-------
| bookZ.ru collection
|-------
|  Karl May
|
|  Waldröschen IV. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 2
 -------

   Karl May
   WALDRÖSCHEN IV. MATAVESE, DER FÜRST DES FELSENS. TEIL 2


   1. Kapitel

   Die Jacht dampfte nun dem Punkt der Küste entgegen, den der Kapitän bezeichnet hatte, und erreichte denselben binnen einer Viertelstunde. Da Sternau sich von den anderen die Spuren nicht verderben lassen wollte, stieg er allein aus, um den Ort sorgfältig abzusuchen, aber die Küste bestand aus hartem Korallenfelsen, und da gestern, als der Kampf stattgefunden hatte, gerade Ebbe gewesen war, so hatte die Flut inzwischen die Spuren verwaschen. Man mußte also unverrichteter Sache wieder abfahren.
   Die Fahrt nach Verakruz war eine sehr schnelle und glückliche. Als man dort anlangte, wurde beschlossen, daß Sternau und Helmers die beiden Liebenden nach Mexiko begleiten sollten. Die Jacht blieb unter der Obhut der Matrosen zurück.
   Da Mariano an so großer Schwäche litt, so war es unmöglich, zu Pferd zu reisen. Es wurde also die Postdiligence benutzt, die zwischen Mexiko und dem Hafen regelmäßig hin– und hergeht. Die drei Männer bewaffneten sich, versahen sich mit Proviant, da man in jenen Gegenden von unseren wohleingerichteten Restaurationen nichts weiß, und dann verließen sie die Hafenstadt.
   Eine Fahrt mit der mexikanischen Diligence ist nichts Bequemes und Erfreuliches. Ein solcher Wagen ist für zwölf bis sechzehn Personen eingerichtet und wird von acht halbwilden Maultieren gezogen. Vorn sind zwei, in der Mitte vier und an der Deichsel wieder zwei angespannt. Die Tiere weiden Tag und Nacht im Freien und müssen vor dem Gebrauch immer erst mit dem Lasso eingefangen werden. Sie lassen sich das Geschirr nur mit höchster Widerspenstigkeit anlegen, aber einmal im Zug, sind sie auch kaum aus ihrem rasenden Galopp herauszubringen.
   Die Gegend, die man durchfährt, ist beinahe ganz unbevölkert, der Weg geht durch öde Felsenstrecken, tiefe Schluchten, finstere Urwälder, und selten bemerkt man einmal eine einsame, armselige Indianerhütte, die von einem herabgekommenen Nachkommen der einstigen Beherrscher des Landes bewohnt wird. Kein Europäer kann sich einen Begriff von den Hindernissen machen, die der Reisende zu überwinden hat! Oft ist die Straße weiter nichts als das ausgetrocknete, mit Felsbrocken bedeckte Bett eines im Frühjahr reißenden Bergstroms, oft führt sie an Abgründen vorüber, in die man beim geringsten Fehltritt stürzt. Und dabei braust die Diligence in einem rasenden Galopp immer weiter. Der Kutscher sitzt auf dem Dock, die sechzehn Zügel in der Hand, und neben ihm sein Adjutant, der Mauleselbube.
   Dieser hat keine Minute Ruhe. Er springt mitten im Galopp vom hohen Bock, um die Tiere zu richten oder den Wagen zu halten, dabei sammelt er sich die Taschen voller Steine, springt mitten im Lauf wieder auf, ohne daß dem Tempo im geringsten Einhalt getan wird, und bombardiert nun mit seinen Steinchen diejenigen Tiere, die sich faul oder unlenksam zeigen.
   Dies ist die Schule, durch die er gehen muß, um später Kutscher werden zu können. Ein guter Diligencekutscher ist eine geschätzte Persönlichkeit, und zwar mit Recht. Er wird von jedermann »Señor« genannt. Wenn er die Strecke zwischen Mexiko und Verakruz versieht, so bezieht er eine Gage von hundertzwanzig Peseta pro Monat, das sind nach unserem Geld ungefähr fünfhundert Mark. Dabei wird er beköstigt und hat am Ende des Jahres, wenn er kein einziges Mal umgeworfen hat, noch Anspruch auf eine Extrabelohnung von tausend Mark zu machen. Er steht sich also besser als ein deutscher Postillion.
   Eine große Plage ist die Unsicherheit des Weges. Jeder Mexikaner ist mehr oder weniger ein Freibeuter, zuweilen tun sich mehrere zusammen, und so ist es kein Wunder, wenn man eine Reise nur wohl bewaffnet unternimmt. Und dennoch kommt es häufig vor, daß die Passagiere ihr Ziel nicht unberaubt, vielleicht auch gar nicht erreichen, weil sie getötet werden.
   Am Abend gelangten unsere Reisenden an eine Art von Gehöft, wo sie gezwungen waren zu übernachten. Dasselbe bestand aus einer niedrigen, schmutzigen Hütte, an die eine Umzäunung stieß, die von stachligem Kaktus hergestellt worden war. Innerhalb dieser Umzäunung weideten einige magere Pferde und Maultiere. Die Hütte bewohnte der »Postmeister«, ein hagerer Mexikaner, der einem Raubmörder ähnlicher sah als einem ehrlichen Mann.
   Er führte neben der »Posthalterei« einen Pulque-Schank, das heißt, er sammelte den Saft einer Agavenart, ließ denselben in schmutzigen Töpfen gären und verkaufte ihn gegen so hohes Geld an diejenigen Insassen der Diligence, die sich nicht ekelten, ihren Durst mit dieser Brühe zu stillen.
   Amy behauptete, sich vor diesem Mann zu fürchten, sie scheute sich überdies vor dem gräßlichen Schmutz seiner Wohnung, und so wurde ihr in der Diligence ein Lager zubereitet. Die drei Männer wollten in der Nähe derselben im Freien schlafen.
   Der Abend war ein herrlicher. Die Sterne leuchteten wie glühende Funken vom Himmel hernieder, und balsamische Lüfte fächelten die ruhende Erde. Amy und Mariano hatten sich von den anderen getrennt und wandelten unter dem Schutz der Umzäunung auf und nieder. Sie führten sich am Arm; das Herz war ihnen voll, und doch fanden sie keine Worte, um die Größe ihres Glücks zu beschreiben. Endlich sagte Amy mit leiser Stimme:
   »Welch eine Zeit zwischen jetzt und Rodriganda!« – »Eine Zeit schwerer Trübsale für mich«, antwortete er. – »Und für mich eine Zeit bitterer Sorge um dich, mein Alfred.«
   Da ließ er ihren Arm fahren, blieb stehen und sagte:
   »Nenne mich nicht mehr Alfred, sondern Mariano, denn so ist mein Name.« – »Mariano?« – »Ja. Alfred de Lautreville war nur ein angenommener Name.«
   Amy blickte überrascht zu ihm empor und sagte nach einer kleinen Pause:
   »War es das, was dich so sehr bedrückte?« – »Ja, das war es. Komme, laß uns niedersetzen, ich muß wahr gegen dich sein.« – »Hat dies nicht noch Zeit, mein Geliebter?« – »Nein. Es lastet schwer auf meiner Seele, und diesen Druck will ich loswerden.« – »Aber du bist krank. Du wirst dich aufregen!« – »Trage keine Sorge, Amy. Das Bewußtsein, unredlich zu handeln, schadet mehr als die Erinnerung an eine Zeit, von der ich wünsche, daß sie nicht gewesen wäre.«
   Ein Felsblock gab ihnen einen bequemen Sitz. Sie nahmen Platz, und nachdem Mariano einige Zeit lang trübe vor sich hingeblickt hatte, begann er:
   »Du hast von Sternau einiges über meine mutmaßliche Abstammung gehört?« – »Ja, bereits in Rodriganda gab er mir einige Andeutungen, und später schrieb er mir darüber.« – »Nun wohl. Ich bin das Opfer eines Verbrechens, das aufzudecken meine Lebensaufgabe ist. Ich wurde meinen Eltern geraubt und kam in eine Räuberhöhle.«
   Amy stieß einen Ruf der Überraschung aus.
   »Ist‘s möglich! In eine Räuberhöhle?« – »Ja. Ich bin ein Brigant, ein Räuber.«
   Das hatte Amy allerdings nicht erwartet, das stürmte mit voller Wucht auf sie ein. Sie holte tief Atem, aber sie vermochte nicht, ein Wort zu sprechen.
   Er bemerkte das mit unendlichem Schmerz, rückte von ihr fort und sagte:
   »Du schweigst. Du verachtest mich. Das war es, was ich fürchtete.«
   Da faßte sie ihn bei der Hand und fragte:
   »Du konntest nicht dafür, daß du an diesen schauerlichen Ort kamst?« – »Nein, denn ich war noch ein Kind.« – »Und du wurdest ohne deine Schuld als Brigant erzogen?« – »Ich lebte unter den Briganten, aber ich wurde nicht als solcher erzogen. Ich habe nie das Geringste getan, was mich mit dem Gesetz hätte in Konflikt bringen können.« – »Gott sei Dank!« sagte sie. »Da ist ja alles gut. Aber wie konntest du unter den Räubern der Mann werden, der du geworden bist?« – »Weil der Kapitän höhere Absichten mit mir verfolgt zu haben scheint. Er ließ mich ganz nach dem Stand erziehen, dem ich eigentlich angehöre. Das einzige Unrecht, das ich beging, war, daß ich in Rodriganda einen falschen Namen trug.« – »Du konntest nicht anders, mein Mariano.«
   Es war das erste Mal, daß sie diesen Namen aussprach. Er preßte ihre Hand an sein Herz und erwiderte:
   »Ich danke dir, mein Leben! Du machst mir das Herz leicht, und nun habe ich auch den Mut, dir alles, alles zu erzählen, was mich so lange und so schwer bedrückte.«
   Er zog sie nun an sich, legte leise ihr Köpfchen an seine Brust und begann zu erzählen. Er berichtete von den Erinnerungen an die ersten Tage seiner Kindheit, von seinem Leben unter den Briganten, und von allem, was später gekommen war. Es dauerte lange, ehe er fertig wurde, aber als er geendet und ihr dann auch all die scharfsinnigen Kombinationen Sternaus berichtet hatte, da schlang sie die Arme um seinen Hals, küßte ihn und sagte:
   »Ich danke dir für deine Offenheit! Nun ist alles, alles gut, denn nun weiß ich, daß du meiner würdig bist. Gott wird alles zum Besten lenken.« – »Aber dein Vater…?« fragte er. – »Trage um ihn keine Sorge! Er ist gerecht und mild und liebt mich von ganzem Herzen; er wird tun, was ihm seine Liebe gebietet.«
   Sie saßen noch eine ganze Weile beieinander, versunken in Hoffnung und Glück, dann aber kehrten sie zu den anderen zurück, um sich zur Ruhe zu begeben. Amy schlief in dem Wagen, und die anderen lagen, in ihre Decken gehüllt, neben demselben.
   Am anderen Morgen wurde die Reise fortgesetzt. Das fürchterliche Fahren griff Mariano bei seinem geschwächten Zustand außerordentlich an, und als sie Mexiko erreichten, war er fast noch kränker als vorher, aber Sternau beruhigte das besorgte Mädchen und sagte, daß einige Wochen der Erholung hinreichen würden, Mariano seine Kräfte und seine Gesundheit zurückzugeben.
   Amy wollte, daß ihre drei Begleiter sofort mit nach dem Palast ihres Vaters fahren sollten, aber Sternau schlug dies ab.
   »Wir bleiben im Hotel«, sagte er. »Ihr Vater kennt uns noch nicht persönlich, und was Sie ihm von uns erzählt haben, das reicht nicht hin, so ohne weiteres seine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.« – »Aber Sie haben mir so große Dienste geleistet und mich sicher nach Mexiko gebracht.«
   Sternau lächelte und antwortete:
   »Miß Amy, wollen Sie unseren Freund Mariano so ganz ohne alle Einleitung Ihrem Vater als ihren Verlobten vorstellen?«
   Sie errötete und antwortete:
   »Sie mögen recht haben. Steigen Sie einstweilen im Hotel ab, aber versprechen Sie mir auch, daß Sie sich nicht zurückziehen werden, wenn mein Vater wünscht, daß Sie bei uns wohnen sollen.« – »Das verspreche ich gern, Miß. Ich bin nach Mexiko auch in der Absicht gekommen, um diesen Cortejo kennenzulernen, und das wird leichter sein, wenn ich bei Ihnen wohne. Vielleicht finden wir hier den Schlüssel zu dem Rätsel, dessen Lösung unsere Aufgabe ist.«


