersten Thule; aber hier, hier, ganz nah’, im Vaterhaus hab’ ich etwas viel Schöneres und Vollkommeneres gefunden, als den Leuten am Bosporus je gezeigt worden ist. Die Kleine paßt nicht für einen Sohn unseres großen, breitschulterigen Stammes. Auch unsere künftigen Geschlechter sollen das gemeine Volk an Höhe in jeder Beziehung stolz überragen, und ich will kein Spielzeug zur Gattin, sondern ein Weib, wie Du es selbst in Deiner Jugend gewesen, ein hohes, vornehmes, schönes. Zu keiner Zaunkönigin, zu einer wahrhaft königlichen Jungfrau zieht mich das Herz. Was braucht’s da noch vieler Worte! Paula, die herrliche Tochter des edlen Thomas, sie hab’ ich gewählt! Vorhin ist es mir aufgegangen wie eine Offenbarung; für den Bund mit ihr bitt’ ich um euren Segen!«
Bis dahin hatte Frau Neforis den Sohn reden lassen. Was sie vernehmen zu müssen gefürchtet, frei und keck hatte er ihr’s zu hören gegeben. Und wie lang war es ihr gelungen, an sich zu halten! Jetzt aber war ihre Selbstbeherrschung zu Ende. Zitternd vor Aufregung schnitt sie ihm das Wort ab und rief mit hochgeröteten Wangen: »Nicht weiter, nicht weiter! Verhüte der Himmel, daß das, was ich da mit anhören mußte, etwas anderes ist als ein flüchtiger, närrischer Einfall! Hast Du denn ganz vergessen, wer und was wir sind? Weißt Du nicht mehr, daß es Glaubensgenossen der Melchitin waren, die Dir Deine beiden lieben Brüder, uns zwei blühende Söhne erschlugen? Was gelten wir unter den Griechen, den Orthodoxen! Aber unter den Aegyptern, unter allen, welche der seligmachenden Lehre des Eutyches anhängen, unter den Monophysiten sind wir die ersten und wollen es bleiben und unser Ohr und Herz den Ketzern und ihrem Irrglauben verschließen! Ein Enkel des Menas, ein Bruder zweier Märtyrer für unser erhabenes Bekenntnis vermählt mit einer Melchitin! Tempelschänderisch, gotteslästerlich ist dieser Gedanke; ich finde dafür keine milderen Worte! Bevor ich, ehe der Vater dem nachgibt, wollen wir kinderlos enden! Und dieser Hergelaufnen willen, die nichts besitzt als ihren Bettelstolz und die zusammengescharrten Reste eines Vermögens, das nie mit dem unseren zu vergleichen gewesen, für diese Undankbare, die sich schwer bezwingt, mir, ihrer Wohlthäterin, Deiner Mutter – bei Gott, ich rede die Wahrheit – auch nur den ›guten Morgen‹ zu bieten, womit ich selbst die Sklaven freundlich begrüße, um ihretwillen soll ich, sollen wir Eltern den Sohn verlieren, den einzigen, den der gnädige Himmel uns noch zu unserer Freude gelassen? Nein, nein, nein! Das sei ferne! Und Du, Orion, mein Herzensjunge, Du bist Dein Leben lang ein verwegener Bursche gewesen, aber den verruchten Mut findest Du doch nicht, dieser kalten Schönen zu liebe – in zwei Tagen hast Du sie einige Stunden gesehen – Deine alte Mutter, die Dich vierundzwanzig Jahre lang zärtlich am Herzen gehalten, zu Tode zu betrüben, und dem Vater, dessen Tage gezählt sind, den kurzen Lebensrest zu vergiften. Den Mut, Du mein Herzblatt, den findest Du nicht, nein, den kannst Du nicht finden! Und findest Du ihn dennoch in einer verfluchten Stunde, findest Du ihn, dann – ich bin Dir Dein Leben lang eine zärtliche Mutter gewesen – dann – so wahr Gott mir und dem Vater beistehen soll in unserer letzten Stunde, dann reiße ich die Liebe zu Dir aus der Seele wie ein schädliches Giftkraut, dann würde ich, und wenn mir das Herz dabei bräche...«
Da zog Orion die tief erregte Frau, welche sich längst seinen Armen entzogen, wieder an sich, legte ihr die Hand leicht an den Mund, küßte ihr beide Augen und flüsterte ihr ins Ohr:
»Er hat ja den Mut nicht und findet ihn auch schwerlich im Leben.« Dann faßte er ihre beiden Hände, schaute ihr offen ins Antlitz und rief: »Brrr! So angst wie bei diesen Drohungen ist Deinem Wagehalse noch nie zu Mut gewesen. Aber was waren das auch für gräßliche Worte, und noch ärgere lagen Dir schon auf der Zunge! Mutter, Mutter Neforis! Dein Name bedeutet die Gute, aber wie böse, wie bitterböse kannst Du doch sein!«
Damit zog er die geliebte Frau fester an sich, küßte ihr in einer übermütigen Anwandlung, die ihn nach der Erschütterung, die er erfahren, wie ein Rückschlag überfiel, Haar und Schläfen und Wangen rasch hinter einander, und als sie ihn verließ, hatte er ihr gestattet, für ihn um die kleine Katharina zu werben, und dafür das Versprechen eingetauscht, daß dies noch nicht morgen, sondern frühestens übermorgen geschehen solle. Dieser Aufschub kam ihm schon wie eine Errungenschaft vor, und als er mit sich allein war und überdachte, was er da gethan und der Mutter bewilligt hatte, blutete ihm zwar das Herz aus Wunden, deren Tiefe er selbst noch nicht ermaß, aber er freute sich dennoch, Paula noch nicht fester an sich gebunden zu haben. Seine Augen hatten ihr mancherlei erzählt, aber das Wort »Liebe« war noch nicht über seine Lippen gekommen, und darauf kam es doch an. Einen Handkuß einer schönen Verwandten zu geben, war dem Vetter sicher gestattet. Begehrenswert, o, wie begehrenswert war sie und blieb sie, aber um eines Mädchens willen, und wär’ es Aphrodite selbst oder eine der Musen oder Charitinnen gewesen, mit den Eltern brechen, das war ja undenkbar! Schöne Frauen gab es für ihn zu Tausenden auf Erden, aber nur eine Mutter, und wie oft hatte sein Herz schon schneller geschlagen, sich ein anderes erobert, dessen Gaben fröhlich genossen und sich dann wieder leicht und willig beruhigt.
Diesmal schien er freilich tiefer ergriffen zu sein als in früheren Fällen, und selbst die schöne persische Sklavin, um derentwillen er, kaum der Schule entwachsen, große Thorheiten begangen, und die reizende Heliodora in Konstantinopel, der er noch ein Andenken schuldete, hatten so nicht auf ihn gewirkt. Diese Paula aufzugeben war schwer, aber es ging doch nicht anders! Morgen mußte er versuchen, auf einen freundschaftlichen, geschwisterlichen Fuß mit ihr zu gelangen; denn daß sie sich wie die sanfte Heliodora, die ihr ja im Range gleich stand, mit seiner »Liebe« zufrieden geben werde, darauf durfte er nicht hoffen. Schön, unvergleichlich schön wär’ es doch gewesen, an der Seite dieses herrlichen Weibes durchs Leben zu fliegen! Fuhr er mit ihr durch die Hauptstadt, so war er sicher, daß alle Welt stillstehen und sich nach ihnen umschauen mußte. Und wenn sie ihn liebte, und sie öffnete ihm zärtlich die Arme... O, o, warum hatte das tückische Schicksal sie zu einer Melchitin gemacht?! Und dann: leider, leider konnt’ es auch mit ihrem inneren Wesen nicht sonderlich gut beschaffen sein; hätte es ihr denn sonst nicht gelingen müssen, sich in zwei Jahren statt der Abneigung die Liebe seiner trefflichen, zärtlichen Mutter zu erwerben? Ja, am Ende war es doch gut so, wie es gekommen; aber Paulas Bild ließ dennoch nicht von ihm und verdarb ihm den Schlaf, und sein Verlangen nach ihrem Besitz kam nicht zur Ruhe.
Indessen begab sich Frau Neforis nicht sogleich zu ihrem Gatten zurück, sondern zu Paula. Diese Angelegenheit mußte noch heute nach allen Seiten hin zum Abschluß gelangen! Hätte ihr Sieg dem Kranken ungetrübte Freude zu bereiten versprochen, so wäre sie mit der Freudenbotschaft zu ihm geeilt; denn sie kannte nichts Höheres als ihm einen guten Augenblick zu bereiten, aber der Mukaukas hatte ihrer Wahl nur widerwillig zugestimmt; denn auch ihm erschien Katharina zu klein und kindisch für den großen Sohn, dessen geistige Reife ihm bei mancher längeren Unterredung, die er nach seiner Heimkehr mit ihm gepflogen, zur Freude seines Vaterherzens unleugbar und bedeutend vor die Seele getreten war.
Das »Bachstelzchen«, dem er ja alles Schönste und Beste wünschte, genügte ihm nicht für Orion. Ihm, dem Vater, wäre Paula eine liebe Schwiegertochter gewesen, und es hatte ihm oft wohl gethan, sie sich an Orions Seite zu denken. Aber sie war eine Melchitin, und er wußte, wie übel seine Gattin ihr leider gesinnt war, und so verschloß er diesen Wunsch in sich, um die treue Pflegerin, welche nur für ihn lebte, fühlte und dachte, nicht zu kränken; und Frau Neforis wußte oder ahnte das alles, und sie sagte sich, daß es ihn die Nachtruhe kosten werde, wenn er heute schon erführe, was Orion ihr zugesagt hatte.
Mit Paula stand es anders. Je eher sie erfuhr, daß sie von ihrem Sohne nichts zu erwarten habe, um so besser für sie.
Am vergangenen Morgen hatten sie und Orion einander wie ein Liebespärchen begrüßt, und vorhin waren sie wie Braut und Bräutigam auseinander gegangen. Solchem ärgerlichen Schauspiel wollte sie nicht wieder beiwohnen, und so sprach sie bei der Damascenerin vor und vertraute ihr glückselig an – aber bis übermorgen sollte sie schweigen – welche Freude ihr Sohn ihr soeben bereitet.
Paula hatte schon bei ihrem Eintritt aus ihrem strahlenden Gesicht den Schluß gezogen, daß sie etwas für sie Peinliches bringe, und so bewahrte sie die schickliche Fassung. Mit der Maske kühler Gleichgültigkeit ließ sie den Erguß des frohbewegten Mutterherzens über sich ergehen und wünschte auch den Verlobten Glück; aber sie that es mit einem Lächeln, das Frau Neforis empörte. Sie war sonst gewiß nicht böse, aber diesem Mädchen gegenüber verwandelte sich ihre Natur, und es war ihr nicht unlieb, ihr wieder einmal zu zeigen, daß in ihrer Lage Bescheidenheit am Platze sei. Das alles sagte sie sich selbst, wie Paulas Zimmer hinter ihr lag, aber vielleicht hätte diese Frau, an der vieles gut war, Reue empfunden, wenn es ihr gestattet gewesen wäre, in den folgenden Stunden in das Herz der ihrem Schutz befohlenen Waise zu schauen.
Nur einmal schluchzte Paula heftig auf; dann trocknete sie unwillig die Thränen, blickte lange finster zu Boden und schüttelte dabei oft das schöne Haupt, als sei ihr etwas Unerhörtes, Unfaßbares begegnet.
Mit einem schmerzenden Seufzer legte sie sich endlich zur Ruhe, und während sie vergeblich nach Schlaf und der Kraft rang, zu beten und sich still zu ergeben, kam ihr die Zeit vor wie eine endlose Steppe, das Schicksal wie ein grausamer Jäger, und das Wild, das er verfolgte, das war sie selbst.
Viertes Kapitel.
Am folgenden Abend ritt der Kaufherr Haschim mit einem kleinen Teil seiner Karawane in die Statthalterei ein. Fremde würden sie eher für den Wohnsitz eines reichen Grundherrn als für die Residenz eines hohen Beamten gehalten haben; denn in die großen hinteren Höfe, welche von den Wirtschaftsgebäuden auf drei Seiten umschlossen wurden, trieb man jetzt nach Untergang der Sonne große Rinder– und Schafherden ein, ein halbes Hundert Rosse von edler Zucht kam zusammengekoppelt aus der Schwemme, und auf einer von Hürden umschlossenen sandigen Fläche trugen braune und schwarze Sklaven einer großen Kamelherde das Abendfutter zu.
Das Wohnhaus des Besitzers war in seiner ungewöhnlichen, palastartigen Größe und altertümlichen Pracht recht wohl geeignet, einem Statthalter des Kaisers zur Residenz zu dienen, und der Mukaukas Georg, dem dies alles gehörte, hatte in der That das genannte Amt lange bekleidet. Nach der Eroberung des Landes war es ihm auch von den Arabern gelassen worden, und gegenwärtig leitete er die Angelegenheiten seiner ägyptischen Stammesgenossen nicht mehr in der Kaiser zu Konstantinopel Namen, sondern im Auftrag des Chalifen in Medina und seines Feldherrn Amr. Die muslimischen Eroberer hatten in ihm einen gutwilligen und klugen Vermittler gefunden, und seine Glaubens– und Blutsgenossen leisteten ihm Gehorsam als dem vornehmsten und reichsten Herrn ihrer Nation, als dem Sohn eines Geschlechtes, dessen Ahnen schon unter den Pharaonen in hohem Ansehen gestanden.
Griechisch oder besser alexandrinisch war nur das Wohnhaus des Mukaukas; die Höfe und Nebenbauten, die sich daran schlossen, hatten dagegen ganz das Ansehen, als gehörten sie dem mächtigen Häuptling eines großen morgenländischen Stammes, einem Erpaha oder Gaufürsten, wie die Vorfahren des Mukaukas in heidnischer Zeit genannt und als welche sie am Hofe und unter dem Volke geehrt worden waren.
Der Fremdenführer hatte dem Kaufherrn nicht zu viel von dem Grundbesitz dieses Mannes erzählt. Im oberen und unteren Aegypten waren seine großen Ländereien gelegen und wurden von einigen tausend Sklaven und vielen Aufsehern bewirtschaftet. Hier in Memphis befand sich die Centralstätte der Verwaltung seines Privateigentums, und an sein eigenes Rentamt schlossen sich die Schreibstuben, deren er als Staatsbeamter bedurfte.
Wohl erhaltene Dämme und die breite den Hafen berührende Nilstraße trennten sein weitläufiges memphitisches Anwesen vom Flusse, und eine Gasse folgte der Mauer, welche dasselbe nach Norden hin abschloß. Dieser war das bei Tage weit geöffnete große Thor zugewandt, welches denen Einlaß gewährte, die als Diener oder in Geschäften das Grundstück des Mukaukas zu besuchen wünschten; die mit korinthischen Marmorsäulen geschmückte, jederzeit verschlossene schöne Hauptpforte an der Nilstraße, durch welche auch die Wasserfahrer gestern den Garten betreten hatten, war nur der Familie und hochgestellten Besuchern des Statthalters geöffnet. Bei dem Gesindethor in der Gasse erhob sich ein Wächterhaus, welches eine kleine Schar von ägyptischen Soldaten beherbergte, der die persönliche Sicherheit des Mukaukas anvertraut war.
Sobald sich nach der Hitze des vergangenen Tages vom Strome her ein erfrischender Hauch erhob, ward es auf dem Hofe hinter dem Seitenthore lebendig. Aus allen Pforten der Gesindewohnungen traten Männer, Frauen und Mädchen, um die frische Nachtluft zu atmen. Einzelne Dienerinnen und Sklaven schöpften Wasser aus ungeheuren Thongefässen und trugen es in hübsch geformten Krügen von dannen, während die freien Beamten des Hauses sich gruppenweise plaudernd, spielend und singend von den Mühen der Arbeitszeit erholten. Aus dem Sklavenquartier, welches einen zweiten Hof umschloß, scholl bunt durcheinander der Gesang geistlicher Lieder, der zum Tanz ladende schrille und dumpfe Klang der Doppelflöte und Handtrommel, Gezänk und Gelächter, das Kreischen eines zum Reigen gezogenen Mädchens und der Schrei eines Unfreien, den die Geißel des Vogtes getroffen.
Das Gesindethor, welches noch zu Ehren des jüngst heimgekehrten Orion mit reichen Blumen und Laubgewinden geschmückt war, stand auch jetzt weit offen, um den Rechnungsführern und Schreibern Ausgang, oder den Städtern Einlaß zu gewähren, die ihre Freunde in der Statthalterei des Abends gern besuchten; denn es fanden sich dort stets einige höher gestellte Beamte des Mukaukas beisammen, welche von den neuesten Begebenheiten in Staat und Kirche mehr wußten als andere Leute.
Unter dem hölzernen Vorbau des Oberverwalterhauses saß denn auch bald eine große Zahl von Männern beisammen, die sich mit allem Eifer dem Gespräch hingaben, das ihnen auch ohne das Bier, welches ihnen ihr Wirt immer noch auf Rechnung der Bewillkommnungsfeier des heimgekehrten Sohnes ihres Herrn anbieten ließ, genußreich erschienen wäre; denn was gab es Schöneres für den Aegypter, als Rede und Gegenrede tauschen und dabei den sonst unnahbaren Höhergestellten, den Andersgläubigen oder Landesfeinden mit Witz und Spott zu Leibe gehen.
Es mußte auch heute manches treffende Wort, mancher glückliche Scherz zu hören sein; denn helles Gelächter und laute Beifallsrufe hatten vor dem Oberverwaltershause kein Ende, und der Befehlshaber der Wache beim Gesindethor warf neidische und ungeduldige Blicke auf die heitere Gesellschaft, in der er gern mit dabei gewesen wäre, aber er durfte seinen Posten noch nicht verlassen; denn da standen die gesattelten Pferde der Boten, die auf Abfertigung warteten, da gab es Supplikanten und Händlern Einlaß oder Ausgang zu gewähren, und in der weiten Vorhalle des Statthalterpalastes waren noch viele Leute versammelt, welche mit dem Mukaukas zu reden begehrten – war es doch in ganz Memphis bekannt, daß der kranke Statthalter in den heißesten Monaten nur gegen Abend Audienzen erteilte.
Zu den arabischen Behörden fehlte es unter den Aegyptern noch an Zutrauen, und an des Mukaukas Stellvertreter gewiesen zu werden, suchte jedermann zu vermeiden; denn so klug und gerecht wie der Alte, war keiner seiner Beamten. Woher der leidende Mann Kraft und Zeit nahm, auch diesen auf die Finger zu sehen, ließ sich schwer erklären, doch es stand fest, daß jedes Urteil von ihm geprüft wurde.
Die Audienzzeit war vorüber, und die Besorgnis, welche das Ausbleiben der Ueberschwemmung und der Komet erregten, hatten die Warteräume heute mit mehr Bittstellern gefüllt als gewöhnlich. Gruppenweise waren die Vertreter der Städte und die Dorfschulzen, einzeln die Kläger in eigener Sache vorgelassen worden, und die meisten hatten sich befriedigt oder doch mit gutem Rate entfernt. Ein einziger Landmann, dessen gerechte Sache schon lange der Erledigung wartete, war zurückgeblieben und hoffte, nachdem er dem Anmelder einige Drachmen von seiner Armut geopfert, die Frucht seines geduldigen Harrens noch heute zu ernten, als ihm der Hausmeister morgen wieder zu kommen gebot und die hohen in die Gemächer des Mukaukas führenden Thüren, dank den Goldstücken, die er von seinem Vetter, dem Fremdenführer, empfangen, dem Kaufmann Haschim dienstfertig aufthat; aber der Araber hatte den Landmann bemerkt und drang darauf, ihm den Vortritt zu lassen. So geschah es denn auch, und nach wenigen Minuten kehrte der Bauer befriedigt zurück und küßte Haschim dankbar die Hand. Darauf ließ der Anmelder den alten Herrn mit seinen Leuten, welche ihm einen schweren Ballen nachgetragen hatten, in einem prächtigen Vorzimmer warten, und seine Geduld wurde schwer auf die Probe gestellt, bevor der Ruf an ihn erging, dem Statthalter seine Ware zu zeigen.
Dieser hatte, nachdem er mit einem stummen Winke eingewilligt, den gut empfohlenen Kaufmann später zu empfangen, seine Erholungszeit angetreten und zog, unbekümmert um den Wartenden, die Kegel des Brettspiels. Er lag auf einem mit dem glatten Fell einer Löwin überspannten Diwan, während seine junge Partnerin ihm auf einem niedrigen Sessel gegenüber saß. Die dem Nil zugewandten Thüren des Raumes, wo er auch die Bittsteller liegend empfangen, waren nun halb geöffnet, um der kühleren, aber immer noch lauen Abendluft Einlaß zu gewähren. Das grüne Velarium, Das Segel, womit das offene Dach überspannt werden konnte. welches am Tage die Sonnenstrahlen gehindert hatte, durch die in der Mitte offene Zimmerdecke zu dringen, war zurückgespannt, und Mond und Sterne blickten in das Gemach, welches seiner Bestimmung, an heißen Sommertagen eine erträgliche Zufluchtsstätte zu bieten, sehr wohl entsprach; denn seine Wände waren mit kühlen, bunten glasirten Kacheln bekleidet, seinen Fußboden bildete eine figurenreiche farbige Mosaik mit vergoldetem Glasgrund, und aus dem runden Mittelstück dieses kunstvollen Estrichs erhob sich der eigentliche Erfrischungsspender, eine zwei Mannslängen breite Schale von braunem, weiß gesprenkeltem Porphyr, aus der ein Springquell aufwärts strebte und seine ganze Umgebung mit zarten Wasserteilchen bestob. – Wenige Sessel, Stühle und kleine Tische, alle von kühlem Metall, bildeten die ganze übrige Ausstattung dieses hohen, durch zahlreiche Lampen hell erleuchteten Gemaches. Leiser Zugwind drang durch die offene Decke und die unverschlossenen Thüren, bewegte leicht die Flammen der Lampen und spielte mit den braunen Locken Paulas, die sich mit voller Hingabe dem Brettspiel zu widmen schien.
Orion, der hinter ihr stand, hatte sich schon mehrfach vergeblich bemüht, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; jetzt erbot er sich dienstbeflissen, ihr ein Tuch zu holen, um sie vor Erkältung zu schützen; sie aber lehnte es kurz und entschieden ab, obwohl die Luft vom Strome her feucht hereinwehte und sie den Peplos schon mehrmals fester um die Brust zusammengezogen hatte.
Der junge Mann biß bei dieser neuen Zurückweisung die Zähne zusammen. Er wußte nicht, daß die Mutter ihr mitgeteilt hatte, was er ihr gestern bewilligt, und fand keine Erklärung für Paulas verändertes Benehmen. Von früh an war sie ihm mit eisiger Kälte begegnet, hatte sie seine Fragen kaum mit einem dürftigen »Ja« oder »Nein« beantwortet, und ihm, dem verwöhnten Liebling der Frauen, ward dies Verhalten mehr und mehr unerträglich. Die Mutter beurteilte sie doch wohl richtig! Sie ließ sich in unerhörter Weise von Stimmungen beherrschen und gab jetzt auch ihm den Hochmut, von dem er bisher nichts wahrgenommen, in verletzender Weise zu fühlen. Ja dies frostige Ausweichen grenzte an Unart, und er war nicht willens, es sich lange gefallen zu lassen. Tief verdrossen folgte er jeder Bewegung ihrer Hand, jeder Neigung ihres Körpers sowie dem wechselnden Ausdruck ihres Gesichtes, und je mehr er sich in die Bildung dieses stolzen Geschöpfes vertiefte, desto schöner, desto vollendeter fand er es, desto höher stieg seine Sehnsucht, sie wieder lächeln, sie wieder wie gestern weiblich liebenswürdig zu sehen. Jetzt glich sie nur einem herrlichen Marmorbilde, aber er wußte ja, daß dies auch eine Seele besaß, und welche herrliche Aufgabe, dies von thörichten Launen beherrschte Geschöpf gleichsam von sich selbst zu befreien und ihm – mußte es sein, mit Härte – zu weisen, was dem Weibe, der Jungfrau wohl steht.
Unter diesem Gemisch von Empfindungen wandte sich seine Aufmerksamkeit mehr und mehr ausschließlich der Jungfrau zu, und seine Mutter, welche mit Frau Susanna in ziemlicher Entfernung von den Spielenden auf einer Ruhebank saß, bemerkte dies mit wachsendem Aerger und suchte ihn durch Fragen und kleine Aufträge von ihr abzulenken und seinem auffallenden Treiben eine andere Richtung zu geben.
Wer hätte noch gestern Morgen gedacht, daß ihr der Liebling so bald solchen Verdruß solche Sorgen bereiten werde!
Ganz so, wie der Vater und sie es gewünscht, als ein selbstbewußter, mit dem Leben der großen Welt vertrauter Mann war er heimgekehrt. Zwar hatte er in der Hauptstadt alles genossen, was einem vornehmen Jüngling genießenswert erscheint, aber darum war er doch – und das bereitete dem Vater die größte Freude – darum war er doch frisch und empfänglich auch für das Kleinste geblieben. Von der Uebersättigung und Abstumpfung der Daseinsfreude, der so viele seiner Alters– und Standesgenossen in der Residenz anheimfielen, zeigte sich an ihm keine Spur. Er konnte immer noch mit der kleinen Maria so munter spielen, sich über eine seltene Blume oder ein neues, schönes Pferd so herzlich freuen wie vor dem Aufbruch, und dabei hatte er so tiefe Einblicke in die politischen Verhältnisse der Zeit, den Zustand des Kaiserreiches und Hofes, die Staatsverwaltung und kirchlichen Neuerungen gewonnen, daß es dem Vater Genuß bereitete, ihn sprechen zu hören, und dieser seiner Gattin versichern konnte, er lerne mancherlei von dem Jungen, und Orion sei auf dem Wege, ein tüchtiger Staatsmann zu werden, der jetzt schon das Zeug besitze, ihn voll zu ersetzen.
Als die Mutter ihrem Gatten die große Summe genannt hatte, welche Orion in Konstantinopel schuldig geblieben war, griff der alte Herr mit einem gewissen Stolz in den Beutel; ja er fand es erfreulich, daß der einzige ihm verbliebene Erbe es verstehe, die großen Reichtümer, welche ihm selbst mehr zur Last als zur Freude gereichten, ebenso gut wie er selbst in seiner Jugend zu gebrauchen und sich mit einem Glanze zu umgeben, der auf ihn und seinen Namen zurückfiel. »Bei ihm weiß man,« sagte der Kranke, »wofür man sein Geld rollen läßt. Seine Rosse kosten viel, aber er versteht mit ihnen zu siegen; sein Auftreten verschlingt hübsche Summen, doch dafür verschafft es ihm Geltung, wo er sich zeigt. Da bringt er mir einen Brief des Senators Justinus, und der würdige Mann bekennt, daß er eine große Rolle unter der stolzen ›goldenen Jugend‹ der Hauptstadt gespielt hat. So etwas gibt’s nicht umsonst, und ich hab’ es am Ende noch billig bezahlt. Was brauchen wir nach hundert Talenten mehr oder weniger fragen, und es liegt was Großes darin, daß er den Mut gefunden, es auch nicht zu thun!«
Und der dies sprach, war kein fröhlicher Greis, sondern ein gebrochener Mann, der sich nur freute, den Sohn das Viele, was zu genießen ihm selbst längst versagt war, froh auskosten zu sehen.
Und der feurige, hochbegabte, kaum dem Knabenalter entwachsene Jüngling, den er mit einiger Besorgnis in die Kaiserstadt geschickt hatte, mußte dort in der Hauptsache ein viel gesetzteres Leben geführt haben, als es von ihm zu erwarten gewesen; dafür bürgte der rötliche Schimmer auf den leicht gebräunten Wangen, die schwellende Kraft seiner Muskeln und die Fülle seines schlichten, aber künstlich gekräuselten Haares, das ihm in kurz geschnittenen Fransen nach der Mode des Tages auf die hohe Stirn fiel, und ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit den Bildern des Antinous, des schönsten Jünglings zur Zeit des Kaisers Hadrianus, verlieh.
Der Heimgekehrte, das fand auch die Mutter, sah wie die Gesundheit selbst aus, und kein kaiserlicher Verwandter konnte reicher, sorgfältiger und modischer gekleidet sein als ihr Liebling. Aber auch im einfachsten Rocke wär’ er ein schöner, herrlicher Jüngling, der Stolz einer Mutter gewesen.
Als er die Heimat mit der Residenz vertauschte, hatte er noch etwas an sich gehabt, das nach der Provinz schmeckte, jetzt aber war jede Befangenheit von ihm gewichen, und überall, auch bei Hofe, konnte er sicher sein, unter den Ersten mit Beifall bemerkt zu werden.
Und was hatte er alles in der Hauptstadt erlebt! Ereignisse für ein Jahrhundert waren in den dreißig Monaten seines Aufenthalts reißend schnell einander gefolgt. Je höher die Erregung, desto größer das Vergnügen, hieß die Losung der Zeit, und wenn er am Bosporus auch gerast und geschwelgt hatte wie einer, so waren die Freuden des Gastmahles, der Liebe, des Wettfahrens mit eigenen, Sieg errennenden Gespannen, deren er dort reichlich genossen, doch Kinderspiel gewesen, im Vergleich zu der Nerven erschütternden Spannung, welche die furchtbaren Schreckensereignisse, in deren Mitte er als Zuschauer gestanden, in ihm entfacht hatten. Armseliges Vergnügen des Wagenrennens in Alexandria. Ob des Timon, ob des Ptolemäus oder die eigenen Rosse siegten, was kam darauf an! Auch im Zirkus zu Byzanz war es schön, den Kranz zu erbeuten, aber es gab dort andere Erschütterungen der Seele, als wie sie sich an Pferd und Wagen schlossen! Da handelte es sich um Kronen, da konnte es Blut und Leben von Tausenden gelten! – Was brachte man heim aus den Kirchen im Nilthal? Aber hatte man die Schwelle des Sophiendoms in Byzanz überschritten, dann kam man oft bis ins Mark erschüttert, kam man mit blutenden Wunden oder gar als Leiche nach Hause.
Dreimal hatte er den Thron wechseln sehen. Ein Kaiser und eine Kaiserin waren vor seinen Augen des Purpur beraubt und verstümmelt worden.
Dort, damals hatte es echte und rechte, Mark und Bein erschütternde Vergnügungen gegeben. Das andere! Ja, im Kleinen war auch das ergötzlich gewesen! Man hatte ihn nicht empfangen wie andere Aegypter: halbgebildete Philosophen, die sich Weise nannten, sich mystisch und mit schwülstiger Feierlichkeit geberdeten, Astrologen, Rhetoren, armselige, aber witzige und giftige Spötter, mit der Wissenschaft ihrer Väter prunkende Aerzte, fanatische Theologen, stets bereit, sich bei erbitterten Glaubensstreitigkeiten anderer Waffen als der Gründe und Dogmen zu bedienen, schmutzige, geistig und körperlich verwahrloste Einsiedler und Klausner, Kornhändler und Wucherer, mit denen es gefährlich war, ohne Zeugen ein Geschäft abzuschließen. Mit diesen allen hatte Orion nichts zu schaffen gehabt. Als des reichen und vornehmen Statthalters, des berühmten Mukaukas Georg schöner, lebensfroher und geistesfrischer Sohn, ja als eine Art von Gesandter war er empfangen worden, und was die goldene Jugend der Kaiserstadt sich gönnte, das vermochte auch er! Seine Börse war ebenso reich gespickt wie die ihre, seine Gesundheit und Lebenskraft zwanzigmal zäher, und dreimal hatten seine Rosse, da er sie selbst führte und nicht von bezahlten Agitatoren lenken ließ, die ihren geschlagen. Der »reiche Aegypter«, der »neue Antinous«, der »schöne Orion«, wie man ihn nannte, durfte bei keinem Feste, keinem Vergnügen fehlen. Die ersten Häuser der Stadt zählten ihn gern zu ihren Gästen, und im Palast und der Villa des Senators Justinus, eines Jugendfreundes seines Vaters, verkehrte er wie der Sohn des Hauses. Bei ihm und seiner wohlgesinnten Gattin Martina lernte er auch die schöne Heliodora, die Witwe eines Neffen des Senators, kennen, und die ganze Stadt hatte von dem zärtlichen Verhältnis gesprochen, welches Orion mit der anmutigen jungen Frau verbunden, deren strenge Tugend bisher nicht weniger bewundert worden war als ihr blondes Haar und die großen Juwelen, womit sie ihre sonst einfachen, aber kostbaren Gewänder zu schmücken liebte. Gar manche schöne Byzantinerin hatte um die Gunst des jungen Aegypters geworben, bis Heliodora sie alle aus dem Felde geschlagen. Aber es war ihr doch nicht gelungen, Orion tief und dauernd zu fesseln, und wenn er gestern Abend der Mutter versichert, daß sie sein Herz nicht besitze, so hatte er die Wahrheit gesprochen.
Gewiß war sein Wandel in der Residenz kein nachahmungswerter gewesen, aber er hatte sich doch niemals selbst verloren und die Achtung nicht nur der Zechgenossen, sondern auch der ernsten und würdigen Männer genossen, denen er im Hause des Justinus begegnet war, und die seinen Geist und seine Wißbegier rühmten. Er, der als Knabe ein fleißiger Schüler gewesen, ließ auch hier keine Gelegenheit unbenützt, um zu lernen. Nicht am wenigsten hatte er für seine musikalische Ausbildung in der Kaiserstadt Sorge getragen und dort eine seltene Meisterschaft im Gesang und Lautenspiel erworben.
Gern wäre er länger in der Hauptstadt geblieben, doch zuletzt war ihm dort der Boden heiß unter den Füßen geworden, und zwar um des eigenen Vaters willen; denn die Ueberzeugung, daß dieser viel dazu beigetragen, Aegypten von dem byzantinischen Reiche loszureißen und es der verhaßten, aber unwiderstehlichen neuen Macht der Araber in die Hand zu spielen, hatte, seitdem sich der nunmehr abgesetzte, inzwischen bereits verstorbene melchitische Patriarch von Alexandria, Cyrus, selbst nach Konstantinopel begeben, in den höchsten Kreisen Glauben gefunden. Seine Festnehmung war schon beschlossene Sache gewesen, als ihm der Senator Justinus und andere Freunde Warnungen hatten zukommen lassen, denen er rechtzeitig gefolgt war.
Wohl hatte ihn die Handlungsweise des Vaters ernstlich gefährdet, aber er grollte ihm darum nicht; denn er mußte sie tief innerlich billigen; war er doch tausendmal Zeuge der Verachtung gewesen, womit die Griechen der Aegypter, des Hasses und Abscheus, womit die Orthodoxen der monophysitischen Konfession seines Volkes gedachten.
Mit mühsam verhaltenem Ingrimm hatte er den Spott und die Schmähungen anhören müssen, womit die vornehmen Herren und Herrlein, Laien und Kleriker, sein Land und seine Stammgenossen unbedenklich auch in seiner Gegenwart begossen; hielten jene ihn doch für einen der Ihren, einen Griechen, dem alles »Barbarische« ebenso widerwärtig und verächtlich vorkommen mußte wie ihnen selbst.
Aber in den Adern des »neuen Antinous«, der griechische Lieder so schön und mit so reiner Aussprache vorzutragen wußte, floß doch das Blut seines Volkes, und jede gegen die Seinen gerichtete Schmähung prägte sich fest in sein Herz, jede Verunglimpfung seines Glaubens rief ihm den Tag ins Gedächtnis zurück, an dem die Melchiten seine beiden Brüder ermordet.
Diese Blutthaten und unzählige Vergewaltigungen, mit denen die Griechen die andersgläubigen Aegypter gereizt, beleidigt, in den Tod getrieben hatten, waren nun gerächt worden, gerächt durch seinen Vater. Das erhob ihm das Herz, das machte ihn stolz, und er gestattete dem Alten, ihm tief ins Herz zu schauen, und was dieser dort fand, beglückte und überraschte ihn zugleich; denn er hatte gefürchtet, Orion werde sich in Konstantinopel dem mächtigen Einfluß des gewinnenden griechischen Wesens nicht ganz zu entziehen vermögen, ja die Besorgnis war ihm oft nahe getreten, der eigene Sohn werde mißbilligen, daß er, wenn auch gezwungen, die ihm anvertraute Provinz den arabischen Eroberern übergeben und mit ihnen Frieden geschlossen hatte.
Jetzt fühlte der Mukaukas sich eins mit Orion und warf ihm vom Brettspiele aus bisweilen einen zärtlichen Blick zu.
Frau Neforis bemühte sich, die Mutter der künftigen Braut ihres Sohnes aufs beste zu unterhalten und von dem seltsamen Benehmen desselben abzuziehen, und dies schien ihr auch zu gelingen; denn Frau Susanna ging auf alles ein, was sie sagte, aber daß sie doch gute Umschau hielt, ging aus der plötzlichen Frage hervor: »Ob die hohe Nichte Deines Gatten uns wohl eines Wortes für wert hält?«
»O nein,« versetzte Neforis bitter. »Ich hoffe nur, daß sie bald andere Leute findet, denen sie sich lieber gnädig erweist. Verlaß Dich darauf: ich ebene ihr schon die Wege!« Dann brachte sie die Rede auf Katharina, und die Witwe erzählte, ihr Schwager Chrysippus sei mit seinen beiden Töchterchen in Memphis. Morgen wollten sie wieder abreisen, und so habe ihr Kind sich ihnen widmen müssen. »Und da sitzt nun das arme Mädchen,« klagte sie, »und muß den beiden Plappertaschen still halten, während sie sich hieher sehnt.«
Orion hatte die letzten Worte verstanden, erkundigte sich nach der Kleinen und sagte dann heiter: »Sie hat mir gestern früh ein Halsband für das weiße Konstantinopolitaner Andenken versprochen. Pfui, Maria, Du sollst das arme Tierchen nicht quälen!«
»Ja, gib den Hund frei!« fügte die Witwe hinzu, indem sie sich an die kleine Enkelin des Mukaukas wandte, die das Tierchen zwingen wollte, widerwillig ihre Puppe zu küssen. »Aber weißt Du, Orion, der kleine Kläffer ist eigentlich viel zu zierlich für einen so großen Herrn, wie Du bist! Schenk’ ihn einem hübschen weiblichen Wesen, dann erfüllt er seine Bestimmung! Katharina stickt übrigens schon an dem Halsband. Ich sollt’s eigentlich nicht verraten; aber es kommen goldene Sterne auf blauen Grund.«
»Weil Orion ein Stern ist,« rief die kleine Maria, »stickt sie lauter Orions.«
»Es gibt glücklicherweise nur ein Gestirn meines Namens,« bemerkte dieser. »Sage das, bitte, Deiner Tochter, Frau Susa.«
Da klatschte die Kleine in die Hände und lachte: »Er will keinen Stern neben sich haben!«
Und die Witwe fiel ihr ins Wort: »Kleiner Naseweis! Ich kenne Leute, die es nicht einmal leiden können, wenn man an ihnen eine Aehnlichkeit mit anderen wahrnimmt. Aber Du mußt Dir dies dennoch gefallen lassen, Orion! Ja, Du hattest vorhin ganz recht, Neforis: Stirn und Mund sind seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Diese Bemerkung war zutreffend, und doch konnte man sich kaum verschiedenere Menschen denken als den jugendfrischen Jüngling und den schlaffen, alternden Herrn dort auf dem Diwan, den schon jede der kleinen Bewegungen, die das Spiel mit sich brachte, Anstrengung kostete. Wohl mochte der Mukaukas einmal seinem Sohne geglichen haben, aber seitdem war lange Zeit hingegangen. Spärliche ergraute Haarstreifen bedeckten jetzt nur halb den nackten Schädel, und von seinen Augen, welche vor dreißig Jahren so hell wie die des Orion geleuchtet haben mochten, war gewöhnlich gar nichts und manchmal wenig zu sehen; denn die schweren Lider fielen, als hätten sie den Halt verloren, fortwährend über sie hin und gaben dem wohlgeformten, leichenfahlen Antlitz etwas Eulenhaftes. Dennoch war es nicht grämlich, vielmehr mischten sich darin schmerzliche und freundlich wohlwollende Züge zu einem einzigen wehmütigen Ausdruck. Der Mund und die schlaff niederhängenden Wangen waren regungslos und wie erstorben. Des Kummers, der Beängstigung und der Sorge lähmende Hände schienen über sie hingefahren zu sein und ihre Spur auf ihnen zurückgelassen zu haben. Er sah aus wie ein todmüder Mann, der nur noch lebte, weil ihm das Schicksal die Gunst des Sterbens versagte. Ja, er war von den Seinen oft für eine Leiche gehalten worden, wenn er gar zu häufig in das Döschen von Blutjaspis gegriffen und die weißen Opiumkügelchen zu reichlich genossen hatte, von denen er auch während des Brettspiels in langen Zwischenräumen je eins auf die farblosen Lippen legte.
Langsam und wie ein Schläfer zog er mit halbgeschlossenen Augen Stein auf Stein, und doch vermochte sich seine Partnerin des überlegenen Gegners nicht zu erwehren und war nun schon zum drittenmal von ihm geschlagen worden, obgleich sie der Mukaukas selbst eine gute Spielerin nannte. Man sah es auch ihrer hohen, reinen Stirn und den tiefblauen, geradeaus blickenden Augen an, daß sie klar und unbeirrt zu denken und ebenso zu empfinden verstand. Aber eigenwillig und zum Widerspruch geneigt schien sie zu sein – wenigstens heute; denn wenn Orion sie auf diesen oder jenen Zug hinwies, folgte sie selten seinem Rat, sondern schob den kleinen Kegel mit fest zusammengeschlossenen Lippen nach ihrem eigenen, nur selten klügeren Ermessen. Man sah ihr an, daß es ihr widerstand, sich von diesem, gerade diesem Berater leiten zu lassen.
Alle Anwesenden mußten die abweisende Haltung des Mädchens, aber auch Orions Eifer, sie freundlicher zu stimmen, bemerken, und schon darum war Frau Neforis froh, als der Anmelder, nachdem der Mukaukas die dritte Partie gewonnen und die auf dem Brett verbliebenen Kegel mit dem Rücken der Hand durcheinanderwarf, seinen Herrn an den Araber erinnerte, der draußen mit wachsender Ungeduld harrte. Der Mukaukas winkte statt jeder Antwort, zog dann den langen Kaftan vom feinsten Wollstoff fester um den Leib und wies auf die Thüren und die Decke des Zimmers. Seine Angehörigen hatten ja längst die feuchte Nachtluft, welche das Zimmer vom Strom her rasch durchzog, übel empfunden, aber weil sie wußten, daß dem Vater nichts peinlicher war als die Hitze des Sommers, war die Zugluft von ihnen allen willig ertragen worden. – Jetzt rief Orion den Sklaven, und bevor die Fremden eintraten, waren Thüren und Deckenöffnung geschlossen.
Des Statthalters Partnerin erhob sich, der Mukaukas blieb dagegen regungslos liegen und hielt die Augen fortdauernd mit den Lidern bedeckt, aber er mußte dennoch durch eine unsichtbare Spalte wahrnehmen, was ihn umgab; denn er wandte sich erst an Paula und dann auch an die anderen Frauen und sagte: »Ist es nicht seltsam: sonst suchen Alte und Kinder die Sonne, und die einen spielen, die anderen ruhen gern in der Hitze. Aber ich... Es ist etwas über mich gekommen, vor Jahren – ihr wißt’s ja, und dabei ist mir das Blut erstarrt. Nun will es sich nicht mehr erwärmen, und ich empfinde den Gegensatz zwischen der Kälte hier drinnen und der Hitze da draußen sehr stark, beinahe schmerzlich. Je betagter man wird, desto lieber überläßt man der Jugend, was einem sonst selber wohl gethan hat; das einzige, was wir Alten uns nicht gern nehmen lassen, ist körperliches Behagen, und Dank euch, daß ihr geduldig tragt, was euch stört, ja es mir sogar verschafft. Ein schrecklicher Sommer! Du, Paula, von eurem Libanon her weißt Du, was Eis ist. Ich wünschte mir schon manchmal ein Bett von Schnee. Eins zu werden mit der frischen Kälte, das wäre mein Höchstes. Mir thut der kühlende Hauch wohl, den ihr fürchtet. Die Jugendwärme sträubt sich gegen alles, was kühl ist.«
Dies war der erste längere Satz, den der Mukaukas seit dem Beginn des Spiels gesprochen. Orion ließ ihn achtungsvoll ausreden, dann aber versetzte er lächelnd: »Es gibt indessen auch junge Menschenkinder, die sich darin gefallen, kühl und frostig zu sein, aus welchem Grunde, Gott weiß es!«
Dabei sah er derjenigen, auf welche diese Worte gemünzt waren, voll in die Augen; sie aber wandte sich still und stolz von ihm ab, und über ihre schönen Züge flog ein unwilliger Schatten.
Fünftes Kapitel.
Nachdem dem Araber Einlaß zu dem Mukaukas gewährt worden war, breiteten seine Diener ein Stück Teppich vor dem Leidenden aus. Der riesenhafte Masdakit verrichtete den Hauptteil der Arbeit, aber sobald der Mukaukas den gewaltigen Mann mit dem buschigen, mähnenartigen Haar, in dessen Gürtel Dolche und ein Schlachtbeil steckten, bemerkt hatte, rief er ängstlich:
»Hinaus, hinaus mit ihm! Dieser Mensch, diese Waffen... Ich will den Teppich nicht sehen, bevor er fort ist!«
Dabei zitterten seine Hände, und der Kaufherr befahl sogleich seinem treuen Rustem, dem harmlosesten der Menschen, sich zu entfernen. Nun gewann der Statthalter, dessen überreizte Nerven nach einem Mordversuche, den ein aus Aegypten verbannter Grieche auf ihn unternommen, bisweilen ähnlichen Angstanfällen unterworfen waren, schnell die Fassung zurück und blickte voller Bewunderung auf den Teppich, um den die Seinen sich scharten. Jeder gestand, dergleichen noch nie gesehen zu haben, und die lebhafte Witwe Susanna wollte ihre Tochter Katharina samt ihrem Besuche rufen lassen, doch es war schon spät und ihr Haus so weit von der Statthalterei entfernt, daß sie davon absah.
Vater und Sohn hatten schon von diesem Wunderwerk gehört, welches durch das siegreiche arabische Heer bei der Eroberung des persischen Reiches in dem »weißen Schloß«, dem Königspalaste der Sassanidenresidenz Madain erbeutet worden war. Sie wußten, daß derselbe ursprünglich 300 Ellen lang und 60 Ellen breit gewesen, und hatten mit Entrüstung vernommen, daß der Chalif Omar, der immer noch wie ein schlichter Karawanenführer wohnte, sich kleidete und nährte und auf dergleichen Prunk mit Verachtung niedersah, dies unschätzbare Kunstwerk in Stücke geschnitten und es unter die Genossen des Propheten verteilt habe.
Der Kaufherr erklärte nun, dies Teppichstück sei der Beuteanteil Alis, des Schwiegersohns des Propheten. Er habe das ganze ungeteilte Wunderwerk in Madain, wo es an der Wand des herrlichen Thronsaales gehangen, und später auch zu Medina vor der Zerschneidung gesehen.
Die Anwesenden forderten ihn lebhaft auf, das nun Fehlende zu beschreiben, er aber schien sich beunruhigt zu fühlen, schaute häufig auf seine nackten Füße, die auf dem feuchten Mosaikboden des Brunnenraums standen, und deren Bekleidung er nach der Sitte seines Volkes im Vorzimmer gelassen.
Der Statthalter war den Bewegungen des alten Herrn, der die Hand oft an die Lippen führte, gefolgt und hatte einem Sklaven, während seine Gattin, Orion und die Witwe Haschim mit Fragen bestürmten, einige Worte zugeflüstert. Gleich darauf war dieser zurückgekehrt und hatte auf Befehl seines Herrn einen länglichen Teppichstreifen vor den braunen, edel, aber zart gebauten nackten Füßen des Arabers ausgebreitet.
Während dies geschah, ging in dem Wesen des Händlers eine eigentümliche Veränderung vor. Mit einer Würde, welche keiner der Anwesenden dem Mann, der das Zimmer demütig betreten und seine kostbare Ware mit beredter Beflissenheit angepriesen hatte, zugetraut haben würde, richtete er sich auf, über sein ruhig mildes Gesicht breitete sich ein zufriedener Ausdruck, um seinen Mund flog ein liebenswürdiges Lächeln, und die guten Augen glänzten feucht wie die eines Kindes, dem man eine Freude bereitet. Dann verneigte er sich vor dem Mukaukas, indem er mit den Fingerspitzen der rechten Hand Stirn, Mund und Brust berührte, um damit zu sagen: »Was ich denke, rede und empfinde, ist Dir geweiht,« und sagte: »Meinen Dank, Sohn des Menas; das war die That eines Muslim!«
»Eines Christen,« rief Orion eifrig; doch sein Vater schüttelte dazu leise das Haupt und sagte nachdrücklich und langsam:
»Nur die eines Menschen!«
»Eines Menschen,« wiederholte der Kaufherr und fuhr dann nachdenklich fort: »Eines Menschen! Ja, das ist freilich das Höchste, so lange wir sind, was wir sein sollten: Ebenbilder des einigen Gottes. Wer ist barmherziger als er, und jeder Barmherzige, den eine Mutter geboren, er gleicht ihm.«
»Wiederum ein christlicher Satz, Du seltsamer Muslim!« fiel ihm Orion ins Wort.
»Und dennoch,« versetzte Haschim mit ruhiger Würde, »entspricht er Silbe für Silbe der Lehre des besten der Menschen, unsers Propheten. Ich gehöre zu denen, die ihn gekannt haben auf Erden. Auch des Bruders kleinster Schmerz erfüllte sein weiches Herz mit freundlichem Mitleid; sein Gesetz fordert Barmherzigkeit auch für das Bäumchen am Wege, nennt es Todsünde, es zu verletzen, und jeder Muslim soll es befolgen. Barmherzigkeit üben, heißt es im Buch des Propheten...«
Hier wurde der Kaufherr plötzlich und jäh unterbrochen; denn Paula, welche bis dahin, an einen Wandpfeiler gelehnt, den Teppich betrachtet und dem Gespräche schweigend gefolgt war, hatte sich dem Araber mit zwei raschen Schritten genähert, wies nun mit geröteten Wangen und flammenden Augen empört auf ihn hin und rief mit bebender Stimme, nicht achtend der erstaunten und unwilligen Anwesenden und des Hündchens, das wüthend auf den Araber einkläffte:
»Ihr, ihr, die Bekenner des Lügenpropheten, ihr, die Genossen des Bluthundes Chalid, ihr und barmherzig! Ich kenn’ euch! Ich weiß, was ihr in Syrien verübt habt! Ich habe euch und eure blutlechzenden Weiber mit diesen Augen gesehen, und den Schaum auf ihren wütenden Lippen! Hier steh’ ich als Zeugin wider euch und rufe Dir ins Gesicht: Ihr habt in Damaskus Verträge gebrochen, und die Opfer eures Betruges – neben den Männern wehrlose Weiber und zarte Kinder – mit dem Schwerte gemordet und mit den Händen erdrosselt. Du, Du – Apostel der Barmherzigkeit, hast Du nichts von Abyla gehört? Du Freund eures Propheten, was hatten euch, die ihr den Baum am Wege so zärtlich schont, die unschuldigen Leute in Abyla gethan, daß ihr sie wie Wölfe, die in die Schafherde dringen, erwürgtet? Ihr, ihr und barmherzig!«
Dabei brach das leidenschaftliche Mädchen, dem niemand Barmherzigkeit erwies, und dem dieses Wort wie ein Hohn in die Seele gegriffen, das seit Stunden von mühsam verhaltenem, peinigendem Groll gemartert, es wie eine Erleichterung empfand, dem quälenden Weh ihrer Seele wie auch immer freien Lauf zu lassen, in ein bitteres Lachen aus und schwang die Hand über sich her, als wolle sie einen Bremsenschwarm vertreiben.
Welch ein Weib!
Orions Blicke hingen schaudernd und doch entzückt an ihr. Ja, die Mutter hatte sie richtig erkannt. So lachte kein gutes, weichherziges Mädchen; aber groß, herrlich, wundervoll war sie auch im Zorne. Sie erinnerte ihn an das Bild der Rachegöttin von der Hand des Apelles, das er in Konstantinopel gesehen. Seine Mutter schaute die Witwe mit einem Blicke des Einverständnisses achselzuckend an, aber auch sein Vater fühlte sich durch ihren Anblick beunruhigt. Dieser wußte, was sie bewegte, doch er empfand, daß er sie nicht gewähren lassen dürfe und brachte die Erregte zur Besinnung, indem er sie halb vorwurfsvoll, halb im Ton des Bedauerns erst leise und dann lauter und strenger bei Namen rief.
Da fuhr sie zusammen wie eine Nachtwandlerin, die plötzlich aus dem Halbschlummer erwacht, strich sich mit der Hand über die Augen und sagte, indem sie sich vor dem Statthalter verneigte:
»Verzeih mir, Oheim! ‘s ist mir leid, daß es so gekommen; aber es war stärker als ich. Du weißt, was hinter mir liegt, und wenn man mich daran erinnert, wenn ich gar das Lob der Schrecklichen höre, die mir Vater und Bruder...«
Hier hemmte lautes Schluchzen den Gang ihrer Rede, und die kleine Maria schmiegte sich mitweinend an sie; Orion aber mußte an sich halten, um nicht auf sie zuzueilen und sie in die Arme zu schließen. O, wie stand der Großen die weibliche Schwäche so wohl, wie zog sie ihn zu ihr hin!
Aber Paula blieb ihr nicht lange unterworfen; denn schon während der Statthalter sie mit freundlichen Worten beruhigte, ward sie Herr ihrer mächtigen Bewegung und bat leise und unter ruhig fließenden Thränen: »Laßt mich auf mein Zimmer, ich bitte!«
»Gute Nacht denn, Kind,« entgegnete der Mukaukas herzlich, und nun wandte sie sich mit einem stummen Gruß an die anderen der Thür zu, doch der Muslim hielt sie zurück und sagte: »Ich weiß, wer Du bist, edle Tochter des Thomas, und ich habe erfahren, daß Dein Bruder der Bräutigam war, der nach Abyla gekommen, um dort Hochzeit mit der Tochter des Präfekten von Tripolis zu feiern. Ach, daß ich, indem ich in meinem Geschäft die Messe bezog, es selbst erleben, selbst mit ansehen mußte, wie eine verruchte Schar der Meinen die friedliche Stadt überfiel. Armes, armes Kind! Dein Vater war der größte und wackerste unter all unseren Feinden. Ob auf Erden oder im Himmel, er ehrt gewiß unser Schwert, wie wir das seine. Aber Dein Bruder, der als Bräutigam in den Tod gesandt wurde, er hat uns sterbend verflucht, und Du bist die Erbin seines Grolles, und wenn der sich gegen mich, den Muslim, aufbäumt, so kann ich nichts thun als mich neigen und die Schuld derer mit büßen, deren Blutes ich bin und zu denen ich mich bekenne. Ich weiß nichts anzuführen, nein, nichts, edle Jungfrau, was die That von Abyla entschuldigt, und doch, nur dort ward es über mein graues Haar verhängt – glaub’ mir, Mädchen, es hat weh gethan – mich der Meinen zu schämen. Der Krieg, die Erinnerung an manchen verbluteten Freund, an leicht erplünderten Reichtum hatte die Leidenschaft entfesselt, und wo sie die Schwingen regt, sei es im Kampfe um das Mein und Dein, sei es um andere Güter, geschieht seit Kain und Abel über– und überall das Gleiche.«
Da schüttelte Paula, die dem Alten bis dahin regungslos gegenübergestanden, das Haupt und sagte herb: »Das alles gibt mir Vater und Bruder nicht wieder. Du selbst siehst aus wie ein milder Mann, doch wenn Du so gerecht bist wie gütig, so überzeuge Dich künftig erst, mit wem Du sprichst, bevor Du von der Barmherzigkeit der Deinen redest.«
Damit wiederholte sie den Nachtgruß und verließ das Gemach, und Orion ging ihr nach: was auch daraus entstand, er mußte ihr folgen. Doch nach wenigen Minuten kehrte er tief atmend und mit fest zusammengebissenen Zähnen zurück. Er hatte ihre Hand ergriffen, hatte ihr alles zu hören geben wollen, was ein liebendes Herz zu sagen vermag, doch wie scharf, wie eisig war er abgewiesen worden, und mit einer wie unerträglich verächtlichen Miene hatte sie ihm den Rücken gekehrt! Und nun er sich wieder unter den Seinen befand, hörte er kaum, wie sein Vater dem Alten sein Bedauern aussprach, daß ihm etwas so Peinliches unter seinem Dache begegnet, und wie der Araber erklärte, er finde es begreiflich, daß die Waise des Thomas außer sich geraten. Die That von Abyla sei durch nichts zu entschuldigen.
»Aber in welchem Kampfe,« fuhr der Alte fort, »kommt nicht Aehnliches vor? Auch der Christ bleibt nicht immer Herr seiner selbst; Du selbst hast ja, ich weiß es, zwei blühende Söhne verloren, und wer waren die Mörder? Christen sind es gewesen, Deine eigenen Glaubensgenossen...«
»Meines eigensten Glaubens bitterste Feinde,« versetzte der Statthalter langsam, und jede Silbe wies die Meinung des Muslim, als sei das Bekenntnis derer, die seine Kinder gemordet, auch das seine, kühl und vornehm zurück, und dabei öffneten sich seine Augen weit und gewannen das Ansehen der harten, stumpf glänzenden Steine, welche seine Vorfahren den Bildsäulen als Sehsterne in das Antlitz setzten. Dann schlossen sie sich plötzlich wieder, und er fuhr gleichgiltig fort: »Wie hoch schätzest Du den Teppich? Ich habe Lust, ihn zu kaufen. Gib den äußersten Preis an; das Feilschen ist mir zuwider.«
»Ich hatte im Sinne, fünfhunderttausend Drachmen zu fordern,« versetzte der Händler. »Mit vierhunderttausend mag er bezahlt sein.«
Die Statthaltersfrau schlug bei dieser Zahl die Hände zusammen, machte ihrem Gatten warnende Zeichen und schüttelte auch dann noch mißbilligend den Kopf, als Orion, der sich gewaltsam zusammenfaßte und zeigen wollte, daß er auch Anteil an diesem großartigen Handel nehme, sagte: »Dreihunderttausend ist er wohl wert.«
»Vierhunderttausend,« wiederholte der Händler gelassen. »Dein Vater hat den äußersten Preis zu wissen begehrt, und ich fordere nicht mehr, als gerecht ist. Die Rubinen und Granaten, welche die Traube dort bilden, die Perlen hier in den Myrten, die Türkise in den Vergißmeinnichtblüten, die Diamanten da oben, welche als Tautropfen an den Grashalmen hängen, die Smaragden, welche dem grünen Blattwerk Glanz verleihen, und ganz besonders dieser Riese unter seinesgleichen, besitzen, losgelöst, für sich allein einen höheren Wert.«
»Warum hast Du sie dann nicht aus dem Gewebe geschnitten?« fragte Frau Neforis.
»Weil es mir widerstand,« versetzte der Muslim, »dies edle Werk zu zerstören. Ich verkaufe es so, wie es ist, oder gar nicht.«
Bei diesen Worten winkte der Statthalter seinem Sohne, ohne auf die Mißbilligung zu achten, welche seine Gattin nicht aufhörte, zu erkennen zu geben, ließ sich ein Täfelchen reichen, das bei dem Schachbrett lag, schrieb einige Worte darauf und sagte, indem er es dem Händler reichte: »Wir sind handelseinig. Morgen früh leistet der Rentmeister Nilus auf diese Schrift hin die Zahlung.«
Da erfaßte Orion eine neue Bewegung, und mit dem Rufe: »Herrlich, herrlich!« stürzte er auf den Vater zu und küßte ihm stürmisch die Hand. Dann wandte er sich an die Mutter, deren Augen vor Verdruß in Thränen schwammen, hob ihr das Kinn, küßte sie auf die Stirn und rief glückselig und stolz: »So handeln wir und der Kaiser!«
Hierauf trat er dem Muslim näher und sagte: »Wo der Vater der großmütigste aller Menschen ist, gewinnt der Sohn leicht ein kleinliches Ansehen. Nichts für ungut, würdiger Herr! Was Deinen Teppich angeht, so mag er kostbarer sein als alle Schätze des Krösus, aber etwas gibst Du uns noch mit in den Kauf, bevor Du Deine Kameele mit unserem Golde belastest: wie hat dies Kunstwerk ausgesehen, bevor es zerteilt ward?«
Der Muslim, welcher das wertvolle Täfelchen gelassen in den Gürtel geschoben, kam dieser Anforderung ungesäumt nach.
»Ihr kennt seine ursprüngliche ungeheure Länge und Breite,« begann er. »Der Saal, dessen Wand er bedeckte, faßte viele tausend Gäste, und dazu konnten an jeder Seite des Throns hunderte von Leibwächtern Aufstellung finden. So viele Weber, Sticker und Juweliere als Tage im Jahr sind, sollen an dem Teppich ein ganzes Menschenalter gearbeitet haben. – Das gewobene Gemälde stellt das Paradies dar, wie die Perser sich’s denken, ganz voll von grünenden, blühenden und fruchttragenden Bäumen. Hier seht ihr noch ein Stück der frischen Quelle, die, wenn man von fern auf sie hinblickte, mit ihrem Besatz von Diamanten, Sapphiren und Smaragden wie glitzerndes, frisches Wasser aussah. Hier die Perlen sind der weiße Schaum einer Welle. Die zerschnittenen Blätter dort gehören zu dem Rosenstrauch, der an Edens Quelle erwuchs, bevor des ersten Regens Ungemach die Welt benetzte. Ursprünglich trug er nur weiße Blüten, als aber die Glieder der ersten Weiber in schönerem Weiß glänzten als sie, da erröteten die weißen Blumen vor Scham, und seitdem – gibt es neben ihnen auch purpurne Rosen. So erzählen die Perser.«
»Und dies, unser Stück?« fragte Orion.
»Es hat,« versetzte der Kaufherr, indem er den Jüngling wohlgefällig ansah, »in die Mitte des Teppichs gehört. Ganz links erblickte man das Gericht an der Brücke Tschinvat. Die Verdammten waren nicht dargestellt, wohl aber die geflügelten Fravaschi, die Genien, welche nach dem Glauben der Perser jeden Sterblichen in seiner eigenen Gestalt, vereint mit ihm und doch von ihm trennbar, als Schutzgeister durchs Leben geleiten. Man hatte sie vor sich, wie sie in wildem Anstürmen die verdammten Missethäter, die Genossen des finsteren Angramainjus, welche man sich als vor ihnen fliehende Scharen denken mußte, verfolgten. Triumphirend zogen die seligen, reinen und wahrhaftigen Freunde des Lichtgottes Ahuramasda singend in den blühenden Lustgarten ein, und zu ihren Füßen sah man diejenigen, welche nicht ganz zu verdammen und nicht voll selig zu sprechen waren, gesenkten Hauptes, demütig und still in einem dunklen Haine verschwinden. In wohliger Ruhe freuten sich die Reinen der Gaben des Paradieses. Dies alles hat mir ein Priester der Feueranbeter erklärt. Hier siehst Du die Riesentraube, nach der ein Seliger greift. Seine Hand dort blieb unbeschädigt, der Arm ist hingegen leider durchschnitten worden. Von dem Blumen– und Fruchtkranze, der das Ganze als Rahmen umgab, blieb hier oben ein prächtiges Stück erhalten. Der Smaragd, der die Knospe da bildet, wie hoch schätzest Du ihn wohl?«
»Ein wundervoller Stein!« rief Orion. »Selbst Heliodora hat keinen gleichen. Nun, Vater, was mag er wohl wert sein?«
»Viel, sehr viel,« versetzte dieser, »und doch wäre auch das ganze, unverstümmelte Kunstwerk zu gering für den, dem ich es zugedacht habe.«
»Dem Feldherrn Amr?« fragte Orion.
»Nein, Kind,« entgegnete der Statthalter bestimmt. »Der hohen, unteilbaren göttlichen Person Jesu Christi und seiner Kirche.«
Orion blickte nach diesen Worten enttäuscht zu Boden; der Gedanke, diesen herrlichen Stein auf einem Reliquienkästchen in einem dunklen Schranke verschwinden zu sehen, war ihm zuwider. Er hätte ihm eine weit freundlichere Bestimmung zu geben gewußt!
Doch weder Vater noch Mutter bemerkten seine Mißstimmung; denn Frau Neforis war auf das Lager ihres Gatten zugestürzt, hatte sich davor niedergeworfen und flüsterte, während sie seine kalte, feine Hand mit Küssen bedeckte, so froh, als befreie sie dieser Entschluß von einer schwer lastenden Angst:
»Unsere Seelen, unsere Seelen, Georg! Um solcher Gabe willen – warte nur – wird Dir alles vergeben, und Du erlangst die verlorene Ruhe zurück.«
Der Statthalter zuckte schweigend die Achseln, ließ den Teppich zusammenwickeln und von Orion in das Tablinum schließen, und befahl endlich dem Anmelder, dem Araber und seinen Leuten für diese Nacht Quartier anzuweisen.
Sechstes Kapitel.
Seelenpein und Gewissenszweifel waren es in der That gewesen, die den Statthalter veranlaßt hatten, den Teppich zu kaufen, und darum hätte es ihn vielleicht gefreut, wenn er noch teurer gewesen wäre. Je größer die Gabe, desto begründeter war ja die Hoffnung auf die Gnade und Gunst des Beschenkten!
Und er hatte Grund, sich zu beunruhigen, und sich zu fragen, ob er richtig gehandelt? Rache üben war kein christliches Thun, aber das, was die Melchiten ihm zugefügt, ungestraft hingehen zu lassen, da sich die Gelegenheit bot, sie zu verderben, hätt’ er nicht über sich gebracht; doch welchem Vater, dem man zwei blühende Söhne gemordet, wäre das möglich gewesen? Dieser furchtbare Schlag hatte ihn mitten ins Lebensmark getroffen. Er fühlte seitdem seinen Körper langsam hinsiechen, und auch das Schwächegefühl, die elenden Angstanfälle, die Unbequemlichkeiten und Schmerzen, welche ihm jede Stunde verdarben, durfte er auf Rechnung der melchitischen Machthaber schreiben.
Das welkende Leben dieses Mannes war nur durch seine ursprüngliche Vollkraft und den brennenden Durst nach Rache erhalten geblieben, und das Schicksal hatte ihm gestattet, ihn in einer Weise zu stillen, die seiner friedfertigen Natur am Ende zu gewaltsam erschien.
Wenn auch nicht durch seine Schuld, so doch unter seiner Mitwirkung, sah er das byzantinische Reich um die reiche Provinz kommen, die der Kaiser seiner Obhut anvertraut hatte, sah er die Griechen und alles, was Melchit hieß, schmählich aus Aegypten vertrieben und – was er freilich gern verhindert hätte! – an vielen Stellen von dem empörten Volke, das den Muslim als Befreier begrüßte, wie tolle Hunde erschlagen werden.
So war alles Böse, was er den Mördern seiner Kinder, den Quälern und Bedrückern seines Volkes gewünscht hatte, über sie gekommen und seine Rache nur zu vollständig gewesen; aber mitten in der Freude über diese seltene Erfüllung heißer, jahrelanger Wünsche, hatte sein Gewissen die Stimme erhoben, und neue, ihm bis dahin unbekannte Beängstigungen waren über ihn gekommen. Zum Helden oder Reformator fehlte ihm die Stärke der Seele. Zu Großes war durch ihn bewirkt, zu Furchtbares über Tausende verhängt, sein Höchstes, der christliche Glaube, zu schwer durch ihn gefährdet worden, als daß er den Gedanken, es veranlaßt zu haben, hätte ruhig ertragen können. Die Verantwortlichkeit, welche das alles mit sich brachte, erwies sich für seine Schultern zu schwer, und so oft er sich auch wiederholte, daß er die Araber nicht ins Land gerufen und daß es ihm an Macht gebrochen habe, sie abzuwehren, hörte er sich doch von allen Seiten als denjenigen bezeichnen, der ihnen sein Vaterland überliefert, und nun sah er sich überall bedroht, glaubte er denen, die ihm von Meuchelmördern erzählten, welche die Byzantiner gegen ihn ausgesandt hätten. – Aber quälender noch war seine Furcht vor dem Zorn des Himmels gegen ihn, der ein christliches Land den Ungläubigen überantwortet hatte. Das Bewußtsein, zeitlebens ein wohldenkender, gerechter Mann gewesen zu sein, half ihm nicht gegen diese Aengste, und es gab nur ein einziges Mittel, das ihm den gesunkenen Mut hob: die weißen Kügelchen, die ihm längst so unentbehrlich geworden wie Luft und Wasser.
Der alte, freundliche Bischof Plotinus von Memphis und sein Klerus hatten für alles Vergebung, der Patriarch Benjamin, welcher während seiner Verbannung aus der Wüste auf die Araber wie auf Erlöser aus der Tyrannei der Melchiten hingewiesen, zu dessen Rückberufung und Wiedereinsetzung er das meiste beigetragen und auf dessen Zustimmung er darum gehofft hatte, war ihm im Gegenteil wie einem Verlorenen, ewiger Verdammnis Verfallenen entgegengetreten, und wenn er, der Mukaukas, auch durchschaute, welche Nebengründe den Kirchenfürsten dazu bestimmten, so glaubte er doch, daß Benjamins Hirtenamt ihm die Macht verleihe, jedem Schaf seiner Herde das Himmelsthor zu verschließen.
Je sicherer er die Araber sich in seiner Heimat festsetzen, je verständiger er sie dort walten, je mehr ägyptische Christen er endlich vom Kreuze zum Halbmonde übertreten sah, desto größer erschien ihm seine Schuld, und als nach Vollendung seines Rächerwerks, das die Griechen »doppelten Verrat« nannten, ihm statt der Strafe Gottes alles zufiel, was die Menschen Glück und Schicksalsgunst nennen, fürchtete der gläubige Mann, dies sei der Sold des Teufels, dem sein schneller Friedensschluß mit den Muslimen so viele Christenseelen in die Arme getrieben.
Zwei große Erbschaften waren ihm unerwartet zugefallen, seine Schatzgräber in der Totenstadt hatten mehr Gold, Silber und Edelsteine als alle übrigen zusammen aus den alten heidnischen Grüften erbeutet. Der muslimische Chalif und sein Stellvertreter hatten ihn im Amte gelassen und erwiesen ihm Freundschaft und Ehre; die Buleuten Die Ratsherren.
Der Stadt hatten ihm unter der jauchzenden Zustimmung der gesamten Bürgerschaft den Beinamen des »Gerechten« zuerkannt und seine Güter niemals größere Renten abgeworfen; von der Witwe seines ermordeten ältesten Sohnes erhielt er aus dem Kloster Briefe voller Glückseligkeit über das neue höhere Daseinsziel, das sie gefunden; seine Enkelin, ihre Tochter, war ein Kind, dessen schönes, heiteres Erblühen auch Fremde erfreuen mußte, und die zahlreichen Briefe seines Sohnes aus Konstantinopel hatten ihm bewiesen, daß er in jeder Hinsicht fortschreite und dabei stets der Eltern gedenke; denn von allen Vergnügungen, die er genossen, allen Erfolgen, die er geerntet, war er nicht müde geworden, ihnen aus freiem Antrieb sogleich Mitteilung zu machen.
Auch in der Fremde hatte er mit Vater und Mutter zusammengelebt, sie als sein Höchstes und Liebstes betrachtet.
Und Paula! Seine Gattin konnte sich nicht für sie erwärmen, doch er betrachtete ihre Anwesenheit im Hause als eine freundliche Fügung, der er – nicht nur am Brettspiel – viele gute Stunden verdankte.
Das alles, gewiß, es konnte ein Geschenk des Satans sein, aber war es ein solches, so wollte er, Georg der Mukaukas, dem Bösen nun zeigen, daß er nicht ihm, sondern dem Heiland ergeben sei, auf dessen Gnade er hoffte. Und mit wie innigem Dank gegen den Höchsten war seine Seele für die Heimkehr eines solchen Sohnes erfüllt. Sein ganzes Wesen drängte ihn, dieser Empfindung Ausdruck zu geben, und so waren es Herzensangst und Erkenntlichkeit zugleich, die ihn veranlaßt hatten, so große Summen hinzugeben, um der Kirche Christi ein Geschenk ohnegleichen zu machen. Wie ein Kriegsgefangener, für den das Lösegeld eintrifft, war er sich vorgekommen, indem er das Täfelchen mit der Anweisung dem Kaufherrn überreichte, und als man ihn zur Ruhe brachte und seine Gattin nicht müde ward, ihm für sein frommes Vorhaben zu danken, fühlte er sich heiterer und leichter als seit vielen Jahren.
Sonst pflegte er Paula, welche über seinem Schlafgemach wohnte, auf und nieder schreiten zu hören; denn sie ging spät zur Ruhe und hing wohl in der nächtigen Stille süßen und schmerzlichen Erinnerungen nach. Wie so vieles hatte ihr ein herbes Schicksal entrissen: Vater, Bruder, die nächsten Verwandten und Freunde, alle zugleich, alle durch die Hand der Muslimen, denen er sein Vaterland fast widerstandslos übergeben.
»Man hört Paula heute nicht,« sagte er, aufwärts schauend und als fehle ihm etwas. »Die Aermste wird sich nach dem Vorgang von vorhin zeitig niedergelegt haben.«
»Laß sie,« versetzte Frau Neforis, die sich ungern in ihren freudigen Ergüssen unterbrochen sah, indem sie unwillig die Achseln zuckte. »Wie hat sie sich wieder betragen. Wir haben ja eben viel zu viel über Barmherzigkeit zu hören bekommen, und ich will mich der meinen nicht rühmen, doch ich übe sie gern, und außerdem ist es geradezu meine Pflicht, einer verlassenen Verwandten von Dir alles Gute zu erweisen; aber dies Mädchen! Sie macht mir’s zu schwer, und ich bin doch auch nur ein Mensch! Ich kann nicht froh sein, wenn ich sie sehe; kommt sie ins Zimmer, so ist mir’s, als trete das Unglück selbst über die Schwelle. Und dann! Du hast für dergleichen ja keine Augen, aber Orion macht sich auch mehr mit ihr zu schaffen, als gut ist. Ich wollte, wir hätten sie erst aus dem Hause!«
»Neforis!« unterbrach sie ihr Gatte mit leisem Vorwurf, und er hätte sie gern schärfer zurechtgewiesen, aber seit er der Sklave des Opiums geworden, gelang es ihm nicht mehr, mocht’ es sich um Kleines oder Großes handeln, ihr kräftig entgegenzutreten.
Bald lag der Mukaukas in unruhigem Halbschlaf, doch öffnete er dabei häufiger als sonst die Augen. Es fehlte ihm der leise Schritt ihm zu Häupten, an den er seit zwei Jahren gewöhnt war; aber diejenige, welche sonst die erste Hälfte der Nacht dort oben umherging, war nicht, wie er wähnte, zur Ruhe gegangen.
Wohl hatte sie nach dem Vorgefallenen ihr Zimmer mit glühenden Wangen und brennenden Augen aufgesucht; aber die Sklavinnen, welche des geduldeten, von der Hausfrau scheel angesehenen Gastes wenig achteten, waren ihrem Geheiß, die Laden ihres Gemachs nach Sonnenuntergang zu öffnen, um der kühleren Nachtluft Einlaß zu gewähren, nicht nachgekommen, und nun erfüllte dumpfe, drückende Schwüle das Zimmer. Die hölzernen Laden fühlten sich heiß an und ebenso die linnenen Tücher auf der Wolle des Lagers. Das Wasser in ihrem Kruge und selbst das Handtuch, wonach sie gegriffen, waren warm. Einer Aegypterin wäre das alles nichts Ungewohntes gewesen, die Damascenerin aber hatte jeden Sommer in dem schönen Landhause ihres Vaters auf der Höhe des Libanon in schattiger und doch lichter Kühle zugebracht, und heut wollte ihr die Wärme überall unerträglich erscheinen.
Draußen war es angenehm; sie hatte es unten empfunden, und so stieß sie, ohne sich lange zu besinnen, die Laden auf, verhüllte sie sich mit einem langen dunklen Kopftuch, schlich sie die steile Treppe hinunter, und dann durch ein Gesindepförtchen, das ihr bekannt war, auf den Hof.
Dort atmete sie tief auf und streckte die Arme sehnsüchtig aus, als ob es sie fort, fort von hier zu fliegen verlange; aber bald ließ sie sie sinken und schaute sich um.
Sie hatte sich nicht bloß, um Kühlung zu suchen, ins Freie begeben; nein, es verlangte sie besonders, ihr empörtes, bedrängtes Herz einem andern zu öffnen, und es gab in den Dienerhäusern zwei Wesen, von denen das eine sie verstand, kannte und liebte, und ein anderes, das ihr ergeben war wie ein treuer Hund und Aufträge für sie besorgte, welche dem Statthalterhause und seinen Bewohnern verborgen bleiben sollten.
Das eine war ihre Amme, die sie nach Aegypten begleitet, das andere der freigelassene Stallvorsteher ihres Vaters, welcher die Frauen mit seinem halberwachsenen Sohne begleitet und sie beschützt hatte, als sie nach der Metzelei von Abyla aus ihrem Versteck hervorgetreten waren und nach einem längeren Aufenthalt in einem Libanonthal keinen besseren Rat gefunden hatten, als nach Aegypten zu fliehen und sich dort unter den Schutz des Mukaukas Georg zu stellen, dessen Schwester die erste Gattin ihres Vaters gewesen. Sie selbst entstammte der zweiten Ehe desselben mit einer vornehmen Syrerin, welche eine Verwandte des Kaisers Heraklius gewesen, und die kurz nach ihrer Geburt in jungen Jahren gestorben.
Beide Diener hatte man von ihr getrennt.
Die Amme Perpetua war von der Statthaltersfrau, welche in ihr bald eine ungewöhnlich kunstfertige Weberin erkannt hatte, verwendet worden, um den am Webstuhl beschäftigten Sklavinnen des Hauses vorzustehen, und die Alte hatte dies Amt gern übernommen, obgleich sie frei von Geburt war; aber es kam ihr alles darauf an, in der Nähe ihres teuren Pfleglings zu bleiben.
Auch der Stallvorsteher Hiram war mit seinem Sohne unter die Leute des Mukaukas aufgenommen worden, zunächst um die fünf schönen Pferde aus dem Stall ihres Vaters, welche die Fliehenden nach Aegypten gebracht hatten, zu pflegen, dann aber auch, – denn man hatte seine guten Kenntnisse bald erkannt – um als Tierarzt und beim Roßhandel zu Rate gezogen zu werden.
Mit beiden hatte Paula zu reden, und sie wußte genau, wo sie zu finden waren, aber sie konnte nicht, ohne sich Widerwärtigkeiten auszusetzen, zu ihnen gelangen; denn die freien Bediensteten des Mukaukas, ihre Freunde und nun auch nach Thoresschluß die Soldaten der Wache saßen noch immer plaudernd in verschiedenen Gruppen beisammen und gingen gewiß noch lange nicht auseinander; denn einige Sklaven brachten der Wachmannschaft erst jetzt das Nachtmahl.
Auf dem Hofe hörte das Kommen und Gehen nicht auf; denn jeder, dem es erlaubt war, genoß die Kühlung der Nacht. Nur die Sklaven gehörten nicht zu diesen, da sie gleich nach dem Verschluß des Gesindethors in ihre Wohnungen getrieben worden waren, doch auch aus ihrem Quartier ließen sich noch Stimmen vernehmen.
Paula suchte klopfenden Herzens alles, was ihren scharfen Augen und Ohren erreichbar war, zu erfassen. Der zunehmende Mond beleuchtete die eine Hälfte des Hofes, die andere lag, so weit der Schatten der Statthalterei reichte, im Dunkeln. In der Mitte des ersten Halbkreises, zu dem sich die freien Diener zusammengeschart hatten, brannte ein Feuer, das schnell wechselnde Lichter über ihre braunen Züge warf, und, wenn es mit neuen Pinienäpfeln gespeist ward, hoch aufloderte und auch den dunklen Teil des weiten Raumes vor ihr erhellte. Dies steigerte die Besorgnis der Lauschenden, die den Hof überschreiten mußte und doch nicht bemerkt werden durfte; denn so unschuldig und natürlich auch alles war, was sie vorhatte, wußte sie doch, daß ihres Oheims Gattin ihren nächtlichen Gang schmählich mißdeuten werde.
Anfänglich hatte diese den Gemahl aufgefordert, Paula in ihren Nachforschungen nach dem Vater zu unterstützen, von dessen Tode niemand sichere Kunde besaß; aber die Aufmunterung der Statthaltersfrau wäre nicht nötig gewesen; denn ihr Mann hatte aus freien Stücken ein volles Jahr lang alles aufgeboten, um bei Christen und Muslimen nach Leben oder Tod des Verlorenen zu forschen; doch seit vielen Monaten war jede weitere Bemühung in dieser Sache zuerst von Frau Neforis für thöricht erklärt worden, und bald hatte dann auch ihr willensschwacher Gatte diese Ansicht geteilt und den Verschollenen verloren gegeben.
Von den Gütern ihres Vaters hatte der Statthalter nicht ohne persönliche Opfer manches für sie gerettet, die liegenden Gründe zu ihren Gunsten verkauft, ausstehende Summen, wo es noch anging, eingetrieben und ihr Rechnung über alles Zurückerlangte ablegen wollen. Aber sie wußte das Ihre in seiner Hand wohl aufgehoben und es genügte ihr die Mitteilung, daß sie, wenn auch nicht reich im Sinne des ägyptischen Krösus, so doch im Besitz eines ansehnlichen Vermögens sei. Als sie einmal und noch einmal einen Teil desselben forderte, um die Nachforschungen fortzusetzen, ließ der Mukaukas ihr das Verlangte sofort auszahlen; beim drittenmal weigerte er sich dagegen in guter Absicht mit aller Festigkeit, ihr den Willen zu thun. Er nannte sich dabei ihren Kyrios. Der beratende Freund der Frau, welcher sie auch vor Gericht zu vertreten hatte. In seiner Begleitung stand das Weib im damaligen Aegypten vor dem Gesetze dem Manne gleich. und natürlichen Vormund und erklärte es für seine Pflicht, sie zu verhindern, einem Hirngespinnst zu gefallen; denn das sei dies vergebliche Forschen schon lange geworden, sich um ein Vermögen zu bringen, das ihr einmal willkommen, ja vielleicht nötig sein werde. Das bisher Verausgabte habe er aus seiner Kasse ersetzt.
Dies empfand sie als eine edle That, aber sie drang doch wieder und wieder in ihn, ihr den Willen zu lassen, doch schon lange vergebens; denn mit aller Entschiedenheit legte er Hand auf das ihm anvertraute Gut und bewilligte ihr für das einzige, teuerste Ziel ihres Lebens keinen Solidus mehr.
Sie fügte sich scheinbar, aber ihr Vorsatz, alles aufzubieten, um die Spur des Verschollenen aufzufinden, kam in ihrer festen Seele doch nicht ins Wanken.
Für den Erlös einer Perlenschnur, die sie besessen, hatte ihr treuer Hiram eine weite Fahrt unternommen und darauf eine Reihe von Boten nach verschiedenen Ländern entsandt. Jetzt konnte wenigstens einer recht wohl mit neuen Nachrichten heimgekehrt sein, und sie mußte den Freigelassenen sprechen.
Aber wie ungesehen zu ihm gelangen? Minutenlang spähte und horchte sie nach einem günstigen Augenblick, um über den Hof zu kommen.
Da fiel ein Lichtstrahl – auf ein Antlitz. Es war das des Hiram.
Jetzt lachte der muntere Halbkreis wie mit einer Stimme laut auf, und sie faßte einen raschen Entschluß, zog das Kopftuch fester zusammen, durchkreuzte schnell den beschatteten Teil des Hofes und eilte dann in gebückter Haltung durch den Mondschein dem Sklavenquartier entgegen.
Am Eingang desselben blieb sie atemlos und mit klopfendem Herzen stehen. Hatte man sie bemerkt? Nein! Kein Ruf erscholl, kein Schritt nahte, die Hunde kannten sie alle; die Wächter, welche sonst hier aufgestellt waren, hatten ihren Posten verlassen und saßen am Feuer bei den Genossen.
Das lange Haus ihr zur Linken war die Weberei, und im oberen Stockwerk desselben wohnte Perpetua, ihre Amme.
Auch hier galt es Vorsicht üben; denn die Statthaltersgattin kam oft gerade hieher, erteilte den Arbeiterinnen Aufträge und sah zu und beurteilte, wie und was auf den hundert Stühlen, die von früh bis spät in Bewegung standen, hergestellt wurde. Bemerkte man sie hier, so konnten die Weberinnen ihren nächtlichen Besuch nur zu leicht verraten.
Sie waren noch nicht zur Ruhe gegangen; denn aus den großen, auf allen Seiten offenen, nur mit einem Dache versehenen Schuppen, wo die Bottiche der Färber standen, scholl ihr wiederum lautes Gelächter entgegen. Auch dieser Teil des Gesindes genoß nach dem glühenden Tage die Kühlung der Nacht; auch die Mädchen hatten ein Feuer entzündet.
Paula mußte an ihnen durch den Mondschein vorüber, aber dazu war der Augenblick noch nicht gekommen, und sie schmiegte sich an das Strohzelt, welches die großen thönernen Wasserkrüge bedeckte, die hier zur Tränkung der Sklavinnen ausgestellt waren. Es warf einen dunklen, dreieckigen Schlagschatten auf den staubigen, im Mondlicht leuchtenden Boden, und dieser entzog sie den Blicken der Weberinnen; sie aber hörte und sah, was in dem Schuppen vorging.
Ein schwerer, qualvoller Tag, der mit einem schrillen Mißklang für sie geendet, lag hinter ihr, und hinter diesem eine Reihe seliger, neues Glück verheißender Stunden, denen eine lange Zeit der Demütigung als Gefolge des schmerzlichsten Unglücks vorangegangen war.
Wie froh und sonnig war ihre Kindheit, wie köstlich ihre erste Jugend gewesen! Es hatte Jahre für sie gegeben, in denen sie jeden Morgen zu neuer Freude erwacht, in denen sie jeden Abend mit Dankgebeten zur Ruhe gegangen war, die ihr so frei und notwendig der Seele entquollen, wie den Rosen der Duft. Wie so oft hatte sie damals ungläubig und verdrossen das schöne Köpfchen geschüttelt, wenn das Leben ein Jammerthal und das Menschenlos ein beklagenswertes genannt worden war. Jetzt – jetzt wußte sie es besser, und in vielen einsamen Stunden, in jeder schlaflosen Nacht fragte sie sich, ob das ein guter, väterlich liebender Gott sein könne, der ein Kind geboren werden und heranwachsen ließ, es mit jeder Hoffnung erfüllte, um ihm dann alles, was ihm lieb und wünschenswert war, ja selbst die Hoffnung zu rauben.
Aber die fromm erzogene Unglückliche betete und glaubte noch immer; und es hatte ja jüngst den Anschein gehabt, als wolle ihr der Himmel das gewähren, wonach ihr warmes Herz am meisten bangte: die Liebe eines geliebten, liebenswerten Menschen. Und nun, und nun?
Da stand sie in der trostlosen Empfindung der ödesten Herzensleere und wenn sie vor Orions Heimkehr elend gewesen, jetzt war sie es noch mehr; denn aus der Vereinsamten war sie nun auch eine Betrogene geworden, sie, die Tochter des Thomas, die Verwandte, der Gast des reichsten Hauses im Lande; und neben ihr erklang in dem roh gezimmerten, fleckigen Färberschuppen, aus der Brust armseliger, der Peitsche des Vogtes verfallener Sklavendirnen, ein so lautes, lebens– und jugendfrohes Gelächter, daß sie hinhören und den Blick auf diejenigen heften mußte, denen eine so überquellende Fülle von Uebermut und Frohsinn beschert war.
Unter dem mit Palmzweigen bedeckten, weiten Raum der Färberei waren viele Mädchen vereint, hübsche und häßliche, braune und weiße, kleine und große, gerade und von der schweren, früh begonnenen Arbeit im Webstuhle gekrümmte, aber alle jung, keine älter als achtzehn Jahre. Die Sklaven waren ein Kapital, die Zinsen, die es trug, ihre Arbeit, und ihre Kinder. Jedes unfreie Mädchen wurde bald, nachdem es erwachsen, mit einem Sklaven vermählt. In der Weberei waren Mädchen und Frauen thätig, aber die letzteren schliefen im eigenen Quartier bei Mann und Kindern, die ledigen Arbeiterinnen dagegen übernachteten in Schlafsälen, die sich an die Werkstätten schlossen.
Jetzt genossen sie des Feierabends und hatten sich in zwei Gruppen geteilt. Die einen sahen einem ägyptischen Mädchen zu, das allerlei auf eine Tafel kritzelte, die anderen belustigten sich mit einem harmlosen Spiel. Dies bestand darin, daß jede Dirne den Schuh über den Kopf hinweg schleuderte. Flog er über einen Kreidestrich, dem die Werfende den Rücken zukehrte, so bekam sie bald den Geliebten zum Mann, blieb er zwischen ihr und der gezogenen Grenze liegen, ohne sie zu erreichen, so hatte sie sich noch zu gedulden oder wurde mit einem Schicksalsgenossen verbunden, den sie nicht mochte.
Die kritzelnde Dirne, um die sich wohl zwanzig Mädchen scharten, hatte Muster für die Weberei abzuzeichnen und besaß das schon ihren heidnischen Ahnherren eigene Geschick, jedes Antlitz in der Seitenansicht und mit wenigen Strichen so darzustellen, daß es, wie sehr es auch komisch verzerrt ward, leicht erkennbar erschien. Dies Kunststück verrichtete sie mit Hilfe eines Wachstäfelchens und eines kupfernen Stiftes, und für die anderen galt es zu erraten, wen sie gemeint.
Ein einziges Mädchen kauerte einsam an dem hintersten Pfosten des Schuppens und blickte stumm in den Schoß.
Paula überschaute das alles und verstand auch, was da vorging, obgleich kein zusammenhängender Satz geredet wurde und es nichts zu hören gab als Gelächter, lautes, herzliches, unwiderstehliches Lachen. Warf eine Dirne den Schuh weit genug, so lachte die junge Schar aus vollem Halse, und jede rief fröhlich den Namen dessen, den sie der Genossin zum Gatten bestimmte; fiel die Sohle vor dem Strich zu Boden, so ging es noch munterer her, und die Namen der ältesten und garstigsten Sklaven wurden gerufen. Einer braunen Syrerin war es nicht gelungen, den Strich zu erreichen, aber sie griff keck nach der Kreide und zog eine neue Linie zwischen sich und der Sohle, so daß diese nun doch hinter einem Striche zu liegen kam, und jetzt erreichte die Fröhlichkeit den Gipfel, denn viele stürzten sich auf die falsche Linie, um sie zu verlöschen, ein übermütiger, nubischer Krauskopf warf den Schuh in die Luft und fing ihn wieder auf, während andere sich über den guten Spaß vor Vergnügen gar nicht beruhigen konnten und den Namen dessen ausriefen, dem zu gefallen ihre Genossin dem Schicksalsrad so verwegen in die Speichen gegriffen.
Es war als habe ein lustiger Kobold in dem zugigen Schuppen sein Quartier aufschlagen; denn um die Zeichnerin ging es nicht weniger munter her als unter den anderen. Ward ein Gesicht erkannt, so freuten sich alle, wenn nicht, so riefen die Dirnen die Namen verschiedener Personen, die es vorstellen konnte. Welch schallender Beifall lohnte das wohlgelungene Zerrbild des strengsten Sklavenvogtes. Wer es sah, hielt sich die Seiten vor Lachen, und wie toll ging es her, als ein Mädchen der Zeichnerin das Täfelchen entriß und andere es überfielen, um sich mit ihm darum zu balgen.
Paula hatte dem allen anfänglich befremdet und kopfschüttelnd zugesehen. Wie konnte man sich an solchem Tand, an so unsinnigen Dingen so lebhaft freuen! Freilich, als sie noch klein war, hatte auch sie sogar über nichts lachen können, und diese erwachsenen Mädchen, waren sie in ihrer Unwissenheit und der engen Beschränktet ihres Geistes nicht gleichfalls allesamt Kinder?
Die Mauern der Statthalterei umschlossen ihre Welt, über den gegenwärtigen Augenblick sahen sie nicht hinaus, ganz wie die Kleinen, und so konnten sie auch lachen wie diese. »Das Schicksal,« dachte Paula, »hält sie jetzt schadlos für das Unglück ihrer Geburt, und tausend saure Tage, und hernach gehen sie müde und fröhlich zu Bette. Ich könnte diese armen Geschöpfe beneiden! Wenn es anginge, mischte ich mich unter sie und würde noch einmal zum Kinde!«
Da war das komische Bildnis des Vogtes fertig geworden, und eine kleine, dicke Dirne brach nun vor allen anderen in ein ausgelassenes, langanhaltendes Gelächter aus, und das kam ihr so natürlich aus der tiefsten Tiefe der vollen Brust, daß Paula, die wahrlich nicht hieher gekommen war, um zu lachen, sich plötzlich angesteckt fühlte und, mochte sie wollen oder nicht, mitlachen mußte. Kummer und Elend waren vergessen, es gab für sie kein Erwägen und Grübeln mehr, und minutenlang fühlte sie nichts, als daß sie lache, herzlich und unaufhörlich lache, wie ein junges, gesundes Menschenkind, das sie ja war. Ach, wie wohl es doch that, sich einmal selbst zu vergessen! Sie sagte es sich nicht, aber sie fühlte es und lachte noch fort, wie die Sklavin, welche allein an dem Pfosten gesessen, sich zu den anderen gesellte und etwas in die fröhliche Schar hineinrief, das, unverständlich für Paula, die Heiterkeit der anderen neu belebte.
Die schlanke Gestalt des stillen Mädchens stand jetzt am Feuer. Paula hatte es noch nie gesehen, und dennoch war es weitaus die Schönste von allen, aber es sah nicht heiter aus, und vielleicht fühlte sie Schmerzen; denn ein Tuch umschloß ihr Haupt und war, als litte sie an Zahnweh, auf dem Scheitel über dem vollen blonden Haar zusammengebunden.
Ihr Anblick brachte Paula zu sich selbst zurück, und sobald sie wieder zu denken begann, nahm die Fröhlichkeit ein Ende; doch die Sklavinnen fuhren fort, sich ihr hinzugeben; indessen klang ihr Lachen diesmal nicht so harmlos und rein als vorhin: ihre Fröhlichkeit hatte sich ein Ziel gewählt, wovor sie besser zurückgewichen wäre.
Das Mädchen mit dem verbundenen Kopfe war auch eine Sklavin des Hauses, aber erst vor kurzem und nachdem es längere Zeit bei zwei alten Sklavenwitwen mit Handarbeiten beschäftigt worden war, zu den Weberinnen zugelassen worden. Ein Heerhaufe des Heraklius hatte es an der Brust seiner Mutter nach dem Sieg über Chosroes II. aus Persien nach Alexandria gebracht, und dort waren beide für den Mukaukas gekauft worden.
Die Perserin starb, als die Kleine dreizehn Jahre alt geworden, in der ungewohnten Sklaverei, ihr Kind wurde ein liebliches Mädchen mit schwanenweißer Haut und vollem Goldhaar, das auch jetzt im Licht des Feuers wundervoll glänzte. Der junge Orion hatte sie vor seiner Reise bemerkt und, entflammt von der Schönheit der jungen Perserin, sie zu besitzen gewünscht. Gewissenlose Diener und Beamte waren ihm schnell behilflich gewesen, sie in ein Landhaus des Mukaukas jenseits des Niles zu versetzen, und dort hatte er sie ohne Störung aufsuchen können, so oft es ihn zu ihr hinzog. Die kaum sechzehn Jahre alte Sklavin hatte unerfahren, ungewarnt und schutzlos, wie sie war, dem schönen Sohne ihres Herrn nicht zu widerstehen gewagt und vermocht. Als Orion, leichten Herzens und schon überdrüssig des Mädchens, das ihm nichts bieten konnte als seine Schönheit, nach Konstantinopel gereist war, erfuhr Frau Neforis, was sie ihrem Sohne gewesen, und befahl dem obersten Sklavenvogt, die Unglückliche zu verhindern »ihre Verführungskünste weiter zu üben«; dieser aber war einer solchen Forderung gerecht geworden, indem er der Perserin einem alten Gebrauche gemäß die Ohren abschneiden ließ. Nach dieser grausamen Strafe verfiel die schöne Verstümmelte in Schwermut und Irrsinn, und obgleich sich die Exorzisten der Kirche und andere Geisterbanner vergeblich bemühten, die Dämonen des Wahnsinnes auszutreiben, blieb sie, was sie gewesen, ein gutartiges, freundliches Geschöpf, das sich bei ihren Pflegerinnen und nun auch in der allgemeinen Werkstätte in den Arbeitsstunden stets still und fleißig zeigte. Nur wenn sie müßig war, trat ihr Irrsinn hervor, und dieser ward von den anderen Weberinnen benützt, um sich daran zu ergötzen.
Jetzt hatten sie Mandane ans Feuer gezogen und sie mit komischer Ehrerbietung aufgefordert, sich auf ihrem Thronsitz, eine leere Farbentonne, niederzulassen; denn sie lebte in dem seltsamen Wahne, die Gattin des Mukaukas Georg zu sein.
Lachend brachte ihr jede ihre Huldigung dar, bat sie um eine Gnade oder erkundigte sich nach dem Ergehen ihres Gatten und dem Stand ihres Besitzes. Ein richtiges Gefühl hatte diese armen, unwissenden Geschöpfe lange abgehalten, den Namen des Orion vor ihr auszusprechen, endlich aber schritt eine wollhaarige Negerin, ein bösartiges, hageres Ding, auf sie zu und fragte sie mit einer garstigen Grimasse:
»O Gebieterin, was macht Dein Söhnchen Orion?«
Die Irrsinnige verzog keine Miene bei dieser Frage, sondern entgegnete ernst: »Ich habe ihn mit der Tochter des Kaisers in Konstantinopel vermählt.«
»Ei, sieh doch,« rief die Schwarze, »eine vornehme Heirat! Weißt Du denn auch, daß der junge Herr wieder hier ist? Da führt er Dir gewiß seine hohe Gemahlin zu, und wir bekommen Purpur und Kronen zu sehen!«
Diese Worte trieben der Geisteskranken das Blut in die Wangen. Aengstlich preßte sie die Hände auf die Binde über den verstümmelten Ohren und fragte: »Wirklich? Ist er zurück?«
»Noch nicht gar lange,« tröstete sie eine andere, gutmütigere Sklavin.
»Glaub’ ihr nicht!« rief die Schwarze. »Und wenn Du das Neueste wissen willst: gestern Nacht ist er mit der großen Damascenerin auf dem Nil spazieren gefahren. Mein Bruder, der Bootsmann, war mit den Ruderern, und schön hat er dem Fräulein gethan, ich sage Dir, schön...«
»Mein Gemahl, der große Mukaukas?« fragte Mandane und suchte die Gedanken zu sammeln.
»Nein, Dein Söhnchen Orion, der die Kaiserstochter zur Frau hat,« lachte die Schwarze.
Da erhob sich die Irrsinnige, schaute sich mit unstäten Blicken ringsum und fragte noch einmal befangen und als habe sie das Gesagte nicht völlig verstanden: »Orion? Der schöne Orion?«
»Dein liebes Söhnchen Orion!« rief nun die andere noch einmal und so überlaut, als habe sie es mit einer Tauben zu thun. Da griff sich die sonst so freundliche Sklavin mit der einen Hand an das verstümmelte Ohr, mit der andern aber schlug sie ihrer Quälerin so heftig auf die breiten Negerlippen, daß es klatschte; dann aber kreischte sie selbst hell auf und rief mit gellender Stimme:
»Mein Sohn, hast Du gesagt, mein Sohn Orion! Als ob ihr’s nicht wüßtet! Mein Liebster ist er gewesen; ja er hat mir gesagt, daß er’s wäre, und darum sind sie gekommen und haben mich gebunden und mir die Ohren – Aber ich, ich mag ihn nicht, ich könnte, ich möchte...« Dabei ballte sie die Fäuste, knirschte mit den weißen Zähnen und fuhr mit röchelndem Atem fort: »Wo ist er? Ihr wollt mir’s nicht sagen? Wartet nur, wartet! O, ich bin klug, und ich weiß schon! Ihr habt ihn hier – Wo denn? – Orion, Orion, wo bist Du?«
Dabei sprang sie auf, rannte durch den Schuppen, schob von jedem Farbenbottich den Deckel zurück und bog sich unter großem Gelächter der anderen tief in ihn hinab, als ob sie ihn dort suche.
Die meisten Mädchen kicherten über dies närrische Treiben, andere aber, denen es unheimlich war und welchen der schmerzliche Aufschrei der Unglücklichen wehgethan hatte, zogen sich wieder gruppenweise zusammen, und schon hatte eine ein neues Spiel vorgeschlagen, als eine kleine, sauber gekleidete Frau in den Schuppen trat und in die fleischigen Hände klatschend rief: »Genug des Gelächters! Zu Bett nun, ihr Bienchen. Morgen früh ist die Nacht vorbei, und nach Sonnenaufgang klappern mir wieder die Stühle! Eine hierhin, eine dorthin, grad wie die Mäuslein, wenn die Katze sie anfällt! Wird’s bald, ihr Nachtvögel? Nun, wird’s bald?«
Die Mädchen hatten gehorchen gelernt, und während sie an ihrer Vorsteherin vorbei in die Schlafräume eilten, spitzte Perpetua, eine Frau, welche die fünfzig kaum überschritten und auf deren Gesicht sich Klugheit und Güte freundlich vereinten, die Ohren und lauschte in die Nacht hinaus; denn von dem Wasserzelte her hatte sie ein eigentümliches, langgezogenes, aber nicht zu lautes »Ohüio!« vernommen, und dies Zeichen war ihr wohl bekannt; denn der Präfekt Thomas hatte damit in seiner Villa am Libanon die im Garten zerstreuten Hausgenossen zusammengerufen. Jetzt benützte es Paula, um die Amme auf ihre Nähe aufmerksam zu machen.
Diese schüttelte besorgt den Kopf. Was trieb ihr liebes Kind in so später Nachtstunde zu ihr? Da mußte etwas Bedeutendes vorgefallen sein, und geistesgegenwärtig, wie sie war, rief sie, um anzudeuten, daß ihr Paulas Ruf nicht entgangen: »Rasch jetzt! Wird’s bald! Ohüio, ihr Mädchen, ohüio! Daß ihr euch tummelt!«
Dann folgte sie den letzten Sklavinnen in die Schlafsäle, und als sie sich überzeugt hatte, daß keine fehlte außer der Irrsinnigen, erkundigte sie sich nach ihr. Alle hatten sie noch eben in dem Schuppen gesehen, und so wünschte sie den Mädchen gute Nacht und verließ sie, indem sie sich das Ansehen gab, als habe sie vor, die Zurückgebliebene zu suchen.
Siebentes Kapitel.
Paula betrat das Zimmer der Amme, welche, nachdem ihr kurzes Ausschauen nach der Geisteskranken vergebens gewesen, sie nicht ohne leise Gewissensskrupel ihrem Schicksal überließ.
In Perpetuas Gemach hing eine trefflich geputzte kupferne Lampe von der Decke, und dieser kleine Raum und seine Bewohnerin entsprachen einander vollkommen; denn schlicht und sauber, blink und blank, einfach und doch nett waren beide. Um die Bettstatt der Amme schlossen sich schneeweiße, durchsichtige Gardinen gegen die Stechmücken, über dem Hauptende des Lagers hing ein Kruzifix von sauberer Arbeit, und die Sessel waren mit guten Stoffen von verschiedener Farbe, Abfällen aus der Weberei, überzogen. Hübsch geflochtene Strohmatten bedeckten den Boden, und auf den Fensterbrettern sowie in einer Ecke des Zimmers, wo eine Thonfigur des »guten Hirten« auf das Betpult hinabsah, standen Blumenstöcke, die das bescheidene Gemach mit Wohlgeruch erfüllten.
Kaum hatte sich die Thür geschlossen, als Perpetua ausrief: »Aber Kind, wie Du mich erschreckt hast! Zu so später Stunde!«
»Ich mußte kommen,« versicherte Paula, »es hielt mich nicht länger!«
»Thränen?« seufzte die Amme, und ihre klugen kleinen Augen begannen feucht zu schimmern. »Arme Seele, was hat es nur wieder gegeben?«
Dabei näherte sie sich der Jungfrau, um ihr die Locken zu streicheln; diese aber flog ihr an die Brust, schlang ihr leidenschaftlich beide Arme um den Nacken und brach in lautes, schmerzliches Weinen aus.
Die kleine Matrone ließ sie eine Zeit lang gewähren, dann löste sie sich von ihr los, trocknete die eigenen Thränen und die ihres großen Lieblings, welche ihr auf das ganz schlichte, ergrauende Haar gefallen waren, faßte Paulas Kinn mit fester Hand, wandte ihr Gesicht dem ihren zu und sagte teilnahmsvoll und bestimmt: »So! Nun laß es genug sein! Meinetwegen weine auch weiter; denn das erleichtert das Herz, doch es ist schon so spät. Gibt es wiederum das alte Lied: Heimweh, Verdruß und dergleichen, oder hat sich etwas Neues ereignet?«
»Leider,« entgegnete das Mädchen und fuhr, während sie ihr Tuch in den Händen zerpreßte, heftig ergriffen fort: »Ich bin an die äußerste Grenze gelangt und halt’ es nicht mehr aus da drüben; es geht nicht länger, es geht nicht! Ich bin nicht von Stein, und wenn man sich des Abends vor der Nacht fürchtet und des Morgens vor dem Tage, der so widerwärtig werden muß, so ganz unerträglich...«
»So nimmt man Vernunft an, mein Herzchen, und sagt sich, daß es klug ist, von zwei Uebeln das kleinere zu wählen, und was ich Dir schon so oft vorstellen mußte, das bekommst Du jetzt wieder zu hören: Wenn wir die sichere Zufluchtsstätte hier aufgeben und uns wirklich hinaus in die Fremde wagen, was können wir dort Günstigeres finden?«
»Vielleicht nur eine Hütte mit einem Quell unter zwei Palmen! Das soll mir genügen, wenn ich Dich nur behalte und los komme, los von den anderen!«
»Was ist das, was hat das zu sagen?« murmelte die Amme und schüttelte besorgt den Kopf. »Vorgestern warst Du ganz ruhig; da muß sich wohl wieder...«
»Ja, da muß, da hat sich auch etwas begeben,« fiel ihr das Mädchen außer sich ins Wort. »Des Oheims Sohn – Du warst ja dabei, wie er hier einzog, und ich dachte, auch ich habe geglaubt, er sei würdig solchen Empfanges... Ich, Betta, ich... Erbarme Dich meiner, ich... Du weißt nicht, welche Gewalt dieser Mann ausübt über die Herzen... Und ich... ich glaubte seinen Blicken, seinen Worten, seinem Gesang und – ja es muß, muß alles gesagt sein: auch seinem Kusse auf diese Hand! Ich, ich... Aber das alles war falsch, war erlogen, war ein häßliches Spiel mit einem schwachen, einfältigen Herzen, oder Schlimmeres, Empörenderes noch! Kurz – während er alles, was in ihm ist, aufbot, um mich zu umgarnen – selbst die Sklaven im Boote haben’s bemerkt! – ist er in voller Fahrt gewesen, – ich weiß es von Frau Neforis, der es wohl that, mich damit zu kränken – um das Püppchen – Du kennst sie ja – um die kleine Katharina zu werben. Sie ist seine Braut, und dabei wagt der Unverschämte das Spiel mit mir fortzutreiben, hat er die Stirn...«
Von neuem schluchzte Paula laut auf, die Alte aber wußte sich diesmal zunächst nicht zu helfen und brummte nur vor sich hin: »Schlimm, schlimm... daß auch dies noch... Gütiger Himmel...« Aber bald faßte sie sich und sagte bestimmt: »Das ist freilich ein neues, unerwartetes Unglück, aber wir haben Schwereres, ganz, ganz anderes getragen! Also den Kopf in die Höhe, und was sich da drinnen noch regen will für den Verführer, das reißt man aus und zertritt es! Dein Stolz wird Dir schon helfen, und wenn Du erst weißt, was dieser Herr Orion ist, so dankst Du noch Gott, daß es zwischen euch nicht weiter gekommen!« – Und nun teilte sie ihr alles mit, was sie von der irrsinnigen Mandane und Orions Schuld gegen sie wußte und fügte, da Paula ihrer Entrüstung lebhaft Ausdruck gab, hinzu: »Ja, Kind, ein Herzensbrecher, ein gewissenloser Glücksmörder ist er, und es wäre vielleicht meine Pflicht gewesen, Dich vor ihm zu warnen, aber weil er sonst doch nicht schlecht ist – er hat der Zeichnerin Hathor Bruder – Du kennst sie ja wohl – mit eigener Lebensgefahr aus dem Wasser gerettet – und weil ich doch bei seiner Heimkehr glaubte, mit ihm wenigstens würdest Du freundlich verkehren, hab’ ich es unterlassen... Und dann: ich alte Närrin hielt Dein stolzes Herz für gepanzert, aber es ist doch auch nur ein schwaches Mädchenherz wie ein anderes, und nun es im einundzwanzigsten Jahre einem Manne zum erstenmale seine Liebe erwidert...«
Da unterbrach sie Paula: »Ich liebe den Betrüger nicht mehr, nein, ich haß ihn, haß ihn unsäglich! Und auch die anderen alle, alle sind mir zuwider!«
»Ach, daß es so sein muß!« seufzte die Amme. »Hart ist Dein Los freilich. Er, der Orion, kommt ja nicht mehr in Frage; aber könnt’ es denn mit den anderen nicht besser werden, frag’ ich mich oft. Hättest Du’s ihnen nicht so schwer gemacht, Kind, sie müßten Dich lieben, es ging’ ja nicht anders, aber seit Du ins Haus kamst, fühltest Du Dich elend und wünschtest, daß man Dich gehen ließe, und sie, sie haben Dein Verlangen erfüllt, und nun findest Du es schwer zu ertragen, daß es kam, wie Du wolltest. Es ist so, Kind; Du mußt mir nicht widersprechen! Und wir wollen heut einmal gerecht sein: Wer findet denn Liebe, der keine gewährt und über die anderen mißmutig hinwegsieht? Ja, könnte sich jeder die Menschen selber machen, mit denen er umgeht! Sie nehmen, wie sie gerade sind, gebietet das Leben, doch zu Dir, Herz, nein, zu Dir ist dieser Satz nicht gedrungen!«
»Wie ich bin, so bin ich nun eben!«
»Gewiß, und Du bist von dem Guten das Beste, doch wer ahnt das da drüben? Jeder Mensch stellt etwas vor. Und Du? Was Wunder, wenn sie in Dir immer nur ›die Unglückliche‹ sehen? Gott sei’s tausendmal geklagt, daß Du’s bist! Aber wen freut es, immerfort ein umdüstertes Antlitz zu sehen?«
»Ich habe noch keinem da drüben auch nur mit einem Worte geklagt, was ich leide!« rief Paula und richtete sich stolz in die Höhe.
»Das ist es ja eben!« versetzte die Amme. »Sie nahmen Dich auf und meinten ein Anrecht an Deine Person und also auch an Deinen Kummer zu haben. Vielleicht verlangte es sie auch, Dich zu trösten; denn – darin liegt, glaube mir’s, Kind, – darin liegt eine geheime Lust. Wer einem Mitleid bezeigt, der fühlt immer dabei, daß es ihm selbst besser geht als dem andern. Ich kenne das Leben! Hast Du Dir nie gesagt, daß Du den Deinen da drüben eine Freude raubst, ja sie vielleicht beleidigst, indem Du Dich ihnen verschließest? Der Schmerz ist Dein Bestes, und den zeigst Du ihnen von weitem, aber wo es Dir weh thut, das verbirgst Du gar sorgsam. Jeder gute Mensch möchte heilen, wo ihm eine Wunde begegnet, aber Dein ganzes Wesen ruft ihnen zu: ›Bleibt, wo ihr seid, und laßt mich in Ruhe!‹ Dem Oheim wenigstens warst Du doch gut!«
»Und ich bin es auch noch, und es hat mich hundertmal gedrängt, ihm alles anzuvertrauen, indessen —«
»Indessen?«
»Sieh ihn nur an, Betta, wie er marmorkalt, starr und teilnahmlos daliegt, halb tot, halb lebendig. Anfänglich schwebten mir oft vertrauensvolle Worte auf den Lippen...«
»Und jetzt?«
»Jetzt ruht all das Schlimme so weit dahinten; ich glaube, ich habe das Recht verscherzt, ihm zu klagen, was mich bedrückt.«
»Hm,« machte Perpetua, die hierauf nichts zu erwidern wußte. »Faß Dich nur recht zusammen, mein Mädchen. Der Orion hat wohl schon zu fühlen bekommen, wie weit es bei uns zu gehen erlaubt ist. Du kannst ja das Köpfchen hoch genug halten und kühl genug drein schauen! Dulde, was nicht zu ändern ist, und wenn meine innere Stimme nicht trügt, so wird der, den wir suchen...«
»Auch deswegen bin ich gekommen. Ist noch kein Bote zurück?«
»Doch! Der kleine Nabbatäer,« versetzte die Amme mit einigem Zögern, »und er hat auch... Aber um Gottes willen, Kind, mache Dir noch keine vergebliche Hoffnung! Bald nach Sonnenuntergang ist Hiram bei mir gewesen —«
»Betta!« kreischte die Jungfrau auf und umklammerte den Arm der Amme. »Was hat er erfahren, was bringt er?«
»Nichts, nichts! Wie Du gleich mit dem Kopf durch die Wand willst! So viel wie gar nichts ist es, was er erfuhr. Ich konnte den Hiram nur kurze Zeit sprechen. Morgen früh will er den Mann selbst zu mir führen. Das Einzige, was er mir sagte...«
»Bei Christi Wunden, was war es?«
»Er sagte, der Bote habe von einem älteren Klausner gehört, der einmal ein großer Kriegsheld gewesen.«
»Der Vater, der Vater!« schrie Paula auf. »Hiram sitzt mit den anderen am Feuer. Gleich, gleich holst Du ihn her; ich befehl’ es, Perpetua, hörst Du! O liebste, einzige Betta, komm mit; wir suchen ihn auf!«
»Aber Geduld doch, Herz, etwas Geduld!« klagte die Amme. »Ach, ach, Du arme, liebe Seele, es wird wieder nichts sein, und wenn wir die falsche Fährte nochmals verfolgen, gibt es neue Enttäuschung!«
»Gleichviel, Du kommst mit mir.«
»Zu den Dienern am Feuer, in dieser Zeit? Das wär’ mir das Rechte! Aber... indessen... Wart’ hier, Mädchen. Ja, so, so wird es gehen! Den Joseph, Hirams Jungen, den weck’ ich. Er schläft bei den Pferden da drüben, und der ruft dann seinen Vater. Ach, diese Ungeduld, dies stürmische, leidenschaftliche Herzchen! Thu’ ich Dir nicht den Willen, so schließest Du mir heut nacht kein Auge und wankst morgen umher wie im Traum... Ruhe, nur Ruhe, ich geh’ schon.«
Dabei hatte die Alte sich das Kopftuch umgeschlungen und eilte ins Freie, Paula aber warf sich vor dem Kruzifix über dem Bett nieder und betete mit aller Inbrunst, bis die Amme zurückkam. Bald darauf ließen sich Männertritte auf der Treppe vernehmen, und Hiram trat ein.
Es war ein kräftiger Fünfziger mit zwei blauen, treuen Augen in dem groben Dutzendgesicht. Wer seine breite Brust sah, durfte erwarten, daß er, wenn er zum Reden kam, eine kräftige Baßstimme erklingen lassen werde; doch Hiram stotterte von Kind an, und im steten Umgang mit Pferden hatte er sich den Gebrauch von seltsamen Naturlauten angewöhnt, die er mit hoher Fistelstimme hervorstieß. Er sprach auch nur ungern.
Als er der Tochter seines Wohlthäters und Herrn gegenüberstand, sank er vor ihr nieder, blickte sie mit den treuen Jagdhundaugen unterwürfig und doch zärtlich an, und küßte ihr erst das Gewand und dann auch die Hand, mit der sie ihn aufrichten wollte.
Paula unterbrach die mühsam hervorgestammelten Beteuerungen seiner Freude, sie wiederzusehen, gütig, aber entschieden, und als er endlich zu sprechen begann, floß seine Rede für ihre Ungeduld viel zu langsam.
Der Nabbatäer, welcher die Hoffnung erweckende Nachricht gebracht hatte, teilte er mit, sei nicht abgeneigt, der gefundenen Spur weiter nachzugehen; doch könne er nur bis morgen Mittag warten und habe hohe Forderungen gestellt.
»Alles soll er haben, alles, was er verlangt,« unterbrach ihn Paula. Hiram aber bat sie mehr mit Blicken und unverständlichen Rufen als mit deutlichen Worten, ja nicht zu Großes zu hoffen.
Der Nabbatäer Dusare, so ergänzte er die Mitteilung der Amme, habe von einem Klausner zu Raithu am Roten Meer erfahren, daß ein großer Kriegsheld von griechischer Abkunft seit zwei Jahren bei den frommen Brüdern am heiligen Sinaiberge in aller Stille ein bußfertiges Leben führe. Seinen weltlichen Namen hatte der Bote nicht zu erfragen gewußt, unter den Klausnern aber ward er Paulus genannt.
»Paulus?« unterbrach ihn das Mädchen mit fliegendem Atem. »Ein Name, der ihn an die Mutter erinnert und an mich, auch an mich! Und dann er, der Held von Damaskus, in der Welt hat er Thomas geheißen – und nun, da er wohl glaubt, auch ich sei ums Leben gekommen, weiht er sich gewiß dem Dienste Gottes und Christi und nennt sich wie Saulus, der andere Mann von Damaskus, nachdem er das Heil gefunden, Paulus, gerade wie dieser! O Betta, o Hiram, ihr werdet sehen, er ist es, er muß es sein, könnt ihr noch zweifeln?«
Der Syrer schüttelte bedenklich den Kopf und stieß ein langgezogenes »Hüüst« aus; Perpetua aber schlug die Hände zusammen und rief bekümmert: »Hab’ ich’s nicht gedacht? Das Feuer, das Hirten in der Nacht entzünden, um sich die Hände zu wärmen, hält sie für die aufgehende Sonne, Wagengerassel für den Donner des Höchsten! Wie viel Tausende heißen doch Paulus! Bei allen Heiligen, Kind, werde ruhig und versuche nicht, Dir aus lustigem Nebel ein Festkleid zu weben! Erwarte das Schlimmste, dann bist Du gegen Fehlschläge gewappnet, und Du bewahrst Dir das Anrecht, zu hoffen! Sage ihr, sag ihr doch, Hiram, was der Bote weiter berichtet; es ist ja nichts Festes, schwebt ja alles, alles wie Staub in der Luft!«
Da teilte der Freigelassene mit, daß der Nabbatäer ein zuverlässiger Mann sei, weit geschickter zu solchen Botengängen als er selbst; denn er verstehe außer seiner Sprache auch ägyptisch, griechisch und aramäisch, und doch sei es auch für ihn unmöglich gewesen, zu Tor, wo die Mönche vom Erscheinungskloster am Sinai eine Niederlassung besäßen, Näheres über den Klausner Paulus zu erfragen. Später habe er freilich auf der Seefahrt nach Kolzum von Mönchen erfahren, daß es noch einen zweiten Sinai gebe. Das Kloster dort – und nun setzte Perpetua die Erzählung fort, welche dem Stotterer den Schweiß auf die Stirn getrieben – das Kloster in der Oase am Fuße des zackigen, himmelhohen Berges sei zwar wegen der Ketzerei der Mönche geschlossen worden, in den Schluchten dieser gewaltigen Höhe hausten aber immer noch viele Klausner in einem kleinen Cönobium, Kloster.
In Lauren Gassen. Nur locker zusammenhängende Reihen von einzelnen Einsiedlerwohnungen. und einzelnen Felsenhöhlen, und zu diesen könne jener Paulus vielleicht gehören. Diese Fährte sei gut; und sie und Hiram hätten von vornherein beschlossen, sie zu verfolgen, aber der frühere Kriegsmann sei doch wahrscheinlich ein Fremder, und es sei ihnen beiden grausam erschienen, sie einer so schmerzlichen Enttäuschung auszusetzen.
Aber hier unterbrach sie Paula und rief in froher Erregung: »Und warum soll mir nicht auch einmal etwas anderes beschieden sein als Enttäuschung? Wo nehmt ihr den Mut her, mir die Hoffnung zu entziehen, von der sich dies arme Herz doch nährt? Aber ich lasse sie mir nicht rauben! Euer Paulus am Sinai ist der Verschollene, ich ahn es, ich fühl es! Wären die letzten Perlen nicht schon verkauft, so müßte der Nabbatäer... Aber so, so... Wann kannst Du reisen, mein Hiram?«
»Vor vie – vierzehn Tagen in kei– keinem Fall,« entgegnete dieser. »I – ich stehe nun einmal in des Sta – att – stattha – halters Diensten und ü – übermorgen wird in Ni – i – kuhüüst der große Pfe – Pferdema – markt sein. Für den jungen Herre – ren gibt es da neue He– engste zu kaufen, und unsere Fo – ohlen Brr...«
»Ich flehe den Oheim morgen an, daß er Dich frei läßt,« rief Paula. »Ja, ich werfe mich ihm zu Füßen.«
»Er läßt ihn nicht!« unterbrach sie die Amme. »Der Hausmeister Sebek hat ihm vor der Audienzzeit in meinem Namen alles gesagt und Hiram frei zu bitten versucht.«
»Und der Bescheid?«
»Frau Neforis nannte die Botschaft ein neues Irrlicht, und der Herr stimmte ihr bei. Hernach verbot Dein Oheim dem Sebek, Dir etwas zu verraten, und ließ mir sagen, nach dem Pferdemarkt werde er Hiram doch vielleicht auf den Sinai schicken. So gedulde Dich denn, Herzchen! Was sind vierzehn Tage, längstens drei Wochen, und dann...«
»Aber bis dahin vergeh’ ich!« rief Paula. »Der Nabbatäer, sagst Du, sei hier und zu gehen bereit?«
»Ja, Herrin!«
»So werben wir ihn,« sagte Paula bestimmt; die Amme aber, welche doch schon recht eingehend mit ihrem Landsmann gesprochen haben mußte, schüttelte traurig den Kopf und versetzte: »Er ist uns zu teuer!« Dann erklärte sie, daß der sprachenkundige Mann schon aufgefordert sei, eine Karawane nach Ktesiphon zu führen. Das gebe ihm Brot für ein ganzes Jahr, und er sei wohl willens, die Verhandlungen mit dem Kaufherrn Hanno abzubrechen und das peträische Arabien für sie zu durchsuchen, jedoch nur, wenn er zweitausend Drachmen erhalte.
»Zweitausend Drachmen?« wiederholte Paula und schaute beschämt und ängstlich zu Boden; doch bald blickte sie wieder selbstbewußt auf und rief empört: »Wie dürfen sie mir vorenthalten, was mein ist? Verweigert mir der Oheim, was ich fordern darf und muß, so geschehe denn, was sich nicht vermeiden läßt und mir um seinetwillen weh genug thun wird, so übergeb’ ich meine Sache den Richtern!«
»Den Richtern?« lächelte die Amme. »Um zu klagen, bedarfst Du des Kyrios, und Dein Oheim ist ja der Deine. Und dann! Eh’ sie das Urteil fällen, kann der Bote schon aus dem fernen Ktesiphon zurück sein!«
Und nun flehte die Amme sie noch einmal an, sich bis zum Ende des Pferdemarktes still zu bescheiden; sie aber blickte wie gebrochen zu Boden; doch da fuhr Perpetua zusammen, und auch Hiram trat zurück; denn plötzlich war sie in den lauten, jubelnden Ruf ausgebrochen: »Vater im Himmel, ich habe ja, was wir bedürfen!«
»Wie, Kind, was?« fragte die Amme mit der Hand auf dem Herzen; Paula aber erteilte ihr keine Auskunft, sondern wandte sich hastig an den Syrer: »Ist der erste Hof wieder frei? Sind die Leute auseinander gegangen?«
Die Antwort lautete bejahend. Die freien Diener waren mit Hiram zugleich aufgebrochen. Die Herren trennten sich wohl noch lange nicht, doch an ihnen kam man leichter vorbei.
»Gut denn,« befahl das Mädchen, »Du, Hiram, gehst mir voran und wartest auf mich beim Gesindepförtchen. Auf meinem Zimmer geb’ ich Dir etwas, was des Nabbatäers Forderung zehnfältig deckt. Sieh mich nicht so ängstlich an, Betta. Er bekommt den großen Smaragd aus dem Halsband der Mutter.«
Da schlug die Amme die Hände zusammen und rief traurig und warnend: »Kind, Kind, dies herrliche Stück, dies Erbgut der Familie, diesen Stein, der vom heiligen Kaiser Theodosius herstammt, ihn, gerade ihn verkaufen, nein, verschleudern, nicht um den Vater zu retten, sondern – ja, Kind, so ist es – sondern nur, weil Dir die Geduld fehlt, zwei elende Wochen ruhig zu warten!«
»Das war hart, das war ungerecht, Betta!« unterbrach sie das Mädchen in verweisendem Ton. »Um einen Monat wird es sich handeln, und wie viel es auf den Boten ankommt, das wissen wir alle. Hast Du vergessen, wie Hiram die Geschicklichkeit gerade dieses Mannes hervorhob? Und dann! Muß ich, die Jüngere, Dich daran erinnern? Was ist das menschliche Dasein? Ein Augenblick entscheidet über Leben und Tod, und der Vater ist ein alter Mann, der schon vor der Belagerung mit so vielen Narben bedeckt war. Um Wiedersehen oder Nichtwiedersehen kann es sich handeln.«
»Ja, ja,« versetzte die Alte kleinlaut, »vielleicht hast Du recht, und wenn ich...« Aber Paula verschloß ihr mit einem Kusse den Mund und befahl dann dem Syrer, den Stein bei ihr in Empfang zu nehmen und ihn morgen in alter Frühe an den Juden Gamaliel, einen reichen und redlichen Mann, zu verkaufen, und zwar nicht unter zwölftausend Drachmen. Könne der Goldschmied so viel auf einmal nicht zahlen, so möge er sich einstweilen mit den zweitausend Drachmen für den Boten begnügen und den Rest später für sie erheben.
Der Syrer ging ihr voran, und als sie nach einem langen Abschied von der Amme deren freundliches Stübchen verließ, war Hiram bereits ihrem ersten Befehl gefolgt und erwartete sie vor dem Gesindepförtchen.
Achtes Kapitel.
Wie Hiram vermutet, saßen die bessergestellten Beamten noch immer mit ihren Freunden beisammen, und es hatten sich zu ihnen auch der Fremdenführer und die vornehmsten Begleiter des Kaufherrn Haschim: Rustem, der Masdakit, sowie sein Schreiber und Dolmetscher gesellt.
Die hier Versammelten waren, abgesehen von dem jüdischen Goldschmied Gamaliel und den Leuten des Arabers, sämtlich Christen; und sie hatten die Muslimen – der Jude war seit Jahren ein gerngesehenes Mitglied ihrer Gesellschaft – nur widerwillig in ihren Kreis gezogen. Dennoch war dies, und zwar mit einiger Beflissenheit, geschehen, da der Herr befohlen hatte, sie gut aufzunehmen, und man von dem weit Herumgekommenen manches Neue zu hören erwarten durfte. Darin hatte man sich freilich getäuscht; denn der Dolmetscher war ein schweigsamer Mann und der Masdakit des Aegyptischen gar nicht, des Griechischen nur unvollkommen mächtig.
So beachtete man sie denn, nachdem man sie mehrmals vergeblich zum Sprechen aufgefordert hatte, nicht weiter und ließ dem Sekretär des Orion das Wort. Er hatte schon gestern viel Neues und Fesselndes vom kaiserlichen Hofe erzählt, heute aber ging er näher auf das glänzende Leben seines jungen Herrn in Konstantinopel ein, den er dorthin begleitet. Er schilderte die drei Siege, die er mit den eigenen Rossen im Zirkus errungen, malte lebhaft aus, wie er sich bei einer Volksempörung mit nur fünf Freunden, und ihnen allen voran, durch hunderte von wütenden Aufständischen den Weg aus dem Palast in die Sophienkirche gebahnt habe, und rühmte dann Orions Erfolge bei den Schönen der Hauptstadt. »Die Königin von allen,« rief er prahlerisch aus, »war Heliodora, keine Flötenspielerin oder dergleichen, nein, eine reiche, vornehme, tugendhafte Patriciusfrau, die Witwe des Flavianus, des Neffen des kaiserlichen Verwandten und Senators Justinus. Ganz Konstantinopel bewirbt sich um sie, selbst der große Gratian hat sie für sich zu gewinnen versucht, aber natürlich vergebens. Einen Palast wie den ihren gibt es in ganz Aegypten, auch in Alexandria nicht. Die Statthalterei – denn auf die Größe kommt es nicht an – ist dagegen ein Bauernhaus, ein elender Speicher. Ich erzähl’ euch ein andermal, wie es in diesem Schmuckkästchen aussieht. Vor dem Thor standen Tag und Nacht Sklaven und Freigelassene, welche Blumen und Früchte, seltene Geschenke und zärtliche Gedichte aus duftender, rosenfarbener Seide zu überbringen hatten, aber ihre Gunst war nicht zu erkaufen, bis Orion mit ihr bekannt ward. Wollt ihr es glauben; seit sie ihm zum erstenmal in der Villa des Justinus begegnet, war es um sie geschehen, hin ist sie gewesen, fort, sein eigen, wie der Ring an dem Finger hier mein ist!«
Dabei wies der eitle Mann den goldenen, mit einem recht wertvollen Stein geschmückten Reifen, den er der Freigebigkeit seines jungen Herrn verdankte, seinen Zuhörern und fuhr eifrig fort: »Und von nun an waren die Namen Orion und Heliodora auf allen Lippen, und wie oft hab’ ich die Leute außer sich gesehen über die Schönheit dieses göttlichen Paares. Im Zirkus, im Theater, bei der Bootfahrt aus dem Bosporus, überall sah man sie beisammen, und in der gräßlichen, blutigen Zeit der raschen Thronwechsel lebten sie wie im Paradies miteinander. Oft holte er sie in seinem, oft sie ihn in ihrem Wagen ab.«
»Solch ein Weib hält auch Pferde?« fragte der Oberstallmeister verächtlich.
»Weib?« rief der Sekretär. »Eine vornehme Dame! Lauter glänzende Braune hält sie, große von armenischer Zucht, und kleine, flinke Tierchen von der Insel Sardinien, die zu vieren wie gehetzte Füchse mit dem Wagen dahinjagen. Immer trugen ihre Rosse Blumen und flatternde Bänder am goldenen Geschirr, und ihr Pfleger verstand sie zu lenken! – Alle Welt dachte, unser Herr und die schöne Witwe würden ein Ehepaar werden, und daß daraus nichts wurde, ist der armen Heliodora – sie sieht aus wie eine Heilige und ist sanft wie ein Kätzchen – das ist ihr mehr als nahe gegangen; denn beim Abschied war ich zugegen, und da hat sie Thränen vergossen, es ist zum Erbarmen gewesen. Aber zürnen konnte sie ihrem Abgott doch nicht, das weiche, zärtliche Kätzchen! Zum Andenken schenkte sie ihm sogar ihr Hündchen, den Seidenspitz, den ihr gesehen habt. Und mein Wort darauf, daß das ein Liebeszeichen war; denn an das kleine Vieh hatte sie ihr Herz gehängt wie an ein leibliches Kind. Aber auch ihm ist der Abschied nahe gegangen, so nahe; doch ich bin Geheimsekretär, und es würde sich nicht für mich schicken, aus der Schule zu plaudern. Das Hündchen zog er beim ›Lebewohl‹ an das Herz, und dabei versprach er ihr, ihr als Gegengabe ein Andenken zu senden, das ihr zeigen werde, wie kostbar ihm ihre Liebe gewesen, und daß dies kein Bettelpfennig werden wird, darauf leistet wohl jeder einen heiligen Eid, der meinen Herrn kennt. Du, Gamaliel, ist er vielleicht schon bei Dir gewesen?«
Der also Angeredete, derselbe, dem Hiram Paulas Smaragd zum Kauf anbieten sollte, war ein reicher Alexandriner von fröhlicher Gemütsart, der, sobald es nach dem Einfall der Sarazenen zu Alexandria unsicher geworden und der größte Teil seiner Glaubensgenossen aus der Hafenstadt entflohen war, sich nach Memphis gewandt hatte, weil er dort auf den Schutz seines mächtigen Gönners, des Mukaukas Georg, rechnen durfte. Jetzt schüttelte er verneinend den grauen Krauskopf und raunte etwas später dem Sekretär ins Ohr: »Wir haben, was er braucht! Bringst Du mir die Kuh, so bekommst Du das Kalb, und zwar eins mit zwölf Beinen. – Zufrieden?«
»Zwölf Prozent vom Gewinn? Abgemacht also!« versetzte der Sekretär ebenso leise und mit einem schlauen Lächeln des Einverständnisses, und als ihn später ein Rechnungsbeamter fragte, warum Orion die schöne Liebste, die ja auch einen vornehmen Namen trage, seinen Eltern nicht als Schwiegertochter mit nach Haus gebracht habe, antwortete jener, sie sei eine Griechin und natürlich melchitischen Glaubens. Eines weiteren Grundes bedurfte es für die Anwesenden nicht; doch da nun einmal auf die Konfessionen die Rede gekommen, entspann sich wie gewöhnlich an solchen Gesprächsabenden eine Zänkerei um dogmatische Fragen, und während derselben wagte ein Kanzleibeamter zu äußern, daß wenn es sich hier nicht um einen Sohn des Mukaukas, bei dem von dergleichen ja keine Rede sein könne, sondern um einen einfachen jakobitischen Bürger und seine melchitische Geliebte handelte, doch vielleicht ein Mittelweg zu finden gewesen wäre. Beide hätten sich nur entschließen müssen – er für seine Person danke freilich für dergleichen – die monotheletische Lehre anzunehmen, für die der kaiserliche Hof und auch der verstorbene Patriarch Cyrus von Alexandria warm eingetreten waren, und welche sich auf die Ansicht gründete, daß es zwar zwei Naturen in Christo gebe, beiden aber ein gemeinsamer Wille innewohne. Dieser Glaube teile zwar die Natur des Heilands, wahre ihr aber in einer besonders maßgebenden Hinsicht die Einheit, auf die es doch am meisten ankomme.
Ein so ketzerischer Vorschlag fand natürlich die lauteste Mißbilligung der hier versammelten Jakobiten, die Meinungsverschiedenheiten machten sich schärfer und schärfer geltend, und bald ward aus dem friedlichen Austausch der Ansichten eine wilde Zänkerei, welche mit Gewaltthätigkeiten zu enden drohte.
Schon beim Beginn dieses Gesprächs war es Paula gelungen, ungesehen über den Hof zu gelangen. Schweigend winkte sie dann Hiram, ihr zu folgen, und dieser zog vorsichtig die Schuhe aus, schob sie unter die steil ansteigende Dienerschaftsstiege und stand wenige Minuten später im Gemache der Jungfrau.
Diese öffnete ungesäumt ihre Truhe, nahm aus derselben ein kostbares, herrlich gearbeitetes, mit Perlen besetztes Halsband und reichte es dem Syrer mit der Bitte, einen großen Smaragd, welcher in seiner Mitte hing, aus der Fassung zu brechen.
Die starken Hände des Freigelassenen vollendeten mit Hilfe eines Messers schnell und leicht diese Arbeit, und während er den mehr als walnußgroßen Stein, welcher nun nackt und völlig frei von der zur Hälfte offenen goldenen Kapsel, worin er an der Kette gehangen, funkelte und blitzte, in der Hand wog, wiederholte Paula die Verhaltungsmaßregeln, welche sie ihm bei der Amme gegeben.
Sobald der treue Mann seine liebe Herrin verlassen, flocht sie das weiche und doch starke und lange Haar los und lächelte dabei voll freudiger Hoffnung; aber noch hatte sie nicht begonnen, sich zu entkleiden, als sie es klopfen hörte. Erschrocken fuhr sie zusammen, eilte auf die Thür zu, verriegelte sie hastig und fragte, auf das Schlimmste gefaßt: »Wer ist da?«
»Hiram,« lautete die leise geflüsterte Antwort, und nachdem sie die Thür wieder geöffnet, erfuhr sie, daß die Gesindepforte inzwischen verschlossen worden sei, und daß er einen andern Ausweg aus dem weitläufigen Hause, worin es selten etwas für ihn zu thun gab, nicht finde.
Was nun beginnen?
Der Syrer durfte die Wiedereröffnung des Thores nicht abwarten; denn er mußte morgen seine Aufträge zeitig auszurichten beginnen, und ertappte man ihn und hielt ihn auch nur einen halben Tag fest, so nahm der Nabbatäer einen andere Dienst an.
Rasch entschlossen faßte sie darum das Haar zusammen, band sie ein Tuch um das Haupt und sagte: »So komm; der Mond scheint noch immer; eine Lampe brauchen, wäre gefährlich. Ich gehe voran, und Du mußt Dich hinter mir halten. Ist die Küche nur leer, so gelangen wir ungesehen in das Viridarium. Sind die Beamten im Hof noch beisammen, so steht die große Hofthür offen; denn von ihnen gehören doch viele ins Haus. Durch die Vorhalle mußt Du jedenfalls. Aus dem Viridarium ist der Weg dahin nicht zu verfehlen. Aber warte! Vor dem Tablinum liegt gewöhnlich der große Beki, der bissige Hund von Hermonthis. Er kennt Dich nicht; denn er verläßt niemals das Haus, aber mir folgt er. Wenn ich die Hand erhebe, bleibst Du etwas zurück. In Gegenwart seiner Herrschaft verhält er sich ruhig; auch Unbekannten thut er nichts, sobald sie dabei ist. Kein Wort wird von nun an gewechselt. Werden wir entdeckt, so bekenn’ ich die Wahrheit, findet man Dich allein, so kannst Du ja sagen... dann sagst Du, Du habest auf Orion gewartet, um ganz in der Frühe wegen des Pferdemarktes in Niku mit ihm zu reden.«
»Es, es wa – ward mir noch mittags ein – ein He – Hengst angeboten.«
»Recht, recht; um seinetwillen bist Du also in der Vorhalle geblieben – um mit dem Herrn, bevor er ausgehen würde, zu reden. Es muß ohnehin in wenigen Stunden dämmern; nun aber fort!«
Schnell und sicher stieg Paula die Treppe hinunter. Bei der untersten Stufe nahm Hiram die Schuhe wieder auf und behielt sie, um keine Zeit zu verlieren, in der Hand, während er seiner Gebieterin weiter folgte. Schweigend schritten sie vorwärts, bis sie durch tiefes Dunkel an die Küche gelangten. Hier wandte sie sich um und murmelte dem Syrer zu: »Ist jemand drin, so sag’ ich, ich sei gekommen, um Wasser zu holen; ist niemand da, so huste ich, und Du folgst mir. Jedenfalls bleibt die Thür offen, und Du hörst dann, was vorgeht. Muß ich umkehren, so gehst Du mir rasch voran auf dem Wege, den wir gekommen. In diesem Falle begeb’ ich mich in mein Zimmer, Du aber wartest davor, bis es Tag wird und man die Gesindethür wieder öffnet. Findet man Dich, so überläßt Du mir die Erklärung. Tritt weiter zurück, und presse Dich dort in den Winkel.«
Gleich darauf öffnete sie mit leiser Hand die Thür der Küche, durch deren unbedachte Decke das Licht des untergehenden Mondes und vieler Sterne leuchtete. Sie war völlig leer; nur eine Katze lag auf der Bank neben dem großen Herde, und einige Fledermäuse schwebten mit unhörbaren Flügelschlägen in dem weiten Raum hin und wider. Unter den Spießen glühten noch wie die Augen lauernder Raubtiere verglimmende Kohlen aus der Asche hervor.
Paula hustete leise, und sobald sie Hirams Tritte hinter sich hörte, setzte sie beklommen und von marternder Bangigkeit gequält die Wanderung fort. Zuerst ging es über einige Stufen, dann durch einen finstern Gang, in dem Fledermäuse in kerzengeradem Fluge hart an ihrem Haupte vorbeischossen. Endlich galt es, den weiten, oben offenen Speisesaal zu durchkreuzen. Dieser mündete in das an der Seite gepflasterte, in der Mitte mit Pflanzen und einem Springbrunnen geschmückte Viridarium, einen offenen, quadratischen Hof, an dessen Seiten sich je einer der Flügel des Statthalterpalastes erhob. Es war still und heimlich in diesem abgeschlossenen Raum, den der Himmel in tiefem Schwarzblau und übersät von Millionen goldener Sterne hoch überwölbte. Der Mond näherte sich schon dem obersten Rand der Hohlkehle, welche das Dach des Gebäudes krönte. Die großen Blattpflanzen in der Mitte des Viridariums warfen wunderliche, gespenstische Schatten über den tauigen Rasen, das Wasser des Springquells plätscherte lauter als am Tage, doch mit beruhigendem, einförmigem, dann und wann von kurzen, stockenden Pausen unterbrochenem Klang. Der Marmor an den Säulen schimmerte wie weißer Schnee, und leichte Dunstwölkchen, die von dem feuchten Rasen aufzusteigen begannen, wallten, vom leisen Nachtwind bewegt, wie Geister in lang hinwallenden Florgewändern, in weichen, langsamen Schwingungen hierhin und dorthin. Nachtfalter wiegten sich neben und über den Pflanzengruppen stumm auf und nieder, und der ganze stille, heimliche Raum war erfüllt von dem süßen Duft der Lotosblumen in den Marmorbecken des Springquells, den Blüten des üppigen Strauchwerks und der saftigen Südpflanzen in seiner Umgebung. Zu anderer Zeit wär’ es eine Lust gewesen, hier Umschau zu halten, hier zu atmen und den stillen Zauber der Nacht auf sich wirken zu lassen, aber Paulas Seele war jetzt für all diese Reize verschlossen. Die lauschige Stille, die sie umgab, verlieh dem wütenden Gezänk im Hof, das in abgebrochenen Tonwellen den Weg bis hieher fand, einen bedrohlichen Klang, und mit banger Sorge sagte sie sich, daß hier nicht alles sei, wie es sollte; denn vor dem Tablinum, welches stets von dem Hunde oder einem Bewaffneten bewacht war, konnte ihr scharfes Auge weder ein Tier, noch einen Menschen wahrnehmen, und – nein, sie irrte nicht – die mit Bronze beschlagene Thür desselben stand offen, und das Mondlicht blitzte auf dem blanken Metall ihres einen, halb angelehnten Flügels.
Nun blieb sie stehen, und hinter ihr that Hiram das Gleiche. Beide lauschten mit solcher Spannung, daß ihnen die Stirnadern schwollen, aber aus dem Tablinum, das mit kaum dreißig Schritten erreicht werden konnte, ließen sich nur vereinzelte, nicht genau unterscheidbare, leise Geräusche vernehmen, die der wilde Streit draußen laut übertönte.
Es vergingen lange, bange Augenblicke, bis endlich der angelehnte Flügel sich plötzlich öffnete und ein Mann heraustrat. Der Herzschlag Paulas stockte, aber ihr Auge verlor nicht einen Augenblick seine Spähkraft, und wie sie eben sicher und ganz gewiß erkannt hatte, daß derjenige, welcher jetzt die Schwelle des Tablinums überschritt, Orion war und kein anderer, trat an ihm vorbei der große, zottige Hund von Hermonthis ins Freie, schnüffelte in die Luft hinaus und stürzte dann mit wütendem Gebell auf die beiden Wartenden los. Bebend und mit fest zusammengebissenen Zähnen, aber immer noch ihrer selbst mächtig, ließ sie ihn kommen, rief sie seinen Namen »Beki« mit leisem, liebkosendem Ton, faßte sie, als er sie erkannte und das Gebell einstellte, seinen zottigen Kopf, um ihm, wie er es liebte, die Ohren zu krauen.
Sie selbst und ihr Begleiter standen hinter einem Pfeiler im tiefsten Schatten. Orion ward so ihrer nicht gewahr, auch hatte das Gebell Paulas schmeichelnden Ruf übertönt. Als der Hund schwieg und wedelnd neben ihr stehen blieb, pfiff er ihm, und das wachsame, gehorsame Tier eilte seinem Herrn freudig entgegen; er aber empfing es mit dem Rufe: »Alter, dummer Katzenjäger!« ließ es über seinen Arm springen, zog es an sich und stieß es dann wieder spielend zurück. Darauf warf er die Thür zu und begab sich zu den in den Hof führenden Räumen.
»Um in seine Wohnung zu gelangen, muß er wieder zurück,« unterrichtete Paula, tief aufatmend, ihren Begleiter. »Warten wir hier. Aber jetzt keinen Augenblick verloren! Vorwärts bis zur Thür des Tablinums! Der Hund erkennt mich nun von weitem und bellt nicht gleich wieder.«
Hiemit schritten beide schnell voran, und als sie bei der Thür, welche hinter tiefen Pfosten im dunklen Schatten lag, angelangt waren, fragte Paula ihren Begleiter: »Hast Du den Mann, der hier herauskam, erkannt?«
»Der Herr Orion,« lautete die Antwort. »Er ke – kehrte heim aus der Sta – adt, wi – ie ich Dir vora – an ging.«
»So?« fragte sie scheinbar gleichgiltig, schaute, an den kühlen Metallbeschlag der Thür geschmiegt, in den Garten und sagte sich, daß sie nun umkehren könne. Aber zur rechten Zeit fiel ihr der Hund ein. In jedem Fall wollte sie dem Freigelassenen den einfachen Weg beschreiben, den er von hier aus einschlagen mußte, doch sie kam nicht dazu; denn aus dem Raume, welcher das Viridarium von der Vorhalle trennte, ließ sich erst die hohe Stimme einer Frau, dann die tiefere eines Mannes vernehmen, und es waren kaum wenige Worte zwischen beiden gewechselt worden, als das wütende Gebell der Dogge alles übertönte und gleich darauf erst ein gellendes Klagegeschrei aus dem Munde eines Weibes, dann das Geräusch des Falles eines schweren Gegenstandes an das Ohr der Lauschenden schlug.
Was hatte sich da ereignet?
Etwas Furchtbares, Ungeheures mußte es gewesen sein; kein Zweifel war daran möglich. Und bald bestätigte sich Paulas Ahnung; denn aus der Thür des Raumes, wo das Schreckliche sich zugetragen, stürzte Orion und mit ihm der Hund über den Rasen des Viridariums fort, der sonst wie ein Heiligtum gehütet und gepflegt ward, auf den dem Nil zugewandten Flügel des Hauses zu, worin sich seine Wohnung und die der Familie befand.
»Jetzt!« rief Paula und schritt dem Syrer rasch voran.
Atemlos flog sie durch den ersten Raum und über die Schwelle des unbedachten Vorhauses, aber noch war sie nicht in seine Mitte gelangt, als sie einen Schrei ausstieß; denn vor ihr lag mitten im Mondlicht ein regungsloser Körper, lang ausgestreckt auf dem harten Marmorboden.
»Flieh, Hiram, flieh!« rief sie dem Freigelassenen zu. »Die Thür ist nur angelehnt, ist offen, ich seh’ es!«
Dabei warf sie sich neben der Leblosen zu Boden, zog ihren Kopf in die Höhe und schaute in das schöne, totenblasse Antlitz der irrsinnigen persischen Sklavin. Sie fühlte, wie das Blut, welches das volle blonde Haar der Unglücklichen tränkte, ihre eigene Hand benetzte, und ein leiser Schauer durchlief sie; doch sie wies Grauen und Ekel von sich, und als sie auch auf dem zerrissenen Peplos dunkle Flecken bemerkte, riß sie ihn ab und sah in der schönen weißen Brust der Unglücklichen klaffende Wunden, die das grausame Gebiß der wütenden Dogge in das zarte Mädchenfleisch geschlagen.
Da zog sich Paulas Herz vor Zorn und Schmerz und Mitleid zusammen. Er, den sie gestern noch für den Inbegriff aller männlichen Vollkommenheit gehalten, Orion, war schuld an dieser Unthat! Und er, von dessen rücksichtslosem, tollkühnem Mut sie so viel vernommen, wie ein Feigling war er geflohen, hatte er das Opfer im Stich gelassen, das er zweimal zu Grunde gerichtet. Aber es galt hier anderes, als klagen und grollen und sich fragen, wie in desselben Menschen Seele neben so viel Hohem und Schönem so Schändliches, Ruchloses Platz finden könne.
Nur retten galt es hier, Hilfe schaffen; denn Mandanes volle Brust hob und senkte sich noch leise unter ihren bebenden Fingern.
Des Freigelassenen braves Herz hatte ihn bei ihr und der Verwundeten zurückgehalten, und nun warf er die Schuhe, die er bis dahin in der Hand gehalten, zu Boden, hob er die Bewußtlose auf, lehnte er sie an eine der Säulen, die den Raum rings umgaben. Erst auf einen neuen Befehl seiner Herrin eilte er ins Freie.
Paula blickte ihm nach, und sobald sie das schwere Thor des Atriums zufallen hörte, rief sie, ohne auf ihre eigene bedenkliche Lage zu achten, so laut und gellend um Hilfe, daß es weithin durch die nächtliche Ruhe des Hauses hallte und bald von hier, bald von dort her ein Sklave, eine Magd, ein Beamter, ein Koch, ein Wächter herbei geeilt kamen.
Als erster von allen und so bald, daß er sich bei ihrem Ruf schon unterwegs befunden haben mußte, erschien auch Orion. Das leichte Nachtgewand, das er trug, sollte, so sagte sie sich, dem Schändlichen das Ansehen geben, als habe er eben das Lager verlassen. Und war er es denn wirklich? War dieser Mensch mit dem hochgeröteten Antlitz, den starren Augen, dem wirren Haar und der heiseren Stimme derselbe Liebling der Schickung, dessen freudiges Wesen, dessen sichere Haltung, dessen sonniger Blick und herzbestrickender Gesang ihr die Seele bezaubert? Wie die Hände ihm zitterten, da er ihr und der Verwundeten näher trat, wie gemacht und verlegen die Frage klang, was hier geschehen sei, und wie scheu er sie anblickte, als er zu wissen begehrte, was sie zu so später Stunde in das Vorhaus geführt!
Sie blieb ihm die Antwort schuldig; wie aber bald daraus seine Mutter dieselbe Frage in scharfem Ton an sie richtete, erwiderte sie, der noch keine Lüge über die Lippen gekommen, rasch und entschieden: »Ich konnte nicht schlafen. Hundegebell und Klagegeschrei trieben mich herunter.«
»Das nenn’ ich mir feine Ohren!« versetzte Neforis und zuckte ungläubig die Achseln. »Jedenfalls solltest Du später bei ähnlichen Anlässen weniger schnell bei der Hand sein. Seit wann verläßt sich ein Mädchen, wenn Mordio gerufen wird, allein auf sich selbst?«
»Wenn Du Dich wenigstens bewaffnet hättest, schöne Heldentochter,« fügte Orion hinzu, aber sobald er es gesagt hatte, bereute er es bitter; denn mit welchem Blick schaute Paula ihn an! Sie fand es unerträglich, sich von ihm, gerade von ihm und in dieser Stunde – es geschah zum erstenmal – neckisch, fast spöttisch angeredet zu hören und in dieser Weise an ihren Vater erinnert zu werden, und so entgegnete sie stolz und mit schneidender Schärfe: »Das Waffentragen überlaß ich den Kriegern und Mördern!«
»Den Kriegern und Mördern,« wiederholte Orion, der sich das Ansehen gab, den Sinn dieser Worte nicht zu verstehen, mit einem gezwungenen Lächeln, dann aber fuhr er in dem Gefühl, sich wehren zu müssen, bitter fort: »Wahrhaftig, das klingt, als käm’ es aus dem Munde eines weichherzigen Mädchens! Aber ich bitte Dich, näher zu treten und Dich zu beruhigen. Diese traurige Wunde hier an der Schulter des armen, elenden Geschöpfes – mir geht sie näher als Dir, Du darfst es glauben – hat doch wohl nur ein vierfüßiger Mörder, dem die Waffen angewachsen sind, geschlagen. Ja, so verhält sich’s! Der zottige Beki hält Wache vor dem Tablinum. Wie die Aermste hieher gekommen ist, weiß ich nicht, aber jedenfalls hat er sie gewittert und dann überfallen.«
»Oder doch nicht!« unterbrach ihn Frau Neforis und hob ein Paar Männerschuhe auf, die neben der Leidenden am Boden lagen.
Da wurde Orion leichenfahl, nahm der Mutter ihren Fund schnell aus der Hand und hätte die Schuhe am liebsten durch die offene Decke ins Freie geschleudert. Wie kamen sie hieher? Wem gehörten sie? Wer war in dieser Nacht hier gewesen? Bevor er sich in das Tablinum begeben, hatte er die Thür des Vorhauses verschlossen und war später wieder dahin zurückgekehrt, um sie für die Leute draußen zu öffnen. Erst nachdem er dies vollbracht hatte, war er von der Irrsinnigen überfallen worden, die ihm schon vor seinem ersten Gang in das Atrium dort aufgelauert haben mußte und damals vielleicht nur nicht den Mut gefunden hatte, ihm in den Weg zu treten. Während sie auf ihn gestürzt war, hatte der Hund sie niedergerissen, bevor er es verhindern konnte; ja, er wäre ihr sicher gleich beigesprungen und hätte ihr Hilfe gebracht, wenn er dadurch nicht sein Eindringen in das Tablinum verraten haben würde. Es war Geistesgegenwart genug von ihm gewesen, auf sein Zimmer zu eilen, sich das Nachtgewand überzuwerfen und zu der Schreckensstätte zurückzukehren. Als Paula zu rufen anhob, war er schon auf dem Weg zu der Verwundeten gewesen, und mit welchen Gefühlen!
So wirr, so zerfahren, so tief unzufrieden mit sich selbst hatte er sich noch nie gefühlt, und es begegnete ihm heute Paula gegenüber zum erstenmale, einem Mitmenschen nicht in die Augen sehen zu können!
Und nun diese Schuhe! Ihr Besitzer mußte die Irrsinnige begleitet haben, und hatte er ihn in das Tablinum gehen sehen und verriet er das, was er dort gethan, wie konnte er dann den Eltern wieder unter die Augen treten? Wie ein guter Spaß war es ihm erschienen, und nun verkehrte es sich in bitteren Ernst. Aber er wollte, mußte die Entdeckung seines nächtlichen Ganges verhindern! Lieber neues Unrecht, auch das schwerste begehen, als seine Ehre antasten lassen. Wem wohl die Schuhe gehörten? Hastig hob er sie hoch in die Höhe und rief mit lauter Stimme: »Gehören diese Sohlen einem von euch, ihr Leute; dem Thorhüter etwa?«
Als alles schwieg und der Pförtner seine Frage verneinte, blieb er sinnend stehen und fuhr mit trotzigem Blick und heiserer Stimme fort: »Dann hat sie ein überraschter Einbrecher fallen lassen. Unser Hausstempel steht hier auf dem Leder; sie sind in unserer Werkstätte gemacht, und sie riechen – überzeug Dich, Sebek – sie riechen noch nach dem Stall. Nimm sie an Dich, Mann; morgen früh werden wir ja sehen, wer uns dies verdächtige Geschenk in die Vorhalle legte. Du bist die erste hier am Platze gewesen, schöne Paula. Hast Du keinen Mann hier bemerkt?«
»Doch,« entgegnete sie und schaute ihn feindselig und herausfordernd an.
»Und wohin entwich er?«
»Er kreuzte hastig, wie ein fliehender Feigling das Viridarium, lief, um schneller vorwärts zu kommen, über den armen, schönen Rasen und verschwand in den Wohnräumen drüben!«
Orion kniff bei diesen Worten die Zähne zusammen und ein wilder Haß gegen dies Rätsel in Frauengestalt, in dessen Hand es zu liegen schien, ihn zu verderben, und aus dessen Augen ihm Groll und der Wille, ihm zu schaden, entgegenblitzten, flammte in ihm auf. Was führte sie gegen ihn im Schilde? Wie konnte ein Mensch auf Erden es wagen, ihn, den von groß und klein Verwöhnten – so, so... Ja es hatte nicht nur Abneigung, es hatte auch Verachtung in ihrem Blicke gelegen – ihn so anzuschauen? Wer in der ganzen Welt war berechtigt, ihm etwas vorzuwerfen, was diese Empfindung gerechtfertigt hätte? – Nie, nie war ihm ähnliche Feindseligkeit begegnet, und am wenigsten von seiten eines Mädchens. Er hätte das hochfahrende, kaltherzige, ungerechte Geschöpf, das ihm solche schmähliche Demütigung anthat, nachdem er ihm gezeigt, daß sein Herz sich ihm zuneige, das ihn, den Mann mit dem hundertfach bewährten Mute, zwang, es zu fürchten, zerschmettern mögen, und er mußte gewaltsam an sich halten, um nicht zu vergessen, daß es ein Weib sei. – Was war das nur alles? Welch ein Dämon trieb hier sein tückisches Spiel? Was hatte ihn in einer halben Stunde so verändert, daß sein ganzes inneres Wesen ihm selbst wie umgekehrt vorkam und man ihm so begegnen durfte?
Seine Mutter bemerkte die schreckliche Wandlung sogleich, welche bei Paulas Behauptung, ein Mann sei auf ihre Wohnräume zugeflohen, in den Zügen ihres Lieblings vorging, und sie erklärte sie in ihrer Weise und rief aufrichtig besorgt:
»In den Nilflügel, in die Räume, wo der Vater schläft, ist der Einbrecher gedrungen? Barmherziger Gott, wenn da wieder ein Ueberfall geplant wird! Rasch, schnell fort, Sebek. Mit Bewaffneten hinüber. Das ganze Haus durchsucht von oben bis unten! Vielleicht greift ihr den Bösewicht – den Rasen hat er zertreten – ihr müßt ihn – er darf nicht entwischen!«
Der Hausmeister eilte hinaus, Paula aber forderte den Obergärtner, welcher ebenfalls herbeigeeilt war, mit hochklopfendem Herzen, und indem ihr Blick wiederum des Jünglings Augen suchte, auf, die Fußspur des Flüchtlings, welche sich noch auf dem nassen Rasen finden müsse, mit dem Schuh zu vergleichen.
Da zuckte Orion wiederum zusammen, und während er sich in das Viridarium begab, versetzte er: »Das ist meine Sache.« Doch schämte er sich vor sich selbst, und es war ihm, als schnüre ihm etwas den Hals zu. Er kam sich vor wie ein ertappter Dieb, ein Betrüger, ein elender Wicht und begann zu begreifen, daß er in der That nicht mehr war, was er gewesen, bevor er den verhängnisvollen Gang in das Tablinum gethan.
Paula schaute ihm tief atmend nach. War er so tief gesunken, den Befund zu fälschen und zu erklären die breite Sohle des Bereiters passe in die Spur seines kleinen, wohlgebauten Fußes? Sie haßte ihn, aber sie hätte doch beten mögen, daß er wenigstens das nicht begehe, und als er zurückkam und verlegen erklärte, er sei seiner Sache nicht gewiß, der Schuh scheine doch nicht recht auf die zertretenen Stellen zu passen, atmete sie erleichtert auf und wandte sich mit dem Arzte, der eben erschienen war, wiederum der Kranken zu.
Bevor Frau Neforis ihr folgte, zog sie Orion an sich und fragte ihn besorgt, was ihm fehle, er sehe so bleich und verstört aus; er aber entgegnete zögernd: »Das Schicksal des armen Mädchens« – und dabei wies er auf die Verwundete – »geht mir doch nahe.«
»Dein weiches Herz! Wie als Knabe!« tröstete die Mutter. Sie hatte seine Augen feucht glänzen sehen, doch diese Thränen galten nicht der Perserin, sondern dem geheimnisvollen Etwas, er wußte es selbst nicht zu bezeichnen, das er in dieser Stunde eingebüßt hatte und dessen Verlust ihm namenlos weh that.
Aber das Gespräch zwischen Mutter und Sohn wurde bald unterbrochen; denn das erste Unglück dieser Nacht hatte seinen Gefolgsmann gefunden:
Die herrliche, von schöner Jugendfrische strotzende Gestalt des treuen persischen Karawanenführers Rustem wurde leblos in die Halle getragen. Ein wütender Jakobit hatte ihn, als er sich mit einer spöttischen Bemerkung in den Glaubensstreit gemischt, überfallen und ihm mit einem Holzscheit eine tiefe, vielleicht tödliche Wunde geschlagen.
Der Arzt wandte ihm sogleich seine Aufmerksamkeit zu, und unter dem murmelnden und flüsternden Menschenhaufen, der sich neugierig oder im Verlangen, sich hilfreich zu erweisen, in den weiten Raum gedrängt hatte, flog jetzt mancher hierhin und dorthin, um den Verordnungen des Heilkünstlers zu folgen.
Sobald dieser die Wunde des Masdakiten besichtigt hatte, rief er barsch: »Ein ägyptischer Schlag; denn er ist von hinten gekommen. Was will all das Gesindel? Hinaus mit jedem, der nicht hieher gehört! Das erste, was wir brauchen, sind Sänften; Du aber, Frau Neforis, weis’ uns zwei Räume an: einen für die arme, liebe Seele dort, und einen andern für diesen herrlichen Burschen, mit dem es übrigens bald vorbei sein wird, wenn kein Wunder geschieht.«
»Im Norden des Viridariums,« versetzte die Hausfrau, »stehen zwei Zimmer zur Verfügung.«
»Nichts da!« rief der Arzt. »Ich brauche Räume mit guter freier Luft, die nach dem Flusse hinaus sehen.«
»Da wären nur die schönen Räume im Fremdenstocke, wo auch meines Gatten Nichte wohnt. Es haben schon manchmal Kranke aus der Familie dort gelegen, aber für so einfache Leute – verstehst Du?«
»Nein, ich bin taub,« entgegnete der Arzt.
»Ich weiß schon,« lächelte Neforis, »aber die Zimmer sind wirklich für vornehme Gäste neu eingerichtet.«
»Vornehmere als solche Todkranke gibt es wohl schwerlich,« unterbrach sie Philippus. »Sie stehen Gott und dem Himmel näher als Du; zu Deinem Vorteile glaub’ ich. Heda, ihr Leute! In den Fremdenstock mit den Kranken!«
Neuntes Kapitel.
»Es ist nicht möglich, möglich, möglich!« rief Orion und sprang von seinem Schreibtische auf. Was er begangen, kam ihm wie ein Unglück vor, nicht wie eine Schuld; wußte er doch selbst kaum, wie er zu alledem gekommen! Ja, es gab Dämonen, böse, tückische Dämonen, und sie hatten ihn zu dieser unsinnigen That gezwungen.
Gestern Abend nach dem Teppichkauf war er der Bitte seiner Mutter gefolgt und hatte die Witwe Susanna nach Hause begleitet. Dort war er mit dem Bruder ihres verstorbenen Gatten, dem reichen Chrysippus aus Alexandria, einem lustigen Lebemann, zusammengetroffen, und als die Rede auf den Teppich und die Absicht des Mukaukas gekommen war, das Kunstwerk mitsamt den herrlichen Juwelen, die es schmückten, der Kirche zu verehren, hatte der alte Herr die Hände zusammengeschlagen, Orions Mißbilligung lebhaft geteilt und lachend gerufen: »Ei was, Du bist der Sohn, und Dir kommt jedenfalls ein Teil von dem Edelsteinregen zu! He, Katharina? Ein Diamantchen und ein Opalchen fällt ja wohl für das irdische Glück des Jungen ab, wenn der Alte für sein himmlisches sorgt. Sei kein Narr! Der Magen der Kirche ist voll genug, und wahrhaftig, Dir gebührt auch ein Bissen!« Dabei war viel edler Wein getrunken worden, und zuletzt hatte der alte Herr, um sich in der kühleren Nachtzeit Bewegung zu machen, Orion nach Hause begleitet. Eine Sänfte folgte ihm, die ihn zurückbringen sollte, und auf dem ganzen Wege hatte er dem Jüngling zugeredet, den Vater zu bewegen, der Kirche doch nicht den ganzen Schatz in den Rachen zu werfen und ihm wenigstens einige Steine für schönere Zwecke zu überlassen. Dabei war viel gelacht worden, und Orion hatte Chrysippus innerlich recht gegeben und an Heliodora, ihre Liebhaberei für schöne, große Edelsteine und an das Andenken, welches er ihr noch schuldete, gedacht. Daß weder Vater noch Mutter der Kirche auch nur einen Stein entziehen und ihr den ganzen Teppich stiften würden, das lag auf der Hand, aber ihm, dem Sohne, gebührte in der That doch wohl etwas von diesem Ueberflusse, und ein schöneres Geschenk an Heliodora als der große Smaragd ließ sich nicht denken. Ja, sie sollte ihn haben; welche Freude mußte er ihr machen! Es kam ihm sogar der Grundgedanke für die Verse in den Sinn, welche er dem Geschenk beigeben wollte.
Den Schlüssel zum Tablinum, wo der Teppich lag, trug er bei sich, und wie er bei seiner Heimkehr die Leute noch am Feuer sitzen sah, schloß er die Vorhausthür ab, und dabei überkam ihn ein widriges Gefühl, das er zum letztenmal empfunden, wie er mit den Brüdern verbotenerweise Obstbäume geplündert. Da wäre er beinahe von dem thörichten Vorhaben zurückgetreten, und wie ihn im Tablinum selbst eine schmähliche innere Angst abermals beschlichen hatte, war er schon zur Umkehr bereit gewesen, doch da hatte er sich wieder an den alten Chrysippus und seine Aufmunterung erinnert. Sich jetzt noch zur Flucht zu wenden, wäre Feigheit gewesen. Den großen Smaragd mußte Heliodora haben, und zwar mit seinen Versen; alles andere mochte der Vater nach seinem Belieben verschenken.
Als er mit dem Messer in der Hand vor dem Teppich niedergekniet war, hatte ihn die widrige Beängstigung von vorhin zum drittenmale überfallen, und wäre ihm der große Smaragd nicht auf den ersten Griff in die Hand gefallen, hätte er den Ballen ganz gewiß wieder geschlossen und unverrichteter Sache das Tablinum verlassen. Doch der böse Dämon war ihm behilflich gewesen, hatte ihm das Juwel gleichsam in die Hand gestoßen und es zwei Messerstichen gelingen lassen, es aus der Fassung zu heben, und wie es ihm in die Hand gerollt war, und er seine edle Schwere gefühlt hatte, war jede Besorgnis von ihm gewichen, und er hatte nur noch mit Vergnügen an das Gelingen dieses prächtigen Streiches gedacht, den er morgen, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dem alten Chrysippus mitteilen wollte.
Und wie anders erschien ihm nun beim nüchternen Tageslichte diese übereilte, wahnsinnige That, wie schwer war er jetzt schon dafür bestraft worden, welche Folgen konnte sie noch nach sich ziehen? Sein Haß gegen Paula wuchs mehr und mehr; sie hatte gewiß alles gesehen und scheute nicht zurück – das hatte sie gestern gezeigt – ihn zu verraten. Es war ihm gleichsam der Krieg von ihr erklärt worden, und mit flammenden Augen sagte er sich, daß er nicht zurückweichen werde. Dabei konnte er sich nicht verhehlen, daß er sie nie schöner gesehen als heute früh, da sie ihm drohend, mit halb aufgelöstem Haar gegenübergestanden. »Liebe oder Haß muß uns für einander beseelen, dazwischen liegt nichts,« murmelte er vor sich hin; »sie hat das letztere gewählt. Gut! Bisher gab es für mich immer nur mit Männern zu kämpfen, aber auch dieses harte, hochmütige, jedes freundliche Gefühl zurückweisende, kühne Mädchen ist kein verächtlicher Gegner. Für mich handelt sich’s hier um Notwehr. Thut sie mir das Aeußerste an, so wird ihr das Gleiche durch mich widerfahren! Und wer ist der Besitzer der Schuhe gewesen? Ich habe alles vorbereitet, ihn zu finden. Schändlich, schändlich, sich nicht mehr mit hoch erhobenem Haupt im Spiegel sehen zu dürfen! Heliodora ist ein süßes Geschöpf, ein Engel an Güte gewesen. Sie hat mich innig geliebt; aber das, das! Auch für sie ist dies Opfer zu groß!«
Damit drückte er die Faust auf die Stirn und warf sich auf den Diwan. Müde mochte er sich fühlen; denn er hatte mehr als dreißig Stunden kein Auge geschlossen und heute früh schon mancherlei in Ordnung gebracht.
Dem Hausverwalter Sebek und dem Kommandanten der ägyptischen Wache war der Befehl erteilt worden, den Besitzer der Sandalen mit Hilfe der Hunde herauszufinden und festzunehmen; ferner hatte er den arabischen Kaufherrn Haschim aus freiem Antrieb – denn der Vater schlief gewöhnlich erst gegen Morgen und war noch nicht aus seinen Gemächern getreten – wegen der Unbill, die seinem Karawanenhaupt Rustem unter seinem Dach begegnet war, zu beruhigen versucht, aber mit geringem Erfolg. Drittens hatte der auch den schwersten körperlichen und geistigen Anstrengungen gewachsene Jüngling sein Verlangen, für die schöne Heliodora in Konstantinopel einige Zeilen zu dichten, befriedigt.
Den Gedanken, der ihm gestern vor dem Einbruch in das Tablinum gekommen, hatte er nicht vergessen; ihn in Verse zu bringen, gelang ihm spielend auch in seiner heutigen Stimmung, und sie lauteten also:
»Gleiches gesellet sich gern, so heißt es im Volke, zu Gleichem;
Wie? Und dein weiches Gemüt freut sich des härtesten Steins?
Ja, ist er edel und schön und zugleich von unschätzbarem Werte,
Gleicht Heliodoren der Stein, zieht er die Herrliche an.
Freue dich denn des Smaragds und wisse, das leuchtende Feuer,
Das ihn erfüllt, es durchglüht heißer die Seele des Freunds.«
Mit fliegender Feder waren diese Distichen niedergeschrieben worden, und dabei hatte ihn, er wußte selbst nicht warum, das Gefühl beseelt, jedes Wort, das er da hinwarf, sei ein gegen Paula geführter Schlag.
Er hatte gestern Nacht im Sinn gehabt, den kostbaren Stein der schönen Witwe würdig gefaßt zu übersenden, aber heute wär’ es ein tolles Wagnis gewesen, eine solche herstellen zu lassen. Er mußte ungesäumt fortgeschickt werden, und er hatte ihn schnell und mit eigener Hand samt den Versen verpackt und ihn dem Chusaren, dem Diener eines Pferdehändlers in Konstantinopel, übergeben, von dem sein pannonisches Viergespann nach Memphis geleitet worden war. Diesen zuverlässigen Mann, der gar kein ägyptisch und sehr wenig griechisch verstand, hatte er vorhin selbst abgefertigt und sich, als sein Roß im Staube der nach Alexandria führenden Straße verschwunden war, beruhigt nach Hause begeben. Es stachen von der Hafenstadt aus sehr häufig Schiffe nach Konstantinopel in See, und dem Chusaren war befohlen worden, das erste beste zu benützen. Vergeblich hatte er die widrige That wenigstens nicht begangen, und dennoch wäre er, wenn er sie ungeschehen hätte machen können, bereit gewesen, ein Jahr seines Lebens zu opfern.
»Unmöglich« und »verwünscht« waren die Worte, deren er sich bei der Rückschau auf die vergangene Nacht und den heutigen Morgen am stetigsten bediente. Wie hatte er bei dieser Sonnenglut hasten und jagen müssen, und die Empfindung, dabei gezwungen gewesen zu sein, lauter Heimlichkeiten zu üben, erschien ihm, der bisher nichts begangen hatte, was vor den Augen ehrenhafter Männer nicht zu rechtfertigen gewesen wäre, so demütigend, daß es ihm den Schweiß auf die ohnehin glühende Stirn trieb.
Er, Orion, sich wie ein Dieb vor Entdeckung fürchten müssen! Es war nicht auszudenken, und er fürchtete sich, fürchtete sich wirklich zum erstenmale, seit er den Knabenjahren entwachsen.
Sein Glücksstern, der ihm in der Hauptstadt hell und freundlich geleuchtet hatte, schien ihm in diesem verkommenden Neste untreu zu werden. Was war der Perserin, mit der ihn einmal eine flüchtige Liebelei verbunden – und welcher Altersgenosse war denn blind für die Reize hübscher junger Sklavinnen im Hause? – durch das verwirrte Hirn gefahren, daß sie ihn angefallen hatte wie ein wütendes Raubtier? Sie war ein reizendes Kind gewesen und zu seinem Verdruß, ja zu seinem Kummer schmählich verstümmelt worden. Kam sie wieder auf, und er hätte darum beten mögen, so war es natürlich seine Sache, für sie – und wie! – für sie zu sorgen. Wollte er billig sein, so mußte er anerkennen, daß sie wohl berechtigt war, ihn zu hassen; aber die Damascenerin? Ihr hatte er nichts als Freundliches erwiesen, und wie rückhaltlos und unverschleiert hatte sie ihm dennoch ihre Feindseligkeit gezeigt. Er sah sie vor sich mit dem Worte »Mörder« auf den bebenden Lippen. Wie ein Lanzenstich hatte das Wort ihn getroffen.
Welch eine gehässige, nichtswürdige, ungerechte Anklage lag in diesem Rufe! Sollte er ihn ungestraft hinnehmen?
War sie denn selbst so schuldlos wie hochmütig und kalt? Was hatte sie mitten in der Nacht in das Viridarium geführt? Denn dort mußte sie gewesen sein, bevor der unglückselige Hund Mandane zu Boden gerissen! Von einem Stelldichein mit dem Besitzer der von seiner Mutter entdeckten Schuhe, die einem niederen Stallbeamten angehörten, konnte keine Rede sein. Liebe, sagte er sich, war hier ausnahmsweise nicht mit im Spiele, aber bei seiner Heimkehr hatte er einen Mann über den Hof kommen sehen, der ihrem Freigelassenen, dem Bereiter Hiram, ähnlich gewesen. Wahrscheinlich hatte sie mit dem Stotterer eine Zusammenkunft gehabt, um, um... Hier war nur eines wahrscheinlich... Sie plante die Flucht aus seinem elterlichen Hause und bedurfte dazu dieses Mannes Beistand.
Daß von der Mutter ihr das Leben nicht eben versüßt worden war, das hatte er schon in den ersten Stunden nach seiner Heimkehr bemerkt, und doch war vielleicht auch der Vater ihrem Wunsche, eine neue Heimat zu suchen, entgegengetreten. Aber warum floh, warum haßte sie auch ihn? Auf der Wasserfahrt und bei der Heimkehr nach derselben hätte er schwören mögen, daß sie ihn liebe, und die Erinnerung an diese Stunden brachte sie ihm wieder ganz nahe und verwischte jeden Gedanken an die Rache, die er an ihr nehmen, an die Strafe, die er über sie verhängen wollte. Dann kam ihm die kleine Katharina in den Sinn, die ihm die Mutter zur Gattin bestimmte, und im Gedanken an sie lachte er leise vor sich hin. Er hatte in einem kaiserlichen Garten in Konstantinopel einen fremden indischen Vogel mit ganz kleinem Leibe und Köpfchen und einem ungeheuren, wie Silber und Perlenschmelz glänzenden Schweif gesehen. So war Katharina. Sie selbst ein winziges Nichts, – aber als Schweif hingen an ihr weite liegende Gründe und große Kapitalien, und die, die allein sah die Mutter; aber brauchte er denn noch mehr, als er hatte? Wie reich mußte der Vater sein, daß er eine so ungeheure Summe unbedenklich, wie man dem Bettler ein Almosen schenkt, für eine Spende an die Kirche ausgeben konnte!
Katharina und Paula!
Ja, ein munteres, flinkes Ding war die Kleine, aber die Tochter des Thomas... Welche Macht lag in ihren Augen, welche Majestät in ihrem Gange, wie, wie, wie bezaubernd wohltönend konnte – konnte ihre Stimme, ja ihre Stimme – in —
Dabei entschlief er, von Hitze und Müdigkeit übermannt, und ein Traum zeigt ihm Paula, wie sie, von wundervollen, das Herz berückenden Tönen umklungen, auf einem mit Rosen bestreuten Lager ruhte, das kein Polster war, sondern ein blaues, leicht bewegtes Gewässer, wie er sich ihr nahte, und wie plötzlich ein großer schwarzer Adler auf ihn niederschoß, ihm mit den Schwingen ins Gesicht schlug, und während er sich halb geblendet an die Augen faßte, die Rosen von dem Lager der Schläfert fortpickte wie ein Huhn Durra und Gerste. Da ward er zornig, stürzte sich auf den Vogel und griff mit den Händen nach ihm; doch sein Fuß war wie in den Boden gewachsen, und je mehr er sich anstrengte, sich frei zu bewegen, desto kräftiger ward er zurückgehalten. Wie ein Unsinniger kämpfte er gegen die ihn fesselnde Gewalt, und plötzlich ließ sie ihn frei. Er fühlte es noch, aber zu gleicher Zeit wachte er auf und öffnete schweißtriefend die Augen. Neben seinem Lager stand seine Mutter, die ihm die Hände auf die Füße gelegt hatte, um ihn zu wecken.
Sie sah bleich und besorgt aus und bat ihn, ihr schnell zum Vater zu folgen, der schwer beunruhigt sei und mit ihm zu reden wünsche. Darauf verließ sie ihn hastig.
Während er sich eilig die Locken ordnete und die Schuhe anschnüren ließ, verdroß es ihn, daß er, noch ganz eingenommen von dem thörichten Traum und verschlafen, wie er gewesen, die Mutter hatte gehen lassen, ohne sich über die Umstände zu vergewissern, welche die Besorgnis des Vaters wach gerufen hatten. Ob sie sich auf die Vorgänge der vergangenen Nacht bezog? Aber nein. Hätte man ihn verdächtigt, dann würde die Mutter ihn jedenfalls benachrichtigt und gewarnt haben. Es mußte sich um etwas anderes handeln! Vielleicht war der stattliche Karawanenführer des alten Kaufmanns seiner Wunde erlegen, und sein Vater wollte ihn über den Nil zu dem arabischen Regenten des Nilthals senden, um seine Vergebung für den in der Statthalterei verübten Mord eines Muslims zu erwirken. Dieser Totschlag konnte in der That schlimme Folgen nach sich ziehen, indessen handelte es sich vielleicht um ganz andere Dinge.
Nachdem sein Zimmer hinter ihm lag, belastete ihn eigentümlich die Schwüle, welche über dem Hause brütete, schwer, und es erfaßte ihn ein peinliches, der Scham nahe verwandtes Gefühl, als er das Viridarium durchschritt und einen Blick auf den Rasen warf, in dem er vor Anbruch des Tages, dank der übel gemeinten Warnung der Damascenerin, jede seiner Fußspuren sorglich verwischt hatte. Wie feig, wie gemein das alles war! Das höchste Gut: die Ehre, die Selbstachtung, das stolze Bewußtsein, ein braver Gesell zu sein, aufs Spiel gesetzt, eingebüßt für ein Nichts! Er hätte sich ins Gesicht schlagen oder laut aufweinen mögen wie ein Kind, das sein schönstes Spielzeug zerbrochen. Aber was half das alles? Das Geschehene war nicht zu ändern, und es galt jetzt, die Augen offen halten, um, wie tief er auch vor sich selbst gesunken war, wenigstens in den Augen der anderen das zu bleiben, was er gewesen.