   2. Kapitel

   Die Diligence brachte zunächst die drei Männer nach dem Hotel, wo sie abstiegen, und dann Amy nach dem Palast ihres Vaters.
   Dieser hatte keine Ahnung gehabt, daß seine Tochter so schnell zurückkehren werde, und war daher im höchsten Grade erstaunt sie bei sich eintreten zu sehen.
   »Amy!« rief er, sich von seinem Arbeitssessel erheben. »Ist das möglich!« – »Oh, Papa, es ist sogar wirklich«, lachte sie. »Wenigstens hoffe ich, daß du mich nicht als einen Geist ansiehst!« – Aber du kannst ja gar nicht in Jamaika gewesen sein.« – »Freilich war ich dort. Ich werde dir dies beweisen, indem ich dir die Antwort des Gouverneurs überreiche.«
   Sie zog ihr Portefeuille und legte ihm die Skripturen vor.
   »Wahrhaftig!« meinte der Lord. »Aber wie ist das zugegangen?« – »Das hast du nur den Herren zu verdanken, die mich begleiteten, Pa.« – »Welchen Herren?« – »Nun, vor allen Dingen Herrn Sternau.« – »Herrn Sternau?« fragte er abermals verwundert – »Ja, Herrn Doktor Sternau.« – »Alle Tausend! Du meinst doch nicht etwa jenen famosen Doktor Sternau, von dem du mir erzählt hast und den du in Rodriganda trafst?« – »Gerade den meine ich.« – »Der hat dich nach Mexiko gebracht?« – »Erst nach Jamaika und dann nach Mexiko. Er ist in Begleitung zweier Herren hier. Ich werde dir das erklären, nachdem du die Antworten des Gouverneurs gelesen hast. Bis dahin habe ich Zeit gefunden, meine Reisetoilette abzulegen.«
   Erst jetzt fanden Vater und Tochter Zeit, sich durch eine Umarmung zu begrüßen, dann verließ sie ihn, um sich von den Spuren der Reise zu befreien.
   Nach einer Stunde befand sie sich abermals bei ihm. Sie saß an seiner Seite und erzählte, wahr und aufrichtig, wie es einer Tochter geziemt. Er hörte ihr mit sehr ernster Miene zu. Das, was er hörte, klang ja abenteuerlicher als ein Roman und machte ihm schwere Sorgen. Amy war seine einzige Tochter, er hatte weitgehende Pläne mit ihr gehabt, und nun teilte sie ihm auf einmal mit, daß sie – einen spanischen Räuber liebe.
   Als sie geendigt hatte, wartete sie vergebens auf Antwort. Er erhob sich und schritt wortlos im Zimmer auf und ab. Endlich aber blieb er vor ihr stehen und sagte mit milder Stimme:
   »Amy, mein Kind, ich habe immer nur Freude an dir erlebt, heute aber ist es das erste Mal, daß du mich betrübst.«
   Da sprang sie empor und schlang die Arme um seinen Hals.
   »Verzeih mir! Ich will dich nicht betrüben«, sagte sie, »aber Gott hat diese Liebe in mein Herz gelegt, und nun kann ich nicht anders.«
   Er schob sie leise von sich und fragte:
   »Und du glaubst an alles das, was du mir jetzt von diesem Mariano erzählt hast?« – »Ja, ich glaube es sicher und fest.« – »Und du liebst wirklich diesen – diesen Zögling eines Räuberhauptmanns?« – »Ich liebe ihn«, sagte sie, indem sie den Vater offen anblickte, »ich liebe ihn so, daß ich ohne ihn nie glücklich werden kann!« – »Und an mich, deinen Vater, denkst du nicht?« fragte er, beinahe traurig. – »Doch, Pa, ich denke auch an dich.« – »Und dennoch sprichst du von dieser – abenteuerlichen Liebe!«
   Da trat sie einen Schritt auf ihn zu und fragte:
   »Vater, du gönnst es mir, glücklich zu sein?« – »Gewiß! Und eben weil ich wünsche, daß du glücklich seist, tut es mir so weh, dein Herz in diesen Fesseln zu wissen.« – »Prüfe Mariano, Pa, prüfe ihn. Und wenn du dann noch sagst, daß er meiner unwürdig sei, so werde ich dir gehorchen und ihn nie wiedersehen.«
   Es lag ein großes, kindliches Vertrauen in diesen Worten. Der Lord fühlte das, und daher klärten sich seine Züge auf.
   »Ich danke dir für dieses Wort, Amy!« sagte er. »Du sollst dich in deinem Vater nicht täuschen. Gehe jetzt und ruhe von deiner Reise aus, ich werde unterdessen nachdenken, was ich tun kann, um dich glücklich zu sehen.«
   Er küßte sie mit väterlicher Zärtlichkeit, und dann wandte er sich seiner Arbeit zu, aber nur scheinbar, denn als Amy ihn verlassen hatte, erhob er sich wieder von seinem Sessel und wanderte ruhelos im Zimmer auf und ab. Endlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben.
   »Es gibt nur einen, an den ich mich in dieser schlimmen Angelegenheit wenden kann«, sagte er zu sich selbst. »Das ist kein anderer als jener Sternau, der ein wahrer Held an Geist und Körper zu sein scheint. Ich kenne ihn zwar persönlich nicht, aber was ich von ihm gehört habe, das ist genug, um ihm mein volles Vertrauen zu schenken.«
   Er klingelte seinem Diener und ließ sich zum Ausgehen ankleiden. Heute aber machte er von seiner Equipage keinen Gebrauch. Zwar ist es in Mexiko fast eine Schande, sich als Fußgänger auf der Straße sehen zu lassen, aber der Lord zog es dennoch vor, nach dem Hotel zu gehen, das ihm als Absteigequartier der drei Herren von seiner Tochter bezeichnet worden war.
   Als er dort angekommen, erkundigte er sich bei dem Wirt nach Señor Sternau.
   »Er ist in seinem Zimmer«, lautete die Antwort. »Wollen Sie ihn sprechen?« – »Ja.« – »Wen soll ich melden?« – »Einen Herrn, der ihn unter vier Augen zu sprechen verlangt.«
   Sternau wunderte sich allerdings, als er so kurze Zeit nach seiner Ankunft hörte, daß ihn bereits ein Fremder zu sprechen wünsche, noch dazu unter vier Augen, doch gewährte er sofort diese Bitte. Als der Lord eintrat und nun die beiden Männer sich gegenüberstanden, maßen sie sich zunächst mit forschenden Blicken. Sternau erkannte sofort, daß er keinen gewöhnlichen Mann vor sich habe, und das Auge des Lords wiederum hing mit sichtbarem Wohlgefallen an der Riesengestalt und dem offenen Angesicht des Deutschen.
   »Sie haben mich zu sprechen verlangt?« fragte der letztere in wohlklingendem Spanisch. – »Allerdings«, antwortete der erstere. »Vielleicht ist es Ihnen lieber, wenn wir uns der deutschen Sprache bedienen?« – »Ah, Sie sind ein Deutscher?« – »Nein, ein Engländer. Mein Name ist Lindsay.«
   Sternau machte eine Gebärde der Überraschung.
   »Lindsay, Sir? Sie sind vielleicht gar Lord Lindsay, der Vater von …?« – »Allerdings bin ich der, mein Herr.« – »Dann bitte ich dringend, Platz zu nehmen, Sir. Ich konnte nicht ahnen, daß ich einen so unerwarteten Besuch bei mir sehen würde.« – »Unerwartet ist dieser Besuch allerdings«, sagte Lindsay, indem er sich setzte. Aber Sie werden dennoch den Grund desselben ahnen.« – »Vielleicht«, antwortete Sternau mit einer ernsten Neigung seines Hauptes. – »Lassen Sie sich zunächst Dank sagen, Herr Doktor, für die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, die Sie meiner Tochter erwiesen haben.« – »O bitte! Ich tat nichts anderes, als was jeder gebildete Mann tun würde.« – »Und sodann erlauben Sie mir, mich in einer sehr ernsten Sache an Sie zu wenden.«
   Sternau hielt es für seine Pflicht, dem Lord entgegenzukommen.
   »Sie meinen den Freund, der bei mir ist?« fragte er. – »Ja. Ich meine das Verhältnis dieses Herrn zu meiner Tochter.« – »So hat Miß Amy Ihnen sofort erzählt …?« – »Sofort! Ich konnte das auch gar nicht anders von ihr erwarten. Sie ist gewöhnt, ihrem Vater zu vertrauen. Sie kennen diesen Freund genau, Herr Sternau?« – »Ja.« – »Und auch seine Vergangenheit?« – »Ja.« – »So ist Ihnen dieselbe also kein Rätsel?« – »Nein.« – »Aber Amy sagte doch, daß er sich in Verhältnissen befinde, die eine geradezu abenteuerliche Entwicklung derselben erwarten lassen.« – »Wollen Sie mich nicht falsch verstehen, Sir!« bat Sternau. »Sie fragten mich, ob ich die Verhältnisse meines Freundes kenne, und ich bejahte diese Frage, weil ich die Lage meinte, in der er sich gegenwärtig befindet. Er ist – um kurz zu sein – ein entsprungener Räuberzögling, der auf Gottes weiter Welt nichts, gar nichts sein eigen nennt. Das ist, was ich über ihn zu sagen habe.«
   Der Lord sah den Sprecher fragend und ungewiß an. Dann sagte er:
   »Aber dieser Zögling der Räuber hat wohl eine Zukunft?« – »Höchstwahrscheinlich.« – »Und welche?«
   Sternau zuckte die Schultern. Er kannte den Lord nicht, er wußte nicht, mit welchen Hintergedanken derselbe gekommen sei, und verhielt sich daher zurückhaltend.
   »Sie sind sehr reserviert, Herr Sternau«, versetzte Lindsay. »Lassen Sie sich sagen, daß ich nichts so sehnlich wünsche, als daß mein Kind glücklich sei. Sie werden aber einsehen, daß ein vorsichtiger Vater keineswegs das Glück seines Kindes in einer Verbindung mit einem Mann gesichert sieht, von dem er nichts anderes weiß, als daß derselbe ein Räuber war.« – »O bitte, Mariano war nicht Räuber, Sir!« – »Gut, ich will das zugeben. Sie werden jedoch meinen Wunsch begreifen, etwas Näheres über diesen Mariano zu erfahren. Und da Sie mir als ein Ehrenmann geschildert worden sind, so hielt ich es für das einfachste, Sie um Aufklärung zu bitten. Wird diese Bitte eine Fehlbitte sein?«
   Diese Worte waren in einem so offenen und herzlichen Ton gesprochen, daß Sternau sich besiegt fühlte. Er antwortete:
   »Mylord, was ich weiß, das sollen Sie erfahren. Fragen Sie!« – »Man vermutet, daß Mariano das geraubte Kind des Grafen Emanuel de Rodriganda sei?« – »Ja.« – »Und was halten Sie selbst von dieser Vermutung?« – »Ich halte sie für sehr begründet. Ja, ich bin sogar derjenige, dem diese Vermutung zuerst gekommen ist.« – »Darf ich Sie um die Gründe bitten, die Sie auf einen ebenso seltsamen wie kühnen Gedanken gebracht haben?« – »Gewiß! Wenn es Ihnen Ihre Zeit erlaubt, werde ich Ihnen meine Erlebnisse erzählen.« – »Ich ersuche Sie darum. Zwar hat mir meine Tochter bereits einige Mitteilungen gemacht, doch sind diese noch so lückenhaft, daß ich auf die Ihrigen förmlich gespannt sein muß.« – »So hören Sie!«
   Sternau erzählte nun auf das ausführlichste alle seine Erlebnisse und Gedanken, von seiner Ankunft in Spanien an bis auf die gegenwärtige Stunde. Der Lord hörte mit immer mehr wachsender Spannung zu. Sternaus Worte trugen das Gepräge der nüchternsten Wahrheit, und die Schlüsse, die er zog, ruhten auf so sicheren Gründen und Voraussetzungen, daß der Lord sich schließlich ganz überzeugt fühlte.
   »Aber das ist ja etwas ganz Außerordentliches!« rief er. »Das liest man ja auf diese Weise kaum in einem Roman!« – »Ich gebe das zu, Mylord«, erwiderte Sternau. »Aber Sie werden nicht glauben, daß ich Ihnen Unwahrheiten erzählte!« – »Keineswegs!« versetzte Lindsay schnell. – »Und ebensowenig werden Sie sagen, daß meine Berechnungen in der Luft ruhen!« – »Auch das nicht. Ich fühle mich im Gegenteil von der Schärfe Ihrer Schlüsse ganz fortgerissen und überzeugt. Also lassen Sie uns einmal die Summe ziehen: Dem Grafen Emanuel des Rodriganda wurde der einzige noch lebende Sohn geraubt …« – »So ist es.« – »Der Raub geschah mit Hilfe von Briganten, die den Knaben in ihrer Höhle verbargen. Der eigentliche Räuber aber ist Gasparino Cortejo.« – »Ich bin vollständig überzeugt davon.« – »In welcher Absicht geschah der Raub? Das ist eine hochwichtige Frage.« – »Um einen Sohn dieses Gasparino zum Grafen Rodriganda zu machen.« – »Und die Mutter dieses Kindes ist jene fromme Schwester Clarissa?« – »Ja.« – »Gut, so wollen wir weiter summieren! Der Pater Dominikaner kannte das Geheimnis und verriet es auf Veranlassung jenes Bettlers Pedro so ziemlich an den geraubten Knaben. Dieser erhielt dadurch eine Ahnung von seiner Abstammung. Er kam nach Rodriganda und wurde von Cortejo erkannt. Infolgedessen übergab dieser ihn dem Piratenkapitän, der ihn unschädlich machen sollte. Sie retteten ihn und bringen ihn nach Mexiko. Ist es so?« – »Vollständig.« – »Was aber beabsichtigten Sie mit Ihrer gegenwärtigen Reise nach Mexiko?« – »Zunächst will ich sehen, ob jene Marie Hermoyes, die das untergeschobene Kind nach Mexiko brachte, noch lebt, und ebenso jener Pedro Arbellez, der zur damaligen Zeit Inspektor des Grafen Ferdinando hier war. Und ferner dürfen Sie nicht vergessen, Mylord, daß ich vermute, daß Graf Ferdinando damals gar nicht gestorben ist. Jener Steuermann, der im Gefängnis von Barcelona starb, erzählte von einem Gefangenen, der nach Harrar verkauft worden ist.« – »Und Sie vermuten in jenem Gefangenen den Grafen Ferdinando?« – »Ja. Diese Vermutung mag Ihnen außerordentlich kühn erscheinen, aber wenn Sie bedenken, mit welchen Mitteln Cortejo operiert, so werden Sie keine Unwahrscheinlichkeit darin erblicken. Ich bin fest entschlossen, das Erbbegräbnis der Rodriganda hier in Mexiko zu öffnen, um zu sehen, ob sich die Leiche im Sarg befindet.« – »Ich werde Ihnen behilflich sein, die Erlaubnis der Behörde dazu zu erhalten.«
   Sternau machte eine geringschätzige, verneinende Handbewegung und erwiderte:
   »Ich danke Ihnen, Mylord. Ich sehe von aller behördlichen Hilfe ab.« – »Aber Sie begeben sich da in große Gefahr, Herr Sternau.« – »Pah, diese Gefahr fürchte ich nicht! Wenn ich Sie um etwas bitte, so ist es ein anderes.« – »Was?« – »Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir die Bekanntschaft mit Pablo Cortejo zu erleichtern.« – »Das will ich Ihnen sehr gern zu Gefallen tun. Sie wollen ihn kennenlernen?« – »Ja; es ist dies durchaus notwendig.« – »Gut. Ich verkehre in Kreisen, in denen auch er zuweilen anwesend ist. Übrigens bin ich überzeugt, daß er ein Schurke ist. Er wollte mich kürzlich ah, da fällt mir ja gleich ein … Sie suchten den Aufenthalt des Pedro Arbellez?« – »Ja; ich sagte dies bereits vorhin.« – »Nun, da kann ich Ihnen Auskunft geben. Er ist jetzt der Besitzer der Hacienda del Erina im Norden des Landes. Cortejo wollte mich betrügen. Ich sollte diese Hazienda von ihm kaufen, obgleich sie Eigentum dieses Arbellez ist. – »So bin ich vielleicht gezwungen, diese Hazienda aufzusuchen.« – »Aber Herr Sternau, warum geben gerade Sie sich so große Mühe in der Sache?« – »Ich bitte daran zu denken, daß Condesa Rosa de Rodriganda jetzt meine Gattin ist. Mariano ist ihr Bruder, folglich mein Schwager.« – »Weiß er das?« – »Nein. Ich habe es vorgezogen, ihm dies noch zu verschweigen. Auch Miß Amy und meinen Begleiter Helmers bat ich, nicht davon zu sprechen. Er soll es erst erfahren, sobald wir vor sicheren Tatsachen stehen. Auf welche Weise kann man wohl ohne Auffälligkeit erfahren, wo das Erbbegräbnis der Rodriganda sich befindet?« – »Danach will ich mich erkundigen, mein Lieber. Eine Frage meinerseits wird kein Befremden erregen.« – »Ich danke Ihnen, Mylord, und bitte, möglichst schnell dabei zu verfahren, denn …«
   Sternau wurde unterbrochen, denn die Tür öffnete sich, und Mariano trat herein. Als er einen Fremden erblickte, wollte er wieder zurücktreten, aber Sternau erhob sich schnell und winkte ihm, herbeizukommen.
   »Treten Sie näher, mein Freund«, sagte er. »Sie stören uns nicht.«
   Er wandte sich darauf zu dem Lord und erklärte ihm:
   »Dieser Herr ist mein Freund Mariano.« Und sich zu dem letzteren wendend, sagte er »Und hier sehen Sie Lord Lindsay, den Vater der Dame, die zu begleiten wir die Ehre und das Vergnügen hatten.«
   Als Mariano den Namen des Vaters seiner Geliebten hörte, errötete er, aber er kämpfte die in ihm aufsteigende Verlegenheit schnell nieder und verbeugte sich mit edlem Anstand vor dem Lord.
   »Soeben haben wir von Ihnen gesprochen«, sagte dieser aufrichtig. »Ich wünschte Sie infolgedessen zu sehen, und Ihr Erscheinen erspart es mir, mich bei Ihnen melden zu lassen. Sie sind während der Rückreise meiner Tochter ein treuer Beschützer gewesen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank entgegen.«
   Er reichte dem jungen Mann die Hand. Dieser ergriff sie und erwiderte: »O Mylord, mein Schutz hätte Miß Amy wohl von keiner Gefahr befreien können. Ich bin Patient, und als solcher war es mir unmöglich, der tapfere Ritter einer Dame zu sein.«
   Sein müdes Auge hatte sich belebt, und über seine bleichen Züge flog eine leichte Röte. Man sah es ihm an, welch ein schöner Mann er in den Tagen seiner Kraft und Gesundheit gewesen sein müsse. Hatten die Auseinandersetzungen Sternaus dazu beigetragen, die Bedenken des Lords abzuschwächen, so war es jetzt das leidende Aussehen Marianos, welches das Mitgefühl des Engländers erweckte. Er behielt die abgemagerte Hand des Armen in der seinigen und sagte mild und freundlich:
   »Sie bedürfen sehr dringend der Pflege und Erholung. Werden Sie diese hier im Hotel bei fremden Leuten finden?« – »Ich hoffe es, Mylord.« – »Ja, Sie hoffen es, aber diese Hoffnung wird eine vergebliche sein. Ein mexikanisches Gasthaus ist kein Aufenthalt für einen Kranken. Ich bitte Sie daher, mit meiner Wohnung vorliebzunehmen.«
   Mariano blickte schnell auf. Es leuchtete ein Blitz des Glücks aus seinen Augen.
   »Mylord«, erwiderte er, »ich bin ein armer, ausgestoßener Mann; ich darf es nicht wagen, von Ihrer Güte Gebrauch zu machen.« – »Tun Sie das immerhin, mein Freund. Herr Sternau hat mir von Ihrem Schicksal einiges mitgeteilt, und das veranlaßt mich gerade erst recht, Ihnen zu beweisen, daß Sie zwar arm, aber doch nicht ausgestoßen sind. Wollen Sie?«
   Mariano blickte überlegend nach Sternau hin. Dann sagte er: »Ich möchte mich nicht gern von meinem Freund trennen, Mylord.«
   Der Engländer antwortete mit einem Lächeln:
   »Was das betrifft, so versteht es sich ja von selbst, daß Herr Sternau mit Ihnen kommt. Auch Herr Helmers, der bei Ihnen ist, wird sich vielleicht bereit finden lassen, das Hotel mit meiner Wohnung zu vertauschen. Nicht?«
   Diese Frage war an Sternau gerichtet. Dieser trat erfreut zu dem Lord heran, streckte ihm die Hände entgegen und erwiderte mit einem Leuchten seiner treuen Augen:
   »Mylord, das ist mehr als Gastlichkeit. Gott vergelte es Ihnen! Wir kommen!«
   »Aber so bald wie möglich, meine Herren! Ich verlasse Sie jetzt, um Ihnen einen Wagen zu senden. Adieu!«
   Dann ging der Lord, und Sternau begleitete ihn bis vor die Tür. Als letzterer sein Zimmer wieder betrat, fand er Mariano auf dem Sofa sitzend und mit Tränen in den Augen.
   »Was ist Ihnen?« fragte er besorgt. – »Nichts, mein Freund«, antwortete der Spanier. »Es sind Tränen des Glücks. Ich hatte eine solche Bangigkeit, wie der Lord Amys Eröffnung aufnehmen werde.« – »Nun, Sie sehen, daß er Ihnen wenigstens nicht zürnt, mein Lieber.« – »Ja, und das habe ich Ihnen zu verdanken. Ich ahnte ja, daß er zu Ihnen kam, um sich nach mir zu erkundigen. Zürnen Sie mir ob meiner Tränen nicht. Ein Kranker gibt sich sowohl dem Schmerz als auch der Freude leichter hin als ein Gesunder. Und Freude habe ich, nein, noch mehr: Ich fühle mich entzückt und selig darüber, daß dieser Mann mir nicht zürnt, daß er so lieb und mild zu mir gesprochen hat.«
   Nach einiger Zeit fuhr eine glänzende Equipage vor, um Sternau, Mariano und Helmers nach dem Palast des Lords zu bringen. Dieser war einer der prächtigsten Palazzis der Stadt und hatte eine Menge der herrlichsten Zimmer. Die drei Gäste erhielten Wohnungen, mit denen ein König hätte zufrieden sein können, und die Bedienung war bemüht, jeden ihrer Wünsche auf das beste und schnellste zu erfüllen.
   Mariano konnte nicht ausreiten, und der brave Helmers war kein Pferdebändiger; er hatte während seines Lebens kaum zehnmal auf einem Pferd gesessen, aber der Doktor Sternau mußte bereits am nächsten Tag mit dem Lord auf die Alameda reiten, und dort erregte er nicht geringes Aufsehen.
   Der Lord hatte ihm das beste Pferd seines Marstalls anvertraut. Seine hohe, imposante Gestalt zog die Augen aller auf sich, und als er sich, von so vielen Blicken geradezu dazu aufgefordert nun auch als Reiter kühn und gewandt zeigte, da lächelte Lindsay sehr zufrieden und sagte zu ihm:
   »Ich mache Effekt mit Ihnen. Sehen Sie das Fächerspiel der Damen, Herr Sternau?« – »Ich habe meine Dame, Mylord«, antwortete Sternau ernst – »Oh, man nimmt es hier nicht so genau!« – »Desto genauer nehme ich es!« – »So beabsichtigen Sie nicht, einen dieser Mexikaner eifersüchtig zu machen?« – »Ich verzichte darauf.« – »Nun, wollen sehen, ob Sie wirklich so hieb– und stichfest sind. Jetzt aber wollen wir die Gelegenheit benützen. Ich werde Sie einigen dieser eleganten Reiter und Reiterinnen vorstellen.«
   Dies geschah, und es war den Mexikanern anzusehen, daß sie sich wunderten, daß ein deutscher Arzt eine so noble Haltung besitzen könne. Als die beiden heimkehrten, brachten sie eine ganze Menge Einladungen mit, und in Zeit von nur einigen Tagen sprachen alle Damen der Aristokratie mit Vorliebe von dem ritterlichen Deutschen, der alle Mexikaner tief in den Schatten stellte.