In dem von Bauwerken umschlossenen offenen Raum war es glühend heiß, kein Mensch ließ sich sehen, das Haus war wie ausgestorben, die bunten Fahnenstöcke und Spaliere, sowie die zu Ehre seiner Heimkehr neu gefärbten Säulen an den Veranden, die noch immer mit Gewinden und Kränzen geschmückt waren, verbreiteten den ihm widrigen Geruch von schmelzendem Lack, trocknendem Firnis und verwelkten Blumen. Obgleich kein Windhauch sich regte, zitterte die Luft, und es schien, als werde dies durch die glühenden Sonnenstrahlen verursacht, welche wie Pfeile an alles, was ihnen entgegenstand, prallten. Die Schmetterlinge und Libellen über den Pflanzen und Blüten schienen Orion die Schwingen langsamer zu regen, der Springbrunnen im Mittelstück des Viridariums träger und niedriger aufwärts zu streben als sonst; alles rings um ihn her war heiß, schwül, beklemmend, und der einst selbstbewußte, auf Händen getragene junge Mann, der seit Jahren, von allen guten Geistern beschützt und von keiner Schranke gehemmt, durchs Leben gestürmt war, fühlte sich behindert, beengt, beängstigt.
In dem kühleren Brunnengemach seines Vaters atmete er auf, aber nur für einen Augenblick; dann wich ihm das Blut aus den Wangen, und er mußte sich mühsam zusammenraffen, um dem Vater ruhig und in gewohnter Weise den Morgengruß zu bieten; denn da lag vor dem Diwan, auf dem der Statthalter wie gewöhnlich ruhte, der persische Teppich, und neben ihm standen seine Mutter und der arabische Kaufherr. Der Hausverwalter Sebek harrte im Hintergrunde in demütiger, seinen alternden Rücken marternder Stellung der Befehle seines Gebieters, der ihn sonst niemals lange in dieser Stellung beließ. Orion bemerkte es und winkte ihm zu, sich aufzurichten.
Ueber des Arabers milde Züge breitete sich heute tiefer Ernst, und schwere Bekümmernis sprach aus seinen freundlichen Augen. Beim Eintritt des Jünglings, den er schon in der Frühe gesprochen, verneigte er sich flüchtig.
Der Statthalter, welcher erdfahl und mit weißen Lippen dalag, öffnete die Augen nur leicht bei des Sohnes Begrüßung. Es war, als stünde in der Nebenstube ein Sarg, und als hätten sich hier Leidtragende zusammengefunden.
Orion bemerkte an dem nur halb ausgelegten Teppich sogleich die Stelle, an der das Hauptstück desselben, der große Smaragd, fehlte, welcher – er allein konnte es wissen – sich auf dem Wege nach Konstantinopel befand. Sein Diebstahl war bemerkt worden. Wie furchtbar, wie verhängnisvoll konnte sich nun dies alles gestalten! »Mut, Mut! Nur die Geistesgegenwart nicht verloren!« rief er sich selbst zu. »Was soll mir ein Leben mit verlorener Ehre? Die Augen offen, alles darangesetzt, Orion!«
Und es gelang ihm, sich schnell zu sammeln, und in einem Tone, der sich nur wenig von seiner sonstigen lebhaften Frische unterschied, rief er:
»Wie ihr alle ausseht und dreinschaut! Es ist ja ein großes Unglück, daß der Hund dem armen Mädchen so übel mitgespielt hat und daß sich unsere Leute so schmählich betragen; aber ich sagte Dir ja schon vorhin, würdiger Herr: es geht den Uebelthätern an Hals und Kragen. Der Vater überläßt es Dir gewiß, sie nach Gutdünken zu strafen, und außerdem ist unser Arzt Philippus trotz seiner Jugend ein zweiter Hippokrates, glaub’ mir’s! Er flickt den prächtigen Kerl, Dein Karawanenhaupt mein’ ich, schon wieder zusammen, und wenn es sich um Schadenersatz handelt, so wird sich der Vater... Du weißt ja, daß er nicht knausert...«
»Ich bitte Dich, zu dem Unrecht, das mir in diesem Hause widerfuhr, nicht noch Beleidigungen zu fügen,« unterbrach ihn der Kaufmann. »Es gibt keine Summe, mit der man mir den Zorn über das vergossene Blut eines Freundes – denn das ist mir Rustem – eines freien, wackeren Burschen abkaufen könnte. Auf die Züchtigung der Thäter werde ich dringen; denn Blut fordert Blut. So denken wir, und wenn eure Lehre auch das Gegenteil gebietet, so handelt ihr, so viel ich weiß, doch keineswegs anders. Eurem Arzt alle Ehre, aber es thut mir weh und erregt mir die Galle, wenn ich solche Dinge im Hause des Mannes vorgehen sehe, dem der Chalif das Wohl und Weh der ägyptischen Christen anvertraut hat. Eure gepriesene Milde hat einen braven, wenn auch schlichten Menschen im tiefsten Frieden getötet, oder doch wahrscheinlich auf immer unglücklich gemacht. Was die Redlichkeit angeht, so scheint sie...«
»Wer wagt es, sie anzutasten?« rief Orion.
»Derjenige, junger Herr,« versetzte der Kaufmann mit der Ruhe des reifen Mannes, »welcher die Ware, die er gestern Abend verkaufte, heute ihres wertvollsten Schmucks beraubt sieht.«
»Man hat den großen Smaragd bei Nacht aus dem Teppich gerissen,« fiel Frau Neforis erklärend ein. »Du begleitetest gestern Abend die Leute, welche ihn forttrugen, und ließest ihn unter Deinen Augen ins Tablinum legen.«
»In dem Tuche, worin Deine eigenen Leute den Teppich gewickelt,« rief Orion. »Der alte, brave Sebek dort war mit dabei. Wer hat den Ballen heut früh von seinem Platz entfernt, ihn hieher gebracht und auseinander gebreitet?«
»Zu unserem Glücke,« entgegnete der Kaufherr, »Deine Frau Mutter in eigener Person, dieser Mann da – euer Hausverwalter, wenn ich nicht irre – und eure eigenen Sklaven.«
»Warum ließ man ihn nicht, wo er war?« fragte Orion, indem er dem Unwillen, welcher ihn in diesem Augenblick wirklich beherrschte, freien Lauf ließ.
»Weil ich,« versetzte der Araber, »Deinem Vater mit gutem Grunde versicherte, daß die Schönheit dieses edlen Werkes und der Glanz der Steine, welche es schmücken, sich bei Tage und im Sonnenlichte ganz anders würdigen ließen als beim Schein der Lampen und Lichter.«
»Da wünschte der Vater seinen neuen Besitz wiederzusehen,« unterbrach ihn Neforis, »und den Verkäufer zu fragen, wie man die Juwelen am besten aus dem Teppich lösen könne, ohne das Gewebe selbst zu zerstören. Daraufhin bin ich mit Sebek in das Tablinum gegangen.«
»Aber ich habe den Schlüssel dazu!« rief Orion und faßte in die Brustfalten seines Gewandes.
»Das hatten wir vergessen,« fuhr die Hausfrau fort. »Leider ging es auch ohne ihn; denn das Tablinum stand offen.«
»Ich hab’ es gestern verschlossen; Du bist dabei gewesen, Sebek.«
»Ich sagte schon der Herrin,« erwiderte der Hausverwalter, »daß ich mich wohl erinnere, das Einschnappen des festen Schlosses gehört zu haben.«
Orion zuckte die Achseln, und seine Mutter fuhr fort:
»Aber in der Nacht muß die eherne Thür mit einem Nachschlüssel oder sonstwie geöffnet worden sein; denn ein Stück des Teppichs war aus dem Tuche, das ihn umgab, herausgezogen, und als wir näher hinblickten, fand es sich, daß man den Smaragd aus der Fassung gerissen.«
»Schändlich!« rief Orion.
»Nichtswürdig!« fügte der Statthalter hinzu und fuhr von seinem Lager heftig auf. Eine große Unruhe und marternde Angst hatten ihn überfallen; denn sein Herr und Heiland, dem er das kostbare Juwel zugedacht hatte, schien ihn für zu gering und sündhaft zu erachten, um es aus seiner Hand als Geschenk anzunehmen. Aber vielleicht wollte ihn der Satan nur hindern, sich dem Höchsten mit einer so herrlichen Gabe zu nahen. Menschliche Niedertracht war hier jedenfalls mit im Spiel, und so fuhr er streng und eifrig fort:
»Man wird die Sache untersuchen, und im Namen Jesu Christi, dem der Stein schon gehörte, werde ich nicht ruhen und rasten, bis der Thäter in meiner Hand ist.«
»Und im Namen Allahs und des Propheten,« fügte der Araber hinzu, »werde ich Dir darin beistehen, und sollt’ ich den Feldherrn Amr, der den hohen Chalifen in diesem Lande vertritt, zu Hilfe rufen müssen! Hier ist ein Wort gefallen, das ich nicht vergessen kann und darf, und der Ton, dessen Du Dich bedientest, junger Mann, schien aus dem gleichen Quell zu entspringen; der alte Fuchs, hieß es – hat einen unechten Stein von unglaublicher Größe in den Teppich gesetzt und ihn stehlen lassen, damit sein Betrug nicht zu Tage komme, wenn der Goldschmied das Juwel im Sonnenlicht untersucht. Das war zu viel! Ich bin ein redlicher Mann, meine Geehrten, und hier muß ich’s ja sagen, ein reicher zugleich, und wer den Ruf, den ich mir ein langes Leben unangetastet bewahrte, in meinen alten Tagen herabzuziehen versucht, der soll zu seinem Schaden erfahren, daß dem alten Haschim größere und mächtigere Freunde zur Seite stehen, als es euch lieb sein möchte!«
Bei diesen drohenden Worten waren die milden Augen des Kaufmanns feucht geworden; denn es that ihm weh, sich ungerecht verdächtigt zu sehen und dem Mukaukas, vor dem er Achtung empfand und der sein Mitleid erweckte, so scharf entgegen treten zu müssen. Aus dem Ton seiner Rede ging hervor, daß er in der That ein zum Aeußersten entschlossener, mächtiger Mann sei, und darum unterbrach Orion ihn lebhaft und rief: »Wer hat es gewagt, so niedrig von Dir zu denken?«
»Leider Deine eigene Mutter,« versetzte der Muslim betrübt und zog in morgenländischer Weise kummervoll und unwillig die Schultern hoch in die Höhe.
»Trag es ihr nicht nach,« bat der Mukaukas. »Gott weiß es, die Weiber haben weichere Herzen als wir, und doch sind sie eher geneigt, Böses von den Mitmenschen und namentlich von den Feinden ihres Glaubens zu denken. Dafür sind sie freilich auch für das Gute schneller empfänglich. Des Weibes Haar ist lang, sein Verstand aber kurz, heißt das Sprichwort!«
»Was ihr uns Frauen nicht alles nachsagt!« entgegnete Neforis. »Aber schilt nur, schilt, wenn es Dich erleichtert.« Dann fuhr sie, während sie ihrem Gatten die Kissen liebreich zurechtrückte und ihm ein neues weißes Kügelchen reichte, fort: »Heute laß ich auch das Schlimmste über mich ergehen; denn ich bin im Unrecht. Ich habe Dich schon um Vergebung gebeten, würdiger Haschim, und thu’ es jetzt nochmals, thu’ es von Herzen!«
Dabei näherte sie sich dem Araber und gab ihm die Hand; doch dieser ergriff sie nur leicht und um sie schnell wieder frei zu geben und sagte:
»Es fällt mir nicht schwer, zu vergeben; aber unmöglich würde es mir sein, unter euch und wo auch immer, auch nur ein Staubkorn auf meinem blanken und reinen Namen sitzen zu lassen. Ich werde, ohne nach links oder rechts zu sehen, diese Angelegenheit rücksichtslos verfolgen. Und nun eine Frage: Der Hund, der vor dem Tablinum lag, ist ein bissiges, wachsames Tier?«
»Wie bissig er ist, hat er leider an der armen persischen Sklavin bewiesen, und seine Wachsamkeit ist im ganzen Hause bekannt,« rief Orion.
»Ich aber,« sagte Frau Neforis, »bitte Dich und zwar gewiß in unser aller Namen, würdiger Herr, uns mit Deiner Erfahrung zu helfen. Ich selbst... Warte nur – warte! Eine Frau hat trotz des langen Haares und kurzen Verstandes manchmal doch einen glücklichen Einfall. Vielleicht bin ich die erste, die eine Spur des Thäters findet. Der Einbrecher, das leuchtet ein, muß zu den Leuten des Hauses gehören, schon weil der Hund ihm nichts angethan hat. An Paula, die Tochter des Thomas, welche der Perserin so wundervoll schnell zu Hilfe eilte, darf man nicht denken...«
Hier unterbrach sie ihr Gatte und rief ihr unwillig zu: »Das Mädchen bleibt mir aus dem Spiel, Frau!«
»Als ob ich sie für die Spitzbübin hielte!« entgegnete Neforis verletzt und zuckte die Achseln, während Orion mit leisem Vorwurf ausrief: »Aber, Mutter, bedenke...« und der Kaufherr die Frage stellte:
»Ist die Jungfrau gemeint, von der ich gestern so harte Worte hinnehmen mußte? Nun denn, für ihre Unschuld bürg’ ich mit meinem ganzen Vermögen. Dieses schöne, leidenschaftliche Geschöpf ist keiner unlauteren Handlung fähig.«
»Leidenschaftlich?« lächelte Neforis, »Ihr Herz ist so kühl und hart wie der gestohlene Smaragd; wir haben’s erfahren.«
»Und dennoch,« rief Orion, »ist sie keiner Niedrigkeit fähig!«
»Wie sich die Männer für ein paar schöne Augen ereifern!« unterbrach ihn die Mutter. »Aber ich denke auch nicht im entferntesten an sie; ich habe etwas ganz anderes im Sinne. Es wurden gestern neben der Verwundeten ein Paar Männerschuhe gefunden. Ist mit ihnen geschehen, Sebek, was der Herr Orion befohlen?«
»Sogleich, Frau,« versetzte der Hausverwalter, »und ich warte schon lange auf den Befehlshaber der Wache; den Psamtik...«
Hier ward er unterbrochen; denn der Genannte, der schon seit zwanzig Jahren die Hauswache des Mukaukas kommandirte, wurde in das Zimmer geführt und begann, nachdem er wenige Vorfragen beantwortet, mit so lauter Stimme, daß sie dem Statthalter weh that und seine Gattin ihn leiser zu sprechen auffordern mußte, seinen Bericht abzustatten.
Die Schweiß– und Dachshunde waren losgelassen worden, nachdem man ihnen die Sohlen unter die Nasen gehalten, und ein paar Teckel hatten schnell den Weg zu dem Gesindepförtchen gefunden, wo Hiram auf Paula gewartet. Dann waren sie vor der Treppe stehen geblieben, hatten dort hin und her geschnüffelt und waren einige Stufen hinauf gesprungen.
»Und diese Treppe führt in Paulas Zimmer,« warf Neforis achselzuckend ein.
»Aber die Dachse waren auf falscher Fährte,« unterbrach sie der Befehlshaber eifrig. »Das Krötenzeug hätte noch unschuldige Seelen in Verdacht bringen können! Bald stürzten die Köter alle zusammen in die Herrenställe zu unseren edlen Rossen und rannten dort auf und ab wie der Satan, der hinter einer verdammten Seele her ist. Den Buben des Freigelassenen, der mit der Tochter des großen Thomas von Damaskus hergekommen, hätte die Bande bald umgerissen, und in der Wohnung seines Vaters, da ging’s dann erst recht los. Himmel und Erde, da gab es ein Gekläffe, Geheul und Gewinsel! In jeden alten Lappen haben sie die Nasen gebohrt, und nun wußten wir, wo der Weinschlauch das Loch hat. Leid thut es mir um den Mann; denn er ist ein verdammter Stotterer, doch als Reiter und was das Pferd an ihm angeht, alle Ehre! Dem Hiram gehören die Sohlen so gewiß wie mir meine Augen; aber erwischt haben wir ihn noch nicht. Er ist über den Strom; denn ein Nachen fehlte, und da, wo er gelegen, ging das Geheul wieder los. Nehmen ihn die Ungläubigen drüben nicht in Schutz, dann kriegen wir ihn sicher!«
»So hätten wir denn den Verbrecher!« rief Orion und schöpfte dabei so tief Atem, als sei ihm eine Last von der Seele genommen. Dann fuhr er befehlshaberisch fort, und seine Stimme hatte dabei einen so ingrimmigen Klang, daß das Rot, welches ihm vorhin in die Wangen gestiegen, doch schwerlich der Freude über die letzte gute Botschaft ihren Ursprung verdanken konnte:
»Ist er zwei Stunden nach Mittag nicht zurück, so setzest Du ihm mit all Deinen Leuten nach und lieferst ihn ein. Der Vater stellt Dir einen Schein aus, und die Araber drüben werden Dir beistehen. Vielleicht ist der Dieb schon früher in unserer Hand und mit ihm der Smaragd, wenn es dem Schurken nicht gelingt, ihn beiseite zu bringen oder zu verkaufen!« Dann senkte er die Stimme und fuhr im Ton des Bedauerns fort. »Schad’ um den Mann! Wir haben keinen besseren Pferdekenner im Stalle! Da hast Du wieder einmal Dein Wort bestätigt, Mutter! Um gut bedient zu sein, muß man Spitzbuben kaufen!«
»Eigentlich,« versetzte Frau Neforis bedenklich, »gehört Hiram gar nicht zu unserem Gesinde. Er ist ein Freigelassener des Thomas und kam mit seiner Tochter hieher. Seine Brauchbarkeit im Stall rühmt ein jeder; ohne diesen Einbruch hätten wir ihn zeitlebens behalten; aber wär’ es dem Mädchen in den Sinn gekommen, uns zu verlassen und ihn mitzunehmen, so hätten wir ihn nicht zurückhalten können. Sagt, was ihr wollt, lästert und schmäht mich: ich habe nun einmal nichts von dem, was ihr Einbildungskraft nennt, und sehe die Dinge nackt, wie sie sind: ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Mädchen und dem Diebe muß dennoch bestehen.«
»Du sollst endlich von diesen Thorheiten schweigen,« fuhr ihr Gatte auf, und er hätte noch mehr gesagt, wenn nicht im gleichen Augenblick der Anmelder Gehör für den jüdischen Juwelier Gamaliel erbeten hätte. Der Mann sei gekommen, um Auskunft über den verlorenen Edelstein zu erteilen.
Orion erblaßte bei dieser Nachricht und wandte sich von dem Kaufherrn ab, während der Israelit eintrat, der am letzten Abend mit den Beamten am Feuer gesessen.
Ungesäumt begann er seinen Bericht, und zwar in der ihm eigenen munteren Weise. Er war so reich, daß ihm der drohende Verlust nicht nahe genug ging, um ihm die gute Laune völlig zu verderben, und so redlich, daß es ihn freute, veruntreutes Gut dem rechtmäßigen Besitzer zurück zu erstatten. In aller Frühe, teilte er mit, sei der Bereiter Hiram bei ihm gewesen, um ihm einen wunderbar großen und schönen Smaragd zum Kauf anzubieten. Der Freigelassene habe versichert, das Juwel gehöre zur Hinterlassenschaft des berühmten Thomas, seines früheren Herrn. Es habe zu dem Hauptzeuge des Hengstes gehört, den der Held von Damaskus zuletzt geritten, und mit diesem sei es ihm zugekommen.
»Ich bot ihm,« fuhr der Mann fort, »was mir recht schien, und gab ihm als Anzahlung zweitausend Drachmen; den Rest bat er mich einstweilen in Verwahrung zu nehmen. Ich ging darauf ein, aber bald summte mir eine Fliege Verdacht ins Ohr. Da führten die Häscher die Spürhunde in die Stadt. Gott sei mir gnädig, welch ein Gekläff! Geberdet hat sich das Viehzeug, als wollt’ es mein armes Haus in Stücke bellen, wie die Posaunen vor den Mauern von Jericho, ihr wißt ja. ›Was gibt es da Neues?‹ fragte ich den Herrn Hundemeister, und sieh da, mein Verdacht war so echt gewesen wie der Smaragd, und hier, Herr Statthalter, bring’ ich das Steinchen, und weil ja jeder Säugling in Memphis schon von der Amme hört, wenn sie nicht stumm ist, ein wie gerechter Mann der große Mukaukas Georg ist, wirst Du mir wiedergeben, was ich dem stotternden Spitzbuben vorschoß. Du machst dabei immer noch ein gutes Geschäft, edler Herr; denn ich verlange für die zwei Stunden, die das Juwel mein war, nicht einmal Verpflegungsgeld oder Zinsen.«
»Her mit dem Stein!« unterbrach der Araber, den der scherzende Ton des Juden verdroß, seine Erzählung, entriß ihm den Smaragd, wog ihn in der Hand, hielt ihn dicht unter die Augen, entfernte ihn dann wieder weit von denselben, beklopfte ihn mit einem Hämmerchen, das er aus der Brusttasche zog, paßte ihn in die aus dem Teppich gerissene Stelle ein und prüfte ihn dann bald mit scharfen, bald mit bedenklichen und endlich wieder mit befriedigten Blicken.
Bei dem allen hatte Orion mehr als einmal die Farbe gewechselt, und heller Schweiß perlte ihm jetzt über das schöne, bleiche Gesicht. War hier ein Wunder geschehen? Wie konnte dieser Stein, der sich doch auf dem Weg nach Alexandria befand, in des Juden Hände gelangt sein? Oder sollte der Chusar das Paketchen geöffnet und seinen Inhalt an Hiram und durch ihn an den Juwelier verkauft haben? Er mußte klar sehen, und während der Araber den Stein untersuchte, näherte er sich dem Goldschmied und fragte: »Hast Du sicher und gewiß – es handelt sich hier um Kerker oder Freiheit – den Stein von dem syrischen Bereiter Hiram erstanden und von keinem andern? Ich meine: ist Dir der Mann so genau bekannt, daß kein Irrtum möglich?«
»Gott soll hüten!« entgegnete der Jude und trat einen Schritt von Orion zurück, der ihn mit funkelnden Augen drohend anschaute. »Wie kann der junge Herr da wohl zweifeln! Der verehrliche Vater kennt mich seit dreißig Jahren, und ich, ich sollte den Damascener nicht kennen? Wer versteht denn noch weiter in Memphis so schön zu stottern? Hat er mir nicht mit euren jungen Wüterichen von Hengsten die Hälfte meiner Kinder ums Leben gebracht? Jedes einzelne, mein’ ich, hat er mir halb, gerade halb tot gemacht vor Schrecken. Munter sind sie darum noch alle, Gott soll sie behüten, aber gesünder sind sie durch den Bereiter gerade nicht geworden; denn freie Luft thut den Kindern gut, und um seiner greulichen Kunststücke willen hat sie mein Rebeckchen, bis er wieder zu Haus war, in der Stube gehalten.«
»Gut, gut!« unterbrach ihn Orion; »und zu welcher Stunde bot er Dir den Verkauf des Smaragds an? Genau! Besinne Dich gut! Wann ist es gewesen? Du mußt es noch wissen!«
»Adonai, wie soll ich!« versetzte der Jude. »Aber warte nur, Herr, vielleicht läßt sich’s doch sagen. Bei dieser Hitze sind wir aus, bevor die Sonne hervortritt, dann wird gebetet und die Morgensuppe gegessen, dann...«
»Unnützes Gewäsch!« drängte Orion.
Doch Gamaliel fuhr fort, ohne sich irre machen zu lassen: »Dann springt die kleine Ruth mir auf den Schoß und zieht mir die weißen Härchen aus, die mir da gern auf der Nase wachsen, und wie das Kind eben dabei war und ich ›Au weh‹ schrie, hatte die Sonne gerade die Lehmbank erreicht, auf der sich das zutrug.«
»Und wann erreicht sie die Bank?« rief der Jüngling.
»Genau zwei Stunden nach Sonnenaufgang,« versetzte der Jude, »in dieser Jahreszeit nämlich. Erweise mir morgen früh die Ehre, Dich zu mir zu begeben, und es reut Dich gewiß nicht; denn Du wirst schöne Waren, bildschöne, zu sehen bekommen, – und sieh selbst nach dem Schatten!«
»Zwei Stunden nach Sonnenaufgang,« murmelte Orion leise vor sich hin und sagte sich dann mit neuem Grausen, daß er wohl vier Stunden später das Päckchen dem Chusaren anvertraut hatte. An der Aussage des Juden war nicht zu zweifeln. Dieser reiche, redliche und fröhliche Mann log nicht, und so konnte denn das von ihm versandte und das von Hiram verkaufte Juwel in keinem Falle das gleiche sein. Aber wie erklärte sich das alles? Es war um den Verstand zu verlieren! Und nicht reden dürfen, wo schon bloßes Schweigen Betrug war, Betrug gegen Vater und Mutter! Wenn der unselige Stotterer nur entwischte! Brachte man ihn ein; dann – dann, gütiger Himmel! Aber nein, es war ja nicht auszudenken! Vorwärts also, nur vorwärts! Und im äußersten Falle – hundert Stallknechtsehren wogen die eines Orion noch lange nicht auf – dann mußte der Mann, so entsetzlich es war, dann mußte er preisgegeben werden! Daß er bald wieder frei kam und ihm das Leben bewahrt blieb, dafür wollte und konnte er sorgen! —
Der Kaufherr war indessen mit seiner Untersuchung zu Ende und doch nicht zu voller Gewißheit gelangt.
Orion hätte sie gern unterbrochen; denn wenn der Kaufherr jeden Zweifel fallen ließ und den zurückgebrachten Stein für den gestohlenen anerkannte, war viel gewonnen, und so wandte er sich ihm wieder zu und sagte. »Bitte, zeige mir den Smaragd noch einmal; es ist doch wohl unmöglich, einen zweiten zu finden?«
»Das hieße zu viel behaupten,« versetzte der Araber ernst. »Dieser Stein gleicht dem aus dem Teppich aufs Haar, doch hat er hier eine kleine Erhöhung, die ich an jenem nicht wahrgenommen habe. Freilich ward er nie aus der Fassung genommen, und vielleicht hat dieser kleine Hügel auf dem Gewebe gelegen; dennoch, dennoch – He, Goldschmied, gab Dir der Dieb den Smaragd ganz nackt, ganz ohne Fassung?«
»Nackt wie Adam und Eva, bevor sie den Apfel gegessen,« versetzte der Jude.
»Schade, schade!« rief der Kaufherr. »Es ist mir auch, als wäre der Stein im Teppich ein wenig länger gewesen. In diesem Falle ist es ja beinahe thöricht und undenkbar, zu zweifeln, und doch fühl’ ich, doch frag’ ich mich: sollte dies wirklich der Stein sein, der in der Knospe gesessen?«
»Aber ums Himmels willen,« rief Orion, »der Doppelgänger eines so einzigen Juwels fällt doch nicht gleich aus der Luft in dasselbe Haus nieder! Freuen wir uns, daß das verlorene Schaf sich wieder gefunden. Ich schließe ihn jetzt in die eiserne Truhe, Vater, und sobald ihr den Räuber einfangt, werd’ ich gerufen; verstanden, Psamtik?«
Dann winkte er den Eltern zu, bot dem Araber die Hand und das in einer Weise, die jedermann wohlthun mußte und die auch den alten Herrn von neuem für ihn einnahm, und verließ das Gemach.
Des Kaufherrn Ruf war gerettet, doch der gewissenhafte Mann fühlte sich beunruhigt durch den Zweifel, dessen er nicht Herr werden konnte. Als er sich von dem Mukaukas verabschieden wollte, war dieser so tief in die Kissen zurück gesunken und hielt die Augen so fest geschlossen, daß niemand erkennen konnte, ob er wache oder schlafe, und so verließ ihn der Araber ungegrüßt, da er ihn im letzteren Falle nicht stören wollte.
Zehntes Kapitel.
Paula hatte sich nach den großen Erregungen der vergangenen Nacht mit fliegenden Pulsen auf das Lager geworfen. Der Schlaf floh sie, und so war sie mehr als zwei Stunden nach Sonnenaufgang ans Fenster getreten, um die Laden zu schließen. Dabei hatte sie ins Freie geschaut und gesehen, wie Hiram in eines der Boote des Mukaukas gesprungen war und das leichte Fahrzeug vom Lande abgestoßen hatte. Sie durfte weder rufen noch winken, aber nachdem der treue Mann in das offene Wasser gelangt war, hatte er sich umgeschaut, das Gesicht ihren Fenstern zugewandt, sie in ihrem weißen Morgengewand erkannt und das Ruder hoch und froh in die Höhe geschwungen. Das konnte nur bedeuten, daß er seine Aufgabe gelöst und ihr Kleinod verkauft habe. Jetzt fuhr er über den Nil, um den Nabbatäer zu werben.
Nachdem sie die Laden geschlossen und das Gemach verfinstert hatte, legte sie sich noch einmal nieder, und nun forderte die Jugend ihr Recht: die schwer Ermüdete verfiel in tiefen, traumlosen Schlummer.
Als sie mit perlender Stirn erwachte, war die Sonne nur noch wenig von der Mittagshöhe entfernt, fehlte nur noch eine Stunde an der Zeit des Ariston, des griechischen Frühstückes, das gemeinsam genossen wurde und dem gegen Abend die Hauptmahlzeit folgte. Sie hatte noch nie dabei gefehlt, und ihr Ausbleiben würde Aufsehen erregt haben.
Wie in allen vornehmen ägyptischen Häusern, so ging es auch in dem des Mukaukas mehr griechisch als ägyptisch zu, und dies bezog sich nicht nur auf die Mahlzeiten, sondern auch auf vieles andere, besonders auf die Sprache. Vom Hausherrn an bis zum jüngsten Mitglied der Familie redete man untereinander griechisch und nur mit den Dienstboten koptisch, die alte Landessprache, in welche freilich längst zahlreiche hellenische Lehn– und Fremdwörter eingedrungen waren.
Des Statthalters Enkelin, die hübsche zehnjährige Maria, hatte sich eher griechisch als koptisch fehlerfrei und geläufig auszudrücken gelernt, aber die schöne Sprache der Hellenen richtig zu schreiben war sie bei Paulas Ankunft noch nicht im stand gewesen. Diese liebte Kinder, sehnte sich nach Beschäftigung und hatte es darum aus freien Stücken übernommen, die Kleine in dieser Kunst zu unterrichten, und ihre Gastfreunde schienen anfänglich über diesen Dienst erfreut zu sein, aber sehr bald gewann das Verhältnis zwischen Frau Neforis und der Nichte ihres Gatten die unerfreuliche Gestalt, welche es beibehalten sollte, und nun hatte jene dem Unterricht ein Ende gemacht und als Grund für dies beleidigende Vorgehen angeführt, daß Paula ihrer Schülerin aus einem griechischen Andachtsbuche ihrer orthodoxen Konfession ganze Stücke diktirt habe. Dies war allerdings geschehen, aber ohne den geringsten Hintergedanken, und die ausgesuchten Stücke hatten nur Sätze enthalten, welche jedem Christen, gleichviel welcher Konfession, das Herz erheben konnten.
Die Kleine war über den Machtspruch der Großmutter in Thränen zerflossen, obgleich Paula die Lehrstunden sehr ernst genommen hatte, aber Maria liebte die ältere Freundin zärtlich und mit der ganzen Schwärmerei eines halberwachsenen Mädchens – so durfte man eine Zehnjährige in Aegypten nennen – die ihr leidenschaftliches Herz an eine schöne, ihr in jeder Hinsicht überlegene Jungfrau hängt, und Paulas Arme waren weit geöffnet für das Kind, welches Sonnenlicht in die düstere, frostige Lebensluft goß, die sie im Hause ihres Oheims umgab. Aber Frau Neforis sah in der feurigen Liebe des Kindes zu der melchitischen Verwandten etwas Uebertriebenes, Ungesundes, ja die Glaubenstreue der Kleinen Gefährdendes, und es kam ihr vor, als habe Maria unter dem Einfluß der Damascenerin das Herz von ihr ab– und jener um so zärtlicher zugewandt. Und dieser Eindruck schwebte nicht in der Luft; denn des Kindes ungewöhnliches Gerechtigkeitsgefühl ertrug es schwer, die Freundin verkannt, zurückgesetzt, oft laut und entschieden falsch und ungünstig beurteilt zu sehen, und so hielt Maria sich verpflichtet, so weit es an ihr lag, gut zu machen, was die Großmutter an der in ihren Augen vollkommenen Hausgenossin verschuldete.
Aber Neforis war nicht die Frau, dies Verhalten der Kleinen sich gefallen zu lassen. Sie war ihre Enkelin, ihres verstorbenen Sohnes einzige Tochter, und zwischen diese und sie sollte sich niemand stellen. So verbot sie ihr, Paula ohne einen bestimmten Auftrag auf ihrem Zimmer zu besuchen, und als eine griechische Pädagogin für das Kind angenommen worden war, empfing sie den besonderen Auftrag, ihren Zögling möglichst fern von der Damascenerin zu halten. Das alles fachte die Leidenschaft des Kindes nur an, und wie zärtlich die Großmutter es bisweilen an sich zog und so wenig Maria auch die Ergebenheit gegen sie außer Augen setzte, wollte es doch bei beiden nie zu recht gleichmäßiger Herzenswärme kommen, und daran war Paula ganz gewiß schuld, wenn auch gegen ihren Willen und durch ihr bloßes Dasein.
Offen und in hundert versteckten Andeutungen gab Frau Neforis der Nichte ihres Gatten zu fühlen, daß sie ihr die Enkelin entfremde, und so blieb Paula nichts übrig als das Kind, zu dem sie alles hinzog, von sich fern zu halten und ihm nur gelegentlich die ganze Fülle ihrer Liebe zu zeigen. Zuletzt hatte das Leben ihr so viel Harm bereitet, daß es ihr kaum mehr gelang, sich der Harmlosen harmlos wie früher hinzugeben, ein Kind mit dem Kinde zu sein, und Maria bemerkte dies wohl und schrieb Paulas verändertes Wesen dem Kummer zu, den sie über die Härte der Großmutter empfand.
Vor den Mahlzeiten konnte Maria am häufigsten bei der Freundin vorsprechen; denn dann beachtete sie niemand, und die Großmutter hatte ihr noch nicht verboten, die Freundin zu Tische zu rufen.
Ein Besuch bei ihr bot dem Kinde den größten Genuß, schon weil er ihr untersagt war, aber nicht weniger, weil Paula auf ihrem Zimmer sich ganz anders zeigte, als unter den anderen, weil sie sie dort ungestört anschauen, sie küssen und sich dabei sagen durfte, daß sie ihr gut sei. Dort erzählte sie ihr auch alles Erlaubte, das sich in ihrem kleinen Lebenskreise zutrug; doch sie zur Vertrauten einer Ungehörigkeit oder ihrer harmlosen Kinderstreiche zu machen, davon hielt das lebhafte und oft knabenhaft unternehmende Kind die Bewunderung zurück, die sie derjenigen zollte, an der ihr alles größer, edler, vornehmer vorkam als an anderen Menschen.
Wie Paula eben mit der Ordnung ihres Haares fertig geworden, klopfte Maria, die sogar in die Gemächer der Großmutter wie ein Brausewind stürzte, bescheiden an die Thür. Sie flog ihr nicht an den Hals wie der Witwe Susanna und ihrem munteren Töchterchen Katharina, sondern küßte nur ihren weißen Arm mit inbrünstiger Hingabe und errötete dann über und über vor Glückseligkeit, als Paula sich zu ihr niederbog, die Lippen auf ihr Haar und ihre Stirn drückte und ihr das feuchte, glühende Antlitz trocknete. Darauf nahm sie Marias Kopf freundlich zwischen die Hände und rief:
»Wie Du aussiehst, Wildfang!«
In der That war das hübsche, liebe Gesicht der Kleinen feuerrot und an den Augen so aufgeschwollen, als habe sie eben heftig geweint.
»Es ist so fürchterlich heiß,« versetzte Maria. »Eudoxia« – dies war ihre griechische Erzieherin – »sagt, daß Aegypten im Sommer ein feuriger Ofen sei, eine Hölle auf Erden. Sie ist ganz krank von der Hitze, liegt da wie ein Fisch auf dem Sande, und das einzige, was gut daran ist...«
»Sie hat Dich laufen lassen und Dir keine Stunden gegeben?«
Maria bejahte dies mit leisem Nicken, doch als keine Zurechtweisung erfolgte, wandte sie das Köpfchen zur Seite und schaute der Freundin mit den großen Schelmenaugen verschmitzt ins Gesicht.
»Und doch hast Du geweint, und wie! Du großes Mädchen!«
»Ich? Ich geweint?«
»Ja, geweint! An den Augen seh’ ich Dir’s an; beichte nur! Was hat es gegeben?«
»Wirst Du nicht schelten?«
»Gewiß nicht!«
»Nun denn. Erst war es so lustig, so furchtbar lustig, Du kannst Dir’s nicht denken, und die Hitze thut mir nichts an, aber als die wilde Jagd vorbei war, sollte ich zu der Großmutter, und das ward mir verboten. Im Brunnenzimmer, weißt Du, hat es ‘was Besonderes gegeben, und wie sie alle wieder draußen waren, bin ich dem Orion in das Tablinum nachgekrochen, es liegen da so wunderhübsche Sachen, und ich wollt’ ihn ein bißchen erschrecken; wir haben doch sonst immer miteinander gespaßt. Erst merkte er nichts, aber wie er sich über den Teppich beugte, aus dem sie den Edelstein stibitzt – ich glaub’, er zählte die Juwelen in dem alten, verschossenen Dinge – sprang ich ihm rasch auf die Schulter, und da hat er einen Schreck bekommen, ich sage Dir, einen Schreck! Und dann ist er aufgefahren wie ein Kampfhahn, und... und da hat er mir eine Ohrfeige gegeben, ich sage Dir, eine... es brennt hier noch immer... und es ward mir dabei ganz bunt vor den Augen. Sonst war er doch immer so nett und freundlich gegen mich, und auch mit Dir, und darum – er ist ja auch mein Oheim – darum mocht’ ich ihn gerne, aber eine Ohrfeige, eine Maulschelle, wie sie der Koch dem Jungen beim Spieße versetzt, dazu bin ich doch zu groß, das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen. Seit meinem letzten Geburtstage müssen mich doch alle Sklaven und Beamten als Herrin behandeln und sich vor mir verneigen. Und jetzt?... Hier hat sie gesessen : . . Wie darf er?« Und nun begann sie zu weinen und fuhr schluchzend fort: »Aber damit war’s nicht genug. In das dunkle Tablinum hat er mich gesperrt und mich da...« – ihre Thränen floßen reichlicher – »da – darin sitzen lassen! Es ist so gräßlich gewesen, und da steckt’ ich vielleicht noch, wenn ich nicht ein Goldblech gefunden und mit dem Urgroßvater, ich meine das silberne Ahnenbild des Menas, darauf losgeschlagen und dazu Feuer geschrieen hätte. Das hörte der Sebek und holte den Orion, und da hat er mich freigelassen und wer weiß wie schön mit mir gethan und mich geküßt. Aber was kann mir das helfen; denn Großvater wird böse sein, ich habe ja in meiner Angst seinem seligen Vater die Nase auf dem Bleche ganz platt gehauen.«
Paula hatte dem Kinde bald ernst, bald lächelnd zugehört; doch als es schwieg, wischte sie ihm noch einmal die Augen und sagte:
»Dein Oheim ist ein Mann, mit dem Du nicht spielen darfst wie mit Deinesgleichen. Uebrigens ist der Denkzettel, den Du bekommen, immerhin etwas derb ausgefallen; aber Orion hat ja das alles wieder gut zu machen versucht. Doch die ›wilde Jagd‹, was war es mit der?«
Bei diesen Worten leuchteten Marias Augen plötzlich wieder hell auf. Im Handumdrehen war alles Schlimme, das sie erfahren, und selbst die plattgeschlagene Nase des Ahnherrn vergessen, und mit einem frohen Gelächter, das ihr aus tiefster Seele quoll, rief sie:
»Das hättest Du sehen sollen, das! Dabei wärest auch Du lustig geworden! Sie haben den Spitzbuben fangen wollen, der den Smaragd aus dem Teppich gerissen. Er hatte seine Schuhe verloren, und die wurden nun den Hunden vor die Nasen gehalten, und da brachen sie los! Erst ging es hieher an die Treppe, dann in den Stall, dann in die Wohnung eines Bereiters; ich immer hinterher, immer den Dachsen nach und den anderen Kläffern. Darauf hielten sie Rat, und zuletzt ging es zum Thore hinaus in die Stadt. Ich soll ja den Hof nicht verlassen, aber – sei mir nicht böse – es ist gar zu lustig gewesen! Zum Thore hinaus ging es, durch die Hapigasse, über den Taanchplatz und endlich in die Goldschmiedestraße, und da stürzte die ganze Bande in den Laden des Juden Gamaliel, der ein so spaßhafter Mann ist. Während er mit den anderen sprach, brachte mir seine Frau Aprikosentörtchen; bei uns gibt’s keine so guten.«
»Und haben sie den Verfolgten gefangen?« fragte Paula, auf deren Wangen bei den letzten Worten des Kindes die Farbe fortwährend gewechselt.
»Ich weiß nicht,« versetzte Maria verdutzt; »da war ja gar keiner, hinter dem es eigentlich herging. Die Hunde hatten die Nase immer an der Erde, und ihnen liefen wir nach.«
»Doch nur, um den Unglücklichen zu fangen, der gewiß mit dem Raube gar nichts zu thun hat; denke nur ein wenig nach, Maria. Die Schuhe gaben den Hunden die Witterung, und man ließ sie los, um des Mannes habhaft zu werden, der sie getragen und den noch kein Richter verhörte. Man hat sie in der Vorhalle gefunden; vielleicht ließ er sie dort zufällig liegen, oder ein anderer trug sie dahin. Versetze Dich nun in die Seele solch eines unschuldigen Menschen, eines Christen wie wir, den man mit der Meute verfolgt wie ein Raubtier. Ist das nicht schrecklich? Ein guter Mensch sollte darüber nicht lachen.«
Paula sagte dies mit so nachdrücklichem Ernst, so tief bekümmert, und ihr ganzes Wesen zeigte sich so tief und schwer beunruhigt, daß das Kind sie besorgt anblickte, mit feuchten Augen auf sie zueilte und, während es das Gesicht in ihr Gewand schmiegte, ausrief:
»Ich wußte ja nicht, daß sie einen armen Menschen hetzten, und wenn Dich das wieder so traurig macht, möcht ich gar nicht dabei gewesen sein! Aber ist’s denn auch wirklich so schlimm? Du bist so oft betrübt, wenn wir anderen lachen!« Dabei schaute sie mit den großen, feuchten Augen fragend und zweifelnd zu Paula empor, und diese zog sie fest an sich, küßte sie herzlich und versetzte dann mit wehmütiger Freundlichkeit:
»Wie gern möcht’ ich fröhlich sein wie Du; aber ich habe gar so viel erlebt, was mich betrübt macht. Lache Du und freue Dich nach Herzenslust, ich gönne Dir’s wahrlich; aber was den armen, gehetzten Mann angeht, so fürchte ich, daß er meines Vaters Freigelassener ist, der treueste, redlichste Mensch! Hat man bei Deiner fröhlichen Jagd niemand aus dem Goldschmiedladen mit fortgeführt?«
Verneinend schüttelte das Kind den Kopf und fragte:
»Dein stotternder Hiram, der Reiter ist’s, den sie verfolgen?«
»Ich fürcht’ es.«
»Ja, ja,« sagte die Kleine. »Warte nur... Es... ach Gott, es wird Dich wieder betrüben, aber ich glaube – sie sagten, die Schuhe hätten – ich gab nur nicht acht – sie hätten... Von einem Bereiter, einem Freigelassenen, einem Stotterer war immer die Rede.«
»Dann haben sie ganz gewiß einen Unschuldigen verfolgt,« rief Paula mit einem schweren Seufzer und setzte sich wieder an den Putztisch, um ihren Anzug zu vollenden.
Während ihre Hände sich regten, wie sie eben mochten, versank sie in tiefes Nachdenken, gab sie dem Kinde nur halbe Antworten und ließ es in ihrer offenen Truhe kramen, und Maria zog das seines Schmuckes beraubte Kleinod heraus und schlang es sich um den Hals.
Dabei wurde wieder an die Thür geklopft, und Katharina, das Töchterchen der Witwe Susanna, trat in das Zimmer. Das Mädchen, mit dem die Gattin des Mukaukas ihren stattlichen Sohn zu vermählen wünschte, reichte Paula kaum an die Schulter, aber es sah gar rundlich und nett aus; sauber, wie aus dem Ei geschält; und hatte dazu ein frisches, lustiges, allerliebstes Gesichtchen. Wenn sie lachte, blitzten ihre kleinen, schneeweißen, weit auseinanderstehenden Zähnchen, und ihre hellen Augen strahlten so froh in die Welt hinaus, als hätten sie dort nichts als lauter vergnügliche Dinge zu suchen oder auf harmlose Schelmenstreiche zu sinnen. Auch sie warb um Paulas Gunst, aber keineswegs mit der hingebenden, gleichmäßigen Schwärmerei Marias. Manchmal gab sie sich ihr freilich mit so stürmischer Heftigkeit hin, daß das ältere Mädchen sie abwehren mußte, dafür aber wandte sie der Damascenerin, wenn sie sich kühl von ihr behandelt oder hinter Maria zurückgesetzt glaubte, mit trotzigem Aufbegehren, Zürnen und Schmollen den Rücken. Zwar lag es in Paulas Hand, diesem »Bösesein« des »Bachstelzchens«, das gewöhnlich einen komischen Beigeschmack hatte, durch ein gütiges Wort oder einen Kuß ein Ende zu machen, doch ohne solch freundliches Entgegenkommen wäre Katharina fähig gewesen, bis an ihr Ende ihrem Groll nachzuhängen. Heute flog sie ihr an die Brust, und als Paula sie gemessener als sonst bat, sie erst ihren Anzug vollenden zu lassen, gesellte sie sich, ohne sich im geringsten empfindlich zu zeigen, zu der kleinen Maria und nahm ihr das Halsband aus der Hand, um es sich selbst umzulegen. Schön gearbeitet und mit Perlen besetzt, wie es war, gefiel es ihr vortrefflich, nur die leere Kapsel, aus der Hiram den Smaragd mit dem Messer gehoben, verunstaltete das Ganze. Aber es war doch ein königlicher Schmuck, und nachdem sie noch einen großen Wedel von Straußenfedern aus der Truhe genommen hatte, zeigte sie ihrer kleinen Freundin mit komischer, steifer Würde, wie die Kaiserin und die Prinzessinnen des Hofes sich verneigen und den Unterthanen gnädig zuwinken. Dabei gab es viel zu lachen, als aber der Anzug Paulas vollendet war und sie Katharina ersuchte, den Schmuck abzunehmen, blieb die leere, durch Hirams Messer verbogene Fassung an dem leichten Spitzengewebe ihres Oberkleides hängen. Maria hakte sie los, und die Damascenerin warf den Schmuck in die Truhe zurück.
Während sie dieselbe verschloß, fragte sie Katharina, ob ihr Orion begegnet sei.
»Orion?« wiederholte diese in einem Ton, als habe niemand außer ihr das Recht, nach ihm zu fragen. »Wir beide kamen mit einander heraus; er wollte nach den Verwundeten sehen. Hast Du ihm etwas zu sagen?«
Dabei errötete sie und blickte Paula mißtrauisch an, diese aber versetzte nichts als »Vielleicht« und rief dann, während sie die Schnur mit dem Schlüssel zur Truhe um den Hals hing:
»Kommt jetzt, ihr Mädchen, es wird Zeit zum Frühstück; ich gehe heut nicht mit hinunter.«
»Ach,« machte Maria enttäuscht; »Großvater ist sehr schwach, und Großmutter bleibt bei ihm, und kommst Du nun auch nicht, dann – dann muß ich allein mit Eudoxia essen; denn Katharinas Wagen wartet, und sie soll gleich wieder nach Hause. Ach, komm doch! Thu’s mir zu Gefallen; Du weißt nicht, wie gräßlich Eudoxia sein kann, wenn es so heiß ist.«
»Geh doch mit!« bat auch Katharina; »was willst Du überhaupt noch hier oben? Gegen Abend komm’ ich übrigens mit Mütterchen wieder.«
»Schön,« versetzte Paula, »aber ich muß erst zu den Kranken.«
»Darf ich mit?« fragte das Bachstelzchen und strich der Jungfrau schmeichlerisch über den Arm; Maria aber klatschte in die Hände und rief:
»Sie will nur zu Orion; denn dem ist sie so gut...«
Da hielt Katharina dem Kinde den Mund zu, doch als Paula sie mit schnellerem Atem bedeutet hatte, daß sie sehr ernste Dinge mit Orion zu besprechen habe, wandte ihr Katharina mit einer schnellen, trotzigen Bewegung den Rücken und ging schmollend auf die Treppe zu, während Maria sich an dem Geländer derselben heruntergleiten ließ. Noch vor wenigen Tagen wäre das kaum sechzehnjährige Bachstelzchen ihr gern auf dem nämlichen Wege gefolgt.
Paula klopfte indessen an das erste Krankenzimmer und betrat es so leise, wie die pflegende Nonne aus dem Sankt Katharinenkloster es für sie geöffnet.
Orion, den sie suchte, war hier gewesen, hatte sich aber vor kurzem wieder entfernt.
In dem ersten Gemach lag der verwundete Karawanenführer, in dem zweiten die Irrsinnige. In einem an die erste Stube grenzenden Saale, der für hohe Gäste bestimmt und darum mit fürstlicher Pracht ausgestattet war, saßen zwei Männer in tiefem Gespräch: der arabische Kaufherr und der Arzt Philippus, ein kaum mehr als dreißig Jahre alter, sehr großer, starkknochiger junger Mann, dessen Kleidung aus sauberen, aber groben Stoffen bestand und jeglichen Schmuckes entbehrte. Er hatte ein kluges bleiches Gesicht, aus dem zwei glänzend schwarze Augen wohlwollend und doch scharf und lebhaft hervorleuchteten. Seine starken Backenknochen standen viel zu weit hervor, der untere Teil seines Antlitzes war klein, häßlich, wie zusammengedrückt, während seine hohe und breite Stirn das Ganze zu einem Denkerkopf krönte, wie eine herrliche Kuppel ein wenig schönes, winziges Bauwerk.
Dieser jeder Anmut bare Mann, der dennoch bei der höchst kraftvollen Eigentümlichkeit seiner Erscheinung schwerlich, und wäre es auch in einem Kreise von bedeutenden Menschen gewesen, übersehen werden konnte, hatte sich eben lebhaft mit dem Araber unterhalten, der während ihrer zweitägigen Bekanntschaft großes und voll erwidertes Wohlgefallen an ihm gefunden hatte. Zuletzt war Orion der Gegenstand ihres Gespräches gewesen, und der Heilkünstler, ein rastloser Arbeiter, dem niemand gefiel, der müßig als Genußmensch dahinlebte, hatte ihn bei aller Anerkennung seiner glänzenden Begabung und wohl verwandten Schulzeit weit härter beurteilt als der alte Herr. Dem Arzte war jede menschliche Existenz heilig, und alles schien ihm wert der Vernichtung, was den Leib oder die Seele eines Menschen zu schädigen drohte. Ihm war bekannt, was Orion über die unglückliche Mandane gebracht, wie leichtfertig er mit den Herzen anderer Frauen gespielt hatte, und das machte ihn in seinen Augen zu einem schädlichen, strafwürdigen Mitglied der Gesellschaft. Für ihn war das Leben eine Verpflichtung, und mit Arbeit, gleichviel welcher, wenn sie nur dem Ganzen zu gute kam, löste man sie ein; aber die jungen Herren von Orions Art erkannten sie nicht nur nicht an, sondern nützten das Ganze und seine Teile aus zu niedrigen, selbstsüchtigen Zwecken. Für den alten Muslim dagegen war das Leben ein Traum, dessen schönsten Teil, die Jugendzeit, jeder mit offenen Sinnen genießen und dabei nur besorgt bleiben sollte, beim Erwachen, das mit dem Tode begann, hoffen zu dürfen, Einlaß in das Paradies zu finden. Wie wenig vermöge der Mensch gegen die eiserne Gewalt des über ihn Verhängten! Auch durch ernste Arbeit könne dies nicht abgewandt werden, es gelte nur, ihm gegenüber die rechte Stellung einzunehmen und ihm mit Würde zu begegnen. Orions Geschick habe sein Lebensschiff zu leicht belastet; bei schönem Wetter jage es dahin, wohin der Wind es treibe. Er selbst sei besorgt gewesen, es gut auszurüsten, und wenn das Schicksal es einmal schwer, recht schwer befrachte und an Klippen schleudere, dann erst werde sich zeigen, wer und was er sei; er, Haschim, glaube gewiß, daß sich dann seine Sinnesart trefflich bewähren werde. Beim Schiffbruch zeige sich, was der Mann wert sei.
Hier fiel ihm der Arzt ins Wort, um zu beweisen, daß nicht das Schicksal der Muslimen, sondern der Mensch selbst das Lebensschiff lenke, doch Paula schaute jetzt in den Saal und unterbrach ihn.
Der Kaufherr verneigte sich ehrerbietig, Philippus achtungsvoll, doch befangener, als man es bei der Sicherheit seines Wesens hätte erwarten sollen. Er war seit Jahren ein täglicher Gast in der Statthalterei, und nachdem er Paula anfänglich geflissentlich übersehen, zog er sie, seitdem Frau Neforis ihr kühl begegnete, hervor, wo es nur anging. Die Gespräche mit ihm, deren derber, schneidiger Ton ihr anfänglich nicht zugesagt und sie oft in schwer erträglicher Weise in die Enge getrieben hatten, waren ihr längst lieb und zum Bedürfnis geworden. Sie hielten ihren Geist wach in einem Kreise, welcher sich nur mit den kleinen Ereignissen in den Familien der herabgekommenen Stadt oder dogmatischen Streitigkeiten beschäftigte; denn der Mukaukas nahm selten oder nie teil an den Gesprächen der Frauen.
Der Arzt redete mit ihr nie über Vorgänge, sondern legte ihr seine Ansichten über die Meinungen anderer, ernste Fragen des Lebens oder Bücher dar, die sie beide kannten, und wußte sie zu Erwiderungen zu reizen, denen er mit Witz und Schärfe entgegnete. Nach und nach hatte sie sich an seine kühne Denkweise und wahrhaftige, oft rücksichtslos offene Sprache gewöhnt, und das begabte Mädchen zog nun das Gespräch mit ihm jeder andern Unterredung vor, hatte sie doch erkannt, daß in diesem Denker, diesem Gefäß alles Wissens, eine wahre Kinderseele lebte und dazu eine Selbstlosigkeit ohnegleichen. Der Gattin ihres Oheims mißfiel das meiste, was sie that, und so auch ihr vertrauter Umgang mit diesem Manne, dessen äußere Erscheinung wahrlich nichts Anziehendes für ein junges Mädchen darbot. – Aber der Arzt eines vornehmen Hauses war da, um seine Mitglieder gesund zu erhalten oder um sie zu heilen, und für diese schickte es sich nicht, mit ihm wie mit einem Gleichgestellten vertrauliche Gespräche zu führen. Philippus gegenüber warf sie Paula, deren Stolz sie oft tadelte, unziemliche Herablassung vor, am meisten aber verdroß sie, daß die Damascenerin manche halbe Stunde für sich in Anspruch nahm, welche Philippus sonst ihrem Gatten, auf den und auf dessen Befinden sie alles bezog, gewidmet haben würde.
Der Araber hatte seine Widersacherin von gestern sogleich erkannt, und nachdem die freundlichste Verständigung schnell zwischen ihnen erfolgt war, und Paula eingestanden hatte, wie thöricht es von ihr gewesen sei, einen einzelnen wohlgesinnten Mann für die Vergehen eines ganzen Volkes verantwortlich zu machen, und Haschim entgegnet hatte, daß ein billig denkendes Herz immer das Rechte finde, führte sie das Gespräch auch auf ihren Vater, und der Arzt teilte dem Araber mit, daß sie immer noch nicht müde werden wolle, den Verschollenen zu suchen.
»Das ist vielmehr die einzige Aufgabe meines Lebens!« rief die Jungfrau.
»Mit Unrecht, denk’ ich,« bemerkte der Arzt; doch der Kaufherr widersprach ihm; denn es gebe Dinge, die zu kostbar wären, um sie je verloren zu geben, auch wenn die Hoffnung, sie wiederzufinden, schwank und dünn werde wie ein zerfressener Strohhalm.
»So empfind’ auch ich!« rief Paula; »und wie kannst Du, Philipp, mir widersprechen? Hab’ ich doch aus Deinem eigenen Munde gehört, daß Du Deinen Kranken gegenüber die Hoffnung nicht aufgibst, bis ihr der Tod ein Ende bereitet! Ich halte fest an der meinen, jetzt mehr denn je, und fühle, daß es so recht ist. Meinen letzten Gedanken, meinen letzten Sesterz setz’ ich daran, den Vater zu finden, auch ohne den Oheim und seine Frau, und trotz ihres Einspruches.«
»Aber eine Jungfrau kann bei dergleichen die Hilfe eines Mannes nur schwer entbehren,« erwiderte der Kaufherr. »Ich komme viel in der Welt herum, rede mit manchem Fremden aus fernen Landen, und willst Du mir die Ehre erweisen, so ernenne mich zu Deinem Gehilfen, gestatte mir, beim Suchen nach dem edlen Verlorenen Dein Bundesgenosse zu sein!«
»Dank, innigen Dank!« rief Paula und faßte mit freudiger Wärme die Hand des Muslim. »Behalte meinen Verlorenen, wohin Du auch ziehst, im Gedächtnis; ich bin ein armes, verlassenes Mädchen, aber wenn Du ihn findest...«
»So wirst Du wissen, daß es auch unter den Muslimen Männer gibt...«
»Die gern Barmherzigkeit üben und schutzlosen Frauen freundlich helfen,« unterbrach ihn Paula.
»Und, wenn der Höchste es fügt, mit gutem Erfolg,« versetzte der Araber. »Sobald ich eine Spur finde, sollst Du von mir hören, jetzt aber muß ich über den Strom zu dem Feldherrn Amr; ich gehe getrost; denn ich weiß meinen armen, braven Rustem in guten Händen, Freund Philipp! Schon in Fostat soll die erste Nachforschung beginnen, verlaß Dich darauf, meine Tochter!«
»Ich thu’ es,« versetzte Paula freudig bewegt; »wann sehen wir uns wieder?«
»Morgen, spätestens übermorgen in der Frühe.«
Da näherte sich ihm das Mädchen und flüsterte ihm zu:
»Wir haben jetzt eine Spur entdeckt, Herr; ja, ich hoffe, daß der Bote schon unterwegs ist. Hast Du noch Zeit, mich zu hören?«
»Ich müßte eigentlich schon längst jenseits der Stromes sein; heute also nicht, aber hoffentlich morgen.« Dabei reichte der Araber ihr und dem Arzt die Hand und entfernte sich schnell.
Paula blieb gedankenvoll stehen; dann kam ihr in den Sinn, daß sich der verfolgte Hiram am andern Ufer des Flusses im Bereich der arabischen Macht befinde und daß der Kaufherr vielleicht für ihn eintreten könne, wenn sie ihm alles, was sie wußte, mitteilen würde. Ein großes Vertrauen zu dem Alten, dessen gütiger, teilnehmender Blick ihr noch immer vor Augen schwebte, erfüllte sie, und ohne des Arztes weiter zu achten, eilte sie auf die Thür des ersten Krankenzimmers zu. Neben derselben hing ein Kruzifix, und die Nonne hatte sich davor auf die Kniee geworfen, um für den ungläubigen Kranken zu beten und den guten Hirten anzuflehen, sich auch des Schafes, welches nicht zu seiner Herde gehörte, zu erbarmen.
Paula wagte es nicht, die Betende zu unterbrechen, welche vor dem schmalen Ausgange kniete, und so vergingen mehrere Minuten, bis der Arzt ihre große Unruhe bemerkte, den Saal verließ, die Schulter der Nonne berührte und ihr leise und mit herzlich freundlicher Bitte zurief:
»Einen Augenblick, liebe Schwester! Dein frommes Gebet wird immer gehört, aber diese Jungfrau hat Eile.«
Die Nonne erhob sich sogleich, trat zurück und sah Paula mit einem unwilligen Blicke nach, als sie schnell hinaus und die Treppe hinunter eilte.
Vor der in den Hof führenden Pforte suchte ihr Auge den Araber, aber vergeblich. Dann fragte sie einen Sklaven und erfuhr, daß des Kaufherrn Roß lange vor der Pforte gewartet habe, daß er aber eben durch das Thor gesprengt und wohl schon auf der Schiffbrücke sei, welche Memphis mit der Insel Roda und diese mit dem Fort Babylon und dem neu entstehenden Fostat verband.
Elftes Kapitel.
Bekümmert und aufgebracht über sich selbst stieg Paula wieder die Treppe hinan. War es die Hitze des Tages, die sie erschlaffte und sie der Geistesgegenwart beraubte, die ihr zu Gebote stand. Sie begriff jetzt selbst nicht, warum sie die Gelegenheit, bei Haschim für den treuen Diener einzutreten, nicht sogleich wahrgenommen. Vielleicht hätte der Kaufherr sich Hirams annehmen können.
Der Sklave an der Pforte hatte ihr gesagt, daß man seiner noch nicht habhaft geworden sei; die Zeit, für ihn einzutreten, war also noch nicht gekommen; aber sie wollte es thun, wollte den Groll der Verwandten auf sich nehmen und, mußte es sein, alles verraten, was sie in der Nacht gesehen, um den treuen Menschen zu retten. Das war ihre Pflicht; doch bevor sie es that, bevor sie Orion so tief herabsetzte, wollte sie ihn warnen. Der Gedanke, ihn solcher ruchlosen That zeihen zu müssen, schmerzte sie wie die Notwendigkeit, sich selbst ein Leid anzuthun. Sie haßte ihn, aber sie hätte lieber das schönste Kunstwerk zerschlagen, als ihn gebrandmarkt, ihn, dessen Bild noch immer prächtig und herzgewinnend ihre Seele beherrschte.
Statt Maria beim Frühstück aufzusuchen oder sich wie sonst dem ermatteten Oheim beim Brettspiel als Partnerin anzubieten, begab sie sich wieder in das Krankenzimmer.
Frau Neforis oder Orion zu begegnen wäre ihr jetzt peinlich, ja widerwärtig gewesen. So müde und niedergedrückt hatte sie sich lange nicht gefühlt. Vielleicht bot ihr ein Gespräch mit dem Arzte einige Erfrischung. Nach den mannigfaltigen Erregungen der letzten Stunden verlangte sie nach etwas, was es auch sei, das sie aufzumuntern und sie auf neue Gedanken zu bringen verhieß.
In dem ersten Krankenzimmer fragte die Nonne sie kühl nach ihrem Begehr, und wer ihr gestattet, an der Pflege teilzunehmen. Da wandte sich der Arzt, welcher eben den Verband auf dem Kopf des Masdakiten neu angefeuchtet, der Klosterfrau zu und bedeutete sie bestimmt, daß er die Jungfrau zur Gehilfin zu haben wünsche, und zwar bei der Behandlung beider Kranken.
Darauf ging er Paula in den Saal voran und rief ihr mit gedämpfter Stimme zu:
»Fürs erste wäre alles in Ordnung. Setzen wir uns hier ein wenig!«
Da nahm sie auf dem Diwan, er auf einem Sessel, der ihr gegenüber stand, Platz, und Philippus hub an: »Du hast vorhin den schönen Orion gesucht, jetzt aber mußt Du...«
»Was?« fragte sie ernst. »Und daß Du es wissest: der Sohn dieses Hauses steht mir nicht näher als seine Mutter. Mit Deinem ›der schöne Orion‹ sollte etwas gesagt sein, was ich nicht wieder hören möchte. Ich muß ihn übrigens auch jetzt noch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«
»Was schafft mir dann die Freude, Dich hier wieder zu sehen? Ehrlich gestanden, hatt’ ich nicht auf Deine Rückkehr gehofft.«
»Und warum nicht?«
»Erlaß mir die Antwort. Die Menschen hören nicht gern unliebsame Dinge. Hält unsereins jemand für nicht völlig gesund...«
»Wenn das auf mich gehen soll,« versetzte das Mädchen, »kann ich Dir sagen: das Einzige, was mir an mir noch gefällt, ist gerade meine Gesundheit. Sprich Dich nur aus. Sag meinetwegen das Schlimmste. Ich brauch’ heut etwas, das mich aus der Erschlaffung herausreißt, selbst wenn es mich aufbringt.«
»Gut denn,« entgegnete Philipp, »doch ich begebe mich da in ein gefährliches Wasser. – Um die Gesundheit – was die Leute so nennen – kann jeder Fisch Dich beneiden, aber die höhere Gesundheit, die der Seele, mit der kannst Du, fürcht’ ich, nicht prahlen.«
»Das fängt bedenklich an,« erwiderte das Mädchen. »Aus Deinem Vorwurf scheint hervorzugehen, daß ich Dir oder irgend einem andern unrecht gethan habe.«
»Hättest Du’s doch!« rief der Arzt. »Nichts, gar nichts ist uns von Deiner Seite begegnet. Ich bin, der ich bin, denkst Du von Dir selbst, und was sind Dir die anderen?«
»Es fragt sich, was Du unter diesen ›anderen‹ verstehst.«
»Nicht weniger als alle, die Dich hier im Hause, in dieser Stadt, auf dieser Welt gegenwärtig umgeben. Sie sind Luft für Dich und weniger als das; denn die Luft ist ein Körper, dessen Kraft Segel füllt und Schiffe gegen den Strom treibt, dessen wechselnde Natur auf das Wohl oder Uebelbefinden des Körpers einwirkt...«
»Meine Welt ist hier drinnen,« versetzte Paula und legte die Hand auf das Herz.
»Ganz recht. Die ganze Kreatur hätte auch Platz da; denn was man gemeinhin ein Menschenherz nennt, wie viel kann es umfassen! Je mehr man ihm in sich zu schließen zumutet, desto williger nimmt es alles auf. Gefährlich ist’s, das Schloß daran rosten zu lassen; denn sobald das geschehen ist, und man will es öffnen, hilft kein Ziehen und Zerren. Und dann... aber ich will Dich nicht verletzen... Du hast Dich gewöhnt, immer nur rückwärts zu schauen...«
»Was liegt denn Erfreuliches vor mir? Dein Tadel ist hart, und dabei wenig gerecht. Woher weißt Du überhaupt, wohin ich schaue?«
»Weil ich Dir mit den Blicken des Freundes gefolgt bin. Wahrlich, Paula, Du hast verlernt, um Dich her und vorwärts zu sehen. Was hinter Dir liegt, was Dir verloren ging, das ist Deine Welt. Ich habe Dir einmal auf einer bröckeligen Papyrusrolle meines alten Pflegevaters Horus Apollo einen heidnischen Dämon gezeigt, der vorwärts schreitet, während ihm der Kopf so auf dem Halse sitzt, daß das ganze Gesicht und die Augen rückwärts schauen.«
»Ich erinnere mich wohl.«
»Nun, solch einem Dämon gleichst Du schon lange. Alles fließt, sagt Heraklit, und Du bist gezwungen, mit dem großen Strom vorwärts zu schwimmen, oder ändern wir das Bild, Du mußt auf der Landstraße des Lebens vorwärts, dem allgemeinen Ziele entgegenschreiten; doch Dein Auge blickt dabei nach hinten, wo es sich an einem schönen, reichen Vaterhaus, vieler Liebe und Zärtlichkeit, großen und freundlichen Gestalten, einem glücklichen, aber leider vergangenen Dasein weidet. Dabei schreitest Du weiter, und was muß nun erfolgen?«
»Daß ich stolpere, denkst Du, und falle...«
Paula hatten die Vorwürfe des Arztes um so schärfer getroffen, je weniger sie sich verhehlen konnte, daß sie viel Wahres enthielten. Sie war gekommen, um sich aufmuntern zu lassen, aber nun trübten ihr diese Anklagen selbst das Gefühl der Gesundheit. Warum ließ sie sich von diesem keineswegs betagten Manne ins Gebet nehmen wie eine Schülerin? Ging das so fort, so sollte er zu hören bekommen... Aber schon erfolgte seine Antwort, und sie erfrischte sie wieder und bestärkte ihre Ueberzeugung, daß er ihr wahrer, wohlmeinender Freund sei.
»Das vielleicht nicht,« lautete seine Entgegnung, »weil – weil – nun, die Schickung hat Dich eben mit dem schönsten Gleichmaß gesegnet, und als eines Helden Tochter bewegst Du Dich selbstbewußt vorwärts. Vergessen wir nicht, daß ich von Deiner Seele rede, auch sie erhält ihr angeborener, vornehmer Sinn unter so vielem Kleinen und Niedrigen aufrecht.«
»Warum brauch’ ich mich dann vor dem Rückwärtsschauen, das mir wohl thut, zu fürchten?« unterbrach sie ihn lebhaft und blickte ihm neu ermuntert ins Antlitz.
»Weil Du dabei den anderen leicht auf den Fuß trittst! Das thut weh, sie werden Dir gram, sie lernen Dir, die Du liebenswerter bist als sie alle, sie lernen Dir grollen!«
»Mit Unrecht, denn ich bin mir bewußt, so lange ich lebe keinen Menschen geflissentlich betrübt oder beleidigt zu haben.«
»Ich weiß; aber unbewußt ist es tausendmal geschehen.«
»So war’ es am besten, ich flöhe sie gänzlich.«
»Nein, tausendmal nein! Wer sich von den anderen zurückzieht und sich der Einsamkeit ergibt, denkt etwas Großes zu thun, und sich über ein Dasein zu stellen, das er verachtet. Aber forsche nur näher nach: der Eigennutz, die Selbstliebe treibt ihn in die Höhle und Klause; in jedem Falle vernachlässigt er, um das zu erringen, was er für sein Heil hält, die höchsten Pflichten gegen die Menschheit, oder sagen wir nur gegen die Gesellschaft, zu der wir gehören. Sie ist ein großer Körper, und jeder Einzelmensch soll sich als Glied desselben betrachten, ihm dienlich und nützlich zu sein suchen und sogar, wo es not thut, sich bereit zeigen, ihm Opfer zu bringen. Die schwersten sind nicht zu schwer. Aber wer sich auf sich selbst stellt, aber Du – nein, bitte, höre mich zu Ende; denn ich wage es vielleicht nicht zum zweitenmal, mich der Gefahr auszusetzen, Dich zu erzürnen – Du willst ein Körper für Dich sein. Was Paula erlebt und besessen, das hält sie im Schatzhause ihrer Erinnerungen hinter Schloß und Riegel versteckt. Was Paula ist, das meint sie eben sein zu müssen, und wofür? Wieder nur für dieselbe Paula. Sie hat großes Leid erfahren, und davon lebt ihre Seele; aber diese Kost ist verwerflich, ist ungesund und schlecht!«
Da wollte sie sich erheben, er aber beugte sich, ganz Eifer und voll überzeugt, sich nicht unterbrechen lassen zu dürfen, ihr entgegen, berührte flüchtig ihren Arm, als wollte er sie auf dem Diwan festhalten und fuhr unbeirrt fort:
»Du nährst Dich von altem Leid! Recht schön! Hundertmal hab’ ich’s gesehen: der Schmerz kann veredeln. Er kann wackere Seelen befähigen, anderer Weh tiefer zu empfinden, er kann in ihnen die Sehnsucht wecken, anderer Leiden mit schöner Opferfreude zu lindern. Wer Schmerz und Unlust kennt, der genießt Wohlsein und Lust mit doppelter Freude; der Leidende lernt auch die kleinen Güter des Lebens mit Dank genießen. Aber Du? Schon lange hab’ ich nach Mut gerungen, es Dir zu sagen, doch Du ziehst aus dem Schmerz keinen Nutzen, weil Du ihn in Dich verschließest wie kostbaren Samen, den man in einer silbernen Kapsel mit sich herum trägt. In die Erde soll man ihn senken, damit er aufkeimt und Frucht trägt! Doch ich will ja nicht tadeln, ich möchte nur raten, raten als Dein treuster, ergebenster Freund! Lerne Dich doch als Glied des Körpers fühlen, dem das Schicksal Dich hier nun einmal beigesellt hat, mag er Dir gefallen oder auch nicht. Denke darauf, ihm zu gewähren, was Deine Befähigung ihm zuzuführen gestattet. Du wirst es finden, es wird Dir gelingen, ihm etwas zu sein, und gleich öffnet sich die Kapsel, und mit Erstaunen und Freude nimmst Du wahr, daß der Samen, den Du auf die Erde streust, aufgeht, daß sich Blüten entfalten und Früchte bilden, aus denen sich Brot gewinnen läßt oder Arznei für Dich und für andere! Dann lässest Du, wie es in der Bibel heißt, die Toten ihre Toten begraben und widmest den Lebenden die reichen Kräfte und schönen Gaben, welche sich von einem hohen Vater und einer edlen Mutter, ja von einer hervorragenden Ahnenreihe auf die würdige Enkelin vererbt haben. Dann wirst Du zurück erlangen, was Du verloren: die Freude am Dasein, das wir genießen und ausbeuten sollen, weil es eine Verpflichtung in sich schließt, der nachzukommen uns nur ein einzigesmal gewährt wird. Vor Hunderttausenden hat Dich eine freundliche Schickung gebildet, um geliebt zu werden, und vergissest Du nicht des Dankes, den Du ihr dafür schuldest, dann werden die Herzen, die sich vor dem Baume, der sich künstlich mit abwehrenden Stacheln besetzt hat, der die Zweige hängen läßt, wie die Trauerweiden am Nil, sich Dir zuwenden, und Du wirst ein neues, schöneres, beglücktes und beglückendes Leben führen. Aus dem öden, reizlosen Dasein, das Du hier zu keines Menschen und am letzten zu Deiner eigenen Freude hinschleppst, wirst Du – es steht in Deiner Macht – ein fruchtbringendes, befriedigendes, heilsames und beglückendes Atmen und Handeln im Lichte machen können. Wenn Du hergekommen bist, um die beklagenswerte Kranke zu pflegen, dann hast Du schon den ersten Schritt gethan auf dem neuen Wege, den ich Dir zu Deinem wahren Glück weisen möchte. Ich hatte Dich hier nicht erwartet, und ich bin dankbar für Dein Kommen, weil ich weiß, daß der Eintritt in diese Thür Dich auf den Weg zu neu erwachendem Wohlsein stellen kann, wenn Du den Willen hast, ihn zu beschreiten. Gott Lob, da wär’ es heraus!«
Dabei erhob sich der Arzt, und während er die perlende Stirn trocknete, schaute er ängstlich auf Paula, die tief atmend und so verwirrt und unschlüssig, wie er sie noch nie gesehen, auf ihrem Platze verblieben war. Sie hielt die Stirn in der Hand und blickte, als suche sie einen Schmerz zu verbeißen, schweigend in den Schoß.
Da schlug der junge Mann die Arme zusammen wie ein Arbeiter, wenn ihm in kalter Winterszeit die Hände erstarren, und rief schmerzlich bewegt. »Ja, gesprochen hätt’ ich, und daß es geschehen ist, darf mich nicht reuen; aber was ich voraussah, das trifft nun ein: um die beste Freude, die mir mein Alltagsleben versüßt, werde ich kommen! ‘s ist ein schönes Gebot, Plato zu lieben, aber mehr noch als Plato die Wahrheit; doch wer es übt, muß eben darauf gefaßt sein, daß diese Wahrheit die Freunde aus der unbequemen Nähe des armen Wahrheitsapostels fortscheucht.«
Da erhob sich Paula und streckte, gehorsam dem Antrieb ihres braven Herzens, dem Arzte die Rechte herzlich entgegen; er aber ergriff sie mit beiden Händen, drückte sie so stark, daß es dem Mädchen fast weh that, und rief mit feuchten, strahlenden Augen: »Das hab’ ich gehofft, das ist schön, das ist edel! Dürft’ ich doch Dein Bruder sein, Du herrliches Mädchen! Komm jetzt! Wenn unter einer Hand, so kann das arme, irrsinnige, todeswunde, schöne Geschöpf dort unter der Deinen genesen!«
»Ich komme,« entgegnete sie warm, und es lag etwas Gesundes und Heiteres in ihrem Wesen, wie sie auf das Krankenzimmer zuschritt; doch mitten auf dem Wege veränderte sich der Ausdruck ihrer Züge und nachdenklich erhob sie die Frage: »Angenommen, wir stellten die Unglückliche her; wozu würd’ es ihr gut sein?«
»Dazu, daß sie atmet und das Sonnenlicht schaut,« versetzte der Arzt, »daß sie Dir dankbar sein und endlich wieder für das Ganze thun kann, was sie vermag, daß sie – alles in allem – daß sie lebt, lebt; denn das Leben – fühl es, empfind es mir nach – das Leben ist dennoch das Höchste!«
Paula schaute dem begeisterten Manne erstaunt in das mißgestaltete Antlitz.
Wie freudig es strahlte!
Niemand hätte ihm in dieser Stunde nachsagen dürfen, daß es unschön sei und des Reizes entbehre!
Er glaubte an das, was er mit so warmer Empfindung gerufen, und doch widersprach es der Ansicht, die er noch gestern gehegt und so häufig verteidigt hatte, daß das Leben an sich ein elendes Ding sei für jeden, der es nicht mit eigener Kraft zu erfassen und etwas Rechtes daraus zu machen verstehe. In diesem Augenblick war es ihm wirklich das Höchste.
Paula schritt ihm voran, und sein Auge hing an ihr wie das der frommen Wallfahrer an dem Heiligenbilde, zu dem er mit wundem Fuß über Berge und Meere gepilgert.
Jetzt nahten sie sich dem Bette der Kranken. Die Nonne trat vor ihnen zurück und machte sich ihre eigenen Gedanken über des Arztes verändertes Wesen und die glückselige, kindliche Heiterkeit, mit der er Paula erklärte, worin die Gefahr für die Verwundete liege, welchen Feldzugsplan er entworfen, um das arme Wesen zu retten, wie die Umschläge zu machen, die Medikamente einzuflößen und wie nötig es sei, so lang das Fieber anhalte, auf die Wahnvorstellungen der Irrsinnigen einzugehen und sie zu behandeln, als wären sie verständige Gedanken.
Endlich mußte er sich entfernen, um nach anderen Leidenden zu sehen, Paula aber blieb an dem Kopfende des Krankenbettes sitzen und blickte der Unglücklichen ins Antlitz.
Wie schön es war!
Und diese Rose hatte Orion als Knospe gebrochen und schmählich zertreten! Sie hatte wohl das Gleiche für ihn empfunden wie sie. Und jetzt? Ob sie nichts mehr für ihn fühlte als Haß, oder ob ihr Herz, wie das ihre, bei allem Groll, bei aller Verachtung sich doch nicht ganz frei machen konnte von dem Zauber, mit dem er es einmal umstrickt?
Aber was waren das für schwächliche Gefühle? Seine Feindin wollte und mußte sie sein!
Und nun schaute sie nachdenklich auf das müßige und haltlose Leben zurück, das sie nun schon seit Jahren führte. Die Rede des Arztes hatte das Rechte getroffen, ja sie war eher zu milde als zu streng gewesen. Ja, sie wollte ihre Kraft nützlich zu verwenden beginnen; aber wie, in welcher Weise, hier und unter diesen Menschen? Wie verklärt der arme Philippus drein geschaut hatte, da sie ihm die Hand geboten, wie gewaltig seine Rede dahingerauscht war!
»Wie falsch,« dachte sie, »ist doch das Wort, der Leib sei der Spiegel der Seele. Träfe es zu, so müßte Philippus wohl aussehen wie Orion, Orion wie Philippus.« Aber konnte denn des ersteren Herz ganz verderbt sein? Es war ja nicht möglich, und alles, was in ihr war, sträubte sich, es zu glauben. Ihn mußte sie lieben oder hassen, es blieb kein Mittelweg übrig, aber noch rangen und stritten beide Empfindungen in unerträglicher Weise miteinander.
Der Arzt wünschte ihr ein Bruder zu sein, und bei dem Gedanken daran mußte sie lächeln. Ruhig und zufrieden hätte sie vielleicht mit ihm, ihrer Betta und seinem alten, gelehrten Freunde und Hausgenossen, von dem er ihr oft erzählt hatte, zusammen hausen, seinen Studien folgen, ihm in seinem Berufe helfen und mit ihm viele wissenswerte Dinge besprechen können. Solch ein Leben, sagte sie sich, würde dem in der Nähe der Frau Neforis tausendmal vorzuziehen sein.
Einen Freund hatte sie sicher in ihm gefunden, und daß sie ihn als solchen gern anerkennen mochte, darin lag doch schon die erste Erfüllung seiner Verheißung; denn es zeigte, daß ihr Herz noch immer bereit war, sich einem andern freundlich zu nähern.
Zwischen all diese Erwägungen trat immerfort die Besorgnis um den bedrohten Hiram, und dabei fiel es ihr auf die Seele, daß wenn es zwischen ihr und Orion zum Aeußersten kam, es auch aus war mit ihrem Aufenthalt in der Statthalterei. Wie oft hatte sie nichts wärmer ersehnt, als sie verlassen zu dürfen, aber heute bangte ihr davor; denn die Trennung von dem Oheim bedeutete zugleich die von seinem Sohne. Sie haßte ihn, aber ihn ganz aus den Augen zu verlieren, das war dennoch schwer zu ertragen.
Philipp zu folgen, um ihm wie eine Schwester nahe zu bleiben: es ging ja nicht an, und es kam ihr vor wie etwas Undenkbares, wunderlich Verkehrtes.
Unter all diesen Erwägungen lauschte sie auf den Atem der Kranken und behandelte sie nach der Vorschrift des Arztes, dessen Wiederkehr sie ersehnte; doch statt seiner trat die Nonne an das Bett, legte der Kranken die Hand auf die Stirn, fühlte ihr den Puls und flüsterte ihr, ohne Paulas zu achten, freundlich zu: »Recht so, Kind, nur schlafen, immer hübsch schlafen! Wo sie die Ruhe nur her hat; wenn’s doch so bliebe! Der Kopf ist kühler geworden; das nennt Philippus gewiß kaum mehr Fieber! Gott sei gedankt! Die schlimmste Gefahr ist vorüber.«
»O, wie das mich freut!« rief das Mädchen, und in diesen Worten lag so viel Aufrichtigkeit und Wärme, daß die Nonne ihr zunickte und ihr von nun ab die Kranke beruhigt und gern überließ.
Lange hatte Paula sich nicht so glücklich gefühlt. Es kam ihr auch vor, als sei ihre Anwesenheit von guter Wirkung für die Kranke, als sei Mandane schon durch ihre kurze Pflege an die Schwelle eines neuen Lebens gelangt. Paula, die sich noch vor kurzem für ein vom Schicksal verfolgtes Wesen gehalten, atmete auf in dem Gedanken, daß sie auch Glück bringen könne. Heiter und mit wahrer Zärtlichkeit sah sie Mandane in das mehr als hübsche Gesicht, schob sie die Binde, welche sich etwas verschoben, sorgsam über ihre verstümmelten Ohren, hauchte sie einen leisen Kuß auf ihre langen, seidenen Wimpern.
Der verständigen Nonne begann die Damascenerin mehr und mehr zu gefallen, und als die Stunde des Gebets für sie wiederkehrte, schloß sie Paula, die Waise im fremden Hause, die durch Gottes unerforschlichen Ratschluß außerhalb ihres selig machenden Glaubens geborene Griechin, mit darin ein.
Endlich kehrte Philippus zurück, freute sich des heiteren Aussehens seiner neuen Freundin und bestätigte, daß Mandane unter ihrer Hand die erste, schwerste Gefahr bestanden und alle Anwartschaft habe, langsam, aber hoffentlich ganz zu genesen.
Nachdem Paula den Umschlag erneuert hatte, wobei er ihr geflissentlich freie Hand ließ, sagte er heiter: »Wie schnell Du Deine Sache gelernt hast! Da schläft das Mädchen schon wieder; die Schwester wacht, und wir können unserer Patientin augenblicklich nicht dienen; denn Schlummer ist für sie die allerbeste Kost. Bei uns beiden, wenigstens bei mir, steht es anders. Auf die große Mahlzeit haben wir noch zwei Stunden zu warten, mein Frühstück steht da drüben noch unberührt, und mit dem Deinen ist es wohl ähnlich gegangen; so sei denn mein Gast. Sie schicken immer so viel, daß man sechs Schiffszieher damit sättigen könnte.«
Dieser Vorschlag war Paula genehm; denn der Hunger hatte sich schon längst bei ihr gemeldet. Die Nonne ward beauftragt, schnell noch einige Teller zu holen, an Pokalen fehlte es ohnehin nicht, und so saßen die neuen Freunde denn bald speisend einander gegenüber, jeder an seinem Tischchen.
Er zerschnitt die Ente und die gebratenen Wachteln, legte ihr den Salat und die dampfenden Artischocken vor, welche die Nonne auf Wunsch des Koches, dem der Arzt sein einziges Knäblein gerettet, mit heraufgebracht hatte, wies auf die kleinen Pastetchen, die Früchte und Kuchen, welche sonst noch da waren, spielte den Mundschenk, und während sie sich’s wacker schmecken ließen, verwickelten sie sich in ein lebhaftes Gespräch.
Paula erkundigte sich heut zum erstenmal nach der Jugendzeit des Philippus, und er begann mit einer Darstellung seines jetzigen Lebens, das er mit dem alten wunderlichen Isisdiener und Forscher Horus Apollo teilte, schilderte seine angestrengte Thätigkeit bei Tage und sein stilles Studium bei Nacht, und wußte das alles so ergötzlich auszuschmücken, daß sie oft hell auflachen mußte. Aber bald wurde er wehmütig und teilte ihr mit, wie früh er Vater und Mutter verloren und ganz auf sich und ein winziges ererbtes Vermögen gestellt, ohne Verwandte – denn sein Vater war ein aus Athen nach Alexandria berufener Grammatiker gewesen – der Notwendigkeit gegenüber gestanden habe, sich den Weg durchs Leben zu bahnen, das sich ihm wie ein verwachsenes Papyrus– und Schilfrohrdickicht entgegengestellt habe. Jede Stunde seines Daseins sei ausgefüllt mit Arbeit gewesen, und einem garstigen, aufrichtigen Goliath wie ihm werde es niemals leicht, fördernde Gönner zu finden. Auf den hohen Schulen Alexandrias, Athens und Cäsareas habe er durch Unterrichterteilen und die Bereitung von Medikamenten aus selbstgesuchten Pflanzen, das Dasein mit Wasser statt Wein, mit Brot und Früchten statt mit Wachteln und Pastetchen gefristet und dennoch manchen guten Freund gefunden, aber eine Freundin zu gewinnen, das sei schwer mit einem Gesicht wie dem seinen.
»So wäre ich also die erste?« fragte Paula, welche tiefe Achtung vor dem Manne empfand, der sich mit eigener Kraft zu der bevorzugten Stellung heraufgerungen hatte, die er längst nicht nur in Memphis, sondern unter allen ägyptischen Heilkünstlern einnahm.
Er nickte bejahend und mit einem so glückseligen Lächeln, daß es ihr war, als fiele ihr ein Sonnenstrahl gerade in die Seele.
Er bemerkte es sogleich, hob den Becher, trank ihr zu und rief mit glühenden Wangen: »Was anderen früh zu teil wird, hab’ ich später erworben, aber dafür ist es auch eine Freundin ohnegleichen geworden.«
»Hoffentlich zeigt sie sich wenigstens nicht ganz so schlimm, wie Du sie vorhin geschildert. Wenn unserem Bündnis nur nicht bald ein jähes Ende bevorsteht!«
»Oho!« rief der Arzt. »Jeder Blutstropfen in diesen Adern...«
»Du würdest bereit sein, ihn für mich zu verspritzen,« unterbrach ihn Paula mit einer pathetischen Geste, die sie dem ersten Tragödienspieler aus dem Theater zu Damaskus abgesehen hatte; »aber sei unbesorgt: um Tod und Leben wird sich’s nicht handeln, höchstens vertreiben sie mich aus diesem Hause und Memphis.«
»Dich?« fuhr Philippus erschrocken auf. »Wer dürfte das wagen?«
»Diejenigen, denen ich so wunderbar fremd blieb; Du hast’s ja vorhin treffend geschildert. Und ist ihnen der Wille gethan, dann, mein lieber, neuer Freund, wird es uns gehen wie dem gelehrten Dionys von Kyrene.«
»Von Kyrene?«
»Ja wohl! Ich hab’ das Geschichtchen von meinem Vater. Als dieser Dionys seinen Sohn nach Athen auf die hohe Schule schickte, setzte er sich hin und begann für ihn ein Buch über alles zu schreiben, was ein Student auf der Universität thun und lassen soll. Er widmete sich dieser Arbeit mit allem Eifer, und als er nach vier Jahren das: ›So wäre denn dies Buch glücklich zu Ende,‹ unter das letzte Blatt der Rolle setzte, kehrte der Jüngling, dessen Studium das Werk zu leiten bestimmt war, als fertiger Gelehrter nach Kyrene zurück.«
»Und so hätten wir unsere Freundschaft geschlossen...«
»Und alles für ein künftiges Bündnis schön vorbereitet, um sehr bald auseinander zu gehen.«
Da schlug Philipp heftig auf das Tischchen vor seinem Lager und rief: »Das werd’ ich zu verhindern wissen! Doch vertraue mir nun, was es zwischen Dir und denen da unten wieder gegeben?«
»Du erfährst es zeitig genug.«
»Und wer da denkt, daß man Dir mir nichts dir nichts den Stuhl vor die Thür setzen darf und daß damit auch zwischen uns alles vorbei ist, der könnte sich irren!« rief der Arzt, und seine Augen begannen zornig zu funkeln. »Ich habe hier im Haus auch ein Wort mitzureden, und so weit sind wir noch lange nicht, so weit darf es überhaupt niemals kommen. Verlassen sollst Du sie, ja! Aber nur freiwillig und mit hoch erhobenem Haupte...«
Hier wurde die Thür des ersten Krankenzimmers schnell geöffnet, und im nächsten Augenblick stand Orion in dem Nebensaale, blickte die beiden, welche das Mahl vor kurzem beendet, erstaunt und befremdet an und sagte finster: »Ich seh’, daß ich störe.«
»Durchaus nicht,« versetzte der Arzt; der Jüngling aber empfand, daß es geschmacklos und wenig am Platze sein würde, seinem eifersüchtigen Mißbehagen Ausdruck zu geben, und erwiderte lächelnd: »Wem es gestattet gewesen wäre, dies Symposion als dritter mitzugenießen!«
»Wir genügten einander vollkommen,« entgegnete der Arzt.
»Dem wäre die Seligkeit gewiß, der an alle Lehren der Kirche so leicht zu glauben vermöchte wie an diese Behauptung,« lachte Orion. »Ich bin sonst kein Spaßverderber, meine Verehrten, aber diesmal, es thut mir aufrichtig leid, muß ich dennoch den Störenfried spielen. Es handelt sich,« und nun war es ihm wieder vergönnt, von dem scherzhaften Tone zu lassen, der seiner Stimmung nur zu übel entsprach – »es handelt sich um eine wichtige Sache. Sie betrifft zunächst Deinen Freigelassenen, meine schöne Feindin.«
»Ist Hiram zurück?« fragte Paula und fühlte dabei, daß sie bleich ward.
»Sie brachten ihn ein,« versetzte Orion. »Der Vater hat die Richter sogleich zusammenrufen lassen. Bei uns hat die Justiz hurtige Beine. Der Mann thut mir leid, doch ich kann nicht hindern, daß sie ihren Lauf nimmt. Dich muß ich bitten, Dich zum Verhör einzustellen, wenn man Dich ruft.«
»Man soll die volle Wahrheit erfahren,« entgegnete Paula fest und streng.
»Natürlich,« versetzte Orion. Dann wandte er sich an den Arzt: »Dich, trefflicher Aeskulap, möcht’ ich bitten, meine Verwandte und mich einen Augenblick allein zu lassen. Ich habe ihr einen Rat zu erteilen, der ihr sicherlich zum Vorteil gereicht.«
Philippus blickte die Freundin fragend an, sie aber versetzte laut und entschieden: »Ich habe kein Geheimnis mit Dir; was ich hören soll, kann auch dieser vernehmen.«
Da zuckte Orion die Achseln und wandte sich zum Gehen; doch vor der Schwelle kehrte er um und rief erregt und voll wirklicher Besorgnis:
»Wenn Du mich nicht um Deinetwillen anhören willst, so thu es, wie übel Du mir auch gesinnt bist, weil ich Dich anflehe, mir diese Gunst nicht zu versagen. Es handelt sich um das Leben des einen und um das Glück, die Ruhe eines andern Menschen. Sage nicht nein, ich fordere nichts Unbilliges, Philippus! Erfülle meinen Wunsch und laß uns einige Augenblicke allein!«
Abermals fragten die Augen des Arztes die Jungfrau und diesmal entgegnete sie: »Geh!« und ihr Freund entfernte sich sogleich.
Da zog Orion die Thür zu und rief mit fliegendem Atem:
»Was hab’ ich Dir gethan, Paula, daß Du mich seit gestern wie einen Aussätzigen fliehst, daß Du darauf ausgehst, mich ins Unglück zu stürzen?«
»Ich denke für das Leben eines treuen Dieners einzutreten, nichts weiter,« entgegnete sie gelassen.
»Auf die Gefahr hin, mich zu verderben?« versetzte Orion bitter.
»Auf diese Gefahr hin, wenn Du den fluchwürdigen Mut findest, die eigene Schuld auf den redlichen Mann zu wälzen.«
»Du hast mich in der vergangenen Nacht belauscht!«
»Nur der Zufall fügte es, daß ich Dich aus dem Tablinum...«
»Ich forsche jetzt nicht, was Dich so spät dahin führte,« unterbrach sie der Jüngling. »Denn es widersteht mir, von Dir etwas anderes als das Beste, das Höchste zu glauben. Aber Du? Was hast Du anderes von mir erfahren als Freundschaft, ja – verbergen, verstecken wäre hier Thorheit – als was der Liebende der Geliebten...«
»Der Liebende?« fiel ihm Paula empört ins Wort. »Der Liebende, wagst Du zu sagen, Du, der Hand und Herz einer andern geboten, Du, der...«
»Wer sagt Dir das?« fragte Orion dumpf.
»Deine eigene Mutter.«
»Das! Also das?« rief der Jüngling und faltete die Hände krampfhaft fest in einander. »Nun erst versteh’ ich, begreif’ ich... Aber halt... Wenn es das ist, was Dich zum Haß, zur Verfolgung gegen mich reizt, dann mußt Du mich lieben, dann liebst Du mich, Mädchen, und dann, Du hohes, einziges Wesen...«
Damit streckte er die Hand nach ihr aus, sie aber stieß sie zurück und rief mit bebender Stimme:
»Irre Dich nicht! Ich gehöre nicht zu den schwachen Lämmern, gegen die Du Deine Gaben und Vorzüge mißbraucht hast und die sich beeilten, Dir die Hände zu küssen. Ich bin des Thomas Tochter, und der Bräutigam einer andern, den es auf dem Weg zur Hochzeit nach meiner Umarmung gelüstet, der wird zu seinem Schaden erfahren, daß es Frauen gibt, die seine verruchten Wünsche zurückzuweisen und den Schimpf, der ihnen zugedacht war, zu strafen verstehen. Fort nun zu Deinen Richtern. Du, falscher Ankläger, nennst meinen Hiram, ich aber nenne Dich, Dich, den Sohn dieses Hauses, den Dieb. Sehen wir zu, wem sie glauben!«
»Mir!« versetzte Orion und seine Augen begannen nicht weniger empört und vernichtend zu glühen wie die ihren. »Mir, dem Sohn des Mukaukas! O, daß Du kein Weib wärest! Auf die Kniee wollt’ ich Dich nieder drücken und Dich zwingen, mich um Vergebung zu bitten! Wie darfst Du es wagen, auf einen Mann, dessen Wandel bisher so makellos rein war wie Dein weißes Gewand, mit dem Finger zu weisen, als ob er ein Nichtswürdiger wäre? Ja, ich bin in das Tablinum gegangen, ich habe den Smaragd aus dem Teppich gerissen, aber es ist in übermütiger Laune geschehen und in dem Bewußtsein, des Vaters Gut sei das meine. Fortgeschleudert hab’ ich dann den Stein, einer wunderlichen Liebhaberei, einem flüchtigen Einfall zu gefallen. Verflucht sei die Stunde, in der es geschehen ist, nicht um der That selber, sondern um der Folgen willen, die sie nach sich ziehen kann durch Deinen wahnsinnigen Haß; Eifersucht, kleine, unwürdige Eifersucht ist es, die ihn erzeugte! Und gegen wen ist sie gerichtet?«
»Gegen niemand, auch nicht gegen Deine Braut Katharina,« versetzte Paula mit erzwungener Ruhe. »Was bist Du mir noch, daß ich, um Dir eine Demütigung zu ersparen, das Leben des bravsten Mannes aufs Spiel setzen möchte? Es bleibt dabei: die Richter sollen entscheiden.«
»Nein, sie sollen es nicht!« brauste Orion von neuem auf, »wenigstens nicht in Deinem Sinne! Hüte Dich, hüte Dich, mich zum Aeußersten zu treiben. Noch seh’ ich in Dir das Weib, das ich liebte, noch biete ich auf, was in meiner Macht steht, auch für Dich alles zum Besten zu wenden...«
»Für mich? So bin auch ich bestimmt, Deine Schuld mit zu tragen?«
»Hast Du vorhin da unten Gebell vernommen?«
»Ich hörte kläffende Hunde.«
»Nun wohl, der Freigelassene ist eingebracht worden, die Meute hatte seine Witterung gewonnen und wurde jetzt in das Haus und in die Nähe des Tablinums geführt, und die Hunde sind nicht von der Schwelle gewichen, und die Leute haben dort nachher auf der weißen Marmorschwelle an ihrem rechten Ende die Spuren eines männlichen Fußes im Staube entdeckt. Sie war seltsam gebildet, und statt fünf Zehen gab es ihrer nur drei zu erkennen. Dein Hiram wurde gebracht, und es fanden sich bei ihm ebensoviel Zehen wie auf dem Marmor, nicht weniger, nicht mehr. Ein Hengst hat ihn im Stall Deines Vaters getreten, und der Arzt ihm zwei seiner Zehen abnehmen müssen; das ist dem Stotterer mühsam genug abgefragt worden. An der andern Seite der Schwelle war eine kleinere Spur, aber so wenig die Hunde acht auf sie gaben, ich habe sie bemerkt und sicher festgestellt, – wie, brauchst Du nicht zu erfahren – daß Du es gewesen, die dort gestanden. Er, der kein Recht hat, dies Haus zu betreten, ist in dieser Nacht in unser Tablinum, unsere Schatzkammer gedrungen. Denke Dich nun in die Seele der Richter! Wie schwer kann wohl gegen solche Thatsachen das bloße Wort einer Jungfrau ins Gewicht fallen, von der jedermann weiß, daß sie mit meiner Mutter nichts weniger als eins ist, und der alles darauf ankommen muß, ihren Diener zu retten.«
»Nichtswürdig!« rief Paula. »Aber Hiram hat den Stein nicht gestohlen, Du weißt es ja selbst, wer es gethan hat. Der Smaragd, den er verkaufte, mein Eigentum war er, und sehen sich diese Steine wirklich so ähnlich, daß selbst der Verkäufer...«
»Ja, ja! Er konnte sie nicht unterscheiden. Böse Dämonen sind bei alledem im Spiel, teuflische, hämische Geister. Es möchte einem der Verstand dabei stille stehen, wenn das Leben nicht so voll von Wundern wäre. Du selbst bist ja das größte! Hast Du dem Syrer den Smaragd zu verkaufen geboten, um mit dem Erlös aus diesem Hause zu fliehen? Du schweigst? So traf ich doch wohl das Rechte! Was kann der Vater Dir sein, Du liebst die Mutter nicht, und den Sohn – Paula, Paula, Du thust ihm doch vielleicht Unrecht! – Ihn hassest Du, ihm zu schaden ist Dir eine Lust.«
»Weder Dir noch irgend einem andern möchte ich weh thun,« versetzte das Mädchen, »und Deine Vermutung ist falsch. Dein Vater versagt mir die Mittel, den meinen zu suchen...«
»Und Du hast Dir Geld schaffen wollen, um weiter nach dem längst Verstorbenen zu forschen. Selbst die Mutter gibt zu, daß Du die Wahrheit liebst, und hat sie recht, und es freut Dich in der That nicht, mich zu verderben, so höre mich, folge meinem Rat, erfülle meine Bitte! Ich verlange nichts Großes.«
»Dann rede.«
»Weißt Du, was eines Mannes Ehre bedeutet? Brauch’ ich Dir zu sagen, daß ich ein verlorener, geächteter Mensch bin, wenn ich um dieser That des hirnlosesten Leichtsinns willen von den Richtern des eigenen Hauses verurteilt werde? Dem Vater kann es das Leben kosten, wenn er erfährt, daß das ›Schuldig‹ über mich verhängt ward, und ich – ich – was aus mir würde, wenn dies geschähe, ich kann es nicht absehen... ich... Gott, Gott, schütze mich vor Wahnsinn! Aber Ruhe, Ruhe... Die Zeit drängt... Wie anders steht es mit Deinem Diener; er scheint schon jetzt bereit, die Schuld auf sich zu nehmen; denn wie man ihn auch ausfragt, er behauptet Schweigen. Thue Du dasselbe, und heben die Richter lebhaft die Verbindung hervor, in der Du in dieser Nacht mit dem Syrer gestanden – die Hunde fanden seine Spuren auf Deiner Treppe – so sprich die Vermutung aus, der treue Mann habe sich des Smaragden bemächtigt, um Dein Verlangen zu befriedigen, Deinen Vater, seinen lieben Herrn, weiter zu suchen. Kannst Du Dich entschließen, dies schwere Opfer zu bringen, – o, daß ich es fordern muß! – so schwöre ich Dir bei allem, was mir heilig ist, bei Dir selbst und bei dem Haupt meines Vaters, daß ich Hiram in spätestens drei Tagen ungeschlagen und ungefoltert, fürstlich beschenkt aus der Haft entlasse und ihm selbst die Wege bahne, zu fliehen, wohin er nur mag, oder ist es Dir lieb, Deinen Verstorbenen weiter zu suchen. – Schweige, halte Dich gelassen im Hintergrunde; das ist alles, was ich verlange, und daß ich mein Wort halten werde, daran wenigstens, nicht wahr, daran zweifelst Du nicht?«
Tief atmend hatte sie ihm zugehört. Sie empfand Mitleid, tiefes Mitleid mit ihm, wie er da bittend und von tiefer innerer Pein gemartert vor ihr stand, ein Missethäter, der es immer noch nicht fassen konnte, es zu sein, und der auf das Zutrauen baute, das er gestern noch berechtigt gewesen, von aller Welt zu fordern. Wie ein schöner, stolzer Baum, in den der Blitz geschlagen, und der nun wankend und mit geborstenem Stamme beim nächsten Unwetter zu Boden stürzen muß, wenn ihn der Gärtner nicht stützt, stand er vor ihr, und am liebsten hätte sie alles, was ihr von ihm zugefügt worden war, vergessen und seine Hand freundlich und tröstend ergriffen; aber ihr tief verletzter Stolz half ihr die kühle, ablehnende Haltung wahren, die es ihr bis jetzt zu behaupten gelungen.
Zaudernd und gemessen willigte sie ein, so lange er sein Versprechen halte, zu schweigen. Weniger um seinet– als um seines Vaters willen werde sie sich zu seiner Mitschuldigen machen; doch damit sei alles aus zwischen ihnen, und sie werde die Stunde segnen, welche sie von ihm und den Seinen für alle Ewigkeit trenne.
Der letzte Teil ihrer Rede klang unsagbar abweisend und hart, und sie mußte sich eines solchen Tones bedienen, um nicht zu verraten, wie tief sie sein Unglück und das Erlöschen des Sonnenscheins in seinem Wesen ergreife, der auch ihr einst das Herz so selig erwärmt; ihn aber wehte es eisig an aus ihren Worten, aus denen schnöde Mißachtung und feindseliger Groll zu sprechen schien. Mühsam hielt er an sich, um sich nicht abermals zu heftigen Worten hinreißen zu lassen. Es war ihm fast leid, ihr sein Geheimnis anvertraut, sie um Gnade gebeten, nicht den Dingen ihren Lauf gelassen und sie, kam es zum Aeußersten, mit sich ins Verderben gezogen zu haben. Lieber wollte er Ehre und Ruhe einbüßen, als sich noch einmal vor dieser erbarmungslosen, kaltherzigen Feindin demütigen. In diesem Augenblick haßte er sie wirklich, und er wünschte sich, mit ihr kämpfen zu dürfen, ihren Stolz zu brechen und die Besiegte, um Erbarmen bettelnd, vor seinen Füßen zu sehen. Mühsam, mit glühenden Wangen und gepreßter Stimme schloß er:
»Trennung von Dir, Dir, ist für uns alle das Beste. Halte Dich bereit, bald werden die Richter Dich rufen.«
»Gut,« lautete die Antwort, »ich schweige, Du aber sorgst für die Rettung des Syrers; ich habe Dein Wort.«
»Und so lange Du dem Deinen treu bleibst, werd’ ich es halten; sonst,« fuhr es ihm über die vor Empörung bebenden Lippen, »sonst Kampf bis aufs Messer!«
»Bis aufs Messer!« versetzte sie mit funkelnden Augen. »Aber noch eins! Ich habe Beweise, daß der Smaragd, den ihr bei Hiram gefunden, mir gehört hat, bei allen Heiligen, ich hab’ sie!«
»Desto besser für Dich,« versetzte er dumpf. »Wehe uns beiden, wenn Du mich zwingst, zu vergessen, daß Du ein Weib bist!« Damit verließ er raschen Schrittes den Saal.
Zwölftes Kapitel.
Mit geballter Faust und grollendem Blick stieg Orion die Treppe hinunter. Das Herz that ihm weh zum Zerspringen.
Was hatte er gethan, was war aus ihm geworden!
So durfte ein Weib ihm begegnen, ein Weib, das er seiner Liebe gewürdigt, das schönste, edelste der Weiber, das hochmütigste, rachedürstigste, hassenwerteste zugleich! Er hatte einmal das Wort gelesen: »Wer etwas Niedriges begangen, um das auch nur ein anderer weiß, der trägt das Todesurteil seiner Ruhe in den Falten seines Gewandes.« Er fühlte die Wucht dieses Urteils, und die andere, die Mitwisserin, war Paula, war diejenige, von der er am meisten gewünscht hätte, daß sie zu ihm hinaufschauen möge. Seligkeit auf Erden hätte es ihm noch gestern geschienen, sie in den Armen halten, sie sein nennen zu dürfen, jetzt fühlte er nur den einen Wunsch, sie zu demütigen, sie zu strafen. Und daß ihm die Hände gebunden waren, daß er wie ein Verurteilter von ihrer Gnade abhing! Es war nicht zu fassen, war unerträglich! Aber sie sollte ihn kennen lernen! Wie ein weißer Schwan war er bis dahin durchs Leben gezogen; wenn diese unseligen Stunden, wenn dies Weib ihn zum Geier machte, war es nicht seine, war es ihre Schuld! Bald sollt’ es sich erweisen, wer der Stärkere war von ihnen beiden. Wie man ein Weib nur immer züchtigen kann, mußt’ er sie strafen, und wenn der Weg dazu durch Verbrechen und Elend führte! Daß der Arzt ihre Neigung gewonnen habe, fürchtete er nicht; denn mit wunderbarer Sicherheit empfand er, daß trotz aller Feindseligkeit, die sie ihm zu fühlen gab, ihr Herz ihm und nur ihm gehöre. »Das Goldstück der Liebe,« sagte er sich, »hat zwei Seiten: zärtliches Verlangen und bitteren Haß; jetzt zeigt sie mir diesen, aber wie verschieden auch Bild und Schrift an der Münze sein mögen, wenn man sie klingen läßt, gibt es doch nur einen Ton, und der liegt auch in ihren verletzendsten Worten.«
Bei der Familientafel entschuldigte er Paula und nahm selbst nur wenige Bissen; denn die Richter hatten sich schon längst versammelt und warteten seiner.
Schon den Ahnen des Mukaukas, mächtigen Gaufürsten, war das »Recht über Leben und Tod« verliehen worden, und sie hatten sich seiner sicher schon unter den Psamtikiden bedient, deren Herrschaft durch den Perser Kambyses ein grausames Ende gefunden. So prangten noch jetzt Uräusschlangen, diejenigen Nattern, deren Biß am schnellsten den Tod verursacht, und der Drachentöter St. Georg als ehrwürdige Symbole dieses Rechtes über des Mukaukas Palästen zu Memphis und Lykopolis in Oberägypten, und an beiden Orten stand es, nachdem Justinian und ganz zuletzt der Kaiser Heraklius diese alte Befugnis neu bestätigt hatten, dem Haupt der Familie zu, über die Hörigen des Hauses und die Insassen der Distrikte, denen er vorstand, aus eigener Machtvollkommenheit die Todesstrafe zu verhängen. Der Ritter Georg war zwischen die alten Schlangen gesetzt worden, um das heidnische Symbol durch ein christliches zu ersetzen. Früher hatte der Ritter das Haupt eines Sperbers, das heißt des Gottes Horus, getragen, der, um seinen Vater zu rächen, den bösen Seth Typhon niedergeworfen; doch schon vor zweihundert Jahren war der heidnische Krokodiltöter in den christlichen Besieger des Drachen verwandelt worden.
Die Araber hatten nach der Eroberung des Landes die alten Einrichtungen und Rechte, und so auch die des Mukaukas bestehen lassen.
Der Gerichtshof, welcher in Sachen der Angehörigen des Hauses zusammenberufen wurde, bestand aus den höheren Privatbeamten der Statthalterei. Das Amt des Oberrichters bekleidete der Mukaukas selbst, und sein erwachsener Sohn war sein natürlicher Stellvertreter. Während Orions Abwesenheit hatte der Vorsteher des Rechnungswesens, Nilus, ein kluger und besonnener Aegypter, den Platz seines leidenden Herrn häufig eingenommen, aber heute war Orion beauftragt worden, seine Stelle zu vertreten und den Vorsitz zu führen.
Aus dem Speisesaal eilte der Statthalterssohn in das Schlafgemach seines Vaters und bat ihn um seinen Ring als Zeichen der Vollmacht, die er auf ihn übertragen, und der Mukaukas ließ sich ihn willig vom Finger ziehen und legte dem Jüngling ans Herz, unnachsichtliche Strenge zu üben. Er sei sonst zur Milde geneigt, doch auf einen Einbruch im Hause stehe der Tod, und in diesem Fall sei es schon um des arabischen Kaufmanns willen geboten, keine Schonung zu üben.
Orion bat nun den Vater, eingedenk seines Vertrages mit Paula, ihm ganz freie Hand zu lassen. Der alte Muslim sei ein gerechter Mann, der unter Umständen auch ein mildes Urteil billigen werde, außerdem sei der Verbrecher nicht eigentlich ein Hausgenosse, sondern stehe im Dienst einer Verwandten.
Der Mukaukas lobte den besonnenen Sinn seines Sohnes. Wenn es ihm selbst nur etwas besser gehe, werde er sich die Freude gönnen, der Sitzung beizuwohnen und ihn zum erstenmal eine ernste Pflicht, würdig seiner Geburt und Stellung, erfüllen zu sehen.
Orion küßte dem Vater innig und mit wehmütiger Bewegung die Hand; denn jedes anerkennende Wort des geliebten Mannes that ihm tief innerlich wohl, und er empfand es dabei wie ein Unglück, daß er seine Richterlaufbahn, deren Ernst und Heiligkeit er kannte, so – so antreten mußte.
Weicher gestimmt, in Gedanken versunken und erwägend, wie Hiram zu retten und Paulas Name am besten ganz aus dem Spiel zu lassen sei, begab er sich zu dem Gerichtssaal, und vor ihm fand er die Amme Perpetua in lebhaftem Gespräch mit dem Rentmeister Nilus.
Die Alte war außer sich. Beim Klappern der Webstühle hatte sie bis vor kurzem nichts von dem Vorgefallenen erfahren; nun beschwor sie die Unschuld des unglücklichen Hiram. Der Stein, den er verkauft habe, sei das Eigentum ihrer Herrin gewesen, und dafür fehle es gottlob nicht an Beweisen: die Fassung des Smaragds liege wohlverwahrt in der Truhe ihrer Herrin. Es sei ihr zum Glück noch möglich gewesen, sie zu sprechen, aber daß man sie, die Tochter des Thomas, wie jedes Bürger– oder Sklavenkind vor Gericht stellen wolle, das sei unerhört, das sei schändlich!
Da unterbrach sie Orion barsch, gebot dem alten Thorhüter, sie sogleich in das Gewebemagazin neben dem Tablinum, wo die fertigen, für den Gebrauch des Hauses bestimmten Stoffe aufbewahrt wurden, zu führen und sie dort bis auf weiteres wohl zu bewachen. Der Ton, in dem er diesen Befehl erteilte, war so beschaffen, daß ihm selbst die Amme nicht widersprach, und auch der Rentmeister gehorchte schweigend seinem Gebot, sich zu den Richtern zurückzubegeben.
Erstaunt und beunruhigt ging Nilus in den Sitzungssaal zurück. So hatte er den Sohn seines Herrn noch nie gesehen! Bei der Mitteilung der Amme waren ihm die Adern auf der jugendlichen, faltenlosen Stirn weit hervorgetreten, und seine Nasenflügel hatten in rascher, krampfhafter Bewegung zu beben begonnen, der Wohlklang war aus seiner Stimme gewichen gewesen, und sein Auge hatte drohend gefunkelt.
Nun war Orion allein und knirschte tief aufgebracht mit den Zähnen. Trotz des gegebenen Versprechens hatte Paula ihn verraten, und wie elend war die Weiberlist, mit der sie es gethan! Vor den Richtern, herrlich! Vor denen konnte sie nun schweigen, ganz getrost schweigen bis ans Ende der Sitzung, die Amme, ihr Sprachrohr, hatte ja Nilus, den ernstesten und schärfsten im ganzen Kollegium, mit den Beweismitteln vertraut gemacht, welche für sie und gegen ihn zeugten. Unerhört, nichtswürdig! Ein schmählicher, ausgesucht tückischer Verrat! Aber noch war sie nicht am Ziele, noch hatte er freie Hand, den bösen Streich mit einem Gegenhieb zu pariren. Wie er zu führen sei, war ihm schon bei der Mitteilung der Amme klar gewesen, aber das Gewissen, die angeborene Neigung, die lange Gewohnheit, sich in den Schranken des Rechten, Guten, Schicklichen zu halten, hielt ihn zurück. Niedriges und Gemeines hatte er nicht nur niemals selbst begangen, sondern es auch nur mit Widerwillen an anderen gesehen, und das einzige, was er unternehmen konnte, um Paulas Verrat unschädlich zu machen, das war – er konnt’ es nicht leugnen – das war zwar eigenartig und kühn, aber ebenso verabscheuungswürdig und schändlich.
Doch er wollte und durfte in diesem Streite nicht unterliegen. Die Zeit drängte, langes Erwägen war hier nicht möglich, und plötzlich überkam ihn grimmige und wilde Kampflust, ward ihm zu Mute wie an den Wettfahrtstagen im Zirkus, wenn er das eigene Gespann den anderen zuvor trieb.
Vorwärts denn, vorwärts, und wenn das Fahrzeug zerschellte, wenn die Rosse zu Grunde gingen und seine Räder die gestürzten Genossen im Sand der Arena zermalmten; vorwärts, nur vorwärts!
Mit wenigen raschen Schritten erreichte er das Stübchen des Thorhüters, eines wackern Alten, der seit vierzig Jahren seinem Amte vorstand. Früher war er Schlosser gewesen, und jetzt lag es ihm ob, die kleinen Reparaturen an dem einfacheren Hausgerät vorzunehmen. Orion war als Knabe ein holdes, jedes Herz bestrickendes Bürschchen und auch der Liebling dieses tüchtigen Mannes gewesen, hatte sich mit Vorliebe in seinem Stübchen aufgehalten und ihm die Kunstgriffe seines Handwerks abgesehen. Mit besonderem technischem Geschick begabt, war er ein gelehriger Schüler des Alten gewesen und hatte es so weit gebracht, für die Eltern zu ihren Geburtstagen, in Aegypten besonders feierlich begangenen und durch Geben und Nehmen gewürzten Festen, zierliche Kästchen, Gebetbuchdecken und dergleichen zu schnitzen und mit Schlosserarbeit zu versehen. Er verstand alle Instrumente zu führen und wählte sich jetzt hastig diejenigen aus, welche er zu benützen gedachte. Auf dem Fensterbrett des Stübchens stand ein Blumenstrauß, den er gestern Abend für Paula bestellt und an diesem schrecklichen Tage abzuholen vergessen hatte. Mit ihm in der Hand und den Instrumenten in den Brustfalten seines Gewandes eilte er die Treppe hinan.
»Vorwärts, immer nur vorwärts!« rief er sich selbst zu, wie er in Paulas Zimmer drang, den inneren Riegel vorstieß und sich vor ihrer Truhe nieder und die Blumen aus der Hand warf. Ward er entdeckt, so war er in Paulas Gemach eingedrungen, um ihr den Strauß zu überbringen.
»Und vorwärts, nur vorwärts!« dachte er immerfort, wie er die Scharniere losschraubte, an denen sich der Deckel der Truhe bewegte. Seine Hände zitterten, sein Atem flog dabei, aber die Arbeit förderte dennoch. Dies Verfahren war das rechte, denn das Kunstschloß an dem Kasten ließ sich nicht aufthun, ohne es zu verderben. Jetzt hob er den Deckel, und – als unterstützten ihn freundliche Mächte – auf den ersten Griff in die Truhe hielt er das Halsband mit der leeren Fassung in der Hand. Sie hing an dem sorgfältig gearbeiteten Schmuck; sie loshaken und zu sich stecken war das Werk eines Augenblicks.
Aber nun wollte auch das lauteste »Vorwärts« nicht länger fruchten. Das war ein Diebstahl, damit raubte er derjenigen etwas, die er, hätte sie nur gewollt, mit allem zu überhäufen bereit gewesen wäre, womit ihn die Schickung so überreich gesegnet. Nein, das, das...
Da schoß ihm plötzlich ein wunderlicher Gedanke durch das Hirn, ein Gedanke, der ihm mitten in dem furchtbaren Ernst dieser Stunde ein Lächeln auf die Lippen zwang. Ungesäumt ließ er ihm die Ausführung folgen, und mit einem tiefen Griff faßte er in sein Untergewand und holte eine Gemme hervor, welche an einem goldenen Kettchen auf seiner Brust hing. Dies Kleinod, das Meisterwerk eines großen griechischen Steinschneiders aus heidnischer Zeit, war ihm von seinem besten Freunde in Konstantinopel als Gegengabe für ein Viergespann, das diesem besonders gefallen, geschenkt worden, und es besaß in der That höheren Wert als ein halbes Dutzend edler Rosse. Wie im Rausche, halb wirren Geistes, folgte Orion den wilden Trieben, denen er sich überlassen, doch es freute ihn, daß er ein so kostbares Stück bei der Hand hatte, um es an Stelle des elenden Goldbleches zu hängen. Dies war mit zwei Griffen geschehen, aber das Wiederanschrauben der Scharniere nahm längere Zeit in Anspruch; denn die Finger zitterten ihm dabei heftig, und je näher der Augenblick kam, in dem er Paula seine Uebermacht fühlen lassen wollte, desto schneller schlug ihm das Herz, desto schwieriger ward es ihm, den Geist zu ruhigen Erwägungen zusammenzufassen.
Nachdem er die Thür aufgeriegelt, mußte er wieder wie ein Dieb auf den langen Gang des Fremdenstockes hinausspähen, und dies steigerte seine Erregung bis zum Ingrimm gegen Welt und Schicksal und am meisten gegen diejenige, welche ihn zu solcher schmählichen Selbsterniedrigung zwang.
Der Wettfahrer hielt nun Zügel und Stachel in der Hand. Vorwärts, nur vorwärts.
Wie einst als Knabe, jagte er, indem er immer drei Stufen auf einmal übersprang, die Treppe hinunter, und als er im Vorsaale die griechische Erzieherin Eudoxia traf, welche ihren wilden Zögling Maria eben ins Haus zog, warf ihr Orion den Blumenstrauß zu, den er wieder mit sich genommen, und eilte, ohne des schmachtenden Blickes zu achten, mit dem das alternde Fräulein ihre Danksagung begleitete, in die Thorhüterklause zurück und entledigte sich dort schnell der Werkzeuge des Pförtners.
Wenige Minuten später betrat er den Sitzungssaal. Der Rentmeister Nilus wies auf den erhöhten Oberrichterstuhl seines Vaters, ihn aber hielt eine starke Scheu zurück, diesen ehrwürdigen Sitz zu beschreiten, und mit glühendem Haupte und so finster blickendem Antlitz, daß die Anwesenden erstaunt und scheu auf ihn hinsahen, eröffnete er mit rasch hervorgestoßenen Worten die Sitzung.
Er wußte selbst kaum, was er sprach, und hörte die eigene Rede nicht deutlicher als fernes Meeresgebrause, und dennoch gelang es ihm, klar darzulegen, was geschehen war: er zeigte den Richtern den geraubten und dem Diebe abgejagten Stein, er berichtete, wie man seiner habhaft geworden, erklärte den Freigelassenen der Tochter des Thomas für schuldig des Einbruchs und forderte ihn auf, zu seiner Rechtfertigung vorzubringen, was er vermöge; aber der Angeklagte stotterte nur mühsam hervor, daß er unschuldig sei. Sich selbst verteidigen, sei nicht seine Sache, aber seine Herrin werde vielleicht einiges zu seiner Rechtfertigung vorbringen wollen.
Da strich sich Orion das wirre Haar aus dem Gesicht, warf das glühende Haupt stolz zurück und sagte, an die Richter gewandt:
»Sie ist eine vornehme Dame, eine Verwandte unseres Hauses; halten wir sie fern von dieser widrigen Sache, so ziemt sich’s! Ihre Amme hat dem Nilus ohnehin mitgeteilt, was vielleicht geeignet ist, diesen Unglücklichen zu retten. Wir wollen nichts davon unberücksichtigt lassen, aber ihr, die ihr weniger gut mit den obwaltenden Verhältnissen vertraut seid, müßt folgendes im Gedächtnis behalten, um nicht irregeführt zu werden: Der Angeklagte dort ist ihr lieb, und ihn und Perpetua schätzt sie hoch als das einzige, was ihr aus der Heimat verblieben. Ferner darf es mich und euch nicht wundernehmen, wenn ein edles Weib wie sie es wagt, die Schuld eines andern auf sich zu nehmen und sich selbst in ein zweifelhaftes Licht zu stellen, um einen bis dahin treuen und redlichen Diener zu retten. Die Amme ist zur Hand, sollen wir sie rufen oder hat sie Dich, Nilus, mit allem vertraut gemacht, was ihre Herrin zu Gunsten ihres Freigelassenen vorbrachte?«
»Perpetua hat mir und ja zum Teil auch Dir, Herr, einige glaubhafte Angaben gemacht,« entgegnete der Rechnungsbeamte; »aber ich vermag sie doch nicht so treu wiederzugeben wie sie selbst, und ich dächte darum, wir forderten die Frau vor die Schranken.«
»So rufe man sie,« befahl Orion und blickte über die Richter hinweg finster und unnahbar ins Blaue.
Nach langem, peinlichem Schweigen auf allen Seiten erschien die Alte. Gewiß ihrer guten Sache, trat sie selbstbewußt auf, ließ erst den unglücklichen Hiram wenig freundlich an, weil er so lange geschwiegen, und erzählte darauf, wie Paula, um das nötige Geld für die Aufsuchung ihres Vaters zu erlangen, durch den Freigelassenen einen kostbaren Smaragd aus ihrem Halsband habe reißen lassen, und wie dann durch den Verkauf desselben der unglückselige Verdacht auf ihren Landsmann gefallen sei.
Die Aussage der Amme schien den größten Teil der Richter günstig für den Angeklagten zu stimmen, doch Orion ließ ihnen nicht Zeit, ihre Meinungen unter einander auszutauschen; denn kaum hatte Perpetua geschlossen, als Orion den Smaragd, welcher vor ihm auf dem Tische lag, aufhob und gereizt, ja unwillig ausrief:
»Und ein Stein, den sein Verkäufer selbst, einer der größten Juwelenkenner, für den aus dem Teppich und für einzig in seiner Art erklärt, soll plötzlich durch ein Wunder der Natur einen Doppelgänger gefunden haben? Böse Geister treiben auch heute noch ihr Spiel, doch wohl kaum in diesem christlichen Hause. Ihr wißt, was das Wort ›Ammenmärchen‹ in unserer Sprache bedeutet, und was die Amme dort uns vorgeführt hat, gehört zu den unwahrscheinlicheren der Gattung. ›Das kann man dem Juden Apelles weiß machen,‹ sagte der Römer Horaz; seinem Glaubensgenossen Gamaliel,« und dabei wandte er sich dem Juwelier zu, der auf der Zeugenbank saß, »dem dort ganz gewiß nicht, noch weniger aber mir, der ich dies Gewebe durchschaue. Des edlen Thomas Tochter ließ sich herab, es mit Hilfe der Webekünstlerin dort zu flechten und es vor uns zu entrollen, um uns Richter irrezuführen und ihren treuen Diener von Gefangenschaft, Bergwerkarbeit oder Tod zu erretten. So verhält sich die Sache. Irre ich, Weib, oder beharrst Du auf Deiner Behauptung?«
Die Amme, welche in Orion einen Verteidiger ihrer Herrin zu finden gehofft hatte, war seiner Rede mit wachsendem Entsetzen gefolgt. Aus seinen Augen blitzte ihr bald Spott, bald heftiger Groll entgegen, aber obgleich sich bei diesem unerwarteten Angriff ihre Augen mit Thränen gefüllt hatten, bewahrte sie die ihr eigene Gegenwart des Geistes und versicherte, sie habe der Wahrheit die Ehre gegeben, wie allezeit so auch jetzt. Die Fassung des Smaragds ihrer Herrin werde das schon beweisen.
Da zuckte Orion die Achseln, befahl der Amme, ihre Herrin zu rufen, deren persönliches Erscheinen jetzt unerläßlich geworden, und rief dem Rentmeister zu:
»Begleite sie, Nilus! Ein Diener bringt die Truhe hieher, damit sie vor unseren Augen und bevor ein anderer ihren Inhalt berührt, von der Besitzerin selbst geöffnet werde. Ich würde für diese Botschaft nicht taugen; denn niemand in diesem jakobitischen Hause – auch wohl schwerlich einer von euch – hat Gnade vor den Augen der schönen Melchitin gefunden. Mir ist sie leider besonders übel gesinnt, und so muß ich anderen jede Maßregel überlassen, die zu Mißdeutungen führen könnte. Geleite Du sie hieher, Nilus, natürlich mit aller Rücksicht, die einer hochgeborenen Jungfrau geziemt.«
Sobald der Abgesandte sich entfernt hatte, durchmaß Orion das Sitzungszimmer mit schnellen, ruhelosen Schritten. Nur einmal blieb er vor den Richtern stehen und rief:
»Aber wenn sich die Fassung auch findet, wie erklären wir dann das Vorhandensein von zwei, zwei Steinen, jeder einzig in seiner Art? ‘s ist, um die Geduld zu verlieren. Ein weichherziges Mädchen, das es wagt, einen ernsten Gerichtshof irre zu führen zu Gunsten, zu Gunsten...« damit stampfte er unwillig mit dem Fuße und setzte seine stumme Wanderung fort.
»Er ist noch ein Neuling,« dachten die Richter, welche seine tiefe Unruhe bemerkten, »wie ließe er sich sonst solchen thörichten Versuch, einen Angeklagten weiß zu brennen, so nahe gehen und sich die Laune durch dergleichen verderben?«
Endlich machte Paulas Erscheinen dem Auf– und Niederschreiten Orions ein Ende. Er empfing sie mit einer gemessenen Verbeugung und nötigte sie, sich niederzulassen. Dann forderte er Nilus auf, ihr darzulegen, was die Untersuchung und die Verhandlung bisher ergeben und was sie nach seiner und anderer Meinung veranlaßt haben könne, den geraubten Smaragd für den ihren zu erklären. Er werde es so viel als möglich anderen überlassen, sie zu verhören; denn sie wisse am besten, was zwischen ihnen beiden stehe. Vor seinem Eintritt in den Gerichtssaal habe sie durch Perpetua ihre Erklärung des Diebstahls dem Rentmeister Nilus mitteilen lassen, ihm aber – und hier erhob er die Stimme – würde es richtiger und verwandtschaftlicher erschienen sein, wenn sie ihm selbst, Orion, anvertraut hätte, was sie für ihren Freigelassenen zu thun gedenke, es würde ihm dann möglich gewesen sein, sie zu warnen. Dies über ihn Hinwegsehen und -handeln müsse er als neuen Beweis ihrer Abneigung betrachten, und die Folgen werde sie sich selbst zuschreiben müssen; denn nun werde die Verhandlung mit unerbittlicher Strenge ihren Gang gehen.
Der zornig leuchtende Blick seiner Augen verriet ihr, was sie von ihm zu erwarten, und daß er den Kampf mit ihr aufgenommen habe. Sie sagte sich, daß er der Meinung sei, sie habe das Versprechen gebrochen, das sie ihm vor kurzem gegeben; aber sie hatte Perpetua keineswegs beauftragt, sich in diese Angelegenheit zu mischen, nein, sie hatte sie vielmehr ersucht, sie im äußersten Fall ihre Beweismittel selbst vorbringen zu lassen. Orion mußte glauben, daß ihm ein Unrecht von ihrer Seite widerfahren, aber konnte er sich darum so weit vergessen, seine Drohung zur Wahrheit zu machen, einen Unschuldigen, um sich selbst vom Verdachte zu befreien, zu Grunde zu richten und sie als falsche Zeugin zu brandmarken? Ja, auch vor diesem Aeußersten schrak er nicht zurück! Sein flammendes Auge, seine hastigen Geberden, seine Brust, die gewaltsam auf und nieder arbeitete, sprachen es deutlich genug aus. So mochte der Kampf denn beginnen. In diesem Augenblicke wäre sie lieber gestorben, als daß sie es versucht hätte, ihn durch ein entschuldigendes Wort milder zu stimmen. Sie fühlte den Aufruhr in seinem ganzen Wesen nach und hätte sich vor ihm niederwerfen und ihn anflehen mögen, nach Ruhe zu ringen, um sich vor neuen ruchlosen Thaten zu hüten, doch sie bewahrte ihre stolze Würde, und der Blick, mit dem sie dem seinen begegnete, war nicht weniger aufgebracht und herausfordernd als dieser.
Wie zwei junge Adler, die kampfbereit die Federn aufblasen, die Flügel höher schieben und die Hälse recken, standen sie einander gegenüber. Sie, siegesgewiß im Bewußtsein ihrer guten Sache, aber bang viel mehr um ihn als um sich selbst; er beinahe blind für die eigene Gefahr, aber wie ein Gladiator, der seinem Todfeinde in der Arena gegenübersteht, eifriger bedacht, diesen zu fällen, als Leib und Leben zu schützen.
Während der Rechnungsführer ihr vortrug, was sie zum Teil schon wußte, und dann den Verdacht wiederholte, sie habe sich zu einer falschen Aussage hinreißen lassen, um ihrem Diener, der vielleicht aus Liebe zu seinem verschollenen Herrn den Einbruch unternommen, das Leben zu retten, blickte sie häufiger auf Orion als auf den Redner. Dieser erwähnte zuletzt die in Paulas Begleitung aus ihrem Zimmer herbeigebrachte Truhe und eröffnete ihr, daß das Kollegium bereit sei, alles anzuhören und zu prüfen, was sie zu ihrer Verteidigung vorzubringen habe.
Nun stieg Orions Erregung aufs höchste. Er fühlte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich, und wie sich seine Gedanken verwirrten. Die Richter, der Angeklagte, seine Feindin, alles, was das weite Sitzungszimmer umschloß, lag vor ihm wie umhüllt von kreisenden grünlichen Nebeln. Was er sah, erschien ihm wie gefärbt mit hellem smaragdenem Grün. Das Haar, die Gesichter, die Gestalten der Anwesenden, alles schimmerte und schillerte in grünlichem Glanz; als aber Paula stolz und sicheren Schrittes auf die Truhe zuschritt, einen Schlüssel aus ihrem Gewand zog, ihn dem Beamten reichte, und dann als einzige Antwort auf die Rede des Nilus und als sei dies schon zu viel, mit kühler Herablassung sagte: »Oeffnet die Truhe!« sah er wieder ihr glänzend braunes Haar, den feurigen Glanz ihrer blauen Augen, das Weiß und Rot ihrer Wangen, das helle Gewand, welches ihre herrliche Gestalt in edlen Falten umfloß, und ihr triumphirendes Lächeln. Wie schön, wie begehrenswert war dieses Weib! Bald sollt’ es im Kampf mit ihm unterliegen, aber dieser Sieg, er kostete ihm mit ihr selbst alles, was gut, was rein, was seiner Väter würdig in ihm gewesen. Eine innere Stimme rief es ihm zu, er aber übertäubte sie mit dem Vorwärtsschrei des Agitators. Ja, nur immer weiter bis ans Ziel, fort über Trümmer und Steine, durch Blut und Staub, bis sie den stolzen Nacken beugt, bis sie besiegt, gebrochen um Gnade bittet!
Nun sprang der Deckel der Truhe auf, nun bückte sich Paula, nun hielt sie das Halsband den Richtern entgegen und zog es an beiden Enden straff auseinander, und nun... Was war das für ein weher, herzerschütternder Schrei der Verzweiflung! Selbst Orion hätte nie, nie einen gleichen wieder zu hören gewünscht – nun warf sie den Schmuck auf den Tisch, und mit dem Rufe: »Schändlich, schändlich, verrucht!« taumelte sie zurück und hielt sich an ihrer treuen Betta fest; denn die Kniee wankten ihr, und sie fühlte sich in Gefahr, zu Boden zu sinken.
Da sprang Orion auf sie zu, um sie zu stützen, sie aber stieß ihn zurück, und dabei traf ihn ein Blick so voll von Schmerz, von Zorn und tiefer Verachtung, daß er regungslos vor ihr stehen blieb und nach der Stelle des Herzens griff. – Und diesen Streich, der zwei Menschenkindern so weh thun sollte, hatte er mit einem Lächeln begonnen! Dies Possenspiel, in dem ein Todesurteil versteckt lag, zu welchem entsetzlichen Ausgang mochte es führen?
Paula war indessen lautlos auf einen Sessel niedergesunken, und auch er schaute stumm vor sich hin, bis aus der Reihe der Beisitzer helles Gelächter erklang und der alte Psamtik, der Befehlshaber der Hauptwache, welcher längst zu den Richtern gehörte, ausrief: »Meiner Seele, ein köstlicher Stein! Das ist der heidnische Liebesgott Eros, dem sein geflügeltes Schätzchen, die Psyche, ins Angesicht leuchtet. Habt ihr nicht auch den schönen Roman des Apulejus, der ›Goldene Esel‹ heißt er, gelesen? Das Stückchen kommt darin vor. Heiliger Lucas! Wie fein das geschnitzt ist! Die edle Jungfrau hat sich in dem Halsband vergriffen. He, Gamaliel, wo hätte an dem Ding da« – und dabei wies er auf die Gemme – »das grüne Taubenei Platz?«
»Nirgends,« versetzte der Jude. »Die edle Jungfrau...«
Aber Orion verwies den Zeugen barsch zur Ruhe, und der Rentmeister Nilus nahm nun die Gemme zur Hand und betrachtete sie aufmerksam von allen Seiten. Dann trat er, der ernste, gerechte Mann, auf dessen Beistand Paula sicher gerechnet, auf sie zu, zuckte bedauerlich die Achseln und fragte sie, ob sich noch ein anderes Halsband mit der Fassung, von der sie gesprochen, in der Truhe befinde.
Da durchlief es sie kalt; denn was hier geschehen war, glich einem Wunder. Aber nein! Mit diesem Schlag gegen sie hatten keine höheren Mächte zu schaffen. Orion glaubte, daß sie ihr Versprechen, ihn zu schonen und zu schweigen, gebrochen, und das, das war seine Rache. Auf welchem Wege, wie er sie ins Werk zu setzen vermocht, das war ein Rätsel. Welch ein Streich! Er hatte getroffen! Aber sollte sie ihn hinnehmen wie ein geduldiges Kind? Nein, tausendmal nein! Und plötzlich gewann sie die alte Widerstandskraft zurück, der Haß stählte ihren geschwächten Willen, und wie ihn der Geist in den Zirkus inmitten des Wettfahrens, so versetzte er sie an das Schachbrett, und es war ihr, als ringe sie mit ihm um den Sieg, aber nicht wie mit seinem Vater um Blumen, kleine Geschenke oder die bloße Ehre des Gewinnens, sondern um einen ganz andern Einsatz: um Tod oder Leben. Alles wollte sie aufbieten, um ihn zu besiegen, und doch, nein – mochte kommen, was da wollte – nicht alles. Lieber unterliegen als ihn des Diebstahles zeihen, als das verraten, was sie im Viridarium erlauscht. Das zu verschweigen, hatte sie versprochen, den Sohn vor dieser Schmach zu bewahren, sollte der Lohn sein, den sie dem Vater heimzahlte für seine Güte. Wie schön, wie groß hatte Orions Bild vor ihrer Seele gestanden! Mit diesem Schandfleck wollte sie es nicht vor sich selbst und der Welt besudeln. Jede andere Rücksicht mußte fort, weit fort geschleudert werden, um ihm den Sieg zu entreißen und Hiram zu retten. Jede Waffe war recht, nur diesen Verrat sollte und durfte sie nicht an ihm üben! Empfinden mußte er, daß sie edler gesinnt war als er, daß sie in jeder Lage des Lebens treu festhalte an ihrem Worte. Es war beschlossen, und nun hob und senkte sich ihr Busen, ihr Blick belebte sich wieder, doch es dauerte lange, bis sie das rechte Wort fand, um den Kampf zu beginnen.
Orion sah, wie es in ihrem Innern gärte und kochte; er fühlte, daß sie sich zum Widerstand rüste und hätte sie aufmuntern mögen, den ersten Schlag zu führen. Noch kein Wort der Ueberraschung oder Empörung, noch keine Silbe des Vorwurfs war über ihre Lippen gekommen. Was sann sie, was bereitete sie vor? Je überraschender und gefährlicher es ausfiel, desto besser; je mutiger sie sich wehrte, desto tiefer durfte bei ihm der peinliche Gedanke in den Hintergrund treten, gegen ein Weib zu kämpfen. Auch Helden hatten sich des Sieges über Amazonen gerühmt!
Endlich, endlich erhob sie sich und näherte sich Hiram. Man hatte ihn an den Sünderpfahl gebunden, und als ein flehender Blick aus seinen treuen Augen sie traf, fiel ihr der Bann von der Zunge, ward ihr plötzlich bewußt, daß sie sich nicht nur zu wehren, sondern eine ernste Pflicht zu erfüllen habe, und nachdem sie sich mit wenigen raschen Schritten dem Tisch genähert, den die Richter im Halbkreise umgaben, stützte sie sich mit der Linken auf seine Platte und rief, indem sie die Rechte hoch aufhob:
»Ihr da seid das Opfer eines gräßlichen Betruges, und ich, an mir ward ein Schurkenstreich ohnegleichen verübt, um mich zu verderben! Der Mann dort am Schandpfahl, sieht er aus wie ein Räuber? Ein treuerer, redlicherer Diener ist nie von seinem Herrn freigelassen worden, und den Dank, den Hiram dem Vater schuldete, auf die Tochter hat er ihn übertragen, da er ihr zu liebe das eigene Haus, Weib und Kind verließ und mir, der Verwaisten, in die Fremde folgte; aber das kümmert euch wenig! Doch wenn ihr die Wahrheit hören wollt, die ganze und volle...«
»Sprich!« rief Orion ihr zu, sie aber fuhr fort, indem sie sich nur an Nilus und die Richter wandte und ihn geflissentlich übersah: »Euer Haupt, der Sohn des Mukaukas, weiß, daß ich aus einer Beschuldigten zur Anklägerin werden könnte, wenn ich nur wollte. Aber ich verschmäh’ es aus Liebe zu seinem Vater, und weil ich höher denke als er! Er wird mich verstehen! Was den Smaragd hier angeht, so hat ihn der Freigelassene Hiram gestern Abend vor meinen Augen mit seinem Messer aus der Fassung gebrochen; aber außer uns haben sie, gottlob, auch noch andere an der Kette hängen sehen, zu der sie gehörte; heute Mittag befand sie sich noch an der Stelle, an die es der Hand eines Verbrechers später gelang, die Gemme dort zu befestigen. Ich habe diese – bei Christi Wunden beschwör’ ich’s – vorhin zum erstenmale gesehen. Sie ist ein kostbares Stück. Nur ein reicher Mann, der reichste unter euch allen, schenkt solchen Schatz fort, gleichviel zu welchem Zwecke: sagen wir, um einen Feind zu verderben. Gamaliel« – und dabei wandte sie sich an den Juwelier – »wie hoch, Gamaliel, schätzest Du den Onyx?«
Der Israelit ließ sich die Gemme noch einmal reichen, wandte sie hin und her und sagte dann schmunzelnd: »Ja, schöne Jungfrau, wenn meine schwarze Bruthenne solche Dingerchen legte, wollt’ ich sie mit lauter Kuchen von Arsinoë und fetten Austern von Kanopus füttern. Das Ding hat den Wert eines Landguts, und ich bin kein reicher Mann, aber ich zahle dafür jeden Augenblick zwei große Talente, und müßt’ ich sie borgen.«
Diese Erklärungen verfehlten nicht, eine starke Wirkung auf die Richter zu üben, Orion aber rief: »Die Wunder häufen sich an diesem denkwürdigen Tage! Der Edelmut, der ein leeres Wort geworden, wird unter uns wieder lebendig. Ein verschwenderischer Dämon macht aus einem wertlosen Goldblech eine kostbare Gemme. Darf man fragen, wer die Fassung an Deiner Kette gesehen hat?«
Da geriet sie in Gefahr, auch die letzte Rücksicht schwinden zu lassen, und versetzte mit bebender Stimme: »Wahrscheinlich Deine Helfershelfer oder Du selbst; denn Du, Du allein hast Ursache...«
Doch weiter ließ er sie nicht kommen, sondern schnitt ihr heftig das Wort ab: »Das ist zu viel! O, daß Du ein Mann wärest! Wie weit Dein Edelmut reicht, ich hab’ es gesehen! Auch der Haß, die bitterste Feindschaft —«
»Sie besäßen das Recht, Dich ganz zu verderben!« rief sie aufgebracht bis ins tiefste. »Und wenn ich Dich der gräßlichsten Frevelthat zeihe...«
»So begehst Du damit einen Frevel gegen mich und Dich und dies Haus!« rief er drohend. »Hüte Dich, Mädchen! Kann die Verblendung so weit gehen, mich, mich selbst aufzurufen, damit ich das Märchen, das Du uns auftischest —«
»O nein, nein; denn das hieße ja noch etwas Braves von Dir erwarten,« unterbrach sie ihn laut. »Ich habe ganz andere Zeugen: Maria, die Enkelin des Mukaukas Georg,« und nun suchte ihr Auge das seine, er aber rief:
»Das Kind, dessen Herzchen Dir angehört, und das Dir folgt wie ein Schoßhund!«
»Und außer ihr, Katharina, die Tochter der Witwe Susanna,« fiel sie ihm siegesgewiß und mit glühenden Wangen ins Wort. »Sie ist kein Kind mehr, sondern eine Jungfrau, Du weißt es! Ich aber,« und nun wandte sie sich wieder an die Richter, »ich stelle an euch die Forderung, eures Amtes würdig zu warten, mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die beiden Zeuginnen vor euch zu fordern und zu vernehmen.«
Da versetzte Orion mit mühsam erzwungener Ruhe:
»Die Großeltern mögen entscheiden, ob man das weichherzige Kind der Versuchung aussetzen darf, durch eine Aussage vor den Richtern, laute sie, wie sie wolle, ihre abgöttisch geliebte Freundin zu retten; ihr Alter beeinträchtigt ohnehin die Giltigkeit ihres Zeugnisses; auch widersteht es mir, ein Kind dieses Hauses in diese mißliche Angelegenheit zu verwickeln. Dagegen ist es die Pflicht des Gerichtshofes, die Jungfrau Katharina vorzuladen, und ich erbiete mich selbst, sie zu rufen.«
Paulas Versuch, ihn abermals zu unterbrechen, wies er mit Entschiedenheit zurück; man werde sie später in Gegenwart der Zeugin geduldig anhören. Die Gemme stamme wohl aus dem Besitz ihres Vaters.
Da übermannte Paula wiederum der gerechte Zorn und außer sich rief sie:
»Nein, tausendmal nein! Ein verruchter Bösewicht, einer Deiner Helfershelfer – ich wiederhol’ es – ist in mein Zimmer gedrungen und hat, während ich bei den Kranken weilte, das Schloß meiner Truhe gesprengt oder es mit einem Nachschlüssel geöffnet!«
»Das wird sich feststellen lassen,« entgegnete Orion und seine Stimme klang zuversichtlich, wie er den Kasten auf den Tisch zu stellen befahl und einen der Richter ersuchte, sein Urteil als Sachverständiger abzugeben.
Paula kannte diesen Mann sehr wohl. Er gehörte zu den angesehensten Beamten des Hauses und war der oberste Mechaniker des Mukaukas, dem es oblag, Maße und Gewichte, die Wasseruhren und andere Instrumente zu prüfen und zu vervollkommnen.
Dieser kundige Mann begab sich sogleich an die Untersuchung des Schlosses und fand es in guter Ordnung, obgleich es aufs eigentümlichste konstruirt war, obschon der wunderlich gestaltete Schlüssel durch keinen Dietrich zu ersetzen gewesen wäre und Paula zugeben mußte, die Truhe am Mittag verschlossen und den Schlüssel von da ab am Halse getragen zu haben.
Orion hörte seinem Urteil achselzuckend zu und befahl dann, bevor er aufbrach, um Katharina zu rufen, Paula und die Amme – beide getrennt – in Nebenräume abzuführen. Um Klarheit in diese Angelegenheit zu bringen, sei es geboten, weitere Verabredungen zwischen ihnen unmöglich zu machen.
Sobald sich die Thür hinter den Frauen geschlossen, eilte er in den Garten, wo er Katharina zu finden hoffte.
Die Richter blickten ihm mit geteilten Empfindungen nach. Sie standen hier vor lauter schwer lösbaren Rätseln. An dem guten Willen des Sohnes ihres gerechten Herrn, den sie als einen hochbegabten und großmütigen Jüngling schätzten, zu zweifeln, fühlte sich keiner berechtigt. Sein Streit mit Paula hatte sie peinlich berührt, und jeder fragte sich, wie es gekommen, daß es diesem Liebling der Frauen nicht gelungen sei, andere Empfindungen als die des Hasses in einer der schönsten ihres Geschlechtes, zu erwecken. Die große Feindseligkeit, die sie gegen Orion zur Schau trug, schadete ihrer Sache in den Augen der Richter, welche ihr übles Verhältnis zu Frau Neforis nur zu gut kannten. Mehr als vermessen war es von ihr, den Sohn des Mukaukas zu beschuldigen, ihre Truhe erbrochen zu haben; nur der Haß hatte ihr die Anklage auf die Lippen zu drängen vermocht, aber es lag doch etwas in ihrem Wesen, was für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen einnahm, und konnte Katharina wirklich bezeugen, daß sie die Fassung des Smaragds an der Kette gesehen, dann blieb nichts übrig als die Untersuchung von einer neuen Seite her zu beginnen und auf einen andern Hausdieb zu fahnden. Aber wer sollte ein so kostbares Stück wie diese Gemme für ein elendes Nichts fortgeschleudert haben? Es war ja undenkbar, und der Mechaniker Ammonius hatte recht mit seiner Behauptung, einem von Haß erfüllten Weibe sei alles zuzutrauen, auch das Unglaubliche und Unerhörte.
Inzwischen war es völlig dunkel und aus dem glühenden Tage ein herrlicher, lauer Abend geworden.
Der Mukaukas hatte sein Gemach noch immer nicht verlassen, während seine Gattin mit der Witwe Susanna und ihrer Tochter, der kleinen Maria und ihrer Erzieherin in der dem Garten und dem Nil zugewandten offenen Halle Luft schöpften und plauderten. Die Frauen hatten den Kopf gegen die Mücken, welche vom Strome her durch die Windlichter scharenweise angelockt wurden, mit Spitzenschleiern verhüllt, die sie auch vor den aus dem flachen Nil aussteigenden Dünsten schützen sollten, und griffen eben nach den jüngst aufgetragenen kühlenden Fruchtsäften, als Orion erschien.
»Was ist da geschehen?« rief ihm die Mutter besorgt entgegen; denn sie schloß aus dem wirren Haar und den hochgeröteten Wangen des Sohnes, daß die Sitzung nichts weniger als glatt verlaufen.
»Unerhörtes,« versetzte dieser. »Paula kämpft wie eine Löwin für den Freigelassenen ihres Vaters...«
»Um uns zu kränken und in Verlegenheiten zu stürzen,« entgegnete Neforis.
»Nein, nein, Mutter,« erwiderte Orion erregt. »Aber ein Eisenkopf ist sie, ein Weib, das keine Rücksicht kennt, wo es seinen Willen durchzusetzen gilt, und dabei geht sie mit einer Klugheit vor, die des größten Advokaten würdig wäre, den ich auf dem Tribunal in der Hauptstadt eine mißliche Sache verteidigen hörte. Außerdem verwirren ihr vornehmes Wesen und ihre göttliche Schönheit unseren armen Hausbeamten die Köpfe. Es ist ja brav und edel, sich für einen Diener so zu ereifern, doch es kann ihr alles nichts helfen; denn die Beweise, welche gegen ihren stotternden Liebling vorliegen, sind geradezu erdrückend, und wenn ihr letzter Einwand am Boden liegt, ist die Sache entschieden. Sie will dem Kinde und auch Dir, reizende Katharina, ein Halsband gezeigt haben.«
»Gezeigt?« rief das Bachstelzchen. »Fortgenommen hat sie es uns, nicht wahr, Maria?«
»Wir hatten’s eben ohne ihre Erlaubnis genommen,« erwiderte die Kleine.
»Und sie verlangt,« fragte Frau Neforis gereizt, »daß unsere Mädchen vor Gericht gezogen werden, um Zeugnis abzulegen für ihre Hoheit?«
»Freilich,« entgegnete Orion. »Aber Marias Aussage gilt noch nichts vor den Richtern...«
»Und wenn auch,« entgegnete seine Mutter. »Das Kind wird mir keinenfalls in diese nichtswürdigen Händel verwickelt!«
»Weil ich für Paula sprechen würde!« rief Maria und sprang unwillig auf.
»Den Mund wirst Du halten!« fiel ihr die Großmutter ins Wort.
»Und was Katharina angeht,« sagte die Witwe, »so kommt es mir nicht in den Sinn, sie zur Augenweide für all diese Herren herzugeben.«
»Herren!« machte das Mädchen. »Männer sind es, kleine Beamte und dergleichen mehr. Die können lang auf mich warten!«
»Aber Du mußt ihnen dennoch den Willen thun, stolzes Röschen,« lachte Orion; »denn Du bist gottlob kein Kind mehr, und dem Gerichtshofe steht es zu, jeden Erwachsenen als Zeugen vor die Schranken zu fordern. Geschehen wird Dir nichts; denn Du stehst unter meinem Schutz. Komm nur mit! Man muß alles kennen lernen im Leben! Hier hilft kein Sträuben. Uebrigens brauchst Du nur auszusagen, was Du gesehen hast, und dann führ’ ich Dich, wenn sie es gestattet, wieder hübsch sorgsam an diesem Arme zu der Frau Mutter zurück. Du mußt mir Dein Kleinod heut schon anvertrauen, Susanna, und die ehrwürdige Zeugin soll Dir dann sagen, wie sich’s mit mir auskommen läßt.«
Katharina wußte den versteckten Nebensinn dieser Worte zu deuten, und es gefiel ihr nicht übel, mit dem schönen Statthaltersohne, dem ersten Manne, für den ihr kleines Herz schneller schlug, allein sein zu dürfen, und so sprang sie denn munter auf; Maria aber klammerte sich an ihren Arm und verlangte so stürmisch und hartnäckig, mitgenommen zu werden und zu Paulas Gunsten zu reden, daß die Erzieherin und Frau Neforis sie nur mit Mühe zwingen konnten, sich zu fügen und das Pärchen allein ziehen zu lassen.
Beide Mütter sahen ihm zufriedenen Herzens nach, und die Statthaltersfrau flüsterte der Witwe zu: »Heut vor Gericht und recht bald, so Gott will, vor den Altar in der Kirche.«
Um in den Sitzungssaal zu gelangen, konnte man entweder durch das Haus gehen oder dasselbe umschreiten. Gab man dem letzten Wege den Vorzug, so mußte man zuerst durch den Garten, und ihn wählte Orion. Er hatte sich vor den Frauen Gewalt angethan, um Herr der Unruhe zu bleiben, die ihn erfüllte, und nun fühlte er, wie ihn der Kampf, den er begonnen und von dem er am wenigsten jetzt zurücktreten konnte und wollte, weiter und weiter trieb und ihn zwang, auch das junge Geschöpf, welches nun – der Würfel rollte schon – sein Weib werden mußte, auf die ruchlose Bahn nachzuziehen, die er betreten.
Als er der Mutter zugesagt, nicht morgen, sondern übermorgen um Katharina zu werben, hatte er gehofft, ihr in der bewilligten Frist zu beweisen, daß die Kleine doch nicht die rechte Frau für ihn sei, und nun – welch ein Hohn des Schicksals! – nun sah er sich gezwungen, in jeder Hinsicht das Gegenteil dessen zu thun, wozu seine Neigung ihn trieb: das Weib, das er liebte, ja immer noch liebte, wie eine Todfeindin bekämpfte er sie, und das Mädchen, welches ihm eigentlich nichts galt, um sie mußte er werben. Es war um den Verstand zu verlieren, doch es mußte geschehen, und mit einem neuen »Vorwärts« stürzte er sich in die Lösung der ruchlosen Aufgabe, das unerfahrene Wesen an seinem Arme sich so zu unterwerfen, daß es bereit war, auch Unrecht für ihn zu begehen.
Sein Herz pochte zum Zerspringen; doch da war kein Aufenthalt, kein Zurückweichen möglich; es galt, Sieger zu bleiben; also vorwärts, nur vorwärts!
Sobald sie aus dem Lichtkreise der Windlampen in den Schatten getreten, ergriff er, froh, daß das Dunkel seine Lüge verbarg, die winzige Rechte der neben ihm wandelnden Kleinen mit beiden Händen und drückte die Lippen auf ihre zarten Fingerspitzen.
»Aber, Orion,« sagte sie verschämt und ließ ihn dann gewähren.
»Ich fordere nur mein Recht, Du Sonnenschein meiner Seele!« versetzte er schmeichelnd. »Wenn Dein Herz so laut pocht wie das meine, so hören’s die Mütter da drüben.«
»Es pocht schon,« versetzte sie glücklich und senkte den Lockenkopf auf die Seite.
»Aber meines thut es ihm doch wohl zuvor,« entgegnete er seufzend und legte ihr Händchen auf seine Brust. Er konnte es getrost wagen; denn sein krampfhafter Schlag drohte ihn zu ersticken; sie aber rief freudig:
»Ja, freilich, das hämmert...«
»Sie dürfen’s auch drüben vernehmen,« entgegnete er mit einem erzwungenen Lachen. »Ob Dein Mütterchen nicht schon längst in unsere Herzen gelugt hat?«
»Natürlich,« antwortete sie leise. »So froh wie seit Deiner Heimkehr hab’ ich sie selten gesehen.«
»Und Du, kleine Zauberin?«
»Ich? Natürlich bin ich auch froh gewesen; sie waren’s ja alle. Und Deine Eltern!«
»Nein, nein, Katharina! Was Du selbst bei unserem Wiedersehen gefühlt hast, das möcht’ ich wissen!«
»Ach, laß doch, wie kann man so etwas nur beschreiben?«
»Das sollte nicht angehen?« fragte er und zog ihren Arm fester in den seinen. Er mußte sie gewinnen, und seine dichterische Einbildungskraft half ihm, nie Empfundenes mit glühenden Farben zu schildern. Süße Liebesworte ließ er sie hören, und sie glaubte ihnen nur zu gern. Auf seinen Wink ließ sie sich vertrauensvoll auf einer Holzbank in der alten Allee nieder, die zu der Nordseite des Hauses führte.
An vielen Sträuchern hatten sich dort Blüten entfaltet und versandten süßen, die Brust beklemmenden Duft. Der Mondschein drang durch die dichten Kronen der Sykomoren, und schimmernde Lichtstreifen und Kreise spielten im Laubwerk, an den Stämmen und auf dem dunklen Boden. Die Glut des Tages war, festgehalten von dem Blätterdom zu ihren Häupten, immer noch schwül und drückend, und in diesem Gange nannte er sie zum erstenmale sein einziges Bräutchen, schlug er ihr Herz in Ketten und Bande. Jedes seiner glühenden Worte durchzitterte die seine Seele marternde wilde und bange Erregung und gewann das Ansehen, als sei es tief und aufrichtig empfunden.
Dazu berauschte der Blütenduft ihr junges, unerfahrenes Herz, und willig bot sie ihm die Lippen zum Kusse, tief beseligt fühlte sie hier die ersten Schauer junger, erwiderter Liebe.
Ein Leben lang hätte sie so mit ihm verbunden sein mögen, doch schon nach einigen Minuten sprang er auf und rief, begierig, der zärtlichen Wallung ein Ende zu machen, die sich auch seiner zu bemächtigen begann, laut und heftig:
»O dies teuflische, verwünschte Gericht! Aber das ist das Geschick des Mannes! Die Pflicht ruft, und er muß mitten aus allen Wonnen des Paradieses auf die Erde zurück. Deinen Arm, Du, mein ein und mein alles!«
Und Katharina gehorchte ihm und ließ sich, verwirrt und befangen von dem unerhörten Glück, das ihr widerfahren, von ihm fortziehen und horchte tief atmend auf, wie er ihr zurief:
»Nach dieser Himmelswonne in das nüchternste aller Geschäfte! Und wie widrig, wie häßlich über die Maßen ist die Sache, um die es sich handelt! Wie gern möcht’ ich Paula ein Freund und treuer Beschützer sein, statt ein Gegner!«
Bei diesen Worten fühlte er die Linke des Mädchens auf seinem Arm zusammenzucken und weiter, immer weiter trieb es ihn auf der Bahn des Verbrechens. Katharina zeichnete ihm selbst den Weg vor, zum Ziel zu gelangen, und während er fortfuhr, ihre Eifersucht zu entflammen, indem er Paulas Anmut und Hoheit pries, entschuldigte er sich vor sich selbst mit der Erwägung, daß er als Bräutigam berechtigt sei, die Braut zu zwingen, ihm Glück und Ehre zu retten.
Dennoch hatte er bei jedem schmeichelnden Wort die Empfindung, als erniedrige es ihn selbst, als begehe er damit gegen Paula ein neues Unrecht. Es ward ihm nur zu leicht, ihr Lob zu singen; doch als er es mit wachsender Lebhaftigkeit that, schlug sie ihm auf den Arm und rief halb scherzend, halb ernstlich verdrossen:
»O, diese Göttin! Bin ich oder ist sie Deine Geliebte? Daß Du mich nicht eifersüchtig machst! Hörst Du?«
»Kleines Närrchen!« entgegnete er munter und fuhr dann beschwichtigend fort: »Sie ist wie der kühle Mond, aber Du bist die lichte, wärmende Sonne. Ja, Paula! – Einem Olympier, einem Erzengel wollen wir sie überlassen; ich lobe mir mein kleines, fröhliches Mädchen, das mit mir das Leben genießen soll mit all seinen Freuden!«
»Das wollen wir!« jauchzte sie auf und sah den Horizont ihrer Zukunft in glänzendem Sonnenlicht strahlen.
»Gütiger Himmel,« unterbrach er sie wie überrascht. »Das Licht dort scheint schon aus dem elenden Gerichtssaal. O, die Liebe, die Liebe! Von ihr bezaubert, haben wir den Zweck unseres Ganges vergessen. Sage mir, Schatz, weißt Du noch genau, wie das Halsband aussah, womit Du und Maria heute Mittag gespielt habt?«
»Es war sehr fein gearbeitet, und nur in der Mitte hing ein garstiges, verbogenes Goldblech.«
»Kunstkennerin, Du! Du hast die schön geschnittene Gemme übersehen, die in der unscheinbaren Fassung ruhte.«
»Gewiß nicht!«
»Doch, kleine Weisheit!«
»Nein, Liebster!« und als sie dies Wort aussprach, schlug sie die Augen froh auf, als sei ihr ein kühnes Wagnis gelungen. »Was Gemmen sind, weiß ich genau. Vater hat eine große Sammlung davon hinterlassen, und Mutter sagt, nach dem Testament gehörten sie einmal meinem künftigen Mann.«
»So kann ich Dich, mein reizendes Juwel, mit einem Rahmen von lauter Gemmen umgeben!«
»Nein, nein,« rief sie lustig. »Gib mir nur später eine Fassung; denn ich bin ein so flüchtiges Ding, doch es darf nur, nur Dein Herz sein!«
»Diese Goldschmiedsarbeit ist schon verrichtet! Aber im Ernste, Kind; was an Paulas Halsband hing, das war eine Gemme, und Du, kleine Kennerin, hast sie zufällig nur von hinten gesehen. Da hat sie einen Rücken, ganz wie Du ihn beschriebst, eine schlichte Kapsel von Goldblech.«
»Aber Orion!«
»Hast Du mich lieb, Herzensmädchen, dann widersprich mir nicht weiter. Später will ich Dich immer um Deine Ansicht fragen, doch in diesem Fall könnte mich Dein Irrtum in schwere Mißhelligkeiten stürzen und mich zwingen, Paula nachzugeben, und sie zu meiner Bundesgenossen zu machen. Da sind wir! Aber bleiben wir noch einen Augenblick stehen! Und nun noch einmal die Gemme! Siehst Du; – wir können beide irren, ich wie Du, aber ich glaube sicher, im Rechte zu sein, und wenn Du diesmal eine andere Aussage machst wie ich, so stehe ich vor den Richtern da wie ein Lügner. Wir sind nun doch Braut und Bräutigam, eins, ganz eins, und was das eine von uns schädigt oder erhebt, das erhebt und erniedrigt zugleich auch das andere. Sagst Du, die mich lieb hat, und von der die Leute schon munkeln, Du würdest bald als Herrin in der Statthalterei gebieten, etwas anderes aus wie ich, so glauben sie’s sicher. Sieh, Dein ganzes Wesen ist lauter Güte, doch Du bist noch zu rein und jung, um jede Forderung der allgewaltigen Liebe, welche alles erträgt und erduldet, ganz zu verstehen. Wenn Du mir in diesem Falle nicht freudig nachgibst, so liebst Du mich sicher nicht, wie Du solltest. Und was verlangt man denn Großes? Ich frage Dich, und Du sagst nichts weiter vor den Richtern aus, als daß Du heut Mittag Paulas Halsband gesehen und daß eine Gemme daran befestigt gewesen sei, eine Gemme mit Amor und Psyche.«
»Das soll ich vor all den Männern bezeugen?« fragte Katharina bedenklich.
»Das mußt Du thun, Du freundlicher Engel!« rief Orion zärtlich. »Findest Du es hübsch, wenn die Braut ihrem Liebsten die erste Bitte grämlich, bedenklich, rechthaberisch abschlägt? Nein, nein; wenn nur ein Fünkchen Liebe für mich in Deinem Herzchen glimmt, wenn Du mich nicht gezwungen sehen willst, Paula zu bitten, sich mir gnädig zu erweisen...«
»Aber warum handelt sich denn das alles? Wem kann’s nur so viel darauf ankommen, ob eine Gemme oder ein einfaches Goldblech...«
»Das wird Dir später alles ausführlich erklärt,« versetzte er eifrig.
»Thu es doch jetzt schon...«
»Es geht nicht, wir haben die Geduld der Richter schon längst viel zu hart auf die Probe gestellt; es ist kein Augenblick zu verlieren!«
»Nun gut, aber ich komme um vor Verlegenheit und Scham, wenn ich vor den Richtern eine Aussage mache...«
»Die richtig ist und wodurch Du mir zeigen kannst, daß Du mich liebst,« unterbrach er sie dringend.
»Wie schrecklich das ist!« rief sie ängstlich. »So binde mir wenigstens den Schleier fest um das Gesicht. All die bärtigen Männer
»Wie der Vogel Strauß,« lachte Orion und that ihr den Willen. »Wenn Du wirklich eine andere Ansicht hast als Dein... wie hast Du vorhin gesagt? Sag’s doch noch einmal!«
»Dein Liebster!« rief sie verschämt und innig, und half Orion, ihr den Schleier doppelt vor das Gesicht binden, und wehrte ihm nicht, als er ihr ins Ohr flüsterte: »Laß doch sehen, ob ein Kuß auch durch solche Vermummung noch gut schmeckt! – Nun komm; in wenigen Minuten ist alles vorüber!«
Damit führte er sie schnell in den Vorraum des Gerichtssaals, bat sie, einen Augenblick zu warten, und teilte den Richtern eilig mit, Frau Susanna habe ihm ihr Töchterchen nur anvertraut unter der Bedingung, daß er sie, nachdem sie ihre Aussage als Zeugin gemacht, ungesäumt zu ihr zurückführe. Dann ließ er Paula rufen und forderte sie auf, sich zu setzen.
Katharina war zaudernd und beklommenen Herzens in den Vorraum des Gerichtssaals getreten. Sie hatte sich wohl manchmal durch kleine Winkelzüge vor Schelte zu retten gesucht, aber noch nie ernstlich gelogen, und nun sträubte sich alles in ihr gegen die Zumutung, etwas geradezu Unwahres zu sagen. Aber konnte das denn schlecht sein, was Orion, der edelste der Männer, der Abgott der ganzen Stadt, so dringend von ihr begehrte? Legte die Liebe – er war ja dieser Ansicht gewesen! – ihr nicht die Pflicht auf, alles zu thun, was ihn vor Nachteil und Schaden beschützen konnte? Das wollte ihr zwar nicht völlig billig erscheinen, aber vielleicht begriff sie es nur noch nicht ganz, weil sie so jung und unerfahren war. Es ängstige sie auch, daß ihr Geliebter, wenn sie gegen seinen Willen handelte, mit Paula einen Bund schließen mußte. An Selbstbewußtsein fehlte es ihr gar nicht, und sie sagte sich, daß sie vor keinem Mädchen in Memphis zurückzustehen brauche; nur die schöne, stolze, große Damascenerin fühlte sie ihrer kleinen Person hoch überlegen, und sie konnte nicht vergessen, wie vorgestern, da Paula mit ihrem Bräutigam im Garten auf und nieder gewandelt war, das Stadthaupt von Memphis ausgerufen hatte: »Welch ein wundervolles, herrliches Paar!« Oft hatte sie gedacht, daß kein schöneres, vornehmeres, liebenswerteres Geschöpf auf Erden wandle als die Tochter des Thomas, und um einen Blick, ein freundliches Wort von ihr sehnsüchtig geworben. Aber seit jenen Worten des Stadthauptes war eine bittere Empfindung gegen Paula, die später von vielen Seiten reichliche Nahrung empfing, in ihr lebendig geworden. Sie begegnete ihr immer wie einem Kinde, nicht wie einem erwachsenen Mädchen, das sie doch war. Warum hatte sie heute Mittag ihren Bräutigam, so durfte sie ihn ja nun nennen, ihren Bräutigam aufsuchen wollen und sie von ihm zurückgehalten? Und wie war es zugegangen, daß Orion mitten, während er ihr seine Liebe gestand, so mehr als warm, so begeistert von ihr gesprochen hatte? Nein, vor der Damascenerin mußte sie auf der Hut sein, und wenn man erst von dem Glück sprach, das ihr widerfahren, Paula wenigstens gönnte ihr’s gewiß nicht; denn daß auch sie ihren Geliebten nicht gleichgiltig ansah, das fühlte, das wußte Katharina. Sie besaß keine Feindin auf der Welt, aber Paula, die war es, von ihr hatte ihre Liebe alles zu fürchten, und plötzlich fragte sie sich, ob das Goldblech, das sie gesehen, nicht doch eine Gemme gewesen. Hatte sie denn das Halsband auch nur einen Augenblick aufmerksam betrachtet? Und warum sollte sie schärfer gesehen haben als die großen, wunderschönen Augen des Orion?
Er hatte schon recht, recht wie immer!
Die meisten geschnittenen Steine hatten doch eine ovale Gestalt, und oval war auch das Ding gewesen, worüber sie Zeugnis ablegen sollte. Ein falsches von ihr zu verlangen, das sah Orion nicht ähnlich! In jedem Fall war es die Pflicht seiner Braut, ihn vor Schaden zu wahren und zu verhindern, mit der falschen Sirene ein Bündnis zu schließen. Sie wußte, was sie zu sagen hatte, und schon wollte sie sich ein Stück des Schleiers vom Antlitz lösen, um Paula recht fest in die Augen zu schauen, als Orion wiederkehrte, um sie in den Gerichtssaal zu führen.
Zu seiner Freude, ja fast zu seinem Erstaunen sagte sie hier mit aller Sicherheit aus, eine Gemme habe heute Mittag an Paulas Halsband gehangen, und als man ihr den Onyx wies und sie fragte, ob sie sich desselben erinnere, entgegnete sie ruhig:
»Das kann es gewesen sein oder auch nicht; ich entsinne mich nur noch des ovalen goldenen Rückens; übrigens ließ mir diese Jungfrau ihr Kleinod nur kurze Zeit in den Händen.«
Als der Rentmeister Nilus sie dann aufforderte, das Bild des Amor und der Psyche näher zu betrachten, um ihre Erinnerung zu schärfen, entgegnete sie abweisend:
»Ich mag solche heidnische Bilder nicht; wir jakobitischen Mädchen tragen auch anderen Schmuck.«
Da erhob sich Paula, trat ihr mit einem Blick voll strengen Vorwurfs entgegen, und nun war es der kleinen Katharina lieb, daß sie den Einfall gehabt, sich den doppelten Schleier umlegen zu lassen. Aber nur kurze Zeit dauerte die tiefe Beklemmung, in die sie das Auge der Damascenerin versetzte; denn als diese ihr vorwurfsvoll zurief: »Du deutest auf Dein Bekenntnis. Es fordert wie das meine, der Wahrheit die Ehre geben. Bedenke, was von Deiner Aussage abhängt; ich beschwöre Dich, Kind!« da unterbrach die Kleine ihre Gegnerin und rief gereizt und in leidenschaftlicher Wallung:
»Ich bin kein Kind mehr, auch nicht für Dich, und bevor ich rede, bedenke ich mich, wie mich’s gelehrt ward!«
Dann warf sie das Köpfchen trotzig zurück und wiederholte bestimmt:
»Dieser Onyx hat in der Mitte der Kette gehangen.«
»Daß Dich, Du schändlicher Knirps!« rief ihr die Amme, ihrer selbst nicht mehr mächtig, ins Antlitz; Katharina aber schrak zusammen und blickte sich, als habe sie eine Natter gestochen, nach derjenigen um, die es gewagt hatte, sie so grausam und frech zu beschimpfen. Hilflos und dem Weinen nahe suchte ihr Blick nach Beistand, und sie brauchte nicht lang auf den Rächer zu warten; denn Orion befahl sogleich, Perpetua wegen ihrer falschen Aussagen ins Gefängnis zu führen, die Damascenerin aber, weil sie nicht geschworen und nur in guter Absicht eine unglaubliche Geschichte erdichtet, zu entlassen und die Truhe wieder auf ihr Zimmer zu tragen.
Da trat diese noch einmal vor die Schranken, löste den Onyx von der Kette, warf ihn dem Juden Gamaliel zu, der ihn auffing, und sagte:
»Ich schenke ihn Dir, Mann! Vielleicht kauft ihn Dir der Schurke wieder ab, der ihn an meine Kette gehängt hat. Von dem heiligen Kaiser Theodosius hat sie meine Ahnfrau empfangen, und ehe ich sie weiter durch dieses Geschenk eines Elenden besudeln ließe, würf’ ich sie selbst in den Nil. Euch armen, betrogenen Richtern zürne ich nicht, doch ich beklag’ euch! Mein Hiram« – und dabei wies sie auf den Freigelassenen – »ist ein redlicher Mann, dessen ich mit dankbarer Liebe gedenken will bis in den Tod; aber dieser ungerechte Sohn des gerechtesten Vaters, dieser dort...« Das rief sie, indem sie Orion gerade ins Gesicht wies; hier aber unterbrach sie der Jüngling mit einem lauten »Genug!«
Da suchte sie sich zu sammeln und sagte:
»Ich thu’ Dir den Willen; denn Dein Gewissen wird Dir hundertfach wiederholen, was ich verschweige, und nun auf ein Wort!« Damit trat sie ihm näher und flüsterte ihm zu:
»Ich habe es über mich gewonnen, die schärfste Waffe gegen Dich unbenützt zu lassen, einem gegebenen Wort zu Gefallen. Wenn Du nicht der Elendeste der Elenden bist, so gedenke des Deinen und rette Hiram.«
Ein stummes Nicken war seine Antwort, sie aber blieb auf der Schwelle noch einmal stehen und rief Katharina zu:
»Dich, Kind; denn das bist Du, Dich wird der Sohn des Mukaukas für den Dienst, den Du ihm eben erwiesen, mit unnennbaren Schmerzen belohnen!«
Damit verließ sie den Saal, erstieg mit wankenden Knieen die Treppe, und als sie wieder neben dem Lager der armen Irrsinnigen weilte, schenkte ihr der gütige Gott die lindernde Wohlthat der Thränen.
Ihr Freund sah sie weinen und weinen und störte sie nicht, bis sie ihn selbst anrief und ihm alles vertraute, was ihr an diesem schweren Tage begegnet.
Orion und Katharina hatten den frohen Mut verloren und begaben sich ernst zu dem Säulengange zurück. Als sie unterwegs in ihn drang, ihr zu erklären, warum er sie zu diesem Zeugnis verleitet, vertröstete er sie auf morgen. Sie fanden Frau Susanna allein; denn seine Mutter war zu dem schwerer leidenden Gatten gerufen worden und hatte die kleine Maria mit sich genommen. Nachdem er die Witwe begrüßt und sie an den Wagen geleitet, kehrte er in den Sitzungssaal zurück.
Dort trug er den Richtern den gesamten Thatbestand und alles, was gegen den Freigelassenen zeugte, noch einmal in runder Zusammenfassung vor. Darauf wurde das Urteil gefällt. Es verdammte den treuen Hiram gegen die einzige Stimme des Rechnungsbeamten Nilus zum Tode.
Orion befahl, die Vollstreckung des Urteils aufzuschieben, und kehrte nicht wieder in das Haus zurück, sondern ließ sich den wildesten Hengst satteln und sprengte ganz allein in die Wüste. Er hatte gesiegt, aber es war ihm, als sei er bei diesem Rennen in den Schlamm geraten, und als müsse er darin ersticken.
Dreizehntes Kapitel.
Was der Arzt durch Paula von den Vorgängen des vergangenen Tages, Orions Verhalten und dem Ausgang der Gerichtssitzung vernommen, brachte ihn außer sich, und ungestüm billigte er des Mädchens Entschluß, diese verruchte Räuberhöhle, dies Haus des Uebelwollens, des Betruges, der blöden Richter und falschen Zeugen sofort zu verlassen.
Zu einem ruhigen Gespräch zwischen ihnen kam es noch nicht; denn in dem Krankenzimmer gab es für Philippus bald alle Hände voll zu thun.
Der Masdakit Rustem, welcher bis dahin bewußtlos dagelegen hatte, war infolge eines neuen Medikamentes aus der Erstarrung erwacht und verlangte stürmisch nach Haschim, seinem Meister. Als dieser nicht kam und man ihm sagte, daß er ihn erst morgen erwarten dürfe, richtete sich der Riese in den Kissen auf, stemmte die gewaltigen Arme steif ausgestreckt hinter sich auf die Bettstatt, schaute irren Blicks hin und her und schüttelte den großen Kopf, von dem man die Haarmähne geschnitten, wie ein gereizter Löwe. Dabei rief er dem Arzte mit tiefen, weithin hallenden Brusttönen schmähende Worte in seiner Muttersprache zu, die keiner der Anwesenden verstand, und während Philippus den Verband auf der schweren Wunde furchtlos neu zu befestigen suchte, löste Rustem plötzlich die Hände von der Bettstatt, schlang sie um den Leib des Heilkünstlers und versuchte ihn rasend und mit Schaum auf den Lippen zu sich niederzuziehen. Brüllend wie ein Raubtier zerrte er an seinem Gegner, aber auch jetzt verlor Philipp keinen Augenblick die Gegenwart des Geistes, sondern befahl der Nonne, zwei handfeste Sklaven zu holen.
Diese eilte davon, und Paula ward nun Zeugin eines furchtbaren Ringens; denn der Arzt hatte die Knöchel des Riesen mit den seinen umfaßt und entfernte mit einer Kraft, welche man wohl dem großen, starkknochigen Manne, aber schwerlich dem nach vorn übergeneigten Forscher hätte zutrauen mögen, des Persers Hände von seinen Hüften, preßte dann Finger auf Finger zwischen die Rustems, zwang ihn in die Kissen zurück, setzte die Kniee auf sein ehernes Lager und bewältigte ihn so, daß der Verwundete sich nicht wieder aufzurichten vermochte. Und doch wandte der Masdakit alle Kraft auf, um sich von dem Gegner zu befreien, aber dieser war jetzt stärker als er; denn Blutverlust und Fieber hatten Rustem geschwächt.
Paula sah diesem Ringkampf der besonnenen Kraft gegen die tierische Stärke eines rasenden Riesen zitternd und mit laut pochendem Herzen zu. Sie konnte dem Freunde nicht beistehen, doch sie folgte vom Kopfende des Lagers aus jeder seiner Bewegungen, und wie er den gewaltigen Mann, vor dem ihr kranker Oheim in memmenhafter Furcht zusammengeschauert war, gebändigt hielt, mußte sie seine männliche Schönheit bewundern; denn seine Augen strahlten jetzt in feurigem Glanz, und der kleine, untere Teil seines Gesichtes verlängerte sich bei der furchtbaren Anstrengung, die er sich auferlegte, und brachte ihn in Harmonie mit der großen Stirn und dem übrigen Antlitz. Ihre Seele bebte für ihn, und sie meinte an ihm, an dem sie früher nichts geachtet hatte als den überlegenen Verstand, etwas Großes und Heldenhaftes zu erkennen.
Minutenlang hatte der Kampf gedauert, als Philippus die Arme des Persers erlahmen fühlte, und nun rief er Paula zu, ihm ein Tuch, einen Strick oder was es sonst sei, zu reichen, um den Wütenden zu binden.
Da eilte sie schnell und mit voller Besonnenheit in das Nebenzimmer, ergriff ihr Kopftuch, riß die seidene Gürtelschnur von ihrem Gewande, stürzte mit beidem auf den Kampfplatz zurück und half dem Arzt mit dem Mut eines Mannes die Hände des Rasenden fesseln. Jeden Ruf, jeden Fingerzeig des Freundes verstand sie, und als die Sklaven, welche die Nonne gerufen, in das Krankenzimmer traten, fanden sie Rustem mit fest zusammengeschnürten Händen wieder und hatten ihn nur noch zu verhindern, aus dem Bett zu springen oder sich auf die Seite zu werfen.
Nun schrieb Philippus den Sklaven mit fliegendem Atem vor, wie sie sich verhalten sollten, und als er dann in den Arzneikasten griff und Paula bemerkte, daß seine blauroten, geschwollenen Finger dabei zitterten, nahm sie die Flasche heraus, auf die er hinwies, mischte sie das Medikament nach seiner Vorschrift, scheute sie sich nicht, es mit Hilfe der Männer dem Tobenden zwischen die gewaltsam geöffneten Zahnreihen zu gießen.
Die heilsamen Tropfen beruhigten den Kranken in wenigen Minuten, und bald konnte der Arzt mit eigener Hand unter Beistand der geübten Nonne die Wunde des Karawanenführers reinigen und neu verbinden.