   3. Kapitel

   Um diese Zeit war es, als Josefa Cortejo in ihrem Zimmer auf der Hängematte lag. Sie rauchte eine jener Zigaretten, die die Mexikanerinnen so außerordentlich lieben, und hatte ein Buch in der Hand, in dem sie aber nicht las. Ihre Eulenaugen ruhten nicht auf den Buchstaben, sondern sie blickte wie abwesend in die weite Ferne. Sie dachte an Graf Alfonzo, den Geliebten, der ihr vor seiner Abreise die Ehe versprochen hatte, ohne sie doch zu lieben. Sie dachte ferner der schönen, feurigen Spanierinnen und wie leicht es sei, daß er eine finden könne, die imstande sei, ihn zu fesseln. Da trat ihr Vater ein, mit Falten auf der Stirn und einem Brief in der Hand. »Hast zu Zeit?« fragte er. – »Für Wichtiges immer«, antwortete sie. – »Es ist wichtig.« – »Für dich?« – »Auch für dich! Die Post ist angekommen, und unter den übrigen Sachen finde ich einen Brief meines Bruders.«
   Im Nu sprang Josefa aus der Hängematte und streckte die Hand nach dem Brief aus.
   »Gib her! Wie steht es drüben?« – »Hm! Schlecht und gut! Alfonzo ist in Paris und auch in Deutschland gewesen.« – »Ah! Was wollte er dort?« – »Dieses schlimmen Doktor Sternaus wegen. Dieser Mensch ist doch nur unseres Unheils wegen nach Spanien gekommen. Er ist unser ärgster Feind und schlimmster Gegner.«
   Josefas Augen zogen sich verächtlich zusammen.
   »Pah, ein Doktor! Wer soll ihn fürchten!« sagte sie mit geringschätzigem Ton. – »Wir müssen ihn fürchten«, meinte Cortejo ernst. »Er hat seit dem ersten Tag seiner Anwesenheit in Rodriganda unsere Pläne durchschaut und durchkreuzt. Er besitzt einen Scharfsinn, der ganz erstaunlich ist, und hat dabei ein Glück, daß man ihn für einen Liebling des Teufels halten könnte.« – »Nun, vielleicht ist er es auch, und der Teufel kommt seiner Zeit, um ihn zu holen. Ich dachte vorhin zufällig an ihn.« – »Zufällig?« – »Ja. Hast du nicht von dem Deutschen gehört, der jetzt hier unsere Salons so unsicher macht?« – »Ja. Er ist Arzt, und Ärzte sind den Frauen ja immer sympathisch.« – »Hast du seinen Namen gehört?« – »Nein.« – »Er heißt Señor Sternau. Er ist Gast des englischen Gesandten und wurde von diesem den höchsten Aristokraten vorgestellt. Sogar beim Präsidenten war er gestern geladen. Ein Arzt, ein einfacher Arzt. Es ist lächerlich.« – »Sternau heißt er? Caramba! Es wird doch nicht derselbe sein?« – »So habe ich mich auch gefragt, aber Name und Stand sind jedenfalls nur ein Spiel des Zufalls. Jener Karl Sternau, vor dem du dich so fürchtest, ist ja gegenwärtig in Deutschland, da kann er füglich doch nicht in Mexiko sein.«
   Das Gesicht Cortejos verfinsterte sich.
   »Meinst du?« fragte er. »Wer sagt dir, daß er jetzt in Deutschland ist?« – »Nun, der Oheim schrieb es ja in seinem vorletzten Brief.« – »Allerdings, aber seit jenem Brief ist eine geraume, eine lange Zeit vergangen.« – »Du meinst doch nicht etwa …?« fragte Josefa gedehnt. – »Ich meine, daß du den Brief lesen sollst«, antwortete er kurz und reichte ihr das Schreiben. Sie nahm es, öffnete und las:
   »Lieber Bruder!
   Dieses Mal habe ich Dir Wichtiges mitzuteilen. Wie Du weißt, ist uns Doktor Sternau entgangen, die Briganten halfen ihm, so daß er über die Grenze kam. Ich ließ ihn heimlich verfolgen und erfuhr, daß er nach Paris zu gehen beabsichtige. Natürlich lag mir daran, ihn unschädlich zu machen, und so schickte ich ihm unseren Alfonzo nach.
   Leider kam Alfonzo zu spät. Sternau war bereits nach Deutschland abgereist. Alfonzo ging ihm nach, erlitt aber während eines Bahnunglücks eine Verletzung, so daß er liegenblieb. Darüber verging eine wichtige Zeit, und unterdessen wurde dieser Sternau mit Rosa – vermählt.
   Es geschah dies in einer deutschen Ortschaft, die Rheinswalden heißt. Alfonzo kam zu spät Die Trauung war vorüber, und Sternau hatte sich auf eine Reise begeben. Wißt Ihr, was er beabsichtigt? Dieser Mensch will den Kapitän Landola aufsuchen, um ihm jenen Mariano, der sich auf Rodriganda Alfredde Lautreville nannte, abzujagen. Diesem Menschen ist das Äußerste zuzutrauen, ich hoffe aber, daß seine Pläne zuschanden werden.
   Ich habe sogleich an alle Häfen, in denen Landola zu verkehren pflegt, teils telegrafiert, teils geschrieben, und da es immerhin eine Möglichkeit ist, daß er seinen Kurs auf Mexiko nimmt, so gebe ich auch Dir Nachricht. Dieser Sternau muß unschädlich gemacht werden, sonst sind wir verloren.
   Nun zu etwas Besserem und Angenehmerem. Alfonzo steht jetzt an der Spitze des Hauses Rodriganda; er hat die Interessen desselben zu vertreten und auch dafür zu sorgen, daß die Traditionen desselben nicht verlöschen, mit einem Wort: Er muß sich vermählen!
   Ich habe an seiner Stelle Umschau gehalten, und es ist mir auch geglückt, sein Auge auf eine Dame zu richten, die alle Erfordernisse besitzt, den Namen Rodriganda zu noch höheren Ehren zu bringen.
   Du weißt, daß ich Haushofmeister des Herzogs von Olsunna war. Ich habe Dir von seinem Verhältnis zu jener deutschen Gouvernante erzählt, die ihm entfloh. Diese Liaison hat ihn in meine Hand gegeben, so daß ich ihm vorschreiben kann, was mir beliebt. Er besitzt ein einziges Kind, eine Tochter. Sie ist zwar älter als Alfonzo, aber sie ist schön, unermeßlich reich und von einem höheren Grad als die Rodrigandas. Alfonzo hat sie gesehen und schwärmt für sie. Ich hoffe, daß es meinem Einfluß auf den Herzog gelingt, diese glanzvolle Verbindung zustande zu bringen, und werde Dir, sobald ein Resultat erzielt ist, das Weitere mitteilen.
   Dein Bruder
   Gasparino Cortejo.«
   Während der letzten Hälfte des Briefes hatte Josefa sich entfärbt. Sie war blaß geworden, und als sie jetzt zu Ende war, knirschte sie wild die Zähne zusammen, ballte das Papier zu einem Knäuel, warf diesen auf den Boden und stampfte mit dem Fuß darauf.
   »So wie diesem Papier soll es ihnen gehen, wenn Alfonzo nicht Wort hält!« rief sie voller Wut. »Ich zertrete, ich zermalme sie!«
   Sie bildete in ihrem Grimm einen Anblick, der nichts weniger als schön genannt werden konnte. Ihr Vater legte beruhigend die Hand auf ihre Schulter.
   »Nur ruhig, noch ist es nicht soweit!« sagte er.
   Josefa warf den Kopf stolz in den Nacken und antwortete:
   »Ja, noch ist‘s nicht soweit, und es soll auch nie soweit kommen! Aber schon, daß sie einen solchen Gedanken hegen können, das ist ein schmählicher Verrat an mir!« – »Auch das nicht!« – »Wieso? Willst du sie etwa in Schutz nehmen?« – »Den Bruder ja, nicht aber Alfonzo. Gasparino wird gar nichts davon wissen, daß Alfonzo uns sein Wort gegeben hat, gegen ihn also darf sich dein Zorn nicht richten.« – »Aber desto mehr gegen den Treulosen. Ich gebe ihn nicht los. Er ist mein, er ist mein Eigentum, und keine andere soll ihn haben. Ich will Gräfin von Rodriganda werden, und was ich will, das weiß ich auch durchzusetzen, mit allen Mitteln, verstehst du?«
   Sie stand wie eine Furie vor dem Vater. Dieser aber erwiderte in möglichster Ruhe:
   »Ich werde Gasparino schreiben.« – »Ja, schreibe ihm, und verlange sofortige Antwort.« – »Und wenn er nein sagt?« – »Dann ist er verloren, das schwöre ich dir!« – »Josefa, er ist mein Bruder!« – »Eben deshalb sollte er desto eher auf unseren Willen eingehen, und desto strafbarer ist es, wenn er es nicht tut. Du weißt, daß ich das Testament in der Hand habe.« – »Du wirst es nicht gegen ihn gebrauchen!«
   Sie stieß ein höhnisches Lachen aus, trat frech auf den Vater zu und sagte:
   »Wie kommst du mir vor? Dein Bruder hat einen Sohn, und du hast eine Tochter. Wir alle sind Diebe, Betrüger, ja, auch Mörder geworden, um Rodriganda zu erlangen. Soll es sein Sohn allein besitzen, soll deine Tochter leer ausgehen? Nein, es gehört ihm und mir. Wenn er Graf wird, so werde ich Gräfin, das ist die einzig richtige Lösung der Frage, und davon gehe ich nicht ab.«
   Cortejo hielt es für geraten, einzulenken.
   »Ich gebe dir ja recht«, sagte er, »nur halte ich es hier nicht für am Platz, dich unnötig zu ereifern. Wir haben ja genug Veranlassung, zunächst an das Nähere zu denken.« – »So? Und was ist denn wohl jetzt das Nähere?« fragte sie erbost. – »Ich meine dieser Doktor Sternau.« – »Ach so«, sagte Josefa, nun endlich an den ersten Teil des Briefes denkend. »Ja, was sagst du dazu? Also dieser Mensch hat Deutschland verlassen, um den Kapitän Landola zu finden? Pah, ein Arzt, eine Landratte! Macht euch nicht lächerlich!« – »Beurteile die Deutschen nicht falsch. Sie haben harte Köpfe. Sie sind lange Zeit still und geduldig, aber wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt haben, so führen sie ihn auch aus.« – »Und du meinst, daß der Sternau, der sich jetzt hier befindet, und jener Sternau ein und dieselbe Person seien?« – »Ich halte es für möglich.« – »So muß man dies untersuchen.« – »Aber wie? Man kann doch nicht bei Lord Lindsay anfragen!« – »Nein«, lachte sie. »Laß mich machen! Ich werde dafür sorgen, daß wir eine Einladung bekommen und ihn sehen.« – »Ist er dir beschrieben worden?« – »Ja.« – »Nun?« – »Er ist ungewöhnlich hoch und stark gebaut, ein Riese unter allen übrigen.« – »Er ist es. Gasparino schrieb uns ja, daß er ein wahrer Goliath sei.« – »Das beweist noch nichts. Sie können Brüder oder sonstige Verwandte sein. Ich habe gehört, daß es in diesen nördlichen Gegenden viele Menschen geben soll, die zum Geschlecht der Riesen gerechnet werden könnten. Es bleibt dabei, ich besorge uns eine Einladung, und das übrige wird sich finden.«
   Sternau war auf ein solches Zusammentreffen gefaßt. Er konnte sich denken, daß er dem Namen nach Pablo Cortejo bekannt sei, er wußte, daß er der Gegenstand der Unterhaltung sei und daß auch Cortejo von ihm hören werde, und so war das Verlangen des letzteren, ihn zu sehen, ja vorauszusetzen.
   So erwartete er bei jedem Besuch, den er machte, Cortejo zu treffen. Er hatte sich erkundigt und erfahren, daß Cortejo als Vertreter des Grafen Rodriganda auch in höheren Kreisen angenommen werde. Sich ausfragen zu lassen, war seine Absicht nicht.