Inzwischen war auch die Irrsinnige von dem Gebrüll des Persers erwacht und fragte ängstlich, ob der Hund, der böse Hund wieder da sei. Aber sie ließ sich schnell von Paula beruhigen und beantwortete die Fragen, welche diese an sie richtete, so verständig und ruhig, daß ihre Pflegerin den Arzt herbeirief und er Paulas Hoffnung, in dem geistigen Zustande der Irrsinnigen sei ein günstiger Umschwung eingetreten, beipflichten durfte. Was sie sprach, klang wehmütig und freundlich, und als Paula dies hervorhob, bemerkte der Arzt:
»Auf dem Krankenbett lernt man die Menschen kennen. Das wilde Mädchen, das den Sohn dieses Hauses vielleicht in mörderischer Absicht überfiel, zeigt jetzt seine wahre, sanfte Natur. Was den Burschen da angeht, so ist er ein Kraftmensch und dazu ein braver Kerl, meine zehn Finger zum Pfande!«
»Was verleibt Dir dies Zutrauen?«
»Auch im Fieber hat er nicht ein einzigesmal gekratzt oder gebissen und sich immer nur gewehrt wie ein ordentlicher Bursch... Meinen Dank jetzt für Deine Hilfe; hättest Du ihm die Schnur nicht um die Hände geschlungen, so wäre das Spiel vielleicht zu einem andern Ende gekommen.«
»Gewiß nicht!« versetzte Paula bestimmt. »Wie stark Du bist, Philipp! Man könnte sich vor Dir fürchten.«
»Du?« lachte der Arzt. »Brauchst vielmehr nur nicht weiter bange zu sein, hast ja zufällig gesehen, daß Dein Beschützer nicht schwach ist! Puuh! Ein wenig Ruhe thäte jetzt gut!«
Da reichte sie ihm das eigene Tuch, und während er es dankbar benützte, um sich die Stirn zu trocknen, und den Wunsch, es an die Lippen zu ziehen, mühsam unterdrückte, rief er heiter:
»Mit solcher Gehilfin muß alles glücken. Stark sein ist kein Verdienst; jedermann bleibt es, der mit gesundem Blut und festen Knochen zur Welt kommt, die Glieder, wie ich es als Jüngling und Knabe gethan, tüchtig übt und sein väterlich Erbteil nicht durch ein verkehrtes Leben verkümmert. Uebrigens spür’ ich die Balgerei doch noch in den Händen; aber dort im Saal steht herrlicher Wein; zwei Becher oder drei würden nur gut thun.«
Damit begaben sie sich beide in das Nebengemach, worin die meisten Lampen bereits erloschen waren.
Paula goß ihm den Rebensaft ein, kredenzte ihm den Pokal, und er leerte ihn mit vollen Zügen; den zweiten Becher war es ihm indessen nicht mehr auf ihr Wohl auszuschlürfen beschieden; denn kaum hatte er ihn an die Lippen geführt, als es in dem Zimmer des Masdakiten laut ward und Frau Neforis erschien.
Die sorgsame Gattin des Mukaukas war nicht von dem Lager ihres Gemahles gewichen, ja selbst das Gebrüll des Persers hatte sie nicht veranlaßt, ihren Posten zu verlassen; als sie aber durch die Sklaven vernommen, was es da oben gegeben und daß Paula immer noch mit dem Arzte bei den Kranken verweile, war sie, sobald ihr Gatte sie entbehren konnte, in den Fremdenstock gestiegen, um Philippus zu sprechen, der Damascenerin vorzuhalten, was sich für sie schicke, und sich nach den wunderlichen Geräuschen umzusehen, von denen ihr das zu dieser Stunde sonst totenstille Haus erfüllt zu sein schien. Sie gingen von den Krankenzimmern, dem heimkehrenden Orion und dem Rentmeister Nilus aus, welchen jener, obgleich sich die Nacht schon dem Morgen näherte, zu sich berufen hatte; aber der Statthaltersgattin schien im Anschluß an diesen widerwärtigen Tag, der noch dazu als ein unheilbringender im Kalender stand, alles bedrohlich, und so war sie in Begleitung des wachhabenden Dieners ihres Gatten und mit einem kleinen Reliquienschrein in der Hand, dem sie die Kraft zuschrieb, böse Geister zu bannen, die Treppe hinangestiegen.
Eilig und leise trat sie in die Krankenzimmer und unterzog dort zuerst, besorgt und unwirsch wie jeder, der in der Nacht aus der Ruhe gestört wird, die Nonne einem strengen Verhör. Dann drang sie in den Saal, wo Philippus eben seiner Freundin den zweiten Becher zutrank und Paula ihm mit schlecht geordnetem Haar und gürtellosen Kleidern gegenüberstand. Das alles verstieß gegen die Sitte, dergleichen wollte sie in ihrem Hause nicht dulden, und so befahl sie der Nichte ihres Gatten kurz, sich zur Ruhe zu begeben. Nach allem, was man ihr heute, nein, schon gestern nachgesehen, rief sie, würde es sich besser für sie schicken, in ihrem Zimmer stille Selbstschau zu halten, die Lügengeister, die sie beherrschten, zu bannen und ihren Heiland um Vergebung zu bitten, als hier die Krankenpflegerin zu spielen und das Zechgelage mit einem jungen Manne fortzusetzen, das sie, eben habe sie es von der Nonne gehört, schon um Mittag begonnen.
Paula hörte ihr schweigend zu, doch die Farbe wechselte dabei mehr als einmal auf ihrem Antlitz; als aber Neforis zuletzt mit dem Finger auf die Ausgangsthür wies, rief sie mit all dem kühlen Stolze, über den sie, wenn sie sich unwürdigen Verdächtigungen ausgesetzt sah, verfügte:
»Deine Meinung ist leicht zu durchschauen. Ich würde sie keiner Antwort würdigen, wenn Du nicht die Gattin des Mannes wärest, den ich, bevor Du ihn gegen mich eingenommen, gern meinen Gastfreund und Beschützer nannte und der ja auch mit mir verwandt ist. Wie immer, so traust Du mir auch heute Unwürdiges zu. Indem Du mir die Thür dieser geheiligten Räume, dieser Krankenzimmer weist, vertreibst Du mich zugleich aus Deinem Hause, das Du, und mit Dir Dein Sohn – einmal muß es gesagt sein – mir ohnehin zur Hölle gemacht hast.«
»Ich, ich, und mit mir... Nein, das ist, das...« fiel ihr die Matrone mit fliegendem Atem ins Wort, preßte beide Hände auf die heftig bewegte Brust, und ihr fahles Gesicht bekleidete sich mit glühendem Rot, während aus ihren Augen zornige Blitze schossen. »Das ist... Tausendmal zu viel ist es, tausendmal, hörst Du? Und ich, ich würdige sie noch einer Antwort! Von der Straße haben wir sie aufgelesen, und sie wie eine Tochter gehalten, unsinnige Ausgaben für sie bestritten, und nun...«
Diese Worte waren mehr an den Arzt als an das Mädchen gerichtet gewesen, Paula aber nahm die Herausforderung auf und entgegnete in einem Ton, aus dem nichts klang wie tiefe Verachtung:
»Und nun erkläre ich Dir bestimmt und als mündige Jungfrau, mit freier Verfügung über mich selbst, daß ich morgen in der Frühe mit allem, was mein ist, dies Haus, und sei’s auch als Bettlerin, verlasse, in dem man mich schmählich beleidigt, mich und meinen treuen Diener fälschlich verurteilt und im Begriff steht, ihn schändlich zu morden.«
»Und wo man Dich...« kreischte Neforis die gelassenere Gegnerin an, »wo man Dich viel zu mild vor dem Schicksal des Räubers, den Du zu uns eingeschmuggelt, bewahrt hat. Um einen Einbrecher zu retten, hast Du – unerhört ist es – hast Du gewagt, den Sohn Deiner Wohlthäter als ungerechten Richter...«
»Das ist er!« rief Paula empört. »Und noch mehr! Das Kind, das Du ihm selbst zur Gattin bestimmtest, hat er verführt, zu falschem Zeugnis schmählich verführt. Und mehr, viel mehr könnt’ ich sagen, wäre mir in Dir die Mutter nicht heilig, hätt’ es Dein Gatte nicht um mich verdient, daß ich ihn schone.«
»Schonen, schonen!« wiederholte Neforis höhnisch. »Du und uns schonen! Der Angeklagte hat die Gnade und schont, schont seinen Richter! Aber gezwungen sollst Du werden, ja gezwungen, zu reden. Und was Du, Verleumderin, von dem falschen Zeugnis gesagt hast...«
»Das wird Deine eigene Enkelin,« unterbrach sie der Arzt, »wenn Du Dich nicht mäßigst, edle Frau, vor aller Welt bestätigen müssen.«
Da lachte Neforis krampfhaft auf und fuhr dann außer sich fort:
»So also stehen die Sachen! Das heilige Krankenzimmer macht ihr zum Tempel des Bacchus, der Venus; und nicht genug mit diesem ruchlosen Frevel, schließt ihr ein Bündnis, um ein rechtschaffenes Haus und seine Häupter in Schmach und Schande zu stürzen!« Dann stemmte sie die linke Hand mit dem Reliquienschrein in die Hüfte und rief schnell und heftig: »So soll denn euer Wille geschehen. Zieht hin, wohin ihr mögt! Wenn ich Dich, Du undankbares, böses Geschöpf, bis morgen um Mittag noch in der Statthalterei finde, so lasse ich Dich von der Wachmannschaft auf die Straße führen; denn Du – ich will diesem armen, gequälten Herzen auch einmal gestatten, sich Luft zu machen – Du, Du, Du bist mir zuwider, bist nur verhaßt, Dein bloßes Dasein ärgert mich und bringt Unglück, mir und uns allen, und außer – außerdem sind mir die Smaragden lieb, die wir haben...«
Mit diesem allerhärtesten Wort, das sie gegen die Mahnung ihrer besseren Gefühle herausgestoßen hatte, schien sie ihre Seele von einem Zentnergewicht entlastet zu haben; denn sie holte tief Atem, und weit milder und besonnener als vorher wandte sie sich an den Arzt und sagte:
»Du, Philipp, was Dich betrifft, mein Mann hat Dich nötig, Du weißt ja, was wir Dir bieten, und kennst Georgs offene Hände. Vielleicht besinnst Du Dich eines Bessern und wirst einsehen lernen...«
»Ich?« fiel ihr der Heilkünstler mit einem überlegenen Lächeln ins Wort. »Kennst Du mich wirklich so schlecht, Frau Neforis? Dein Mann, ich gebe zu, daß er mir wert ist, und wenn er meiner bedarf, wird er wohl nach mir schicken. Ungerufen betrete ich indessen diese Schwelle nie wieder, wo man das Recht mit Füßen tritt, die wehrlose Unschuld beschimpft und in Verzweiflung stürzt. Ja, sieh mich nur erstaunt an! Dein Sohn hat den Richterstuhl seiner Väter entweiht, und des unschuldigen Hiram Blut kommt auf sein Haupt; Du aber, fahre Du nur fort, Deine Smaragden zu lieben. Paula rührt sie nicht an, sie ist zu hoch gesinnt, um Dir den zu nennen, vor dem Du gut thätest, sie in den tiefsten Kellerraum zu verschließen! Was ich da eben aus Deinem Munde vernommen, zerreißt jedes Band, welches die Zeit zwischen uns knüpfte. Ich verlange keinen Besitz, kein ansprechendes zuvorkommendes Wesen, keine Gabe des Geistes oder Körpers von meinen Freunden, oder sag’ ich nur meinen nahen Bekannten; aber einen gemeinsamen Boden müssen wir haben: den einer würdigen Gesinnung. Diese kam nicht mit Dir zur Welt, oder ging Dir verloren, und ich will und muß von diesem Augenblick an ein Fremder für Dich sein und wünsche Dich nicht wieder zu sehen, es sei denn bei Deinem Gatten, der nach mir begehrt.«
Diese letzten Worte hatten so würdevoll und unwiderruflich geklungen, daß sie Neforis erschreckten und der Fassung beraubten. Wie eine der Verachtung anheimgefallene Unwürdige hatte der Mann sie behandelt, auf dessen Stand sie herabsah, den sie aber stets für einen der bravsten, offensten und reinsten Ehrenmänner gehalten, der Mann, den ihr Gatte nicht entbehren konnte, weil er ihm Linderung zu verschaffen und ihn vom übermäßigen Gebrauch seines Betäubungsmittels zurückzuhalten verstand. Weit und breit war er der einzige Arzt von Bedeutung. Auch diesen nützlichen Helfer, welcher der kleinen Maria und manchem ihrer Diener das Leben gerettet, drohte die verhaßte Damascenerin ihr zu rauben, und sie, die fest überzeugt war, eine brave, tüchtige Gattin und Mutter zu sein, stand nun durch diesen bösen Geist ihres Hauses wie ein verächtliches Wesen da, dem ein braver Mensch aus dem Weg geht.
Das war zu viel, und von Zorn und Aerger und aufrichtiger Kümmernis gequält, rief sie kläglich und mit feuchten Augen:
»Aber was soll das nur alles? Du, der mich kennt, der mich hat schalten und walten sehen, kehrest mir in meinem eigenen Hause den Rücken und weisest nach mir mit dem Finger? Bin ich denn nicht zeitlebens ein treues Weib gewesen, das ihren Mann durch Jahre gepflegt, sein Krankenbett nicht verlassen und an nichts gedacht hat, als ihm sein Leid zu erleichtern? Wie eine Einsiedlerin habe ich bei ihm ausgehalten aus lauter Pflichtgefühl und treuer Liebe, während andere Frauen, die es weniger leicht können, Staat machen und Feste besuchen. Und wo werden wohl die Sklaven reichlicher gehalten und häufiger freigelassen als bei uns? Wo bekäme der Bettler so sicher sein Almosen als in unserem Hause, das, das ich, ich allein zur Frömmigkeit anhalte? Und nun soll ich plötzlich um dieses undankbaren, lieblosen Geschöpfes willen nicht mehr wert sein, daß mich die Sonne bescheint, und ein braver Mann wie Du kündigt mir im Handumdrehen die Freundschaft, weil, weil – wie hieß es nur gleich – weil mir der Geist fehlt, oder wie hast Du das Ding genannt, das man haben muß, um Dich...«
»Es heißt die Gesinnung,« unterbrach sie der Arzt, dem die geängstigte Frau, an der er in der That viel Gutes wahrgenommen hatte, leid that. »Ist Dir dies Wort wirklich ganz neu, Frau Neforis? Sie wird uns angeboren, aber fester Wille kann die weniger hoch angelegte Gesinnung veredeln, Schwäche gegen sich selbst die von Natur gute beeinträchtigen, und am jüngsten Tage werden, wenn anders mich die Ahnung nicht trügt, nicht die Thaten gemessen werden, sondern just die Gesinnung. Wie stünd’ es mir zu, Dich zu tadeln? Aber Dich zu beklagen, ist mir gestattet; denn ich sehe an Deiner Seele die Krankheit, welche dem Krebs am Körper gleichkommt...«
»Auch das!« rief Neforis.
»Diese Krankheit,« fuhr der Arzt unbeirrt fort, »den Haß mein’ ich, eine so fromme Christin sollte sich vor ihr zu schützen wissen! Wie ein Dieb in der Nacht ist er in Dein Herz gedrungen, hat da um sich gefressen, Dir das Blut verdorben, Dich verführt, gegen diese von schwerem Unglück getroffene Waise zu handeln wie jemand, der einem Blinden Steine und Pfähle in den Weg wirft, damit er falle. Liegt Dir, wie es doch scheint, in der That ein wenig an meiner Meinung, so bitte Paula, bevor sie Dein Haus verläßt, um Vergebung für den Haß, mit dem Du ihr jahrelang wehe gethan, mit dem Du eben erst unerhörte Beleidigungen, an die Du selbst nicht glaubst, zu den andern gefügt hast.«
Da wandte Paula den Blick, mit dem sie bis jetzt der Rede des Arztes gefolgt war, Frau Neforis zu und löste die in ihrem Schoß gefalteten Hände, um, so fest sie auch entschlossen blieb, die Statthalterei zu verlassen, mit der Rechten in die Hand der Gattin des Oheims einzuschlagen, wenn sie ihr dieselbe darbieten würde.
Indessen tobte ein schwerer Kampf in der Seele der Statthaltersfrau. Sie fühlte, daß sie oft unfreundlich gegen Paula gehandelt; daß über dem Smaragddiebstahl immer noch ein peinliches Dunkel schwebe, hatte sie schon vor dem Besuch des Krankenzimmers widerwillig empfunden. Sie wußte, daß sie ihrem Gatten einen großen Dienst leisten werde, wenn sie die Damascenerin zum Bleiben veranlaßte, den Arzt hätte sie ihrem Hause nur zu gern erhalten; aber wie tief war sie, war ihr Sohn eben noch von diesem hochmütigen Geschöpf erniedrigt worden! Sollte sie sich vor ihr, der so viel Jüngeren, demütigen und ihr die Hand bieten, sollte sie in...
Da erklang das silberne Becken, in welches ihr Gatte eine Kugel warf, wenn er ihrer bedurfte. Sein bleiches, leidendes Gesicht stellte sich vor ihr inneres Auge, sie hörte ihn nach seiner Partnerin beim Brettspiel fragen, sie sah seinen wehmütigen, vorwurfsvollen Blick, wenn es morgen heiße, sie, Neforis, habe ihre Nichte, die Tochter des edlen Thomas, aus dem Hause getrieben, und nun folgte sie einer schnellen Regung, trat mit dem Reliquienschrein in der Linken und der ausgestreckten Rechten Paula entgegen und sagte leise:
»Nur eingeschlagen, Mädchen! Ich hätte manchmal anders gegen Dich sein können; aber warum hast Du nie auch nur das Geringste nach meiner Liebe gefragt? Gott ist mein Zeuge, daß ich anfänglich gewillt war, Dich wie eine Tochter zu halten, aber Du – doch lassen wir das! Es thut mir jetzt leid, daß ich Dir... wenn ich Dir wehgethan habe.«
Schon bei den ersten Worten hatte Paula die Hand in die der Matrone gelegt; die ihre war kalt wie Marmor, die der Statthaltersfrau feucht und heiß, und es war, als fühlten ihre Hände den gleichen Widerwillen gegen einander wie die Herzen, und das empfanden sie beide und ließen jene nur einen kurzen Augenblick in einander. Wie Paula die ihre zurückzog, bewahrte sie die schickliche Haltung besser als die ältere Frau und sagte in ruhigem Ton, doch mit glühenden Wangen:
»So wollen wir denn versuchen, ohne Groll von einander zu scheiden, und ich danke Dir, daß Du mir dies möglich gemacht hast. Morgen früh wird es mir, hoff’ ich, gestattet sein, von dem Oheim, der mir lieb ist, und der kleinen Maria in Frieden Abschied zu nehmen.«
»Aber Du brauchst jetzt nicht mehr zu gehen, ich bitte Dich vielmehr dringend, zu bleiben,« unterbrach sie die Statthaltersfrau eifrig. »Georg läßt Dich nicht ziehen; Du weißt ja, wie wert Du ihm bist.«
»Er war mir oft wie ein Vater,« versetzte Paula, und auch ihr Blick begann feucht zu glänzen. »Darum hätte ich gern bei ihm ausgeharrt bis ans Ende; dennoch bleibt es dabei, daß ich gehe.«
»Und wenn Dein Oheim seine Bitten mit den meinen verbindet?«
»Es würde umsonst sein.«
Da faßte Neforis noch einmal die Hand der Jungfrau und bemühte sich mit aufrichtigem Eifer, sie umzustimmen; doch Paula blieb fest und beharrte auf ihrem Entschluß, schon morgen die Statthalterei zu verlassen.
»Aber wo findest Du gleich ein neues, passendes Heim,« rief Neforis, »eine Unterkunft, wie sie Dir zukommt?«
»Das sei meine Sorge!« entgegnete der Arzt. »Glaube nur, edle Frau, für alle Teile ist es am besten, wenn Paula den Aufenthalt wechselt. Nur noch eins: sie läßt sich hoffentlich bestimmen, wenigstens fürs erste in Memphis zu bleiben.«
Da rief Neforis:
»Bei uns, nur bei uns ist ihre natürliche Heimat. Vielleicht wandelt Gott um Deines Oheims willen Dein Herz, und wir beginnen alle zusammen ein neues, erfreulicheres Leben.«
Ein verneinendes Kopfschütteln war Paulas Antwort, doch Neforis sah es nicht mehr; denn zum drittenmal ließ sich der metallene Ruf vernehmen, und es war ihre Pflicht, ihm zu folgen.
Sobald sie das Zimmer verlassen, atmete Paula tief auf und rief:
»O Gott, o Gott, wie das schwer war! Ihr nicht ins Gesicht zu schleudern, mit welchen Frevelthaten ihr ruchloser Sohn... Nein, nein, dazu hätte nichts mich bewogen; aber ich kann Dir nicht sagen, wie dieses Weibes bloßer Anblick mich aufbringt, wie leicht mir ums Herz ist, seit ich die Brücken abgebrochen, die mich mit diesem Hause, mit Memphis verbinden.«
»Mit Memphis?« fragte der Arzt.
»Ja!« versetzte Paula lebhaft. »Fort will ich, weit fort von hier, aus dieser Frau und ihres Sohnes Nähe! Wohin? Ob nach Syrien zurück, ob nach Griechenland, – jeder Weg ist mir recht, der von hier fort führt.«
»Und ich, Dein Freund?« fragte Philippus.
»Die Erinnerung an Dich nehme ich mit mir in dankbarem Herzen.«
Da lächelte der Arzt, als sei etwas eingetroffen, das er erwartet, und sagte nach kurzem Bedenken:
»Und wo und wie soll der Nabbatäer Dich finden, wenn er in dem Klausner vom Sinai wirklich Deinen Vater erkennt?«
Diese Frage überraschte und erschreckte Paula, und Philippus setzte nun alles daran, um sie von der Notwendigkeit ihres Bleibens in der Pyramidenstadt zu überzeugen. Es galt zunächst, ihre Amme zu befreien, und dabei konnte er ihr seine Mitwirkung verheißen, und alles, was er vorbrachte, nahm so weislich Rücksicht auf die Verhältnisse, mit denen es zu rechnen galt, und die Thatsachen, welche vorlagen oder eintreten konnten, daß sie über die Besonnenheit und den praktischen Sinn des Mannes, mit dem sie gewöhnlich nur über Dinge, die nicht von dieser Welt waren, geredet hatte, staunte und größtenteils um ihres Vaters und Perpetuas willen, aber auch in der Hoffnung, sich seines Umganges weiter zu erfreuen, einwilligte, wenigstens fürs erste zu Memphis und im Hause seines ihr durch die Erzählungen des Arztes längst bekannten Freundes, ihres Glaubensgenossen, zu bleiben und dort den ferneren Verlauf ihres Schicksals abzuwarten. Fort von Orion, ihn nie, nie wieder zu sehen, war der heißeste Wunsch ihres Herzens. Jede Stätte erschien ihr gut, wo sie nicht zu befürchten hatte, ihm zu begegnen. Sie haßte ihn, doch sie wußte, daß ihr Herz nicht zur Ruhe kommen werde, so lange diese Möglichkeit vorlag. Sie begehrte sich auch von dem Verlangen zu befreien, das wieder und wieder mit wunderbarer, entsetzlicher Macht in ihr aufstieg, seinen ferneren Schicksalen zu folgen. Darum, nur darum sehnte sie sich fort und ins Weite, darum genügte ihr kaum des Arztes Versicherung, ihr neuer Gastfreund werde jeden Besuch von ihr fernzuhalten wissen, den sie nicht selbst zu empfangen wünsche. Sie vor Aufdringlichen zu schützen, schloß Philippus, werde seine Sache sein, sobald sie ihn rufe.
Wie die beiden sich trennten, trat die Sonne hinter den Ostbergen hervor, und beim Abschied sagte Paula:
»So beginnt denn morgen für mich ein neues Leben, von dem ich mir wohl vorstellen kann, daß es mit Deiner Hilfe sich freundlicher gestalten wird als das vergangene,« und der Arzt entgegnete froh bewegt:
»Für mich hat dies neue Leben schon gestern begonnen.«
Vierzehntes Kapitel.
Zwischen Morgen und Mittag saß die kleine Maria unter denselben Sykomoren, welche gestern das junge, kurze Liebesglück des Bachstelzchens beschattet, auf einem niedrigen Rohrstuhl, und neben ihr ihre Erzieherin Eudoxia, unter deren Aufsicht sie aus einem griechischen Katechismus die zehn Gebote abschreiben sollte.
Die Lehrerin war von der wachsenden Hitze und dem Blütenduft rings um sie her entschlummert, und ihre Schülerin führte nicht mehr die Feder.
Mit verweinten Augen sah sie auf die Muscheln, welche über den Weg gestreut waren, und benützte ihr langes Lineal, anfangs um unter ihnen umherzuwühlen, dann aber um die Worte »Paula« und »Paula, Marias Geliebte« mit großen Anfangsbuchstaben in sie einzufurchen. Nur ein Schmetterling, welcher den Bewegungen des Holzes folgte, weckte dann und wann einen heiteren Zug in ihrem lieben Gesichtchen, aus dem es dem trüben Geiste »Kummer« doch nicht geglückt war, den Frohsinn ganz zu verdrängen. Trotzdem that das Herzchen ihr weh. Still wie in ihrer Umgebung war es im ganzen Garten und auch im Hause; denn vor Sonnenaufgang hatte sich der Zustand des Großvaters ernstlich verschlimmert und jedes Geräusch mußte von ihm fern gehalten werden.
Maria dachte eben an den armen Kranken, wie schwer er zu leiden habe, und wie weh auch ihm die Trennung von Paula thun werde, als ihr durch die Allee Katharina entgegenkam.
Die Sechzehnjährige machte heute ihrem Namen Bachstelzchen wenig Ehre; denn ihre niedlichen Füßchen schlürften durch den Muschelkies, ihr Köpfchen war müde gesenkt, und wenn eins der tausend Insekten, die sich in der sonnigen Morgenluft wiegten, ihr nahe kam, schlug sie nach ihm gereizt mit dem Fächer.
Als sie Maria erreicht hatte, rief sie ihr das gewöhnliche »Freue Dich« zu; doch diese beantwortete es nur mit einem widerwilligen Kopfnicken, wandte ihr dann halb den Rücken und fuhr fort, ihre Inschrift zu malen.
Aber Katharina achtete noch nicht dieses kühlen Willkommens, sondern hob teilnehmend an:
»Es soll ja Deinem armen Großvater nicht wohl gehen?«
Maria zuckte die Achseln.
»Sie sagen sogar, er sei recht bedenklich erkrankt; ich habe Philippus selbst gesprochen.«
»So?« machte Maria, ohne die ältere Freundin anzusehen, und setzte ihre Thätigkeit fort.
»Orion ist bei ihm,« ergänzte Katharina. »Und Paula, sie will die Statthalterei also wirklich verlassen?«
Das Kind nickte stumm mit dem Kopf, und seine verweinten Augen füllten sich mit neuen Thränen.
Da bemerkte das Bachstelzchen, daß die Kleine traurig aussah und ihr geflissentlich keine Antwort erteilte. Zu anderen Zeiten hätte sie das wenig gekümmert, aber heute verletzte sie ihr Schweigen, ja, es wurde ihr dabei bange, und so stellte sie sich Maria, die das Lineal unermüdlich zu handhaben fortfuhr, gegenüber und sagte laut und empfindlich:
»Es scheint ja, als sei ich seit gestern in Ungnade gefallen. Wie jedes will, aber solche Ungezogenheit, sag’ ich Dir, laß ich mir nicht gefallen.«
Die letzten Sätze waren von der Erzieherin, welche die hohe Stimme Katharinas erweckt hatte, verstanden worden, und indem sie sich eine würdige Haltung gab, fragte sie streng:
»Wie hat man sich gegen liebe Gäste zu verhalten, Maria?«
»Ich sehe hier keine,« versetzte das Kind und zog die Lippen trotzig zusammen.
»Ich aber, ich!« rief die Erzieherin. »Wie eine Barbarentochter benimmst Du Dich, nicht wie ein hellenisch erzogenes Mädchen. Katharina ist kein Kind mehr, wenn sie sich auch noch manchmal zum Spielen mit Dir herabläßt. Gleich gehst Du hin und bittest sie für dies garstige Wort um Verzeihung!«
»Ich?« fragte das Kind, und es lag darin die entschiedenste Ablehnung dieses Befehles. Dann sprang sie auf und rief mit funkelnden Augen: »Wir sind keine Griechinnen, weder sie noch ich, und wenn ihr es noch einmal hören wollt: Sie ist, ist, ist nicht mehr mein lieber Gast, meine Freundin; nein, wir haben nichts, gar nichts mehr mit einander zu schaffen!«
»Bist Du toll geworden?« rief nun Eudoxia, und ihr langes Gesicht gewann ein bedrohliches Ansehen, während sie sich trotz der wachsenden Hitze des Tages aus ihrem tiefen Ruhesessel erhob und sich anschickte, auf ihren Zögling zuzutreten und ihn mit Gewalt zu der Abbitte zu nötigen. Doch Maria war behender als die alternde Griechin und floh hurtig wie eine Gazelle die Allee hinunter, dem Strom entgegen.
Eudoxia versuchte ihr zu folgen; doch die Hitze lähmte sie bald, und als sie erschöpft und keuchend stehen blieb, sah sie, wie Katharina, die nun auf einmal wieder das alte Bachstelzchen geworden, an ihr vorbei und dem Kinde mit einer Schnelligkeit nachjagte, die sie mit Schauder erfüllte.
Maria bemerkte bald, daß sie nur noch von Katharina verfolgt ward, mäßigte den Lauf und erwartete im Schatten eines großen Gebüsches die aufgegebene Freundin. Bald stand ihr diese mit glühenden Wangen gegenüber, faßte ihre beiden Händchen und rief empört:
»Was hast Du da drüben gesagt? Du... Du... Wüßte ich nicht, was für ein naseweiser Kindskopf Du bist, so wär’ ich im stande...«
»So wärst Du imstande, mich falsch zu verklagen! Aber jetzt lässest Du mich los, oder ich beiße!« Und als Katharina ihr auf diese Drohung hin die Hände freigab, fuhr sie noch heftiger fort: »O, o, ich kenn’ Dich seit gestern! Und wenn Du es noch einmal hören willst: ich bedanke mich für solche Freundin! Schämen solltest Du Dich tief in den Erdboden hinein der Sünde, die Du begangen. Ich bin erst zehn Jahre, aber ehe ich das begangen hätte, das, lieber hätt’ ich mich in das heiße Loch mit der armen, unschuldigen Perpetua einsperren, wollt’ ich mich hinrichten lassen, wie ihr’s mit dem armen, ehrlichen Reiter Hiram, pfui, pfui! im Sinne habt!«
Katharinas glühende Wangen waren bei diesen Worten erblaßt, und weil sie nichts darauf zu erwidern wußte, warf sie den Kopf zurück und entgegnete so stolz und überlegen, wie es ihr eben gelang:
»Was weiß denn solch ein Kind von Dingen, über die sich selbst große Leute die Köpfe zerbrechen!«
»Große Leute!« lachte Maria, welche kaum drei Finger breit kleiner war als ihre Gegnerin. »Wachs’ erst tüchtig, und dann nenne Dich groß. In zwei Jahren reichst Du mir grad bis an die Augen.«
Da stieg der lebhaften Aegypterin das Blut zu Kopfe, und sie schlug dem Kinde mit der flachen Hand ins Gesicht; Maria aber blieb wie erstarrt vor ihr stehen, und nachdem sie minutenlang und ohne einen Klagelaut die Augen zu Boden geschlagen, wandte sie der andern den Rücken und begab sich schweigend in die schattige Allee zurück.
Katharina folgte ihr mit feuchten Augen. Sie fühlte, daß Maria berechtigt sei, das, was sie gestern gethan, zu mißbilligen; denn sie hatte ja selbst keinen Schlaf finden können und war mehr und mehr zur Ueberzeugung gelangt, daß sie schlecht, ja unverzeihlich gehandelt. Jetzt hatte sie wieder etwas Unverantwortliches begangen! Sie fühlte, daß sie dem Kind etwas Schweres zugefügt habe, und das that ihr aufrichtig leid. Wie eine Dienerin folgte sie Maria schweigend in einiger Entfernung. Gern hätte sie sie am Kleide zurückgehalten, ihr gute Worte gegeben, ja sie um Verzeihung gebeten, und wie sie sich dem Platze näherte, wo sich die Erzieherin wieder als unglückliches Schlachtopfer der ägyptischen Hitze in ihren tiefen Stuhl geworfen, rief Katharina Maria bei Namen, und als sie es ablehnte, sie anzuhören, legte sie ihr die Hand auf die Schulter und sagte weich und bittend:
»Verzeih mir, daß ich mich so vergessen; aber was kann ich dafür, daß ich so klein bin. Du weißt ja, wenn einer darüber spottet...«
»So wirst Du böse und schlägst,« entgegnen das Kind und schritt dabei weiter. »Gestern noch hätte ich vielleicht gar über die Ohrfeige gelacht, ‘s wäre ja nicht die erste gewesen, oder Dir auch eine zurückgegeben, aber heute, vorhin,« und dabei schauerte sie unwillkürlich zusammen, »vorhin ist mir’s gewesen, als wär’ mir ein schwarzer Sklave mit der garstigen Hand über die Backe gefahren. Du bist auch gar nicht mehr, wie Du warst, Du setzest die Füße ganz anders und siehst – verlaß Dich darauf – siehst gar nicht mehr so nett und lustig aus wie früher, und ich weiß auch warum: Du hast gestern Abend eine große Sünde begangen.«
»Aber, liebes Schätzchen,« bat nun die andere, »Du mußt nicht so hart sein. Vielleicht hab’ ich vor den Richtern wirklich nicht alles gesagt, was ich wußte, doch Orion, der mich so lieb hat, und dessen Frau ich doch werde...«
»Der hat Dich zu der Sünde verführt!« rief die Kleine. »Auch er ist gut und froh und freundlich gewesen bis gestern; aber seit dem... O dieser unglückselige Tag.«
Hier ward sie von der Erzieherin Eudoxia unterbrochen, die sie mit einer Flut von Vorwürfen überschüttete und ihr endlich befahl, sich an die Arbeit zurückzubegeben.
Das Kind folgte widerstandslos diesem Geheiß; doch es hatte kaum die Wachstafel zurechtgelegt, als Katharina wieder an seiner Seite war und ihm zuflüsterte, Orion habe gewiß nur ausgesagt, was er für das Richtige gehalten, und sie, sie sei wirklich im Zweifel gewesen, ob eine Gemme mit einem goldenen Rücken oder ein bloßes Stück Goldblech an Paulas Kette gehangen.
Da wandte Maria sich rasch und hastig auf sie zu, sah ihr fest in die Augen und rief, um nicht von Eudoxia verstanden zu werden, in ihrer ägyptischen Sprache, von der die Griechin verschmäht hatte, auch nur ein einziges Wort zu lernen:
»Ein elendes, am Rande gezacktes Goldblech hat an der schönen Kette gehangen, und noch dazu ist es Dir am Kleide hängen geblieben. Ich seh’ es vor mir! Und wenn Du vor den Richtern ausgesagt hast, es sei eine Gemme gewesen, so hast Du gelogen. Da sieh her, das sind die Gesetze, die der liebe Gott selbst auf dem heiligen Sinaiberge gegeben, und da steht es geschrieben: ›Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten,‹ und wer das doch thut, hat mir der Presbyter erklärt, der macht sich einer Todsünde schuldig, für die es keine Vergebung gibt auf Erden und im Himmel, wenn nicht durch schwere Buße und unsers Erlösers besondere Gnade. So steht es geschrieben, und Du, hast Du wirklich vor den Richtern aussagen können, was falsch ist und unwahr und andere ins Verderben stürzen muß?«
Da schaute die junge Angeklagte verwirrt und beschämt zu Boden und versetzte zögernd:
»Orion hatte es so fest und sicher behauptet, und dann – ich weiß selbst nicht, wie es über mich kam – aber ich war ihr so bös, so... Morden hätt’ ich sie können!«
»Wen?« fragte Maria verwundert.
»Du weißt es ja; Paula.«
»Sie?« fragte Maria, und ihre großen Augen füllten sich von neuem mit Thränen. »Ist es denn möglich! Bist Du ihr nicht gerade so gut gewesen wie ich? Hast Du Dich nicht manchmal an sie gehängt wie eine Klette?«
»Ja, ja doch! Aber vor den Richtern war sie so gräßlich stolz, und dann... Doch das alles kannst Du, glaub mir’s, Maria, kannst Du wirklich und wahrhaftig noch nicht verstehen!«
»Nicht?« fragte das Kind und kreuzte die Arme. »Für wie dumm hältst Du mich denn? Du bist in Orion – und er ist ja auch ein Mann, wie es wenige gibt – vernarrt, verliebt bis über die Ohren, und weil Paula wie eine Königin neben Dir aussieht und so viel schöner und größer ist als Du, und Orion sich – ich hab’s ja gesehen – bis gestern tausendmal mehr um sie gekümmert hat als um Dich, bist Du eifersüchtig und neidisch auf sie geworden. O, ich weiß alles! Ich weiß auch, daß alle Frauen sich in ihn verlieben, und daß sie der Mandane um seinetwillen die Ohren abgeschnitten haben, und daß ihm sein Schätzchen in Konstantinopel das weiße Hündchen geschenkt hat. Die Sklavinnen erzählen nur, was sie wissen, und was ich mag. Am Ende hast Du auch Grund, auf Paula eifersüchtig zu sein; denn legte sie’s nur darauf ab, lieber Gott, wie bald sähe Orion Dich gar nicht mehr an! Sie ist das schönste, klügste, beste Mädchen auf der ganzen Erde, und warum soll sie nicht stolz sein? Das falsche Zeugnis, das Du geredet, wird dem armen Hiram das Leben kosten; aber der gütige Heiland vergibt Dir’s am Ende. ‘s ist Deine Sache, und mich geht es nichts an; aber daß Paula um Deinetwillen das Haus verläßt, daß ich sie nie, nie, nie wieder sehen soll, ob ich Dir das vergessen kann, ich glaub’s nicht, aber ich will Gott darum bitten.«
Dabei brach sie in lautes Schluchzen aus, und die Erzieherin stand schon auf, um dem Gerede, das sie nicht verstand und das ihr darum widerwärtig und beängstigend vorkam, ein Ende zu machen, als das Bachstelzchen sich vor dem Kinde niederwarf, es mit den Armen umschlang und, gleichfalls in Thränen zerfließend, ausrief:
»Maria, liebes Mariechen, Ein unwissender Kritikaster nahm Anstoß an dem »Irenchen«, welches der Verfasser in den »Schwestern« gebrauchte, und bezeichnete diese Diminutivform als groben Anachronismus. Dennoch liebten die Griechen in Aegypten Frauennamen in der Diminutivform so sehr, daß sie sie selbst in den Steuerlisten den einfachen Namen vorzogen. Uebrigens war diese Form auch den attischen Griechen geläufig. vergib mir. O, wenn Du wüßtest, was ich schon ausgestanden habe, bevor ich hieher kam! Verzeih mir, Maria, sei wieder mein gutes, liebes Mariechen! Gewiß, gewiß, Du bist viel, viel besser als ich! Wozu, lieber Heiland, wozu bin ich gestern Abend geworden, und durch ihn, nur durch ihn, den ja jeder Mensch lieb haben muß, nur durch Orion! Willst Du’s glauben: ich weiß noch nicht einmal, warum er mich zu dieser Sünde verführt hat! Aber ich muß versuchen, ihm nicht mehr gut zu sein, ihn ganz zu vergessen, obgleich, obgleich... Denke Dir nur, daß er, er mich sein Bräutchen genannt hat; aber nun er mich so betrogen, darf ich denn wagen, sein Weib zu werden? Die ganze Nacht hat mir’s keine Ruhe gelassen. Lieb hab’ ich ihn, lieb, Du weißt nicht wie sehr; aber ich kann doch die Seine nicht werden; lieber geh’ ich ins Kloster oder in den Nil, und das alles, ich sag’ es noch heute der Mutter.«
Die Griechin hatte den Mädchen erstaunt zugeschaut, und es bot auch einen befremdlichen Anblick, die Jungfrau vor dem Kinde knieen zu sehen. Sie lauschte auf den glühenden Fluß der ihr unverständlichen Rede und erwog, wie sie ihren Zögling, zur Not mit Hilfe der Großmutter, dahin bringen könne, sich gemessenerer griechischer Bewegungen zu befleißigen.
Da trat Paula in die Allee. Die Sklaven, welche ihr mit mehreren Truhen und Paketen auf einer großen Sänfte gefolgt waren, gingen gerade auf den Nil zu, wo das Boot wartete, welches sie in ihr neues Heim führen sollte.
Schweigend und unbemerkt ließ sie die Augen eine Zeit lang auf dem rührenden, fest umschlungenen Mädchenpaare ruhen und hörte die letzten Worte des liebenswürdigen jungen Geschöpfes, das ihr so Schweres angethan hatte. Sie ahnte nur, was hier vorgegangen war, aber es widerstand ihr, länger zu lauschen, und so rief sie Maria an, und als diese aufsprang und ihr mit hingebender, stürmischer Zärtlichkeit an den Hals flog, bedeckte sie ihr Köpfchen und ihr seines Antlitz mit Küssen.
Dann löste sie sich aus der Umarmung des Kindes und sagte leise und mit feuchten Augen:
»Lebe wohl, Du mein Liebling! In wenigen Augenblicken bin ich nicht mehr die Eure, und ein anderes, fremdes Heim nimmt mich auf. Bleibe mir gut und vergiß mich nicht, und daß Du es wissest, Du hast auf Erden keine treuere Freundin als mich.«
Da flossen neue Thränen, und das Kind beschwor sie, nicht zu gehen, sie nicht zu verlassen; aber Paula wehrte seinen Bitten gerührt und erstaunt, daß sie an dieser Stätte, wo sie so wenig Liebe gesäet, doch so viel warme Liebe geerntet.
Dann reichte sie der Erzieherin die Hand zum Abschied, und als sie sich Katharina zuwandte, um auch ihr, der Mörderin ihres Glückes, wie schwer es ihr auch fiel, Lebewohl zu sagen, sank das Bachstelzchen, überfließend von Thränen der Reue, vor ihr nieder, bedeckte ihre Kniee und Hände mit Küssen und bekannte sich schuldig des schwersten Verbrechens. Aber Paula ließ sie nicht zu Ende reden, sondern hob sie auf, küßte ihr die Stirn und sagte, daß sie verstehe, wie sie zu dieser Sünde gekommen, und daß sie, wie Maria, versuchen werde, ihr zu vergeben.
Bei dem mit vielen Ruderern bemannten Kahn der Statthalterei, wohin sie die Mädchen begleiteten, fand sie Orion.
Er hatte diesen Morgen zweimal vergeblich versucht, Gehör bei ihr zu finden, und sah bleich und erregt aus. Mit einem herrlichen Blumenstrauß in der Hand, bot er Maria und seinem Bräutchen einen flüchtigen Gruß und beachtete es nicht, daß Katharina ihn nur stumm und zaghaft zurückgab.
Dann trat er Paula näher, teilte ihr flüsternd mit, Hiram sei gerettet, und beschwor sie darauf, wenn sie selbst auf Vergebung ihrer Sünden hoffe, ihm nur wenige Augenblicke zu schenken; als sie aber mit einem stummen Achselzucken seine Bitte ablehnte und auf das Boot zuschritt, streckte er die Hand aus, um ihr behilflich zu sein; sie aber sah geflissentlich beiseite und reichte dem Arzt die Rechte. Da sprang er ihr in den Nachen nach und raunte ihr mit bebender Stimme ins Ohr:
»Ein Elender, ein Unglücklicher bittet Dich um Gnade. Ich war gestern von Sinnen. Ich liebe Dich, liebe Dich, Mädchen, wie sehr – Du wirst es erfahren!«
»Genug!« unterbrach sie ihn laut und erhob sich in dem schwankenden Kahne. Philippus stützte sie, Orion aber legte ihr den Strauß in den Schoß und sagte allen vernehmlich:
»Den Vater wird Dein Abschied schmerzlich bekümmern. Er ist so krank, daß wir Dir nicht gestatten durften, Abschied von ihm zu nehmen. Hast Du ihm noch etwas zu sagen...«
»So wähle ich einen andern Boten!« versetzte sie streng.
»Und wenn er nach dem Grund Deines plötzlichen Aufbruches fragt?«
»So werden ihm Deine Mutter und Philippus Antwort erteilen.«
»Aber er war Dein Vormund, und ich weiß, Dein Vermögen...«
»Es ist bei ihm in sicheren Händen.«
»Und wird des Arztes Befürchtung zur Wahrheit?«
»So fordere ich das meine durch meinen neuen Kyrios zurück.«
»Du wirst es auch ohne ihn erhalten. Kennst Du kein Erbarmen, keine Vergebung?«
Da warf sie statt jeder Antwort den Blumenstrauß, den er ihr gegeben, ins Wasser; er aber sprang ans Land und fuhr sich, ohne der Anwesenden zu achten, mit der Hand durch das Haar und preßte sie an die glühende Stirn.
Das Boot stach in die Wellen, die Ruderer regten eifrig die Riemen, Orion aber starrte ihm nach und tiefe Atemzüge hoben und senkten seine Brust, bis eine kleine Hand die seine erfaßte und Marias zärtliche Kinderstimme ihm zurief:
»Fasse Dich, Oheim! Ich weiß ja, was Dich bekümmert.«
»Was weißt Du?« fragte er barsch.
»Es reut Dich, daß Du und Katharina gestern Abend gegen sie und den unglückseligen Hiram...«
»Thorheit!« unterbrach er sie heftig. »Wo ist Katharina?«
»Ich soll Dir sagen, sie könne Dich heute nicht sehen. Sie hat Dich so lieb, aber sie, auch sie empfindet jetzt bittere Reue.«
»Die mag sie sich sparen,« fuhr der Jüngling auf. »Gibt es da etwas zu büßen, so fällt es auf mich, so martert es mich hier zu Tode. Aber das alles... Hol mich der Satan! Was geht das ein Kind an! Mach, daß Du fort kommst! Eudoxia, führe das Mädchen an seine Arbeit!«
Damit nahm er den Kopf der Kleinen zwischen die Hände, küßte ihr mit stürmischer Zärtlichkeit die Stirn und stieß sie dann der Erzieherin in die Arme, die sie dienstwillig mit sich fortzog.
Sobald sich Orion allein sah, lehnte er sich an einen Baum und stöhnte tief auf wie ein verwundetes Wild. Das Herz that ihm weh zum Zerspringen,
»Hin, hin! Verscherzt, verloren, das Beste auf Erden!« Und nun legte er die Hände an den Baum und preßte die Stirn darauf, bis sie ihn schmerzte. Er wußte sich nicht zu lassen vor Weh und Zorn gegen sich selbst. Es war ihm, als sei er schwer berauscht gewesen und habe in der Trunkenheit das eigene Haus in Asche gelegt. Wie das alles hatte geschehen können, er wußte es selbst nicht mehr! Nach seinem nächtlichen Ritte hatte er den Rentmeister Nilus wecken lassen und ihm aufgetragen, Hiram heimlich in Freiheit zu setzen. Aber erst durch den Anblick des vom Schlage getroffenen Vaters war er zu voller Ernüchterung gelangt. Der furchtbare Ernst des Todes hatte ihm an diesem Lager voll ins Antlitz geschaut, und es war ihm gewesen, als könne er den geliebten Mann nicht scheiden sehen, bevor er seinen Frieden mit Paula gemacht, ihre Vergebung erlangt, sie, die dem Vater lieb war, ihm zugeführt und für sie und sich selbst seinen Segen erfleht habe.
Zweimal war er aus dem Leidensgemach an ihr Zimmer geeilt, um sie bitten zu lassen, ihm Gehör zu schenken, aber vergebens, und wie entsetzlich hatte sich der Abschied von ihr gestaltet! Hart, unerbittlich, grausam war sie ihm begegnet, und als er sich nun ihr Sein und Wesen vergegenwärtigte, wie es vor dem Bruche mit ihm gewesen, mußte er sich sagen, daß in ihrem Verhalten etwas ihr nicht Eigenes liege. Diese unmenschliche Härte hatte dem schönen Weibe, dessen Neigung er einmal besessen, und das nun seinen Strauß ins Wasser geschleudert, nicht das Herz vorgeschrieben, sondern der wohlerwogene Vorsatz, ihn ihren Zorn fühlen zu lassen. Warum aber hatte sie, die tief Ergrimmte, doch nicht den Richtern verraten, daß sie ihn bei dem Smaragdraub ertappt? Noch war nicht alles verloren, und freier atmend schritt er dem Hause entgegen, wohin die Pflicht und die Sorge um den Vater ihn riefen. Da schwamm sein Strauß auf dem Strome. »Der Haß hat ihn hineingeschleudert,« dachte er, »doch bevor er ins Meer kommt, werden viele Blumen in seiner Mitte blühen, die noch harte Knospen waren, wie sie ihn fortwarf. Einen andern als mich kann sie nicht lieben, ich fühl’ es, ich weiß es! Seit wir uns zum erstenmal in die Augen gesehen, war das Los unserer Herzen entschieden. Was sie an mir haßt, ist mein wahnsinniges Verbrechen, was sie zuerst von mir abwandte, war ihr gerechter Zorn über mein Werben um Katharina. Aber die Missethat ist ein Traum in meinem Leben gewesen, der nicht wiederkehren soll, und Katharina – einmal hab’ ich gegen sie gesündigt und will damit nicht fortfahren durch ein ganzes, langes Leben. Ich habe straflos so viel mit der Liebe spielen dürfen, daß ich endlich ihre Macht unterschätzte. Lachend gab ich die meine dem Wunsche der Mutter preis, und daraus, nur daraus ist all dies Furchtbare erwachsen. Aber nein, nein, es ist noch nicht alles verloren! Paula wird mich hören, und wenn sie sieht, wie es hier drinnen aussieht, wenn ich ihr alles bekannt habe, das Gute wie das Böse, wenn sie erst weiß, daß sich mein Herz nur verirrt hat und wieder zu ihr zurückkehrt, die mich gelehrt hat, daß die Liebe kein Scherz ist, sondern tiefer, den ganzen Menschen beherrschender Ernst, so wendet – wendet sich alles.« Dabei gewannen seine Züge ein edles, entzücktes Leuchten, und vorwärts schreitend sann er weiter: »Ist sie mein, so weiß ich, daß sich alles in mir entfalten wird, was ich Großes von den Ahnen ererbt. Als die Mutter mich an das Lager des Vaters rief, sagte sie: ›Komm, Orion, das Leben wird ernst für mich und Dich und unser Haus, der Vater...‹ Ja, ernst, ernst wird es, wie sich dies alles auch wende! Paula gewinnen, sie versöhnen, sie mir nähern, an ihrer Seite Großes, ihrer Würdiges leisten und schaffen, das ist ein Lebensziel, wie ich’s brauche. Mit ihr, ja gewiß, eins mit ihr kann ich’s erreichen, ohne sie oder mit dem goldenen Spielzeug Katharina wird mir das Alter nichts bringen als Uebersättigung, Ernüchterung und Bedauern oder, nenn’ ich es bei seinem christlichen Namen: bittere Reue. Wie Antäus neue Kraft gewann, wenn er die Mutter Erde berührte, ja, Vater, so fühl’ ich mich wachsen, wenn ich nur an sie denke. Sie ist das Heil und die Ehre, die andere das Verderben, das Elend meiner Zukunft. Armer, lieber Vater, Du wirst, Du sollst diesen Schlag überleben, um sich alles erfüllen zu sehen, was Du von Deinem Sohne so freudig gehofft. Dir war Paula immer lieb, vielleicht wirst Du es sein, der sie versöhnt und mir zuführt, und wie teuer wird sie Dir werden und, so Gott will, auch der Mutter, wenn ihr sie neben mir walten seht als Zierde dieses Hauses, dieser Stadt, dieses Landes, wie eine Königin und als heilbringenden Schutzengel eures Sohnes!«
Gehoben, getragen von diesen Gedanken, hatte er das Viridarium erreicht. Dort harrte der Hausmeister Sebek seines jungen Gebieters und sagte leise:
»Der Herr schläft noch, wie der Arzt es vorausgesagt hat, aber sein Antlitz... Ach, wenn Philippus doch wieder da wäre!«
»Ihr habt den Wagen mit dem Traber nach dem Cäcilienkloster geschickt?« fragte Orion eilig, und als Sebek es bejahte und im Hause verschwand, sank der junge Mann, von schmerzlichem Schauder erfaßt, neben einer Säule, an der ein Kruzifix hing, auf die Kniee und erhob Hände und Seele zu einem brünstigen Gebet.
Fünfzehntes Kapitel.
Der Arzt hatte Paula in ihr neues Heim eingeführt und sie schnell mit denen bekannt gemacht, welche sie von nun an behüten und ihr ein schöneres Dasein bereiten sollten.
Nur wenige Minuten war es ihm selbst vergönnt, sich ihr und ihren Wirten zu widmen; denn kaum hatte er sie in die mit Blumen reich geschmückten, weiten Gemächer geführt, welche sie nun aufnahmen, als zwei Boten zugleich angemeldet wurden, welche ihn zu sprechen wünschten. Sie wußte, wie bedenklich es mit ihrem Oheim stand, und angesichts des nahen Verlustes wurde ihr erst lebendig klar, was sie an ihm besessen. So war ihr erster Hausgenosse ein Schmerz, der durch das Behagliche der neuen, luftigen, schönen Wohnung eher verschärft wurde.
Von den Boten war der eine ein junger Araber, der vom jenseitigen Ufer des Nil kam und Philipp einen Brief des Kaufherrn Haschim überreichte. Der alte Herr teilte ihm darin mit, daß er infolge eines schweren Sturzes seines ältesten Sohnes sich gezwungen sehe, sogleich nach Dschidda am Roten Meer aufzubrechen. Er bitte Philippus weiter für seinen verwundeten Karawanenführer, der ihm lieb sei, zu sorgen, und ihn, wenn er es für gut finde, aus der Statthalterei zu entfernen und an einem stilleren Orte gesund zu pflegen. Die Sache der edlen Tochter des Thomas werde er im Auge behalten. Dies Schreiben begleitete ein von Goldstücken strotzender Beutel.
Der zweite Bote sollte Philippus auf dem Wägelein mit dem Harttraber sogleich zu dem schwerer erkrankten Mukaukas führen.
Ungesäumt folgte er diesem Rufe, und der Renner, den sein Lenker nicht schonte, führte ihn schnell in die Statthalterei.
Ein Blick auf den Leidenden lehrte ihn, daß der Anfang des Endes gekommen sei; doch treu seinem Grundsatz, die Hoffnung nie aufzugeben, bevor das Herz des Leidenden zum Stillstand gelangt, richtete er, ohne Orions zu achten, welcher zu Häupten seines Vaters auf den Knieen lag, den Bewußtlosen in die Höhe, winkte der mit der Krankenpflege wohl vertrauten Diakonissin, legte neue Umschläge auf die Stirne und den Nacken des vom Schlage getroffenen Mannes und ließ ihm zur Ader.
Da erhob der Mukaukas mühsam die schweren Lider, wandte sie beunruhigt hierhin und dorthin, und als er seinen knieenden Sohn, seine in Thränen zerfließende Gattin und den Arzt erkannt hatte, stammelte er undeutlich und tonlos; denn die gelähmte Zunge wollte seinem Willen nicht mehr gehorchen: »Zwei Kügelchen, Philipp!«
Der Arzt gab ohne Widerspruch dieser Bitte des Sterbenden nach, welcher nun die Augen wiederum schloß, aber nur um sie bald neu zu öffnen und mit der gleichen Anstrengung wie vorher, doch auch mit ebenso klarem Bewußtsein zu lallen: »Es geht zu Ende! Der Segen der Kirche... Den Bischof, Orion!«
Der junge Mann eilte sogleich hinaus, um den Prälaten, welcher bereits mit zwei Diakonen, einem Exorcisten und dem Meßner, der das nötige Küchengerät trug, im Viridarium harrte, in das Krankenzimmer zu führen.
Ruhig und ergeben ließ er sich das letzte Abendmahl reichen, sah und hörte er dem Treiben des Exorcisten zu, welcher sich mit Handbewegungen und frommen Sprüchen bemühte, die bösen Geister und den Anteil des Teufels aus ihm zu bannen und zu vertreiben; aber er vermochte den Wein und das nach jakobitischer Sitte mit ihm vermischte Brot nicht mehr hinunter zu schlucken. Orion that es an seiner Stelle, und dabei lächelte der Sterbende und stammelte leise:
»Dir allen Segen, mein Junge! Der Herr, so scheint es, verweigert mir sein kostbares Blut, und doch – doch – Laß mich noch einmal versuchen.«
Diesmal gelang es ihm, etwas Wein und wenige Brotkrümlein zu verschlucken, und darauf tröstete ihn der Bischof Plotin, ein milder Greis von schönem, würdigem Ansehen, und fragte ihn, ob er bußfertig und in vollem Glauben an die Gnade seines Herrn und Heilandes sterbe, ob er seine Sünden bereue und seinen Feinden vergebe.
Da nickte der Kranke mühsam mit dem Kopfe und lallte: »Auch den Melchiten, die meine Kinder gemordet, und auch, auch dem Haupt unserer Kirche, dem Patriarchen, der nur zu gern durch mich Armen vollbringen ließ, was in ihm selbst Bedenken erweckte. Das... das... Aber Plotinus – Du würdiger, weiser Diener des Herrn – antworte mir nach bester Ueberzeugung: Darf ich auch sterbend noch glauben, es sei keine Frevelthat gewesen, daß ich Frieden schloß mit den arabischen Vertreibern der Griechen, darf ich die Melchiten auch in dieser Stunde für Andersgläubige halten?«
Da richtete der Prälat die ungebeugte Greisengestalt höher auf, und seine milden Züge gewannen einen entschiedenen, ja strengen Ausdruck, wie er ausrief:
»Du kennst die Worte, welche auf der Synode von Ephesus erklungen sind, und die in jedes rechten Jakobiten Brust wie in Marmor und Erz eingegraben stehen sollen: ›Mögen diejenigen, welche Christus teilen – und das thun die Melchiten – mit dem Schwerte geteilt, mögen sie in Stücke zerhauen, mögen sie lebendig verbrannt werden!‹ Einen gleichen Fluch hat kein Haupt der Kirche gegen die Muslimen, die Anbeter eines einzigen Gottes erhoben!«
Da atmete der Leidende tief auf, doch bald darauf sagte er seufzend:
»Und Benjamin, der Patriarch und Johannes von Niku haben meine Seele dennoch geängstigt! Auch Du, Plotin, trägst den Krummstab, und ich will Dir bekennen: Deine Brüder im Amte, die Hirten der jakobitischen Herde, haben mir mit Furcht und Qualen hundert Tage und Nächte verdorben, und ich war nahe daran, ihnen zu fluchen. Aber bevor es Nacht ward, erleuchtete der Herr meine Seele, und ich vergab ihnen, und durch Dich bitte ich sie um Segen und Vergebung. – Unwillig öffnete mir die Kirche in diesen letzten Jahren das Thor; aber welchem Knechte wäre es gestattet, seinem Herrn, von dem er alle Gnade erwartet, zu grollen! So höre mich denn! Als ein treuer und ergebener Diener der Kirche schließe ich die Augen, und des zum Zeichen will ich sie beschenken nach bester Kraft, will ich sie schmücken mit reichen, kostbaren Gaben, will ich... Doch ich... es geht nicht mehr weiter! Rede Du an meiner Stelle, Orion. Du weißt ja... die Edelsteine... der Teppich...«
Nun eröffnete der Sohn des Sterbenden dem Bischof eine wie reiche Schenkung an unschätzbaren Juwelen sein Vater der Kirche zugedacht habe. In der des Johannes in Alexandria wünsche er neben seinem Vater bestattet, vor der Grabkapelle seiner Ahnen in der Totenstadt eingesegnet zu werden, und für die Gebete, welche für ihn gesprochen werden sollten, habe er in seinem Testament eine besondere Summe ausgesetzt. Die Geistlichen hörten dies gern und verliehen ihm Absolution, ganz und voll und ohne Bedingung, dann segneten sie ihn mit feurigem Eifer und verließen das Zimmer.
Philippus atmete auf, wie die Kleriker es verlassen und wechselte die Umschläge häufig, während der Sterbende lange Zeit stumm und mit geschlossenen Augen dalag. Dann rieb er sie wie neu belebt, hob das Haupt mit Hilfe des Arztes ein wenig, schlug die Lider wieder auf und sagte:
»Zieh mir den Ring vom Finger, Orion, und trag’ ihn in Ehren. Wo ist die kleine Maria, wo Paula? Auch von ihnen verlangt mich, Abschied zu nehmen.«
Der Jüngling und seine Mutter tauschten verlegene Blicke, doch diese besann sich schnell und sagte:
»Wir haben schon nach Maria geschickt; aber Paula – Du weißt ja, daß es ihr bei uns nicht behagte – und seit dem gestrigen Vorfall...«
»Nun?« fragte der Kranke.
»Hat sie unser Haus schnell verlassen, und in Frieden mit mir, daß Du’s weißt; doch sie ist noch in Memphis und hat sehr liebreich von Dir gesprochen und Dich sehen wollen und mir viele Grüße an Dich aufgetragen, und wenn es Dir daran liegt, sie zu sehen...«
Da versuchte der Kranke mit dem Haupte zu nicken, aber vergebens. Er bestand auch nicht darauf, sie rufen zu lassen, doch tiefe Wehmut lagerte sich langsam über seine Züge, und leise klang es dabei von seinen Lippen: »Die Tochter des Thomas! Edler und schöner als alle!«
»Edler und schöner als alle!« wiederholte Orion mit lauter, von tiefer, aufrichtiger Bewegung zitternder Stimme, und bat dann den Arzt und die Diakonissin, ihn auf einige Minuten allein mit den Eltern zu lassen.
Sobald sich die Fremden entfernt hatten, rief der Jüngling dem Kranken leise und dringend ins Ohr:
»Du hast das rechte Wort getroffen, Vater; sie ist besser und edler, sie ist schöner und höher gesinnt als jede andere Jungfrau. Ich liebe sie und setze alles daran, ihr Herz zu gewinnen. Gott, Gott! Gütiger Himmel! Das freut Dich, das billigst Du, Vater? Du liebster, Du bester; ich sehe Dir’s an!«
»Ja, ja, ja,« lallte der Kranke, seine gelblichen, mit starken Blutadern durchästelten Augen wandten sich nach oben, und dabei stammelte er mit großer Anstrengung weiter: »Segen, meinen Segen, Dir und der Paula... Sollst es ihr wiederholen. Hätte sie dem Alten freudig wie früher vertraut, wäre der Freigelassene nicht zum Dieb an uns geworden. – Brave Seele, wie sie für den armen Burschen gekämpft hat! Will es nachher ausführlicher hören, wenn die Kraft noch ausreicht. Warum sie nur nicht hier ist?«
»Sie hätte Dir so gern Lebewohl gesagt,« versetzte Neforis, »aber Du schliefst...«
»Hatte sie’s mit dem Gehen so eilig?« fragte ihr Gatte mit einem bittern Lächeln. »Ist vielleicht auch Furcht wegen des Smaragds dabei mit im Spiele? Aber wie könnt’ ich ihr zürnen? Der Hiram hat sicher ohne ihr Vorwissen gehandelt, nicht wahr? Nun, ich wußt’ es! Ach, ihr schönes, liebes Gesicht! Es noch einmal wiedersehen dürfen! Mein Augentrost, meine Genossin beim Brettspiel! Treues Herz! Wie es an dem Vater hing und für ihn alles hingeben wollte! Aber Du, Du, meine Alte... Doch jetzt keinen Vorwurf! Du, Mutter, Du, meine Neforis... Dank, tausend Dank, für so viel Liebe und Güte! Was für mystische Zauberbande schlingt doch solch eine christliche Ehe! Merk Dir’s, Orion! Und Du, Mutter. Es ängstigt mich! Du: thu dem Mädchen nicht wieder weh. Sage – es erleichtert mein Ende – sage, Du segnest den Bund: Paula, Orion. Für beide, beide... Ich wagte es nur nicht früher... Was könnten wir beiden Besseres wünschen?«
Da schlug die Matrone die Hände zusammen und schluchzte:
»Alles, alles, was Du nur wünschest; aber, Vater, aber, Orion, unser Glaube und – lieber Heiland – die arme kleine Katharina!«
»Katharina?« wiederholte der Sterbende, und auf seinen schlaffen Lippen bildete sich ein mitleidiges Lächeln. »Unser Junge und das Bach... Bach... Du weißt, was ich meine!«
Dann begannen seine Augen heller zu leuchten, und leise, aber so lebhaft, als stehe sein Tod noch in weiter Ferne, rief er:
»Georg, der Sohn des Mukaukas, heiß’ ich, bin der große Mukaukas; und unser Geschlecht: starke Männer von stolzem Schlag, alle, alle; der Vater, der Oheim, unsere verstorbenen Söhne, und hier der Orion – lauter Palmen und Eichen! Und nun solcher Zwerg, solch ein Nichts als Reis an dem alten, großen, herrlichen Stamme! Was da nachwächst, o – o – klägliche Jammergestalten! Aber Paula – die Ceder vom Libanon – Paula, sie verjüngt das alte, große Geschlecht.«
»Aber der Glaube, der Glaube!« stöhnte Neforis. »Und Du, Orion, weißt Du denn auch, wie sie Dir gesinnt ist?«
»Ja und nein; laß es ruhen in dieser Stunde,« bat der tief ergriffene Jüngling. »O Vater, wenn ich weiß, daß Dein Segen...«
»Der Glaube, der Glaube!« unterbrach ihn der Mukaukas mit brechender Stimme.
»Ich bewahre den meinen!« rief Orion und zog des Vaters Hand an die Lippen. »Denk Dir, und stelle Dir nur vor, wie Paula und ich in diesem Hause walten, und wie ein neues Geschlecht darin aufwächst, würdig des großen Mukaukas, wert seiner Ahnen!«
»Ich seh’ es, ich seh’ es,« lallte der Kranke und sank leblos in die Kissen zurück.
Ungesäumt ward Philippus gerufen, und zugleich mit ihm betrat die kleine Maria weinend das Zimmer.
Des Arztes neue Belebungsversuche blieben nicht ohne Erfolg: der Sterbende öffnete nochmals die Augen und sagte hörbarer und kräftiger als zuvor:
»Es riecht hier nach Moschus – das ist der Duft, der dem Todesengel voranzieht.«
Darauf blieb er lange stumm und regungslos liegen. Seine Augen waren geschlossen, aber seine gespannte Stirn gab zu erkennen, daß er mit Anstrengung nachsann. Endlich seufzte er auf und rief kaum verständlich:
»So war es; so ist es: der Grieche hat die Meinen wie die Hunde mit Willkür geknechtet; auch der Muslim ist ein Fremder, aber er handelt gerecht. Was da geschehen, ich konnt’ es nicht ändern; aber es ist gut, gut, wie es gekommen!«
Dann wiederholte er das Wort »gut« eine Reihe von Malen, schauderte zusammen und stöhnte:
»Die Füße sind mir so kalt, aber laßt, laßt nur; ich liebe das Kühle!«
Sogleich machte der Arzt sich mit der Diakonissin auf, um Holz zur Erwärmung seiner Füße zu erhitzen, und der Kranke schaute ihm dankbar nach und fuhr fort:
»Bei der Kirche, im Gotteshause, hab’ ich oft die schönste Kühlung gefunden, und jetzt erleichtert sie mir den Tod durch ihre Vergebung. Du, mein Sohn, halte Dich zu ihr. Ein Glied unseres Hauses darf kein Abtrünniger werden. Der neue Glaube – mit unbegreiflicher Macht unterwirft er sich Reich auf Reich – Ehrgeiz, Gewinnsucht treibt ihm Tausende in die Arme. Aber wir, wir stehen fest zu Jesus Christus und sind keine Verräter! Hätt’ ich, ich, der Mukaukas, dem Chalifen darin den Willen gethan, ich würde als ein Fürst, im Purpur, in seinem Namen mein Land regieren. Wie viele sind zu den Muslimen übergelaufen. Auch an Dich kommt die Versuchung, und ihr Glaube, ja er bietet viel, was die Menge anzieht. Sie denken sich ein Paradies mit unsagbar lockenden Freuden, aber nicht wahr, Sohn, wir, wir sehen uns in dem unseren wieder?«
»Ja, ja, ja, Vater,« rief der Jüngling. »Ich bleibe Christ, stehe fest und treu...«
»Schön, gut!« unterbrach ihn der Kranke. Er wollte geflissentlich nicht erinnert sein, daß sein Sohn eine Melchitin zum Weibe begehrte, und fuhr hastig fort:
»Paula... Aber nichts mehr davon... Der Glaube... Bleibe treu bei dem Deinen... Sonst... Im Uebrigen, Kind, suche den eigenen Weg; Du bist... wandelst auf dem rechten, und weil, eben weil ich das weiß, sterb’ ich so ruhig. Für euer zeitliches Wohl hab ich reichlich gesorgt. Ein guter Gatte, ein – treuer Vater, nicht wahr, mein Heiland, nicht wahr, Neforis, – das bin ich gewesen? Und was mein bester, sicherster Trost ist – viele, viele Jahre lang hab’ ich Recht gesprochen in diesem Lande und nie, nicht ein einzigesmal – Du mein Hort und Tröster, Du bist mein Zeuge – war ich – o, das thut gut! – war ich mit Wissen und Willen ein ungerechter Richter. Der Arme ist vor mir gewesen wie der Reiche, der Mächtige wie die hilflose Witwe. Wer hätte gewagt...«
Hier stockte er, und während seine Augen machtlos umher irrten, begegneten sie der kleinen Maria, welche sich Orion gegenüber an der andern Seite des Kopfendes neben dem Sterbelager auf die Kniee niedergelassen hatte, und sogleich stellte der scheidende Mann, der soeben das Facit eines langen, thatenreichen Lebens gezogen, das Nachdenken ein, und wie das Kind sah, daß er sich vergebens bemühte, ihm das regungslose Haupt zuzuwenden, warf es sich in leidenschaftlicher, schmerzlicher Erregung über den Sterbenden, küßte ihm ohne Scheu vor dem starren Blick seiner Augen und der veränderten Farbe seines geliebten Gesichtes den Mund und die Wangen und rief:
»Großvater, liebes Großväterchen, verlaß uns doch nicht; bleib, o bitte, bitte, bleib bei uns!«
Da flog etwas, das einem Lächeln gleich sah, über seine trockenen Lippen, und die ganze Zärtlichkeit, welche ihn für diese junge, liebliche Menschenknospe erfüllte, sollte ihr aus seiner Stimme entgegenklingen, aber er konnte nur tonlos lallen:
»Maria, mein Liebling! Um Deinetwillen lebt’ ich noch gern lang, sehr lange, aber die andere Welt... ich stehe, steh’ auf der Schwelle. Der Abschied... es gilt, Abschied zu nehmen.«
»Nein, nein, ich will beten, o so inniglich beten, bis Du gesund wirst,« rief das Kind; er aber versetzte: »Nicht doch! Der Heiland, er hält mich schon bei der Hand. Lebe wohl, nur noch lebe wohl! Hast Du Deine Paula... Hast Du sie – ich sehe sie nicht – hast Du sie nicht mitgebracht, Herzchen? Sie... ist sie unwillig von uns gegangen? Wenn sie nur wüßte... Deine Paula hat uns doch unrecht gethan.«
Da schmiegte das Kind, welches, voll von dem Schrecklichen, das sein ganzes wahrhaftiges Wesen empörte und das ihm nun schon einen Abend, eine lange Nacht und einen Morgen lang die Ruhe genommen, das Köpfchen dicht an das Haupt seines alten, besten, geliebtesten Freundes. Jahrelang hatte er ihr den Vater so freundlich ersetzt, und nun sollte er sterben, sie auf immer verlassen! Aber sie konnte ihn nicht hingehen sehen mit einer falschen Meinung von der Freundin, der die ganze reiche Liebe ihres warmen Kinderherzens gehörte, und so rief sie ihm mit gedämpfter Stimme, doch mit feurigem Eifer ins Ohr:
»Das eine, Großvater, mußt Du noch wissen, bevor Dich der Heiland in seine himmlische Seligkeit aufnimmt. Paula hat die Wahrheit gesagt und niemals, nie, auch nicht wegen ihres Hiram gelogen. Ein Goldblech, nicht die Gemme hing gestern Mittag an ihrem Halsband. Was Orion auch sagt: ich hab’ es gesehen und irre mich nicht, so wahr ich Dich und mein armes Väterchen droben wiedersehen möchte. Und Katharina, sie ist vorhin auch in sich gegangen und hat mir gestanden, daß sie eine große Sünde begangen und falsches Zeugnis abgelegt hat vor den Richtern, um ihrem lieben Orion den Willen zu thun. Ich weiß nicht, was Hiram ihm angethan hatte, aber auf Katharinas Zeugnis hin haben die Richter über den armen Menschen das Todesurteil verhängt, und Paula – das sollst Du nur wissen – hatte mit dem Smaragddiebstahl nichts, nichts und gar nichts zu thun.«
Orion war verdammt, in seiner knieenden Stellung jedes Wort, das die Kleine so eifrig flüsterte, zu hören, und jedes traf sein Herz wie ein Dolchstich. Mehrmals hätte er über das Bett greifen und sie vor des eigenen Vaters Augen zu Boden reißen mögen, aber er fand in dem Schmerz und der Ueberraschung, die sein ganzes Wesen lähmten, nicht einmal die Kraft, sie mit einem einzigen Wort zu unterbrechen.
Das Gesagte war gesagt.
Wie zerschmettert klammerte er sich an die Bettstatt, und wie ihm der Vater die Augen zuwandte und röchelnd hervorstieß: »So hat das Gericht, unser Gericht, ein falsches Urteil gefällt?« nickte er zerknirscht mit dem Kopfe.
Nun stammelte der Sterbende noch undeutlicher und ohne rechten Zusammenhang die Frage:
»Stein... Aus dem Teppich... Du... etwa... Hast Du... Hast Du, Du selbst den Smaragd... Ich kann nicht...«
Und Orion half dem Vater, der vergeblich rang, das unselige Wort über die Lippen zu bringen, und versetzte demütig und leise, denn er hätte lieber mit dem Hinscheidenden sterben, als ihn in dieser Stunde belügen mögen:
»Ich, Vater, hab’ ihn genommen; aber so wahr ich Dich und die Mutter liebe, soll diese erste leichtfertige That meines Lebens, die so Entsetzliches nach sich ziehen mußte...«
»Auch die letzte sein,« hatte er schließen wollen, aber schon als ihm das »ich hab’ ihn genommen« von den Lippen war, hatte ein starkes Beben den Leib des Sterbenden ergriffen und der Blick seines Auges sich schrecklich verändert, und bevor der Sohn sein Gelöbnis beendet, richtete sich der unglückliche Vater mit einer gewaltigen Kraftanstrengung in die Höhe und rief dem bleichen Jüngling, dessen Brust ein lautes, reuiges Schluchzen erschütterte, so rasch seine schwere, gelähmte Zunge es zuließ, mit gurgelnden, zornigen Lauten ins Antlitz:
»Du. Du. Schmach des alten, untadeligen Gerichtshofes! Du? Weg von hier! Ein Räuber, ein falscher Richter, ein Zeugnisfälscher, der letzte Enkel des Menas! Könnt’ ich Dir doch mit diesen Händen... Du... Du... Fort mit Dir, Bube!«
Mit diesem wilden Aufschrei sank Georg, der milde und gerechte Mukaukas, in die Kissen zurück, die Augen starrten, von rotem Blut überfüllt, ungeschlossen ins Leere, dem offenen Mund entrang sich in häufiger Wiederholung, aber leiser und immer leiser das Wort »Bube«, die geschwollenen Hände krallten sich in die leichte, über ihn gebreitete Decke, ein wunderlich schrilles Pfeifen drang ihm aus den weit geöffneten Lippen, und mit gelösten Gliedern sank die kraftlose Leiche des großen Würdenträgers wie ein gefällter Palmenstamm Orion entgegen.
Wie rasend, mit zerwühltem Haar und geröteten Augen richtete dieser sich in die Höhe und rüttelte an dem Leichnam, als wollte er ihn zwingen, weiter zu leben, damit er sein Versprechen, sein Gelübde vernehmen, die Thränen seiner Reue sehen, ihm vergeben und die furchtbare Verstoßung zurücknehmen möge, mit der er von ihm, dem vielgeliebten Verwöhnten, geschieden.
Während dieser wilden Ausbrüche seiner Verzweiflung kehrte der Arzt zurück, warf einen Blick auf das entstellte Antlitz des Verstorbenen, legte ihm die Hand auf die Stelle des Herzens und sagte, indem er die kleine Maria von dem Lager zurückzog, ernst und bekümmert:
»Dieser brave und gerechte Mann hat aufgehört, unter den Lebenden zu wandeln.«
Da schrie Orion laut auf und stieß Maria von sich, die sich ihm genähert hatte, weil sie, so jung sie auch war, dennoch fühlte, daß sie unbedacht das furchtbarste Unheil über den Oheim gebracht und daß es an ihr sei, ihm Liebe zu erweisen.
Dann eilte das Kind der Großmutter zu, aber auch sie stieß es zur Seite und warf sich neben dem verzweifelten Sohn auf die Kniee, um mit ihm zu weinen und den Untröstlichen, von dem sie noch vor wenigen Minuten den besten Trost für sich selbst erwartet, mit warmen Worten zu trösten. Doch der mütterliche Zuspruch fand keinen Widerhall in seiner gebrochenen Seele.
Sechzehntes Kapitel.
Als der Arzt von Paula geschieden war, hatte er ihr gesagt, des Mukaukas Ende könne zwar jeden Augenblick erfolgen, es sei aber auch möglich, daß er noch wochenlang mit dem Tode ringen werde. Diese Aussicht erschien ihr tröstlich; denn der Gedanke, daß der einzige wahre Freund, den sie, bevor Philipp ihr näher getreten, in Memphis besessen, auf immer dahingehen werde, ohne ihre Rechtfertigung gehört zu haben, wollte ihr unerträglich scheinen. Nichts weniger als wahrscheinlich war es, daß man in der Umgebung der Frau Neforis, wenn sie die Enkelin derselben ausnahm, ihrer in Liebe gedenken werde, und sie begehrte es kaum; aber der Achtung, deren sie sich auch in der Statthalterei würdig gemacht hatte, wollte sie nicht verlustig gehen. Gelang es dem Freunde, die Tage ihres Oheims zu verlängern, dann konnte eine offene Aussprache mit ihm ihr seine alten freundlichen Empfindungen und seine günstige Meinung zurückgewinnen.
Ihr neues Heim kam ihr vor wie eine Uebergangsstätte, eine Wartestation in der Wüstenfahrt ihres vereinsamten Daseins, und was sie unter ihren memphitischen Angehörigen gelernt hatte, das wollte sie hier nicht unbenützt lassen. Die Hoffnung war gerade jetzt Meisterin über Schmerz und Enttäuschung in ihrem Herzen geworden. Nur Orions Nähe stand wie eine drohende Hagelwolke über dem grünenden Saatfeld ihres inneren Friedens, und doch hielt sie neben der Notwendigkeit, den Boten hier zu erwarten, nichts fester an Memphis als die Möglichkeit, wenigstens von fern dem weiteren Verlauf seines Lebens zu folgen. Was sie für ihn empfand, nannte sie selbst tiefe Abneigung, und es bildete, wie wenig sie sich dies auch eingestehen mochte, einen wesentlichen Teil ihres inneren Lebens.
Ihre neuen Wirte hatten sie als lieben Gast aufgenommen, und arme Leute schienen sie gewiß nicht zu sein. Ihr Haus war sehr geräumig und dabei, wenn auch alt und prunklos, doch bequem und mit gebildetem Kunstsinn eingerichtet. Der Garten hatte sie durch seine sorgsame Pflege überrascht, und es waren darin vor ihren Augen ein buckeliger Gärtner und mehrere Kinder thätig gewesen. Seltsame Gehilfen. Denn wie ihr verwachsener Meister, waren sie alle mit irgend einem körperlichen Schaden behaftet.
Das Grundstück, welches bis an die dem Strom folgende Straße für Fußgänger, Fuhrwerke und die Schlepper der Nilschiffe reichte, war schmal und grenzte zu beiden Seiten an große Anwesen, und unweit der Stelle, wo es dem Nil am nächsten kam, begann die Schiffbrücke, welche Memphis mit der Insel Roda verband. Zu seiner Rechten lag das ihr wohlbekannte schöne Haus, der Palast, so durfte man es nennen, der Witwe Susanna, zu seiner Linken ein weit ausgedehnter Hain, in dem sich schlanke Palmen, Sykomoren mit breiten Laubdächern und dichtes blaugrünes Tamariskendickicht Schatten spendend erhoben. Aus diesem Verein von prächtig ausgewachsenen Pflanzen und alten Bäumen lugte ein langes, gelbes, mit einem Türmchen gekröntes Gebäude hervor, das ihr gleichfalls nicht unbekannt war; denn man hatte in der Statthalterei oft davon gesprochen, und sie war sogar einigemale in Perpetuas Gesellschaft dort gewesen. Es hieß das Cäcilienkloster und beherbergte die letzten in Memphis geduldeten Nonnen ihres orthodoxen Glaubens; denn während alle anderen Schwestern ihrer Konfession längst aus der Stadt vertrieben waren, durften diese in ihrer alten Wohnstätte verbleiben, nicht nur weil sie als gute Krankenpflegerinnen geschätzt waren, ein Vorzug dessen sich auch andere melchitische Orden erfreut hatten, sondern vielmehr, weil die herabgekommene Stadt den reichen Zins nicht einbüßen wollte, den sie jährlich bezahlten. Dieser stellte die Zinsen eines beträchtlichen Kapitals dar, welches ein kluger Vorfahr des Mukaukas dem Kloster hinterlassen hatte, und zwar unter der vorsichtigen, von Theodosius II. mit seinem kaiserlichen Siegel bestätigten Vorschrift, daß diese Stiftung, sobald das Kloster aufgelöst werden sollte, samt den Grundstücken und Baulichkeiten, die das Cönobium gleichfalls der Freigebigkeit des Stifters verdankte, dem regierenden christlichen Kaiser als Eigentum zufalle.
Der verstorbene Mukaukas hatte trotz seiner wohl begründeten Abneigung gegen alles Melchitische sich wohl gehütet, den nützlichen Nonnen zu nahe zu treten und ihr reiches Besitztum seiner verarmenden Vaterstadt zu entziehen, um es den reichen Muslimen in die Hände zu spielen. Die Urkunde, auf die sich die Schwestern stützten, war gut, und der rechtskundige und billig denkende Statthalter hatte sie, so ängstlich er auch in den letzten Jahren für die Sicherheit der eigenen Person geworden, nicht nur unangetastet gelassen, sondern war ohne Menschenfurcht fest und bestimmt gegen das mächtige Haupt der jakobitischen Kirche für ihre Rechtsgiltigkeit eingetreten. Natürlich billigte der Senat der früheren Hauptstadt Memphis sein Verhalten und duldete die andersgläubigen Schwestern nicht nur, sondern leistete ihnen mancherlei Vorschub.
Die jakobitische Geistlichkeit der Stadt übersah sie und richtete nur in der Osterzeit ihr Auge auf das Kloster; denn am Samstag vor diesem Feste hatten die Nonnen, gemäß einer vor dem monophysitischen Schisma erlassenen Bestimmung, gestickte Priestergewänder, Wein von den vorzüglichen Lagen bei Kochome in der Nähe der Stufenpyramide und eine beträchtliche Menge von Blumen und Backwerk an die Christuskirche zu steuern. So blieb das alte Frauencönobium erhalten, und obgleich ganz Aegypten nur noch jakobitisch oder muslimisch war und manche alte Schwester im letzten Jahr das Zeitliche gesegnet hatte, fragte doch niemand darnach, wie es komme, daß die Zahl der Nonnen sich immer auf der gleichen Höhe erhielt, bis an Stelle des Melchiten Cyrus der jakobitische Erzbischof Benjamin den Patriarchensitz in Alexandria einnahm. Diesem waren die ketzerischen Weiber in Memphis, die Habichte im Taubenschlag, wie er sie nannte, ein Greuel, und er meinte das alte Schenkungsdokument dahin deuten zu dürfen, daß, da es keinen christlichen Kaiser mehr gab und das Wort »christlich« in der Urkunde stand, das Kloster bei seiner Auflösung dem einzigen christlichen Oberhaupte, welches das Land gegenwärtig besaß, ihm und seiner Kirche, zufallen müsse. Die üble Gesinnung, welche der Patriarch gegen den Mukaukas hegte, war durch den Widerstand, welchen ihm derselbe in dieser Angelegenheit leistete, bis zur Feindseligkeit verschärft worden.
Von diesem Kloster her drang Paula nun ein wohltönender Klagegesang entgegen. War die würdige Oberin der Nonnen gestorben? Nein, dies Zeichen mußte sich auf einen andern Todesfall beziehen; denn durch die dem Nil zugewandten Fenster ihres Eckzimmers drang von der Straße, der Schiffbrücke und einigen Nachen auf dem Strome her das wunderlich schrille Klagegeschrei ägyptischer Weiber. Um des Hingangs einer Melchitin willen hätte kein jakobitischer Memphit seiner Trauer derartig Ausdruck zu geben gewagt, und als sich die Zahl der Klagenden mehrte, durchschauerte sie der Gedanke, ihr Oheim und Freund habe die lieben, müden Augen geschlossen.
Tief ergriffen und feuchten Blickes sah sie, wie aufrichtig der Tod dieses rechtschaffenen Mannes von all seinen Mitbürgern beklagt wurde. Ja, nur ihm und keinem andern Aegypter konnte diese allgemeine, diese große und lebhafte Trauer gelten! Auf der Straße bestrichen sich jammernde Weiber Brust und Stirn mit dem Nilschlamm des Ufers, blieben Männer in großen Gruppen stehen und schlugen sich mit leidenschaftlichen Geberden Haupt und Brust. Auf der Schiffbrücke hielt einer den andern an, und auch von ihr her drang zeterndes Geschrei an ihr Ohr.
Endlich erschien Philippus, um ihr zu bestätigen, was sie befürchtet. Der Tod des Statthalters hatte ihn nicht weniger ergriffen als sie, und er mußte Paula berichten, was er von der letzten Stunde des Verstorbenen wußte.
»Etwas Gutes,« schloß der Arzt, »ist mir immerhin bei all dem Jammer begegnet. Wer irrte sich wohl gern; und doch freut nichts so sehr als die Einsicht, sich über einen Menschen und seine Gesinnung zu seinem Nachteil getäuscht zu haben. Dieser Orion, der sich so schmählich gegen sich selbst und gegen Dich versündigt, er ist doch kein verlorener Mensch.«
»Nicht?« fiel ihm Paula ins Wort. »So hat er auch Dich hintergangen.«
»Hintergangen?« fragte der Arzt. »Das wohl schwerlich. Ich habe leider vor vielen, vielen Sterbebetten gestanden; denn man ruft mich ja meist erst, wenn schon der Finger des Todes dem Kranken winkt. Tausende von Leidtragenden sind mir an diesen Unglücksstätten begegnet, und ich sage Dir, sie sind die beste Schule und Akademie für jedermann, der das Innere seiner Mitgeschöpfe zu erforschen wünscht. Hier und auf dem Markt, wo es sich um das Mein und Dein handelt, sieht man unter uns, die wir, was edel und groß in uns ist, ebenso ängstlich vor der Welt verbergen wie andere das Gemeine und Kleine, sieht man den Menschen gleichsam in die offene Brust. Nach der Beobachtung von Sterbenden und denjenigen, die Leid um sie tragen, könnte ich, der ich kein Menander oder Lucian bin, doch eine Reihe von Menschenbildern zeichnen, die so wahr sein sollten, als hätten sie vor mir ihr Inneres nach außen gekehrt.«
»Daß die Sterbenden sich geben, wie sie sind,« versetzte Paula, »das will ich glauben. Sie haben ja keine Rücksicht mehr auf andere zu nehmen; aber die Leidtragenden? Schon die Sitte befiehlt ihnen, bekümmert zu erscheinen und Thränen zu vergießen.«
»Ja, das Trauern wiederholt sich an den Totenbetten,« entgegnete der Arzt, »aber das Sterbezimmer ist wie eine Kirche. Der Tod weiht es, und wer ihm Auge in Auge gegenübersteht, der läßt die Maske oft fallen, mit der er sonst die Mitmenschen täuscht. Da gibt es denn Gesichter zu sehen, vor denen Dir grauen würde, aber auch andere, bei deren Betrachtung man es über sich bringen kann, mit neuer Achtung auf die verkommene Sippe, der wir sonst angehören, zu blicken.«
»Und für solche tröstliche Erscheinung hältst Du Orion, den Räuber, den Zeugnisfälscher und ungerechten Richter?« fragte Paula, indem sie erstaunt und ungehalten auffuhr.
»Ei, sieh!« lachte der Arzt. »Wie alle anderen Weiber! Ein Taschenspielerstückchen, und im Nu ist purpurn, was vorher nur rosenrot war! Nein, bis zu solchem Farbenglanze hat es der Sohn des Mukaukas noch nicht gebracht, aber – und das acht’ ich schon hoch – aber er hat noch ein fühlendes, eindrucksfähiges Herz. Daß er mit warmer, geradezu leidenschaftlicher Liebe an dem Vater gehangen, unterliegt für mich, der ich wahrhaftig Grund genug habe, ihm des Uebeln Uebelstes zuzutrauen, keinem Zweifel. So lang ich diesem Sterbeakt beiwohnen durfte, haben sich Vater und Sohn in aller Freundschaft, ja Zärtlichkeit getrennt, und als dann das arme Herz des braven Alten zum Stillstand gelangt war, fand ich Orion in einem Zustande wieder, wie ihn nur Liebe hervorbringt, die ihr Liebstes verloren.«
»Komödie!« fiel Paula dem Freunde ins Wort.
»Für dergleichen fehlte die Zuschauerschaft, liebe Freundin! Solche Anstrengungen legt ein Orion sich nicht auf für seine Mutter und die kleine Maria.«
»Aber er ist ein Dichter und ein hochbegabter dazu. Herrliche Lieder, selbstersonnene, singt er zur Leier; in jede Stimmung versetzt ihn sein beschwingter, beweglicher Geist; doch seine Seele ist verderbt, wie ein Schwamm mit Wasser ist sie mit Ruchlosigkeit gesättigt. Er ist ein Gefäß schöner Gaben, aber was gut und groß an ihm war, hat er eingebüßt, alles, alles!«
Diese Worte waren schnell über die Lippen des empörten Mädchens geflossen. Der Eifer hatte ihre Wangen gerötet, und sie glaubte den Arzt auf ihre Seite gezogen zu haben, der aber schüttelte ernsthaft den Kopf und sagte:
»Die gerechte Entrüstung führt Dich zu weit. Wie oft hast Du meine Schärfe und Zweifelsucht getadelt, nun aber bitte ich Dich, mir zu gestatten, Dich an einer Erfahrung teilnehmen zu lassen, gegen die Du wahrscheinlich noch vorgestern nichts einzuwenden gehabt hättest: Bösewichte jeder Art sind mir begegnet. Denke nur, wie viel Giftmorde es mir zu untersuchen obliegt!«
»Homer nennt ja schon Aegypten das Giftland,« rief Paula. »Und unbegreiflicherweise hat das Christentum daran nicht das Geringste geändert. Mehr Bosheit, Hinterträgerei, Haß und Mißgunst als hier ist auch dem weisen Kosmas, der die ganze Erde gesehen, nirgends begegnet.«
»Da siehst Du also, in wie guter Schule meine Erfahrungen über das Böse im Menschen gereift sind,« lächelte der Arzt, »und sie lehren meist, daß es keinen Verbrecher, Sünder oder Frevler gibt, so abgefeimt und verderbt, grausam und gewissenlos er auch sein mag, in dem sich nicht eine oder die andere gute Eigenschaft fände. Erinnerst Du Dich der gräßlichen Giftmischerin Nechebt, die ihre beiden Brüder und ihren leiblichen Vater ums Leben brachte? Sie ward ja vor kaum drei Wochen ergriffen; und dieselbe Bestie in Menschengestalt hat für ihren ungeratenen Sohn, der in der kaiserlichen Armee diente, gehungert und gedurstet bis zum Verschmachten, und endlich Giftmischerei getrieben, nicht um ihren eigenen kläglichen Zustand zu bessern, sondern um dem schändlichen Buben Mittel für neue Schwelgereien zu schicken. Tausend ähnliche Beispiele stünden mir zu Gebote, aber ich will Dir nur noch von einem der blutigsten und wildesten Räuber erzählen, der den Sicherheitswächtern hundertmal entschlüpfte und endlich dennoch in ihre Hände fiel, und wodurch? Weil er gehört hatte, daß sein altes Mütterchen schwer erkrankt sei, und das Verlangen in ihm übermächtig geworden war, das runzelige Weibchen noch einmal wiederzusehen, es noch einmal, wie, da er Kind war, zu küssen. So hat Orion, für wie verderbt wir ihn auch sonst halten mögen, in jedem Falle eine Eigenschaft, die wir billigen müssen: zärtliche Liebe zu Vater und Mutter. Dein Schwamm saugt sich eben nicht ganz voll mit dem, was Du ›Ruchlosigkeit‹ nennst; es sind immer noch Poren und Zellen in ihm, die ihr Widerstand leisten, und gehört, bei ihm wie bei anderen, das Herz zu diesen dann sag’ ich hoffnungsvoll mit dem Römer Horaz: › Nil desperandum!‹ Es wäre unrecht, wenn man ihn ganz aufgeben wollte.«
Paula fand keine Antwort auf diese Versicherung, ja es kam ihr in den Sinn, daß Orion, wenn er nicht gelogen, nur der Mutter zu liebe mit ihrem Bilde im Herzen um das Bachstelzchen geworben, und soeben wollte der Arzt, dem es lieb war, das Gespräch auf einen andere Gegenstand hinzuleiten, auf das Ende des Mukaukas zurückkommen, da meldete eine der verkrüppelten Dienerinnen eine Frau, welche die Tochter des Thomas zu sprechen begehre. Wenige Minuten später lag das Mädchen an der Brust ihrer alten, treuen Freundin, der Amme, und diese jubelte so froh und lachte und weinte vor lauter Wonne so herzlich, als habe sie gar nichts Schlimmes erfahren, während Paula, die jüngere, die das Geschehene ins Herz getroffen, in dessen Banne verblieb.
Perpetua verstand sie und verübelte ihr die Ruhe, welche sie ihrem Freudenrausch entgegensetzte, durchaus nicht.
Sie war, erzählte sie, in ihrem heißen Gefängnis gut gehalten worden, und vor einer halben Stunde hatte der junge Herr, Orion, selbst das Thor ihres Kerkers geöffnet. Er war sehr gnädig gewesen und dabei so bleich und so traurig! Der übermütige junge Mann sei ganz verändert, seine verweinten Augen hätten sie, Perpetua, zu Thränen gerührt. Was Orion ihrer Paula und ihr selbst gestern angethan habe, das möge Gott ihm vergeben. Böse Geister müßten ihn besessen haben, er sei sich ja selbst nicht gleich gewesen; denn er habe ein freundliches, gutes Herz, und wenn er sich auch vor den Richtern hart und ungerecht gegen den armen Hiram gezeigt, so habe er das doch heute früh wieder gut gemacht und ihm nicht nur das Gefängnis geöffnet, sondern ihn, sie wisse es durch den Rentmeister Nilus, mit seinem Buben und zwei Rossen reichbeschenkt heimgesandt nach Damaskus. Wer selber der Vergebung des Nächsten bedürftig sei, der möge auch ihm gern vergeben. Der große Augustinus sei in seiner Jugend gewiß kein Tugendspiegel gewesen und dennoch ein helles Licht der Kirche geworden, und so werde nun auch der Sohn des Mukaukas in seines Vaters Fußstapfen treten. Ein lieber, schöner Mensch, an dem man schon noch seine Freude haben werde, sei er gewiß. Heute schon habe er sich ernst und feierlich gezeigt wie ein Bischof, und vielleicht wandle er bereits auf besseren Wegen. Was Paula dazu sage: er habe sie selbst zum Wagen seiner Mutter begleitet und dem Rosselenker geboten, sie hieher zu fahren. Ihre Sachen sollten ihr morgen ausgeliefert und unter ihrer eigenen Aufsicht verpackt und ihr nachgeschickt werden. Der Rentmeister Nilus sei mit ihr gekommen, um eine Botschaft an sie zu überbringen. Zunächst habe er sich in das Cäcilienkloster begeben.
Nun befahl ihr Paula, ihn dort aufzusuchen, und sobald Perpetua das Zimmer verlassen, rief sie dem Arzt zu:
»Da hättest Du schon eine Meinungsgenossin! Wie die Menschen doch sind! Gestern Abend fand meine wackere Betta keinen Abgrund der Hölle zu tief für unsern Feind, und nun? Ja, in eigener Person von solch einem Herrn an den Wagen geführt zu werden, das schmeichelt, und wie rasch hat mein Altchen alles Böse vergessen, wie ruhig und zufrieden ist sie, da ihr die gnädige Erlaubnis zu teil ward, die lieben, wohlgehaltenen Sachen mit eigener Hand einzupacken. Du sagtest mir einmal, aus dem Heidengott Osiris hätten die Jakobiten einen heiligen Orion gemacht, und so sieht meine Betta bereits in dem Sohn des Mukaukas einen künftigen Sankt Augustinus. Ich sehe schon, wie sie ihn zu ihrem Schutzpatron erhebt und mich, sind wir erst wieder in Syrien, bittet, mich einer Wallfahrt zu ihm anzuschließen.«
»Und vielleicht thust Du ihr den Gefallen,« versetzte der Arzt, dem Paula zum erstenmal, seit sein Herz in Liebe zu ihr entbrannt war, nicht ganz so erschien, wie ein Mann von einem angebeteten Weibe erwarten mag. Nichts hatte er bisher an ihr gesehen, gehört und erfahren, was nicht würdig und hochsinnig gewesen wäre, doch die letzten Worte hatten heftig, gereizt, spöttisch geklungen, und Spott, sagte sich Philipp, der Tadel, welcher nicht darauf ausgeht, zu bessern, sondern zu kränken, steht einem edlen weiblichen Wesen übel. Das höhnische Lachen, mit dem sie ihre Rede beendet, hatte ihm siegesgewiß zugerufen, eine wie weite Kluft zwischen ihren und seinen Ansichten sich aufthat. Er war, das verhehlte er sich nicht, von gröberer, geringerer Art als Paula, und er spottete vielleicht öfter, als recht war. Bisher hatte gerade ihr diese Gewohnheit an ihm mißfallen, und das hatte ihn angemutet, das entsprach dem Ideale, welches er sich von dem Weibe seines Herzens gebildet, und nun gefiel sie sich im Spott, und der kam ihr nicht im Scherz über die Lippen, sondern quoll leidenschaftlich aus der tief erregten Seele, und diese Wahrnehmung flößte dem Menschenkenner Bedauern ein und erweckte zugleich seine Besorgnis.
Paula sah ihm an, daß er ihre letzten Worte mißbillige, und empfand, daß seinem Satze: »Vielleicht thust Du ihr den Gefallen,« eine tiefere Bedeutung innewohne. »Die Männer,« dachte sie, »zürnen, wenn sie eine Ansicht bestimmt ausgesprochen haben und wir Frauen es wagen, ihr unbeirrt eine andere entgegenzusetzen,« und weil sie den Freund, dem sie so Großes verdankte, um keinen Preis kränken wollte, sagte sie freundlich:
»Ich mag der Meinung Deiner wunderlichen Verheißung nicht auf den Grund gehen. Es ist ja, gottlob, durch Deine Güte und Umsicht nunmehr jede Verbindung zwischen mir und dem Sohne meines armen Oheims abgeschnitten. Sprechen wir von etwas anderem; wir haben schon viel zu viel von ihm geredet!«
»Ganz meine Ansicht,« versetzte der Arzt. »Uebrigens bitte ich Dich, mein ›vielleicht‹ zu vergessen. Ich bin ein Mann der Gegenwart und kein Prophet, aber das seh’ ich dennoch voraus, daß Orion alles aufbieten wird, um – koste es, was es wolle...«
»Nun?«
»Sich Dir wieder zu nähern, Deine Vergebung zu erwirken, Dein Herz zu rühren, Dich...«
»Er soll es versuchen!« rief Paula und erhob drohend die Rechte.
»Und wenn er, der in jeder Hinsicht herrlich Begabte, sich nun selbst wiederfindet und als ein geläuterter, des Beifalls der Besten würdiger Mann...«
»So werde ich doch nie und nimmer vergessen, was er verbrochen und mir zugefügt hat. Meinst Du, ich hätte Dein Gespräch mit Neforis jetzt schon vergessen? Du verlangst von Deinen Freunden nichts als eine wackere Gesinnung, die der Deinen entspricht, und was wär’ es denn, was mich von Orion abstößt, als die Gesinnung? Ihre Handlungsweise haben Tausende geändert, aber auch – antworte offen! – auch das, was wir unter ›Gesinnung‹ verstehen?«
»Auch sie,« fiel ihr der Arzt mit schwerem Ernst ins Wort, »auch sie ist der Wandlung fähig. Oder willst Du Dich auf Seiten des Kaufherrn und seiner muslimischen Glaubensgenossen stellen, die den Menschen als Spielball eines blinden Schicksals betrachten? Was uns nach der Ansicht unserer Gottesgelehrten vorausbestimmt ist, das Böse, das wir mit zur Welt bringen, ›innere Wiedergeburt‹, wie sie’s nennen, kann es wenden, beseitigen, zum Guten führen; aber wem gelingt es im lebendigen Treiben der Welt, in ihrem Sinne sich selbst zu töten, lebend gleichsam zu sterben, um als neuer Mensch aufzustehen? Das Büßergewand paßt nicht für die Gestalt eines Orion; doch es gibt für ihn eine andere Möglichkeit, den Pfad wiederzufinden, den er verlassen. Das Schicksal hat seinem verwöhnten Liebling bis jetzt so viel Erfreuliches geboten, daß er vor lauter Genießen und Danken keine Zeit fand, über das Leben selbst nachzudenken; jetzt zeigt es ihm seinen Ernst, jetzt fordert es ihn auf, sich zu besinnen, und wenn er einen Freund findet, der ihm zuruft, was mich schon der Vater in einem Briefe lehrte, den er seinem einzigen kleinen Buben hinterließ, und er ist gewillt, ihn zu hören, so halt’ ich ihn für gerettet.«
»Und dieses Wort, dieser Rat, er lautet?« fragte Paula gespannt.
»In der Kürze also: Das Leben ist kein Mahl, das die Schickung uns aufträgt, damit wir’s genießen, sondern ein Dienst, dem es uns mit bester Kraft vorzustehen obliegt. Prüfe jeder seine Natur und Begabung, und je besser es ihm gelingt, sie zum Heil und zum Frommen des Ganzen, als dessen Glied er zur Welt kam, auszunützen, desto höher wird seine innere Glückseligkeit wachsen, desto sicherer wird er zu schöner Seelenruhe gelangen, desto weniger Schrecken bietet ihm der Tod. Im Bewußtsein, auch für die Zukunft Saat gestreut zu haben, schließt er wie ein getreuer Haushalter am Abend jedes einzelnen Tages und am Schluß der letzten ihm auf Erden bewilligten Stunde die Augen. Erkennt Orion dies an, willigt er ein, sich der Pflicht, die das Dasein ihm auferlegt, nicht zu entziehen, widmet er ihr mit nun erst rechtem Ernst seine Kräfte, so kann ein Tag kommen, an dem ich selbst mit Anerkennung, ja mit Bewunderung zu ihm aufschauen werde. Der Schiffbruch, von dem der Araber sprach, ist gekommen. Sehen wir zu, wie er sich aus den Wogen rettet und sich nach der Strandung bewährt.«
»Sehen wir zu,« wiederholte Paula, »und wünschen wir ihm, er fände den Mahner! Wie ich Dich da hörte, kam es über mich, als träte an mich die Verpflichtung... Doch nein, nein! Er hat sich selbst ruchlos um das Mitleid gebracht, das ich nach diesem schrecklichen Schlag auch dem Feind zollen darf. Er, er... Nichts, gar nichts soll er und wird er mir sein, bis ans Ende der Tage. Dir hab’ ich zu danken, daß sich mir dieser Friedenshafen eröffnet. Hilf mir alles Feindliche bannen, das sich ihm naht, um die Ruhe darin zu stören. Wagt es Orion, in welcher Absicht auch immer, sich Eingang in dies Haus zu erzwingen oder zu erschleichen, so verlaß ich mich auf Dich, mein Freund und mein Retter!«
Damit bot sie Philippus die Hand, und während er einschlug, wallte ihm das Blut wieder zärtlich auf, und er rief freudig:
»Meine Kraft wie mein Herz sind Dein eigen. Verfüge darüber, und wenn Deine Seele die heiße Liebe eines treuen, einfachen Mannes...«
»Nicht weiter; nein, nein, Philipp.« unterbrach ihn Paula mit ängstlichem Eifer. »Fest verbunden laß uns als Freunde, wie Bruder und Schwester zusammenhalten.«
»Wie Bruder und Schwester?« wiederholte er dumpf und mit einem wehmütigen Lächeln. »O ja, schön, schön ist auch die Freundschaft. Doch – laß mich reden – von Liebe hatt’ ich geträumt, das brandende Meer der Leidenschaft, hier, hier drinnen fühlt’ ich sein Wogen und fühle es noch... Aber Mann, Mann...« und dabei drückte er die Faust auf die Stirn – »hast du Narr denn dein Spiegelbild vergessen, weißt du nicht mehr, daß du ein garstiger, grober Gesell bist, daß für dich die glühende Blume, wonach du strebst...«
Da trat Paula dem Freunde, vor dessen rasendem Ungestüm sie zurückgetreten war, wieder entgegen, und indem sie seine Hand mutig ergriff, rief sie dringend:
»Nicht so, Philippus, mein lieber, mein teurer, mein einziger Freund! Die glühende Blume, die Du forderst, ich kann sie nicht Dir, kann sie niemand schenken! Ich besitze sie nicht mehr; denn als sie einmal hier aufgeblüht war, sind ruchlose Füße gekommen, um sie zu zertreten. Schmähe nur nicht Dein Spiegelbild, nenne Dich nicht einen groben Gesellen. Wie Du bist, so kann auch die Beste, die Schönste stolz sein auf Deine Liebe. Bin ich denn nicht stolz, werde ich es nicht bleiben auf Deine Freundschaft?«
»Freundschaft, Freundschaft!« wiederholte er heftig und riß die Hand aus der ihren. »Dies heiße, sehnsuchtsvolle Herz dürstet nach anderen Gefühlen! O Weib, Weib! Ich kenne den Elenden, der die Blume der Blumen in Deinem Herzen zertreten, und ich Thor bin sein Lobredner, sein Verteidiger und – was es auch koste – und werde es bleiben, so lang Du... Vielleicht schlägt die glühende Blume neue Wurzeln im Boden des Hasses, und ich Unseliger, der sie begossen, werde dabei stehen.«
Da faßte Paula noch einmal beide Hände des Arztes und rief in tiefer, schmerzlicher Seelenangst:
»Ich bitte, ich beschwöre Dich, laß das! Wie kann ich hier, ohne mich selbst eines Verstoßes gegen die Sitte zu zeihen, den auch das eigenste Gefühl der Jungfrau zu meiden gebietet, unter Deinem Schutze, in steter Gemeinschaft mit Dir, ruhig leben, wenn Du die Grenzen übertrittst, welche treue, feste Freundschaft umhegen? Ich bin ein verlassenes Mädchen und würde verzweifeln und mich selbst verloren geben, wenn mich der Glaube, mich auf mich selbst verlassen zu dürfen, nicht schützte. Begnüge Dich mit dem, was ich Dir jetzt bieten kann, Freund, und Gott soll Dir’s lohnen! Laß uns beide der Achtung wert bleiben, die wir, dem Himmel sei Dank, mit voller und schöner Berechtigung für einander empfinden.«
Da neigte sich der Arzt bewegt zu ihr nieder, drückte, seiner selbst kaum mächtig, die Lippen auf ihre weiße, kräftige Hand, und während er dies that, trat Perpetua mit dem Rechnungsführer ins Zimmer.
Der redliche Beamte, ein schlichter Mann, nicht groß und nicht klein, nicht alt und nicht jung, mit einem bleichen, sorgenvollen, von schwerer Arbeit und Verantwortlichkeit gefurchten, feinen und klugen Gesicht, warf einen raschen, festen Blick auf die beiden und stellte dann eine bedeutende Summe in Goldstücken vor Paula nieder. Sein junger Gebieter sende sie nach dem Willen seines dahingegangenen Vaters für den ersten notwendigen Bedarf; der übrige, größere Teil ihres Vermögens samt der Abrechnung werde ihr nach der Beerdigung des Mukaukas ausgezahlt werden.
Nilus konnte schon jetzt den Umfang ihrer Habe ungefähr angeben, und sie erwies sich als so bedeutend, daß Paula ihren Ohren nicht traute.
Sie sah sich nun vor jeder äußeren Sorge gesichert, ja so gestellt, daß sie berechtigt gewesen wäre, mit Aufwand zu leben.
Der Arzt war Zeuge dieses Gespräches gewesen, und es hatte sein Herz tief beängstigt.
Der Gedanke, der armen Waise Paula alles zu sein und sie auch vor äußerem Mangel schützen zu dürfen, hatte ihn so glücklich gemacht!
Die Unterkunft, welche er der Damascenerin verschafft, und alles, dessen sie sonst bedurfte, war er auf sich zu nehmen bereit gewesen, und nun erwies es sich, daß sein Schützling nicht nur vornehmer, sondern auch reicher war als er selbst.
Es war ihm, als habe ihn Orions Bote einer schönen Lebensfreude beraubt, und nachdem er Paula ihrem wackeren alten Wirte und den Seinen zugeführt hatte, verließ er gesenkten Hauptes das Haus des Rufinus.
Als die Zeit zum Schlafengehen kam, durfte Perpetua wieder ihre liebe Herrin entkleiden; Paula aber fand keinen Schlaf, und als sie sich am Morgen wieder zu ihren neuen Freunden gesellte, sagte sie sich, daß, wenn irgendwo, so hier die Stätte sei, an der sie den verlorenen Frieden zurückerlangen könne, daß sie aber noch viel zu ringen und lange zu wandern haben werde, um ihn zu erreichen.
Siebenzehntes Kapitel.
Zur selben Zeit wie sie war Orion in seine Gemächer zurückgekehrt. Neben ihnen lag die Schlafstube der kleinen Maria, die er, seitdem er das Sterbezimmer des Vaters verlassen, nicht wieder gesehen hatte. Er wußte, daß sie dort im Fieber verweilte, aber er gewann es nicht über sich, nach ihr zu fragen. Stieß es ihm zu, an sie zu denken, so ballten sich ihm unwillkürlich die Fäuste. In seinen Grundfesten erschüttert, verzweifelnd, außer sich, keines andern Gedankens mächtig, als daß er der Unglücklichste aller Unglücklichen sei, daß ihn der Fluch des Vaters getroffen, daß nichts das Geschehene gut machen könne, daß eine rohe, unnahbare Gewalt ihm den treusten aller Freunde zum Feind gemacht und so entrissen, und daß es keine Möglichkeit gebe, ihn zu versöhnen, ihn zu einem vergebenden Worte, einem freundlichen Blick zu bewegen, eilte er bald in dem weiten Gemach auf und nieder, bald warf er sich vor dem Diwan zu Boden und drückte das glühende Antlitz in die weichen Kissen. Bisweilen gelang es ihm, zu beten, doch er ließ immer wieder davon ab, denn gab es wohl eine Macht im Himmel und auf Erden, die dies gebrochene Auge wieder öffnen, dies erstarrte Herz wieder zum Schlagen, diese gelähmte Zunge wieder zum Reden bringen und ihm, dem Verstoßenen, das gewähren konnte, wonach seine Seele lechzte, ohne das er vergehen zu müssen meinte. Vergebung des Vaters, Vergebung, Vergebung!
Bisweilen schlug er sich wie von Sinnen Brust und Stirn mit der Faust und stieß dabei laute Angstrufe, Verwünschungen, Klagelaute aus.
Um Mitternacht – es waren erst zwölf Stunden seit dem furchtbaren Ereignisse vergangen, und es kam ihm vor, als wären es ebensoviele Tage – schleuderte er sich in den dunklen Trauergewändern, die er in Wut und Verzweiflung halb von sich gerissen, auf den Diwan und brach dort in so lautes Stöhnen aus, daß es ihn in der Stille der Nacht selbst erschreckte und er sich, von Mitleid und Grauen vor dem eigenen Jammer ergriffen, nach der Wand hin herumwarf, um seine Augen dem vollen, reinen Mondlicht zu entziehen, das ihm lauter Dinge zeigte, die er nicht sehen wollte, und das ihm weh that.
Seine Seelenqual begann die Grenze des Erträglichen zu überschreiten; wie zerfetzt, zerrissen erschien ihm das eigene Innere, und es kam ihm in den Sinn, sein schärfstes Schwert zu ergreifen, sich, wie der rasende Ajax, wie Cato, hineinzustürzen und so diesem unerträglichen, überwältigenden Jammer ein jähes Ende zu machen.
Mit einer raschen Bewegung fuhr er auf; denn da hatte sich – es war keine Sinnestäuschung, kein Irrtum – da hatte sich die Thür seines Gemaches leise geöffnet und eine weiße Gestalt betrat es nun mit unhörbar leisen, gespenstischen Schritten.
Ein kalter Schauder rieselte durch das Blut des mutigen Mannes, aber schon im nächsten Augenblick erkannte er in dem nächtlichen Besuch die kleine Maria.
Lautlos trat sie ihm im hellen Mondlicht nahe, er aber herrschte sie an:
»Was soll das? Was willst Du?«
Da schrak das Kind zusammen, blieb ängstlich stehen, streckte ihm flehend die Hände entgegen und stammelte dabei schüchtern:
»Ich hörte Dich immerfort klagen. Armer, armer Orion. Und ich bin es doch, die Dir das alles zugefügt hat, und da hielt mich’s nicht mehr länger im Bett, da... Ja, da muß ich...«
Hier kam sie vor lauter Schluchzen nicht weiter, Orion aber rief ihr entgegen:
»Es ist schon gut! Geh zurück in Dein Zimmer und schlafe; ich will leiser zu stöhnen versuchen.«
Die letzten Worte klangen weniger barsch; denn er bemerkte, daß das Kind, obgleich krank, ihn mit nackten Füßen und im bloßen Hemd, von Frost, Erregung und Schluchzen geschüttelt, aufgesucht hatte; Maria aber blieb stehen, schüttelte den Kopf und entgegnete, immer noch leise weinend:
»Nein, nein, ich bleibe hier und gehe nicht fort, bevor ich nicht weiß, daß Du... Ach Gott, vergeben kannst Du mir ja nicht, aber ich muß es doch sagen, ich muß...«
Dabei eilte sie, einer schnellen Eingebung folgend, gerade auf ihn zu, umschlang seinen Hals mit den Armen, schmiegte ihren Kopf an den seinen, und als er es ihr nicht sogleich wehrte, küßte sie seine Wangen und Stirn.
Da kam etwas Seltsames über ihn; er wußte selbst nicht, wie ihm geschah, aber es war ihm, als erweiche und löse sich etwas in seinem Innern, und das, was seine Augen und sein Antlitz so warm befeuchtete, waren nicht nur des Kindes, sondern auch die eigenen Thränen.
So vergingen lange, stumme Minuten, doch endlich löste er die Arme der Kleinen von seinem Halse und rief:
»Wie heiß Deine Hände und Wangen sind, armes Ding! Du hast Fieber und wirst Dich – die Nachtluft weht kühl herein – wirst Dich noch bei diesem Unsinn erkälten.«
Mühsam war er Herr seiner Thränen geworden, und während er diese Worte hervorstieß, schlang er das schwarze Obergewand, das er abgeworfen, besorgt um sie und sagte dann freundlich:
»Sei nun ruhig, auch ich will mich zu fassen versuchen. Böse hast Du’s gewiß nicht gemeint, und ich trag’ Dir’s nicht nach. Geh jetzt, Du kommst nun ohne Gefahr durch den Zugwind im Vorsaal. – Nun, wird’s bald?«
»Nein, nein,« erwiderte sie eifrig, »Du mußt mich noch reden lassen, sonst kann ich nicht schlafen. Siehst Du, ich habe gar nicht daran gedacht, Dir weh zu thun, so furchtbar, so gräßlich weh, ganz gewiß nicht! Böse bin ich Dir schon gewesen, weil Du – aber damals, ach, lieber Heiland, damals hab’ ich wahrhaftig gar nicht an Dich und nur, nur an die arme Paula gedacht. Du weißt ja nicht, wie gut sie ist, und der Großvater hatte sie so lieb, bevor Du zurückkamst, und da lag er und sollte bald sterben, und ich wußte, daß er Paula für eine Diebin, eine Lügnerin hielt, und ihn in solchem Irrtum und solcher Ungerechtigkeit die Augen schließen zu sehen, das ist mir damals so gräßlich, so ganz unerträglich vorgekommen, nicht nur um des Großvaters, nein, auch um Paulas willen, daß ich, ach, Orion, der barmherzige Heiland ist mein Zeuge, daß ich... Und wär’ es mein Tod gewesen, ich hätte damals nicht anders gekonnt, ich wäre umgekommen, hätt’ ich geschwiegen!«
»Und vielleicht ist es gut gewesen, daß Du geredet,« unterbrach sie der Jüngling und seufzte dabei tief auf. »Siehst Du, Mädchen, der arme Bruder Deines verstorbenen Vaters ist ein verlorener Mensch, und an ihm liegt nur wenig; aber Paula, die tausendmal besser ist als ich, ihr wenigstens ist nun Gerechtigkeit widerfahren, und weil ich sie lieb habe, viel lieber, als Du es Dir in Deinem kleinen Herzen vorstellen kannst, will ich Dir gern wieder gut sein, ja, Dich lieber haben als früher. Das ist nichts Großes und Edles; denn ich brauche Liebe, viel Liebe, um das Leben erträglich zu finden. Die beste Liebe, ich Narr hab’ sie verscherzt, und mag nun die Deine, Du armes, braves Ding, ich mag sie nicht missen! So, da hast Du meine Hand, gib mir auch noch einen Kuß, und dann geh zu Bette und schlafe.«
Aber Maria wollte ihm immer noch nicht gehorchen, sondern dankte ihm nur stürmisch und fragte dann mit leuchtenden Augen:
»Also wirklich? Du hast Paula so lieb?« Doch hier stockte sie plötzlich und rief: »Und die kleine Katharina...«
»Laß das ruhen, Kind,« versetzte er seufzend, »und nimm für Dich selbst eine Lehre aus dem allem. Siehst Du, in einer leichtfertigen Stunde hab’ ich ein Unrecht begangen, und um das zu verbergen, mußte ich neues hinzufügen, bis es berghoch wurde und auf mich zurückfiel und mich zermalmte. Jetzt nun bin ich der unglücklichste aller Menschen und könnte vielleicht der glücklichste sein. Durch den eigenen Leichtsinn, die eigene Schwäche und Schuld hab’ ich mein ganzes Leben verdorben, hab’ ich auch Paula verloren, die mir lieber ist als alle anderen Menschen auf Erden zusammengenommen. Ja, Maria, wäre sie, sie die Meine geworden, Dein armer Oheim hätte der beneidenswerteste Bursch und dazu ein wackerer Mensch, ein Großes schaffender Mann werden können; aber so? Hin ist hin! Geh zur Ruhe, Kind; erst wenn Du älter bist, wirst Du das alles verstehen!«
»O, ich versteh’ es jetzt schon, jetzt, und viel besser vielleicht, als Du denkst!« rief ihm da die Zehnjährige zu. »Und wenn Du Paula wirklich so lieb hast, warum sollte sie das nicht erwidern? Du bist so schön, Du kannst so vieles, jedermann hat Dich gern, und Paula würde Dir schon gut werden, wenn Du nur... Willst Du mir nicht böse sein und darf ich’s sagen?«
»Sprich nur, Du Närrchen!«
»Sie kann Dir ja nichts mehr nachtragen, wenn sie weiß, wie furchtbar das ist, was Du um ihretwillen leidest, und daß Du so herzensgut bist und nur ein einzigesmal etwas begangen hast – Du weißt ja! Eh’ Du zurückkamst, hat der Großvater hundertmal gesagt, wie viel Freude Du ihm Dein Leben lang bereitet, und nun, nun... Du bist ja mein Oheim, und ich bin nur ein dummes Ding; aber ich weiß doch, daß es mit Dir gehen wird wie mit dem verlorenen Sohn in der Bibel. Der Großvater und Du, in lauter Groll seid ihr auseinander gegangen.«
»Er hat mir geflucht!« unterbrach sie Orion dumpf.
»Nein, nein! Mir ist keines von seinen letzten Worten entgangen. Nur Deine That hat er verdammt mit furchtbaren Worten und Dich von seinem Lager gewiesen.«
»Welcher Unterschied liegt darin: Verflucht oder verstoßen?«
»O, ein sehr großer! Er hatte ja Grund, Dir zu zürnen, aber der verlorene Sohn in der Bibel ist seinem Vater der allerliebste geworden, und er hat für ihn ein Kalb geschlachtet und ihm alles verziehen, und so wird Dir auch der Großvater im Himmel vergeben, wenn Du wieder so gut wirst, wie Du sonst doch gegen ihn und uns alle immer gewesen. Und Paula verzeiht Dir ebenso; ich kenne sie – Du wirst ja schon sehen... Katharina hatte Dich freilich auch lieb, aber sie... Lieber Gott, sie ist ja noch fast so kindisch wie ich, und wenn Du nur immer freundlich gegen sie bist und sie bekommt etwas recht Hübsches von Dir geschenkt, wird sie sich schon trösten. Eine Strafe hat sie für ihr falsches Zeugnis doch sicher verdient, und mit Deiner läßt sich die ihre ohnehin nicht vergleichen.«
Diese Worte aus dem Munde eines unschuldigen Kindes sollten auf den schmerzdurchfurchten Acker der Seele des Jünglings wie Saatkörner fallen und sie wie Morgentau berühren. Als Maria längst Ruhe gefunden, dachte er ihnen noch immer nach.
Achtzehntes Kapitel.
Die Einsegnung des Mukaukas Georg war am übernächsten Tage erfolgt. Seitdem die Geistlichkeit die alte heidnische Mumisirung verboten hatte, und in der Zeit der Antonine auch die Leichenverbrennung eingestellt worden war, mußten die Verstorbenen bald nach ihrem Hingang in die Erde versenkt werden; nur die vornehmsten wurden flüchtig balsamirt und in Kirchen oder Kapellen beigesetzt, für die sie Stiftungen gemacht hatten.
Die Leiche des Mukaukas Georg sollte seiner Bestimmung gemäß nach Alexandria geschafft und dort in der Kirche des heiligen Johannes neben der seines Vaters bestattet werden, doch die Brieftaube, welche dem Patriarchen den Tod des Statthalters mitgeteilt hatte, war mit der Verordnung zurückgekommen, daß diesem Wunsche des Verstorbenen Hindernisse im Wege stünden und daß man seine Leiche einstweilen in der Familiengruft zu Memphis beizusetzen habe.
Seit Menschengedenken war dort kein gleicher Leichenzug gesehen worden. Selbst der muslimische Gouverneur des Landes, der große Feldherr Amr, war mit seinen höchsten Truppenführern und Zivilbeamten vom jenseitigen Ufer des Nil herübergekommen, um dem hochgeschätzten und gerechten Statthalter die letzte Ehre zu erweisen. Ihre sehnigen, gebräunten Gestalten und schönen, selbstbewußten Gesichter, ihre goldenen, mit Edelsteinen besetzten Helme und Panzerhemden, Kriegsbeute aus dem Vernichtungskampfe gegen das persische Reich und die syrischen Lande, ihre herrlichen, kostbar geschirrten Rosse und die gebieterische Vornehmheit ihrer Haltung hatten einen großen Eindruck auf die Menge gemacht. Würdevoll und langsam waren sie gekommen, wie eine vom Sturm getriebene Wetterwolke hatten sie sich entfernt. Vom Friedhofe aus waren sie die Nilstraße entlang und dann über die Schiffbrücke dröhnend und rasselnd heimwärts gejagt. Aus den weißen Staubmassen, die sie umgaben, hatten wie Augen blendende, flammende Blitze hervorgeleuchtet, wenn die Sonnenstrahlen ihr goldenes Rüstzeug getroffen.
Ja, diesen Reitern von denen jeder einem stolzen Fürsten glich, konnt’ es nicht schwer gefallen sein, die mächtigsten Reiche der Welt zu vernichten.
Mann und Weib, alle hatten sie mit zager Scheu bewundert, am meisten aber die Heldengestalt und das schöne braune Männerantlitz des Feldherrn Amr und den Sohn des Verstorbenen, der auf seinen Befehl von der Statthalterei aus an seiner Seite ritt, in dunklen Trauergewändern auf einem kohlschwarzen, heißblütigen Hengste.
Der schöne Jüngling und der herrliche, kraftvolle Mann bildeten ein Paar, von dem die Frauen ungern die Augen wandten; erschienen doch beide gleich vornehm in der Haltung, waren doch beide von herrlichem Wuchs, beide gleich geschickt, das Ungestüm ihres Rosses zu bändigen, beide wie zum Herrschen geboren. Auf manchen Memphiten machte das auf einem langen, prächtig gebauten Halse ruhende Haupt des berühmten Schlachtenlenkers, sein scharf geschnittenes Antlitz mit der Adlernase und den schwarzen, glühenden Augensternen einen mächtigeren Eindruck, als die noch ebenmäßigeren Züge und das köstliche, leicht gewellte Haar des Statthaltersohnes, des letzten Sprosses der ältesten und stolzesten Sippe in ganz Aegypten.
Gebieterisch und stetig schaute der Araber geradeaus, und auch des Jünglings Blick blieb vorwärts gerichtet, doch wandte der sich einigemale rückwärts, um die leidtragende Menge zu überschauen. Als er unter den der Leiche folgenden Frauen Paula entdeckte, flog ein freudiger Glanz über sein bleiches Antlitz, und seine Wangen röteten sich flüchtig; die Ausschau nach vorn hatte seine Stirn gefurcht und seinen Zügen einen so schweres Unheil kündenden Ausdruck geliehen, daß mancher Memphit dem andern zuraunte: »Aus dem frohen, leutseligen jungen Herrn wird ein strenger Gebieter.«
Was ihn empörte, war auch seinem hohen Begleiter und der Menge nicht entgangen.
Er allein wußte, daß der Patriarch die Ueberführung der sterblichen Reste seines Vaters nach Alexandria untersagt hatte; aber jedermann bemerkte, daß bei diesem Leichenbegängnis ohnegleichen der größte Teil der Geistlichkeit von Memphis fehlte. Nur der Bischof Plotinus ging mit dem gelehrten und mutigen Presbyter Johannes und einigen Chorknaben, welche ein Kruzifix trugen, psalmodirend dem von sechs feurigen Rappen gezogenen Schlitten voran, auf dem der kostbare Sarkophag nach alter Sitte dem Friedhof zugeführt wurde.
Vor demselben stieg alles von den Rossen, und barfüßige Läufer im Dienste der Araber waren zur Hand, die Pferde zu halten.
Am Grabe sprach der Bischof warme, anerkennende Worte, denen ärmlich und wenig feierlich der dünne Gesang der Chorknaben folgte; aber kaum hatte dieser aufgehört, als die Menge vieltausendstimmig einfiel, und ein Klagegesang so laut und mächtig erscholl, wie kaum je vorher auf diesem Friedhof. Die übrigen Zeremonien wurden, da der Klerus, dessen es dazu bedurfte, nicht erschienen war, schnell und unvollständig vollzogen.
Der Feldherr Amr, dessen Falkenaugen nichts entging, bemerkte sogleich, was hier fehlte, und rief Orion so laut und rücksichtslos zu, daß es weithin vernommen wurde:
»Der Tote büßt hier, was der Lebende als verständiger Mann zum besten seines Landes Hand in Hand mit uns Muslimen gethan hat.«
»Aus Befehl des Patriarchen,« versetzte Orion, und dabei bebte ihm die Stimme, und die Zornesader auf der Stirne schwoll ihm hoch auf. »Aber bei der Seele meines Vaters,« und dabei schwang er die geballte Faust, »wenn es einen gerechten Gott gibt, wird es Benjamin nicht glücken, dem Bravsten der Braven das Himmelsthor zu verschließen.«
»Wir tragen den Schlüssel zu dem unseren im eigenen Gürtel,« entgegnete der Feldherr und schlug sich selbstbewußt lächelnd und mit einem wohlgefälligen Blick auf den Jüngling an die hochgewölbte Brust. »Komm Samstag zu mir, junger Freund; ich will mit Dir reden! Gegen Sonnenuntergang erwarte ich Dich drüben in meinem Hause. Bin ich noch nicht zurück, wenn es dunkelt, hast Du zu warten.«
Dabei ergriff Amr die Mähne seines Hengstes, und Orion schickte sich an, ihm behilflich zu sein, doch der Fünfziger kam ihm zuvor, schwang sich behend wie ein Jüngling in den Sattel und gab den Seinen damit das Zeichen zum Aufbruch.
Paula, welche mit Frau Neforis in der nächsten Nähe der offenen Familiengruft gestanden, war kein Wort des Zwiegesprächs zwischen beiden Männern entgangen. Bleich, wie er gewesen, in kostbaren, doch schlichten, lang niederwallenden Trauerkleidern, von heiligem, männlichem Ingrimm ergriffen, wie er sich eben gezeigt hatte, wär’ es unmöglich gewesen, nicht einzugestehen, daß die letzten Tage gewaltig auf den irregeleiteten Jüngling eingewirkt hatten.
Nachdem Paula die bleiche, verhärmte, aber thränenlose Statthalterswitwe an ihren Wagen geführt und dann mit Perpetua allein nach Hause gegangen war, hatte sich das Bild des schönen, zornigen Mannes, der den kraftstrotzenden Arm mit der fest geballten Faust hoch in die Höhe schwang, fortwährend vor ihr inneres Auge gestellt.
Es war ihr nicht entgangen, daß er sie, die ihm an der offenen Gruft gegenüber gestanden, bemerkt hatte, und es war ihr wohl gelungen, seinem Blick auszuweichen, doch ihr schwaches Herz hatte dabei so heftig geschlagen, daß sie es noch in der Brust nachklingen fühlte, und es ihr nicht gelungen war, mit rechter Hingabe des geliebten Verstorbenen zu denken.
Weder hatte sich Orion bis jetzt ihrem friedlichen Heim genähert noch ihr einen Boten gesandt, um ihr das Ihre zu überbringen, und sie fand das natürlich; denn es brauchte ihr niemand zu sagen, welche Ansprüche diese Zeit an ihn stellte.
Aber wenn sie vor der Beerdigung fest entschlossen gewesen war, seinen Besuch abzuweisen, und obgleich sie der Amme schon Vollmacht erteilt hatte, ihre Habe aus seiner Hand entgegenzunehmen, wollte ihr solches Verhalten nach der Bestattung des Oheims doch nicht mehr schicklich erscheinen; ja sie erachtete es im Andenken an den Entschlafenen für ihre Schuldigkeit, Orion nicht zurückzuweisen, wenn er sie um Vergebung bitten würde.
Und noch ein zweites war sie dem Oheim schuldig. Sie wollte diejenige sein, welche seinen Sohn in Philipps Sinne darauf hinwies, das Leben als ein Amt, einen Dienst aufzufassen, und öffnete er sein Herz dieser Mahnung, dann... nein, auch dann mußte alles aus sein zwischen ihnen, aus wie das Feuer auf einem versunkenen Floß, wie die Seifenblase, die im Winde zerplatzt, wie der Ton, der verhallt ist – aus – völlig aus.
Und die Mahnung, die sie ihm, zu dem sie dereinst hinaufgesehen, zukommen lassen wollte? Was gab ihr das Recht, sie ihm zu erteilen? Hatte er nicht ausgesehen wie ein Mann, der sein Leben mit eigener Kraft zu führen und zu lenken versteht? – Ihr Herz lechzte nach ihm, alles, was in ihr war, verlangte ihn wieder zu sehen, seine Stimme wieder zu hören, und dies Begehren, diese Sehnsucht nannte sie Pflicht und brachte sie mit dem Dank in Verbindung, den sie dem Verstorbenen schuldete.
Ganz von diesen Erwägungen und Zweifeln beherrscht, hörte sie kaum, was die gesprächige Perpetua, welche neben ihr herging, sagte.
Die Alte konnte sich über ein solches Leichenbegängnis gar nicht beruhigen; denn wie war das alles so anders gewesen als sonst bei Beerdigungen zu Memphis. Keine Priesterschaft, ein Leichengefolge zu Pferde, leidtragende Reiter, und darunter des Dahingeschiedenen eigener Sohn, während sonst die Hinterbliebenen, wie sich’s überall schickte, dem Sarge zu Fuß folgten! Ein Heimchengezwitscher von elenden Buben an der Gruft eines solchen Verstorbenen, und dann das ungeordnete Zusammenschreien eines tausendköpfigen Pöbels: das Trommelfell wär’ ihr beinahe gesprungen! Aber das konnte man den Memphiten am Ende zu gute halten; denn es war ja zu Ehren des Verstorbenen geschehen! Dieser Gedanke rührte sogar ihr wackeres Herz und trieb ihr Thränen in die Augen, aber es weckte auch ihre Empörung; hatte sie doch geringe Leute in feierlicherer Weise und mit würdigeren Zeremonien bestatten sehen als den großen, guten Mukaukas Georg, der der Kirche eine so bedeutende Schenkung zugewandt hatte. Ja, diese Jakobiten! So undankbar konnten nur sie handeln; solchen Frevel vermochte nur ihr ketzerisches Oberhaupt zu begehen. Im Cäcilienkloster war es von der Aebtissin bis zur jüngsten Novize bekannt, der Patriarch habe dem Bischof durch einen Taubenbrief verboten, den Klerus an der Beerdigung teilnehmen zu lassen. Der brave Plotinus sei sehr aufgebracht über diesen Befehl gewesen, doch da es nicht in seiner Macht gestanden, ihm entgegenzuhandeln, habe er den Sarg wenigstens in eigener Person begleitet und dem Presbyter Johannes nicht gewehrt, ihm zu folgen. Der junge Herr Orion habe übrigens ganz ausgesehen, als sei er nicht willens, solche Beleidigung seines Vaters ungestraft hinzunehmen Aber wessen Arm sei so lang, daß er bis an den Patriarchenstuhl reiche, wenn nicht... Doch das sei ja nicht möglich: beim bloßen Gedanken daran laufe es ihr kalt über den Rücken. Aber, aber... Wie gnädig habe der große Feldherr von drüben mit ihm geredet! Himmlischer Vater! Wenn er nun doch wie so viele gewissenlose Aegypter den heiligen christlichen Glauben abschwören und die sündhafte Lehre des arabischen Lügenpropheten annehmen würde! Verlockend sei es ja freilich für die schändlichen Männer, ohne sich einer Sünde zeihen zu brauchen, ein halbes Dutzend Weiber oder mehr ins Haus zu nehmen. Ernähren könne sie ja ein Herr wie Orion; denn die Aebtissin habe gesagt, der große Mukaukas sei zwar von aller Welt für einen sehr reichen Mann gehalten worden, doch selbst das Stadthaupt könne sich gar nicht über die ungeheure Größe seines Nachlasses beruhigen. Ja, ja, Gottes Fügungen seien unerforschlich. Warum ersticke er den einen unter dem goldenen Segen, während er tausend Armen zu wenig gebe, um den Hunger zu stillen!
Am Ende dieses Ergusses kamen die Frauen nach Hause, und hier erst gelangte Paula mit sich ins reine. Fort, fort mit der Leidenschaft, die sie noch immer beherrschen wollte, mochte sie nun Haß heißen oder Liebe! Dann erst konnte sie der neuen Freiheit und des neuen stillen Glückes in dem schönen Heim, das sie der Fürsorge des Arztes dankte, recht genießen, wenn alles aus mit Orion und das letzte Band zerrissen war, welches sie mit der Statthalterei verknüpfte.
Durfte sie denn mehr begehren, als was ihr die Gegenwart bot?
In einen wahren Friedenshafen war sie eingelaufen, wo es ihr an nichts gebrach, was sie nach der mahnenden Rede des Philipp für sich begehrte. Da gab es gute Menschen, die sie verstanden, mancherlei Tätigkeiten, denen sie gewachsen war, und die ihrer Neigung entsprachen, und dazu reiche Gelegenheit, Liebe zu spenden und zu ernten. Außerdem führten sie wenige Schritte durch freundlichen Schatten in das Kloster, wo sie unter frommen Genossinnen ihres eigenen Glaubens wie in der Kindheit Tag für Tag dem Gottesdienst beiwohnen durfte. Nach solcher Speise für das Gemüt hatte sie großes Verlangen getragen, und in welcher Fülle wußte die alte Aebtissin, eine vornehme Patriciuswitwe aus Konstantinopel, welche ihre Eltern gekannt hatte, ihr solche zu bieten! Wie gern erzählte ihr die rüstige Greisin von der Güte und königlichen Schönheit der Frühverstorbenen, die ihr das Leben gegeben. Was ihr Herz bedrückte, konnte sie in die Seele dieser Matrone ausgießen; denn sie begegnete ihr wie einer teuren, ihr im späten Alter geschenkten Tochter.
Und ihre Wirte! Was waren das für herzensgute, merkwürdige, in ihrer Weise bedeutende Menschen! Sie hatte nicht einmal geahnt, daß es solch sonderbare und doch liebenswerte Geschöpfe hienieden gebe!
Da war zuerst der alte Rufinus, das Haupt des Hauses, ein kräftiger, jugendfrischer Greis, der in seinem langen, schneeweißen, seidigen Haupt und Barthaar halb aussah wie der Apostel Johannes als Greis, halb wie ein im Kriege ergrauter Feldhauptmann. Wie liebenswürdigen, kindlich milden Herzens war er trotz aller Barschheit, in die er gelegentlich verfiel! Zum Widerspruch aufgelegt im Verkehr mit Männern, zeigte er sich heiter und neckisch, wenn seine Ansichten den ihren widersprachen. Einer zufriedeneren Seele, einem offeneren Gemüte war sie nie begegnet, und sie verstand es wohl, wie es gerade diesen Mann wurmen und beunruhigen mußte, wenigstens in einer Hinsicht tagaus tagein etwas anderes scheinen zu müssen, als er war. Auch er gehörte ihrer Kirche an, ließ seine Frau und Tochter an dem Gottesdienst im Cäcilienkloster teilnehmen und mußte sich dennoch das Ansehen geben, ein koptischer Christ zu sein und sich darum bequemen, an gewissen Feiertagen mit den Seinen die jakobitische Kirche zu besuchen, deren unschöne Kultusformen ihm tief widerstanden.
Das Vermögen des Rufinus genügte, ihm und den Seinen ein bequemes Dasein zu schaffen, und dennoch war er in seiner Weise von früh bis spät thätig; da indessen seine Beschäftigungen nicht nur nichts einbrachten, sondern Anforderungen an seine Kasse stellten, wußte jedermann, daß er ein bemittelter Mann sei, und dieser Umstand würde ihm, sobald einer der Späher des Patriarchen einen Melchiten in ihm erkannt hätte, Verfolgung. Vertreibung und wahrscheinlich die Konfiskation seiner Güter zugezogen haben. Da galt es denn Vorsicht üben, und hätte der Alte nur einen Käufer für Haus und Garten in einer Stadt, wo es zehnmal so viel leerstehende als bewohnte Gebäude gab, finden können, wäre er schon längst aufgebrochen, um sich mit den Seinen eine neue Heimat zu suchen.
Die meisten älteren Leute von heftiger Gemütsart und nicht allzu schnellem Geiste bedürfen eines Stichwortes als Hemmschuh oder Gedankenpause, und er bediente sich mit Vorliebe zweier Sätze, von denen der eine lautete: »So wahr der Mensch das Maß aller Dinge,« und der andere – mit Bezug auf sein Haus —: »So wahr ich das Rumpelzeug los sein möchte.« Aber »das Rumpelzeug« bestand aus einem gut gebauten, sehr geräumigen Wohnhause mit einem Garten, der schon wegen seiner Lage hart am Wasser in früheren Zeiten hoch bezahlt worden wäre. Er selbst hatte es freilich kurz vor dem Einbruch der Araber in Aegypten für einen Spottpreis erworben, und zwar – wie rasch die Zeiten sich ändern! – von einem jakobitischen Christen, den der damalige melchitische Patriarch Cyrus zu schleuniger Flucht gezwungen hatte, weil es ihm geglückt war, die orthodoxen Sklaven in seinem Dienste zu seinem Bekenntnis zu bekehren.
Der Arzt Philippus hatte den vielgewandten und erfahrenen Freund veranlaßt, nach Memphis zu kommen, und er hielt dort auch treulich mit ihm zusammen, und der eine unterstützte den andern bei der Arbeit.
Die Gattin des Rufinus, ein zartes, schmächtiges Frauchen, hätte mit ihrem schmalen, etwas eingefallenen Gesicht, das einmal höchst anziehend und lieblich gewesen sein mußte, für seine Tochter gelten können, und sie war auch wirklich zwanzig Jahre jünger als er. Man sah ihr an, daß sie recht viel Schweres im Leben erfahren, aber es geduldig hingenommen und zum Guten geschrieben hatte. Die größten Sorgen und Aengste waren ihr durch ihren ruhelosen Gatten bereitet worden, und doch bot sie alles auf, um sein Dasein angenehm zu gestalten. Jedes Hindernis, jede Unbequemlichkeit wußte sie ihm aus dem Wege zu räumen und mit wunderbarem Instinkt ahnte sie, was ihm nützen, ihm behagen, ihm Freude machen könne. Der Arzt behauptete, die nach vorn geneigte Haltung ihres Kopfes und der suchende Blick ihrer lebhaften, heiteren schwarzen Augen rührten davon her, daß sie immer nach dem Strohhalm ausspähe, der Rufinus in Gefahr bringen könnte, den schwieligen Wandererfuß daran zu stoßen.
Ihre Tochter Pulcheria wurde, »um Zeit zu ersparen«, gewöhnlich »Pul« gerufen, wenn der Alte nicht vorzog, sie »das arme Kind« zu nennen.
Es lag überhaupt etwas Mitleidiges in dem Verhalten des Rufinus gegen seine Tochter; denn selten sah er sie an, ohne sich zu fragen, was aus diesem geliebten Wesen wohl werde, wenn er, der so viel Aeltere, die Augen schließe und seine Johanna ihm bald nachfolgen werde; und Pulcheria, welche die Mutter so für den Vater sorgen sah, daß ihr selbst nichts für ihn zu thun übrig blieb, hielt sich für das überflüssigste Geschöpf auf Erden, das jederzeit bereit gewesen wäre, für die Eltern, die Aebtissin, ihren Glauben, für den Arzt und jetzt auch, trotz ihrer nur zwei Tage alten Bekanntschaft, für Paula das Leben zu lassen. Dennoch war sie ein sehr hübsches, wohlgewachsenes Mädchen mit großen, schönen, offen und schwärmerisch blickenden Augen, dessen prachtvolle rotblonde Haare kaum ihresgleichen in ganz Aegypten besaßen. Ihren Wunsch, in das Cäcilienkloster als Novize und künftige Krankenpflegerin einzutreten, kannte ihr Vater schon längst, aber obgleich er selbst einem ähnlichen Drange mit seinem ganzen Leben nachgab, hatte er ihn schon mehr als einmal aufs entschiedenste zurückgewiesen; denn er werde bald zu den Vätern wandern, und dann sei der Mutter, so lange sie ihn überlebe, jemand anderes nötig, um sich müde zu pflegen.
Eben jetzt verlangte es Pul weniger als sonst, den Schleier zu nehmen; denn sie hatte in Paula ein Wesen gefunden, dem gegenüber sie sich recht klein fühlen durfte, zu dem ihre neidlose, nach dem Höchsten strebende und verlangende Seele recht befriedigt und entzückt aufschauen konnte; außerdem aber gab es nun in ihrem eigenen Hause zwei der Pflege bedürftige Kranke: Rustem, der verwundete Masdakit, und die persische Sklavin. Die weitere Behandlung dieser beiden außerhalb ihres Hauses war dem Arzte von Frau Neforis, die, seit der entsetzlichen Todesstunde ihres Gatten wie betäubt und allen Anforderungen des Lebens entfremdet, nur noch dem Andenken des Verstorbenen lebte, mehr als gern überlassen worden.
Am Abend nach Paulas Einzug hatte der Arzt mit seinem Freunde über die Aufnahme seiner neuen Gäste Verhandlungen gepflogen, und der Alte war Philippus, als er über die zu zahlende Entschädigung zu reden anhob, lebhaft ins Wort gefallen:
»Sie sind alle willkommen. Wenn sie Wunden haben, werden wir die zum Zuwachsen zwingen, ist ihnen der Kopf verdreht, schrauben wir ihn wieder zurecht, sieht es dunkel aus in ihrer Seele, wollen wir ein Licht darin anzünden. Wenn die schöne Damascenerin bei uns vorlieb nehmen will, mag sie mit ihrer Alten hier bleiben, so lange es ihr und uns behagt. Das ›Willkommen‹ haben wir ihr von Herzen geboten, aber dafür muß uns das Lebewohlsagen – hörst Du – so gut frei stehen wie ihr! Man weiß nie, wie man mit so vornehmen Herrschaften daran ist, und so wahr ich dies Rumpelzeug los werden möchte, könnte es mir eines Tages einfallen, es den Eulen und Schakalen zu überlassen und meinen Stab weiter zu setzen. Du kennst mich! Mit der sogenannten Entschädigung sind wir gleich fertig. Da hinter den Kranken ein voller Beutel hängt und die Gesunde zehnmal mehr hat, als sie braucht, mögen sie zahlen. Bestimme Du das Wieviel, aber für die Frauen – ich meine es ernstlich – mach es gnädig! Du weißt, wozu ich des Mammons bedarf, und ‘s ist auch gut, wenn Johanna die Silberstückchen für die Wirtschaft weniger ängstlich herumzudrehen braucht. Zudem wird es die Damascenerin behaglicher bei uns finden, wenn sie das Ihre beiträgt für Essen und Trinken. Es ziemt sich auch nicht, daß die Tochter des Thomas sich bei Wandervögeln wie wir jeden Abend mit einem ›Ich bin euch verpflichtet‹ ins Bett legt. Steuert jeder das Seine, so stehen wir auf Geben und Nehmen, und wenn einer dem andern etwas besonders Liebes erweist, so wird es nicht von dem ›Danke‹ und ›Nimm doch‹ verschlungen; es behält seinen Wert und gereicht jedem zur Freude.«
»Amen,« hatte der Arzt erwidert, und Paula war glücklich über die Abmachungen des Freundes gewesen.
Schon am nächsten Tage hatte sie sich als Mitglied dieses Hauses gefühlt, wo sie doch stündlich Dingen begegnete, die ihr befremdlich vorkommen mußten.
Neunzehntes Kapitel.
Als Paula nach dem Leichenbegängnis mit Rufinus und den Seinen – die Amme war nicht dahin zu bringen, das Mahl mit ihrer Herrin zu teilen – gespeist hatte, ging sie mit dem Alten und Pul in den Garten. Die Sonne stand schon tief, doch ihr scheidendes Licht brachte die Farben der Blumen und den Glanz der metallfesten Blätter des Südens, welche der Sonnenbrand und die Dürre noch nicht vernichtet, zu vollerer Geltung. Ein hochbuckeliges buntes Rind und ein Esel drehten das Schöpfrad, welches frisches Naß aus dem Nil hob und in die große Zisterne goß, aus der es in kleine Kanäle übergeführt wurde, welche die einzelnen Beete benetzten. Diese Arbeit war jetzt mühevoll; denn der Fluß war zu einer Flachheit gesunken, die selbst zur Zeit des niedrigsten Wasserstandes Besorgnis erregen mußte.
Die verschiedenen struppigen Vögel, welche mit Stäbchen am Bein oder traurig gesenktem Kopf in kleinen Bauern an Baumästen frei in der Luft schwebten, um vor den Krallen der Katzen und anderer Raubtiere sichergestellt zu sein, schickten sich an, zur Ruhe zu gehen, und Rufinus sprach mit jedem ein freundliches Wort oder zwitscherte ihm mit den Lippen einen aufmunternden Laut zu. Würziger Duft und echt ländliche Stille umschwebte den Garten, alles, selbst der Rücken des wasserschöpfenden Negers und das weiß und gelb gefleckte Fell des Rindes, schimmerte in lichten, goldigen Tönen, und den schattigen Hain des Cäcilienklosters durchbebte der reine Gesang des Nonnenchores.
Pul lauschte ihm und wandte ihm mit über der Brust gekreuzten Armen das Haupt zu, ihr Vater aber wies Paula auf sie hin und sagte leise:
»Dahin zieht sie das Herz. Mag sie ihren Gott nur immer vor Augen haben; das kann dem Weibe nur frommen, doch hier unter uns muß es heißen: Dem Allgütigen zu liebe Alles für die Nächsten auf Erden! Kann der billig denkende Vater im Himmel wohl wünschen, daß zu seiner Ehre der Bruder den Bruder und, in unserem Falle, das Kind die Eltern zurücksetze?«
»Gewiß nicht,« versetzte Paula. »Was mich betrifft, so hält mich allein die Hoffnung, den verlorenen Vater wieder zu finden, ab, den Schleier zu nehmen, und wie Deine Pulcheria so habe auch ich mich oft nach dem Frieden des Klosters gesehnt. Aber wie fromm und entzückt Dein Mädchen dasteht! Welch ein lieblicher, rührender Anblick! In meinem Herzen sah es so dunkel und wüst aus; doch bei euch beginnt es sich schon zu klären, und wenn irgend wo, so find’ ich hier wieder, was ich dort drüben verlor. Glückliches Kind! Ist es nicht, wie sie dort im Abendlichte dasteht, als strahle das reine Andachtsgefühl, das sie erfüllt, aus ihr heraus? Fürchtete ich nicht, sie zu stören, und fänd’ ich mich dessen wert, wie gern verbänd’ ich mein Gebet mit dem ihren!«
»Du spielst ohnehin darin eine Rolle,« lächelte der Alte. »Augenblicklich trägt ihre heilige Cäcilie ganz gewiß Deine Züge. Fragen wir sie, und Du wirst sehen.«
»Nein, laß sie!« bat Paula errötend und zog Rufinus mit sich fort zu der andern Seite des Gartens.
Bald waren sie bei der Stelle angelangt, wo ein hoher Zaun von dornigen Gewächsen das Grundstück des Alten von dem der Witwe Susanna trennte. Hier spitzte Rufinus die Ohren und rief ärgerlich:
»So wahr ich das Rumpelzeug los werden möchte, da schneiden sie wieder in meine Hecke! Schon gestern Abend hab’ ich einen der Sklaven von drüben erwischt, wie er sich mit dem Geäst zu schaffen machte, doch wie konnt’ ich dem schwarzen Halunken nach durch die Dornen? Ein Guckloch soll’s werden für Neugierige oder Spione; denn der Patriarch weiß auch den Weiberrock zu benützen. Aber ich will sie! Geh, bitte, fort, als hättest Du nichts gesehen und gehört; ich hole die Peitsche.«
Damit entfernte sich der Alte rasch, und Paula wollte ihm folgen; doch kaum war er verschwunden, als sie durch die Oeffnung in der Hecke von einer hohen weiblichen Stimme angerufen ward, und wie sie sich umschaute, zeigte sich ihr in dem gestern von Männerhand gewaltsam auseinandergeschlagenen Geäst ein hübscher Mädchenkopf wie ein Bildnis, das von einem grünen Kranze umrahmt ist.
Auch in der Dämmerung erkannte sie ihn, und als Katharina das Lockenhaupt weiter vorschob und ihr dringlich zurief: »Darf ich zu Dir hinein, und willst Du mich hören?« gestattete sie es freundlich.
Da schlüpfte das Bachstelzchen, ohne auf Paulas Hand zu achten, die sich ihr hilfreich entgegenstreckte, so behend durch die Oeffnung, daß man ihr wohl ansah, seit wie kurzer Zeit sie aufgehört hatte, im Spiel mit Maria ähnliche Hindernisse zu überwinden. Schnell wie der Wind stand sie auf den Füßen und breitete die Arme aus, um sich der Jungfrau entgegen zu stürzen, aber sie ließ sie gleich wieder unschlüssig sinken und trat einen Schritt von ihr zurück; doch Paula war ihre Verlegenheit nicht entgangen; schnell zog sie sie an sich, küßte ihr die Stirn und rief heiter:
»Einbrecherin! Warum kommst Du nicht durch die offene Thür? Hier ist schon mein Gastfreund mit der Nilpferdpeitsche! Halt, halt, wackerer Rufinus; denn die Bresche, die man da in Deinen blühenden Wall gelegt hat, zieht nicht Dir, sondern mir einen Ueberfall zu! Da steht die feindliche Macht, und es sollte mich wundern, wenn Du sie nicht als Nachbarin kenntest!«
»Kennen?« fragte der Alte, dessen Zorn sich rasch besänftigt hatte, »kennen wir uns, Jungfrauchen, ja oder nein? Es ist das eine offene Frage.«
»Doch!« rief Katharina. »Von dem Mückenturm aus hab’ ich Dich hundertmal gesehen.«
»Dabei wirst Du geringere Freude gehabt haben als ich alter Gesell, wenn ich das Glück hatte, Dir zu begegnen. Etwa vor einem Jahr sind wir einander wohl am nächsten gekommen. Ich hatte damals die Freude, Dich auf meinem großen Pfirsichbaume zu treffen, der sich heute noch erlaubt, in euer Grundstück hinüber zu wachsen.«
»Ich war damals ja noch ein Kind,« lachte Katharina, die sich wohl erinnerte, wie sie der Alte, welcher ihr mit seinem schönen weißen Kopf immer besonders wohlgefallen, auf seinem Baume erwischt und ihr mit einer freundlichen Verneigung geraten hatte, sich’s wohl schmecken zu lassen.
»Ein Kind,« wiederholte Rufinus. »Aber jetzt sind wir zur Jungfrau geworden und wollen nicht mehr so hoch hinaus, sondern kriechen bescheiden durch die Hecke des Nachbars.«
»So seid ihr euch eigentlich fremd?« rief Paula erstaunt. »Bist Du auch nie mit Pulcheria zusammengekommen, Katharina?«
»Mit der Pul?« fragte die andere. »O, wie gern hätte ich sie anrufen mögen! Hundertmal war ich drauf und dran; denn man muß ihr ja gut sein vom bloßen Ansehen, aber die Mutter...«
»Nun, was hat die Frau Mutter gegen die Nachbarn?« fragte Rufinus. »Ich denke, wir sind ruhige Leute, die niemand ein Leid thun.«
»Nein, nein, Gott bewahre! Aber die Mutter, sie hat nun einmal ihre eigenen Gedanken; ihr seid doch Fremde, und weil man euch so selten in die Kirche gehen sieht...«
»Darum,« lächelte Rufinus, »hält sie uns natürlich für gottlose Menschen. Sag ihr nur, daß sie sich irrt, und wenn des Thomas Tochter Deine Freundin ist, und Du besuchst sie – aber hübsch durch die Thür und nicht durch die Hecke; denn die wird morgen fest zugeflochten – so wirst Du finden, daß wir viel zu thun, viel zu pflegen haben – lauter arme Kreaturen mit Menschenhaut oder mit Fell und Federn, wie’s eben kommt; und man dient doch auch seinem Herrgott, wenn man seinen Geschöpfen, die er alle lieb hat, in seiner Weise das Leben erleichtert. Sag das Deiner Frau Mutter, Jungfer Bachstelz, und komm dann oft wieder.«
»Schönen Dank! Aber Du, alter Herr, darf ich fragen, von wem Du den garstigen Spitznamen hast? Er ist mir zuwider!«
»Von demselben, der Dir’s gesteckt hat, daß meine Pulcheria ›Pul‹ heißt,« versetzte Rufinus, verneigte sich lachend und ließ die beiden Mädchen allein.
»Ein lieber alter Herr!« rief Katharina. »O, ich weiß ganz genau, wie er seine Tage verbringt! Und seine hübsche Frau, und die Pul, ich kenne sie alle! Wie oft hab’ ich sie von da drüben aus belauscht; ich zeige Dir einmal die Stelle! Den ganzen Garten können wir übersehen, nur nicht, was nach dem Kloster zu, jenseits des Hauses oder hinter den Bäumen da vorgeht. Die Mutter, Du kennst sie ja; wen sie einmal nicht mag... aber die Pul, weißt Du, das wär’ eine Freundin für mich!«
»Ganz gewiß!« versetzte Paula. »Ein Mädchen in Deinem Alter muß sich größere Gespielinnen wählen als die kleine Maria.«
»O, gegen die sollst Du nichts sagen!« rief das Bachstelzchen eifrig. »Sie ist erst zehn Jahre alt, aber manche Große ist lang nicht so gerecht und verständig, das hab’ ich in den letzten schweren Tagen erfahren.«
»Armes Kind!« seufzte Paula und strich ihr mit der Hand über die Locken.
Da rang sich plötzlich und unvermittelt ein schmerzliches Schluchzen aus der Brust Katharinas. Unter Paulas Zureden versuchte sie es mit aller Gewalt zu unterdrücken, aber es wollte ihr doch nicht gelingen. So heftig hatte es sie ergriffen, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochte, bis Paula sie auf einen Ruhesitz unter einer breitwipfeligen Sykomore führte, sie mit sanfter Gewalt zwang, sich neben sie niederzulassen, sie an sich drückte wie ein krankes Kind und ihr Mut und Zutrauen einsprach.
Zahlreiche Vögel gingen in dem dichten Laubwerk über ihnen zur Ruhe, Eulen und Fledermäuse begannen ihren nächtlichen Raubzug, das Firmament schmückte sich mit seinem goldenen und silbernen Sterngeschmeide, von dem westlichen Teil der Stadt her hörte man die Schakale bellen, welche in verfallenen Häusern Unterkunft gefunden und nun auf Beute ausgingen, der feuchte Tau begann in der lauen Abendluft lautlos auf Blätter, Gräser und Blumen niederzusinken, die Blüten des Gartens dufteten kräftiger als am Tage, und Paula fühlte, daß es Zeit sei, Schutz vor den Dünsten, die aus dem seichten Strome aufstiegen, zu suchen; aber sie harrte doch aus, bis die Kleine alles in ihre Seele gegossen, was sie bedrückte, was sie bereute, nie wieder gutmachen zu können vermeinte, und dann, was ihr widerfahren, was ihr das Herz zu brechen gedroht hatte, und was sie nun doch verwinden und sich aus dem Sinn schlagen wollte.
Sie erzählte Paula, wie Orion um sie geworben, wie sie ihn geliebt, wie die Eifersucht gegen sie ihr armes Herz gequält, und wie sie sich habe verleiten lassen, vor den Richtern falsches Zeugnis abzulegen. Dann teilte sie der andern mit, daß Maria es zuerst gewesen, die ihr den Abgrund gewiesen, vor dem sie gestanden.
Am Nachmittag nach dem Tod des Mukaukas sei sie dann mit der Mutter in die Statthalterei gegangen, um mit den Freunden zu trauern. Sie habe erst nach Maria gefragt, aber sie sei nicht zu ihr gelassen worden; denn sie liege auch jetzt noch fiebernd im Bette. Darauf habe sie in das kühle Zimmer gehen wollen, von wo aus sie ihrer Mutter Stimme vernommen; die habe nicht traurig, sondern heftig und aufgebracht geklungen, und weil es ihr darum unschicklich erschienen sei, in das Zimmer zu treten, habe sie sich in die offene, dem Nil zugewandte Säulenhalle begeben. Mit Orion hätte sie um keinen Preis zusammentreffen mögen, und sich sehr davor gefürchtet; wie sie aber hinausgetreten, es sei noch ganz hell gewesen, habe sie ihn dort dennoch gefunden, aber wie? Ganz in sich versunken, in schwarzen Gewändern und mit dem tief gesenkten Haupte in beiden Händen, habe er dagesessen. Ihr Kommen sei unbemerkt von ihm geblieben, doch sie habe so tiefes Mitleid mit ihm empfunden; denn obgleich es noch heiß gewesen, habe jedes Glied an ihm gebebt und ein Schauer nach dem andern seinen großen Körper durchschüttelt. Da habe sie ihn angerufen, um ihn zu trösten, und er sei dabei erschreckt zusammengefahren und aufgesprungen, habe sich das zerwühlte Haar aus dem Antlitz gestrichen und dabei so blaß ausgesehen, so verzweifelt, daß sie sich wieder vor ihm gefürchtet und um keinen Preis die tröstlichen Worte herausgebracht hätte, auf die sie sich schon besonnen. Eine Zeit lang hätten sie beide keine Silbe gesprochen, indessen habe er sich endlich wie zu einer Gewaltthat zusammengerafft und sei langsam und mit einer feierlichen Würde, wie sie gewiß noch niemand an ihm gesehen, auf sie zugetreten, habe ihr die Hand auf die Schulter gelegt, die von vielem Weinen geröteten Augen lange auf ihr ruhen lassen und dann aus tiefster Brust hervorgeseufzt:
»Unseliges Kind!«
Das klinge ihr noch in den Ohren, und er sei auch vom Kopf bis zum Fuß ganz anders gewesen als früher, gerade wie ein Fremder. Auch seine Stimme habe absonderlich und tiefer als sonst geklungen, wie er dann fest und ruhig gesagt habe:
»Kind, Kind! Vielleicht hab’ ich vielen unbedacht weh gethan im Leben, doch Dir, Dir ist gewiß das Schlimmste durch mich widerfahren; denn ich habe Dich unschuldiges, vertrauensvolles Geschöpf zu meiner Mitschuldigen gemacht. Die große Sünde, die wir begangen, auf mich allein fällt sie zurück, und um ihret-, ihretwillen bin ich gezüchtigt worden, hab’ ich eine Strafe erlitten, für hunderte, für tausende zu schwer!«
»Dabei,« war Katharina fortgefahren, »schlug er wieder beide Hände vor das Gesicht, warf er sich auf das Ruhebett zurück und stöhnte und ächzte. Dann sprang er abermals auf und rief so leidenschaftlich und laut, daß es mir war, als sollt’ ich vor Angst und Mitleid vergehen: ›Verzeih mir, wenn Du kannst, verzeih mir ganz und voll, ich brauch’ es; Du mußt es!‹
»Da wollte ich auf ihn zustürzen und ihn umarmen und ihm alles vergeben; denn sein großer Kummer jammerte mich so sehr; er aber wies mich ernst, doch rauh und hart war es nicht, von sich und sagte, mit der Liebe und dem Brautstand sei es aus zwischen uns; ich sei jung, und es werde mir schon gelingen, ihn zu vergessen. Ein treuer Freund wolle er mir und der Mutter bleiben, und je Schwereres wir von ihm verlangten, desto freudiger werde er uns dienen.
»Da wollt’ ich ihm antworten, er aber unterbrach mich rasch und sagte ernst und entschieden:
»›So liebenswert Du bist, ich kann Dich nicht lieben, wie Du es verdienst; denn – es ist meine Pflicht, es Dir zu sagen – denn ich habe eine andere große Liebe im Herzen, meine erste und letzte, und bin ich auch einmal in meinem Leben ein Unwürdiger gewesen, so war es eben nur einmal, und lieber will ich Deinen Groll tragen und Dir und mir in dieser Stunde weh thun, als dies Unrecht in die Länge ziehen und Dich und die andere betrügen.‹
»Da fuhr ich tief erschrocken auf und fragte: ›Paula?‹ Doch er blieb mir die Antwort schuldig, neigte sich zu mir nieder, berührte meine Stirn mit den Lippen, wie mich sein Vater manchmal geküßt hat, und ging dann schnell in den Garten.
»Da trat meine Mutter, rot wie Mohn und mit fliegendem Atem, zu mir, faßte mich schweigend an der Hand, zog mich hinter sich her in den Wagen und rief dort ganz außer sich – sie konnte vor Zorn nicht einmal weinen:
»›Diese Schmach, dies unerhörte Betragen! Wo nehm’ ich den Mut her, Dir, unglücklichem Opferlamm, zu erzählen...‹
»Und so sollt’ es wohl fortgehen, ich aber ließ sie nicht ausreden, sondern sagte ihr gleich, daß ich alles wisse, und es gelang mir, dabei ganz ruhig zu bleiben. Zu Hause gab es gräßliche Stunden, und als gestern nach Eröffnung des Testaments Nilus zu uns kam und mir das schöne goldene Döschen mit den Türkisen und Perlen, das mir immer so gut gefallen hatte, überreichte und dabei erzählte, der gute Mukaukas Georg hab’ es in seinem letzten Willen mir, ›seiner muntern, kleinen Katharina‹, mit eigener Hand zugeschrieben, bestand die Mutter, so sehr ich auch bettelte und flehte, doch darauf, es nicht anzunehmen und der Neforis zurückzuschicken. In die Statthalterei soll ich natürlich nie wieder; ja, die Mutter spricht davon, Memphis ganz zu verlassen und uns in Konstantinopel oder einer andern Stadt, wo Christen herrschen, niederzulassen. Unser hübsches, gutes Haus müßte dann freilich fortgeschenkt werden, aber unser lieber, herrlicher Garten ließe sich an Bauern verkaufen, sagt die Mutter. Mit des Memnon schönem Palast ist’s vor anderthalb Jahren ebenso gegangen. Aus dem Garten haben sie ein Kornfeld gemacht, und die prächtigen unteren Säle mit den Mosaiken und Bildern sind jetzt schmutzige Kuh– und Schafställe geworden, und in der Hathor und Dorothea Zimmern werden gar Schweine gemästet. Lieber Gott, die beiden sind doch meine besten Freundinnen gewesen! Mit Maria soll ich nicht mehr verkehren; die Mutter gönnt jetzt keinem Menschen ein freundliches Wort, auch mir kaum, und meine alte Amme ist so taub wie ein Maulwurf. Bin ich nicht ein recht armes, verlassenes Geschöpf? Und wenn Du, auch Du mich von Dir wiesest, wen gäb’ es in Memphis, dem ich mich anvertrauen könnte? Aber, nicht wahr, so hart wirst Du nicht sein? Lange währt es ohnehin nicht; denn die Mutter macht Ernst mit dem Fortziehen. Du bist freilich älter und so viel ernster und klüger als ich...«
»Ich will Dir schon gut sein, Kind; aber suche Dich doch der Pulcheria zu nähern!«
»Wie gern! Doch die Mutter! Ich würde auch wohl allein mit mir fertig, wenn es nur nicht... Du hast ja gehört, wie Orion damals in der Allee zu mir gewesen. Etwas gern gehabt hat er mich doch! Was gab er mir da für gute, zärtliche Namen. Ach Gott! So kann doch kein Mensch zu einem andern sein, den er nicht gern mag! Er ist ja selbst so reich; mein Vermögen allein kann’s ihm doch nicht angethan haben. Und sieht er etwa so aus, als ob er sich ein Mädchen von der Mutter mir nichts dir nichts aufzwingen ließe? Gut gewesen ist er mir, denk’ ich, immer, aber nachher hat er an die hohe Stellung gedacht, die er doch einnehmen muß, und mich dafür zu klein und kindisch gefunden. O, was hat mich die dumme Kleinheit schon für Thränen gekostet! Das Bachstelzchen bin ich und werd’ ich bleiben, Dein alter Gastfreund hat mich auch so genannt, und wenn sich ein Herr wie Orion eine stattlichere Frau wünscht, ich kann’s ihm ja beinahe nicht verdenken. Die andere, die er mehr zu lieben meint als mich, die ist gewiß groß, schön, majestätisch wie Du, und wie Du, das sag’ ich mir immer, müßte eigentlich auch seine künftige Gemahlin aussehen. Zwischen ihm und mir ist ja alles vorbei, und ich will es ruhig ertragen; aber denken muß ich dabei dürfen, daß er mich doch bei seiner Heimkehr niedlich und liebenswürdig gefunden und etwas da drinnen für mich gefühlt hat. So ist’s, ja, so ist’s auch gewesen! Aber dann hat er die andere gesehen, und mit ihr konnt’ ich mich nicht messen. Sie war ganz das Weib, das er brauchte, und diese andere, Paula, bist Du, ja Du, ganz gewiß; eine innere Stimme sagt mir’s! Und siehst Du, Du darfst es mir glauben, das schmerzt mich wohl, aber es kann mich auch freuen. Jedes, jedes Mädchen werde ich hassen, dem er die Hand reicht, aber wenn Du die Andere bist, und wenn Du seine Frau wirst...«
»Thorheit!« unterbrach sie Paula entschieden. »Besinne Dich nur! Hat sich Orion, da er Dich zum Meineid verführte, als mein Freund erwiesen oder als mein gehässigster, bitterster Feind?«
»Ja, damals vor dem Gericht allerdings!« versetzte die Kleine und senkte nachdenklich den Kopf. Doch bald hob sie ihn wieder, schaute Paula entschlossen und mit blitzenden Augen ins Antlitz und rief gerade heraus und ohne Zagen: »Und Du? Er ist ja trotz alledem so schön, so klug und so männlich, daß es kaum anders sein kann: Du liebst ihn!«
Da löste Paula den Arm, mit dem sie Katharina umfaßt gehalten, und entgegnete offen:
»Bis heut, beim Leichenbegängnis, hab’ ich ihn gehaßt und verabscheut, aber an der Gruft seines Vaters ist er mir wie ein neuer Mensch erschienen, und es ward mir leicht, ihm hier drinnen still zu vergeben.«
»Also liebst Du ihn nicht?« fragte Katharina und schlug ihre kleinen Finger fest in den vollen Arm der Jungfrau.
Da fühlte Paula, wie eisig kalt ihre Hand war, und schrak zusammen.
Der Mond war längst aufgegangen, die Sterne begannen höher und höher zu steigen, und mit einem kurzen »Komm!« erhob sie sich und sagte: »Es kann kaum eine Stunde an Mitternacht fehlen; Deine Mutter wird um Dich besorgt sein.«
»Eine Stunde vor Mitternacht!« wiederholte die Kleine erschrocken. »Guter Gott, das gibt Schelte! Sie sitzt gewiß noch wie alle Abende mit dem Bischof Plotinus beim Brettspiel. Lebe wohl denn für heute! Durch die Hecke geht es am schnellsten!«
»Nein,« unterbrach sie Paula bestimmt; »Du bist kein Kind mehr, bist eine Jungfrau und sollst das fühlen und zeigen! Statt durch die Dornen zu schlüpfen, gehst Du durch das Thor nach Hause. Ich begleite Dich mit Rufinus und erkläre dort Deiner Mutter...«
»Nein, nein!« fiel ihr Katharina ängstlich ins Wort. »Sie ist Dir so böse wie den anderen und hat mir erst gestern verboten...«
»Mich aufzusuchen?« fragte Paula. »Sie glaubt...«
»Um Deinetwillen habe Orion... Ja, am liebsten legte sie Dir das Ganze zur Last. Aber ich, nun ich mit Dir gesprochen... Siehst Du das Licht dort? Aus ihrem Wohnzimmer kommt es.«
Und bevor Paula sie hindern konnte, lief sie auf die Hecke zu und schoß behend wie ein Wiesel durch die Bresche in der dornigen Hecke.
Paula schaute der Kleinen mit gemischten Empfindungen nach und begab sich dann bald nach Haus und zur Ruhe. Katharinas Erzählung brachte sie lange Zeit um den Schlaf, und die Ahnung, ja beinahe die Gewißheit, daß sie diejenige sei, welche eine »große Liebe« im Herzen des Orion erweckt hatte, ließ ihr lange Zeit keine Ruhe. Und wenn sie es war? Ja, dann lag es in ihrer Hand, Rache an dem Uebelthäter zu nehmen und ihn alle Schmerzen durchkosten zu lassen, die er ihrer armen Seele bereitet! Doch wem mochte solche Strafe tiefere Wunden schlagen, ihm oder ihr? Eröffnete denn die Mitteilung der Kleinen nicht auch ihr selbst und ihrem sehnsuchterfüllten Herzen eine Welt von Glückseligkeit? Aber nein, nein! Sich von dieser Hand, die sie so erbarmungslos geschlagen, in den Himmel heben zu lassen, war Selbsterniedrigung, war Untreue gegen sich selbst!
Mitten unter diesem Hinundher der Gefühle und Gedanken übermannte sie der Schlummer, und in früher Morgenstunde hatte sie einen Traum, dessen sie noch am Tage mit bangem Schauder gedachte.
Orion war ihr, bleich wie der Tod, in dunklen Trauergewändern auf seinem kohlschwarzen Hengste in langsamem Schritt entgegengeritten, hatte sie, der die Kraft gebrach, zu entfliehen, ohne sie anzublicken oder zu fragen, wie ein Kind in die Höhe geschwungen und vor sich auf den Rücken des Rosses gesetzt. Mit dem Aufgebot aller Kräfte war sie bestrebt gewesen, sich ihm zu entwinden und den Boden zu gewinnen, er aber hatte sie mit beiden Armen wie mit Eisenklammern festgehalten und ihren Widerstand gebrochen. Das Leben wäre ihr nicht zu teuer gewesen, sich aus dieser Umarmung zu befreien, aber je heftiger sie sich wehrte, desto näher und fester zog sie der stumme, unbarmherzige Reiter an sich. Vor ihnen floß mit bewegten Wassern der Strom, Orion aber schien ihn nicht zu bemerken und lenkte, ohne die Lippen zu regen, den Hengst gelassen auf ihn zu. Außer sich vor Angst und Entsetzen flehte sie ihn nun an, dem Gang des Rappen eine andere Richtung zu geben, er aber hörte sie nicht und trieb ihn mit aller Ruhe mitten in die Flut. Da erreichte ihr Entsetzen den höchsten Grad, und während das Roß sie tiefer und tiefer in das Wasser trug, schlang sie die Arme freiwillig um den Hals des Reiters, und nun wich die Blässe von seinem Antlitz, seine Wangen röteten sich, seine Lippen suchten und fanden die ihren; sie aber fühlte mitten in der grausamsten Todesangst einen Wonnerausch, wie sie ihn noch niemals empfunden. Ewig hätte sie so ins Verderben hineinreiten mögen; es ging in der That tiefer und tiefer ins Wasser, und sie fühlte, wie es ihre und seine Brust erreichte, doch es kümmerte sie nicht. Kein Wort war zwischen ihnen gewechselt worden, doch auf einmal drängte es sie, das Schweigen zu brechen, und als müßte es so sein, fragte sie ihn: »Bin ich die andere?« Da brachen von allen Seiten Wellen und Wogen auf sie los, ein Wirbel erfaßte den Rappen, drehte ihn und mit ihm sie und Orion in die Runde, ein pfeifender Wind durchsauste die Lüfte, und gleich darauf riefen Wellen und Wogen, das Brausen des Strudels, das Heulen des Orkans, alles, alles um sie her wie aus einem Munde ein lautes, alles übertönendes, das Gehör betäubendes: »Du!« Nur Orion blieb stumm, und als ein Wirbel den Rappen erfaßte und niederzog, riß eine Woge sie von seiner Brust, und sie sank und sank und streckte ihm die Arme sehnsüchtig entgegen, und dabei fuhr sie mit perlender Stirn aus dem Schlummer, und ihre Amme, die sie aus dem unruhigen Traum gerissen, rief ihr kopfschüttelnd zu:
»Kind, Kind, was war das? Du hast fortwährend – erst in großer Angst und dann zärtlich – ja, glaube mir’s, zärtlich – den Namen Orion gerufen!«
Zwanzigstes Kapitel.
In den sauberen Zimmern, welche die Gattin des Rufinus für ihre kranken Gäste eingerichtet, herrschte um Mittag die friedlichste Ruhe. Durch die dichten grünen Vorhänge drang sanfte Dämmerung, welche das Sonnenlicht dämpfte, und die Pflegerinnen hatten vor kurzem das Frühmahl eingenommen.
Paula goß auf den Verband des Masdakiten neue Tropfen, und Pul war in der Nebenstube mit Mandane beschäftigt, die sich still, verständig und ohne jede Spur von Irrsinn den Vorschriften des Arztes unterwarf.
Paula stand noch immer im Banne der vergangenen Nacht. Es hatte sich ihrer eine solche Unruhe bemächtigt, daß sie ganz gegen ihre Gewohnheit nicht lange still sitzen konnte, und wenn Pul zu ihr kam, um ihr dies und das zu erzählen, hörte sie so zerstreut und teilnahmlos zu, daß das bescheidene Kind sich aus Furcht, sie zu stören, zu ihren Kranken zurückzog und dort geduldig wartete, bis ihr neuer Abgott sie rief.
In der That war des Thomas Tochter wohl berechtigt, sich einer gewissen Bangigkeit hinzugeben; denn heute mußte, wenn sie nicht alles täuschte, Orion als Ueberbringer ihres Vermögens bei ihr erscheinen, und wenn sie sich schon gestern auf dem Heimweg vom Friedhof gesagt hatte, daß sie ihn abweisen müsse und wolle, so hatte die tiefe Erregung, in welche sie durch Katharinas Erzählung und den Traum versetzt worden war, sie in diesem Entschluß nur bestärkt.
Ihre Amme wartete unten auf Orion und zwar mit dem Auftrag, ihn nicht zu ihr, sondern zu Rufinus zu führen, der es gern übernommen hatte, das Geld, das sie erwartete, als ihr Bevollmächtigter in Empfang zu nehmen; denn der Arzt hatte Paula nicht verhehlt, daß er seinen Freund mit den Umständen, um derentwillen sie die Statthalterei verlassen, im allgemeinen bekannt gemacht und ihm Orion als einen Mann bezeichnet habe, dem sie nicht ohne Grund aus dem Wege gehe.
In der zweiten Stunde nach Mittag steigerte sich Paulas Unruhe so sehr, daß sie dann und wann die Krankenzimmer, welche in den Garten schauten, verließ, um aus den Fenstern des Vorsaales die Nilstraße zu überblicken; denn er konnte ebensowohl von dort wie von der andern Seite her kommen.
An die Sicherung ihres Eigentums dachte sie nicht, aber es erhob sich in ihr die Frage, ob es nicht geradezu eine Pflicht verletzen heiße, wenn sie sich den Erregungen entzog, die der persönliche Empfang des Sohnes ihres Oheims mit sich brachte.
Niemand war im stande, ihr in diesem Falle zu raten, auch nicht Perpetua; denn kaum eine Mutter konnte sie in dieser Angelegenheit ganz verstehen.
Sie erkannte sich selbst nicht wieder; denn bisher hatte sie auch in den schwierigsten Lagen ohne langes Besinnen, nur belehrt von einer nie trügenden inneren Stimme, im Augenblick gewußt, was sie zu thun und zu lassen habe, was in dem gegebenen Fall recht, was unrecht sei; doch heute kam sie sich vor wie ein schwankendes Rohr, wie ein hin und her gewehtes Blatt, und so oft sie auch die Zähne zusammenbiß und die Hände ballte, um ruhig nachzudenken, und sich besonnen die »Für« und »Wider« vorzuführen, schweiften ihre Gedanken doch wieder und wieder ab, und die Erinnerung an ihren Traum, Orions Bild, wie sie es am Grabe des Vaters gesehen, Katharinas Erzählung von »der Andern« und der furchtbaren Strafe, die er erlitten haben wollte und gewiß auch wirklich erlitten, das alles kreuzte ihr Nachsinnen wie Vogelschwärme auf dem Nil, deren Schweben und Fliegen sich oft wie ein flatternder Vorhang zwischen ihrem Auge und seinem Ziel auf dem jenseitigen Ufer bewegt hatte.
In der dritten Nachmittagsstunde – sie war wieder zu den Kranken zurückgekehrt – meinte sie Hufschlag im Garten zu hören und eilte von neuem ans Fenster. Ihr Herz hatte nicht lauter geschlagen, wie der Hund von Hermonthis in jener verhängnisvollen Nacht auf sie und Hiram losgestürzt war, als jetzt, da sie das Nahen eines Reiters vernahm, dessen Gestalt die Sträucher des Gartens verbargen. Das mußte Orion sein; aber warum schwang er sich nicht aus dem Sattel? Nein, er war es nicht; denn seine stattliche Größe hätte das nicht allzu hohe Laubwerk gewiß überragt.
Die Freunde ihres Wirtes kannte sie noch nicht; vielleicht war es einer von ihnen. Jetzt wurde das Roß gewandt, jetzt betrat es den zum Eingangsthor führenden Weg, jetzt ging ihr Gastfreund dem Ankömmling entgegen, und nun erkannte sie nicht Orion, sondern seinen klein gewachsenen Schreiber, der sich von einem ihr wohlbekannten Maultier aus dem Sattel gleiten ließ, die Zügel einem Burschen zuwarf, dem Alten etwas überreichte, sich auf eine Ruhebank niederwarf und dort gähnend die Beine von sich streckte.
Gleich daraus sah sie Rufinus auf das Haus zuschreiten.
Hatte Orion den Boten beauftragt, ihr das Ihre zukommen zu lassen? Sie fand etwas Beleidigendes in diesem Verfahren, und ihr Blut wallte auf. Aber es konnte sich hier kaum um die Uebergabe des Vermögens handeln; denn ihr Gastfreund trug nichts Schweres, sondern ein kleines Etwas in der Hand, vielleicht, ja gewiß eine Rolle.
Da kam er schon die schmale Stiege herauf, und nun eilte sie ihm in das Treppenhaus entgegen, und errötete dabei vor sich selbst wie vor einem Unrecht. Der Alte bemerkte es und sagte, indem er ihr die Briefrolle reichte:
»Brauchst Dich nicht zu fürchten, Du Heldentochter. Der junge Herr ist nicht selbst gekommen, er scheint es vorzuziehen, auf schriftlichem Wege mit Dir zu verhandeln; und so ist’s wohl für beide Teile am besten.«
Paula nickte ihm beistimmend zu, nahm die Rolle in Empfang und drehte ihm, während sie den Faden aus dem Wachssiegel riß, den Rücken; denn sie fühlte, daß ihr das Blut aus den Wangen wich und daß die Finger ihr bebten.
»Der Bote wartet auf Antwort,« bemerkte der Alte, bevor sie zu lesen begonnen. »Unten steh’ ich Dir jederzeit zur Verfügung.«
Damit verließ er sie; Paula aber trat in das Krankenzimmer zurück, lehnte sich dort an die Verkleidung der Fensteröffnung und begann in höchster Spannung zu lesen:
»Orion, der Sohn des in Gott entschlafenen Mukaukas Georg, bietet seiner Muhme, der Tochter des edlen Thomas von Damaskus, seinen Gruß zuvor.
»Manchen Brief an Dich, der diesem vorangegangen, hab’ ich vernichtet.« Paula zuckte ungläubig die Achseln und fuhr dann fort: »Möge es mir in diesem Schreiben besser gelingen, Dir zu sagen, was mir für Dein Heil und meines unerläßlich erscheint. Ich will bitten und raten zugleich.«
»Raten, er!« machte das Mädchen, warf die Lippen abweisend auf und las weiter: »Mögest Du im Andenken an den Mann, der Dich wie eine Tochter geliebt und auf seinem Sterbebette nichts heißer gewünscht hat, als Dich – wie sehr er Deinem Glauben auch abgeneigt war – als Tochter, als Gattin seines Sohnes segnen zu dürfen, – möge die Erinnerung an diesen Gerechten Dein aufgebrachtes, Dein empörtes Herz beschwichtigen, damit diese Worte des Aermsten der Armen, denn das bin ich jetzt, Paula, nicht ungelesen von Dir bleiben; ja gewähre mir das letzte, was ich von Dir erbitte und um meines Vaters willen fordere.«
»Fordere?« wiederholte die Jungfrau, und ihre Wangen erglühten, ihr Auge leuchtete unwillig auf, und ihre Hände faßten beide Enden des Blattes, als wollten sie es zerreißen; doch die folgenden Worte: »Fürchte nicht,« hielten sie von dieser raschen That zurück, und so strich sie über den Papyrus und las mit wachsender Erregung weiter:
»Fürchte nicht, daß ich mich Dir als Liebender, als der Mann nahen werde, für den es nur Eine auf Erden gibt und keine andere. Und daß diese Eine diejenige sein muß, die ich so unsagbar schwer beleidigt, gegen die ich wütender, rücksichtsloser und mit böseren Waffen gekämpft als je gegen einen Feind unter dem eigenen Geschlecht!«
»Keine andere,« murmelte die Jungfrau vor sich hin, fuhr sich wieder mit der Hand über die Stirn, und ein Zug befriedigten Stolzes flog um ihre Lippen, während sie fortfuhr:
»Ich werde Dich lieben, so lange ein Atemzug diese arme, unselige Brust bewegt.«
Wiederum geriet das Blatt in Gefahr, aber es blieb auch diesmal unangetastet, und Paulas Züge gewannen ein stilles, freundliches Ansehen, während sie Orions deutliche Schrift weiter verfolgte: »Aber ich bin mir bewußt, durch eigene Schuld Deine Achtung, ja Deine gütige Gesinnung eingebüßt und, übt die ewige Liebe kein Wunder in Deinem Herzen, das höchste irdische Glück auf immer verscherzt zu haben. Du bist an mir gerächt; denn um Deinet– – hörst Du es? – um Deinetwillen hat der heißgeliebte sterbende Vater in nur zu gerechtem Zorn über den Verworfenen, der den Richterstuhl seiner Väter geschändet, den Segen, den er schon in ganzer Fülle auf mein reuiges Haupt niedergelassen, in Fluch verwandelt.«
Bei diesen Worten erblaßte Paula. Das also war es, wovon er zu Katharina gesprochen, was sein Aussehen, vielleicht auch seinen ganzen inneren Menschen so wunderbar verändert hatte. Und das, das trug den Stempel der Wahrheit, das konnte nicht erlogen sein: Um ihretwillen hatte des Vaters Fluch das Haupt des eigenen Sohnes getroffen. Wie war dies gekommen? Hatte der Arzt es nicht bemerkt oder es ihr nur aus Achtung vor dem Geheimnis anderer verschwiegen? Armer, armer junger Mann. Ja sie mußte, mußte ihn sprechen. Keine ruhige Stunde konnte sie haben, bevor sie wußte, wie der Oheim, der zärtliche Vater... Aber weiter, schnell weiter:
»Nur als der, der ich bin, als ein gebrochener Mann, zu jung, um sich selbst verloren zu geben, und darum fest entschlossen, alles, was ihm an Willenskraft, an Geist und Selbstachtung von seinen Ahnen geblieben ist, aufzuwenden, um sich ihrer würdig zu machen, trete ich vor Dich hin, bitte ich Dich, mir kurzes Gehör zu schenken. Kein Wort, kein Blick soll Dir verraten, was in mir wütet und mich zu vernichten droht.
»Was nun folgt, darfst Du nicht ungelesen lassen; denn es ist von sachlicher, auch für Dich nicht geringer Bedeutung: Zunächst soll Dir das zurückerstattet werden, was der Verstorbene von Deinem Erbe gerettet und durch väterliche Fürsorge vermehrt hat. Es wird in diesen bewegten Zeiten schwer fallen, dies Kapital sicher und gut anzulegen. Bedenke: wie die Araber den Byzantinern gefolgt sind, können jenen wieder diese, können diesen die zu Boden geschlagenen Perser, können Avaren oder andere Völker, von denen die Geschichte bisher nicht einmal den Namen gekannt hat, unseren jetzigen Gebietern folgen, die noch vor zehn Jahren für eine Handvoll unruhiger Kamelreiter, Karawanenbegleiter und armseliger Wüstenbewohner galten. Die Anlegung Deines Vermögens würde so schwer nicht sein, wenn wir es, wie es hier früher gewöhnlich geschah, alexandrinischen Großhändlern anvertrauen könnten. Aber in dieser Stadt fällt ein großes Haus nach dem andern, und alle Sicherheit ging dort völlig verloren. Deinen Besitz, wie es die meisten Aegypter in dieser schweren Zeit thun, zu verstecken oder zu vergraben, geht für Dich aus demselben Grunde nicht an, der uns verhindert, es zinstragend auf Ackerland in das Grundbuch eintragen zu lassen; denn es muß Dir zu jeder Zeit zur Verfügung stehen; kann es doch kommen, daß Du mit dem Deinen Aegypten schnell zu verlassen begehrst. Das alles sind Dinge, mit denen ein Weib nicht vertraut ist. Ich schlage also vor, daß Du ihre Erledigung uns Männern überläßt; dem Arzt Philippus, Deinem Gastfreund Rufinus, der mir als redlicher Greis gerühmt wird, und unserem erfahrenen und redlichen Rechnungsführer Nilus, der Dir als unbestechlicher Richter bekannt ist.
»Morgen soll, so schlage ich vor, die Verhandlung im Hause des Rufinus’ geführt werden. Wohne ihr bei oder nicht. Sind wir Männer einig, dann bitte ich Dich, flehe ich Dich an, mir ohne Zeugen Gehör zu schenken. In wenigen Minuten soll unsere Unterredung beendet sein, und es wird sich dabei nur um eine Angelegenheit handeln, einen Tausch, der Dir etwas Verlorenes, Liebes zurückerstatten und mir hoffentlich, wenn auch nicht Deine volle Achtung, so doch ein versöhnliches Wort eintragen wird. Ich bedarf eines solchen, glaube mir, Paula; ich hab’ es wie die Lebensluft nötig, wenn es mir gelingen soll, das Werk durchzuführen, das ich an mir selber begonnen. Sage dem Boten, wenn Du Dich überwunden hast, diesen Brief zu lesen, ein einfaches ›Ja‹, um mich aus quälender Ungewißheit zu reißen. Erfolgt dies nicht, was Gott für uns beide verhüte, so überbringt Dir Nilus heute noch, was Dir gehört. Hast Du Kenntnis von diesen Zeilen genommen, so erscheine ich morgen, zwei Stunden vor Mittag, um mit dem Rechnungsführer an der Versammlung teilzunehmen, von der ich sprach. Gott behüte Dich und flöße Milde in Deine stolze, edle Seele!«
Tief aufatmend ließ Paula die Hand mit diesem bedeutungsvollen Schreiben sinken und blieb lange ernst und nachdenklich an der Fensterbrüstung stehen. Dann rief sie Pulcheria, bat sie, auf kurze Zeit auch auf ihren Kranken Obacht zu geben, und als diese sie dabei mit den klaren Augen schwärmerisch anschaute und sie teilnahmvoll fragte, warum sie so blaß sei, küßte sie ihr Mund und Augen und rief ihr liebreich zu: »Gutes, glückliches Kind!« Dann begab sie sich in ihre auf der andern Seite der Treppe gelegene Wohnung. Dort las sie den Brief zum andernmale.
Ja, das war er, war wieder der alte Orion, wie sie ihn von seiner Heimkehr an bis zu jener unvergeßlichen Wasserfahrt gefunden. Aber er war ja ein Dichter, und die Natur selbst hatte es ihm so leicht gemacht, ungewarnte Seelen zum Glauben an ihn zu verleiten!
Aber nein! Diese Sätze waren redlich gemeint. Philippus kannte die Menschen, und Orion, ja er hatte ein Herz, ein warmes Herz! Mit dem Fluche, den ein geliebter Vater ihm brechenden Auges ins Antlitz geschleudert, konnte selbst der ruchloseste Verbrecher nicht spielen! Und wie sie den Abschnitt des Briefes neu überlas, in dem er aussprach, daß das, was er als ungerechter Richter gegen sie verbrochen, es gewesen sei, was den Segen des Sterbenden in Fluch verwandelt, überlief es sie kalt und sie sagte sich, ihr Verhältnis zu einander habe sich umgekehrt, und es sei ihm durch sie Schwereres und Unerträglicheres widerfahren, als ihr durch ihn. Sein bleiches Antlitz, wie sie es auf dem Friedhof gesehen, trat ihr wieder mit aller Lebendigkeit vor die Seele, und hätte er ihr jetzt gegenüber gestanden, würde sie auf ihn zugeeilt sein, ihm teilnahmvoll die Hand entgegengestreckt und ihn versichert haben, daß das Schreckliche, was durch sie über ihn gekommen, das tiefste, schmerzlichste Mitleid in ihr erwecke.
Heute früh hatte der Masdakit auf ihre Frage, ob er den Himmel schon angefleht habe, ihn bald genesen zu lassen, erwidert, die Perser beteten nie um ein einzelnes Gut, sondern nur um »das Gute«; denn niemand außer den Himmlischen wisse, was den Sterblichen frommt. Wie weise das war! Konnte hier nicht das Furchtbarste, das einen Sohn zu treffen vermag, der Fluch des Vaters, ihm zum Segen geraten? Gewiß war es dieser Fluch, was ihn zur Einkehr in sich selbst und auf den neuen Weg geführt hatte, den er betreten. Sie sah ihn auf einem solchen, sie wollte an seine Umkehr glauben und that es. In seinem Briefe erklärte er ihr seine Liebe, warb er sogar um ihre Hand. Das würde gestern ihren Zorn entflammt haben, heute vergab sie es ihm gern; denn dem Unglücklichen, dem Manne, der durch sie das tiefste Leid erfahren, konnte sie auch das Unerhörte verzeihen. Ihr Herz schlug jetzt freudig in der Hoffnung, ihn wieder zu sehen, ja es kam ihr vor, als sei der gefeierte, heimkehrende Jüngling, zu dem es sie so mächtig hingezogen, durch das, was er seitdem gesündigt, gebüßt und erduldet, gewachsen und nun erst zu voller, ernster Männlichkeit herangereift.
Und welche Aufgabe, diesem Sucher nach dem rechten Wege beizustehen, das zu werden, was er sich selbst vorgenommen!
Die besonnene Weise, in der er sich ihrer äußern Wohlfahrt annahm, verdiente gewiß ihren Dank. Was wohl unter dem Tausche gemeint war, den er ihr vorschlug? Die »große Liebe«, von der er zu Katharina gesprochen, sie leuchtete ihr aus jeder Zeile seines Briefes entgegen, und jedes Weib verzeiht jedem Manne, und wär’ er ein Sünder und ein Scheusal zugleich, das Unterfangen, sie zu lieben. Mochte er doch sein Herz an sie hängen! Das ihre, ja, da half kein Leugnen, zog sie gewaltig zu ihm hin. Aber Liebe wollte sie nicht nennen, was es bewegte: es sollte nur der heilige Drang sein, ihm das höchste Lebensziel zu weisen und ihm die Wege dahin freudig zu bahnen.
Der bleiche schwarze Reiter, der sie im Traum umfangen, sollte sie nicht mit sich hinabziehen, nein, sie wollte ihn freudig hinauftragen zu der höchsten, einem starken und edlen Mann erreichbaren Höhe.
So dachte sie, und ihre Wangen röteten sich dabei, und mit einem raschen Entschluß öffnete sie ihre Truhe, holte sie Papyrusblätter, Schreibzeug und Siegel heraus, setzte sie sich an das kleine Pult, welches Rufinus für sie an das Fenster gestellt hatte, um ihm zu schreiben.
Da ergriff sie heiße, gewaltige Sehnsucht nach ihm, doch sie bot alles auf, um sich von ihr zu erlösen, und sie fühlte dabei, daß es ihr unmöglich sein würde, die rechten Worte zu finden, wenn sie ihm schreibe, und wie sie die Blätter in die Truhe zurücklegte und auf das Siegel schaute, begegnete ihr etwas Besonderes; denn auf dem alten, ihr so wohlbekannten Ring ihres Vaters fiel ihr der zwischen zwei gekreuzten Schwertern schwebende Stern, vielleicht das Oriongestirn, auf, den die griechische Umschrift umgab: »Vor die Tugend haben die unsterblichen Götter den Schweiß gesetzt,« das heißt: Wer ein tugendhafter Mensch werden will, darf Schweiß und Mühe nicht sparen.
Mit einem freudigen Lächeln schloß sie den Deckel der Truhe; denn eine gute Vorbedeutung lag doch sicher in dem Spruch bei dem Sterne. Dabei nahm sie sich vor, Orion von dieser Devise, welche einer ihrer Ahnen dem alten Hesiod entlehnt hatte, zu reden. Dann eilte sie die Stiege hinunter, ging an Rufinus, seiner Gattin und dem Arzt vorüber in den Garten, weckte den schon lange fest eingeschlafenen Schreiber und trug ihm auf, seinem Herrn das »Ja« zu überbringen, worauf er warte. Doch bevor der Bote noch sein Maultier bestiegen, bat sie ihn, noch etwas zu warten, und ging zu den Männern zurück; denn es war ihr eingefallen, daß sie im Eifer vergessen, über Orions Vorschlag mit ihnen zu reden. Beiden war die für die Beratung angesetzte Stunde genehm, und während Philippus dem Schreiber mitteilte, daß man seinen Herrn erwarten werde, blickte der Alte der Jungfrau mit unverhohlenem Vergnügen ins Antlitz und sagte:
»Wir hatten gefürchtet, die Nachrichten aus der Statthalterei würden Dir die gute Stimmung verderben, aber, gottlob, Du siehst aus, als kämest Du eben aus einem erfrischenden Bade. – Was meinst Du, Johanna? Vor zwanzig Jahren hätte solche Hausgenossin Dich eifersüchtig gemacht! Oder gibt es in Deiner Taubenseele keinen Raum für diese gräßliche Regung?«
»Geh,« versetzte die Matrone lächelnd. »Hab’ ich etwa all die Schönen gesehen, denen Du Landstreicher in der weiten Welt, fern von uns, nachgeschaut hast?«
»Nein, Altchen, doch so wahr der Mensch das Maß aller Dinge, wie weit ich den Stab auch setzte, einer Göttin wie dieser bin ich nirgends begegnet!«
»Und ich bei meinem Schneckenhausleben gewiß nicht,« stimmte Frau Johanna ein und heftete die hellen Augen mit innigem Wohlgefallen auf Paula.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Am Abend saß Rufinus mit den Seinen und seinem Freunde Philippus im Garten. Auch Paula war unter ihnen und ließ von Zeit zu Zeit die Hand auf Pulcherias seidiges Goldhaar sinken; denn diese hatte sich zu ihren Füßen niedergelassen und schmiegte das Haupt an ihr Knie.
Es war Vollmond, und so hell im Garten, daß jedes das andere erkennen konnte, und des Rufinus Vorschlag, die Mondfinsternis, welche eine Stunde vor Mitternacht eintreten sollte, abzuwarten, fand um so ungeteilteren Beifall, je angenehmer die Luft war.
Die Männer hatten über das zu erwartende Phänomen am Himmel gesprochen, sich beklagt, daß die Kirche noch immer, dem Aberglauben der Menge nachgebend, ihm üble Vorbedeutungen beilege und Gott auch heute Abend durch einen Bittgang zu bewegen versuchen werde, diese nicht eintreffen zu lassen. Rufinus nannte es eine Lästerung des Höchsten, Erscheinungen, welche sich nach seinen ewigen Gesetzen vollzögen und die sich vorausberechnen ließen, gleichsam für seinen drohenden Finger auszugeben, als wenn die Strafbedürstigkeit der Menschen den gleichen Weg gehe wie Sonne und Mond. Diesmal werde der Bischof und der ganze Klerus des Ortes der Prozession voranschreiten, und damit eine so natürliche Erscheinung in den Gemütern des Volkes zu einer Bedeutung heraufgeschraubt werden, die sie nicht habe.
»Und wenn der kleine Komet, den mein alter Pflegevater schon in voriger Woche entdeckt hat, weiter so fortwächst,« fügte der Arzt hinzu, »und sein Schweif sich über einen Teil des Himmels verbreitet, dann wird die Angst den Gipfel erreichen, und ich sehe schon die Leute sich wie Besessene geberden.«
»Ein Komet zeigt aber doch Krieg, Hitze, Seuchen und Hungersnot an,« sagte Pulcheria mit voller Sicherheit, und Paula fügte hinzu: »Ich habe das auch immer geglaubt.«
»Mit großem Unrecht,« entgegnete der Arzt. »Tausend Gründe sprechen dagegen, und es ist ein Frevel, daß man die Menge in diesem Aberglauben bestärkt. Er flößt ihr Angst und Schrecken ein, und wollt ihr glauben, daß solche Seelenunruhe, besonders in dieser Zeit des flachen Wasserstandes, wo es ohnehin mehr Leidende als sonst gibt, Krankheiten über Krankheiten erzeugt? Wir werden zu thun bekommen, Rufine!«
»Stehe zu Diensten,« entgegnete der Alte; »doch lieber wär’ es mir schon, wenn der geschwänzte Bursche, soll er nun einmal Schaden anrichten, den Leuten Arme und Beine zerbräche, statt ihnen das Gehirn zu verdrehen.«
»Welch ein Wunsch!« rief Paula. »Manchmal sprichst Du Dinge aus und seh’ ich solche in Deiner Umgebung, die mir unfaßbar erscheinen. Du hast mir schon gestern versprochen...«
»Dir zu erklären, warum ich so viele Kreaturen Gottes, die mit verkrüppelten oder gebrochenen Gliedern die Last des Lebens ertragen, um mich versammle.«
»Jawohl,« entgegnete Paula. »Es kann ja nichts Barmherzigeres geben, als solchen Unglücklichen ein erträgliches Dasein zu schaffen...«
»Aber darum, denkst Du,« fiel ihr der lebhafte Greis ins Wort, »aus dieser schönen Ursache allein wird der alte Sonderling sein Steckenpferd schwerlich reiten, und Du hast recht. Ich habe eben von Kind auf an dem Knochenbau der Menschen und Tiere meine besondere Freude gehabt, und wie der Sammler von Hirsch-, Reh– und Gazellengeweihen, sobald er die Hörner aller Gattungen besitzt, sich mit neuer Liebe bestrebt, seltsam und krankhaft gewachsenes Gehörn zu sammeln, so reizt es mich, jede Art der Verkrüppelung und Beschädigung tierischer und menschlicher Knochen kennen zu lernen.«
»Und sie gerade zu richten,« fügte der Arzt hinzu. »Von Kind an ist er dieser Leidenschaft ergeben gewesen.«
»Und sie hat sich gesteigert, seitdem ich einmal selbst den Schenkel gebrochen und erfahren habe, was man dabei verspürt,« fuhr der Alte beistimmend fort. »Mit Hilfe meines Studiengenossen dort bin ich aus dem Dilettanten ein wirklicher Wundarzt geworden, und noch dazu einer, der dem Aeskulap auf eigene Kosten dient. Uebrigens gibt es auch noch Nebengründe, die mich bestimmen, mir eine so seltsame Umgebung zu wählen: ein verwachsener Sklave ist billig, und dazu bereiten mir gewisse Beobachtungen noch ein unschätzbares Sondervergnügen. Aber das ist nichts für euch Mädchen!«
»Doch, doch!« rief Paula. »So gut ich Philippus verstehe, wenn er mir etwas Naturwissenschaftliches klar auseinandersetzt...«
»Halt,« lachte Rufinus, »unser Freund würde sich hüten, Dir das zu erklären! Er hält es für Thorheit und gibt nur das eine zu, daß ein Chirurg und Beobachter sich gar keine besseren, willigeren und unterhaltenderen Hausgenossen denken kann als meine Krüppel.«
»Sie sind Dir dankbar!« rief Paula.
»Dankbar?« fragte der Alte. »Das kommt ja wohl vor, doch Erkenntlichkeit ist ein Zins, auf den kein Verständiger rechnet. Nun wißt ihr genug; schon um des Philippus willen wollen wir das andere lassen.«
»Nein, nein,« bat Paula, und wie sie dem Greise die Hände entgegenstreckte, rief dieser fröhlich:
»Wer Dir etwas abschlagen könnte! Kurz will ich’s machen, doch Du mußt mir aufmerksam folgen. Nun also: Der Mensch ist das Maß aller Dinge! Hast Du’s verstanden?«
»Jawohl! Du sprichst es ja oft aus. Die Dinge, meinst Du, sind nur so, wie sie uns vorkommen.«
» Uns, sagst Du, weil wir, Du, ich und wir anderen hier, gesund an Körper und Geist sind. Die Dinge – Gottes eigenstes Werk – müssen wir als solches unbedingt für gesund und normal ansehen. – Von dem Menschen, der das Maß für sie abgeben soll, dürfen wir also zuerst verlangen, daß er normal und gesund sei. Oder kann etwa ein Schreiner mit einem krummen und schiefen Stabe gerade Bretter zutreffend messen?«
»Gewiß nicht!«
»So wirst Du auch verstehen, wie sich in mir die Frage aufwerfen konnte: Mißt der kranke, verkrüppelte, ungestaltete Mensch die Dinge nicht mit anderem Maße als wir Gesunde? Sollt’ es nicht eine dankenswerte Aufgabe sein, zu erforschen, welcher Unterschied sich zwischen seinen Messungen und den unseren ergibt?«
»Und haben die Untersuchungen an Deinen Krüppeln zu einem Ergebnis geführt?«
»Zu mehreren großen,« versicherte der Alte; doch der Arzt unterbrach ihn mit einem lauten »Oho!« und versicherte, daß sein Freund viel zu schnell bereit sei, aus einzelnen Erscheinungen Gesetze zu begründen. Manche seiner Wahrnehmungen böten allerdings ein gewisses Interesse...
Hier unterbrach ihn Rufinus lebhaft, und das Gespräch wäre in Streit ausgeartet, wenn Paula die Männer nicht unterbrochen und ihren eifrigen Gastfreund um die Mitteilung wenigstens eines seiner Resultate gebeten hätte.
»Ich habe gefunden,« antwortete dieser seiner Sache gewiß, und zog den starken Vollbart selbstbewußt in die Länge, »daß sie nicht nur klug sind, weil sie schon früh den Geist schärfen, um durch innere Vorzüge das einzubringen, was ihnen an körperlichen abgeht; sie sind vielmehr auch witzig, wie der Fabeldichter Aesop und der ägyptische Gott Besa, der, wie mir des Philippus alter Freund Horus, von dem wir all unsere ägyptische Weisheit haben, mitteilte, unter den Heiden den Lustbarkeiten, dem Scherz, dem Witz und daneben auch dem Frauenputz vorstand. Das spricht für die feine Beobachtungskunst der Alten; denn der Buckelige, dessen Körper verkrümmt ist, legt auch krumme Maßstäbe an die Dinge. Vermöge seiner Klugheit lernt er häufig ebenso messen wie die Mehrzahl der Menschen, unter denen er lebt, das heißt gerade; doch in guten Stunden, wenn er sich gehen läßt, macht er das Gerade krumm und das Krumme gerade, und so entsteht der Witz, welcher doch nur in einer schiefen Auffassung und Vorführung der Dinge besteht. Unterhalte Dich einmal mit meinem buckeligen Gärtner Gibbus oder gib nur auf ihn acht! Wenn er sich des Abends zu unseren Leuten setzt, lachen sie, sobald er den Mund nur aufthut, und warum? Seine Beschaffenheit treibt ihn an, in lauter Paradoxien zu reden. Du weißt, was das ist?«
»Gewiß!« entgegnete Paula.
»Und Du, Pul?«
»Nein, Vater!«
»Du bist eben zu gerade gewachsen, auch an der einfachen Seele da drinnen, um Sinn für dergleichen zu haben! Aber höre nur zu! Eine Paradoxie wär’ es zum Beispiel, wenn ich dem Bischof bei der heutigen Prozession zurufen wollte: ›Du bist vor lauter Frömmigkeit gottlos,‹ oder wenn ich der Tochter des Thomas mit Bezug auf die Schmeicheleien, welche sie vorhin von der Mutter und mir zu hören bekam, die Entschuldigung böte: ›Unser Weihrauch war vor lauter Süßigkeit bitter.‹ Diese Paradoxen sind, wenn man sie näher betrachtet, Wahrheiten in gekrümmter Form, und darum glücken sie dem Buckeligen am besten. Hast Du verstanden?«
»Gewiß,« versetzte Paula.
»Und Du, Pul?«
»Ich weiß nicht recht. Mir würde es besser gefallen, wenn man einfach sagte: Wir hätten Dir nicht so schmeichlerische Dinge sagen sollen; denn das kann ein Mädchen verdrießen.«
»Ganz gut, mein gerades Kind!« lachte der Alte; »doch da steht ja der Gärtner! Hieher, mein wackerer Gibbus! Denke Dir einmal, Du hättest jemand so grobe Schmeicheleien gesagt, daß er sich darüber ärgerte, statt sich zu freuen. Wie würdest Du Dich ausdrücken, wenn Du mir das mitteilen wolltest?«
Der Gärtner, ein kleiner, breiter Mann mit einem gewaltigen Buckel, doch mit einem klugen, wohlgebildeten Gesicht, besann sich ein wenig und erwiderte dann:
»Da hab’ ich Esel ihn Rosen riechen lassen wollen und ihm Disteln unter die Nase gestoßen.«
»Prächtig!« rief Paula, und als Gibbus sich kichernd entfernte, sagte der Arzt:
»Man könnte den Mann um seinen Buckel beneiden; aber, nicht wahr, Jungfrau Paula, wir kennen auch gerade gewachsene Leute, denen jede Art der gekrümmten Rede zu Gebote steht, wenn es darauf ankommt?«
Doch Rufinus enthob Paula der Antwort, indem er sie auf sein Schriftchen über die Krümmungen der Seele und des Körpers hinwies, und fuhr dann eifriger fort:
»Ich rufe euch alle zu Zeugen auf, ob die lahme Baste – eines ihrer Beine ist viel kürzer als das andere, und wir haben es mit Mühe dahin gebracht, daß es sie trägt – ihr Messen der Dinge nicht nur auf das Untere, nur auf die Oberfläche der Erde beschränkt? Sie muß, um nicht zu stolpern, stets zu Boden schauen, und was ist daraus entstanden? Sie kann Dir nie sagen, was an einem Baume hängt, und vor etwa drei Wochen hab’ ich sie bei reinem Himmel und abnehmendem Mond, und obgleich sie Abend für Abend bis spät mit den anderen Leuten im Freien gesessen, – es war um Mittag – gefragt, ob gestern der Mond am Himmel gestanden, und sie ist uns die Antwort schuldig geblieben; ja ich habe bemerkt, daß sie Männer von einiger Größe, die sie drei– oder viermal gesehen, schwer wieder erkennt. Wie ihr Bein, so ist auch ihr Maßstab der Dinge zu kurz ausgefallen. Hab’ ich recht oder unrecht?«
»Recht hast Du in diesem Falle,« versetzte der Arzt; »doch kenne ich Lahme...«
Wieder entspann sich ein Streit zwischen den Freunden, aber Pulcheria machte ihm diesmal ein Ende, indem sie mit großem Eifer ausrief:
»Die Baste ist das beste, gutherzigste Ding im ganzen Hause!«
»Weil sie auch in sich hineinschaut,« entgegnete Rufinus. »Sie kennt sich selbst, und weil sie weiß, wie weh der Schmerz thut, behandelt sie andere mit Schonung. Weißt Du noch, Philipp, wie wir nach dem anatomischen Vortrag, den wir in Cäsarea zusammen gehört hatten, uns stritten...«
»Recht wohl,« unterbrach ihn der Arzt, »und das Leben hat seitdem meine Ansicht von damals nur bestätigt: Es gibt kein schädlicheres und zugleich unwahreres Wort als das lateinische: › Mens sana in corpore sano,‹ wenn man es wie gewöhnlich übersetzt: ›Nur im gesunden Leib findet sich eine gesunde Seele.‹ Als Wunsch mag es gelten; ja manchmal fühlte ich mich versucht, auch den bedenklich zu finden; denn gerade in kranken Körpern ist mir oft eine Seelenstärke, eine hoffnungsreiche und auch für das Kleinste dankbare Gesinnung, ist mir eine Feinheit der Empfindung, ein weises sich Versenken in sich selbst und ein unentwegtes sich Hingeben an höhere Dinge begegnet, wie ich es bei Gesunden nicht wiedergefunden. Der Leib ist nur das Haus der Seele, und wie es in Hütten und Palästen Gute und Böse, Kluge und Dumme gibt, und man in den Hütten sogar oft mehr wahre Herzensgüte findet als in den prunkenden Häusern der Großen, so findet man edle Seelen in garstigen und schönen, gesunden und kranken Körpern, und in diesen vielleicht noch häufiger als in jenen. Mit solchen falschen Sätzen, die einer dem andern nachspricht, soll man behutsam umgehen; denn sie können denen nur weh thun, die ohnehin schwer an der Last des Lebens zu tragen haben. Meiner Ansicht nach denkt der Buckelige ebenso gerade wie ein Athlet, oder meinst Du, daß wenn eine Mutter Kinder in einer spiralförmig gewundenen Höhle zur Welt bringt und groß zieht, diese darum nicht aufwärts zum Himmel wachsen könnten, wie es doch dem Menschen beschieden?«
»Dieser Vergleich hinkt!« rief der Alte eifrig, »und er ist der Zurechtstellung bedürftig. Sollen wir nicht in offenen Widerspruch geraten...«
»Frieden sollt ihr halten,« unterbrach Frau Johanna den Gatten, und bevor dieser weiter reden konnte, fragte ihn Paula unvermittelt und geradeheraus:
»Wie alt bist Du, würdiger Gastfreund?«
»Der zweite Tag meines siebenzigsten Jahres ward dadurch geweiht, daß Du an ihm unser Haus zum erstenmale betratest,« versetzte Rufinus und verneigte sich höflich; seine Gattin aber drohte ihm mit dem Finger und rief:
»Ob Du nicht gar einen geheimen Buckel hast, Mann? Eine so schön gewundene Antwort...«
»Er sieht seinen Krüppeln die Art ab,« neckte Paula. »Aber nun kommst Du an die Reihe, Freund Philippus. Deine Auseinandersetzung war die eines älteren Weisen und hat mich – um des Rufinus willen sag’ ich nicht ›gewonnen‹, sondern ›bestochen‹. Ich schulde Dir Ehrfurcht, und doch möcht’ ich wissen, wie viele Jahre Du...«
»Ich werde mein einunddreißigstes bald erreichen,« kam der Arzt ihrer Frage zuvor.
»Das war eine ehrliche Antwort,« lachte Frau Johanna. »In Deinem Alter klammert man sich gern an die zwanziger Jahre.«
»Warum?« fragte Pulcheria.
»Nur so,« erwiderte die Mutter. »Es gibt Mädchen, denen ein Dreißiger älter erscheint, als ihnen gefällig.«
»Dumme Dinger!« entgegnete Pul. »Sie sollen nur einen jungen Mann suchen, der liebenswerter wäre als unser Vater, und wenn Philippus, ja Du, Philippus, zehn und zwanzig Jahre älter wärst als neunundzwanzig, meinst Du, daß Dich das weniger klug und gut machen würde?«
»Und weniger garstig in keinem Falle,« unterbrach sie der Arzt.
Da rief Pulcheria unwillig, als sei ihr selbst eine Kränkung widerfahren:
»Du bist gar nicht häßlich! Wer Dich dafür ausgibt, der hat keine Augen! Du willst auch nur hören, daß Du ein stattlicher Mann bist.«
Während das warmherzige Mädchen den Freund so gegen sich selbst verteidigte, strich ihr Paula über das goldene Haar und rief dem Arzte zu:
»Pulcherias Vater hat recht. Sie versteht die Menschen mit dem rechten, geraden Maßstab zu messen! Merke Dir’s, Philipp! Und dann... Nimm mir meine Frage nicht übel, aber mußt’ mich’s nicht wundernehmen, daß der Einunddreißig– und der Siebenzigjährige die hohe Schule zu gleicher Zeit besuchten? ‘s ist noch lange hin bis der Mond sich verfinstert – wie hell und blank er dahinzieht! Auch Du, Rufinus, bist ja so ein Weltenwanderer gewesen, und wenn Du mir einen rechten Gefallen thun willst, so erzählst Du uns etwas aus Deinem Leben, und wie Du nach Memphis gekommen.«
»Sein Lebenslauf?« rief Frau Johanna. »Wenn er uns den von Anfang bis zum Ende mit allen Einzelheiten vorführen wollte, verginge die Nacht und das Frühstück würde noch kalt. Er hat ein Dasein gehabt wie der vielgewandte Odysseus; aber erzähle doch einiges, Mann! Du weißt, uns kann nichts Besseres begegnen.«
»Mich ruft die Pflicht,« sagte der Arzt, und nachdem er von den anderen freundlich Abschied genommen und Paula dabei gemessener als in den letzten Tagen Lebewohl gesagt hatte, begann Rufinus:
»In Alexandria bin ich geboren, und damals blühte dort noch Handel und Gewerbe. Mein Vater war ein Waffenschmied, und in seiner Werkstätte sind wohl an zweihundert Sklaven und freie Arbeiter thätig gewesen. Er bedurfte viel des besten Erzes, und das kam ihm gewöhnlich über Massilia aus Britannien zu. Einst begleitete er selbst das Schiff des Handelsfreundes nach der fernen Insel, und dort begegnete ihm meine Mutter. Ihr goldblondes Haar, das die Pul dort geerbt hat, soll es ihm angethan haben, und weil ihr der schöne Fremde – denn der Alte war ein Mann wie es wenige mehr gibt – gar wohl gefiel, ward sie um seinetwillen Christin und folgte ihm gern. Sie haben es beide nie bereut; denn obwohl sie eine stille Frau war, die das Griechische bis an ihr spätes Ende sprach wie eine Fremde, sagte der Alte doch oft, daß sie sein bester Ratgeber sei.
»Dabei hatte sie ein so weiches Herz, daß sie keine Kreatur leiden sehen konnte, und so eifrig sie auch am Herd und Webestuhl zum Rechten sah, konnte sie bis an ihr Ende kein Huhn, keine Gans und kein Ferkel schlachten sehen. Ihr Herz – soll ich sagen ›leider‹ oder ›gottlob‹? – ich hab’ es geerbt. Da waren noch zwei ältere Brüder, die beide dem Vater helfen mußten und später das Geschäft fortführen sollten. Als ich das zehnte Jahr erreichte, ward über meinen Beruf entschieden. Die Mutter hätte mich gern zum Geistlichen gemacht, und ich wär’ es damals freudig geworden, doch der Vater gab es nicht zu, und weil wir einen Oheim hatten, der Rhetor war und viel Geld durch seine Thätigkeit verdiente, ging mein Vater auf seinen Vorschlag ein, mich diesem Berufe zu widmen. So ging ich denn von einem Lehrmeister zum andern, und ich kam gut fort in der Schule.
»Bis zum zwanzigsten Jahr wohnte ich dabei immer bei den Eltern, und während meiner reichlichen Mußestunden konnte ich thun und lassen, wonach mir das Herz stand, und das waren, wenn es nicht zu hoch klingt, lauter medizinische Dinge. Als zwölfjähriger Knabe hatte ich mich ihnen zum erstenmal gewidmet, und zwar durch einen Zufall. Ich trieb mich natürlich gern in den Werkstätten umher, und da war eine Elster, ein possierliches Tierchen, das meine mitleidige Mutter aufgefüttert hatte. Es konnte ›Du Dummkopf‹, meinen Namen und noch andere Worte rufen und mochte den Lärm gern leiden; denn wo die Schmiede und Schlosser am lautesten pochten und feilten, dahin flatterte es am liebsten, und wo es sich bei einem Amboß niederließ, gab es beim Hämmern, Raspeln und Putzen lauter muntere Gesichter. Jahrelang war dem Tierchen die Geselligkeit ganz wohl bekommen, aber eines Tages geriet es in einen Schraubstock, und sein linkes Beinchen brach entzwei. Das arme Geschöpfchen!«
Dabei bückte sich der Alte, um sich heimlich die Augen zu wischen, und fuhr, ohne innezuhalten, fort:
»Es fiel auf den Rücken und sah mich so jämmerlich an, daß ich dem Blasebalgzieher, der ihm aus Mitleid den Garaus machen wollte, die Zange aus der Hand riß und es behutsam aufhob und mir vornahm, es zu heilen. Auf meinem Zimmer hab’ ich die Elster dann, damit sie still halten und sich doch nicht weh thun möchte, an ein künstlich erdachtes Gestell befestigt, ihr das Beinchen eingerichtet, die wunden Enden in meinem Munde erwärmt und befeuchtet und kleine Holzstäbe als Schienen darum befestigt. Und siehe da, es heilte wahrhaftig, sie wurde gesund, flatterte wie früher in den Werkstätten umher, und wenn ich mich zeigte, flog sie mir auf die Schulter und pickte mir mit dem spitzen Schnäbelchen ganz vorsichtig ins Haar.
»Von nun an hätte ich gern den Hühnern im Hof die Beine zerbrochen, um sie zu heilen, doch ich kam auf einen andern Gedanken. Ich ging zu den Barbieren und sagte ihnen, daß wer einen Vogel, einen Hund oder eine Katze mit gebrochenen Gliedmaßen habe, der möge sie nur bringen, ich sei bereit, all diese Schäden umsonst zu heilen, das möchten sie ihren Kunden erzählen. Und schon am nächsten Tage brachte man mir einen Patienten, einen schwarzen Jagdhund mit gelben Flecken über den Augen, dem eine fehlgeworfene Lanze ein Bein zerschmettert; ich seh’ ihn noch vor mir! Ihm folgten andere, gefiederte und vierfüßige Kranke, und so hatte denn meine Heilthätigkeit begonnen. Die leidenden Vögel an den Bäumen dank’ ich wieder meinen alten Bundesgenossen, den Barbieren. Mit Vierfüßlern geb’ ich mich nur noch gelegentlich ab. Die lahmen Kinder, die Du im Garten helfen siehst, gehören armen Eltern, denen der Wundarzt zu teuer. Der lustige Krauskopf, der Dir vorhin die Rose brachte, darf schon in wenigen Tagen nach Hause. Aber zurück zu meiner Jugend!
»Die tieferen Gründe, welche meinem Leben diese Richtung gaben, sind erst später in den zwanziger Jahren, nachdem ich die hohe Schule schon hinter mir hatte, auf mich eingedrungen, ja von ihrer ganzen Gewalt bin ich erst ergriffen worden, nachdem der Oheim mir schon manche Gelegenheit verschafft hatte, mich in meinem Beruf zu bewähren. Ohne Eitelkeit kann ich sagen, daß meine Reden den Leuten gefielen, mir aber widerstand das schwülstige, blumenreiche Gewäsch, ohne das ich ausgezischt morden wäre, und so sehr die Eltern sich freuten, wenn ich aus Niku, Arsinoë oder anderen Nestern in der Provinz mit Lorbeerkränzen und Goldstücken heimkehrte, kam ich mir selbst immer vor wie ein Betrüger. Doch wegen des Vaters wagte ich’s nicht, den Beruf zu wechseln, obgleich es mir mehr und mehr widerstand, Leute in den Himmel zu erheben, die ich weder liebte noch achtete, und Thränen der Rührung zu vergießen, während ich bereit gewesen wäre, herzlich zu lachen.
»Freie Zeit hatt’ ich die Fülle, und weil es mir nicht an Mut fehlte und ich fest an unserem griechischen Bekenntnis hing, war ich auch überall dabei, wo es Aufstände oder Händel unter den verschiedenen Glaubensgenossenschaften gab. Gewöhnlich ging es mit Beulen und Schrammen ab, doch bisweilen wurden auch die Schwerter gezogen. Einst waren Tausende gegen Tausende in Streit geraten, und der Präfekt hatte die Truppen – allesamt Griechen – aufmarschiren lassen, um die Ruhe gewaltsam wieder herzustellen. Da gab es ein Gemetzel, bei dem Tausende fielen. Ich mag es nicht schildern! Aehnliches gab es nicht selten zu sehen, und häufig richtete sich die Wut und Habgier der Menge, hinter der dabei nur zu oft die Obrigkeit und die Kreaturen des Erzbischofs standen, gegen die Juden. Was ich da zu sehen bekam, ist gräßlich, so gräßlich, die Zunge sträubt sich, es zu erzählen; aber die arme Judenmutter, der bübische Gesellen – unsere Glaubensgenossen – den Mann erschlagen und das Haus ausgeraubt hatten und die dann ein Schwerbewaffneter an den Haaren zu Boden riß, während ein Mordbube ihren Säugling vor ihren Augen an den Füßchen faßte und ihm den Schädel an der Wand zerschmetterte, wie man ein nasses Tuch an die Säule schlägt, um es zu trocknen, dies schöne junge Weib und sein Kind hab’ ich nie vergessen, und noch jetzt tritt es mir manchmal bei Nacht als Traumgesicht vor die Seele.
»Das alles erlebte ich mit, und schaudernd sah ich ein Geschöpf Gottes, ein vernunftbegabtes Wesen das andere zerfleischen, verfolgen, ins Elend stoßen, und warum? Barmherziger Heiland, warum? Nur aus Haß, nur – so wahr der Mensch das Maß aller Dinge – nur hingerissen von dem grausen Triebe, dem Nächsten, der nicht sein wollte wie er, ja dem Nächsten, der eben nur nicht er selbst war, zu schaden, ihn zu kränken, ihm wehe zu thun. Und diese Wüteriche, diese Armeen, die dem Banner der Unbarmherzigkeit, der Vernichtungswut, des Blutdurstes folgten, waren Christen, waren auf den Namen dessen getauft, der dem Feind zu vergeben gebietet, der die Liebe ausgedehnt hat von Haus und Stadt und Staat auf die Menschheit, der die Ehebrecherin aus dem Staube emporhob, der die Kinder in seine Arme nahm, und der mehr Freude haben wollte an einem Sünder, der Buße thut, denn über neunundneunzig Gerechte! Blut, Blut wollten sie sehen, und war denn nicht die Lehre dessen, zu dem sie sich stolz bekannten, wie die Lotosblume hier aus dem klaren Wasser des Marmorbeckens, aus dem Blute dessen hervorgewachsen, der sein Blut hingegeben, geopfert für alles, was Mensch heißt? Und die höchsten Hüter und Wächter dieser solcher Lehre der Barmherzigkeit: Patriarch, Bischof, Presbyter und Diakon, stachelten die Wut des Volkes an, statt ihm das Bild des Hirten zu zeigen, der das verlorene Schaf aufnimmt und es freundlich zur Herde zurückführt.
»Meine Zeit schien mir die verworfenste von allen Zeiten und – so wahr der Mensch das Maß aller Dinge – sie ist es; denn in ihr verwandelt sich Liebe in Haß, Barmherzigkeit in unerbittliche Härte der Seele. Nicht nur die Throne der weltlichen, nein, auch die der geistlichen Herrscher triefen vom Blute der Nächsten. Kaiser und Bischof geben das Beispiel, und Volk und Laien thun es ihnen nach. Und wie die Großen, die Männer des Streites, so auch die Kleinen, so auch die friedlichen Werber um geistige Güter. Was ich als Mann auf der Straße gesehen, das war mir schon als Knabe und Jüngling auf der niederen und hohen Schule begegnet. Jede Lehre hatte ihre Bekenner, und wer dem Cnejus beistimmte, den haßte der Cajus, und der redete und schrieb wiederum zu keinem Zwecke, als um dem Cnejus zu schaden, ihn herabzusetzen, ihm wehe zu thun. Dem Mitmenschen Fehler nachzuweisen, ihn an den Schandpfahl zu binden, war eines jeden eifriges Streben, zumal wenn dieser für größer gehalten wurde als er oder auch nur über ihn hinauszuwachsen drohte. Hört die Mädchen am Brunnen, die Weiber an der Spindel! Nur die ist des Beifalls gewiß, die etwas Böses mitzuteilen weiß von anderen Männern und Frauen. Wer fragt nach dem Lobe des Nächsten? Wer vom Glücke des andern hört, wird sein Neider!
»Haß, Haß überall! Ueberall der Wille, der Wunsch, die Leidenschaft, dem Mitmenschen Schmerz und Untergang zu bereiten, statt ihn zu erheben, zu fördern, zu heilen!
»Das ist der Geist meiner Zeit, und alles, was in mir war, erhob sich gegen ihn in heiligem Zorn, und ich schwor mir, anders zu sein und zu handeln, und nur das eine Ziel zu verfolgen, dem Unglücklichen beizustehen, dem Elenden zu helfen, an mich zu ziehen, was dem ungerechten Spotte verfallen, an meinem Nächsten gerade zu machen, was krumm, ganz, was zerbrochen, zu heilen, Balsam zu reichen, zu heilen, zu heilen!
»Und gottlob, es ward mir vergönnt, wenigstens einen Teil dieses Gelübdes zu halten, und wenn sich zu meinem eifrigen Streben später Grillen und eine wunderliche Forschungslust gesellten, die große Aufgabe, von der ich euch sagte, hab’ ich erst recht nicht aus dem Auge gelassen, nachdem der Vater gestorben und mir auch der Oheim sein großes Vermögen hinterlassen.
»Da hing ich den Rhetor an den Nagel und durchfuhr Westen und Osten und suchte das Land auf, wo Liebe die Menschen mit einander verbindet und der Haß nichts ist als eine Krankheit, aber – so wahr der Mensch das Maß aller Dinge – bis heute ist alle Müh’, es zu finden, vergebens gewesen. Indessen hab’ ich mein Haus so bestellt, daß es zu einer Burg der Liebe geworden, und es weht darin eine Luft, in der Haß nicht aufkommt und im Keime erstickt.
»Aber trotz alledem bin ich kein Heiliger geworden, und wie viel Thorheiten, wie viel Unrecht hab’ ich begangen, wie viel Geld und Gut, das ich vielleicht besser für die Meinen erhalten, ist mir durch die Finger geglitten, meistens freilich im Dienste der Pflichten, die ich für die würdigsten hielt. Willst Du’s glauben, Paula? Verzeih dem Alten, wenn er die Tochter des Thomas so väterlich anruft; kaum fünf Jahre nach der Vermählung mit diesem guten Weibe, bald nachdem wir unsern einzigen kleinen Sohn verloren, hab’ ich sie und mein Töchterchen, die Pul dort, verlassen, auf mehr als zwei Jahre verlassen, um dem Kaiser Heraklius freiwillig und unaufgefordert in den Krieg gegen die Perser zu folgen, die mir nichts angethan hatten, freilich nicht als Krieger, sondern als lernbegieriger Wundarzt. Ehrlich gestanden, lüstete es mich ebensosehr, Brüche und Wunden und Schäden in Menge und im großen zu sehen und zu behandeln, als mich wohlthätig zu erweisen. Mit gebrochenem Schenkel, doch erträglich zusammengeflickt, kehrte ich zu diesen da heim, und wieder nach wenigen Jahren hielt es mich nicht länger am gleichen Platz, und der Wandervogel riß Weib und Kind aus der Ruhe des Hauses und Gartens und schleppte sie mit auf die hohe Schule. Der Gatte, der Vater, der Graubart nahm sich wunderlich aus unter den jungen Genossen, die den Reden und Erklärungen der Lehrer folgten; doch so wahr der Mensch das Maß aller Dinge, an Fleiß und Eifer stand ich hinter keinem zurück, wenn mich gleich mancher an Geist und Gaben hoch überragte, und unter diesen stand allen voran unser Philippus. So kommt es, edle Paula, daß der Greis und der blühende Mann Studiengenossen sind, aber der Alte beugt sich heute noch gern vor dem jüngeren Kunst– und Gesinnungsbruder. Geradestellen, Trösten, Heilen, das ist das Ziel auch seines Lebens, und oft gelüstet es mich Alten, der doch das Ziel des Philippus weit früher als er zu dem seinen gemacht hat, mich seinen Jünger zu nennen.«
Hier schwieg Rufinus, stand auf, und auch die Damascenerin erhob sich, drückte ihm herzlich die Hand und sagte:
»Wär’ ich ein Mann, ich schlöße mich an euch beide! Aber es ist ja auch, Philippus lehrte es mich, einem Weibe gestattet, in eurem Sinne zu wirken. Und nun bitt’ ich Dich noch, mich – willst Du mir diese Gunst nicht versagen – nie anders als Paula zu nennen! So glücklich wie ich bei euch bin, hab’ ich nie wieder zu werden vermeint. Mein Herz wird hier frisch und gesund. Frau Johanna, sei Du meine Mutter! Ich habe den besten Vater verloren, und bis ich ihn wieder finde, sollst Du, Rufinus, seine Stelle vertreten!«
»Gern, gern!« rief der Alte, ergriff ihre beiden Hände und fuhr dann heiter fort: »Dafür aber bitt’ ich Dich schön, daß Du Dich als ältere Schwester der Pul annimmst! Mach mir aus dem blöden, weltscheuen Ding eine Jungfrau nach Deinem Exempel. Aber rasch, schnell, Kinder, den Blick in die Höhe; denn da beginnt schon, wie die alten Heiden dieses Landes sagten, wenn sich der Mond verfinsterte, Typhon in Ebergestalt das Horusauge zu verschlingen! Seht, wie der Schatten die blanke Scherbe verdeckt! Wenn die Alten das sahen, haben sie Lärm gemacht, das Sistrum mit seinen metallenen Ringen geschüttelt, getrommelt, geblasen, getobt und geschrieen, um dem Bösen Furcht einzujagen und ihn zu vertreiben. Vor vierhundert Jahren mag das hier zum letztenmal geschehen sein, und heute – nehmt die Kopftücher fester zusammen und folgt mir an den Strom – heute beschimpfen sich Christen durch dasselbe Gebahren. In welches christliche Land ich immer gekommen, ist mir das gleiche Schauspiel begegnet: unsere heilige Religion hat dem Glauben der Heiden den Garaus gemacht, doch ihr Aberglaube ist am Leben geblieben und hat durch Fugen und Ritzen in unsere Gebräuche Eingang gefunden. Da ziehen sie hin mit dem Bischof an der Spitze, und wie laut übertönt das Klagegeschrei der Weiber und das Heulen der Männer die Gesänge des Klerus. Hört nur! Auch sie klingen so jammervoll und leidenschaftlich bittend, als habe der alte Typhon heute noch vor, den Mond zu verschlingen, und als stehe der Welt das größte Unheil bevor! Ja – so wahr der Mensch das Maß aller Dinge – die geängstigten Kreaturen da unten sind krank an Geist, und wie kann man denen vergeben, die es wagen, Christen, ja Christen, mit den Ueberresten heidnischer Thorheit zu ängstigen und ihren sehenden Geist zu verblenden?«
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Orion und Paula hatten manches besprochen, seitdem jener das Haus des Rufinus betreten.
Die Verhandlungen wegen der Anlegung des Vermögens der Damascenerin waren langwierig gewesen. Zuletzt hatten ihre Ratgeber beschlossen, die eine Hälfte desselben dem Juwelier Gamaliel und seinem Bruder, welcher in Konstantinopel einem großen Geschäfte vorstand, zu übergeben. Dieser befand sich zufällig in Memphis, und beide hatten sich bereit erklärt, das ihnen dargebotene Kapital, jeder zu einer Hälfte, an sich zu nehmen und zu verzinsen. Die Sicherstellung wollten beide gemeinsam übernehmen, so daß jeder für das ganze ihnen anvertraute Gut bürgte, wenn der andere, wodurch auch immer, seine Zahlungen einstelle. Für die gerichtliche Sanktionirung dieses Vertrages und die nötigen sechzehn Zeugen zu sorgen, übernahm Nilus.
Den anderen Teil des Vermögens sollte auf Vorschlag des Arztes Philippus der Bruder des arabischen Kaufherrn Haschim erhalten, welcher in der neuerstehenden Stadt Fostat am östlichen Ufer des Nil einem bedeutenden Wechselgeschäft vorstand, an dem auch der Teppichhändler selbst beteiligt war. Diese Anlegung empfahl sich, weil sie unantastbar sicher blieb, so lange die Araber in Aegypten geboten.
Nach diesen Verhandlungen entfernte sich Nilus mit derjenigen Hälfte des Vermögens, welche dem muslimischen Wechsler morgen durch Orion anvertraut werden sollte.
Paula war, ohne sich an den Verhandlungen der Männer zu beteiligen, Zeugin derselben gewesen und hatte ihrem Beschluß dankbar Zustimmung erteilt. Es war ihr nicht entgangen, wie klar, ernst und entschieden sich Orion bei dieser Beratung gezeigt hatte, und wenn auch die klugen, kurz und anspruchslos hingeworfenen Bemerkungen des Rentmeisters überall ausschlaggebend gewesen waren, hatten ihr doch am besten seine Gründe und Darlegungen gefallen; denn ihr kam es vor, als wären sie immer von größeren, mehr staatsmännischen, weitergehenden Erwägungen getragen, als die der anderen.
Nach Schluß der Sitzung war sie mit Orion allein gelassen worden, und da hatten denn weder dem Jüngling noch ihr Herzklopfen und bange Minuten erspart bleiben können.
Erst als der Sohn des Mukaukas kühner geworden und ihr, um Vergebung flehend, zu Füßen gesunken war, hatte sie einige Festigkeit zurückerlangt, und ihn an seinen beruhigenden Brief erinnert. Doch das Herz trieb sie mit aller Macht ihm entgegen, und um seinem gewaltigen Drang nicht zu unterliegen, fragte sie schnell, was er mit dem Tausch gemeint, von dem er geschrieben.
Da war er ihr mit niedergeschlagenen Augen entgegen getreten, hatte aus den Brustfalten seines Gewandes ein Kästchen und daraus den Smaragd samt der verbogenen Fassung genommen, ihr beides bittend entgegengehalten und dabei mit dem ganzen seiner tiefen Stimme eigenen Wohllaut gerufen:
»Dein Eigentum! Nimm es, und schenke mir dafür Dein Zutrauen, Deine Vergebung!«
Da war sie von ihm zurück getreten, hatte erst ihn und dann den Stein und die Fassung überrascht, erfreut, bewegt, mit dem vollen Glanz ihrer Augen angeschaut, und dem Jüngling war es bei alledem unmöglich gewesen, auch nur ein Wort zu reden, und er hatte ihr das Juwel und das ärmliche Goldblech nur näher und näher hingehalten, hingereicht wie ein Armer, der es wagt, einem stolzen, reichen Großen sein Bestes, das für solchen Empfänger doch nur gering ist, als Geschenk darzubieten.
Und Paula war nicht lange unentschlossen geblieben, sondern hatte nach seiner Gabe gegriffen und dankbar und freudig die glänzenden Augen an dem verlorenen Kleinod geweidet.
Vorgestern war es ihr wie besudelt und entheiligt erschienen, ihrem Stolz hatte es wohlgethan, diesen wertvollen Schatz Frau Neforis und ihrem Sohne auf Nimmerwiedersehen gleichsam vor die Füße zu werfen. So schwer gibt man ja das Recht auf, diejenigen zu hassen, welche uns das Dasein freventlich verkümmert und unserer Seele Schaden zugefügt haben; aber auf dies Recht, von dem Paula noch vor kurzem um keinen Preis gelassen hätte, verzichtete sie jetzt freiwillig, ja sie wies es von sich wie einen beängstigenden Alp, der den freien Herzschlag und das frische, frohe Atemholen hemmt. In dem Juwel sah sie nun wieder das liebe Andenken an ihre verstorbene Mutter, die ehrende Zier, welche ein großer Monarch ihren Ahnen geschenkt, und es freute sie, daß es ihr wieder gehörte. Aber diese Empfindung hatte das warme, sonnige Glücksgefühl, welches sie jetzt durchdrang, weder wachgerufen, noch veranlaßte es sein schnelles, wonniges Wachstum; denn ihre Augen achteten kaum des schönen, blitzenden Steines, sondern hingen wie gebannt an dem elenden Goldbleche, welches ihn früher umgeben und das ihr so entsetzliche Stunden bereitet. – Wohl wohnte diesem verbogenen, ärmlichen Ding die Macht inne, sie vor Richtern und Feinden zu rechtfertigen, wohl war es ihr ein Leichtes, mit ihm in der Hand ihre Ankläger zu Grunde zu richten; doch auch dies war es nicht, was ihr so unaussprechlich wohl that! Des Arztes Wort, daß es keine größere Freude gebe als die Wahrnehmung, sich in einem Menschen zu seinem Nachteil getäuscht zu haben, war ihr in den Sinn gekommen, und der Mensch da vor ihr, sie hatte ihn einmal geliebt, und nun stand er wieder zu allem Guten bereit, tief innerlich bewegt vor ihr, und das Urteil, das sie sich über ihn gebildet, hundert-, tausendmal zu hart war es gewesen! Nur ein Edler erwartet vertrauensvoll Edelmut von dem Feinde, und er, er gab sich waffenlos in die Hand derjenigen, welche die verhängnisvollste, vielleicht einzige schimpfliche That seines Lebens tödlich getroffen.
Mit diesem Goldblech lieferte Orion sich ihr aus, als Besitzerin dieses Talismans stand sie ihm gegenüber wie das übermächtige Schicksal! Und wie sie nun den Blick zu ihm aufhob und seinen großen, Geist und Leben ausstrahlenden und von gewaltiger Erregung feuchten Augen begegnete, schien es ihr gewiß und sicher, daß dieser Liebling der Schickung zwar schwer und verhängnisvoll gefehlt habe, daß er aber befähigt sei, das Größte und Höchste zu erreichen, wenn ein Freund ihm zeige, was das Leben von ihm fordere, und er sich bereit finden lasse, seinem Winke zu folgen. Und dieser Freund, sie wollte es sein!
Wie Orion, so hatte auch sie lange kein Wort gefunden; doch endlich war er, seiner selbst nicht mehr mächtig, auf sie zugeeilt, hatte die Lippen inbrünstig dankend auf ihre Rechte geheftet, und sie, sie hatte es dulden müssen und wäre auch nicht fähig gewesen, ihm zu wehren, hätt’ er sie schnell, wie damals im Traume, in die Arme genommen und an sein Herz gezogen. Inbrünstig war sein heißer Mund auf ihrer Rechten ruhen geblieben, doch nur kurze Augenblicke hatte sie sich der mächtigen Regung, die sie erfaßt, überlassen; dann war sie mit dem Aufgebot des starken Willens zum Guten, der sie beseelte, ihrer Herr geworden, hatte ihn bestimmt und doch nicht ohne Freundlichkeit von sich gewiesen und ihm bewegt und mit einer lieblichen Schalkhaftigkeit, die ihm bis dahin fremd an ihr gewesen und die ihn noch mehr entzückte als ihre Größe und ihr edler Stolz, mit erhobenem Finger gedroht:
»Sieh Dich vor, Orion! Ich behalte Stein und Fassung; ja, auch die Fassung! Warte die Folgen nur ab, Du unvorsichtiger Mann!«
»Nicht so! Sage lieber: Du Thor, der endlich einmal eine verständige Handlung begeht,« hatte er glückselig erwidert. »Was ich Dir hier ausliefere, ist kein Geschenk, sondern stets Dein eigen gewesen. Dir kann es jetzt nicht mehr oder weniger gelten als früher, doch für mich hat es nun den neuen, unschätzbaren Wert, daß es mich, meine Ehre, vielleicht gar mein Leben in Deine Hand legt, daß Du nun über mich schalten kannst wie der Kaiser über den ärmsten Knecht im Palaste. Behalte und brauche den Stein und dies verhängnisvolle goldene Nichts, bis der Tag kommt, an dem mein Wohl und Wehe das Deine sein wird.«
»Um des Verstorbenen willen,« hatte sie ihm tief errötend entgegnet, »liegt dies Wohl mir jetzt schon am Herzen. Wer über den andern den Fluch des Vaters verhängte, ist es dessen Schuldigkeit nicht, dem schwer Belasteten zu helfen, sich von ihm zu befreien? Und vielleicht liegt dies in meiner Macht, Orion, wenn Du es nicht verschmähst, den Rat eines unwissenden Mädchens zu hören.«
»Rede!« hatte er eifrig gebeten, doch sie war ihm nicht gleich gefolgt, sondern hatte ihn ersucht, mit ihr in den Garten zu treten; denn ihm wie ihr war die dumpfe Stubenluft unerträglich geworden, und wie sie das Haus verlassen hatten, da war das Paar zuerst den Blicken der lauschenden Katharina begegnet, und es hatte ihr nicht entgehen können, wie heiß ihnen beiden die Wangen glühten.
Draußen durchwehte ein kaum merkliches Lüftchen vom Nil her die Glut des Mittags, und hier hatte Paula den Mut gefunden, ihm darzulegen, was Philippus die Auffassung seines Lebens nannte. – Diese war ihm nicht neu, ja sie entsprach den Vorsätzen, die er für sein künftiges Leben gefaßt. Dankbar ergriff er sie, und »das Leben ein Amt, ein Dienst, eine Verpflichtung«, das war wie ein Stichwort, wie ein Mahnruf, der ihm bei der Durchführung seiner hohen Zukunftspläne behilflich sein sollte.
»Und dies Wort,« rief er Paula zu, »wird mir außerdem lieb sein, weil es aus Deinem Munde stammt; aber nötig für mich ist es nicht mehr. Auch die weisesten und nützlichsten Lebensregeln haben noch keinen Menschen besser gemacht. Wer nähme sie nicht aus der Schule mit in die Welt? Worte helfen nichts, wenn sich nicht bei der Fahrt durchs Leben der männliche Wille ans Steuer stellt. Ich habe ihn ausgerufen, und er führt mich zum Ziele; denn dem Piloten schwebt ein heller Leitstern vor Augen. Du, Mädchen, kennst ihn: es ist...«
»Es ist das, was Du Deine Liebe nennst,« fiel sie ihm, neu errötend, ins Wort, »Deine Liebe zu mir, und ich will an sie glauben.«
»Du willst!« rief er feurig. »Du erlaubst mir, zu hoffen...«
»Hoffe, hoffe!« unterbrach sie ihn wieder, »indessen...«
»Indessen,« fuhr er fort, »›dränge mich jetzt nicht,‹ sollte nun folgen. O, ich versteh’ Dich, und bevor ich nicht fühle, daß Du wieder Grund hast, aufzusehen zu dem Unsinnigen, der Dich durch eigene Schuld verloren, spreche ich, der Dich einmal wie einen Todfeind bekämpft hat, selbst das letzte Wort nicht aus, verdamm’ ich meine Sehnsucht, zu schweigen, will ich versuchen...«
»Wirst Du mir zu zeigen versuchen, mir zeigen,« rief Paula, »daß ich in Dir aus einem Feind und Verfolger den liebsten der Freunde gewonnen. Wir wissen nun, wie wir zu einander stehen, wollen fest und froh auf einander bauen und dem Höchsten danken, daß er uns ein neues, schöneres Leben eröffnet. Dieser Tag, wir wollen ihn beide...«
»Segnen und zu den besten schreiben,« fiel Orion freudig ein, und nun begann das Gespräch über die kleine Maria, das von Katharina belauscht ward.
Als sie sich wieder aus ihrem Gehörkreise entfernt hatten, erklärte Orion, daß die Angelegenheit des Kindes bis morgen ruhen müsse, weil er heute jenseits des Stromes mit dem Feldherrn Amr zu verhandeln habe.
Ihrer Befürchtung, er könne sich von den Muslimen für ihren Glauben gewinnen lassen, trat er entschieden entgegen; denn so sehr es ihn auch gelüste, den Patriarchen fühlen zu lassen, daß er nicht gewillt sei, die seinem Vater angethane Schmach geduldig hinzunehmen, hänge er doch zu fest an seinem Glauben, wisse er zu gut, was er dem Andenken des Verstorbenen und auch ihr schuldig sei, um zu diesem Aeußersten zu schreiten.
Dann schilderte er ihr feurig, wie er in Zukunft seine beste Kraft seinem armen, geknechteten Vaterlande, sei es im Dienste des Chalifen, sei es in anderer Weise, zu widmen gedenke, und sie ging froh und mit fortgerissen von seiner schönen Begeisterung auf seine Pläne ein und fühlte wieder mit stiller Wonne die Ueberlegenheit seines Geistes und die hohe Schwungkraft seiner Seele.
Als das Gespräch sie darauf in die Vergangenheit zurückführte, fragte sie ihn leise, unvermittelt und ohne ihn anzuschauen, wohin der Smaragd aus dem persischen Teppich gekommen.
Da entfärbte er sich, blickte zu Boden und erwiderte zögernd, er habe ihn nach Konstantinopel geschickt, um ihn fassen zu lassen, fassen zu lassen in einen Schmuck – würdig für sie, die er...
Doch plötzlich unterbrach er sich selbst, stampfte ingrimmig mit dem Fuß auf den Weg und rief, indem er der Jungfrau gerade ins Auge schaute:
»Lüge, verdammte, unwürdige Lüge! Wahrhaftig bin ich von Kind an gewesen, aber ist es nicht, als verlangte dieser verruchteste aller Tage etwas Unwürdiges von mir, wo ich ihn auch nur berühre? Ja, Paula, ja, der Stein ist auf dem Wege nach Byzanz, aber das gestohlene Gut war nicht für Dich bestimmt, sondern für ein schönes, sanftes, gewiß nicht verdammenswertes Weib, das mir sein Herz geschenkt hatte. Es ist mir nie mehr gewesen als ein reizendes Spielzeug, doch hat es Stunden gegeben, in denen ich glaubte... Armes Geschöpf!... Erst durch Dich hab’ ich die Liebe kennen gelernt, wie groß sie ist und wie heilig! Das ist, da hast Du die Wahrheit!«
Damit schritten sie vorwärts, und Katharina, welche den Zusammenhang dieser Erklärung nicht aufzufassen vermocht hatte, verstand nun wieder, wie Paula ihm warm und freudig zurief:
»Ja, das ist die Wahrheit, ich fühl’ es; und von nun an ist auch jener verruchteste aller Tage durchgestrichen, ausgemerzt aus Deinem und meinem Leben, und was Du mir auch künftig sagen magst, ich werde es glauben!«
Und weiter hörte die Horcherin, wie der Jüngling mit bebender Stimme versetzte:
»Und Du sollst Dich nicht in mir täuschen! Ich geh’ jetzt, ich gehe, und bei all meinem Elend als ein froher, zu neuem Glück berechtigter Mann. O Mädchen, was dank’ ich Dir alles! Und, nicht wahr, wenn wir uns wiedersehen, wirst Du mir nicht anders begegnen als damals auf der Wasserfahrt nach meiner Heimkehr?«
»So, und mit noch froherem Zutrauen,« versetzte Paula und reichte ihm mit einer schönen Bewegung, die das Herz ihr eingab, die Hand; er aber preßte sie einen Augenblick fest an die Lippen und schwang sich dann auf das Roß, um in raschem Trabe den Garten zu verlassen. Sein Sklave folgte ihm nach.
»Katharina, Kind, Katharina!« erscholl vom Hause der Witwe Susanna her eine kreischende Frauenstimme. Da schrak das Bachstelzchen zusammen und warf, während es sich noch einmal über das Haar strich, einen bösen Blick auf die Damascenerin, »die andere«, die Gleißnerin, die sie unter der Sykomore schmählich betrogen, und sie ballte die kleine Faust, als sie beim Abschluß ihres Lauschens diese dem verschwindenden Orion mit strahlenden Augen nachblicken sah.
Glückselig und wie beflügelt schritt Paula auf das Haus zu, während die arme, tief gekränkte Kleine bei dem ersten scheltenden Wort der Mutter, die sich mit ihrem zerzausten Putz keineswegs einverstanden erklärte, in heiße Thränen ausbrach und dann trotzig und auffahrend versicherte, sie werde dem Patriarchen den Strauß nicht überreichen und auf ihrem Zimmer bleiben; denn sie sterbe vor Kopfweh. Und so geschah es.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Am Nachmittage folgte Orion dem Rufe des arabischen Gebieters über Aegypten. Auf seinem edelsten Rosse ritt er über die Schiffbrücke. Vor zwei Jahren hatte es da, wo sich die neue muslimische Residenz Fostat jetzt an das alte Fort Babylon schloß, nur Aecker und Gärten gegeben; doch wie durch ein Wunder war sie auf Befehl des Amr aus der Erde gewachsen, und jetzt schon reihte sich in Straßen und auf Plätzen Haus an Haus, der Hafen lag voller Schiffe und Boote, reges Leben herrschte auf dem Markt, und an der Stelle, wo sich während der Belagerung der Feste Babylon die Bude eines Krämers erhoben, umgaben jetzt schon lange doppelte Säulenreihen den weiten Betraum einer neuen Moschee.
Von Aegyptern und ägyptischem Leben gab es da wenig zu sehen; es war, als habe ein Dämon einen Teil von Medina aus Arabien an den Nil verpflanzt; die Menschen, Tiere, Häuser und Verkaufsstellen trugen, wenn ihnen auch manches zu gute kam, was ihre Erbauer in den alten asiatischen Kulturländern gesehen, die sie erobert, den Stempel der Heimat, und wo Orion einen Landsmann sah, stand er als Arbeiter oder Rechnungsbeamter im Dienst der Fremden, welche hier so schnell heimisch geworden waren.
Vor seiner Abreise nach Konstantinopel hatte da, wo sich nun gegenüber der halb vollendeten Moschee das Wohnhaus des Amr erhob, ein Palmengarten seines Vaters gestanden. Wo jetzt tausende von Muslimen mit dem Turban auf dem Haupte und in der Tracht ihrer Heimat, welche sich schon durch schnell erraffte Beute und den nahen Verkehr mit prunkliebenden Nationen verfeinert hatte, teils zu Fuß, teils auf reich geschirrten Rossen hin und her wogten und lange Kamelzüge dem Bauplatze Quadern zutrugen, war er früher nur dann und wann einem Ochsenwagen mit knarrenden Rädern, einem Reiter zu Esel oder auf dem ungesattelten Rücken eines Gaules und bisweilen auch übermütigen griechischen Soldaten begegnet. Statt der Sprache seiner Voreltern und der griechischen Machthaber von früher umtönte ihn jetzt überall die schärfer und nachdrücklicher klingende der Wüstensöhne. Ohne den Diener, welcher sich an seiner Seite hielt, hätte er sich auf dem Boden der eigenen Heimat nicht verständlich machen können.
Das Haus des Amr war bald erreicht, und hier teilte ihm ein ägyptischer Schreiber mit, sein Herr sei auf der Jagd und werde ihn nicht in der Stadt, sondern auf der Lichterburg empfangen.
In diesem an einer wohlgelegenen Stelle des Kalkgebirges, welches sich hinter dem Fort Babylon und der neu erwachsenden Stadt erhob, errichteten schönen Gebäude, das ursprünglich für die Präfekten des Kaisers hergestellt worden war, hatte Amr seine Frauen, Kinder und Lieblingsrosse untergebracht, und er hielt sich dort mit gutem Grunde lieber auf als in dem die Geschäftsräume bergenden Stadthause; denn diesem benahm die neue Moschee den Blick auf den Nil, während man von der Lichterburg aus ins weite zu schauen vermochte.
Die Sonne näherte sich dem Untergang, als Orion sein Ziel erreichte; aber der Feldherr war noch nicht von der Jagd zurückgekehrt, und der Thorhüter ersuchte ihn, zu warten.
Dem Jüngling, der sich in seinem Lande als Erbe des ersten Mannes behandelt zu sehen gewohnt war, stieg das Blut in die Wangen, und es stach ihm in sein ägyptisch Herz, dem Araber gegenüber den Stolz beugen und den Ingrimm verbeißen zu müssen. Er gehörte jetzt zu den Unterjochten, und der Gedanke, daß ein Wort aus seinem Munde genüge, um wieder in die Reihe der Gebietenden aufgenommen zu werden, stieg schnell und mächtig in ihm auf; doch er unterdrückte ihn mit aller Kraft und ließ sich schweigend zu der Plattform führen, welche durch lange, mit Weinlaub umrankte Laubengänge vor dem Sonnenbrande geschützt war.
Auf einer der Marmorbänke bei der Brüstung dieses großen Gartenaltans ließ er sich nieder und schaute ins weite. Was er da sah, kannte er genau; war es doch der Schauplatz seiner Kindheit und frühen Jugend. Dies Gemälde hatte sich wohl hundertmal vor ihm ausgebreitet, und doch wirkte es heute ganz anders auf ihn ein als je vorher. Gab es, so fragte er sich, ein fruchtbareres, üppigeres Land als das seine? Der Nil – hatten ihn nicht schon die griechischen Dichter als den ehrwürdigsten aller Ströme gefeiert? War es dem großen Cäsar nicht so reizvoll erschienen, seinen Ursprung zu entdecken, daß er dafür, nach seinem eigenen Ausspruch, die Herrschaft über die Welt hingegeben hätte?
Diese weiten Aecker, jahrhundertelang war von ihrem Ertrage das Wohl und Wehe der mächtigsten Städte der Erde abhängig gewesen, ja die kaiserliche Roma und das mächtige Konstantinopel hatten aus Furcht vor nahender Hungersnot gezittert, wenn hier eine Mißernte die Hoffnung des Landmanns zerstörte.
Gab es ein fleißigeres Ackerbauvolk als das seine, hatte es vor ihm ein weiseres, kunstreicheres gegeben? Schaute er rückwärts auf die Schicksale und Thaten der Nationen, so sah er an der fernsten Stelle, da wo sich der Weg der Geschichte kaum noch erkennbar zuspitzt, als erste, früheste Denkmäler menschlicher Schaffens– und Kunstfreude denselben Riesensphinx liegen, dieselben Pyramiden stehen, welche sich dort drüben, jenseits des Nil und seiner verfallenden Vaterstadt Memphis, am Fuße des libyschen Gebirges immer noch in unverkleinerter, unantastbarer Größe stolz und Ehrfurcht gebietend erhoben. Er war ein Enkel derer, welche diese unvergänglichen Werke geschaffen, vielleicht floß noch in seinen Adern ein Tropfen des Blutes jener Pharaonen, die in diesen Riesenmausoleen ewige Ruhe gesucht, deren größere Nachkommen mit ihren Heeren die halbe Welt unterworfen und ihr Gehorsam und Tribut abgefordert hatten. Er, dem es so oft schmeichelhaft erschienen war, wenn man sein nicht nur für die Zeit der Sprachverderbnis, in der er lebte, reines Griechisch, sein einnehmendes hellenisches Wesen gelobt hatte, fühlte sich hier und in diesem Augenblicke stolz auf seine ägyptische Herkunft. Tief atmend schaute er nach Westen, und die untergehende Abendsonne schien ihm den reichen Wert der Heimat prächtig verdeutlichen zu wollen, indem sie mit wundervollem Glanzlicht Acker, Strom und Palmenhain, die Dächer der Stadt, ja selbst das nackte Wüstengebirge und die Pyramiden in lauteres Gold verwandelte. Jetzt ging sie hinter der libyschen Höhenkette zur Ruhe. Das nackte, helle Kalkgefels schimmerte wie leuchtende Eiskristalle, und es sah aus, als schmelze sich der glühende Sonnenball ein in das Herz des Gebirges, hinter dessen Kamm es verschwand, als verbänden seine aufwärts schießenden Strahlen sein Heimatthal wie mit Millionen goldener Fäden mit dem Himmel, der Wohnung der Gottheit, die es vor allen anderen Ländern gesegnet.
Dies herrliche Stück Erde und sein Volk von dem Zwingherrn befreien, ihm die Macht und Größe wiedergeben, welche es einst besessen, den Halbmond von den Zelten und Gebäuden da unten reißen, an seiner Stelle das Kreuz, das er heilig hielt von Kindesbeinen an, wieder aufpflanzen, den Uebermut der Muslimen an der Spitze begeisterter Scharen ägyptischer Männer brechen und mit ihnen den Osten unterwerfen wie jener Sesostris, von dem Geschichte und Sage erzählten, das war eine Aufgabe, würdig des Enkels des Menas, des Sohnes des großen und gerechten Mukaukas Georg.
Solchem Beginnen hätte sich Paula nicht widersetzt, ja seine tief erregte Einbildungskraft zeigte sie ihm als eine zweite Zenobia an seiner Seite, bereit zu allem Großen, handeln, ihm Beistand leisten, gebieten!
Ganz von diesen Zukunftsbildern beherrscht, hatte er längst den Blick von dem glänzenden Schauspiel des Sonnenuntergangs abgewandt und zu Boden geschaut. Da unterbrachen auf der Straße, hart unter der Plattform, seine hochfliegenden Träume menschliche Stimmen. Er blickte niederwärts und sah zu seinen Füßen einige zwanzig ägyptische Arbeiter: freie, von keinem Sklavenzeichen verunehrte Leute, welche widerwillig und doch in dumpfem Gehorsam dahinzogen und an keine Gegenwehr, kein Entweichen dachten, obgleich sie ein einziger Araber im Zaum hielt.
Wie ein Wolkenbruch auf erglimmendes Feuer, wie Hagelschlag auf die grünende junge Saat fiel dieser Anblick auf seine mächtig erregte Seele. Sein Auge, das eben noch begeistert geleuchtet, blickte verachtungsvoll und enttäuscht auf die Elenden, mit denen er gleichen Blutes war. Ein Zug bitteren Spottes umspielte ihm den Mund; denn des Zornes hielt er diese Schar freiwilliger Sklaven nicht wert, und das um so weniger, je lebhafter er sich vergegenwärtigte, was sein Volk einmal gewesen, und was es nun war. Er dachte nicht eigentlich nach, doch während es dunkelte, zog an seinem inneren Auge ein selbsterlebter Vorgang nach dem andern vorüber, bei dem Aegypter sich schmachvoll benommen und bewiesen hatten, daß sie der Freiheit nicht wert und gewohnt seien, sich als Knechte zu beugen. Wie jetzt der eine Araber, so hatten früher drei Griechen genügt, eine ganze Schar seiner Landsleute in Gehorsam zu halten. Zahllose Beispiele einer beinahe freudigen Unterwürfigkeit ägyptischer Bauern, Dorfschulzen und Beamten, lauter freigeborener Leute, waren ihm auf den Gütern und im Hofe seines Vaters begegnet. Und hatten nicht auch in Alexandria und Memphis seine Stammgenossen das Joch der Fremden willig ertragen und es sich gefallen lassen, überall und als wären sie von geringerer Art und Herkunft, von den Griechen in den Schatten gedrängt und gedemütigt zu werden, wenn man nur nicht an die Satzungen und spitzfindigen Glaubenslehren ihrer Religion rührte? – In diesem Fall hatte er sie sich erheben und ihr Blut vergießen sehen, aber auch dann nur mit großem Geschrei und viel verheißendem Aufschwung. Schon die erste Niederlage war ihnen verhängnisvoll geworden, und es hatte einer geringen Zahl von waffenkundigen Gegnern bedurft, um ihnen solche zu bereiten.
Für dies Volk, mit ihm und an seiner Spitze Großes gegen einen mächtigen, kühnen Eroberer unternehmen, wäre Wahnwitz gewesen; es blieb ihm nichts übrig als im Dienste des Feindes sein Volk mit zu beherrschen und die beste Kraft einzusetzen, um sein Los erträglicher zu gestalten. So hatte es ja auch seines Vaters weiser und vielerfahrener Geist rätlicher gefunden, seinen Landsleuten als Vermittler zwischen ihnen und den Arabern zu nützen, als den Muslimen an der Spitze der Byzantiner vergeblichen Widerstand zu leisten.
»Elende, verkommene Brut!« murmelte er unwillig vor sich hin und ging mit sich zu Rat, ob er den Garten verlassen und dem übermütigen Araber zeigen solle, daß wenigstens noch ein Aegypter den Mut bewahre, seine Nichtachtung unerträglich zu finden, oder ob er um der guten Sache willen bleiben, seinen Ingrimm in sich fressen und das weitere abwarten solle. Nein, solche Behandlung wollte und durfte er, der Sohn des Mukaukas, nicht dulden! Lieber als Rebell das Leben lassen oder in die weite Welt hinaus wandern und fern von der Heimat ein großes Feld der Thätigkeit suchen, als mit dem Fuß dieser Fremden auf dem freien Nacken...
Mitten in diesen Erwägungen ward er von nahenden Schritten unterbrochen, und wie er sich umschaute, sah er Laternen gerade auf seinen Ruheplatz zuschwanken.
Das mußten Boten des Amr sein, die ihn zu ihrem Herrn geleiten sollten, der dann, deß war er gewärtig, die Gnade haben werde, ihn, müde von der Jagd, auf dem Ruhebett zu empfangen und ihm hochfahrend, wie einem Freigelassenen, mitzuteilen, was er von ihm begehre.
Aber die Nahenden waren keine bloßen Boten, nein, der große Feldherr suchte ihn selbst auf; die Lampenträger sollten nicht ihm, Amr, sondern »dem lieben Sohn seines verstorbenen Freundes« den Weg erleuchten. – Der stolze Stellvertreter des Chalifen war in dieser Stunde der zuvorkommendste Wirt, dem das Gastrecht gebot, dem Mann, dem er die Hand zum Willkommen gereicht, den Aufenthalt unter seinem Dache angenehm zu machen.
In verständlichem Griechisch, das er schon in seiner Jugend, als er eine Karawane nach Alexandria geleitet, erlernt hatte, entschuldigte er sein langes Ausbleiben, sprach er sein Bedauern aus, Orion zu so langem Warten veranlaßt zu haben, tadelte er seine Diener, welche seinen Gast nicht ins Haus geführt und versäumt hatten, ihm Erfrischungen zu reichen. Auf dem Weg durch den Garten legte er den Arm auf die Schulter des Jünglings, erzählte er ihm, daß der Löwe, den er gejagt, obgleich ihn einer seiner Pfeile getroffen, entkommen sei, und fügte dann heiter hinzu, er hoffe, den Verlust wieder gut zu machen und statt des entwischten Raubtieres heute noch ein edleres Wild für sich zu gewinnen.
Dem Jüngling blieb nichts übrig als so ausgesuchte Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern, und das ward ihm leicht gemacht; denn des Feldherrn wohllautende Stimme, aus der ihm ungemachte Herzlichkeit entgegenklang, sowie der natürliche, vornehme Anstand seines Wesens sagten ihm zu, schmeichelten ihm, flößten ihm Zutrauen ein und zogen ihn zu dem älteren Manne hin, der zugleich ein ruhmvoller Held war.
In einem hell erleuchteten, mit kostbaren persischen Teppichen behängten Zimmer forderte Amr seinen Gast auf, an seinem schlichten Jägermahle teilzunehmen und sich die arabische Art gefallen zu lassen, und so nahm Orion auf der einen Seite des Diwans Platz, während auf der andern der Feldherr und sein Wekil Stellvertreter
Obada, ein Goliath mit mohrenschwarzem Gesicht, nach der Sitte ihres Volkes mehr hockten als saßen.
Der dunkle Riese verstand, wie Amr seinem Gaste erklärte, kein Griechisch und warf nur bisweilen eine kurze Bemerkung hin, welche der Feldherr, wenn es ihm angemessen schien, für Orion übersetzte, und diesem gefiel, was der Schwarze dazwischen redete, ebensowenig wie seine ganze Art und Erscheinung.
Das Essen, welches Obada, der in seiner Kindheit ein Sklave gewesen und sich durch eigene Kraft zu seiner hohen Stellung hinaufgearbeitet hatte, roh und gierig verschlang, schien ihn ganz in Anspruch zu nehmen, und doch mußte er, der kein Griechisch verstehen sollte, wie seine Bemerkungen bewiesen, dem Gespräch sehr wohl folgen können. Wenn er von den Schüsseln, welche auf niedrigen Tischchen vor die Speisenden hingestellt wurden, aufsah, um zu reden, verdrehten sich seine großen Augen so, daß man nur das Weiße darin sah; richtete er sie aber auf Orion, so blitzten ihm ihre kleinen schwarzen Sterne mit stechendem, aufdringlichem, wie es ihm vorkam, höchst übelwollendem Glanze entgegen.
Die Gegenwart dieses Mannes, von dessen unfreier Geburt, die dem vornehmen Jüngling verächtlich erschien, von dessen wildem Kriegsmut und großer Klugheit er gehört hatte, beengte ihn, und wenn er auch nicht verstand, was Obada sprach, so lag doch etwas in dem Ton seiner Rede, das ihm das Blut in die Wangen trieb und ihn mehr als einmal veranlaßt, die Zähne zusammen zu beißen.
Je wohlthuender und bestrickender des Feldherrn Rede und Wesen auf den Jüngling wirkten, desto empörender und widerwärtiger erschien ihm sein Stellvertreter, und er fühlte, daß er sich freier und voller ausgesprochen und manche Frage schlagender beantwortet hätte, wenn er mit Amr allein gewesen wäre.
Anfänglich ließ sich der Feldherr von Orions Aufenthalt in Konstantinopel, sowie von seinem Vater erzählen und schien auch großes Gefallen an dem Gehörten zu finden, bis Obada den Jüngling mitten in der Rede unterbrach und eine Frage an seinen Vorgesetzten richtete. Dieser beantwortete sie schnell auf arabisch und gab bald darauf dem Gespräch eine neue Wendung.
Der Wekil hatte zu wissen gewünscht, warum Amr den ägyptischen Milchbart so lange schwatzen lasse, bevor die Hauptsache, um derentwillen er ihn gerufen, erledigt worden sei, und der Feldherr hatte ihm erwidert, daß derjenige sich am besten zu unterhalten meine, dem man am reichsten Gelegenheit biete, sich selbst reden zu hören; übrigens habe der junge Mann sich wohl unterrichtet, und was er erzähle, sei unterhaltend und wichtig.
Während die Muslimen sich des Trinkens völlig enthielten, ward Orion mit vorzüglichem Wein bewirtet, doch er trank wenig, und als Amr endlich auf die Beisetzung seines Vaters zu reden kam, an die Feindseligkeit des Patriarchen erinnerte und hinzufügte, daß er denselben heute Morgen gesprochen und sich gewundert habe, in wie schroffem Gegensatz er zu seinem verstorbenen Glaubensgenossen, der ja früher sein Freund gewesen sein solle, gestanden, ergriff Orion das Wort und setzte dem Feldherrn klar auseinander, welche Gründe den Patriarchen bestimmten, eine so auffallende und weithin sichtbare Feindseligkeit gegen seinen dahingegangenen Vater zur Schau zu tragen. Es liege Benjamin jetzt daran, vor den Augen der übrigen Christenheit frei dazustehen von dem Vorwurf, ein der Religion des Heilands anhängendes Land denen überliefert zu haben, welche die Christen »Ungläubige« hießen, und zu diesem Zweck gehe sein Bestreben jetzt dahin, seinen Vater als denjenigen hinzustellen, den einzig und allein die Schuld treffe, den Muslimen seine Heimat überantwortet zu haben.
»Recht, recht, ich verstehe,« fiel Amr dem Jüngling ins Wort, und als dieser dann mitteilte, daß es wegen des Cäcilienklosters, dessen gutes Recht der Patriarch durch die falsche Deutung eines alten, klaren Dokuments habe umstürzen wollen, zwischen ihm und dem Verstorbenen zum offenen Bruche gekommen, wechselte der Feldherr einen raschen Blick mit dem Wekil und unterbrach dann Orion:
»Doch Du? Bist Du willens, die Schläge geduldig hinzunehmen, zu denen dieser rührige, Dir und Deinem Vater gleich übel gesinnte Greis gegen Dich und das Andenken des würdigen Mukaukas ausholt?«
»Mit nichten,« entgegnen der Jüngling stolz.
»So ist es recht,« rief der Feldherr, »das hab’ ich von Dir erwartet, aber lehre mich die Waffen kennen, mit denen Du, der Christ, dem klugen und mächtigen Manne zu trotzen gedenkst, in dessen Hand ihr das Wohl und Wehe nicht allein eurer Seelen – ich weiß es – auf Gnade und Ungnade gelegt habt.«
»Noch kenn’ ich sie selbst nicht,« entgegnete Orion, und schaute, als er dem höhnischen Blick des Wekils begegnete, zu Boden.
Da erhob sich Amr, trat ihm näher und sagte:
»Du suchst auch vergeblich darnach, junger Freund! Und fändest Du sie, Du könntest sie doch nicht gebrauchen. Es schlägt sich leichter auf ein verlassenes Weib, einen Aal, einen flüchtigen Vogel, als auf diese geschmeidigen, schwachen, unbewaffneten Langröcke, die Liebe und Frieden im Munde führen, ihre Wehrlosigkeit und körperliche Ohnmacht als Schild gebrauchen und mit unsichtbaren vergifteten Pfeilen jeden treffen, auf den sie es absehen; und zu denen gehörst Du in erster Reihe, Sohn des Mukaukas; ich weiß es und rate Dir, Dich zu hüten! Liegt es Dir dagegen wirklich am Herzen, die dem Andenken Deines Vaters zugefügte Schmach männlich zu rächen, so kannst Du schnell zum Ziel gelangen; allerdings nur unter einer Bedingung.«
»Zeige sie mir!« rief Orion, und sein Auge flammte feurig auf.
»Kurz denn: Werde der Unsere!«
»Deswegen bin ich gekommen. Mein Geist und mein Arm sollen von heut an den Beherrschern meiner Heimat, euch, Dir, unserem gemeinsamen Gebieter, dem Chalifen gehören.«
» Ja salâm! Bravo. – Recht so!« rief Amr und legte Orion die Hand auf die Schulter. »Es gibt keinen Gott außer Gott, und der eure ist der unsere; denn er hat neben sich keinen zweiten. Du wirst wenig aufzugeben haben als gläubiger Muslim; denn euren Herrn Jesus Christus zählen auch wir zu den Bekennern, und daß der letzte und höchste unter ihnen Muhammed ist, der wahre Prophet Gottes, unser Herr Muhammed, das mußt Du, muß jeder erkennen, der sich nicht geflissentlich vor den Ereignissen blendet, die unter seiner Führung und in seinem Namen geschehen sind. Dein eigener Vater hat zugegeben...«
»Mein Vater?«
»Er hat zugeben müssen, daß wir feuriger, ernster, tiefer von unserem Glauben ergriffen sind als ihr, als seine eigenen Bekenntnisgenossen.«
»Ich weiß es.«
»Und als ich ihm erzählte, ich habe geboten, in unserer neuen Moschee das Pult für den Koranvorleser zu beseitigen, weil der, sobald er es besteige, die anderen Beter überrage, hat die Freude darüber den müden Mann aufgeschüttelt und ihn zu einem lauten Ruf des Beifalls bewogen. Wir Muslimen – das hatte mein Befehl zu bedeuten – wollen alle gleich sein vor dem ewigen, allmächtigen, barmherzigen Gott; der Leiter des Gebetes soll sich über die anderen auch nicht um eines Kopfes Länge erheben, und die Lehre des Propheten zeigt jedem den Weg zu den Freuden des Paradieses; wir brauchen, um es zu finden, keinen menschlichen Führer. Unser Glaube, unser Wille zum Guten, unsere Thaten, kein Schlüssel in der Hand eines Priesters, öffnen oder verschließen uns den Himmel. Als der unsere vergällt Dir kein Benjamin die Freuden der Erde, kann Dir und Deinem Vater kein Patriarch das Anrecht auf die Seligkeit schmälern. Du hast gut gewählt, Jüngling! Deine Hand, mein neuer Bekenner!«
Damit hielt er Orion in freudiger Bewegung die Rechte hin, doch der schlug nicht ein, sondern trat zurück und sagte befangen:
»Versteh mich nicht falsch, großer Feldherr. Da ist meine Hand, und ich kenne keine höhere Ehre als sie in die Deine zu legen, das Schwert auf Deinen Befehl damit zu schwingen, sie müde zu schaffen in Deinem Dienst und dem meines Herrn, des Chalifen; aber meinem Glauben darf ich die Treue nicht brechen!«
»So laß Dich, laßt euch von Benjamin zertreten!« rief ihm Amr enttäuscht und unwillig entgegen, schwang den Arm mit einer wegwerfenden Bewegung und wandte sich dem Wekil zu, um ihm auf einen höhnischen Ausruf achselzuckend Antwort zu geben.
Orion blickte stumm und unschlüssig auf die beiden; doch rasch gesammelt, rief er im Ton bescheidener, aber dringender Bitte:
»Höre mich, Herr, und wolle nicht zurückweisen, was ich zu bieten vermag! Was brächte mir der Uebertritt zu euch anderes als Vorteil, und doch widersteh’ ich der großen Versuchung, aber dafür werd’ ich wie meinem Glauben so auch euch Treue zu halten verstehen.«
»Bis der Priester Dich zwingt, sie zu brechen,« fiel ihm der Muslim unwirsch ins Wort.
»Nein, nein!« rief Orion. »Ich weiß, daß Benjamin mein Feind ist; doch ich habe einen teuren Vater verloren und glaube an ein Wiedersehen im Jenseits.«
»Ich auch!« versetzte der Muslim, »und es gibt nur ein Paradies und eine Hölle, wie es nur einen Gott gibt.«
»Woher nimmst Du diese Gewißheit?«
»Aus meinem Glauben!«
»Dann vergib mir, wenn ich mich an den meinen halte und meinen Vater in jenem Himmel wiederzusehen hoffe...«
»Der, wie ihr Thoren wähnt, keine Seelen als die euren aufnimmt! Und stünde er nun ganz allein dem unsterblichen Teile der Muslimen offen und bliebe dem der Christen verschlossen? Was wißt ihr denn von dem Paradiese? Ich kenne eure heiligen Schriften; steht es darin beschrieben? Unsern Propheten dagegen hat der allgütige Gott hineinschauen lassen, und was ihm da zu erblicken vergönnt war, hat er so geschildert, als habe ihm der Höchste selbst das Schreiberohr geführt. Der Muslim weiß, was sein Himmel ihm bietet... Ihr, ihr – eure Hölle, die kennt ihr: euren Priestern fließt das Fluchen schneller als das Segnen vom Munde! Wer von ihren Lehren nur um ein Haar breit abweicht, den stoßen sie flugs an den Ort der Verdammten: mich, die Meinen, die griechischen Christen und ihnen allen voran – glaube mir’s, Jüngling – Deinen Vater und Dich!«
»Wüßt’ ich nur, daß ich ihn dort fände!« unterbrach ihn Orion und schlug sich an die Brust. »Es sollte mich wahrlich nicht schrecken, ihm nachzufolgen. Ihn wiederfinden, wiedersehen muß ich, und wär’s in der Hölle!«
Bei diesen Worten brach der Wekil in ein lautes Gelächter aus, und als der Feldherr ihm dies unmutig verwies, widersprach ihm der andere, und nun entspann sich zwischen beiden ein lebhafter Wortwechsel.
Der Hohn des Schwarzen hatte Orions Zorn erregt, und alles, was in ihm war, trieb und drängte ihn, den frechen Widersacher zum Schweigen zu bringen; doch er hielt mit dem Aufgebot seiner ganzen Willenskraft an sich, bis Amr sich ihm wiederum zuwandte und in überlegenem Ton, aber nicht unfreundlich sagte:
»Dieser scharfsichtige Mann bestätigt eine Vermutung, die mir selbst aufgestiegen. Ein junger, weltlich gesinnter Christ Deiner Gattung gibt Glück und Wohlsein auf Erden nicht leicht für die ungewissen Freuden eures Paradieses preis, und wenn Du es doch thust und alles, was dem Mann das Teuerste sein muß: Ehre, zeitlichen Besitz, ein weites Tätigkeitsfeld und Rache an Deinen Feinden von Dir weisest, um der Seele eines Verstorbenen im Jenseits wieder zu begegnen, so müssen besondere Gründe dahinter stecken. Suche Dich zu beruhigen und glaube meiner Versicherung, daß Du mir wohlgefällst und in mir einen eifrigen Gönner, einen verschwiegenen Freund finden wirst, wenn Du mir offen und wahr die Beweggründe Deines Verhaltens darlegst. Es liegt mir selbst daran, unsere Begegnung zu einer für beide Teile fruchtbringenden zu machen. Fasse also Zutrauen zu dem älteren Manne, der Deinem Vater ein Freund war, und rede!«
»In Gegenwart dieses Mannes unter keiner Bedingung!« versetzte Orion mit bebender Stimme. »Er, der kein Griechisch verstehen soll, folgt jedem meiner Worte mit hämischen Blicken, ja er hat es gewagt, mich zu verlachen, er...«
»Er ist so klug wie tapfer und mein Wekil,« fiel ihm Amr zurechtweisend ins Wort. »Du hast ihm zu gehorchen, wenn Du der unsere sein wirst, und – vergiß das nicht, junger Mann, – ich habe Dich rufen lassen, um Dir Bedingungen zu stellen, nicht um mir solche vorschreiben zu lassen. Ich schenke Dir Gehör als Herr dieses Landes, als Vertreter Omars, Deines und meines Chalifen.«
»So bitte ich Dich, mich zu entlassen; denn vor diesem da bleiben mir Herz und Lippen verschlossen: ich fühle, daß er mein Feind ist.«
»Hüte Dich, daß er es werde!« rief der Feldherr, während Obada geringschätzend die Achseln zuckte.
Orion verstand seine Geste, aber obgleich es ihm auch diesesmal gelang, an sich zu halten, fühlte er sich doch seiner selbst nicht mehr sicher, und so verneigte er sich, ohne des Wekils zu achten, ehrerbietig und tief vor dem Statthalter und bat ihn, ihn für heut zu entlassen.
Amr, dem das Verhalten Obadas nicht entgangen war und feinfühlig nachempfand, was in dem Jüngling vorging, hielt ihn zwar nicht zurück, änderte aber sein Benehmen und zeigte sich wieder als zuvorkommender Wirt, ja er lud seinen Gast ein, da es spät geworden, die Nacht unter seinem Dach zu verbringen. Doch Orion lehnte seine Einladung höflich ab, und als er sich endlich entfernte – wiederum ohne den Wekil eines Blickes zu würdigen – begleitete ihn Amr in den Vorsaal.
Hier faßte er des Jünglings Hand und rief ihm leise, doch voll aufrichtiger, väterlicher Teilnahme warnend zu:
»Hüte Dich vor dem Schwarzen, dem Du mannhaft, aber unklug gezeigt hast, daß Du ihn durchschaust. Was mich betrifft, so will ich wahrlich Dein Bestes.«
»Ich glaub’ es, ich weiß es,« versetzte Orion, dessen gereizte Seele der warme Brustton des edlen Arabers wohlthätig wie Balsam berührte, »und nun wir allein sind, vertrau’ ich Dir gern: Ich, Herr, ich – mein Vater – Du hast ihn gekannt. In bitterem Groll ist er – hat er seinem einzigen Sohne, bevor er die Augen schloß, den Segen entzogen.«
Hier versagte ihm in der Erinnerung an die furchtbarste Stunde seines Lebens auf wenige Augenblicke die Stimme; doch bald fuhr er fort: »Eine einzige That frevelhaften Leichtsinnes hatte den Sterbenden empört; doch in Leid und Reue dachte ich nach über mein vergangenes Leben und fand, daß es unnütz gewesen, und wenn ich nun mit vollem Herzen und in froher Erwartung hieher kam, um Dir alles, was ich an Geist und Gaben besitze, anzubieten, so geschah es, Herr, weil ich große, hohe, schwere, muß es sein, unmögliche Thaten zu verrichten, weil ich zu schaffen, thätig zu sein wünsche...«
Da unterbrach ihn Amr und rief, während er den nervigen Arm auf des Jünglings Schultern legte:
»Und weil Du der Seele des verstorbenen Vaters, des rechtschaffenen Mannes, zeigen willst, daß Du durch einen leichtfertigen Jugendstreich doch nicht unwert geworden bist seines Segens, weil Du sie durch wackere Handlungen zwingen willst, den Groll in Billigung, die Mißachtung in Achtung zu verwandeln...«
»Ja, ja, ja, darum, Herr, ebendarum,« fiel Orion mit hoch aufloderndem Enthusiasmus dem Feldherrn ins Wort; der aber winkte ihm, als gelte es, einem Lauscher das Spiel zu verderben, lebhaft zu, die Stimme zu dämpfen, und raunte ihm hastig, aber voll warmen Wohlwollens zu:
»Und ich, ich bin Dein Helfer bei diesem löblichen Streben. O, wie erinnerst Du mich an den Sohn meines Herzens, der gefehlt hatte wie Du, und dem es vergönnt ward, alles, mehr als alles auf dem Schlachtfelde durch den Tod, den Heldentod für seinen Glauben zu sühnen! Baue auf mich und laß das, was Du Dir vorsetztest, That werden. In mir hast Du einen Helfer gefunden. Geh jetzt! Du wirst in nächster Zeit von mir hören. Noch einmal: Reize den Schwarzen nicht, hüte Dich vor ihm, und wenn Du ihm wieder begegnest, so bändige Deinen Stolz, und gib Dir das Ansehen, als sei er Dir noch nirgends begegnet.«
Dabei schaute er Orion wehmütig an, als erwecke sein Anblick in seiner Seele ein teures Bild, küßte ihm die Stirn, und sobald der Jüngling den Vorsaal verlassen, schob er den schweren Vorhang schnell zurück, der ihn vom Speisesaal trennte. – Wenige Schritte hinter ihm fand er den Wekil, der sich mit dem Schwertgehänge an seiner Seite zu schaffen machte, und rief ihm wegwerfend entgegen:
»Gelauscht! Mann des Geistes, Mann der That, Held in der Schlacht und im Rat, Löwe, Schlange und Kröte zugleich; wann wirst Du endlich aus Deiner Seele reißen, was erbärmlich und klein ist? Sei, was Du geworden, nicht, was Du gewesen, und erinnere denjenigen, der Dich groß gemacht hat, nicht täglich, daß Dich eine Sklavin geboren!«
»Herr!« knirschte der Gescholtene, und das Weiß seiner rollenden Augen hob sich unheimlich ab von dem dunklen Gesucht; aber Amr schnitt ihm das Wort vom Munde und fuhr unbeirrt und streng verweisend fort:
»Du hast Dich gegen diesen edlen Jüngling wie ein Narr, wie ein Spaßmacher auf dem Jahrmarkt, wie ein Unsinniger betragen.«
»In die Hölle mit ihm!« rief Obada. »Ich hasse den goldenen Glückspilz!«
»Neidhart! Reize ihn nicht! Die Dinge wechseln, und es kann der Tag kommen, an dem Du Grund hast, ihn zu fürchten!«
»Ihn?« schrie der andere. »Wie eine Mücke zerdrück’ ich die Puppe. Er soll es erleben!«
»Erst Du, und dann er!« drohte Amr. »Er ist der Wichtigere für uns von euch beiden, er, der Glückspilz, die Puppe! Hast Du’s gehört? Hast Du’s verstanden? Das Haar, das Du ihm krümmst, kostet Dich Nase und Ohren! Vergiß keine Stunde, daß Du nur lebst – mit Unrecht lebst – weil zwei Lippenpaare bis jetzt geschlossen blieben! Du kennst sie. Der findige Kopf da bleibt nur so lange auf Deinem Halse, wie es ihnen gefällt. Halt ihn fest, Mann; Du hast nur einen aufs Spiel zu setzen! Es that not, mein Herr Wekil, Dich wieder einmal daran zu erinnern!«
Der Schwarze stöhnte bei diesen Worten wie ein verwundetes Tier und stieß mühsam die dumpfen Worte hervor: »So lohnt man geleistete Dienste, so dankt um eines Christenhundes willen der Muslim dem Muslim!«
»Dank, mehr als genug, hast Du empfangen,« versetzte Amr in ruhigerem Tone. »Du weißt, was Du gelobt, eh’ ich Dich, Räuber, um Deines Kopfes und Schwertes willen zu meinem Wekil erhoben, was ich vergessen mußte, bevor ich es that, nicht um Deinet-, sondern um der großen Sache des Islam willen, und verlangt Dich zu bleiben, was Du bist, so opfere ihr Deine wilden Gelüste! Vermagst Du es nicht, so schicke ich Dich lieber heute als morgen zum Heer, treibst Du es zu arg, gebunden und mit dem Todesurteil im Gürtel nach Medina zurück.«
Bei diesen Worten stieß der Schwarze dumpfe Laute hervor; doch der Feldherr fuhr unbeirrt fort:
»Warum Du diesen Jüngling hassest? Ein Kind kann es durchschauen. In des Mukaukas Georg Sohn und Erben siehst Du den künftigen Mukaukas, während Du den wahnsinnigen Wunsch in Dir groß ziehst, selbst der Mukaukas zu werden.«
»Und warum sollte dieser Wunsch wahnsinnig sein?« kreischte der andere mit heiserer Stimme. »Dich beiseite – wer ist hier klüger oder stärker als ich?«
»Vielleicht kein Muslim; doch ein Aegypter, ein Christ, nicht Du oder ein anderer Bekenner wird dem Verstorbenen im Amte folgen; so verlangt es die Weisheit, so lautet der Befehl des Chalifen.«
»Und er gebietet auch, dem lockigen Affen seine Millionen zu lassen?«
»Nach denen verlangt Dich, gieriger Nimmersatt, nach denen? Drückt Dich noch nicht schwer genug, was Du durch Habsucht verschuldet? Gold, immer mehr Gold, das ist das Ziel, das ekle Ziel Deiner Wünsche! Ein fetter Bissen, des Mukaukas liegende Gründe, seine Goldtalente, Edelsteine, Sklaven und Rosse; ich finde es auch; doch, Gott dem Barmherzigen sei Dank, wir sind keine Diebe und Räuber.«
»Wer hat dem Aegypter Petrus seine versteckten Millionen unter dem Wasserbehälter hervorgeholt und ihn selbst ins Gras beißen lassen?«
»Ich, ich! Aber nur – Du weißt es – um sie nach Medina zu senden. Petrus hatte sie vor uns versteckt, ehe wir ihn hinrichteten; der Mukaukas und sein Sohn haben angegeben bis auf den Dinar und die Hufe Landes, was sie besitzen; die Steuer ward von ihnen richtig bezahlt, und somit gehört ihnen das Ihre, wie nur und Dir unser Schwert, unser Roß, unser Weib. Wozu Deine nimmersatte Seele Dich immer antreibt – die Hand von dem Dolchgriff! – Kein Kupferstück von denen da drüben fällt in Deinen hungrigen Rachen, so wahr der Allmächtige mir helfe! Keinen bösen Blick wirfst Du wieder auf den Sohn des Mukaukas! Setze meine Geduld nicht zu hart auf die Probe, Mann, sonst – fasse Dir nur an den Kopf! – sonst hast Du ihn bald vor den Füßen zu suchen, und was ich da sage, hab’ ich gesagt! Gute Nacht für heute! Morgen früh setzest Du im Diwan auseinander, was Du für die neue Landeseinteilung geplant hast; mir will es im Ganzen und Einzelnen nicht recht gefallen, und ich werde noch andere Entwürfe ausarbeiten lassen.«
Damit wandte der Feldherr dem Wekil den Rücken und sobald sich die Thür hinter jenem geschlossen, erhob Obada die Fäuste, drohte seinem Herrn und Bändiger, der bis dahin verschwiegen hatte, daß er von einer Sendung Gold, die Amr ihm nach Medina zu geleiten befohlen, einen Teil unterschlagen, wütend nach und rannte dann röchelnd und schnaufend auf und nieder, bis Sklaven kamen, um das Geschirr abzuräumen.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
In der mond– und sternhellen Nacht begab sich Orion auf den Heimweg. Er hielt das Haupt hoch aufrecht, und so froh und hoffnungsvoll wie bei diesem Ritte hatte er sich seit der Wasserfahrt mit Paula nicht gefühlt.
Jenseits der Schiffsbrücke wandte er das Roß nicht sogleich der Statthalterei zu; die frische Nachtluft that ihm so wohl, das Herz war ihm so weit, daß er die Enge des Zimmers scheute. Neu belebt, wie entlastet ritt er in raschem Trabe auf das Haus zu, welches die Geliebte beherbergte, und er stellte sich vor, wie freudig sie die Nachricht, daß er in Amr einen Förderer seiner Pläne, ja vielleicht einen väterlichen Freund gefunden, aufnehmen werde.
Der Feldherr, dessen edles Wesen, dessen Geist und Gerechtigkeit sein Vater hochgeschätzt hatte, war auch ihm wie das Ideal edler Männlichkeit erschienen, und wenn er ihn mit den vornehmen Beamten und Truppenführern verglich, die er am byzantinischen Hofe gesehen, mußte er lächeln. Sie verhielten sich alle zu diesem würdigen und dabei doch lebensvollen und warmherzigen Manne wie die alten, steifen Götterbilder seiner Vorfahren zu den frei gebildeten Gestalten der griechischen Kunst.
Jetzt segnete er das Andenken seines Vaters, der seine Heimat von der Herrschaft dieser entarteten Brut befreit hatte. Heute, das wußte er, würde der Verstorbene, dessen Bildnis wie lebend vor seiner Seele stand, mit ihm zufrieden sein, und das verlieh ihm eine Glücksempfindung, die er festhalten und durch sein ganzes künftiges Thun und Denken steigern wollte. »Das Leben ein Amt, ein Dienst, eine Verpflichtung,« dies Losungswort aus dem teuersten Munde sollte ihn auf dem neuen Weg erhalten, und wie hoffte er, seiner selbst gewiß, bald auf männliche Thaten blicken zu können, die ihm vor sich selbst das Recht verliehen, des edelsten Weibes Geschick an das seine zu knüpfen!
Von solchen Gedanken erfüllt, hatte er sich dem Hause des Rufinus genähert. Im obern Stocke desselben waren die Fenster des Eckzimmers erhellt, von denen zwei auf die Nilstraße und den Strom hinausschauten. Er wußte nicht, welche Räume Paula bewohnte, aber er schaute doch mit der unbestimmten Ahnung, daß dieses späte Licht ihr leuchte, nach oben, und die weibliche Gestalt, welche jetzt in der hellen Fensteröffnung erschien, lehrte ihn, daß er sich nicht getäuscht habe; denn er erkannte in ihr Paulas Amme Perpetua. Der Hufschlag hatte die Neugierige ans Fenster gerufen, aber sie schien ihn im matten Licht der sternhellen Nacht nicht zu erkennen.
In langsamem Schritt ritt er weiter, und als er bald darauf umkehrte und in der Hoffnung, diesmal die Geliebte am Fenster zu finden, aufwärts schaute, fand er es leer; doch bemerkte er einen langen dunklen Schatten, der sich von der einen Seite des Zimmers nach der andern bewegte, und der weder der Amme noch ihrer schlanken Gebieterin angehören konnte. Es mußte der eines ungewöhnlich hochgewachsenen Mannes sein, und wie er anhielt und, diesmal beunruhigt und von peinlichen Empfindungen beherrscht, wiederum in die Höhe blickte, erkannte er deutlich den Arzt Philippus.
Mitternacht war vorüber. Wie sollte er sich erklären, daß Paula zu dieser Stunde ihn empfing?
War sie erkrankt?
War dies Zimmer doch nicht das ihre?
Befand sich die Amme nur zufällig mit ihr und dem Arzt in einem Wohnraum des Rufinus?
Aber nein!
Die Frau, welche jetzt an dem Fenster vorbei und mit ausgestreckter Hand gerade auf den Schatten des Mannes losging, war des Thomas Tochter und keine andere!
Das Herz schlug ihm längst schneller, und eine Besorgnis, welche seine Eitelkeit bis dahin nicht hatte aufkommen lassen, obgleich er schon mehrmals Zeuge des freundlichen Einvernehmens gewesen, welches zwischen Paula und dem Arzte herrschte, begann ihn zu ergreifen.
Vielleicht hatten doch mehr als Freundschaft und harmloses Zutrauen das Mädchen veranlaßt, den Schutz und die Dienste dieses Mannes so rückhaltlos in Anspruch zu nehmen. Konnte er Paulas Herz, ihre Liebe gewonnen haben?
War das möglich?
Und warum denn nicht?
Was gab es an Philippus auszusetzen als sein unschönes Gesicht und seine niedrige Geburt? Aber wie viele Frauenherzen hatte er sich über ganz andere Dinge hinwegsetzen sehen! Der Arzt war kaum fünf Jahre älter als er, und wie Orion sich die Blicke vergegenwärtigte, mit denen jener Paula heute morgen angeschaut hatte, wuchs seine Unruhe.
Philippus liebte Paula!
Ein kleiner Umstand, der ihm plötzlich einfiel, genügte dem in solchen Dingen nur zu wohl Erfahrenen, dies für gewiß anzusehen. Schon gestern war es ihm aufgefallen, daß Philippus sich seit dem Tode seines Vaters, das heißt seit Paulas Uebersiedlung in das Haus des Rufinus, viel sorgfältiger gekleidet hatte als früher. »Dergleichen Verwandlungen,« dachte er, »nimmt ein so ernster Mann nicht mit sich vor, wenn ihn nicht Liebe dazu veranlaßt.«
Ein quälendes Gemisch von Angst und Zorn überfiel ihn, wie er wiederum den langen Schatten am Fenster erscheinen sah.
Zum erstenmal in seinem Leben fühlte er die Qual der Eifersucht, welche er an Freunden oft genug belächelt hatte; doch war es nicht thöricht, sich von ihr martern zu lassen; durfte er nicht seit heute morgen sicher auf die Geliebte bauen? Und dieser Philippus! Wenn er, Orion, vor einem höheren Richter auch hinter ihm zurücktreten mußte, vor einem Frauenherzen war er ihm gewiß überlegen! Und trotz alledem peinigte es ihn, den Arzt zu dieser Stunde bei Paula zu wissen, und unwillig riß er das Roß herum, und es gereichte ihm zur Lust, daß das edle, feurige Tier der ungewohnten rohen Lenkung Widerstand leistete und hundert Schritte hinter den verwünschten erleuchteten Fenstern die ganze Tücke und Aufsässigkeit wiederfand, welche man ihm als Fohlen ausgetrieben hatte. Orion mußte einen förmlichen Kampf mit dem Hengst bestehen, und es that ihm gut, ihm mit Zaum und Schenkel seine Uebermacht zu zeigen. Wohl drehte sich der Hengst im Kreise herum, wohl stieg er mit ihm in die Höhe; aber der kräftige Reiter ward seiner Herr, und nachdem er ihn zum Stillstehen und Gehorsam gezwungen, klopfte er ihm den glatten Hals und schaute sich aufatmend um.
Neben ihm ragten über die niedrige Hecke hinaus die dichten, dunklen Laubgruppen des Gartens der Witwe Susanna, und hinter ihnen schimmerte aus der der Nilstraße zugewandten Rückseite ihres Hauses noch helleres Licht als aus Paulas Wohnung. Von drei Fenstern her strahlte es in den Garten, aus zweien drang nur matter Schimmer, vielleicht das Licht einer einzelnen Lampe.
Das alles konnte ihm gleichgültig sein, indessen blieb sein Blick dennoch an dem Dach des Säulenganges haften, der sich unter dem oberen Stockwerk hinzog; denn auf demselben stand, dicht an den Rahmen des einen der erleuchteten Fenster geschmiegt, eine kleine Frauengestalt, die den Kopf beim Horchen so weit vorgestreckt hielt, daß das Licht durch die Locken schimmerte, die es umwallten.
Katharina belauschte das Gespräch, das der Patriarch Benjamin, dessen bärtigen Apostelkopf Orion wohl erkennen konnte, mit dem Presbyter Johannes führte, einem kleinen, unscheinbaren Mann, dem Orions Vater indessen das Zeugnis gegeben, daß er den alten Bischof Plotin an Geist und Thatkraft hoch überrage.
Es wäre dem Jüngling ein leichtes gewesen, jeder Bewegung Katharinas zu folgen, doch hielt er es nicht der Mühe wert. Dennoch trat ihm beim Weiterreiten des Bachstelzchens Bild vor das innere Auge; aber es blieb nicht allein; denn das der Geliebten stellte sich sogleich daneben hin, und je kleiner ihm jenes erschien, zu desto herrlicherer Größe wuchs dieses heran. Jedes Wort, das er heute früh von Paulas Lippen vernommen, eilte ihm wieder ins Gedächtnis zurück, und die schöne, lebendige Erinnerung verdrängte jede Besorgnis. Das Weib, welches sich noch diesen Morgen bereit erklärt hatte, mit ihm zu hoffen, ihm alles zu glauben, seinen Schutz anzunehmen, die hohe Jungfrau, der er gern gestattet, die Ziele seines künftigen Lebens mit ihm ins Auge zu fassen, deren reiner Blick seine Leidenschaft, sein Ungestüm wie mit Zaubermacht in Schranken gehalten und ihm dennoch das Recht eingeräumt, nach ihrem Besitz zu streben, das stolze Heldenkind, welches sein Vater gern als Tochter ans Herz geschlossen hätte, war es möglich, daß sie ihn wie eine gefallsüchtige Hauptstadtschöne hinterging? Konnte sie je ihrer Frauenwürde vergessen?
Nein, tausendmal nein!
An ihr zweifeln, hieß sie beleidigen, war ein Unrecht gegen sie und sich selbst.
Der Arzt liebte sie, doch was sie auch veranlaßte, ihn so spät zu empfangen, eine andere als freundschaftliche Neigung war es gewiß nicht. Schande über ihn, wenn er dem niedrigen Verdacht von vorhin noch einmal Raum gab in seiner Seele!
Wie erlöst atmete er auf, und nun erschien sein Diener, der bei der Zahlung des Brückenzolls aufgehalten worden war. Sogleich sprang er ab und befahl ihm, das Pferd nach Hause zu führen; denn es verlangte ihn, zu Fuß und durch nichts gestört seinen Gedanken nachzuhängen. Bald wandelte er denn auch sinnend unter den Sykomoren hin, und noch war er nicht weit gekommen, als er auf der andern Seite des menschenleeren Verkehrsweges lange und schnelle Schritte nahen und endlich hinter sich her und an sich vorbeieilen hörte.
Ein Blick hinüber ließ ihn in dem nächtlichen Wanderer den Arzt Philippus erkennen, und er freute sich dieser Begegnung; denn sie lehrte ihn, wie thöricht und schmählich seine Zweifel gewesen, wie wenig Grund er habe, in dem Arzt einen Nebenbuhler zu sehen; denn der Mann da drüben sah nicht wie ein Glücklicher aus! Mit gesenktem Kopf, wie von einer Last niedergebeugt, eilte er vorwärts, und jetzt faßte er sich gar wie ein Verzweifelnder an die Stirn.
Nein, hinter diesem schnellen nächtlichen Wanderer lag keine selige Stunde, und wenn sein Verhalten etwas herausforderte, war es nicht Neid, sondern Mitleid.
Der Arzt bemerkte ihn nicht; denn tief in sich gekehrt eilte er weiter und stöhnte dabei dumpf und schmerzlich auf. Für wenige Minuten kehrte er in einem Hause ein, aus dem laute Klagerufe schollen, und als er den Weg fortsetzte, schüttelte er von Zeit zu Zeit den Kopf wie einer, der mancherlei vor seinen Augen sich abspielen sieht, wofür das Verständnis ihm mangelt.
Das Ziel seiner Wanderung war ein großes, palastähnliches Gebäude. Sein Bewurf war zum Teil abgefallen, und in seinem oberen Stockwerk hatten sich die Fenster zu großen, an den Seiten ausgebrochenen Oeffnungen erweitert. Vormals hatte dies Haus die Finanzbehörden der Stadt und des Kreises beherbergt und seine unteren Räume waren für den Ideologen, den obersten Beamten dieses Verwaltungszweiges, welcher gewöhnlich in Alexandria residirte, aber sich bei seinen Inspektionsreisen oft wochenlang in Memphis aufhielt, schicklich und bequem eingerichtet gewesen. Doch die Araber hatten die Leitung der Finanzen des ganzen Landes nach der neuen Hauptstadt Fostat jenseits des Stromes verlegt, und die des herunterkommenden Ortes war mit der Statthalterei verbunden worden. Der Senat von Memphis hatte es zu kostbar gefunden, das große Bauwerk abzutragen, und war froh gewesen, für die unteren Räume in dem Arzt Philippus und dem Aegypter Horus Apollon Mieter zu finden.
Beide Gelehrte wohnten zwar in besonderen Räumen, doch standen dieselben Sklaven dem gemeinsamen Hauswesen vor und hatten auch dem Gehilfen des Philippus, einem bescheidenen und wohlunterrichteten Alexandriner, Dienste zu leisten.
Als der Arzt den hohen und weiten Arbeitssaal seines greisen Freundes betrat, war dieser noch wach und saß hinter einer großen Zahl von ausgebreiteten Schriftrollen so ganz vertieft in die Arbeit, daß er den spät Heimkehrenden erst flüchtig bemerkte, als ihm dieser den Abendgruß zurief. Die Antwort darauf bestand nur aus einem undeutlichen Gemurmel, und noch mehrere Minuten später blieb der Alte tief in seine Schriften versenkt; endlich aber wandte er Philippus das Antlitz zu und warf dabei das Elfenbeinstäbchen, womit er die Papyrusrollen auseinanderlegte und glättete, ungeduldig auf den Tisch, und sogleich begann sich unter demselben eine dunkle Masse, der längst entschlummerte Sklave des Greises, zu regen.
Die drei Lampen auf dem Schreibtisch setzten den Alten und seine Umgebung in helles Licht, während der Arzt, der sich auf ein Polster im Hintergrunde des großen Raumes niedergeworfen, im Dunkeln verblieb.
Was den nächtlichen Arbeiter aufschreckte, war das ungewohnte Schweigen des Heimgekehrten: es störte ihn wie den Mühlenbewohner der Stillstand der klappernden Räder. Jetzt blickte er erstaunt und fragend nach dem Freunde hin, doch dieser blieb stumm, und nun wandte der Alte sich wieder seinen Schriftrollen zu. Dennoch mußte er um die nötige Sammlung gekommen sein; denn seine bräunliche Hand, auf der die Adern wie blaue Stricke und Fäden lagen, schob bald die Rolle, bald den Elfenbeinstab hin und her, und sein eingefallener Mund, der vorher fest geschlossen gewesen, blieb in steter Bewegung.
Die ganze Erscheinung dieses Mannes bot einen seltsamen, wenig erfreulichen Anblick; denn seine hagere, bräunliche Gestalt war vom Alter gebeugt, sein echt ägyptisches Gesicht mit den breiten Backenknochen und hochstehenden Ohren gefurcht und faltig wie Eichenrinde, sein Schädel hatte das letzte Haar verloren, und sein Antlitz war zwar frisch rasirt, doch wuchsen an Stelle des Bartes, wie Gesträuch, das aus dem engen Bette eines Baches hervorlugt, graue Haarstreifen, die in den tiefen Falten an Kinn und Wangen wurzelten; das fleißige Schermesser hatte ihnen dort nicht beikommen können, und sie gaben dem ganzen Gesicht ein unordentliches, ungepflegtes Ansehen. Dem entsprach auch die Kleidung des Greises, wenn der linnene Schurz und das weiße Tuch, welches seit dem Untergang der Sonne über seinen nackten Schultern hing, überhaupt diesen Namen verdiente, und doch würde ihn auf der Straße niemand für einen Bettler gehalten haben; denn das Linnen, welches er trug, war fein und schneeweiß, und aus seinen weit hervorquellenden Augen, über denen gerade in der Mitte kleine, aber lange, borstige Brauenbündel wunderlich aufschossen, leuchtete und blitzte ein heller Geist, starkes Selbstbewußtsein und eine abweisende Härte, die dem Almosenempfänger ebensowenig zugekommen wäre wie der energische, oft höhnische Zug, welcher an dem Munde dieses Mannes eine Heimstätte gefunden. Nichts Liebenswürdiges, nichts Gefälliges und Weiches lag in den Zügen dieses alten Menschen, und wer sein Leben kannte, durfte sich nicht wundern, daß die Jahre nicht vermocht hatten, seine Schroffheit und herbe Widerstandslust zu schmelzen oder sie gar in jene freundliche Nachsicht zu verwandeln, in deren Uebung das Alter, das so oft gestrauchelt ist und so viel fallen gesehen hat, sich häufig gefällt.
Er war vor achtzig Jahren auf der schönen Nilinsel Philae, jenseits des Katarakts im Bezirk des Isistempels, geboren, bei dem einzigen ägyptischen Heiligtum, worin heidnische Dienste bis in die Knabenzeit des Horus, und noch dazu öffentlich, geübt werden konnten. Seit dem großen Theodosius hatte ein Kaiser, ein Praefectus Augustalis nach dem andern Fußgänger und Reiter den Katarakt überschreiten lassen, um der Abgötterei auf der lieblichen Nilinsel ein Ende zu machen; aber sie alle waren von den tapferen Blemmyern, welche in dem Wüstenlande zwischen dem Strom und dem Roten Meere hausten, zum Rückzug gezwungen oder vernichtet worden, denn dies unruhige Wandervolk erkannte die Isis von Philae als seine Schutzgöttin an und infolge eines alten Vertrages wurde das Bild ihrer Patronin von ihrer Priesterschaft alljährlich in feierlichem Aufzug den Blemmyern zugeführt und durfte auch einige Wochen in ihrer Mitte verweilen.
Des Greises Vater war der letzte Horoskop und sein Großvater der letzte Oberpriester der Isis von Philae gewesen. Seine Knabenzeit hatte er noch auf dem Eilande der Göttin verlebt, dann aber war es einer kaiserlichen Legion gelungen, die Blemmyer zu schlagen, die Insel zu umzingeln und das Heiligtum auszuplündern und zu schließen. Die Isispriester entkamen den byzantinischen Häschern, und Horus Apollon hatte seine ganze Jugend mit Vater, Großvater und zwei jüngeren Schwestern auf der Flucht zugebracht, überall von schweren Gefahren bedroht. Haß gegen die Verfolger, die frevelhaften Verächter und Vernichter des Glaubens seiner Väter, war die Kost gewesen, mit der man sein jugendliches Gemüt genährt hatte, und dieser Haß sollte sich bis zur bittersten Unversöhnlichkeit steigern, nachdem zu Antiochia die Seinen von den kaiserlichen Soldaten überfallen und sein Großvater nebst seinen beiden unschuldigen Schwestern niedergemacht worden waren. Auf Anstiften des Bischofs, welcher in der fremden Familie ägyptische Götzendiener erkannt und dem der kaiserliche Präfekt, ein übermütiger und stolzer Patricius, die bewaffnete Macht willig zur Verfügung gestellt hatte, war das Entsetzliche geschehen. Nur einem Zufall oder, wie der Alte meinte, der »großen Isis« war es zu danken, daß sein Vater mit ihm und den Kostbarkeiten glücklich entkam, die der alte Oberpriester aus dem Tempelschatze mit sich genommen. So fehlte es ihnen nicht an Mitteln, unter fremdem Namen zu reisen und sich endlich in Alexandria niederzulassen.
Der verfolgte Jüngling verwandelte hier seinen Namen Horus in die griechische Gestalt desselben und hieß von nun an im Hause und in der Schule Apollon. Die reichen Lehrmittel der Stadt Alexanders benutzte der begabte Jüngling mit feurigem Eifer, tief und rastlos drang er in jedes Gebiet des griechischen Wissens ein und erwarb dabei unter Leitung des Vaters alle Kenntnisse eines ägyptischen Horoskopen, die dieser späten Zeit doch noch nicht verloren gegangen.
Mitten unter den Christen der Hauptstadt und ihren Glaubensstreitigkeiten blieben Vater und Sohn Heiden und Isisdiener; und als der alte Priester hochbetagt starb, siedelte Horus Apollon nach Memphis über, wo er ein stilles, zurückgezogenes Forscherleben führte und sich nur bisweilen auf der Sternwarte unter die Astronomen, Astrologen und Kalendermacher mischte oder die Laboratorien der Alchemisten besuchte, welche auch im christlichen Aegypten dem Bestreben, unedle in edle Metalle zu verwandeln, eifrig ergeben blieben.
Scheidekünstler und Himmelskundige erkannten bald die überlegenen Kenntnisse des Alten und suchten trotz seines galligen und oft verletzend abweisenden Wesens bei schwierigen Fragen seinen Rat. Auch zu den Arabern war sein Ruf gedrungen, und da es galt, der Gebetnische in der neuen Moschee des Amr die rechte Richtung nach Mekka zu geben, ward er um seine Beihilfe ersucht, und sein Rat gab den Ausschlag.
Der Arzt Philippus war vor einigen Jahren an das Krankenbett des Alten berufen worden und hatte ihm, weil die Kunst des Anfängers damals noch von wenigen in Anspruch genommen wurde, seine beste Zeit und Kraft gewidmet. Dabei war Horus Apollon durch die tiefe Bildung und den ernsten Forschersinn des jungen Gelehrten angezogen worden und hatte bald warme Zuneigung für ihn gefaßt, die wärmste, welche seit dem Tode der Seinen einem Mitmenschen von ihm zugewandt worden war. Endlich schloß der ältere den jüngeren Mann mit solcher Zärtlichkeit ins Herz, als beeifere sich dieses, das wieder gut zu machen, was es an Liebesspenden bis dahin verabsäumt hatte. Fester und hingebender als er an dem Arzte konnte kein Vater an dem Sohne hängen, und als ihn ein Rückfall wiederum dem Tode nahe brachte, machte er Philippus zu seinem Vertrauten, entrollte vor ihm das Bild seines äußern und innern Lebens von Anfang an und versprach ihm, ihn zum Erben einzusetzen, wenn er sich verpflichte, bei ihm auszuhalten bis ans Ende.
Philippus, dem der greise, geistvolle Forscher von vornherein die größte Teilnahme eingeflößt hatte, ging auf dessen Vorschlag ein, und nachdem auch er den Studien des Alten näher getreten war und sich zuweilen an ihnen beteiligt hatte, forderte dieser ihn auf, ihm ein Werk vollenden zu helfen, das er vor seinem Tod abzuschließen wünschte. Es handelte über die Hieroglyphenschrift und sollte die Bedeutung ihrer einzelnen Zeichen, so weit sie sich noch feststellen ließ, erklären und auf die Nachwelt bringen.
Der Greis, welcher nur ägyptisch zu schreiben liebte und es ungern und ungelenk auf griechisch that, vertraute dem jungen Freunde die Uebertragung seiner Aufzeichnungen in diese Sprache an, und das Zusammenleben dieser beiden, an Alter und Wesen so verschiedenen, doch in Bezug auf geistige Bestrebungen verwandten Männer gestaltete sich trotz der mancherlei Sonderbarkeiten, der Schroffheit und Härte des Greises zu einem für beide Teile angenehmen und förderlichen.
Horus Apollon lebte in der Weise eines altägyptischen Priesters, indem er sich vielen Waschungen und Scherungen unterwarf, wenig anderes genoß als Brot, Gemüse und zahmes Geflügel, sich der Hülsenfrüchte und des Fleisches aller Vierfüßler, nicht nur der schon seinen Vorfahren verbotenen Schweine, enthielt, sich keiner anderen als reiner leinener Gewänder bediente und gewisse Stunden zur Hersagung jener heidnischen Gebetsformeln innehielt, deren magische Kraft die Götter zwingen sollte, den sie Anrufenden den Willen zu thun.
Wie der Alte dem Philippus sein ganzes Vertrauen geschenkt hatte, so verbarg ihm dieser nichts, was in ihm vorging, und that er es einmal, so fühlte es jener mit wunderbarem Scharfblick heraus.
Der Arzt hatte dem väterlichen Freund oft von Paula gesprochen und ihm ihre Vorzüge mit der ganzen Wärme eines liebenden Herzens geschildert, doch der Alte war ihr von vornherein abgeneigt gewesen, zunächst wohl als der Tochter eines Patricius und Präfekten. Was diesen Titel nur immer führte, war für ihn ein Gegenstand des Hasses; trug doch ein Präfekt und Patricius die Schuld an dem blutigen Ende derer, die er am meisten geliebt hatte. Zwar hatte der Statthalter von Antiochia nur im Auftrage des Bischofs gehandelt; doch es gefiel dem Alten und hatte ihm und seinem Vater von Anfang an gefallen, alle Schuld auf den Präfekten zu wälzen; denn den Abkömmlingen eines uralten Priestergeschlechtes war es willkommen, die ganze Fülle ihres Grolles auf einen andern als den Diener gleichviel welcher Gottheit übertragen zu dürfen.
Wenn Philipp Paulas stolze Größe, ihr vornehmes Wesen, die Hoheit ihrer Gestalt und Gesinnung pries, fuhr der Alte auf und rief wohl: »Das, eben das! Hüte Dich, hüte Dich, Knabe! Hochmut, Dünkel, Selbstüberhebung bezeichnest Du verblendet mit den edelsten Namen. Das Wort Patricius faßt alles in sich, was wir uns unter Selbstüberhebung und Unmenschlichkeit denken, und die schlimmsten, kaltherzigsten, habgierigsten unter ihnen machen die Affen im Purpur, die den Cäsarenthron schänden, zu ihren Präfekten. Wie sie selbst, so ihre Brut! Niedergetreten, in den Staub geworfen wird von ihnen, was sie in ihrem Dünkel ›klein‹ nennen; wir aber, wir, Du und ich, alles, was arbeitend im bürgerlichen Leben die Hände regt, wir sind vor ihren blöden Augen die verachteten Kleinen. Merke Dir’s, Knabe! Heute lächelt die Statthalters, die Patriciustochter Dir zu, weil sie Dich braucht, morgen wirft sie Dich fort, wie ich mein altes Pantherfell, das mir im Winter die Füße wärmt, wegstoße, wenn die heißen Märztage kommen!«
Nicht weniger abgeneigt als der Tochter des Thomas war er dem Sohne des Mukaukas, den er doch niemals gesehen, und als der Arzt ihm erzählt hatte, ein wie tiefer Groll gegen Orion sich des Herzens seiner Freundin bemächtigt, war der Greis in ein höhnisches Kichern ausgebrochen, und als besitze er die Fähigkeit, in den Herzen zu lesen und in die Zukunft zu schauen, hatte er gerufen: »Das beißt sich jetzt, und in drei Tagen wird es sich küssen! Haß und Liebe sind die Endpunkte des gleichen Stabes. Wie leicht dreht er sich um! Diese beiden! Gleiches Blut, gleiche Art! So etwas strebt auf einander zu wie der Magnet auf das Eisen, wie das Eisen auf den Magnet.«
Aber diese und ähnliche Mahnungen hatten auf die Gefühle des Arztes nur wenig Einfluß geübt, und selbst durch die Abweisung seiner feurigen Werbung nach Paulas Einzug in das Haus des Rufinus war seine Hoffnung, sie endlich doch zu gewinnen, nicht völlig erschüttert worden. Heute früh bei der Verhandlung um die Anlegung des Vermögens der Geliebten war Paula freudig bereit gewesen, ihn zu ihrem Kyrios, ihrem Vertreter vor Gericht, ihrem Vormund, anzunehmen; aber aus manchem Anzeichen meinte er unter schwer zu ertragender Pein wahrgenommen zu haben, daß sein greiser Freund recht gesehen, daß der Stab sich umgekehrt und in der Jungfrau Herzen der Haß sich in Liebe verwandelt habe.
Dennoch hatte sich Paula noch nie so liebenswürdig warm gegen ihn gezeigt, hatte er ihre Stimme im Gespräch mit ihm noch nie so weich und herzlich klingen hören wie heut Abend im Garten des Freundes. Heiterer, gesprächiger denn je, war sie nicht müde geworden, sich an ihn zu wenden, und dabei hatte er nach und nach Besorgnis und innere Pein schwinden und endlich die eigene Empfindungswelt neu erblühen, das eigene geistige Vermögen wachsen fühlen. Ja, schöner und besser meinte er seinen Gedanken nie Ausdruck gegeben zu haben als in diesen jüngst vergangenen Stunden. Sie hatte auch mit ihrem Beifall nicht zurückgehalten, war freudig auf jeden seiner Sätze eingegangen, und wie er sich eine halbe Stunde vor Mitternacht mit ihr zu den Kranken begeben, hatte sich neue wonnige Hoffnung frisch grünend in ihm erhoben. Glückselig und wie berauscht war er ihrem Wunsche nachgekommen, sie auf ihr Wohnzimmer zu begleiten, und da, dort...
Armer, enttäuschter Mann auf dem Polster in der dunklen Ecke des weiten Arbeitsraumes, in dem der Geist bisher das große Wort geführt hatte, und die Stimme des Herzens niemals befragt worden war!
Wie er den Weg dahin gefunden, er wußte es selbst nicht mehr. Gegenwärtig war ihm nur noch, daß er, der Pflicht gehorchend, in das Haus eines Memphiten getreten, dessen Weib, die Mutter vieler Kinder, am Nachmittag dem Tode nahe gewesen, daß er dort eine Leiche und viele laut und aufrichtig klagende Menschen gefunden, daß er mit ihrem und dem eigenen Weh im Herzen heimwärts gewankt war, und dann sich nicht in sein Quartier, sondern in das des greisen Freundes begeben hatte, um sich vor sich selbst in Sicherheit zu bringen. Das Leben hatte jeden Reiz, jeden Wert für ihn verloren; doch er schämte sich, daß er sich von einem Weibe den schönen Zielen seines Daseins so ganz entfremden, daß er sich von ihm die Freudigkeit zerstören ließ, deren er bedurfte, um seinen Beruf auch fürderhin im Sinne seines Freundes Rufinus zu erfüllen. Er kannte seinen alten Hausgenossen und wußte, daß er Lauge in seine Wunden gießen werde, aber das war ihm eben recht. Paulas Bild hatte der Greis schon oft zu verderben und von seinem hohen Postament zu stürzen gesucht, aber immer vergebens, und es sollte ihm auch jetzt nicht gelingen! Verderben, in den Staub ziehen, in alle Winde zerstreuen lassen wollte er nur die glühende Leidenschaft, das heiße Verlangen nach ihr, das seit der Nacht, in der er den wütenden Masdakiten gebändigt, in seinen Adern brannte. Der Greis dort am Tische, dessen strenge, unfreundliche Züge die drei Lampen so hell erleuchteten, war ganz der Mann, dies Vernichtungswerk auszuführen, und Philippus wartete auf seine ersten Worte wie ein Kranker auf den Arzt, der das Glüheisen ins Feuer hält, womit er ihm die Wunde ausbrennen will.
Armer, enttäuschter, der Heilung bedürftiger Mensch!
Da lag er auf dem Diwan und sah, wie der andere über die Schriftrolle hinweg zu ihm hinlugte und horchte und sich dabei in dem großen Lehnsessel hin und her schob.
Philippus’ Schweigen beunruhigte den Alten sichtlich, und der Arzt sah es den spitzen Wimperbüscheln, die sich über den Augen des Greises in die Höhe schoben, an, daß er sich seine eigenen Gedanken machte, die gewiß das Rechte trafen. Bald mußte das Schweigen gebrochen werden, und Philipp erwartete den Angriff. Das Schlimmste hinzunehmen war er bereit, aber wie hätte er es über sich gebracht, dem Peiniger sein Werk zu erleichtern!
So vergingen lange Minuten, und wie der Arzt auf die Anrede des Alten, so wartete dieser auf sein erstes Wort. Doch die Ungeduld und Neugier des Greises waren mächtiger als das Verlangen des jüngern Mannes nach Heilung, und plötzlich ließ jener die Schriftrolle sinken, ergriff mit einer unwillkürlichen Bewegung das Elfenbeinstäbchen, das er vorhin von sich geschleudert, gab dem schweren Stuhle mit einem für sein hohes Alter erstaunlich kräftigen Ruck eine neue Richtung, wandte Philippus das volle Gesicht zu und fragte laut und indem er mit dem Stabe wie drohend auf ihn hinwies:
»Der Schluß des Spieles? He? Und ein Tragödienende?«
»Kaum; denn ich lebe noch!« entgegnete der Arzt.
»Aber es blutet da drinnen, und die Wunde thut weh!« sagte der Alte und fuhr nach kurzem Bedenken fort: »Wer nicht hören will, muß fühlen! Man hatte dem Fuchse die Angel gewiesen, aber der Köder war gar zu verlockend! Gestern wär’ es noch Zeit gewesen, das Eisen vom Fuße zu streifen, man hätte nur ernstlich zu wollen brauchen, war man doch von der grausamen Tücke des Jägers wohl unterrichtet! Nun ist er gekommen, hat, was er an Waffen besitzt, nicht geschont, und da liegt das Wild stumm vor Schmerz und Scham und verwünscht die eigene Narrheit. Man scheint mir heute das Schweigen zu lieben. Soll ich Dir etwa erzählen, wie das alles gekommen?«
»Ich weiß es nur zu genau selbst,« entgegnete Philippus.
»Doch ich, ich kann mir’s freilich nur denken!« murrte der Alte. »So lange die Patriciusdirne das arme Arbeitstier brauchte, hat sie es an sich gezogen und ihm Gerste und Datteln vorgeworfen. Nun schwimmt sie im Golde, wohnt unter einem sichern Dache, und heidi! Flugs wird dem ausgenutzten Beschützer der Laufpaß gegeben, und wie der Himmel die Sonne aufgehen läßt, wenn der blasse Mond hinter den Bergen verschwindet, setzt diese Gebieterin über die Herzen unseres schwächlichen, freiheitssatten Geschlechtes an die Stelle des armen, langaufgeschossenen Arztes den reichen Adonis aus der Statthalterei! Wenn’s anders gekommen ist, strafe mich Lügen!«
»Daß ich’s könnte!« seufzte Philippus. »Du hast recht gesehen, wunderbar recht und doch so falsch wie nur möglich.«
»Dunkel!« versetzte der Greis gelassen. »Aber ich sehe auch in der Nacht. Die Thatsache steht fest, doch Du bist noch verblendet genug, die Beweggründe nicht gelten zu lassen. Es genügt mir übrigens, daß Deine Verirrung ein so ›glückliches‹, meinetwegen auch nur ein so ›schnelles‹ Ende gefunden; die Veranlassung – ein Weib, wie gewöhnlich – ist mir gleichgültig geworden. Warum sollt’ ich ihm ohne Not schlimmeres zutrauen, als es begangen? Schon Deinetwillen vermeid’ ich dies gern; denn anständige Seelen hängen sich an diejenigen, denen sie Unrecht zufügen sehen. Doch das Reden ist, dächt’ ich, an Dir, nicht an mir; auch ohne Dein beharrliches Schweigen weiß ich, daß Du Philosoph bist, und was mich betrifft, bin ich noch immer nicht ganz ohne Neugier, trotz meiner achtzig!«
Da erhob sich Philippus schnell, und während er bald in dem weiten Raum auf und nieder ging, bald vor dem Alten stehen blieb, erzählte er ihm mit glühenden Wangen und lebhaften Gesten, was er gehofft und gelitten; wie Paula ihn vorhin mit neuer Zuversicht erfüllt und ihn dann in ihre Wohnung entboten habe – um ihn tief bewegt, überrascht über sich selbst, und doch nicht fähig und Willens, die Glückseligkeit zu verbergen, die sie erfüllte, in ihrem Herzen lesen zu lassen. Wie sich eine bange Seele dem Priester erschließt, habe sie ihm, ihrem besten Freunde, eröffnet, was seit dem Leichenbegängnis des verstorbenen Mukaukas in ihrem Herzen vorgegangen, und daß sie nun überzeugt sei, Orion habe nach seinem schweren Fehl sich selbst wiedergefunden.
»Und darüber hat es,« unterbrach ihn der Alte, »so große Freude gegeben im Himmel, daß man es gar nicht erwarten konnte, dem abgesetzten Liebhaber die Wohlthat zu erweisen, ihn mit daran teilnehmen zu lassen.«
»Unter schweren Kämpfen hat sie mir vielmehr bekannt, was das Herz von ihr fordert; ja, obwohl sie nichts als Spott, Warnungen, Vorwürfe von mir erwarten durfte, erschloß sie mir dennoch ihr Inneres.«
»Und warum, zu welchem Zweck?« kreischte der Alte. »Soll ich Dir’s sagen? Weil ein Freund immer noch ein halber Liebhaber ist, und die Weiber auch nicht das Viertel eines solchen einbüßen mögen.«
»Mit nichten!« fiel ihm Philipp zurückweisend ins Wort. »Sie hat es gethan, weil sie mich schätzt, mich achtet, mir – ich bin nicht eitel – wie einem Bruder zugethan ist und es nicht ertragen konnte, meine Neigung – das sind ihre eigenen Worte – auch nur eine Stunde lang irre zu führen! Das ist edel, ist groß, ist ihrer würdig, und so sehr sich auch alles, was in mir ist, dagegen sträubte, sah ich mich doch gezwungen, ihre Wahrhaftigkeit, ihre treue Freundschaft, ihre Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst und ihr weibliches Zartgefühl zu bewundern! Nein, unterbrich mich nicht wieder, spotte jetzt nicht! Es ist nichts Kleines für eine stolze, sich ihrer Würde bewußte Jungfrau, die Schwäche ihres Herzens vor einem Manne, von dem sie sich geliebt weiß, so bloßzulegen, wie sie es vorhin gethan hat. Ihren Wohlthäter nannte sie mich, sich selbst meine Schwester, und welche Beweggründe Du, der Du sie um eines alten Vorurteils willen hassest, ohne sie nur zu kennen, ihrer Handlungsweise auch unterschieben magst, ich, ich glaube ihr und verstehe sie auch. Konnte ich anders, als in die Hand einschlagen, die sie mir bot, da sie mich mit feuchten Augen bat, anflehte, ihr Freund, ihr Beschützer, ihr Kyrios zu bleiben! Und doch, doch! Wo soll ich die Kraft hernehmen, nichts anderes von ihr zu begehren, von ihr, zu der mich glühende Leidenschaft hinreißt, als einen freundlichen Blick, einen Druck der Rechten, ein verständiges Eingehen auf das, was ich sage? Wie soll ich Fassung, Ruhe, Selbstbeherrschung bewahren, wenn ich sie in den Armen des schönen Halbgottes sehe, den ich noch gestern als nichtswürdigen Buben verachtet? Welches Eis kühlt die Glut dieses brennenden Herzens? Welche Lanze durchbohrt den Drachen der Leidenschaft, der hier wütet? Bis an die Grenze eines Menschenalters ist dies Herz gelangt, ohne sich auch nur nach jener Liebe zu sehnen, von der unsere Dichter singen. Nur durch sie oder die Klage eines Freundes, dessen Schwäche mir leid that, hab’ ich dergleichen Gefühl kennen gelernt, und nun, jetzt, da die Liebe mich so spät mit ihrer ganzen unbesiegbaren Gewalt überfallen, unterjocht, in Banden geschlagen, wie soll, wie kann ich mich von ihr befreien? Hier, Du treuer Mann, der Du mich Deinen Sohn heißest, von dem ich es gern höre, wenn er mich ›Knabe‹ und ›Kind‹ nennt, der mir den früh verstorbenen Vater ersetzt, hier bleibt mir nur das eine übrig, Dich und diese Stadt zu verlassen, aus ihrer Nähe zu fliehen, mir eine neue Heimat zu suchen, fern von ihr, mit der ich glücklich wie die Seligen im Paradies hätte sein können, und die mich nun noch elender gemacht hat als die Verdammten im ewigen Feuer! Fort, fort will ich, muß ich, wenn Du, der so vieles kann, mich nicht lehrst, diese Leidenschaft töten oder sie umwandeln in kühle, brüderliche Freundschaft.«
Dabei schlug Philipp, der dem Alten ganz nahe stand, die Hände vor das Antlitz; der aber war bei den letzten Worten seines Lieblings mit jugendlicher Spannkraft in die Höhe geschnellt, zog ihm jetzt mit einem heftigen Handgriff die Rechte vom Antlitz und rief heiser und außer sich vor Empörung und tiefer Besorgnis:
»Und das, das sagst Du im Ernst? So tief in die Narrheit hineingeraten bist Du verständiger Mann? Ist Dir’s nicht genug, Dein eigenes Glück an diese – wie nenn’ ich sie nur? – verspielt, verschleudert zu haben? Begreifst Du nun endlich, warum ich Dich vor der Patriciusbrut warnte? Treue, Dankbarkeit, die Liebe eines tüchtigen Mannes – was fragt sie darnach? Fort mit dem Weißfisch von der Angel und in den Staub mit ihm! Da kommt schon der fette Wels geschwommen und beißt vielleicht an! Willst Du ihr und dem verruchten Statthalterbuben auch das Heil und die Hoffnung der letzten Jahre eines Greises opfern, der sich gewöhnt hat, Dich, der es verdient, zu lieben wie einen eigenen Sohn? Willst Du rüstiger Arbeiter, Du Mann mit dem kräftigen Geiste, dem feurigen Pflichteifer, der den Göttern gefällt, wie ein verlassenes Mädchen hinsiechen oder wie die liebeskranke Sappho in der Komödie den Sprung vom leukadischen Felsen thun, über den die Zuschauer sich ausschütten vor Lachen? Du bleibst, Knabe. Du bleibst! Und ich, ich zeige Dir, wie ein Mann mit der Leidenschaft fertig wird, die ihn entehrt!«
»Zeige es mir,« entgegnete Philipp mit gedämpfter Stimme. »Ich verlange nichts Besseres. Meinst Du, ich schämte mich nicht selbst meiner Schwäche? Steht sie mir doch übel genug an, gerade mir, den das Schicksal eher zu allem anderen geschaffen als zum seufzenden Liebhaber und Schwärmer. Kämpfen, ringen will ich mit aller Kraft meiner Seele, doch hier, hier in Memphis, hier in ihrer Nähe, als ihr Kyrios, bin ich täglich gezwungen, sie wiederzusehen, werd’ ich Tag für Tag neue schmähliche Niederlagen erleiden! Hier immerfort bei ihr, mit ihr, reibt der Kampf mich auf, seh’ ich mich zu Grunde gehen an Leib und Seele. Am gleichen Ort, in der gleichen Stadt gibt es keinen Raum für uns beide.«
»So muß sie es sein, die Dir Platz macht!« kreischte der Alte.
Da richtete Philippus das gesenkte Haupt auf und fragte überrascht und mit abweisender Strenge:
»Was soll das?«
»Nichts!« entgegnete der andere leichthin, zuckte die Achseln und fuhr dann begütigend fort: »Größeren Nutzen hat Memphis jedenfalls von Dir zu erwarten als von der Patriciusdirne.« Dann schüttelte er sich, als ob ihn friere, schlug sich an die Brust und sagte: »Hier drinnen ist alles in Aufruhr, und ich kann jetzt weder helfen noch raten. Im Osten muß es bald dämmern; wir wollen zu schlafen versuchen. Im Sonnenschein bringt man Knoten auseinander, die beim Lampenlicht unlösbar schienen, und die Göttin zeigt mir vielleicht auf dem schlaflosen Lager den Weg, den ich Dir vorhin zu weisen verhieß. Ein wenig mehr leichter Sinn könnte uns beiden nichts schaden. Suche das eigene über fremdem Leid zu vergessen; es begegnet Dir ja davon genug alle Tage. Eine gute Nacht Dir zu wünschen, wäre doch wohl vergebens, aber möge es eine besänftigende werden! Meiner Hilfe bist Du gewiß; doch von Fortgehen, Flucht und dergleichen, nicht wahr, davon läßt Du mich armen alten Mann nichts wieder hören? Nein, nein, das – ich kenn’ Dich ja, Philipp – das thust Du Deinem einsamen Freunde nicht an!«
Die letzten Worte waren die weichsten, die der Arzt je aus dem Munde des Greises vernommen, und es that ihm wohl, als ihn dieser in einer kurzen Umarmung ans Herz zog. Seines Wortes, daß es an Paula sei, den Platz zu räumen, gedachte Philippus nicht weiter; doch der Alte schien es dennoch sehr ernst gemeint zu haben; denn sobald er allein war, warf er den Elsenbeinstab heftig auf den Tisch zurück und murmelte mit funkelnden Augen, erst aufgebracht und dann höhnisch: »Um dieses treue Herz, diesen besten der Arbeiter mir und der Welt zu erhalten, send’ ich ein Dutzend solcher Vollblutdirnen in die Amenthe. Die Unterwelt der alten Aegypter. Ei, ei, ei, Du schönste der Schönen; der brave Arzt ist uns zu schlecht, und man wirft ihn fort wie den Kern der Dattel, die man verspeist?! Jeder nach seinem Geschmack! Aber wie wär’ es, wenn der alte Horus uns zwänge, ihn schätzen zu lernen? Geduld, Geduld! Mit dem Ziel vor Augen ist es mir bisher noch immer gelungen, den Weg zu finden; auf dem Feld der Wissenschaft, mein’ ich natürlich; doch das Leben, das Leben des Weisen, was ist es anders als angewandtes Wissen? Der alte Horus, warum sollte er nicht auch einmal vor seinem Ende versuchen, was sein Geist auf dem Markt des lebendigen Menschendaseins auszurichten versteht? So gut Dir’s auch jetzt bei Deinem Liebsten in Memphis gefällt, schöne Herzensbrecherin, Du wirst doch dem armen, fortgeschleuderten Spielball Platz machen müssen! Du wirst’s! Verlaß Dich darauf, mein Liebling; Du wirst es! Heda, Anubis!«
Dabei gab er dem Sklaven, welcher unter dem Tische ruhig weiter geschlummert hatte, einen Stoß mit dem nackten Fuß, und während dieser seinem Herrn in das Schlafgemach voranleuchtete und ihm dort bei seinen sorgfältigen und lang dauernden Waschungen behilflich war, hörte der Greis nicht auf, abgebrochene Sätze vor sich hin zu murmeln und bald Verwünschungen auszustoßen, bald schadenfroh aufzukichern.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Wie der Arzt Philippus, so fand auch Orion in dieser Nacht wenig Schlaf. Er zweifelte nicht mehr an Paula, doch sein ganzes Herz war voll von Sehnsucht nach ihr und der Bestätigung, daß sie ihn, ihn allein liebe, und das Verlangen nach ihr hielt ihn wach. Beim ersten Dämmern des Tages sprang er auf, froh, die Nacht hinter sich zu haben, und fuhr über den Nil, um dem Wechsler Salech, dem Bruder des alten Kaufherrn Haschim, die Hälfte des Vermögens der Tochter des Thomas anzuvertrauen.
In Memphis war alles noch still, und was er dort sah, kam ihm heute besonders alt, abgelebt, träge, verfallen vor; ja es schien wert, zu Grunde zu gehen, während er jenseits des Stroms in dem jungen Fostat, wohin er auch blickte, waches, reges, frisch aufsprießendes Leben fand.
Unwillkürlich verglich er die alte Pharaonenstadt hinter ihm mit einer zerfallenden Mumie und die neue Residenz des Amr mit einem thatenlustigen Jüngling. Alles war dort auf den Füßen, regte und rührte sich emsig. Den Wechsler, welcher sich, wie alle Muslimen, früh, »sobald man einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden konnte«, erhob, um sein erstes Gebet zu verrichten, fand er mit dem Auszählen von Gold– und Silberrollen beschäftigt, und wie rasch, wie knapp und schneidig wußte der Araber das Geschäft mit ihm und Nilus, der ihn begleitete, zu Ende zu führen!
Wohin er auch blickte, lauter blitzende Augen, lauter thatkräftige, kühne, unternehmungslustige Gesichter, kein gebeugter Nacken, kein träges Dahinbrüten, kein dumpf ergebener Blick, wie überall in seiner Vaterstadt drüben.
Hier in Fostat wogte das Blut ihm schneller, dort drückte und belastete ihn das Dasein. Alles zog ihn zu den Arabern hin!
Die Bude des Wechslers bestand wie alle Verkaufsstätten im Suk oder Bazar des jungen Fostat aus einem hölzernen Verschlage, worin der Kaufherr mit seinen Gehilfen verweilte. Von der offenen, der Straße zugewandten Seite desselben aus verkehrten sie mit den Kunden, welche, wenn das Geschäft längere Zeit in Anspruch nahm, von dem Händler eingeladen wurden, sich auf dem Auslagebrett bei ihm niederzulassen.
Auch Orion und Nilus waren solcher Aufforderung gefolgt, und während sie bei der Unterredung mit dem Wechsler für alle Vorübergehenden sichtbar dasaßen, schritt der schwarze Wekil Obada, der den Groll des Statthaltersohnes gestern Abend so tief aufgeregt hatte, nochmals dicht an ihm vorüber. Zu seinem Erstaunen grüßte er ihn mit großer Freundlichkeit, und eingedenk der Warnung des Feldherrn erwiderte Orion, so schwer es ihn auch ankam, des verhaßten Mannes Willkommen. Als dann Obada zum zweiten und drittenmal an der Bude vorbeiging, fühlte jener sich von ihm beobachtet; indessen war es ja möglich, daß der Wekil gleichfalls mit dem Wechsler zu thun hatte und nur auf die Erledigung seiner Geschäfte wartete.
Uebrigens sollte Orion diese Begegnung bald vergessen; denn zu Hause harrten seiner gewichtigere Dinge.
Wie es oft geschieht, hatte der Tod eines einzelnen Mannes, obgleich sein Haus durch seinen Hingang weder reicher noch ärmer geworden, und man darin in der letzten Zeit sein zurückgezogenes Walten kaum wahrgenommen, eben dieses Haus völlig, ja bis zur Unkenntlichkeit verändert. Still und wie ausgestorben erschienen nunmehr die sonst so lebendigen Räume. Bittsteller und Kläger bevölkerten nicht mehr den Vorsaal, und die Beileidbezeigenden waren sämtlich nach alter Sitte am Tage nach dem Begräbnis empfangen worden. Der Frau Neforis geräuschvolles Schalten und Walten, ihre Rufe und klappernden Schlüssel hatten aufgehört, sich vernehmen zu lassen; denn sie hielt sich, abgesondert von allen, nur im Schlafgemach oder in dem kühlen Brunnenraum auf, der ihres Gatten Lieblingszimmer gewesen, wenn sie nicht in der Kirche verweilte, die sie täglich zweimal besuchte.
Mit dem gleichen müden, teilnahmlosen Gesicht, mit dem sie in das Gotteshaus fuhr, kehrte sie daraus zurück, und wer sie auf dem Diwan, welchen sonst gewöhnlich ihr verstorbener Gemahl eingenommen hatte, müßig und dumpf vor sich hinbrüten sah, konnte in ihr nur schwer die jüngst noch so rührige und pflegsame Frau wiedererkennen. Sie trauerte oder klagte ihrem Gatten nicht eigentlich nach, und als habe sie sich in der Nacht nach dem Sterbe– und Begräbnistage für immer ausgeweint, hatte sie keine Thränen mehr für ihren Kummer. Zu jener durch freundliche Erinnerungen geweihten Wehmut, in die doch tröstende Engel, nachdem das erste schneidende Weh überwunden, so oft einen süßen Tropfen mischen, vermochte sie jedoch nicht zu gelangen. Sie fühlte, sie wußte aber, daß mit dem Gemahl ein Teil des eigenen Wesens von ihr abgerissen sei, wenn sie auch noch nicht erkannt hatte, daß dieser Teil nichts Geringeres in sich schloß als die Grundbedingungen ihres ganzen inneren und äußeren Daseins.
Ihr Vater und der ihres Gatten waren die ersten Männer in Memphis, ja in Aegypten gewesen. Stolz, glücklich, mit einem Herzen voll Liebe, hatte sie dem Sohn des Menas die Hand gereicht. Er im Bunde mit ihr, nicht er allein, war zu den höchsten für einen Aegypter erreichbaren Würden gelangt, und was an ihr lag, hatte sie aufgeboten, um ihn in seiner viel beneideten Stellung zu erhalten, ihn dieselbe glänzend und würdig vertreten zu lassen. Nach manchem Jahre seltenen Glückes hatte der Schmerz über die niedergemetzelten Söhne die Herzen dieses eng verbundenen Paares nur fester aneinander geschlossen, und als ihr Gatte dann dem Siechtum verfiel, teilte sie freudig seine Abgeschiedenheit, widmete sie sich ganz seiner Pflege, trug sie mit ihm die Zweifel und Besorgnisse, welche seine politische Handlungsweise in ihm wachriefen. Das Bewußtsein, ihm nicht nur viel, sondern alles zu sein, war ihr Stolz und ihr Glück. Die Abneigung, welche Paula ihr einflößte, hatte zunächst ihren Ursprung in der Wahrnehmung gehabt, daß sie, Neforis, dem leidenden Gemahl nicht mehr unentbehrlich erschien, sobald seine schöne junge Nichte ihm Gesellschaft leistete. Und nun? Und jetzt?
Wenn sie in der schlaflosen Nacht aus leichtem, unerquicklichem Schlummer auffuhr, lauschte sie unwillkürlich auf leise, stockende Atemzüge, und doch gab es keine Brust mehr, die sich neben ihr hob und senkte. Wenn sie in der Frühe das einsame Lager verließ, kam ihr der nahende Tag vor wie eine leere, baumlose Wüste.
Bei Nacht wie bei Tag versuchte sie es häufig, sich das Bild des Verstorbenen zu vergegenwärtigen; doch so oft dies bis vor kurzem ihrer schwachen Einbildungskraft gelungen war, hatte sie ihn nur in den letzten Augenblicken seines Daseins erblickt, ihn gesehen, gehört mit der Verwünschung des eigenen Sohnes auf den bebenden Lippen.
Diese gräßliche Erinnerung verdarb ihr den letzten Trost der Trauernden, das freundliche Andenken und zugleich das stolze und frohe Wohlgefallen an dem einzigen Kinde. Wie mit einem Makel, einem Schandfleck behaftet, erschien ihr der Jüngling, der noch jüngst ihrer Seele Abgott gewesen. Die Last, welche der Gerechteste aller Gerechten auf Orion gewälzt hatte, die durfte auch sie nicht übersehen. Statt ihn mit doppelter Zärtlichkeit ans Herz zu nehmen und zu mildern und zu erleichtern, was ihm der Vater Furchtbares zugefügt hatte, wußte sie ihn nur zu beklagen.
Wenn Orion sie aufsuchte, streichelte sie ihm das lockige Haupt, und weil sie ihn nicht verletzen und noch unglücklicher machen wollte, als er ohnehin sein mußte, tadelte oder ermahnte sie ihn weder, noch erinnerte sie ihn an den Fluch des Vaters. Und wie verarmt war dies unfreigiebige Herz, das sich gewöhnt hatte, alles, was ihm an Liebe innewohnte, nur auf wenige, ja fast nur auf einen einzigen zu erstrecken, der nun nicht mehr war!
Die frohen Kinderstimmen im Hause waren ihr ein angenehmer Ton gewesen, so lange sie ihren leidenden Gatten nicht gestört hatten; nun waren auch sie verstummt, und ihrer eigenen Enkelin, der der Sonnenschein ihrer engbegrenzten Liebe noch mit zu teil geworden, hatte sie dieselbe entzogen; trug doch die kleine Maria Schuld an dem Schrecklichen, das in den letzten Stunden ihres Gatten über sie und Orion gekommen! Ja, in der überreizten Seele der trauernden Frau hatte sich die Wahnvorstellung festgesetzt, das Kind sei der böse Dämon des Hauses und ein Werkzeug des Satans.
Seit vorgestern hatte Neforis einige bessere Stunden gehabt. In der Schlaflosigkeit, die sie wie ein körperlicher Schmerz zu quälen begonnen, war ihr eingefallen, welche Erleichterung ihrem Verstorbenen gerade in unruhigen Nächten die weißen Opiumkügelchen gebracht hatten, und ein kaum angebrochenes Gefäß mit dieser Arznei war ihr zur Hand.
Litt denn nicht auch sie unsägliche Qualen? Warum sollte sie das Mittel unbenutzt lassen, das ihres Gatten Schmerzen so wunderbar gelindert? Bei längerem und häufigerem Gebrauch sollten die Kügelchen schädlich wirken, und sie hatte den Verstorbenen oft abgehalten, sich ihrer zu reichlich zu bedienen; aber konnte sich ihr Leid denn noch verschlimmern? Mußte sie der Arznei nicht Dank wissen, wenn sie ihr elendes Dasein abkürzte?
So gebrauchte sie denn das bewährte Mittel erst zagend, dann reichlicher und schon am zweiten Tage mit wahrer Lust und freudiger Erwartung; hatte es ihr doch nicht nur eine gute Nacht verschafft, sondern ihr auch am nächsten Morgen eine große Wohlthat erwiesen; denn der Verstorbene war ihr zum erstenmal seit seinem Tode nicht als Fluchender erschienen, sondern als junger, lebensfroher Mann.
Niemand im Hause wußte, welches Trostmittels sich die Witwe bediente, und der Arzt und ihr Sohn hatten sich gestern nur gefreut, sie gefaßter zu finden.
Als Orion, nachdem er zu Fostat das Geschäft mit dem Wechsler beendet, nach Hause zurückkam, mußte er sich vor dem Thore durch viele zusammengelaufene Leute Bahn brechen, da er den Hof voller Menschen und die Wache und Dienerschaft in großer Erregung fand. Kein Geringerer als der Patriarch war als Besucher in die Statthalterei eingekehrt und verweilte jetzt bei seiner Mutter. Er habe, teilte der Hausmeister Sebek mit, auch nach ihm gefragt, und Frau Neforis wünsche, daß er sich sogleich zu ihr begebe, um dem allerheiligsten Vater seine Ehrfurcht zu bezeigen.
»Wünscht sie?« fragte der Jüngling und blieb, während er einem Sklaven den Reisehut zuwarf, unschlüssig stehen.
Er war zu sehr Kind seiner Zeit, und die Kirche und ihre Diener hatten einen zu starken Einfluß auf seine Erziehung geübt, als daß er den Besuch des großen Prälaten nicht hätte als hohe Ehre empfinden sollen. Dennoch konnte er die den Manen seines Vaters angethane Schmach, konnte er des edlen arabischen Feldherrn Mahnung, sich vor Benjamins Feindschaft zu hüten, nicht vergessen, und vielleicht, sagte er sich, sei es besser, eine Unterredung mit dem mächtigen Manne zu vermeiden, als sich der Gefahr auszusetzen, während einer solchen der Mäßigung zu vergessen, und dem eigenen Groll neue Nahrung zu geben.
Doch es sollte ihm keine Wahl bleiben; denn aus dem Brunnengemache trat der Kirchenfürst in das Viridarium. Seine hohe Greisengestalt war ungebeugt, schneeiges Haar umwallte sein stolzes Haupt, und der weiße Bart fiel ihm in weichen Wellen bis tief auf die Brust. Der scharfe Blick seiner mächtigen Augen heftete sich auf den jungen Mann, in dem er, obgleich er ihn zuletzt als Knaben gesehen, sofort den Herrn des Hauses erkannte. Während Orion sich tief vor ihm verneigte, rief der Patriarch ihm mit tiefer, klangvoller Stimme, aus der heitere Würde sprach, freudig entgegen:
»Willkommen, Sohn meines unvergeßlichen Freundes! Aus dem Kinde ist, wie ich sehe, ein herrlicher Mann geworden. Der Mutter hab’ ich ein Stündchen gewidmet; jetzt gilt es, mit dem Sohn zu besprechen, was notthut.«
»In das Arbeitszimmer des Vaters!« rief Orion dem Hausmeister zu, indem er dem Patriarchen mit der förmlichen, winkenden Bewegung der Kammerherren des Kaiserhofes voranschritt.
Bevor der Patriarch ihm folgte, winkte er seinen Begleitern, zurückzubleiben, und sobald sich das Gemach geschlossen, trat er Orion näher und rief:
»Meinen Gruß zum andernmale! Das also ist der Enkel des braven Menas, der Sohn des Mukaukas Georg, der vielgefeierte Abgott meiner memphitischen Schäflein, der sich beim Wirbeltanz der goldenen Jugend in Konstantinopel an ihrer Spitze gehalten! Ein seltenes Meisterstück für einen ägyptischen Christen. Doch zunächst, Kind, zunächst Deine Hand!«
Dabei streckte er ihm die Rechte entgegen, und Orion schlug ein, aber nur zögernd; denn aus der Anrede des Patriarchen war ihm leiser Hohn entgegengeklungen, und er fragte sich, ob es dieser Mann so redlich meine, daß er ihn aus gutem Herzen, wie die Eltern, »Kind« anreden dürfe? Ihm den Handschlag weigern, daran war nicht zu denken, doch er fand den Mut, ihm zu erwidern:
»Deinem Wunsch, heiliger Vater, hab’ ich ja zu gehorchen; indessen weiß ich nicht, ob es dem Sohne wohl ansteht, die Hand des Feindes zu ergreifen, den selbst der alles ausgleichende Tod nicht versöhnte, der seinem Vater, dem bravsten Manne, und mit ihm, ihm selbst auf dem Friedhof, am Grabe, den schwersten Schimpf auferlegte.«
Da schüttelte der Patriarch mit einem überlegenen Lächeln das Haupt, legte Orion, den es bei dieser Berührung heiß durchlief, die Hand auf die Schulter und sagte mit freundlichem Ernst:
»Es wird dem Christen nicht schwer, dem Frevler, dem Gegner, dem Feind zu vergeben, und es gereicht ihm zur Freude, dem Sohne zu verzeihen, der sich in der Seele des eigenen Vaters gekränkt fühlt, so kurzsichtig und thöricht sein Groll auch sein mag. Dein Zürnen kann mich so wenig verletzen, Kind, wie den Höchsten im Himmel, und es würde nicht einmal tadelnswert sein, wenn es nicht – aber davon reden wir später – wenn nicht – hör es nur sogleich – wenn nicht aus Deiner Art gerade das so deutlich und greifbar hervorträte, was Dir noch fehlt, um ein rechter Christ, um ein Mann zu sein, wie derjenige sein sollte, welchen Gott in diesem von Ungläubigen beherrschten Lande auf einen so hervorragenden Platz stellte. Du weißt, was ich meine?«
Dabei ließ der Kirchenfürst die Hand von der Schulter des Jünglings gleiten, schaute ihn fragend an, und als Orion, ohne eine Antwort zu finden, weiter von ihm zurücktrat, rief der Greis mit wachsendem Eifer:
»Die Demut, der fromme, ergebene Glaube ist’s, den ich an Dir vermisse, mein Freund! Wer bin ich? Aber als der Vertreter, als das Sprachrohr dessen, vor dem wir alle nichts sind als Würmer im Staube, muß ich fordern, daß sich jedermann, der sich Christ, der sich Jakobit nennt, meinem Willen und Gebot, ohne zu denken oder zu grübeln, so widerstandslos und gehorsam unterwerfe, als habe ihn Heil oder Unheil von oben betroffen. Wohin würde es mit uns kommen, wenn der einzelne sich vermessen wollte, mir zu trotzen, und die eigenen Wege zu wandeln? Ein armes Menschenalter, und mit dem Tode der Alten, die noch als wahre Christen aufwuchsen, würde es aus sein mit der Lehre des Heilands an diesem Strome, würde überall statt des Kreuzes der Halbmond prangen, würde sich Klage erheben im Himmel über so viele verlorene Seelen. Lerne Dich demütig bescheiden, lerne Dich vor dem Willen des Höchsten und seines Vertreters auf Erden beugen, trotziger Knabe, und laß Dir an Deinem Verhalten gerade gegen mich zeigen, wie weit Dein eigenes Urteil reicht. Du hältst mich für einen Feind Deines Vaters?«
»Ja!« entgegnete Orion fest.
»Und ich hab’ ihn geliebt wie meinen Bruder,« versetzte der Prälat in weichem Ton. »Mit Friedenspalmen, wie nur die Kirche sie beut, ach, wie gern hätt’ ich weinend seinen Sarg überhäuft!«
»Und dennoch hast Du demjenigen, den Du Freund nennst, versagt,« rief Orion, »was die Kirche dem Diebe und Mörder nicht weigert, wenn anders er nach Vergebung der Sünden trachtete und sie aus dem Munde des Priesters empfing, wie doch...«
»Wie doch Dein Vater!« unterbrach ihn der Greis. »Wohl ihm! Er darf jetzt vielleicht des Höchsten Herrlichkeit schauen. Und dennoch, dennoch hab’ ich dem Klerus verboten, ihm Ehren am Grabe zu erweisen. Warum, infolge welcher zwingenden Gründe ist dieser Befehl aus dem Munde des Freundes gegen den Freund ergangen?«
»Weil Du ihn,« entgegnete Orion dumpf, »vor aller Welt als denjenigen brandmarken wolltest, der den Ungläubigen Vorschub geleistet und ihnen zum Siege verholfen.«
»Sieh da, wie richtig das in den Herzen zu lesen versteht!« rief hier der Prälat und schaute den Jüngling mit einem Blick an, in den sich zu spöttischem Beifall leiser Unwille mischte. »Wohl denn! Nehmen wir an, Knabe, ich hätte den Christen von Memphis zeigen wollen, was dessen wartet, der sein Land dem Feinde öffnet und Hand in Hand mit den Ungläubigen wandelt? War’ ich nicht im Rechte gewesen?«
»Hat der Vater die Araber etwa gerufen?« unterbrach ihn der Jüngling.
»Nein, Kind,« rief der Bischof, »der Feind ist von selbst gekommen!«
»Und Du,« unterbrach ihn Orion, »hast aus der Wüste, nachdem Dich die Griechen in die Verbannung getrieben, geweissagt, sie würden kommen und die griechischen, melchitischen Feinde unseres Glaubens über den Haufen rennen und aus diesem Lande vertreiben.«
»Das hat der Herr aus mir geredet,« versetzte der Greis und neigte demütig das Haupt. »Und noch anderes ward mir offenbar, als ich, der Askese ergeben, meinen Leib im Brande der Wüstensonne kasteite. Hüte Dich, hüte Dich, Kind! Folge meiner Warnung, damit es sich nicht erfülle und des Menas Haus nicht dahinschwinde wie die Wolken, die der Sturmwind verweht! Dein Vater, ich weiß es, hatte meine Prophetie so gedeutet, als sei von mir aus der Rat an ihn ergangen, die Ungläubigen als Werkzeuge des Höchsten aufzunehmen und ihnen zu helfen, die melchitischen Zwingherren aus diesem Land zu vertreiben.«
»Deine Weissagung,« versetzte der Jüngling, »wirkte allerdings tief auf den Vater, und als die Sache des Kaisers und der Griechen verloren war, gereichte ihm Dein Wort, die Melchiten seien ebensowohl Ungläubige wie die Bekenner des Islam, zum großen Troste; denn wenn einer, Du weißt es, so hatte er Grund, diejenigen zu hassen, welche ihm zwei blühende Söhne gemordet. Was dann geschehen ist, das hat er gethan, um seine, Deine unglücklichen Brüder und Schutzbefohlenen vor Verderben zu retten, und hier, hier in diesem Pulte liegt die Antwort, die er auf die Vorwürfe des Kaisers der griechischen Deputation erteilte, die ihn in diesem Zimmer zur Rede stellte. Er hat sie gleich nach ihrem Aufbruch niedergeschrieben; willst Du sie hören?«
»Ich kann ihren Inhalt erraten.«
»Nein, nein!« rief der Jüngling erregt, öffnete mit fliegenden Händen das Pult seines Vaters, zog auf den ersten Griff eine Wachstafel daraus hervor und rief. »So lautet hier die Entgegnung!«
Dann fuhr er lesend fort:
»Diese Araber sind bei ihrer geringern Zahl stärker und mächtiger als wir mit unserer Menge; ein Mann von ihnen ist so viel wie hundert von uns; denn sie suchen den Tod, der ihnen lieber ist als das Leben. Jeder von ihnen dringt kämpfend vorwärts, und sie haben gar keine Sehnsucht, in die Heimat, zu den Ihren zurückzukehren. Für jeden, den sie von uns töten, erwarten sie einen großen Lohn im Himmel, und sagen, wenn sie im Kriege fallen, so öffnen sich ihnen die Pforten des Paradieses. Sie haben keinen Wunsch in dieser Welt, sehen sie nur ihre dringendsten Bedürfnisse an Nahrung und Kleidung befriedigt. Wir dagegen lieben das Leben und scheuen den Tod; wie können wir gegen sie standhalten? Ich sage euch, daß ich den mit den Arabern geschlossenen Frieden nicht brechen werde...«
»Und was geht aus dieser Antwort hervor?« unterbrach ihn der Patriarch und zuckte die Achseln.