   4. Kapitel

   Es war bereits eine Woche seit ihrer Ankunft vergangen, als Lindsay den Arzt zu einem ihrer gewöhnlichen Spazierritte aufforderte. Sie verließen die Stadt und tummelten ihre Pferde draußen zwischen den Höhen herum. Bei der Rückkehr kamen sie an einer Mauer vorüber, wobei der Engländer sagte:
   »Endlich kann ich Ihnen heute mein Wort halten.« – »Wegen des Erbbegräbnisses, Mylord?« – »Ja.« Der Lord erhob sich im Sattel und zeigte über die Mauer hinüber. »Sehen Sie da drüben das Mausoleum?« – »Das mit den korinthischen Säulen?« – »Ja. Es ist das Erbbegräbnis, in dem Ferdinando Rodriganda begraben liegt.« – »Darf man eintreten?« – »Warum nicht? Die Pforte des Friedhofs ist bei Tag stets geöffnet.«
   Sie stiegen von ihren Pferden und traten ein. Da mehrere Besucher vorhanden waren, so taten sie, als ob ein anderer Zweck sie herbeigeführt habe, und näherten sich später wie zufällig dem Mausoleum. Der Eingang zu demselben war durch eine Gittertür verschlossen, doch reichte das Gitter nicht hoch empor. Es ließ oben einen offenen Raum, so daß man übersteigen konnte.
   »Wissen Sie gewiß, daß dies das gesuchte ist, Mylord?« fragte Sternau. – »Ja, ich habe es mir genau beschreiben lassen.« – »So ist es uns nicht schwer gemacht, hier einzudringen. Gehen wir wieder fort!« – »Wann werden Sie es tun?« – »Gleich heute abend. Wollen Sie dabeisein?« – »Ich danke. Ich bin der Vertreter einer Nation und muß sehr vorsichtig sein.«
   Am Abend, kurz vor Mitternacht, schritten drei Männer diesem Friedhof zu. Es war zwei Tage nach Neumond und also nicht sehr hell. Bei der Mauer angekommen, stiegen sie über dieselbe hinweg. Es waren Sternau, Mariano und Helmers. Mariano hatte sich während der acht Tage so weit erholt, daß er dieses Abenteuer mitmachen konnte.
   »Bleiben Sie hier stehen«, flüsterte Sternau. »Ich will erst sehen, ob wir sicher sind.«
   Er suchte den Friedhof sorgfältig ab und kehrte erst dann zu den Gefährten zurück, als er sich überzeugt hatte, daß keine Gefahr der Entdeckung vorhanden war.
   »Jetzt kommen Sie hinter mir her, aber leise.«
   Auf diese seine Worte setzten sie sich in Bewegung. Bei dem Mausoleum angelangt, schwang er sich zuerst über die Gitterpforte, und dann folgten die anderen. Nun standen sie vor einem starken Zinndeckel, der die Öffnung des Gewölbes bedeckte.
   »Dieser Deckel muß aufgeschraubt werden!« sagte Sternau.
   Er hatte sich am Tag alles genau angesehen und infolgedessen für drei Schraubenschlüssel gesorgt. Die drei Männer arbeiteten eine Zeitlang leise und unhörbar, dann gab der Deckel nach und ließ sich abnehmen. Eine schmale Treppe führte hinab. Sie stiegen hinunter. Einer hinter dem anderen. Sternau war der vorderste und tastete umher, bis er an einen Sarg stieß.
   »Hier steht der Sarg«, meldete er. »Helmers, brennen Sie vorsichtig die Blendlaterne an, daß kein Licht in die Höhe dringt!«
   Helmers folgte dem Gebot, und nun sahen sie bei dem kleinen Strahl der Laterne den Sarg vor sich stehen. Es war der einzige, der in dem Gewölbe stand.
   »Was werden wir sehen?« flüsterte Mariano. – »Entweder nichts oder die Überreste Ihres Oheims Ferdinando«, antwortete Sternau. – »Mir graut!« – »Fürchten Sie sich?« – »Nein«, antwortete Mariano. »Aber bedenken Sie meine Lage. Der geraubte Neffe steht vor dem Sarg seines Onkels.« – »So fassen Sie sich. Es ist kein Leichenraub, keine Grabschändung, die wir begehen. Wir stehen hier als Vertreter des forschenden Gerichts, und was wir tun, das können wir vor Gott und unserem Gewissen verantworten.« – »Es ist ein Eichensarg«, meinte Helmers. —»In welchem der eigentliche Zinnsarg stehen wird«, fügte Sternau hinzu. »Er ist zugeschraubt. Öffnen wir!«
   Sie setzten abermals die Schraubenschlüssel an. Die Schrauben knirschten in dem Holz, sie gaben nach und wurden herausgezogen. Nun konnte der Deckel abgenommen werden, und es kam wirklich der Zinnsarg zum Vorschein. Auch er war mittels Schrauben verschlossen, die herausgedreht werden mußten. Als dies geschehen war, blickten sich die drei Männer gespannt an. Sie standen vor der Enthüllung eines Geheimnisses, und das erweckte in jedem ein Gefühl, das erst bemeistert werden mußte.
   »Nun, in Gottes Namen, fort mit dem Deckel!« sagte Sternau.
   Dann griff er zu und hob den Deckel in die Höhe, er entschlüpfte seiner Hand und fiel wieder nieder. Das gab einen dumpfen, grausigen Ton in dem tiefen Gewölbe, dessen Finsternis durch das kleine Licht der Laterne nur noch mehr hervorgehoben wurde.
   »Es ist, als wehre sich der Tote gegen die Störung seiner Ruhe«, flüsterte Mariano. – »Er wird uns nicht zürnen, wenn wir uns überzeugen, daß mit ihm kein Frevel getrieben worden ist«, antwortete Sternau.
   Er faßte darauf den Deckel mit mehr Vorsicht an, nahm ihn ab und legte ihn beiseite. Nun leuchtete Helmers in den offenen Sarg – und die drei Männer blickten wie auf ein Kommando empor und sich einander in das Angesicht.
   »Der Sarg ist leer!« sagte Mariano. – »Ganz, wie ich es dachte«, bemerkte Sternau. – »Es hat gar kein Toter drin gelegen!« fügte Helmers hinzu. – »O doch!« meinte Sternau, indem er Helmers die Laterne abnahm und auf die weißen Atlaskissen leuchtete, die das Innere des Sarges füllten. »Hier sehen Sie ganz deutlich die Eindrücke, die der Körper gemacht hat.« – »So ist der Onkel also doch gestorben gewesen!« versetzte Mariano. »Aber warum hat man seine Leiche entfernt?« – »Man hat keine Leiche entfernt, sondern einen Lebenden«, behauptete Sternau. »Die Leiche zu entfernen, hätte keinen Zweck gehabt. Gibt es Gift, um den Wahnsinn hervorzubringen, so gibt es auch Medikamente, einen Menschen scheintot zu machen.« – »So wäre also der Mann, der in Verakruz eingeschifft und nach Harrar verkauft wurde, wirklich Ferdinando de Rodriganda gewesen?« – »Ich bin überzeugt davon. Verschließen wir die beiden Särge wieder, aber so sorgfältig, daß keine Spur unserer Anwesenheit zu bemerken ist!«
   Dies geschah, und dann wurde die Laterne ausgelöscht. Die drei Männer stiegen nun empor und schraubten die Zinndecke wieder fest, darauf schwangen sie sich über das Gitter hinaus und verließen den Friedhof so leise, wie sie gekommen waren. Kein Mensch hatte von ihrem Tun eine Ahnung.
   Zu Hause wartete Lord Lindsay in großer Spannung auf das Ergebnis ihrer Nachforschung. Er hatte Sternau und Mariano gesagt, daß sie sofort zu ihm kommen sollten. Als sie ihm das Resultat berichteten, sagte er entsetzt:
   »Ich wollte es nicht glauben. Welch ein Verbrechen! Man muß Anzeige machen.« – »Das würde zu nichts führen. Ich habe kein Vertrauen zu der mexikanischen Gerechtigkeit.« – »Man wird sie zwingen, ihre Pflicht zu tun!« – »Wer will sie zwingen, Mylord?« fragte Sternau. – »Ich!« antwortete Lindsay sehr energisch. – »Es würde vergeblich sein.« – »Oho! Ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen.« – »Sie würden nur beweisen können, daß die Leiche fehlt. Wohin sie gekommen ist, ob der, der begraben wurde, tot oder lebendig war, und wer der Urheber des Verbrechens ist, das würde unentdeckt bleiben. Durch eine Anzeige machen wir unsere Feinde ganz unnützerweise darauf aufmerksam, in welcher Gefahr sie schweben.« – »Aber, Herr Sternau, soll ein solcher Betrug ungestraft bleiben?« – »Nein. Er wird bestraft werden, aber erst dann, wenn wir den Grafen Ferdinando gefunden haben. Dann werden wir die Täter nach dem Friedhof führen und die Leiche des Vermißten von ihnen fordern lassen, eher nicht.« – »So wollen Sie wohl gar nach Harrar?« – »Allerdings! Nachdem wir zuvor auf der Hacienda del Erina gewesen sind. Mit Pedro Arbellez müssen wir sprechen, und zunächst auch mit Marie Hermoyes.« – »Mit dieser können Sie hier nicht sprechen, denn auch sie befindet sich auf der Hacienda del Erina.« – »Sie lebt also dort?« – »Ja.« – »Und warum ging sie fort?« – »Man weiß es nicht. Sie scheint Verdacht gefaßt zu haben. Weil Sie mir die größte Vorsicht anrieten, haben meine Erkundigungen eine längere Zeit in Anspruch genommen. Eine direkte Anfrage hätte uns gleich am ersten Tag eine Antwort gebracht.« – »Das hätte unsere Absicht verraten können.« – »Ich gebe das zu. Darum gab ich einem meiner Diener den Auftrag, eine Liebschaft im Haus der Rodriganda anzuknüpfen. Es ist ihm dies gelungen. Heute abend hat er nun zum ersten Mal Gelegenheit gehabt, seine Frage anzubringen, und er brachte mir die Antwort, als Sie nach dem Friedhof aufgebrochen waren.« – »So bin ich begierig, das Nähere zu hören.« – »Es ist nicht viel. Die alte Marie Hermoyes hat bei Pablo Cortejo und seiner Tochter nicht gut gestanden, auch beim jungen Grafen Alfonzo nicht. Sie scheint Verdacht gefaßt zu haben und ist vielleicht so unklug gewesen, es sich merken zu lassen. Eines Abends nun sind zwei Indianer in den Stall gekommen, haben den Knecht geknebelt und die besten Pferde weggenommen. Mit diesen Indianern ist Marie Hermoyes nach der Hacienda del Erina entflohen.« – »Wunderbar!« – »Ja, und eben weil es so sonderbar ist, muß es Verdacht erregen. Der junge Graf Alfonzo ist dann mit Militär nach der Hazienda geritten, aber als Flüchtling wiedergekommen. Das sind Nachrichten, die mich glauben lassen, daß Sie mit Ihren Vermutungen recht haben, Herr Sternau.« – »Ich ahne irgendein Unheil!« sagte der letztere. »Am besten wäre es wohl, wenn wir baldigst aufbrechen könnten, aber Freund Mariano ist noch zu schwach dazu. Eine Woche Zeit müssen wir ihm gestatten, ehe er stark genug für die Anstrengungen eines solchen Ritts ist.« – »Und«, fügte der Lord hinzu, indem er leise lächelte, »eine Woche wenigstens müssen Sie auch Herrn Helmers gestatten, um sich die nötige Fertigkeit im Reiten anzueignen. Es ist keine Kleinigkeit, als ungeübter Kavallerist an die Grenze der Indianer zu gehen.«
   Was Mariano betrifft, so hatte er den besten Arzt in Amy und die beste Arznei in dem Glück, das er an ihrer Seite genoß. Sie waren fast stündlich zusammen, und Lord Lindsay tat, als ob er dies nicht bemerke. Er glaubte, dies sei das Beste, was er tun könne.