»Daß mein Vater sich gezwungen sah, Frieden zu schließen, und daß er – lies nur weiter! – daß er als weiser Mann dem Feinde die Hand reichen mußte.«
»Dem Feinde, dem er williger nachgab und größere Ehre erwies, als es ihm, dem Christen, anstand! Klingt diese Rede nicht, als warteten die Freuden des Paradieses allein und ausschließlich unserer verdammten, blutdürstigen Zwingherren? Und das muslimische Paradies! Was ist es anderes als ein Pfuhl, in dem sich wollüstig die sinnlichen Triebe wälzen? Der Lügenprophet hat es ersonnen, um die Seinen zu leiten, daß sie seine falsche Lehre einem Volk nach dem andern aufzwingen, gewaltsam und mit wilder Todesverachtung. Unser Herr, als menschgewordenes Wort kam er auf die Erde und gewann die Geister und Herzen durch die überzeugende Kraft der thatgewordenen, einzigen, ewigen Wahrheit, die von ihm ausgeht, wie das Licht von der Sonne; ein menschgewordenes Schwert ist dagegen dieser Muhammed! Auch mir bleibt einstweilen nichts übrig, als mich der Uebermacht zu unterwerfen, aber hassen, verabscheuen darf ich ihren verruchten, die Seelen irre führenden Wahn, und ich thu’ es, werd’ es thun bis zum letzten Schlag dieses alten, je eher desto lieber dem Stillstand erlesenen Herzens. Aber ihr? Aber Dein Vater? Wahrlich, wahrlich, wer nur eine Sekunde den Haß einbüßt gegen Unglauben und falschen Glauben, der hat sich für sein ganzes Leben diesseits und jenseits gegen den einzig wahren und rechten Glauben und an seinem Verkünder versündigt! Mit verbrecherischen, weichlichen Lobreden auf die Frömmigkeit und Mäßigung des Feindes, des Leibes und des Seelenschächters, des leibhaftigen Antichrists, hat sich Dein Vater Herz und Zunge geschändet...«
»Geschändet?« wiederholte der Jüngling und seine Wangen erglühten. »Rein und aller Ehre wert erhalten hat er sie beide; denn es ist kein unwahres Wort über seine Lippen gekommen. Gerechtigkeit, Gerechtigkeit gegen jeden, auch gegen den Gegner, das war der Grundzug, war die Richtschnur seines tadellosen Lebens, und schon die Edelsten unter den heidnischen Griechen haben denjenigen bewundert, der sich überwinden konnte, das Große und Rechte und Schöne auch an dem Feind anzuerkennen.«
»Und sie hatten recht,« versetzte der Patriarch; »denn sie waren noch nicht im Besitz der Wahrheit. Im weltlichen Leben mag ihnen jeder von uns auch heute noch darin nacheifern; doch wer denen vergibt, welche die hohe Wahrheit antasten, die das Brot, das Fleisch und den Wein unserer Christenseele ist, der versündigt sich gegen diese Wahrheit, und ist er ein Führer der Menge, so lockt er damit diejenigen, welche auf ihn schauen und nur zu leicht seinem Beispiel folgen, in das ewige Feuer. Wo Dein Vater ein unwillig gehorchender Feind hätte sein sollen, ist er zum Bundesgenossen, und was das Haupt der Ungläubigen angeht – es hat mich heiße Thränen gekostet – zum Freunde geworden. Und das, das muß unserem armen Volk an seinem Haupte geschehen und darnach hat es denn auch – vergib seinen Verführern, barmherziger Gott! – darnach hat es das eigene Verhalten gerichtet. Viele Tausende sind von unserem seligmachenden Glauben abgefallen und zu denen übergelaufen, die ja in ihren Augen nicht die Ruchlosigkeit selbst, nicht verdammt sein konnten, da sie ihren weisen, gerechten Führer Hand in Hand mit ihnen wandeln und handeln sahen; und darum, darum allein, um die irre geführte Menge zu warnen, hab’ ich mich nicht gescheut, dem eigenen Herzen weh zu thun, den Warnungsruf an der Gruft eines teuren Freundes zu erheben, ihm die Ehre und die Segnung zu entziehen, deren er doch durch ein tugendhaftes und gerechtes weltliches Leben würdiger als Tausende war. Ich habe gesprochen, und nun muß es aus sein mit Deinem thörichten Groll, nun wirst Du die Hand, welche der Wächter über die Seelen der Seinen Dir nochmals bietet, gern und beruhigten Herzens ergreifen.«
Abermals hielt der Greis Orion die Rechte hin, der aber ergriff sie auch diesmal nur zögernd und wandte dabei, statt dem Kirchenfürsten ins Antlitz zu schauen, den Blick verwirrt und düster zu Boden.
Doch der Patriarch schien das Widerstreben des Jünglings nicht zu bemerken und drückte ihm kräftig die Hand. Dann leitete er das Gespräch auf Orions trauernde Mutter, den Rückgang von Memphis, des jungen Mannes Zukunftspläne und endlich auf die Edelsteine, welche der Verstorbene der Kirche vermacht.
Ruhig und im Ton der geselligen Unterhaltung floß das Gespräch, der Prälat saß nun auf dem Lehnsessel des Verstorbenen, und es klang natürlich und ungesucht, wie er in sein Lob der Juwelen die Frage nach dem großen Smaragd einfließen ließ.
Da entgegnete Orion in gleichem Ton, daß dieser Stein nicht eigentlich zur Schenkung gehöre; doch der Prälat war anderer Meinung.
Was Orion seit dem unseligen Gang in das Tablinum gequält und geängstigt, ward bei diesem Gespräche wieder lebendig; doch gereichte es ihm zu einiger Beruhigung, daß weder seine Mutter noch Frau Susanna dem Prälaten mitgeteilt zu haben schien, welche Schuld er als Richter um des Steins willen auf sich geladen. Die Witwe hatte diese Angelegenheit augenscheinlich verschwiegen, um nicht von dem falschen Zeugnis reden zu brauchen, das ihr Töchterchen geleistet; aber wie leicht konnten diese unseligen Dinge dem strengen Greise zu Ohren kommen, und darum schien dem Schuldigen kein Opfer zu groß, jede Frage nach dem unglückseligen Juwel aus der Welt zu schaffen. Ungesäumt versicherte er darum, der Smaragd sei abhanden gekommen, doch erkläre er sich bereit, seinen vollen Wert zu ersetzen. Benjamin möge ihn schätzen und ihm jede beliebige Summe nennen, deren er etwa für einen wohlthätigen Zweck bedürfe, und er werde ihn, Orion, bereit finden, dieselbe unverzüglich zu zahlen.
Doch der Patriarch bestand in aller Ruhe auf seiner Forderung, gab Orion anheim, eifrig nach dem Steine zu suchen, und erklärte, daß er denselben als Eigentum der Kirche betrachte und die Ablieferung desselben, sobald seine Geduld erschöpft sei, mit aller Entschiedenheit und mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel veranlassen werde.
So blieb Orion nichts übrig, als zu erklären, die Nachforschungen nach dem verlorenen Kleinod fortsetzen zu wollen; doch er that es mürrisch und wie jemand, der einer unbilligen Forderung nachgibt.
Der Patriarch nahm es zunächst gelassen hin; doch als er sich später erhob, um Abschied zu nehmen, veränderte er plötzlich seine Haltung und sagte streng und ernst:
»Ich kenne Dich jetzt, Sohn des Mukaukas Georg, und womit ich begonnen, damit hör’ ich wieder auf: Fremd ist Dir die Demut des Christen, und unbekannt die Macht und Würde unseres Glaubens, aber Du weißt auch nicht, wie viel Liebe ihm innewohnt, wie viel heiße Sehnsucht, den irregeleiteten Sünder zurückzuführen auf die Pfade des Heils. Mit feuchtem Auge bekannte mir Deine herrliche Mutter, vor welchem Abgrunde Du stehst. Es verlangt Dich, den Bund fürs Leben mit einer Ungläubigen, einer Melchitin zu schließen, und noch ein anderes ist da, was das fromme Mutterherz ängstigt, martert im Hinblick auf Dich und Dein Heil. In der Kirche hat sie es mir anzuvertrauen verheißen, und ich werde es zu ergründen wissen bei meiner Heimkehr; aber wahrlich, was es auch sei, in schlimmere Gefahr als durch den Ehebund mit der Melchitin kann es Deine Seele nicht führen. Woran hängt Dein Herz? Nur an dem Glück dieser Erde! Du wirbst um eines ungläubigen Ketzers ungläubige Tochter, Du fährst – höre mich weiter! – fährst hinüber nach Fostat und bietest Deinen Geist und Arm – gestern ist es geschehen – den Ungläubigen an; aber ich, ich, der Hirt meiner Herde, werd’ es nicht dulden, daß der an Geburt höchste, an Besitz reichste, durch den bloßen Klang seines Namens mächtigste unter den Jakobiten Tausende mit sich abtrünnig macht. Solchem Unheil den Damm vorzuschieben, besitz’ ich den Willen und die Macht! Folge mir, oder Du wirst es mit blutigen Thränen bereuen!«
Hier erwartete der Prälat, Orion das Knie beugen zu sehen; doch dieser that ihm den Willen nicht, sondern schaute ihn mit weit geöffneten Augen tief erregt und unschlüssig an; Benjamin aber fuhr in wachsendem Eifer fort:
»Ich bin zu Dir gekommen, um meine Stimme zu erheben, und ich verlange, ich fordere, ja, ich befehle: löse jede Verbindung mit den Feinden Deines Volkes und Glaubens da drüben, weise die Liebe zu der melchitischen Sirene, die Dein ewiges Teil mit unabwendbarem Verderben bedroht, aus Deiner Seele...«
Bis dahin hatte Orion die wie Flüche gegen ihn geschleuderten Mahnungen des Kirchenfürsten schweigend und gesenkten Hauptes angehört; nun aber lehnte sich sein ganzes Innere auf, die Kraft, an sich zu halten, versagte ihm, und mit hoch erhobener Stimme unterbrach er den Prälaten:
»Nie, nie und nimmer werd’ ich das thun! Schmähe mich, wie Du willst! Was ich bin, das werd’ ich bleiben; ein treues Glied der Kirche, der die Väter angehangen und für die meine Brüder gestorben. Demütig bekenn’ ich mich zu meinem Herrn Jesus Christus. Ich glaube an ihn, glaube an den Göttlichen, der gestorben ist, um uns zu erlösen, und der in die Welt die Liebe gebracht hat. Treu und unentwegt halt’ ich fest an der meinen. Nie und nie werd’ ich von derjenigen lassen, die mich wie ein Gesandter Gottes, wie mein guter Engel gelehrt hat, den Ernst und die Würde des Lebens recht zu erfassen, und die auch mein Vater geliebt hat. Dein ist die Macht! Verlange Billiges, Erreichbares von mir, und ich werde mich zu bezwingen, werde es zu erfüllen versuchen; aber treulos werden, um Dir Treue zu halten, will und kann ich nie und nimmer, und was die Araber angeht...«
»Genug!« fiel der Prälat ihm ins Wort. »Ich gehe nach Oberägypten, und bei meiner Rückkehr hast Du zu wählen. Bis dahin gebe ich Dir Zeit, zu Dir selbst zu kommen, Dich zu besinnen, und in aller Ruhe befehl’ ich: vergiß die Melchitin! Deine, gerade Deine Verbindung mit einem ketzerischen Weibe ist ein nie zu duldendes Gräuel. Ueber Dein Verhältnis zu den Arabern, und darüber, ob es Dir ansteht, als der, welcher Du bist, Dienste bei ihnen zu nehmen, werden wir später noch reden. Hast Du Dich, wenn ich wieder komme, in Bezug auf das Weib eines Besseren besonnen – es steht Dir frei, um jede jakobitische Jungfrau zu werben – so werd’ ich in anderem Ton mit Dir reden. Ich biete Dir dann meine Freundschaft und Hilfe, statt des Fluches stell’ ich Dir den Segen der Kirche, die Geduld und Gnade des Höchsten, den geebneten Weg in das Jenseits und die Wonne in Aussicht, das geängstigte Herz einer tief bekümmerten Mutter neu zu erheben. Mein letztes Wort lautet: dem Weibe, von dem Du nichts zu erwarten hast als Verderben, wirst Du entsagen!«
»Ich kann und will und werd’ es dennoch nicht thun!« versetzte Orion fest.
»So muß und will und werde ich Dich fühlen lassen, wie schwer der Fluch lastet, den ich im äußersten Fall nicht zaudern werde auf Dich zu schleudern!«
»Das wird in Deiner Macht stehen,« versetzte Orion. »Aber verhängst Du das Aeußerste über mich, so zwingst Du mich, den Segen, nach dem meine Seele heißer schmachtet, als Du ahnen kannst, Herr, so zwingst Du mich, das Heil, dessen ich bedarf, bei ihr, die Du verdammst, und jenseit des Stromes zu suchen.«
»Wag es!« rief der Patriarch und verließ mit glühenden Wangen und festem Schritt das Zimmer.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Orion befand sich in dem weiten Gemach allein, und es war ihm, als ob die Welt nach Ungewitter und Sturm rings um ihn her in das leere Nichts versinke. Er empfand zunächst nur, daß sich etwas Furchtbares zugetragen und ihn weit hinaus aus dem Bereich alles dessen zu schleudern drohe, wovor er sich zu beugen und was er für heilig zu halten gewohnt war.
Seinem guten Engel zur Ehre und zu liebe hatte er dem Patriarchen den Krieg erklärt, und groß wie die Gestalt dieses Mannes war auch das, was er vermochte. Doch der Geliebten Bild überragte vor des Jünglings Auge den furchtbaren Greis hoch und siegreich, und sein Vater erschien ihm wie ein Bundesgenosse bei dem Kampfe, den er, ganz auf sich selbst gestellt, bestehen sollte.
Und nun vergegenwärtigte sich der Jüngling mit Aufgebot seines kräftigen Gedächtnisses und scharfen Geistes jedes Wort, das er aus des Prälaten Mund vernommen. Wie die Katze mit der Maus, so hatte der gewaltige, von Glaubenseifer übersprudelnde Greis mit ihm gespielt. Ihn auszuhorchen und zu ergründen hatte er gesucht, bevor er mit dem letzten ans Licht getreten war, womit er hätte beginnen sollen und wovon er unterrichtet gewesen, bevor er ihm zum erstenmal heiter, und als habe er keinerlei ernsten Vorwurf gegen ihn auf dem Herzen, die Hand geboten. Ohne ihn, nahm sich Orion vor, wollte er festhalten an seinem Glauben und sich durch ihn die beiden anderen höchsten Güter der Christenseele, Liebe und Hoffnung, nicht schmälern lassen.
Wie durch ein Wunder schien die Mutter trotz der Not ihres blutenden Herzens dem Kirchenfürsten noch nichts über den Fluch des Vaters mitgeteilt zu haben, und welche Waffe gegen ihn hätte dies in Benjamins Hand gegeben!
Mit tiefem Mitleid gedachte er der armen, unglückseligen Frau, und dabei durchfuhr ihn der Argwohn, daß der Kirchenfürst sich zu ihr zurückbegeben habe, um ihn anzuklagen und sie zu neuen Geständnissen zu bewegen.
Eine lange Reihe von Minuten war seit der Entfernung des Patriarchen vergangen, und ohne ihm das Geleit zu geben, hatte Orion den hohen Gast ziehen lassen, und das mußte Aufsehen erregen. Dieser Verstoß gegen die gute Lebensform, das unparagraphirte Gesetz der Gesellschaft, erschien dem Sohn eines alten, vornehmen Hauses, der die Achtung davor gleichsam mit der Muttermilch eingesogen, wie eine sich selbst angethane Unbill, und um diese wieder gutzumachen, fuhr er rasch ordnend über das zerwühlte Haupthaar und eilte in das Viridarium zurück.
Dort sollte sich sein Verdacht sogleich bestätigen; denn die Begleiter des Patriarchen standen noch vor dem Eingang in das Brunnenzimmer, wo seine Mutter sich aufhielt, und Benjamin trat soeben daraus hervor.
Mit höflicher Würde, und als sei zwischen ihm und Orion nur Freundliches verhandelt worden, nahm der Greis seine Begleitung an. Im Viridarium fragte er seinen jungen Wirt nach dem Namen einiger seltenen Gewächse und erteilte ihm den Rat, auf seinen Gütern für die Anpflanzung schattenspendender Bäume zu sorgen. Im Vorsaal standen an den Pilastern zur Seite der hohen hinteren Thür die Marmorstatuen der Wahrheit und der Gerechtigkeit, beides schöne Werke des Alexandriners Aristeas, der zur Zeit des Kaisers Hadrian gelebt hatte. Diese trug Wage und Schwert in den Händen, jene blickte in einen Spiegel. Als der Patriarch sich ihnen näherte, rief er dem Priester, welcher ihn begleitete, zu: »Noch immer!« Dann stand er still, wandte sich halb an Orion, halb an jenen und sagte: »Dein Vater hat, wie ich sehe, meinen Wink, diese heidnischen Figuren gehörten nicht in ein christliches Haus und am wenigsten in eins, woran sich eine öffentliche Behörde schließt, nicht beachtet. Wir wissen ja, wozu ihre Abzeichen sie stempeln; doch wie leicht kann der gemeine Mann, der hier wartet, das Weib mit dem Spiegel für die Eitelkeit und das mit der Wage für die Käuflichkeit halten: zahlet, was uns genehm ist, sonst – darauf deutet das Schwert – sonst geht es ans Leben!«
Damit schritt er lächelnd vorwärts und sagte dann leichthin zu Orion:
»Wenn ich wiederkomme – Du weißt ja – und mein Auge wird nicht mehr durch diese Gebilde vergangener Abgötterei beleidigt, so soll es mich freuen.«
»Wahrheit und Gerechtigkeit,« versetzte Orion mit gepreßter Stimme, »sie haben beinahe ein halbes Jahrtausend an dieser Stelle gestanden und in diesem Hause geherrscht.«
»Es wäre schöner und rühmlicher,« entgegnete der Kirchenfürst, »Du könntest das von dem einzigen sagen, dem im Christenhause die erste Stelle gebührt; in seinem Reich gedeiht jede andere Tugend von selbst. Der Christ soll aus seiner Wohnung jedes Bildwerk verbannen, nur vor das Thor des Herzens stelle er an den einen Pfosten den Glauben, an den andern die Demut.«
Damit waren sie aus dem Hof und an den Wagen der Witwe Susanna gelangt. Orion half dem Prälaten, ihn zu besteigen, und als ihm dieser im Angesicht von mehreren hundert auf die Kniee gesunkenen Beamten und Sklaven die Hand zum Kuß entgegenstreckte, berührte sie der Jüngling leise mit den Lippen. Tief geneigt blieb er stehen, so lange der heilige Mann der Menge den Segen aus der offenen Seite des Fuhrwerks zuwinkte; dann begab er sich schnell zur Mutter.
Er hatte die unglückliche Frau erschöpft durch die mit dem Besuch des Priesters verbundene Erregung zu finden erwartet; doch er fand Frau Neforis gefaßter, als er sie seit dem Tode des Vaters gesehen, ja, ihr sonst so nüchterner Blick strahlte in einem schwärmerischen Glanz, der Orion überraschte.
Hatte sie an den Vater gedacht? War es dem Patriarchen gelungen, ihr frommes Gemüt so zu begeistern, daß es sich gleichsam über sich selbst hinaus schwang?
Sie war zum Kirchgange gerüstet und forderte Orion auf, nachdem sie die Ehre gepriesen, welche ihr und dem ganzen Hause durch den Besuch des allerheiligsten Vaters zu teil geworden, sie in das Gotteshaus zu begleiten, und der liebevolle Sohn erfüllte, obgleich er die nächsten Stunden ganz anderen Dingen bestimmt hatte, ungesäumt diesen Wunsch, hob sie in den Wagen, raunte dem Lenker zu, langsam zu fahren, und ließ sich neben ihr nieder.
Unterwegs fragte er sie, was sie dem Patriarchen mitgeteilt habe, und ihre Antwort hätte ihn beruhigen können, aber sie erfüllte ihn nach einer neuen Richtung hin mit ernster Besorgnis. Der sonst so verständige, ruhige Geist dieser nüchternen Frau mußte unter der Wucht des Unglücks gelitten haben; denn was sie sagte, klang verworren und war ihm nur zur Hälfte verständlich; doch das eine ging klar daraus hervor, daß sie den Patriarchen nicht zum Vertrauten des Fluches gemacht hatte, mit dem der Vater geschieden. Der Kirchenfürst mußte auch ihr gegenüber des Verstorbenen Handlungsweise getadelt haben, und das hatte ihr die Lippen geschlossen. Sie klagte dem Sohn, daß Benjamin den Entschlafenen niemals verstanden, daß sie den heißen Wunsch, sich ihm ganz zu erschließen, habe zurückdrängen müssen. Erst in der Kirche, im Angesicht des Erlösers selbst, werde sie es über sich vermögen, ihn in ihrem Herzen lesen zu lassen wie in einem offenen Buche. Im Gotteshause, nur dort, eine Stimme habe es ihr gesagt, werde sie Erlösung finden für sich und den Sohn, doch die Stimme, sie höre sie oft bei Tag und bei Nacht, und, so weh es ihr thue, ihn zu bekümmern, jetzt müsse er’s hören: die Stimme lasse nicht ab, ihr zu befehlen, seine Verbindung mit der Melchitin auseinanderzureißen. Gestern habe sie geglaubt, es sei ihr ältester verstorbener Sohn, der zu ihr rede, er, der für seinen jakobitischen Glauben gestorben. Die Stimme habe wie die seine geklungen und ihr zugerufen, daß das alte Haus des Menas untergehen müsse, wenn die Melchitin das reine Blut ihres Stammes trübe. Und Benjamin habe ihre Besorgnis bestätigt und sei zu ihr zurückgekehrt, eigens um sie zu beschwören, dem frevelhaften Verlangen Orions nach der Tochter des Thomas mit dem Aufgebot ihres ganzen mütterlichen Ansehens entgegenzutreten, und weil der Patriarch dasselbe begehre wie die Stimme, so sei sie von Gott, und sie müsse ihr gehorchen.
Der alte Groll gegen Paula war wieder erwacht, und man hörte ihrer Stimme an, daß er sich mit jedem Satze steigerte, in dem sie ihrer gedachte.
Da bat Orion sie, sich zu mäßigen, und erinnerte sie an die Zusage, die sie ihm am Sterbebette des Vaters gegeben, und wie die Mutter ihm darauf mit Wimmern und Klagen zu antworten anhob, hielt der Wagen vor der Kirche. Nun wandte er alles auf, um sie zu beruhigen, und weil der weiche, zärtliche Klang seiner Stimme ihr wohl that, nickte sie ihm wieder freundlich zu, während sie ihm in das Gotteshaus folgte.
Hinter dem Narthex, dem Vorraum der Kirche, wo sich neben einem kleinen marmornen Brunnen drei Büßer im Angesicht der eintretenden Menge den Rücken mit Geißelhieben zerfleischten, mußten sie sich trennen; denn die Frauenstände befanden sich abgesondert von denen der Männer hinter einem Gitter von zierlich geschnitztem Holzwerk. Während Frau Neforis ihnen zuschritt, schüttelte sie leise den gesenkten Kopf. Sie gedachte der Wahl, vor welche Orion sie stellte, sich den Befehlen des Patriarchen oder des Sohns Wünschen zu fügen. Wie gern hätte sie den Jüngling wieder heiter gesehen, doch Benjamin hatte sie mit dem Verluste der himmlischen Seligkeit bedroht, wenn sie zu der Verbindung Orions mit der Ketzerin die Einwilligung gab; die ewige Seligkeit aber schloß für sie ein Wiederfinden und Wiederbesitzen in sich, für das sie den Sohn und dazu alles, was ihrem Herzen sonst noch lieb war, willig preisgegeben hätte.
Von dem Platz seiner Familie, dicht vor dem Hekel oder Allerheiligsten, aus, wo der Altar stand und die Priester den Gottesdienst versahen, wohnte Orion ihm bei. Er war von dem dreiteiligen Hauptschiffe durch eine mit elenden Bildern und leicht vergoldetem Zierat geschmückte Scheidewand getrennt und machte wie das ganze Gebäude einen weder ansprechenden, noch prächtigen, noch gar erhebenden Eindruck. Die ursprünglich reich ausgestattete Basilika war bei einem Zusammenstoß der Jakobiten und Melchiten von den letzteren ausgeplündert worden, und die verarmende Stadt nicht im stande gewesen, den alten Glanz ihrer ehrwürdigen Hauptkirche auch nur annähernd wieder herzustellen. Orion schaute um sich her; aber nichts, was er sah, vermochte seine Andacht zu steigern.
Die gesamte Gemeinde war gehalten, dem Gottesdienste stehend beizuwohnen, und da er sehr lange zu dauern pflegte, stützten sich nicht nur die Frauen hinter der Schranke, sondern auch viele Männer gleich Lahmen und Siechen auf Krücken. Wie unschön klang der immerfort von dem schrillen Ton einer geschlagenen Metallscheibe unterbrochene ägyptische Gesang, in den sich die Stimmen plaudernder Menschen mischten, die ein Priester, sobald das Gespräch in Zänkerei ausartete, vom Hekel her laut und heftig zur Ruhe verwies.
Sonst war, wenn das Abendmahl nicht verteilt wurde, mit diesen liturgischen Uebungen alles zu Ende; doch in dieser Angstzeit bestieg nun schon seit einer Woche ein Priester oder Mönch Tag für Tag die Kanzel.
Bald nachdem der Jüngling seinen Platz eingenommen, begann die Predigt, und mit einer peinlichen Empfindung erkannte er in dem hohläugigen, zerlumpten Mönch, der sie hielt, einen Geistlichen, dem er mehr als einmal, bis zur Sinnlosigkeit berauscht, in der Herberge des Nesptah begegnet war. Und dieser widrige Gesell, der mit dem Schmutz und der Verwahrlosung seines Körpers selbst auf der Kanzel prunkte, donnerte in die bebende Gemeinde hinein, das Ausbleiben der Nilschwelle sei die Folge ihrer Sünden und die Strafe Gottes für ihre Missethat. Statt die geängstigten Gemüter zu trösten, ihren Glauben freundlich zu beleben und sie mit Hoffnung auf bessere Zeiten zu erfüllen, stellte er ihnen in glühender Rede vor, welche Strafe ihres sündigen Kleinmutes harre.
Gott der Herr plage sie und das Land mit großer Hitze, aber diese sei wie ein kühler Nordwind in der Adventszeit verglichen mit der Glut der höllischen Oefen, welche Satanas schon für sie heize. Die brennende Sonne auf Erden erleuchte den Tag, aber die Flammen dort unten verbreiteten kein Licht, damit der Schrecken derer nicht aufhöre, welche die Knechte des Teufels mit Lanzen– und Gabelstichen, mit Keulenschlägen und tiefen Bissen ins Fleisch über die schmale Brücke trieben, die in sein gräßliches Reich führe. In der Todesangst und bei dem Gedränge auf diesem Stege trete die Mutter den Säugling, der Vater die Tochter zu Boden, und wenn die Verdammten die stachelige Schwelle des Höllensaales betreten, qualme ihnen ein grausamer, giftiger Gestank entgegen, der sie ersticke und ihnen doch wie die frische Luft Kraft verleihe, neue Qualen mit gesteigerter Empfindlichkeit aller Sinne zu fühlen. Und nun dröhne ihnen das Jammergeheul des Teufels entgegen, vor dem das Gewölbe der Hölle erzittere, und plötzlich ergreife er sie mit fürchterlichem Gezeter von dem Roste aus, auf dem er liege, zerpresse und zermalme sie wie Trauben zwischen seinem eisernen Gebiß und schlucke sie nieder in seinen brennenden Bauch, wenn sie nicht von den Knechten des Satans in glühenden Oefen an den Zungen aufgehängt oder bald durch Flammen, bald durch Eis gezogen und endlich auf dem Ambos der Hölle in Stücke zermalmt oder mit Tüchern und Stricken zu Tode geschnürt und gewunden würden. Gegen den Schmerz, den es da zu erdulden gebe, sei jede Seelenpein süß wie ein Kuß der Geliebten. Die Mutter höre das kochende Hirn im Schädel ihres Säuglings brodeln...
Bei diesem gräßlichen Ausspruch des Mönches wandte Orion sich schaudernd von ihm ab. Der Fluch, mit dem der Patriarch ihn bedroht hatte, kam ihm in den Sinn, und es war ihm, als sei das ganze heiße, dumpfe, mit Weihrauchqualm erfüllte Gotteshaus mit flatternden Dohlen und häßlichen Fledermäusen erfüllt. Tiefer Abscheu ergriff ihn, und plötzlich bäumte sich der frische Jugendmut, der Freiheitsdrang und die Daseinslust hoch auf in seiner Seele, und es war ihm, als riefe eine innere Stimme ihm zu: »Fort mit dem Zwang und den Ketten, rege deine Schwingen, beflügelter Geist. Fort mit dem Gotte des Schreckens, der ein anderer ist als der himmlische Vater, dessen Liebe die Menschheit umfaßt. Frei, ungefesselt vorwärts, auf die eigene Kraft gestützt, gelenkt vom eigenen Willen, rüstig hinaus in das offene, sonnige Leben! Frei, frei! Aber nicht wie der Sklave, der, kaum ausgebrochen und auf sich selbst gestellt, sich in die Knechtschaft der eigenen Sinne begibt, sondern aus freiem Antrieb, mit Schweiß auf der Stirn, rastlos bestrebt, das hohe Ziel zu erreichen, alles zur Entfaltung und Geltung zubringen, was groß und gut ist in diesem Geiste und dieser Seele. – Ja, ein Dienst sei das Leben! Wie von den Jüngern der Stoa sei auch von mir das, was sie Tugend nannten, erstrebt, zu keinem andern Zwecke, als weil es schön ist, weil es ungetrübte Lust verleiht, es zu üben. Ganz aus mich selbst gestellt, das suchen, was das Wahre ist, das thun, was ich als das Gute und Rechte empfinde, das sei hinfort das hohe Ziel meines Strebens. Zu den beiden großen Wünschen meines Herzens: die Versöhnung mit dem Vater und Paulas Besitz, trete hinfort der dritte: das Suchen nach dem höchsten Ziel, das für mich erreichbar, und das rüstige Ringen, ihm so nahe zu kommen, wie meine Kraft es gestattet. Der Weg, der dahin führt, ist die Arbeit, der Leitstern, dem ich zu folgen habe, um nicht irre zu gehen, meine Liebe!«
Mit glühenden Wangen und tief atmend schaute er um sich, als suche er einen Gegner, um mit ihm die Kräfte zu messen. Die widrige Predigt war zu Ende, und aus dem Gesang der Gemeinde klangen ihm die Worte ans Ohr: »Herr, strafe mich nicht um meine Missethat.« Da fiel ihm wieder aufs Herz, was er gefehlt, und allem voran der Fluch des sterbenden Vaters, und das kühne Haupt sank ihm auf die Brust, und er sagte sich, daß er zu schwer belastet sei, um den kühnen Flug zu wagen, zu dem er die Schwingen erhoben. Noch war der Bann nicht von ihm genommen, noch fühlte er sich nicht erlöst von seiner Wucht. Doch mit dem Worte »erlöst« trat ihm das Bild dessen ins Bewußtsein, der die Sünden der Welt auf sich genommen, und je tiefer er sich in das Wesen des Heilands versenkte, den er von Kind an lieb gehabt hatte, desto deutlicher empfand er, daß es der Freiheit des eigenen Willens keinen Abbruch thun, sondern einem alten Verlangen folgen heiße, wenn er alles, was ihn bedrückte, Jesu sage, daß die Liebe zu ihm, der Glaube an ihn auch für seine Seele erlösende Kraft besitze, und er erhob Auge und Herz zu ihm, und wie einem treuen Freunde vertraute er ihm alles an, was ihn ängstigte und hemmte, und bat ihn um seinen Beistand.
In der Liebe zu ihm wußte er sich eins mit Paula, wenn sie ihn auch anders faßte als er. Sinnend vergegenwärtige er sich, worin ihre Anschauungen abwichen von den seinen: sie sah neben der göttlichen auch eine menschliche Natur in Christus. Und als er dieser noch jüngst so tief von ihm verabscheuten Anschauung nachdachte, kam es ihm vor, als trete die einzige, Liebe und Wahrheit ausstrahlende Gestalt des Erlösers ihm näher, wenn er sich denke, daß er, der Makellose, Vollkommene, menschlich empfunden, und mit aller Daseinslust des Menschen im Herzen, empfindlich für jedes Leid und Weh, das den Sterblichen quält, unter Menschen gewandelt, sich mit ihnen gefreut und aus lauter Liebe für das elende Geschlecht, zu dem er sich aus seiner Höhe herabgelassen, unsägliche Demütigung, Schmerz und Tod, bangen, blutenden und doch opferfrohen Herzens auf sich genommen. Ja, dieser Christus konnte auch sein Erlöser sein: aus dem allmächtigen Herrscher ward er ihm zum vollkommensten, liebreichsten Freunde, zum herrlichen, nachsichtigen, teuren Bruder, dem man gern das ganze Herz schenken mochte, der alles verstand, alles zu vergeben bereit war, auch das, was in seiner, Orions, wunden, nach Läuterung schmachtenden Brust vorging, weil er einst selbst als Mensch menschlich gelitten.
Heute wagte er, der Jakobit, zum erstenmale sich dies alles einzugestehen, und nicht nur um Paulas willen...
Heftige Schläge auf eine zersprungene Metallscheibe weckten ihn mit lautem Lärm aus dieser Betrachtung: das heilige Abendmahl ward wie am Schluß eines jeden jakobitischen Hauptgottesdienstes gespendet. Der Bischof trat vor die Schranke des Hekel, goß Wein in einen silbernen Becher und brockte zwei mit dem koptischen Kreuze gestempelte Brötchen hinein. Von dieser Mischung genoß er selbst und reichte sie dann in einem Löffel den einzelnen Mitgliedern der Gemeinde, die sich ihm nahten. Nachdem zwei Kirchenälteste das Ihre empfangen, bekam Orion das Seine. Zuletzt säuberte der Priester den Pokal und trank auch den Spülwein, damit nichts von dem erlösenden Tranke zu Grunde gehe.
Wie hatte dem heranwachsenden Knaben das Herz gepocht, als er zu diesem heiligsten aller christlichen Gebräuche zum erstenmale zugelassen worden war! Er kannte seinen tiefen, herrlichen Sinn, er hatte die reinigende, erlösende, erquickende und zu allem Guten stärkende Wirkung des Abendmahls oft empfunden, wenn er es mit den Eltern und Brüdern zusammen genossen. Wie frisch gekleidet an Leib und Seele, fester als sonst mit einander verbunden waren sie damals Hand in Hand nach Hause gewandelt. Und heute war es ihm, der keinen Anstoß nahm an den widrigen Kultusformen der Konfession seiner Kindheit, als werde durch das Brot und den Wein, das Blut und Fleisch des Erlösers, der Bund besiegelt, den er still mit ihm geschlossen, und als nehme der Heiland mit unsichtbarer Hand die Schuld und den Fluch von ihm, die ihn so schwer belastet. Tiefe Andacht überkam ihn, und es war ihm, als werde sein künftiges Leben ihn Gott näher bringen denn je, und in Liebe und ernster, freier, mühevoller Verwertung der Gaben dahinrinnen, die ihm der Himmel verliehen.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Orion hatte die Heimfahrt mit der Mutter gescheut; doch war sie, nachdem sie sich über die Witwe Susanna beklagt hatte, welche hinter dem Frauengitter auch heut ihren Verdruß in auffallender Weise zur Schau getragen, auf die Seite gesunken und dann fest eingeschlafen. Den Kopf auf des Sohnes Schulter gelehnt, erreichte sie die Statthalterei, und Orions Besorgnis um die geliebte Frau fand neue Nahrung, als es ihm nur schwer gelang, sie zu erwecken. Wie eine Trunkene fühlte er sie wanken, während er sie an seinem Arm diesmal nicht in das Brunnengemach, sondern in das Schlafzimmer führte, wo sie sich niederzulegen begehrte, und nachdem sie sich kaum ausgestreckt hatte, von festem Schlaf übermannt ward.
Nun begab sich Orion zu dem Juwelier Gamaliel, kaufte von ihm einen sehr kostbaren und großen, doch einfach gefaßten Diamanten, und der Bruder des Israeliten übernahm es, ihn mit nach Konstantinopel zu nehmen und dort der Witwe Heliodora zu überbringen, die ohnehin zu seinen Kunden gehörte. In dem Wohnzimmer des Juweliers schrieb Orion dann einen Brief an die frühere Geliebte, worin er sie mit warmen, dringenden Worten bat, den Diamant anzunehmen, und ihm dafür den Smaragd durch einen schnellen, zuverlässigen Boten, den der Goldschmied Simeon mit allem Nötigen versehen werde, nach Memphis zurückzusenden.
Müde und hungrig nahm Orion sodann das verspätete Mittagsmahl, wie schon seit mehreren Tagen, allein mit der Griechin Eudoxia, der Erzieherin Marias, ein. Das Kind durfte das Zimmer noch nicht verlassen und zwar, wenigstens in einer Hinsicht, zur Freude der Pädagogin; denn das Speisen unter vier Augen mit dem schönen Jüngling bereitete ihrem alternden Herzen großen Genuß. Wie rücksichtsvoll war es, daß dieser reiche und vornehme Erbe die Sklaven anwies, ihr jede Schüssel vor ihm zu reichen, wie freundlich, daß er ihr gern zuhörte, wenn sie ihm von ihrer Jugend und den angesehenen Häusern erzählte, in denen sie früher Unterricht erteilt hatte! Sie wäre für ihren Tischgenossen in den Tod gegangen; da sich aber keine Gelegenheit für solches Opfer bot, versäumte sie wenigstens nie, ihn auf die besten Bissen aufmerksam zu machen und für frische Blumen auf seinem Zimmer zu sorgen.
Uebrigens nahm sie sich auch in höchst anerkennenswerter, aufopfernder Weise ihrer Schülerin an, seitdem sie erkrankt war, ihre Großmutter sich von ihr abgewandt und sie bemerkt hatte, daß Orion in ein geradezu väterlich liebevolles Verhältnis zu der kleinen Nichte getreten. Heute hatte der Jüngling noch keine Zeit gefunden, nach Maria zu fragen, und Eudoxias Mitteilung, sie zeige sich wieder aufgeregter als gestern, beunruhigte ihn so sehr, daß er sich trotz des Einspruchs der Griechin, ohne den Nachtisch abzuwarten, erhob, um selbst nach der kleinen Kranken zu sehen.
Aufrichtig besorgt stieg er die Treppe hinan. Es lag ihm so vieles schwer auf dem Herzen, und wie er sich Marias Zimmern näherte, sagte er sich mit einem wehmütigen Lächeln, daß er, der in der Residenz manchem angesehenen Mann und mancher viel umworbenen Frau aus dem Wege gegangen war, weil sie seinen hohen Ansprüchen nicht genügten, hier außer dem Kinde niemand besitze, bei dem er sicher war, Verständnis zu finden.
Zwischen seinem Pochen und der Aufforderung, einzutreten, verging längere Zeit, und während derselben hörte er hinter der Thür ein hastiges Hinundher. Endlich fand er Maria der Verordnung des Arztes gemäß auf einem Diwan neben dem weit geöffneten und gut beschatteten Fenster. Ihr Lager war von blühenden Pflanzen umgeben, und auf dem Tischchen vor ihr standen zwei große Blumensträuße, ein welkender und ein frischer, besonders schöner.
Wie hatte sich das Kind in den letzten Tagen verändert! Die Rundung der Wangen war geschwunden, und das ganze hübsche, schmale Gesichtchen wurde von den ohnehin ungewöhnlich großen Augen, die jetzt noch an Glanz zugenommen, wie beherrscht. An dem gestrigen fieberfreien Tage war sie blaß gewesen, heut aber glühten ihre Wangen, und dazu zeigte sich das Zucken an den Lippen und an der rechten Schulter, welches sich seit dem Todestag ihres Großvaters eingestellt hatte, so häufig, daß Orion sich besorgt zu ihr setzte.
»Ist die Großmutter bei Dir gewesen?« lautete seine erste Frage; doch die Antwort bestand nur aus einem traurigen Schütteln des Kopfes.
Was von neuen Blumen das Zimmer schmückte, war sein Geschenk, und so auch der welkende Strauß. Der andere, frische kam nicht von ihm. So erkundigte er sich denn nach dem Geber und war nicht wenig erstaunt, in welche Verwirrung und neue Erregung diese Frage seinen Liebling versetzte. Es mußte mit dem Strauß eine eigene Bewandtnis haben, das lag auf der Hand, und der junge Mann, der ihren gereizten Nerven nicht unnütz weh thun wollte und seine Frage auch nicht zurückziehen konnte, bedauerte schon, sie gestellt zu haben, als ihn die Entdeckung eines Federwedels, den er mit einem lebhaften: »Ei, was ist das?« aufhob, aus der Verlegenheit befreite.
Da stieg Maria eine neue Blutwoge ins Antlitz, und indem sie ihn mit den großen Augen bittend anschaute, legte sie den Finger auf den Mund, er aber nickte ihr verständnisvoll zu und fragte leise:
»Katharina war bei Dir? So bindet der Gärtner Susannas. Der Fächer... Als ich klopfte... Sie ist am Ende noch hier?«
Er hatte richtig geraten, und Maria wies stumm auf die Thür des Nebenzimmers.
»Aber um Gottes willen, Kind,« fragte Orion mit gedämpfter Stimme weiter, »was will sie noch hier?«
»Sie ist heimlich und im Boot gekommen,« flüsterte das Kind. »Durch ihren Anubis im Rentamt hat sie bei mir anfragen lassen, ob sie kommen dürfe, sie halte es ohne mich nicht mehr aus, und da – sie hat mir ja nichts Böses gethan – da sagt’ ich ›ja‹, und wie ich vorhin Dein Klopfen erkannte, husch – ging’s in die Schlafstube fort.«
»Und wenn die Großmutter ihr nun begegnet?«
»Ja dann – was dann mit mir wird... Ach Gott, Orion, wenn Du wüßtest, wie das – das...«
Dabei rannen zwei schwere Thränen über Marias Wangen, und Orion verstand ihre Bedeutung, strich ihr freundlich über die Locken und sagte leise und indem er oft nach der Schlafstube blickte:
»Ich bin eigentlich gekommen, um Dir mehr von Paula zu erzählen. Sie hat Dich sehr lieb und lädt Dich ein, zu ihr zu kommen und bei ihr zu bleiben. Aber das behältst Du hübsch bei Dir, Mädchen, und sagst es keinem Menschen, auch nicht Eudoxia und Katharina; denn ich weiß selbst noch nicht, wie es glücken wird, Großmutters Erlaubnis zu erwirken. Jedenfalls müssen wir dabei sehr klug und vorsichtig verfahren, verstehst Du? Ich ziehe Dich nur jetzt schon ins Vertrauen, damit Du Dich im voraus und auch bei Nacht darauf freuen kannst, wenn Du wieder solch Dummchen bist und wie die Hasen die Augen aufhältst, statt hübsch zu schlafen. Ist das Glück gut, so bist Du – denk einmal! – bist Du vielleicht morgen schon bei Paula. Vorhin hatt’ ich die Hoffnung schon aufgegeben, die Sache durchzusetzen; aber eben – ist das nicht komisch? – eben, vor zwei Minuten, hab’ ich mir mit einemmal gesagt: ›Es wird gehen!‹, und so muß es denn durchgesetzt werden.«
Da stürzte ein Guß von Thränen über die glühenden Wangen Marias, und so voll und reichlich er auch floß, brauchte sie doch nicht zu schluchzen, und ihre Brust blieb unbewegt. Auch ihre Lippen regten sich nicht, aber aus ihren feuchten Augen leuchtete eine so strahlende und reine Fülle von Dankbarkeit und Glück, daß Orion den eigenen Blick feucht werden fühlte und froh war, etwas zu finden, das seine Rührung verberge; denn wie Maria seine Rechte ergriff und einen innigen, langen Kuß darauf preßte, befeuchteten ihre Thränen seine Hand, und da rief er:
»Sieh nur, ganz naß, wie aus dem Becken gezogen.«
Weiter gelangte er nicht; denn plötzlich ward die Schlafzimmerthür aufgerissen, und die dünne, hohe Stimme der Griechin Eudoxia rief:
»Aber warum sich denn sträuben! Maria freut sich gewiß! Kind, Kind, da bring’ ich Dir Deine verlorene Freundin! Solch eine Ueberraschung!«
Damit erschien das Bachstelzchen, welches die Erzieherin mit keineswegs sanfter Gewalt vor sich herschob, jenseits der Schwelle. Eudoxias Gesicht strahlte, als habe sie eine Heldenthat vollbracht; doch sie erschrak ein wenig, als sie Orion noch hier fand.
Die getrennten Verlobten standen einander gegenüber. Das Geschehene war nicht wieder gut zu machen; aber wenn er sie auch nur mit einer gemessenen Verbeugung empfing und sie den Fächer mit kleinen, ruckweisen Bewegungen hin und her schwenken mußte, um ihre Verlegenheit zu verbergen, ging doch nichts vor, was dem Unbefangenen hätte auffallen können; ja, Katharinas hübsches Gesichtchen gewann ein herausforderndes Aussehen, als er sich nach seinem weißen Spitz erkundigte und sie ihm recht kühl antwortete, sie habe ihn im Hühnerhof an die Kette gelegt; denn der Patriarch, ihr Gast, möge Hunde nicht leiden.
»Auch manche Menschen beehrt er mit der gleichen Empfindung,« entgegnete Orion, und das Bachstelzchen versetzte, ohne sich lang zu besinnen:
»Wenn sie es verdienen!«
So ging das Gespräch kurze Zeit weiter, doch der Jüngling war weder in der Stimmung, die Sticheleien des Mädchens hinzunehmen noch sie mit gleicher Münze heimzuzahlen, und so schickte er sich zum Aufbruch an; aber bevor er Abschied genommen, rief Katharina, welche zum Fenster hinausgeschaut und den tiefen Stand der Sonne bemerkt hatte:
»Mein Gott, wie spät es schon ist! Ich muß fort; denn bei der Abendmahlzeit darf ich nicht fehlen! Mein Boot liegt im Fischerhafen neben den euren. Ist nur die Rentamtsthür noch nicht verschlossen!«
Da schaute auch Orion nach dem Stande der Sonne und sagte: »’s ist heute der Sanutiustag!«
»Ich weiß!« rief Katharina. »Deswegen eben hatte Anubis von Mittag an frei.«
»Und aus demselben Grunde,« fügte Orion hinzu, »ist im Rentamt keine Seele mehr bei der Arbeit.«
Das war schlimm! Um keinen Preis wollte sie in der Statthalterei gesehen werden, und nun sann sie, die von ihren Spielen mit Maria her jeden Schlupfwinkel in der Statthalterei kannte, nach, und ihr feines Gesicht bekam dabei einen für Orion ganz neuen, lauernden Ausdruck, der ihm mißfiel und zugleich seine Besorgnis erregte, nicht für sich selbst, sondern für Maria, der aus dem Umgang mit dieser Gespielin nichts Gutes erwachsen konnte. Dergleichen Besuche durften sich nicht oft wiederholen. In des Kindes Gegenwart wollte er die Sache auf sich beruhen lassen, doch Katharina sollte sogleich die nötigen Winke erhalten. Ohne ihn konnte sie nicht ungesehen ins Freie, und so unterbrach er ihr Sinnen, teilte ihr mit, daß er den Schlüssel zum Rentamt bei sich führe, sah nach, ob der Vorsaal frei sei, und führte sie gleich darauf durch mancherlei Gänge in das mit dem Wohnhaus verbundene Rentamt. Dies war in dieser Stunde wie ausgestorben, und als Orion dicht neben ihr vor der Hinterpforte stand, welche auf den Weg zum Fischerhafen führte, und er schon den Schlüssel erhoben hatte, um sie zu öffnen, ließ er ihn nochmals sinken, brach zum erstenmal das Stillschweigen, welches sie auf diesem unheimlichen Gang bisher beobachtet hatten, und fragte:
»Was führte Dich wohl zu Maria, Katharina? Sag es mir ehrlich!«
Ihr Herz, das schneller pochte, seit sie mit ihm allein in dem schweigenden, menschenleeren Hause verweilte, begann jetzt stürmisch zu schlagen, und eine große Angst, sie wußte selbst nicht wovor, überfiel sie.
Sie war aus mancherlei Gründen in die Statthalterei gegangen; doch einer hatte alle anderen überwogen: Maria sollte durch sie erfahren, daß ihr junger Oheim und Paula ein Liebespaar seien; denn das Kind konnte, das wußte sie aus Erfahrung, seiner Großmutter nichts Wichtiges verschweigen, und daß Frau Neforis Paula nicht liebte, das war ein öffentliches Geheimnis. Gewiß besaß jene noch keine Kenntnis von dem ernstlichen Werben ihres Sohnes um die Damascenerin, war aber Frau Neforis einmal davon unterrichtet, dann – daran zweifelte sie nicht – würde sie alles aufbieten, um Orion von Paula fernzuhalten, und so hatte sie denn auch der Kleinen mitgeteilt, die Leute erzählten sich schon, diese beiden wären ein glückliches Brautpaar, und sie habe sie selbst im Nachbargarten miteinander kosen sehen. Zu ihrem Verdruß war das alles sehr gelassen, ohne sonderliche Bewegung von Maria aufgenommen worden.
Wie Orion Katharina jetzt fragte, was sie in die Statthalterei geführt, konnte sie nur die eine Antwort geben: »Unerträgliche Sehnsucht nach der kleinen Maria.«
»Natürlich,« begann der andere, »doch ich wollte Dich bitten, Deinem freundlichen Verlangen nicht gar zu bald wieder nachzugeben. Deine Mutter trägt ihren Groll gegen die meine offen zur Schau, und der gewinnt neue Nahrung, wenn sie erfährt, daß wir Dich aufmuntern, gegen ihren Willen zu handeln. Vielleicht findest Du in der nächsten Zeit Gelegenheit, Maria öfter zu sehen, aber gerade dann bitt’ ich Dich, sie nicht von Dingen zu unterhalten, die sie aufregen könnten. Du hast Dich selbst überzeugt, wie reizbar sie ist, wie zart sie aussieht. Ihr kleines Herz und ihr nur zu früh entwickeltes Empfinden und Denken müssen zur Ruhe kommen, dürfen nicht durch mächtige Eindrücke neu aufgestachelt werden, und solche in ihr zu erwecken, bist Du im stande. Der Patriarch ist mein, ist unseres Hauses Feind, und Du – ich sag’ es nicht, um Dich zu kränken – hast ihn in der letzten Mitternacht belauscht, hast wahrscheinlich allerlei wichtige Dinge aus seinem Munde vernommen und darunter auch solche, die mich und mein Haus betreffen.«
Totenbleich stand Katharina dem jungen Mann gegenüber. Er wußte, daß und zu welcher Stunde sie den Patriarchen belauscht hatte, und der Schreck darüber, sowie das schwer erträgliche Bewußtsein, sich selbst in seinen Augen erniedrigt zu haben, verwirrten sie. Sie fühlte sich überrumpelt, verletzt, bedroht; indessen bewahrte sie Geistesgegenwart genug, um ihrem Gegner bald zu erwidern: »Unbesorgt! Ich komm’ schon nicht wieder. Es wäre ohnehin nicht geschehen, wenn ich hätte voraussehen können...«
»Mir zu begegnen?«
»Vielleicht; aber bilde Dir nicht zu viel darauf ein!... Was mein Lauschen angeht... Nun ja, ich hab’ mich an das Fenster gestellt! Drinnen konnt’ ich nur halbe Worte verstehen, und wen reizt es nicht, zu hören, was bedeutende Männer miteinander verhandeln? Ich bin solchen ohnehin, wenn ich Deinen Vater ausnehme, seit Memnon davonzog, nicht mehr in Memphis begegnet. Etwas Neugier haben wir Frauen nun einmal von der Mutter Eva geerbt; aber so weit bringen wir’s doch nur selten, in den Truhen unserer Gastfreunde nach Halsketten zu suchen. Ich habe als Uebelthäterin kein Glück, mein lieber Orion! Zweimal verdiente ich wohl diesen Namen... Dank dem großmütigen und weitgehenden Gebrauch, den Du von meiner Unerfahrenheit machtest, hab’ ich schwer, so furchtbar schwer gesündigt, daß es mir noch immer das Leben verdirbt, und jetzt in verzeihlicherer Weise; doch in beiden Fällen, Du weißt es ja, ward ich ertappt.«
»Deine Vorwürfe sind gerecht,« versetzte Orion düster. »Aber, Mädchen, wir haben beide der Schickung zu danken, daß sie uns nicht lang auf dem falschen Wege ließ. Schon einmal hab’ ich Dir Abbitte geleistet, und ich thu’ es hier nochmals. Das genügt Dir nicht – ich seh’ es Dir an – und ich kann es Dir kaum verdenken. Willkommener ist Dir’s vielleicht, wenn ich Dir abermals bekenne, daß kein Frevel wohl je härter und grausamer bestraft ward, als meiner.«
»So?« fragte Katharina gedehnt und fuhr dann, indem sie den Fächer regte, leichthin fort: »Aber Du siehst wahrhaftig nichts weniger als geknickt aus, und ist es Dir auch noch gelungen, die bewußte ›Andere‹ – Paula, wenn ich richtig rate – für Dich zu gewinnen...«
»Laß das!« unterbrach sie Orion entschieden, und näherte den Schlüssel der Pforte, sie aber trat ihm in den Weg, drohte ihm mit dem Finger und rief:
»Also doch! Nun weiß ich’s gewiß. Uebrigens hast Du mit Deinem groben ›Laß das!‹ ganz recht. Deine Liebesgeschichten kümmern mich nicht mehr, doch nach etwas anderem darf ich mich wohl erkundigen; denn es geht mich allein an: wie hast Du über unsern Zaun fortschauen können? Anubis ist kaum um einen Kopf kleiner als Du...«
»Und er ist für Dich Probe gegangen?« fiel ihr Orion, der sich dabei eines Lächelns nicht erwehren konnte und einsah, daß sein redlich gemeinter Ernst bei Katharina schlecht angebracht sei, ins Wort. »Trotz dieser löblichen Vorsicht bitt’ ich Dich, das Folgende für künftige Fälle wohl zu beherzigen: Was für ihn gilt, paßt nicht auf jeden, und außer Fußgängern gibt es auch schlanke Leute auf hohen Pferden.«
»Du also bist der nächtliche Reiter gewesen?«
»Der es nicht unterlassen konnte, zu Deinen Fenstern aufzublicken.«
Bei diesen Worten wich sie wie erschrocken vor ihm zurück, ihr Auge blitzte hell auf, aber nur für einen kurzen Moment, dann fragte sie scharf und mit beiden Händen an den zusammengepreßten Federn des Fächers.
»Soll das Spott sein?«
»Gewiß nicht,« entgegnete er gelassen; »denn wenn Du auch Grund genug hast, mir zu zürnen...«
»So habe ich Dir bis jetzt keinen dazu gegeben, gewiß nicht!« unterbrach sie ihn lebhaft. »Ich bin die Gekränkte, Mißhandelte, ich ganz allein, und Du mußt eingestehen, daß Du in meiner Schuld bist und daß ich das Recht habe, etwas von Dir zu verlangen.«
»Thu es,« versetzte Orion, »ich stehe zu Diensten.«
Da schaute sie ihn voll an und fragte:
»Zuerst! Hast Du schon weiter erzählt, daß ich...«
»Daß Du gelauscht hast? Nein – keiner sterblichen Seele.«
»Und versprichst Du mir, es nie zu verraten?«
»Gern! Was folgt für ein Zweitens auf dies Zuerst?«
Die Antwort auf diese Frage ließ auf sich warten; es fiel dem Bachstelzchen sichtlich schwer, sie zu geben, doch endlich begann es mit niedergeschlagenen Augen:
»Ich möchte... Du wirst mich für noch thörichter halten, als ich wirklich bin; indessen... Ja, ich frage Dich dennoch, obgleich es mir nur eine neue Demütigung zuziehen wird. – Die Wahrheit will ich wissen, und ist Dir noch etwas heilig, so mußt Du mir, bevor ich die Frage stelle, bei diesem Heiligsten schwören, mir gerade so zu erwidern, als wär’ ich kein närrisches Mädchen, sondern – hörst Du? – als war’ ich der höchste Richter am jüngsten Tage!«
»Wie feierlich das klingt!« versetzte Orion. »Uebrigens muß ich bemerken, daß es Fragen gibt, die uns nicht allein angehen, und wenn Du mir solche...«
»Nein, nein,« entgegnete Katharina, »was ich meine, das betrifft mich und Dich ganz allein.«
»Dann seh’ ich keinen Grund, Dir nicht den Willen zu thun,« erwiderte der andere. »Doch ich möchte einen Gegendienst von Dir fordern. Wie Dir, so scheint es auch mir wünschenswert, zu erfahren, wovon sich ein so bedeutender Mann wie der Patriarch unterhält, und da ich mich Dir zur Verfügung stelle...«
»Ich dachte,« unterbrach sie ihn lächelnd, »es müsse Dir zuerst daran liegen, Deine Schuld gegen mich wenigstens in etwas zu tilgen; doch ich verlange keine besondere Großmut, und das wenige, was ich zu hören bekam, ist schnell erzählt. Uebrigens wird es Dich ziemlich gleichgiltig lassen... Ich erfülle also Deinen Wunsch, und Du versprichst mir dagegen...«
»Die volle Wahrheit zu sagen.«
»So gewiß Du auf Vergebung Deiner Sünden hoffst?«
»So wahr ich dies hoffe!«
»Gut denn!«
»Was verlangst Du also zu hören?«
Da schüttelte sie den Kopf und rief ängstlich:
»Noch nicht, nein, nein, so kann es nicht gehen! Erst laß mich an die Reihe, und dann schließ die Thür auf, und will ich fort, so lässest Du mich laufen, ohne auch nur eine Silbe weiter zu sagen oder zu fragen. Reich mir den Stuhl; ich muß mich etwas setzen.«
Und sie schien wirklich der Ruhe zu bedürfen; denn schon seit einigen Minuten sah sie blaß und abgespannt aus, und ihre Finger zitterten, während sie sich mit dem Tüchlein über das Gesicht fuhr.
Sobald sie Platz genommen, begann sie zu erzählen, und als ihre Rede rasch, ausdruckslos, als sei sie nicht bei der Sache, dahinfloß, hörte Orion ihr mit großer Spannung zu; denn was er da vernahm, erschien ihm bedeutend und wichtig.
Er war im Auftrage des Patriarchen beobachtet worden. Dieser hatte schon um Mitternacht gewußt, daß er in Fostat gewesen sei und dort den arabischen Feldherrn aufgesucht habe. Sonst war nichts über ihn geäußert worden als die Befürchtung, daß er mit der Absicht umgehe, den Glauben seiner Väter abzuschwören und zu den Ungläubigen überzugehen. Weit wichtiger war, was Orion über die Abmachungen des Prälaten mit dem Vertreter des Chalifen erfuhr. Dieser hatte auf eine Verminderung der Klöster, Mönche und Nonnen gedrungen, welche von frommen Stiftungen und Geschenken lebten, nach des Pachomius Regel allerlei Handwerke trieben und bei ihrem freien Unterhalt im stande waren, die meisten Gegenstände des bürgerlichen Bedürfnisses von der Matte im Hause bis zum Schuh am Fuß weit billiger zu liefern als die weltlichen Handwerker in Stadt und Land. Der größte Teil dieser Armen war bei solcher Konkurrenz schon zu Grunde gegangen, und Amr, der auch die arabischen Lederarbeiter, Weber, Seiler und ihresgleichen von dem nämlichen Schicksal bedroht sah, hatte beschlossen, einen festen, beschränkenden Griff in die Klosterarbeit zu thun. Der Widerstand des Patriarchen war zäh und kräftig gewesen, schließlich hatte er aber doch beinahe die Hälfte der Mönchs– und Nonnencönobien preisgeben müssen; umsonst war indessen nichts zugestanden worden; denn Benjamin wußte sehr genau, wie große Schwierigkeiten er als Haupt der Kirche der neuen Regierung des Landes in den Weg legen konnte. So war es dem Patriarchen denn überlassen worden, die aufzuhebenden Klöster selbst zu bezeichnen, und der Prälat hatte natürlich zuerst Hand auf die letzten melchitischen Cönobien gelegt, und unter ihnen auch auf das Cäcilienkloster neben dem Hause des Rufinus. Diese Anstalt sollte schon in drei Tagen aufgelöst werden und der jakobitischen Kirche anheimfallen, und zwar in aller Stille, weil man jetzt, da das Ausbleiben des Nil alle Welt ohnehin in fieberhafter Spannung erhielt, befürchten mußte, daß das arme Volk von Memphis für die reichen Schwestern, denen so viele Wohlthaten und freundliche Pflege verdankten, eintreten werde. Auch von dem Senat der Stadt war Widerspruch gegen diese Maßregel zu erwarten, welche der verstorbene Mukaukas als ungerecht und schädlich für das Gemeindewesen bezeichnet hatte. Die vertriebenen orthodoxen Nonnen sollten als Laienschwestern – Aehnliches war schon häufig geschehen – an jakobitische Klöster verteilt werden; die Aebtissin aber, welche bei ihrer hohen Geburt, ihrer Klugheit und ihrem weit reichenden Einfluß leicht, wenn man sie frei ließ, die Kirchenfürsten des gesamten Morgenlandes gegen Benjamin aufbringen konnte, sollte in ein entlegenes äthiopisches Cönobium, von wo aus kein Fluchtversuch denkbar war, abgeführt werden.
Nur wenige Minuten hatte diese Erzählung in Anspruch genommen, und sie war mit ziemlicher Gleichgiltigkeit vorgetragen worden. Was gingen Katharina, was Orion, den Bruder zweier Opfer der melchitischen Gewaltthätigkeit, die Aufhebung orthodoxer Klöster und die Vertreibung ketzerischer Nonnen an?
Orion ließ sich auch nicht merken, wie sehr ihn das Mitgeteilte fesselte, und als Katharina sich endlich erhob und erschöpft nach dem Schloß der Pforte wies, sagte sie nur, wie verdrossen, so viel Zeit vergeudet zu haben: »Das ist in der Hauptsache alles.«
»Alles?« wiederholte Orion, während er die Thür aufschloß.
»Ganz gewiß, alles,« versetzte sie beklommen. »Was ich Dich fragen wollte... ob ich es zu wissen bekomme oder nicht... ‘s ist doch alles eins... Ja, es wäre vielleicht besser... Ganz gewiß... Laß mich hinaus!«
Doch er that ihr nicht den Willen, sondern sagte freundlich:
»Frage nur; ich antworte gern.«
»Gern?« wiederholte sie und zuckte ungläubig die Achseln. »Eigentlich müßte Dir doch recht übel zu Mute sein, wenn Du mich ansiehst; aber es geht eben nicht alles mit rechten Dingen zu in Memphis und auf der Welt; denn was kümmert’s euch Männer, was ihr aus so einem armen Mädchen gemacht habt? Denke nur nicht, ich wolle Dir Vorwürfe machen; Gott bewahre! Ich bin Dir nicht einmal böse. Wenn eins, so kann ich ja dergleichen verschmerzen. Meinst Du nicht auch? Um mich ist’s ja herrlich bestellt; mir kann’s nicht fehlen! Ich bin sehr reich und nicht häßlich, und es werden noch hundert kommen, die um mich werben. O, ich bin ein beneidenswertes Geschöpf! Einen Freier hatte ich schon, und der nächste wird jedenfalls treuer sein und mich weniger rücksichtslos beiseite schleudern als der erste. Meinst Du nicht auch?«
»Ich hoff’ es,« entgegnete Orion ernst. »So bitter der Trank auch ist, den Du mir hier bietest...«
»Nun?«
»So kann ich doch nur wiederholen, daß ich ihn hinnehmen muß, weil ich im Unrecht bin. Nichts sollte mich herzlicher freuen, als wenn ich wenigstens in etwas wieder gut machen könnte, was ich gegen Dich verschuldet.«
»O nein!« unterbrach sie ihn höhnisch. »So weit sollen sich unsere Wünsche gar nicht versteigen. Zwischen uns ist alles vorbei, und wenn Du mir je etwas gewesen, jetzt bist Du mir gar nichts mehr, gar nichts. Ein Stückchen Vergangenheit haben wir miteinander geteilt, und das ist zwar kurz, aber – weißt Du’s auch? – es ist sehr wichtig für mich gewesen. Es hat das junge Ding, das Du gestern noch – ich weiß es genau – für ein rechtes Kind hieltest, wundervoll schnell ausgereift und dazu viel schlechter gemacht, als Du Dir’s vorstellst.«
»Das sollte mir aus tiefstem Herzensgrunde leid thun,« versetzte Orion. »Es gibt ja keine Entschuldigung für mein Verhalten; doch das weißt Du ja selbst, daß zunächst der Wunsch unserer Mütter...«
»Uns für einander bestimmte, meinst Du? Ganz recht! Und hast Du auch Frau Neforis zu Gefallen mich damals unter den Akazien in die Arme genommen, mich Dein ein und alles, Dein Herzblatt und Rosenknöspchen genannt? Hast Du,« und hier erhob sie die Stimme, und ihre Augen blitzten in leidenschaftlicher Erregung, »hast Du – das eben ist es, was ich Dich fragen wollte, und was ich wissen muß – hast Du auch damals gelogen, oder hast Du mich wenigstens in den kurzen Minuten da unter den Bäumen aus dem Grunde des Herzens lieb, ebenso lieb gehabt wie jetzt – ich mag sie nicht nennen – wie jetzt Deine ›Andere‹? Die Wahrheit, Orion, die volle Wahrheit, Du hast es geschworen!«
Hier schwiegen ihre Lippen, aber ihr glänzender, feuchter Frageblick rief ihm deutlich und unverstellt zu, daß ihr Herz ihm noch immer gehöre, daß sie auf seinen Edelmut baue und eine bejahende Antwort erwarte. Ihr runder Arm preßte sich auf den vollen Busen, als wolle sie damit dessen stürmisches Wogen in Schranken halten. Ihr seines Gesicht war wieder mit frischem, bald zarterem, bald tiefem Rot wie übergossen. Ihr kleiner Mund, der eben noch so bittere Worte gesprochen, lächelte, wie bereit, süßen Lohn für das tröstliche, erlösende Wort zu erteilen, dem ihr ganzes Wesen entgegenschmachtete, und die klugen, jetzt thränenfeuchten Augen, sie ließen nicht ab, so rührend, so innig zu bitten! Welch ein bestrickendes Bild hilfloser, liebeerfüllter, gnadeheischender Jugend und Anmut!
»Ebenso lieb wie die ›Andere‹!« und »Du hast es geschworen!« tönte es fort vor dem inneren Ohr des Jünglings. Alles, was weich in ihm war, trieb ihn an, wieder gut zu machen, was er gegen dies holde, unglückliche junge Geschöpf verbrochen; doch das »Ebenso lieb wie die ›Andere‹!« und »Du hast es geschworen!« gaben ihm Kraft, fest zu bleiben, und er, der sich hier berufen fühlte, Mitleid und Trost zu erteilen, streckte ihr die Hände, wie um Hilfe flehend, entgegen und rief:
»Ja, Katharina, so hold, so reizend wie jetzt bist Du auch damals gewesen; aber ich... So gut ich Dir war, eine große, das ganze Wesen erfüllende Liebe gibt es nur einmal... Laß aus dem Spiel, was später geschehen ist... Stelle Deine Frage nur ein wenig anders, stell’ sie noch einmal, oder gestatte mir, Dir zu sagen...«
Aber er behielt keine Zeit, weiter zu reden; denn bevor er sie aufhalten konnte, war sie an ihm vorbeigehuscht und wie ein flüchtiges Wild ins Freie und dem Fischerhafen zugeeilt.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Orion war allein und schaute ihr traurig nach. War das der Fluch des Vaters? Es schien, als sollte jeder, der ihn liebte, Schmerz und Unglück dafür ernten!
Ihn schauderte, doch sein frischer Jugendmut und seine Widerstandskraft waren stark genug, bald Herr dieser marternden Gedanken zu werden. Welche Gelegenheit bot sich da, seine Kraft zu bewähren! Schon während Katharinas Erzählung hatte sich der mutige, thatendurstige Jüngling die Aufgabe gestellt, die Klosterfrauen zu retten. Je größere Gefahren ihre Lösung mit sich brachte, ja, je unausführbarer sie auf den ersten Blick erschien, desto willkommener war sie ihm gerade jetzt.
Frisch und kampflustig warf er die Thür hinter sich zu und trat ins Freie. Es dunkelte schon. Der Arzt mußte sich bei Maria befinden, und er war entschlossen, das Kind mit seiner Hilfe aus der Statthalterei zu entfernen. Erst wenn er Maria bei Paula wohlgeborgen im Hause des Rufinus wußte, konnte er mit freiem Herzen das Unternehmen, welches ihm vorschwebte, ins Werk setzen. Auf der Treppe rief er einem Sklaven zu: »Den Einspänner mit dem persischen Traber!« und bald darauf trat er zugleich mit der Sklavin, welche brennende Lampen brachte, in das Zimmer der Kleinen.
Weder sie noch Philippus bemerkten ihn sogleich, und er hörte, wie sie den Arzt, welcher ihr Handgelenk zwischen den Fingern hielt, fragte:
»Was hast Du nur heute? Mein Gott« – das Lampenlicht fiel ihm eben hell ins Antlitz – »wie blaß und traurig Du aussiehst! Warte, ich habe vorhin ein putziges Kerlchen aus Wachs zusammengeknetet...«
Mit diesem komischen Kunstwerk wünschte sie den Mann, der sich immer so freundlich gegen sie erwies, zu erheitern; doch während sie sich vorbeugte, um es zu ergreifen, bemerkte sie den Oheim und rief:
»Philippus kommt, um mich zu heilen, doch er sieht aus, als bedürfte er selbst eines Tränkchens. Gib acht, Du bekommst die bittere braune Medizin von gestern; da sollst Du einmal spüren, was schlecht schmeckt!«
So freundlich dieser Ausruf auch gemeint war, wurde ihm doch von beiden Männern, während sie einander stumm und mit einer förmlichen Verbeugung begrüßten, keine Beachtung geschenkt; aber es würde Orion auch ohne die Bemerkung des Kindes aufgefallen sein, welche Veränderung seit gestern mit dem Arzte vorgegangen war.
Scheinbar ohne des Eingetretenen zu achten, stellte er noch einige kurze Fragen an Maria, bat Eudoxia, den früheren Vorschriften auch ferner zu folgen, und warf dann einen eiligen Abschiedsgruß hin, der sich an alle Anwesenden zugleich richtete; doch Orion erwiderte ihn nicht, sondern bat mit einem liebevollen Blick auf die Kleine: »Hernach auf ein Wort!«
Dies veranlaßte auch Philippus, sich dem Kinde zuzuwenden, und wie darauf die Augen der Nebenbuhler sich trafen, wußten sie, daß sie wenigstens in einer Hinsicht einig waren und das Gleiche empfanden.
Es war dem Arzt nicht unbekannt geblieben, wie freundlich sich der junge Mann Marias angenommen, und so folgte er ihm schweigend in das Zimmer, welches er jetzt bewohnte, und das – Philipp wußte es – früher Paula beherbergt hatte.
»Im Dienste der Pflicht,« wiederholte er sich wieder und wieder, um ruhig zu bleiben und wenigstens im ganzen aufzufassen, was die klangvolle Stimme des schönen Mannes ihm gegenüber sagte, was er ihm mit einer Wärme, deren er ihn nicht für fähig gehalten, als Bittender vortrug.
Philippus wußte schon längst, in wie beklagenswerter Weise sich die Großmutter von der eigenen Enkelin abgewandt hatte, und fand Orions Wunsch, diese aus der Statthalterei zu entfernen, nur zu gerechtfertigt; als er jedoch erfuhr, daß sie Paulas Obhut anvertraut werden solle, zuckte er zusammen und blickte so düster zu Boden, daß der andere schnell erriet, was in ihm vorging. In der That hatte der Arzt sich gesagt, das Kind diene dem Werber nur zum Vorwand, sich der Geliebten öfter zu nähern, und schon war er, unfähig, diese Befürchtung in sich zu verschließen, aufgesprungen, um ihr Ausdruck zu geben, als Orion ihm das Wort vom Munde nahm und mit niedergeschlagenem Blick bescheiden und aufrichtig sagte:
»Um des Kindes, nur um Marias willen bei meinem seligen Vater...«
Da schüttelte der Arzt düster den Kopf, trat dem Gegner näher und murmelte dumpf:
»Um dieses Kindes willen bin ich im stande, viel zu thun und zu lassen. Besser als bei Rufinus und Paula wird es nirgends aufgehoben sein, doch wenn ich denken sollte,« und dabei erhob sich seine Stimme, und sein Auge gewann einen unheimlich drohenden Glanz, »wenn ich denken sollte, die heilige, gefährdete Unschuld sei nur eine Brücke...«
»Nein, nein!« unterbrach ihn Orion dringend. »Noch einmal die heilige Versicherung, daß ich nichts im Auge habe, als die Rettung des Kindes, und da nun doch schon so viel gesagt ist, kommt es auf ein Wort mehr oder weniger nicht an! Dir steht des Rufinus Haus Tag und Nacht offen, mich wird die nächste Zeit, wenn alles geht, wie ich denke, fern von hier, von Memphis, von der Tochter des Thomas halten. Ein Bubenstreich, mehr darf ich nicht sagen, etwas Schändliches ist im Werke, und ich will es zu hintertreiben suchen mit Gefahr meines Lebens. Du, ihr sollt das Recht verlieren, mir auch ferner Dinge zuzutrauen, die meiner Natur so tief widerstreben wie eurer. Du und ich, wir ringen, irr’ ich nicht, nach dem gleichen Preise und sind zu Gegnern geworden, aber warum soll das Kind darunter leiden? Vergiß es ihm gegenüber, und dies Vergessen wird Deinen Wert in ihren – Du weißt ja – in ihren Augen nur steigern.«
»Meinen Wert?« fiel ihm der andere höhnisch ins Wort. »Hier entscheidet kein Wert, sondern wie die blinde Dirne Glück ihre Gaben auswirft, wie eine Nase, ein Kinn, ein Auge geschnitten, was sich, es kann so gut ein Verbrechen sein wie eine Großthat, was sich zufällig tiefer in das Wachs eines weichen Mädchenherzens eindrückt, aber,« und dies rief er, wie außer sich, dem andern entgegen, »aber verflucht will ich sein, wenn ich weiß, wie wir auf diese Dinge kommen! Ist denn meine Narrheit mit offenem Busen auf der Straße umher gelaufen und hat sich den Leuten gezeigt? Woher weißt Du, was ich empfinde? Hat sie Dir vielleicht selbst von dem lächerlichen Liebhaber geplaudert? Einerlei! Du weißt es schon jetzt oder erfährst es wohl morgen, wer den Hahnenkampf gewonnen. Schau mich nur an! Die Herzensbrecher sehen anders aus als das Thersitesgesicht Dir gegenüber. Viel Glück zu dem Treffer, und das andere – da es doch wohl schon sein muß, auf morgen!«
Hiemit schritt er hastig auf die Thür zu, doch Orion hielt ihn zurück, flehte ihn an, seinen Groll nur jetzt zu vergessen, beteuerte, daß Paula ihm kein Wort von seiner Neigung verraten, daß er vielmehr selbst, da er ihn gestern so spät bei ihr gesehen, Qualen der Eifersucht erlitten, und forderte ihn auf, ihn weiter mit Worten zu mißhandeln, wenn ihm das das Herz erleichtere, nur möge er um alles Guten willen dem unschuldigen, braven Kinde seinen Beistand nicht entziehen.
Des Arztes menschenfreundliches Herz verschloß sich dieser Bitte nicht, und als er sich endlich mit der frohen und doch schmerzlichen Ueberzeugung, daß sein glücklicher Nebenbuhler der Geliebten würdiger geworden, zum Aufbruch anschickte, hatte er mit jenem abgemacht, daß er Frau Neforis, bei der er eine leichte Geistesstörung voraussetze, vorschreiben wolle, das Kind, dem die Luft in der Statthalterei gefährlich sei, einem befreundeten Arzt in der Nähe der Stadt anzuvertrauen.
Sobald Philippus das Haus verlassen, fuhr Orion zu Rufinus, und nach seiner bündigen Erklärung, daß ihn etwas Ernstes und Wichtiges herführe, bat ihn der Greis, ihm auf sein Arbeitszimmer zu folgen. Doch der Jüngling hielt ihn zurück, um mit ihm und den Frauen erst alles ins Reine zu bringen, was die Aufnahme der kleinen Maria betraf.
»Da wird ja nach und nach die ganze Statthalterei in unsern Garten verpflanzt!« rief Rufinus. »Mir soll’s schon recht sein; und Du, Alte, was sagst Du?«
»Mir ganz gewiß,« erwiderte diese. »Uebrigens haben weder Du noch ich hier zu bestimmen: sie wird Paulas Gast sein.«
»Wenn sie nur schon hier wäre,« versetzte die Jungfrau; »denn wer kann wissen, ob Deine Mutter, Orion... Es weht hier eine gefährliche melchitische Luft.«
»Laß Philipp und mich nur sorgen!« versetzte dieser. »Du hättest sehen sollen, wie glücklich das Kind war!«
Dann zog er Paula beiseite und fragte sie schnell: »Hoff’ ich nicht zu viel? Gehört mir Dein Herz? Mag kommen, was will, darf ich auf Dich zählen, auf Dich und Deine Liebe?«
»Ja, ja!« quoll es ihr aus dem innersten Grunde des Herzens, und tief aufatmend, beruhigt und froh folgte er nun dem Greise.
In dem erleuchteten Arbeitszimmer unterrichtete er Rufinus, ohne Katharinas Namen zu nennen, von dem Anschlag des Patriarchen gegen das Cäcilienkloster. Was kümmerten ihn diese melchitischen Nonnen? Aber es war ihm seit dem erlösenden Kirchgang, als sei es seine Pflicht, für alles einzustehen, was recht war, und gegen alles zu Felde zu ziehen, was er für nichtswürdig hielt. Außerdem wußte er, wie warm und entschieden sein Vater gerade für dies Kloster gegen den Patriarchen Partei genommen hatte. Endlich hatte er auch gehört, wie teuer der Geliebten das Kloster und seine Leiterinnen waren, und so schickte er sich freudig an, bei frischen Thaten aus sich selbst herauszukommen und seine Kraft zu bewähren.
Der Greis hörte ihm mit wachsendem Erstaunen und Schrecken zu und erhob sich, nachdem Orion seine Mitteilungen beendet, ratlos und händeringend; doch der Jüngling sprach ihm Mut zu und erklärte ihm, daß er nicht gekommen sei, um ihm eine verhängnisvolle Neuigkeit zu bringen, sondern um Rat mit ihm zu halten, wie man die gefährdeten Unschuldigen rette.
Da spitzte der greise Menschenfreund und Wandersmann die Ohren, und wie das alte Schlachtroß im Pfluge, wenn es Trompeten schmettern hört, sich aufbäumt und den Hals so stolz und edel krümmt wie unter dem glänzenden Geschirr in früheren Zeiten, so richtete Rufinus sich höher auf, seine alten Augen begannen zu funkeln, und begeistert und thatendurstig wie ein feuriger Jüngling rief er: »So ist’s recht, und ich bin mit bei der Sache, und nicht nur als Berater, nein, nein, mit Kopf und Hand und Fuß, mit dem ganzen Menschen! Und Du, junger Mann, Du! Ich hab’ Dir’s von vornherein angesehen, was in Dir steckt, trotz, trotz... Aber, so wahr der Mensch das Maß aller Dinge, wer auf weiten Ab– und Umwegen in das Reich der Tugend gelangt, der wird dort oft ein besserer Bürger, als wer gleich mitten darin zur Welt kam. – Spät ist’s schon, doch das Nachtgebet hat noch nicht begonnen, und ich finde die Frau Aebtissin noch auf. Hast Du einen Vorschlag zu machen?«
»Ja! Uebermorgen Abend um diese Zeit...«
»Warum nicht gleich morgen?« unterbrach ihn der feurige Greis.
»Weil wir mit den Vorbereitungen, die not thun, in zwölf Tagesstunden nicht fertig werden.«
»Gut, gut!«
»Uebermorgen Abend wird also ein großes Boot – nicht von den unseren – am Ufer des Klostergartens bereit liegen. Ich begleite die Frauen bis nach Dumiat an der See. Dahin schick ich noch diese Nacht einen reitenden Boten und lasse für die Fliehenden durch meinen Vetter Columella, den größten Rheder der Stadt, ein Meerschiff chartern. Das bringt sie dann, wohin die Aebtissin befiehlt.«
»Herrlich, köstlich!« rief der Alte begeistert. Dann griff er nach Hut und Stock, und dabei veränderte sich der Ausdruck seines strahlenden Gesichtes und wurde sehr ernst. Mit gemessener Würde trat er auf den überraschten Jüngling zu, blickte ihn mit väterlicher Freundlichkeit an und sagte:
»Ich weiß, was Deinem Hause durch unsere, durch die Glaubensgenossen derjenigen widerfahren ist, für die Du jetzt so klug und mutig einzutreten gedenkst, und das, junger Mann, das ist edel, ja das ist groß. In Dir, den sie mir als einen jungen Weltmenschen mit weitem Gewissen schilderten, muß ich zum erstenmal finden, was ich unter den Frommen und Tugendhaften auf jahrelangen Wanderungen vergebens suchte: den opferfreudigen Willen, den Feind, den Andersgläubigen aus schwerer Not zu erretten. Aber Du bist jung, Orion, und ich bin alt. Dich freut die That allein, ich sehe die Folgen. Weißt Du, was Dir bevorsteht, wenn der Beistand entdeckt wird, den Du dem Wilde leistest, das der Patriarch schon in seinem Netze sieht? Hast Du bedacht, daß Benjamin, der unerbittlichste und dazu der mächtigste unter den jakobitischen Hassern, Dich dann als Dein Todfeind mit all den furchtbaren Mitteln verfolgen wird, über die er verfügt?«
»Ich hab’ es erwogen,« entgegnete Orion.
Da legte ihm Rufinus die linke Hand auf die Schulter, die rechte auf das Haupt und rief: »So nimm dafür im voraus den Segen eines alten Mannes, ja eines Vaters.«
»Eines Vaters,« wiederholte Orion leise, ein freudiger Schauer durchbebte ihm Leib und Seele, und bewegt sank er dem Greise ans Herz.
Eine kurze Minute hielten sie sich so umschlungen; dann löste sich Rufinus aus seiner Umarmung und eilte zu der Aebtissin. Orion gesellte sich zu den Frauen, deren Neugier aufs höchste stieg, als sie den Greis durch die in den Klostergarten führende Pforte verschwinden sahen.
Frau Johanna vermochte vor innerer Unruhe nicht still zu sitzen, Pul antwortete zerstreut, wenn Orion und Paula, die sich unendlich viel zu sagen und zuzuflüstern hatten, sie bisweilen mit in das Gespräch zu ziehen versuchten. Einmal seufzte sie tief auf, und als die Freundin sie fragte: »Was hast Du nur, Kind?« entgegnete sie beklommen: »Es muß etwas Ernstes vorgehen, ich fühl’ es. Wenn Philipp nur hier wäre!«
»Wir sind ja, gottlob, alle wohlauf,« versetzte Orion; sie aber erwiderte schnell: »Ja, ja, gelobt sei der Heiland!« Doch dachte sie dabei: »Ihr glaubt, er sei bloß gut, Kranke zu heilen; aber nur, wenn er da ist, wird alles zum Rechten und Besten geleitet.«
Jedes empfand, daß etwas Ungewöhnliches, Verhängnisvolles sich vorbereite, und wie der Greis endlich zurückkehrte, bestätigte sein Aussehen diese Vermutung.
Still und ernst entledigte er sich des Hutes und Stabes; dann zog er seine Gattin liebevoll an sich und sagte: »Es gilt, wie schon so oft, Mut und Fassung zu zeigen, Alte; eine ernste Pflicht hab’ ich auf mich genommen.«
Frau Johanna war tief erblaßt, und während sie sich fester an den Gatten schmiegte und ihn bat, zu reden und sie nicht länger zu foltern, bebte ihre zarte Gestalt und rannen ihr schwere Zähren über die Wangen. Sie ahnte, daß es den Mann wieder fort von ihr und ihrem Kinde trieb im Dienste und zum Frommen anderer Menschen und wußte zugleich, daß sie es nicht hindern konnte. Aber hätte sie es auch vermocht, würde sie doch Kraft gefunden haben, ihm nicht zu wehren, weil sie ihn immer verstand und mit ihm als notwendig für sein inneres Glück erkannte, was ihn aus dem engen Kreise des Hauses ins Weite zog.
Er sah, was in ihr vorging, und es that ihm weh, aber er ließ sich davon nicht beirren. Er, der jedes kranke Tier zu heilen bestrebt war, hatte sich gewöhnt, diejenigen, welche er am meisten liebte, um seinetwillen leiden zu sehen. Die Ehe, sagte er sich, dürfe den Mann nicht hindern, seinem innersten Beruf zu folgen, und mit diesem stolzen Namen wußte er vor sich selbst und seiner Frau zu rechtfertigen, wozu ihn oft hauptsächlich Wanderlust und Thatendurst drängten. Auch ohne diese Triebe hätt’ er für die bedrohten Nachbarinnen das Seine gethan, sie aber erfüllten ihn mit noch mehr Lust an dem schönen, gefahrvollen Rettungswerke.
Das grausame Schicksal der armen Schwestern und der Gedanke, sie aus ihrer Nähe verbannt zu sehen, that den Frauen bitterlich weh, und so sahen die Männer denn manche Thräne rinnen; aber es bot sich ihnen auch das erfreuliche Schauspiel, drei weibliche Wesen fest und in gleicher Weise entschlossen zu sehen, alles zu wagen, und von denen, die sie liebten, alles wagen zu lassen, um eine That zu verhindern, die sie mit Grauen und Abscheu erfüllte.
Frau Johanna erhob kein Wort des Einspruchs, als ihr Gatte erklärte, die fliehenden Schwestern begleiten zu wollen, und als Rufinus mit leuchtenden Augen Orions Umsicht und wackere Entschlossenheit pries, eilte Paula auf ihn zu und streckte ihm froh und stolz beide Hände entgegen. Dem Jüngling war bei dem allen., als wüchsen ihm Flügel, und dieser verhängnisvolle Abend wurde zu einem der glücklichsten seines Lebens.
Die Aebtissin war auf seinen Plan eingegangen und hatte ihn in einigen Punkten ergänzt. Zwei Laienschwestern und eine Nonne sollten zurückbleiben. Die ersteren hatten sich in die Pflege der Hauskranken zu teilen, wie gewöhnlich die Glocken zu läuten und zu singen, damit der Aufbruch der anderen unbemerkt bleibe, und Frau Johanna, Paula und Pul sollten sie dabei unterstützen.
Als der Jüngling in später Stunde aufbrechen wollte, warf Rufinus die Frage auf, ob es unter den obwaltenden Umständen noch angehe, Maria in sein Haus zu führen; er selbst möchte es bezweifeln. Diese Ansicht teilte auch Frau Johanna; Paula versicherte dagegen, daß sie es für besser halte, das Kind fern liegenden und kaum zu befürchtenden Gefahren auszusetzen, als ihm in der Statthalterei Leib und Seele zerrütten zu lassen. Pul stand auf ihrer Seite, doch mußten sich die Mädchen dem Urteil der anderen fügen.
Dreißigstes Kapitel.
Der Arzt Philippus eilte nach seinem Gespräch mit Orion durch die Stadt und achtete dabei so wenig der ihm begegnenden Leute und der Prozessionen, die mit lautem Gesang ihm entgegenkamen, um den Himmel zu bestimmen, den Nil endlich steigen zu lassen, daß er an mehr als einen Vorübergehenden stieß und mancher und manche ihm scheltende Worte nachrief. In einige Häuser trat er ein, und weder die Kranken noch die Angehörigen derselben erkannten in dem barschen, hastigen Manne den Arzt und Freund wieder, der sonst den Leidenden so teilnehmend und mit so herzbelebender Wärme begegnete, die Kinder in die Lust schwang, ihnen einen Kuß gab oder sie heiter neckte. Heute konnte er auch Erwachsenen Scheu und Bangigkeit einflößen. Die liebe Pflicht war ihm zum erstenmal eine widrige Last; der Leidende erschien ihm wie ein Quälgeist, der sich mit den anderen gegen seine Ruhe verschwor. Was widerfuhr ihm denn Liebes von den Menschen, daß er sich um ihretwillen das Behagen des Daseins und den Schlaf der Nächte rauben ließ?
Rufinus hatte recht!
In dieser Zeit lebte der eine nur, um den anderen wehe zu thun, mit je eisernerer Stirn man Selbstsucht übte und nicht nach rechts und links blickte, desto weiter konnte man es bringen! Narr, der er war, sich von fremdem Leid die Ruhe stören, sich selbst im wissenschaftlichen Fortschreiten hemmen zu lassen!
Von solch bitteren Gefühlen bestürmt, betrat er ein sauberes kleines Haus am Hafen, wo ein braver Schiffssteuermann, von Weib und Kind umgeben, im Sterben lag, und dort ward er plötzlich wieder der Alte, dort bot er alles auf, was er an Wissen und warmer Herzlichkeit besaß, und verließ es blutenden Herzens und mit ausgeleertem Beutel; doch sobald er wieder ins Freie gelangt war, kehrte die vorige Stimmung mit verdoppelter Bitterkeit zurück. Da lag es ja auf der Hand: selbst mit dem festen Entschlusse, sich nicht mehr für andere zu opfern, mußte er es dennoch thun! Dieser Trieb war stärker als er! Wie ein Säufer das Trinken, konnte er das mit den Leidenden Leiden, das sein Bestes Säen, um nichts dafür zu ernten, nicht lassen! Er war dazu gemacht, ausgebeutet zu werden; es war sein Schicksal!
Gesenkten Hauptes trat er wiederum in den Arbeitssaal seines alten Freundes, der gerade wie gestern hinter seinen Rollen und drei Lampen vor dem Arbeitstische saß, unter dem ein Sklave, seines Winks gewärtig, schnarchte.
Mit dem schönen griechischen Gruß: »Freue Dich!«, der heute klang wie ein: »Magst Du ersticken!«, warf er das Obergewand von sich, und auf des Greises Gegengruß und seinen besorgten Ruf: »Wie Du aussiehst, Philipp!« versetzte er grimmig: »Wie em Mensch, der Fußtritte verdient statt des Willkommens; wie ein Einfaltspinsel, der sich wieder eine Nase hat drehen lassen; wie ein Hund, der dem Rüpel, der ihn zu schanden gehauen, die Hand leckt!« Damit warf er sich nieder auf das Lager und erzählte Horus Apollon, was ihm mit Orion begegnet. »Und das Tollste dabei ist,« schloß er, »daß der Mensch mir beinahe gefallen hat, daß er mir wirklich auf dem Wege zu sein scheint, ein ordentlicher Kerl zu werden, daß ich nicht mehr nötig hätte, ihn bei dem bloßen Gedanken, er könne die Hand nach Paula ausstrecken, in den nächsten Kalkofen zu werfen. Aber —« und dabei erhob er sich hastig, »wenn ich ihm auch helfe, das arme Kind von der hirnverbrannten alten Vettel fortschaffen, Marias Arzt will ich, kann ich nicht bleiben. Es laufen genug Quacksalber in diesem Leichnam von einem Nest umher, und unter denen mag sie sich einen wählen. Ich – ich...«
»Du wirst die Kleine weiter behandeln!« fiel ihm Horus Apollon gelassen ins Wort.
»Um es zu erleben, daß mir das Herz täglich mit Nesseln gepeitscht wird?« fuhr der Arzt auf und näherte sich mit heftigen Gesten dem Greise. »Glaubst Du, ich hätte Lust, der Liebsten des Statthalterburschen täglich zu begegnen, mir oft zweimal des Tages den Widerhaken in der blutigen Wunde herumdrehen zu lassen?«
»Ich erwarte eine ganz andere Wirkung von diesen häufigen Besuchen,« sagte der andere. »Du wirst Dich gewöhnen, Paula als das anzusehen, was sie seit gestern nur noch für Dich sein kann: ein hübsches Mädchen, wie es deren Tausende gibt in Aegypten, die Braut eines andern.«
»Ja, wenn dies Herz ein Jagdhund wäre, der sich legt, wenn man ›Kusch‹ ruft!« lachte Philippus höhnisch auf. »Es bleibt dabei, ich muß fort, fort aus Memphis oder meinetwegen auch von dieser erbärmlichen Erde! Ich, und in ihrer Nähe die Ruhe – o meine schöne verlorene Ruhe! – wiedergewinnen?!«
»Und warum sollte Dir das nicht glücken? Für jeden ist jedes Ding nur das, wofür er es ansieht. Hör mir nur zu! Ich hatte eine Arbeit über den alten und neuen Kalender vollendet, und mein Lehrer forderte mich auf, darüber im Museum – wenn die heutige Silbenstecherschule in Alexandria noch diesen Namen verdient – einen Vortrag zu halten, aber ich mochte nicht darauf eingehen, weil ich wußte, daß mich die Anwesenheit von so vielen gelehrten Zuhörern verlegen machen werde. Da riet mir der Meister, mir einzubilden, mein Auditorium sei nicht aus Menschen, sondern aus lauter Kohlköpfen zusammengesetzt. Das leuchtete mir ein; ich befolgte den Rat und so kam ich über die Befangenheit fort, und wie Oel floß mein Vortrag.«
»Eine gute Geschichte,« entgegnen Philippus, »doch seh’ ich nicht ein...«
»Du sollst Dir, will sie besagen,« unterbrach ihn der Alte, »aus der allerholdseligsten Geliebten wenn auch keinen Kohlkopf, so doch in Gedanken ein Dutzendwesen machen, womit Dein Herz nichts mehr zu thun hat. Biet’ einige Willenskraft auf, und es wird Dir gelingen.«
»Wenn das Herz eine Zahl und die Leidenschaft Kalendermacherei wäre!« rief der Arzt. »Du bist ein weiser Mann, und Deine Schriftrollen und Tafeln haben Dich wie Wälle und Mauern vor der Leidenschaft geschützt!«
»Wer weiß!« versetzte der andere. »Jedenfalls würde diese es nie über mich vermocht haben – um eines Weibes willen, das meine Neigung verschmäht, meinem Freunde und Vater die wenigen Tage, die ihm noch unter der Sonne zu wandeln vergönnt ist, grausam zu vergällen. Willst Du mir geloben, nichts mehr von Flucht aus Memphis und dergleichen zu faseln?«
»Lehre mich erst meine Widerstandskraft messen.«
»Willst Du sie wenigstens zu üben versuchen?«
»Ja, Dir zu liebe.«
»Versprichst Du mir, das arme kleine Mädchen, das ich gern mag, trotz seiner Herkunft, weiter zu behandeln?«
»So lang ich es aushalte, täglich mit derjenigen zu verkehren – Du weißt ja...«
»Das soll ein Wort sein. Komm jetzt und laß uns ein paar Abschnitte weiter übersetzen.«
Bis spät blieben die Freunde bei der Arbeit zusammen, und als der Greis allein war, dachte er: »So lang er dem Kind nützen kann, geht er nicht fort, und bis dahin hab’ ich wohl der verdammten Sirene die Grube gegraben.«
Orion hatte in der Frühe des nächsten Morgens alle Hände voll zu thun. Bevor es noch hell war, fertigte er zwei sichere Boten nach Dumiat ab und übergab beiden einen Brief mit dem Auftrag, ein Segelschiff für die Fliehenden bereit zu halten. Der eine sollte drei Stunden später aufbrechen als der andere, damit es dem Unternehmen nicht schade, wenn einem ein Unfall begegnete.
Sein erster Ausgang führte ihn an den Hafen, und es gelang ihm dort, bald ein gutes und geräumiges Nilboot aus Dumiat zu mieten, dessen Führer, ein zuverlässiger und geschickter Mann, ihm versprach, ihre Abmachung geheim zu halten und sich von morgen Nachmittag an zu seiner Verfügung zu halten.
Nachdem er unterwegs mit sich zu Rat gegangen, begab er sich sodann auf das Rentamt und setzte dort mit Hilfe des Nilus ein Testament auf, welches am andern Morgen vor Notar und Zeugen rechtskräftig gemacht werden sollte. Seine Mutter, die kleine Maria und Paula setzte er zu Haupterben ein. Als Legate vermachte er den Kranken und Waisenhäusern des Landes, sowie der Kirche, damit sie für das Heil seiner Seele beten lasse, eine beträchtliche Summe, eine andere »dem gerechtesten unter den Richtern des Hauses«, dem Rentmeister Nilus. Auch die Griechin Eudoxia, die Erzieherin Marias, wurde bedacht, und endlich verordnete er die Freilassung sämtlicher Haussklaven und vermachte ihnen, damit sie nicht Not litten, als gemeinsam zu bearbeitenden Besitz eine seiner größten Herrschaften in Oberägypten. Den treuen Dienern und Freigelassenen der Familie vergrößerte er die reichlichen Zuwendungen, welche ihnen schon sein Vater gemacht.
Diese Arbeit nahm mehrere Stunden in Anspruch, und Nilus, der in die rechten Formen goß und niederschrieb, was er ihm diktirte, that es tief bewegt und er staunt über die Umsicht und Güte des Jünglings, den er, seitdem er ihn den Richterstuhl hatte entweihen sehen, für einen verlorenen Menschen gehalten.
Aus der Verordnung Orions, das Testament sei zu eröffnen, falls er vier Wochen nach der Ausstellung desselben von einer Reise, die er morgen anzutreten gedenke, noch nicht zurückgekehrt sei, ersah der treue Beamte, daß der letzte Sproß des Hauses, in dessen Dienst er ergraut war, sich großen Gefahren auszusetzen gedenke, doch wagte er in seiner Bescheidenheit keine Frage, und sein Herr zog ihn nicht ins Vertrauen.
Als beide Männer den Vorsaal betraten, stand dort der Rechnungsschreiber Anubis, der Milchbruder und Freund der kleinen Katharina, doch Nilus achtete seiner nicht, und während er Orion mit feuchtem Auge die zum Abschied gebotene Hand küßte, und dieser ihm verhieß, ihm morgen Abend vor dem Aufbruch noch einmal Lebewohl zu sagen, öffnete ihm der junge Anubis, der sich achtungsvoll, doch mit offenen Ohren beiseite gehalten, dienstbeflissen die schwere mit Eisen beschlagene Thür.
Erschöpft und hungrig fragte Orion nach seiner Mutter, und da er hörte, daß sie sich niedergelegt habe, begab er sich in den Speisesaal, um einen Imbiß zu nehmen. Obgleich die Frühstücksstunde erst eben gekommen, sah man es der Griechin Eudoxia doch an, daß sie ihn mit Ungeduld erwarte. Eine große Neuigkeit drückte ihr das Herz ab, und während Orion noch die Schwelle überschritt und sie begrüßte, rief sie ihm zu:
»Weißt Du schon? Hast Du vernommen?«
Dann begann sie, ermuntert durch seine kurze Verneinung, schnell zu erzählen, daß Frau Neforis auf Verlangen des Arztes, der vorhin dagewesen, sich entschlossen habe, sie mit ihrer Enkelin fort, in bessere Luft, zu einem Freunde des Philippus zu schicken, und zwar schon heut oder spätestens morgen.
Orion fuhr bei dieser Mitteilung unwillig auf. Er hatte nicht erwartet, daß der Arzt so früh kommen werde, und nun war dennoch eben das durch ihn veranlaßt worden, was seit gestern Abend nicht mehr rätlich erschien.
»Höchst unangenehm!« murmelte er vor sich hin, während der Sklave ihm ein gebratenes Huhn und Spargel auftrug.
»Nicht wahr? Und vielleicht sollen wir gar aufs Land!« entgegnete sie mit einem schmachtenden Blick und zog einen der langen Spargel durch die Zähne.
Bei diesem Anblick und diesen Worten war es Orion, als gönne er der alten Närrin nicht das gute Gericht, und seine Stimme klang nicht sonderlich freundlich, als er erwiderte, Stadt oder Land blieben sich vollkommen gleich; es handle sich allein darum, was das Beste sei für die Kleine.
Bei seiner Bemerkung, daß er morgen Abend verreise, schrie Eudoxia auf, ließ einen ganzen Spargel in den Schoß fallen und rief kläglich: »O dann, dann ist alles vorbei!«
Er aber fuhr ihr verweisend in die Rede: »Dann fängt vielmehr Deine Pflicht, Dich dem Kind voll und ganz zu widmen, erst recht an. Du weißt, daß Maria jetzt der eigenen Großmutter störend erscheint. Schenk ihr Liebe, wie Du ja schon zu thun begonnen, sei ihr wie eine Mutter, und wenn Du mir wirklich gewogen bist, so zeige es dadurch. Was mich betrifft, so wirst Du mich dankbar finden und nicht nur mit Worten. Geh morgen aufs Rentamt; Nilus wird Dir das einzige geben, womit ich mich jetzt erkenntlich beweisen kann. Setze nur getrost Deine beste Kraft an die Pflege des Kindes; für Dein Alter zu sorgen war ich bedacht.«
Mitten unter den überschwenglichen Danksagungen der Griechin erhob er sich und begab sich zu seiner Mutter. Sie ruhte noch immer; aber er ließ sich diesmal dennoch anmelden, und sie empfing ihn gern, ja sie hatte seinen Besuch schon erwartet.
In ihrem vor dem Sonnenbrand geschützten Schlafzimmer ruhte sie in halb liegender Stellung auf einem Diwan und eröffnete dem Sohn ihren Entschluß, dem Rat des Arztes zu folgen und das Kind einem seiner Freunde anzuvertrauen. Das alles hatte schläfrig und gelassen geklungen, sobald Orion ihr aber widersprach und sie bat, die Kleine in der Statthalterei zu behalten, wurde sie lebhaft, und mit dem Rufe: »Das wünschest Du? Das kannst Du fordern?« maß sie ihn empört mit den Augen. Dann fuhr sie klagend fort: »Es verkehrt sich jetzt eben alles. Das Alter vergißt nicht, aber die Jugend hat ein kurzes Gedächtnis. Du hast schon längst andere Dinge im Kopf, aber ich, ich denke noch daran, wer ihm, wer meinem Verstorbenen im Angesicht des offenen Himmels die letzten Augenblicke auf Erden zur Hölle machte!«
Dabei versetzte ein thränenloses, leises Schluchzen ihre Brust in schnelle, krampfhafte Bewegung, und Orion wagte es nicht, ihr weiter zu widersprechen. Mit herzlichen Worten suchte er sie zu beruhigen, und als sie sich wieder aufrichtete, teilte er ihr auch mit, daß er sie auf einige Zeit zu verlassen gedenke, um auf den Gütern nach dem Rechten zu sehen, und diese Mitteilung erfreute sie sehr.
Allein, ganz allein und unbeobachtet sein, das schien ihr jetzt köstlich. Die weißen Kügelchen boten ihr mehr, erhoben ihre Stimmung besser als jeder menschliche Umgang. Sie brachten ihr Träume schlafend und wachend, und diese waren tausendmal schöner als ihr verödetes wirkliches Dasein. Ganz in Erinnerungen aufgehen, beten, träumen, sich in das Jenseits und in die Mitte ihrer Verstorbenen hineindenken, und dazu – sie that es gern und reichlich – essen und trinken, war alles, was sie noch von dem Dasein auf Erden verlangte.
Als Orion ihr auf ihre Frage erwiderte, daß er zuerst in das Delta zu gehen gedenke, bedauerte sie es; denn in Oberägypten hätte er seine Schwägerin, die Mutter der kleinen Maria, in ihrem Kloster besuchen können.
Dabei richtete sie sich auf, fuhr mit der Hand über die Stirn und wies auf das Tischchen zu Häupten des Diwans, worauf neben einem Pokal mit Fruchtsaft, Flaschen, Döschen und anderen Dingen auch eine Schreibtafel und eine Briefrolle lagen. Nach dieser griff sie, reichte sie Orion und sagte:
»Ein Schreiben von Deiner Schwägerin. Es ist gestern Abend gekommen, und ich hab’ es auch zu lesen begonnen, aber es fing mit der Klage um den Vater an, und das – Du weißt ja – vor dem Schlafengehen – ich konnte mit dem besten Willen nicht weiter, konnte nicht ertragen! Und heute... Erst die Kirche, dann der Arzt und seine Forderung wegen des Kindes. Ich habe noch keinen Mut gefunden, weiter zu lesen! Was kann ein Brief mir auch anderes bringen als Böses! Weißt Du etwa, woher mir noch Erfreuliches zukommen könnte? Aber jetzt... Bitte, lies mir den Brief vor; doch nicht wieder das über den Vater, das spar’ ich nur für nachher auf, für mich allein.«
Da entfaltete Orion das Röllchen und überflog mit zuckenden Lippen die Klage der Nonne über den Verstorbenen.
Wilden Fanatismus atmete jeder Satz dieses Briefes der Märtyrerwitwe. Sie hatte im Kloster gefunden, was sie suchte; sie erklärte, nur noch in Gott und in dem Gottheiland zu leben. Auch ihr Kind sei ihr nur noch wie ein fremdes junges Geschöpf Gottes, für das es ihr Wonne bereite, zu beten. Dennoch sei es ihre Pflicht, für das Seelenheil des Kindes zu sorgen, und wenn es der Großmutter nicht zu schwer falle, sich von Maria zu trennen, wünsche sie die Kleine jetzt wiederzusehen. Sie sei zwar vor kurzem Aebtissin ihres Cönobiums geworden, und niemand könne sie hindern, das Kind bei sich aufzunehmen; doch sie fürchte, daß übergroße natürliche Liebe zu ihr sie wieder mit der Welt des Fleisches verbinden werde, mit der sie auf ewig gebrochen, und so werde sie Maria in einem benachbarten Kloster nicht für irdisches Elend, sondern für himmlisches Glück, nicht zur Genossin eines sündigen Gatten, sondern zu einer reinen Braut Christi erziehen lassen.
Orion überlief es kalt, während er dies Schreiben vorlas, und als er es niederlegte und die Mutter ausrief: »Vielleicht hat sie recht, vielleicht ist es schon jetzt geboten, das Kind nicht zu dem Freunde des Arztes, sondern in das Kloster zu senden und es auf den einzigen Weg zu stellen, der ohne Gefahr und Hemmnis in den Himmel leitet!« – sagte sich Orion, daß es seine Pflicht sei, die frohherzige Kleine vor diesem Schicksal zu bewahren, und bat die Mutter, zu bedenken, daß es zunächst darauf ankomme, die Gesundheit des Kindes wiederherzustellen. Er sehe nun ein, daß sie im Rechte gewesen. Der Vater habe sich den Verordnungen des Philippus immer gefügt, und schon deswegen sei es ihre Pflicht, seinem Rate zu folgen.
Frau Neforis, die schon seit einiger Zeit begehrlich nach einer Büchse an ihrer Seite geschaut hatte, widersprach ihm nicht, und am Abend brachte Orion die kleine Maria mit ihrer Erzieherin zu Rufinus, der beide, trotz seiner Bedenken von gestern, gern aufnahm.
Als Maria dicht neben Paulas Bett in dem ihren lag und die Jungfrau sich über sie neigte, schlang die Kleine die Arme um ihren Hals, lehnte den Kopf an ihre Brust und fühlte sich da warm und weich und sicher gebettet.
Wie erlöst aus Kerker und Banden weinte sie sich aus und goß das ganze Weh und Leid ihres tief verwundeten kleinen Herzens in die Seele der Freundin.
Diese hörte bei alledem Orions Stimme im Garten, und es zog sie gewaltig zu dem Geliebten hinunter, den sie bei seiner Ankunft nur flüchtig begrüßt hatte; aber sie brachte es nicht über sich, das Kind von ihrem Busen zu reißen, es in seinem neuen Glück zu stören, es jetzt, gerade jetzt zu verlassen. Doch nein, nein; sie mußte ihn sehen. Alles, was in ihr war, trieb sie zu ihm hin, und als Pul in das Zimmer trat, legte sie Marias Hand in die ihre und sagte: »So, nun schließt ihr beide Freundschaft und bleibt hübsch beisammen, bis ich wiederkomme und euch etwas Schönes erzähle. Du hast ja Orion so lieb, mein Mädchen, und von ihm und mir soll meine Geschichte handeln.«
»Er hat fort gemußt,« fiel ihr Pul ins Wort. »Auf diesem Täfelchen stehen seine Grüße. Er ist vor Ungeduld beinahe vergangen, und wie er nicht länger warten konnte, schrieb er dies für Dich nieder.«
Mit einem klagenden Ausruf ergriff Paula seinen Brief und las ihn auf ihrem Zimmer. Er hatte so sehnsüchtig wie sie auf ihr Erscheinen geharrt, doch endlich nicht länger warten können. Wie anders, hieß es in dem Schreiben an die Geliebte, habe er gehofft, diesen Tag zu beschließen, den er der Rettung ihrer Freundinnen gewidmet!
O, warum hatte sie sich hier festhalten lassen, warum war sie nicht wenigstens auf einige Augenblicke zu ihm geeilt, um ihm für seine Güte und Treue zu danken und ihn laut und offen das bekennen zu hören, was er ihr gestern nur zugeraunt hatte. Betrübt und unzufrieden mit sich selbst begab sie sich endlich zu dem Kinde zurück.
Orion hatte den Aufbruch in der That nicht länger verschieben können; denn es war ihm nötig erschienen, den Vertreter des Chalifen von seiner Reise und seinem Zerwürfnis mit dem Prälaten in Kenntnis zu setzen. Von allen Beweggründen, welche ihn antrieben, den Nonnen zu helfen, war »Rache« derjenige, welchen der Araber am besten verstand.
Einunddreißigstes Kapitel.
Während Orion über den Strom nach Fostat ritt, versagte ihm die Freudigkeit, die ihn noch vor kurzem beseelt. Hätte Paula ihm nicht wenigstens einen Bruchteil der Stunde, die sie dem Kinde geschenkt, widmen können und müssen? Mit einem freundlichen Händedruck beim Willkommen und einem dankbaren Blick war er abgespeist worden. Wäre sie ihm nicht freudig entgegengeflogen, wenn die Liebe, deren sie ihn gestern versichert, ihr Herz so innig und heiß durchglühte wie seins? War die stolze Seele dieser Jungfrau, welche seine Mutter kalt und unnahbar nannte, nicht fähig zu heißer, sich selbst vergebender Hingabe? Gab es kein Mittel, das heilige Feuer, das in ihm entflammt war, in ihr zu erwecken? Mancherlei Zweifel und das bittere Gefühl der Enttäuschung quälten ihn, und eine Fülle von Bedenken drang nun auf ihn ein, die ihm wohl fern geblieben wären, wenn er sie wiedergesehen, ihr frohes: »Ich liebe dich!« vernommen und die Lippen von dem ersten Kuß der Geliebten geweiht gefühlt hätte.
Herabgestimmt, ja verdrossen trat er in das Haus des Feldherrn. Abgewiesene Bittsteller begegneten ihm im Vorsaal, und mit einem bittern Lächeln sagte er sich, daß er soeben in ähnlicher Weise unverrichteter Sache heimgeschickt worden sei, heimgeschickt – und von wem?!
Er ließ sich melden, und seine Stimmung hob sich ein wenig, als er sofort vorgelassen und an vielen Wartenden vorbei in das Empfangszimmer des Feldherrn geführt wurde.
Dieser begrüßte ihn mit väterlicher Herzlichkeit, und als er hörte, daß Orion mit dem Patriarchen hart aneinander geraten sei, fuhr er auf und rief mit ausgestreckten Händen:
»Ergreif die Rechte hier, Freund, tritt über zum Islam, und mit der Linken mach’ ich Dich im Namen meines Herrn, des Chalifen, trotz Deiner Jugend zum Nachfolger Deines Vaters. Fort mit den Bedenken! Schlag ein; rasch, schnell! Es ist mir peinlich, Aegypten zu verlassen und Memphis ohne Statthalter zu wissen.«
Da erglühte Orion über und über. Seines Vaters Nachfolger! Er, der neue Mukaukas! Wie das seinen Ehrgeiz kitzelte, welche Bahnen der Thätigkeit dies für ihn aufthat! Es flimmerte ihm vor den Augen und trieb ihn auf den gütigen Gönner zu, dessen Rechte sich ihm noch immer entgegenstreckte; doch plötzlich zeigte ihm seine rege Einbildungskraft das Bild des Erlösers, mit dem er in der Kirche einen stummen Bund geschlossen, wie er trauernd sein mildes Antlitz von ihm abwandte. Da wußte er wieder, was er sich gelobt, da war alles vergessen, was Paula ihm angethan hatte, da ergriff er zwar die Hand des Feldherrn, doch nur um sie an die Lippen zu ziehen und ihm aus vollen. Herzen zu danken; dann aber bat er ihn mit warmer, liebenswürdiger Dringlichkeit, ihm nicht zu grollen, wenn er fest bleibe und bei dem Glauben seiner Ahnen und seines Vaters verharre. Und der Feldherr zürnte ihm nicht; doch hastig und fern von der freudigen Herzlichkeit, mit der er ihm entgegengekommen, mahnte ihn Amr, vor dem Patriarchen auf der Hut zu sein, gegen den er ihn, so lang er dabei verharre, Christ zu bleiben, nicht zu schützen vermöge.
Als Orion ihm sodann mitteilte, daß er auf kurze Zeit zu verreisen gedenke und auch komme, um sich zu verabschieden, fuhr der Feldherr unwillig auf.
Auch er, sagte er, müsse fort, und zwar schon übermorgen, nach Medina.
»Da ich Dich,« rief er, »so jung für den hohen Posten Deines Vaters ins Auge faßte, war ich auch besorgt, eine Aufgabe für Dich zu finden, bei deren Lösung Du zeigen könnest, daß ich Dir nicht zu viel zugetraut. Nun bestehst Du auf Deinen. Willen, ich aber kann unmöglich einem Christen in Deinen Jahren die wichtige Statthalterei von Memphis anvertrauen; mit dem jungen Muslim hätten wir’s eben gewagt! Aber ich will Dir die Aufgabe, die Dir einmal zugedacht war, auch jetzt nicht entziehen. Gelingt Dir die Lösung, so wird es gut für Dich selbst sein, und ich denke sie dann zu Gunsten der ganzen Provinz zu verwerten; denn was führt mich jetzt von hier fort, wo meine Anwesenheit bei hundert neuen, unvollendeten Schöpfungen so nötig wäre, als die Sorge für das Wohl dieses Landes, wo ich doch nur ein Fremdling bin, während Du es lieben mußt als Deine eigene und Deines Geschlechtes Heimat? Ich gehe nach Medina, weil der Chalif in dem Briefe dort mir vorwirft, ich schicke aus einem so reichen Lande wie Aegypten zu geringe Summen in den Schatz. Und doch wandert kein Dinar von euren Steuern in meinen eigenen Beutel! Dafür halt’ ich hundertundfünfzigtausend Arbeiter auf den Beinen, um die Kanäle und Wasserbauten neu herzustellen, die meine Vorgänger, die byzantinischen Blutsauger, so schmählich vernachlässigt haben und in Verfall geraten ließen, dafür bau’ und schaff’ ich und streue Saat für die Zukunft. Das kostet Geld! Das verschlingt den Löwenpart dessen, was einkommt. Nicht nur um mich von Vorwürfen zu reinigen, sondern um Omar zu bestimmen, mir auch in Zukunft zu gestatten, keine Raubwirtschaft zu treiben, sondern das wahre Wohl der Provinz im Auge zu behalten, mach’ ich mich auf den Weg. Ich thu’ es ungern aus tausend Gründen, und Du, junger Mann, solltest, wenn Dir Dein Vaterland wert ist... Hast Du es lieb und wünschest Du ihm das Beste?«
»Aus voller Seele!« rief der Jüngling.
»Wohl denn, so solltest Du jetzt, wenn es irgend thunlich ist, still zu Hause bleiben und Dich mit ganzer Kraft der Aufgabe widmen, die ich Dir stelle. Ich hasse den Aufschub. Nicht lange hin und her reiten und die Pferde ermüden, sondern gerade hinein in den Feind, ist mein Grundsatz, nicht nur im Felde. Beherzige die Lehre! Du wirst keine Zeit zu verlieren haben; denn ich verlange nichts Leichtes. Du sollst, gestützt auf Deine Kenntnis dieses Landes, seiner Bewohner, sowie mit Hilfe der Aufzeichnungen und Listen in den Archiven eures alten Statthalterhauses, von denen mir Dein Vater erzählte, eine neue Bezirkseinteilung auszuarbeiten versuchen, und zwar mit Rücksicht auf die Steuerlast der einzelnen Distrikte. Die alte Art der Abgabenerhebung taugt nicht, wir empfinden es täglich; Du wirst weiten Spielraum für Verbesserungen jeder Art finden. Stürze das Vorhandene um, wenn Du es für notwendig erachtest. Auch andere haben sich an der Distriktseinteilung und dem neuen Modus der Steuererhebung versucht. Der beste Entwurf erhält den Vorzug, und Du scheinst mir der Mann, den Preis zu erwerben und damit ein weites und schönes Wirkungsfeld für die Zukunft. Ist es nicht nur die Langeweile und der Hunger nach den Vergnügungen der Großstadt, an die Du gewöhnt bist, die Dich aus eurem traurigen Memphis fortlocken...«
»Nein, Herr,« versicherte Orion. »Was ich vorhabe, kommt nicht einmal mir selbst zu gute, und hätte ich mich nicht fest gebunden, ich stürzte mich schon morgen mit Leib und Seele in diese herrliche Arbeit. Daß Du eine gute Lösung so wichtiger Fragen von mir erwartest, ist das schönste Geschenk, das ich jemals erhalten. Schon um mich Deines Zutrauens würdig zu machen, kehr’ ich so schnell als möglich zurück und soll alles aufgeboten werden, was ich etwa an Geist und Scharfsinn, an Ausdauer und Vaterlandsliebe besitze. Ich bin ein fleißiger Schüler gewesen, und Schande über mich, wenn das, was ich als Jüngling war, den Mann verhinderte, den Knaben zu überbieten.«
»Schön, schön,« entgegnete der Feldherr und hielt Orion die Hand hin. »Thu Dein Bestes, und Du sollst reiche Gelegenheit erhalten, Deine Kraft zu bewähren. Beherzige meine Warnung vor dem Patriarchen und dem schwarzen Wekil. Ich habe hier leider niemand, der seine Stelle ausfüllen könnte, außer dem wackern Kadhi Othman, aber der ist kein Krieger und auf seinem Platz unentbehrlich. Geh’ dem Obada aus dem Wege, komm bald zurück, und der Barmherzige sei mit Dir...«
Als Orion bei der Heimkehr die Schiffbrücke hinter sich hatte, sah er ein geschmücktes Nilboot, wie es jetzt nur noch selten hier landete, im Hafen vor Anker liegen, und auf der Nilstraße begegneten ihm zwei Sänften, denen Lasttiere und Diener folgten. Das alles hatte einen glänzenden, vornehmen Anstrich, und zu anderer Zeit hätt’ es seine Neugier gereizt; heut aber legte er sich nur flüchtig die Frage vor, wer die Ankömmlinge sein möchten, und sann dann weiter der Aufgabe nach, die ihm Amr gestellt. Aus tiefstem Herzensgrunde verwünschte er die Stunde, in der er sich gebunden und für Fremde einzutreten verpflichtet; denn er, der nach so langem Müßiggang darnach lechzte, seine Kraft zu erproben, der sich plötzlich und wie durch ein Wunder auf den Weg berufen sah, den er sich selbst vorgezeichnet, fühlte sich nun behindert und abgezogen von einer Aufgabe, die er trefflich zu lösen hoffte, mit der er seinem Vaterlande dienen konnte, und die ihn anzog wie mit hundert Magneten.
Nachdem seinem Testamente am folgenden Morgen rechtliche Giltigkeit verliehen worden war, berief er den Rentmeister zu einer Unterredung unter vier Augen. Er hatte sich gesagt, daß wenigstens einer in seinem Hause, und dieser eine konnte nur Nilus sein, Kenntnis von dem geplanten Unternehmen haben müsse.
So bat ihn denn der Rentmeister, ihm in das Impluvium seiner Privatwohnung zu folgen, und diese Einladung war von mehreren anwesenden Schreibern vernommen worden; doch ließen sie sich dadurch nicht in ihrer Arbeit stören; nur der jüngste von allen, ein hübscher, sechzehnjähriger Bursch, mit gebräuntem ägyptischem Gesicht und klugen, lebhaften kohlschwarzen Augen, der jedem Wort des Rentmeisters und seines Herrn aufmerksam gefolgt war, erhob sich, sobald die beiden die Schreibstube verlassen, geräuschlos aus seiner hockenden Stellung und schlüpfte unbemerkt in den Vorsaal. Von dort aus eilte er die leiterartige Stiege hinan, welche auf den Taubenschlag führte, dessen Besorgung ihm oblag, schwang sich aus der hohen Wohnung der geflügelten Boten schnell auf das Dach des unteren Stockwerks und kroch auf dem Leibe bis zu dem großen leeren Rechteck, durch welches das oben offene Impluvium Licht und Luft empfing. Mit einer raschen Handbewegung schob er das Segel ein wenig zurück, welches dies um Mittag beschattete, und lauschte mit aller Spannung auf das Gespräch, welches sich unter ihm entspann.
Dieser Bursch war Anubis, der Milchbruder des Bachstelzchens, und er schien seiner geliebten Herrin in der Kunst des Horchens nicht nachzustehen; denn aufmerksamer als er konnte niemand die Ohren spitzen. Er wußte auch, wofür er sich auf dem Dache den glühenden Pfeilen der unbarmherzigen afrikanischen Sommersonne aussetzte, hatte ihm doch Katharina, seine angebetete Gespielin, die Gebieterin auch seines jungen, leidenschaftlichen Herzens, einen süßen Kuß versprochen, wenn er Näheres über die gefahrvolle Reise Orions auskundschafte. Anubis hatte ihr selbst gestern Abend mitgeteilt, was in dem Vorsaal des Rentamts von ihm erlauscht worden war; aber diese allgemeinen Hindeutungen waren dem Bachstelzchen ungenügend erschienen. Es mußte klar sehen, mußte genau wissen, was da im Werke sei, und sie irrte sich nicht, wenn sie voraussetzte, daß gerade derjenige Lohn, welchen sie dem Knaben versprochen, ihn anspornen werde, auch das Unmögliche zu leisten.
So schnell zum Ziel zu kommen, hatte der junge Bursche nicht erwartet, wie kühn er auch zu hoffen verstand; denn kaum war es ihm gelungen, das Segel zurückzuschieben, als Orion begann, dem Rentmeister alles zu eröffnen, was er zu thun beabsichtigte.
Nachdem jener seinen Bericht geschlossen, wartete der Knabe die Antwort des Nilus nicht ab, sondern kroch, wie berauscht von seinem glücklichen Erfolge und der Aussicht auf einen Lohn, welcher für ihn die ganze Seligkeit des Himmels in sich schloß, nach dem Taubenschlage hin. Aber er konnte auf dem Wege, den er gekommen, nicht wieder zurück; denn war er wieder im Vorsaal und ein älterer Beamter begegnete ihm dort, so wurde er wieder an die Schreibstube gebannt. – So schlüpfte er denn zu der Brüstung des Daches, welche dem Fischerhafen zugewandt war, schwang sich über sie hinaus und erfaßte eine Gosse, um sich an ihr hinuntergleiten zu lassen; doch sie war leider sehr alt – es regnet so gar selten in Memphis – und kaum folgte der Körper des Knaben den Händen, als das morsche Blech klirrend auseinander flog. Mit den Trümmern der Gosse stürzte der verwegene Bursche vier Mannshöhen tief zu Boden, von dem Pflaster her erscholl ein dumpfer, mit kreischendem Geschrei vermischter heftiger Schlag, und kurz darauf war es im ganzen Rentamt bekannt, daß der arme, flinke Tauben-Anubis bei der Versorgung seiner Pfleglinge vom Dache gefallen sei und das Bein gebrochen habe.
Die beiden Männer im Impluvium sollten von diesem Unfall erst später Kunde erhalten; denn es war Befehl erteilt worden, sie nicht in ihrem Gespräch zu stören.
Nilus hatte den Eröffnungen seines jungen Herrn mit wachsendem Erstaunen, Unwillen und Schrecken zugehört, und als Orion geendet, war er mit der ganzen Beredsamkeit eines treuen, für das Heil der Seele und des Leibes eines geliebten Menschen besorgten Herzens in ihn gedrungen, von diesem Wagnis abzustehen, woraus ihm nichts erwachsen könne als Mißbilligung, Schaden und Verfolgung. Nilus war Jakobit mit ganzem Herzen und der Gedanke, sein junger Herr stehe im Begriff, für melchitische Nonnen das Aeußerste zu wagen und den Zorn, ja den Fluch des Patriarchen auf sich zu laden, erschien ihm unerträglich.
Des treuen Beamten Warnungen und flehentliche Bitten ließen Orion nicht unberührt; aber er beharrte auf seinem Entschluß und stellte Nilus vor, daß er Rufinus sein Wort verpfändet und darum nicht mehr zurücktreten könne, obgleich er schon selbst die Freude an dem geplanten Unternehmen verloren. Den alten, braven Mann allein in die Gefahr ziehen zu lassen, widerstrebe ihm, ja sei ihm unmöglich.
Aufrichtige Herzensbesorgnis macht findig, und kaum hatte Orion ausgeredet, als Nilus ihm mit einem Vorschlag entgegenkam, welcher wohl geeignet schien, des Jünglings letzte Bedenken zu zerstreuen. Der griechische Werftvorsteher Melampus war ein eifriger Melchit, wenn er sich auch nicht mehr öffentlich zu seinem Glauben bekennen durfte. Er und seine beiden Söhne, zwei starke und frische Schiffszimmerleute, hatten ihre kecke Unternehmungslust vielfach bewährt, und Nilus zweifelte nicht, daß sie sich mehr als gern an einem Unternehmen beteiligen würden, das die Rettung so vieler frommen Glaubensgenossinnen bezweckte. Sie sollten an Orions Stelle treten und konnten den alten Herrn weit wirksamer unterstützen als er.
Dem Jüngling sagte dieser Vorschlag insofern zu, als er sich von den wackern Handwerkern, die er recht wohl kannte, gute Hilfe versprach, und so wollte er sie zwar mitnehmen, doch darum nicht von der eigenen Mitwirkung lassen.
Dem zäh bei seinen Mahnungen verharrenden Nilus mußte er endlich Schweigen gebieten. Dennoch begab er sich mit dem bekümmerten Manne auf die Werft, und der alte Meister, ein gutherziger Riese, zeigte sich freudig bereit, für die Rettung der Nonnen einzutreten, als sei »jede einzelne seine eigene Mutter«. Den Jungen werde es ein Fest sein, an solchem Streiche teilzunehmen, und er irrte nicht; denn nachdem man sie ins Vertrauen gezogen, schwang der eine begeistert das Beil, und der andere schlug so froh mit der schwieligen Faust in die Linke, als sollt’ es zum Tanz gehen.
Ungesäumt bestieg Orion mit allen Dreien ein Boot und ließ sich in das Haus des Rufinus rudern, um sie mit ihm bekannt zu machen, und sie gefielen dem Alten vortrefflich.
Orion blieb bei ihm zurück. Er hatte ihm gestern zugesagt, das Frühstück mit ihm zu teilen, und dies stand bereit. Paula war schon eine Stunde im Kloster und mußte, wie Frau Johanna versicherte, jeden Augenblick wiederkehren. Darum ließ man sich ohne sie nieder, die Schüsseln wurden aufgetragen, das Mahl näherte sich dem Ende, und sie war noch immer nicht zurück. Orion, dem es anfänglich gelungen war, seinen Mißmut zu verbergen, wurde jetzt so von ihm beherrscht, daß seine Wirte Mühe hatten, ihm durch Fragen und Wiederfragen kurze und zerstreute Antworten zu entlocken.
Auch Rufinus wurde besorgt, doch als er eben aufstand, um nach Paula zu sehen, sah Pulcheria, die am Fenster stand, sie kommen und eilte mit einem freudigen. »Da ist sie!« hinaus.
Aber wieder verging Minute auf Minute, aus der Viertel– wurde eine halbe Stunde, und Orion harrte noch immer vergeblich der Jungfrau. Die freudige Erwartung hatte sich in ihm längst in Ungeduld, die Ungeduld in das Gefühl der gekränkten Würde und dieses in Ingrimm und bittern Groll verwandelt, als endlich Pulcheria statt ihrer in das Speisezimmer trat und ihn in Paulas Auftrag ersuchte, in den Garten zu kommen.
Ueberlange war sie im Kloster zurückgehalten worden. Wie der Rauch, den der Zeidler in den Bienenkorb ziehen läßt, hatte die Schreckenspost die stillen, frommen Schwestern aus der gewohnten Ruhe aufgeschreckt und sie durcheinander getrieben. Heute galt es, das Wertvollste zusammenzupacken, und obgleich Orion erklärt hatte, daß nur eine geringe Anzahl von Kisten und Säcken in dem Boot Platz finden könne, schleppte diese ihr Betpult, jene ein großes Heiligenbild, eine dritte einen kupfernen Fischkessel und eine vierte, fünfte und sechste gar den großen Schrein mit den Gebeinen des Märtyrers Ammonius herbei, welchen die Priesterkirche den Ruf besonderer Heiligkeit verdankte. Um diesem Zuviel zu steuern, hatte die Aebtissin ihre ganze Thatkraft und Würde aufbieten müssen, und manche mit einem teuren, aber zu umfangreichen Besitztum abgewiesene Schwester war weinend mit ihrem Schatz von dannen gezogen.
Die Oberin der Nonnen war erst im stande gewesen, sich Paula ganz zu widmen, nachdem das Mitzuführende überblickt werden konnte. Dann hatte sie die Jungfrau in ihr mit gediegener und kostbarer Schlichtheit ausgestattetes Wohnzimmer geführt und sie dort mit warmer Teilnahme das Herz vor sich ausschütten lassen.
Wer diesen beiden so zusammen begegnet wäre, hätte leicht denken können, es habe sich hier die beunruhigte Tochter Rat suchend an das Herz der Mutter geflüchtet; denn die greise Aebtissin konnte in ihrer Jugend recht wohl der Tochter des Thomas geglichen haben, nur hatte sich die vornehme und doch anmutige Haltung der Jungfrau bei der Matrone in majestätische, herablassende Würde verwandelt, und ihrem trotzig geschlossenen Munde sah man nicht mehr an, daß er einst die anmutige Zier ihres Antlitzes gewesen.
Während sie den Bekenntnissen des Mädchens folgte, wechselte der Ausdruck ihrer ruhigen Augen, welche nur, wenn Glaubenseifer sich ihrer Seele bemächtigte, fanatisch glühten, nicht selten, und sie bekam auch sehr Verschiedenartiges zu hören; denn Paula betrachtete diese Unterredung wie eine Beichte und verschwieg der mütterlichen und zugleich priesterlichen Freundin nichts von allem, was in ihrem äußeren Dasein, in ihrem Geist und Herzen vorgegangen war, seitdem sie das Haus des Mukaukas betreten. Keine Falte ihrer Seele ließ sie unenthüllt, nichts beschönigte oder verbarg sie, und als sie des Geliebten kraftvolles Ringen, des Lebens ganzen Ernst zu erfassen, schilderte, rissen Liebe und Begeisterung sie hin, sein durch einen kurzen, aber tiefen Schatten verdunkeltes Bild in um so hellerem Glanz leuchten zu lassen.
Nachdem Paula endlich ihre Beichte beendet, war die Aebtissin lange stumm geblieben; dann aber hatte sie das Mädchen an sich gezogen, und es liebreich gefragt:
»Und nun? Nicht wahr, nun drängt und treibt es da drinnen, der Leidenschaft, die sich Deiner in so befremdlicher Weise bemächtigt, den Lauf zu lassen, in die weit geöffneten Arme des geliebten Mannes zu fliegen, Dich ihm hinzugeben und zu sagen: ›Da hast Du mich, ich bin Dein! Rufe dem Priester, daß er uns segne!‹ – Ist es so, sehe ich recht?«
Da hatte Paula ihr tief errötend zugenickt, die Greisin aber ihr Haupt an die Brust genommen und nachdenklich erwidert: »Ich sah ihn sein Viergespann an mir vorüberführen, und dachte dabei an manches berühmte Bildwerk griechischer Heiden. Schönheit, Geburt, Besitz, ja auch Geist und Gaben, alles, was ihm das Herz einer Paula gewinnen könnte, ist sein, und sie – ich seh’ es – überläßt es ihm gern.«
Und wiederum hatte ihr das Mädchen zugenickt, und die Greisin war mit einem leisen Seufzer und als sei es ihr mühsam gelungen, sich mit etwas Unabwendbarem abzufinden, fortgefahren: »So war’ denn jede Warnung vergebens. – Er ist allerdings nicht unseres Glaubens, er...«
»Aber wie er ihn achtet,« rief Paula, »das zeigt er, indem er für Dich, für die Deinen Freiheit und Leben aufs Spiel setzt.«
»Sage: für die Geliebte,« entgegnen die Aebtissin. »Doch lassen wir das aus dem Spiel, so sehr es mich auch schmerzt, mir die Tochter des Thomas als Gemahlin eines Jakobiten zu denken. – Du wirst ihn nicht lassen, und der Vater der Liebe führt oft treue Liebe auf wunderbaren Wegen zum Besten, auch wenn es in die Irre und durch Schluchten und Abgründe geht.«
Da war Paula ihr um den Hals gefallen, um sie dankbar zu küssen; doch die Aebtissin hatte das beglückte Mädchen nur kurze Zeit gewähren lassen, und sie dann an ihre Seite gezogen. Mit Paulas Rechten in beiden Händen war sie dann in den Ton ruhiger Darlegung übergegangen. Sie und die Ihren, hatte sie begonnen, seien Orion große Erkenntlichkeit schuldig. Ihr heißester Wunsch sei, daß Paula als Gattin das schönste Erdenglück gewinne; doch, da sie Rat zu erteilen berufen, dürfe sie sich nicht blenden vor den Gefahren, welche eben dies Glück zu beeinträchtigen drohten. Hinter ihr, der Aebtissin, liege eine lange und vielgliederige Erfahrungsreihe, und diese habe ihr hundert junge Männer gezeigt, die als schwere Sünder von Vater und Mutter, der Kirche und allen Guten verloren gegeben worden seien, und von diesen habe mancher seinen Tag von Damaskus gesehen. Ein Wendepunkt sei für sie eingetreten, und aus den verlorenen Söhnen seien treffliche, fromme Männer geworden.
Paula war ihr bei diesen Worten mit freudig strahlenden Augen näher gerückt, sie aber hatte das Haupt ab weisend geschüttelt, und ihr Blick immer andächtiger und schwärmerischer geleuchtet, während sie mit tiefem Ernst fortgefahren war:
»Indessen, mein Kind, an allen diesen hatte sich die Gnade wirksam erwiesen, hatte sich das Wunder vollzogen, das wir Wiedergeburt nennen. Sie waren dieselben geblieben am Fleisch und in den Grundzügen der Sinnesart, aber ihr Verhältnis zur Welt und zum Leben war ein ganz neues geworden. Was ihnen früher wünschenswert erschienen war, das konnten sie jetzt hassen, das Bedeutende war für sie nichtig, das Nichtige bedeutend geworden; hatten sie früher alles auf die eigenen Wünsche bezogen, so bezogen sie es jetzt auf Gott und seinen Willen. Die alten Triebe waren dieselben geblieben; doch sie ließen sich in Schranken halten durch die nie schlummernde Erkenntnis, daß sie nicht zur Freude führten, sondern ins ewige Verderben. Diese Wiedergeborenen lernten die Welt verachten, und statt in den Staub, war ihr Blick aufwärts und gen Himmel gerichtet. Wer von ihnen strauchelte, den zwang sein gesamtes neues Wesen, das Gleichgewicht wiederzufinden, bevor er völlig zu Boden sank. – Aber Orion? Doch Dein Geliebter? Seine Schuld seh’ ich ihn überspringen, und von einem würdigeren weltlichen Lebensgang hofft er eine neue Vereinigung mit Gott. Nicht nur seine Sinnesart ist die alte geblieben, sondern auch sein Verhältnis zum Leben, zu den Gütern, die es den Weltkindern bietet. Fleischliche Liebe treibt ihn an, nach Hohem und Großem zu streben, mit ernstem Willen sucht er es zu erreichen, doch über jeden Stein, den der Teufel ihm in den Weg wirft, kann und wird er fallen, und sich schwer wieder aufrichten; denn das Unglück hat ihn nicht zur Wiedergeburt geführt, und zu neuem Leben in Gott. Gerade seinesgleichen sah ich unzähligemale in die Sünde zurücksinken, der sie entronnen, und bevor wir einem Mann, der sich einmal, wenn auch nur einmal, so weit von den Wegen Gottes entfernte und an dem sich die Gnade noch nicht wirksam erwiesen, völlig vertrauen, thut es gut, seinen Gang und seine Handlungsweise länger als kurze Tage im Auge zu behalten. Fühlst Du Dich auch gedrungen, festzuhalten an der Neigung Deines Herzens, so eile doch nicht eher in des Geliebten geöffnete Arme, so gib ihm nicht eher die reinen Heiligtümer des Leibes und der Seele hin, werde nicht eher die Seine, als bis er sich völlig bewährt hat.«
»Aber ich glaube an ihn!« rief Paula unter strömenden Thränen.
»Du glaubst, weil Du liebst!« erwiderte die Aebtissin.
»Und weil er es verdient.«
»Seit wie lange?«
»Und war er denn nicht ein herrlicher Mann vor seinem Fehltritt?«
»Das ist auch mancher Mörder gewesen. Ein Augenblick stößt die meisten Verbrecher aus der Gesellschaft.«
»Die trägt ihn noch immer auf Händen.«
»Als den Sohn des Mukaukas.«
»Und weil ihm sein Wesen alle Herzen gewinnt.«
»Auch das des Höchsten?«
»O Mutter, Mutter, warum missest Du ihn mit dem Maß Deiner dem Himmel geweihten Seele! Wie wenige Auserwählte werden doch der Gnade teilhaftig, von der Du sprichst!«
»Wer gesündigt wie er, der muß darnach ringen.«
»Er thut es, Mutter, in seiner Weise.«
»Die falsch ist, falsch für ihn, der solches verbrochen. Alles, wonach er strebt, sind weltliche Güter.«
»Nein, nein. Er steht fest im Glauben an Gott und den Heiland. Er ist kein Leugner.«
»Und glaubt sich dennoch der Buße entschlagen zu dürfen?«
»Vergibt der Herr wahrer Reue nicht alles? Und er hat bereut, und wie schwer, wie furchtbar hat er gelitten!«
»Sage lieber: die Streiche empfunden, die sein Frevel ihm zugezogen. Es kommen noch mehr, und wie wird er sie tragen? Die Versuchung lauert auf allen Wegen, und wie wird er ihr entrinnen? Als warnende Mutter bin ich Dir zuzurufen verpflichtet: Halt Deine und seine Leidenschaft noch im Zaume, fahre fort, zu prüfen, und gewähr’ ihm nicht eher auch nur das Kleinste, Du Jungfrau, bis daß er...«
»Und bis wann, bis wann soll ich auf dieser unwürdigen Wacht stehen?« schluchzte Paula. »Ist das Liebe, die nicht vertraut, die nicht bereit ist, auch des Wankenden Dasein zu teilen?«
»Ja, Kind, ja,« unterbrach sie die Greisin. »Alles dulden, alles ertragen, ist die Pflicht wahrer Liebe und auch der Deinen; doch die unlösbarsten aller Bande sollst Du Dich und ihn erst dann umschlingen lassen, wenn aus dem wankenden ein sicher schreitender Wanderer geworden. Folge jedem seiner Schritte, steh ihm mit treuer Sorge zur Seite, verzweifle nicht an ihm, wenn er sich anders zeigt, als Du hoffst, suche Du, fromme Seele, suche Du ihn der Gnade würdig zu machen, aber gib ihm nicht übereilt, nicht jetzt schon das Jawort.«
Auch dieser letzten Mahnung fügte sich Paula nicht willig, doch die Aebtissin erfüllte das, was Orion begangen, mit großem Mißtrauen. Ein so schwerer Sünder, den der Fluch des Vaters getroffen, hätte nach ihrer Ueberzeugung, um Gnade flehend und nach Wiedergeburt ringend, sich von der Welt abwenden müssen, statt an der Seite eines so bevorzugten, so innig von ihr geliebten Wesens, wie Paula, Wonnen zu suchen, die sie nur dem tadellosesten ihrer Glaubensgenossen gönnte. O wie gern hätte sie, die nach einer stürmischen Jugend mitten in der Welt erst im Kloster Seelenruhe und wahres Glück gefunden, das herrliche Kind der Freundin als reine Braut Christi an ihrer Seite und vielleicht als ihre Nachfolgerin im Amt der Aebtissin gesehen! Die großen Schmerzen, welche treuloser Männer Ruchlosigkeit ihr selbst bereitet, hatte sie ihrem Liebling ersparen wollen, und so war sie keinen Zoll breit von dem Inhalt ihres Rates abgewichen, und nicht müde geworden, der Jungfrau eifrig und doch liebreich die Notwendigkeit vorzustellen, sich ihm zu fügen. Endlich hatte Paula mit dem Versprechen Abschied von ihr genommen, nicht früher ein festes Verlöbnis mit Orion einzugehen, als bis er aus Dumiat zurückgekehrt sein und die Freundin ihr brieflich mitgeteilt haben werde, welches Urteil sie sich auf der bevorstehenden Flucht über ihn gebildet.
So viel Thränen, wie bei dieser Unterredung, hatte die starkherzige Jungfrau seit der verhängnisvollen Messe von Abyla, wo sie Vater und Bruder verloren, nicht vergossen, und mit verweintem Angesicht und heftig schmerzendem Kopf war sie durch den Sonnenbrand des glühend heißen Mittags in das Haus des Rufinus und zu ihrer alten Betta zurückgekehrt. Diese war in sie gedrungen, sich niederzulegen, und als sie damit kein Gehör fand, hatte sie sie wenigstens überredet, sich das Haupt mit Wasser, so frisch sich’s bei solcher Hitze beschaffen ließ, zu kühlen und sich das Haar von ihrer geschickten Hand recht vorsichtig neu ordnen zu lassen; denn das sei schon der verstorbenen Mutter bestes Mittel gegen Kopfweh gewesen.
Als Paula dem Geliebten endlich an einer schattigen Stelle des Gartens gegenüberstand, schauten sich beide befangen und befremdet an. Er blickte bleich und verstimmt auf sie hin, und ihre vom Weinen geröteten Augen und die zusammengezogene Stirn, unter der der Schmerz hämmerte und bohrte, trugen nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Es war an ihr, sich zu entschuldigen, und als er seinem Gruß die Anrede nicht sogleich folgen ließ, sagte sie denn auch mit leiser, inniger Bitte:
»Verzeih, daß ich so spät komme. Wie lange hast Du doch warten müssen! Aber der Abschied von meiner besten Freundin und zweiten Mutter brachte so tiefe Erregung mit sich und ist so unsagbar traurig gewesen! Ich wußte nicht, wohin vor Kopfweh, als ich zurückkam, und jetzt... Wie so ganz anders hab’ ich Dir heute früh zu begegnen gehofft!«
»Schon gestern blieb Dir keine Zeit für mich übrig,« entgegnete er finster, »und heute – Du warst dabei, wie Rufinus mich einlud – heute! – Ich bin nicht anspruchsvoll, und Dir gegenüber, mein Gott, wie dürft’ ich es sein? Aber galt es heute nicht auch von mir Abschied zu nehmen, vielleicht auf immer? Warum mußte der Freundin so viel Zeit und Kraft bewilligt werden, daß ein so spärlicher Rest übrig bleibt für den Freund? Das heißt unbillig verteilen.«
»Wie sollt’ ich es leugnen?« bat sie traurig. »Ja, ganz gewiß, Du hast recht, doch ich konnte gestern Abend das Kind, während es seinen schweren Kummer bei mir ausweinte, nicht sogleich verlassen, und wenn Du wüßtest, wie ich erschrocken war und wie weh mir das Herz that, als mir statt Deiner Dein Brief...«
»Ich mußte zu dem Feldherrn hinüber,« unterbrach sie Orion. »Dies Abenteuer zwingt mich, vieles hinter mir zu lassen, und ich bin nicht mehr der losgebundene Freiste der Freien von früher. Während dieses schrecklichen Frühstücks habe ich wie auf Nadeln gesessen. Aber lassen wir es dabei bewenden! Mit vollem, hoffnungsfreudigem Herzen kam ich hieher; und nun? Siehst Du, Paula, dies Unternehmen reißt mehr für mich entzwei, setzt mich in eine verhängnisvollere Lage, bürdet mir weit mehr auf, als Du denken und wissen kannst – ich erklär’ es Dir später – und um es zu ertragen, um den frischen Mut und die Freudigkeit, deren ich bedarf, zu bewahren, muß ich des einen sicher sein, wofür ich ganz andere Gefahren und Mühen wie ein fröhliches Spiel auf mich nehmen würde, muß ich wissen...«
»Mußt Du wissen,« fiel sie ihm ins Wort, »ob sich mein Herz voll und ganz Deiner Liebe erschlossen...«
»Ob ich,« rief er mit wachsendem Feuer, »trotz all des schweren Leides, das diese arme Seele bedrückt, glücklicher sein darf als die Seligen im Himmel. O Paula, einziges, angebetetes Mädchen, darf ich...«
»Du darfst,« versetzte sie laut und innig. »Ich liebe Dich, Orion, werde nie und nie mehr aufhören, Dich aus ganzer Seele zu lieben.«
Da stürzte er ihr näher, faßte wie außer sich ihre beiden Hände zusammen, riß sie, nicht achtend des nahen Hauses, woraus zwanzig Augen ihm zuschauen konnten, an die Lippen und bedeckte sie mit glühenden Küssen, bis sie sie ihm entzog und ihm flehentlich zurief:
»Nicht so, nein, bitte, nicht so und nicht jetzt.«
»Jetzt, gerade jetzt, oder wann sonst?« fragte er stürmisch. »Aber hier, dieser Garten, Du hast recht, hier ist nicht der Platz für zwei selige Menschenkinder, die sich eben gefunden. Komm mit, geh mir voran in das Haus, such’ uns dort eine Stelle, wo wir ungesehen, unbelauscht, allein mit uns selbst und unserem Glück...«
»Nein, nein, nein!« fiel sie ihm hastig ins Wort und fuhr mit der Hand über die schmerzende Stirn. »Komm mit auf die Bank unter der Sykomore; es ist dort ganz schattig, und da sage mir alles, da sollst Du auch noch einmal hören, wie gewaltig mich die Liebe erfaßt hat.«
Enttäuscht und befremdet schaute er sie an, sie aber wandte sich der Sykomore zu, ließ sich unter ihr nieder, und er folgte ihr langsam.
Freundlich winkte sie ihm, sich neben ihr niederzulassen, er aber blieb vor ihr stehen und sagte traurig und dumpf:
»Immer dasselbe, immer die gleiche Ruhe und Kälte... Ist das das Rechte, Paula? Ist das die gewaltige Liebe, von der Du sprichst? Soll das die Antwort sein, auf den Sehnsuchtsruf eines leidenschaftlich glühenden Herzens? Ist das alles, was Liebe der Liebe gewährt, was die Braut dem Bräutigam schuldet, der auf dem Sprung steht, sie zu verlassen?«
Da schaute sie ihn tief beängstigt an und sagte mit rührend inniger Bitte:
»O Orion, Orion, hast Du denn nicht gehört, siehst, fühlst Du denn nicht, wie sehr ich Dich liebe! Du mußt es empfinden, und thust Du es, so begnüge Dich, ich beschwöre Dich, Du einzig Geliebter, so begnüge Dich jetzt noch damit, daß dies Herz Dir gehört, daß Deine, ja Deine Paula – da ist sie, ich, ich bin es – an nichts denken, für nichts sorgen, beten und flehen will als für Dich, ja für Dich, jetzt mein ein und mein alles.«
»Nun, so komm, so komm mit mir,« rief er stürmisch, »und gewähre dem Verlobten, was ihm gebührt!«
»Nein, nein, nicht Verlobter, noch nicht!« rief es flehend aus ihrer tief geängstigten Seele. »Auch in meinen Adern fließt warmes, sehnsüchtiges Blut, auch mich verlangt es, in Deine Arme zu eilen und mein Haupt an das Deine zu schmiegen, aber Deine Braut – jetzt, heute schon, darf ich’s, kann ich’s nicht werden!«
»Und warum? Laß mich’s wissen, warum nicht!« rief er aufgebracht und preßte die geballte Faust an die Brust. »Warum willst Du nicht meine Braut sein, wenn es wahr ist, daß Du mich liebst? Wozu ersinnst Du diese neue, gräßliche Folter?«
»Weil mich die Weisheit gelehrt hat,« versetzte sie mit hochwogendem Busen schnell und leise, als fürchte sie sich, die eigenen Worte zu hören, »weil sie mich lehrte, die Zeit dazu sei noch nicht da. Ach, Orion, Du hast nicht gelernt, das Verlangen, die Wünsche zu zügeln, die in Dir brennen, Du hast nur zu schnell vergessen, was hinter Dir, hinter uns liegt, welchen Berg es zu überschreiten gab, bis wir dahin gelangt sind, uns zu finden, bis ich – ja, Geliebter, es muß gesagt sein – bis ich nur vermochte, Dir nicht mit Groll und Haß ins Antlitz zu schauen. Eine wunderbare, geheimnisvolle Fügung hat es gewollt, und auch Du hast redlich das Deine gethan, daß das alles ganz anders geworden, daß, was weiß war, nun schwarz ist, daß sich der erkältende Nordsturm in einen heißen Südwind verwandelt. So wird wohl Gift zu Arznei und Fluch zum Segen! Aus leidenschaftlichem Haß ist in diesem thörichten Herzen ebenso gewaltige Liebe entsprungen. Aber Deine Braut, Dein Weib kann ich jetzt noch nicht werden. Nenn’ es Zagheit, nenn’ es eigensüchtiges Bedenken, nenn’ es, wie Du willst. Ich heiß’ es ›Weisheit‹ und lob’ es, obgleich es die armen Augen da tausend bittere Thränen gekostet, bevor Herz und Geist sich entschlossen, sich der warnenden Stimme zu fügen. Und Du, halte Dich fest an dem einen: keinem andern als Dir wird dies Herz je gehören, was auch geschehe – Dein ist meine ganze Seele! – Deine Braut will ich erst werden, wenn ich mit ebenso freudigem Vertrauen wie heißer Liebe Dir zurufen darf: ›Du bist Sieger geblieben, nimm mich hin, ich bin Dein!‹ Dann sollst Du fühlen und bekennen, daß Paulas Liebe nicht kühler, nicht schwächer ist... O Gott, Gott, Orion, lerne, lerne mich verstehen! Du mußt es lernen, um meinet-, um deinetwillen mußt Du’s! Mein Kopf, gütiger Himmel, mein Kopf!«
Dabei senkte sie das Haupt und preßte die Hände auf die glühende Stirn, er aber legte ihr bleich und fröstelnd die Rechte auf die Schulter und sagte mit gepreßter, des Wohllautes beraubter, trockener Stimme:
»Die Esoteriker verlangen Prüfungen von ihrem Jünger, bevor sie ihm Einlaß in das Mysterium gewähren. Wir sind ja in Aegypten, und doch nimmt sich dergleichen sonderbar aus, wenn es angewandt wird auf die Liebe. Doch das alles kommt nicht aus Dir. Was Du Weisheit nennst, ist die Stimme der Klosterfrau von da drüben.«
»Die Stimme der Besonnenheit,« versetzte Paula leise. »Das Verlangen des Herzens hatte sie laut überschrieen, und ich dank’ es der Freundin...«
»Was dankst Du ihr?« rief der Jüngling aufgebracht bis ins Tiefste. »Verwünschen solltest Du sie für diesen nichtswürdigen Dienst, wie ich es hier thue. Kennt sie mich etwa? Hat sie je ein Wort aus diesem Munde vernommen? Wüßte die Afterweise, die überkluge Nonnendespotin, wie es hier drinnen beschaffen, sie hätte Dir anders geraten! Mit Vertrauen und Liebe hat man mich schon als Kind zu der schwersten Leistung gebracht. Was ich auch gefehlt, freundliches Zutrauen verletzte ich niemals. Und was Dich, Du Weise und Besonnene, angeht, so hätte ich, geliebt und beseligt, nur auf Deinen Beifall bedacht, voller Stolz und Glück auch den letzten Deiner Zweifel überwunden zu haben, für Dich Sonne und Sterne vom Himmel gerissen und jeder Versuchung ins Antlitz gelacht. – Aber so – so! Statt mich zu heben, erniedrigt ihr mich, stellt ihr mich vor mir selbst an den Pranger! Eins mit Dir, wär’ ich Dir vorausgeflogen in die lichten Regionen, wo die Vollkommenheit thront, aber so – so? Welch ein Geschäft, Deine kühle Liebe durch gute Thaten wie mit Oelbaumscheiten zum Flammenschlagen zu bringen! Welch ein Geschäft für einen Mann, sich vor der Geliebten einer Prüfung zu unterziehen! Widerwärtige, beleidigende Folter, die ich nicht ertrage, gegen die sich alles hier drinnen auflehnt, von der Du ablassen wirst und mußt, wenn es wahr ist, daß Du mich liebst!«
»Ich liebe Dich, lieb’ Dich!« rief sie außer sich und umklammerte seine Hände. »Vielleicht hast Du recht. Ich... Gott, was soll ich thun? – Fordere nur jetzt kein Ja oder Nein! Auch den ärmsten Gedanken kann ich nicht fassen! Du siehst, siehst, wie ich leide!«
»Ich seh’ es,« entgegnete er und schaute mitleidig auf die Blässe und das schmerzliche Zucken auf ihrer Stirn, »und da es denn sein muß: auf heute Abend! Suche jetzt Ruhe und pfleg’ Dich – doch dann...«
»Dann, während der Fahrt, auf der Flucht,« rief Paula, »wiederholst Du der Aebtissin, was Du mir eben gesagt hast. Sie ist eine herrliche Frau, und sie lernt Dich lieben und verstehen, ich weiß es. Auch das Wort gibt sie Dir sicher zurück...«
»Welches Wort?«
»Das ich ihr gab, nicht eher die Deine zu werden...«
»Als bis ich die Esoterikerprüfung bestanden?« rief Orion und zuckte unwillig die Achseln. »Geh jetzt zur Ruhe, geh! Was die schönste Stunde unseres Lebens hätte sein sollen, das hat eine Fremde zu einer widrigen, unseligen gemacht. Du bist Deiner, ich meiner nicht sicher. Was wir hier, was wir jetzt noch reden, für Dich wie für mich erwächst daraus nichts Gutes. Geh zur Ruh’, verschlaf Deinen Schmerz; und ich – ich will zu vergessen versuchen, will... Wenn Du wüßtest, wie es hier drinnen aussieht! Jetzt lebe wohl, und auf ein freundlicheres, und – was ich kaum mich zu sagen getraue – ein beglückenderes Wiederbegegnen!«
Damit wandte er ihr schnell den Rücken, sie aber rief ihm klagend nach: »Orion, vergiß es nicht, Orion, Du weißt, daß ich Dich liebe!«
Doch er hörte sie nicht mehr und eilte gesenkten Hauptes, ohne in das Haus des Rufinus zurückzukehren, auf die Straße.
Zweiunddreißigstes Kapitel.
Tief innerlich verletzt, warf sich Orion zu Haus auf den Diwan. Sie hatte gesagt, daß ihr Herz ihm gehöre, doch was war das für eine ärmliche, kühle Liebe, die nichts gewährte, bevor sie sich sichergestellt sah! Und wie hatte Paula einer Dritten gestatten können, sich zwischen sie beide zu stellen und ihr Thun und Empfinden zu lenken? Was unter ihnen vorgegangen war, mußte sie dieser Dritten verraten haben, für diese ihm feindlich gesinnte melchitische Nonne wollte, sollte er... Es war um den Verstand zu verlieren... Aber er konnte nicht zurück, er hatte sich dem würdigen Greise, hatte sich ihr gegenüber zu dem unsinnigen Abenteuer verpflichtet. Statt der herrlichen, stolzen Beherrscherin seines ganzen Wesens zeigte ihm jetzt seine Einbildungskraft ein thränenreiches, unselbständiges, herzenslaues Weib.
Da lagen die Karten und Pläne, die er sich, um sie für die Aufgabe, welche ihm der edle Amr gestellt, zu benützen, von Nilus hatte auf sein Zimmer bringen lassen, und als sein Blick auf sie fiel, schlug er mit der Faust an die Wand, sprang er auf, lief er wie ein Besessener in demselben Zimmer auf und nieder, das ihr stilles Leben geweiht.
Da stand ihre Laute; er hatte sie neu besaitet und gestimmt. Um sich zu beruhigen, riß er sie an sich, ergriff er das Plektrum und begann zu spielen. Doch das Instrument war schlecht, sie hatte sich mit dem elenden Dinge begnügt! Er warf es auf die Polster und nahm sein eigenes zur Hand, ein Geschenk Heliodoras.
Wie schön und weich hatte sie es zu spielen verstanden! Auch jetzt gaben seine Saiten einen herrlichen Klang, und nach und nach begann er sich seiner zu freuen, und die Musik sänftigte, wie schon so oft, seine erregten Sinne. Schön und rührend klang sein Spiel, doch manchmal schlug er so heftig in die Saiten, daß ihr gewaltiges Klirren und Sausen und Schmettern sich anhörte wie der wehe Aufschrei einer verzweifelten Seele.
Bei solchem leidenschaftlichen Spiel klappte plötzlich mit dröhnendem Aufschlag der Steg auf den Boden der Laute, und im selben Augenblick öffnete der Sekretär, der ihn in die Hauptstadt begleitet, in freudiger Erregung die Thür und rief ihm schon auf der Schwelle entgegen:
»Herr, denke nur, Herr! Da kommt ein Bote aus der Herberge des Sostratus und überbringt Dir dies Täfelchen. Es ist offen, und ich hab’ es gelesen. Denk nur, ‘s ist kaum zu glauben! Der Senator Justinus mit seiner edlen Gattin, der hohen Matrone Martina, ist hier, hier in Memphis, und sie lassen Dich bitten, sie aufzusuchen, um Wichtiges mit Dir zu besprechen. Heute Nacht sind sie angekommen, sagt mir der Bote, und nun, nun... Solche Freude! Was hast Du alles in ihrem Palast genossen! Können wir sie in der Herberge lassen? So lang es ein Gastrecht gibt, wäre das eine Sünde!«
»Unmöglich, völlig unmöglich!« rief Orion, der die Laute aus der Hand geworfen hatte und nun selbst auf das Täfelchen blickte. »Er ist es wahrhaftig; seine eigene Handschrift! Und gerade diese beiden Unbeweglichen sind in Memphis, sind in Aegypten! Beim Zeus,« – so schwur die goldene christliche Jugend in Alexandria und Konstantinopel noch immer – »beim Zeus, ich bin ihnen schuldig, sie hier aufzunehmen wie Fürsten! Warte! Du sagst natürlich dem Boten, ich werde gleich kommen, und läßt das neue pannonische Viergespann an den silbernen Wagen schirren. Und ich, ich geh’ zu der Mutter; aber das hat ja noch Zeit. Du befiehlst gleich dem Sebek, den Fremdenstock, aus dem die Kranken ja gottlob heraus sind, für vornehme Gäste herrichten zu lassen. Mein jetziges Zimmer wird mit dazu genommen, und ich zieh’ in die frühere Wohnung zurück. Sie haben sicher ein großes Gefolge. Zwanzig, dreißig Sklaven ans Werk! In längstens zwei Stunden muß alles bereit stehen. Die beiden Säle sind besonders schön auszustatten. Wo es fehlt, steht dem Sebek unbedenklich alles zur Verfügung, was in der Statthalterei ist. Justinus hier in Aegypten! Aber nun eile Dich! Doch warte! Noch eins! Nimm die Schriften und Pläne hier, oder nein... Sie sind für Dich zu schwer. Uebergib sie einem Sklaven und laß sie zu Rufinus bringen, der sie aufbewahren soll, bis ich komme Sag’ ihm, ich dächte sie unterwegs zu benutzen, er weiß schon.«
Der Sekretär stürmte hinaus, und Orion ließ sich schnell das Haar ordnen und das Trauergewand in neue Falten legen; dann begab er sich zu der Mutter. Sie hatte oft und viel von der herzlichen Aufnahme gehört, die dem Sohn und in früherer Zeit ihrem verstorbenen Gatten im Hause des Senators zu teil geworden, und fand es darum selbstverständlich, daß der sogenannte Fremdenstock, zu dem auch Paulas Zimmer gehört hatte, den Reisenden eingeräumt werde; doch sie verlangte, selbst für leidend erklärt zu werden, um sich nicht um die Gäste bekümmern zu brauchen.
Dann riet sie Orion, seine Reise aufzuschieben und sich den Freunden zu widmen; er aber erklärte, daß er sich nicht durch sie zurückhalten lassen könne. Auf Sebek und die oberste Schaffnerin sei voller Verlaß. und einer Kranken erlasse selbst der Kaiser die Pflichten der Wirtin. Einmal werde sie dem edlen Paare wohl gestatten, ihr die Aufwartung zu machen, aber auch dies lehnte Frau Neforis ab. Es sei genug, wenn die Gäste täglich in ihrem Namen und mit Grüßen von ihr auserlesene Früchte und Blumen und zuletzt wertvolle Gastgeschenke empfingen.
Orion fand dies Vorhaben ihrer würdig, und bald darauf jagte er mit seinen Pannoniern zum Hofe hinaus.
Am Hafen begegnete er dem Schiffsführer, den er gemietet, hielt ihm schnell zwei Finger entgegen, und dieser deutete durch eifriges Kopfnicken an, die Bedeutung dieses Winkes: »Zwei Stunden vor Mitternacht wirst Du erwartet,« verstanden zu haben.
Der Anblick des wettergebräunten Schiffers und die Aussicht, den vornehmen Freunden ihre Güte zu vergelten, ermunterten ihn, und so leid es ihm that, gerade diese Gäste verlassen zu müssen, begannen die seiner wartenden Gefahren ihn doch wieder zu reizen. Es sollte ihm nicht schwer fallen, die Aebtissin unterwegs für sich zu gewinnen, und Paula brachte er vielleicht schon heut Abend zur Vernunft. Justinus und seine Frau waren auch Melchiten, und er wußte, daß sie, die er hoch schätzte, über sein Vorhaben entzückt sein würden, wenn er sie ins Vertrauen zog.
Die Herberge des Sostratus, ein gewaltiges Gebäudeviereck, das sich um einen weiten Hof schloß, war die vornehmste und größte der Stadt. Ihre Ostseite wandte sich der Straße und dem Nil zu und enthielt die besten Zimmer des Hauses, welche das Senatorenpaar mit seinen Begleitern seit der vergangenen Nacht bewohnte.
Den Justinus zog das Gerassel des Viergespanns ans Fenster, und sobald er Orion erkannte, schwenkte er mit einem Tischtuch, das er rasch ergriffen, in die Straße hinein, rief ihm ein heiteres »Willkommen!« entgegen und zog sich dann schnell in das Zimmer zurück.
»Er ist da!« rief er seiner Gattin zu, welche nur aufs notdürftigste bekleidet auf einem Polster lag, sich von einem Knaben Kühlung zuwedeln ließ und von Zeit zu Zeit einen Becher mit Fruchtsaft an die trockenen Lippen führte.
»Ei, sieh, das ist schön!« versetzte die Matrone und befahl ihrer Zofe, schnell, schnell einen Umwurf, aber einen ganz leichten, zu bringen. Dann wandte sie sich an ein höchst liebliches junges weibliches Wesen, das schon beim ersten Ruf des Justinus vom Diwan aufgesprungen war, und fragte:
»Willst Du, daß er Dich gleich hier finde, Herzchen, oder lässest Du uns erst mit ihm reden und ihm erzählen, daß wir Dich mitgeschleppt haben?«
»So ist’s am besten,« versetzte die Gefragte mit wohllautender Stimme und seufzte leis auf, bevor sie beklommen fortfuhr: »Was soll er nur von mir denken? Man wird alt, aber die Thorheit, die Thorheit...«
»Wächst sie,« lachte die Matrone, »oder läßt sie nach mit den Jahren? Doch da ist er wohl schon.«
Nun eilte die junge Frau auf eine Seitenthür zu und verschwand hinter derselben. Frau Martina schaute ihr nach, und indem sie dem Blick ihres Gatten den Weg mit dem Finger wies, rief sie: »Sie läßt sich ein Spältchen offen. Herr Gott, bei dieser Hitze auch noch verliebt sein; grausiger Gedanke!«
Da öffnete sich die Thür, und nun erfolgte die allerherzlichste Begrüßung.
Man sah es dem alternden Paar wie dem Jüngling an, daß sie sich dieses Wiedersehens innig freuten.
Als Justinus Orion ans Herz zog, rief die Matrone: »Mir auch einen Kuß!« und nachdem der Jüngling ihr schnell und heiter den Willen gethan, klagte sie stöhnend.
»O Mensch, o Menschenkind, großer Sesostris! Wie hat es Dein berühmter Ahnherr dahin gebracht, unter dieser Sonne Großthaten zu verrichten? Was mich betrifft, ich vergehe, zerschmelze wie Butter; doch was thut man nicht alles für seine Lieben? Aber Syra, Syra! Um Gottes willen noch ein kleines Etwas, das wie ein Kleidungsstück aussieht! Wie verständig sind doch die afrikanischen Bauernmoden, denen wir unterwegs manchmal begegnet! Wenn sie ein drei Finger breites Tüchlein tragen, meinen sie, sie wären hübsch angezogen. Aber nun setzen – setzen; hieher, zu meinen Füßen! Einen Stuhl für den Herrn, Argos; dann etwas Wein, und das Wasser in solchem feuchten Thonkruge, und so kühl wie vorhin. »Mann, ich finde, der Junge ist wieder um einiges hübscher geworden. Aber lieber, lieber Gott, das Trauergewand! Wie’s ihm steht! Armer, armer Schelm; wir haben’s schon in Alexandria erfahren!«
Dabei trocknete sie sich die Augen und zugleich die perlende Stirn, und ihr Gatte fügte zu ihrer Beileidsbezeigung über den Tod des Mukaukas die seine.
Es war ein behagliches, fröhliches Paar, dieser Justinus mit seiner Martina. Zwei Menschen, die sich so recht sicher fühlten in ihrem großen, ererbten Wohlstand, und die, hochgeboren wie beide waren, nie Würde zur Schau zu tragen brauchten, weil sie ihnen in den Augen von Groß und Klein ohnehin zukam. Sie hatten sich das Recht erobert, in der von steifen Formen gebundensten aller Gesellschaften natürliche Menschen zu bleiben, und wem der ungebundene Ton an ihnen und ihrem Hause nicht gefiel, der konnte ja fern bleiben.
Er, ohne Ehrgeiz, Senator infolge seines Besitzes und Namens, nie bedacht, von dieser Scheinwürde einen andern Gebrauch zu machen, als bevorzugten Klienten des Hauses Stellen oder den Seinen bei festlichen Gelegenheiten gute Plätze zu verschaffen, aber ein gastlicher Herr, der Freund seiner Freunde, der gleich gern lebte wie leben ließ. Martina, eine herzensgute Matrone, die nie Anspruch auf Schönheit erhoben hatte, aber doch viel umworben gewesen war. Längst schon fand es dies Ehepaar nirgends schöner, als in der Hauptstadt oder auf ihrer herrlichen Villa am Bosporus, und es verschmähte darum, wie andere Große und Reiche, Bäder zu besuchen oder sich sonst auf Reisen zu begeben. Es guten Freunden in ihrem Hause angenehm zu machen, gewährte ihnen Vergnügen, und an solchen fehlte es nie, schon weil es gerade denen, die sich den Rücken am byzantinischen Hofe müde gebückt, in ihrem zwanglosen Kreise absonderlich behagte.
Die Jugend wählte Martina gern zu ihrer Vertrauten, und auch Heliodora, die Witwe ihres leiblichen Neffen, war in ihrer Herzensnot zu ihr gekommen; hatte sie Orion doch in ihrem Hause kennen gelernt. Heliodora war des alten Paares Liebling, aber höher noch als sie hatte den beiden der jüngere Bruder ihres verstorbenen Gatten gestanden. Er war bestimmt gewesen, ihr Erbe zu werden, doch sie hatten ihn zwei Jahre lang betrauert, da die Kunde zu ihnen gelangt war, daß Narses, der als Tribun unter den kaiserlichen Reitern gestanden, im Kampfe gegen die Ungläubigen gefallen. Indessen vermochte niemand nähere Auskunft über seinen Tod zu erteilen, bis ihre unermüdlichen Nachforschungen ergeben hatten, daß er von den Sarazenen gefangen worden sei und in Arabien Sklavendienste verrichte.
Durch Orion und seinen verstorbenen Vater hatten sie die Bestätigung dieser Nachricht und wenige Stunden nach der Abreise des jungen Aegypters einen mit zitternder Hand geschriebenen Brief des Verschollenen erhalten, in dem er sie anflehte, seine Lösung durch Amr, den Statthalter von Aegypten, zu bewirken. Da war das alternde Paar auf Reisen gegangen, und Heliodora hatte das Ihre gethan, sie zu diesem Schritt zu bewegen. Ihre Sehnsucht nach Orion, dem sie ein volles Jahr mit aller Hingabe ihres zärtlichen Herzens angehört hatte, war seit seinem Aufbruch von Stunde zu Stunde gewachsen, und sie hatte das der Matrone nicht verhehlt, diese aber hielt es für ihre Pflicht, dem armen, liebeskranken Kinde beizustehen; denn Heliodora hatte ihren Gatten, des Senators Neffen, bis an sein Ende mit rührender Treue und Sorgfalt gepflegt, und außerdem war sie, Martina, es gewesen, die dem jungen Aegypter, der »es ihr angethan hatte«, Gelegenheit geboten, sich der jungen Witwe zu nähern.
Die beiden waren ja wie für einander geschaffen, und das Ehestiften machte ihr Vergnügen. Aber es hatten sich in diesem Fall nur die Herzen, nicht die Hände finden wollen, und es war Martina endlich sehr peinlich geworden, Orion und Heliodora vor aller Welt und mit gutem Recht ein Liebespaar nennen zu hören.
Einmal hatte sie dem jungen Aegypter in ihrer behaglichen Weise ins Gewissen geredet und die Antwort erhalten, sein Vater, der Jakobit, werde ihm nie gestatten, sich mit einer Andersgläubigen zu vermählen. Dagegen hatte sie damals wenig sagen können; aber, hatte sie oft gedacht, ging es nur an, Heliodora dem alten Mukaukas zu zeigen, werde er, den sie als schönen jungen Freund anmutiger Frauen vor langen Jahren in der Hauptstadt gesehen, den Widerstand schon aufgeben, und ihr Liebling besaß in der That alles, was einem Vaterherzen den Wunsch nahe legen konnte, sie mit seinem Sohn zu verbinden. Sie war aus gutem Hause, eines vornehmen Mannes Witwe, reich, erst zweiundzwanzig Jahre alt, und von einer Schönheit, die alt und jung hinreißen mußte. Ein süßeres, sanfteres Wesen meinte Martina gar nicht zu kennen. Ihre großen, feuchten Augen, sie nannte sie »betende«, mußten einen Stein erweichen, und ihr blondes, leicht gewelltes Haar war so weich wie ihr Gemüt. Dazu kam ihre volle, biegsame Gestalt, und wie sie sich zu kleiden, wie sie zu singen und die Laute zu schlagen verstand!
Nicht von ungefähr ward sie von allem umworben, was jung und vornehm war in Konstantinopel! Und konnte der alte Mukaukas sie nur einmal lachen hören! Es gab ja nichts Froheres, Glockenhelleres als ihr Gelächter! Besonders hohen Geistes war sie gerade nicht, aber ebensowenig durfte man sie einfältig nennen. Gar zu kluge Frauen waren niemals jedermanns Sache.
Als es zur Reise nach Aegypten kam, stand es von vornherein in Martina fest, Heliodora mitzunehmen und in Memphis mit der Tändelei, die ihren Liebling in den Mund der Leute gebracht, Ernst werden zu lassen. Wie sie nun gar in Alexandria erfuhr, der Mukaukas Georg sei inzwischen gestorben, hielt sie das Spiel für gewonnen.
Nun waren sie in Memphis, nun saß Orion vor ihr, und nun lud der junge Mann sie und ihr ganzes Gefolge von einigen zwanzig Personen zu sich ins Haus. Es verstand sich von selbst, daß die Reisenden dieser geradezu gebotenen Forderung des Gastrechts Folge leisteten, und es wurden auch sogleich Vorbereitungen zur Uebersiedlung getroffen.
Justinus berichtete, was sie nach Aegypten geführt habe, und bat Orion um seine Unterstützung.
Der Jüngling hatte den Neffen des Senators als einen der glänzendsten und liebenswürdigsten jungen Männer in der Hauptstadt wohl gekannt, und es that ihm aufrichtig leid, den Freunden mitteilen zu müssen, daß Amr, der die Lösung des Gefangenen leicht bewirken konnte, übermorgen nach Medina zu reisen gedenke, er selbst aber sich gezwungen sehe, noch heute Abend auf unbestimmte Zeit zu verreisen.
Er sah, wie diese sehr bestimmt ausgesprochene Versicherung das alte Paar erregte und betrübte, und auf des Senators Drängen teilte er ihm und seiner Gattin unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit mit, was ihn fortziehe, und welche gefahrvolle Aufgabe er zu lösen unternommen.
Des Beifalls seiner orthodoxen Gäste sicher, hatte er begonnen, doch zu seinem Erstaunen mißbilligten beide sein Vorhaben, und zwar, wie sie versicherten, nicht nur um ihrer selbst und der Hilfe willen, die sie von ihm erwarteten.
Der Senator wies ihn darauf hin, daß er das natürliche Haupt der ägyptischen Bevölkerung seiner Heimat sei, und sich durch ein solches Unternehmen die Geltung denjenigen gegenüber untergrabe, deren Leitung ihm schon als Sohn seines Vaters zukomme. Sein Ehrgeiz müsse ihm gebieten, diese Führerschaft zu erstreben, und statt dem Patriarchen durch solch ein Abenteuer ins Gesicht zu schlagen, sei es seine Pflicht, Hand in Hand mit ihm, dessen Macht er weit unterschätze, seinen Glaubensgenossen eine erträgliche Stellung in dem von Muslimen beherrschten Lande zu erhalten.
Paulas Name wurde bei dem allen nicht genannt, doch Orion dachte an sie und blieb standhaft, wenn auch nicht ohne heftiges inneres Widerstreben.
Um indessen den Freunden zu zeigen, wie viel ihm daran gelegen sei, ihnen gefällig zu sein, schlug er ihnen vor, sogleich mit Justinus über den Nil zu fahren und seine Angelegenheit dem Statthalter Amr vorzutragen. Ein Blick ins Freie belehrte ihn, daß bis zum Untergang der Sonne noch etwa anderthalb Stunden vergehen würden. Längere Zeit brauchte die Fahrt mit seinen raschen Pannoniern nicht in Anspruch zu nehmen, und während seiner Abwesenheit mit Justinus sollte die Uebersiedlung vorgenommen werden. Lastfuhrwerke aus der Statthalterei hielten schon vor der Herberge, und andere Wagen waren auf später bestellt, um die lieben Gäste in ihr neues Quartier zu führen.
Der Senator ging auf den Vorschlag des Jünglings ein, und wie sich beide Männer entfernten, rief Frau Martina Orion nach:
»Mein Senator bearbeitet Dich schon unterwegs, und wenn Du Vernunft annimmst, bekommst Du nachher eine schöne Belohnung! – Die Goldtalente nicht geschont, Alter, bis der Feldherr versprochen, für die Lösung des Jungen zu sorgen! Höre mich, Orion, und laß von dem thörichten Streiche!«
Noch war der Sonnenball nicht ganz hinter den libyschen Bergen verschwunden, als das schnaubende und mit weißem Schaum bedeckte Viergespann wieder in den Hof der Statthalterei einfuhr. Leider hatten die Männer nichts ausgerichtet; denn Amr besichtigte zwischen Heliopolis und Oniu die Truppen und wurde erst in der Nacht oder morgen früh zurückerwartet.
Die Uebersiedlung aus der Herberge war vollendet, und unter die meist braunen und schwarzen Sklaven der Statthalterei mischten sich schon die weißen des Senatorenpaares.
Frau Martina war entzückt über ihr neues Quartier und die herrlichen, ihr zum Teil ganz fremden Blumen, mit denen die leidende Hausfrau die beiden großen Empfangssäle als Bewillkommnungsgruß hatte ausschmücken lassen, aber der fehlgeschlagene Besuch in Fostat fiel wie Mehltau auf ihre frohe Stimmung.
Diesen Unstern, sagte sie, müsse Orion als Gottesurteil ansehen. Der Himmel selbst wünsche, daß er sein Abenteuer aufgebe und sich mit der Vorbereitung eines schönen Werkes, das auch ohne ihn durchführbar sei, begnüge, um ein anderes, welches seine Mithilfe dringend erfordere, schon aus Freundschaft zu Ende zu führen; er aber gab seinem Bedauern, trotz alledem fest bleiben zu müssen, erneuten Ausdruck, und als Martina ihn fragte: »Auch wenn Dir mein Geschenk ganz vorzüglich gefällt?« nickte er ihr bedauerlich zu: »Leider auch dann!«
Da sagte sie leichthin, man werde ja sehen, und fuhr nachdrücklicher fort: »Jedermann hat etwas an sich, was seine Besonderheit ausmacht und das ihm gut steht: Du Deine Liebenswürdigkeit, lieber Sohn. So fest bleiben, paßt nicht für Dich, mutet ganz fremd an Dir an und ist eben das grade Gegenteil dessen, was ich liebenswürdig nenne. Sei der, der Du bist, auch in diesem Falle!«
»Das heißt schwach und zum Nachgeben bereit, besonders wenn gütige Frauen...«
»Wenn alte Freunde Dich bitten,« versetzte sie schnell; doch bevor sie noch ausgesprochen, wandte sie sich an den Gemahl und rief: »Herr Gott, Mann, komm hieher ans Fenster! Hast Du je solch ein Gemisch von Purpur und Gold am Himmel gesehen? ‘s ist ja, als stünden die alten Pyramiden und das ganze Aegypten in Flammen. Aber nun, großer Sesostris,« – so nannte sie Orion bei guter Laune – »nun ist’s Zeit, Dir Dein Mitgebrachtes zu zeigen. Erst diesen Reifen,« und dabei überreichte sie ihm einen kostbaren, mit Gemmen von alter griechischer Arbeit besetzten Armring, »und dann – nein, nein, noch keinen Dank – und dann... Das Ding ist von einiger Größe, und außerdem... Komm mir nur nach.« Damit trat sie aus dem Empfangssaal in den Vorraum, schritt ihm bis an die Thür des Zimmers voran, welches erst Paula und dann ihn selbst beherbergt hatte, öffnete sie ein wenig, winkte hinein und schob Orion mit einem flüchtigen: »Sieh nur, da hast Du’s!« über die Schwelle.
Hart am Fenster stand Heliodora. Der lichte Widerschein der untergehenden Sonne umfloß ihre schlanke und doch volle, biegsame Gestalt, ihre »betenden« Augen schauten ihm mit andächtigem Entzücken entgegen, und die auf der Brust gekreuzten weißen Arme gaben ihr das Aussehen einer Heiligen, die sehnsuchtsvoll in der Ahnung unbeschreiblicher Wonnen einem Wunder demütig entgegenharrt.
Auch Frau Martinas Augen hingen an ihm, und sie sah, wie er beim Anblick der jungen Frau tief erblaßte, wie er von einer, sie wußte nicht welcher, Empfindung ergriffen zusammenschrak und vor der mit Licht umflossenen Erscheinung dort am Fenster zurückfuhr.
Solche Wirkung hatte die gute Matrone doch nicht von dieser Ueberraschung erwartet. So von Liebe ergriffen, meinte sie außer auf der Bühne noch keinen Mann gesehen zu haben; denn sie ahnte nicht, daß es ihm nur war, als habe sich plötzlich ein gähnender Abgrund vor ihm eröffnet.
Mit einer Behendigkeit, die niemand ihrem übervollen, schweren Körper zugetraut hätte, kehrte Frau Martina darauf schnell zu dem Gatten zurück und rief ihm schon von der Schwelle aus zu: »Alles stimmt, alles in Ordnung! Bei ihrem Anblick war es, als habe der Blitz ihn getroffen. Gib acht – es wird hier am Nil Hochzeit gefeiert!«
»Mit meinem Segen,« versetzte der Senator; »aber Hochzeit hin und Hochzeit her, wenn sie den prächtigen Jungen nur breitschlägt, von dem tollen Abenteuer zu lassen! Ich habe gesehen, daß sich auch die braunen Kerle bei dem Araber vor ihm bücken, und wenn einer, so bringt er den Statthalter dahin, für den Narses das Seine zu thun. Er darf und darf nicht fort! Du hast doch Heliodora auf die Seele gebunden...«
»Daß sie ihn festhält?« lachte die Matrone. »Ich sage Dir, sie nagelt ihn hier an, wenn es sein muß.«
»Nur zu!« entgegnete Justinus. »Aber Frau, es paßt sich doch eigentlich nicht, daß Du sie so zusammenzwingst, könnte man sagen. Eigentlich bist Du doch so was wie ihr weiblicher Mentor, ihre mütterliche Patronin.«
»Lieber Himmel!« versetzte Martina. »Zu Hause haben sie sich auch keine Zeugen zu ihren Zusammenkunften geladen. Erst muß sich das arme, verliebte Völkchen doch aussprechen und sich des Wiedersehens freuen! Nachher fahr’ ich schon dazwischen und bin in allem Ernst wieder die besorgte mütterliche Freundin. Tine! Tine! Wenn es hier noch zur Hochzeit kommt, weiß Gott, ich mache barfuß eine Wallfahrt zu der heiligen Agathe.«
»Und ich nur mit einem Schuh!« versicherte der Senator; »denn – alles was recht ist – doch das Gerede über die Dora überstieg zuletzt doch die Grenzen. Es ging kaum mehr an, die beiden zusammen bei sich zu sehen. Aber Du... nein, ernstlich! Geh jetzt hinüber...«
»Gleich, gleich!« versetzte die Matrone. »Aber erst noch einmal hieher ans Fenster! O diese Sonne! Ja, nun ist’s zu spät. Noch vor zwei Minuten sah der ganze Himmel aus wie mein roter syrischer Mantel. Nun liegt da unten alles im Dunkeln. Das Haus, der Garten sind schön, und alles alt und gediegen; gerade so hab’ ich mir den Besitz des reichen Mukaukas gedacht!«
»Ich auch,« erwiderte Justinus. »Aber jetzt gehst Du. Werden sie eins, dann allerdings kann die Dora sich gratuliren!«
»Das will ich meinen!« rief Frau Martina. »Aber ihre Villa braucht sich auch nicht zu verstecken, und da sollen sie jeden Sommer wohnen, ich setz’ es schon durch. Wenn der arme, liebe Schelm, der Narses, nicht mit dem Leben davonkommt; denn zwei Jahre Sklavendienst leisten, das hat was auf sich, dann wär’ ich im stande...«
»Das Testament zu ändern? So übel nicht, doch damit hat’s gute Wege, und jetzt sollst Du gehen!«
»Gleich, gleich! Ausreden wird man doch können. Ich für mein Teil wüßte niemand, den ich lieber an des Narses Stelle setzte...«
»Als Orion und die Dora? Nun, meinetwegen; doch jetzt...«
»Vielleicht ist es sündhaft, sich einen Lebenden so unter den Toten zu denken... Zu seinen Reitern darf der arme Junge in keinem Falle zurück.«
»Unter keiner Bedingung; aber, Martina...«
»Morgen legt der Orion dem Araber unsere Sache recht warm ans Herz...«
»Wenn er nur hier bleibt!«
»Wetten wir, daß sie ihn festhält?«
»Ich sollte ein Narr sein!« lachte der Senator. »Bekomm’ ich je was von Dir, wenn ich gewinne? Aber jetzt, Spaß beiseite, jetzt gehst Du und siehst nach den beiden.«
Diesmal folgte die Matrone dem Geheiß ihres Gatten, und sie hätte die Wette gewonnen; denn wozu Orion weder durch den Brief seiner Schwägerin, noch durch die mahnende Stimme seines Kinderglaubens, noch durch die treue Warnung des redlichen Beamten, noch durch die überzeugenden Gründe des Senators zu bewegen gewesen war, dazu hatte ihn die süße Schmeichelei Heliodoras verleitet.
Wie war ihr liebendes Herz aufgeflammt, als sie wahrgenommen, daß ihr Anblick ihn so tief innerlich bewegte, mit wie rührender Hingebung war sie ihm in die Arme gesunken, wie demutsvoll und vergehend vor süßem Weh und süßerer Wonne hatte sie sich zu seinen Füßen niedergleiten lassen, hatte sie seine Kniee umklammert und ihn mit feuchten, von andächtiger Schwärmerei überfließenden Augen angefleht, sie heute nicht zu verlassen, nur noch bis morgen zu bleiben und sie dann, wenn er wolle, in den Staub zu treten. Jetzt, gerade jetzt, da sie, von Schmerz und Sehnsucht aufgerieben, ihn wiedergefunden, jetzt ihn scheiden, sich in ein ungewisses Schicksal stürzen zu sehen, das sei ihr Ende, das werde sicher ihr Tod sein. Und wie er ihr dennoch zu widerstehen versuchte, hatte sie sich auf ihn gestürzt, seinen Mund mit heißen Küssen verschlossen und ihm alle Schmeichelnamen ins Ohr geflüstert, die ihm einst so teuer gewesen.
Warum hatte er nie ernstlich versucht, sie zu der Seinen zumachen, warum sie so schnell vergessen? Weil sie, die den anderen gegenüber ihre Würde streng zu wahren verstanden, sich ihm, wie von einem magischen Zauber bethört, nach wenigen Begegnungen widerstandslos hingegeben hatte. Die leicht erworbene köstliche Beute war ihm bald weniger wertvoll erschienen. Aber heut entflammte grade das seine Glut, was sie damals abgekühlt hatte. So wollte, so mußte er geliebt sein! Mit voller, ganzer Hingabe, mit einem Herzen, das nur an ihn und gar nicht an sich selbst dachte, das für heiße Liebe nichts forderte als Liebe, das sich nicht ängstlich mit Schranken umgab und fremden Beistand anrief, um sich vor ihm zu schützen. Dies schöne junge Weib, das, ganz Leidenschaft, das Verdikt der Gesellschaft, Schmerz und Leid auf sich genommen, um seinetwillen, von dem sie gewußt hatte, daß er sie verlassen und nie vor Gott und den Menschen zu der Seinen machen werde, ja, das verstand zu lieben, und es hob ihm, der in mancher Stunde an sich selbst verzweifeln wollte, das Herz, so über alles hoch gehalten, so – gestand er sich’s nur – so »vergöttert« zu werden.
Und wie anmutvoll, wie ganz weiblich sie war!
Die »betenden« Augen, deren er in Konstantinopel überdrüssig geworden, weil sie mit demselben rührenden Flehen erfüllt gewesen waren, wenn sie ihm angstvoll in die Seele gerufen, sie nicht zu verlassen, wie wenn sie ihn ersucht, ihr den Mantel umzuhängen, dieser bestrickende Augenaufschlag, der ihn zuerst zu ihr hingezogen, war ihm heute wieder neu und übte den alten Zauber.
In diesen Minuten voll zärtlicher Hingabe hatte er versprochen, wenigstens in Erwägung zu ziehen, ob er sich nicht von den Verpflichtungen, die er eingegangen, frei machen könne; doch kaum war dies geschehen, als die Erinnerung an Paula sich wieder in ihm geregt und eine innere Stimme ihm zugerufen hatte, daß sie einer höheren Menschengattung angehöre als dies hingebende, schwache, ihm ganz unterthänige Weib, daß sie sein Aufstreben, Heliodora seinen Niedergang bedeute.
Endlich war es ihm gelungen, sich aus den Armen der Wiedergefundenen zu reißen, und nach dem ersten Schritt aus dem Rausch in das wirkliche Leben hatte er wie ein Erwachender um sich geschaut, und es war ihm wie ein höhnischer Teufelsspuk vorgekommen, daß gerade Paulas Zimmer zum Schauplatz dieser Wiederbegegnung und seiner Schwäche geworden.
Ihre Frage nach dem weißen Hündchen, das sie ihm zum Andenken mitgegeben, rief ihm den unseligen Smaragd ins Gedächtnis, der das Antidoron, die Gegengabe dafür hatte sein sollen, und wie er ihr nun ausweichend erzählte, daß er sich ihrer Liebhaberei für seltene Juwelen erinnert und ihr einen besonders schönen Stein geschickt habe, über den er noch mit ihr zu reden haben werde, gab sie ihrer Freude und ihrem Dank so kindlich anmutigen Ausdruck, wußte sie sein Gefallen an ihrer anschmiegenden Zärtlichkeit so beredt auszunützen, um ihn von der Notwendigkeit seines Bleibens zu überzeugen, daß er selbst daran zu glauben begann und ihr nachgab. Je mehr dieser Entschluß seinen eigenen Wünschen entsprach, desto leichter wußte er ihn zu begründen. Der alte Rufinus bedurfte seiner nicht mehr, und wenn er, Orion, auch Ursache hatte, sich seines Wankelmutes zu schämen, so durfte er sich doch von der andern Seite sagen, daß es unfreundlich und undankbar gegen seine gütigen Freunde handeln heiße, wenn er sie gerade jetzt, wo er ihnen nützlich sein konnte, im Stich lasse. Den Nonnen konnte es auf zwei schützende Arme mehr oder weniger nicht ankommen, der gefangene Narses aber ohne seine Fürsprache bei dem Feldherrn leicht zu Grunde gehen, bevor es ihn zu lösen gelang. Jedenfalls war es die höchste Zeit, einen festen Entschluß zu fassen!
Nein, er durfte heute nicht fort!
Es war entschieden!
Rufinus mußte sogleich von seinem veränderten Entschluß in Kenntnis gesetzt werden.
Jetzt sich hinsetzen und schreiben, schien ihm unmöglich. Der Rentmeister sollte in seinem Namen reden, und er wußte ja, wie gern und eifrig Nilus diesen Auftrag ausrichten würde.
Heliodora klatschte in die Hände, und gerade als Frau Martina an die Thür pochte, traten beide in den hellerleuchteten Vorsaal. Sie strahlend vor Glück und in ihren kostbaren, modischen, sorgfältig gewählten Gewändern so anmutig, und trotz ihrer nur mittelgroßen Gestalt so fürstlich prächtig, daß sie auch in der Hauptstadt die Bewunderung der Männer und den Neid der Frauen erweckt haben würde; er heiter, aber doch mit einem nachdenklichen Lächeln um die Lippen.
Noch hatte er die Thür nicht geschlossen, als er vor dem an Paulas früheres Zimmer anstoßenden Raum zwei weibliche Wesen wahrnahm, die, während Frau Martina bei ihrer Nichte anklopfte, den Vorsaal betreten hatten. Es waren die kleine Katharina und ihre Zofe.
Man hatte den jungen Anubis, nachdem er vom Dache gefallen, hier untergebracht, und trotz der Einrichtung des Quartiers für die vornehmen Gäste war der Arzt Philippus nicht zu bewegen gewesen, die Ueberführung des Kranken, der regungsloser Ruhe bedurfte, in den untern Stock zu gestatten.
Die Mutter des schwer bestraften Lauschers, Katharinas Amme, war bei ihm; das Bachstelzchen hatte sie mit ihrer Zofe zu ihm begleitet und würde sich nebenbei gern vergewissert haben, ob es ihrem Milchbruder gelungen, schon vor seinem Fall etwas zu erhorchen; doch der arme Bursche war so schwach und sein Schmerz so heftig, daß sie keinen Mut fand, ihn mit Fragen zu quälen. Ihr Samaritergang sollte dennoch nicht unbelohnt bleiben; denn Orion mit einer so schönen, vornehmen Frau aus Paulas früherem Zimmer treten zu sehen, das war etwas Besonderes, weswegen es die Augen aufzuthun lohnte. Sie hätte gern zweimal den Weg in die Statthalterei zurückgelegt, nur um die Kleider und den Schmuck dieser vom Himmel gefallenen Fremden zu sehen. So etwas verirrte sich nach Memphis selten, und ob nicht etwa gar diese liebliche, vornehme Dame die eigentliche »Andere« war, und nicht Paula? Konnte denn Orion nicht ebenso gut mit der Damascenerin sein Spiel getrieben haben wie vorher mit ihr? In dem Zimmer dort mußte ein wonniges Wiedersehen gefeiert worden sein, das verriet jeder Zug im Heiligengesichte der blonden Schönen. O dieser Orion! Sie hätte ihn erdrosseln mögen, aber es freute sie auch, daß es außer ihr noch andere und so anmutige, glänzende andere gab, die er betrog.
»Er bleibt!« hatte Heliodora schon von der Schwelle aus der Matrone zugerufen, und diese dem Jüngling die Hand mit einem innigen: »Daß Gott Dir’s lohne!« entgegengestreckt.
Sie freute sich auch über das glückliche Gesicht ihrer Nichte; aber bei alledem waren die Augen der lebhaften Frau doch überall, und wie sie Katharina bemerkte, die neugierig stehen geblieben war, wandte sie sich ihr zu, begrüßte sie freundlich und fragte Orion:
»Eine Schwester oder das Nichtchen, von dem Du erzähltest?«
Da rief der Jüngling Katharina heran und machte sie mit den Gästen bekannt, sie aber berichtete, was sie hieher geführt, und that es in so allerliebster und herzlich mitleidiger Weise – denn sie war ihrem Milchbruder und Spielgefährten aufrichtig gut – daß sie der Matrone und Heliodora sehr wohl gefiel und diese die Hoffnung aussprach, sie recht oft wiederzusehen. Ja, nachdem sie sich entfernt hatte, rief Frau Martina: »Ein reizendes Püppchen! Frisch und sauber, wie eben aus der Schale gesprungen, flink und nett, und wie niedlich sie plappert.«
»Und außerdem die reichste Erbin in Memphis, vielleicht in Aegypten,« fügte Orion hinzu. Da er aber bemerkte, wie Heliodora bei dieser Bemerkung die Augen betrübt zu Boden schlug, fuhr er lachend fort: »Die Mutter hatte uns für einander bestimmt, doch unsere Größe ist gar zu verschieden, und wir passen auch sonst nicht zusammen.«
Dann bat er die Frauen um Urlaub, begab sich zu Nilus und unterrichtete ihn von seinem Entschluß. Seine Bitte, sein Ausbleiben bei Rufinus zu entschuldigen, der Tochter des Thomas seinen Gruß zu entbieten und die Gründe lebhaft hervorzuheben, welche ihn zurückhielten, bewirkte, daß der stille, bescheidene Mann vor Freude außer sich geriet und sich herausnahm, Orion wie einen Sohn zu umarmen.
Bis um Mitternacht blieb der junge Wirt mit den Gästen beisammen, und als Frau Martina ihre Schutzbefohlene am folgenden Morgen ein wenig ermüdet, doch still glückselig wiedersah, konnte sie ihr mitteilen, daß die Männer schon über den Nil gefahren seien und mit dem Statthalter hoffentlich alles ins Reine gebracht hätten.
Doch ihre Enttäuschung war groß, wie beide nach einiger Zeit zurückkehrten und ihnen mitteilten, Amr sei von der Truppenbesichtigung bei Heliopolis aus, statt nach Fostat zurückzukehren, geradewegs nach Alexandria gegangen. Dort habe er einige Tage zu thun und werde sich dann erst nach Medina begeben.
Nun blieb für den Senator nichts übrig, als ihm ungesäumt nachzureisen, und Orion bot ihm freiwillig an, ihn dorthin zu begleiten.
Heliodoras kurzer Versuch, ihn zurückzuhalten, scheiterte an seiner ernsten, ja strengen Entschiedenheit. Diese Reise war doch nur eine Flucht vor der eigenen Schwäche und der schönen Frau, die ihm nichts mehr sein sollte und durfte. In der Frühe hatte er Zeit gefunden, an Paula zu schreiben, aber mehr als ein halb vollendeter Brief war fortgeschleudert worden, bevor er die rechten Worte gefunden. Sie sagten ihr, daß er sie und sie allein liebe, und während er sie in das Wachs ritzte, hatte er mit Grauen vor sich selbst empfunden, daß sein Herz in der That nur Paula gehörte, war der Entschluß in ihm gereift, seiner Verbindung mit Heliodora wie auch immer ein Ende zu machen und sich der Geliebten nicht eher wieder zu zeigen, bis es ihm gelungen, das Band auf immer zu lösen, das ihn an die junge Witwe gefesselt.
Die Frauen hatten die Reisenden an den Wagen begleitet, und als sie gesenkten Hauptes wie geschlagene Krieger in den großen Vorsaal zurückkehrten, begegnete ihnen dort das Bachstelzchen mit seiner Zofe. Martina wollte das Mädchen aufhalten und es bestimmen, sie in ihre Wohnung zu begleiten; doch Katharina that ihr nicht den Willen und schien große Eile zu haben. Sie kam von ihrem Milchbruder Anubis, der heute geringere Schmerzen litt als gestern und ihr, so gut es gehen wollte, mitgeteilt hatte, was er vernommen. Daß die Flucht sich gen Norden wenden sollte, das war gewiß; doch hatte er den Namen des Reiseziels der Schwestern entweder nicht verstanden oder vergessen.
Seine Mutter und Pflegerin waren hinausgeschickt worden, und dann hatte sich das dankbare Bachstelzchen über ihn gebeugt, seinen hübschen Kopf ein wenig in die Höhe gehoben und ihm zwei so süße Küsse gegeben, daß es dem armen Jungen ganz angst geworden war. Aber wie er sich wieder allein mit seiner Mutter befunden, war ihm wohler und wohler geworden, und die Erinnerung an das unfaßbare Glück, das ihm widerfahren, hatte die großen Schmerzen, die er um Katharinas willen erlitt, mehr und mehr gelindert.
Diese kehrte keineswegs sogleich zu der Mutter zurück, sondern begab sich ungesäumt zu dem Bischof von Memphis, dem sie alles erzählte, was sie über die Bewohnerinnen des Cäcilienklosters und was für sie ins Werk gesetzt worden war, erfahren, und der milde Plotinus geriet bei ihrer Mitteilung in großen Zorn und begab sich, sobald sie ihn verlassen, nach Fostat, um die Hilfe des Statthalters, und da dieser abwesend war, seines Wekils anzurufen und ihn zu bestimmen, die Verfolgung der fliehenden melchitischen Nonnen ins Werk zu setzen.
Als das Bachstelzchen auf seinem Zimmer allein war, sagte es sich still zufrieden, daß es da etwas eingefädelt habe, das Orion wie Paula manchen Tag verderben, ja sich hoffentlich verhängnisvoll für sie gestalten werde.
Dreiunddreißigstes Kapitel.
Der Rentmeister Nilus hatte seinen Auftrag wohl besorgt, und Rufinus mußte zugeben, daß Orion das Seine gethan und die Vorbereitung für dies Unternehmen so umsichtig und opferwillig getroffen habe, daß seine persönliche Mitwirkung entbehrlich erschien.
Unter diesen Umständen konnte er dem Jüngling kaum verdenken, daß er seine Kraft den byzantinischen Freunden zur Verfügung stellte, aber sein Ausbleiben beunruhigte und erregte ihn dennoch, weniger um seiner selbst und der guten Sache als um Paulas willen, deren Neigung zu Orion weder seiner Gattin noch ihm hatte verborgen bleiben können.
Frau Johanna ging des jungen Mannes Ausbleiben noch näher als ihm, ja sie hätte ihren Mann nun am liebsten ganz von dem Abenteuer zurückgehalten, dessen Gefahren sie jetzt in ihrem ängstlichen Gemüte verzehnfacht sah. Aber sie wußte, daß sie eher den Nil zum Rückwärtsfließen als ihn von der Zusage hätte abwendig machen können, die er der Aebtissin gegeben, und so zwang sie sich, wenigstens äußerlich gefaßt zu bleiben.
In Paulas Gegenwart erklärte Rufinus Orions Ausbleiben für gerechtfertigt und hob rühmend hervor, wie freigebig er für das Nilboot und das Seeschiff gesorgt, und wie gute Ersatzmänner er gestellt habe.
Pulcheria freute sich des Unternehmens ihres Vaters, und am liebsten wäre sie mitgefahren und hätte ihm geholfen, ihre teuren Nonnen zu retten. Der Werftmeister war nicht nur mit seinen Söhnen, sondern noch mit drei anderen griechischen Glaubens– und Handwerksgenossen erschienen, welche bei dem niedrigen Wasserstande, der eine starke Einschränkung der Schiffahrt bedingte, arbeitslos waren und sich gern an einem so guten Werke beteiligten, das außerdem Gewinn zu bringen verhieß, da Orion den alten Meister reichlich mit Geld versehen hatte.
Mit der nach Sonnenuntergang eingetretenen Kühlung hatte sich Paulas Zustand gebessert.
Sie wußte freilich nicht, was sie von Orions Ausbleiben zu halten habe. Bald ängstigte, bald freute es sie aber auch; denn es entzog ihn großen Gefahren. Sie hatte ihn in den ersten Tagen nach seiner Heimkehr aus Konstantinopel die Güte und Gastlichkeit des Senatorenpaars rühmen und den Mukaukas, dem seine Erinnerungen an die Hauptstadt teuer gewesen, ihm beipflichten hören. Es mußte ihm lieb sein, gerade diesen Freunden Beistand zu leisten, und Nilus, der ihr verehrungsvoll zugethan war, hatte Orions Grüße an sie mit besonderem Nachdruck hervorgehoben. Morgen kam er vielleicht, und je öfter sie sich sein Wort, er habe freundliches Zutrauen noch nie betrogen, wiederholte, desto lebhafter drängte es sie, dem Rat der Aebtissin entgegen, alle Bedenken schwinden zu lassen, dem Zuge ihres Herzens zu folgen und vertrauungsvoll und beseligt jetzt schon die Seine zu werden.
Der abnehmende Mond war noch nicht aufgegangen, und die Nacht finster, als der Aufbruch der Nonnen begann.
Das große Nilboot konnte bei dem flachen Stande des Stroms nur in ziemlicher Entfernung vom Ufer des Klostergartens landen, und die Schwestern, die sich als ägyptische Bäurinnen verkleidet hatten, mußten einzeln an Bord geschafft werden. Als letzte wollte man die Aebtissin durch das seichte Uferwasser tragen, und der alte Werkmeister hatte sich ausbedungen, ihr diesen Dienst zu erweisen. Frau Johanna, Pulcheria, die Amme, und auch die eifrig orthodoxe griechische Erzieherin Eudoxia umstanden sie, während sie Paula den letzten Kuß bot und ihr zuflüsterte: »Gott segne Dich, Kind! Er bleibt nun bei Dir, und so wird es Dir doppelt not thun, an Dein Versprechen zu denken,« und als Paula ihr leise erwiderte: »Ich schulde ihm zuerst freundliches Zutrauen,« entgegnete die Aebtissin: »Und Dir selbst Festigkeit und Vorsicht.«
Rufinus blieb als letzter zurück, und seine Gattin und Tochter hielten ihn umschlungen.
»Nimm Dir an dem armen Kinde ein Muster!« rief der Greis seiner Gattin zu, während er sie zärtlich an sich zog. »So wahr der Mensch das Maß aller Dinge, Altchen, so gewiß muß es mir diesmal wohlergehen, wenn die ewige Liebe da oben nicht schlummert. Auf Wiedersehen, Du Beste der Guten, und wenn Deinem närrischen Manne etwas Uebles begegnet, so sag Dir nur immer, daß er sich’s zuzog, um ein Viertelhundert unschuldiger Menschen vor dem Schlimmsten zu schützen. In jedem Fall bleib’ ich auf dem Weg, den ich mir wählte. Aber warum ist mein Philippus nicht zum Abschiednehmen gekommen?«
Da weinte Frau Johanna bitterlich auf: »Das, auch das ist so traurig! Wie kommt es nur, daß er sich uns so entfremdet, und gerade jetzt? Ach, Mann, wenn Du mich lieb hast, nimmst Du den Gibbus mit auf die Reise!«
»Ja, Herr, nimm mich mit,« unterbrach sie der buckelige Gärtner. »Bis wir zurück sind, steigt wohl der Nil, und inzwischen können die Blumen auch ohne meine Hilfe verdorren. Ich habe heut Nacht geträumt, Du hättest mir eine Rose von dem Höcker da hinten gebrochen. Sie saß mitten drauf wie der Knopf auf dem Deckel des Topfes. Das hat was zu bedeuten, und läßt Du mich daheim, was wird aus der Rose, das heißt, was kannst Du dann Gutes durch mich erfahren?«
»So trage denn meinetwegen Dein wunderliches Beet mit auf das Schiff,« lachte der Alte. »Bist Du nun zufrieden, Johanna?«
Damit zog er sie und Pulcheria noch einmal an sich, und wie ihm dabei eine Thräne aus der Gattin Auge auf die Hand fiel, raunte er ihr ins Ohr: »Du bist die Rose meines Lebens gewesen, und ohne sie kein wonniges Eden, kein Paradies.«
Das große Nilboot stach in die tiefere Strömung des Flusses, und bald entzog es das Dunkel den Augen der zurückbleibenden Frauen.
Das Geläut der Klosterglocken tönte den Flüchtlingen nach; Pulcheria und Paula waren es, die sie in Schwingung versetzten.
Kein Lüftchen regte sich, selbst das kleine Segel der stromabwärts fahrenden Nilschiffe konnte nicht aufgesetzt werden, aber die Matrosen zogen die Ruder mit aller Kraft, und so glitt das Schiff weiter und weiter gen Norden. Der kundige Führer stand mit der Stange an der Spitze des Bootes, um den Grund zu sondiren, sein geschickter Bruder am Steuer. – Die Lenkung war bei dem flachen Stande des Wassers schwierig, und auch der beste Kenner des Stroms konnte leicht von unerwarteten Untiefen, von neu angeschwemmten Schlammmassen, aufgehalten werden. Als der Mond kaum aufgegangen war, saß denn auch das Schiff wenige Stadien unterhalb Fostat fest, und die Matrosen mußten ins Wasser steigen, um es unter lautem Gesang, der durch ihre gesonderten Willen und Kräfte gleichsam in eins verschmolz, los zu stemmen und wieder flott zu machen. Mehrmals erfolgte ein solcher Aufenthalt, bis sie nach Letopolis gelangten, wo es bei der Spaltung des Nils, womöglich ungesehen, an den Zollwächtern vorbei zu kommen galt. Und gegen alle Erwartung blieb das große Fahrzeug in den Nebeln, welche vor Sonnenaufgang aus den Wogen aufstiegen, unbemerkt, und Kapitän und Mannschaft schrieben, als sie in den Phatmetischen Nilarm eintrieben, neu ermutigt dies Gelingen der Fürbitte der frommen Schwestern zu.
Im hellen Tageslicht waren die Untiefen leichter zu umgehen, doch wie schmal war die sonst in diesem Monat übervolle Wasserader! Die Papyrusdickichte am Saum des Flußbettes standen zum Teil auf trockenem Boden, und ihr strotzendes Grün hatte sich in strohiges Gelb verwandelt. Der lockere Schlamm des Ufers war zu einer steinigen Masse verhärtet, und über ihn hin fegte der leichte Westwind, der sich erhob und das Segel aufzuspannen gestattete, weißlichen Staub. An vielen Stellen war das Erdreich geborsten, und seine schwärzliche Fläche durchzogen tiefe Spalten, die nach Tränkung begierig wie durstige Rachen himmelwärts gähnten. Die Schöpfräder standen auf trockenem Boden abseits vom Strome, der sich von ihnen zurückgezogen, und die Aecker, welche noch vor kurzem von ihnen begossen worden waren, sahen aus wie die Tennen, auf denen man sonst die Frucht ausdrosch, die sie getragen. Um Dörfer und Palmengruppen schwebte ein von gelbem, heißem Licht durchzuckter qualmiger Dunst, und die Wanderer auf den hohen Dämmen am Ufer zogen gesenkten Hauptes und mit schleppenden Füßen durch den tiefen Staub des Weges.
Die Sonne brannte mit erbarmungsloser Glut vom wolkenlosen Himmel auf Erde und Strom und die fliehenden Nonnen nieder, welche die weißen Kopftücher über sich ausgebreitet hatten und in dumpfer Willenlosigkeit ihr weiteres Schicksal erwarteten.
Der Thonkrug mit Nilwasser wanderte von einer zur andern; doch je mehr sie tranken, desto höher steigerte sich das Mißbehagen und das Verlangen nach neuer Erfrischung. In der Essenszeit kehrten die Schüsseln kaum berührt in die kleine Kajüte zurück. Die Aebtissin und Rufinus suchten ihnen Trost zuzusprechen, doch am Nachmittag wurde auch die Greisin von Schwäche übermannt, und in der kleinen, dumpfen Kajüte, in die sie sich zurückzog, war es noch weniger erträglich als auf dem Deck.
So verlief ein langer, qualvoller Tag, der heißeste, dessen sich die Matrosen erinnerten, und diesen brachte er das geringste Leid, obgleich sie mit wunderbarer Ausdauer von früh bis spät die Ruder zogen.
Endlich folgte den furchtbaren Nachmittagsstunden der Abend; da, als sich vor Sonnenuntergang ein kühleres Lüftchen erhob und die perlenden Stirnen erfrischte, erwachten die Gequälten und Niedergedrückten zu neuem Leben. Die gegenwärtige aufdringliche Pein hatte sie so beherrscht, daß sie weder Furcht noch Hoffnung empfunden und unfähig gewesen waren, überhaupt an etwas Zukünftiges zu denken; jetzt begannen sie sich des großen Vorsprungs zu freuen, den sie vor den Verfolgern gewonnen. Die Abendmahlzeit mundete den Hungernden, die Aebtissin befreundete sich mit dem wackern Werftmeister und begann mit Rufinus ein eingehendes Gespräch über Paula und Orion. Der Greisin Wunsch, den Jüngling eine Probezeit bestehen zu lassen, wollte dem alten Herrn nicht gefallen. An der Seite einer solchen Geliebten werde er ohnehin der wackere Gesell bleiben, für den er ihn trotz seines Ausbleibens halte.
Der buckelige Gärtner brachte mit seinen Spässen die jüngeren Nonnen zum Lachen, und nach der Mahlzeit vereinigten sich diese zu gemeinsamem Gebet.
Auch die Ruderer hatten neue Kraft und neues Leben gewonnen, und es war gut, daß nur wenige unter den griechischen Nonnen Aegyptisch verstanden; denn der Spaßmacher unter den Matrosen stimmte einen Lobgesang auf die Schönheit der Herzliebsten an, der nicht für Frauenohren gemacht war.
Plaudernd gedachten die Schwestern der Zurückgelassenen, und manche sprach hoffnungsvoll von dem Wiedersehen, das sie in der Heimat erwarte, doch eine ältere Nonne untersagte ihnen dies; denn es sei sündhaft, Gottes Gnade gleichsam vorweg zu nehmen und da, wo man seiner Hilfe noch so nötig bedurfte, zu reden, als habe er sie schon in seiner Barmherzigkeit geleistet. Sie sollten sich ängstigen und beten; denn sie wisse aus Erfahrung, daß sich ein drohendes Unheil nur zum Bessern wende, nachdem man sich recht davor gefürchtet.
Darauf fing eine andere zu berechnen an, ob die Verfolger sie zu Fuß oder zu Roß noch einholen könnten, und da sich dies als sehr möglich erwies, schlugen die Herzen wieder bang und beklommen. Doch bald ging der Mond auf, und was sich am Saum des Nilarmes erhob und sich in seiner glatten Fläche spiegelte, gewann wieder bestimmtere Formen und verlor dadurch seine Schrecken.
Je weiter sie fuhren, desto dichter erschien das Papyrusdickicht am Ufer. Tausende von Vögeln nisteten darin, aber sie schliefen alle, und wie greifbar lagerte tiefes schweigendes Dunkel über der Landschaft.
Das Spiegelbild des Mondes schwamm wie ein Riesenlotos unter kleineren, duftenden Lotosblumen, die es an schimmernder Weiße noch überbot, auf dem dunklen Wasser, hinter sich ließ das Schiff eine leuchtende Furche zurück, und nach jedem Ruderschlag glänzte es im Flusse auf, und in glitzernden Tropfen spiegelte sich das gebrochene Licht. In den zarten Büscheln an der Spitze der schlanken Papyrusstauden spielte der Glanz des Gestirns der Nacht, Duftschleier wie von zartem violettem Silberbrokat umwoben die Bäume, und von einem Wipfel zum andern zogen mit lautlosem, gleichmäßigem Flügelschlag tagscheue Eulen.
Der Zauber der Mondnacht ergriff auch die Seelen der Nonnen. Ihr Gespräch kam ins Stocken; doch da Schwester Martha, die junge Nachtigall des Klosters, einen frommen Gesang anstimmte, folgten ungerufen die anderen. Der Matrosen Scherzlieder verstummten, und sanft, wie das wandernde Mondlicht, umschwebten das still fortgleitende Schiff die Psalmen und Hymnen der jungfräulichen, den Schutz des Höchsten anrufenden Schwestern. Stundenlang und, indes der Komet am Himmel stand, mit besonderem Eifer, ergaben sie sich der beruhigenden, seelenstärkenden Freude des Singens; doch nach und nach verloren die Stimmen an Kraft, und leise, träumerisch, müde zog mit dem stillen Laufe des Stroms ihr friedvolles Lied dem Meer entgegen. – Jede sah in den Schoß, richtete das Auge schwärmerisch gen Himmel oder auf das schillernde Wasser und die Lotosblumen auf seiner Fläche.
Niemand achtete des Ufers, auch nicht die Männer, welche der sanfte Gesang in Schlummer oder Traum gewiegt hatte. Der Blick der Schiffslenker war auf das Bett des Stroms gerichtet, und doch leuchtete es, als der Morgen nicht fern war, bisweilen wie zuckende Blitze hinter dem Schilfdickicht des östlichen Ufers auf; doch knackte und rasselte es von Zeit zu Zeit im Rohre.
War ein Schakal in die dicht wuchernde Pflanzenmasse gebrochen, um das Nest eines Wasservogels zu überfallen, brach sich eine Hyäne Bahn durch das Dickicht?
Dies Blitzen, dies Knacken, und jetzt dumpfe Schläge auf verhärtetes Erdreich, das alles folgte dem Boot durch die Nacht wie ein Unheil bringender, glitzernder und tönender Schatten. Plötzlich schrak der Schiffsführer zusammen und schaute nach Osten.
Was war das?
Wohl weidete eine Rinderherde auf den Aeckern jenseits des Schilfes, vielleicht wetzten zwei Stiere das Horn gegen einander. Der Fluß stand so tief, seine Ufer waren so hoch, daß sich nicht wahrnehmen ließ, was dort vorging. Aber jetzt rief eine hohe Stimme ihn an, und der buckelige Gärtner raunte ihm zu:
»Dorthin, dorthin... da blitzt es wieder, und... ich will die eigene Nase fressen, wenn das nicht... da wieder... Barmherziger Gott, ich irre mich nicht; es ist Pferdegetrappel! Und da... das war Rossegewieher. Ich kenn’ es... da graut es im Osten. Bei allen Heiligen, wir werden verfolgt!«
Der Schiffsführer schaute mit Anspannung aller Sinne gen Morgen, und nachdem er eine Zeit lang geschwiegen, sagte er ein entschiedenes »Ja«.
»So stellt der Vogler dem Wachtelschwarm ein Netz,« seufzte der Gärtner; doch der andere verwies ihn mit einer unwilligen Bewegung zur Ruhe und hielt aufmerksam Umschau. Dann befahl er dem Buckeligen, Rufinus und die Werftleute zu wecken und die Nonnen in die Kajüte zu führen.
»Sie werden sich da befinden wie die eingelegten Datteln, die man in Schachteln nach Rom schickt,« murmelte der Gärtner vor sich hin, während er Rufinus aufsuchte. »Arme Seelen, ihre Heilige mag sie vor dem Ersticken behüten, und ich, meiner Treu, wenn Frau Johanna nicht solch ein braves Herz auf zwei Beinen wäre, und ich hätte ihr nicht geschworen, bei dem Herrn auszuhalten, ich spränge jetzt ins Wasser und genöss’ eine Zeit lang die Gastfreundschaft der Flamingos und Störche im Schilfe. Man muß sich herablassen können!«
Während er dann seine Aufträge ausrichtete, besprach sich der Schiffsführer mit seinem Bruder am Steuer. Eine Brücke gab es nicht in der Nähe, und das war gut. Waren die Reiter da drüben Verfolger, so mußten sie durch das Wasser, um sie zu erreichen, und kaum drei Stadien stromabwärts erweiterte sich der Fluß und rann durch eine sumpfige Strecke. Das einzige tiefe Fahrwasser befand sich an seiner westlichen Seite, und Berittene, welche dahin gelangen wollten, setzten sich der Gefahr aus, im Schlamm zu versinken. Gelang es dem Schiff, bis dahin zu kommen, so war viel gewonnen.
Mutig und auf ernste Dinge gefaßt munterte der Schiffer die Matrosen auf, alle Kraft zusammenzunehmen, und bald trieb das Schiff hart am westlichen Ufer des Flusses hin und war von seinem andern Rande durch eine schlammige Strecke getrennt.
Nun begann es zu tagen, und der Himmel färbte sich mit so blutigem Rot, als wolle er voraus verkünden, daß dieser Morgen bestimmt sei, grausamen Streit und klaffende Wunden zu sehen.
Bachstelzchens Saat begann zu keimen. Der Wekil hatte auf Veranlassung des Bischofs den Nonnen eine Reiterschar nachgesandt mit dem Befehl, die Flüchtlinge nach Memphis zurückzuführen und ihre Begleiter gefangen zu nehmen. Da das Boot unbemerkt an den Steuerwächtern vorbeigekommen war, hatte die Macht der Araber sich teilen müssen, um auch die anderen Nilarme abzusuchen. Dem Phatmetischen waren zwölf Reiter gefolgt, und so viel genügten nach aller Voraussicht, um zwei Dutzend Weiber und eine Handvoll Matrosen, die es kaum versuchen würden, sich zur Wehr zu setzen, gefangen zu nehmen. Von der Anwesenheit des Werkmeisters und der Seinen hatte der Wekil keine Kunde erhalten.
Die Verfolger waren um Mittag des vergangenen Tages aufgebrochen und zwei Stunden vor Anbruch des Tages des Schiffes ansichtig geworden. Aber ihr Anführer hielt es für gut, den Ueberfall erst im hellen Sonnenlicht zu unternehmen, damit ihm niemand entrinne. Er wie seine Leute waren Araber und wohl mit der Richtung des Nilarms, dem sie zu folgen hatten, nicht aber genau mit seinen Eigentümlichkeiten vertraut.
Sobald auch der Morgenstern untergegangen war, verrichteten die Muslimen das Frühgebet und brachen dann aus dem Papyrusdickicht hervor.
Ihr Anführer legte die Hände als Sprachrohr um den Mund und rief hinüber, das Boot möge anhalten. Er komme im Auftrage des Statthalters und habe Befehl, es nach Fostat zurückzuführen. Und die Fliehenden schienen ihm in der That Gehorsam leisten zu wollen; denn das Schiff hielt still. Der Kapitän hatte in dem Sprecher den Vorsteher der Sicherheitswächter von Fostat, einen strengen Mann, wieder erkannt, und erst jetzt wurde ihm klar, in welch ein todbringendes Unternehmen er sich eingelassen hatte. Gewohnt, sich den Befehlen der Obrigkeit zu fügen, ihre Beamten wohl zu hintergehen, aber ihnen so wenig zu trotzen wie der Schickung selbst, erklärte er, Widerstand sei Wahnsinn, und es bleibe ihnen nichts übrig, als sich zu unterwerfen.
Aber Rufinus widersprach ihm lebhaft und stellte ihm vor, daß ihn die gleiche Strafe erwarte, möge er nun die Waffen strecken oder sich wehren, und der alte Werkmeister rief eifrig:
»Wir haben Dein Boot gebaut, und ich kenn’ Dich, Setnau; Du wirst nicht zum Judas an uns werden, und wirst Du es dennoch, so fließt hier auf dem Deck Christenblut, bevor wir den Ungläubigen die Zähne weisen.«
Da schlug sich der Schiffsführer mit dem ganzen Ungestüm seines südlichen Blutes Brust und Stirn, schalt sich einen betrogenen und verlorenen Mann und beklagte sein armes Weib und seine Kinder; doch Rufinus machte seinem Toben ein Ende. Er hatte mit der Aebtissin geredet und stellte dem unglücklichen Mann eindringlich vor, daß er von den Ungläubigen in keinem Falle Gnade zu erwarten, wohl aber leicht auf christlichem Boden für sich und die Seinen ein gutes und sicheres Fortkommen finden werde. Die Aebtissin gebe ihm das Versprechen, ihn und seine Familie mit auf das Seeschiff zu nehmen und sie ans Land zu setzen, wo er begehre.
Da dachte Setnau seines Bruders in Cypern; doch es galt für ihn, sein Haus und seinen Garten in Dumiat, wo gerade jetzt an fünfzig Palmenbäumen die Früchte reiften, galt, sein neues, gutes Nilboot aufgeben, das ihn und die Seinen ernährte, und wie er dies dem Greise entgegenhielt, rannen ihm bittere Thränen über die braunen Wangen. Aber Rufinus erklärte, daß er, wenn es die Nonnen zu retten gelinge, auf Entschädigung Anspruch habe. Er möge dann selbst den Wert seiner Habe veranschlagen, und man werde ihm den Verlust aus dem Klosterschatze in der schweren Kiste an Bord nicht nur ersetzen, sondern ihm außerdem ein schönes Schmerzensgeld zahlen.
Da wechselte Setnau mit seinem Bruder, der ein lediger Mann war, einen vielsagenden Blick, und nachdem ihm zugestanden worden, daß auch dieser mit auf das Seeschiff dürfe, schlug er in die Rechte des Alten. Dann schüttelte er sich, als habe er etwas abzuthun, was ihn beenge, stieß das Lederkäppchen auf dem geschorenen Kopf keck zur Seite, richtete sich in seiner stattlichen Länge auf und rief dem Araber, der ihm und anderen Aegyptern ohnehin mehr als einmal mit verletzendem Hochmut begegnet war, höhnisch zu, wenn er etwas von ihm begehre, so möge er sich’s holen.
Die Geduld der Muslimen war längst erschöpft, und nach dieser Herausforderung winkte der Anführer den Seinen und sprengte ihnen voran in das Wasser; doch bald sanken die vordersten Pferde so tief in den Schlamm, daß sich ein weiteres Vordringen als unthunlich erwies und das Zeichen zur Umkehr gegeben werden mußte. Dabei überschlug sich ein widerspenstiges Roß, und sein Reiter erstickte im Schlamm.
Da sahen die Verteidiger des Schiffes ihre Gegner mit lebhaften Gesten Rat halten, und der Schiffsführer sprach die Befürchtung aus, daß sie von der Fortnahme des Bootes abstehen, nach Dumiat reiten und ihnen dort, vereint mit der arabischen Besatzung des Ortes, die Flucht abschneiden würden. Aber er hatte nicht mit dem kriegerischen Trotz dieser Männer gerechnet, welche in zwanzig Schlachten ganz andere Hindernisse überwunden. Das Boot sollte erobert, seine Insassen mußten gefangen genommen und abgestraft werden.
Vom Schiff aus sah man nun sechs Reiter und unter ihnen den Befehlshaber von den Pferden steigen, sie ankoppeln und dann mit den Schlachtbeilen drei stattliche Palmen fällen, während die fünf anderen gen Süden trabten. Diese sollten gewiß den Sumpf umgehen und an einer günstigeren Stelle den Fluß überschreiten, um das Schiff von Westen her anzugreifen, während die fünf anderen sich ihm von Morgen her auf den Palmenstämmen zu nähern hatten.
Am rechten, östlichen Ufer des Stromarms, wo die abgesessenen Araber das Floß herstellten, lag festes Ackerland, durch welches die Straße nach Dumiat führte, auf dem andern, in dessen Nähe das Schiff lag, dehnte sich der Sumpf weithin aus. Ein unabsehbares Dickicht von Papyrus, Schilf und Rohr, das der Sonnenbrand und die Dürre dieses Jahres zu gelbem Stroh vertrocknet hatten, bedeckte hier den an den meisten Stellen ausgetrockneten und verhärteten Moorgrund, und als sich von Nordosten her ein kräftiger Morgenwind erhob, kam der Schiffsführer auf einen glücklichen Einfall. Durch diese vergilbten und versengten Pflanzenmassen hatten sich die gegen sie ausgesandten Fünf Bahn zu brechen. Legte man jenseits eines Seitenkanals, der sein Umsichgreifen nach Norden verhinderte, Feuer in das strohige Dickicht, so trieb es der Wind den Reitern entgegen, und wohl ihnen, wenn es sie nicht erstickte oder in den Fluß zu springen zwang, in dem sie, wenn die Flammen sie bei der sumpfigen Stelle erreichten, rettungslos zu Grunde gehen mußten.
Sobald nun die scharfen Augen des Steuermanns von der Spitze des Mastes aus die Araber den Fluß an einer Furt weiter im Süden überschreiten sahen, wurde das Feuer an verschiedenen Stellen gelegt, und schnell und wild prasselte es auf. Der Morgenwind jagte es gen Mittag, und mit ihm grauweißlichen Qualm, den die Strahlen der steigenden Sonne wie Lichtströme durchwogten. Wie gelbe und rote flüchtige Rieseneidechsen krochen, jagten und wanden sich die Flammen über den trockenen Boden hin, schossen hier auf, sanken dort nieder. Glanzlos in der Helle des Tages, verschlangen sie gefräßig, was sie erreichten, und weißlicher Aschenstaub bezeichnete den Weg, den sie gezogen. Ihr Odem steigerte die Glut des vorschreitenden Tages, und wenn auch der Rauch, vom Winde gefegt, nach Süden jagte, so erreichten einzelne Wölkchen doch auch das Boot und beengten die Brust der Nonnen und ihrer Beschützer.
Ein großes Nilschiff kam von Dumiat her und sah die schmale Wasserstraße von dem andern versperrt. Sein Führer war ein Verwandter des Setnau, und als dieser ihm zurief, daß es sich hier um einen Kampf mit arabischen Räubern handle, folgte dieser seinem Rat, wandte sein Fahrzeug mit großer Mühe und ging bei dem nächsten Flecken vor Anker, um andere von Norden kommende Boote zu warnen, nicht mit in dies gefahrvolle Abenteuer verstrickt zu werden. Was von Süden her herantrieb, hielten fürs erste Rauch und Feuer zurück.
Die sechs Krieger auf dem Ostufer nahmen mit Wut und Entsetzen die wachsende Feuersbrunst wahr; doch schon hatten sie die Palmenstämme aneinander gebunden und schickten sich an, mit ihrer Hilfe den frechen Widerspenstigen die verdiente Züchtigung zukommen zu lassen. Aber diese waren nicht müßig geblieben. Jeder Mann an Bord führte Waffen, und einer der Werftleute war mit einem Matrosen ausgesandt worden, um sich durch das Dickicht zu schleichen, weiter nach Norden hin über den Fluß zu setzen und, wenn die Araber zum Angriffe schritten, ihre Pferde niederzumachen oder, sollte einer auf der einzigen nach Dumiat führenden Straße dorthin zu gelangen versuchen, ihn vom Pferde zu reißen.
Jetzt hingen die sechs an dem leicht zusammengefügten Floß, worauf ihre Köcher und Bogen lagen. Sie stießen es vor sich her, und es hielt sie über dem flachen Wasser, während ihre Füße den Sumpfboden nur leicht berührten. Alle waren echte Krieger, echte Söhne der Wüste und ihres Volkes, Leute, als habe die Natur, da sie sie schuf, an ihr Meisterwerk unter den geflügelten Wesen, den Adler, gedacht. Scharfsichtig, fest und doch feinknochig, frei von jeder überflüssigen Fleischfaser an den nervigen Gliedern, mit braunen, keck und entschieden geschnittenen Gesichtern, an denen nicht nur die gebogene Nase an den König der Vögel erinnerte, besaßen sie auch den Mut und die blutige Streitlust und Raubgier des Adlers.
Eines jeden hagerer, sehniger linker Arm krampfte sich an das Floß, und mit dem runden Schild an der Rechten fingen sie, sobald sie sich dem Boote bis auf Schußweite näherten, die Pfeile auf, welche von dort her gegen sie einschwirrten. Zornig knirschten ihre weißen Zähne, und ihren scharfen Falkenaugen entging nicht das Kleinste, was vor ihnen lag. Sie wären zum Angriff geschritten, auch wenn das Schiff statt von einigen zwanzig Matrosen und Handwerkern, von fünfzig ägyptischen Soldaten verteidigt worden wäre.
Das mutige Herz fühlte sich von dem Panzerhemde, der findige, schnell denkende Kopf von dem ehernen Helme geschützt, und mit Verachtung und Freude bemerkten sie den matten Anprall der Pfeile an ihren ehernen Schilden. Tod zu bringen war der Wunsch ihrer Seele, den Tod zu erleiden schreckte sie nicht; denn aus dem geöffneten Paradiese sah ihre glühende Einbildungskraft üppige Weiber, die ihnen mit weit geöffneten Armen und vollen Pokalen Gewährung jedes Wunsches verhießen.
Ihr scharfes Ohr verstand das leise Kommandogeflüster ihres Führers, und als sie die Wand des Schiffes erreicht hatten, klammerte sich der eine an das offene Fenster der Kajüte, windesschnell schwang sich der Führer auf seine Schulter, und von dort aus auf das Deck des Schiffes, nachdem er den Matrosen, der ein Beil gegen ihn schwang, mit der Lanze durchbohrt. Ein zweiter Araber folgte ihm auf dem Fuß, zwei blanke krumme Säbel blitzten in der Sonne, die schrillen Kehllaute des wütenden muslimischen Schlachtgeschreis durchschmetterten die Luft, und als erstes Opfer ihrer grimmigen Streitlust fiel der Schiffsherr mit einer weit klaffenden Wunde in Stirn und Antlitz rücklings zu Boden; aber wenige Augenblicke später sauste eine schwere Segelstange auf das Haupt des Anführers der Muslimen und brachte ihn zu Falle. Der Steuermann, des Getroffenen Bruder, hatte sie mit der Wut des Rächers geschwungen.
Ein furchtbares Geschrei, in welches sich das Zetern und Gewimmer der Nonnen mischte, erfüllte das Schiff. Der zweite Muslim verbreitete mit dem Mut und der Kraft der Verzweiflung den Tod um sich her, und noch dreien seiner Genossen gelang es, das Boot zu erklimmen; den letzten stießen die Angegriffenen ins Wasser. Von den Werftleuten waren schon zwei, von den Matrosen fünf gefallen. Rufinus hatte sich neben dem Schiffsführer niedergelassen, der blutend, aber vielleicht doch noch der Rettung fähig, um Hilfe wimmerte, und legte Leinenstreifen um die klaffenden, schweren Wunden dieses Mannes, welcher vorhin besorgt von Weib und Kind gesprochen, und den er den Seinen erhalten wollte. Da sauste ein Säbelhieb auf ihn selbst nieder und aus seinem Hinterkopf und Rücken ergoß sich ein voller, dunkler Blutstrom. Doch auch seinen Mörder ereilte die Rache: der alte Werftmeister fällte ihn mit seiner wuchtigen Axt.
Am östlichen Ufer des Stroms machten die ausgesandten Boten die Pferde der Araber nieder, um zu verhindern, daß ein Entkommender nach Fostat zurückkehre oder weiter nach Dumiat reite und das Geschehene verrate.
An Bord des Schiffes ward es stiller und stiller. Alle fünf Araber lagen am Boden, und den Verwundeten unter ihnen machten die wütenden Matrosen erbarmungslos den Garaus.
Ein Matrose, der sich auf den Mastbaum geflüchtet, hatte bemerkt, wie die fünf anderen Reiter, um sich vor dem Feuer zu retten, auf dem Gebiet der sumpfigen Strecke in den Strom gesprengt und in den Wellen verschwunden waren. So hatte von den Muslimen nicht einmal jener eine das Leben gerettet, welchen Schicksal und Dichtung als Verkünder der Schreckensbotschaft aufzusparen lieben.
Nach und nach wagten die Nonnen wieder das Deck zu betreten. Die in der Pflege von Verwundeten und Kranken Geübten scharten sich um die Verletzten, öffneten die Arzneikästen, und während unter Leitung des Steuermanns die Fahrt fortgesetzt wurde, hatten sie alle Hände voll zu thun, und im Eifer der Arbeit trugen sie leichter die Hitze des Tages.
Die Leichen der fünf Muslimen und acht Christen, unter denen sich zwei der griechischen Werftleute befanden, wurden in der Nähe eines Dorfes, getrennt von einander am Ufer hingelegt, und die Aebtissin gab dem einen ein Täfelchen in die Hand, worauf sie die Worte geschrieben: »Acht Christen, die in der Notwehr als Beschützer frommer Verfolgter tapfer kämpfend den Tod gefunden. Betet für sie und bestattet sie, sowie auch diejenigen, welche ihnen, gehorsam der Pflicht und ihrem Gebieter, das Leben genommen.«
Nachdem Rufinus, dessen Haupt im Schoß des Gärtners ruhte, der ihn mit dem Schirm der Aebtissin vor dem Sonnenbrand schützte, die Besinnung zurück gewonnen und sich umgeschaut hatte, sagte er mit einem Blick auf den Schiffsführer, der neben ihm lag, leise vor sich hin: »Ich hatte ja auch ein Weib und ein liebes Kind zu Hause, und dennoch... Wie weh das doch thut! Man darf sich schon quälen, um dergleichen zu lindern. Das einzig wirklich Reale hienieden, ja das einzige ist nicht die Lust, das ist der Schmerz, der gemeine körperliche Schmerz, und wenn es da drinnen zum Ueberfluß auch noch beißt und brennt... Wasser, ein Schlückchen Wasser... Wie gut könnt’ ich’s jetzt haben bei meiner Johanna, in unserem schattigen Hause... Aber dennoch, dennoch... helfen, retten, gleichviel, wer der Hilfe bedarf... Einen Schluck... Wein und Wasser, wenn es angeht, ehrwürdige Frau!«
Die Aebtissin hatte, was er begehrte, zur Hand, führte ihm den Becher zum Munde, sagte ihm viel dankende, herzliche und tröstende Worte und fragte ihn, was sie, wenn sie entkommen würden, für ihn und die Seinen thun könne.
»Behalte sie lieb,« versetzte er leise. »Die Pul will jetzt gewiß erst recht ins Kloster. Aber sie darf nicht fort von der Mutter, von ihr: Johanna, Johanna...«
Mehrmals wiederholte er diesen Namen, als ob sein Wohlklang seinem Ohr und Herzen schmeichle. Dann schüttelte er sich wiederholentlich und murmele: »Brrr! Kalte Schauer wieder und wieder... das taugt nichts... Der Hieb in den Rücken, der, der... Am Kopf, da thut es wohl weher, aber der andere... Schlimm, daß es links traf... Nein, gut, es ist gut so; denn hätt’ er – säß’ er da rechts, so... so könnt’ ich nicht schreiben, und ich will, ich muß... bevor es zu spät ist. Ein Täfelchen und einen Stift! Gleich, gleich... Und wenn ich geschrieben, würdige Frau, dann verschließest Du das Täfelchen fest, recht fest. Du versprichst mir’s! Nur der darf es lesen, für den es bestimmt ist... Du, Gibbus! Hörst Du, mein Gibbus? Es ist für Philippus, den Arzt Philippus, dem bringst Du’s! Der Traum mit der Rose auf Deinem Höcker... Aus dem Elend hier unten – deut’ ich ihn recht? – erwachsen Friede und Freude da oben. Also zu Philippus! Und dann: in Dumiat wohnt mein alter Schulfreund, der Arzt Christodor. Zu dem schaffst Du meine Leiche, Gibbus; Du hörst doch? Er soll sie in einen Kasten mit Sand thun, so erhält sich das Fleisch, und sie in Alexandria neben meiner Mutter bestatten. Da kann sie Johanna und das Kind... da können sie mich besuchen. Ich hinterlasse nicht viel. Was das alles kostet...«
»Das ist meine, ist des Klosters Sache!« rief die Aebtissin.
»So schlimm steht es doch nicht,« lächelte der Alte. »Was mich angeht, das zahl’ ich; das Eure gehört ja den Armen, würdige Frau. Du findest in dem Täschchen hier mehr, als Du brauchen wirst, Gibbus. Aber nun... rasch... schnell... die Tafel!«
Als er eine solche und den Stift in der Hand hielt, dachte er erst eine Zeit lang nach und schrieb dann mit zitternden Fingern und dem Aufgebot aller Kräfte.
Wie groß sein Schmerz war, sah man seinem zusammengezogenen Munde und wehen Blicken an; doch er ließ sich nicht hindern, so oft ihn auch der Gärtner und die Aebtissin baten, den Stift aus der Hand zu legen. Endlich atmete er erleichtert auf, schloß die Doppeltafel, reichte sie der Aebtissin und sagte:
»So... Gut verschließen! An den Arzt Philippus. Nur in seine eigene Hand; Du hörst es, Gibbus!«
Hier schwanden ihm die Sinne; doch nachdem man ihm Stirn und Wunden neu gekühlt hatte, kam er wieder zu sich und murmelte leise:
»Ich hab’ von Johanna und dem armen Kinde geträumt. Sie brachten mir eine komische Maske. Was das wohl bedeutet? Daß ich mein Leben lang ein Narr war, weil ich über anderer Leid mich und die Meinen vergaß? Nein, nein, nein! So wahr der Mensch das Maß aller Dinge, – wenn das wäre, dann, dann wäre Narrheit das Wahre und Rechte. – Ich, ich... mein Wille, das Ziel, dem mein Leben geweiht war...«
Hier stockte er, dann aber richtete er sich plötzlich höher auf, schaute mit leuchtenden Augen nach oben und rief laut und freudig:
»O Du, mein barmherziger Heiland! Ja, ja, ja! Jetzt seh’ ich’s... Dank, Dank!... Was ich erstrebt, wofür ich gelebt, dafür, Du mein Erlöser, der Du die Liebe selbst bist, dafür läßt Du – o, wie das freundlich ist, o wie das gut thut! – dafür läßt Du mich sterben.«
Wieder schwand ihm die Besinnung, sein Haupt begann heißer zu glühen, seine Brust zu röcheln, und von seinen trockenen Lippen, welche pflegsame Frauenhände oft befeuchteten, tönten nur noch die Namen derer, die er am meisten liebte, und unter ihnen auch Paulas.
In der fünften Nachmittagsstunde fiel er in des Buckeligen Schoß zurück und hatte ausgelitten. Ueber seine Züge breitete sich ein freundliches Lächeln, und das stille Antlitz des viel gewanderten Mannes glich im Tode dem eines Kindes.
Dem Gärtner war es, als sei ihm der leibliche Vater gestorben, und seine schnelle Zunge blieb stumm, bis er mit den geretteten Schwestern in Dumiat eintraf und dem letzten Befehl seines Herrn gehorchte.
Das Seeschiff der Nonnen nahm auch den verwundeten Bootführer Setnau, sein Weib, seine Kinder, seinen Bruder, den Steuermann, und die überlebenden Werftleute an Bord.
Zur selben Stunde, da Rufinus die Augen schloß, erschien die Sicherheitswache von Memphis unter Führung des Bischofs Plotinus und legte im Namen des Patriarchen Benjamin und der jakobitischen Kirche Beschlag auf das melchitische Cäcilienkloster und den Besitz der krankenpflegenden Schwestern. Am folgenden Morgen brach der Bischof nach Oberägypten auf, um dem Kirchenfürsten Bericht zu erstatten.
Vierunddreißigstes Kapitel.
Der Arzt Philippus erhob sich rasch von dem Polster, auf dem er mit seinem alten Freunde das Frühstück eingenommen. Vor dem Greise stand noch ein halbgeleerter Teller; er hatte die Speisen weniger hastig verschlungen als jener, und mißbilligend schaute er auf den Eilfertigen, welcher stehend den gemischten Wein hinuntergoß, bei dessen Genuß er früher nach Schluß der Mahlzeit gern mit Horus Apollon geplaudert oder ernste Gespräche geführt hatte. Das war für den Greis immer die angenehmste Stunde des Tages gewesen; aber jetzt gönnte sich Philippus sogar bei der Hauptmahlzeit am Abend kaum mehr die nötige Sättigung.
Nicht nur seine, auch die Kraft aller anderen Aerzte wurde in dieser Zeit allerdings in unerhörter Weise in Anspruch genommen. Beinahe drei Wochen waren seit dem Ueberfall der Nonnen vergangen, und die entsetzliche Hitze dieses Sommers hatte seitdem noch zugenommen. Statt zu steigen, sank der Fluß mehr und mehr, die aus Aethiopien kommenden Brieftauben, welche man täglich mit Spannung und Sehnsucht erwartete, wußten von der Nilschwelle auch am obern Lauf des Stroms nichts zu melden, und das flache, brackige, übelriechende Wasser am Ufer fing jetzt an schädlich, ja verhängnisvoll für die Gesundheit der gesamten Bevölkerung zu werden.
Besonders in der Nähe der Ufer zeigte der Fluß eine rötliche Farbe, und das sonst so reine, wohlschmeckende Naß in den Leitungen war von wunderlichen Pflanzengebilden und anderen fremden Körpern erfüllt, faulig und unbekömmlich. Die gemeinen Leute enthoben sich gewöhnlich der Mühe des Filtrirens, und unter ihnen verfielen die meisten einer bis dahin unbekannten, todbringenden, ansteckenden Seuche. Von Tag zu Tag vergrößerte sich die Zahl der Opfer, und das Wachstum des Kometen hielt gleichen Schritt mit dem steigenden Unglück der Stadt. Jedermann brachte ihn in Zusammenhang mit der Glut dieses Sommers, dem Ausbleiben der Ueberschwemmung und dem Auftreten der Seuche, und über diesen Gegenstand gerieten der Arzt und sein greiser Freund oft hart aneinander; denn Philippus wollte den Einfluß des Gestirns auf das Menschenleben nicht gelten lassen, während Horus Apollon daran glaubte und seine Ansicht durch eine lange Reihe von Beispielen zu bekräftigen wußte.
Sein Gegner ließ sie nicht gelten und verlangte Gründe; doch wie alle Welt, so lebte auch er unter dem Einfluß des Grauens vor einem nahen, schweren, Erde und Menschheit bedrohenden Verhängnis.
Wie jedes Herz in Memphis sich schwer belastet fühlte von solchen Schreckensahnungen und der Wucht des Unheils, das schon nicht mehr drohte, sondern seine Streiche auszuteilen begonnen, so lagen auf den Wegen, den Gärten, den Palmen und Sykomoren an den Straßen schwere Massen grauen, erstickenden Staubes. Die Tamarisken und andere Hecken sahen aus wie zerfressene Mauern von farblosen, ungebrannten Nilziegeln, selbst in den Hauptstraßen umgab den Wanderer eine dichte weißliche Wolke, die der Fuß aufgewirbelt hatte; fuhr ein Wagen, sprengte ein Reiter durch die heißen Gassen, so erfüllten sie sich mit grauen Staubnebeln, welche die Vorübergehenden zwangen, Mund und Augen zu schließen. Die Stadt war so stumm, so leer, so öde! Seine Wohnung verließ nur, wen zwingende Notwendigkeit oder Frömmigkeit dazu antrieb. Jedes Haus war ein glutausstrahlender Ofen, und selbst das Bad bot keine Erquickung, weil das Wasser längst nicht mehr kühl war. Dazu hatte die reifenden Datteln an den Bäumen eine Krankheit ergriffen; sie fielen nun zu Tausenden aus den strotzenden Büscheln unter den schön gebogenen Blätterkronen zu Boden, und seit vorgestern trieben mehr und mehr Leichen verendeter Fische ans Land. Auch die beschuppten Wasserbewohner hatte eine Seuche befallen, und der Arzt erklärte dem Freunde, daß diese die Menschen mit neuen Gefahren bedrohe; denn wer sollte das Ufer von den Fischleichen säubern? – und wie schnell versetzte sie die Hitze in Fäulnis!
Der Greis verhehlte sich nicht, daß es der Arzt in solchen Zeiten schwer, grausam schwer habe, seinen Beruf gewissenhaft zu erfüllen; doch er kannte seinen Philippus und hatte ihn während der Pestmonate vor zwei Jahren frisch, schneidig und froh gesehen, ja, gehoben durch die Größe der Anforderungen, die an ihn herangetreten waren.
Was ihn so ganz veränderte, was seine Seele vergiftete, reizte und im Bann hielt, das waren nicht die beinahe übermenschlich schweren Opfer, welche die Pflicht ihm auferlegte, das ging alles von der unglückseligen Herzensverirrung aus, von der er sich nicht zu befreien vermochte.
Philippus hielt dem Alten sein Versprechen. Täglich ging er in das Haus des Rufinus, täglich traf er dort mit Paula zusammen, und wie dem Erschlagenen, wenn seines Mörders Augen ihn treffen, die Wunden bluten, so erwachte dort jedesmal die alte Pein, wenn er ihr begegnete und gezwungen war, mit ihr zu reden.
Auch für diesen Kranken galt es, die Grundursache des Leidens zu beseitigen, die Damascenerin aus der Bahn seines Lebens zu entfernen, und das zu bewerkstelligen war seine, des Greises, Aufgabe und Pflicht. Die kleine Maria und die anderen Patienten im Hause des Rufinus gingen der Genesung entgegen; aber es gab dort mancherlei, was auch in dies schöne Gelingen trübe Schatten warf.
Frau Johanna und Pulcheria bangten um das Schicksal des Vaters. Weder von ihm noch von den Nonnen hatten sie bisher Kunde erhalten, und Philippus war das Gefäß, in welches die verlassene Gattin und Pulcheria, die zu ihm wie zu einem guten, treuen, allvermögenden Schutzgeist aufschaute, all ihre Sorgen, Schmerzen und Befürchtungen gossen. Diese wurden dadurch gesteigert, daß schon dreimal arabische Beamte in ihr Haus gekommen waren und sich nach dem Vater und seinem Verbleiben erkundigt hatten. Was die Frauen aussagten, wurde niedergeschrieben, und Frau Johanna, über deren Lippen bis dahin keine Lüge gekommen, hatte sich gezwungen gesehen, falsche Angaben zu machen und zu erklären, ihr Gatte sei in Geschäften nach Alexandria gereist und werde auch vielleicht nach Syrien müssen. Was bedeutete dies Ausfragen? Wies es nicht darauf hin, daß man in Fostat Kenntnis von der Teilnahme des Rufinus an der Rettung der Nonnen besaß?
Man war dort in der That besser unterrichtet, als die Frauen ahnten; doch hielt man geheim, was man wußte; denn das unterdrückte Volk sollte nicht erfahren, daß es so wenigen Aegyptern gelungen, eine ganze Schar Arabischer Krieger zu Grunde zu richten, und so gab nur ein dunkles Gerücht den Memphiten einige Kunde von dem Geschehenen.
Der Arzt hatte von dem Vorhaben des Rufinus erst gehört, nachdem es schon zu weit gediehen war, um es rückgängig zu machen, und nun quälte ihn der Gedanke, sein lieber alter Freund und die Seinen könnten um der fremden Schwestern willen dem Verderben anheimfallen; denn daß es zwischen den Verteidigern der Flüchtlinge und den Muslimen zu einem Kampfe gekommen, der vielen Streitern auf beiden Seiten das Leben gekostet, hatte er im Geheimen erfahren.
Und Paula! Wäre sie ihm wenigstens glücklich erschienen! Aber sie war bleich geworden, und was der an Leib und Seele gesunden Jungfrau oft die stolze, freie, selbstbewußte Haltung raubte, das war nicht die alles Geschaffene bedrückende Hitze, sondern ein inneres, zehrendes Weh, und dies ging nur von demjenigen aus, an den sie das Herz gehängt hatte, und der ihr das unschätzbare Königsgeschenk ihrer Liebe wie, wie vergalt!
Philippus mußte immer noch in die Statthalterei, und schon vor vierzehn Tagen hatte er erkannt, was die seltsamen Zustände der Witwe des Mukaukas veranlaßte. Sie nahm das Opium ihres verstorbenen Gatten, nahm es in unsinnigen Massen und wußte sich neues durch einen zweiten Arzt zu verschaffen. Dennoch war es ihrem kläglichen Bitten gelungen, daß Philippus sie ihrem Schicksal nicht überließ, und so besuchte er sie weiter, beseelt von dem Wunsche, sie wenigstens im Genuß des Giftes zu beschränken.
Auch die Senatorsgattin Martina nötigte ihn, die Statthalterei weiter zu besuchen. Sie war nicht eigentlich krank, doch litt sie grausam unter der Hitze und war gewohnt, ihren werten alten Hausarzt täglich zu empfangen, sich Neuigkeiten von ihm erzählen zu lassen und ihm etwas vorzuklagen, wenn es mit ihrem sehr gesunden Körper einmal nicht ganz stand, wie es sollte. Auf Plaudereien ließ sich der überbürdete Philippus freilich nicht ein, aber seine Ratschläge waren gut und halfen ihr, die Glut dieses schrecklichen Himmels besser zu tragen. Der lebhafte, kluge, offene, manchmal freilich recht scharfe und kurz angebundene Mann gefiel ihr, und auch ihm sagte ihre natürliche, frische Weise zu. Bisweilen gelang es Frau Martina sogar, ihrem »Hermes Trismegistus«, der gewöhnlich »so schrecklich ernst war, als gebe es keinen Spaß auf Erden«, ein Lächeln abzugewinnen und zu einer Antwort zu reizen, aus der hervorging, daß der Griesgram von Haus aus ein witziger und schlagfertiger Gesell war.
Heliodora besaß wenig Anziehendes für Philippus. Zwar bestand zwischen ihren »betenden Augen« und denen der Tochter des Rufinus eine unverkennbare Aehnlichkeit, doch in diesen lag innige Sehnsucht nach der Gnade und Liebe Gottes, in jenen warmes Verlangen nach der Zuneigung ihr wohlgefälliger Menschen.
Anmutig war dies Weib ganz gewiß, aber ihre Weichheit, welche keine eigene Absicht, keine eigene Ansicht zu behaupten auch nur versuchte, sagte seinem entschiedenen Wesen nicht zu; ja, es verdroß ihn, wenn sie, nachdem er ihr widersprochen, seinen letzten Satz wiederholte, um, beschämt über die eigene Thorheit, ihm beizupflichten.
Ihre Gesellschaft schien auch der klugen Matrone, in deren eigenem Hause ein Besuch dem andern folgte und für welche die Begriffe »Abend« und »lebhaftes Gespräch in zahlreicher Gesellschaft« gleichbedeutend waren, nicht zu genügen; denn sie nannte schon seine kurzen Besuche Oasen in ihrem ägyptischen Wüstenleben, und die der kleinen Katharina erschienen ihr wie eine Wohlthat.
Das Bachstelzchen war ihr täglicher Gast geworden, und bei dieser Hitze reichte sein munteres, doch oft bitterböses Geplauder hin, um ihr die Zeit zu vertreiben. Katharinas Mutter erhob keinen Einwand gegen diese Besuche; denn Heliodora hatte sie in ihrem wundervollen Schmuck besucht und ihr und ihrem Kinde Gastfreundschaft in der Hauptstadt angeboten. Vielleicht zog sie dorthin; denn in Memphis blieb sie in keinem Fall, und dann war es ein Glück, von Leuten wie ihre neuen Bekannten in die Gesellschaft eingeführt zu werden.
Natürlich bekam Frau Martina auch viel von Paula zu hören, und obwohl dies recht parteiisch und zu ihrem Nachteil gefärbt war, wäre sie doch der Tochter des großen und berühmten Thomas, den sie gekannt hatte, sehr gern persönlich begegnet; übrigens fürchtete sie von ihr nach dem Vernommenen nicht viel für ihre Nichte. Selten schön, doch hochmütig, abweisend, unliebenswürdig sollte sie sein, und dazu eine Orthodoxe wie Heliodora. Was konnte den »großen Sesostris« veranlassen, ihr den Vorzug zu geben?
Auch Katharina bot der Matrone an, sie mit der Damascenerin bekannt zumachen; doch nichts hätte Frau Martina veranlaßt, sich aus ihrem vor dem Sonnenbrand so gut als möglich geschützten Quartier ins Freie zu begeben, und überließ es Heliodora, die längst ein Herz und eine Seele mit der Kleinen war und sich sogar in vielen Stücken ihrem Willen fügte, ihr von der schönen Heldentochter zu erzählen.
Dies konnte geschehen; denn das Bachstelzchen hatte die Keckheit besessen, die beiden Rivalinnen zusammenzuführen, und zwar nachdem sie einer jeden alles mitgeteilt hatte, was sie von Orions Beziehungen zu der andern wußte. Das war ein köstlicher Spaß; aber in einer Hinsicht erreichte sie mit ihm doch nicht ihren Zweck; denn Paula gab durch nichts zu erkennen, daß sie unter der Qual der Eifersucht leide, die sie in ihr zu erwecken hoffte.
Heliodora allerdings war bedrückt und beängstigt von der Damascenerin heimgekehrt; denn diese hatte sie kühl und mit höflicher Förmlichkeit aufgenommen; und auch in der Folge war sich die junge Frau ihr gegenüber stets bewußt geblieben, daß dies seltene Geschöpf recht wohl im stande sei, ihr Bild in Orions Herzen zu verdunkeln, ja, es daraus zu verdrängen.
Wie ein Verletzter, obgleich es ihn schmerzt, die Wunde befühlt, um sich von ihrem Zustand zu überzeugen, zog es sie dennoch oft zu Katharina, um von ihrem Garten aus die Nebenbuhlerin zu sehen, oder, obgleich sie dabei einem frostigen Empfang nie entging, sich zu ihr führen zu lassen.
Katharina hatte anfänglich mit der jungen Frau, der sie sich geistig überlegen fühlte, Mitleid empfunden, doch das war infolge einer bestimmten Veranlassung völlig vorbei, und nun haßte sie auch die junge Witwe und versetzte ihr kleine Nadelstiche, wo es nur anging. Paula erschien dagegen wie unverwundbar, und doch gab es kein Leid, das Katharina ihr, die die tiefste Demütigung ihres jungen Lebens verschuldet, nicht gern angethan hätte.
Wie ließ es sich erklären, daß die Damascenerin in der schönen Heliodora keine gefährliche Nebenbuhlerin erblickte? Sie hatte sich gesagt, daß Orion diese Frau nicht auf so lange Zeit hätte verlassen können, wenn er wirklich ihre Liebe erwiderte. Um der Byzantinerin aus dem Wege zu gehen und ihr, Paula, zu bleiben, was er ihr war und sein mußte, befand er sich mit dem Senator fern von Memphis. Diese Heliodora – eine innere Stimme rief es ihr zu – war das arme, betrogene Weib, mit dem er in der Hauptstadt getändelt und für das er dann den verhängnisvollen Smaragddiebstahl begangen. Führte das Schicksal ihn nur zu ihr, Paula, zurück und gewährte sie dem Heimgekehrten, was er verlangte und wozu sie die eigene Seele so gewaltig antrieb, dann war sie die unumschränkte Königin seines Herzens, dann mußte sie es sein, sie war dessen gewiß! Und wenn sie dennoch besorgt und bekümmert das Haupt senkte, so geschah es nicht aus Furcht, ihn zu verlieren, sondern in der Sorge um den Vater und ihren alten, lieben Freund Rufinus und die Seinen, die ganz und gar die Ihren geworden.
So standen die Dinge, als der Arzt Philippus den Nachtischwein zu seines alten Freundes Verdruß stumm und hastig hinuntergegossen hatte, und eben setzte er den Pokal nieder, als der schwarze Thorhüter einen buckeligen Mann meldete, der den Herrn sofort in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen begehre.
»Wichtige Angelegenheit?« wiederholte der Arzt. »Schenkt mir zu meinen beiden eigenen noch vier andere Beine oder ein Instrument, um die Zeit auszurecken, und ich will neue Patienten annehmen, sonst nicht! Sage dem Burschen...«
»Nix, nix von Kranken, Herr!« unterbrach ihn der Schwarze. »Kommt von weit her; ist der Gärtner vom alten Griekenherrn Lufinus.«
Da zuckte Philippus zusammen. Ihm ahnte, was dieser Bote bringe, und mit angstvoll klopfendem Herzen befahl er, ihn einzuführen.
Ein Blick auf Gibbus lehrte ihn, daß er das Rechte vermutet.
Der arme Schelm war kaum wieder zu erkennen. Dichter Staub bedeckte ihn vom Kopf bis zu den Füßen und gab ihm das Ansehen eines an Haupt und Barthaar ergrauten Alten. Die Sandalen hingen ihm zerrissen an den Füßen, in das mit Staub gepuderte Gesicht hatte der triefende Schweiß Rinnen gewaschen, und die Thränen, die er vergoß, da der Arzt ihm fragend die Hand reichte, wuschen neue aus auf seinen Wangen.
Auf Philippus’ banges, langgezogenes: »Tot?« gab ein stummes Nicken die Antwort, und als der Arzt dem Gärtner mit beiden Händen an den Schläfen zuschrie: »Tot! Rufinus, mein armer, alter Rufinus tot! Aber wie, um Gottes willen, wie ist das gekommen? Rede, rede doch, Mann!« – da wies Gibbus auf den Greis und sagte bestimmt: »Komm mit mir hinaus, Herr; es darf kein Dritter...«
Aber Philippus bedeutete ihn, daß dieser da sein anderes Ich sei, und nun teilte der Buckelige mit, was er erlebt, und wie sein lieber Herr den Tod gefunden.
Horus Apollon hatte bei diesem Bericht staunend und mißbilligend den Kopf geschüttelt, und der Arzt manchen Fluch ausgestoßen. Dann war der Unglücksbote nicht wieder unterbrochen worden, und erst nachdem er geendet, sagte Philipp mit gesenktem Haupte und feuchten Augen: »Armer, treuer Alter; gerade so mußte er sterben; ihn, der hier das Beste zurückläßt, hat es getroffen, und ich – ich!«
Dabei stöhnte er laut auf, der Greis aber warf ihm einen gekränkten, mißbilligenden Blick zu.
Während Philippus dann das Täfelchen, welches die Aebtissin mit aller Sorgfalt geschlossen, von den Siegeln befreite und zu lesen begann, fragte Horus Apollon den Gärtner: »Und die Nonnen? Sie sind alle entkommen?«
»Ja, Herr! Am Morgen nach unserer Ankunft in Dumiat stach ein Dreiruderer mit ihnen in See.«
Da brummte der Alte vor sich hin: »Die Arbeitsbienen verdorben, und die Drohnen gerettet!«
Gibbus aber widersprach ihm und rühmte das mühe– und arbeitsvolle Leben der Schwestern, in deren Pflege er sich einmal selbst befunden.
Indessen hatte der Arzt das letzte Schreiben des Freundes gelesen. Voll innerer Unruhe drehte er es hin und her, durchmaß das Zimmer mit langen Schritten und blieb endlich vor dem Gärtner stehen, indem er ihm zurief: »Und was nun? Wer überbringt ihnen die Botschaft?«
»Du, Herr,« erwiderte Gibbus und streckte ihm bittend die Hände entgegen.
»Ich, natürlich ich!« knirschte der Arzt. »Was schwer, was gräßlich, was unerträglich ist, kommt selbstverständlich auf meine Kappe! Aber ich kann, ich mag, ich will es nicht thun! Hab’ ich etwa dies tolle Abenteuer ersonnen oder verschuldet? Merkst Du’s, Vater? Was er, der Bube, gekocht, ich, ich – dafür sorgt schon das Schicksal – ich bekomm’ es da wieder zu fressen!«
»Schwer, schwer, Kind!« entgegnete der Alte. »Doch es ist Deine Pflicht. Bedenke nur – wenn der dort, wie er da vor uns steht, vor die Frauen tritt...«
Da fiel ihm Philippus ins Wort: »Nein, nein, das geht nicht! Und Du, Gibbus, Du... Heut ist wiederum ein Araber bei Frau Johanna gewesen, und wenn sie – Du bist von auffallendem Ansehen – wenn sie auch nur vermuten, daß Du Deinen Herrn begleitet... Nein, Mann, Deine Treue verdient besseren Lohn! Sie sollen Dich nicht fangen! Ich mache Dich frei von Deinem Dienst bei der Witwe, und wir – was meinst Du, Vater? – wir behalten ihn bei uns!«
»Recht, recht!« entgegnete der Greis. »Einmal muß der Nil wieder steigen. Bleib bei uns. Mich lustet’s schon lange nach selbstgezogenem Gemüse.«
Aber der Buckelige lehnte diesen Vorschlag bescheiden ab und erklärte, zu seiner alten Herrin zurückkehren zu wollen. Als ihm der Arzt darauf nochmals vorstellte, welchen Gefahren er sich dadurch aussetze, und der Greis seine Gründe kennen zu lernen wünschte, rief der Gärtner:
»Ich habe dem Herrn versprochen, zu den Frauen zu halten, und nun es außer mir keinen freien Mann gibt im Hause, soll ich sie da etwa allein lassen, um mein erbärmliches Leben zu sichern? Lieber mag ein krummer Säbel mir an den Hals! Ist der Kopf herunter, was da übrig bleibt, das Stückchen Schönheit gönn’ ich den Schurken.«
Bei diesen Worten, welche hohl und gebrochen aus seinem vertrockneten Munde kamen, verzerrte sich das Gesicht des treuen Mannes, durch den Staub sah man seine Wangen erbleichen, und Philippus mußte ihn stützen; denn die Füße versagten ihm den Dienst. Die lange Wanderung durch die furchtbare Hitze hatte des Buckeligen Kräfte erschöpft, ein Trunk Wein brachte ihn indessen bald wieder zu sich, und Horus Apollon befahl dem Sklaven, ihn mit in die Küche zu nehmen und den Koch aufs beste für ihn sorgen zu lassen.
Sobald beide Gelehrte allein waren, sagte der Greis: »Das alte, wackere, waghalsige Kind, das da gestorben, stellt seltsame Anforderungen an Dich; man konnte Dir’s ansehen beim Lesen.«
»Da, nimm!« versetzte der Arzt und wanderte wieder durchs Zimmer, während der Greis die Tafel zur Hand nahm. Ihre beiden Seiten waren mit unregelmäßigen, wellig auf und ab steigenden Schriftreihen bedeckt, und diese hatten folgenden Inhalt:
»Rufinus im Angesicht des Todes – seinem geliebten Philippus.
»Ein Schüttelfrost folgt dem andern, ich sterbe sicher noch heute. Es eilt. Das Schreiben geht schwer. Wenn nur das Nötigste gesagt wird. Zuerst: Johanna und das arme Kind. Sei Du ihnen, so viel Du sein kannst. Ich hätte ihnen mehr sein sollen und können. Beschütze sie als Vormund, Kyrios und Freund. Sie haben zu leben und können noch anderen mitteilen von dem Ihren. Das Vermögen verwaltet mein Bruder Leonax, und er ist redlich. Johanna weiß alles. Sage ihr und dem armen Kinde, daß ich ihnen tausendfältigen Segen und der Johanna für so viel Gutes unzählige Danksagungen schicke. Du, Freund, höre den Alten! Mach Dein Herz frei von der Paula. Sie ist nicht für Dich. Du weißt, der junge Orion. Aber Du. Was von Geburt an auf dem Gipfel stand, paßt selten zu uns, die wir uns von unten herauf zu einer besseren Höhe hinaufgehaspelt. Sei ihr Freund. Sie verdient es, aber damit genug. Bleib nicht allein! Das Schönste, was dem Mann zu teil werden kann, bringt das Weib in sein Leben. In den dumpfen Schlaf flicht sie die freundlichen Träume. Das alles, Du kennst es noch nicht. Auch Dein würdiger alter Freund, den ich grüße, hat es sich lebenslang entzogen. Für Dich allein. Ein Sterbender spricht dies. Laß Dir bekennen, daß das arme Kind, unsere Pul, Dich für den Vollkommensten hält unter den Männern und Dich schätzt wie keinen andern. Du kennst sie und Johanna. Bezeug es Deinem Freund: kein böses Wort kommt je aus dem Mund dieser beiden. Fern ist es von mir, Dir, der Du eines andern Weibes Bild im Herzen trägst, zu raten: frei’ um das Kind, es ist das Weib, das für Dich taugt. Dies für euch beide. Ich rate: Ihr, Vater und Sohn, vereint euch mit Mutter und Tochter als gute, treue Hausgenossen und Freunde. Es wird beide Teile nicht reuen. Das hat ein Sterbender gesagt. Es will nicht mehr gehen. Du bist der Vormund der Frauen, Philipp, ein treuer, ich weiß es. Gleiches Ziel, gleiche Gesinnung, Du und ich, viele schöne Jahre... Halte mir die beiden gut; bitte, halte sie gut.«
Die letzten Worte waren vereinzelt und außer der Reihe über der Tafel hingestreut, und es ward dem Greise nicht leicht, sie zu lesen.
Wie vorher der Arzt, so schaute jetzt jener verlegen und unschlüssig auf dies seltsame Schreiben.
»Nun?« fragte Philipp endlich.
»Ja, nun?« versetzte der andere und zuckte die Achseln. Dann schwiegen beide geraume Zeit, bis der Alte sich erhob und, auf seinen Stab gestützt, gleichfalls das Zimmer durchwanderte und dabei, halb an den jüngeren Freund gewandt, halb im Selbstgespräch, murmelte: »Zwei stille, verständige Frauenzimmer; ‘s gibt, denk’ ich, nur wenige von dieser Sorte. Wie die Kleine mir damals aufhalf von dem niedrigen Sessel im Garten!« Dabei kicherte er leise vor sich hin, hielt Philippus, der neben ihm herging, zurück und rief, indem er ihm leise auf den Arm schlug, mit einer ihm sonst fremden Keckheit: »Der Mensch soll doch alles versuchen. Weiberpflege, bevor man ins Grab steigt! Und ist es auch wahr, daß sie beide weder keifen noch schwatzen?«
»Das schon,« entgegnete der Arzt.
»Und was für ein ›indessen‹ soll hierauf folgen?« fragte der Greis. »Laß uns einmal leichtsinnig sein, Bruder! Wär’ das Ding nicht so teufelmäßig ernst, es wäre zum Lachen! Beim Ausruhen die Junge mir, die Alte Dir gegenüber, Söhnchen! Besser gewaschenes Linnen, kein Loch in den Kleidern, kein Staub auf den Büchern, ein liebliches ›Freue Dich!‹ am Morgen und bei Tisch... Sieh nur die Früchte da auf dem Teller! Wie Hafer, den man den Gäulen vorwirft! Bei dem Alten waren sie so hübsch geordnet wie bei uns zu Hause auf Philae: der Nachtisch ein kleines Kunstwerk, auch für das Auge ein Schmäuschen! Die Pul scheint das zu verstehen wie meine arme verstorbene Schwester. Und dann: wenn man aufstehen will, so ein kleines, freundliches, junges, stützendes Händchen! Unsere Wohnung ist mir schon längst zuwider! Im Schlafzimmer fällt Kalk und Staub von der Decke, hier klaffen weite Spalten im Estrich – ich bin gestern darüber gestolpert – und unsere knickerigen Wirte, die Herren Buleuten, sagen, was wir herstellen lassen wollten, das möchten wir selbst thun, sie hätten keinen Sesterz dafür übrig. Bei dem alten, armen Ehrenmann war alles aufs beste im stande.« Hier kicherte der Greis laut auf, und indem er sich die Hände rieb, fuhr er fort: »Wenn wir nun einmal auch über die Schnur hauten, Philippe? Wenn wir des Sterbenden Wunsch erfüllten? Große, gnädige Isis! Ein gutes Werk wär’ es gewiß, und ich hab’ mich eben nicht vieler zu rühmen. Mit Vorsicht – was meinst Du – auf monatliche Kündigung könnte man das Ding am Ende versuchen.«
Dann wurde er wieder ernst, schüttelte den Kopf und sagte bedenklich: »Nein, nein, man bringt sich damit doch um die Ruhe... Ein hübsches Traumbild, aber ausführen läßt es sich schwerlich.«
»In keinem Falle fürs erste,« versetzte der Arzt. »So lange sich das Geschick der Damascenerin nicht entschieden, bitt’ ich Dich, dies alles ruhen zu lassen.«
Da fluchte der Alte vor sich hin und rief mit einem bösen, stechenden Blick:
»Ueber und überall die Patriciusschlange; alles verdirbt sie! Doch warte nur, warte! Ich denke, sie geht uns bald aus dem Weg, und dann... Nein, nun gerade, nun ganz gewiß laß ich uns nicht nehmen, was uns das Leben verschönern könnte, was auf der Wage des Totengerichts für mich ins Gewicht fallen würde. Eines Sterbenden Wunsch, der ist heilig. Das sagten schon die Väter, und sie waren im Rechte. Des Alten Wille geschehe! Ja, ja, ja! Es ist entschieden! Sobald das Hindernis befestigt, halten wir gemeinsam Haus mit den Frauen. Ich will es und hab’ es gesagt!«
Da trat der Gärtner wieder ein, und der Greis rief ihm entgegen:
»Höre, Mann, am Ende kommen wir doch noch zusammen; das Nähere später. Bis es dunkelt, bleibst Du bei meinen Leuten; aber reinen Mund mußt Du halten; denn sie sind allesamt Lauscher und Schwätzer. Jetzt überbringt der Herr Philippus der unglücklichen Witwe die Trauerbotschaft, und in der Nacht kannst Du dann mit ihr reden. Es darf nichts Auffälliges vorgehen da unten, und was Deinem Herrn begegnet, sogar daß er gestorben, muß für alle Welt ein Geheimnis bleiben, außer für uns und die Seinen.«
Der Gärtner wußte, was von seiner Verschwiegenheit abhing, Philippus war einverstanden mit der Anordnung des Greises, doch vermied er einstweilen, über die Aufnahme der Frauen zu reden. Als er endlich den schweren Gang zu der Witwe antrat, rief Horus Apollon ihm zu: »Mut, Mut, mein Sohn, und schau’ im Vorübergehen in unser Gärtchen. Es that uns leid, wie die hohe alte Palme dort abstarb, und jetzt erwächst aus ihrer Wurzel ein junges, schön grünendes Bäumchen.«
»Seit gestern hängt es die Wedel und wird wohl eingehen,« erwiderte Philipp und zuckte die Achseln.
Da rief der Alte:
»Begießen, Gibbus! Man soll den Palmenstock augenblicklich begießen!«
»Ihr habt ja das Wasser zur Hand,« versetzte der Arzt, und als er schon auf der Treppe stand, fügte er bitter hinzu: »Wem’s ebenso ginge!«
»Mit Geduld und gutem Willen bringt man’s dahin!« murmelte der Greis, und sobald er allein war, brummte er ihm unwillig nach: »Nur fort mit dem dürren Palmenstrunk, seinem alten Leben, soweit es mit der Patriciusdirne verknüpft ist! In’s Feuer mit ihm! Wie komm’ ich an sie? Wie mach’ ich’s, wie mach’ ich’s!?«
Dabei warf er sich wieder in den Lehnstuhl und rieb sich die Stirn mit den Fingerspitzen. Noch war er zu keinem Ergebnis gelangt, als der Schwarze für einige Besucher um Gehör bat. Es waren die Häupter des Senates von Memphis, welche man abgesandt hatte, um Rat bei dem alten Weisen zu holen. Wenn einer, so fand er ein Mittel, das furchtbare, über Stadt und Land verhängte Unglück, gegen welches sich Gebet, Opfer, Prozessionen und Bittgänge ohnmächtig erwiesen, abzuwenden oder zu mildern, und sie waren entschlossen, nicht zurückzuweichen, auch wenn heidnische Zauberei mit ins Spiel kommen sollte.
Fünfunddreißigstes Kapitel.
In der jüngst verflossenen mondlosen Nacht war in Katharina das Mitgefühl für Heliodora erloschen. Sie hatte diese mit ihrer Zofe und einem alten, taubstummen Stallsklaven heimlich zu einer der Wahrsagerinnen begleitet, von denen es in Memphis noch ebensoviel gab wie Zauberer, Alchemisten und Scheidekünstler, und der jungen Frau war verkündet worden, daß ihre Lebenslinie zum höchsten Glück aufsteige und daß alle, auch die kühnsten Wünsche ihres Herzens Gewährung finden würden.
Mit diesen Wünschen war das Bachstelzchen nur zu wohl vertraut, und die Wahrscheinlichkeit, daß sie der Erfüllung entgegenreiften, hatte ihre Mißgunst entflammt und sie auch Heliodora hassen gelehrt.
Diese war in einfachen, aber kostbaren Gewändern zu der Zauberin gekommen. Ihren Peplos hatte an der Schulter statt der goldenen Spange ein Knopf zusammengehalten, der, gemäß ihrer Liebhaberei für schöne Juwelen, aus einem Sapphir von ungewöhnlicher Größe bestand, und dieser war der Wahrsagerin sogleich ins Auge gefallen und hatte sie gelehrt, daß sie mit einer großen und reichen Frau zu thun habe. Die einfach gekleidete Katharina hatte sie für eine Gesellschafterin oder ärmere Freundin der vornehmen Dame gehalten, und ihr darum nur die Ueberwindung einiger Hindernisse und endlich ein glückliches Leben an der Seite eines nicht ganz jungen Gatten, sowie reichen Kindersegen verheißen.
Das Geschäft dieses Weibes mußte einträglich sein; denn das Innere ihres Hauses stach sehr zu seinem Vorteil von dem der elenden Hütten ab, die es im ärmlichsten und verrufensten Viertel der Stadt rings umgaben. Von außen unterschied es sich wenig von seinen Nachbarn, ja, es wurde geflissentlich vernachlässigt, um die Behörden, welche Zauberei und die Uebung magischer Künste mit dem Tode bedrohten, zu täuschen; doch die Ausstattung des kleinen, unbedachten Säulensaales, in welchem sie ihre Beschwörungen und Wahrsagereien vorzunehmen pflegte, hatte nicht geringe Mittel erfordert. An seinen Wänden hingen Tapeten mit magischen Figuren, die Säulen waren mit erstaunen– und schaudererregenden Gebilden bemalt, auf kleinen Altären rauchten über Kohlenbecken Tiegel und Kessel von verschiedener Größe; Becher, Flaschen, Krüge, ein Rad, in dem ein Wendehalsvogel auf und nieder hüpfte, Wachsfiguren und unter ihnen Männer– und Frauenbilder mit Nadeln im Herzen, ein Käfig mit Fledermäusen und Gläser voller Spinnen, Fröschen, Blutegeln, Käfern, Skorpionen, Tausendfüßen und anderem widrigem Getier standen auf Postamenten umher, und an einer der Längsseiten des Saales zog sich eine kurze Seilerbahn hin, deren man sich zur Ausführung eines thrazischen Zaubers bediente. Wohlriechende und scharfe Dünste erfüllten den Raum, und von einem Vorhang her, der die Musikanten den Blicken entzog, ließ sich der eintönige Gesang mehrerer Kinderstimmen, Schellengeläute und dumpfer Trommelschlag hören.
Die Zauberin Medea paßte, obgleich sie die Mitte der vierziger Jahre kaum überschritten, recht wohl in diesen an befremdlichen, Widerwillen, Furcht und Betäubung erweckenden Dingen überreichen Raum; denn ihr Gesicht war bleich und seine ungewöhnliche Länge wurde noch gesteigert durch den hochaufgekämmten, kohlschwarzen Lockenbusch inmitten des Scheitels.
Am Schluß des ersten Besuches der Frauen, von dem sie überrascht worden war und bei dem manches auf der Zauberbühne gefehlt hatte, was sich heute als besonders wirksam erwies, hatte sie Heliodora veranlaßt, in drei Tagen wiederzukehren, und die junge Frau war dieser Einladung gefolgt und zu rechter Zeit in Katharinas Begleitung erschienen.
Man konnte Aegypten, das Land der Zauberei und magischen Künste, doch nicht verlassen, ohne diese auf die Probe gestellt zu haben. Das fand auch Frau Martina, wenn sie auch für sich selbst dergleichen nicht liebte. Sie war mit ihrem Lose zufrieden, und standen Veränderungen zu ihrem Nachteile bevor, so wollte sie sich von einer guten Wahrsagerin nicht im voraus ängstigen lassen; von einer schlechten betrogen zu werden, bot noch geringeren Reiz. Himmelhohes Glück konnte sie nicht mehr gebrauchen, es hätte sie nur in ihrer Ruhe gestört. Aber das junge Volk, vor dem lag das Leben noch offen, und wenn es in die Zukunft blicken wollte, war sie die letzte, es ihm zu verdenken.
Die junge Witwe und das Mädchen betraten die Schwelle der Zauberin in einiger Erregung, und Katharina war diesmal die unruhigere von beiden; denn am Nachmittag hatte sie Philippus das Haus des Rufinus verlassen und bald darauf arabische Beamte eintreten sehen. Vor Sonnenuntergang war Paula mit verweinten Augen im Garten erschienen, und wie sich ein wenig später Pul mit ihrer Mutter zu ihr gesellt hatte, war die Damascenerin Frau Johanna um den Hals gefallen und hatte so bitterlich geweint, daß auch diese und ihre Tochter, »die ja mit Thränen leicht bei der Hand war«, sich hatten hinreißen lassen, mit ihr zu schluchzen. Da war etwas Wichtiges vorgefallen, doch als sie hinübergegangen war, um Näheres zu hören, hatte die alte Betta, die ihr überhaupt gram war, sie sehr kurz, ja unhöflich abgewiesen.
Auf der Straße war ihr und Heliodora dann etwas sehr Peinliches begegnet, denn der Wagen der Frau Neforis, welcher sie an der Grenze der Totenstadt absetzen sollte, war unterwegs von einer arabischen Reiterschar aufgehalten worden, und sie hatten sich von ihrem Anführer ausfragen lassen müssen.
So betraten sie denn diesmal das Haus der »Lockenmedea«, wie die Leute die Zauberin nannten, bang klopfenden Herzens, doch sie wurden mit so unterwürfiger Höflichkeit empfangen, daß sie sich schnell beruhigten und auch die äußerst furchtsame Heliodora bald wieder leichter zu atmen begann.
Die Wahrsagerin wußte jetzt auch, wer Katharina war, und zollte der einzigen Tochter der reichen Witwe Susanna mehr Beachtung.
Die schmale Sichel des neuen Mondes stand heute am Himmel, und dieser Umstand, versicherte Medea, gestattete ihr, klarer zu sehen als in der Zeit des Punanegers, wie sie die mondlose Nacht nannte. Ihr inneres Auge sei bei dem ersten Besuch unter Einwirkung feindlicher Mächte von typhonischem Dunkel befallen gewesen. Gleich nach dem Aufbruch der Frauen habe sie es empfunden, doch heute sehe sie um so klarer. Ihr inneres Auge sei blank wie ein Silberspiegel, sie habe es durch dreitägiges Fasten gereinigt, und es könne ihr – »Helfet, ihr Horuskinder, helfet, Hapi und ihr anderen heiligen Drei!« – kein Stäubchen entgehen.
»O ihr Schönen, ihr Schönen!« fuhr sie begeistert fort. »Hunderte von großen Frauen haben meine Kunst erprobt, doch so viel Schicksalsgunst wie über den euren sah ich noch nie über zwei Häuptern vereinigt. Hört ihr, wie es in den Glückskesseln brodelt? Da heben sich die Deckel. Unerhört, unerhört!«
Dabei streckte sie wie beschwörend die Hand nach den beiden Gefässen aus und rief feierlich:
»Ueberfülle des Glücks, Ueberschwang, Ueberschwang, brechender Speicher, Zefa—u, Metramao... Kehre zurück zur rechten Fläche, rechten Höhe, rechten Tiefe, dem rechten Maß! Deine Elle Meï – Abmesser, Abwäger, brauch sie, Techuti, brauch sie, doppelter Ibis!«
Dann hieß sie beide sich auf zierlichen Stühlen den Kesseln gegenüber niederlassen, band um den Ringfinger einer jeden den »anubischen Faden«, bat sich flüsternd und unter leise beschwörenden Worten von der Witwe und der Jungfrau ein Haar aus, und nachdem sie beide in je einen Kessel gelegt hatte, rief sie mit leidenschaftlichem Eifer und als hänge von der kleinsten Versäumnis das Wohl und Weh ihrer Besucherinnen ab:
»Die Finger mit den anubischen Fäden auf die Stelle des Herzens gedrückt, die Augen auf den Kessel geheftet und den Dampf, der aufsteigt zu den Geistern der Höhe, des Lichtes, zu den Großen in der Höhe!«
Die Frauen folgten klopfenden Herzens dem Gebot der Zauberin, und diese schwang sich plötzlich mit wirbelnder Schnelligkeit auf den Zehen um sich selbst, und dabei wallte der Lockenbusch auf ihrem Scheitel aufwärts, und der Zauberstab in ihrer weitausgestreckten Rechten beschrieb einen weiten und schönen Kreis. Wie von einem jähen Schreck ergriffen, hemmte sie dann plötzlich die Drehung, und im selben Augenblick erloschen die Lampen, und nichts erleuchtete den Saal als die Sterne des Himmels und die glimmenden Kohlen unter den Kesseln. Die dumpfe Musik verhallte; doch ein neuer kräftiger Duft drang durch den Vorhang in den Saal.
Da warf sich Medea auf die Kniee, streckte die Arme dem Himmel entgegen, warf den Kopf mit einem nur für sie ausführbaren schnellen Ruck so weit zurück, daß ihr ganzes Antlitz dem Firmament über ihm zugewandt war und ihr Blick, gerade aufwärts schauend, die Sterne berührte. In dieser furchtbaren Stellung sang sie dem Scheitel der blauen Himmelskuppel zu ihren Häupten Beschwörung auf Beschwörung mit heller, sehnsuchtsvoll rufender Stimme entgegen.
Ihre Brust ward dabei weit herausgedrängt, ihr Lockenbusch ragte nicht mehr aufwärts, sondern den Frauen entgegen, jeden Augenblick, dachten diese, müsse das zum Firmament aufflehende Weib, vom Zudrang des Blutes überwältigt, rücklings zu Boden stürzen, doch sie sang und sang, und ihre weißen Zähne blitzten dabei dem Sternenlicht entgegen, das senkrecht auf sie niederschoß, und in die Fülle der dämonischen Namen und magischen Worte, die sie in die Höhe sang und trillerte, scholl von dem Vorhang her ein beängstigendes, jammervolles, doppeltes Röcheln und Seufzen und Klagen: das eine wie aus der beengten Brust eines von schwerem Leid ergriffenen Mannes, das andere wie das leise, halb erstickte Gewimmer eines gequälten Kindes. Und jetzt wurde das letztere lauter, und auf ägyptisch erscholl es: »Wasser, ein Schlückchen Wasser!«
Da fuhr das Weib aus seiner schrecklichen Stellung empor und rief: »Die Klage der Beraubten und Armen, denen genommen ward, um den Ueberreichen zu geben, der Notschrei derer, die das Schicksal plünderte, um euch mit Gaben, genug für Hunderte, zu beschenken.«
Mit diesen Worten, die sie in griechischer Sprache salbungsvoll gesprochen, wandte sie sich dem Vorhang zu und rief ihm nun wieder auf ägyptisch feierlich entgegen: »Gebet dem Dürstenden zutrinken; die Glücklichen gönnen ihm von ihrem Ueberfluß einen Tropfen. Gebet dem klagenden Kinderdämon den weißen Trank, damit er ausgleiche und lösche. Erklinge, Musik, übertöne die Klage der jammernden Geister!«
Dann wandte sie sich Heliodoras Kessel zu und sagte ernst und als folge sie einem höheren Gebot: »Sieben Goldstücke, um das Werk zu vollenden,« und während die junge Frau den Beutel zog und die Zauberin die Lampen anzündete und die Münzen in die kochende Flüssigkeit warf, sang sie unaufhörlich: »Reines, glänzendes Gold, Sonnenlicht, in den Bergen geborgen. Heilige Sieben, Schaschef schaschef! Heilige Sieben! Vermählt euch! Schmelzt ineinander!«
Darauf goß sie eine dampfende Flüssigkeit, so schwarz wie Tinte, aus dem Kessel auf eine flache Schüssel, rief Heliodora an ihre Seite und erklärte ihr, was ihr Auge aus dem blanken Spiegel erblickte.
Es war lauter Schönes, es erteilte lauter herzerfreuende Antworten auf die Fragen der Witwe. Und was die Zauberin sagte, mußte das Vertrauen auf ihre magischen Kräfte bestärken; denn sie beschrieb Orion so genau, als sähe sie ihn in dem Tintenspiegel vor sich, und zwar mit einem älteren Herrn auf Reisen. Aber da trat schon die Heimkehr auf die blanke Fläche, da sah sie Heliodora an der Brust des Geliebten, und nun – welch ein Gemälde: nicht der Bischof von Memphis, nein, ein Fremder legte ihre und seine Hand in einem großen, herrlichen Dom vor dem Altar ineinander und segnete ihr Bündnis.
Katharina, die der Gesang Medeas und was ihm gefolgt war mit Bangigkeit und leisem Grauen erfüllt hatte, folgte jedem Wort der Zauberin mit ängstlicher Spannung: was sie sagte, wie sie Orion beschrieb, das war wunderbarer als alles, was sie je für möglich gehalten. Und der Dom, in dem das liebende Paar getraut werden sollte, das war die Sophienkirche zu Konstantinopel, von der sie vieles vernommen.
Das Herz schnürte sich ihr zu, aber so eifrig sie auch den Worten Medeas folgte, hörte ihr scharfes Ohr dennoch fortwährend das traurige Röcheln und Klagen hinter dem Vorhang, und das ängstigte sie und beklemmte ihr den Atem, und ihrer Seele bemächtigte sich ein tiefes, marterndes Unglücksgefühl. Dem winselnden Kindergeiste da hinten, von dessen Glück ihr ein Teil zugekommen sein sollte, hatte sie, gerade sie, gewiß nichts geraubt, denn wer war wohl elender als sie? Nur die schöne, schmachtende junge Frau dort hatte das Schicksal mit Gaben, genug für unzählige andere, so verschwenderisch überschüttet. O, wenn sie ihr eine nach der andern hätte fortreißen können, von dem großen Rubin an, den sie heute trug, bis zu der Liebe Orions!
Bleich und aufgeregt folgte sie dem Ruf der Zauberin, nachdem auch sie sieben Goldstücke geopfert. Am liebsten hätte sie eine mörderische Verwünschung von ihr gekauft und die Glückliche dort damit zerschmettert.
Jetzt begann die rabenschwarze Flüssigkeit in die Schüssel zu fließen, und ein scharf riechender Dampf erhob sich daraus; die Zauberin aber blies ihn beiseite, und sobald sich das dunkle Naß ein wenig gekühlt hatte und die Spiegelfläche sich blank und ungetrübt zeigte, fragte Medea das Mädchen, was es zuerst zu erfahren begehre. Doch die Antwort ward Katharina vom Mund abgeschnitten: ein schreckliches Dröhnen und Poltern erschütterte plötzlich das Haus, und mit einem lauten, gellenden Aufschrei ließ die Zauberin die Schüssel fallen, und ihr Inhalt spritzte aus, und warme, widrige Tropfen hefteten sich an das Gewand und die Arme des Mädchens. Ein furchtbarer, jäher Schreck erschütterte ihr ganzes Wesen, und Heliodora, welche sich selbst kaum zu halten vermochte, mußte sie stützen; denn sie taumelte und drohte niederzusinken.
Die Zauberin war verschwunden; doch es rasten nun ein halberwachsener Knabe, ein junger Mann und ein lang aufgeschossenes, dürftig gekleidetes ägyptisches Mädchen durch den Raum. Bald hierhin, bald dorthin eilend, warfen sie, was von Geräten umherstand, in eine Oeffnung im Estrich, von der sie die Klappe weggezogen, gossen sie Wasser auf die Kohlen, verlöschten die Lampen und trieben dabei die Frauen mit gemeinen, heftigen Worten in eine Ecke des Saales. Dann erklommen die Burschen behend wie die Katzen die offene Decke und schwangen sich ins Freie.
Nun scholl ein gellender Pfiff durch das Haus, und um weniges später stürzte die Zauberin in den Saal, faßte die Schultern der beiden zitternden Frauen und rief ihnen zu: »Um Christi willen, übet Erbarmen! Es handelt sich um mein Leben. Auf Zauberei steht der Tod. Ich habe mein Bestes für euch gethan. Ihr seid – hört ihr, was ihr sagen sollt? – ihr seid aus Barmherzigkeit gekommen, um die Kranken zu pflegen.«
Damit schob sie beide durch den Vorhang, hinter dem sich noch immer Klagelaute erhoben, in ein dumpfes, niedriges Zimmer, und das große, hagere Mädchen schlenderte ihnen nach.
Da ruhten auf armseligen Lagerstätten ein alter, fröstelnder Mann mit dunklen Flecken auf der nackten Brust und dem Antlitz und ein fünfjähriges Kind, dessen hochgerötete Wangen in heftigem Fieber glühten.
Heliodora meinte in der verpesteten, schwülen Hitze dieses Raums ersticken zu müssen, und Katharina klammerte sich bebend an sie; doch die Zauberin riß sie auseinander und rief: »Jede an ein Bett, – Du zu dem Kind, Du zu dem Alten!«
Willenlos folgten beide dem vor Angst röchelnden Weibe. Das Bachstelzchen, das sich noch nie um einen Kranken bekümmert, fühlte sich von Ekel ergriffen und wandte die Augen von dem Leidenden ab, die junge Frau, welche viele, viele Nächte an dem Schmerzenslager eines geliebten Menschen gewacht und, gutherzig, wie sie war, ihren leidenden Sklaven oft mit eigener Hand Hilfe geleistet hatte, blickte dem Kinde mitleidig in das hübsche, glühende Gesicht und wischte ihm mit dem Tuche den Schweiß von der perlenden Stirn.
Katharina zuckte bei diesem Anblick zusammen, doch schon wurde ihre Aufmerksamkeit von etwas Neuem in Anspruch genommen; denn von der andern Seite des Hauses her ließ sich Waffengeklirr hören, die Thür wurde gewaltsam aufgestoßen, und in das Zimmer trat der Arzt Philippus. Den Sicherheitswächtern, die ihn begleiteten, befahl er, draußen zu warten. Er kam im Auftrag der Buleuten, denen zu Ohren gekommen war, daß sich von der Seuche befallene Kranke in dem Hause der Lockenmedea befänden und daß sie dennoch fortfahre, Besuche zu empfangen.
Man hatte ihr lange das Handwerk zu legen beschlossen, und heut war die Anzeige gekommen, daß sie am Abend vornehmen Besuch erwarte. Die Beamten sollten sie auf frischer That ertappen, der Arzt feststellen, ob ihr Haus zu den verseuchten gehöre, und in jedem Falle wünschte der Senat die Zauberin im Gefängnis und zu seiner Verfügung zu wissen, wenn man auch Philippus von diesem Verlangen nichts mitgeteilt hatte.
Gerade diese Gäste hier zu finden, hatte der Eingetretene am wenigsten erwartet. Mit einem mißbilligenden Kopfschütteln blickte er sie an, unterbrach die schnell fließende Versicherung der Zauberin, diese edlen Damen seien gekommen, um aus christlicher Barmherzigkeit den armen Leidenden Trost und Hilfe zu bringen, mit einem barschen: »Das findet sich alles!« und führte die unfreiwilligen Krankenpflegerinnen ungesäumt ins Freie.
Dort stellte er ihnen vor, in wie furchtbare Gefahr sie ihr Leichtsinn gestürzt habe, und gebot ihnen mit äußerster Entschiedenheit, sich sogleich nach Hause zu begeben und sich dort trotz der späten Stunde ein Bad bereiten zu lassen und die Kleider zu wechseln.
Mit bebenden Knieen erreichten sie den Wagen, und noch bevor sich dieser in Bewegung setzte, brach Heliodora in bittere Thränen aus, während Katharina sich trotzig in das Polster zurückwarf und mit einem Blick auf die gebrochene Gefährtin dachte: »Der Anfang des ungeheuren Glückes, das ihr prophezeit ward! Gut, wenn es so fortgeht!«
Und es war, als hätten dem Bachstelzchen freundliche Dämonen diesen Wunsch vernommen; denn wie der Wagen an dem Wächterhäuschen vorüber in den ersten Hof der Statthalterei einfahren wollte, ward er von fremden Bewaffneten mit braunen, kriegerischen Gesichtern angehalten, und minutenlang hatte er hier zu warten, bis ein arabischer Befehlshaber erschien und Auskunft verlangte, wer sie seien und was sie begehrten.
Zitternd antworteten sie, und nun ward ihnen eröffnet, es sei soeben von seiten der arabischen Regierung Beschlag auf die Statthalterei gelegt worden. Orion sei schwerer Verbrechen beschuldigt, und seine Gäste hätten morgen das Haus zu verlassen. Katharina, die der Dolmetscher kannte, wurde gestattet, Heliodora zu der Senatorsfrau zu begleiten, sich des Wagens zur Heimfahrt zu bedienen und, wenn es ihr Wunsch sei, die Byzantinerin mit sich nach Hause zu nehmen; denn in der Statthalterei werde es in den nächsten Tagen kriegerisch hergehen.
Nun pflogen die beiden Rat miteinander. Das Bachstelzchen drang darauf, daß Heliodora sie sogleich zu ihrer Mutter begleite; denn sie hielt sich und die Gefährtin für verpestet, und wie sollte diese in dem von Soldaten besetzten Gebäude zu einem Bade gelangen? Bei Frau Martina konnte und durfte die junge Frau in diesem Zustande nicht bleiben. Morgen sollte auch die Matrone zu Katharina ziehen. Ihre Mutter, sagte sie, werde sich über so liebe Gäste besonders freuen.
Willenlos ließ die Witwe alles mit sich geschehen, und nachdem Frau Martina gern eingewilligt hatte, der Einladung ihres »rettenden Engels« zu folgen, führte der Wagen die beiden in das Haus der Witwe Susanna.
Diese war längst zu Bett gegangen und fest überzeugt, daß ihr Töchterchen in ihrem hübschen Gemache schlummere und träume.
Katharina ließ sie nicht wecken, und der Baderaum lag so weit entfernt von dem Zimmer Susannas, daß sie ruhig fortschlief, während ihn ihr Kind und ihr neuer Gast benützten.
Sechsunddreißigstes Kapitel.
In der Statthalterei gab es eine entsetzliche Nacht.
Frau Martina fragte sich, welche Sünden sie begangen, daß gerade sie auserlesen sei, Zeugin eines solchen Unglücks zu werden.
Und was ward nun aus ihren Heiratsplänen?
Ein Umzug bei dieser Hitze war gewiß schwer erträglich; aber sie hätte ein dutzendmal aus einem Quartier in das andere ziehen und sich wie einen Ball hin und her werfen lassen wollen, wenn es dadurch zu ermöglichen gewesen wäre, ihren lieben »großen Sesostris« aus so schrecklicher Gefahr zu erretten.
An alle dem war gewiß die verruchte, tolle Geschichte mit den Nonnen schuld!
Und diese Araber!
Sie nahmen eben, was ihnen behagte, und waren wahrhaftig im stande, den Sohn des großen Mukaukas auszuplündern und zum Bettler zu machen.
Eine schöne Geschichte!
Heliodora hatte am Ende für beide genug, und sie und ihr Mann brauchten sie in ihrem Testament nicht zu übergehen; aber es handelte sich hier vielleicht um ganz andere Dinge: um Leben und Tod.
Es überlief sie kalt bei diesem Gedanken, und ihre Befürchtung schwebte nicht in der Luft: der schwarze Araber, der zu ihr gekommen war, um mit ihr zu verhandeln und ihr schließlich zu gestatten, bis morgen in der Statthalterei zu bleiben, hatte ihr das durch den Dolmetscher geradezu sagen lassen. Ein unerhörtes, gräßliches, namenloses Unglück! Und sie mitten darin, gezwungen, das alles mit zu erleben!
Und ihr Mann, ihr armer Justinus! Wie nahe mußte ihm das alles gehen! Die Augen wurden ihr nicht trocken, und bevor sie einschlief, betete sie recht innig, ihre Heilige und die gute Mutter Gottes möchten das alles zu einem freundlichen Ende führen. Mit dem Gedanken: »Welch ein Unglück!« schloß sie die Augen, und am frühen Morgen wachte sie wieder mit ihm auf.
Dennoch war das Entsetzlichste noch nicht zu ihr gedrungen, was sich in dieser verhängnisvollen Nacht begeben.
Eine Schar von arabischen Kriegern war bei Anbruch der Nacht zu Fuß, zu Roß und im Nachen über den Nil gekommen und hatte, geführt von dem Wekil Obada, die Statthalterei umzingelt.
Nachdem es fest stand, daß Orion sich in der That auf Reisen befand, wurde der Rentmeister Nilus gefangen gesetzt. Darauf lag es dem Schwarzen ob, die Witwe des Mukaukas von dem Geschehenen zu unterrichten, und sie zu veranlassen, schon morgen das Haus zu verlassen. Dies mußte geschehen, weil er mit der ehrwürdigen Wohnstätte des ältesten Geschlechts im Lande etwas ganz Besonderes vorzunehmen gedachte.
Frau Neforis war noch wach und hielt sich, wie der Dolmetscher als Vorläufer Obadas sich bei ihr melden ließ, im Brunnenzimmer auf. Er fand sie in einiger Erregung; denn obwohl sie nicht mehr fähig war, folgerichtig zu denken, und ihr, wenn ihr Geist in Anspruch genommen wurde, die Einfälle nur wie blitzartige Erleuchtungen durch das Gehirn schossen, hatte sie doch bemerkt, daß etwas Besonderes in der Statthalterei vorgehe; aber sowohl der Hausmeister Sebek als ihre Zofen waren ihren Fragen ausgewichen und hatten sie nur dahin beantwortet, daß der Stellvertreter des Amr gekommen sei, um mit dem jungen Herrn zu reden. Es scheine sich um etwas Bedeutendes, vielleicht um eine falsche Anklage zu handeln.
Orion, berichtete nun der Hermeneut, sei angeklagt, ein Unternehmen ins Werk gesetzt zu haben, welches zwölf arabischen Kriegern das Leben gekostet, und schon der Angriff eines einzigen Muslim von seiten eines Aegypters wurde, sie wußt’ es, mit dem Tod und der Konfiskation des Vermögens bestraft. Ferner war ihr Sohn eines Raubes beschuldigt worden.
Am Schluß seiner Mitteilung, der Frau Neforis mit stieren Augen, entsetzt und endlich wie vernichtet zugehört hatte, bat der Dolmetscher für den Wekil um Gehör.
»Noch nicht gleich, noch einige Minuten,« lautete die mühsam hervorgestoßene Antwort der Witwe; denn sie mußte sich erst durch den Genuß ihres Arkanums stärken. Sobald dies geschehen war, zeigte sie sich bereit, Obada zu empfangen.
Der schwarze Feind ihres Sohnes wünschte ihr als milder, großmütiger Mann zu erscheinen und eröffnete ihr mit schmeichlerischer Unterwürfigkeit und häufigem Zähnefletschen, daß sie im Lauf des morgenden Tages das Haus, in dem sie die längste und glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, verlassen müsse.
Auf seine Erklärung, daß ihr eigenes Vermögen unangetastet bleiben werde und es ihr freistehe, in Memphis zu bleiben oder ihr Haus in Alexandria zu beziehen, entgegnete sie gelassen, es werde sich ja finden! Dann fragte sie, ob sich die Araber bereits ihres Sohnes bemächtigt?
»Nicht eigentlich,« versetzte der Wekil; »doch wir wissen, wo er steckt, und morgen oder übermorgen haben wir den beklagenswerten Jüngling.«
Bei den letzten Worten bemerkte die Witwe einen schadenfrohen Glanz in den Augen des Schwarzen, die bis dahin mitleidsvoll zu blicken versucht hatten, und mit leisem Kopfnicken fuhr sie fort: »Es handelt sich also für ihn um Leben und Tod?«
»Fasse Dich, edle Frau,« lautete die Antwort. »Nur um den Tod.«
Da schlug sie den Blick gen Himmel, ließ ihn dort lange verweilen und fragte dann weiter: »Und wer hat ihn des Raubes geziehen?«
»Das Haupt seiner eigenen Kirche...«
»Benjamin,« murmelte sie vor sich hin, und ihr Mund verzog sich zu einem eigentümlichen Lächeln. Sie hatte gestern ihr Testament zu Gunsten des Patriarchen und der Kirche aufgesetzt. »Wenn Benjamin es gelesen,« sagte sie sich, »ändert er wohl die Gesinnung gegen Dich und die Deinen und läßt fleißig für uns beten.«
Da sie nichts weiter sagte, schaute der Wekil sie fragend und mit einiger Verlegenheit an, bis sie sich endlich erhob und ihn nicht ohne Würde und mit der Bemerkung verabschiedete, das Geschäftliche sei nun erledigt, und weiter habe sie nichts mit ihm zu teilen.
Damit war diese Unterredung zu Ende, und als das Brunnenzimmer hinter dem Wekil lag, murmelte er vor sich hin: »Dies Weib! Entweder ist es von Dämonen besessen und irre da oben oder eine seltene Heldin!«
Frau Neforis ließ sich in ihr Schlafzimmer führen, und nachdem sie zu Bett gegangen, befahl sie der Zofe, ein Kästchen aus ihrer Truhe zu nehmen, und es auf das Arzneitischchen am Hauptende ihres Lagers zu stellen.
Als sie allein war, zog sie die beiden Briefe, welche der Mukaukas Georg ihr als Bräutigam geschrieben, und ein Gedicht, das Orion einst an sie gerichtet, daraus hervor und versuchte zu lesen; doch es flimmerte ihr so vor den Augen, daß sie die Blätter wieder fortlegen mußte. Dafür nahm sie ein Päckchen zur Hand, das die Locken enthielt, welche sie von den erkalteten Häuptern ihrer verstorbenen Söhne und ihres Gatten geschnitten. Mit schwärmerischer Zärtlichkeit blickte sie auf diese teuren Andenken, und nun übte der Mohnsaft seine Wirkung. Mit greifbarer Deutlichkeit stellten sich ihr die Bilder der Verstorbenen vor die Seele, und sie verkehrte mit ihnen, als stünden sie voll blühender Lebenskraft an ihrem Lager. Mit den Locken in der Hand, schaute sie dann aufwärts und versuchte sich zu vergegenwärtigen, was sich heute ereignet und was ihr bevorstand. – Es galt, diesen Raum, dies breite Lager, dies Haus, das hieß alles verlassen, woran sich die teuersten Erinnerungen an diejenigen knüpften, welche sie liebte. Man wollte sie dazu zwingen, – aber stand es ihr auch an, sich dem Willen dieses Schwarzen, dieses Fremden hier, wo sie gebot, zu unterwerfen? Mit einem verächtlichen Lächeln schüttelte sie das Haupt und öffnete einen Glascylinder, welcher noch zur Hälfte mit Opiumkügelchen gefüllt war. Dann nahm sie einige auf die Zunge und wandte den Blick wieder nach oben. Da trat bald ein neues Gesicht vor ihr inneres Auge, und sie erblickte denjenigen, von dem auch der Tod sie nicht zu scheiden vermochte, und ihre verstorbenen Söhne zu seinen Füßen. Und nun stieg, wie ein Taucher aus den Wogen des Stroms, Orion aus Wolken hervor und schwang sich an das Ufer der Insel, an dem ihr Gatte und die Jünglinge standen. Sein Vater öffnete ihm die Arme und zog ihn ans Herz, und sie selbst, oder war es doch nur ihr Bild? trat zu den anderen, und jeder eilte ihr zärtlich entgegen, und zuletzt auch ihr Gemahl, und an seiner Brust blieb sie ruhen; und wenn sie sich seit Stunden und längst vor dem Ueberfall der Araber halb betäubt und wie benebelt gefühlt hatte, so empfand sie jetzt eine süße, die Glieder lähmende Schläfrigkeit, der ihr ganzes Wesen sich hinzugeben verlangte. Aber wie sie schon die Augenlider gesenkt, schoß ihr wieder durch den Sinn, was bevorstand, und mit dem Aufgebot aller Willenskraft richtete sie sich auf und nahm das Wasser, welches stets auf dem Tischchen neben ihr stand, um den Rest der Kügelchen, die der Cylinder enthielt, hineinzuschütten und den Becher auszutrinken bis auf den Grund.
Bei alledem war ihre Hand ruhig geblieben, und aus dem zufriedenen Lächeln ihres Mundes und dem verlangenden Blick ihres Auges hätte man schließen können, daß sie dürste und sich einen wohlschmeckenden Trank bereite. Einer Verzweifelten, welche die Hand an sich selbst legt, sah sie am wenigsten ähnlich, und sie empfand auch weder Bedenken noch Todesfurcht, noch die Last der Schuld, welche sie auf sich nahm, sondern nur eine süße Müdigkeit und Hoffnung, beseligende Hoffnung auf ein Dasein ohne Ende, vereint mit ihren Teuren.
Aber kaum hatte sie den tödlichen Trank genossen, als sie ein kalter Frost durchschauerte. Halb aufgerichtet rief sie die Zofe, welche im Nebenzimmer wachte, und da diese ihr ängstlich in die stieren Augen schaute, stammelte sie ihr zu: »Einen Priester, rasch – ich will sterben!«
Da lief die Dienerin hinaus und rief im Viridarium dem Hausmeister Sebek zu, welcher mit dem Wekil vor dem Tablinum stand, was sich ereignet, und der Schwarze gestattete ihm, seiner sterbenden Herrin den Willen zu thun, und führte ihn selbst bis ans Thor. Dicht vor demselben traf der Hausmeister einen Diakonus, welcher soeben einem von der Seuche Dahingerafften den Segen der Kirche gebracht hatte, und wenige Minuten später standen sie an dem Lager der Witwe.
Neben ihr ruhten die Locken ihrer Söhne, ihre Hände waren um ein Kruzifix gefaltet; doch ihre Augen, welche lange in das Antlitz des Erlösers geschaut hatten, blickten jetzt wieder mit schwärmerischem Glanz nach oben.
Der Priester rief sie bei Namen; doch sie mißkannte ihn, hielt ihn für ihren Sohn und lallte ihm liebreich zu.
»Orion, armes, armes Kind! Und Du, Maria, mein Herzchen, mein süßer kleiner Schatz! Der Vater – ja, lieber Junge – der Vater, komm nur; er ist wieder gut und verzeiht Dir... Alle, die ich geliebt, sind wieder beisammen, und keiner – wer kann uns noch trennen? Weißt Du, Mann? Höre, Georg! —«
Da that der Priester, was seines Amtes war, sie aber schaute, ohne es zu bemerken, in die Höhe, und ihre lächelnden Lippen bewegten sich dabei immer fort; doch gelang es ihnen nicht mehr, deutliche Laute zu bilden. Endlich kamen sie zur Ruhe, die Augensterne verschwanden unter den Lidern, die Hände lösten sich von dem Kruzifix, die Glieder erbebten ihr leise, um sich dann allmälich zu strecken, und ihr Mund öffnete sich, als ob er tief Atem schöpfen wolle. Aber er schloß sich nicht wieder, und als der treue Hausmeister ihre Lippen einander näherte, war ihr Antlitz schon regungslos, und ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Der treue Mann schluchzte laut auf, und als er dem Wekil die Trauerpost überbrachte, stieß dieser einen Fluch aus und rief dem Unterbefehlshaber an seiner Seite, welcher die Beladung einiger Kamele mit den Schätzen des Tablinums überwachte, ingrimmig zu: »Ich wollte die verrückte Alte großmütig schonen, und nun spielt sie mir diesen Streich, und die in Medina schieben mir auch ihren Tod noch in die Schuhe, wenn nicht...«
Hier unterbrach er sich plötzlich, und während er sich wieder den Kamelen und ihrer Beladung zuwandte, dachte er: »Bei so hohem Spiel kommt es auf ein paar Goldstücke mehr oder weniger nicht an. Einige Köpfe müssen noch vom Rumpfe – der des schönen Aegypters den übrigen voran. – Wenn nur die Verschworenen in Medina ihre Schuldigkeit thun! Des Omar Sturz bringt auch den Amr zu Fall, und damit kommt dies alles ins Gleiche!
Siebenunddreißigstes Kapitel.
Katharina hatte wenig geschlafen und war ihrer Gewohnheit gemäß sehr früh aufgestanden, während Heliodora die Morgenstunden gern verschlief. Diese waren in solcher Glutzeit gewiß die schönsten des Tages, und das Bachstelzchen hatte sie sonst froh genossen, aber obgleich eine große indische Blume in der letzten Nacht zum erstenmal aufgeblüht war, und der Obergärtner sie ihr mit gerechtem Stolz zeigte, konnte sie sich doch nicht freuen. Mochte sie verdorren, und mit ihr die ganze Welt!
In dem Nachbargarten regte sich noch nichts; doch da kam der lange Arzt Philippus auf der Straße daher, um die Frauen drüben zu besuchen.
Mit wenigen hurtigen Schritten eilte sie an das Thor und rief ihn an.
Sie mußte ihn bitten, von der gestrigen Begegnung zu schweigen, und er blieb sogleich stehen und teilte ihr mit, bevor sie noch Zeit gefunden, ihm ihren Wunsch zu eröffnen, daß die Witwe des Mukaukas in dieser Nacht, von Schreck und Entsetzen übermannt, ihrem Gatten gefolgt sei.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der das Bachstelzchen Frau Neforis wie einer zweiten Mutter zugethan gewesen, in der ihr die Statthalterei wie der Inbegriff alles Großen, Ehrwürdigen und Vornehmen erschienen war und in der sie stolz und glücklich gewesen, dort ein und aus gehen zu dürfen, dort wie ein Kind des Hauses geliebt zu werden, und so waren die Thränen, mit denen sich ihre Augen bei dieser Nachricht füllten, ungemacht, und es that ihr wohl, die frohe, herausfordernd glückselige Miene abzulegen, welche sie wie eine Maske trug, seitdem es in ihrer Seele so finster, wild und elend aussah.
Der Arzt begriff ihre Trauer, versprach ihr gern, gegen jedermann reinen Mund zu halten, tadelte sie nicht, hielt ihr aber nochmals die Gefahr vor, der sie sich ausgesetzt hatte, und erinnerte sie dringend daran, jedes Kleidungsstück, das sie und Heliodora gestern getragen, beiseite zu schaffen; denn die feinen Ansteckungsstoffe hingen sich an alles, und jedes Stück Zeug, das einen Kranken berührt habe, sei ganz besonders geeignet, das Seuchengift auf andere zu übertragen und weiter zu verbreiten. Sie hörte ihm ängstlich zu und konnte ihn dann beruhigen; denn alles, was sie und die junge Frau gestern getragen, war in den Badeofen gewandert.
Der Arzt eilte weiter, sie aber achtete nicht der wachsenden Hitze und wandelte ruhelos in den Gängen des Gartens umher. Das Herz schlug ihr in kleinen, raschen, peinigenden Schlägen, eine unsichtbare Last bedrückte sie und hinderte sie, frei zu atmen. Dabei stieg eine Reihe von quälenden Gedanken ungerufen in ihr auf, ließ sich nicht zurückdrängen und steigerte ihre innere Beklemmung.
Frau Neforis tot, die Statthalterei von den Arabern genommen, Orion seiner Güter beraubt und angeklagt auf Tod und Leben.
Und das friedliche Haus dort hinter der Hecke. Was stand ihm, seinem silberhaarigen Herrn und dessen unschuldiger Frau und Tochter bevor? Ein Unwetter zog sich auch über ihnen zusammen, sie sah es herannahen, und hinter ihm her wie neues, braunes, todbringendes Gewölk die Seuche, die furchtbare Seuche.
Und sie, sie, das kleine, schwache Mädchen, das flüchtige Bachstelzchen, hatte all dies Furchtbare heraufbeschworen, sie war es gewesen, die die Schleusen geöffnet, aus denen sich jetzt das Verderben rings um sie her zu ergießen begann. Sie sah die Flut wachsen und steigen, sah sie schon das eigene Haus, den eigenen Fuß gierig umspülen, und sie fürchtete sie so, daß ihr im Gedanken an sie der Angstschweiß Stirn und Hände befeuchtete; aber dennoch, dennoch! Hätte sie wirklich die Macht besessen, das Unheil in seine Wolken, die Fluten in ihr Bett zurückzutreiben, sie hätt’ es doch unterlassen! Das letzte, was sie wünschte, was sie als Frucht ihrer Saat aufgehen und sich entfalten zu sehen begehrte, das war noch nicht gekommen, und das zu erleben, dafür war es wert, viel zu erdulden, ja mußte es sein, aus dieser falschen, heißen, reizlosen Welt zu scheiden.
Der Tod hing über Orions Haupt, und bevor er ihn ereilte, sollt’ er wissen, wer das Schwert gegen ihn geschliffen. Vielleicht kam er mit dem Leben davon, doch der Araber gab nicht heraus, was er einmal besaß, und sollte wirklich der junge, glänzende Krösus als Bettler aus dem Gefängnis ins Leben zurücktreten, dann, dann... Was Paula! Was Heliodora! Ihre kleine Hand hatte dem Adler des Zeus nun einmal das Blitzbündel entwunden, dann fand sich auch für diese ein Strahl!
Das Gefühl ihrer furchtbaren Macht, der schon Opfer auf Opfer gefallen, berauschte sie. Sie wollte, wollte Orion, wollte ihn, der sie betrogen, ins Verderben, ins Elend gestoßen, als Bettler zu ihren Füßen sehen, und das war es, was ihr den Mut stärkte, auch das Aeußerste zu unternehmen; das, nur das! Und was ihr dann zu thun gefallen würde, das wollte sie selbst noch nicht wissen, das lag noch im Schoße der Zukunft, das konnte vielleicht weich und barmherzig und liebreich ausfallen.
Als sie sich in das Halle zurückbegab, waren Angst und Beklemmung von ihr gewichen, frische Thatenlust hatte sich ihrer Seele bemächtigt, und aus der kleinen Lauscherin und Hinterträgerin war in dieser Stunde ein zu jedem Verbrechen bereites, zielbewußtes, furchtbares Weib geworden.
»Armes Schäfchen!« dachte der Arzt Philippus, wie er den Garten des Rufinus betrat; »auch ihrem kleinen Herzchen mag der Unselige weh genug gethan haben!«
Der Garten seines alten Freundes war leer. Nur unter der Sykomore saßen zwei Menschen: die Riesengestalt eines jungen Mannes und ein schönes, zartes, etwas bleiches, blondhaariges Weib. Der große Gesell hielt eine breite Wollensträhne mit den mächtigen Händen auseinander, und das Mädchen neben ihm wickelte den Faden auf ein Knäuel. Es war der Masdakit Rustem und die schöne Mandane, beide hergestellt von ihren Wunden, und die Perserin zu neuem, ruhigem, verständigem geistigem Leben erwacht.
Philippus war dieser wunderbaren Herstellung mit großer Teilnahme und Sorgfalt gefolgt. Er schrieb sie zunächst der starken Blutung an ihrem Kopfe, dann aber auch der guten Luft und Pflege zu, die sie genossen. Es galt nur, sie auch weiter vor Unruhe und heftiger Gemütsbewegung zu schützen. In dem Masdakiten hatte sie einen Freund und gehorsamen Verehrer gefunden, und Philipp freute sich an dem Anblick dieser beiden, an denen seine Kunst einmal nicht zu schanden geworden.
Der Gruß, den er ihnen zurief, klang auch gar froh und herzlich, und auf Philippus’: »Wie geht es?« antwortete der Masdakit mit einem heiteren: »Wie dem Fisch im Wasser!« und indem er auf Mandane wies: »Der Landsmännin gleichfalls.«
»Einverstanden?« fragte Philipp, und sie bejahte es mit einem lebhaften Nicken.
Da drohte Philipp dem Perser mit dem Finger und rief: »Wickle Dich hier nur nicht fest, Freund! Wer weiß, wie bald Herr Haschim Dich fortruft!«
Während er dem genesenden Paar dann den Rücken wandte, murmelte er vor sich hin: »Doch einmal etwas Erquickliches bei all dem Elend; sie und die kleine Maria!«
Vor seiner Abreise hatte Rufinus die verkrüppelten Kinder, welche er bei sich aufgenommen, zu ihren Eltern zurückgeschickt, und so fand der Arzt niemand im Vorsaal.
Wahrscheinlich waren die Frauen beim Morgenimbiß im Speisezimmer! Doch er irrte; denn der sollte erst später beginnen, und Pulcheria war noch mit der Herrichtung des Tisches beschäftigt.
Sie bemerkte den Eintretenden nicht, während sie Trauben und Granatäpfel, Feigen und die an Geschmack der Maulbeere gleichenden Früchte, welche büschelweise aus dem Stamm der Sykomore hervorschießen, sorgfältig zwischen Blättern, die von der Glut der letzten Wochen halb vergilbt waren, zusammenlas. Das hübsche Gebäu rundete sich schon zu einem zierlichen, vielgliedrigen Kegel, doch ihre Gedanken waren nicht ganz bei der Arbeit; denn Thräne auf Thräne rann ihr über die Wangen.
»Die gelten dem Vater,« dachte Philippus, während er ihr von der Thür aus zuschaute.
»Armes Kind!« Wie oft hatte er den Freund sie so nennen hören! Und ein Kind war sie bis jetzt auch für ihn gewesen; doch heute mußte er sie mit anderen Augen ansehen, da es ja ihr eigener Vater so bestimmt; auch stand er vor ihr wirklich wie vor einem Wunder.
Was war aus der kleinen Pul nur geworden?
Wie konnte er das erst heute bemerken?
Eine herrlich erwachsene Jungfrau regte da vor ihm die runden schneeweißen Arme, und er hätte vorhin noch schwören mögen, daß sie niemals andere als die dünnen Kinderärmchen besessen, die sie ihm so oft um den Hals geschlungen hatte, wenn sie auf ihm, ihrem »edlen Renner«, im Garten auf und nieder geritten.
Wie lange war das her?
Zehn Jahre!
Sie zählte jetzt siebenzehn!
Und wie zart, schlank und weiß waren ihre Hände geworden, um deretwillen die Mutter sie oft gescholten, wenn sie Sandhäuser gebaut und sich gleich darauf zu Tisch gesetzt hatte.
Nun legte sie eine Traube in schöner Rundung um einige Granatäpfel her, und dabei kam ihm die Anerkennung in den Sinn, welche sein alter Freund gestern ihrer Geschicklichkeit gezollt hatte.
Die Fenster waren verhängt; doch einzelne Sonnenstrahlen fanden trotzdem den Weg in das Zimmer und fielen auf ihr rotblondes Goldhaar. Einen so köstlich gefärbten Haarschmuck hatten selbst die blonden Böotierinnen nicht gehabt, die er als Student von Athen aus in ihrer Heimat bewundert.
Daß ihr Gesicht hübsch und lieb war, das hatte er immer gewußt; doch wie sie die Augen aufschlug und sie ihn bemerkte, und ihr Blick ihn so jungfräulich verlegen, so lieblich überrascht und doch so freundlich traf, da fühlte er, daß er erröte, und er mußte sich erst einige Augenblicke sammeln, um ihren Gruß mit etwas Besserem als dem bloßen Gegengruß zu erwidern. Und mit welchem bedeutenden Satze begann die Anrede, auf die er sich in dieser Pause besonnen.
»Ja, da bin ich,« lautete er wörtlich und verdiente wahrhaftig nicht die herzliche Antwort: »Gottlob, daß Du kommst!« und die mit so reizender Befangenheit hinzugefügte Erklärung: »Schon wegen der Mutter!«
Da errötete er, der Mann, der von jugendlicher Befangenheit längst nichts mehr wußte, zum zweitenmale und erkundigte sich nach dem Befinden Frau Johannas und wie sie ihr Leid ertrage, und endlich sagte er ernst:
»Wie Schlimmes brachte ich gestern, und heute flattere ich euch wieder als Unglücksrabe ins Haus.«
»Du?« fragte sie lächelnd, und in diesem kleinen Wort lag ein so holder Zweifel an seiner Fähigkeit, Böses zu bringen, daß er sich sagen mußte, der Freund habe ihm in diesem Kinde, in dieser Jungfrau das Beste hinterlassen, was ein Sterblicher dem andern nur immer zu bescheren vermag: eine teure, vertrauensvolle, unschuldige Tochter, nein, ein Schwesterchen, so rein, so anmutig und liebenswert, wie es nur das Kind solcher Eltern sein konnte.
Und während er ihr dann erzählte, was sich in der Statthalterei zugetragen, und merkte, wie sehr ihr um Paulas und der kleinen Maria willen der Tod der ihr selbst fern stehenden Witwe zu Herzen ging, beschloß er, Pulcherias Mutter gleich nachher mit dem Wunsche ihres verstorbenen Gatten bekannt zu machen.
Doch dies alles drängte die alten Empfindungen für Paula keineswegs in den Schatten, nein, sie quälten ihn heute so heiß und brennend wie je; aber er fühlte dabei, daß sie ihm zum Unheil gereichten, daß er sich mit ihnen selbst schädige und, da sie nicht erwidert wurden, beleidige. Er wußte, daß er in der Nähe der Damascenerin, daß er, verurteilt, mit ihr zusammenzuleben, nie zur Ruhe kommen und Leid auf Leid zu erdulden haben werde. Nur fern von ihr und unter einem Dache mit Johanna und ihrer Tochter konnte es ihm wieder beschieden sein, ein zufriedener, glücklicher Mensch zu werden, und doch wagte er noch nicht, diesem Gedanken Ausdruck zu geben.
Pulcheria merkte, daß er ihr etwas vorenthielt, und fürchtete, es sei ihm etwas Neues bekannt geworden, das sie bedrohe, doch dieser Besorgnis konnte er entgegentreten und versichern, er habe vielmehr etwas im Sinne, das wenigstens ihm erfreulich scheine; aber daran konnte ihr bekümmertes und viel geängstigtes Herz kaum glauben, und nun bat er sie, die Hoffnung auf bessere Tage nicht zu verlieren, und fragte sie, ob sie recht festes, gutes Zutrauen zu ihm habe.
Da antwortete sie freudig, das müsse er doch fühlen, und während Frau Johanna und die anderen das Zimmer betraten und sie der Mutter, die sie schon in der Frühe begrüßt hatte, zunickte, hielt sie ihm die Hand hin und ergriff sie und schüttelte sie herzlich.
Das waren erquickliche Augenblicke für ihn gewesen, doch Paulas Anblick und das, was er ihr mitzuteilen hatte, führte ihn in die alte, bedrückte, unglückselige Stimmung zurück.
Die kleine Maria, welche wieder rote Wangen bekommen hatte und wie eine Gesunde aussah, warf sich bei den schlimmen Nachrichten, die er überbrachte, schluchzend um Paulas Hals; diese aber zeigte sich ruhiger und gefaßter, als er erwartet. Zwar war sie anfänglich tief erblaßt; bald aber hatte sie ruhig und gesammelt zugehört und endlich die freie, aufrechte Haltung wiedergewonnen.
Philippus mußte sich bei ihrem Anblick ans Herz greifen, und sobald es anging, brach er auf.
Es war, als sollte ihm noch einmal recht deutlich und schmerzlich vorgeführt werden, was er in ihr hätte besitzen können; denn wie getragen von einer hohen Empfindung schritt sie dahin, und ein träumerischer Schimmer verlieh ihrem edlen Gesicht einen Anmutszauber, der ihm ebenso weh that, wie er ihn entzückte.
Orion ein seiner Güter beraubter Gefangener!
Nur kurze Zeit hatte sie dieser Gedanke erschreckt; dann aber war es ihr gewesen, als sei es so eben recht, und das, was auf den ersten Blick wie ein furchtbares Unglück erschien, über sie verhängt worden, um ihre Liebe gleichsam von der Schale zu befreien, sie in ihrer ganzen Größe und Reinheit bloßzulegen und ihr, half der Allgütige, die rechte Weihe zu geben.
Für sein Leben fürchtete sie nicht; denn er hatte ihr gesagt und geschrieben, wie väterlich freundlich sich der Feldherr Amr gegen ihn erwiesen, und alles, was geschehen, war gewiß nur ein Streich des Wekils, von dessen bösem, gehässigem Wesen er ihr, während Rufinus die Aebtissin gewarnt, ein abschreckendes Bild entworfen.
Als des Freundes Haus hinter Philipp lag, atmete er auf.
Wie hatte er diese Frauen so ganz anders gefunden, als er erwartet!
Sein alter Freund kannte die Menschen!
Aus kleinen Anzeichen war es dem Greise gelungen, sich ein richtigeres Bild von Pulcheria zu bilden, als er es in jahrelangem vertrautem Umgang gewonnen. Auch das hatte der Alte vorausgesehen, daß die Gefahren, welche den Statthalterssohn bedrohten, Paulas Gefühle für Orion wie ein frischer Windhauch anfachen würden, und Johanna, die zarte, schwächliche Johanna, wie heldenhaft trug sie den Verlust dessen, für den sie so viele Jahre in treuer Liebe gelebt! Er mußte sie mit der unglücklichen Neforis vergleichen, und was war es denn, was jene den schwersten Verlust so viel würdiger tragen ließ als diese? Doch nur ihrer Pulcheria zärtliches Herz, das ihr Leid so schön und still mit ihr trug, es so gern und verständnisvoll teilte. Dergleichen hatte der Witwe des Mukaukas gefehlt, und glücklich, wer ein solches Herz sein nennen durfte.
Gesenkten Hauptes durchmaß er, diesmal ohne nach rechts und links zu schauen, den Garten.
Der Masdakit, welcher noch immer mit Mandane unter der Sykomore saß und so wenig wie sie von der steigenden Glut des Tages gestört ward, blickte ihm nach, wies auf ihn hin und seufzte:
»Da geht er! ‘s ist wohl das erstemal, daß er Dir oder mir ein garstiges Wort sagte; oder hast Du es gar nicht verstanden?«
»Doch, doch,« sagte sie leise und schaute auf ihre Stickerei.
Sie redeten persisch miteinander; denn sie hatte diese Sprache nicht vergessen, welche die Mutter bis an ihr Ende mit ihr geredet.
Das Leben ist bisweilen das seltsamste Märchen, und wunderbar durfte man das Ungefähr nennen, welches gerade diese beiden in der Krankenstube zusammengeführt hatte; denn seine ferne Heimat war auch die ihre, und er kannte sogar ihren Oheim, den Bruder ihres Vaters, und des letzteren traurige Geschichte.
Als sich das griechische Heer seiner Gegend bemächtigt hatte, waren die Männer mit den Herden in die Wälder geflohen, die Frauen und Kinder in das Festungswerk, welches die Landstraße verteidigte. Dies hatte den Byzantinern nur kurze Zeit widerstanden, und die Weiber, und unter ihnen auch Mandane und ihre Mutter, waren an die Soldaten als wertvolle Kriegsbeute verteilt worden. Ihr Vater hatte dann eine bewaffnete Bande um sich geschart, um die Frauen zu befreien, war aber dabei mit seinen Genossen ums Leben gekommen. Man sprach heute noch in der Gegend von dem traurigen Untergang des mutigen Mannes, und seinem jüngeren Bruder gehörten nunmehr das Gut und die schönen Roßweiden, die jener besessen.
So hatten die beiden Genesenden von vornherein sich viel zu erzählen, und es war merkwürdig, wie fest viele frühe Kindheitserinnerungen sich Mandanes Gedächtnis eingeprägt hatten.
Mit umdüstertem Gehirn war ihr wundes Haupt auf die Kissen des Krankenbettes gelegt worden, und wie ein Gewitter, das die erstickende Luft eines drückenden Sommertages säubert, hatte das neue Leid den Schleier von ihrem verfinsterten Geiste gezogen. In der Kindheit, der Zeit, da sie noch die Mutter besessen, und in der Gegenwart weilte er gern, was dazwischen lag, erschien ihm wie der nächtliche Himmel: finster, aber erhellt von einem furchtbaren Kometen und leuchtenden Sternen. Der Komet war Orion. Was sie mit ihm genossen und durch ihn gelitten, verwies sie in die Zeit ihres Irrsinns, das hatte sie sich gewöhnt, zu den Wahnvorstellungen zu zählen, von denen sie befangen gewesen. Ihre Seele war nicht zum Haß geschaffen, und sie wollte und konnte dem Statthaltersohne nicht feindlich gesinnt sein. So stellte sie sich ihn vor wie einen, der ihr ohne üblen Willen großes Unrecht zugefügt, und dessen sie sich nicht einmal erinnern durfte, ohne sich in Gefahr zu begeben.
»Das heißt doch,« hob der Masdakit nun wiederum an, »daß es auch Dir nicht gleichgiltig sein wird, wenn mich Haschim zurückruft?«
»Nein, Rustem; das würde mir sogar sehr leid thun.«
»O!« machte der andere und fuhr sich über den großen Kopf, auf dem die starke Haarmähne, welche man abgeschnitten, wieder zu wachsen begann. »Ja, dann, Mandane, dann... Ich habe schon gestern reden wollen, doch es kam noch nicht heraus; aber nun: warum thut es Dir eigentlich leid, daß ich gehen muß?«
»Weil – ja, wer findet denn gleich die Gründe – weil Du immer gut gegen mich warst, und weil Du mein Landsmann bist und ich persisch mit Dir reden kann, wie mit der Mutter.«
»So, also nur darum?« fragte der andere gedehnt und rieb sich die Stirn.
»Nein, nein! Auch weil... Hast Du uns einmal verlassen, so bist Du doch nicht mehr da...«
»Ja, das ist es eben, das ist’s! Und wenn Dir das leid thut, so muß es Dir doch gefallen haben hier – so mit mir zusammen.«
»Warum denn auch nicht? Gewiß war es hübsch,« entgegnete sie und suchte errötend seinem Blick auszuweichen.
»Das war’s auch und ist’s immer noch!« rief er und schlug mit der breiten Faust in die Linke, »und eben darum muß es einmal heraus, darum dürfen wir uns, wenn wir vernünftig sind, gar nicht mehr trennen.«
»Aber Dein Herr wird Dich brauchen!« rief sie mit wachsender Befangenheit aus, »und immer können wir den guten Menschen hier doch nicht zur Last sein. Weben soll ich noch nicht, aber bald muß ich mich, da ich doch frei bin und die Schrift habe, die mich losgibt, nach Arbeit umschauen, und ein kräftiger, gesunder Mann wie Du kann sich auch nicht immer pflegen.«
»Was pflegen!« lachte er behaglich auf. »Geschafft soll werden, geschafft und für Drei!«
»Bei Deinen Kamelen; immer auf Reisen?«
»Damit hat’s dann ein Ende,« versetzte er schmunzelnd. »Wir gehen in die Heimat zurück, ich kaufe mir dort ein gutes Stück Weideland; denn mein ältester Bruder hat unser Gütchen, und ob ich mich auf Kamelzucht verstehe, das frage den Haschim.«
»Aber, Rustem, bedenke doch!«
»Bedenken! Denken hin, denken her. Wollen und haben, darauf kommt’s an. Und wenn Du meinst, zum Kaufen braucht’s Geld, und an dem Besten wird’s hapern, so kann ich Dir sagen... Verstehst Du zu lesen? Nein, ich auch nicht; aber da in dem Täschchen hab’ ich meine Abrechnung von des Herrn eigener Hand. Elftausenddreihundertundsechzig Drachmen sind’s am letzten Termine gewesen für Lohn, weißt Du, und als den Gewinn, an dem der Herr mich teilnehmen läßt, seitdem ich die Karawane führe. So ziemlich alles hat er behalten; denn Verpflegung gab es, ein Stück Zeug für den Leib fiel immer ab von den Waren, und ein Schlemmer bin ich niemals gewesen. Elftausenddreihundertundsechzig Drachmen! He, Täubchen, so steht es; und was sagst Du nun? Läßt sich dafür etwas kaufen? Ja oder nein?«
Triumphirend schaute er sie an, sie aber entgegnen eifrig: »Doch, doch, und bei uns zu Lande, glaub’ ich, etwas recht Hübsches.«
»Und wir – Du und ich – wir – es soll jetzt ein ganz neues Leben beginnen. Siebenzehn Jahre war ich alt, wie ich dem Herrn gefolgt bin, und bei der Sonnenwende bin ich sechsundzwanzig geworden. Wie viel Jahre war ich also auf Reisen?«
Beide dachten eine Zeit lang nach, dann sagte Mandane schüchtern: »Wenn ich nicht irre, sind’s acht.«
»Neun sind es schon, glaub’ ich,« versetzte er eifrig. »Laß einmal sehen; her mit dem Pätschchen! Siehst Du, mit der Siebenzehn fang’ ich an – so alt war ich wie ich in den Dienst trat. Der kleine Finger zuerst – so ein niedliches Dingel! – und nun der andere!«
Dabei faßt’ er ihre Rechte und zählte an ihren Fingern weiter, bis er auch zum letzten der linken Hand gelangt war.
Das Resultat versetzte ihn in Erstaunen, und kopfschüttelnd rief er:
»Man hat doch an beiden Händen zehn Finger, und zehn Jahre können’s noch nicht sein, neun sind es höchstens!«
Und jetzt begann er das Zählen, welches ihm sehr behagte, von neuem, doch das Ergebnis blieb das gleiche; sie aber versicherte, es seien nur neun, sie hab’ es berechnet, und er stimmte ihr bei und meinte, ihre Fingerchen müßten verhext sein. Ja, das Spiel hätte noch lange fortgedauert, wenn ihr nicht eingefallen wäre, daß man die Siebenzehn nicht mitzählen dürfe und gleich mit der Achtzehn beginnen müsse. Rustem konnte das indessen nicht recht begreifen, und wenn er trotzdem nachgab, ließ er doch ihre Hand nicht frei und fuhr heiter fort: »Und, mein Mädchen, siehst Du, diese kleine Hand – zieh sie jetzt meinetwegen zurück – diese Hand will ich behalten, und mit ihr das hübsche Mädele, und was daran hängt. Und ich nehme Dich und die beiden Hände samt den verhexten Fingern mit mir nach Hause. Da können sie fleißig weben und sticken, und als Mann und Weib trennen wir uns nicht wieder, und ein Leben wollen wir führen – ein Leben – die Paradiesesfreuden sollen dagegen sein wie lauter Hiebe mit dem Oelbaumscheit auf den Schädel; ich hab’ sie gespürt!«
Dabei griff er wieder nach ihrer Hand, doch sie entzog sie ihm und sagte verwirrt und mit niedergeschlagenen Augen: »Nein, Rustem; ich habe ja schon gestern dergleichen gefürchtet, doch nie und nimmermehr darf das geschehen. Ich bin so dankbar, so dankbar; aber nein, nein, es kann nicht sein, und dabei muß es bleiben. Dein Weib, Rustem, darf ich nicht werden.«
»Nicht?« fragte er dumpf, und auf der schmalen Stirn schwoll ihm die Ader. »So hast Du mich vorhin zum Narren gehalten? Und was Du da von Dankbarkeit faselst...«
Heftig erregt stand er auf, sie aber faßte seinen Arm, zog ihn auf die Bank zurück, wagte es, ihm mit zärtlicher Bitte in die Augen zu schauen, welche nie lange zornig zu glühen vermochten, und sagte: »Wie Du gleich wieder auffährst! Es wird mir ganz gewiß weh thun, mich von Dir zu trennen; und siehst Du mir denn nicht an, daß ich Dir gut bin? Aber es geht und geht doch nicht! Ich, ich... ach, dürfte ich doch wieder in die Heimat zurück, mit Dir, gerade mit Dir! Und Dein Weib! Was für ein stolzer, schöner Gedanke das ist, und wie rührte ich so gern für uns beide die Hände, die ja geschickt und fleißig sind, aber...«
»Aber?« fragte er und streckte ihr das große, gerötete Gesicht mit einem Ausdruck entgegen, als hab’ er im Sinn, sie zu zermalmen.
»Aber um Deinetwillen geht es nicht, darf es nichts sein, nein, ganz gewiß nicht; denn so, so schlecht will ich Dir all Deine Güte nicht lohnen. Hast Du denn ganz vergessen, was ich war, was ich bin? Und Du? Als freier Mann kommst Du bald mit einem schönen Vermögen nach Hause und darfst von jedermann Achtung und Ehrerbietung verlangen; doch das wird anders, ganz anders, wenn Du ein Weib wie mich mit Dir schleppst, eine – und wär’ es auch nur eine frühere Sklavin!«
»Darauf also kommt es hinaus?« unterbrach er sie, und sein Blick erhellte sich wieder. »Das ist’s, was Dich ängstigt, Du armes Seelchen? Aber weißt Du denn nicht, wer ich bin, hab’ ich Dir nicht neulich erklärt, was ein Masdakit ist? Wir Masdakiten glauben und wissen, daß alle Menschen ursprünglich gleich sind, daß es besser stünde um diese pudelnärrische Welt, wenn es weder Herren gäbe noch Knechte; doch wie es zugeht auf Erden, so geht es eben zu. Der reine Himmelsherr duldet es wohl noch eine Weile; aber später, vielleicht schon bald, wird es ganz anders, und unsere Aufgabe ist es, den Tag der Gleichheit vorzubereiten. Mit ihm kommt das Paradies auf die Erde, und es wird für den Menschen kein Ueber und Unter, sondern nur noch ein Handinhand und Nebeneinanderstehen und Wandeln geben. Dann hört Krieg und Elend auf; denn was es Schönes und Gutes auf Erden gibt, das gehört allen gemeinsam, und jeder gibt und hilft dem andern so gern, wie er ihm jetzt nimmt und ihn schädigt und drückt. Wir schließen auch keine Ehen wie die anderen Menschen, sondern der Mann, der einem Weibe gut ist, sagt: ›Willst Du mein sein?‹ Und wenn das Herz es ihr rät, so folgt sie ihm in sein Haus, doch eins darf das andere verlassen, wenn es mit der Liebe vorbei ist, aber fester aneinander gehangen wie meine Eltern und Großeltern haben keine anderen Ehepaare unter Parsen und Christen, und so, ebenso wollen wir’s halten bis ans Ende; denn unsere Liebe, die soll uns stark zusammenbinden mit guten Seilen, die länger dauern als unser Leben. – Nun kennst Du die Lehre unseres Meisters Masdak, der schon mein Vater und Großvater gefolgt sind und die mir meine Mutter gepredigt, als ich noch klein war. Unser ganzes Dorf hängt ihr an, und es gibt da auch keine Sklaven, nein, das Land, das dem Dorfe gehört, das bearbeiten alle gemeinsam, und die Ernte teilen sie unter einander. Aber freilich, Fremde lassen sie nicht mehr zu, und ich muß mir das Meine schon anderwärts suchen. Doch Masdakit Die kommunistische Lehre Masdak’s charakterisirt der alexandrinische Bischof Eutychius, geb. 876 n. Chr., also. »Es hat Gott den Menschen das Ihre zugeteilt, damit du es gleichmäßig unter ihnen verteilest und keinem mehr zufalle als dem andern. Wenn aber einem mehr als billig an Vermögen, Weibern, Sklaven und beweglichem Besitz gehörte, dem wollen wir es entreißen, damit wir ihn und die anderen unter sich gleich machen.« bleib’ ich darum doch, und wähl’ ich mir eine frühere Sklavin zum Weibe, so handle ich nur nach der Lehre des Meisters und leist’ ihr Vorschub. Aber Du – eigentlich ginge Dich das gar nichts an; denn Du bist eines freien, braven Mannes Kind, den das ganze Land achtet, und eine Gefangene bist Du für die dort im Osten und keine Sklavin! Mich werden sie ehren als Deinen Befreier. Aber hätt’ ich Dich so, wie Du da bist, als letzte Sklavin eines Schweinehirten gefunden, ganz gewiß, auch dann wär’ ich gleich in den Beutel gefahren und hätte Dich losgekauft und Dich als mein Weib mit nach Hause genommen, und keiner von den Unseren, der Dich gesehen, hätt’ mir’s verdacht. Jetzt weißt Du’s, und nun ist’s hoffentlich aus mit dem Sperren und Zieren.«
Aber Mandane gab ihm noch immer nicht nach, sondern schaute ihn mit einem um Mitleid flehenden Blick traurig an und wies auf die Stelle ihrer verstümmelten Ohren.
Da zuckte er mit den Achseln und lachte: »Das, nun natürlich auch das noch. Du willst mir eben nichts schenken. Ja, hätt’ es die Augen betroffen, dann wär’ es aus mit dem Sehen gewesen, und ein blindes Weib kann kein Landmann brauchen, dann ließ’ ich Dich auch, wo Du bist. Aber so, sage selbst, Täubchen, hörst Du nicht scharf wie ein Vogel? Und die Vögel – so hübsche Tierchen – hast Du je einen mit Ohren gesehen, außer den garstigen Fledermäusen und Eulen? Dummes Zeug ist das alles. Und wer sieht denn überhaupt, was Dir fehlt, seit die Jungfrau Pul Dir die Haare so schön nach vorne gekämmt hat? Und nun gar zu Hause! Hast Du den Kopfschmuck unserer Frauen vergessen? Wenn da eine Löffel hat wie ein Hase; nur zu! Man sieht es ja doch nicht. Wie Du bist, Du cypressenwüchsige Lilie, siehst Du noch zehnmal schöner aus als die Hübscheste dort, und wenn sie statt zwei gleich drei oder vier Ohren hätte. Ein Mädchen mit drei Ohren! Denk einmal, Mandane: wohin kommt das dritte zu stehen?«
Wie lachte er dabei so herzlich, wie war er so froh, diesen Spaß gefunden, und was ihr leicht hätte weh thun können, so scherzhaft beiseite geschoben zu haben.
Doch seine laute Heiterkeit verfehlte die Wirkung und erweckte nur ein stummes Lächeln auf ihren Lippen, und auch dies verschwand schnell, und an seine Stelle trat, während ihr schönes Haupt tief auf die Brust sank, ein so schwer besorgter, bekümmerter Ausdruck, daß er weder mit dem Scherz fortfahren noch sie wieder hart anlassen konnte, sondern mitleidsvoll und mit leisem Kopfschütteln sagte: »So mußt Du mich nicht ansehen, Taube, ich kann’s nicht ertragen. Was liegt Dir wohl noch auf dem Seelchen? Mut, Mut, Schatz, und frei weg von der Leber geredet! Aber warte! Die Hand vor den Mund! Das, das kann ich Dir wohl ersparen. ‘s ist – mein armes, liebes Mädele! – es ist die alte Geschichte mit dem Sohn des Mukaukas.«
Da nickte sie ihm mit feuchten Augen bejahend zu, er aber stieß einen stechenden Seufzer aus und sagte: »Ich hab’ mir’s gedacht, richtig gedacht, armes Herzchen!«
Dann faßt’ er ihre Hand und fuhr treuherzig fort: »Das hat auch mir böse Stunden bereitet, hat nur da drinnen arg zu schaffen gemacht, und beinahe wär’s so weit gekommen, daß ich Dich darum sitzen gelassen und uns beide um Glück und Freude betrogen hätte. Aber ich bin zu rechter Zeit zur Vernunft gekommen. Nicht weil Frau Johanna – und was die spricht, das muß wohl wahr sein – mir vorgestern sagte, das mit dem – nun, Du weißt ja – das sei alles hin und vorüber; nein, diesmal ist die Vernunft aus mir selber gekommen; denn ich hab’ mir gedacht: so ein engelschönes, mutterloses, schutzloses Sklavending, das der junge Sohn des eigenen Herrn festhält, wie soll es sich wehren? Und das arme, liebe Herz, wie grausig bös es bestraft ward! Ach, Mädelchen, Mädelchen, heul nur! Mir steigt es ja auch schon ins Auge! ‘s hat so sein sollen, es ist so über Dich gekommen. Du und ich und der Großkönig und alle himmlischen Heerscharen, wer kann wohl noch etwas dagegen? Aber, siehst Du, ich armer Narr, ich versteh’, wie das gekommen, und verklage Dich darum nicht und hab’ Dir auch nichts zu verzeihen. Ein schweres Unglück ist’s eben gewesen. Aber es hat, gottlob, beizeiten sein Ende gefunden, und ich kann es ganz und gar vergessen, wenn Du mir nur sagst: ›Das alles ist aus und vorbei und liegt im Grab wie was Totes.‹«
Da zog sie, bevor er es wehren konnte, seine Hand mit ungestümer Zärtlichkeit an die Lippen und schluchzte: »So gut, so himmlisch gut, wie Du bist, Rustem, so gut gibt es keinen zweiten Menschen auf Erden, und dafür soll die Mutter Dich segnen! Mach mit mir, was Du willst. Und daß Du’s weißt, ja, vorbei ist alles, hin und vorbei, und muß ich doch noch einmal daran denken, so graut mir davor. Und so, gerade so, wie Du sagtest, ist’s wirklich gewesen. Die Mutter tot, und niemand da, um mich zu warnen und zu beschützen! Ich war kaum sechzehn Jahre alt, ein einfältiges, unerfahrenes Ding, und da rief er mich zu sich, und über mich ist es gekommen wie ein Traum, wenn man schläft, und als ich wieder erwachte...«
»Da sind wir,« unterbrach er sie und wischte sich die Augen und versuchte dabei zu lachen, »da haben wir mit Löchern im Kopfe neben einander gelegen, und wie es bei mir zu Hause immer am schönsten ist, wenn der harte Winterfrost vorbei und der Schnee zerschmolzen und alle Blumen im Thale auf einmal aufblühen, so geht es auch uns jetzt am Ende, mein Mädele. Gut, wunderherrlich soll es jetzt werden! Vorgestern, siehst Du, da war ich mit mir noch nicht im reinen; denn Dein Unglück, es ließ mir keine Ruhe und ging mir gegen den Strich; nun, Du kannst Dir’s schon denken. Aber dann, als ich später in meiner Kammer lag, und der Mond schien mir aufs Bett, da,« und nun fuhr er mit einem träumerischen Ausdruck, der sein derbes Antlitz eigentümlich verschönte, sinnend fort: »da mußt’ ich mich fragen: hat denn der Mond da oben nicht heut Abend wieder gute Erfrischung und schönes Licht gebracht, obgleich er doch in der Frühe versunken war im Meer? Und so ein Menschenherz, das einmal untergegangen war, kann es nicht auch wieder aufgehen blink und blank, wenn es sich recht abgebadet und ausgeruht hat? Und so ein Herz! Man möchte wohl seine Liebe für sich ganz allein, aber es kann sich doch mehr als einmal verschenken; denn, dacht’ ich mir, meine Mutter, wie ist sie so zärtlich gegen mich gewesen, und als noch ein Kind kam und noch eins, hat sie ihnen auch ihr Bestes gegeben, und ich bin darum nicht zu kurz gekommen, wenn sie mein jüngstes Schwesterchen an der Brust hielt, und auch dieses nicht, wenn sie mich hätschelte und küßte. So muß es auch sein! Und sie, dacht’ ich, hat sie auch schon einmal einen andern lieb gehabt, es bleibt darum doch für mich noch ein gutes Teilchen übrig an Liebe!«
»Ja, ja, Rustem, gewiß!« rief sie und schaute ihm mit dankbarem, thränenfeuchtem Blick in die Augen. »Was in mir ist von Liebe und Zärtlichkeit, Du allein, nur Du sollst es haben!«
Da rief er freudig:
»Na, das war ein Wort! Daran kann man sich halten! Das nenn’ ich mir einen Morgen! Als ein losgebundener Landfahrer hab’ ich mich unter die Sykomore gesetzt, und als künftiger Grundherr, den das schönste Weibchen auf Erden festhält am Hause, steh’ ich nun auf.«
Noch lange blieben sie unter dem schattenspendenden Laubdache sitzen, und er verlangte nichts als sie anzusehen und auf die alte Frage der Liebenden mit Lippen, Augen oder einem stummen Nicken Antwort zu erhalten. Ihre Hände rührten die Nadel nicht mehr; doch beide hätten diejenigen mitleidig belächelt, welche diesen Vormittag mit seiner sengenden, dörrenden Hitze unerträglich gescholten. Ein Turteltaubenpaar zu ihren Häupten war weniger unempfindlich gegen die Sonnenglut als sie; denn es hatte die Augen geschlossen, und des Weibchens Kopf ruhte schlaff auf dem dunklen Ringe am Halse des Männchens.
Achtunddreißigstes Kapitel.
So wenig wie das persische Liebespärchen, ließ sich der schwarze Wekil Obada von der Hitze des Tages beeinträchtigen. Er betrachtete die Statthalterei als sein Eigentum, und was er darin fand, erweckte in ihm großes Interesse, und nicht nur das der Habsucht; denn zunächst kam es ihm darauf an, hier Dokumente zu finden, welche sein Einschreiten gegen Orion und die Beschlagnahme seines Besitzes in Medina rechtfertigen konnten.
Dort waren große Dinge im Werke, und wenn die Verschwörung gegen den Chalifen Omar glückte, so hatte er nur noch wenig zu fürchten und durfte um so sicherer auf Billigung der neuen Machthaber hoffen, je höher die Summen, welche er bald nach Medina senden konnte, auch die größten überboten, welche sein Vorgesetzter jemals in den heimischen Schatz geschickt hatte.
Mit der Neugier und Begehrlichkeit eines Kindes schritt er von Raum zu Raum, betastete er alles, prüfte er die Weichheit der Polster, blickte er in Schriftrollen, die er nicht verstand, warf er sie bald wieder von sich, roch er im Zimmer der Verstorbenen an den Essenzen und Arzneien, deren sie sich bedient hatte, fletschte er vor Vergnügen die Zähne, wie er in ihrer Truhe wertvollen Schmuck und gemünztes Gold fand, steckte er sich den schönsten Diamantring an die ohnehin überladenen Finger und durchsuchte er zuletzt mit dem größten Eifer die Räume, welche Orion bewohnt hatte.
Sein Dolmetsch, der griechisch zu lesen verstand, mußte ihm dabei jedes vorhandene Schriftstück übersetzen, wenn es nicht Verse enthielt. Während des Zuhörens klimperte und riß er mit völlig unkundiger Hand in den Saiten der Leier des Jünglings umher, goß er von dem wohlriechenden Salböl des feinen jungen Herrn auf seine Hand und betupfte damit den Bart. Vor dem blanken Silberspiegel Orions hörte er nicht auf, Gesichter zu schneiden.
Zu seinem Verdruß wollte sich unter den hundert Sachen und Sächelchen, die hier umherstanden, nichts Verdächtiges finden, bis er, da er sich zum Aufbruch anschickte, in einem Korbe neben dem Schreibtisch einige fortgeworfene Schreibtäfelchen bemerkte. Sogleich wies er den Dolmetsch darauf hin, und so wenig Lesbares auf dem Diptychon Doppeltes, zusammenzuklappendes Schreibtäfelchen.
Stand, so wichtig erschien es dem Schwarzen; denn es lautete also:
»Orion, Sohn des Georg – an Paula, die Tochter des Thomas!
»Du hast schon vernommen, daß es mir unmöglich geworden ist, an der Rettung der Nonnen teilzunehmen. Verkenne mich darum nicht! Dein schöner und nur zu gerechtfertigter Wunsch, Deinen Glaubensgenossen Hilfe zu bringen, hätte genügt...«
Von hier an waren die in Wachs gegrabenen Zeichen geflissentlich verwischt und kaum ein einziges mehr zu entziffern, ja, es folgten den erhaltenen nur noch so wenige Linien, daß man glauben mußte, dieser Brief sei nie zu Ende geführt worden, und so verhielt es sich in der That.
Wenn er dem Wekil auch nichts Belastendes gegen Orion in die Hand gab, so ließ sich solches doch an ihn knüpfen; denn die Tochter des Thomas hatte sicher teil gehabt an dem Unternehmen, welches so vielen wackeren Muslimen das Leben gekostet, und durch den Wechsler in Fostat wußte der Schwarze, daß sie in nächster Verbindung mit dem Sohne des Mukaukas stand und ihm die Verwaltung ihres Vermögens anvertraut hatte. Beide mußten als Verbündete hingestellt werden, und als »Mitwisser« ward Orion jedenfalls durch das Schreiben bezeichnet.
Der Bischof Plotinus von Memphis, auf dessen Veranlassung die Verfolger ausgesandt worden waren, sollte ergänzen, was die Jungfrau verschwieg. Er war gleich nach der Anzeige des geplanten Streiches dem Patriarchen nachgereist und erst gestern früh von Oberägypten zurückgekehrt. Hier in Memphis hatte er dem Wekil zwei Klagen des Kirchenfürsten gegen Orion übersandt. Die eine betraf die Flucht der Nonnen, die andere die Unterschlagung eines kostbaren Smaragds, welcher der Kirche zukam, und beide hatten dem Schwarzen den Mut gegeben, den Besitz des Jünglings mit Beschlag zu belegen, zumal die bittere Form der Anklage des Patriarchen ihn lehrte, daß er in Benjamin einen Bundesgenossen besitze.
Paula mußte in Gewahrsam gebracht werden, und er zweifelte nicht, daß ihre Aussagen Orion in irgend einer Weise belasten würden. Am liebsten hätte er sie gleich verhört, doch gab es heute anderes für ihn zu thun.
Die längste Zeit nahm die Untersuchung des Rentamts in Anspruch. Diese wurde unter Führung seines Vorstehers Nilus unternommen. Alles, was der Beamte als Verschreibungen, Besitzinstrumente, Kauf– und Pachtkontrakte, Grundbücher und dergleichen bezeichnete, sowie die großen vorhandenen Summen in Gold und Silber wurden sogleich auf Ochsenwagen und Kamele geladen und unter sicherem Geleit über den Strom geführt. Die Akten und Dokumente aus früherer Zeit, das Familienarchiv und was damit zusammenhing, ließ der Schwarze dagegen unberührt. Ein unermüdlicher Mann war er gewiß; denn obgleich diese Arbeiten den ganzen Tag in Anspruch nahmen, gönnte er sich keine Erholung, ja er ließ sich nicht einmal einen Imbiß oder einen erfrischenden Trunk reichen. Je weiter der Tag vorschritt, desto häufiger fragte er nach dem Bischof, und zwar in immer ungeduldigerer, gereizterer Weise. Zu dem Patriarchen hätte er sich begeben müssen, aber wer war Plotin? Empfindlich wie alle Emporkömmlinge, sah er sein Ausbleiben für einen Akt persönlicher Nichtachtung an.
Doch der Hirt der Gemeinde von Memphis war kein hochmütiger Prälat, sondern ein bescheidener, frommer Mann. Sein Vorgesetzter, der Patriarch, hatte ihn in Oberägypten mit wichtigen Botschaften an den Feldherrn Amr oder dessen Vertreter betraut, und doch ließ er den Wekil vergeblich auf sich warten und sandte ihm auch keine Botschaft; wohl aber schickte seine alte Haushälterin am Nachmittag den Akoluthen, Gehilfe und Diener des Priesters. der ihm persönliche Dienste leistete, zu Philippus. Ihr sonst so rüstiger und wacher Herr hatte sich gestern wenige Stunden nach seiner Heimkehr bei hellem Tage niedergelegt und war nicht wieder aufgestanden. Glühend und dürstend schien er weder recht zu wissen, wo er sich befand, noch was ihn umgab.
Plotinus hatte immer behauptet, Gebet sei die beste Medizin für den Christen; als jedoch sein armer Körper erschreckend heiß geworden war, hatte die Haushälterin zum Arzt geschickt, doch war der Bote mit der Nachricht zurückgekommen, Philippus befinde sich auf Reisen.
Und so verhielt es sich in der That. Ein Brief des alten Haschim hatte ihn veranlaßt, Memphis zu verlassen. Der verunglückte Sohn des Kaufherrn wollte nicht genesen. Innere Organe schienen verletzt zu sein und sein Leben zu gefährden. Mit inniger Bitte beschwor nun der geängstigte Vater den Arzt, zu dem er das größte Vertrauen gefaßt hatte, nach Dschidda zu kommen, den Kranken zu untersuchen und seine Rettung in die Hand zu nehmen. Außerdem ließ er den Karawanenführer Rustem auffordern, sobald es seine Gesundheit erlaube, wieder zu ihm zu stoßen.
Dies Schreiben, das mit Grüßen an Paula schloß, deren Vater er mit allem Eifer aufsuchen lasse, hatte Philippus tief erregt.
Wie konnte er Memphis in dieser Zeit der Seuche und Not verlassen?
Und Frau Johanna und ihre Tochter!
Von der andern Seite zog es ihn um Paulas willen fort, nur fort in die Ferne, und wie gern hätte er das Seine gethan, um dem wackeren Greise den Sohn zu erhalten!
Trotz alledem wär’ er geblieben, wenn sich nicht sein alter Freund ganz unerwartet auf Haschims Seite gestellt und ihn beschworen hätte, die Reise zu unternehmen. Ueber die Frauen im Hause des Rufinus zu wachen sei seine Pflicht und sein Wille. Philipps Gehilfe könne ihn bei vielen Kranken vertreten, und die anderen würden auch ohne ihn sterben; habe er doch selbst versichert, daß sich kein Mittel recht gegen die Seuche bewähre. Ferner sei er, Philipp, ja noch vorhin der Meinung gewesen, die verlorene Ruhe in Paulas Nähe nicht wiederfinden zu können. Nun biete sich die günstigste Gelegenheit, in unauffälliger Weise die Flucht zu ergreifen, und zu gleicher Zeit, ein echtes Werk der Barmherzigkeit zu verrichten.
Und Philipp hatte nachgegeben und wenige Stunden später mit sehr gemischten Empfindungen die Reise angetreten.
Der alte Horus Apollon that gar wenig für das Behagen seiner eigenen Person, doch in einer Hinsicht sorgte er gut für sich selbst. Das Gehen ward ihm schwer, und da er in der Dämmerstunde freie Luft zu atmen und später die Sternwarte bisweilen zu besuchen liebte, hielt er sich stets einen Esel von der besten und edelsten Art. Für solch ein Tier hohe Preise zu zahlen, scheute er sich nicht, wenn es nur ganz seinen Wünschen entsprach, das heißt stark, zuverlässig, fromm und hellfarbig war.
Sein Vater und Großvater, die Isispriester, hatten stets weiße Esel geritten, und darum that er es gleichfalls.
In den letzten glühenden Wochen war er selten ins Freie gekommen, und auch heute wartete er die dem Sonnenuntergang vorangehende Stunde ab, um sein Versprechen zu halten.
In schneeweißes Linnen gekleidet, mit neuen Sandalen an den Füßen, frisch rasirt, in der Väter Weise durch eine schön geordnete, lange Perrücke, sowie durch einen Schirm vor dem Brand der scheidenden Sonne geschützt, bestieg er, überzeugt, für seinen äußeren Menschen das Mögliche geleistet zu haben, den schönen weißen Esel, und sein Aethiopier trabte zu Fuß hinter ihm her.
Es war noch hell, als er vor dem Hause des Rufinus anhielt.
So schnell hatte ihm das alte Herz lange nicht geschlagen. »Als ging es auf die Brautschau,« sagte er sich selbst mit leisem Spott. Nun, es galt ja auch, ein Bündnis für den Rest des Lebens zu schließen! »Wenigstens die Neugier,« warf er sich weiter vor, »sollte man mit den Haaren und Zähnen verlieren!« Aber sie war doch noch vorhanden, und er konnte sich nicht verhehlen, daß er auf das Aussehen des Weibes gespannt war, das er, ohne es je gesehen zu haben, haßte, weil es eines Präfekten und Patricius Tochter war und seinen Philipp unglücklich machte.
Während er abstieg, führte ein junges, zierliches Mädchen eine ältere Frau in kostbarer, doch einfacher Kleidung in den Garten. Das mußte das Bachstelzchen und Orions byzantinische Gastfreundin sein.
Wie schlecht sich das traf!
So viele Weiber auf einmal!
Ihre Gegenwart konnte ihn, den dem Verkehr mit Frauen entwöhnten, einsamen Forscher, nur hindern und stören. Doch, was half’s? So übel schienen die Ankömmlinge dabei gar nicht zu sein!
Das Bachstelzchen war ein wundernettes, kleines Mäuschen, auch ohne seine Millionen viel zu schade für den verruchten Statthaltersohn. Die Matrone, die hatte ein angenehmes, gutes Gesicht, ganz wie es Philippus beschrieben. Aber, und das verdarb alles, in dieser Gesellschaft durfte er des Todes des armen Rufinus, und darum auch seines Vorhabens nicht erwähnen, und so hatte er also um nichts und wieder nichts so viel Staub geschluckt und solche Hitze erduldet. Morgen mußte das alles schmählicherweise zum zweitenmal genossen werden!