   5. Kapitel

   Zwei Tage nach der Untersuchung des Grabes war Lord Lindsay nebst Sternau zu einem Fest geladen, und der Diener des ersteren hatte von seiner Geliebten erfahren, daß Cortejo und Señorita Josefa auch erscheinen würden. Sternau war infolgedessen auf das Erscheinen der beiden vorbereitet. Er begab sich zeitig mit dem Lord dahin, um noch vor Cortejo anzukommen.
   Das Fest fand bei einer reichbegüterten Familie statt, und es standen den Geladenen mehrere Räume zur Verfügung, in denen sie sich nach Belieben zerstreuen und ergehen konnten. Nach ihrer Ankunft, als sie der Dame des Hauses ihr Honneur gemacht hatten, trennte sich Sternau von Lindsay und sagte ihm, daß er in der Orangerie zu finden sein werde. Dort wartete er, bis Lindsay erschien und ihn benachrichtigte, daß Cortejo gekommen sei.
   »Wollen Sie mich vorstellen, Mylord?« – »Wünschen Sie es?« – »Ja, sehr!« – »So kommen Sie!«
   Sie kehrten nun nach den vorderen Gemächern zurück und sahen Cortejo nebst seiner Tochter bei einer Gruppe soeben angekommener Gäste stehen.
   »Der lange, hagere Señor ist Cortejo«, bemerkte der Lord. – »Ah, er sieht seinem Bruder außerordentlich ähnlich«, sagte Sternau. – »Und die Señorita zu seiner Rechten ist seine Tochter.« – »Die mit dem Uhugesicht?« – »Ja.« – »So halte ich die Tochter für schlimmer als den Vater selbst.« – »Sie sind ein großer Physiognomiker! Aber kommen Sie! Wir werden sie überraschen, denn sie stehen mit dem Rücken jetzt gegen uns.«
   Sie schritten auf die Gruppe zu, der Lord schnell, Sternau etwas langsamer.
   »Ah, Mylord«, sagte Cortejo, als er den ersteren bemerkte, »welche Freude, Sie hier zu sehen! Haben Sie sich meinen Antrag überlegt?« – »Welchen?« – »Wegen der Hacienda del Erina?«
   Lindsays Brauen zogen sich zusammen.
   »Ich liebe es nicht, in Gesellschaften Geschäfte zu besprechen«, sagte er. »Übrigens muß ich zuvor wissen, ob die Hazienda wirklich Eigentum des Grafen Rodriganda ist.« – »Natürlich ist sie es!« – »Und Sie haben den Auftrag, sie zu verkaufen?« – »Ja.« – »Aber man sagt ja, der Besitzer sei Pedro Arbellez, dem die Hazienda nach dem Tod des Grafen Ferdinando zufallen mußte.« – »Das ist eine Unwahrheit, Mylord, ein leeres Gerede.« – »Nun, das wird sich finden, ich werde die Wahrheit ja bald erfahren.« – »Durch wen?« – »Durch einen Freund von mir, der sich nächstens nach der Hazienda begeben wird. Ich mache mir das Vergnügen, Sie ihm vorzustellen.«
   Der Lord deutete mit der Hand nach rückwärts, wo Sternau stand, und sofort drehten sich Cortejo und seine Tochter nach demselben um. Der erstere trat schnell zwei Schritt zurück, ein starres Erstaunen breitete sich über seine Züge, und er rief:
   »Der Herzog von Olsunna!«
   Alle in der Nähe Stehenden blickten ihn höchst überrascht an. »Ach nein, das ist ja gar nicht möglich!« fügte er sich besinnend hinzu. »Aber welch eine ganz außerordentliche Ähnlichkeit!« – »Sie irren sich allerdings«, lächelte der Lord. »Dieser Señor ist mein Freund, Doktor Sternau.« – »Doktor Sternau?« fragte Cortejo, indem er sein Auge scharf und spitz über das Gesicht und die Gestalt des Deutschen gleiten ließ. Dann aber nahm seine Miene den Ausdruck der Gefälligkeit an, und er sagte: »Es ist eine Ehre für mich, Señor Sternau, Sie kennenzulernen. Sie sind, wie man mir bereits sagte, ein Deutscher?« – »Ja.« – »Ich liebe die Deutschen. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meine Tochter Josefa vorstelle.«
   Sternau wechselte mit der Dame eine Verbeugung und wurde dann von ihr und ihrem Vater in die Mitte genommen und nach einer Bank geführt, die sich rund um das Zimmer zog. Dies geschah so auffällig, daß Sternau sogleich ahnte, daß ein Verhör beginnen werde. Er hatte sich nicht geirrt, denn kaum hatte er sich zwischen den beiden auf der Bank niedergelassen, so begann Cortejo:
   »Ich höre, daß Sie nach der Hacienda del Erina wollen, Señor Sternau?« – »Vielleicht«, antwortete Sternau lakonisch, denn es war ihm außerordentlich unlieb, daß der Lord diese seine Absicht verraten hatte.
   »Darf ich fragen, zu welchem Zweck?« – »Ich will Mexiko und seine Bewohner kennenlernen. Daher werde ich auch den Norden des Landes bereisen. Als dies der Lord erfuhr, bat er mich, mir die Besitzung del Erina einmal anzusehen, da es sein Wunsch war, sie anzukaufen.« – »Ach so!« meinte Cortejo befriedigt. »Ich habe in del Erina einen renitenten Pächter, der behauptet, die Hazienda sei ein Eigentum. Lächerlich! Wie es scheint, reisen Sie viel?« – »Allerdings.« – »Dann sind Sie zu beneiden!« sagte Josefa mit liebenswürdig sein sollender Miene. »Ein Mann, der vollständig Herr seiner Zeit ist, ist glücklich zu preisen. Welche Länder haben Sie bereits besucht, Señor Sternau?« – »Amerika, Afrika und einen Teil von Asien.« – »Und Europa?« – »Da bin ich geboren!« lächelte der Gefragte. – »Ja, richtig, das nennt so ein Weltläufer nicht eine Reise. Kennen Sie Frankreich?« – »Ja.« – »Vielleicht auch Spanien?« – »Ich war auch da.«
   Josefa tauschte mit ihrem Vater einen schnellen Blick des Einverständnisses und sagte weiter:
   »Spanien ist unser Mutterland, für das wir uns natürlich am meisten interessieren. Darf ich erfahren, welche Provinz oder Städte Sie kennen?«
   Sternau nahm seine gleichgültigste Miene an und antwortete:
   »Ich war nur kurze Zeit in diesem schönen Land. Ich bekam als Arzt einen Ruf zu einem Grafen Rodriganda, um ihn von einem Übel zu befreien.« – »Rodriganda? Ach, wissen Sie, daß dieser Graf auch hier Besitzungen hat?« – »Ja.« – »Und daß mein Vater Verwalter dieser Besitzungen ist?«
   Sternau heuchelte ein sehr erstauntes Gesicht.
   »Ach, ist das möglich, Señor Cortejo?« rief er. Und dann setzte er, wie sich besinnend hinzu: »Es gibt auch in Rodriganda einen Señor Cortejo. Sie sind vielleicht verwandt mit ihm?« – »Er ist mein Bruder.« – »Das freut mich sehr, Señor, denn ich bin mit Señor Gasparino sehr oft zusammengetroffen.« – »Er ist nicht sehr umgänglich.« – »Das habe ich nicht gemerkt. Wir haben uns im Gegenteil sehr gut kennengelernt.«
   Josefa biß sich erzürnt auf die Lippe, denn sie verstand den Doppelsinn dieser Worte nur zu gut, dennoch sagte sie in ihrem freundlichsten Ton:
   »Wollte Gott, Sie hätten unseren guten Grafen Emanuel retten können, Señor.« – »Ja, ich gäbe vieles, sehr vieles darum, Señorita.« – »Woran starb er? Ich glaube an einem unglücklichen Fall?« – »Ja, dieser Fall war allerdings ein sehr unglückseliger.«
   Auch in diesen Worten lag ein Doppelsinn, den Cortejo und seine Tochter gar wohl verstanden.
   »So haben Sie doch auch Gräfin Rosa kennengelernt?« forschte Josefa eifrig weiter. – »Gewiß. Sie ist jetzt meine Frau.«
   Sternau war überzeugt, daß beiden dies bereits bekannt sei, trotzdem sie sich den Anschein der allerhöchsten Überraschung gaben.
   »Was Sie sagen, Señor!« rief nämlich Cortejo, und Josefa fragte: »Ist das denn möglich?« – »Oh, der Liebe ist alles möglich, Señorita«, lächelte Sternau. »Man mag in Spanien allerdings etwas strenger auf die Abgeschlossenheit des Standes halten als in meinem Vaterland. Wir aber sind in letzterem vermählt worden.« – »So hat Condesa Rosa ihr Vaterland verlassen?« – »Ja.« – »Und Graf Alfonzo gab dies zu?« – »Er hat es nicht gehindert«, antwortete Sternau gleichgültig. »Sie kennen Graf Alfonzo auch?« – »Natürlich! Er war ja seit seiner frühesten Jugend bei uns in Mexiko.« – »Ja, wirklich, ich dachte nicht daran.« – »Es wurde uns geschrieben, daß Condesa Rosa gefährlich erkrankt sei.« – »Sie ist vollständig geheilt, Señorita. Aber entschuldigen Sie! Dort winkt mir Lord Lindsay. Er wird gewiß die Absicht haben, mich jemand vorzustellen.«
   Sternau erhob sich, um sich zu entfernen, und die beiden standen gleichfalls auf.
   »Das ist ein wunderbarer und sehr lieber Zufall, einen Señor hier zu treffen, der Rodriganda kennt«, sagte Cortejo dabei. »Würden Sie uns gestatten, Sie einmal bei uns zu sehen?« – »Ich stehe mit Vergnügen zu Gebote.« – »Oder Sie einmal bei Lord Lindsay zu besuchen?« fügte Josefa bei. »Ich bin glücklicherweise mit Miß Amy sehr eng befreundet.« – »Es soll mir ein Vergnügen sein, Sie bei mir zu sehen!«
   Sternau verbeugte sich und entfernte sich. Vater und Tochter aber warteten, bis er ihren Augen entschwunden war, und dann sagte Josefa:
   »Caramba, er war es!« – »Ja, er war es!« murmelte auch Cortejo. – »Hast du ihn genau betrachtet?« – »Sehr genau.« – »Nun?« – »Er ist ein Gegner, den man nicht unterschätzen darf.«
   Josefa blickte ihren Vater fast verächtlich von der Seite an und antwortete:
   »Den man nicht unterschätzen darf? Du sprichst eigentümlich. Ich sage dir, das ist ein Gegner, der allerdings vielleicht hundert Männern gewachsen ist, ob aber einem Weib, das soll und wird sich zeigen. Diese Gestalt, diese Stirn, dieses Auge! Jetzt begreife ich Rosa, daß sie ihn liebt! Wie ruhig er sprach! Und doch kennt er uns, doch weiß er alles, doch ist er in irgendeiner feindseligen Absicht nach Mexiko gekommen. Nun, er muß untergehen, es geht nicht anders, wenngleich er mir auch leid tut und ein Feind ist, für den man schwärmen könnte.« – »Du schwärmst ja bereits! Wie konntest du sagen, daß wir ihn besuchen wollen.« – »Glaubst du wirklich, daß er zu uns kommt? Wenn wir ihn ausforschen wollen, so müssen wir zu ihm.« – »Er wird zu uns kommen. Er sieht ganz aus wie ein Mann, dem es ein Kleines ist, in die Höhle des Löwen zu gehen. Wenn ich nur wüßte, was er in Mexiko will.« – »Wir werden es erfahren, denn wir werden ihn bereits morgen besuchen.« – »Bist du toll? Nachdem die Engländerin dich in dieser Weise abgefertigt hat?« – »Daran denke ich nicht, wenn es sich um eine solche wichtige Angelegenheit handelt.« – »Ich begleite dich nicht!« – »So gehe ich allein«, sagte sie trotzig. – »Ich glaube fast, daß du dies tun würdest.« – »Ich tue es sicher. Aber ich weiß, daß du mitgehst. Wir müssen ihn aushorchen, wir müssen alles erfahren, alles, um zu wissen, mit welcher Waffe er anzugreifen ist.«
   Während beide so von Sternau sprachen, wurde dieser von dem Lord gefragt:
   »Nun, wie finden Sie das Paar?« – »Habicht und Eule, nur daß hier die Eule mehr Courage und Energie besitzt als der Habicht.« – »Sie halten also beide für dessen fähig, wessen wir sie beschuldigen?« – »Ganz gewiß. Diese Gebrüder Cortejo sind einander vollständig ebenbürtig. Aber, Mylord, verderben wir uns diesen Abend nicht mit dem Gespräch über solche Menschen. Es ist genug, daß man sie sieht.« – »Wurden Sie nicht eingeladen?« – »Ja.« – »Und werden Sie gehen?« – »Jedenfalls, wenn sie nicht etwa vorher mich aufsuchen.« – »Sie sind des Teufels! Haben Sie etwa davon ein Wort fallenlassen?« – »Nicht ich, sondern die Dame. Sie behauptet, mit Miß Amy sehr befreundet zu sein.«
   Der Lord zuckte die Schultern und wandte sich ab. Auch Sternau gab sich während des ganzen Abends Mühe, nicht mehr in die Nähe Cortejos und Josefas zu kommen, aber noch während der Nacht träumte es ihm von Eulen und Ungeziefer, mit denen er zu ringen hatte.


   6. Kapitel

   Bereits am anderen Morgen öffnete der Diener die Tür und meldete Señor und Señorita Cortejo. Sternau wollte seinen Ohren nicht trauen, mußte ihnen aber endlich doch Glauben schenken, als seine Augen ihm die Wahrheit des Gehörten bestätigten: Cortejo trat mit seiner Tochter ein.
   »Verzeihen Sie, Señor Sternau«, sagte er, »daß wir Sie so bald aufsuchen. Josefa hatte so große Sehnsucht, etwas aus ihrer Heimat zu hören. Wir haben sehr lange Zeit keine Nachricht von dort erhalten, und so machen wir von ihrer freundlichen Erlaubnis Gebrauch.«
   Sternau bemeisterte seinen Ärger und bewillkommnete sie mit möglichster Höflichkeit. Das Examen, das er zu erwarten hatte, begann sofort, nachdem sie Platz genommen hatten.
   »Sie sind in Verakruz gelandet?« fragte Cortejo. – »Ja, Señor.« – »Mit welcher Gelegenheit?« – »Per Dampf, antwortete Sternau kurz. – »Ich nehme an, daß Sie an Lord Lindsay empfohlen waren?« – »Ich lernte Miß Amy in Rodriganda kennen.« – »Ah«, sagte Josefa überrascht, »sie ist eine Freundin von Condesa Rosa gewesen?« – »Gewiß.« – »War das Leben in Rodriganda ein gesellschaftlich bewegtes, Señor?« – »Ich habe das strikte Gegenteil gefunden.« – »Das glaube ich nicht. Sie sagen, Miß Amy sei zugegen gewesen, und in einem Brief an uns wurde ein französischer Offizier erwähnt. Ich glaube aus diesem Grund, daß man nicht einsam gelebt hat«
   Sternau merkte sehr wohl, daß er jetzt über Mariano ausgefragt werden solle.
   »Ja, es war fast einsam«, sagte er kalt. – »Aber diesen Offizier lernten Sie auch kennen?« – »Ja.« – »Können Sie sich seines Namens erinnern?« – »Er nannte sich Alfred de Lautreville.« – »Und war er lange in Rodriganda?« – »Einige Tage.« – »Dann kehrte er nach Frankreich zurück?« – »Hm! Er reiste ab, ohne uns das Ziel zu nennen, Señorita.«
   Josefa sah, daß Sternau so nicht zu fassen war. Er sagte ihr zwar keine direkte Unwahrheit, aber er gab ihr auch die gewünschte Auskunft nicht. Sie stand eben im Begriff, eine neue Frage zu formulieren, als Helmers eintrat. Dies war Sternau sehr lieb. Er konnte sich somit auf kurze Zeit entfernen, da Helmers als Seemann genug Spanisch gelernt hatte, um sich leidlich verständlich machen zu können. Er stellte daher den Seemann vor und entfernte sich unter einem schnell gesuchten Vorwand.
   Dann eilte er zu dem Lord, bei dem er Amy und Mariano fand.
   »Was bringen Sie?« fragte ersterer. »Sie treten ja in einer ganz besonderen Eile ein.« – »Ich bringe Ihnen die Bestätigung meiner gestrigen Mutmaßung; Cortejo ist da.« – »Unmöglich! Bei Ihnen?« – »Ja, er und seine Tochter.«
   Der Lord schüttelte den Kopf und entgegnete lachend:
   »Und Sie haben beide sitzenlassen?« – »Nein, Helmers ist bei ihnen. Ich komme nur, um Ihnen eine Bitte vorzutragen.« – »Sprechen Sie!« – »Laden Sie die beiden zum Frühstück ein.«
   Der Lord machte ein sehr erstauntes Gesicht.
   »Die beiden Cortejos?« fragte er. »Ich nehme an, daß Sie im Scherz sprechen.« – »O nein, ich spreche im vollsten Ernst. Zwar sehe ich, daß auch Miß Amy sich über meine Bitte wundert, aber ich ersuche dennoch um die Erlaubnis, sie aufrechterhalten zu dürfen.« – »Aber, beim Teufel, aus welchem Grund denn?« fragte Lindsay. »Dieses Geschmeiß ist mir so verhaßt und widerwärtig, daß ich es gar nicht sehen mag!« – »Ich muß wissen, welchen Eindruck der Anblick Marianos auf dasselbe macht.« – »Ah so, das ist etwas anderes! Aber so nehmen Sie ihn doch mit hinüber zu ihnen.« – »Nein, Mylord. Sie beide sollen ja Zeugen dieses Eindrucks sein!«
   Der Lord nickte leise vor sich hin, und da er jetzt auch auf dem Angesicht seiner Tochter die Gewährung von Sternaus Bitte las, so erwiderte er:
   »Gut, das kann von Wert für uns sein. Sie mögen also zum Frühstück kommen.« – »Aber ich kann sie nicht einladen, Mylord!« meinte Sternau. – »Hm, auch das noch! Nun wohl, gehen Sie in Gottes Namen; ich werde das besorgen.«
   Sternau kehrte in sein Zimmer zurück, wo er jetzt von unbequemen Fragen verschont blieb, da die Anwesenheit des Seemanns dem Gespräch eine allgemeine Richtung gab. Nach einiger Zeit trat der Lord ein. Sich den Anschein gebend, als ob er geglaubt habe, Sternau allein zu treffen, und als sei er von der Anwesenheit Cortejos und Josefas gar nicht unterrichtet, begrüßte er sie mit vornehmer Freundlichkeit, blieb einige Zeit und lud sie dann ein, am Frühstück mit teilzunehmen, was sie bereitwilligst annahmen.
   Nach kurzer Zeit versammelte man sich im Speisesalon. Es waren alle da, und nur Marianos Stuhl war unbesetzt; dennoch aber wurde begonnen, und ein lebhaftes Gespräch würzte die reichlich aufgetragenen mexikanischen Delikatessen.
   Da, nach einer ziemlichen Weile erst, trat Mariano ein. Man hatte Cortejo und seine Tochter so placiert, daß sie ihn jetzt nicht sofort sehen konnten. Erst als er näher trat und sich bei seinem leeren Stuhl, der neben dem Sitz Cortejos stand, aufstellte, merkte der letztere, daß ein neuer Gast eingetreten sei, und blickte auf. Kaum aber hatte er in das Gesicht Marianos gesehen, so fuhr er erschrocken von seinem Stuhl empor und rief:
   »Graf Emanuel!«
   Sein Gesicht war bleich geworden, und seine Augen standen weit geöffnet. Auch seine Tochter hatte sich erhoben und starrte Mariano an. Es befand sich im Palast der Rodriganda ein Bild aus des Grafen Emanuel Jugendzeit, und diesem Bild glich der junge Mann so genau, daß auch Josefa erschrak.
   »Sie irren«, sagte Sternau. »Dieser Herr ist nicht Graf Emanuel de Rodriganda, sondern der Leutnant des Lautreville, nach dem Sie mich gestern fragten.« – »Sie scheinen überhaupt ältere Personen mit jüngeren gern zu verwechseln«, bemerkte der Lord. »Gestern hielten Sie Herrn Sternau für den Herzog von Olsunna und heute den Leutnant für einen Grafen Rodriganda. Das ist merkwürdig!«
   Jetzt endlich hatten sich die beiden wieder gefaßt.
   »Verzeihung!« sagte Cortejo. »Es liegt hier eine kleine Ähnlichkeit vor, die mich irreführte und nicht daran denken ließ, daß die Jahre vergehen.« – »Und mich hast du förmlich erschreckt!« entschuldige sich Josefa. – »Sie sagen, es liege eine Ähnlichkeit vor zwischen dem Leutnant und dem Grafen Emanuel?« fragte Lindsay. – »Allerdings, Mylord.« – »So gab es wohl auch wirklich eine Ähnlichkeit zwischen Señor Sternau und dem Herzog von Olsunna?« – »Sogar eine frappante.« – »Haben Sie den Herzog gekannt?« – »Sehr genau. Mein Bruder war Haushofmeister bei ihm. Darf ich vielleicht Señor Sternau fragen, wo er geboren ist?« – »In Mainz«, antwortete der Gefragte. – »Wunderbar! Eine solche Ähnlichkeit zwischen Angehörigen ganz verschiedener Nationalitäten! Es ist der reine Zufall. Ihr Vater war gewiß auch Arzt wie Sie?« – »Nein. Er starb als Professor und war früher in Spanien Erzieher gewesen.«
   Der Frage warf seiner Tochter einen Blick zu, den nur sie verstand, und dann bewegte sich das Gespräch wieder in einem gewöhnlicheren Gleise.
   Während des weiteren Verlaufs ruhten die Augen Josefas fortwährend auf Mariano und Amy. Als das scharfsinnige Mädchen die Herzensverwandtschaft, die zwischen beiden bestand, bemerkte, zog ein nie geahntes Gefühl ihr das Herz zusammen.
   Wie oft hatte sie vor dem Bild des Grafen Emanuel gestanden! Sie hatte es als einen Inbegriff männlicher Schönheit zu betrachten gelernt, ihre Phantasie hatte sich mit demselben beschäftigt, sie hatte von diesen Zügen geträumt und es sich als das größte Glück vorgestellt, von einem solchen Mann geliebt zu sein. Und nun saß das Ebenbild dieses Gemäldes ihr gegenüber. Das waren ganz genau dieselben Züge. Josefa hätte aufjauchzen mögen vor Wonne, ihr Traumbild verkörpert zu sehen. Sie fühlte in diesem Augenblick, daß Graf Alfonzo ihr vollständig gleichgültig sei, sie erkannte, daß es eine Liebe gibt, die in einem einzigen Augenblick kommt und siegt. Sie verschlang die Züge Marianos förmlich und konnte sich nur gezwungen von diesem Anblick trennen, als das Frühstück beendet war.
   Als sie mit ihrem Vater nach Hause gekommen war, sagte er:
   »Weißt du nun, woran du bist?« – »Nun?« fragte sie wie abwesend. – »Dieser Leutnant ist der echte Graf Alfonzo.«
   Sie nickte schweigend.
   »Sternau hat ihn befreit.« – »Wahrscheinlich.« – »Aber wie und wo? Was ist aus Landola und seinem Schiff geworden?« – »Ich weiß es nicht.«
   Cortejo bemerkte in seinem Eifer das eigentümliche Verhalten seiner Tochter gar nicht und fuhr höchst zornig fort:
   »Und wie habe ich mich blamiert! Erst gestern abend, und dann heute! So eine zweimalige Verwechslung. Aber die Ähnlichkeit war zu groß. Und, Josefa, weißt du, wer jener Sternau ist?« – »Ein ganz ungewöhnlicher und bedeutender Mensch!« – »Das mag sein, aber ich meine etwas anderes. Erinnerst du dich, was Gasparino vom Herzog von Olsunna schrieb?« – »Meinst du die Liaison mit der Gouvernante?« – »Ja. Nun, diese Gouvernante ging mit einem deutschen Erzieher in ihr Vaterland zurück, und dieser Erzieher – caramba, es fiel mit vorhin wie Schuppen von den Augen – dieser Erzieher hieß Sternau. Ich hörte den Namen von meinem Bruder.«
   Josefa sah ihren Vater fragend an und erwiderte:
   »Nun, was weiter?« – »Was, weiter?« rief er ganz ereifert. »Was ist‘s denn mit dir, Mädchen? Hast du denn deine Gedanken verloren, he? Was weiter? Dieser Sternau ist der Sohn, und noch dazu der einzige Sohn des Herzogs von Olsunna!«
   Jetzt erst wurde Josefa aufmerksam.
   »Du phantasierst wohl?« fragte sie. – »Das fällt mir gar nicht ein. Ich muß noch einen Brief von Gasparino da haben, in dem er auf jenes Abenteuer zurückkommt. Ich werde ihn sogleich suchen.«
   Damit eilte Cortejo fort. Josefa aber warf sich in die Hängematte und blickte lange sinnend ins Leere. Ihre Eulenaugen bekamen einen milderen Ausdruck, ihre bleichen Wangen röteten sich, und endlich erhob sie sich wieder und schritt hinauf in das Bibliothekzimmer ihres Vaters, wo das Jugendbild des Grafen Emanuel an der Wand hing. Sie nahm es herab, trat damit an das Fenster und betrachtete es.
   »Es gleicht ihm aufs Haar«, sagte sie leise. »Oh, was ist Alfonzo gegen ihn! Was ist der falsche gegen den echten Rodriganda!«
   Ohne es zu wissen, drückte sie ihre Lippen auf das Bild.
   »Wie erschrak ich, als ich ihn erblickte!« dachte sie laut. »Es gab mir einen Stich durch das Herz, aber dieser Stich tat nicht weh, er brachte keinen Schmerz. Und dann, als er sprach, da drang seine Stimme mir bis in die Tiefe meiner Seele. Was war das? War das etwa die Liebe?«
   Und abermals drückte sie ihre Lippen auf das Bild.
   »Und er saß neben dieser blonden Amy, und er hatte sie lieb! Ihre Augen suchten und fanden sich in jedem Augenblick. Ihre Hände begegneten einander unter dem Tisch; ich habe es gesehen. Da gab es mir abermals einen Stich durch das Herz; aber dieser Stich tat weh, er brachte mir Schmerz. War das die Eifersucht?«
   Josefas Blick senkte sich inniger und inniger auf das Bild.
   »Gibt es wirklich eine Liebe, die keine Jahre, keine Monate und Wochen braucht, um zu entstehen? Gibt es eine Liebe, die beim ersten Blick erwacht und dann nimmer wieder vergehen und sterben kann? Ja, es gibt eine solche, es gibt eine, ich fühle es. Und diese Liebe ist bei mir erwacht, für ihn, der dir gleicht, du süßes, süßes Angesicht!«
   Sie küßte wieder und immer wieder das Bild, bis eine Stimme sie aus ihrer Verzückung weckte. Ihr Vater war unbemerkt eingetreten und rief verwundert:
   »Josefa, Mädchen, was machst du? Was fällt dir ein? Ich glaube gar, du küßt das alte Bild! Willst du es gleich wieder an den Nagel hängen!«