Die ersten, denen er begegnete, waren ein hübsches, junges Paar. der Masdakit und Mandane. Keine Frage, sie mußten es sein, und so trat er denn auf sie zu, teilte Rustem den Wunsch seines Herrn mit und bot ihm in Philipps Namen an, ihm das Reisegeld vorzustrecken; doch der Karawanenführer schlug auf den Aermel, der ein hübsches Sümmchen in Goldstücken barg, und rief heiter:
»Alles vorhanden, auch für zwei Wanderer nach Osten! Meine Braut, wenn Du gestattest; die Zeit ist da, Täubchen! Fort geht’s, fort in die Heimat!«
Das alles rief die tiefe Stimme des großen Gesellen so glückselig, so übersprudelnd heiter, und das schöne Mädchen schaute dabei so froh, so verliebt und herzensdankbar zu ihm auf, daß dem Greise ganz vergnügt zu Mute wurde, und er, der in jeder Erscheinung eine Vorbedeutung erblickte, diese Begegnung für ein gutes Omen bei seinem Eintritt in das Haus ansah, welches vielleicht seine Heimat werden sollte.
Und schön wie sein Besuch begonnen, ging er zunächst weiter; denn die Witwe des Rufinus und ihre Tochter empfingen ihn überaus freundlich. Pulcheria rückte ihm gleich den Lehnsessel des Vaters hin und schob ihm ein Kissen hinter den Rücken, und das ging so still, so natürlich und liebreich vor sich, daß es seine alte Seele erwärmte, und er sich sagte, es heiße beinahe zu viel des Guten genießen, wenn einem täglich und stündlich dergleichen geboten werde.
Das Mädchen bekam auch etwas Freundliches, Spaßhaftes über seine Sorgfalt von ihm zu hören, und die Matrone aus Konstantinopel ging gleich auf den Scherz ein. Sie hatte ihn auf seinem schönen Esel bemerkt, lobte das Tier und wollte nicht glauben, daß er selbst die Achtzig schon überschritten. Seine Mitteilung, Philippus sei verreist, erregte Bedauern bei allen; ihn aber freute es, wahrzunehmen, daß Pulcheria bei dieser Nachricht zusammenschrak und sich darauf befangen zurückzog.
Was hatte dies Mädchen für ein liebes, reines, gutes und dabei hübsches Gesicht! Es sollte und mußte sein Töchterchen werden, und mitten im Gespräch mit den anderen, den kleinen Spässen Katharinas, den freundlichen Fragen der Matrone und Frau Johannas sah er vor dem geistigen Auge seinen Philipp – liebe Geschöpf da hinten als Mann und Frau, und bei und mit ihnen niedliche kleine Kinder, die um ihn herumspielten.
Zu trösten und mit zu klagen war er gekommen, und nun ward ihm hier eine so fröhliche Stunde zu teil, wie er sie lang nicht genossen.
Er war mit den anderen im Viridarium empfangen worden, das jetzt durch mehrere Lampen hell erleuchtet wurde, und gelegentlich schaute er auf die Thüren, die sich nach diesem Mittelraum des Hauses öffneten, und legte sich dabei zurecht, welche Bestimmung die verschiedenen Räume später erhalten sollten.
Da ließen sich hinter ihm leichte Schritte hören, die Matrone erhob sich, das Bachstelzchen eilte einer Eintretenden entgegen, und gleich darauf erschien, auch für ihn sichtbar, die hohe Gestalt einer in Trauergewänder gekleideten Jungfrau. Mit vornehmer Würde begrüßte sie die Matrone, warf Pulcheria und Frau Johanna einen Blick des herzlichen, mitleidigen Einverständnisses zu, und wie diese ihr des Greises Namen nannte, trat sie auf ihn zu und reichte ihm die Hand, eine marmorweiße, kühle, schlanke, echte Patriciushand.
Ja, schön, wunderbar schön war dies Weib! Ein gleiches erinnerte er sich kaum gesehen zu haben. Wahrlich ein tadelloses Meisterwerk des Schöpfers, ganz angethan, um wie eine unnahbare Göttin die Anbetung gehorsamer Verehrer herauszufordern; doch auf die seine mußte sie schon verzichten; denn in diesen Marmorzügen, deren Blässe das schwarze Gewand noch hervorhob, lag nichts, was ihn anzog. Aus diesen stolzen Augen drang kein erwärmendes Licht, in diesem herrlich gewölbten Busen konnte kein freundliches, liebreiches Herz schlagen. Bei ihrem Händedruck hatte ihn gefröstelt, und ihr Erscheinen schien ihm wie lähmend und erkältend auf die Anwesenden zu wirken.
Und so verhielt es sich in der That.
Paula war gerufen worden, um die Senatorsfrau und Katharina zu begrüßen. Jene, dachte sie, führe doch nur die Neugier zu ihr, und was mit Heliodora zusammenhing, stieß sie von vornherein ab. Zu dem Bachstelzchen hatte sie das Vertrauen verloren; denn vorgestern war der Akoluth, welcher im persönlichen Dienst des Bischofs von Memphis stand und dessen Kind Rufinus von einem Fußleiden geheilt hatte, bei Frau Johanna gewesen, um sie vor Katharina zu warnen, die seinem Herrn vor einigen Wochen ein wichtiges Geheimnis verraten, das sich auf ihren Gatten bezogen und Plotinus veranlaßt habe, sich sogleich nach Fostat zu begeben. Es war ja schwer, einer »Freundin« dergleichen zuzutrauen, aber diejenige, welche, wie sie selbst gestand, so gern in den Nachbargarten hinüberlauschte, und keine andere konnte dem Bischof mitgeteilt haben, was für die Nonnen ins Werk gesetzt worden war. Die bestimmten Mitteilungen des Akoluthen verboten, daran zu zweifeln.
Paulas Seele war nicht geneigt, Schlimmes von den Nächsten zu denken, doch unter solchen Umständen gewann es ihre offene, keiner Unwahrheit fähige Natur nicht über sich, der Kleinen anders als kühl zu begegnen, und mit je dringlicherer Zärtlichkeit Katharina sich an sie drängte, desto frostiger wies Paula sie zurück.
Dies alles sah der Greis, und die Art und Weise, in der die Damascenerin sich hier zeigte, hielt er für ihr ureigenes Wesen; den Patriciushochmut, die selbstsüchtige Herzenskühle und den kränkenden, zügellosen Stolz der verhaßten, nur durch Geburt edlen Sippen sah er in ihr verkörpert, in Fleisch und Blut stand es da vor ihm. Wie ihre gesamte Gattung, so haßte er dies Musterbild derselben, und sein Groll verzehnfachte sich, wenn er bedachte, was diese kalte Sirene seinem Herzenssohne zugefügt hatte, was sie ihm selbst noch anthun konnte, wenn sein Lieblingsplan durch sie unausführbar wurde; denn lieber wäre er in seinen letzten Tagen vereinsamt und selbst von Philipp getrennt geblieben, als daß er mit dieser da Tisch, Haus und Leben geteilt hätte, die dort wiederum die herzlich gemeinten Liebkosungen der niedlichen, kindlich harmlosen, kleinen Katharina mit empörender, eisiger Selbstüberhebung zurückwies. Der Bissen wäre ihm bei ihrem Anblick während der Mahlzeit im Munde gequollen; ihre hochfahrende Sprache auch nur im Nebenzimmer zu hören, hätte ihm die Lust an der Arbeit, der Druck ihrer kalten Hand beim Gutenachtgruß den Schlaf verdorben.
Auch jetzt ward ihm ihre Gegenwart bald unerträglich; sie kam ihm wie eine Herausforderung, eine Beleidigung vor, und wenn er je den Wunsch gehegt hatte, sie aus seinem und seines Lieblings Weg zu entfernen oder, mußte es sein, gewaltsam zu stoßen, so beherrschte er ihn jetzt.
Aufgebracht und verdrossen verabschiedete er sich von den anderen und würdigte Paula geflissentlich keines Blickes, wie sie, nachdem er sich erhoben, auf ihn zutrat, um freundlich mit ihm zu plaudern und ihm zu zeigen, wie hoch sie seinen Pflegesohn halte.
Pulcheria begleitete ihn in den Garten, und er versprach ihr, morgen oder übermorgen wiederzukommen, doch dann müsse sie Sorge tragen, daß er sie und ihre Mutter allein finde; denn er habe keine Lust, sich von dem Hochmut und Dünkel der Damascenerin zum zweitenmal »unter die Nase stoßen« zu lassen.
Pulcherias Versuch, die Freundin zu verteidigen wies er verdrossen zurück und trabte mit Verwünschungen auf den alten Lippen nach Hause.
Indessen hatte sich Frau Martina in ihrer vertraulichen, gemütvollen Weise Paula genähert. Sie war früher einmal ihren Eltern in Konstantinopel begegnet und erzählte von ihnen mit herzlicher Wärme. Das brach denn auch bei der Jungfrau das Eis, und als Frau Martina Orions, ihres »großen Sesostris«, und der allgemeinen Achtung und Beliebtheit, die er in Konstantinopel genossen, und seines Unglücks anerkennend und teilnehmend gedachte, sagte ihr die ältere Frau so sehr zu, daß sie jeden Rückhalt schwinden ließ und das Gespräch zwischen den neuen Bekannten eine immer lebhaftere, eingehendere und erfreulichere Gestalt annahm.
Beim Aufbruch empfanden beide, daß sie durch weiteren Verkehr miteinander nur gewinnen könnten, und als Paula während des Abschieds herausgerufen wurde und den Empfangsraum mit dem warmen, nur an Frau Martina gerichteten Abschied: »Auf Wiedersehen; doch an mir, der jüngeren, ist es natürlich, Dich aufzusuchen!« verlassen hatte, rief die Matrone:
»Welch ein Geschöpf! Wahrhaftig, die würdige Tochter eines herrlichen Vaters! Und die Mutter! O Frau Johanna! Ein lieblicheres Wesen hat diese garstige Erde selten geschmückt! Sie mußte so früh hingehen; sie war eben nur zu blühen bestimmt!« Dann wandte sie sich an Katharina und fuhr, indem sie ihr freundlich drohte, fort: »Wie falsch habt ihr bösen Zungen mir doch dies Mädchen beschrieben! Man spricht sonst von silbernen Kernen in goldener Schale, aber bei der sind beide von Gold. Ich kenne meine Menschen! Und ihr, ihr beide... himmlischer Vater... ich weiß schon, was euch armen Kätzchen die hellen Augen getrübt hat! Wie jedes zu sehen wünscht, sieht es am Ende. Ich wette, Du, Frau Johanna, teilst meine Ansicht: diese schöne Paula ist ein durch und durch edles Geschöpf! Ja, ein ›edles‹! Das ist ein pathetisches Wort, und, lieber Gott, wie oft kann man’s brauchen? Es ist mir sonst nicht geläufig, doch für die da weiß ich kein anderes, und für sie ist’s nicht schade!«
»Gewiß nicht!« versetzte die Gefragte aus voller Ueberzeugung; Frau Martina aber seufzte vor sich hin und dachte: »Arme Heliodora! Offen gestanden: Mein ›großer Sesostris‹ und Paula, die wären das richtige Paar. Doch, um Gottes willen, was macht man dann mit dem armen, verliebten, unglückseligen Weibchen?!«
Das zog durch ihren schnellen Geist, während Katharina sich zu rechtfertigen versuchte und beteuerte, daß sie ja Paulas große Eigenschaften anerkannt habe, aber stolz könne sie sein, so fürchterlich stolz! Sie habe vorhin der Frau Martina selbst ein Pröbchen davon zu kosten gegeben.
Da unterbrach sie Pulcheria, um mit allem Eifer für die Freundin einzutreten; doch auch sie kam nicht weit; denn im Vorsaal erhoben sich laute Männerstimmen, und plötzlich stürzte die Amme Perpetua mit verstörtem Gesicht herein und rief, ohne der Fremden zu achten:
»O, o Frau Johanna! Dies neue, entsetzliche Unglück! Da sind die arabischen Teufel wiedergekommen, und mit ihnen der Dolmetscher und Schreiber. Und man hat sie geschickt – barmherziger Heiland, ist es denn möglich? – und sie bringen einen Haftbefehl, und mein armes Kind soll mit ihnen fort, fort ins Gefängnis, durch die ganze Stadt, zu Fuß ins Gefängnis!«
Schluchzend schlug die treue Alte die Hände vors Antlitz, und ein furchtbarer Schreck bemächtigte sich aller.
Frau Johanna verließ stumm und bleich das Viridarium, und die Matrone rief:
»Ein ganz gräßliches, nichtswürdiges Land! Mein Gott, jetzt vergreifen sie sich sogar an uns Frauen... Kinder, Kinder – einen Stuhl her! Mir wird ganz übel! – Ins Gefängnis! Dies herrliche, einzige Geschöpf über die Straße geschleppt, ins Gefängnis! Wenn der Haftbefehl da ist, dann – dann muß sie hinein in den Kerker, davor kann kein Engel sie retten. Aber sie durch die Stadt zerren lassen, diese edle, wundervolle Jungfrau, als wär’ sie eine erbärmliche Diebin, das, nein, das ist unerträglich! Was ein Weib für das andere thun kann, das wenigstens soll nicht unterbleiben, so lang ich noch da bin und auf zwei festen Beinen stehe! Katharina, Kind, begreifst Du denn nicht? Was stehst Du noch da und glotzest mich an, als wär’ ich ein gefiederter Affe? Wozu fressen eure dicken Pferde den Hafer? Nun, noch nicht verstanden? Gleich, gleich springst Du hinüber und läßt den großen, geschlossenen Wagen, in dem man mich abgeholt hat, anspannen und in den Garten einfahren! Jetzt geht ihr endlich ein Licht auf! Und nun die Füßchen unter die Arme!«
Damit klatschte sie in die Hände, als wollte sie Hühner vom Gartenbeet treiben, und das Bachstelzchen mußte folgen.
Dann suchte sie nach ihrem Beutel, und als sie ihn fand, rief sie zuversichtlich:
»Gottlob. Jetzt kann ich mit den ungläubigen Schurken reden! Die Sprache« – und dabei ließ sie das Gold klingen – »verstehen alle! Komm, Frauchen, wo stecken die Strolche?«
Und der Matrone Allerweltssprache übte die gewünschte Wirkung; denn der Führer der Sicherheitswächter ließ sich unter Mitwirkung des Dolmetschers bestimmen, Paula zu Wagen ins Gefängnis zu führen, das Versprechen zu leisten, ihr dort gute Unterkunft zu verschaffen, und der alten Betta, welche unter heißen Thränen darauf bestand, zu gestatten, der Gefangenen in den Kerker zu folgen.
Paula behauptete bei dieser entsetzlichen Ueberraschung Würde und Fassung.
Erst als es galt, von Pulcheria und Maria, die sich außer sich an sie klammerte, und ihr mit Betta in den Kerker zu folgen begehrte, Abschied zu nehmen, konnte sie den Thränen nicht wehren.
Der Schreiber hatte ihr mitgeteilt, daß sie von dem Bischof Plotinus angeklagt worden sei, die Rettung und Flucht der Nonnen ins Werk gesetzt zu haben, und Frau Johanna fühlte, wie die Kniee ihr wankten, als Paula ihr leise ins Ohr raunte:
»Hütet euch vor Katharina! Nur sie kann uns verraten haben, doch wenn sie auch angegeben, was Rufinus für die Schwestern gethan, wir müssen es leugnen, fest und bestimmt. Fürchte nichts! Durch mich werden sie nicht das Geringste erfahren.« Dann fuhr sie mit erhobener Stimme fort: »Ich brauche euch nicht zu bitten, mich lieb zu behalten. Dank euch beiden, heißen, unsäglichen Dank für alles... Du, Pul« – und dabei zog sie, während Maria, fest an sie geschmiegt, das Köpfchen in ihr Gewand vergrub und bitterlich weinte, die Tochter zugleich mit der Mutter an sich – »Du, Pul, und Du, Frau Johanna, ihr habt eine elende Verlassene zu der Euren und glücklich gemacht, bis das Schicksal uns alle zusammen... Ihr wißt, ach, ihr wißt ja! – Und was ihr mir geschenkt, das schenkt jetzt meiner Maria! Und nun noch eins! Ach, da drängt der Dolmetsch schon wieder! Nur ein paar kurze Augenblicke Geduld! Wenn der Bote zurückkommt, und er bringt Nachricht von meinem Vater oder – Gott, Gott! – ihn selbst, dann laßt es mich wissen oder – gütiger Himmel! – führet ihn zu mir! Und bin ich nicht mehr, wenn er kommt, dann sagt ihm, ihn wiederzufinden, wiederzusehen, sei der heißeste Wunsch meines Lebens gewesen. Und dann« – diese Worte flüsterte sie Frau Johanna leise ins Ohr – »dann bitte den Vater, er solle Orion lieben wie seinen leiblichen Sohn. Und beiden sage Du, ich hätte sie geliebt bis ans Ende, so heiß, so unaussprechlich und innig.« Darauf rief sie laut und küßte dabei jeder einzelnen Augen und Lippen: »Ich lieb’ euch und behalte euch lieb, Dich, Frau Johanna, Dich, meine Pul, und Dich, Maria, mein süßes, einziges Herz!«
Da eilte ihr auch das Bachstelzchen mit ausgebreiteten Armen entgegen, doch Frau Johanna wies sie mit einer bedeutungsvollen Handbewegung zurück, und die innig Vereinigten schlossen sich zum letztenmal so eng zusammen, als seien sie eins, und als dürfe nichts Störendes, Fremdes ihnen nahen.
Dennoch versuchte Katharina noch einmal, sich Paula zu nähern, doch Frau Martina, deren feuchte Augen an den vier Abschiednehmenden hingen, hielt sie an der Schulter zurück und raunte ihr zu:
»Störe sie nicht, Mädchen! Solche Herzen ziehen schon von selbst an sich, wonach sie’s verlangt. Ich Alte möchte wohl wert sein, daß sie mich riefen!«
Da mahnte der Dolmetscher mit aller Strenge zum Scheiden; die drei Frauen ließen einander los, doch das Kind hielt sich fest an Paula geschmiegt, auch als sie auf die Matrone zutrat und sie aus freiem Antrieb umarmte.
Und Frau Martina nahm ihr Haupt zwischen die Hände, küßte sie innig und rief, ihrer Stimme kaum mächtig:
»Gott schütze und behüte Dich, Kind! Ich danke ihm, daß er mich mit Dir zusammenführte! So lauter und herzensrein wie ihr bleibt man nicht in der Residenz, doch als Freunde unserer Freunde, da halten wir Stich, wenigstens ich und mein Senator! Wenn Gott mir Gelegenheit dazu gibt, dann sollst Du’s erfahren. Alleinstehen brauchst Du nie, nie in der Welt, so lange der Justinus und sein Weib noch da sind. Das behalte, Kind; denn es ist ernst und ehrlich gemeint.«
Damit küßte sie Paula noch einmal, und wie diese ins Freie trat, um den Wagen zu besteigen, und auch die Griechin Eudoxia und Mandane, die sich bescheiden und still weinend zurückgehalten, einen Abschiedskuß gegeben und endlich dem buckeligen Gärtner und dem Masdakiten, denen dabei die Thränen an den Wangen herunterliefen, die Hand gereicht hatte, vertrat ihr Katharina den Weg, klammerte sich, tief verletzt und erregt, an ihren Arm und rief dringend:
»Und für mich, für mich hast Du gar nichts?«
Da befreite sich Paula von ihren Händen und flüsterte ihr zu:
»Dank für den Wagen. Du weißt, er bringt mich in den Kerker, und ich fürchte, Dein Verrat ist es, der mich dorthin führt. Irr’ ich mich, so verzeih mir, wo nicht, so wird Deine Strafe kaum leichter sein als mein Schicksal. Du bist noch jung, Katharina, versuch es, besser zu werden.«
Damit bestieg sie mit der alten Betta das Fuhrwerk und sah nur noch, wie Maria schluchzend in Frau Johannas Arme stürzte.
Neununddreißigstes Kapitel.
Die Witwe Susanna war der Damascenerin nie zugethan gewesen, doch ihr Schicksal erschreckte sie und erweckte ihr Mitleid. Man mußte nachfragen, ob es nicht angehe, ihr statt der Gefangenenkost bessere Nahrung in den Kerker zu schicken. Das war Christenpflicht, und ihrer Tochter schien das Unglück der Freundin auch sehr nahe zu gehen; denn wie sie mit Frau Martina zurückkam, sah sie so niedergeschlagen und verwirrt aus, daß es Fremden gewiß nicht eingefallen wäre, sie mit einem munteren Vögelchen zu vergleichen.
Wiederum hatte ein giftiger Pfeil sie getroffen.
Bisher war sie schlecht gewesen für sich allein, jetzt war sie es auch im Bewußtsein eines andern Menschen.
Paula wußte, daß sie sie verraten! Die Verräterin hatte einen Verräter gefunden. Die Verhaßte war berechtigt, sie für bös und hämisch zu halten, und das machte sie ihr noch tiefer verhaßt.
Wo wäre sie bisher nicht freundlich begrüßt und liebreich empfangen worden, und welche Abweisung hatte sie heute erfahren, nicht nur von Paula, sondern auch von Frau Martina, die etwas bemerkt haben mußte und deren herbe Zurückhaltung ihr vorhin unerträglich erschienen war.
Der alte Bischof trug schuld an dem allem; denn er war seinem Versprechen untreu geworden, ihren Verrat so geheim wie die Beichte zu halten. Ja, er mußte wortbrüchig geworden sein; denn sie besaß keinen Mitwisser. Vielleicht hatte er gar auch den Arabern ihren Namen genannt, und dann mußte sie Zeugnis vor Gericht ablegen, und in welchem Licht stand sie dann da vor Orion, ihrer Mutter, Frau Johanna und Martina?
Der alte Rufinus, sie hatte es wohl bemerkt, war bei dem Unternehmen zu Grunde gegangen, und das that ihr leid. Die Nachbarinnen hatten ihr ja immer nur Freundliches erwiesen, und sie wollte sie nicht gern unglücklich machen. Mußte sie vor Gericht alles bekennen, so konnte es auch ihnen übel ergehen, und sie wünschte niemand Böses außer denen, die sie um Orions Liebe betrogen.
Ja, das Zeugnis vor Gericht, das war das Schlimmste und mußte vermieden werden um jeden Preis.
Wo steckte nur der Bischof Plotinus?
Er war schon gestern heimgekehrt und noch nicht bei der Mutter gewesen, die er sonst tagtäglich besuchte. Auch hinter diesem Ausbleiben witterte sie Unheil. Es kam alles darauf an, den alten Herrn möglichst bald an sein Versprechen zu erinnern; denn wenn er morgen früh bei dem Verhör, dem er gewiß beiwohnen mußte, ihren Namen nannte, dann drangen die Häscher, die Dolmetscher und Schreiber auch in ihr Haus, und dann – brrr – sie hatte schon einmal Zeugnis ablegen müssen, und das, was darauf gefolgt war, das wollte sie nicht zum zweitenmal erleben.
Aber wie konnte sie heute oder wenigstens morgen in der frühesten Frühe zu dem Bischof gelangen?
Der Wagen war noch unterwegs, und wenn sie... Es fehlten noch zwei Stunden an Mitternacht... Ja, so mußte es gehen!
Ungesäumt begann sie mit der Mutter über das Ausbleiben des Prälaten zu reden. Auch Frau Susanna zeigte sich darüber besorgt, zumal sie gehört hatte, daß der alte Herr unwohl von der Reise zurückgekehrt und sein Diener umhergelaufen sei, um einen Arzt zu suchen.
Da erbot sich Katharina, sogleich bei ihm vorzufahren. Der Wagen sei angeschirrt, die Amme könne sie begleiten. Sie müsse hin zu dem würdigen Freunde und hören, wie es ihm gehe.
Frau Susanna fand das alles sehr schön, doch meinte sie, es sei sicher zu spät für dergleichen; aber ihr Liebling hatte einmal »ich muß« gesagt, und damit war die Frage von vornherein entschieden.
Frau Susanna streckte die Waffen, die Amme wurde gerufen, und sobald der Wagen vorfuhr, flog Katharina der Mutter um den Hals, versprach ihr, sich nicht lange aufzuhalten, und kurz darauf hielt das Fuhrwerk vor dem bischöflichen Palaste. Dort gebot sie der Amme, auf sie zu warten, und betrat allein das große, lang hingestreckte Gebäude.
In dem weiten Vorsaal, den nur ein bescheidenes Lämpchen erhellte, war alles still und leer, selbst der Thorhüter mußte ausgegangen sein; doch sie kannte hier Weg und Steg und trat durch das Impluvium in die Bücherei, wo der Bischof sonst zu dieser Stunde sich aufzuhalten pflegte. Aber es war dort dunkel, und niemand beantwortete ihr leises Rufen.
Im folgenden Zimmer, wohin sie sich mit einiger Befangenheit tastete, lag ein Sklave vor einem großen Weinkruge und einer Handleuchte und schnarchte. Sein Anblick beruhigte sie etwas. Das folgende Gemach war das Schlafzimmer Plotins, das sie noch nie betreten. Durch die geöffnete Thür schimmerte matter Lichtschein und klang ein wehes Wimmern und Röcheln.
Nun rief sie den Namen der Wirtschafterin einmal und wieder, doch sie erhielt keine Antwort. Auch der Sklave hinter dem Weinkrug regte sich nicht, wohl aber hörte sie eine ihr wohlbekannte Stimme, die aus dem Schlafgemach, mehr stöhnend als sprechend, fragte:
»Wer ist da? Kommt er? Hast Du ihn endlich?«
Die ganze Dienerschaft des Bischofs war aus Furcht vor der Krankheit entflohen, und so auch der Akoluth, welcher Weib und Kinder besaß. Die Wirtschafterin hatte ihren Herrn verlassen müssen, um des Arztes, der schon einmal dagewesen, von neuem habhaft zu werden. Der letzte zurückgebliebene Sklave, ein treuer, gutmütiger, leichtsinniger Säufer, sollte indessen die Pflege übernehmen, doch er hatte sich einen Weinkrug aus dem unbewachten Speicher geholt, ihn schnell geleert, und war dann, von Trunkenheit und der drückenden Schwüle dieser Nacht überwältigt, entschlummert.
Katharina gab sich sogleich zu erkennen und hörte sich mit einem freundlichen, aber mühsam herausgestoßenen: »Ah, Du, Du, meine Kleine!« begrüßen.
Nun ergriff sie die Handleuchte und trat damit auf den Kranken zu.
Dieser hatte ihr die mageren Arme zum Willkommen entgegengestreckt, doch als sich zugleich mit ihr auch die Leuchte näherte, schlug er die Hände vor die lichtscheuen Augen und rief ängstlich und schmerzlich:
»Nicht, nicht, das thut weh; fort mit der Lampe!«
Da stellte Katharina sie auf die niedere Truhe hinter dem Kopfende des Bettes, trat dem Leidenden mit freien Händen näher, bestellte ihm die Grüße der Mutter und fragte ihn, wie er sich befinde, und warum er so allein sei; er aber gab ihr nur undeutliche, mühsam hervorgeröchelte Antworten und bat sie, näher zu treten, weil er sie nicht deutlich verstehe. Es gehe ihm schlecht, er werde wohl sterben. Es sei schön von ihr, daß sie komme, sie sei immer sein Liebling gewesen, seine kleine, fromme Katharina. »Und es zieht Dich wohl her, Kind,« schloß er, »um Dir den Segen des Alten zu holen. Von ganzem Herzen sollst Du ihn haben.«
Dabei streckte er ihr freundlich die Hand hin, sie aber folgte einem inneren Drange und kniete gerührt vor dem Lager nieder.
Da legte er ihr die heiße Rechte auf den Scheitel und murmelte segnende Worte; sie aber hörte sie kaum; denn seine Hand schien ihr schwer wie Blei, und ihre Glut that ihr weh und beängstigte sie furchtbar. Ihn, den alten, treuen Freund ihrer Kindheit, so leiden, vielleicht sterben zu sehen, verursachte ihr aufrichtigen Schmerz, indessen vergaß sie doch nicht, was sie hieher geführt; aber wie durfte sie ihn bei seinem Liebeswerk stören?
Er segnete sie, das war so freundlich, doch das Gemurmel nahm und nahm kein Ende, und die Last der glühenden Hand auf ihrem Haupt ward schwerer und schwerer und zuletzt unerträglich. Ihrer selbst kaum mehr mächtig, raffte sie sich zusammen; und nun nahm sie wahr, daß der Greis statt der üblichen Segensformeln nur unverständliche, zusammenhanglose Worte murmelte.
Da befreite sie sich von der heißen, schrecklichen Hand, legte sie auf das Bett zurück und wollte ihn fragen, ob er sie verraten und dem Patriarchen ihren Namen genannt habe, doch, großer Gott, da waren ja an seinen Wangen dieselben dunklen Flecken wie auf denen des Verseuchten im Hause der Lockenmedea, und mit einem Schrei des Entsetzens sprang sie auf und riß das Lämpchen von der Truhe, und während sie dem Leidenden, ohne seines schmerzlichen Aufschreis zu achten, ins Antlitz leuchtete, zog sie ihm die matten Hände, mit denen er die Augen vor dem Lichtschein zu schützen suchte, gewaltsam beiseite und stürzte, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß sie richtig gesehen, von Raum zu Raum in den Vorsaal.
Hier trat ihr die heimkehrende Wirtschafterin entgegen, nahm ihr die Leuchte aus der Hand und wollte sie mit Fragen aufhalten, sie aber rief ihr nur zu:
»Ihr habt die Seuche im Haus! Laß das Thor verschließen!« und eilte an dem Arzte vorbei ins Freie. Mit einem raschen Sprung war sie im Wagen, und wie die Pferde anzogen, wimmerte sie der Amme zu. »Die Seuche, die Seuche ist dort – Plotin hat die Seuche!«
Die erschreckte Frau versuchte Katharina zu beruhigen und versicherte, daß sie sich irren müsse; denn solche höllischen Dinge wagten sich nicht an einen so heiligen Mann; doch das Mädchen würdigte sie keiner Antwort und befahl ihr nur, gleich nach der Heimkehr ein Bad für sie zu bestellen.
Sie fühlte sich wie niedergeschmettert, und an der Stelle, wo die heiße Hand des verseuchten Greises so lang gelegen, empfand sie unaufhörlich einen starken, widrigen Druck; ja als der Wagen endlich in den Garten einfuhr, war ihr immer noch, als belaste etwas Warmes, Schweres, nie zu Beseitigendes, Gräßliches ihren Scheitel.
Die Fenster des Hauses waren schon dunkel; nur aus dem Zimmer zu ebener Erde, das Heliodora bewohnte, glänzte ihr noch Licht entgegen.
Da schoß ihr ein teuflischer Gedanke durch das überreizte, unruhige Gehirn, und ohne nach rechts und links zu schauen, gab sie ihm nach und trat, wie sie ging und stand, in das Wohngemach und dann durch einen Vorhang in das Schlafzimmer ihres schönen Gastes.
Da lag Heliodora, immer noch von dem Kopfschmerz geplagt, der sie gehindert hatte, an dem Besuch im Nachbarhause teilzunehmen, im Bette und bemerkte den späten Besuch erst, als er dicht vor ihr stand und sie begrüßte.
Eine einzige Lampe erhellte den großen Raum mit bescheidenem Licht, und so anmutig wie in ihrem dämmernden Schein war die junge Frau der Kleinen noch nie erschienen. Ein Nachtgewand von dem feinsten, durchsichtigen Gewebe verbarg nur halb ihre schönen Formen. Von dem vollen blonden Haar ging wohl der wundervoll feine, kaum merkliche Wohlgeruch aus, der diese Glückliche stets umgab. Wie zwei schimmernde Schlangen lag es in schweren Flechten über ihrem herrlich gewölbten Busen und dem weißen Betttuch. Das aufwärts gerichtete Gesicht war unendlich lieblich und still, ja sie glich, wie sie so dalag und Katharina zulächelte, einem von freundlichem Wohlthun ermüdeten Engel.
Dem Reiz dieser Frau konnte kein Mann widerstehen, und auch Orion war ihm verfallen.
Vor ihr lag eine Laute, der sie ganz leise, einschmeichelnde Töne entlockte, und diese steigerten noch den bestrickenden Reiz, den ihr Anblick ohnehin übte.
Katharinas ganzes Wesen befand sich in Aufruhr, und sie wußte nicht, wie es ihr gelang, Heliodoras Gruß zu erwidern und sie zu fragen, ob es denn möglich sei, mit schmerzendem Haupt die Leier zu schlagen.
»So leise mit den Fingern über die Saiten streichen, das beruhigt, das sänftigt das Blut,« antwortete sie freundlich. »Aber Du, Kind, Du siehst aus, als littest Du schwerer als ich. Kamst Du mit dem Wagen, der eben vorfuhr?«
»Ja,« versetzte Katharina. »Ich war bei unserem lieben alten Bischof; er ist sterbenskrank, und auch er wird uns bald entrissen. Ach, dieser Tag! Erst Orions Mutter, dann Paula, und nun auch das noch! O Heliodora, Heliodora!«
Dabei warf sie sich vor dem Lager auf die Kniee und schmiegte das Antlitz an die von Mitleid bewegte Brust der ruhenden Frau.
Diese sah die feuchten Augen des Mädchens, welche sich von selbst und ohne Zwang mit Thränen gefüllt hatten, und ihr weiches Herz ward mit ergriffen von dem Weh des frohen Geschöpfchens, dem schon früh so viel Schweres auferlegt ward, und sie beugte sich über die Kleine, küßte ihr freundlich die Stirn und sagte ihr tröstende Worte.
Und Katharina schmiegte sich fester an sie und wies auf die Stelle an ihrem Scheitel, auf der die heiße Hand des Seuchekranken gelegen, und sagte:
»Hieher, küsse mich hieher; hier, hier schmerzt es am meisten! Ja, so ist es gut, das thut wohl!«
Und während der frische Mund der weichherzigen, jungen Frau sich mit ihrem verpesteten Haar vermählte, schloß sie die Augen, und es ward ihr zu Mut wie dem Fechter, der die Waffen bisher nur auf dem Uebungsplatz gebrauchte und sie nun zum erstenmal in der Arena benützt, um dem Gegner das Herz zu durchbohren. Wie eine Fremde, größer als sie selbst kam sie sich vor; ja, sie war wie der alles bändigende Tod und hauchte sich selbst in die Brust ihres Opfers.
Diese Empfindungen beherrschten sie ganz, während sie auf dem weichen Teppich kniete, und sie bemerkte nicht, daß sich auf demselben eine Frauengestalt dem Lager ihrer Trösterin näherte, und ward auch nicht gewahr, wie diese der andern verständnisvoll zuwinkte.
Doch während sie von neuem ausrief: »Noch einen Kuß hieher; da brennt es so schrecklich!« fühlte sie zwei Hände an ihren Schläfen, und zwei andere Lippen als die Heliodoras preßten sich fest auf ihren Scheitel.
Da schlug sie überrascht und erschrocken die Augen auf und sah in das lächelnde Antlitz der eigenen Mutter, die ihr nachgeeilt war, um zu hören, wie sie den Bischof gefunden, und die es dann verlangt hatte, auch einen Anteil an der Linderung der Pein ihres Lieblings zu haben.
Wie hübsch war der kleine, unerwartete Ueberfall gelungen!
Aber was überkam denn da ihre Kleine?
Wie vom Blitz getroffen, wie von einer Natter gestochen, sprang sie in die Höhe, schaute sie ihr entsetzt in die Augen, und als Frau Susanna ihr Köpfchen noch einmal fest zu halten versuchte, um ihr wiederum die verruchte, schmerzende Stelle zu küssen, stieß Katharina sie von sich und lief, ihrer selbst nicht mächtig, durch das Wohnzimmer in den Vorsaal und von dort aus die wenigen Stufen hinunter, die in den Baderaum führten.
Die Mutter schaute ihr verdutzt und kopfschüttelnd nach. Dann wandte sie sich an Heliodora, zuckte die Achseln und sagte mit feuchten Augen: »Arme, arme Kleine. Es kommt gerade jetzt auch gar zu viel Trauriges für sie zusammen. Wie ein heller Sonnentag war noch vor kurzem ihr Leben, und nun schlägt der Hagel von allen Seiten auf sie ein. Gewiß bringt sie traurige Nachrichten vom Bischof.«
»Er soll sterbenskrank sein,« entgegnete die junge Frau mitleidig.
»Unser bester, treuster Freund,« schluchzte die Witwe. »Ja, es ist, ist wahrlich zu viel! Oft mein’ ich, ich müßte selbst unterliegen, und nun erst sie, das kaum erwachsene Kind! Und mit welcher Ergebung trägt sie das Schwerste! O Frau Heliodora, Du weißt ja lange nicht alles, was sie betroffen, doch vielleicht hast Du bemerkt, wie sie immer nur bedacht ist, fröhlich zu scheinen, um mir das Herz zu erleichtern. Kein Seufzer, keine Klage ist bis jetzt über ihre Lippen gekommen. Wie eine Heilige fügt sie sich in alles, ohne zu murren. Aber nun, da es auch den alten, lieben Freund trifft, nun hat sie zum erstenmal die Fassung verloren. Sie weiß ja, was Plotinus mir war...«
Dabei brach sie in erneutes Schluchzen aus, und nachdem sie sich einigermaßen beruhigt, entschuldigte sie sich wegen ihrer Schwäche und verabschiedete sich von dem schönen Gaste.
Indessen befand sich Katharina im Bade.
Ein solches gehörte zu den vorzüglichsten Bestandteilen eines jeden reichen griechisch-ägyptischen Hauses, und ihr verstorbener Vater hatte das seine mit besonderer Liebe herstellen lassen.
Es bestand aus zwei Abteilungen, eine für Männer, eine für Frauen, die beide gleich prächtig ausgestattet waren.
Weißer Marmor, gelblicher Alabaster, brauner Porphyr überall, und am Fußboden schöne byzantinische Mosaik auf goldschimmerndem Grunde. Kein Bildwerk wie in heidnischen Bädern, doch dafür an den Wänden Bibelsprüche in goldener Schrift, und ein Kruzifix über den mit Giraffenfell überzogenen Polstern. Aus dem Mittelfelde der kassettirten Decke, welches wie herausfordernd mit dem Hauptsatze des jakobitischen Bekenntnisses: »Wir glauben an die eine, einzige göttliche Natur Jesu Christi,« in koptischer Schrift und Sprache umgeben war, hingen silberne Lampen.
Das große Bassin hatte sofort für Katharina gefüllt werden können, da die Badeöfen allabendlich für die Frauen des Hauses geheizt werden mußten.
Beim Auskleiden wies ihr die Zofe eine erkrankte Dattel. Der Obergärtner hatte sie ihr gezeigt, nachdem er heute Mittag wahrgenommen, daß die Pflanzenseuche auch seine Palmen ergriffen.
Doch die Dienerin bereute bald ihre Redseligkeit; denn nachdem sie hinzugefügt, daß der brave Schuster Anchhor, der ihr noch vorgestern die hübschen neuen Sandalen gebracht, nun auch der Seuche erlegen, ward sie übel angeherrscht und zum Schweigen verwiesen. Aber während sie vor Katharina kniete und ihr die Sandalen von den Füßen löste, ging diese dennoch auf ihre Erzählung ein und fragte, ob auch die hübsche junge Frau des Schusters von der Seuche ergriffen worden sei. Da versetzte das Mädchen, die sei noch am Leben, doch man habe die alte Schwiegermutter und die Kinder in das Haus eingeschlossen und auch die Fensterladen versperrt, nachdem man die Leiche des Mannes hinausgetragen. Die Buleuten hätten befohlen, es überall so zu halten, damit die Krankheit nicht auf die Straße dringe oder durch die Gesunden weiter verschleppt werde. Speise und Trank reiche man den Eingesperrten durch eine verschließbare Oeffnung in der Thür. Solche Maßregeln, fügte sie hinzu, seien doch besonders wohl bedacht und weise. Aber sie hätte dies Urteil für sich behalten sollen; denn bevor sie damit zu Ende gekommen, trat Katharina sie erbost mit dem Fuße. Dann ward ihr anbefohlen, das Smegma Unsere Seife, welche indessen nur in ungehärtetem Zustande gebraucht wurde. nicht zu schonen, und ihr das Haar so tüchtig auszuwaschen wie möglich.
Das geschah denn auch, und Katharina rieb sich selbst Hände und Arme mit leidenschaftlichem Eifer. Darauf ließ sie sich wieder und wieder Wasser über das Haupt gießen, und nachdem sie damit innezuhalten geboten, lehnte sie sich atemlos und wie erschöpft an den Marmor.
Trotz des Smegmas und Wassers empfand sie den Druck der heißen Hand noch immer auf dem Scheitel, und es war ihr, als werde auch ihr Herz von einem unsichtbaren Bleigewichte belastet.
Die Mutter, die Mutter!
Sie hatte sie dahin geküßt, wo die Seuche mit ihr in Berührung gekommen, und vor ihrem inneren Ohre hörte sie sie röcheln und um einen Schluck Wasser betteln wie die Sterbenden, zu denen sie das Schicksal geführt. Und dann – dann kamen die Diener des Senates und schlossen sie mit der Kranken in dem verpesteten Haus ein, und sie sah die Seuche vor sich wie eine grausame, hämische Hexengestalt, und hinter ihr reckte und streckte ihr unerbittlicher Begleiter, der Tod, die Knochenhand aus und griff nach der Mutter und allen, allen, die sie umgaben, und auch nach ihr.
Da sanken ihr die Arme, und wenn sie sich heute früh mächtig und furchtbar gefühlt, so ward sie jetzt von der Empfindung der erbärmlichsten, schwächlichsten Ohnmacht niedergedrückt.
Gegen ein Menschenkind, eine schwache, zarte Frau, war ihre Herausforderung gerichtet gewesen, und Gott und das Schicksal hatten sich an Heliodoras Stelle auf den Kampfplatz gestellt.
Dieser Gedanke machte sie frösteln, und wie sie eben dem Bade entstieg, trat ihre Mutter in die Halle und rief: »Noch immer hier, Kind? Wie Du mich erschreckt hast! Ist es denn wahr? Wäre Plotins Krankheit wirklich mit der Seuche verwandt?«
»Mehr als das, Mutter,« versetzte sie dumpf; »er hat die Seuche, und mir fiel da ein, daß man sich baden, muß, wenn man in einem verpesteten Hause gewesen und Du hast mich doch auch berührt und geküßt. Bitte, laß wieder feuern, so spät es auch ist, und bade doch auch.«
»Aber, Kind!« lachte die Witwe; doch Katharina ließ ihr keine Ruh’, bis sie ihr nachgab und versprach, sich des Bassins in der Männerabteilung zu bedienen, das seit dem Ausbruch der Seuche von niemand benützt worden war.
Wie Frau Susanna allein war, lächelte sie still und dankbar vor sich hin, und während des Bades erhob sie Herz und Hände und betete für das gute, so zärtlich für sie besorgte einzige Kind.
Katharina begab sich auf ihr Zimmer, nachdem sie sich erkundigt, ob auch die Kleider, welche sie vorhin getragen, dem Feuer in der Badeheizung zum Opfer gefallen.
Mitternacht war vorüber, doch sie befahl der Zofe, zu warten, und legte sich nicht zu Bette.
Sie hätte doch keine Ruhe gefunden.
Es zog sie hinaus auf den Altan, und sie ließ sich dort auf ihrem Schaukelstuhl nieder.
Die Nacht war heiß und schwül. Jedes Haus, jeder Baum, jede Mauer strahlte die Wärme aus, womit sie sich bei Tage gesättigt. Auf der Nilstraße zog erst eine lange Prozession mit Bittgängern dahin, dann kam ein Leichenzug, und ihm folgte bald darauf ein zweiter, beide so dicht von Staubwolken umhüllt, daß das Licht der Fackeln ihrer Begleiter nur wie Kohlen unter der Asche zu glimmen schien.
An der Seuche Verschiedene, die bei Tage nicht zur Ruhe gebracht werden durften, wurden da bestattet. Der eine Leichenzug, so schwebte es ihr vor, war der Heliodoras, der andere ihr eigener oder, und dabei durchschauerte es sie kalt, der ihrer Mutter. Und das Leichengefolge schwankte in seiner Staubwolke weiter und hielt still an der Nekropole, und der Schlitten mit dem Sarg kehrte leer und mit glühenden Kufen zurück; sie aber hatte nicht zu den Leidtragenden gehört; denn sie war eingeschlossen worden in dem verpesteten Hause. Und als es sich wieder öffnete – sie sah das alles vor sich wie wahr und wirklich – da hatte man im Hofe der Gerichtshalle zwei Häupter gefällt: Orions und Paulas, und sie, sie war nun allein, ganz allein und vereinsamt. Die Mutter lag neben dem Vater im Staube des Friedhofs, und wer fragte nach ihr, wer sorgte für sie, wer war ihr Beschützer? Wie ein Baum ohne Wurzel, wie ein ins Meer verwehtes Blatt, wie ein aus dem Nest gefallener, unflügger Vogel stand sie da in der Welt. Und nun kam ihr zum erstenmal seit jener Nacht, in der sie falsches Zeugnis geredet, alles in den Sinn, was ihr in der Schule und Kirche von den Strafen der Hölle berichtet, gepredigt, angedroht worden war, und sie sah vor sich die Sitze der Verdammten und das heiße, glühende Flammenmeer, worin Mörder, Ketzer und falsche Zeugen...
Aber was war das?
Hatte die Hölle sich wirklich geöffnet, und lohten ihre Flammen durch die geborstene Schale der Erde gen Himmel? Hatte auch das Firmament sich aufgethan und ergoß lohende Glut und schwarzen Qualm über den Norden der Stadt?
Entsetzt sprang sie auf und starrte hin auf die furchtbare Erscheinung.
Das ganze Firmament schien in Flammen zu stehen, und dichter Rauch, glühende Lohe und Milliarden von stiebenden Funken erfüllten den Raum zwischen Erde und Himmel. Eine alles vernichtende Feuersbrunst schien Stadt und Strom und das nächtliche Sternengewölbe zugleich ergriffen zu haben, und nun erhoben all die metallenen Herolde, welche sonst die Gläubigen in die Kirche riefen, die Stimme, und auf der stillen Straße vor ihr ward es lebendig, mit Tausenden füllte sich der vereinsamte Weg, Geschrei, Geheul und wildes Befehlen und Rufen scholl zu ihr empor, und in dem Stimmengewirr unter und vor ihr unterschied sie die Worte »Statthalterei«, »Araber«, »Mukaukas«, »Orion«, »Feuer«, »Löschen« und »Retten«.
Und nun rief der alte Obergärtner von dem Lotosteiche her zu ihr hinauf: »Die Statthalterei steht in Flammen. Bei dieser Dürre! Gott der Barmherzige behüte die Stadt!«
Da wankten dem Bachstelzchen die Kniee, und als es mit einem leisen Aufschrei nach einem Halt suchte, um sich zu stützen, da fingen zwei Arme sie auf, von denen sie sich in der letzten Zeit so gern frei gemacht hatte, die ihrer Mutter, der Mutter, die sich über das einzige Kind gebeugt hatte, um sich von seinem verpesteten Scheitel mit einem zärtlichen Kuß den Tod zu pflücken.
Vierzigstes Kapitel.
Die Statthalterei, der Stolz und die Zierde von Memphis, der große, reiche Sitz des ältesten, vornehmsten Geschlechtes des Landes, das letzte Haus, aus dem eine lange Reihe von ägyptischen Männern hervorgegangen war, welche auch die Griechen würdig befunden, den Kaiser zu vertreten und die höchsten weltlichen Würden zu bekleiden, die Hochburg einheimischen Lebens lag in Asche, und wie der Waldriese, den der Sturm zu Fall bringt, viel niedriges Gewächs bei seinem Sturze zerknickt und umbringt, so zerstörte der Brand der Statthalterei einige hundert kleinere Häuser.
Von dem morschen Schiff Memphis hatte diese Nacht Mast und Steuer und außer ihnen viele Planken gerissen. Wie ein Wunder mußte es erscheinen, daß nicht das ganze in Asche hinsank, und nächst dem Willen Gottes hatte man dies dem schwarzen Brandstifter selbst und seinen Arabern zu danken.
Mit kühler und kluger Berechnung war diese Frevelthat begonnen und zu Ende geführt worden. Während der Durchsuchung des weitläufigen Gebäudes hatte Obada für seinen Zweck günstige Stellen ausgesucht, und zwei Stunden nach Sonnenuntergang mit eigener Hand, heimlich und von niemand bemerkt, Feuer auf Feuer entzündet. In Fostat waren die Truppen, deren er sich später zu bedienen wünschte, unter den Waffen gehalten worden, und als dann erst im Rentamt und gleich darauf an drei anderen Stellen der Statthalterei das Feuer ausbrach, wurden sie herangezogen und aufs umsichtigste verwandt.
Was dieser alte Sitz eines reichen Geschlechts an besonders wertvollen Kostbarkeiten geborgen, selbst die große Zahl der edlen Rosse in den Ställen, war in Sicherheit gebracht worden, die Besitztitel über Ländereien, Sklaven und dergleichen lagen wohlgeborgen in Fostat, aber die Flammen verzehrten dennoch eine Fülle von unschätzbaren, nie wieder herzustellenden Dingen. Edle Kunstwerke, Schriften und Bücher, die nur noch hier aufbewahrt worden waren, alte, herrliche Pflanzen und Bäume aus allen Zonen, Geräte und Webereien, welche das Entzücken der Kenner gewesen, gingen in Massen zu Grunde. Aber das alles beklagte der Brandstifter nicht; denn damit sank die Möglichkeit in Asche, ihm nachzuweisen, was und wie viel ihm mit dem Untergang der Statthalterei in die Hände gefallen.
Mochte man ihn im schlimmsten Falle wegen seines kühnen Vorgehens des Amtes entsetzen! Von allen Städten, die er auf den Eroberungszügen des Islam berührt, hatte ihn keine so angesprochen wie Damaskus, und er besaß nun die Mittel, dort die zweite Hälfte des Lebens in üppigem Wohlsein zu genießen.
Es mußte ihm alles daran liegen, außer der Statthalterei so wenig wie möglich von den Flammen vernichten zu lassen; denn eine wie geschickte Handhabe gegen ihn hätte es seinen Feinden geboten, wenn das alte, berühmte Memphis durch seine Schuld völlig zu Grunde gegangen wäre? Und er war der Mann, mit dem furchtbaren Element den Kampf aufzunehmen.
Und in der That fiel kein anderes Haus der Nilstraße dem Feuer zum Opfer, wohl aber hatte die von leichtem Südwinde bewegte Luft brennende Stoffe nach Nordwesten getragen, und von ihnen waren einige Häuser im Armenviertel, am Saume der Wüste, entzündet worden. Dorthin mußte sich nun die Hauptmacht der Löschenden und Rettenden wenden, und hier wie der Statthalterei gegenüber handelte er nach dem Grundsatz, aufzugeben, was nicht sicher bewahrt werden konnte.
So fiel ein ganzes Stadtviertel den Flammen zum Opfer, hunderte von dürftigen Familien verloren Hab und Gut, und dennoch wurde er, dessen ruchlose Habsucht so viele ins Elend gestürzt, gefeiert und bewundert; denn er war bald am Strome, bald am Saume der Wüste, immer da, wo die Gefahr den Gipfel erstieg, wo man die Gegenwart des Führers am nötigsten brauchte. Hier sah man ihn mitten im Feuer, dort mit eigener Hand die Axt schwingen, bald zu Pferde die Linie abreiten, auf der dürres Gras umzugraben und mit Wasser zu tränken war, bald zu Fuß den Schlauch der erbärmlichen Spritzen richten oder einen Balken, der über die gezogene Grenze hinausgefallen, mit herkulischer Kraft in die Flammen zurückschleudern. Seine schrille Stimme überschrie, seine Riesengestalt überragte alles, an seinem schwarzen Gesicht mit den funkelnden Augen und Zähnen hing jeder Blick, und sein Beispiel riß die Araber mit fort. Sein Kommandoruf machte aus der Brandstätte ein Schlachtfeld, todesmutig und bereit, die Kräfte anzuspannen und zu gebrauchen bis aufs Aeußerste, leisteten die Muslimen, gut geführt, und mit dem Namen ihres Gottes und Propheten auf den Lippen, das Unerhörte.
Auch die Aegypter thaten ihr Bestes, aber den Leistungen dieser Männer gegenüber fühlten sie sich ohnmächtig, empfanden sie es kaum mehr als Schande, von ihnen überwältigt worden zu sein.
Weit, weithin ward der Feuerschein gesehen, und auch derjenige, dessen reiches Erbe die Flammen verzehrten, wurde zwischen Mitternacht und Morgen am fernen westlichen Horizont eines rötlichen Schimmers gewahr, dessen Ursprung er sich nicht erklären konnte.
Eine halbe Stunde war er ihm entgegengeritten, als sein Reisezug bei dem vorletzten der an der Kaiserstraße zwischen Kolzum Sues.
Und Babylon Die griechische Festung, an die das von Amr gegründete Fostat und das spätere Kairo sich schloß. gelegenen Stationshäuser Halt machte.
Eine stattliche Schaar von Bewaffneten stieg zugleich mit ihm von den Pferden, doch Orion hatte sie nicht zu seinem Schutze berufen, er war vielmehr von ihnen angehalten worden und wurde nun als ihr Gefangener nach Fostat geführt.
Den Wagen, dessen er sich früher bedient, hatte er verlassen und statt seiner ein Dromedar besteigen müssen; zwei bis an die Zähne bewaffnete Reiter waren ihm stets an der Seite geblieben.
Seine Gefährten ließ man unbehelligt in ihrem Fuhrwerk. Vor dem Stationshause stieg der Senator Justinus aus und forderte seinen Begleiter, einen bleichen, in sich zusammengesunkenen Mann auf, das Gleiche zu thun, doch dieser blieb mit einem müden Kopfschütteln sitzen, und als der Alte ihn liebreich fragte: »Hast Du Schmerzen, Narses?«, antwortete dieser herb und heiser: »Ueberall!« und drückte sich in die Rückenkissen des Fuhrwerks. Auch die Erfrischungen, welche des Senators Diener und Dolmetscher ihm brachten, schlug er aus. Er schien in völlige Gleichgiltigkeit verfallen und nichts zu begehren als Ruhe.
Es war der Neffe des Justinus.
Dieser hatte mit Orions Beistand und nachdem er von dem Feldherrn Amr mit Schutz– und Empfehlungsbriefen versehen worden war, sein Ziel erreicht und Narses losgekauft, nachdem der Aermste erst an der neuen, dem alten Pharaonenkanal folgenden Wasserstraße, die der Chalif Omar herstellen ließ, um Getreide auf dem schnellsten Wege aus Aegypten nach Arabien zu befördern, und dann im felsigen Hafen von Aila Zwangsarbeiten verrichtet.
Am glühenden Ufer des Roten Meeres hatte Narses im furchtbaren Sonnenbrand dieser Breiten Steine zu schleppen gehabt, und mehrere Tage waren vergangen, bevor es seinem Oheim gelungen war, seine Spur zu entdecken. Ach, und wie fand Justinus ihn endlich!
Schon eine Woche vor ihrer Ankunft hatte der frühere Reiteroffizier in dem elenden Krankenschuppen der Arbeiter gelegen, und sein Rücken trug noch die Spuren der Hiebe, womit der Vogt den Erschöpften und Leidenden zur Anspannung der versagenden Kräfte gezwungen. Aus dem schmucken Krieger war ein an Leib und Seele gebrochener, in Tiefsinn verfallener Siecher geworden.
Einen glückseligen Befreiten hatte Justinus Martina zuzuführen gehofft, und nun brachte er ihr diese dem Untergang erlesenen Menschentrümmer!
Und doch war der Senator froh, wenigstens diese gerettet zu haben. Der Anblick des Leidenden rührte ihn, und je weniger Narses ihm gewährte und von ihm annahm, desto dankbarer empfand es Justinus, wenn der Wiedergefundene auch nur das kleinste Zeichen regerer Teilnahme gab.
Orion war auf dieser Fahrt zu Land und zu Wasser und zuletzt als sorgsamer Mitpfleger des Leidenden dem alten Herrn sehr nahe getreten und hatte auf die Gefahr hin, seine Mißbilligung herauszufordern, dem Senator gestanden, weswegen er Memphis verlassen.
Unaufhörlich empfand er, daß alles, was gut und groß in ihm war, Paula gehörte, daß ihre Liebe ihn hob und stärkte, daß von ihr abfallen, sich selbst aufgeben heiße. Die Tändelei mit Heliodora konnte ihn nur von den hohen Lebenszielen ablenken, die er sich vorgesteckt hatte.
Diese Ziele behielt er unverwandt im Auge, und mit geistigem Heißhunger sehnte er sich nach ruhigen Tagen, in denen er das, was er sich in der Kirche vorgenommen, ausführen und die Aufgabe lösen konnte, welche ihm der Feldherr gestellt.
Das Bewußtsein, der Erbe eines ungeheuren Besitzes zu sein, freute ihn jetzt nicht, ja er mußte sich sagen, daß er ohne diese Ueberfülle des Reichtums ein ganz anderer geworden wäre, und mehr als einmal wandelte ihn die Lust an, was er besaß, hinter sich zu werfen, frei und frank in die Welt hinauszustürmen und sich mit eigener Kraft Seelenbefriedigung und die Achtung der Besten zu erringen.
Der Senator hatte seine Bekenntnisse hingenommen, wie er eben mußte. War die Tochter des Thomas so, wie Orion sie schilderte, dann gab es freilich für sein liebes Vögelchen wenig zu hoffen. Mit zwei Lieblingen durften er und seine Martina zwar heimziehen, aber an ihnen, den Alten, sollte es dabei sein, die Jungen aufzurichten, nicht umgekehrt, wie sich’s gehörte.
Trotz alledem hatte Orion sein Herz immer mehr gewonnen; denn jeden Tag, jede Stunde, war ihm etwas Erfreuliches, Neues an ihm aufgefallen, hatte er Größeres in ihm gefunden, als er erwartet.
In dem weiten Hof des Stationshauses brannten Fackeln, und unter einem von Pfählen getragenen, mit Palmenzweigen bedeckten Viereck in seiner Mitte standen Bänke für die rastenden Gäste.
Hier traf er wieder mit Orion zusammen und konnte mit ihm reden.
Die Häscher hatten in seiner Nähe Platz genommen, und verloren ihn nicht aus den Augen, während sie ihr getrocknetes Hammelfleisch, ihr Brot, ihre Zwiebeln und Datteln verzehrten.
Auch des Senators Diener brachte einen Imbiß aus dem Wagen, und als Justinus und sein junger Freund ihm eben zuzusprechen begannen, trat eine lange Männergestalt in den Hof und an die Bänke. Es war der Arzt Philippus, der hier auf dem Weg nach Dschidda rasten wollte.
Schon draußen hatte er erfahren, wen er als Gefangenen hier finden werde, und die Araber, denen der Arzt bekannt war, gestatteten ihm, sich zu den beiden zu gesellen, doch sie rückten ihnen näher, und ihr Führer verstand griechisch.
Philippus war Orion nichts weniger als freundlich gesinnt, doch er wußte, welchen Gefahren der Jüngling entgegen sah, einen wie schweren Verlust er erlitten, und sein Gewissen gebot ihm, ihm alles zu gewähren, was ihm im Verhör über das Unternehmen, dem Rufinus zum Opfer gefallen, dienlich sein konnte.
Er war der Ueberbringer trauriger Nachrichten, die auch die Araber mit anhören durften.
Ueber die Beschlagnahme der Statthalterei geriet Orion zwar in Empörung, doch meinte er, daß der Feldherr Amr sie wieder rückgängig machen werde; dagegen ward er von der Kunde, die Mutter sei dem Vater gefolgt, um so gewaltiger erschüttert, und wie die Araber den starken Mann schluchzen sahen und erfuhren, was ihn betroffen, zogen sie sich achtungsvoll zurück; denn der Schmerz des Sohnes über den Tod der eigenen Mutter war ihnen heilig. Sie betrachten denjenigen, dem sein Teuerstes gestorben, wie von der Hand des Höchsten getroffen und von seiner Berührung geheiligt, und mit frommer Scheu zollen sie ihm jegliche Rücksicht.
Orion hatte das Verschwinden der Muslimen nicht bemerkt, doch Philippus benützte es sogleich, um ihn mit fliegenden Worten von allem zu unterrichten, was sich auf der Flucht der Nonnen ereignet.
Von dem Brand der Statthalterei und Paulas Verhaftung besaß er selbst noch keine Kunde, dem Senator konnte er dagegen mitteilen, wo er die Seinen zu suchen habe.
Als der Führer ihn auf die Straße rief, besaß Orion Kenntnis von allem Geschehenen.
Gesenkten Hauptes, in tiefe, schmerzliche Gedanken versunken, ritt er mit den anderen weiter.
Die Statthalterei – ob die Araber sie ihm vorenthielten, ob nicht, was kam darauf an; doch die Mutter, die Mutter! Alles, alles, was sie ihm von Kind an gewesen, trat ihm nun in den Sinn, und über den Kummer um diesen Verlust vergaß er der drohenden Gefahr, des Kerkers, der ihn erwartete, und des schmählichen Eingriffes in seine Rechte; ja selbst das Bild der Geliebten wich vor dem der teuren Verstorbenen zurück. Vielleicht sollte es ihm nicht einmal vergönnt sein, die Mutter selbst zu bestatten.
Durch dürres, felsiges Wüstenland führte der Weg, und je weiter man kam, desto heller wurde der wunderbare Feuerschein vor ihnen, bis es hinter den Reisenden zu tagen begann, und das glühende Rot der Morgenröte das andere im Westen verlöschte.
Wieder begann ein brennend heißer Tag, und als die Felsen an Orions Seite noch lange Schatten auf die staubige Wüstenstraße warfen, kamen ihm einige arabische Reiter von Fostat her entgegen und riefen seine Begleiter an, um ihnen das Neueste zu berichten. Es mußte etwas Großes sein; doch der Jüngling verstand nicht, was sie sagten; schlimme Botschaften erreichen indessen nur zu schnell ihr Ziel, und während die Reiter noch mit den anderen sprachen, trabte der Dolmetscher zu ihm heran und rief ihm zu, die Statthalterei sei heruntergebrannt, und halb Memphis stehe in Flammen.
Dann kamen andere Wanderer zu Roß und auf Dromedaren, kamen Wagen, Kamelzüge mit Korn und ägyptischen Handelsgütern ihnen entgegen, und jeder rief Orions Reisezug an, und teilte mit, was sich in Memphis ereignet, und hoffte der erste zu sein, von dem es die Heranziehenden erfuhren.
Wie häufig bekam Orion das Gleiche zu hören, und so oft ein Wanderer mit seinem »Habt ihr vernommen?« anhob und nach Westen wies, begann die Wunde, welche ihm die erste Botschaft geschlagen, neu zu bluten.
Was lag für ihn alles unter der Asche da drüben? Wie viel Unersetzliches hatten die Flammen zerstört!
Was er sich auf dieser Fahrt in stillen Stunden gewünscht, zum Teil hatte es sich jetzt schon erfüllt! Die Last des großen Besitzes, die an seinen Fersen gehangen und ihn gehindert, sich frei zu bewegen, wo war sie? Aber er fühlte sich noch nicht wie befreit, sah den Weg noch nicht vor sich offen, sondern beklagte still das versunkene Haus seiner Väter, die verlorene Heimat, und ein quälendes Gefühl der Unsicherheit überfiel ihn. Keinen Vater, keine Mutter, kein Elternhaus mehr! Jahrelang hatte er schon ganz auf eigenen Füßen gestanden, und doch kam er sich vor wie ein Schiffer, dessen Boot das Steuer verloren.
Vor ihm lag der Kerker und der Abschluß der großen Tragödie, als deren Held er sich selbst ansehen durfte. Wie das Haus des Tantalus hatte das Schicksal das seine dem Verderben erlesen. Es war in Asche versunken, und da lagen schon die Opfer: Zwei Brüder, Vater, Mutter und in weiterer Ferne Rufinus.
Doch wo war die Schuld?
Seine Ahnen hatten sie nicht begangen, nur die seine konnte es sein, die das Verderben herabzog; aber gab es denn noch das alte Verhängnis, das unerbittliche, eiserne Schicksal der Alten? Hatte er nicht bereut, gelitten, sich mit seinem Erlöser versöhnt, sich bereit gemacht zum Kampf gegen das Schwerste? Vielleicht war er der Held des Trauerspieles, doch dann wollte er zeigen, daß nicht mehr die blinde Notwendigkeit, sondern das, was der Mensch aus sich selbst macht, das, was er im Bunde mit dem Höchsten erstrebt, das Geschick eines Lebens bestimmt. Mußte er unterliegen, so sollt’ es nur nach wackerer Gegenwehr geschehen. Ohne Furcht wollte er ankämpfen gegen alles, was ihm feindlich widerstrebte, wollte er vorwärts dringen auf dem Weg, den er sich vorgezeichnet, und nun hob sich ihm wieder das Herz, und es war ihm, als sähe er am Himmel als leitenden Stern das Beispiel des Vaters, in dessen Sinne es zu leben galt oder zu sterben. Und richtete er den Blick auf die Erde, so gab es auch dort noch etwas, was es ihm wert erscheinen ließ, die Not des Daseins zu tragen und den schwersten Kampf auszufechten: Paula und ihre Liebe!
Je mehr er sich Fostat näherte, desto höher und sehnsuchtsvoller schlug ihm das Herz.
Ja es mußte ihm vergönnt sein, die Geliebte wiederzusehen, sie in die Arme zu schließen vor seinem Ende!
Es war ihm, als hätte das, was er in diesen Stunden gelitten, alles fortgeräumt und beseitigt, was sie noch von einander trennte. Er fühlte, daß er nun die Kraft besitze, ihrer würdig zu bleiben; ja wäre Heliodora ihm wieder begegnet, er hätte ihr nun sicher und gewiß nicht mehr gewährt als einer freundlichen Schwester.
Seine Begleiter führten ihn in das Haus des Kadhi, doch dieser befand sich im Diwan, in der Ratsversammlung, welche sein Feind, der schwarze Schurke Obada, zusammenberufen.
Dieser hatte sich nach den Anstrengungen der letzten Nacht nur wenige Stunden Ruhe gegönnt und dann dem Rat beiwohnen müssen, und in seiner Mitte sollte er erfahren, daß er so vielen Feinden zu widerstehen hatte, wie dieser Mitglieder umfaßte.
Sein schärfster Gegner war der dem Gerichts– und Verwaltungsweg vorgesetzte Kadhi Othman, und der Vorsteher der Landesbesteuerung, Chalid. Beide hielten mit ihrer Meinung nicht zurück, und wer dieser Versammlung beigewohnt hätte, wäre wohl nie auf die Vermutung gekommen, daß die meisten Mitglieder derselben in ihrer Jugend während der Tage des Friedens als schlichte Hirten Schafe auf den Bergen gehütet, Karawanen durch die Wüste begleitet oder kleinen Handelsgeschäften vorgestanden hatten. Im Streit des einen Stammes gegen den andern war ihnen allen Gelegenheit geboten worden, sich im Waffenhandwerk zu üben und den Mut zu stählen, doch wer hatte sie gelehrt, das Wort so sorgfältig zu wählen, und es mit Gesten zu begleiten, deren natürliche Anmut jedem griechischen Rhetor Ehre gemacht haben würde? Nur wenn der gereizte Sprecher »donnerte und blitzte«, verlor er zwar, fortgerissen von heißblütiger Leidenschaft, das schöne Maß, doch wie gewaltig wirkten dann Stimme, Auge und Handbewegung! Und nie, auch nicht im höchsten Affekt, verging man sich hier gegen die Reinheit der Sprache. – Diesen Rednern, von denen die wenigsten lesen und schreiben konnten, standen auch die wirkungsvollsten Verse ihrer Dichter zu Gebote, von denen tausende ihr Gedächtnis schmückten.
Heute ward hier über die inneren Angelegenheiten eines alten Kulturlandes verhandelt, das den kriegerischen Wüstensöhnen noch vor wenigen Jahren fremd gewesen war, und wie hatten die vier Bauordner, der Vorsteher der Märkte, der der Bewässerung des Landes und der der Mühlen, ihre Aufgabe begriffen! Diese frischen, unabgenützten Geister waren fähig, das Schwerste zu erfassen und es kräftig, fein und glücklich weiter zu bilden.
Und in der That, schon die Söhne dieser durch keine Schule gegangenen Väter waren berufen und im stande, herabgekommenen Großstaaten reichen Glanz zu verleihen, die entschlafene Wissenschaft der von ihnen niedergeworfenen Nationen zu neuem Leben zu erwecken! In dieser Versammlung zeigte alles Geist, Leben, Feuer, und der frühere Sklave Obada hatte es wahrlich nicht leicht, unter so beschaffenen Sprößlingen angesehener freier Stämme seine Stellung zu behaupten.
Offen und ohne Scheu sprach sich der Kadhi Othman gegen seine Handlungsweise aus, und erklärte, auch im Namen der anderen Mitglieder des Diwan, jede Verantwortlichkeit für das Geschehene ablehnen und es dem Wekil zuweisen zu müssen; der aber verlangte nichts Besseres, sprach mit so flammender Beredsamkeit, sein Vorschlag, die durch das Feuer obdachlosen Memphiten nach Fostat zu ziehen, war so annehmbar, und endlich hatte die letzte Nacht seine großen Eigenschaften in so helles Licht gestellt, daß man das Einschreiten gegen ihn verschob und die Antwort auf die gegen ihn gerichtete Anklage aus Medina abzuwarten beschloß. Auch die mächtige Disziplin befahl, sich ihm zu fügen, und mancher, der in der Schlacht dem Tode wie einer geliebten Braut entgegengeeilt war, fürchtete den gewaltigen Emporkömmling, der vor dem Entsetzlichsten nicht zurückschrak.
Obada hatte einen Sieg erkämpft. Niemand war im stande, ihn des Raubes auch nur einer Drachme zu überführen, und dennoch hatte er schwer zu ertragende Worte anhören müssen, und von allen Seiten war ihm die Ehrfurcht vorenthalten worden, die ihm als Stellvertreter des Statthalters gebührte.
Unwillig aufs höchste, blieb er als letzter im Sitzungssaal zurück, und niemand, selbst nicht sein Unterbefehlshaber blieb bei ihm, um ihm über die Kraft und Schönheit seiner Rede ein schmeichelhaftes Wort zu sagen, während diese Verwünschten den Amr bei ähnlichen Anlassen wie die Bienen umschwärmten und ihm bis in sein Haus folgten wie wedelnde Hunde. Nicht seiner Schuld, sondern der Abneigung, welche seine Geburt in den hochmütigen Freigeborenen erweckte, schrieb er die Mißachtung und Gegnerschaft zu, die er erfuhr, und doch übersah er sie alle, fühlte er sich jedem einzelnen überlegen, und wenn der Streich in Medina glückte, dann wollte er sich seine Opfer auswählen unter ihnen, dann...
Diesem Rachegedanken wurde von einem über und über mit Staub bedeckten Boten ein Ende gemacht, und der brachte Gutes: Orion war erwischt und in das Haus des Kadhi geführt worden.
»Warum nicht zu mir?« herrschte Obada den Soldaten an. »Wer vertritt hier den Statthalter? Othman oder ich? In mein Haus mit dem Gefangenen!«
Damit begab er sich ungesäumt in seine Wohnung, doch statt des Eingebrachten erschien ein Beamter des Kadhi, welcher ihm im Namen seines Herrn bedeutete, der Chalif habe Othman zum obersten Richter in Aegypten bestellt, diese Angelegenheit sei die seine, und wenn Obada die Gefangenen zu sehen wünsche, möge er sich zu ihm oder später in das Stadtgefängnis von Memphis begeben, wohin er Orion führen lassen werde.
Da eilte er wütend in das nahe Haus seines Feindes, doch dieser setzte seiner stürmischen Heftigkeit die Ruhe des besonnenen und gerechten Mannes entgegen. Er stand erst in der Mitte der vierziger Jahre, aber schon begann sein weicher schwarzer Bart zu ergrauen. Sein edles braunes Gesicht trug den Stempel einer vornehmen, hohen Gesinnung, und aus seinen Augen sprach ein scharfer und doch ruhiger Geist. Etwas Stilles, Abgeklärtes lag in der ganzen Erscheinung dieses Mannes, der schwere Lebensschicksale mit Würde getragen und sich die Aufgabe gestellt hatte, sie anderen, soweit es in seiner Macht lag, zu ersparen.
Auch an den Kadhi waren die Klagen des Patriarchen gelangt, auch er war willens, die Niedermetzlung seiner Glaubensgenossen schwer zu ahnden, doch die Strafe sollte nur die Schuldigen treffen, und es wäre ihm leid gewesen, Orion als solchen zu erkennen; denn er hatte seinen Vater als braven Mann und gerechten Richter hochgeschätzt und manchen guten Rat von dem erfahrenen Aegypter erhalten.
Der Auftritt, welcher nun zwischen ihm und dem aufs äußerste gereizten Wekil stattfand, war selbst für die Beamten, welche ihm beiwohnten, peinlich, und Orion, der im Nebenzimmer das wütende Poltern Obadas hörte, konnte daraus entnehmen, mit wie großer Feindseligkeit ihn sein schwarzer Gegner verfolgte.
Doch wie die See selbst nach den heftigsten Stürmen zu leisem Wellenschlag zurückebbt, so gewann auch dieser Streit einen ruhigeren Ausgang. Der Kadhi hatte dem Wekil vorgehalten, wie unerhört es sei, und ein wie schmähliches Licht es auf die Gerechtigkeit der Muslimen werfe, auf einen bloßen Verdacht hin das angesehenste Haus des Landes, dessen Haupte die Sache des Islam noch dazu Großes verdanke, seiner Güter zu berauben, und Obada hatte darauf erwidert, daß bestimmte Anklagen des Leiters der Kirche eben dieses Landes vorlägen, daß nichts geraubt, sondern nur mit Beschlag belegt und in Sicherheit gebracht worden sei. Was Allah durch sein Feuer vernichtet, dafür könne kein Mensch die Verantwortung tragen. Von bloßem Verdacht sei hier keine Rede; er selbst besitze ein Dokument, welches schriftlich erhärte, daß die Geliebte Orions die Anstifterin der Frevelthat gewesen, welche zwölf Glaubensgenossen das Leben gekostet. – Das Mädchen, von dem er rede, sei gestern verhaftet worden. Er werde es nachher vernehmen, trotz aller Kadhis der Welt; denn wenn er, Othman, eine beliebige Zahl von Muslimen durch Christenhunde ungestraft hinschlachten lassen wolle, er, Obada, könne nicht darüber hinwegsehen, und wenn er es thäte, würden morgen die tausend ägyptischen Kanalarbeiter die drei Muslimen, welche sie bewachten, mit den Grabscheiten erschlagen.
Darauf versicherte der Kadhi, er sei nicht weniger begierig als Obada, die Thäter zu bestrafen, aber erst müsse festgestellt werden, wer sie gewesen, und das nach dem Gesetze, gerecht und ohne Menschenfurcht und blinden Haß, von Rechts wegen und mit aller Vorsicht. Schuldige freisprechen gehe ihm als Richter ebensosehr gegen das Gewissen, als Unschuldige strafen, und so solle die Untersuchung denn ruhig vorwärts schreiten. Wenn er, Obada, die Geliebte Orions zu vernehmen wünsche, so habe er, der Kadhi, nichts dagegen; die eigentlichen Verhandlungen zu leiten und den Sitzungen der Richter vorzustehen sei dagegen seine Sache, und die lasse er sich selbst von dem Chalifen nicht nehmen, so lange ihn dieser für würdig erachte, sein Amt zu bekleiden.
Damit mußte sich Obada, wenn auch unwillig, einverstanden erklären, und als der Wekil Orion zu sehen wünschte, wurde er gerufen. Da beschaute ihn der schwarze Riese wie einen Sklaven, den man zu kaufen begehrt, von oben bis unten, und während der Kadhi auf die Thür zutrat und ihn nicht zu sehen vermochte, konnte Obada einem knabenhaften Triebe nicht widerstehen, und strich sich mit einem bedeutungsvollen Blick auf den Gefangenen so hart und rasch mit dem Zeigefinger über den braunschwarzen Hals, als trenne er ihn vom Rumpfe. Dann wandte er dem Jüngling verächtlich den Rücken.
Einundvierzigstes Kapitel.
Am Nachmittag ritt der Wekil Obada nach Memphis in das Gefängnis der Stadt. Er erwartete den Bischof zu finden, doch empfing ihn dort statt seiner die Nachricht, Plotinus sei an der Seuche gestorben.
Das war ein hämischer Streich des Schicksals; denn mit dem Bischof ging die Kunde zu Grabe, wer ihm den zu Gunsten der Nonnen ersonnenen Rettungsplan verraten.
Aber nein!
Der Patriarch besaß gewiß Kenntnis von allem.
Doch was half das fürs erste?
Er hatte keine Zeit zu verlieren, und vor drei Wochen war Benjamin schwerlich zurückzuerwarten.
Obada war Paulas Vater vor Damaskus im Felde begegnet, und es hatte ihn oft gewurmt, daß man des Namens dieses Kriegshelden auch unter den Muslimen rühmlich gedachte. Sein neidisches Herz gönnte auch nicht dem Größten die reine, von Feind und Freund anerkannte Ehre, und er glaubte nicht an sie und hielt denjenigen, welcher ihrer genoß, für einen vorsichtigen Gleisner.
Wie gegen den Vater, so hegte er auch Abneigung gegen die Tochter, ohne sie je gesehen zu haben. Orions Schicksal war in seinem Innern besiegelt, und vor seinem Ende sollte ihm noch durch die Hinrichtung seiner Geliebten wehgethan werden, mochte sie ihre Schuld ableugnen oder offen bekennen. Vielleicht gelang es ihm, dies zu bewirken, und so ließ er Paula ungesäumt in das Versammlungszimmer der Richter führen; doch sein Vorhaben mißglückte völlig, obgleich er ihr durch den Dolmetsch die größte Milde, wenn sie offen sein werde, und im entgegengesetzten Fall einen qualvollen Tod in Aussicht stellte.
So hatte er sich die Gefangene freilich nicht gedacht, und die stolze Ruhe, mit der sie jede Beschuldigung zurückwies, übte eine seltsame Wirkung auf den früheren Sklaven.
Anfänglich unterstützte er den Dolmetscher, indem er sie mit gebrochenen griechischen Worten anschrie oder sie mit furchtbaren Blicken, deren Macht er gegen seine Untergebenen oft erprobt hatte, einzuschüchtern versuchte, doch ohne den geringsten Erfolg; und nun ließ er ihr erklären, er besitze ein Dokument, welches ihre Schuld außer Frage stelle, aber auch dies erschütterte ihre Ruhe nicht, und sie verlangte nur, es zu sehen. Da ließ er ihr sagen, sie werde es zeitig genug kennen lernen, und begleitete die Erklärung des Dolmetsch mit drohenden Gesten.
Es waren ihm unter seinem Volke kluge und einflußreiche Frauen begegnet. Tapfere Weiber hatte er mit in die Schlacht ziehen und noch wilder, todesmutiger und blutgieriger als die männlichen Krieger die Gefahren des Glaubensstreites teilen sehen, doch das waren lauter Gattinnen und Mütter gewesen, und wo er sie den stillen Kreis des Hauses, aus dem ein Mädchen niemals heraustreten durfte, hatte durchbrechen sehen, waren sie von leidenschaftlichen Regungen, von glühender Parteinahme für Gatten und Kind, Familie oder Stamm beherrscht gewesen. Im ganzen hielten sich die Weiber seines Volkes bescheiden zurück, und keine durchbrach die Sitte, über die nicht stürmische Triebe die Herrschaft gewonnen. Aber diese Jungfrau: wie ein Feldherr, wie das Haupt eines Stammes stand sie da in unerschütterlicher Ruhe. Es lag etwas in ihrem Verhalten, das ihm Scheu einflößte und zugleich das Verlangen, sie seine Uebermacht fühlen zu lassen und ihren Stolz zu brechen, aufs äußerste reizte. Wie er alle Führer der muslimischen Kriegsmacht, so überragte sie an Wuchs alle Frauen seines Volkes, und von der neugierigen Regung, sich mit ihr zu messen, getrieben, trat er nahe an sie heran und zog mit der Hand von seinem braunen Halse aus eine Linie durch die Luft, welche ihren Scheitel berührte, und als sie dabei zurückwich, entging ihm die Fülle des Abscheus nicht, mit der dies geschah. Da stieg ihm das Blut zu Kopfe, und während er dem Dolmetsch befahl, ihr mitzuteilen, daß sie auf keine Schonung zu rechnen habe, weihte er sie in seinem Innern einem grausamen Tode.
Bleich und auf das Schlimmste gefaßt, kehrte Paula in den dürftigen Raum zurück, den sie mit ihrer alten Betta bewohnte.
Ihr Eintritt in das Gefängnis war schrecklich gewesen; denn der Wächter hatte Mine gemacht, sie in einen der Räume zu führen, welche männliche und weibliche Verbrecher in großer Zahl beherbergten, und aus denen ihnen Kettengerassel und ein wildes Durcheinander von rohen Stimmen entgegengeklungen war; doch der Dolmetscher und der Führer der Sicherheitswächter hatten sich ihrer angenommen, und zwar auf Geheiß Frau Martinas, von der ihnen ein reiches Geschenk in Aussicht gestellt worden war, falls sie ihr morgen die Mitteilung brächten, daß Paula ein gutes Unterkommen im Kerker gefunden.
Auch die Schwiegermutter des Gefangenwärters hatte sie in Schutz genommen. Sie war die Wirtin aus der Herberge des Nesptah und hatte in der Gefangenen die schöne Jungfrau wiedererkannt, welche nach der Wasserfahrt mit Orion bei ihr eingekehrt war und die sie für seine Braut gehalten. Zufällig war sie bei der Wärtersfrau, ihrer Tochter, zu Besuch und veranlaßte auch sie, sich gefällig gegen Paula zu erweisen. So erhielt sie mit ihrer Betta eine eigene Zelle, und dem Wärter sagten ihre Goldstücke zu.
Dieser Mann that hinfort sein Bestes, um ihr Los zu erleichtern, und heute morgen war es sogar Pulcheria gestattet worden, sie zu besuchen und ihr die letzten, noch nicht verdorrten Rosen aus ihrem Garten zu bringen.
Auch die Witwe Susanna hatte ihr ihrem Vorsatz gemäß Speisen und Früchte gesandt, doch diese waren dem Gefängniswärter überlassen und der Bote bedeutet worden, daß sie mit allem versorgt sei und dergleichen in Zukunft nicht mehr bedürfe.
Im Gefühl ihrer Unschuld hatte sie ihrem Schicksal ruhig entgegengesehen und auf die viel gerühmte Gerechtigkeit der arabischen Richter gebaut. Aber nicht diese, sondern Orions Feind, der schwarze Unhold, schien ihr Los entscheiden zu sollen, und nun sank sie, niedergedrückt von dem Gefühl, ohnmächtig und hilflos der Willkür eines gewissenlosen Schurken preisgegeben zu sein, in sich selbst zusammen und hörte kaum auf die ermutigenden Worte der Amme.
Sie fürchtete sich nicht vor dem Tod; aber zu sterben, ohne den Vater wiedergesehen, ohne Orion gesagt und gezeigt zu haben, daß sie sein, ganz sein sei und bleibe, das war des Harten und Unerträglichen zu viel.
Während sie der Verzweiflung nahe die Hände rang, trabte derjenige, welcher das Glück, die Ruhe und Habe so vieler Mitmenschen vernichtet hatte, auf dem edelsten Roß aus dem Stalle Orions mit dem festen Vorsatze die trotzige Gefangene seine Macht fühlen zu lassen, durch die Straßen von Memphis.
Auf dem großen Marktplatz im Ta-ânchviertel mußte er seinen Hengst zu einer ruhigeren Gangart zwingen; denn es hatte sich dort vor der Kurie, dem Rathause der Stadt, eine unübersehbare Menschenmenge angesammelt, und der Wekil brach sich rücksichtslos Bahn durch dieselbe: er wußte, was sie begehrte, und achtete ihrer nicht. Das arme Gesinde scharte sich dort schon seit einiger Zeit täglich zusammen, und verlangte von den Buleuten Hilfe in seiner schrecklichen Not. Wenn gestern Kirchgang und Prozession erfolglos geblieben, bestürmten sie heute die Kurie. Aber konnte denn der Senat den Nil wachsen lassen, der Seuche Einhalt thun oder die Datteln hindern, von den Palmen zu fallen? Sollte er helfen, da der Himmel seinen Beistand versagte?
So hatte das Stadthaupt die um Hilfe Schreienden von dem Altan der Kurie aus schon zehnmal gefragt, und immer war die Menge in den Ruf ausgebrochen: »Ja, ja, ihr müßt es, es ist eure Pflicht! Ihr nehmt uns die Steuern, ihr seid bestellt, für uns zu sorgen!«
Gestern schon waren die Unsinnigen nicht mehr zu halten gewesen und hatten mit Steinen nach dem Rathaus geworfen, heute aber, nach dem furchtbaren Brande und dem Tode des Bischofs, waren sie in unerhörter Menge erschienen, wütender, verzweifelnder denn je, und die Buleuten saßen bebend auf ihren alten vergilbten Elfenbeinstühlen, den Resten erloschenen Glanzes, welche es den Sitzen der römischen Senatoren gleichthun sollten, und schauten sich an und zuckten die Achseln und ließen sich das Schreiben des Kadhi vorlesen, welches soeben eingetroffen war und ihnen, den Christen, gemäß dem zum Beschluß erhobenen Vorschlag des Obada, befahl, der Gemeinde durch öffentlichen Ausruf und Anschlag bekannt zu machen, daß jeder Bürger, dem das Feuer in der vergangenen Nacht das Haus zerstört hatte, drüben in Fostat unentgeltlich Grund, Boden und Baumaterial erhalten solle, um sich ein neues zu bauen, falls er hinüberzuziehen und den Islam anzunehmen bereit sei.
Dieser schmähliche Vorschlag mußte veröffentlicht werden, da half kein Berathen und Sträuben.
Aber was konnte von ihrer Seite für die klagende Menge geschehen?
Die Seuche raffte das unglückliche Volk hin; das Gemüse, die Hälfte seiner Nahrung in dieser Jahreszeit, war verdorrt, sein sonst so süßer, erfrischender Trunk vergiftet, die Datteln, seine Zukost, reiften heran, um mit Ekel fortgeworfen zu werden. Und dabei der Komet am Himmel, keine Hoffnung auf Ernte auch nur eines Halmes in künftigen Monden. Der Bischof tot, das Vertrauen auf den Beistand der Kirche geschwunden, Gottes Gnade wie erloschen, verloren gegangen in dem den Ungläubigen verfallenen Lande. Und sie, auf deren Hilfe man baute, arme, schwache Menschen, ratlose Räte, stündlich bedroht, den von der Seuche ergriffenen Genossen nachzufolgen, welche dort von den leeren Stühlen aus noch jüngst das große Wort geführt hatten.
Gestern war jeder überzeugt gewesen, die Not und das Elend habe den Gipfel erreicht, und in der verflossenen Nacht hatte es sich für so viele verdoppelt.
Ihr eigenes Selbstvertrauen war erschöpft, doch es gab noch einen Weisen in der Stadt, der vielleicht neue Wege eröffnen, auf neue Mittel hinweisen konnte, das Volk vor Verzweiflung zu retten.
Da flogen wieder Steine durch die offene Decke, und die Buleuten sprangen von den Elfenbeinstühlen und suchten Schutz hinter Marmorsäulen und Pfeilern. Wilder Lärm drang vom Markte her zu den geängstigten Vätern der Stadt, und an das schwere Thor der Kurie schlugen Fäuste und Stöcke. Zum Glück war es mit Bronze beschlagen und mit schweren Eisenriegeln geschlossen, aber jeden Augenblick konnte es aufgesprengt werden, und dann erstürmte der rasende Haufen die Versammlungshalle.
Aber was war das?
Auf einen Augenblick verstummte das Gebrüll und Gejohle, und dann nahm es eine andere, mildere Gestalt an.
Statt der wilden Flüche und Verwünschungen von vorhin erscholl nun ein »Heil! Heil!« nach dem andern, und dazwischen rief es: »Rette, hilf, gib Deinen Rat!« – »Hoch der Weise!« – »Deine Zauberkunst, Vater!« – »Du kennst das Geheime, kennst die Weisheit der Alten!« – »Rette, rette; zeige den Geldsäcken und Betrügern in der Kurie, wie man uns hilft!«
Da wagte es das Stadthaupt, seinen sichern Platz hinter der Bildsäule des Kaisers Trajan zu verlassen, der einzigen, der die Geistlichkeit Schonung gewährt hatte, und an der Letter, auf der die Hängelampen angezündet wurden, zu dem hohen Fenster hinanzusteigen und hinunter zu lugen.
Und dort sah er einen Greis in schimmernden Linnengewändern auf einem schönen weißen Esel durch die Menge reiten, welche ihm ehrerbietig Platz machte. Ihm voran schritten die Liktoren der Stadt mit ihren Fasces, an denen zum Zeichen ihrer friedlichen Sendung Palmenzweige befestigt waren, und der spähende Mann bemerkte auch, daß dem Alten außer dem Treiber seines Reittieres ein Sklave folgte, der mehrere Schriftrollen trug, und diese belebten seine Hoffnung; denn sie sahen sehr alt und vergilbt aus und enthielten darum gewiß eine Fülle von Weisheit, ja vielleicht sogar magische Formeln und wirksame Zauber.
Mit einem lauten »Er kommt!« stieg das Stadthaupt die Leiter hinunter, und bald ging auch die Thür, der Eisenriegel klirrte, und aufatmend nahm man wahr, daß niemand mit dem Greise in die Kurie gedrungen.
Als Horus Apollon den Sitzungssaal betrat, fand er die Buleuten in so würdevoller Haltung auf ihren Elfenbeinstühlen, als hätten sie das Rathalten nie unterbrochen; aber auf einen Wink ihres Vorsitzenden erhoben sie sich alle vor dem Greise, und er erwiderte ihren Gruß gemessen und wie eine ihm gebührende Ehre. Er ließ sich’s auch gefallen, daß ihm das Stadthaupt seinen höheren Stuhl einräumte und neben ihm auf einem gewöhnlichen Platz nahm.
Bald war die Verhandlung eröffnet, und sie wurde von der Menge nicht gestört, wenn es auch von dem Marktplatze her unaufhörlich wie brausender Wogenschlag und das Gesumme von tausend Bienenschwärmen in den Saal scholl.
Bescheiden versicherte der Greis, daß er in seiner Einfalt, wo so weise Männer keine Hilfe zu schaffen wüßten, von vornherein verzweifle, solche zu finden; er sei nur erfahren in der Art und dem Wissen der Väter, und was diese in ähnlichen Fällen zu thun für zweckmäßig gehalten, das mitzuteilen und zur Nachahmung zu empfehlen, sei er gekommen.
Ein beifälliges Gemurmel begleitete seine leise, aber fließende Rede, und als dann das Stadthaupt zuerst auf die Wurzel alles Uebels, das Ausbleiben der Nilschwelle, hinwies, unterbrach ihn der Greis und ersuchte, diejenigen Uebelstände zuerst ins Auge zu fassen, gegen die es angehe, mit eigener Kraft Abhilfe zu schaffen.
Die Seuche verheere die Stadt, und er sei eben an dem vom Feuer zerstörten Viertel vorbeigekommen und habe dort an fünfzig Kranke ohne Pflege und im Elend verkommend beisammen gefunden. Hier könne etwas geschehen, hier zeige sich ein Mittel, der aufgebrachten Menge zu beweisen, daß ihre Berater und Leiter die Hände nicht in den Schoß legten.
Da schlug ein Rat vor, ihnen das Cäcilienkloster oder das unbenutzte und verfallende Odeum einzuräumen, doch Horus Apollon widersprach ihm und setzte klar auseinander, daß solcher Seuchenherd inmitten der Stadt die gesunden Bürger gefährde. Das sei auch die Ansicht seines Freundes Philippus, und der habe das Verfahren der Alten gleichfalls als das allein richtige gepriesen.
Und wohin verlegten die Väter nicht nur ihre Wohlthätigkeitsanstalten, sondern auch die größten, weite Räume beanspruchenden Tempelanlagen und Begräbnisstätten? Immer in die Wüste, außerhalb der Stadt. Auf den Riesensphinx bei den Pyramiden habe der große Arrian selbst die Verse geschrieben:
»Götter schufen dereinst die weithin prangenden Formen,
Weislich sparend des Felds Weizen erzeugende Flur.«
Dies Sparen des Fruchtlandes hätten die Neueren vergessen, sie verstünden es aber auch nicht mehr, die Wüste zu benützen. Die Toten und Verpesteten dürften die Lebenden nicht gefährden, und darum müßten sie außerhalb der Stadt, auf dem Wüstenboden der Nekropole, untergebracht werden.
»Aber wir können sie nicht in der Sonnenglut liegen lassen!« rief das Stadthaupt.
»Und ebensowenig,« fügte ein anderer hinzu, »im Handumdrehen ein Haus für sie errichten.«
Da versetzte Horus Apollon:
»Wer möchte so töricht sein, das eine oder das andere zu verlangen! Aber Linnen und Pfähle gibt es im Ueberfluß zu Memphis. Laßt sogleich große Zelte in der Nekropole aufschlagen, und unter ihrem Schutz wird auf Kosten und unter Fürsorge der Stadt alles verpflegt, was der Seuche verfällt. Ernennt drei oder vier unter euch zur Vollstreckung dieses Auftrages, und in wenigen Stunden ist Unterkunft für die obdachlosen Kranken geschaffen. Wie viele Matrosen und Schiffsbauer sonnen sich arbeitslos am Ufer! Heran mit ihnen, und in einer Stunde ans Werk!«
Dieser Vorschlag fand Anklang, und ein Leinwandfabrikant unter den Buleuten rief:
»Ich liefere, was not thut!« Doch ein anderer, welcher Handel mit dem gleichen Stoffe trieb und diese berühmte ägyptische Ware weithin versandte, fiel ihm ins Wort und verlangte für sich und sein Haus den Auftrag, weil er billiger verkaufen könne. Und dieser Streit hätte die Sitzung bis an ihr Ende und vielleicht auch die des folgenden Tages ausgefüllt, wenn der Vorschlag des Horus Apollon, die Lieferung zwischen beide zu verteilen, nicht schnell angenommen worden wäre.
Das Volk begrüßte die Verkündigung des Beschlusses, Krankenzelte in der Wüste zu errichten, mit einem tausendstimmigen Beifallsgeschrei. Die gewählten Beauftragten gingen sogleich an die Arbeit, und in der Nacht konnten die Obdachlosen unter dem ersten großen Siechenzelt untergebracht werden.
In ähnlicher Weise löste der Greis noch einige andere wichtige Fragen, indem er dabei immer auf die Alten Bezug nahm.
Zuletzt ergriff er zu der Hauptsache das Wort, und er that es mit Vorsicht und großem Geschick.
Alle Ereignisse der letzten Zeit, sagte er, wiesen darauf hin, daß der Himmel dem unglücklichen Lande seiner Väter zürne. Als ein Zeichen seines Grolles habe er den Kometen gesandt, dies schreckliche Gestirn, das mit jedem Tag zunehme an drohendem Glanz.
Den Nil zum Steigen zu bringen, stehe in keines Menschen Macht; doch die Alten hätten – und nun lauschten die Buleuten mit verhaltenem Atem – die Alten hätten in näherem Verhältnis zu den geheimnisvollen, das Leben der Natur leitenden Mächten gestanden als die heutigen Menschen, gleichviel ob Laien oder Priester. Damals sei jeder Diener des Höchsten zugleich ein Naturkundiger und Forscher gewesen, und wenn weiland ein Unglück, wie das dieses Jahres, Aegypten heimgesucht habe, sei ein Opfer gebracht worden, ein schweres Opfer, wogegen sich die Menschlichkeit und auch alles, was in ihm selbst sei, sträube, doch dies Opfer habe nie seine Wirkung verfehlt, nie und niemals; hier seien die Belege, und dabei wies er auf die Schriftrollen in seinem Schoß; die Versammelten aber regten sich unruhig auf den Stühlen, und erst rief das Stadthaupt, dann riefen und fragten die anderen Buleuten einer nach dem andern:
»Das Opfer?«
»Was brachten sie dar?«
»Was ist’s mit dem Opfer?«
»Das laßt mich bis auf ein andermal verschweigen,« bat der Greis. »Was könnt’ es auch helfen, es heute schon zu verkündigen? Erst gilt es zu finden, was den Göttern genehm ist.«
»Was ist es?« – »Rede, Herr!« – »Spanne uns nicht auf die Folter!« stürmte es von allen Seiten auf ihn ein; doch der Greis blieb unerbittlich, versprach, den Rat selbst zusammenzuberufen, sobald es an der Zeit sei, und forderte das Stadthaupt auf, vom Altan aus zu verkünden, Horus Apollon kenne ein Opfer, das den Nil bewegen werde, endlich zu wachsen. Sobald es gefunden sei, werde man das Volk um seine Einwilligung bitten. Zur Zeit der Alten habe es nie zu wirken verfehlt, und so möge Mann, Weib und Kind getrost nach Hause gehen und geduldig und mit neuer, wohlbegründeter Hoffnung der Zukunft entgegenschauen.
Und diese Verkündigung, in welche das Stadthaupt das Lob der Weisheit des Greises Horus Apollon verflocht, übte eine mächtige Wirkung. Wie neu belebt jubelte die Menge auf. Ein »Heil! Heil!« folgte dem andern, und diese Rufe galten nicht nur dem Rettung verheißenden Alten, sondern diesmal auch den Buleuten, den vorsorglichen Vätern der Stadt, und diesen fiel damit eine Zentnerlast von der Seele.
Was der Alte da vorhatte, war gewiß nicht fromm und gut christlich, aber hatte sich denn die Macht der Kirche wirksam erwiesen? Und nachdem diese gescheitert, waren sie schon selbst auf Mittel verfallen, welche die Priester verdammten. Magie und Zauberei, das waren echt ägyptische Künste, und wo der Glaube nicht fruchtete, traten sie, trat der Aberglaube in sein Recht, und wenn man die Lockenmedea hatte überfallen und gefangen nehmen lassen, war es nicht nur geschehen, um dem Gesetz zu genügen, sondern vielmehr, um ihre geheime Wissenschaft für das allgemeine Wohl unbemerkt in Anspruch zu nehmen. Bei solcher Not war kein Mittel zu schlecht, und wenn der Greis auch selbst Grauen vor dem seinen empfand, ihrer Zustimmung war er gewiß, wenn es nur die erhoffte Wirkung übte. War die Not erst beseitigt, so ließ sich die begangene Schuld schon sühnen, und der liebe Gott war so barmherzig!
Der Bischof hatte sonst auch Sitz und Stimme unter den Buleuten, und nun ersparte ihnen das Schicksal selbst, seinem Widerspruch zu begegnen.
Wie Horus Apollon auf den Markt trat, wurde er mit lautem Beifall und so dankbar begrüßt, als sei es ihm schon gelungen, Volk und Land zu erretten.
Was hatte er da unternommen!
Mochte das, was er ins Werk zu setzen gedachte, glücken oder fehlschlagen, in Memphis konnte er nicht bleiben; denn es war dort in jedem Falle um seine Ruhe geschehen. Aber das schreckte ihn nicht; denn für die Frauen war es gewiß heilsam, wenn er sie aus der gefährlichen Nähe der arabischen Hauptstadt entfernte, und der Entschluß, mit ihnen zusammen zu ziehen, stand in ihm fest. Auch für seinen Philipp konnte es nur gut sein, in andern Boden verpflanzt zu werden.
Im Hause des Rufinus erfuhr er, welches Geschick Paula betroffen.
Einstweilen stand sie ihm nicht mehr im Wege, doch wenn man sie morgen oder übermorgen oder in einem Monat freiließ, war sie ihm so hinderlich wie je. Der Anschlag auf sie mußte also dennoch durchgeführt werden! Seine Absonderlichkeit reizte ihn, und welch eine Genugthuung, wenn es ihm glückte, die ägyptischen Christen zu der heidnischen That zu bewegen, die er ihnen zumuten wollte!
Wurde Paula von den Arabern zum Tode verurteilt, so konnte das der Ausführung seines Unternehmens nur förderlich sein, und es galt jetzt, sich mit dem schwarzen Wekil in Verbindung setzen; denn von seiner Zustimmung hing alles ab.
Frau Johanna und Pulcheria fanden ihn so aufgeräumt und freundlich wie nie vorher; der Vorschlag, mit seinem Philipp ihr Hausgenosse zu werden, wurde auch von der kleinen Maria mit lebhafter Freude begrüßt, und die Frauen führten ihn schon heute durch das ganze Haus und stützten ihn dabei gar sorglich und liebreich.
Was er da zu sehen bekam, gefiel ihm über die Maßen. So zierlich und sauber konnte es eben nur da aussehen, wo Frauenaugen alles leiteten und überwachten. Des Rufinus Zimmer zu ebener Erde sollten die seinen werden, die entsprechenden Räume auf der andern Seite des Hauses für Philipp eingerichtet werden. Das Speisezimmer, der weite Vorsaal und das Viridarium blieben Gemeingut, und für die Frauen und Gäste bot das obere Stockwerk Raum genug.
Der Einzug konnte erfolgen, sobald er ein gewisses Etwas sichergestellt hatte. Es mußte etwas recht Erfreuliches sein; denn wie der Alte davon sprach, bewegten sich seine tief eingezogenen Lippen vergnüglich hin und her, und dabei schienen seine blitzenden Augen der Pulcheria zu sagen: »Auch für Dich, liebes Kind, hab’ ich etwas Gutes im Sinne.«
Zweiundvierzigstes Kapitel.
In der engen, glühend heißen Gefängniszelle, welche die beiden Frauen beherbergte, verlebte Paula eine entsetzliche Nacht. Sie fand keinen Schlaf, und wenn es ihr doch einmal gelang, die Augen zu schließen, ward sie durch das Geschrei und Kettengerassel der Gefangenen in den großen Kerkerräumen und die harten Schritte eines Leidensgenossen gestört, der noch ruheloser als sie über ihr auf und nieder wanderte.
Armer Unglücksgefährte!
Trieb ihn marternde Gewissenspein hin und her oder war er unschuldig wie sie, und ließen ihn nur Sehnsucht, Sorge, Liebe den Schlaf nicht finden?
Er war kein gemeiner Verbrecher; denn für solche gab es in diesem Teile des Hauses keinen Raum, und um Mitternacht, nachdem der Lärm in den großen Sträflingssälen plötzlich verstummt war, ließ sich von seiner Zelle her leiser Lautenklang vernehmen, und so konnte nur ein Meister das Saitenspiel schlagen.
Der Fremde ging sie nichts an, doch für seine tönende Gabe war sie ihm verpflichtet; denn sie lenkte ihr Sinnen und Denken ab von dem eigenen Ich, und mit wachsender Teilnahme lauschte sie auf sein Spiel.
Froh des Vorwandes, das heiße, harte Lager zu verlassen, sprang sie auf und stellte sich an das mit Eisenstäben verschlossene einzige Fenster der Zelle. Da verstummte die Musik, und es entspann sich ein Gespräch zwischen dem Gefängniswärter und ihrem Leidensgefährten.
Was war das für eine Stimme?
Täuschte sie sich oder hörte sie recht?
Das Herz stand ihr still, während sie weiter lauschte, und jetzt, jetzt mußte jeder Zweifel verstummen: Orion und kein anderer war es, der da über ihr sprach!
Nun nannte auch der Gefangenwärter seinen Namen, nun sprach er von ihrem verstorbenen Oheim, und jetzt wurde wie auf ein Zeichen leiser geredet. Sie hörte das Flüstern, unterschied aber nicht mehr den Inhalt. Endlich vernahm sie laute Abschiedsworte, die Thür der Zelle über ihr fiel ins Schloß, und der Schritt des Gefangenen näherte sich dem Fenster.
Da preßte sie das Gesicht an die warmen eisernen Stäbe, richtete es aufwärts, horchte in die Nacht hinaus und rief, als nichts sich regte, erst leiser, dann lauter: »Orion, Orion!«
Und von oben her scholl gleich darauf ihr Name zurück.
Da begrüßte sie ihn und begann zu fragen, wie und seit wann er hieher gekommen; er aber unterbrach sie schon bei den ersten Worten mit einem entschiedenen »Still!« dem sogleich ein kurzes »Gib Acht!« folgte.
Erwartungsvoll lauschte sie durch die Gitterstäbe hinaus, und die Minuten vereinten sich in langsamem Schneckengang zu einer vollen halben Stunde, bis endlich das laute: »Jetzt!« ertönte, worauf sie gewartet.
Wenige Augenblicke später hielt sie eine Briefrolle in der Hand, die an einer mit einem Stück Holz belasteten Lautensaite zu ihr niedergeschwebt war.
Es gab weder Licht noch Feuer in ihrer Zelle, und die Finsternis gestattete ihr nicht, zu lesen. So rief sie nur in die Höhe: »Dunkel!« und gleich darauf nach seinem Beispiel: »Gib Acht!« Sobald sie dann die beiden schönsten Rosen, die Pulcheria ihr gebracht, an die Saite befestigt, schwebten sie auf ihr frohes »Jetzt!« in die Höhe.
Mit einigen leisen, von Sehnsucht und Leidenschaft übervollen Accorden sprach er seinen Dank aus; dann ward es still; denn der Gefangenwärter hatte ihm vorhin verboten, bei Nacht zu singen oder zu spielen, und er durfte die Gunst dieses Mannes nicht verscherzen.
Mit dem Briefe Orions in der Hand legte Paula sich nieder, und als sie das Nahen des Schlummers fühlte, schob sie das Röllchen unter ihr Kopfkissen und schlief bald darauf ein. Als beide nach Sonnenaufgang erwachten, hatten sie von einander geträumt und begrüßten freudig den Tag.
Wie war Orion außer sich geraten, da sich die Kerkerthür hinter ihm geschlossen. Er hätte die Eisenstäbe aus dem Mauerwerk reißen und die Thür eintreten oder sprengen mögen, und es gibt auch kein schmählicheres, empörenderes Gefühl für den Mann, als sich wie eine schädliche Bestie ausgeschlossen zu sehen von der Welt, zu der er gehört und deren er bedarf, um zu empfangen, was ihm das Leben lebenswert macht, um Aufnahme für das Gute zu finden, das er leisten und geben kann.
Der Kerker war ihnen gestern wie ein Vorgemach der Hölle erschienen, sie hatten sich beide der Verzweiflung nahe gefühlt, und wie andere Empfindungen beseelten sie heute! Von einem Schicksalsschlag nach dem andern war Orion heimgesucht worden, wie bangen und bekümmerten Herzens hatte Paula seiner Heimkehr entgegen gesehen, und wie ruhig war heute ihre Seele, trotz der Todesgefahr, in der sie schwebte.
Die Legende erzählt von der heiligen Cäcilie, die mitten aus dem Hochzeitsreigen zur Folter geführt ward, daß sie, während sie die Qualen des Martyriums erlitt, vor ihrem innern Ohr tief beseligt himmlische Musik und süßen Orgelklang vernommen habe; und wie Unzähligen ergeht es doch ähnlich! In äußerster Not und Gefahr finden sie höheres Glück als mitten im Glanz, der Pracht und den Freuden des rauschenden Lebens; denn das, was wir Glückseligkeit nennen, kehrt, unbekümmert um ihren Aufenthaltsort und ihre äußere Lage, bei denen ein, für die sich das als erreichbar darstellt, wonach ihre Seele die tiefste Sehnsucht hegt.
Was diese beiden lange nicht gewesen: tief innerlich beglückt, sie wurden es im Kerker. Paula mit seinem Briefe vor Augen, den er schon im Hause des Kadhi zu schreiben begonnen und in dem er ihr sein ganzes Herz erschloß. Orion, im Besitz ihrer Rosen, an denen er Blick und Herz weidete, und die vor ihm lagen, während er die folgenden Verse dichtete, die ihr der gefällige Kerkermeister gern überbrachte.
Sie lauteten also:
»Sieh, da die schaurige Nacht des Kerkers dumpf mich umfangen
Und mir die Sonne versank schwarz in ein ewiges Grab,
Zog ich die Rose empor, und aus ihrem purpurnen Kelche
Strahlte ein köstliches Licht, hell wie der sonnigste Tag!
Liebe, so heißt das Gestirn, das hell aus den duftigen Blättern
Aufging, wie Phöbus’ Gespann vortrat aus wogendem Meer.
Gleicht nicht der sonnige Glanz des liebeglühenden Herzens
Auch Jenem leuchtenden Wurm, der sich in Rosen versteckt?
Als uns der Tag noch umfing, da frei wir geatmet im Lichte,
Strahlte die Sonne so hell, schien uns sein Glanz zu gering;
Aber seitdem uns die Nacht, die bedrohliche, finster umschattet,
Hebt uns sein freundliches Licht, stärkend den sinkenden Mut.
Und wie dem nächtigen Schoß der Erde Saaten entkeimen,
Oder die Seele sich schwingt aufwärts aus finsterem Grab,
Also seh’ ich entzückt aus des Kerkers düsterem Schachte,
Schöner als Rosen am Hag, Rosen der Liebe erblühn.«
Und wann war Paula wohl tiefer beglückt gewesen als in der Stunde, da sie diesen Gruß des Geliebten, diese schlichte Kerkerblume zum erstenmale genoß?
Die alte Betta konnte sich nicht satt hören an diesem Gedicht, und sie weinte vor Freude, nicht über seinen Inhalt, sondern über die wundervolle Veränderung ihres Lieblings, die es bewirkte.
Ein glückstrahlendes Mädchen, wie damals am Libanon, war sie nun wieder, und als Paula vor die im Gerichtssaal versammelten Richter trat, blickten diese sie verwundert an; denn mit so freudig glänzenden Augen hatte sich noch kein auf Tod und Leben angeklagtes Weib den Schranken genähert.
Und doch stand es schlimm um ihre Sache, und dem gerechten und milden Kadhi, der selbst liebe Töchter besaß, zog sich das Herz zusammen gegenüber der falschen Zuversicht, welche die Seele dieser herrlichen Jungfrau so augenscheinlich erfüllte.
Ja, es stand schlimm um ihre Sache; denn es lag ein vernichtendes Beweisstück gegen sie vor, und die Zusammensetzung des Gerichtshofs, welche streng nach dem Gesetz erfolgt war, mußte ungünstig für sie erscheinen.
Ihre Sache wurde vor ebensovielen Aegyptern wie Arabern verhandelt. Die letzteren waren zugezogen worden, weil unter ihrer Mitwirkung Muslimen ums Leben gekommen, und als Bewohnerin von Memphis und Christin gehörte sie zur Gerichtsbarkeit der ersteren.
Der Kadhi leitete die Verhandlung, und die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß die jakobitischen Beisitzer den Gerichtssaal mit dem Todesurteil in den Falten des Gewandes betraten, sobald der Angeklagte dem melchitischen Bekenntnis angehörte.
Was sie gegen dies schöne Geschöpf besonders einnahm, wußte er nicht, doch es war leicht zu erkennen, daß sie der Damascenerin feindlich gesinnt waren, und wenn sie das »Schuldig« über sie aussprachen und auch nur zwei Araber ihnen beipflichteten, war es um die Jungfrau geschehen.
Und was wollte der weißgekleidete Greis auf der Zeugenbank, der alte, gelehrte Horus Apollon, mit der Aussage, die er zu machen wünschte? Die Blicke, mit denen er die Damascenerin maß, ließen nichts Gutes für sie erwarten.
Und es war so drückend, so unerträglich heiß in dem Saale! Jeder fühlte sich belastet, und trotz der Wichtigkeit dieser Verhandlung, geriet sie doch manchmal ins Stocken und wurde darauf öfter mit unziemlicher Hast fortgesetzt.
Die Angeklagte selbst erschien zum Glück völlig frisch und unbeeinträchtigt von der Glut dieses Tages. So wenig es sie gekostet hatte, bei dem Verhör durch den rohen Schwarzen auf ihrer Behauptung zu bestehen, an der Flucht der Nonnen keinen Teil zu haben, so schwer wurde es ihr, den wohlwollenden Fragen des Kadhi Othman gegenüber; doch es blieb ihr keine Wahl, und es gelang ihr, zu beweisen, daß sie, während die arabischen Krieger zwischen Athribis und Dumiat ums Leben gekommen waren, Memphis und das Haus des Rufinus nicht verlassen.
Der Kadhi suchte diesen Umstand sogleich zu ihren Gunsten zu verwerten, und der Wekil Obada, der viel mit seinem greisen Nachbar auf der Zeugenbank zu flüstern hatte, ließ ihn gelassen reden; doch sobald er geschlossen, erhob er sich und legte den Brief, welchen er in Orions Zimmer gefunden, vor den Richtern nieder.
Er war unleugbar von der Hand des Statthaltersohnes, richtete sich an Paula, und der Schlußsatz: »Verdamme mich darum nicht; Dein schöner und nur zu gerechtfertigter Wunsch, Deinen Glaubensgenossen Hilfe zu bringen, hätte genügt,« verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf die Richter zu machen; Paula aber entgegnete auf die Frage des Kadhi, wie sie sich zu diesem Schreiben verhalte, der Wahrheit gemäß, es sei ihr völlig fremd, doch wolle sie nicht leugnen, den Schwestern im Cäcilienkloster, ihren Glaubensgenossinnen, stets das Beste gewünscht und gehofft zu haben, es möge ihnen gelingen, ihr gutes Recht gegen die Anfeindungen des Patriarchen zu behaupten.
Auch der verstorbene Mukaukas und der jakobitische Rat der Stadt hätten diese ihre Gesinnung geteilt und die Araber den Frieden der frommen Krankenpflegerinnen niemals gestört.
Die Ruhe und Kürze, mit denen sie diese Aussagen machte, wirkten günstig, besonders auf die muslimischen Richter, und der Kadhi begann für Paula zu hoffen und befahl, Orion zu rufen, der am besten in der Lage sei, über die Bedeutung des von ihm geschriebenen, doch nicht abgesandten Briefes Auskunft zu erteilen.
Da erschien der Jüngling, und obgleich er und Paula sich Gewalt anthaten, an dieser Stätte die schickliche Ruhe zu bewahren, sah ihnen doch jeder die lebhafte Erregung an, welche dies Wiedersehen in ihnen hervorrief.
Horus Apollon verwandte kein Auge von Orion, den er hier zum erstenmal sah, und seine Züge gewannen dabei ein immer finstereres, bedrohlicheres Ansehen.
Der Jüngling bekannte, den Brief geschrieben zu haben, doch bezog er ihn wie Paula nur auf die Gefahr, welche den Nonnen von seiten des Patriarchen schon lange gedroht hatte. Den Beistand, den er in diesem Schreiben der Tochter des Thomas versage, würde er ihr zu Gunsten der Schwestern später und zu gelegener Zeit gern und eifrig geleistet haben, und zwar mit Hilfe des Statthalters Amr, der, wie er selbst bestätigen werde, seines Vaters Ansichten über das gute Recht der Nonnen teile.
Da murmelte der Alte auf der Zeugenbank laut genug, um von den Richtern verstanden zu werden: »Geschickt, sehr geschickt!« und der Schwarze neben ihm lachte laut auf und rief:
»Das heiß’ ich sein Leben schlau verlängern! Laßt euch warnen, ihr Herren! Diese beiden spielen gemeinsames Spiel und sind eng mit einander verbunden. Den Beweis dafür hab’ ich in Händen: das Vermögen der Tochter des Thomas legte dieser da an, als wär’s schon sein eigen, und ferner...«
Hier unterbrach ihn Paula. Sie wußte nicht, was der übelgesinnte Mann vorbringen werde, doch etwas Verletzendes war es gewiß. Und da stand Orion ihr gegenüber, gerade so, wie sie ihn in Stunden zärtlicher Rückerinnerung vor dem inneren Auge zu sehen pflegte, und sie fühlte, wie sein Blick entzückt auf ihr ruhte.
Hier sich ihm offen nähern, ihm sagen, was sie mitten in diesem Kampfe um Leben und Tod empfand, das schien unmöglich, und wie nun der Wekil vor den Richtern zu entschleiern begann, was sie und den Geliebten allein anging, da drängte sie alles, was in ihr war, ihm zuvorzukommen und dem Freunde in dieser verhängnisvollen Stunde das zu gewähren, was sie ihm einmal kleinmütig versagt.
So unterbrach sie denn froh bewegt und mit glänzenden Augen den Schwarzen, und rief: »Halt ein! Du verschwendest Worte und Mühe. Was Du arglistig zu beweisen suchst, das bekenne ich selbst stolz und freudig. Hört es denn alle: der Sohn des Mukaukas Georg ist mein Verlobter.«
Dabei suchte ihr Blick den des Orion, und sie fand ihn, und wieder feierten beide mitten in der höchsten Gefahr einen Augenblick des reinsten, tiefsten Glücks, und Paulas Augen schimmerten feucht vor dankbarer Rührung, als Orion ausrief:
»Was die höchste Seligkeit meines Lebens ausmacht, habt ihr aus ihrem eigenen Munde vernommen. Die edle Tochter des Thomas ist meine Braut!«
Da ging ein Murmeln durch die Reihen der jakobitischen Richter. Mancher hatte bis dahin, niedergedrückt von der Hitze, vor sich hingeträumt und den Kopf auf die Brust sinken lassen; nun aber waren sie plötzlich alle so wach und lebendig, als habe ein kalter Wasserstrahl sie getroffen, und einer rief:
»Dein Vater, junger Mann, Du hast ihn hurtig vergessen! Was hätte er wohl gesagt über dies Dein blutschänderisches Bündnis mit der Melchitin, der Tochter derer, die zwei Deiner Brüder zu Märtyrern machten? O, wenn der Verstorbene...«
»Er hat unsern Bund auf dem Sterbebette gesegnet,« fiel ihm Orion ins Wort.
»Hat er?« fragte ein anderer Jakobit mit schneidendem Hohn. »So ist der Patriarch im Rechte gewesen, da er seiner Leiche die Begleitung des Klerus versagte. Wird man alt, um Zeuge solchen Frevels zu werden?«
Wie Heimchengezirp verklangen diese Worte vor den Ohren der tief beglückten Beiden; sie fühlten, sie bedachten nur, was diese seligen Augenblicke ihnen gewährt, und ahnten nicht, daß Paulas frohe Zusage ihr das Todesurteil sprach.
Der Zorn der Jakobiten beschleunigte von nun an den Gang der Verhandlung.
Beredt hob der Ankläger unter den Arabern hervor, wie vielen Muslimen die Rettung der Nonnen das Leben gekostet, und er verlas nochmals den Brief Orions. Sein christlicher Amtsbruder suchte zu beweisen, daß sich dies Schreiben nur auf die so listig ins Werk gesetzte Flucht der Schwestern beziehen könne, und nun trat etwas Neues, Unerwartetes ein, das tief einschnitt in die Verhandlung: der Greis fiel dem Kadhi ins Wort, um eine Aussage zu machen.
Da erhob sich Paulas Zuversicht, welche die letzten Reden zu erschüttern begonnen; denn sie durfte ja sicher sein, daß der bewährte Freund und Pflegevater ihres treuen Philipp für sie eintreten werde.
Doch was war das?
Mit einem Blick, dessen wilde Feindseligkeit ihr ins innerste Herz drang, maß der Alte ihre hohe Gestalt und sagte dann langsam:
»Am Morgen, welcher der Flucht der Nonnen folgte, ist die Angeklagte im Cäcilienkloster gewesen und hat dort die Glocke geschlagen. Wenn Du kannst, stolze Tochter eines Präfekten, so widersprich mir; doch laß Dir im voraus sagen, daß Du in diesem Falle mich zwingst, zu neuen Anklagen zu schreiten.«
Da sah das Mädchen, von Entsetzen ergriffen, die Witwe des Rufinus und Pulcheria im Geiste neben sich auf der Armsünderbank vor den Richtern, und sie fühlte, daß sie durch Widerspruch die Freunde mit sich ins Verderben stürzen werde, und so bestätigte sie denn mit bebenden Lippen die Aussage des Greises.
»Und aus welchem Grunde schlugst Du die Glocke?« fragte der Kadhi.
»Um denen zu nützen,« entgegnete Paula, »die meine Glaubensgenossen sind, und die ich liebe.«
»Als Urheberin eines hochverräterischen, von Blut triefenden Unternehmens,« rief der Wekil, »und zu keinem andern Zweck, als um uns, die Beherrscher dieses Landes, zu täuschen.«
Doch der Kadhi verwies ihn zur Ruhe und gab ihrem jakobitischen Sachwalter das Wort. Dieser hatte in der Frühe mit ihr gesprochen und trat in ägyptischer Weise mit einer Verteidigungsschrift für sie ein; doch dies matte Machwerk übte keinerlei Wirkung, und so sehr der Kadhi sich auch bemühte, alles hervorzuheben, was zu ihrer Rechtfertigung dienen konnte, wurde dennoch das Schuldig über sie gesprochen.
Aber konnte ihr Vergehen mit dem Tode bestraft werden?
Es stand fest, daß sie bei der Rettung der Nonnen die Hand mit im Spiel gehabt, doch nicht weniger sicher ließ sich erweisen, daß sie während des Kampfes auf dem Nilarm fern von den Schwestern und ihren Verteidigern gewesen. Und sie war ja ein Weib, und wie verzeihlich erschien es, daß ein frommes Mädchen geliebten Glaubensgenossinnen half, der Verfolgung zu entgehen.
Der Kadhi Othman hob dies alles mit beredten Worten hervor, und wies den Wekil streng und ernst zur Ruhe, wenn er von der Zeugenbank aus für die Todesstrafe zu sprechen versuchte, und des milden Richters menschenfreundliche Beredsamkeit gewann die Herzen der meisten Muslimen.
Paulas Persönlichkeit wirkte mächtig auf sie ein und nicht weniger der Umstand, daß ihr tapferster und edelster Feind der Vater der Angeklagten gewesen.
Als es endlich zur Abstimmung kam, geschah das Unerhörte, daß alle Glaubensgenossen der Angeklagten, daß sämtliche jakobitische Christen ihren Tod forderten, während von den Ungläubigen auf dem Richterstuhl nur einer diesem strengen Strafmaße beipflichtete.
Das Urteil war gesprochen, und als der Wekil Obada an Orion, der bleich und seiner selbst kaum mächtig in seine Zelle zurückgeführt wurde, vorbeikam, rief er ihm spöttisch in gebrochenem Griechisch zu: »Morgen kommt die Reihe an Dich, Sohn des Mukaukas!«
Da schwebte Orion die Antwort auf den Lippen. »Auch an Dich kommt sie, Sohn eines Sklaven!«
Doch Paula stand ihm gegenüber, und um ihren Feind nicht noch mehr zu reizen, gelang ihm jetzt, was ihm vorher nie geglückt sein würde: ohne ihm ein Wort zu entgegnen, ließ er den Wekil und Horus Apollon an sich vorüber.
Sobald sich die Thür hinter den beiden geschlossen, nickte der Kadhi Orion beifällig zu und sagte: »Recht und weise gehandelt, mein Freund! Der Adler soll nicht vergessen, daß es frommt, die Schwingen im Käfig anders zu regen als zwischen Wüste und Himmel.«
Dabei winkte er den Wärtern, ihn fortzuführen, und hielt sich zurück, als der Jüngling seiner Braut mit Auge und Hand den Abschiedsgruß zuwinkte.
Endlich schritt der Kadhi auf Paula zu, deren heldenmütige Ruhe bei der Verkündigung des Todesurteils seine Bewunderung erregt hatte, und sagte: »Das Gericht hat gegen Dich entschieden, edle Jungfrau, aber über seinem Spruche steht die Gnade unseres Herrn, des Chalifen, und die des barmherzigen Gottes. Richte Du Dein Gebet an ihn, an jenen will ich mit einigen Freunden mich wenden.«
Bescheiden wehrte er ihren Dank ab, und als man auch sie abgeführt hatte, rief er den Freunden, die seiner warteten, in der bilderreichen Sprache seines Volkes zu: »Das Herz thut mir weh! Solches Urteil aussprechen drückt nieder wie Zentnergewichte; doch einen Obada zum Glaubensgenossen haben und ihm gehorchen – der Erdball trägt sich nicht schwerer!«
Dreiundvierzigstes Kapitel.
Kaum hatte der rätselhafte Alte den Gerichtssaal mit dem Wekil verlassen, als er jenen um eine Unterredung ersuchte. Rücksichtslos vertrieb nun Obada den Gefängniswärter mit seinem Weib und dessen Säugling aus seinem Gemach, und hier ließ er sich von dem Greise eröffnen, welches Ende er der zum Tode Verurteilten zugedacht habe, und der Anschlag des Alten gefiel zwar dem Schwarzen, doch erschien er ihm in mancher Hinsicht so gewagt, daß es dem Greise ohne eine wichtige Gegenleistung, die er Obada in Aussicht stellen konnte, kaum gelungen wäre, ihn gefügig zu machen.
Dem Wekil mußte alles darauf ankommen, sicher zu erhärten, daß Orion die Hand bei der Flucht der Nonnen mit im Spiel gehabt habe, und der Zufall hatte dem Alten ein Schriftstück in die Hände gespielt, das dies außer Frage zu stellen schien.
In der kühlen Morgenfrühe war seine Uebersiedlung in das Haus des Rufinus in Angriff genommen worden. Nur die wertvollsten und wichtigsten seiner Schriftrollen hatten ihn sogleich begleitet, und während er diese in einem kleinen Pulte unterbrachte, dem nämlichen, das Rufinus Paula zur Benützung überlassen, hatte Horus Apollon darin das Briefchen gefunden, welches der Jüngling flüchtig hingeworfen, als er nach langem vergeblichem Warten auf die mit der kleinen Maria beschäftigte Geliebte endlich genötigt gewesen war, aufzubrechen, um Abschied von dem Feldherrn Amr zu nehmen.
Dies Wachstäfelchen, auf dem die Schrift stark verwischt und zum Teil völlig unlesbar geworden war, mußte die Richter von der Schuld Orions überzeugen, und so trug die Auslieferung dieses Beweisstückes dem Greise die Erlaubnis Obadas ein, die Todesart der verurteilten Damascenerin zu bestimmen.
Als beide endlich das Wächterzimmer verließen, wandte sich der Schwarze noch einmal an den Kerkermeister und schnob ihn, indem er auf seine hübsche Frau und das Kind an ihrer Brust wies, grimmig an, sie alle drei seien des Todes, wenn er Orion gestatte, seine Zelle auch nur für einen Augenblick zu verlassen.
Damit schwang er sich auf das Roß, während der Alte zunächst nach der Kurie ritt, um das Stadthaupt zu veranlassen, eine Sitzung für diesen Abend anzuberaumen, und dann sein neues Quartier aufsuchte.
Dort fand er sein Zimmer sorglich beschattet und so kühl, wie es bei solcher Hitze nur immer möglich war. Den Estrich hatte man mit Wasser besprengt, Blumen standen, wo es nur anging, und was von Schriftrollen und anderen Dingen für ihn angekommen war, hatte schon Platz in Truhen und auf Repositorien gefunden. Nirgends ein Stäubchen, überall ein leiser Wohlgeruch, der seiner seinen Nase behagte.
Welch guten Tausch hatt’ er gemacht!
Auf seinem alten, gewohnten Lehnstuhl rieb er sich behaglich die dürren Hände, und als die kleine Maria erschien, um ihn zu Tisch zu rufen, freute es ihn, mit ihr zu spassen.
Aus dem Viridarium mußte Pulcheria ihn in den Speiseraum führen, und bei der Mahlzeit ließ er sich’s schmecken, und sein faltiges, mürrisches Gesicht verschönte sich, wie er seine weiblichen Hausgenossen überschaute, unter denen nur die Griechin Eudoxia fehlte, welche leichtes Unwohlsein auf ihrem Zimmer zurückhielt.
Jeder einzelnen sagte er freundliche Dinge, und aufgeräumt und ohne mit der Dankbarkeit, die ihn beseelte, zurückzuhalten, verglich er seinen früheren und jetzigen Zustand, schilderte er mit einem neckischen Blick auf Pulcheria, wie schön es sein werde, wenn Philipp zurückkehre, um sie alle zusammen zu einem echten und rechten Gestirn zu machen; denn jeder ägyptische Stern habe fünf Strahlen; die Alten hätten nie einen andern gemalt oder in den Stein gegraben, ja sich sogar eines solchen bedient, um die Zahl fünf zu schreiben.
Da rief Maria:
»Aber dann, dann sind wir hoffentlich ein sechsstrahliger Stern; denn bis dahin ist die arme Paula doch auch wieder bei uns!«
»Gott geb’ es!« seufzte Frau Johanna. Pulcheria aber fragte den Alten besorgt, was ihm fehle; denn sein Antlitz hatte sich plötzlich verändert. Die Heiterkeit war darauf erloschen, die Haarbüschel über den Augen hatten sich in die Höhe gehoben, und die eingezogenen Lippen lösten sich schwer, als er endlich unwillig hervorstieß:
»Nichts hab’ ich... Indessen, ein für allemal soll es gesagt sein: dieser Name ist mir zuwider.«
»Paula?« fragte Maria erstaunt. »O, wenn Du wüßtest...«
»Ich weiß mehr als genug,« unterbrach sie der Greis. »Ihr seid mir lieb, ihr alle, alle; das alte Herz geht mir auf in eurer Mitte; es behagt mir bei euch, ich bin euch gut, bin euch dankbar, jede Gefälligkeit, die ihr mir erweist, thut mir wohl, denn sie kommt von Herzen; könnt’ ich sie nur recht bald und reichlich vergelten, es sollte mich jung machen vor Freude. Ihr dürft es glauben, und ich seh’ es euch an, daß ihr’s thut. Doch,« und nun zogen sich die Brauenbüschel wieder in die Höhe, »doch wenn ich diesen Namen nennen höre, und wenn ihr versucht, mich für dies Weib zu gewinnen, oder sollt’ es euch gar bekommen, mir mit ihrem Lob in den Ohren zu liegen, so, wie weh ich mir auch selbst damit thäte, so zög’ ich zurück, woher ich gekommen.«
»Aber, Horus, Horus, was ist das!?« rief Frau Johanna bekümmert.
»Das ist,« fuhr der Alte auf, »das ist, daß sich alles in ihr verkörpert, was ich an ihrem Stande verachte und hasse. Das ist, daß sie ein kaltes, verräterisches Herz in der Brust trägt, daß sie mir Tage und Nächte verdorben, kurz, daß ich lieber verdammt sein möchte, mit feuchten Molchen und kalten Schlangen unter einem Dache zu leben...«
»Als mit ihr, als mit Paula?« fiel ihm Maria ins Wort, und dabei sprang das lebhafte Kind auf und seine Augen blitzten, seine Stimme bebte vor Entrüstung, da es fortfuhr: »Und das sagst Du nicht nur, das meinst Du im Ernst? Ist es denn möglich?«
»Nicht nur möglich, sondern gewiß, kleines Herzblatt,« versetzte der Alte und streckte die Hand nach ihr aus, sie aber trat von ihm zurück und rief heftig:
»Ich will Dein Herzblatt nicht sein, wenn Du so von ihr redest! Wer so alt ist wie Du, der sollte gerecht sein! Du kennst sie ja gar nicht, und was Du von ihrem Herzen gesagt hast...«
»Mäßige Dich, Mädchen,« unterbrach sie die Witwe, und der Alte antwortete der Kleinen mit eigentümlichem Nachdruck:
»Dies Herz, junger Sausewind, es wird gut und nützlich sein für uns alle, wenn wir es vergessen, vergessen in Bösem und Gutem. Man hat heute Gericht über sie gehalten, und dies Herz zum Stillstand verurteilt.«
»Verurteilt? Barmherziger Himmel!« schrie Pulcheria auf, und wie sie sich dabei erhob, rief ihre Mutter:
»Um Gottes willen! Es ist Sünde, mit solchen Dingen zu scherzen. Ist es wahr, ist es möglich? Diese Elenden, diese... Ich seh’ es Dir an, es ist richtig, sie haben Paula verurteilt.«
»Du sagst es,« entgegnete Horus kühl. »Die Damascenerin wird hingerichtet werden.«
»Und das, das sagst Du erst jetzt?« weinte Pulcheria, und Maria fuhr auf:
»Und dabei hast Du scherzen und lachen können, hast Du... Pfui über Dich! Und wenn Du nicht solch ein schwacher, steinalter Greis wärest...«
Hier verwies Frau Johanna das Kind abermals zur Ruhe und fragte schluchzend:
»Hinrichten, enthaupten will man sie? Gibt es denn für sie, die doch dem unseligen Kampf so fern geblieben wie wir, für sie, die Tochter des Thomas, die Jungfrau, keine Gnade?«
Da entgegnete der Greis:
»Wartet nur, wartet! Vielleicht hat sie der Himmel zu großen Dingen erlesen. Es kann ihr bestimmt sein, durch ihren Tod ein ganzes Land und Volk vom Verderben zu retten. Es wäre ja möglich...«
»Sprich Dich klar aus; mir graut vor diesen Orakeln,« fiel ihm die Witwe ins Wort; er aber zuckte wieder die Achseln und sagte gelassen:
»Was uns ahnt, das ist noch kein Wissen. Der Himmel hat hier zu entscheiden. Wohl uns allen: mir, ihr, Dir, der Pulcheria und auch dem abwesenden Philipp, wenn die Gottheit sie zum Werkzeuge erwählt! Aber wer vermag im Finstern zu sehen? Thut es Dir wohl, Johanna, so sei Dir gesagt, daß der weichmütige Kadhi und mit ihm seine arabischen Genossen schon aus Haß gegen den Wekil, der sie alle an Geist und Willenskraft überragt, nichts unterlassen werden...«
»Um sie zu retten?« unterbrach ihn die Witwe.
»Morgen halten sie Rat, ob ein Bote mit dem Gnadengesuch nach Medina geschickt wird,« fuhr Horus Apollon mit einem häßlichen Lächeln fort. »Uebermorgen streiten sie sich, wer dieser Bote sein soll, und bevor er Arabien betritt, erfüllt sich der Verurteilten Schicksal. Der Wekil Obada reitet schneller als sie, und sein ist die Macht, so lange Amr fern bleibt von Aegypten. Man sagt, der habe einen Narren an dem Statthalterssohn gefressen, und um seinetwillen – wer weiß? – könnte die Damascenerin als seine Braut...«
»Seine Braut?«
»Vor den Richtern hat er sie selbst so genannt und sich Glück gewünscht zu seiner Verlobten.«
»Paula und Orion?« jubelte Pulcheria unter Thränen auf und klatschte glückselig in die Hände.
»Sie beide,« versetzte der Alte. »Du hast recht, Dich zu freuen, mein Mädchen! Weichmütige Herzen, die ihr habt! Achtet die Erfahrung des Alten und segnet das Schicksal, wenn es dem Boten des Kadhi das Roß lähmt! Doch ihr wollt ja nichts hören, was orakelhaft klingt, und es ist auch besser, von etwas anderem zu reden...«
»Nein, nein,« bat Johanna. »Woran könnten wir denken als an sie und ihr Schicksal! O, Horus, ich erkenn’ Dich nicht wieder. Was hat Dir dies arme, vom schwersten Unglück verfolgte, uns so teure, herrliche Wesen gethan? Und bedenkst Du denn gar nicht, daß die Richter, die sie verurteilt, nun auch nachforschen werden, wie Rufinus, und was wir alle...«
»Was ihr mit dem wahnsinnigen Rettungsstreiche zu thun habt?« unterbrach sie der Greis. »Das zu verhindern ist meine Sache. So lang dies alte Gehirn zu denken und dieser Mund zu reden vermag, wird euch kein Härchen gekrümmt.«
»Unsern Dank!« versetzte Johanna. »Aber Du, wenn Du solche Macht hast, so setze sie ein – Du weißt, wie lieb Paula uns allen ist, wie hoch Dein Philipp sie schätzt – so gebrauche sie, um sie zu retten.«
»Ich besitze keinerlei Macht und will sie nicht haben,« entgegnete der Alte streng.
»Aber, Horus, Horus! Kommt, Kinder! Einen zweiten Vater sollten wir in Dir finden, hast Du versprochen. So zeige denn, daß dies kein leeres Wort war, und laß Dich von uns beschwören...«
Da erhob sich der Alte tief atmend, so schnell er vermochte, zwei scharf umgrenzte rote Flecke färbten seine fahlen Wangen, und mit heiserer Stimme rief er.
»Kein Wort mehr! Kein Versuch, mich zu rühren, kein kläglicher Auftritt. Genug, tausendmal genug von dem allem. Ihr habt es gehört, und hört es nun wieder. die Damascenerin oder ich, ich oder sie. Könnt ihr, was die Zukunft auch bringe, es nicht über euch bringen, vor mir über sie zu schweigen, so – so – ich schwöre nicht, aber was ich verheiße, das halt’ ich, so kehr’ ich in meine alte Höhle zurück, und betrübt und an einer Enttäuschung reicher schlepp’ ich dort das Dasein fort oder sterbe, wie meine Göttin es fügt.«
Damit verließ er das Zimmer, und die kleine Maria erhob die zur Faust geballte Rechte, drohte ihm nach und rief.
»O, daß er doch ginge, das alte, harte, ungerechte Scheusal! Ach, daß ich ein Mann wär’!« Dabei brach sie in lautes Weinen aus, und ohne auf die Zurechtweisung der Witwe zu hören, fuhr sie außer sich fort. »O, es gibt gar nichts Schlechteres als ihn, Mutter Johanna! Sterben möcht’ er sie sehen, er wünscht ihr den Tod; ich fühl’ es, er kann es wünschen! Hast Du gehört, Pul, es würde ihn freuen, wenn dem Boten, der sie retten soll, das Pferd erlahmte? Und sie ist nun die Braut meines Orion – ich habe sie ja längst für einander bestimmt – doch auch ihn werden sie töten, aber sie sollen es nicht, wenn es noch einen gerechten Gott gibt im Himmel. O, daß ich... daß ich...« Dabei ward ihre Stimme von heftigem Schluchzen erstickt, und als sie sich einigermaßen beruhigt, flehte sie Pulcheria und ihre Mutter an, sie zu Paula zu begleiten, und da diese ihren Wunsch teilten, machten sie sich, bevor es dunkelte, mit ihr auf den Weg ins Gefängnis.
Je mehr sie sich dem Markt näherten, den sie zu kreuzen hatten, desto voller fanden sie die Straßen.
Alles zog des gleichen Weges, die Menge trug sie gleichsam mit sich fort, doch von dem Platze her brauste und schallte ihnen wie ein Gegenstrom vieltausendstimmiges Geschrei und Getön aus Menschenkehlen entgegen. Frau Johanna wurde es in dem Gedränge angst vor dem lärmenden Treiben auf dem Markt, und gern wäre sie mit ihren Schützlingen umgekehrt oder hätte den Platz umgangen, aber alles strebte ihm zu, und es wäre leichter gewesen, von hier aus einem hochangeschwollenen Gebirgswasser entgegenzuschwimmen als nach Haus zu gelangen. So kamen sie denn bald auf den Markt und wurden dort, rings umdrängt, zum Stillstand gezwungen.
Die Bangigkeit der Witwe steigerte sich.
Wie peinlich war es, mit den Mädchen in solchem Auflauf festgehalten zu werden. Pulcheria schmiegte sich an sie, und wie sie Maria gebot, ihr die Hand zu reichen, rief die Kleine, der das Abenteuer ganz nach dem Sinne war:
»Sieh nur, Mutter Johanna, da steht unser Rustem. Er ist doch der größte von allen!«
»Hätten wir ihn bei uns!« seufzte die Witwe.
Da riß sich das Kind von ihr los, schlüpfte behend wie ein Eichhorn durch den Menschenknäuel und erreichte sehr bald den Masdakiten.
Dieser hatte Memphis noch nicht verlassen; denn die erste Karawane, der er sich mit seinem Weibchen anschließen sollte, brach erst in einigen Tagen auf.
Der brave Perser und Maria waren gute Freunde, und sobald er gehört, daß seine Wohlthäterin sich fürchte, brach er sich mit dem Kinde Bahn zu ihr, und die Witwe atmete auf, wie er ihr anbot, bei ihr auszuharren und sie zu beschützen.
Indessen hatte sich das Lärmen und Schreien gesteigert. Jeder Kopf, jedes Auge war der Kurie zugewandt; denn man mußte erwarten, daß dort etwas Großes, Besonderes vor sich gehen werde.
»Was es nur gibt?« fragte Maria den Perser und zupfte ihn am Rocke. Da bückte sich der Riese schweigend zu ihr nieder, und zu ihrer Freude stand sie einen Augenblick später auf seinen über der Brust gekreuzten Armen und überblickte, nachdem sie sich einen Sitzplatz auf seiner breiten Schulter zurecht gemacht, wie von einer hohen Warte, Menschen und Dinge.
Frau Johannas Hand legte sich ängstlich auf ihre Füßchen, sie aber rief zu ihr nieder:
»Mutter, Pul, ich irre mich nicht! Vor der Kurie steht der weiße Esel unseres Alten, und da thun sie dem Tier einen Kranz, einen Oelbaumkranz um den Hals.«
Jetzt klangen vom Rathause her über den Markt hin Tubarufe durch die erstickend heiße, qualmige Luft, und plötzlich wurde es still und immer stiller rings umher, und wo einer den Mund aufthat, um zu schreien oder zu reden, stieß ihn der Nachbar oder verwies ihn zur Ruhe.
Da legte die Witwe die Hand fester um den Knöchel Marias und fragte, indem sie sich die perlende Stirn wischte:
»Was gibt es?« und die Kleine antwortete hastig und ohne sich im Schauen stören zu lassen:
»Sieh nur zum Altan der Kurie hinauf; da steht das Stadthaupt, der Purpurfärber Alexander; er ist oft zum Großvater gekommen, und die Großmutter konnte seine Frau gar nicht leiden – und neben ihm, der da neben ihm – kannst Du ihn nicht erkennen? – das ist der alte Horus Apollon; eben nimmt er sich die Lorbeerkrone von der Perücke. Alexander will reden.«
Neuer Tubaruf unterbrach sie, und gleich darauf ließ sich eine laute Männerstimme von der Kurie her vernehmen, und nun ward es so still, daß auch der Witwe und ihrer Tochter nur wenig von der Anrede entging, die nun folgte:
»Mitbürger, Memphiten, Unglücksgenossen!« begann das Stadthaupt langsam und mit weithin hallender Stimme. »Ihr kennt unsere gemeinsamen Leiden. Es gibt keines, das nicht über uns verhängt worden wäre, und noch grausamere scheinen uns zu drohen.«
Ein furchtbares Geschrei der Menge stimmte ihm bei, doch neue Tubarufe wiesen es zur Ruhe, und das Stadthaupt fuhr fort:
»Wir, der Senat, die Buleuten dieser Stadt, denen ihr aufgetragen habt, für euch und euer Wohl zu sorgen...«
Da unterbrach ein wildes Geheul den Redner, und es ließen sich die Rufe unterscheiden:
»Sorget, thut eure Pflicht!«
»Geldsäcke!«
»Wort halten!«
»Rettet uns vom Verderben!«
Doch die Trompete brachte die Unzufriedenen abermals zur Ruhe, und das Stadthaupt fuhr fort, und diesmal wie außer sich und in gewaltiger Erregung:
»Höret mich! Unterbrecht mich nicht! Die Not, der Jammer trifft unsere Häupter so gut wie die euren. Mein Weib und mein Sohn sind in dieser Nacht an der Seuche gestorben!«
Diesmal ging nur ein leises Gemurmel durch die Menge, und es legte sich von selbst, als der stattliche Graubart auf dem Altan sich die Augen trocknete und fortfuhr:
»Ist einer unter euch, der uns zeihen kann einer Versäumnis – sei es Mann, Weib oder Kind – der erhebe Klage gegen uns vor Gott, vor unserem neuen Herrn, dem Chalifen, und vor euch selbst, den Bürgern von Memphis; aber nicht jetzt, Leidensgefährten, jetzt nicht! Jetzt laßt euer Schreien und Rufen, jetzt, da die Rettung winkt, höret mich, gebet zu erkennen, wie ihr euch verhaltet zu dem letzten, äußersten Rettungsmittel, das ich euch anzuempfehlen komme!«
»Höret ihn! Still! Nieder mit den Schreiern!« ertönte es von allen Seiten, und der Redner fuhr fort:
»Unserem Vater im Himmel, unserem einigen göttlichen Heiland und seiner heiligen Kirche legten wir es als Christen zunächst ans Herz, uns zu helfen, und ich frage euch: hat es an Gebeten, an Kirchgängen, an Prozessionen, an Weihgeschenken gefehlt? Nein, nein, meine lieben Mitbürger und Bürgerinnen! Jeder von euch ist mein Zeuge – gewiß nicht! Aber der Himmel, er hat sich blind und taub und stumm gezeigt unserer Not gegenüber, ja wie gelähmt... Nein, nicht wie gelähmt; denn er rührt kräftig und rasch genug die Hände, um neues Leid auf das alte zu häufen. Was menschliche Vorsicht und Klugheit ersinnen und ins Werk setzen kann, auch davon blieb nichts unversucht.
»Die alten Künste der Zauberer und Magier und Scheidekünstler, die schon manchesmal frommten, die Macht böser Geister zu brechen, auch sie haben sich als trügerisch und ohnmächtig erwiesen.
»Da dachten wir an unsere großen, berühmten Väter und Ahnherren, und wir erinnerten uns, daß in unserer Mitte ein Mann lebt, der vieles kennt, was für uns andere verloren gegangen ist im Laufe der Zeiten. Die Weisheit der Vorfahren hat er während eines langen Lebens in arbeitsvollen Tagen und Nächten sich zu eigen gemacht. Zu der Schrift, wie zu den Geheimnissen der Alten besitzt er den Schlüssel, und er hat uns mitgeteilt, welches Rettungsmittel die Vorfahren benutzten, wenn ähnliches Unheil sie heimsuchte wie uns in diesen grausamen Tagen, und der Greis hier an meiner Seite, der weise und redliche Horus Apollon, machte uns damit vertraut. Sehet die ehrwürdigen Rollen in seiner Hand! Sie lehren, welche Wunder es in früheren Tagen gewirkt hat.«
Hier unterbrach ein Memphit den Redner mit dem Rufe: »Heil Horus Apollon, dem Retter!« und Tausende folgten ihm nach und gaben dem Alten Beifall und Dank durch lautes Geschrei zu erkennen. Dieser verbeugte sich bescheiden, zeigte auf seine schmale Brust und eingefallenen Lippen und wies dann auf das Stadthaupt als denjenigen, der es übernommen, das Volk von seinem Rat in Kenntnis zu setzen, und Alexander fuhr fort:
»Große Gunst, Mitbürger und Freunde, läßt sich nur durch große Gaben erkaufen. Das wußten die Alten, und wenn der Strom, von dem ja, wie wir nur zu gut wissen, das gesamte Wohl und Weh dieses Landes abhängt, zu steigen versagte und das Ausbleiben seiner Schwelle Unheil mancherlei Art nach sich zog, so brachten sie ihm ein Opfer dar, das sie für das edelste hielten von allem, was die Erde trägt: eine reine und schöne Jungfrau.
»Was wir erwartet, tritt ein: das erschreckt euch! Ich höre euch murren, sehe eure entsetzten Gesichter, und wie sollte die Seele eines Christen nicht Abscheu vor solchem Opfer empfinden? Aber ist es uns denn so fremd? Haben wir je ganz davon gelassen? Wer von uns richtet nicht sein Gebet an den heiligen Orion, sei es zu Haus, sei es unter Beistand der Priesterschaft in der Kirche, wenn er von unserem herrlichen Strom eine Gabe erwartet, und in diesem Jahr haben wir, wie immer in der Nacht des Tropfens, mit Gebeten an ihn ein Kästchen mit einem menschlichen Finger in die Wogen geschleudert. Noch im vierzehnten Jahrhundert nach Christus ward von den ägyptischen Christen ein Kästchen mit einem menschlichen Finger in den Nil geworfen, um ihn zum Anschwellen zu veranlassen. Dies wird durch eine Nachricht des zuverlässigen Makrisi bestätigt. Dies kleinere Opfer, es sollte das kostbarere, größere der Heiden vertreten; es wurde gebracht, und seine Notwendigkeit ist nie und nie in Frage gekommen, und auch die strengsten und heiligsten Lichter der Kirche, wie Antonius und Athanasius, Theophilus und Cyrillus, haben nichts dagegen einzuwenden gewußt; unter ihren Augen ward es Jahr für Jahr in die Wogen geschleudert.
»Ein Finger in einem Kästchen! Kläglicher Stellvertreter für das Schönste und Reinste, das Gott werden läßt unter den Menschen. Dürfen wir uns wundern, wenn der Heilige endlich den jammervollen Ersatz verschmäht, zurückweist und für seinen Nil einmal wieder begehrt, was ihm früher zu teil ward?
»Aber welche Mutter, welcher Vater, fragt ihr, ist in unserer Zeit des Eigennutzes von Liebe für sein Heimatland, seinen Gau, seine Stadt so ganz durchdrungen, daß er die jungfräuliche Tochter dem allgemeinen Wohl zu Gefallen dem Tod in den Wogen preisgeben möchte? Welche Tochter unseres Volkes wäre bereit, für andere und ihr Heil widerstandslos aus dem Leben zu scheiden?
»Doch ängstigt euch nicht! Fürchtet nichts für eure heranwachsenden Töchter im Frauengemach, die Augäpfel eures Herzens! Fürchtet nichts für eure Enkelinnen, Schwestern, Gespielinnen, Bräute! Schon in frühester Zeit verbot ein strenges Gesetz den Alten, Menschen von ägyptischem Blut zu opfern, doch Fremde oder solche darzubringen, welche anderen Göttern dienten als den ihren, das war ihnen gestattet.
»Das Gleiche, Mitbürger und Glaubensgenossen, auch uns steht es zu. Und nun merket auf, alle, alle: Scheinet es nicht, als wünsche das Schicksal uns zu helfen, unserem gesegneten Nil das Opfer endlich darzubringen, das ihm so viele Jahrzehente und Jahrhunderte vorenthalten ward? Er verlangt es, und es ist uns zugeführt worden wie durch ein Wunder; denn um eines Vergehens willen, das ihre Reinheit nicht trübte, haben heute die Richter eine schöne, untadelige Jungfrau zum Tode verurteilt, eine Fremde, und noch dazu eine Griechin und ketzerische Melchitin.
»Das ergreift euch, das erregt eure Seelen mit dankbarer Freude, ich seh’ es! So rüste Dich denn zur Vermählung, edler Strom, Wohlthäter dieses Landes und Volkes! Die Jungfrau, die Braut, nach der Dich verlangt, wir schmücken sie für Dich, wir führen sie Dir zu, sie sei die Deine!
»Und ihr, ihr Memphiten, Mitbürger, Leidensgenossen,« und dabei neigte das Stadthaupt sich weit vor über den Altan und der Menge entgegen, »wenn ich euch nun um eure Zustimmung bitte, wenn ich in des versammelten Senats und dieses Greises Namen euch frage...«
Da unterbrach ihn das gewaltige, zum Himmel aufbrausende Jubelgeschrei der versammelten Menge und tausend Stimmen riefen:
»In den Nil mit der Jungfrau!«
»Die Melchitin wird mit dem Strome vermählt! Kränze für die Nilbraut, Blumen für ihre Hochzeit!«
»Achten wir auf die Lehre der Väter!«
»Heil dem Berater! Heil dem weisen Horus Apollon! Heil unserem Stadthaupt!«
So schrie und rief es froh und begeistert durcheinander, nur von der Nordseite des Marktes her, wo die leeren Tische der Wechsler standen, die ihr Gold und Silber längst in Sicherheit gebracht hatten, erhob sich ein mißfälliges, drohendes Gemurmel.
Die Brust des Kindes auf den Armen des Persers hatte längst schwer und tief zu atmen begonnen. Es meinte zu wissen, wen die Teufel da oben zu dem verruchten heidnischen Opfer ausersehen hatten, und wie Maria sich zu Frau Johanna niederbeugte, um sich zu überzeugen, ob sie ihre gräßliche Ahnung teile, sah sie die Augen der Witwe und ihrer Tochter in Thränen schwimmen, und sie wußte genug und fragte nicht weiter; denn ein neuer Vorgang nahm ihre Aufmerksamkeit in Anspruch.
Bei den Wechslertischen hatte sich eine Hand mit einem Kruzifix hoch erhoben, und das Kind sah, wie sie sich stetig und unaufhaltsam der Kurie entgegenbewegte. Die Menge machte dem Manne, dem sie angehörte, und dem Heiligtum, das sie trug, Platz, und es war Maria, als weiche der Auflauf vor dem vorwärtsschreitenden Bild des Gekreuzigten auf beiden Seiten zurück, wie die Wogen des Schilfmeeres vor dem fliehenden Volke Gottes.
Das Gemurmel an der Nordseite des Marktes wurde stärker, der Jubel der Menge verlor an Kraft, jede Stimme schien sich zu dämpfen, und nun erstieg eine kleine, schmächtige, aber stolz und straff aufgerichtete Gestalt in bischöflichem Gewande Stufe auf Stufe und verschwand endlich in der Kurie.
Zurückebbend verwandelte sich das Geschrei in ein unwilliges, fragendes Gemurmel, und auch dies verstummte, da der kleine Mann, der doch groß erschien durch das Kruzifix, das er hoch hielt, auf dem Altan erschien, sich der Brüstung näherte und den Arm mit dem Bilde des Gekreuzigten weit vor und über die vordersten Reihen des Volkes streckte.
Da trat der alte Horus Apollon mit zornig funkelnden Augen auf das Stadthaupt zu und forderte es auf, dem Eindringling das Wort zu entziehen, doch den Purpurfärber hatte das gewaltige Auge des kleinen Mannes getroffen, und er ließ ihn gesenkten Hauptes gewähren. Auch keiner der Buleuten wagte ihm den Weg zu verlegen; denn jeder kannte den eifrigen, willensstarken, gelehrten Presbyter, der seit gestern an die Stelle des verstorbenen Bischofs Plotinus getreten.
Und jetzt rief der neue Seelenhirt, so laut er vermochte, in seine widerspenstige Herde hinein:
»Sehet diesen am Kreuze und hört seinen Diener! Nach dem Segen Christi schmachtet ihr und treibet dennoch heidnische Gräuel. Der abgöttische Jubel, durch den ich mir den Weg bahnte zu euren Ohren, in Jammergeheul wird er sich wandeln, wenn ihr sie verstopft und sie taub macht für die Worte des Heils.
»Ja, murrt nur!
»Mich bringt ihr doch nicht zum Schweigen; denn aus mir redet die Wahrheit, die niemals verstummt! Für jeden, der es noch nicht weiß, sei hier gesagt: der Krummstab des verstorbenen Plotinus ward auf mich übertragen. Mit Sanftmut und Güte möcht’ ich ihn brauchen, doch muß es sein, schwing’ ich ihn wie ein Schwert und eine Geißel, bis ihr aus Wunden blutet und die Beulen euch reibt!
»Sehet hier das Bild eures Erlösers in meiner Rechten. Ich pflanze es auf wie eine Mauer zwischen euch und die heidnische Gräuelthat, der ihr zugejauchzt in eurer Verblendung.
»Ihr Verruchten, ihr Abtrünnigen! Aufwärts die Herzen, und hinaufgeschaut zu ihm, der am Kreuze gestorben, um euch zu erretten. Wahrlich, er läßt den nicht untergehen, der an ihn glaubt; aber ihr, wo ist euer Glaube? Weil es Nacht ward, heulet ihr: ›Das Licht ist erloschen!‹ Weil ihr krank seid, meinet ihr: ›Der Arzt kann nicht helfen!‹ Welche Lästerungen sind hier erklungen: ›Ohnmächtig,‹ hieß es, ›ist der Herr, ist seine Kirche! Zauberei, Magie, heidnische Missethat soll uns retten.‹ Aber gerade weil ihr nicht auf den wahren Retter und Erlöser hofft, sondern auf heidnische Missethat, Magie und Zauberei, wird Strafe auf Strafe über euch gehäuft, und so geht es fort – ich seh’ es kommen – bis ihr völlig im Schlamm erstickt und ächzend nach der einzigen Hand suchet, die euch aufrichten könnte.
»Womit verblendete Menschenkinder euch zu retten verheißen vom Unglück, das – das – gerade das ist der Urquell eurer Leiden, und hier steh’ ich, um diesen Quell zu verstopfen und ihm das Bett abzugraben.
»Molochsdiener wollt ihr werden, und zu Christen hoff’ ich euch wieder zu machen. Die Jungfrau, die eure Wut in den Abgrund des Stromes stürzen will, die Milde der erhabenen Kirche erhebt sie zu ihrem Schützling; denn mit ihrem leiblichen Tod bringt ihr über euch den Tod eurer Seelen. Der heilige Orion, mit Abscheu wendet er sich von euch. Weg, fort von dem unglückseligen Opfer, weg, ruf’ ich, die verruchten Wünsche und tempelschänderischen Hände!« – —
»Und legt sie in den Schoß, und ringt sie wund im Gebete, bis Elend und Seuche den letzten von euch hingerafft haben!« unterbrach ihn des Greises dünne und kreischende, doch weithin verständliche Stimme, und vom Markt her gaben ihm Tausende ihren Beifall durch lautes Geschrei zu erkennen.
Das Stadthaupt, welches bis dahin dem Bischof reumütig und gesenkten Hauptes zugehört hatte, fand nun auch die verlorene Fassung wieder und rief außer sich:
»Das Volk stirbt, Stadt und Land gehen zu Grunde, aus dem Strom steigt Pest und Verderben. Zeig uns einen andern Rettungsweg oder laß uns auf die Vorfahren sehen und das letzte Mittel versuchen.«
Aber der kleine Mann richtete sich straffer auf, wies mit der Linken auf das Kruzifix und rief mit unerschütterlicher Ruhe:
»Glaubet, hoffet, betet!«
»Ist es etwa nicht geschehen?« schrie das Stadthaupt. »Dir freilich hat kein sterbendes Weib mit gläsernen Augen, Dir hat kein verröchelndes Kind...«
Da erhob sich von unten her neues Gebrüll, so wild und mächtig wie nie vorher, und jeder, dem der Tod in das Haus und ans Herz gegriffen, dem Garten und Acker verdorrt war, dem Dattel auf Dattel von den Bäumen gefallen, erhob die Stimme und schrie:
»Das Opfer, das Opfer!«
»In den Strom mit der Jungfrau!«
»Heil den Rettern, Heil dem weisen Horus Apollon!«
Aber andere riefen dazwischen:
»Lasset uns Christen bleiben!«
»Heil dem Bischof Johannes!«
»Unsere Seelen!«
Indessen suchte der Prälat die Aufmerksamkeit des Volkes von neuem auf sich zu ziehen, und da ihm dies nicht gelang, wandte er sich abermals an das Stadthaupt, die Buleuten, den Tubabläser, und endlich gelang es ihm, diesen zu bewegen, wiederum und noch einmal und öfter und stärker in das Erz zu stoßen, doch sein Schall blieb ohne Wirkung; denn auf dem Markte waren einzelne Gruppen aneinander geraten, und Balgerei und Handgemenge drohten in einen blutigen Straßenkampf auszuarten.
Von dem Masdakiten gedeckt, war es den Frauen gelungen, den Markt zu verlassen, bevor arabische Reiter heransprengten, um die Streitenden auseinander zu treiben; auf der Kurie aber erklärte der Bischof Johannes den Vätern der Stadt, daß er alles aufbieten werde, um das unmenschliche und unchristliche Opfer einer Jungfrau zu verhindern, wenngleich sie eine Melchitin sei und zum Tode verurteilt. Heute noch werde er eine Brieftaube an den Patriarchen nach Oberägypten senden und seine Entscheidung einholen.
Als Horus Apollon ihm sodann entgegnete, der Vertreter des Chalifen habe seine Einwilligung zu dem Opfer erteilt, und auch gegen den Willen der Geistlichkeit werde man dem Verderben des Volkes ein Ende machen, brauste der Bischof heftig auf und bedrohte diejenigen, welche den gräßlichen Anschlag ersonnen, mit dem Fluche der Kirche.
Da trat ihm der Greis mit flammender Beredsamkeit abermals entgegen, die verzweifelten Buleuten hielten zu ihm, und tief aufgebracht verließ der Bischof die Kurie.
Vierundvierzigstes Kapitel.
Für die stille, in sich zurückgezogene Witwe des Rufinus gab es wenig Unerträglicheres als eine Zusammenrottung des Pöbels.
Die entfesselte Leidenschaft, der Tumult und all das Gemeine, womit man dabei in Berührung kam, verletzte ihr zartes Wesen, und während der Rede des Greises hatte sie nur der eine Wunsch beseelt, dem Gedränge zu entrinnen, doch sobald es ihr zur Gewißheit geworden, daß Paula die Unglückliche sei, welche ihr furchtbarer Hausgenosse dem Aberglauben der Menge auszuliefern wünschte, dachte sie nicht mehr an Heimkehr, sondern harrte aus unter dem Volke und ließ sich endlich mit den beiden Mädchen von Rustem in das Gefängnis geleiten, obgleich der Weg dahin durch die belebtesten Straßen führte.
Hatte das unsagbar Schreckliche, das Paula drohte, schon durch die Mauern des Kerkers den Weg zu ihr gefunden, oder war es ihr, Johanna, noch vergönnt, sie vorzubereiten, und sie, die das über sie verhängte Todesurteil ohnehin an den Rand der Verzweiflung getrieben haben mußte, zu trösten?!
Gestern wäre der Kerkermeister ihrem Wunsche, Paula zu sehen, willig und ohne Widerspruch entgegengekommen; denn der Kadhi hatte ihm befohlen, ihr wie Orion jede Rücksicht angedeihen zu lassen, doch die Drohungen des Wekil veranlaßten ihn, Frau Johanna zurückzuweisen; aber während diese mit ihm verhandelte, streckte sein kleines Söhnchen, mit dem Pulcheria schon gestern in ihrer lieben Weise gespielt, ihr wieder die Aermchen entgegen, und sie hob es auf und küßte es, und erwies damit drei Herzen zugleich etwas Gutes, das Beste aber der jungen Mutter des Kindes, und diese nahm sich der Frauen wiederum an und veranlaßte ihren Mann, ihnen auch jetzt noch gefällig zu sein.
Die hübsche Emau hatte unter den Palmen bei der Herberge ihrer Eltern den fröhlichen Orion weit lieber als manchen andern Gast bedient, und ihr Mann, ein seiner Ehehälfte in echt ägyptischer Weise gehorsamer Gatte, der bis dahin nicht frei von Eifersucht gewesen war, zeigte sich noch freudiger gefällig gegen den Sohn seines Wohlthäters, seitdem er erfahren, daß die schöne Damascenerin dessen Braut sei.
In den großen Verbrechersälen ging es heute wie immer, wenn die Richter ein Todesurteil gefällt hatten, besonders stürmisch her, und die Frauen schauderten, wenn diese Unglücklichen laut aufjauchzten und brüllten. Von manchem schrillen Schrei konnte niemand sagen, ob er wildem Uebermut oder grausamem Schmerz den Ursprung verdanke, und eine passendere Begleitung für dies entsetzliche Getöse als Kettengerassel ließ sich nicht denken.
Wie die Frauen endlich zu Paulas Zelle gelangten, schlug ihnen das Herz gar bang; denn hinter der Thür, die der Wärter da öffnete, mußte Todesangst und Verzweiflung hausen.
Die Gefangene stand am Fenster, drückte die Stirn an das eiserne Gitter und lauschte in das Dunkel hinaus auf das Lautenspiel des Geliebten, welches in das Gebrüll der Verbrecher hineinklang wie Glockengeläut in Donnerwetter und Sturm.
Neben ihrer schlichten Bettstatt saß die Amme auf einem Schemel und schlief mit der Spindel im Schoß, und weder sie noch ihre Herrin wurde der Eintretenden gewahr. Ein elendes Lämpchen erleuchtete das enge Gemach.
Maria wollte auf die Freundin zustürzen, doch Frau Johanna hielt sie zurück und rief Paula zärtlich, aber leise bei Namen. Doch sie ward nicht vernommen, Schmerz und Todesangst hielten wohl die Seele der Verurteilten gefangen.
Nun erhob die Witwe die Stimme lauter, und diesmal wandte die Unglückliche sich um und stieß gleich darauf einen leisen, freudigen Schrei aus, eilte auf die treuen Menschen zu, die sie auch im Kerker zu finden wußten, und zog erst die Witwe, dann Pulcheria, dann das Kind mit lebhafter Zärtlichkeit an sich, und als Frau Johanna ihr Gesicht in die zarten Hände nahm, um sie zu küssen und zu sehen, wie Gram und Todesfurcht ihre schönen Züge verändert, drängte sich ihr ein leiser Ruf der Verwunderung auf die Lippen; denn sie hatte keineswegs in ein verhärmtes und geängstigtes, sondern in ein frohes, ruhiges Antlitz geschaut, und es blickten ihr daraus zwei große Augen hell und dankbar entgegen.
Hatte man ihr noch verschwiegen, was sie bedrohte?
Aber nein; begann sie doch gleich mit der Frage, ob sie schon von ihrer Verurteilung gehört? Und nun erzählte sie, wie es ihr vor den Richtern ergangen, und wie ihr der Freund und Pflegevater ihres guten Philipp plötzlich und unbegreiflicherweise als erbittertster Feind entgegengetreten.
Da konnten die anderen den Thränen nicht mehr gebieten, und nun tröstete und beruhigte sie Paula und teilte ihnen mit, daß sie in dem Kadhi einen väterlichen Freund gewonnen, der ihr verheißen, den Chalifen um Gnade für sie zu bitten.
Frau Johanna wußte sich bei alledem kaum zu fassen. Wie ein Wunder erschien ihr dies Mädchen und seine Heldengröße gegenüber dem Unglück.
Schönes Zutrauen! Doch wie leicht konnte es betrogen werden, wie unsicher war der Grund, in den sie den Anker der Hoffnung geworfen.
Selbst Maria erschien besorgter als die Freundin und warf sich ihr weinend an die Brust.
Und Paula erwiderte ihre Zärtlichkeit und suchte Pulcheria über die Schändlichkeit ihres alten neuen Hausgenossen zu beruhigen und lächelte die Witwe freundlich an, als sie fragte, woher sie die Fassung bei so schwerem Mißgeschick nehme, und sagte, ihr Beispiel habe sie gelehrt, das Schwerste ergeben zu tragen. Selbst in diesen dunklen Stunden finde sie weit mehr zu danken als zu klagen, ja, aus ihnen sei helles Glück für sie aufgegangen.
Jetzt erst erinnerten sich Johanna und die Mädchen, daß sie Braut sei, und nun wurde sie wieder von geliebten Armen umschlungen.
Da klopfte der Wärter, und nun richtete Paula sich sinnend auf und rief leise:
»Ich habe Orion etwas zuzustellen, das ich keinem Fremden anvertrauen darf, und jetzt, jetzt hab’ ich Dich, Maria, und Du sollst es ihm überbringen.«
Dabei zog sie den Smaragd hervor, gab ihn der Kleinen und trug ihr auf, ihn ihrem Oheim zuzustellen, sobald sie mit ihm allein sei. In dem Briefchen, welches das Juwel umgab, bat sie den Verlobten, es als sein Eigentum zu betrachten und die Forderung der Kirche damit zu befriedigen.
Der Wärter war leicht zu bestimmen, das Kind zu seinem Oheim zu führen, und wie froh und glücklich flog Maria ihm voran, zu Orion hinauf, wie groß war dessen Freude, sie wiederzusehen, wie dankbar zog er den Smaragd an die Lippen; doch als sie dem Oheim zurief, daß ihre Voraussagung nun doch eintreffe und Paula die Seine werde, faltete sich ihm die Stirn, und voll schweren Ernstes klagte er dem Kinde, daß er sein Liebstes doch wohl nur gewonnen, um es zu verlieren.
»Doch der Kadhi ist euer Freund und erwirkt euch die Gnade des Chalifen!« rief die Kleine.
»Aber dafür tritt plötzlich ein neuer Feind gegen uns auf – Horus Apollon.«
»O, unser Alter!« knirschte das Kind. »Wenn Du wüßtest, Orion! Und dabei unter einem Dach mit ihm wohnen!«
»Du?« fuhr der Jüngling auf.
»Ja, ich und die Pul und Mutter Johanna!« Und nun erzählte Maria, wie der Alte in ihr Haus gekommen, und durch mancherlei Andeutungen erriet Orion, daß sie ihm etwas Wichtiges vorenthalte, und so drang er in sie, ihm nichts zu verschweigen, und das Kind konnte endlich nicht umhin, ihm alles zu eröffnen, was es gesehen und gehört.
Da verließen ihn Zuversicht und Ruhe. Außer sich rief er den Namen der Geliebten und sehnte dabei in leidenschaftlichen Worten den Feldherrn zurück, Amr, den einzigen Mann, der helfen konnte in dieser Not. Auf ihn setzte er seine ganze Hoffnung. Wie ein zweiter Vater habe er sich gegen ihn erwiesen und ihm eine schwierige, aber schöne Aufgabe gestellt.
»In die Du Dich kopfüber gestürzt hast!« rief das Kind.
»Erwogen hab’ ich alles schon auf der Reise,« versetzte Orion. »Gestern versuchte ich auch, das Erste niederzuschreiben, doch mir fehlte dazu gerade das Beste: die Karten und Listen! Nilus hatte das alles zusammengethan, es sollte mich auf der Fahrt mit den Nonnen begleiten, und ich hatte den Befehl erteilt, es in das Haus des Rufinus...«
»Es zu uns zubringen?« unterbrach ihn das Kind mit leuchtenden Augen. »O, es ist da! Ich habe die Schriften selbst gesehen, wie die Truhe für den Alten ausgeräumt ward, und morgen, morgen in der Frühe hast Du sie alle!«
Da küßte Orion dem Kinde froh und hastig die Stirn, schlug dann mit der Faust an eine Wand seiner Zelle und rief, nachdem sich an der Rückseite derselben ein knarrendes Etwas verschoben:
»Gute Kunde, Nilus! Die Pläne und Listen sind wieder da; ich habe sie morgen!«
»Vortrefflich!« antwortete des Rentmeisters trockene Stimme aus dem Nebenraum. »Wir können Tröstliches brauchen! Vorhin bekam ich einen Genossen, der sich bei einem Aufstand auf dem Markt an einem arabischen Reiter vergriffen. Der erzählt entsetzliche Dinge.«
»Die meine Verlobte betreffen?«
»Leider, Herr!«
»So bin ich schon unterrichtet,« entgegnete der Jüngling, und nachdem er mit dem Rentmeister noch einige Worte über den verruchten Anschlag des Alten gewechselt, fuhr Nilus fort:
»Mein Zellengefährte erzählt auch, die Araber hätten, während er auf ihrer Wache zurückgehalten ward, von einem Boten des Feldherrn gesprochen, der dessen Ankunft in Medina melde, und außerdem, daß er dort nur kurze Zeit zu verweilen gedenke. Seine Rückkehr läßt also nicht lange mehr auf sich warten.«
»Und so ist er längst fort, bevor die Boten des Kadhi dahin gelangen und dem Chalifen sein Gnadengesuch überreichen. Auf Amr, nur auf ihn dürfen wir hoffen, und wenn er unterwegs zu benachrichtigen wäre...«
»So hält er sich gewiß nicht in Oberägypten auf, so beschleunigt er die Reise oder sendet einen Bevollmächtigten voraus,« ließ es sich durch die Wand vernehmen. »Hätten wir nur einen sichern Mann ihm entgegenzuschicken. Unsere Leute sind in alle Winde zerstreut, und jetzt nach ihnen suchen
Da fiel ihm Marias helle Kinderstimme ins Wort: »Ich schaffe den Boten.«
»Du? Bedenke doch, Mädchen!« unterbrach sie Orion.
Sie aber achtete seiner Einwände nicht, sondern fuhr, ihrer Sache gewiß, eifrig fort:
»Es soll ihm alles, alles berichtet werden! Darf man ihm auch anvertrauen, was ich von eurer Teilnahme an der Flucht der Nonnen erfahren?«
»Nein, in keinem Falle!« riefen der Rentmeister und der Jüngling zugleich, und Maria entnahm aus diesem Ausruf, daß ihr Vorschlag angenommen werde und schlug in die Hände und rief, ganz Eifer und mit glühenden Wangen:
»Morgen bricht der Bote auf, verlaßt euch auf mich. Ich mach’ es so gut wie der Größte. Und nun gib mir den Weg genau an, den er nimmt. Zur Sicherheit ritze die Namen der Stationen hier in mein Täfelchen ein.. – Aber wart’, ich muß es erst glätten!«
»Was steht denn da auf dem Wachse?« fragte Orion. »Ein großes Herz mit lauter Rechtecken darin. Das bedeutet?«
»Dummheiten!« machte das Kind, ein wenig beschämt. »Ich gab nur an, wie ich mein Herz unter denen, die ich liebe, verteile. Die eine ganze Hälfte gehört unserer Paula, dies Quadrat ist das Deine, aber da, da, da« – und damit stieß sie mit dem Stift ins Wachs – »hier hatte ich auch dem Alten ein Plätzchen gegönnt. Komm Du mir nur wieder!«
Dabei glätteten ihre geschickten Finger das Wachs, und Orion zeichnete über das vernichtete Herz, die Spielerei eines Kindes, Dinge auf, von denen Leben und Tod zweier Menschen abhing. Er that es in gutem Zutrauen auf das Geschick und die Gewissenhaftigkeit seiner kleinen Bundesgenossin. Morgen in aller Frühe sollte sie noch für den Boten einen Brief an den Feldherrn erhalten.
»Aber ein rascher Ritt – und Amr wählt immer den Weg über die Berge und Berenike – ist teuer,« bemerkte der Rentmeister, »und wenn wir auch unsere letzten Goldstücke zusammenthun, reichen sie schwerlich.«
»Behaltet sie, ihr habt sie hier nötig,« unterbrach ihn das Kind. »Aber nein... da wären zwar meine Perlen und der Schmuck meiner Mutter... indessen...«
»Von dergleichen soll man sich nicht trennen, Du goldenes Herzchen,« fügte Orion hinzu.
»O doch, doch. Was thu’ ich damit? Aber das von der Mutter hat Frau Johanna in Verwahrung.«
»Und Du scheust Dich, sie darum zu bitten?« fragte der Jüngling.
Dann wandte er sich an den Rentmeister, und als der die erforderliche Summe überschlagen, zog er einen kostbaren Sapphir vom Finger, gab ihn Maria und trug ihr auf, ihn ihrer Pflegemutter zu übergeben. Der Jude Gamaliel werde ihr auf dies Pfand hin so viel anvertrauen, wie sie bedürfe.
Fröhlich steckte Maria das Kleinod zu sich, doch als der Wächter bald darauf erschien, schlug ihre Glückseligkeit plötzlich in ebenso lebhafte Kümmernis um, und sie nahm von Orion Abschied, als stehe ihnen eine Trennung fürs Leben bevor.
In dem zu Paulas Zelle führenden Gange blieb der Wärter plötzlich stehen; denn die Treppe herauf kamen Leute.
Wenn es der schwarze Wekil war und zu dieser Stunde noch Besuch im Gefängnis fand!
Aber nein!
Zwei Lampen wurden dem Gast vorangetragen, und in ihrem Schein erkannte ihr Begleiter den Presbyter Johannes, den neuen Bischof von Memphis, der schon früher oft hieher gekommen, um Gefangene zu trösten.
Heute führte ihn der Wunsch, die bedrohte Melchitin zu sehen, so spät in den Kerker. Marias Haltung und Kleidung verrieten ihm, daß sie keinem Beamten des Hauses angehöre, und sobald er erfahren, wer sie sei, raunte er seinem Begleiter, einem alten Diakonen, den er stets mit sich nahm, wenn er weibliche Gefangene besuchte, zu: »Hier findet man sie!« Nachdem er sich darauf unterrichtet, mit wem das Kind zu so später Stunde hieher gekommen, wandte er sich wiederum an seinen Amtsbruder und sagte leise: »Des Rufinus Gattin und Tochter. Also doch! Hab’ die Griechen schon lange im Auge. Alljährlich ein– oder zweimal in der Kirche! Verkappte Melchiten! Eins mit der Damascenerin! Und in solcher Umgebung wächst die Enkelin des Mukaukas heran! Ein verruchtes Spiel! Benjamin hat wieder richtig gesehen, jetzt wie immer!« Dann dämpfte er die Stimme noch tiefer und fragte: »Ob wir sie gleich mit uns nehmen?« Und als der Diakonus Einwand dagegen erhob, versetzte er rasch: »Du hast recht; es genügt einstweilen, ihren Aufenthalt zu kennen.«
Inzwischen hatte der Wärter Paulas Zelle geöffnet, und bevor der Bischof sie betrat, richtete er einige freundliche Worte an das Kind und fragte es, ob es sich nicht nach seiner Mutter sehne, und auf Marias: »Recht oft!«, fuhr er ihr mit der knochigen Hand über die Locken und sagte:
»Das dacht’ ich. Du trägst einen schönen Namen, Kind, und wie Deine Mutter, so weihst auch Du vielleicht bald Dein Leben der Frau der Frauen, nach der Du getauft bist.«
Darauf betrat er mit der Kleinen an der Hand die Zelle, und während Paula den Geistlichen, der sie zu so später Stunde besuchte, betroffen anschaute, erkannten Frau Johanna und Pulcheria in ihm den mutigen Priester, welcher dem Greise und dem irregeführten Volke so kräftig entgegengetreten war, und verneigten sich ehrerbietig und tief.
Der Bischof bemerke es und zog daraus den Schluß, daß diese Griechinnen vielleicht dennoch seiner Kirche angehörten. Jedenfalls konnte man ihnen das Kind unbedenklich noch auf einige Tage überlassen.
Nachdem er freundliche Worte mit den Frauen gewechselt, schickte sich die Witwe an, ihm das Feld zu räumen und Abschied zu nehmen. Da trat der Bischof ihr näher und kündigte ihr auf morgen oder übermorgen seinen Besuch an; es handle sich um das Glück eines ihnen beiden teuren Wesens, und Frau Johanna, welche glaubte, er habe Paula im Sinne, flüsterte ihm zu:
»Sie ahnt noch nichts von dem Gräßlichen, womit das Volk sie bedroht. Kann es sein, so verschone sie, bevor sie den Schlaf sucht, mit dieser schrecklichen Kunde.«
»Wenn es sein kann!« wiederholte der Geistliche, und als Maria ihm beim Abschied die Hand küßte, zog er sie zu sich heran und sagte: »Das Christuskind und jedes Christenkind gehört zu der Mutter. Vor Tausenden bist Du bevorzugt, Maria! Deinen Vater hat der Himmel als Märtyrer zu sich genommen, die Mutter weihte sich selbst dem Himmel. Dein Weg ist Dir vorgezeichnet, Kind; denke darüber nach. Morgen, nein, übermorgen, komm’ ich und führe Dich dem neuen Pfade entgegen.«
Frau Johanna erblaßte bei diesen Worten; denn nun erst verstand sie, was der Bischof mit seinem Besuche bei ihr bezweckte, und am Fuß der Treppe schlang sie den Arm um das Kind und fragte es leise:
»Sehnst Du Dich nach dem Kloster, möchtest Du fern von uns wie Deine Mutter, nur auf das Heil Deiner Seele bedacht, als Nonne leben, in jener stillen Seligkeit, die Dir Pul wohl mehr als einmal beschrieben?«
Doch das Kind verneinte diese Frage entschieden, und als Frau Johanna dabei sorgenvoll und bekümmert den Kopf sinken ließ, zeigte Maria wieder ein heiteres Gesicht und rief ihr zu:
»Nur keine Furcht, liebe Mutter! Bis übermorgen ändert sich noch manches. Laß den Herrn Bischof nur kommen, ich werde schon mit ihm fertig. O, Du kennst mich noch gar nicht! Wie ein Lämmchen bin ich unter euch gewesen bei all dem Unglück und schweren Ernst, doch es steckt noch was ganz anderes in mir; Du wirst Dich wundern!«
»Bleibe lieber, wie Du bist!« bat die Witwe.
»Immer, immer voller Liebe für Dich und die Pul; aber ich bin eine große Vertrauensperson geworden: morgen früh hab’ ich etwas Wichtiges für Orion zu thun. Etwas... Rustem wird mich begleiten. Wichtig, wichtig, Mütterchen! Aber was es ist, das darf ich keiner Seele verraten, nicht einmal Dir!«
Hier wurde sie unterbrochen; denn das schwere Thor des Gefängnisses ging knarrend vor ihnen auf.
Für den Bischof wurde es erst mehrere Stunden später wieder erschlossen, so lange hielt ihn das Gespräch mit Paula in ihrer Zelle zurück.
Auf die Frage, ob sie eine orthodoxe Griechin sei, wie das Volk sich ausdrücke, eine Melchitin, erteilte sie eine bejahende Antwort und fügte hinzu, daß wenn er sie aufgesucht habe, um sie von dem Glauben ihrer Eltern abwendig zu machen, sein Gang vergeblich gewesen sei; doch achte sie in ihm den Christen, den Priester, den Gelehrten, den Mann, welchen ihr verstorbener Oheim unter allen Geistlichen seiner Konfession am höchsten gehalten, und sie wolle ihm gern eröffnen, was ihr im Angesicht des nahenden Todes die Seele bewege.
Da schaute er ihr in die reinen, ruhigen Züge, und wenn er nach ihrer ersten Antwort willens gewesen war, ihr mit dem furchtbaren Schicksal zu drohen, das er auf dem Markte bemüht gewesen war von ihr abzuwenden, dachte er nun an die Bitte der freundlichen griechischen Frau und legte sich Stillschweigen auf.
Bis gegen Mitternacht ließ er sich berichten, was sie in ihrem jungen Leben an Glück und Unglück erfahren, erforschte sein scharfer Geist ihre Seele, erhob sich sein frommes Herz an der Kraft und dem Mut des ihren, und als er sie verlassen und er mit dem Diakonus heimwärts wandelte, war das erste Wort, womit er das Schweigen brach, das er lange Zeit inne gehalten:
»Wahrend Du schliefest, schenkte mir Gott durch dies ketzerische Weltkind eine erhebende Stunde.«
Fünfundvierzigstes Kapitel.
Nachdem sich das Thor der hohen Gefängnismauer hinter den Frauen geschlossen, ging Frau Johanna am Arm ihrer Tochter durch die immer noch heißen nächtlich stillen Straßen, und ihnen folgten Rustem und das Kind.
Des Riesen gutes Herz hing an Maria, und oft fuhr er sich mit der großen Hand über die Augen, während sie ihm erklärte, was das Schauspiel, dem er auf dem Markte mit beigewohnt, bedeutet habe und welch ein furchtbares Ende Paula bedrohe.
Bisweilen unterbrach er sie mit wunderlichen Naturlauten, die seinem Kummer und Zorn Ausdruck gaben; denn er blickte zu seiner schönen Pflegerin auf wie zu einem höheren Wesen, und Mandane hatte oft bemerkt, daß sie nie vergessen dürften, was die vornehme Jungfrau für sie gethan.
»Wenn ich,« brach Rustem endlich los und erhob die gewaltige Faust, »wenn ich so könnte, sie sollten...« und die Kleine schaute dabei klug und bittend zu ihm auf und rief eifrig:
»Du könntest, Rustem, Du könntest!«
»Ich?« fragte der Perser verwundert und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ja, Du, Rustem; gerade Du; ‘s ist da im Gefängnis etwas verabredet worden, und wenn Du nur ein wenig guten Willen hättest, uns dabei zu helfen...«
»Guten Willen,« lachte der wackere Gesell und schlug sich auf die Brust. Dann fuhr er in dem ihm eigenen, sonderbaren gebrochenen Griechisch, das aber recht wohl verständlich war, fort: »Haut und Haar setz’ ich ein für die Jungfrau. Nur ‘raus mit der Sprache!«
Da umklammerte das Kind den Arm des großen Menschen mit beiden Händen, zog ihn an sich und sagte: »Wir wußten ja, daß Du ein dankbares Herz hast. Aber siehst Du,« hier unterbrach sie sich selbst und fragte in völlig verändertem Ton: »Glaubst Du an einen Gott? Oder warte... Weißt Du, was ein heiliger Eid ist? Kannst Du auf etwas schwören? Ja, ja,« und nun richtete sie sich so hoch auf, wie es anging, und fuhr feierlich fort: »Schwöre mir bei Deiner Braut Mandane, und so wahr Du glaubst, daß sie Dich lieb hat...«
»Aber, Seelchen...«
»Schwöre mir bei ihr, daß Du das, was nun kommt, keinem Menschen verraten willst, auch nicht der Mutter Johanna und Pul, und auch Deiner Mandane nur, wenn es nicht anders geht und nachdem sie Dir heilig versprochen...«
»Was denn? Mir wird schon ganz bange; was soll ich beschwören?«
»Das nicht zu verraten, was ich Dir jetzt anvertrauen werde.«
»Nun ja, ja, kleine Herrin, das kann ich versprechen.«
Da atmete Maria mit einem langgedehnten »Ah!« tief auf und eröffnete ihm, daß dem Feldherrn Amr ein zuverlässiger Bote entgegengesandt werden müsse, um Paula beizeiten zu retten, und dann folgte die Frage, ob er den Weg über die Berge von Babylon nach dem alten Berenike kenne, und als er erwiderte, den habe er eben zurückgelegt, und er sei der nächste ans Meer, wenn man nach Dschidda und Medina wolle, wiederholte sie ihr befriedigtes »Ah!«, ergriff seine Hand und fuhr, indem sie mit seinen großen Fingern spielte, schmeichlerisch bittend und doch dringend fort: »Und nun, guter, bester Rustem, nun gibt es nur einen einzigen zuverlässigen Boten in Memphis; aber der, siehst Du, der hat eine Braut, und darum möcht’ er lieber heiraten und mit ihr fort in die Heimat, als uns helfen, der unglücklichen Paula das Leben retten.«
»Der Lump!« brummte der Perser.
Da lachte Maria laut auf: »Ja, der Lump!« und fuhr munter fort: »Aber Du schimpfst Dich ja selbst, dummer Rustem! Du, Du bist der Bote, den ich meine, der einzige treue und zuverlässige weit und breit. Du, Du sollst dem Feldherrn entgegen...«
»Ich?« fragte der Karawanenführer erschreckt und blieb stehen; doch Maria zog ihn vorwärts und sagte:
»Nur weiter, sonst merken die da vorn noch etwas; Du, ja, Du sollst...«
»Aber, Kind, Kind,« unterbrach der Perser sie kläglich; »ich muß ja zu meinem Herrn zurück, und ich, siehst Du, alles, was recht ist...«
»Du willst nur nicht fort von Deinem Mädchen, und wenn auch die freundliche Jungfrau, die Tag und Nacht bei euch gewacht hat, deswegen dem Tode verfällt, dem gräßlichsten, grausamsten von allen. Der andere, den niemand gesund gepflegt hat, ja, für den bist Du schnell mit dem ›Lump‹ bei der Hand aber Du...«
»Ruhe doch! Hör mich doch, kleine Herrin!« unterbrach sie Rustem wieder und entzog ihr die Hand. »Ich wollt’ ja noch warten, und die Mandane müßt’ sich schon fügen, aber eines taugt nicht für alle. Reiten und Waren führen, den Kamelknecht in Zucht halten, ein Lager aufschlagen, das kann ich, doch mit großen Herren verkehren, mit Bitten und Wünschen einem Mann wie dem Feldherrn unter die Augen gehen, siehst Du, Seelchen – und gält’ es, den eigenen Vater retten – das wäre...«
»Aber wird denn das von Dir gefordert?« fragte die Kleine. »Stumm wie ein Fisch kannst Du bleiben; das Reden ist die Sache Deines Begleiters.«
»So soll noch ein anderer... Aber, großer Masdak! – So laßt es mit dem doch genug sein!«
»Mußt Du mich denn immerfort unterbrechen?« fiel das Kind ihm ins Wort. »Erst hören und dann Einwände machen! Der zweite Bote also, das ist gar kein Bote, sondern nur eine Botin, und die – thu die Ohren nur auf – die bin ich, ich hier, und wenn Du noch einmal stehen bleibst, so denk’ ich, Du willst mich verraten. Kurz und gut, und so gewiß ich wünsche, Paula zu retten, so bestimmt reite ich dem Feldherrn entgegen; und wenn Du Dich weigerst, mich zu begleiten, so geh’ ich allein und versuche, ob nicht der buckelige Gibbus . .
So lange hatte Rustem bedurft, um sich dieser ungeheuren Ueberraschung gegenüber zurecht zu finden; nun aber rief er: »Du – Du... Und bis Berenike, und gar über die Berge...«
»Ja, über die Berge,« sprach sie ihm nach, »und, muß es sein, auch durch die Wolken.«
»Aber so etwas gibt es ja gar nicht, das ist ja noch gar nicht dagewesen auf Erden!« klagte der Perser. »Ein Mädchen, so ein kleines Fräulein, als Bote, ganz allein mit solchem ungeschlachten Kerl, wie ich bin. Nein, nein, nein!«
»Und noch hundertmal nein und wieder nein,« fuhr das Kind fröhlich fort. »Das Fräulein bleibt nämlich zu Hause, und Dich begleitet ein Bub’, den Du Marius nennen wirst, nicht Maria.«
»Ein Bub’! Ich dachte doch... Man wird ja ganz irre!«
»Ein Bub’, der ein Mädchen ist und ein Junge in einer Person,« lachte Maria. »Doch Du willst alles deutlich: Als Knabe verkleidet werd’ ich Dich begleiten, und morgen, wenn wir aufbrechen, gib acht, da hältst Du mich für meinen eigenen Bruder.«
»Ihr eigener Bruder! Solch ein Köpfchen! Da wird ja alles Unmögliche möglich,« lächelte Rustem und blickte dabei wohlgefällig auf die Kleine; doch plötzlich stellte sich ihm wieder die Ungeheuerlichkeit ihres Verlangens vor die Seele, und außer sich rief er: »Aber mein Herr, mein Herr! Es geht, nein, es geht nicht!«
»Gerade um seinetwillen leistest Du uns den Dienst,« entgegnete Maria zuversichtlich. »Er ist Paulas Freund und Beschützer, und wenn er hört, was Du für sie gethan, wird er Dich loben; läßt Du uns aber im Stich, so weiß ich gewiß...«
»Nun?«
»Daß er sagt: ›Ich hätte den Rustem für klüger und gutherziger gehalten.‹«
»Das, meinst Du, würde er sagen?«
»So wahr dort unser Haus steht! Wir haben gar keine Zeit mehr zum Streiten, und es bleibt dabei: wir reisen zusammen. Morgen früh find’ ich Dich im Garten. Deiner Mandane sagst Du, ein wichtiges Geschäft rufe Dich fort.«
»Und Frau Johanna?« fragte der Perser, und seine Stimme klang nachdenklich und besorgt, als er fortfuhr: »Daß Du sie nicht fragst und ins Vertrauen ziehst, Kind, das will mir am wenigsten gefallen.«
»Aber sie wird alles erfahren, nur nicht sogleich,« versetzte Maria, »und wenn sie übermorgen zu hören bekommt, zu welchem Zweck ich sie verlassen und daß Du mich begleitest, so wird sie uns loben und segnen; sie thut es, so wahr ich hoffe, daß der liebe Gott uns beisteht auf unserer Reise.«
Diese Worte, denen man anhörte, daß sie aus tiefstem Herzensgrund kamen, brachen den letzten Widerstand des Masdakiten – zu rechter Zeit; denn ihre Wanderung war zu Ende, und beiden kam es vor, als hätten sie den weiten Weg mit wenigen Schritten durchmessen.
Sie waren an lärmenden und streitenden Bürgergruppen hart vorübergekommen, und mancher Leichenzug hatte vor ihren Augen an der Seuche Verstorbene bei Fackelschein zu Grabe geleitet, doch dies alles war ihnen entgangen.
Erst bei der Gartenthür bemerkten sie wieder, was um sie her vorging.
Dort fanden sie den Gärtner Gibbus und die gesamte Dienerschaft, welche mit Besorgnis der spät heimkehrenden Frauen harrte. Auch die Griechin Eudoxia erwartete sie bangen Herzens.
Im Hause wurden sie von Horus Apollon empfangen, doch Frau Johanna und Pulcheria erwiderten seinen Gruß nur mit einer kühlen Verbeugung, und Maria wandte ihm geflissentlich den Rücken. Da zuckte der Greis mißmutig und bedauerlich die Achseln, und auf seinem Zimmer murmelte er vor sich hin:
»Dies Weib! Selbst die guten Tage, auf die ich für den Rest des Lebens hoffte, es wird sie verderben!« Die Witwe und ihre Tochter sprachen in ihrem Schlafgemach noch lange über Maria. Sie hatte ihnen mit solcher Hingabe und Zärtlichkeit gute Nacht gewünscht, als stehe ihr jetzt schon die Trennung fürs Leben bevor. Armes Kind! Es ahnte, einem wie traurigen Schicksal es der Bischof und vielleicht die eigene Mutter erlesen!
Aber Maria sah nicht aus, als ginge sie dem Unglück entgegen; Eudoxia, die bei ihr schlief, freute sich vielmehr ihres fröhlichen Wesens, nur nahm es sie wunder, daß die Kleine, welche sonst einzuschlafen pflegte, sobald sie das Köpfchen in die Kissen gedrückt, heute so lange wach blieb. Unwillkürlich folgte die alternde Griechin, welche, von mancherlei kleinen Leiden geplagt, immer erst spät zur Ruhe kam, jeder Bewegung des Kindes.
Doch was war das?
Zwischen Mitternacht und Morgen sprang Maria plötzlich vom Lager, warf das Kleid um und begab sich mit dem Nachtlicht ins Nebenzimmer.
Von dorther fiel bald ein hellerer Schein in den Schlafraum. Sie mußte die Lampe angezündet haben und als Eudoxia später die Thür des Wohnzimmers gehen hörte, erhob sie sich und trat leise über die Schwelle.
Jetzt kehrte Maria zurück, und trug die neuen Kleider eines Knaben in der Hand, die nämlichen, welche Pulcheria und die Erzieherin selbst vor kurzem als Sonntagsstaat für den lahmen Gärtnerburschen hergestellt hatten. Lächelnd versuchte die Kleine das blaue Röckchen an, und nachdem sie die Kleider in die Truhe geworfen, setzte sie sich an den Tisch, um zu schreiben. Uebrigens schien Maria sich eine schwere Aufgabe gestellt zu haben; denn bald blickte sie auf den Papyrus und rieb sich dabei die Stirn, bald schaute sie nachdenklich in die Höhe. Schon hatte sie einige Sätze vollendet, als sie plötzlich aufsprang, Eudoxias Namen vor sich hin rief und sich darauf dem Schlafzimmer näherte.
Da trat die Griechin ihr entgegen, und nun stürzte Maria sich ihr an die Brust, und bevor die Erzieherin eine Frage zu stellen vermochte, eröffnete sie ihr, daß sie berufen worden sei, etwas Großes, Wichtiges zur Ausführung zu bringen. Eben habe sie vorgehabt, sie zu wecken, sie zu ihrer Vertrauten zu machen, ihren Rat zu erbitten.
Wie liebenswürdig, wie aufrichtig das alles klang, und wie war sie bei dem feurigen Eifer, der sie beseelte, so reizend befangen.
Der Pädagogin wurde das Herz weit, die scheltenden Worte erstarben ihr auf den Lippen, und es war ihr zum erstenmal, als sei dies elternlose Kind ihr eigenes, als fiele sein Wohl und Wehe mit dem ihren zusammen, als sei sie, die ein Leben lang nur an sich selbst und an das eigene Beste gedacht und die Erziehung Marias bis dahin als Gegenleistung für Sold und Unterhalt betrachtet hatte, als sei sie im stande, für dies Kind sich selbst und ihr letztes zu opfern.
Und wie nun die Kleine ihr die Arme um den Hals schlang und sie anflehte, sie nicht zu verraten, sondern ihr vielmehr bei ihrem guten Werk zu helfen, das ja nichts Geringeres bezwecke, als Paula und Orion, die gefährdeten Unglücklichen, zu retten, begannen ihre trockenen Augen feucht zu glänzen, und sie küßte die glühenden Wangen Marias von neuem und sagte ihr, daß sie ihr liebes, liebes Töchterchen sei.
Das stärkte dieser den Mut, und mit pathetischer Würde, die auf den Lippen der Erzieherin ein Lächeln erweckte, nahm sie die Bibel Eudoxias vom Pulte, und legte sie auf den Tisch und sagte, indem ihr flehender Blick das Auge der Griechin suchte: »Schwöre mir – nein, Du mußt ganz ernst bleiben; denn etwas Wichtigeres kann es nicht geben – schwöre mir, keiner Seele zu verraten, auch nicht der Mutter Johanna, was ich Dir anvertrauen möchte.«
Das versprach Eudoxia, doch einen Eid wollte sie nicht leisten. »Ja, ja, nein, nein,« sei nach dem Gebote des Herrn der beste Schwur eines Christen; aber Maria klammerte sich an sie, streichelte ihr die hageren Wangen und versicherte endlich, nicht reden zu können, wenn Eudoxia ihr den Willen nicht thue, und dieser süßen Schmeichelei konnte die Griechin in dieser Stunde nicht widerstehen und duldete es, daß Maria über ihre, der so viel Aelteren, Hand verfügte und sie auf die Bibel legte, und als dies einmal geschehen, that Eudoxia ihr auch weiter den Willen und leistete mit lebhaftem Kopfschütteln und wie gezwungen den Eid, den ihr Zögling ihr vorschrieb.
Darauf warf sich die Erzieherin wie erschöpft und erschreckt über die eigene Schwäche auf den Diwan, und die Kleine benützte ihren Sieg, und kauerte sich sogleich zu ihren Füßen nieder und erzählte ihr alles, was sie von Paula und den Gefahren wußte, die sie und Orion bedrohten; und dabei war sie, die längst bemerkt hatte, in wie großer Gunst der Jüngling bei der Griechin stand, listig genug, die Gefahr, in der dieser schwebte, lebhaft hervorzuheben.
Bis dahin hatte Eudoxia nicht aufgehört, ihr die Locken zu streicheln und allem, was sie sagte, beizupflichten; doch als sie hörte, Maria habe im Sinn, den Botendienst selbst zu übernehmen, fuhr sie entsetzt in die Höhe und erklärte bestimmt, solchem Wagnis, solcher unseligen Thorheit nie und nimmer beizupflichten.
Nun aber führte Maria alles ins Feld, was ihr an Ueberredungs– und Schmeichelkünsten zu Gebot stand. Es war kein anderer passender Abgesandter zu finden, und es handelte sich doch um Orions, um Paulas Leben.
War denn solch ein Ritt über die Berge etwas so Großes?
Wie gut verstand sie ihr Tier zu lenken, wie wenig litt sie unter der Hitze! War sie nicht mehr als einmal von Memphis auf die Güter im Seeland geritten? Und der treue Rustem, der war doch bei ihr, und auf der Straße über die Berge, der sichersten im Lande, gab es Stationen mit Unterkunft für die Fremden. Und fanden sie den Feldherrn, so wußte sie über alles besser Auskunft zu erteilen als irgend eine andere Menschenseele auf Erden.
Aber die Griechin ließ sich nicht erweichen, wenn sie auch zugab, Marias Vorhaben sei so unsinnig nicht, wie es ihr anfänglich erschienen.
Da unterbrach sie die Kleine, und diesmal erinnerte sie Eudoxia noch einmal an ihren Schwur und machte sie dann zur Vertrauten der Gefahr, welcher sie, Maria, sich selbst durch ihren Botenritt zu entziehen hoffte.
Und nun erzählte sie der Griechin von ihrer Begegnung mit dem Prälaten, und wie auch Frau Johanna für sie und ihre Zukunft besorgt sei. Ach, das Leben hinter Mauern, hinter Schloß und Riegel erschien ihr so furchtbar, und sie wußte ihr Grauen davor, ihre Liebe zur Freiheit und für frisches, rüstiges, thätiges Leben unter Menschen und Freunden, und ihre Hoffnung, daß der Feldherr Amr, wenn sie sich unter seinen Schutz stelle, sie vor dem allem bewahren werde, so lebhaft, so warm, so rührend zu schildern, daß der Widerstand der Griechin hinschmolz, und das alternde Mädchen mit den Händen vor den in Thränen schwimmenden Augen ausrief:
»Es ist gräßlich, es ist unerhört, doch vielleicht ist es dennoch das Beste. Reite dem Feldherrn entgegen, reite nur, reite!«
Und als das warme, liebe, daseinsfrohe junge Geschöpf darauf an ihrem Halse hing, freute sie sich ihrer Schwachheit; denn diese schöne, frische, lebensvolle Menschenblume sollte nicht in Zwang und Gefangenschaft verkümmern, sollte glücklich bleiben und glücklich machen, sollte, ihr und allen Guten zur Freude, sich zu voller, schöner Blüte entfalten.
Und Eudoxia kannte die Witwe und wußte, daß sie sie verstehen lernen werde, wenn sie dem Kinde beistand, freilich unter übler Fährnis, sich vor der schwersten Gefahr zu retten, die einer Menschenseele drohen kann, der Gefahr, in stetem Widerstreit mit sich selbst etwas anderes sein zu müssen als das, wozu sie durch Begabung und Neigung bestimmt ist.
Mit einem schmerzenden Seufzer empfand Eudoxia, was sie selbst, von einem grausamen Schicksal genötigt, in Unfreiheit und Unlust, aus einem warmblütigen, großsinnigen jungen Wesen geworden, und sie, die engherzige Pädagogin, gab dem wunderlichen und kühnen Verlangen eines Kindes nach, das größere Frauenseelen belächelt, verurteilt, abgewiesen haben würden.
Nachdem es Tag geworden, verrichtete Eudoxia selbst, was sie sonst der Zofe überlassen: sie ordnete Maria das Haar, und dabei sprach sie mit ihr und hörte ihr zu, als sei in dieser Nacht aus dem Kinde eine Jungfrau geworden.
Dann begleitete sie die Schülerin in den Garten, und wo es nur anging, blieb sie an ihrer Seite.
Frau Johanna und Pulcheria wunderten sich beim Frühmahl über ihr eigentümliches Verhalten, doch es mißfiel ihnen nicht, zumal auch Maria vor Glückseligkeit strahlte.
Ohne Widerrede ließ die Witwe das Mädchen in die Stadt, um dort den geheimnisvollen Auftrag für seinen Oheim auszurichten. Rustem begleitete es ja, und was dies Kind so fröhlich machte, konnte sicher nur recht und erlaubt sein. Orions Karten und Tabellen waren ihm zeitig in den Kerker geschickt worden, und bevor die Kleine mit ihrem großen Begleiter aufbrach, kehrte Gibbus mit dem Briefe des gefangenen Jünglings an den Feldherrn zurück.
Unterwegs wurde verabredet, Maria solle beim Einbruch der Nacht in der Herberge des Nesptah zu Rustem stoßen. In dieser Zeit des Futtermangels und Sterbens waren Reittiere jeder Art samt ihren Pflegern und Führern in Ueberfluß zu haben, und der Perser, der mit diesen Dingen vertraut war, hielt es für das Beste, nur schnelle Dromedare zu erwerben, und ein leichtes Zelt für die »kleine Herrin« mit sich zu führen.
Bei der Wohnung des Juweliers Gamaliel hieß Maria ihn warten, und der heitere Goldschmied empfing sie mit ungeheuchelter Freude.
Was war aus dem Hause des großen Mukaukas geworden. Feuer hatte diesen Wohnsitz der Gerechtigkeit vernichtet wie die ägyptischen Städte, denen der Prophet das gleiche Schicksal vor tausend Jahren verkündet.
Gamaliel wußte, in wie großer Gefahr Orion schwebte und was die edle Jungfrau bedrohte, die ihm einmal die kostbarste aller Gemmen geschenkt und ihm dann einen Teil ihres Vermögens anvertraut hatte.
Wenigstens ein Mitglied des Hauses seines verstorbenen Gönners wohlbehalten vor sich zu sehen, hob ihm das Herz. Eine teilnehmende Frage nach der andern richtete er an Maria, und seine Frau wollte ihr von ihren guten Aprikosentörtchen bringen, sie aber bat Gamaliel, ihr sogleich eine geheime Unterredung zu bewilligen; und nun führte sie der Juwelier in seine kleine Werkstatt und bat sie, gutes Zutrauen zu haben; denn was die Enkelin des Mukaukas Georg auch immer von ihm begehre, das sei im voraus gewährt.
Da löste sie verlegen und errötend Orions Ring aus der Umhüllung, reichte ihn dem Juden und bat ihn, ihr dafür zu geben, was recht sei.
In der festen Zuversicht, der freundliche Mann werde ihr ungesäumt Goldstück auf Goldstück hinzählen, schaute sie ihn mit den hellen Augen fragend an; er aber nahm ihr den Ring nicht einmal aus der Hand, berührte ihn nur mit einem flüchtigen Blicke und sagte dann ernst:
»Nein, mein Mädchen; mit Kindern machen wir keine Geschäfte.«
»Aber ich brauche das Geld, Gamaliel,« rief sie dringend. »Ich muß es haben!«
»Muß?« versetzte er lächelnd. »Das ist freilich ein Nagel, der durch das Holz geht; aber stößt er auf Eisen, so krümmt er sich manchmal. Nicht als ob ich hart wär’! Aber ›Geld! Geld! Geld!‹ Von welchem Geld sprichst Du denn eigentlich, Mädchen? Brauchst Du das meine für Brot oder für Kuchen, was wahrscheinlicher aussieht, so mach’ ich die Augen zu und greife getrost in den Beutel; doch irr’ ich mich nicht, so bist Du bei dem Griechen Rufinus, bei dem es an nichts fehlt, gut untergekommen, und ich habe selbst ein hübsches Stück Geld in Verwahrung, das Dein Großvater mir vor zwei Jahren auf Zins gab mit dem Vermerk, es sei eine Erbschaft, die Dir zugekommen sei von Deiner Patin, und auf Deinen Namen lautet die Quittung; so sieht denn Deine Not dem Dinge, das andere Wohlstand nennen, recht ähnlich.«
»Not, Not! Ich habe ja keine,« unterbrach ihn Maria. »Aber das Geld brauch’ ich dennoch, und wenn ich selbst welches besitze und Du hast es vielleicht dort im Kasten, so gib mir davon, was ich brauche.«
»Was Du brauchst?« lachte der Juwelier. »Ja, das geht nicht so schnell, mein Mädchen. Bis dergleichen zu stande kommt, bedarf man in Aegypten viel Zeit und Papyrus und Tinte, eine große Behörde, sechzehn Zeugen, einen Kyrios...«
»Nun, so kaufe den Ring! Du bist so ein freundlicher Mann, Gamaliel. Thu mir den Gefallen! Daß ich Kuchen naschen will, glaubst Du ja selbst nicht.«
»Nein, aber das weiche Herzchen treibt es wohl in dieser schweren Zeit, in der so viele hungern, zu irgend einer andern Thorheit.«
»Gewiß nicht! Kaufe den Ring! Und thust Du mir den Gefallen...«
»So ist der Gamaliel ein Schuft und Schwachkopf in einer Person. Erinnerst Du Dich noch des grünen Smaragds? Den kaufte ich auch, und eine schöne Geschichte hat es gegeben. ‘s ist nichts mit dem Ringe, mein Mädchen.«
Da zog Maria die Hand zurück, und die Enttäuschung und der Kummer, die aus ihren großen, feuchten Augen sprachen, waren so rührend und schmerzlich, daß der Jude sich selbst unterbrach und ernst und herzlich fortfuhr:
»Ich möchte ja lieber den eigenen alten Kopf zum Amboß hergeben, als Dir weh thun, liebes Kind, und, Adonai, ich sage auch gar nicht – warum sollt’ ich’s denn sagen – daß Du in jedem Fall ohne Geld von dem Gamaliel fortgehen sollst! Er hat’s ja, und wenn er auch gern nimmt, so gibt er doch auch nicht ungern, wo es am Platz ist. Den Ring kann ich freilich nicht kaufen, doch nur nicht verzagt und mir recht aufmerksam ins Gesicht geschaut, kleines Fräulein. ‘s ist viel verlangt, und ich habe weit schönere Dinge auf Lager, doch wenn Du darin etwas findest, was Dir Zutrauen einflößt, dann heraus mit der Sprache, und dann sage dem Manne, auf den auch Dein Großvater ein kleines Stückchen gehalten, ins Ohr: ›So viel brauch’ ich, und dazu‹ – wie hast Du gesagt? – ›dazu muß ich es haben!‹«
Und Maria fand in dem munteren, vollen Gesicht des Juden etwas, das ihr Vertrauen einflößte, und in ihrem kindlichen Glauben an der Unverbrüchlichkeit des Eides ließ sie den dritten Menschen, und diesmal das Mitglied einer dritten Glaubensgenossenschaft, schwören, nichts zu verraten, und wunderte sich, daß es auch hier mit der Eidesabnahme, in der sie schon förmliche Uebung besaß, so leicht ging. – Auch erwachsene Leute erkaufen sich ja so gern mit einem billigen Schwur eines andern teures Geheimnis. Und nachdem sie sich so der Verschwiegenheit des Israeliten versichert, vertraute sie ihm an, daß sie in Orions Auftrag dem Feldherrn einen Boten entgegen zu schicken habe, damit er ihn und Paula rechtzeitig vom Tode errette.
Der Goldschmied hörte ihr aufmerksam zu, und bevor sie noch völlig geschlossen, machte er sich an dem eisernen, in den Boden eingemauerten Kasten zu schaffen und unterbrach sie mit der Frage: »Wie viel?«
Da nannte sie die von Nilus bezeichnete Summe, und kaum war ihr Bericht zu Ende, als der Jude, der den Griff, mit dem er die Kasse öffnete, sogar vor seinem Weibe geheim hielt, ihr zurief:
»Nun schau doch einmal zum Fenster hinaus, Du Wunder von einem Abgesandten und Gelderheber, und wenn Du drunten im Hofe nichts siehst, so denke Dir, da stünde einer, der wie der alte Gamaliel aussieht, und der kriegte Dich am Kopfe und gäbe Dir einen tüchtigen Kuß. Und stelle Dir auch vor, er dächte dazu ganz still bei sich: ›Gott im Himmel, wenn mein Töchterchen, das Ruthchen, doch würde wie die kleine Maria, das Großkind des gerechten Mukaukas!‹«
Dabei sprang der dicke, lebhafte Mann, der sich auf die Kniee niedergelassen, keuchend in die Höhe, ließ den Deckel der Truhe offen, eilte auf das Kind zu, welches längst zum Fenster hinaus sah, drückte ihm von hinten her einen Kuß aus die Locken und lachte dabei: »Das, kleines Gelderheberchen, das soll mein Zins sein. Aber weiter hinausgeschaut, bis ich Dich wieder rufe!«
Behend eilte er sodann mit den kurzen Beinen zu der Kasse zurück, wischte sich die Augen, entnahm ihr einen kleinen Beutel mit Gold, dessen Inhalt die geforderte Summe um ein weniges überbot, schloß die Truhe wieder zu, blickte dabei mit einem Gemisch von Mißtrauen und herzlichem Wohlgefallen auf Maria und rief sie endlich zu sich heran.
Darauf schüttete er den Beutel vor ihr aus, zählte die Summe, welche sie gefordert, ab, steckte die übrig gebliebenen Goldstücke zu sich, reichte dem Kinde den Beutel und ersuchte es dann, während er das Zimmer verließ, mit einem listigen Schmunzeln, seinen »Vorschuß« in das Säckchen zurückzuzahlen und auf ihn zu warten.
Als er wieder kam, war sie mit der Arbeit fertig und bemerkte schüchtern: »Es fehlt doch wohl ein Goldstück.«
Da schlug er sich mit beiden Händen vor die Brust, schaute gen Himmel und rief: »Gott, welch ein Mädchen! Da ist der Solidus, Kind; laß Dir sagen von einem erfahrenen Mann! Was Du unternimmst, das wird glücken. Du weißt, was Du thust, und wenn Du einmal groß bist und einer wird kommen, um Dich zu freien, der wird auf einen Markt gehen, der gut ist. Und nun noch Deine Unterschrift hieher. Zwar mündig bist Du nicht, und der Zettel – Gott verhüte das Schlimmste – ist wohl nicht viel mehr wert, als eben ein Zettel, die Tinte mit inbegriffen, doch es ist wegen der Ordnung.«
Nun griff Maria zur Feder, und während sie zuerst überflog, was Gamaliel geschrieben, rief dieser in einem neuen Ausbruch warmer Begeisterung:
»Ein Mädchen, ein Kind! Und es liest, es prüft, es überzeugt sich, bevor es die Unterschrift leistet! Gott segne Dich, Kind! Und da kommen die Törtchen, und Du wirst sie kosten, bevor Du... Gott, gerechter! Ein Kind, und solche wichtige Sachen!«
Sechsundvierzigstes Kapitel.
Während Rustem, dem Maria das Gold des Juweliers anvertraut hatte, die Vorbereitungen zur Reise mit der Umsicht des geübten Karawanenführers traf und Maria und ihre Erzieherin die Perserin Mandane trösteten und ihr vorstellten, daß Rustems Reise bestimmt sei, Paula das Leben zu retten, fand im Gerichtssaal eine neue Sitzung statt.
Diesmal war Orion der Angeklagte. Kaum hatte er sich in die Pläne und Listen zu vertiefen begonnen, deren er für seine Arbeit bedurfte, als man ihn vor die Schranken berief.
Die Zusammensetzung des Gerichtshofs war dieselbe wie gestern.
Zu den Zeugen waren außer Paula der neue Bischof Johannes, sowie auch der Juwelier Gamaliel gekommen, welcher, bald nachdem ihn Maria verlassen, einen Ruf vor Gericht erhalten.
Der Ankläger beschuldigte den Sohn des Mukaukas, einen kostbaren Smaragd, der von seinem Vater der Kirche vermacht worden sei, trotz der Mahnung des Patriarchen unterschlagen zu haben.
Orion übernahm seine Verteidigung selbst, wiederholte alles, was er dem Kirchenfürsten gegenüber im Arbeitszimmer seines Vaters zu seiner Rechtfertigung vorgebracht hatte, und erklärte darauf, dieser widrigen Sache dadurch ein schnelles Ende machen zu wollen, daß er den Stein herausgebe und ihn den Richtern zur Verfügung stelle.
Damit übergab er Paulas Smaragd dem Kadhi, und dieser händigte ihn dem Bischof ein. Doch Johannes zeigte sich noch nicht befriedigt, sondern verlas das schriftliche Zeugnis der Witwe Susanna, welche zugegen gewesen war, wie der verstorbene Mukaukas Georg im Beisein seines Sohnes sämtliche in dem persischen Teppich enthaltenen Juwelen als sein Geschenk an die Kirche bezeichnet hatte. Orion sei also einer Hinterziehung verdächtig, und es werde schwer halten, festzustellen, ob der schöne Stein dort auf dem Tische derjenige sei, auf welchen die Kirche Anspruch besitze.
Das alles ward mit großer Lebhaftigkeit vorgebracht und trug den Stempel feindseliger Gesinnung.
Gehorsam und Ueberzeugung zwangen den eifrigen Prälaten zu diesem Verhalten; denn dieselbe Taubenpost, durch welche der Patriarch ihn zum Bischof ernannt hatte, forderte ihn auf, die Bestrafung Orions durchzusetzen, der ein Dorn sei im Fleische der jakobitischen Kirche, ein räudiges Schaf, das die gesunden anzustecken drohe. Wenn der Jüngling einen Smaragd ausliefern werde, so sei genau zu prüfen, ob es der rechte oder ein untergeschobener Stein sei.
Daraufhin hatte der Bischof seinem Mißtrauen Ausdruck gegeben, und wenn dies auch unter den arabischen Richtern ein unwilliges Gemurmel hervorrief, ging der Kadhi doch auf den Argwohn des Prälaten ein, indem er erklärte, daß gestern Abend ein Brief seines Oheims, des Kaufherrn Haschim, aus Dschidda bei ihm eingelaufen sei, in dem auch des Smaragds Erwähnung geschehe. Sein Sohn habe den Stein ohne sein Wissen vor seinem Aufbruch nach Aegypten gewogen, und hier sei die genaue Angabe des Gewichtes. Der Juwelier Gamaliel sei mit der Wage hieher beschieden worden und möge sie zur Beruhigung des Bischofs in Thätigkeit setzen.
Ungesäumt ging der Jude ans Werk, und der alte Horus Apollon, der sich auf diese Dinge aufs genaueste verstand, rückte ihm dabei ganz nahe, um jede seiner Bewegungen argwöhnisch zu überwachen.
Mit fiebernden Pulsen hingen Orion und Paula, scharf gespannt alle übrigen Anwesenden an den Händen und Lippen des Juweliers, welcher der ersten Wägung bald eine zweite folgen ließ. Die dritte unternahm der Greis mit scharfem Blick, doch leise bebenden Fingern, und alle drei lieferten das gleiche Ergebnis: dieser Stein war um einige Durrakörner schwerer als derjenige, welchen der Sohn des Kaufherrn gewogen, und dennoch erklärte der Juwelier, daß sich unter allen Smaragden der Welt kein reinerer, tadelloserer und schönerer befinde.
Erleichtert atmete Orion auf, und unter den Richtern erhob sich die Frage, ob der junge Araber sich einer Ungenauigkeit schuldig gemacht habe oder ob hier in der That eine Vertauschung vor sich gegangen. Doch daran war schwer zu denken; denn sie hätte ja dem Angeklagten zum Nachteil, der Kirche zum Vorteil gereicht.
Der billig denkende Bischof sagte sich nun, das Mißtrauen des Kirchenfürsten gehe in diesem Falle doch wohl zu weit, und öffnete in dieser Angelegenheit nicht wieder die Lippen.
Der Wekil Obada hatte sich während dieser ganzen Verhandlung Schweigen auferlegt, doch der herausfordernde, siegesgewisse Blick, mit dem er bald Paula, bald Orion maß, stellte das Schlimmste in Aussicht.
Nachdem der Ankläger den Jüngling auch der Teilnahme an der vielbesprochenen blutigen Flucht beschuldigt, beteuerte dieser seine Unschuld und hob hervor, daß er sich während des verhängnisvollen Kampfes zwischen den Arabern und den Beschützern der Nonnen in Gesellschaft des Feldherrn Amr befunden habe, wie dieser bestätigen werde. Durch eine unerhörte That der Willkür sei er auf einen bloßen falschen Verdacht hin seines Besitzes und der Freiheit beraubt worden, und er hoffe zunächst auf einen gerechten Spruch der Richter, dann aber auch auf Schutz und Genugtuung von seiten seines Herrn, des Chalifen.
Dabei blickte er mit flammenden Augen auf den Wekil, doch der Schwarze wußte auch jetzt die Ruhe zu bewahren, und dies steigerte die Besorgnis derer, die es wohl mit dem Jünglinge meinten.
Obada, dies ging aus allem hervor, mußte überzeugt sein, seinem Opfer die Schlinge sicher um den Hals geworfen zu haben, und bald zeigte sich auch, was ihn dazu bestimmte; denn nachdem Orion seine Verteidigung kaum geschlossen, erhob er sich und überreichte dem Kadhi mit einem hämischen Grinsen das Täfelchen, welches der Alte ihm gestern überlassen, nannte es ein an die Damascenerin gerichtetes Schreiben und ersuchte den Kadhi, Kenntnis davon zu nehmen. Die Hitze habe zwar manches im Wachs auf der Tafel verwischt, doch die meisten Buchstaben seien immer noch erkennbar. Der würdige Horus Apollon habe sie schon entziffert und sich bereit erklärt, den Richtern vorzulesen, was der Angeklagte, den die eigene Rede ja als weiße Taube hinstelle, in seiner Unschuld und Wahrhaftigkeit für seine schöne Braut niedergeschrieben.
Dabei winkte er dem Greise und unterstützte ihn, als er sich mühsam erhob; doch der Kadhi ersuchte ihn, zu warten, ließ sich durch den Dolmetscher von dem Inhalt des Briefes unterrichten und wandte sich, nachdem dieser mit vieler Mühe seine Pflicht erfüllt, nicht an den Greis, sondern an Obada und fragte ihn, woher dies Schriftstück stamme.
»Ans dem Pult der Damascenerin,« versetzte der Schwarze. »Mein alter Freund dort hat es darin entdeckt.«
Dabei wies er auf Horus Apollon, und dieser bestätigte seine Aussage durch einen beistimmenden Wink.
Nun erhob sich der Kadhi, schritt auf die Jungfrau zu, der das Blut vor Entrüstung aus den Wangen gewichen, wies ihr das Täfelchen und fragte sie, ob sie es als das ihre anerkenne, und Paula erwiderte, nachdem sie sich von seinem Zustand genau überzeugt, mit einem Blick auf den Alten, aus dem ihm Verachtung und Abscheu entgegenflammten:
»Ja, Herr, es ist das meine. Dieser unwürdige Greis nahm es mit ruchloser Hinterlist aus meinen Schriften.«
Einen Augenblick stockte ihr die Stimme, dann aber wandte sie sich den Richtern zu und rief:
»Wenn unter euch einer ist, dem Hilflosigkeit und Unschuld heilig und Arglist und Tücke verhaßt sind, so begibt er sich zu der Gattin des Rufinus, über deren Schwelle dieser da wie der Marder in den Taubenschlag geschlichen, aus keinem andern Grunde geschlichen ist, als um gastliche Güte mit Füßen zu treten, ihr Haus zu durchstöbern und zu entwenden, was ihm nützen kann zu seinen bübischen Zwecken, und warnt die verlassene Frau vor dem verräterischen Auskundschafter und Diebe!«
Da hob der Alte schnaufend und keines Wortes mächtig den dürren Arm, die christlichen Richter flüsterten einander gar verschiedene Meinungen zu, der Jude Gamaliel aber schob den runden Körper auf der Zeugenbank hin und her, pochte sich lebhaft und unablässig mit den Fingerspitzen an die Brust und suchte bald Paulas, bald Orions Augen auf sich zu ziehen, um anzudeuten, daß er der Mann sei, die Frau des Rufinus zu warnen. Doch ein Faustschlag des Wekil, der seine Schulter unerwartet traf, brachte ihn zur Ruhe, und während er sich leise wimmernd die schmerzende Stelle rieb und es nicht wagte, den mächtigen Mann wegen seiner Gewaltthat zurechtweisen zu lassen, übergab der Kadhi dem Greis die Tafel und forderte ihn auf, den Brief zu verlesen.
Doch die furchtbare Anklage, welche diesem von der verhaßten Patriciustochter ins Gesicht geschleudert worden war und seiner Uebersiedlung in das Haus des Rufinus Beweggründe unterschob, die ihr in Wirklichkeit fern gelegen, hatten ihn so tief erregt und empört, daß ihm seine alte, ohnehin schwer atmende Lunge den Dienst versagte.
Ein neues Unrecht war ihm von diesem Weibe zugefügt worden; denn die freundlichste Absicht hatte ihn zu den Frauen geführt, und nur ein Zufall ihm das Täfelchen in die Hand gespielt. Dennoch mußte der Witwe des Rufinus die Beschuldigung, er sei als Spion in ihr Haus gedrungen, heute noch zu Ohren kommen, und dann war es wohl auf immer aus mit den köstlichen letzten Tagen, von denen er geträumt, und sogar sein Philipp konnte im stande sein, mit ihm zu brechen.
Alles, alles durch die Schuld dieses Weibes!
Er fand keine Worte, doch wie er sich auf die Zeugenbank zurücksinken ließ, traf Paula ein Blick, so gesättigt von Haß, so übervoll von Gift und Groll, daß sie leise zusammenschauderte und sich sagte, dieser Mann sei bereit, selbst unterzugehen, um ihr den Untergang zu bereiten.
Doch der Dolmetscher begann schon Orions Brief zu verlesen und ihn den Arabern zu übersetzen, und während er stammelnd und mit der Versicherung, kein Buchstabe sei deutlich zu erkennen, seine Pflicht erfüllte, erlangte sie die volle Sammlung zurück, und kurz bevor der Hermeneut seine Arbeit vollendet, flog es wie Sonnenschein über ihre reinen Züge. Ein schöner, großer, erfreulicher Gedanke mußte in ihrem Haupte aufgeblitzt sein, und man sah ihr an, daß es ihr gelungen, ihn festzuhalten und sich an ihm zu weiden.
Orion, der ihr gegenüber saß, bemerkte es wohl, doch er verstand noch nicht, was ihr flehender Blick ihm zu sagen hatte, was sie von ihm verlangte, als sie die Hand auf die Brust drückte und ihm dabei so dringlich bittend ins Auge schaute, daß es ihm tief ins Herz drang.
Jetzt schwieg der Dolmetsch, und was er gelesen, hatte tief auf die Richter gewirkt.
Aus den wohlwollenden Zügen des Kahdi sprach ernste Besorgnis, und der Inhalt des Briefes schien wohl geeignet, solche zu erwecken. Sein Wortlaut war dieser:
»Nachdem ich lange vergeblich auf Dich gewartet, muß ich mich endlich zum Aufbruch entschließen, und wie vieles hatte ich Dir doch noch zu sagen. Ein schriftliches Lebewohl...«
Hier waren einige Zeilen verwischt, dann aber folgte der verhängnisvolle, lesbare Schluß:
»Wie anders hatte ich gewähnt, diesen Tag zu beschließen, der zum größten Teil den Vorbereitungen für die Flucht der Nonnen geweiht war, und es ist mir eine Freude gewesen, für die guten, unschuldigen und ungerecht verfolgten Schwestern das Meine zu thun. Ihnen wollen wir das Beste wünschen, uns beiden aber auf morgen ein ungestörteres Wiedersehen und einen Abschied, der Erinnerungen in uns zurückläßt, an denen wir lange zehren können. Wie es unter den Aegyptern derjenige war, den wir beide betrauern, ist es unter den Arabern der herrliche Feldherr Amr...«
Hier schloß der Brief, und an seinem Ende fehlten nicht volle drei Zeilen.
Nachdem der Kadhi das Täfelchen kurze Zeit in der Hand gewogen, schlug er den gesenkten Blick wieder zu der in großer Spannung harrenden Versammlung auf und begann:
»Wenn auch der Angeklagte nicht zu denen gehörte, welche meuterisch gegen unsere bewaffnete Macht die Hände erhoben, so geht doch unanfechtbar aus dem Verlesenen hervor, daß er nicht nur um die Flucht der Nonnen gewußt, sondern ihr auch eifrig Vorschub geleistet. – Wann hast Du dies Schreiben empfangen, edle Jungfrau?«
Da preßte Paula die Hände fest zusammen und entgegnete mit leicht gesenktem Haupt und zu Boden gerichtetem Blick:
»Wann ich es empfangen? Niemals; denn der Brief ist von mir selbst. Ich hab’ ihn geschrieben.«
»Du?« fragte der Kadhi erstaunt.
»Von mir ward er an Orion gerichtet,« erwiderte Paula.
»Von Dir an ihn? Doch wie kommt er dann in Dein Pult?«
»Auf sehr einfache Weise,« erklärte sie, immer noch mit gesenktem Blick. »Nachdem ich den Brief an meinen Bräutigam gerichtet, warf ich ihn zu den anderen Täfelchen, sobald er unnötig geworden; denn er erschien selbst, und ich brauchte ihn nicht lesen zu lassen, was man besser mündlich bespricht.«
Dabei flog ein eigentümliches Lächeln um ihre Lippen, ein lautes Gemurmel ging durch den Saal, Orion blickte in wachsender Verwirrung bald auf das Mädchen, bald auf den Kadhi; der Schwarze aber sprang auf, schlug auf den Tisch, daß es dröhnte, und schrie:
»Nichtswürdige Ränke! Wer von euch läßt sich hier von elender Weiberlist foppen?«
Horus Apollon, der die Ruhe wieder erlangt, kicherte ihm heiser und schadenfroh ins Antlitz, die Richter schauten einander verlegen an, doch als der Schwarze weiter zu wettern fortfuhr, unterbrach ihn der Kadhi und erteilte Orion das Wort, der mit heiß glühenden Wangen ihn schon zum zweitenmal angerufen und nun, der Sprache kaum mächtig, hervorstieß:
»Nein, nein, Othman; nein, nein, ihr Herren, glaubet ihr nicht. Nicht sie... ich, ich habe den Brief...«
Aber Paula fiel ihm ins Wort:
»Er? Fühlt ihr’s denn nicht: Er will mich nur retten und nimmt darum meine Schuld auf sich! Aus Edelmut, aus Liebe thut er’s. Glaubt, glaubet ihm nicht! Laßt euch nicht von ihm hintergehen!«
»Ich? Nein, sie, gerade sie,« hob Orion wiederum an, doch bevor er fortfahren konnte, rief ihm Paula mit leuchtenden Blicken zu, das sei eine schlechte Liebe, die sich selbst aus falschem Edelmut mutwillig opfere. Und als sie dabei wiederum die Hand mit flehender Bitte auf die Brust drückte, schwieg er plötzlich still und warf sich, indem er tief ergriffen gen Himmel schaute, auf die Bank der Angeklagten zurück.
Und nun jubelte Paula: »Er hat sich eines Bessern besonnen und läßt ab von dem thörichten Versuch, meine Schuld auf sich zu nehmen. Du siehst es, Othman, ihr seht es alle, würdige Herren. Was ich für die armen Schwestern gethan, laßt es mich büßen!«
»Dein Wille geschehe,« kreischte der Alte, und der Schwarze rief:
»Ein höllisches Lügengespinnst, ein Betrug ohnegleichen! Aber trotz des Schildes, das ein Weib Dir vorhält, komme ich Dir doch an den Hals, verräterischer Bube! Ist es glaublich, ihr Richter, daß man einen vollendeten Brief wochenlang, nachdem er geschrieben, bei dem Schreiber findet und nicht bei dem, an den er gerichtet?«
Da zuckte der Kadhi die Achseln und entgegnete mit ruhiger Würde:
»Besinne Dich, Obada, daß wir diese Jungfrau auf Grund eines Briefes verurteilt, den wir nicht bei demjenigen gefunden, an den er gerichtet, sondern bei seinem Schreiber. Dieser Urkunde gegenüber erhoben sich bei Dir keine Bedenken. Es ziemt sich für den Richter, mit gleichem Maß zu messen, Obada.«
Diese in lehrhaftem Tone gesprochenen Worte und das Zutreffende derselben erregten den Beifall der Araber, und der Juwelier konnte sich nicht enthalten, ein lautes »Vortrefflich!« zu rufen; indessen rutschte er, nachdem es ihm entfahren, blitzschnell aus der Schlagweite des Schwarzen, und dieser hatte ihn kaum verstanden; denn in zornigen Worten und ohne sich von dem Kadhi unterbrechen zu lassen, legte er dar, wie schmählich es für Männer und Richter sei, sich von einem Weibe hinters Licht führen, sich von dem Possenspiel verliebter Narren das Herz erweichen zu lassen, wie notwendig es jedem Muslim scheinen müsse, die Sicherheit des Daseins zu wahren, den Urheber einer blutigen Meuterei gegen die Stützen seiner Macht streng zu züchtigen.
Und seine beredten, stürmischen Worte blieben nicht ohne Wirkung, doch den Christen, die der Melchitin alles Ueble gönnten, geschah mit ihrem Untergang Genüge, und sie hätten dem Sohn des allverehrten Mukaukas Georg diese That, selbst wenn er sie wirklich begangen, gern vergeben, und nachdem man festgestellt, daß es unmöglich sei, zu unterscheiden, von welcher Hand die Schrift auf dem Täfelchen stamme, und noch viel hin und her geredet worden war, begann die eigentliche Beratung.
Es dauerte lange, bis sich die Richter zu einigen vermochten, und während dieser Zeit saß Orion bald da, als hätte man ihn bereits zu einem qualvollen Tode verurteilt, bald tauchte er seinen Blick in den der Geliebten und preßte die Hand aufs Herz, als wollt’ er verhüten, daß es ihm springe.
Er verstand sie völlig, und ihre Größe erhob ihn. Wohl gewann er es über sich, ihre Gabe anzunehmen, und doch war er fest entschlossen, ihr, mußte sie sterben, nachzufolgen in den Tod. Das » non dolet« Es thut nicht weh. der Arria, das sie dem geliebten Paetus zugerufen, als sie sich den Dolch ins Herz stieß, um ihm voranzugehen in den Tod, scholl ihm fortwährend an das innere Ohr; doch er sagte sich auch, daß Paula vielleicht Gnade finden und daß er dann frei sein und ein ganzes Leben vor sich haben werde, um ihr zu danken.
Endlich, endlich verkündete der Kadhi den Spruch der Richter: es war unmöglich, Orion schuldig des Todes zu finden, und ebensowenig konnte man sich entschließen, jeden Glauben an seine Schuld abzuweisen. So erklärte sich denn der Gerichtshof für unfähig, hier das Urteil zu sprechen, und übertrug dies auf den Chalifen oder seinen Vertreter in Aegypten, den Feldherrn Amr. Er selbst verordnete nur, den Angeklagten in strenger Haft zu halten, damit er der strafenden Gerechtigkeit zur Hand sei, falls das endgiltige Urteil auf »schuldig« laute.
Als der Kadhi verkündete, was dem Chalifen oder seinem Vertreter zustehen solle, rief der Wekil:
»Ich, ich bin der Vertreter des Omar!« Doch ein einstimmiges, abweisendes Gemurmel der Richter wies seine Ansprüche zurück, und auf den Vorschlag des Kadhi ward unter ihnen beschlossen, durch Verdoppelung der Kerkerwachen den Jüngling vor jedem eigenmächtigen Eingriff des Wekils zu schützen, gegen den sich schon schwere Anklagen auf dem Wege nach Medina befanden.
Außer sich vor Wut verließ der Schwarze, neue Anschläge gegen die Damascenerin schmiedend der Greis den Gerichtssaal.
Als Paula in ihre Zelle zurückkehrte, glaubte die alte Betta, ihre Begnadigung sei erfolgt; denn wie froh, wie stolz, wie gehoben trat sie bei ihr ein! Die schwerste Gefahr war abgewandt von dem Geliebten, und sie und ihre Liebe waren es, die ihn gerettet.
Sie selbst gab sich verloren; doch was das Schicksal auch über sie verhängte, vor ihm lag das Leben offen, ihm war vergönnt, seine herrliche Kraft zu bewähren, und daß er es thun werde, thun in ihrem Sinne, des war sie sicher.
Noch hatte sie ihren Bericht über das Urteil der Richter nicht beendet, als ihr der Wärter den Besuch des Kadhi meldete.
Bald darauf trat dieser bei ihr ein, und nachdem sie ihm ihren Dank ausgesprochen und er ihr freundlich versichert hatte, daß er sich schäme, die Schande, vielleicht ein hintergangener Richter zu sein, wie eine Gunst des Schicksals zu tragen, brachte er das Gespräch auf den eigentlichen Zweck seines Besuches.
In dem Briefe, den er gestern Abend von seinem Oheim Haschim erhalten, so begann er, sei auch viel von ihr die Rede gewesen. Sie habe das Herz des alten Kaufherrn gewonnen, und die Erkundigungen, welche dieser nach ihrem Vater eingezogen...
Da unterbrach ihn das Mädchen: »O, Herr, Herr... Sollte sich endlich der Wunsch, das Gebet meines Lebens erfüllen?«
»Dein Vater, der edle Thomas, vor dem sich auch der Muslim verneigt,« entgegnete Othman, »man hat ihn...« Und nun berichtete er, der Held von Damaskus habe sich in der That auf den Sinai zurückgezogen und dort als Klausner gelebt. Aber sie dürfe sich keiner vorzeitigen Freude hingeben; denn krank, verzehrt von einem Siechthum, das von seiner verwundeten Lunge ausgehe, beinahe sterbend, hätten ihn die Boten gefunden. Seine Tage seien gezählt...
»Und ich, ich gefangen!« stöhnte das Mädchen. »Festgehalten, unfähig, der Möglichkeit beraubt, ihm in die Arme zu eilen!«
Da mahnte er sie von neuem zur Ruhe und erzählte in seiner milden, gelassenen Art weiter, schon vorgestern sei ein nabbatäischer Mann zu ihm gekommen und habe ihn als den Vorsteher des Gerichtswesens in Aegypten gefragt, ob ein alter Gegner der Muslimen, ein Feldhauptmann, der im Dienste des Kaisers und Kreuzes gegen den Chalifen und Halbmond gefochten, krank, wund, gebrochen den ägyptischen Boden betreten dürfe, ohne sich in Gefahr zu begeben, von den arabischen Behörden verhaftet zu werden, und als er, Othman, vernommen, dieser Mann sei Thomas, der Held von Damaskus, habe er ihm freudig und, wie er wisse, im Sinne seines Herrn, des Chalifen, Freiheit und Leben gesichert.
Und heute in der Frühe sei ihr Vater in Fostat angelangt, und er habe ihn in seinem Hause als Gast aufgenommen. Ja, Thomas stehe am Rande des Grabes, doch beseele und erhalte ihn der Wunsch, seine Tochter, von der er fälschlich erfahren, sie sei bei dem Gemetzel von Abyla ums Leben gekommen, die er schon beweint und betrauert, noch einmal wiederzusehen. Diesen Wunsch eines Sterbenden zu erfüllen, sei seine Pflicht, und er habe dem Gefängniswärter befohlen, das Zimmer, welches an ihre Zelle grenze, für ihn einzurichten mit dem Gerät, das aus seinem Haus unterwegs sei. Die Thür, welche ihr Gemach mit dem seinen verbinde, solle geöffnet werden.
»Und ich werde ihn wieder sehen, ihn wieder haben, mit ihm leben, ihm die Augen zudrücken, vielleicht mit ihm sterben!« rief Paula und ergriff des gütigen Mannes Hand und küßte sie dankbar.
Dem Muslim wurden die Augen feucht, und er bat sie, nicht ihm, sondern dem allbarmherzigen, einigen Gotte zu danken, und bevor die Sonne unterging, ruhte das Haupt der zum Tode verurteilten Tochter an der Brust des wunden, seinem irdischen Ende nahen Helden, dessen ungeschwächter Geist und warmes Herz noch voll und ganz wie sein liebes, einziges Kind die Wonne des Wiedersehens empfanden.
Und neues, unbeschreibliches Glück kehrte für Paula ein in die düsteren Mauern des Kerkers, und noch an demselben Tage empfing Orion durch den Wärter einen Brief, der ihm die Grüße des Vaters seiner Braut überbrachte, und als er die innigen Segenswünsche las, die er enthielt, war es ihm, als nehme eine unsichtbare Hand den Fluch, mit dem ihn der eigene Vater belastet, auf immer von ihm. Eine wunderbare, freudige Ruhe, Arbeitskraft und Lust überkam ihn, und er ließ Geist und Feder nicht ruhen, bis der Morgen graute.
Siebenundvierzigstes Kapitel.
Mit finster gefalteter Stirn kehrte der alte Horus Apollon aus dem Gerichtssaal heim in sein neues Quartier.
Vor dem Anwesen der Witwe Susanna sah er einige Leute versammelt, die scheu in den Garten und auf das schöne Wohnhaus wiesen.
Wie schon hundert Menschengruppen vor ihnen, riefen auch sie ihm Huldigungen, Dank, Worte der Aufmunterung entgegen, und als er sich auch vor ihnen leicht verneigte und dabei der Richtung ihrer ängstlich spähenden Blicke folgte, schrak er leicht zusammen; denn über dem großen Gartenthor hing als Warnungszeichen wie ein Schandmal die schwarze Tafel, welche den Vorübergehenden zurief: »Bleibet fern von dieser Schwelle! Hinter ihr wütet die menschentötende Seuche!«
Der Alte scheute alles, was an den Tod erinnerte, und es überlief ihn kalt. So nah an einem Herde der Krankheit wohnen, das war beängstigend und gefährlich!
Wie kam sie in diesen gesündesten Teil der Stadt, den auch die letzte, wütende Pest verschont hatte?
Ein Diener des Rates, den er heranrief, erzählte ihm, die mit der Besorgung des Bades der Susanna betrauten Sklaven, Vater und Sohn, seien zuerst ergriffen worden, doch habe man sie bei Nacht heimlich in die neuen Krankenzelte schaffen lassen, heute aber sei es auch über die Witwe gekommen. Um das Viertel vor Ansteckung zu bewahren, bewache man jetzt das Grundstück auf allen Seiten.
»Streng, streng; keine Ratte darf aus dem Hause!« rief der Alte und ritt damit weiter.
Es war später geworden als gestern, die Speisestunde mußte da sein, und wie er sich nach kurzer Rast anschickte, sich mit Hilfe seines Dieners für die gemeinsame Mahlzeit zu waschen und zu säubern, trat eine lahme Haussklavin bei ihm ein und setzte ein Brett mit dampfenden Schüsselchen auf das Tischchen neben dem Diwan nieder.
Was bedeutete dies? Und bevor er noch fragen konnte, bekam er zu hören, die Frauen wünschten in Zukunft allein zu speisen; man werde ihn auf seinem Zimmer bedienen.
Da trat ihm wieder ein roter Fleck auf die Wangen, und nach kurzem Nachdenken rief er seinem Diener zu: »Den Esel!« und dem Mädchen: »Wo ist Deine Herrin?«
»Mit dem Goldschmied Gamaliel im Viridarium, doch werden sie sich gleich zu Tisch begeben.«
»Ohne den Gast? Verstehe die Meinung!« murmelte der Alte, griff nach dem Hut und schritt an der Magd vorbei aus dem Zimmer.
Im Vorsaal traf er Gamaliel, dem eine Sklavin eben den Stab reichte. Der Greis ahnte, daß der Juwelier nur gekommen sei, um die Frauen vor ihm zu warnen, und ohne ihn eines Blickes zu würdigen, begab er sich in das Speisezimmer.
Dort fand er Pulcheria und Maria weinend vor Frau Johanna knieen, die gleichfalls Thränen vergoß.
Er ahnte, wem sie galten, und beseelt von dem Wunsche, die Beschuldigung, daß er als Kundschafter in dies Haus gedrungen, als ungerecht zu erweisen, rief er die Witwe an. Diese hatte ihn schaudernd eintreten sehen, nun aber wies sie mit ausgestrecktem Finger auf die Thür, und als er dennoch stehen blieb, um seine Verteidigung zu beginnen, unterbrach sie ihn laut und dringend:
»Nein, nein, Herr! Dies Haus, es bleibt Dir von nun an verschlossen! Was uns verband, Du selbst hast es zerrissen! Störe unsern Frieden nicht weiter! Zieh dahin zurück, woher Du kamest!«
Da versuchte der Greis noch einmal zu reden, doch die Witwe erhob sich, rief den Mädchen zu: »Mir nach, meine Kinder!«, trat mit ihnen schnell in das Nebengemach und zog die Thür hinter sich zu.
Horus Apollon blieb allein auf der Schwelle stehen.
So alt er auch war, solch ein Schimpf war ihm noch nie angethan worden, doch er schrieb ihn nicht auf Rechnung derer, die ihm die Thür gewiesen, sondern auf die schon übervolle der Damascenerin, und wie er auf dem weißen Esel nach Hause ritt, hielt er häufig an, um zu den Vorübergehenden zu reden.
In der nächsten Zeit achtete er nicht der Hitze des Tages und seines Bedürfnisses, dem Körper Ruhe zu gönnen und den Geist bei stiller Arbeit zu regen, sondern ritt am Morgen, Mittag und Abend durch die Straßen, wiegelte das Volk auf und legte ihm in bestechlichen Reden dar, daß es jammervoll zu Grunde gehen werde, wenn es sich nicht des einzigen, von ihm vorgeschlagenen Rettungsmittels bediene.
Bei jeder Sitzung des Senats war er zugegen, und mit flammender Beredsamkeit hielt er die Buleuten auf seiner Seite, trat er den Bemühungen des Bischofs entgegen, drang er auf die Festsetzung des Tages für die Hochzeit des Nilstroms mit seiner Braut.
Er kannte seine Aegypter und ihre Leidenschaft für die rauschende Feier glänzender Feste. Das seine: die Vermählung der Nilbraut mit dem gewaltigen, ruhelosen Gatten, von dem das Wohl und Wehe des Landes abhing, eine blütenreiche Oase in der Wüste der Not und Verzweiflung sollte es werden, und was er von Kindheitserinnerungen an die Prozessionen zu Ehren der Isis und an die ihr und ihrer Trias gewidmeten Feste aus eigener Anschauung und den Erzählungen seines Vaters besaß, was er in Büchern über große Aufzüge und Schaustellungen im heidnischen Aegypten gelesen, das führte er in seiner Vorstellung zusammen, das schilderte er dem Senate und Volke in glänzenden Farben, das riet er den Buleuten, bei dieser Hochzeitsfeier sondergleichen zu wiederholen.
Und jeder, in dem ägyptisches Blut floß, hörte ihm aufmerksam zu, fand Gefallen an seinen Vorschlägen und sich selbst bereit, alles aufzubieten, um den Glanz dieses Festes zu erhöhen, das jeder thätig oder als Zuschauer mitfeiern konnte. Tausende darbten, aber für diese unerhörte Hochzeitsfeier gab es noch Mittel, trug der Senat kein Bedenken, neue Anleihen zu machen.
»Untergang oder Rettung« war die Losung, welche Horus Apollon den Memphiten gegeben. Ging alles zu Grunde, so versanken damit auch die gesparten Talente; fruchtete dagegen das Opfer, segnete der Nil die Seinen mit neuem Wohlsein, was brauchten dann Stadt und Land nach einigen tausend Drachmen zu fragen?
Und der Hochzeitstag wurde bestimmt.
Nicht volle zwei Wochen nach der Verurteilung Paulas, am Feste des heiligen Serapis, wollte man die wundervolle, rettende, glückverheißende Feier begehen.
Und wie wußte der Alte, wie wußten die Richter und Buleuten, die sie gesehen, die Schönheit der Braut zu schildern! Wie ließ bei ihrer Beschreibung der Haß die Augen des Greises so feurig leuchten! Keines Liebenden Blick konnte glänzender strahlen!
Was die Patriciusdirne ihm auch angethan, alles, alles sollte sie büßen; und sein Sieg versprach nicht nur dem einzelnen Weibe, sondern dem gesamten Christenglauben weh zu thun, den er haßte!
Aber auch der Bischof Johannes war nicht müßig geblieben. Gleich nach seinem Auftreten gegen den Beschluß des Volkes hatte er eine Brieftaube nach Oberägypten zu dem Patriarchen abgehen lassen, und Benjamins Antwort sollte ihm die Handhabe liefern für noch kräftigeres Wirken. In der Kirche, vor dem Senat und selbst auf der Straße bot er und mit ihm der gesamte Klerus alles auf, um gegen das ruchlose Vorhaben der Buleuten und des Volkes anzukämpfen, doch die Leidenschaft, welche der Greis schürte, schlug bald zu helleren Flammen auf als Glaubenstreue, Mäßigung und Einsicht, die es ihm und den Seinen anzufachen oblag.
Der Wind blies gleich kräftig auf beiden Seiten, doch auf der des Bischofs traf er verglimmende Kohlen, auf der andern brennende Speicher. Not und Verzweiflung hatten den Glauben erschüttert, die Zucht gelockert, und selbst die kräftigsten Waffen der Kirche: »Fluch« und »Segen«, erwiesen sich als machtlos. Man zeigte den Ertrinkenden einen schwimmenden Balken in der Nähe, und sie wollten nicht mehr auf das Rettungsboot warten, das mit guten Ruderern an den Riemen und einem sicheren Piloten am Steuer von fern her nahte und verpflichtet war, sie zu retten.
Horus Apollon kehrte nicht mehr in das Haus des Rufinus zurück.
Wenige Stunden, nachdem ihm die Witwe die Thür gewiesen, kamen seine Sklaven und holten die Gegenstände ab, welche ihn unter ihr Dach begleitet. Sein Leibdiener brachte zugleich eine große geschlossene Vase und einen Brief an Frau Johanna folgenden Inhalts:
»Man soll nicht richten, ohne zu hören. Du hast es dennoch gethan, aber ich zürne Dir nicht. Philippus wird bei seiner Heimkehr die Enden des Bandes vielleicht aufnehmen und neu verknüpfen, das Du heute zerschnitten. Ich sende Dir einen Teil der Arznei, die er mir beim Scheiden zurückließ, um sie im Notfall gegen die Seuche zu brauchen. Sein Gehilfe sagt, jetzt habe sich ihre gute Wirkung erwiesen. Möchte die Krankheit, welche das Nachbarhaus ergriffen, das Deine verschonen!«
Dieser Brief erfreute die Witwe, doch als sie ihn den Ihren vorlas, rief die kleine Maria:
»Und wird ja einer trank, so nimmt er keinen Tropfen von diesem Gemisch! Ich sage euch, er will uns vergiften!«
Indessen blieb Frau Johanna dabei, daß der Greis trotz seines unerklärlichen Hasses gegen Paula im Grund nicht schlecht sei, und Pulcheria versicherte, so verhalte es sich gewiß, schon weil Philipp ihn achte. Wenn der nur hier gewesen wäre, hätte sich das alles ganz anders und zum Besten gestaltet.
Maria blieb mit Mutter und Tochter zusammen, bis es dunkelte. Ihr Gespräch führte sie immer wieder auf Paula, und als am Nachmittag der nabbatäische Bote bei ihnen vorsprach und ihnen im Auftrage der gefangenen Freundin berichtete, daß er ihr den Vater zugeführt habe, begannen die Frauen wieder für sie zu hoffen, und Maria konnte, ohne Verdacht zu erregen, dem Verlangen, ihnen vor der immer näher rückenden Trennung zu zeigen, wie lieb sie sie habe, freien Lauf lassen.
Endlich sagte sie, sie müsse zum Unterricht zu Eudoxia; es komme heute besonders Schweres vor, und sie möchten an sie denken und ihr wünschen, daß ihr alles aufs beste gelinge. Dabei fiel sie erst der Witwe, dann Pulcheria um den Hals, und wie ihr dabei die Thränen in die Augen kamen, fragte sie, ob sie nicht ein recht närrisches, thörichtes Ding sei, aber darum möchten sie doch an sie denken und sie ja nicht vergessen.
Auf ihrem Zimmer schloß sie sich mit der Griechin ein, und nun schnitt ihr Eudoxia das schöne, weiche Lockenhaar ab und vergoß dabei die ersten Thränen, und diese flossen reichlicher, wie sie Maria ein kleines Amulet mit einer Locke aus dem Schaffell Johannes des Täufers, das sie von ihrer Mutter ererbt, um den Hals legte. Es war ihr lieb und heilig, sie hatte sich nie davon getrennt, doch nun sollte es das Kind schützen und ihm Glück, viel Glück bringen.
Hatte es denn ihr selbst solches gebracht?
Nicht eben viel, aber sie glaubte dennoch an die heil– und segenbringende Kraft der Reliquie.
Endlich stand Maria mit kurzem Haar und als Knabe gekleidet vor ihr, und welch ein süßer, wunderschöner Bub’ war das Mädchen! Eudoxia konnte sich gar nicht satt sehen an ihm. Aber Maria war zu hübsch, zu fein für einen Jungen, und sie mußte ihr raten, den breitkrämpigen Reisehut, sobald ihr Menschen begegneten, recht tief ins Gesicht zu drücken, oder sich das Antlitz zu schwärzen.
Durch Gamaliel, welcher Frau Johanna in der That aufgesucht hatte, um sie vor dem Greise zu warnen, besaß sie Kenntnis von dem Verlauf der heutigen Gerichtssitzung, und Paulas rettende That hatte ihre Bewunderung für sie nur noch gesteigert.
Wenn sie den Feldherrn traf, konnte sie ihm auf alles Antwort erteilen, und so fühlte sie sich in jeder Hinsicht wohl gerüstet, als sie mit Eudoxia durch den Garten auf die Nilstraße schlüpfte.
Jenseits des Eingangsthors warf sie dem lieben Hause und seinen Bewohnern noch eine Kußhand zu, dann wies sie seufzend auf das Nachbargrundstück und sagte:
»Arme Katharina; nun ist sie eingesperrt! – Weißt Du, Eudoxia, ich habe sie doch lieb, und wenn ich denke, sie könnte die Seuche bekommen und sterben... aber nein! Sage der Mutter Johanna und Pul, sie sollten freundlich gegen sie sein! Morgen nach dem Frühmahl übergib ihnen meinen Brief, und wenn sie sich heut Abend sehr um mich ängstigen, dann beruhige sie nur und sage, Du wüßtest alles, und es sei ganz unnütz, sich um mich zu sorgen. Du machst es schon gut und duldest nicht, daß sie sich grämen.«
Bei einer offenen jakobitischen Kapelle bat sie die Griechin, auf sie zu warten, und warf sich darin vor dem Kruzifix nieder.
Froh und frisch trat sie bald wieder ins Freie, und als sie zu den letzten Häusern der Stadt kamen, rief sie:
»Ist es nicht sündhaft, Eudoxia? Liebe, liebe Seelen laß ich hier zurück, und doch ist mir zu Mute wie einem gefangenen Vogel, der aus dem Käfig entwischt ist! Guter Gott, solch ein Ritt in der Nacht durch die Wüste und über die Berge! Ein schnelles Tier unter sich, und über sich keine Zimmerdecke, nur den blauen Himmel mit unzähligen Sternen! Immer vorwärts, einem herrlichen Ziele entgegen! Auf sich selbst gestellt, mit etwas Wichtigem betraut, wie ein Großer! Ist das nicht köstlich? Und hilft mir der liebe Gott, und ich finde den Feldherrn, und es gelingt mir, seine Seele zu rühren... sage selbst, Eudoxia, gibt es dann wohl auf der ganzen Welt ein glücklicheres Mädchen?!«
In der Herberge des Nesptah fanden sie den Masdakiten mit trefflichen Reitdromedaren und den nötigen Treibern und Dienern.
Die Griechin gab ihrem Liebling noch viele gute Lehren und dazu aus ganzem, vollem Herzen ihren »mütterlichen« Segen. Rustem schwang das Kind auf das Dromedar, ordnete sorgsam seinen Sitz im Sattel und die kleine Karawane setzte sich in Bewegung. Maria wehte der alten Lehrerin und neuen Freundin mit dem Tüchlein viele Grüße zu, und Eudoxia schaute ihr noch nach, als sie schon längst im Dunkel verschwunden.
Dann ging sie nach Hause, erst leise weinend und gesenkten Hauptes, dann hoch aufgerichtet, thränenlos und sicheren Schrittes. Es war ihr seltsam zu Mute, das Herz schlug ihr weit kräftiger als seit Jahren, und es hob sie das Bewußtsein, nicht mehr nach den hemmenden Vorschriften einer lästigen Pflicht, sondern als ein freier Mensch nach dem Ermessen des eigenen Geistes zu handeln.
Sie wollte sich schon verteidigen, wollte den anderen zeigen, daß sie das Rechte getroffen, und wie Maria beim Abendessen fehlte und auch in der Zeit des Schlafengehens noch nicht zu Haus war, da gab es allerdings viel zu beruhigen und zu trösten und sich manche Mißdeutung gefallen zu lassen, doch sie nahm alles geduldig auf sich, und es that ihr wohl, für den Liebling schwer Erträgliches zu leiden.
Und am folgenden Morgen, nachdem sie Frau Johanna Marias Brief übergeben, wurden ihre Liebe und Geduld noch härteren Prüfungen unterworfen, ja, die sanfte gütige Witwe ließ sich zu Ausfällen gegen sie hinreißen, die sie noch vor kurzem unfehlbar bewogen hätten, mit bösen, spitzen Worten um ihre Entlassung zu bitten; doch sie nahm sie ruhig hin, und erst als gegen Mittag der Bischof erschien, um das Kind in das Kloster zu führen und sich zornig über Marias Verschwinden zeigte, die Witwe bedrohte und versicherte, daß er die Kleine im ganzen Land suchen lassen und endlich auffinden werde, fühlte sie, daß nun die Reihe des Triumphirens an sie gekommen.
Ruhig ließ die Griechin den Bischof das Haus verlassen, dann erst versandte sie ihren letzten und besten Pfeil, indem sie Frau Johanna bekannte, sie habe das Wagnis des Kindes begünstigt, um es vor dem Kloster zu retten. Und die neu erwachte mütterliche Liebe machte sie beredt, und was sie kaum mehr erwartet, das trat doch ein: die kleine, warmherzige Frau, die sie gestern mit so bösen Worten verletzt, schlug die Arme um ihre lange, hagere Gestalt, bot ihr den Mund zum Kuß, nannte sie ein braves, tüchtiges Mädchen und bat ihr alles ab, was sie ihr gestern angethan hatte.
Wie sich die Griechin zur Ruhe begab, war es ihr, als sei sie nach rückwärts gewachsen und dem unbefangenen jungen Geschöpfe wieder ähnlicher geworden, das sie unter den Geschwistern im Elternhause gewesen.
Achtundvierzigstes Kapitel.
Paula wußte jetzt, was sie bedrohte. Der Bischof Johannes war es, der es ihr mitgeteilt hatte, wenn auch schonend und mit der Versicherung, immer noch fest an der Hoffnung zu halten, die Ausführung des sündhaften heidnischen Gräuels verhindern zu können; doch auch ohne den Prälaten würde die Verurteilte erfahren haben, was ihr bevorstand; denn zahlreiche Volkshaufen sammelten sich täglich vor dem Gefängnis, und über seine hohe Mauer drang lautes Geschrei, das »die Nilbraut« zu sehen verlangte.
Oft galten ihr lebhafte Heilsrufe; hatten sich indessen die Unsinnigen vergeblich heiser geschrieen, so schmähten sie sie schändlich. Der Ruf: »Die Nilbraut!« kam von früh bis spät nicht zum Schweigen, und der Kerkermeister war froh, daß der Bischof es ihm abgenommen, Paula zu erklären, was das verhängnisvolle Wort bedeute, nach dessen Sinn sie sich schon wiederholentlich bei ihm erkundigt. Anfänglich hatte diese neue furchtbare Gefahr sie tief erschreckt und erschüttert, doch um ruhig und, ging es an, heiter vor dem kranken Vater zu erscheinen, bot sie alles auf, um festzuhalten an der Hoffnung des Bischofs. Und dies glückte ihr einigermaßen, so lang es Tag war, doch bei Nacht überfiel sie marternde Angst, und ihre Einbildungskraft zeigte ihr sich selbst, wie sie, von rasenden Volkshaufen umgeben, an den Strom geschleppt und vor tausend Augen in das nasse Grab geschleudert wurde. Da half kein Gebet, kein Sträuben und Ringen, keiner der zärtlichen Liebesgrüße, die ihr so oft von Orion zukamen, kein Lied, das er in den kurzen Mußestunden, die er sich gönnte, der Geängstigten zusang, kein Trostwort des Bischofs, kein Besuch lieber Freunde.
Diesen führte der Wärter ihr zu, so oft es nur anging, und unter diejenigen, welche den Weg zu ihr fanden, gehörten auch der Senator Justinus und seine Gattin Martina.
Zu ihrem Glücke hatten diese, sobald die Badesklaven der Witwe Susanna sich niedergelegt und ihnen die Aeußerung des Arztes, er halte ihr Leiden für den Anfang der Seuche, zu Ohren gekommen war, das Haus ihrer Gastfreundin verlassen und sich wieder in der Herberge des Sostratus einquartiert, doch ihr aus der Sklaverei befreiter Neffe Narses war bei der Mutter Katharinas verblieben.
Eigentlich hatte er ihnen mit Heliodora folgen sollen, doch als diese beiden eben zum Aufbruch bereit gewesen, hatte die Seuche schon Frau Susanna ergriffen, und die Obrigkeit jeden Austritt aus ihrem Haus untersagt.
Heliodora allein wär’ es vielleicht geglückt, in die Stadt zu entkommen, doch sie wollte den unglücklichen Schwager um keinen Preis verlassen; denn nur in ihrer Gegenwart fühlte er sich wohler, nur von ihr ließ er sich pflegen, und er verschmähte Speis’ und Trank, wenn sie es nicht war, die sie ihm reichte. Dazu war der früher so rüstige Reiteroffizier in seinem Siechtum ihrem verstorbenen Gatten so rührend ähnlich geworden, wußte sie, daß Narses sie schon vor jenem geliebt und ihr nur um des Bruders willen seine Neigung verschwiegen. Ihr pflegsamer Sinn fand Befriedigung, und die Sorge um den halb vernichteten und doch nicht völlig verlorenen jungen Mann, der Wunsch, ihn dem Leben zurückzugewinnen, hielt sie Tag und Nacht aus den Füßen und ließ ihr alles andere nebensächlich und nichtig erscheinen. Ihr Dasein hatte wieder einen Inhalt, ihr Streben ein erreichbares Ziel gewonnen, und sie widmete sich ihm mit Leib und Seele.
Ihr Oheim hatte ihr anvertraut, eine ernste Leidenschaft fessele Orion an Paula.
Das war ein schmerzlicher Schlag gewesen, doch die Damascenerin hatte sie gezwungen, zu ihr aufzuschauen, und es that ihrem verletzten Selbstbewußtsein wohl, den geliebten Jüngling an keine Geringere zu verlieren.
Wenn sich die Sehnsucht nach ihm in mancher stillen Stunde dennoch mächtiger regte, empfand sie es wie ein Unrecht, wie eine Verkürzung, die sie ihrem Pflegling zufügte.
Was Katharina anging, so war Heliodora außer ihrer Mutter der vorzüglichste Gegenstand ihrer Sorge. Die leiseste Klage dieser beiden ängstigte sie grausam, und wenn Susanna sich ermattet von der Hitze auf den Diwan warf oder die junge Frau nach einer bei ihrem Kranken durchwachten Nacht über die alten Kopfschmerzen klagte, wurde das Mädchen bleich, fühlte es quälendes Herzklopfen, sah es die eine wie die andere von der Seuche ergriffen, mit glühendem Haupt und den schrecklichen, verhängnisvollen Flecken auf Stirn und Wange vor dem inneren Auge, und sobald dergleichen Aengste der jungen Missethäterin von fern nahten, fühlte sie jedesmal den unseligen Druck an der Stelle des Kopfes, auf der die fieberheiße Hand des kranken Bischofs gelegen.
Die Gattin des Senators hatte seit Paulas Verhaftung ihr Verhalten gegen das Bachstelzchen so sehr geändert, daß sie Katharina wie ein wandelnder Vorwurf erschienen war und sie das würdige Paar ihr Haus nicht ungern hatte verlassen sehen. Aber kaum waren sie fort, als sich an ihrer Stelle das schwerste Unglück bei ihr zu Gast lud.
Der mit der Heizung des Bades betraute Sklave hatte einen Teil der verpesteten Kleider, die man ihm zum Verbrennen übergeben, beiseite geschafft, und sein Sohn ihm dabei geholfen, und ihre Amme, die Mutter ihres Milchbruders Anubis, war gleich nach ihrer Heimkehr von der Zauberin und dem Bischof in persönliche Berührung mit ihr gekommen. Diese drei hatte die Seuche zuerst ergriffen. Sie waren in die Krankenzelte gebracht worden, und zwar der ältere Heizer und die Amme als Leichen.
Aber hatte man mit ihnen auch die furchtbare Plage aus dem Hause geschafft? Wenn nicht, dann kamen diejenigen an die Reihe, welche sie selbst dem Unhold in die Arme gestoßen: erst Heliodora und dann die Mutter. Eigentlich hätte sie diesen vorangehen müssen, und wenn die Seuche die anderen ergriff, und der Tod stieß sie selbst ins Grab, so erwies er ihr damit eine Gnade.
Sie war noch so jung, und doch haßte sie das Leben, das ihr nichts mehr gewährte als Demütigung, Enttäuschung und Pfeilschüsse, die ihr Herz aus dem Kerker her bis ins Innerste trafen, und grausame Todesangst, die nie zur Ruhe kam, weder bei Tag noch bei Nacht.
Als der Arzt kam, um die kranken Sklaven in die Wüstenzelte zu schaffen, erzählte er beiläufig, die Richter hätten die Tochter des Thomas zum Tode verurteilt, und das Volk, sowie der Senat seien trotz des Widerspruchs des neuen Bischofs entschlossen, sie einer alten Sitte gemäß als Opfer in den Strom zu schleudern. Das Schicksal Orions werde sich erst morgen entscheiden, doch vor den jakobitischen Richtern gereiche es ihm zum schwersten Nachteil, daß er sich die Melchitin zur Gemahlin erkoren.
Da mußte sich Katharina an den Lehnstuhl der Mutter stützen, um nicht in die Kniee zu sinken, und mit glühenden Wangen fragte sie den Arzt aus, bis er die Geduld verlor und sie unwillig über solch ein Uebermaß an weibischer Neugier verließ.
Ja, »die Andere« war nun vor aller Welt seine Braut; doch sie war es nur, um zu sterben! Wie ein heißer Strom durchwogte es sie bei diesem Gedanken, und sie hätte laut auflachen und jedem um den Hals fallen mögen. Gräßliche, böse Schadenfreude war es, was sie ergriff, aber auch sie bot Wonne, köstliche Wonne; eine Höllenblume war sie, doch mit glänzenden Blättern und berauschendem Duft. Aber ihre Farben blendeten, und vor dem Duft empfand sie bald Abscheu. Banges Entsetzen vor sich selbst überkam sie, und doch hätte sie immer wieder aufjauchzen mögen, wenn es ihr durch den Sinn schoß: »Die Andere muß sterben!«
Die Mutter fürchtete, ihre Tochter werde gleichfalls erkranken; denn ihre Augen glühten so seltsam, sie war so unruhig und krampfhaft erregt.
Seitdem Heliodora die markerschütternde Kunde von Orions und Paulas Verlobung mit unbegreiflicher, wenn auch schmerzlicher Ruhe hingenommen, war sie für das heißblütige Mädchen nur noch ein schwächliches, keiner Beobachtung würdiges Nichts.
Und um ihretwillen hatte sie etwas begangen, das einem Mordversuche so gleich sah wie eine Natter der andern, hatte sie das Leben der eigenen Mutter gefährdet! Es war zum Verzweifeln, um sich selbst mit Ruten zu schlagen.
Als ihr Frau Susanna am Abend den Nachtkuß bot, klagte sie über einen leichten Schmerz im Halse und ihre Lippen, die angeschwollen seien, wenn sie nicht irre.
Da hielt Katharina sie zurück, fragte sie mit bebender Stimme aus, näherte das Licht ihrem Munde und suchte mit angehaltenem Atem auf ihrem Antlitz, ihrem Halse und ihren Armen nach den furchtbaren Flecken. Doch sie konnte keine entdecken, und Frau Susanna lächelte über ihre Aengstlichkeit und nannte sie ihr gutes, sorgsames Kind und warnte sie, sich zu sehr zu fürchten, weil dies die Seuche anlocken solle.
In der Nacht fand das Mädchen keinen Schlummer. Die Schadenfreude war verflogen, und lauter schmerzliche Gedanken und beängstigende Bilder bedrängten sie wachend und noch unabweisbarer im Halbschlaf.
Als es dämmerte, wurde ihre Angst um die Mutter so mächtig, daß sie aufsprang und sich zu ihr begab, doch sie schlief so fest, daß sie ihr Kind nicht einmal kommen hörte. Beruhigt zog sich Katharina wieder zurück; aber am Morgen traf das Gefürchtete ein – Frau Susanna konnte sich nicht mehr vom Lager erheben, fieberte, und über den Lippen, denselben Lippen, mit denen auch sie ihre verpesteten Locken geküßt, zeigten sich zwischen Mund und Nase tatsächlich und unleugbar die ersten schrecklichen Flecken.
Der Arzt erschien und erteilte Gewißheit
Die Villa wurde abgesperrt.
Der Heilkünstler und Frau Susanna, die noch bei voller Besinnung war, wünschten, drangen darauf, befahlen, daß Katharina in das Gärtnerhaus übersiedle, sie aber weigerte sich mit eisernem Trotz und erklärte, lieber zu sterben als sich von der Mutter zu trennen.
Außer sich, warf sie sich über die Kranke, um den roten Fleck an ihrem Munde zu küssen und der Seuche von ihm aus den Weg in das eigene Blut zu bahnen, doch der Arzt zog sie unwillig zurück, und die Leidende schalt sie mit feuchten Augen, aus denen ihr innige Liebe entgegenglänzte.
Von nun an durfte sie die Pflege der Mutter leiten. Zwei Nonnen unterstützten sie dabei und erklärten nicht nur der Leidenden, sondern auch einander hinter dem Rücken der reichen Witwe, eine gleich hingebende, liebevolle Tochter sei ihnen noch nicht begegnet. Auch dem Bischof Johannes, der sich nicht scheute, in die Häuser der Verseuchten zu treten und ihnen Trost zuzusprechen, rühmten sie das Verhalten Katharinas, und er, der in dem Bachstelzchen bis dahin nur ein flinkes, munteres Kind gesehen, begegnete ihr mit Achtung, ging mit ihr wie mit einer Erwachsenen in Gespräche ein und beantwortete eingehend und ernst ihre Fragen, die sich größtenteils auf Paula bezogen.
Voller Bewunderung vor der Seelengröße der Tochter des Thomas erzählte der Prälat dem Mädchen, wie sie, um den Geliebten zu retten, ein Vergehen auf sich genommen, das sie jeden Anrechts auf Gnade beraube. Die Damascenerin sei nur eine Melchitin, aber aus Liebe eines andern Schuld so freudig auf sich nehmen, wenn irgend etwas, so heiße das in der Nachfolge Christi wandeln.
Da zuckte Katharina die Achseln, wie um zu sagen: »Und das findest Du groß? Wäre das Gleiche nicht etwa auch mir ein Leichtes?«
Und der Priester nahm es wahr und ermahnte sie in freundlichem Ton, sich vor geistigem Hochmut zu hüten, obgleich sie sich ja das Recht erworben, sich auch das Schwerste zuzutrauen, und nicht aufhöre, ein Beispiel kindlicher und christlicher Liebe zu geben.
Damit entfernte er sich, und Katharina, die jedes Lob über ihr Verhalten gegen die Mutter, die ihre Schuld auf das Sterbebett geworfen, wie ein Hohn aufbrachte und quälte, kam es wiederum vor, als habe sie einen würdigen Menschen betrogen, doch den Vorwurf geistigen Hochmuts, den verdiente sie nicht; denn in diesem stillen Zimmer, auf dessen Schwelle der Tod stand, wiederholte sie sich wieder und wieder alles Furchtbare, das sie begangen, sagte sie sich unaufhörlich, daß sie von allen Sünderinnen die größte, die verruchteste sei.
Oft drängte es sie, sich einer andern Seele anzuvertrauen, ein befreundetes Auge ihre innere Not sehen und teilen zu lassen.
Dem Bischof, dem ehrwürdigsten Priester, welchen sie kannte, hätte sie besonders gern alles bekannt und sich eine Buße, je schwerer desto willkommener, von ihm auferlegen lassen, doch die Scham vor dem Begangenen hielt sie davon zurück und bestimmter, zwingender noch etwas anderes. Der Geistliche, das wußte sie, würde von ihr verlangen, mit dem alten Leben zu brechen, die alten Gefühle und Wünsche mit der Wurzel aus der Seele zu reißen und ein neues Dasein zu beginnen, und dazu war die Zeit noch nicht gekommen: ihre Liebe war ihr noch Lebensbedingung, der Haß ihr noch zu teuer. Hatte Paula, »die Andere«, ihr furchtbares Schicksal ereilt, hatte sie, Katharina, mit den alten Empfindungen im Herzen, sich daran geweidet, war es ihr gelungen, Orion zu zeigen, daß ihre Liebe zu ihm nicht weniger groß und stark und opferwillig gewesen als die der Tochter des Thomas, hatte sie ihn, wie auch immer, und es sollte und mußte geschehen, anzuerkennen gezwungen, daß er sie schmählich verkannt und an ihr gesündigt, dann, dann erst wollte sie Frieden machen mit sich selbst, der Kirche und ihrem Heiland und, mußte es sein, den Schleier nehmen und den Rest ihres jungen Lebens als Büßerin in einem Kloster oder einer einsamen Felsenhöhle vertrauern.
Aber jetzt, nachdem Paula, seine Braut, dies Große für ihn gethan, ungesehen, unbemerkt, unbeachtet, vielleicht vergessen von ihm, ein Ende machen mit ihrer Liebe, sich in sich selbst und aus seinem Gesichtskreis zurückziehen, das ging über menschliches Vermögen. Lieber zu Grunde gehen an Leib und Seele und ewiger Verdammnis, dem Satan und der Hölle verfallen, an die sie glaubte wie an das eigene Dasein.
Und so pflegte sie die Mutter weiter, sah sie, wie sich die roten Flecken über den ganzen Körper der Kranken verbreiteten und das Fieber, das sie schüttelte, an Heftigkeit zunahm von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, hörte sie mit Entsetzen und schrecklicher Lust, vor der ihr graute, und an der sie sich doch weidete, von den Vorbereitungen für das Opfer der Nilbraut, ließ sie sich durch den Bischof von Paula, ihrem sterbenden Vater und Orion erzählen, zitterte sie für die kleine Maria, die aus dem Nachbargarten verschwunden, bis sie erfuhr, daß sie das Weite gesucht, um dem Kloster zu entrinnen, vernahm sie tagtäglich, daß Heliodora, die mit ihrem Pflegling in das Gärtnerhaus übergesiedelt, noch von der Seuche verschont sei, flehte sie in dem Gebete, das sie auch jetzt noch weder abends noch morgens gen Himmel zu senden versäumte, den lieben Gott und ihre Heilige an, die junge Frau zu retten, sie selbst nicht zur Muttermörderin zu machen und ihr zu vergeben, daß durch ihren Verrat der ehrwürdige Rufinus, dem sie ja gut gewesen, und mit ihm so viele unschuldige Menschen ums Leben gekommen.
So vergingen für sie gräßliche, martervolle Tage und Nächte, und die Gefangenen, die Katharinas Schuld in den Kerker gebannt, waren glücklicher als sie, trotz des Furchtbaren, das sie bedrohte.
Das Schicksal der Geliebten quälte Orion wie hundert brennende Wunden. Unabwendbar nahte Paulas gräßliches Ende, an das nur zu denken das Gehirn sich sträubte.
Uebermorgen, der Wächter, der Senator Justinus, der Bischof hatten es ihm anvertraut, stand die Hochzeit seiner Verlobten bevor. Uebermorgen wollten sie die Braut mit nichtswürdigen Spötterhänden zu einem verruchten, fluchwürdigen Possenspiel schmücken, bekränzen und sie vermählen, nicht mit ihm, dem Bräutigam, den sie liebte, sondern mit dem Nilstrom, dem fühllosen, todbringenden Elemente.
Wie ein Wahnsinniger rannte er oft durch die Zelle, zerriß er die Saiten, wenn er beim Lautenspiel Erleichterung suchte; aber dann ertönte aus dem Nebengemach eine nüchterne, wohlmeinende Stimme, die des Rentmeisters Nilus, der ihn mahnte, die Hoffnung nicht sinken zu lassen, Gott zu vertrauen, seine Pflicht und Aufgabe nicht zu vergessen. Und dann sammelte er sich, raffte sich gewaltsam auf und stürzte sich wieder in die Arbeit.
Ob es Tag, ob es Nacht war, galt ihm gleich. Für Oel und Lampen hatte der Senator gesorgt. Wenn die Müdigkeit ihn übermannte, überließ er sich auf dem harten Lager nicht länger, als die Menschennatur dringend bedarf, kurzem Schlummer, aber sobald er ihn abgeschüttelt, versenkte er sich wieder in die Pläne und Listen, führte er die Feder, dachte, zeichnete, rechnete, erwog er, und sobald Zweifel in ihm aufstiegen und er dem eigenen Urteil und Gedächtnis nicht traute, schlug er an die Wand des Nebengemachs, und der kluge, erfahrene Freund war stets bereit, ihm nach bestem Wissen und Ermessen Hilfe zu leisten. Der Senator fuhr für ihn nach Arsinoë, um ihm Notizen über das Seeland aus dem dortigen Archiv zu verschaffen, und so schritt die Arbeit fort, näherte sie sich dem Abschluß, kräftigte und hob sie seinen sinkenden Mut, spendete sie ihm die Freude des Gelingens, ließ sie ihn manchmal auf Stunden vergessen, was wohl geeignet erschien, auch den Mutigsten in Verzweiflung zu stürzen.
So oft der Wärter, der Senator, dessen wackere Gattin Martina, Frau Johanna oder auch die Griechin Eudoxia, der jene zweimal das Glück gegönnt, sie zu begleiten, ihn besuchten, gab er ihnen eine schriftliche oder mündliche Mitteilung, wie weit die Lösung seiner Aufgabe vorwärts geschritten, für Paula mit, und es gewährte ihr Trost und innige Freude, ihm auf seinem Arbeitspfade zu folgen. Auch manches Zeichen der Liebe, Achtung, Bewunderung richtete die Gefangene auf, wenn ihr starkes Herz zu verzagen drohte.
Ach, sie quälte nicht allein das Grauen vor dem gräßlichen Tode!
Der Vater, den wiederzufinden sie für das höchste Glück ihres Lebens erachtet, siechte unter ihren pflegenden Händen rettungslos dahin. Die arme, verwundete Lunge versagte den Dienst. Nur mit Mühe und Schmerz konnte er noch wenige Tropfen Wein und einige Bissen verschlucken, und sein klarer Geist hatte sich in den letzten Tagen wie verschleiert. Vielleicht zu seinem Glück, sagte sie sich selbst, trösteten sie die Freunde.
Auch er hatte den Ruf: »Heil der Nilbraut!« »Heraus mit der Nilbraut!« »Nieder mit der Nilbraut.« vernommen, aber wenngleich er seine Bedeutung nicht ahnte, beschäftigte er ihn doch in den letzten Tagen fortwährend, und das furchtbare, eigentümlich klingende Wort schien ihm sonderlich zu gefallen; denn zu Paulas Pein murmelte er es gern bald zärtlich, bald nachdenklich vor sich hin.
Oft dachte die Jungfrau daran, ihrem Leben ein Ende zu machen, bevor das Schreckliche geschah, bevor sie sich einem ganzen Volke zur Schau stellen, sich von ihm angaffen ließ und ihm ein ergötzliches, aufregendes, grauen– und mitleiderweckendes Schauspiel bot.
Aber durfte sie es auch?
Durfte sie dem Höchsten vorgreifen, auf den sie hoffte, in dessen Hand sie sich gab in tausend stummen, brünstigen Gebeten?
Nein!
Bis zum letzten Augenblick wollte sie vertrauen und hoffen, und wunderbar, so oft sie an der Grenze des Widerstandsvermögens angelangt war und nun ganz gewiß nicht weiter zu können und unterliegen zu müssen wähnte, trat ihr etwas entgegen, woran sie sich neu aufrichten konnte, das ihr Trost oder Ermutigung brachte; denn dann kam eine Botschaft von Orion, trat Frau Johanna oder Pulcheria bei ihr ein, ließ sie der Bischof um eine Unterredung ersuchen, fand der Vater die Besinnung wieder und sprach schöne, herzerhebende Worte. Oft auch meldete der Wärter das Senatorenpaar an, dessen gesunder, heiterer Sinn immer das Rechte für sie zu treffen verstand. Besonders Frau Martina wußte mit mütterlichem Feingefühl auf alles einzugehen, was sie bewegte, und einmal zeigte sie ihr auch einen Brief Heliodoras, in dem sie der Matrone mitteilte, wie schön sich ihr Herz bei der Pflege ihres lieben Kranken beruhige und wie dankbar sie fühle, daß ihre Mühe und Sorge belohnt werde; denn Narses sei schon ein ganz anderer Mensch geworden, und sie kenne keine höhere Aufgabe, als diesen Unglücklichen wieder mit dem Leben auszusöhnen, ja es ihm lieb zu machen. Sie denke an Orion nur noch wie an ein liebes Lied, das sie einmal in einer freundlichen Stunde vernommen.
So ging auch den Gefangenen die Zeit dahin, bis sie nur noch zwei Nächte von dem Serapistage trennten, an dem die furchtbare Hochzeit gefeiert werden sollte.
Da, es war gegen Abend, ließ sich der Bischof bei Paula melden. Er hielt es für seine Pflicht, ihr mitzuteilen, daß die Vollstreckung des Urteils auf übermorgen angesetzt worden sei. Er werde an Glaube und Hoffnung festhalten bis ans Ende, doch sei seine Macht über die verführten, irregeleiteten Gemüter wie gebrochen. In jedem Falle werde er, wenn sich das Schreckliche vollziehe, an ihrer Seite bleiben, um sie durch die Würde seines Gewandes zu schützen. Er komme schon heute, um ihr Zeit zu gewähren, in jeder Hinsicht ihre Vorbereitungen zu treffen. Für ihren edlen Vater zu sorgen, bis seine letzte Stunde nahe, werde ihm eine Freude und teure Pflicht sein.
Aber so sicher sie auch längst auf das Aeußerste gefaßt war, traf sie diese Nachricht doch wie ein Blitzstrahl. Was ihr bevorstand, erschien so ungeheuerlich und ohne Beispiel, daß es nie und nimmermehr möglich gewesen wäre, ihm gefaßt und gelassen entgegenzusehen.
Eine Zeit lang mußte sie sich, ihrer selbst nicht mächtig, an ihre treue Betta klammern, und nur nach und nach fühlte sie sich im stande, dem Bischof Rede zu stehen und ihm zu danken.
Doch Johannes beklagte sein Unvermögen, sich ihre Erkenntlichkeit voll zu verdienen; denn die Antwort des Patriarchen auf seine Anklage gegen diejenigen, welche das Volk durch eine heidnische Missethat zu retten verhießen, dies Schreiben, worauf er die beste Hoffnung für sie gesetzt hatte, sei anders ausgefallen, als er erwartet. Zwar verdamme der Patriarch das ruchlose Opfer, doch geschehe es in einer Weise, der die Kraft mangle, die Irregeleiteten zu erschrecken und zu entmutigen. Dennoch wolle er versuchen, welche Wirkung dies Schreiben auf das Volk üben werde, und eine Anzahl von Kopisten habe den Auftrag erhalten, es in dieser Nacht zu vervielfältigen. Morgen würden die Abschriften an den Senat verteilt, auf dem Markt und an die öffentlichen Gebäude angeschlagen und unter die Menge verteilt werden, doch er fürchte, dies alles werde wirkungslos bleiben.
»So hilf mir denn, mich auf den Tod vorbereiten,« bat Paula dumpf. »Du bist kein Priester meiner Kirche, Johannes, doch auch sie hat keinen würdigeren Diener. Wenn Du mir im Namen Deines Heilands vergibst, so wird mir auch der meine vergeben. Zwar sehen wir ihn mit verschiedenen Augen an, doch unser Erlöser, er bleibt darum dennoch derselbe.«
Da regte sich in dem strengen Jakobiten der Widerspruch, aber er wußte ihn in dieser Stunde zu unterdrücken und erwiderte nur:
»Sprich, meine Tochter, ich höre!«
Und nun eröffnete sie ihm ihr Inneres, als sei er ein Seelenhirt ihres eigenen Glaubens, und die Augen wurden ihm feucht bei dieser Beichte eines reinen, liebeerfüllten, das Beste und Höchste erstrebenden Herzens, und er verhieß ihr die Gnade des Erlösers, und nachdem er »Amen« gesagt und sie gesegnet, blickte er eine Zeit lang zu Boden und rief dann endlich: »Folge mir, Kind!«
»Wohin?« fragte sie erschreckt; denn sie glaubte, ihre letzte Stunde sei jetzt schon gekommen, und er schicke sich an, sie auf den Richtplatz oder in ihr feuchtes, ewig strömendes Grab zu führen; er aber antwortete lächelnd:
»Nein, Kind! Heute möchte ich nur die freundliche Aufgabe erfüllen, eure Verlobung vor dem Höchsten zu segnen, wenn Du mir gelobst, Deinen Bräutigam dem Glauben seiner Väter nicht zu entfremden; denn was gibt der Mann nicht preis, den die Liebe zum Weibe ergriffen! Du versprichst es? Wohl, so führe ich Dich zu Deinem Orion.«
Damit pochte er an die Thür der Zelle, und als der Wärter sie öffnete, flüsterte er ihm einen Befehl zu, und sie folgte ihm stumm und mit glühenden Wangen, und wenige Augenblicke später lag sie an der Brust des Geliebten, und zum ersten-, vielleicht zum letztenmal für das ganze Leben fanden seine Lippen die ihren.
Kurze Zeit ließ der Prälat sie beisammen, und nachdem er sie beide und ihr Verlöbnis gesegnet, führte er sie wieder in die Zelle zurück; dort aber fand sie kaum Zeit, ihm aus der Fülle des überströmenden Herzens zu danken; denn ein Sicherheitswächter berief ihn in das Haus der Witwe Susanna; ihre letzte Stunde war nah’, wenn nicht schon gekommen.
Unverzüglich folgte Johannes dem Boten, Paula aber blickte ihm tief atmend nach. Dann warf sie sich an die Brust der Amme und rief:
»Nun komme, was mag! Nichts kann uns mehr trennen, auch nicht der Tod!«
Neunundvierzigstes Kapitel.
Der Bischof kam zu spät. Er fand nur noch die Leiche der Witwe Susanna, und am Hauptende des Sterbebettes die kleine Katharina totenbleich, stumm, thränenlos, wie vernichtet.
Freundlich versuchte er sie aufzurichten und ihr tröstlich zuzusprechen, sie aber stieß ihn zurück, riß sich von ihm los und eilte, bevor er es verhindern konnte, aus dem Zimmer.
Armes Kind!
Er hatte vor manchem Sterbebette zärtliche Töchter die Mutter beklagen sehen, aber solcher Trauer war er noch nicht begegnet. Hier, dachte er, sind zwei Menschenseelen einander alles gewesen, und daher dieser vernichtende Kummer.
Katharina war auf ihr Zimmer geflohen, hatte sich dort auf den Diwan geworfen und sich so fest in sich selbst zusammengekauert, daß kein Eintretender das unkenntliche, lebende Etwas dort auf dem Polster für ein menschliches Wesen, eine erwachsene, leidenschaftlich fühlende Jungfrau gehalten haben würde.
Es war sehr heiß, und doch durchschüttelte ein kalter Schauer nach dem andern ihre zarte Gestalt.
Ob die Seuche auch sie überfiel?
Nein, es wäre zu gnädig von der Schickung gewesen, sich ihres Leides so zu erbarmen.
Die Mutter tot, von der eigenen Tochter ins Grab gezogen. An ihren Lippen war die Krankheit zum Ausbruch gekommen, und wie oft hatte der Arzt sein Erstaunen geäußert, daß die Seuche in dies gesunde, ganz verschonte Viertel und in ein so peinlich sauber gehaltenes Haus Eingang gefunden. Sie wußte, wem der Würgengel dahin gefolgt war, wer dort ein verbrecherisches Spiel mit ihm getrieben. Das Wort »Muttermörderin« kam ihr in den Sinn, und sie gedachte des Gesetzes ihrer Vorfahren, das gegen die Mörder der eigenen Eltern keine Strafe kannte, weil die Alten solche Unthat für unmöglich hielten.
Dabei trat ein höhnisches Lächeln auf ihre Lippen.
Gesetz! Vorschrift! Gab es denn eine, die sie nicht übertreten? Sie hatte ihren Gott mißachtet, Zauberei getrieben, falsches Zeugnis geredet, getötet, und das einzige Gebot, welches eine Verheißung hat, und das, wenn der Arzt Philippus gut unterrichtet war, ganz, ganz ebenso wie auf den Tafeln des Moses in den Satzungen ihrer Ahnen verzeichnet stand, wie hatte sie es gehalten? Die eigene Mutter war durch sie zu Grunde gegangen!
Bei dieser schrecklichen Selbstschau hörte das Frösteln nicht auf, und wie es ihr unerträglich zu werden begann, wandelte sie auf und nieder und suchte nach Entschuldigungen für ihr verbrecherisches Treiben.
Nicht der Mutter, sondern Heliodora hatte sie den Tod zu bringen gewünscht – warum war das tückische Schicksal...
Da ward sie unterbrochen; denn die junge Frau, zu der die Trauerkunde gedrungen, suchte sie auf, um sie zu trösten und ihr ihre Hilfe zu Gebot zu stellen.
Liebreich sprach sie dem Mädchen zu, doch ihre sanfte, wohlklingende Stimme erinnerte Katharina an die Stunde nach dem Tode des Bischofs, und wie Heliodora den Arm ausstreckte, um sie an sich zu ziehen, wich sie zurück und bat sie mit trockener, rauher Stimme, sie nicht zu berühren; denn an ihren Kleidern hafte die Seuche. Sie brauche keinen Trost; sie begehre nur allein zu sein, ganz allein und nichts weiter.
Die letzten Worte hatten hart und unfreundlich geklungen, und als sich die Thür hinter der jungen Frau schloß, blickte Katharina ihr feindselig nach.
Warum war das Verhängnis an dieser vorbeigegangen und hatte diejenige zum Opfer gefordert, deren Verlust sie nie verschmerzen konnte?
Dabei mußte sie lebhaft der Mutter gedenken, und nun eilte sie wieder an das Sterbelager und warf sich davor nieder; aber auch dort ertrug sie es nicht lange, und nun ging sie in den Garten und suchte jedes Plätzchen auf, wo sie mit der Mutter gewesen. Aber es knackte dort so seltsam in den Büschen, und die Bäume und Sträucher warfen so wunderliche Schatten, daß sie das Morgenlicht wie eine Erlösung begrüßte.
Als sie in das Haus zurück wollte, kam ihr ihr Milchbruder Anubis entgegengehinkt.
Armer Schelm!
Auch ihn hatte sie zum Krüppel gemacht, auch seine Mutter war durch sie der Seuche erlegen!
Der Knabe redete sie an und gab ihr seine Teilnahme zu erkennen, und sie ließ es sich gefallen, doch sie sagte so sonderbare Dinge und erteilte ihm so verkehrte Antworten, daß er fürchtete, der Schmerz habe ihr den Geist zerrüttet. Ganz unvermittelt fragte sie ihn auch, wie viel sie nun wohl besitze, und da er es aus dem Rentamt ungefähr wußte und es ihr mitteilen konnte, schlug sie die Hände zusammen; denn wie konnten einem einzelnen Menschen, der kein König war, so große Reichtümer gehören? Endlich erkundigte sie sich, ob er wisse, wie man ein Testament aufsetze, und auch das durfte er bejahen.
Da ließ sie sich’s von ihm beschreiben, und er fügte hinzu, daß die Unterschrift durch Zeugen giltig gemacht werden müsse; aber sie sei doch noch zu jung, um an die Aufstellung eines letzten Willens zu denken.
»Warum?« fragte sie. »Ist Paula etwa viel älter als ich?«
»Und übermorgen,« fügte der Knabe hinzu, »stürzt man sie doch in den Nil. Die Leute nennen sie alle ›die Nilbraut‹.«
Da flog wiederum das häßliche, schadenfrohe Lächeln um ihren Mund, doch sie unterdrückte es schnell und schritt geradenwegs auf das Haus zu.
Vor der Eingangsthür fragte er sie schüchtern, ob er die Herrin noch einmal sehen dürfe, sie aber mußte es ihm wegen der Ansteckung verbieten, doch er entgegnete stolz: »Was Du nicht fürchtest, fürchte ich auch nicht,« und folgte ihr an das Sterbebett, wo die Leiche nun gebadet und schön ausstaffirt dalag, und als er Katharina der Verstorbenen die Hand küssen sah, drückte er, sobald sie fortschaute, seine Lippen auf die gleiche Stelle, welche die ihren berührt hatten. Dann setzte er sich neben dem Lager nieder und blieb dort, bis sie ihn fortschickte.
Vor Mittag erschien der Bischof wieder und segnete die Entschlafene ein. Er fand sie rings von herrlichen Blumen umgeben. Katharina war wieder im Garten gewesen, hatte die schönsten und seltensten geschnitten und dabei dem Gärtner zwar gestattet, sie ihr in einem Korbe nachzutragen, doch ihm untersagt, ihr beim Pflücken zu helfen.
Das Gefühl, wenigstens etwas für die Mutter zu thun, war ihr tröstlich gewesen, doch bei Tage kam ihr ihre Umgebung noch unerträglicher vor als bei Nacht. Alles erschien ihr so groß, so roh, so aufdringlich, so bedrohlich und erinnerte sie an ein Unrecht oder eine That, deren sie sich schämte. Jeder volle Blick, meinte sie, müsse sie durchschauen, und bisweilen war es ihr, als wankten die Säulen des großen Festsaals, in dem die Leiche jetzt stand, und als schicke die Decke sich an, zusammenzubrechen und auf sie einzustürzen.
Wie abwesend, oft völlig verkehrt beantwortete sie die Fragen des Bischofs, und dieser meinte, sie stehe ganz im Bann ihres großen Schmerzes, und um ihren Gedanken eine neue Richtung zu geben, erzählte er ihr von Paula, und weil er glaubte, daß Katharina sie liebe, vertraute er ihr an, daß er sie gestern mit Orion zusammengeführt und ihre Verlobung mit ihm eingesegnet habe.
Da verzerrten sich ihre Züge in einer Weise, die den Bischof erschreckte, und während des grausamen Kampfes, der in ihrer Seele tobte, hob und senkte sich ihr Busen schnell und krampfhaft, konnte sie nichts hervorbringen als die Frage: »Aber man opfert sie dennoch?«
Da meinte der Bischof, sie zu begreifen.
Gewiß stand sie unter dem Eindruck des Entsetzens über das jähe, grausame Ende, welches diesem jungen Brautstande drohte, und so versetzte er klagend: »Ich werde die Ruchlosen nicht zurückhalten können, und doch soll auch das letzte Mittel nicht unversucht bleiben. Das Schreiben des Bischofs, welches diese wahnsinnige Schandthat mißbilligt, wird heute verteilt, und auf der Kurie will ich es selbst vorlesen, deuten, es auszunützen und ihm einen schärferen Klang zu geben versuchen. Wünschest Du es zu lesen?«
Da sie dies lebhaft bejahte, winkte der Prälat dem Akoluthen, der ihm mit dem heiligen Gerät gefolgt war, und dieser zog aus einem Päckchen ein Blatt, das er ihr reichte.
Sobald sie allein war, überlas sie den Brief des Patriarchen erst flüchtig, ohne seinen Inhalt aufzufassen, dann mit größerer Sammlung und endlich aufmerksam, mit wachsender Teilnahme, aufgeregt zu eigenen Gedanken und zuletzt mit blitzenden Augen, fliegendem Atem und als habe diese Schrift Bezug auf sie selbst und entscheide das Geschick ihres Lebens.
Als die Leichenträger erschienen, saß sie noch da und schaute wie gebannt auf den Papyrus, nun aber sprang sie auf, schüttelte sich und nahm Abschied von der starren, kühlen Hülle der Mutter, an deren warmem Herzen sie so oft geruht und der sie das Liebste im Leben gewesen, doch auch dabei blieb ihr die Wohlthat der Thränen versagt.
Von den tiefen Gewissensbissen, die sie gepeinigt, empfand sie jetzt nichts mehr; denn es war ihr, als sei der Verkehr zwischen ihr und der Verstorbenen mit dem Tode nicht zum Abschluß gelangt, als stehe ihr nach kurzer Trennung ein Wiedersehen bevor, vielleicht bald, vielleicht schon morgen, und mit ihm eine Aussprache, eine Herzenserschließung, eine Darlegung alles Geschehenen, so offen, so rückhaltlos, wie es nimmer möglich war zwischen sterblichen Menschen, selbst nicht zwischen Tochter und Mutter; und wenn die taube, blinde, gefühllose Entschlafene mit helleren als menschlichen Augen und Ohren und Fühlfäden des Geistes dort oben noch einmal alles und jedes sah, hörte, prüfte, erwog, was ihr begegnet und angethan worden, was sie gefühlt und außer sich gebracht hatte, dann, sagte sie sich, dann werde sie sie vielleicht härter tadeln und strafen als jemals auf Erden, sie aber auch kräftiger ans Herz ziehen und inniger zu trösten suchen.
Wie einer Lebenden raunte sie ihr leise ins Ohr: »Warte nur, warte; ich komme bald und sage Dir alles!«
Dann küßte sie sie so unbesorgt und herzlich, daß die Nonnen sie entsetzt von der Leiche zurückrissen und den Totenbestattern befahlen, den Sarg zu schließen.
Diese gehorchten, und wie der hölzerne Deckel sich über die Entschlafene breitete, sich klappend in den Kasten unter ihm einfalzte und Katharina den Anblick der Entschlafenen entzog, da brach der Damm, der bis dahin ihre Thränen zurückgehalten, und sie begann bitterlich zu weinen, und nun erst bemächtigte sich ihrer voll und ganz die Empfindung, daß sie die Mutter verloren, daß sie eine verlassene Waise sei und allein dastehe, ganz allein in der weiten Welt.
Sie sah und hörte nicht, was weiter mit dem geliebten Leichnam geschah; denn wie sie die Hände wieder von dem in Thränen schwimmenden Antlitz entfernte, barg das Haus der reichen Witwe Susanna seine Gebieterin nicht mehr, hatte man ihre Hülle in das nächste Pesthaus getragen. – Das Gesetz verbot, die Leiche länger im Hause zu behalten, und ordnete an, sie erst bei Nacht zu bestatten. Das eigene Kind durfte der Mutter nicht auf den Friedhof folgen.
Gesenkten Hauptes begab sich Katharina auf ihr Zimmer zurück und schaute von dort in den Garten. Das alles gehörte ihr nun, darüber und über wie viel anderes hatte sie zu schalten und zu walten, frei und ungehemmt wie bisher über ihren Vogel, ihr Hündchen und den Schmuck dort auf dem Putztisch. Hunderte konnte sie beglücken mit einem Worte, einer Bewegung der Hand, nur sich selbst nicht. So voll erwachsen, so selbständig, so frauenhaft, ja so mächtig und doch zugleich so namenlos elend und ohnmächtig wie in dieser Stunde hatte sie sich noch nie gefühlt.
Was sollte ihr all der Tand?
Er reichte nicht aus, auch nur einen Seufzer der Sehnsucht zu stillen.
Mit einem Versprechen hatte sie Abschied von der Mutter genommen, das heiße Verlangen, das ihre Seele erfüllte, hörte nicht auf, sich zu regen, und nun war ihr durch den Brief des Patriarchen ein Wink zugekommen, wie sie dahin gelangen könne, jenes zu halten und dies zu stillen.
Ungesäumt nahm sie das Schreiben wieder zur Hand und las es noch einmal.
Es hob damit an, das Vorhaben der irregeleiteten Memphiten streng zu verdammen. Dann legte es dar, daß der blutige, welterlösende Tod Jesu Christi, daß sein göttliches Blut dem Himmel das Verlangen nach menschlichen Opfern abgekauft habe. Auf dem weiten Gebiete, welches das Kreuz segnend beschatte, gelte darum das Menschenopfer für ein unnützes, fluchwürdiges Gräuel. Darauf legte es dar, wie die Heiden ihre Götter nach dem Vorbild schwacher, sündiger Sinnenmenschen gebildet und dem gemäß die Opfer für sie gestaltet. »Doch unser Gott,« fuhr es fort, »über dem Menschlichen steht er so hoch erhaben, wie der Geist über dem Fleische, und was er an Opfern verlangt, begehrt er nicht vom Fleische, sondern vom Geiste. Muß er sich nicht trauernd und zornig abwenden von den verblendeten Christen in Memphis, die in allen Stücken empfinden und zu handeln gedenken wie thörichte, grausame Heiden? Nur eine Andersgläubige, eine Fremde wollen sie opfern, und wähnen, dies mildere das Gräuel vor den Augen des Herrn; aber es gereicht ihm dennoch zum Abscheu; denn kein Menschenblut darf die geweihten, reinen Altäre unseres milden Glaubens besudeln, der Leben bringen will, nicht den Tod.
»Sollte – so frage Deine verblendeten, irregeleiteten Schafe, mein Bruder – sollte der Vater der Liebe Freude empfinden über den Anblick eines Kindes, wenn auch eines verirrten, das man zu seiner, des Höchsten Ehre, während es sich sträubt und seinen Bewältigern flucht, in den Wogen erstickt?
»Ja, fände sich eine reine, von dem beseligenden Rausch der Gottesliebe ergriffene Jungfrau, die freiwillig, nach dem Vorbilde dessen, der durch seinen Tod die Menschheit erlöste, sich in die Wogen stürzte und begeistert mit brechender Stimme gen Himmel riefe: ›Nimm mich und meine Unschuld als Opfer an, Herr, und erlöse mein Volk aus seiner Not!‹, ja, das wäre ein Opfer, und vielleicht sagte der Herr: ›Ich nehme es an; doch schon der Wille genügt mir. Keins meiner Kinder werfe das Leben von sich, das ich ihm als heiligste und theuerste Gabe verliehen.‹«
Fromme Ermahnungen an die Gemeinde bildeten den Schluß dieses Schreibens.
Eine Jungfrau, welche sich den Wogen freiwillig preisgibt, um ihr Volk aus der Not zu erretten, die, sagte der Mann Gottes, aus dessen Munde der Höchste selbst sprach, die sei ein Opfer, das dem Himmel gefalle.
Und dieser Ausspruch, dieser Wink war wie ein Rocken, von dem aus Katharina im Geist den Gedankenfaden länger und länger zog, um ihn auf den Webestuhl zu spannen und einen verwendbaren Stoff daraus zu gestalten.
Sie wollte die Jungfrau sein, auf die der Patriarch hingewiesen, die rechte, wahre Nilbraut, die das junge Leben begeistert hinwarf, um ihr Volk von der Not zu erretten.
Darin lag eine Sühne, die der Himmel annehmen konnte, das befreite sie von der Last des Daseins, die sie bedrückte, das führte sie zur Mutter zurück, damit zeigte sie dem Geliebten, dem Bischof, der Welt die ganze Größe ihres Opfermutes, der in nichts zurückstand hinter dem »der Andern«, der hochgepriesenen Tochter des Thomas. Vor ihren Augen, im Angesicht allen Volkes wollte sie die große That vollbringen. Doch Orion mußte erfahren, mit welchem Bilde im Herzen und wem zu liebe sie den Sprung aus dem blühenden Dasein in das feuchte Wogengrab that.
O, wie wundervoll, wie herrlich! Legte sie ihm dadurch nicht die unabweisbare Nötigung auf, sich ihrer zu erinnern, so oft er auch immer an Paula dachte? Ja, so zwang sie ihn, ihr eigenes Bild unzertrennlich von dem »der Andern« in seiner Seele wohnen zu lassen, und mußte durch ihre That ohnegleichen ihre Gestalt nicht so hoch aufwachsen, daß sie in der Vorstellung aller Menschen und auch in der seinen der der Damascenerin an Größe gleichkam?
Von nun an sehnte sie die große Stunde herbei. Ihr eitles Herzchen lachte im Vorgenusse der Freude, von jedermann gesehen, gepriesen, bewundert zu werden. Morgen sollte sie, die Kleine, alle Welt überragen, und je empfindlicher die Glut dieses brennenden Tages sie drückte, desto wohliger wollte es ihr, der das Baden eine Lust war, erscheinen, in dem kühlen Elemente Ruhe vor der Marter des Lebens zu finden.
Diese That ins Werk zu setzen, erschien ihr nicht schwer; sie war jetzt die Herrin, und Sklaven und Beamte mußten ausführen, was sie befahl.
Bei alledem dachte sie auch daran, ihren großen Besitz vor dem Heimfall an Verwandte, denen sie wenig hold war, zu schützen, und so setzte sie mit sicherer Hand ein Testament auf, worin sie ihrem Oheim Chrysippus einen Teil ihres Vermögens zusprach, einen kleineren ihrem Milchbruder Anubis und der Witwe des Rufinus, an der sie ein schweres Unrecht gut zu machen habe. – Die größere Hälfte des auf viele Millionen geschätzten Besitzes vermachte sie ihrem geliebten Freunde Orion, dem sie alles vergebe und dem sie gezeigt zu haben hoffe, daß in dem kleinen »Bachstelzchen« doch Raum gewesen sei für etwas Großes. Auch ihr Haus bat sie ihn anzunehmen, weil ihm nicht ohne ihre Schuld das seiner Väter verloren gegangen.
Die Bedingung, welche sie an diese Hinterlassenschaft knüpfte, bewies, mit wie regem, wachem Geist sie durchs Leben gegangen.
Sie wußte, daß der Groll des Patriarchen dem jungen Manne verhängnisvoll werden konnte, und um hier zu vermitteln und sich zu gleicher Zeit die Fürsprache der Kirche zu sichern, nach der sie verlangte, schrieb sie Orion vor, den größten Teil des von ihr Ererbten dem Patriarchen für die Kirche und wohlthätige Zwecke zu überweisen; doch nicht auf einmal, sondern in zehn Jahren, und in Raten, deren Höhe Orion nach freiem Ermessen festzusetzen habe. Falls auch der Sohn des Mukaukas in den nächsten drei Jahren dem Tode verfiele, sollten seine Rechte als Erbe auf ihren Oheim Chrysippus übergehen. An die Kirche, der ihr ganzes Herz gehöre, richte sie die Bitte, alljährlich in allen Gotteshäusern des Landes für sie und die Mutter an ihren Namenstagen beten zu lassen. Wenn der Patriarch sie würdig befand solcher Ehre, sollte die Andachtsstätte, welche sie bei dem Schauplatz ihres Hinganges zu errichten vorschrieb, die Susannen– und Katharinenkapelle genannt werden.
Sämtliche Sklaven gab sie frei, die Beamten des Hauses bedachte sie reichlich.
Während sie diesen letzten Willen unter ernstem, stundenlangem Nachdenken aufstellte, lächelte sie oft zufrieden vor sich hin. Dann schrieb sie ihn selbst sorgfältig ins Reine und ließ endlich den Arzt und alle freien Beamten des Hauses ihre Unterschrift als Zeugen beglaubigen.
Wenn man auch dem Bachstelzchen solche Vorsicht nicht zugetraut hätte, wunderte sich doch niemand, die junge, in dem verpesteten Hause eingeschlossene Erbin über ihren Besitz verfügen zu sehen, und der Arzt führte sogar, bevor es Nacht ward, das Stadthaupt Alexander, einen alten Freund ihres Vaters, der nach dem Tode des Mukaukas ihr Vormund geworden, auf ihren Wunsch an das Gartenthor, und dieser unterredete sich durch dasselbe mit Katharina, willigte ein, ihr als Kyrios zu dienen, und bestätigte als solcher das Testament und die Unterschriften, obgleich sie ihm das Dokument zu lesen versagte.
Endlich begab sie sich selbst in das Sklavenhaus, aus dem man wieder einige Erkrankte in die Nekropole getragen, und befahl den Schiffsleuten, auf morgen früh das große Festboot in stand zu setzen, da sie vom Flusse aus dem Opfer zuzuschauen gedenke. Den Gärtnern schrieb sie vor, wie sie das Fahrzeug zu schmücken und welche Blumen sie für ihren eigenen Bedarf zu schneiden hätten.
Weit weniger erregt als gestern begab sie sich darauf zur Ruhe, und bevor sie noch das Nachtgebet beendet, übermannte die schwer Ermüdete der Schlummer.
Als sie nach Sonnenaufgang erwachte, fand sie das große, prachtvolle Fahrzeug, welches ihr Vater mit vielem Aufwand in Alexandria hatte herstellen lassen, vollständig bemannt und zum Aufbruch bereit. Ungehindert bestieg sie es mit Anubis und einigen dienenden Frauen; denn sämtliche Wächter, welche das Haus noch gestern abgesperrt hatten, waren zu dem großen Opfer– und Vermählungsfeste herangezogen worden, bei dem es leicht unruhig hergehen konnte.
Fünfzigstes Kapitel.
Schon in der Nacht hatten sich auf dem Uferbau unweit der Herberge des Nesptah zahlreiche Zuschauer versammelt. Mit jeder Minute vermehrte sich ihre Menge, und trotz der großen Hitze dieses Morgens duldete es doch keinen Memphiten zu Hause.
Mann, Weib und Kind strömten dem Festplatz entgegen, und auch aus den benachbarten Städten, Flecken und Dörfern kamen Tausende herbei, um dem unerhörten Opfer beizuwohnen, das der Not des Landes ein Ende machen sollte. Wer hatte je von solcher Vermählungsfeier gehört? Ihr beiwohnen zu dürfen, welcher Vorzug, welches Glück!
Der Senat war nicht müßig gewesen und hatte das Seine gethan, sie mit allem Glanz zu umgeben und möglichst vielen den Mitgenuß des Gepränges zu ermöglichen, das mit offener Hand und bereitwilliger Hingabe an die Sache ins Werk gesetzt worden war.
Rings um den Hafen des Nesptah hatte man in weitem Halbrund hölzerne Gerüste erbaut, auf denen Tausende Sitz– und Stehplätze fanden.
Für die Buleuten und ihre Familien sowie für die Spitzen der arabischen Behörden waren in der Mitte der Tribünen besondere mit Teppichen behängte Logen eingerichtet worden, und in ihnen standen für den Wekil Obada, den Kadhi, das Stadthaupt, den alten Horus Apollon und auch für die Geistlichkeit, obgleich man wohl wußte, daß sie dem Feste fern bleiben werde, hohe Lehnstühle bereit.
Das gemeine Volk, dem es an Mitteln gebrach, sich Zugang zu diesen Estraden zu erkaufen, hatte sich am Ufer mit Weib und Kind gelagert, und mancherlei Händler waren gekommen und boten überall, wo die Menge am dichtesten war, aus zweiräderigen Karren oder kleinen Teppichen, die sie vor sich ausgebreitet, Erfrischungen und Nahrungsmittel feil.
Auch bei den Tribünen kam das Geschrei der Wasserträger nicht zum Schweigen, die filtrirtes Naß aus dem Nil und Fruchtsaft ausboten.
In den dürren Kronen der Palmen des Nesptah hockte, wie sonst wohl Turteltaube, Wiedehopf und Sperling, die Straßenjugend der Stadt und vertrieb sich die Zeit, indem sie die zusammengeschrumpften kranken Datteln von den mächtigen Traubenbüscheln pflückte und sie den Neugierigen zu ihren Füßen auf die Köpfe warf, bis die Wachen den Pfeil an die Sehne legten und es verboten.
Den Hauptanziehungspunkt für aller Augen bildete die weit in den flachen Strom hineingebaute brückenartige hölzerne Estrade, von der aus die Nilbraut dem harrenden Verlobten in die feuchten Arme geschleudert werden sollte. An ihr hatten die Festordner ihre Kunst glänzend bewährt; denn sie war mit Teppichen und Tüchern, Palmenwedeln und Fahnen, mit schweren Guirlanden von Tamarisken und Weidenlaub, aus denen eine Fülle von Lotosblumen, Malven, Lilien und Rosen, hell und glänzend hervorschimmerten, mit Kränzen, den Emblemen des Gaues, und anderem vergoldetem Zierat aufs reichste geschmückt. Nur ihr äußerstes Ende war völlig unberührt geblieben, und man hatte dies sogar ganz ohne Geländer gelassen, um den der »Vermählung« zugewandten Blicken auch nicht das Kleinste zu entziehen.
In der dritten Stunde vor Mittag fehlten nur diejenigen, denen die Plätze gesichert waren, doch bald führte die Neugier auch sie herbei.
Die Sicherheitsbeamten hatten alle Hände voll zu thun, um zu verhüten, daß die vorderste Zuschauerreihe nicht von den Hinterleuten in den Strom gedrängt werde; dennoch war dies nicht überall zu verhüten; dank dem flachen Ufer kam indessen niemand dabei zu Schaden. Um so lauter war das Geschrei der Gefährdeten. Es übertönte die Musik der aus den Hauptgerüsten aufgestellten Banden, und die Beifallsrufe, welche sich vernehmen ließen, sobald der alte Horus Apollon, der auf seinem weißen Esel, frisch und heiter wie ein Jüngling, bald hier, bald dort war, oder einer der höheren Beamten der Stadt sich zeigte.
An einigen Stellen erhob sich sogar lautes Jammergeschrei, stoben zusammengedrängte Gruppen heulend auseinander. Hier hatte der Sonnenstich einen Bürger getroffen, dort die Seuche einen Neugierigen ergriffen. Die Fliehenden rissen dann andere mit fort; Mütter suchten ihre Kleinen kreischend vor dem Erdrücktwerden und der Ansteckung zu retten; der Wagen eines Händlers ward umgestürzt, die Eier und Kuchen eines andern wurden zertreten; ein ganzer Menschenknäuel stürzte in einen tiefen, halb ausgetrockneten Kanal; die Sicherheitswächter schwangen die Stöcke und suchten, schreiend und Geschrei erweckend, Ordnung zu schaffen, aber das alles berührte die große Zuschauermasse nur flüchtig, und plötzlich kam sie überall zur Ruhe, der Wirrwarr löste sich, das Geschrei verstummte. Mochte nun hinsinken, von Krankheit ergriffen, zerdrückt werden, sterben, was wollte! Tubarufe und Gesang hatten sich von der Stadt her hören lassen: die Prozession, der Brautzug, nahte! Lieber zu Grunde gehen als sich nur eine Scene dieses Schauspiels der Schauspiele entgehen lassen!
Narren, diese Araber!
Von ihren höchsten Beamten waren außer dem schwarzen Wekil nur drei, die niemand kannte, erschienen. Selbst den Kadhi suchte man vergebens; er hatte gewiß den muslimischen Weibern das Zuschauen verboten; denn keine verschleierte Haremsschöne war heute zu sehen.
Von den Aegypterinnen hätte auch nicht die letzte gefehlt, wenn die Seuche nicht viele ins Haus geschlossen. Dergleichen erlebte man nicht wieder; was hier vor sich gehen sollte, davon konnte man noch späten Enkeln erzählen!
Und der Gesang und die Musik kamen näher und näher, und wahrlich, das klang nicht, als gebe man einem Menschenkind das Geleite in ein gräßliches Grab!
Fanfare folgte der Fanfare und durchschmetterte, zum festlichen Jubel auffordernd, die Lust; heitere Hochzeitsgesänge hallten, näher und näher kommend, den Horchenden entgegen; die hohen Chöre der Knaben und Mädchen übertönten den tieferen, kräftigen Gesang der Jünglinge, Männer und Greise; Flöten pfiffen hoch auf und forderten zu festlichem Frohsinn; Trommelgebrumm murmelte wie Meeresgebraus in gemessenem Marschtakt heran, und dazwischen schallte Cymbelton und das Schellengeläut vom kreisrunden Rande der Tambourine, die Jungfrauenhände in festlichem Rausche über dem Lockenschmuck schwangen, schüttelten und schlugen; Lautenschläger lockten aus den Saiten liebliche Klänge, und wie dieser gewaltige Strom von mannigfaltigen Tönen ganz nahe herangewogt war, ließ sich schon von fern neuer Gesang und neue Musik vernehmen.
Unabsehbar erschien dem Ohre der Aufzug, und was das Gehör wahrgenommen, das bestätigte bald auch das Auge.
Alles lauschte, horchte, schaute, spähte der Nilbraut und ihrem Gefolge entgegen. Jeder Blick schien gezwungen, dem gleichen Weg zu folgen, und nun erschienen, allen voran, die Fanfarenbläser auf feurigen Rossen und reihten sich an beiden Seiten der zu dem Schauplatz der Hochzeit führenden Straße am Ufer auf. Vor sie hin stellte sich links der Chor der Frauen, rechts der der Männer, die hinter jenen hergezogen waren, beide in leichten meergrünen Gewändern, und mit Lotosblumen überreich geschmückt. Den Frauen wallte das gelöste Haar, in das sich weiße Blütenglocken mischten, über die Schultern; die Männer trugen Papyrus und Schilf in den Händen, Flußgöttern, die den Wogen entstiegen, sollten sie gleichen.
Dann erschienen Jünglinge und bärtige Gestalten in weißen Gewändern mit Pantherfellen über den Schultern, wie sie die heidnischen Priester getragen. Zwei Greise mit weißen, wallenden Bärten führten den Zug, der eine mit einer silbernen, der andere mit einer goldenen Schale in der Rechten, bereit, sie als erstes Opfer nach der Sitte der Väter, wie es Horus Apollon erklärt und angeordnet, in die Wellen zu schleudern. Sie schritten auf dem Holzbau vorwärts bis an sein Ende und stellten sich zur Seite der Plattform auf, von der aus die Nilbraut dem Strom vermählt werden sollte. Ihnen folgte eine große Schaar von Flötenbläsern und Trommlern und ihnen wiederum fünfzig Mädchen, die Tambourine schwangen, und ebensoviele Männer, alle gekleidet und ausgestattet wie das Gefolge des Dionysos, des in der Römerzeit gefeierten Osiris Bacchus, und unter ihnen auf grauen und wunderlich gelb gefärbten Eseln auch der trunkene Silen, bockfüßige Satyrn und Pane mit der vielröhrigen Hirtenflöte am Munde.
Und nun wurden Giraffen, Elefanten, Strauße, Antilopen, Gazellen, ja, einige gezähmte Löwen und Panther an dem schaulustigen Volke vorübergeführt; denn das Gleiche war geschehen bei dem berühmten Festzug zu Ehren des zweiten Ptolemäers, den Kallixenus von Rhodus beschrieben.
Dann erschienen aus einem großen, von zwölf Rappen gezogenen Wagen die symbolischen Gestalten der gefesselten, zu Boden geworfenen Not und Seuche, mit allerlei schreienden, geschwärzten, an Pfähle gebundenen Kindern mit spitzigen Flügeln am Rücken und Hörnern an der Stirn, die das Höllengesindel schauerlich und putzig zugleich darzustellen suchten.
Auf einem andern Wagen gab es die Göttin des Ueberflusses zu sehen. Sie war rings von Garben, Früchten und Traubengewinden umgeben und wurde von Knaben und Mädchen mit Obst und Aehren, mit Granatäpfeln und Dattelbüscheln, Weinkrügen und Pokalen in den Händen umringt.
Darauf zeigte sich in einer von acht schneeweißen Schimmeln gezogenen Muschel, als ruhe sie im Bade, die Göttin der Gesundheit mit einer goldenen Schale in der einen und einem Schlangenstab in der andern Hand, und darauf der künftige Gemahl der Nilbraut, der Stromgott, nach der berühmten Statue, welche die Römer aus Alexandria entführt: die herrliche, kraftvolle, bärtige Gestalt eines Mannes, dessen Oberleib auf einer gewaltigen Urne ruhte. Sechzehn nackte Kindergenien, die sechzehn Ellen, welche der Strom ersteigen muß, wenn sein Wachstum dem Lande Segen bringen soll, umspielten seinen herkulischen Körper, und ein voller Hochzeitskranz von Lotosblumen ruhte auf seinen wallenden Locken.
Krokodile, Aehrenbüschel, Datteln, Trauben und Muscheln zierten dies mit Jubel begrüßte Fuhrwerk, das Greise in heidnischer Priestertracht umgaben.
Ihm folgten wiederum Musikbanden und Chöre, und ihnen eine Schar von Jünglingen und Jungfrauen, denen singende Lautenschläger voranzogen. Auch sie waren als männliche und weibliche Genien des Stromes gekleidet und stellten die Gespielen der Braut und die Genossen des Bräutigams dar: das Hochzeitsgeleit der Verlobten.
Je weiter der Zug sich entfaltete, je näher das lang ersehnte Opfer kam, desto gespannter lauschte und spähte die Menge.
Nachdem die Jünglinge und Mädchen vorübergezogen waren, ward es fast still auf den Tribünen und unter dem Volk. Niemand spürte den glühenden Brand der Sonne, keiner achtete der Dürre seiner trockenen Zunge, aller Augen folgten derselben Richtung, nur der schwarze Wekil, dessen Riesengestalt hoch aufgerichtet auf seinem Platze stand, wandte sich bisweilen mit lauerndem, gespanntem Blick der Stadt zu. Er erwartete Rauch von der Gegend des Gefängnisviertels aufsteigen zu sehen, und plötzlich öffneten sich seine Lippen, und höhnisch lachend zeigte er die blitzenden, schneeweißen Zähne. Das, worauf er harrte, war erschienen, und das graue Wölkchen, das er erspäht, ward schon schwärzer, und nun zeigte sich in seiner Mitte rote Glut, die ihren Ursprung nicht der Sonne verdankte. Doch unter den Tausenden war er der einzige, welcher rückwärts schaute und es bemerkte.
Nun betrat das Hochzeitsgefolge den Holzbau im Strome, jetzt ein neuer Chor von Jünglingen mit Pantherfellen auf den Schultern, und nun – endlich, endlich – schwankte ein Wagen heran, den acht kohlschwarze, mit grünen Straußenfedern und Wasserpflanzen geschmückte Stiere zogen.
Ein hoher Baldachin, an dessen Stützen sich vier Männer in der Tracht heidnischer Opferpriester lehnten, beschattete den Wagen, und unter dem mit Lotos und Schilfgewinden reich geschmückten Schutzdache ruhte, rings umgeben von grünem Papyrus, Riedgras, hohem Rohr und blühenden Wasserpflanzen, die Königin des Festes —die Nilbraut.
In einem weißen Gewande und tief verschleiert saß sie regungslos da. Das lange, volle braune Haar wallte ihr gelöst über die Schultern, und vor ihr lag ein Kranz und eine Anzahl von seltenen rosenroten Lotosblumen am Boden.
Neben ihr hatte bis dahin der Bischof gesessen, der erste christliche Geistliche, welcher in dem von Klerikern und Mönchen wimmelnden Memphis auf diesem Schauplatz heidnischen Unfugs erschien.
Jetzt stand er aufrecht und schaute mit finster gefalteter Stirn und drohendem Blick in die Menge. Was hatten die Bußpredigten in allen Kirchen, was seine und des gesamten Klerus Mahnungen und Drohungen gefrommt? Jedem Widerstande zum Trotz war er mit der Verurteilten auf den Wagen gestiegen, nachdem er ihre Seele nochmals getröstet. Es konnte ihm das Leben kosten, doch er hielt sein Versprechen.
Orions letzten Gruß, eine Rose, die ihm Frau Martina gebracht, und eine andere, die ihr Pulcheria heut in aller Frühe gereicht, hielt Paula in der Hand.
Gestern in einer lichten Stunde hatte ihr der sterbende Vater aus vollem Herzen seinen Segen erteilt, ohne zu ahnen, was ihr bevorstand; heute war er noch nicht zu sich gekommen und hatte den Abschiedskuß, den sie ihm gab, weder gefühlt noch erwidert. Besinnungslos war er aus dem Gefängnis ins Freie und von dort in das Haus des Rufinus getragen worden. Frau Johanna hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn bei sich aufzunehmen, um ihn bis ans Ende zu pflegen.
Orions letzter schriftlicher Gruß war Paula kurz vor der Abfahrt übergeben worden und hatte die Nachricht enthalten, seine Arbeit sei nun zum Abschluß gediehen. Es war ihm mitgeteilt worden, nicht heute, sondern morgen werde das Unerhörte geschehen, und es gereichte ihr zum Trost, daß ihm die Marter erspart blieb, ihr im Geist auf ihrem furchtbaren Gange zu folgen.
Die Weiber, welche gekommen waren, um ihr den Brautstaat anzulegen, hatte sie gewähren lassen, und unter ihnen war die Kerkermeistersfrau Emau gewesen, deren thränenreiches Mitleid ihr wohlthat. Aber schon im Gefängnishof war es ihr unerträglich erschienen, sich der gaffenden Menge in dem bräutlichen Blumenschmucke zu zeigen, und sie hatte ihn aus dem Wagen von sich gerissen und zu Boden geschleudert.
Lang, unendlich lang war ihr der Weg bis an den Strom geworden, aber sie hatte keinen Blick auf die Neugierigen an der Straße geheftet, hatte nicht abgelassen, ihr Herz im Gebet zu erheben, und wenn ihr stolzes Blut aufgewallt und die Verzweiflung übermächtig in ihr geworden war, hatte sie die Hand des Bischofs ergriffen, und der war nicht müde geworden, ihr zuzusprechen und sie zu beschwören, Liebe und Glaube zu bewahren und auch die Hoffnung nicht sinken zu lassen.
Und so waren sie bis an den Bau angelangt, an dessen Ende das Leben in einer andern Welt für sie begann.
Lauter, jubelnder, erwartungsvoller hatte das Geschrei der Menge noch nicht geklungen; Musik und Gesang mischten sich in das Gebrüll der Tausende, und wie betäubt ließ sie sich vom Wagen heben, folgte sie den Jünglingen und Jungfrauen, die ihr Hochzeitsgeleit darstellen sollten und in wechselnden Chören vor ihr her den schönsten Hymenäus der Lesbierin Sappho sangen.
Jetzt versuchte der Bischof, die Menge anzureden, doch er wurde schnell zum Schweigen gebracht.
Da vereinte er sich wieder mit ihr, und an seiner Hand betrat sie die Brücke.
Was an Kraft, an Stolz und Heldenmut in ihr war, nahm sie zusammen, um aufrecht, ohne zu wanken, den letzten Gang zu gehen, und schon hatte sie in hoheitsvoller Haltung, so majestätisch, als schreite sie dahin, um Gehorsam von dieser Menge zu fordern, die Mitte des Holzbaues erreicht, als hinter ihr auf den hohlen Planken Hufschlag erdröhnte.
Der alte Horus Apollon hatte sie auf seinem weißen Esel überholt und verlegte ihr den Weg.
Außer Atem, in Schweiß gebadet, höhnisch und triumphirend gebot er ihr, das Antlitz zu entschleiern, und dem Bischof, sie los und an seine Stelle den Darsteller des Vaters Nil treten zu lassen, einen riesigen Hufschmied, der ihm in seiner Vermummung verlegen, aber doch willens, seine Rolle gut zu Ende zu führen, nachfolgte.
Doch der Priester und Paula versagten ihm den Gehorsam.
Da riß ihr der Alte den Schleier vom Antlitz, winkte dem »Nilgott«, und dieser trat in sein Recht und führte sie, nachdem er sich ehrerbietig vor Plotinus verneigt, der ihn gewähren lassen mußte, bis an das äußerste Ende der Brücke. Hier warfen die beiden Greise, die dem Gefolge des Osiris Bacchus vorangegangen waren, die goldenen Schalen als Opfer in den Fluß, und dann begann ein als heidnischer Priester gekleideter Sachwalter in wohlgesetzter Rede die Bedeutung dieser Trauung und dieses Opfers darzulegen. Dabei ergriff er Paulas Hand, um sie in die des Hufschmiedes zu legen, und dieser schickte sich an, sie in die Arme des Flusses zu stoßen, für dessen Vertreter er galt.
Doch ein Hindernis stellte sich seinem Vorhaben entgegen. Ein großes Festboot war dicht an den Holzbau herangefahren, und jetzt rief und schrie es von den Tribünen und aus der Menge, welche bis dahin in atemloser Spannung das tiefste Schweigen bewahrt:
»Das Festboot der Susanna!«
»Seht auf den Nil, auf den Fluß!«
»Das Bachstelzchen, die Tochter des reichen Philammon!«
»Ein lieblicher Anblick!«
»Eine zweite, eine andere Nilbraut!«
Und nun wandten sich die Blicke der Tausende wie aus einem Auge von Paula auf Katharina.
Das schöne Festboot der Susanna war schon seit einer Stunde vor der Estrade hin und her gefahren, und die Wächter hatten ihm häufig befohlen, sich entfernter von dem Schauplatz der Vermählung zu halten, aber ohne Erfolg und unvermögend von ihren kleinen Nachen aus Gewalt anzuwenden gegen das große, von fünfzig Matrosen geruderte Schiff.
Jetzt war es der Brücke ganz nahe gekommen, und es hätte mit seinem reich vergoldeten Holzwerk, seinem hohen, von silbernen Säulen getragenen Kajütenhause, seinen purpurnen gestickten Segeln eine glänzende und fröhliche Augenweide geboten, wenn die große schwarze Fahne an seinem Maste ihm nicht dennoch ein ernstes, trauriges Ansehen gegeben.
In der Kajüte hatte Katharina sich von den dienenden Frauen in weiße Gewänder hüllen und mit lauter weißen Blüten, Myrten, Rosen und Lotos, schmücken lassen und dabei ihre besorgten Fragen unbeantwortet gelassen.
Die Zofe, welche ihr Blumen an die Brust steckte, fühlte das Herz der Herrin unter ihren Fingern schlagen, und die Lotosglocke, welche ihr von der Schulter auf den vollen Busen herabfiel, hob und senkte sich, als liege sie schon auf dem wogenden Strom. Auch ihre Lippen waren in steter Bewegung, ihre Wangen blaß wie der Tod.
»Was will sie nur?« fragten sich ihre Begleiter.
Gestern war die Mutter gestorben, und nun wohnte sie dieser Schaustellung bei und ließ dem Steuermann gar befehlen, auf den Holzbau zuzufahren und in seiner Nähe zu halten, wo sie von aller Welt gesehen werden mußte. Doch sie wünschte wohl gerade, sich in ihrem Schmuck dem Volke zu zeigen und sich bewundern zu lassen; denn nun stieg sie auf das Dach der Kajüte. Und lieblich sah sie aus, schön wie ein unschuldiger Engel, da sie die Stiege hinanklomm, kindlich beschämt, befangen und doch mit weit geöffneten Augen, als erwarte sie da oben etwas Großes, wonach sie sich lange und von ganzem Herzen gesehnt.
Anubis mußte sie auf den letzten Stufen stützen; denn ihr wankten die Kniee; doch oben angelangt, schickte sie ihn zurück mit dem Auftrag, auch die anderen unten zu halten; denn sie wolle allein sein.
An Gehorsam gewöhnt, folgte der Knabe, und nun erstieg sie die Bank neben der Brüstung des Bordes, wandte sich Paula, der sie näher und näher kam, zu, streckte ihr und dem Bischof die Rechte entgegen, in der sie zwei Lilienstengel mit herrlichen Blüten hielt, und in dem Augenblick, da der Hufschmied den Raum zwischen der Brücke und dem Fahrzeug mit den Blicken maß und es für unmöglich erkannte, die Nilbraut in die Tiefe zu stoßen, bevor sich das Festboot weiter entfernt, rief Katharina:
»Ehrwürdiger Vater Johannes und ihr dort! Ich, ich, und nicht die Tochter des Thomas! Nicht sie, ich, ich, Katharina, bin die rechte Nilbraut. Freiwillig, hör es, Johannes! Freiwillig geb’ ich das Leben hin für mein armes Volk und seine Not, und der Patriarch hat gesagt, mein Opfer, es werde dem Himmel genehm sein. Lebet wohl! Betet für mich! Erbarme Dich meiner, mein Heiland! Mutter, liebe Mutter, ich komme!« Dann rief sie dem Steuermann zu: »Weiter fort von der Brücke!« und sobald wenige Ruderschläge das Festboot tiefer in den Strom hinein getrieben, stieg sie behend auf die Brüstung des Bordes, warf sie die Lilienstengel vor sich her, ließ sie sich lächelnd, mit lieblich zur Seite geneigtem Haupte und indem sie die Gewänder schamhaft an sich drückte, ins Wasser sinken.
Die Wellen schlugen über ihr zusammen, noch einmal tauchte die gute Schwimmerin wieder auf, und ihre Züge hatten das Ansehen einer Badenden, die sich wohlig der Frische des Wassers freut, das sie umwogt und umschmeichelt. Vielleicht berührte noch der wahnsinnige Beifallssturm, erreichten noch die Schreckensrufe, das Mitleids– und Dankesgeschrei aus dem Mund der Tausende und Tausende am Ufer ihr Ohr, dann aber tauchte sie mit dem Haupt voran in die Tiefe.
Der »Stromgott«, ein gutherziger Mensch, der im alltäglichen Leben keinen Nächsten vor seinen Augen ertrinken sehen konnte, ließ Paula los, vergaß seine Rolle und sprang Katharina nach, und das Gleiche thaten ihr Milchbruder Anubis und einige Matrosen; doch sie fanden sie nicht, und der Knabe, dem sein gebrochenes Bein beim Schwimmen hinderlich war, folgte derjenigen, der seine ganze junge Seele gehört hatte, nach in den Tod.
Ihre Rede hatten nur diejenigen vernommen, an die sie gerichtet gewesen, doch bevor sie noch in den Wogen verschwunden, wandte sich der Bischof Johannes dem Volke zu, hielt Paula, die sich wie befreit fühlte, nachdem sie ihr entsetzlicher Bräutigam verlassen, fest mit der einen Hand, schwang mit der andern das Kruzifix, das ihm am Gürtel gehangen, und schrie in die Menge:
»Der Wunsch unseres heiligsten Vaters Benjamin, durch den Gott selbst zu euch redet, er ist in Erfüllung gegangen. Aus eigenem, schönem Antrieb hat sich eine reine, edle jakobitische Jungfrau nach dem Vorbild des Herrn für ihre leidenden Nächsten vor euren Augen geopfert. Diese hier,« und damit zog er Paula zu sich heran, »diese ist frei: der Nil hat sein Opfer empfangen!«
Doch bevor er noch ausgesprochen und das Volk Zeit gefunden, sein Urteil hören zu lassen, war der alte Horus Apollon auf ihn zugestürzt und hatte seine Rede unterbrochen. Schon während der Trauung war er vom Esel geglitten, und um sich sein Opfer nicht entgehen zu lassen, warf er sich nun zwischen den Bischof und Paula, erfaßte ihr Gewand und rief dem Chor der Jünglinge zu:
»Ans Werk! Rasch einer an die Stelle des Flußgottes... Und dann in den Strom mit der Nilbraut!«
Doch der Bischof drang abermals schützend zwischen ihn und die Jungfrau. Da übermannte den Alten der Zorn und er stürzte auf den Priester zu, um ihm das Bild des Gekreuzigten zu entreißen; Johannes aber rief mit tief grollender, markerschütternder Stimme: »Anathema!« Und bei diesem furchtbaren Worte und diesem tempelschänderischen Anblick regte sich in den Aegyptern das christliche Blut und die in manchem Kampf bewährte, in dieser Schreckenszeit nur künstlich zurückgedrängte Glaubenstreue, und der Chorführer riß den Alten zurück und stellte sich auf Seiten des Priesters. Andere folgten ihm, während eine Anzahl jugendlicher Sänger Partei für den Greis nahm, der sich fest an Paula klammerte, um lieber selbst zu verderben, als die Verhaßte seiner Rache entkommen zu sehen.
Da ließ sich von der verlassenen Stadt her Glockenton und ein beängstigendes, schwer erklärliches Lärmen vernehmen, und durch die Menge brach sich mit dem nackten Schwert in der Hand ein Jüngling Bahn, in dem die meisten trotz seiner zerrissenen Kleider, seines wirren Haares und geschwärzten Antlitzes Orion erkannten.
Alles wich vor ihm, der wie ein Rasender vorwärts stürmte, zurück, und als er dicht vor dem Holzbau mit einem raschen Blick erfaßt hatte, wie weit dort die Handlung gediehen, stürzte er sich mit gewaltigen Sätzen durch die Verkleideten auf der Estrade, schleuderte hier und dort eine sich balgende Menschengruppe beiseite, und bevor man an der Spitze der Brücke sein Nahen bemerkt hatte, riß er den Alten von Paula zurück und rief ihren Namen, und wie sie halb ohnmächtig vor Entsetzen, Ueberraschung und namenloser Wonne an seine Brust sank, zog er sie mit der Linken fest an sich, und das blitzende Schwert in seiner Rechten und seine flammenden Augen lehrten jeden, daß es ebenso rätlich sei, eine Löwin anzugreifen, die ihr Junges verteidigt, wie diesen Verzweifelten, der bereit war, mit seinem Liebsten den Tod zu erleiden.
Sein Stoß hatte Horus Apollon weithin zur Seite geschleudert, und wie der Alte sich aufraffte, um sich noch einmal auf sein Opfer zu werfen, geriet er mitten in das Handgemenge und stürzte mit einer ringenden Gruppe, die ein wilder Menschenhaufe, der Orion gefolgt war, über den Rand der Brücke hinausdrängte, in den Strom. Von diesen Gefährdeten wußten sich die meisten durch Schwimmen zu retten; doch der Alte versank, und nur seine hoch erhobene Faust sah man noch eine Zeit lang drohend auf der Oberfläche des Wassers.
Inzwischen hatte auch der Wekil wahrgenommen, was sich auf dem Holzbau zugetragen, und wütend war er von seinem Sitze aufgesprungen, um Ordnung zu schaffen und Orion, den er erkannt zu haben meinte, mit eigener Hand festzunehmen oder, mußte es sein, niederzuhauen.
Doch Tausende verlegten ihm den Weg; denn mit dem Schrei: »Feuer! Das Gefängnis, die Stadt brennt!« war die furchtbare Bande der befreiten Sträflinge, an deren Spitze Orion erschienen, auf den Festplatz gedrungen, und nun eilte alles, was Beine hatte, von dannen und auf Memphis und sein gefährdetes Haus zu, um seine Habe, seine zurückgebliebenen Besitztümer und Lieben zu retten.
Wie ein Taubenschwarm, den der Schrei des Habichts auseinander jagt, wie ein Haufen dürrer Herbstblätter, den ein Windstoß trifft, stoben die Zuschauer auseinander. In wildem Getümmel und unentwirrbarem Durcheinander wandten sie sich der Stadt zu, sprangen auf die zum Festzuge gehörenden Wagen, schnitten von dem der Gesundheitsgöttin die Schimmel ab, um auf ihrem Rücken nach Hause zu jagen, warfen nieder, was ihnen in den Weg trat, und rissen den Wekil mit sich fort, welcher, den Säbel in der Faust, der Brücke entgegenstrebte.
Rauch und Feuer stiegen indessen immer dichter und höher von der Stadt aus gen Himmel und trieben mit magischer Kraft die Fliehenden an, alle Kraft aufzubieten, um zu rechter Zeit ihr Heim zu erreichen. Doch bevor der Schwarze noch den Holzbau erreichte, geriet die eilende Menge dennoch ins Stocken: Hufschlag näherte sich. Zwar verbarg dichter Staub Roß und Reiter, doch es mußten Bewaffnete sein, die da herbeigejagt kamen; denn durch die graue Wolke, die sie umgab, zuckten blendende Blitze hin und her, der Abprall lichter Sonnenstrahlen von blanken, funkelnden Helmen, Panzern und Säbeln.
Jetzt wurden sie auch für den Schwarzen erkennbar.
Allen voran sprengte der Kadhi, und gerade als der Wekil ihn erreichte, schwang er sich vor dem Holzbau aus dem Sattel, und mit dem lauten Rufe: »Befreit, gerettet!«, in dem sich die ganze Freude seines Herzens widerspiegelte, streckte er der Jungfrau, welche sich, an Orion geschmiegt, dem Ufer näherte, die Hände entgegen.
Bei alledem hatte Othman den Wekil nicht bemerkt, den nur noch wenige Schritte von ihm trennten. Das »Befreit, gerettet!« aus dem Munde des obersten Richters lehrte den Schwarzen, die Begnadigung seines jungen Todfeindes müsse angelangt sein, und diese enthielt die Verurteilung seiner eigenen Handlungsweise.
Er hatte nichts mehr zu hoffen, Omar mußte noch herrschen, der Anschlag gegen das Leben des Chalifen gescheitert sein. Absetzung, Strafe, Tod erwarteten ihn, wenn Amr zurückkehrte; doch er wollte nicht unterliegen, ohne den verhaßten Urheber seines Falles mit sich ins Grab zu ziehen, und so drängte er den überraschten Kadhi zurück und holte zu einem furchtbaren Streiche aus, um Orion vor dem eigenen Sturze zu fällen. Doch der Führer der Leibwache, welcher Othman zu Rosse gefolgt war, hatte sein Vorhaben bemerkt, und blitzschnell hieb er vom Sattel aus auf den Schwarzen ein, und sein krummer Säbel schnitt ihm tief in den Hals. Mit einem gräßlichen Fluche ließ Obada den Arm sinken und brach vor den Füßen des neu vereinten Paares röchelnd zusammen.
Später versicherten die Leute, sein Blut sei nicht rot gewesen wie das anderer Menschen, sondern schwarz wie sein Leib und seine Seele.
Sie hatten Grund, ihm zu fluchen; denn seine Ruchlosigkeit richtete an diesem Tage mehr als die Hälfte von Memphis zu Grunde und machte seine Bürger zu Bettlern.
Zwei käufliche Verbrecher, die er gedungen, hatten während der Festfeier Feuer in das Gefängnis gelegt, um Orion darin zu ersticken, doch der Brand war bemerkt und die ganze Schar der Gefangenen beizeiten befreit worden. So hatte der Jüngling an der Spitze seiner Mitgefangenen auf den Festplatz gelangen können; doch das Feuer war in dem menschenleeren Ort nicht zu bändigen gewesen, hatte sich in den ausgedörrten Straßen von Haus zu Haus fortgepflanzt, und am folgenden Tage war von der berühmten Pyramidenstadt nichts mehr übrig als die am Strome gelegene Nilstraße und einige elende Gassen. Die alte Pharaonenresidenz hatte sich in einen Flecken verwandelt, und ihre obdachlosen Einwohner siedelten auf das jenseitige Nilufer über und bevölkerten als Muslimen das frisch aufblühende Fostat oder suchten auf christlichem Boden eine neue Heimat.
In den verschonten Häusern gehörte auch das des Rufinus, und dahin begleitete der Kadhi Orion und Paula, dies wies er ihnen bis zur Rückkehr des Feldherrn als Gefängnis an, hier verlebten sie glückselige Tage, vereint mit den Freunden; hier war es dem sterbenden Thomas vergönnt, seine Kinder zum letztenmal ans Herz zu ziehen und zu segnen.
Kurz bevor der Kadhi auf dem Festplatz erschien, waren zwei Brieftauben angelangt, beide mit dem Befehl des Feldherrn Amr, das Opfer der Tochter des Thomas in jedem Falle zu untersagen und ihr Leben bis zu seiner Heimkehr zu schonen. Auch Orions Schicksal zu bestimmen, behalte er sich vor.
Zu Berenike, an der ägyptischen Küste des Roten Meeres, hatten ihn Maria und Rustem erreicht. Dieser verfallende Hafenort war mit Medina durch eine Taubenpost verbunden, und auf seine Anfrage bei dem Chalifen in Bezug auf das dem Nil von seiten der verzweifelnden Aegypter darzubringende Opfer hatte Omar eine Antwort erteilt, welche sogleich an den Kadhi weiterbefördert worden war.
Der Brand der Stadt verhängte neues furchtbares Unheil über die hart geschlagenen Memphiten, und der Nil wollte trotz Katharinas Opfertod noch immer nicht steigen. Da berief der Kadhi drei Tage nach dem unterbrochenen Vermählungsfeste die gesamten Bewohner der Städte diesseits und jenseits des Stromes noch einmal unter die Palmen des Nesptah, und hier verkündete er den Muslimen und Christen durch den arabischen Ausrufer und ägyptischen Dolmetsch, was der Chalif ihm den Memphiten mitzuteilen geboten: Der einige, allgütige Gott verschmähe das Opfer eines Menschen. In dieser festen Zuversicht werde er zu Allah, dem Allbarmherzigen, beten, und er, Omar, sende hiebei einen Brief, den man in seinem Namen in den Fluß werfen möge.
Und dies Schreiben, es trug die Aufschrift.
»An den Nil Aegyptens!«
und sein Inhalt war dieser:
»Wenn Du, Strom, aus Dir selbst fließest, so wachse nicht; wenn aber Gott, der Einzige und Barmherzige, es ist, der Dich fließen läßt, so flehen wir den barmherzigen Gott an, daß er Dich steigen lasse!«
»Was nicht von Gott ist,« sagte der Feldherr Amr in dem Briefe, welcher den des Omar begleitete, »was frommt es dem Menschen? Aber alles Geschaffene ist nur durch ihn, und so auch euer edler Strom. Der Höchste wird Omars Flehen und das unsere erhören, und so verordne ich, daß ihr alle, Muslimen, Christen und Juden, euch in der Moschee jenseits des Stromes, die ich zu Ehren des Allgütigen erbaute, versammelt und daß ihr dort eure Seelen zu einem großen gemeinsamen Gebet erhebt, damit Gott euch höre und sich eurer Leiden erbarme!«
Und der Kadhi forderte alles Volk auf, über den Nil zu ziehen, und es folgte seinem Gebot. Der Bischof Johannes rief seine Geistlichkeit auf, und an ihrer Spitze zog er den Christen voran; die Priester und Aeltesten der Juden führten die Ihren den Jakobiten nach, und die Muslimen versammelten sich neben ihnen in dem herrlichen, säulenreichen Gotteshause des Amr, und alle drei Glaubensgenossenschaften erhoben dort Herz und Blick und Stimme zu dem einen, allbarmherzigen Vater im Himmel.
Und gerade die Moschee des Amr hat das gleiche erhebende Schauspiel noch mehr als einmal gesehen, und noch bei Lebzeiten und vor Augen des Erzählers dieser Geschichte wurden Muslimen, Christen und Juden zu einem frommen Gebete, das der Herr gewiß gern vernommen, hieher zusammengerufen.
Und bald nachdem der Brief des Chalifen Omar in den Nil geworfen und das Gebet der drei Glaubensgenossenschaften in der Moschee des Amr verrichtet worden war, kam eine Taube, welche das rasche Steigen des Stromes am Katarakt verkündete, nach Memphis, und nach einer Reihe von bangen und doch hoffnungsvollen Tagen schwoll der Nil hoch und immer höher an, trat über sein Bett hinaus und gab dem Landmann das Recht, einer schönen Ernte entgegen zu sehen, und nachdem ein Gewitterregen den erstickenden Staub gelöscht hatte, verschwand auch die Seuche.
Zugleich mit dem ersten wahrnehmbaren Steigen des Flusses kehrte Amr, der Feldherr, heim, und in seinem Gefolge befanden sich die kleine Maria und Rustem sowie der Arzt Philipp und der Kaufherr Haschim, die sich dem Reisezuge des Statthalters von Dschidda aus angeschlossen.
Schon unterwegs hatten sie erfahren, was sich zu Memphis zugetragen, und als die Wanderer mit den Pyramiden vor Augen sich ihrem letzten Nachtquartier näherten, rief der Feldherr der kleinen Maria zu:
»Was meinst Du, Liebling? Eine große Vermählungsfeier sind wir den Memphiten nun doch wohl schuldig geworden!«
»Nein, Herr, ihrer zwei,« entgegnete das Kind.
»Wie das?« lachte Amr. »Da Du noch zu jung bist und also fürs erste nicht mitzählst, kenn’ ich kein Mädchen in Memphis, dem ich die Hochzeit ausrichten möchte.«
»Aber einen Mann, dem Du alles Gute gönnst und der so einsam lebt wie ein Klausner,« entgegnete Maria, »den möcht’ ich vermählen, und zwar zugleich mit Orion und Paula: ich meine unsern guten Philipp da hinten.«
»Den Arzt? Und der wäre noch einsam?« fragte der Feldherr erstaunt; denn kein Muslim im Alter und in der Stellung des Heilkünstlers konnte ein lediges Leben führen, ohne sich der Verachtung seiner Glaubensgenossen auszusetzen. »O, er ist Witwer!«
»Nein,« versetzte Maria. »Er hat nur noch kein Weib gefunden, das für ihn paßt; doch ich kenn’ eins, das Gott selbst für ihn geschaffen.«
»Kleine Chatbe!« Die Heiratsvermittlerin der Araber. rief der Feldherr. »Mach Deine Sache gut, und an mir soll’s nicht liegen, wenn die zweite Hochzeit nicht glänzend ausfällt.«
»Und noch eine dritte wollen wir feiern!« fiel ihm das Kind lachend ins Wort und schlug dabei in die Hände. »Mein braver Beschützer Rustem...«
»Der Riese! Dir, Kleine, ist nichts unmöglich; auch für ihn hast Du also die Braut gefunden?«
»Nein, der ist ohne meine Hilfe zu seiner Mandane gekommen.«
»Gleichviel,« rief der Feldherr heiter, »ich statte sie aus! Doch nun laß es genug sein, sonst drängen all die neuen, nicht muslimischen Geschlechter, die wir da gründen, uns Araber noch aus dem Lande.«
So verkehrte der große Mann mit dem Kinde, seitdem es zu Berenike in sein Zelt getreten war und dort der geliebten Menschen Sache, für die es Gefahr und Beschwerden auf sich genommen, so beredt, so klar und mit so innig empfundenen Worten geführt hatte, daß Amr sogleich entschlossen gewesen war, ihm alles zu gewähren, was in seiner Macht stand.
Dazu hatte Maria mit der Botschaft, welche sie brachte, auch ihm einen Dienst geleistet; denn sie ermöglichte ihm, Dinge zu verhüten, welche der Sache des Halbmondes zum Schaden gereicht hätten, und die Kinder zweier Väter, die er verehrte, den Sohn des Mukaukas Georg und die Tochter des Thomas, aus großer Gefahr zu erretten.
Bei seiner Heimkehr fand er, daß das, was der Wekil verbrochen, seine schlimmsten Befürchtungen weit übertraf. Die Achtung vor dem arabischen Wesen und der Gerechtigkeit der Muslimen, die er mit allem Eifer befestigt, hatte der Schwarze zu untergraben begonnen, und wie durch ein Wunder war Orion seinen Nachstellungen entgangen; denn dreimal hatte er Mörder in den Kerker entsandt, und nur der Wachsamkeit des Gatten der hübschen Emau war es zu danken gewesen, daß er sich aus dem Brande des Gefängnisses zu retten vermocht. Es war Obada alles daran gelegen gewesen, den verhaßten Jüngling, dessen Aussagen und Anklagen ihm verderblich werden konnten, aus dem Wege zu räumen. Der Verruchte hatte einen glimpflicheren Tod gefunden, als seine Richter ihm zuerkannt haben würden. Die Reichtümer, die man bei ihm aufgehäuft fand, wurden nach Medina gesandt, aber auch Orion mußte es sich gefallen lassen, daß die großen Kapitalien, welche der Schwarze aus seinem Schatze dorthin geschickt, den Arabern verblieben. Diese Strafe glaubte der Feldherr ihm für seine Teilnahme an der verhängnisvollen Rettung der Nonnen auferlegen zu müssen, und der Jüngling unterwarf sich gern dieser Buße, welche ihm und der Geliebten die Freiheit zurückgab und es dem Feldherrn ermöglichte, einen größeren Teil der Einkünfte seiner Heimat zu ihrem Wohl zu verwenden.
Doch der Chalif Omar nahm diese Summen, welche weit mehr als die Hälfte der Reichtümer des Mukaukas Georg umfaßten, nicht mehr in Empfang. Meuchelmörder hatten den treusten Freund des Propheten, den weisen und kräftigen Herrscher umgebracht, und nun erfuhr die Welt, daß der Wekil einer der Urheber der Verschwörung gewesen war und, von der Zuversicht auf ihr Gelingen ermutigt, das Unerhörte gewagt hatte.
Wie ein Vater begrüßte Amr den Sohn des Mukaukas, und nachdem er dessen Arbeit geprüft, fand er, daß sie die ähnlichen Vorschläge, welche er hatte ausarbeiten lassen, weit übertraf, und so betraute er denn Orion mit der Durchführung der neuen, bis ins einzelne von ihm festgestellten Landeseinteilung.
»Erfülle Deine Pflicht und setze auch in Zukunft Deine volle Kraft ein, wie Du begonnen!« rief Amr dem Jünglinge zu, und dieser erwiderte:
»Ich habe in dieser schweren und doch schönen Zeit über mancherlei Klarheit gewonnen.«
»Und darf man wissen, worüber?« fragte der Feldherr. »Ich höre Dich gern.«
»Ich habe erkannt, Herr,« versetzte Orion, »daß es kein Glück oder Unglück gibt im Sinne der Menge. Nur wie wir uns dazu stellen, so erscheint uns das Leben. Harte Schicksale, die uns von außen her ins Dasein greifen, sind oft nichts wie die kurze Nacht, aus der ein hellerer Tag erwächst, oder wie die Schnitte des Chirurgen, die uns gesunder machen als je. Was man gemeinhin Unglück nennt, ist unzähligemale eine Brücke zu höherem Wohlsein; das gemeine Glück der Menge leitet wie ein schnell rinnender Fluß fort von dieser schönen Wohlseinsempfindung. Wie ein Schiff, das sein Steuer verloren, im Unwetter eher glücklich davonkommt auf hoher See als in der Nähe der rettenden Küste, so findet der Mensch, der sich selbst verloren, sich und sein wahres Heil leicht im wildesten Wogengebrause des Lebens wieder, schwer und selten, wenn das Dasein ihm ruhig dahinrinnt. Alle anderen Güter verlieren an Wert, wenn uns das Bewußtsein nicht hebt, dem Amte des Lebens treu und ernst vorzustehen und die Aufgaben, die es uns stellt, freudig zu lösen. Der Verlorene war gerettet, sobald er mit seinem Gott vor Augen und im Herzen sein gesamtes Thun und Denken in den Dienst höherer Pflichten stellte. Das Rechte unermüdlich suchen und das eigene Wohl im Wohlsein anderer finden, das haben mich die eigenen Erfahrungen und die Freunde meiner Paula gelehrt. Hart ist das Gefühl der verlorenen Freiheit, doch laß mir die Liebe und gewähre mir Gelegenheit und Spielraum, die beste Kraft im Dienste des Ganzen frisch zu bewähren, und ich will mich auch im Kerker zwar nicht vollkommen wohl; denn ohne Freiheit kein Wohlsein, doch immerhin glückseliger fühlen, denn als der müßige, unnütze Verschwender von Zeit und Kraft, der ich früher war unter den bunten Vergnügungen der Hauptstadt.«
»So genieße das Wohlgefühl treu erfüllter Pflicht samt der Liebe und Freiheit,« versetzte der Feldherr, »und Dein Vater im Paradiese, glaub es mir, Freund, er wird Dir alles Schönste und Beste so freudig gönnen wie ich. Du stehst auf dem Wege, der jeden Fluch in Segen verwandelt.«
Die drei Hochzeiten, welche der Feldherr Maria auszurichten versprochen, wurden mit allem Glanze gefeiert.
Orions und Paulas Vermählung gestaltete sich für die memphitischen Festfreunde zu einem unvergeßlichen Tage. Der Bischof Johannes segnete das Paar ein, und es bezog zunächst des jungen Gatten Besitz, das schöne Haus der kleinen Katharina, der rechten Nilbraut, und wäre es ihr vergönnt gewesen, in Paulas und Orions Herzen zu lesen und zu vernehmen, wie sie ihrer gedachten, sie hätte gefunden, daß sie für sie nicht mehr das kindische Bachstelzchen war und daß sie ihr das Opfer ihres jungen Lebens zu danken wußten.
Der erste teure Gast, welcher das neue Heim mit ihnen bezog, war die kleine Maria, welche ihr liebster Hausgenosse blieb bis zu ihrer glücklichen Vermählung. Die Erzieherin Eudoxia, die Orion mit bei sich aufgenommen, folgte ihr in ihr eigenes, schönes Heim, und Maria schloß dort der Griechin, die sich bei der Erziehung ihrer Kinder nicht wie ein Mietling, sondern wie eine rechte Mutter erwiesen, die Augen.
Auch der Patriarch Benjamin, den manche Erwägung und nicht zuletzt das Testament Katharinas bestimmte, mit dem Sohne des Mukaukas in gutem Einvernehmen zu bleiben, erschien als Gast des jungen Paares. Weder er noch die Kirche hatten seinen Friedensschluß mit Orion zu bereuen, und als Paula dem geliebten Gatten einen Knaben schenkte, bot sich der Kirchenfürst selbst an, Patenstelle bei ihm zu vertreten, und nannte ihn nach seinem Großvater: Georg.
Die Würde des Mukaukas ererbte Orions Sohn, nachdem er zum Manne herangewachsen, von seinem Vater, auf den sie bald nach seiner Vermählung unter einem neuen arabischen Titel übertragen worden war.
Als höchster christlicher Beamter in seinem Vaterlande mußte Orion bald den Wohnsitz wechseln und aus dem dem Untergang erlesenen Memphis nach Alexandria übersiedeln. Von dort aus erstreckte sich seine Thätigkeit über das ganze Nilthal, und er widmete sich ihr mit solchem Eifer, solcher Treue, Gerechtigkeit und Klugheit, daß noch von späten Geschlechtern seines Namens mit Verehrung und Liebe gedacht ward.
Paula war das Glück und der Stolz seines Daseins und blieb mit ihm bis in ein spätes Alter innig verbunden.
Zu den Amtspflichten seines Lebens zählte er auch die Sorge, dem Weibe, das ihn aus einem Verlorenen und Verfluchten zu dem gemacht hatte, was er nun war, das Dasein Tag für Tag glückselig zu gestalten. – Aus dem neu aufgebauten Palast seiner Väter in der Hafenstadt setzte er die Inschrift, welche den Ring des edlen Thomas schmückte: »Vor die Tugend hat Gott den Schweiß gesetzt.«
Auch der Arzt und seine Pulcheria fanden in Alexandria eine neue Heimat. Philippus hatte nicht lange um sie geworben; denn wie dem Heimgekehrten sein liebes Mädchen, dessen er auf der langen Reise fortwährend gedacht, im Hause ihrer Mutter zum erstenmale wieder begegnete und ihm beide Hände vertrauensvoll und herzlich entgegenstreckte, zog er es an sich und ließ seine Pul nicht aus den Armen, bis Frau Johanna ihm und ihr den mütterlichen Segen erteilte. Die Witwe wohnte im Hause des Arztes bei Kindern und Enkeln und besuchte oft das Grab ihres Gatten. Endlich ward sie neben ihm und seiner mitleidigen Mutter auf dem Friedhof der Hafenstadt bestattet.
Rustem, den Orion zum wohlhabenden Manne machte, wurde ein großer Roß– und Kamelzüchter in seiner Heimat, und Mandane schaltete sanft und doch umsichtig auf seinen Gütern, die er, obgleich er bis an sein Ende ein Masdakit blieb, mit niemand teilte.
Das erste Mädchen, das sein Weib ihm schenkte, hieß Maria, der erste Bube wurde Haschim genannt; auf Rustems Vorschlag, den zweiten Orion zu nennen, ging sie nicht ein; sie rief ihn lieber Rufinus und seine Nachfolger Rustem und Philippus.
Das Senatorenpaar aus Konstantinopel verließ Aegypten zufriedenen Herzens.
Frau Martina hatte doch noch die Genugtuung gehabt, die Hochzeit ihrer lieben Heliodora am Nil feiern zu helfen, wenn auch der Bräutigam nicht ihr »großer Sesostris«, sondern ihr Neffe Narses gewesen war, der unter der jungen Frau hingebender Pflege zwar nicht die volle Gesundheit, aber doch ein erträgliches Befinden zurück erlangt hatte.
Als Paulas Hochzeitsgeschenk erhielt die junge Gattin den verhängnisvollen großen Smaragd, der unterdessen nach Memphis zurückgekommen war. – Das Senatorenpaar und der Mukaukas Orion mit seiner Gemahlin blieben bis ans Ende in inniger Freundschaft verbunden; der Rentmeister Nilus verwaltete noch lange sein Amt mit Fleiß und Umsicht, und so oft der Kaufherr Haschim nach Alexandria kam, gab es einen Streit zwischen den Freunden Orion und Philipp; denn keiner wollte ihn dem andern lassen. Der Arzt gönnte jetzt dem früheren Mitbewerber seine stolze Gattin. Er hörte zwar nicht auf, sie zu bewundern, doch er dachte dabei: »Meine behagliche Pul hat nicht ihresgleichen; für Paula wären unsere Räume zu klein, aber mein Goldhaar macht sich gerade in ihnen am besten.«
Bis ans Ende blieb er seinem Beruf opferfreudig ergeben, und wenn er Orion in strenger Pflichterfüllung sich abmühen sah, sagte er häufig: »Er weiß jetzt, was das Leben fordert, und handelt darnach, und darum altert er nicht, und sein Lachen klingt noch immer so herzgewinnend fröhlich. Wer sich wie die Nilbraut aus dem sicheren Tode und wie der junge Mukaukas aus dem schwersten aller Flüche herausgerettet, deren Freund sich nennen zu dürfen, das ist eine Ehre.«
Die Nilbraut ward bis auf den heutigen Tag nicht vergessen; denn bevor der Strom in der Nacht des Tropfens steigt, stellen die Bewohner der Stadt, die auf der andern Seite des Stromes im Anschluß an das von Amr gegründete Fostat an die Stelle des alten Memphis getreten, stellen die Kairener am Ufer des Stromes eine Figur von Thon auf, welche einem weiblichen Wesen gleichsieht, und sie nennen sie »Aruse«, das ist »die Braut«.