   7. Kapitel

   Von diesem Tag an ging eine eigentümliche Veränderung mit Josefa Cortejo vor. Sie war für ihren Vater nur wenig zu sprechen. Aber ihr Mädchen erzählte ihm, daß die Señorita stets am Spiegel stehe, um sich zu schmücken, dann aber immer wieder die Blumen und den Schmuck herabreiße und dabei zornig ausrufe:
   »Wie häßlich, wie häßlich! Kein Gold, kein Stein, keine Rose macht das anders!«
   Und wenn Cortejo sich nach dem Zimmer seiner Tochter schlich, so hörte er sie sprechen, als ob jemand bei ihr sei; aber er wußte, daß sie allein war. Und legte er dann lauschend das Ohr an die Tür, so hörte er sie sagen:
   »Oh, wie lieb, wie so lieb habe ich dich. Komm, küsse, o küsse mich!«
   Und wenn er wiederkam und horchte, so vernahm er sie zornig sprechen:
   »Unbarmherziger, ich töte dich, ich erwürge dich! Ich hasse dich, denn du hast mir das Herz aus der Brust gerissen!«
   Er wußte gar nicht, was er sich dabei denken sollte. Darum erzwang er sich einmal Zutritt zu ihr, um ernstlich mit ihr zu reden. Er fand sie vor dem Spiegel stehen. Sie hatte sich ganz dekolletiert angekleidet und musterte sich, ob sie schön sei. Aber ihre hageren Arme, ihr dürrer Hals, ihr scharfer Nacken traten nur um so häßlicher hervor.
   »Was tust du hier?« fuhr er sie zornig an. »Ich glaube gar, du bist von Sinnen!«
   Josefa wandte sich schnell um und warf, als sie ihn erblickte, errötend ein Tuch über.
   »Was ich tue, ich probiere meine Toilette an«, entschuldigte sie sich. – »Das soll eine Toilette sein? Wo willst du dich so zeigen?« – »Ich war ja noch nicht fertig. Ich will heute zur Fantasia gehen.« – »Ah, endlich ein vernünftiges Wort! Also ausgehen willst du? Und zwar zur Fantasia? Das ist gut. Die ganze Noblesse wird zugegen sein. Der erste Preis besteht in einem kostbaren Reitzeug, das die Gräfin Montala dem Sieger übergeben wird.« – »Die Gräfin Montala? Warum diese? Gibt es keine andere?« – »Sie ist die Schönste. Oder willst du die Preise verteilen?« fragte er.
   Josefas Augen glühten zornig, aber sie biß die Zähne zusammen und wandte sich ab.
   »Hast du dir überlegt, was ich dir gestern sagte?« fuhr er fort. – »Nein«, entgegnete sie kalt. – »Warum nicht?« – »Ich habe keine Zeit.« – »Keine Zeit!« rief er zornig. »Wann hast du jemals keine Zeit gehabt, dich mit unseren Feinden zu beschäftigen? Vorhin habe ich es erfahren, wann sie abreisen.«
   Bei diesen Worten drehte sie sich im Nu zu ihm herum und fragte mit bebender Stimme:
   »Wann reisen sie?« – »Übermorgen.«
   Es war, als ob ihr blasses Gesicht noch blässer werde, aber sie bezwang sich und erwiderte kalt:
   »So mögen sie!« – »Was? So mögen sie? Wir sollen den wirklichen Grafen Rodriganda entkommen lassen?« – »Der falsche bringt uns auch keinen Nutzen.« – »Das sollst du nicht sagen! Ich habe dir ja gestern wieder versprochen, daß er dich heiraten soll. Ich werde an meinen Bruder schreiben.« – »Warte noch.« – »Bis wann?« – »Bis übermorgen.«
   Cortejo schüttelte den Kopf. Er verstand sie nicht; sie war ihm ein Rätsel.
   »Also gehst du zur Fantasia?« erkundigte er sich. – »Ja.« – »Ich begleite dich.« – »Ich gehe allein.«
   Er schüttelte abermals den Kopf und hielt es für das beste, sich zurückzuziehen. Kaum aber war er fort, so riegelte sie die Tür hinter ihm zu, warf das Tuch ab und begann, sich Hals, Busen, Stirn und Nacken mit Puder zu bestreichen und auf die Wangen Rot zu legen. Sie wollte sehen, ob sie auf diese Weise schöner werden könne.
   Da klopfte es leise an die Tür.
   »Wer ist da?« fragte sie. – »Amaika.«
   Sofort sprang Josefa zur Tür und öffnete. Es trat eine alte Indianerin ein. Sie diente im Haus und genoß das Vertrauen der Señorita, deren eigentliches Mädchen für eine Plaudertasche galt. Josefa schloß wieder zu, stellte sich vor den Spiegel und sagte:
   »Amaika, sieh mich an! Bin ich schön oder häßlich?«
   Die Alte schlug die Hände zusammen und antwortete:
   »Häßlich? O Madonna, wie können Sie häßlich sein. Schön, sehr schön sind Sie!« – »Meinst du das wirklich?« – »Ja, bei meiner armen Seele!« beteuerte die heuchlerische Alte. – »So hat der Puder also wirklich geholfen? Soll ich die Wangen noch mehr röten?« – »Nein, Señorita. Sie sehen so recht zart und lieblich aus. Man muß Sie lieben.« – »Man, ja man, aber er nicht.« – »Er?« lächelte die Indianerin. »Er wird Sie umarmen und küssen, wenn Sie so wie jetzt heute abend nach der Fantasia zu ihm treten. Sie sind ja so reizend, daß er gar nicht widerstehen kann.« – »Aber ob er kommen wird?« fragte sie, sich geschmeichelt fühlend. – »Er wird kommen.«
   Diese Worte wurden in einem so bestimmten Ton ausgesprochen, daß diese Sicherheit Josefa auffiel. Sie wandte sich daher rasch zu der Indianerin und fragte:
   »Weißt du das genau?« – »Sehr genau, Señorita. Ich wache über Ihnen und tue alles, um Sie glücklich zu sehen.« – »Wer sagte das?« – »Dieser Zettel.«
   Dabei zog die Alte einen gedruckten Zettel aus der Tasche und reichte ihn Josefa hin.
   Die hervorragenden Bewohner Mexikos pflegen von Zeit zu Zeit wilde Kampfspiele zu veranstalten, bei denen oft ganz bedeutende Preise erstritten werden. Sie finden gegen Abend statt, wenn die Sonnenhitze nicht mehr so drückend ist, und dann folgt am Abend noch eine Maskerade, an der sich alles beteiligen kann, was Lust und Freude an dergleichen Dingen findet. Die höchsten Señores beteiligen sich an diesen Kampfspielen, die oft wirklich lebensgefährlich sind, und auch jeder anständige Fremde wird zur Arena gelassen, natürlich mit den Waffen, für die er sich entscheidet.
   Ein solches Kampfspiel wird Fantasia genannt, und heute abend sollte eines derselben stattfinden. Der Zettel, den die Alte gebracht hatte, enthielt die Namen derer, die mit kämpfen wollten.
   Josefa las diese Namen der Reihe nach leise, zwei aber laut, und zwar folgende:
   »Señor Carlos Sternau für Lasso, Büchse, Degen und Dolch. Señor Alfred de Lautreville für Büchse, Degen und Dolch. – Ah, ich wußte es, er ist ein Held!« sagte sie. »Er kämpft nicht nur mit einer Waffe, sondern mit drei, er wird einen Preis gewinnen. Oh, wenn er denselben aus meiner Hand erhalten könnte!«
   Die Indianerin machte ein sehr verschmitztes Gesicht.
   »Das kann er ja«, sagte sie. – »Inwiefern? Die Gräfin Montala teilt ja die Preise aus.« – »Diese Preise, ja. Aber können Sie ihm nicht auch einen Preis geben?«
   Josefa errötete und fragte:
   »Welchen?« – »Einen Kuß, eine Umarmung, eine recht innige und zärtliche.« – »Vielleicht. Du wirst mich begleiten und dafür sorgen, daß ich ihn finde.«
   Damit war die Alte von Herzen einverstanden, und beide trafen ihre Vorbereitungen für den genußreichen Abend.
   Auch im Palazzo des Lords Lindsay traf man Vorbereitungen, denn da Mariano sich wieder erholt hatte, da seine Augen wieder leuchteten, seine Wangen sich gefüllt und frisch gerötet hatten und er ein Pferd mit derselben Sicherheit wie früher tummeln konnte, hatte er sich entschlossen, an der Fantasia teilzunehmen, und Sternau hatte ihm versprochen, das gleiche zu tun.
   Sternau war übrigens in den letzten Tagen sehr einsilbig und nachdenklich gewesen, und zwar infolge eines kurzen Gesprächs. Am Abend nach jenem Frühstück, an dem die beiden Cortejos teilgenommen, hatte ihn nämlich der Lord unter vier Augen gefragt:
   »Herr Sternau, was sagen Sie zu dem Herzog von Olsunna?« – »Sie meinen zu der Verwechslung?« – »Ja, und zu Ihrer Ähnlichkeit mit ihm?« – »Das ist ein seltenes und interessantes Naturspiel, weiter nichts.« – »Ich finde es auffällig. Ihr Vater war aus Deutschland?« – »Ja.« – »Und Ihre Mutter?« – »Auch sie.« – »Sprachen Sie nicht vorgestern mit Mariano davon, daß Ihre Mutter in Spanien Erzieherin gewesen sei?« – »Das ist sie allerdings gewesen.« – »Nun, mein Freund, ich will das Andenken Ihrer Mutter nicht entheiligen, aber aus Zufall scheinen keine solchen Ähnlichkeiten zu entstehen. Denken Sie nach!«
   Und Sternau hatte nachgedacht. Aber dieses Nachdenken war ihm wie eine Sünde gegen die Mutter erschienen; er hatte gegen die aufkeimenden Gedanken gekämpft, war ihrer aber doch nicht völlig Meister geworden, und um sich zu zerstreuen, war er gern bereit, an der Fantasia mit teilzunehmen.
   Der Nachmittag rückte heran, und Tausende zogen hinaus auf die Ebene, wo eine Arena für die Kämpfer abgesteckt worden war. An einem bestimmten Ort versammelten sich die Kämpfer und ritten dann hinaus. Als ihr Zug den Platz erreichte, tönte ihnen ein donnernder Zuruf entgegen, und manches Frauenauge leuchtete den Gestalten der Tapferen glühend entgegen, die sich nicht scheuten, ihre Geschicklichkeit im Kampf zu messen.
   Auf einem Balkon saßen die Preisrichter, umgeben von einem reichen Flor stolzer, schöner Frauen und Mädchen. Unter diesen befand sich auch Gräfin von Montala, die schönste Witwe des ganzen Landes. Sie war umworben und angebetet von vielen, aber keiner von ihnen konnte Gnade finden vor ihren Augen. An ihrer Seite saß eine Freundin, die aus Morelia herbeigekommen war, die Kampfspiele mit anzusehen.
   Soeben nahte der Zug der Streiter, alle ohne Unterschied in die reiche, mexikanische Tracht gekleidet. Da stieß die Freundin die Gräfin an und fragte:
   »Dios, wer ist der Ritter, der dort auf dem Rappen soeben durch den Eingang reitet?« – »Hast du ihn noch nicht gesehen?« fragte die Gräfin wieder. – »Nie.« – »Ja, ja, du warst seit drei Wochen nicht in der Hauptstadt.«
   Die schöne Gräfin verfolgte den Reiter mit glühenden Blicken und vergaß dabei, der Freundin Antwort zu geben.
   »Nun?« erinnerte diese. – »Er ist ein Deutscher«, klang die kurze Antwort.
   Die Freundin blickte die Gräfin forschend an, lächelte heimlich und sagte:
   »Ein Deutscher! Ist das alles, was du von ihm weißt?« – »Er ist der Gast des englischen Gesandten.« —»Lord Lindsays? – »Ja.« – »So ist er nicht von gewöhnlichem Stand, denn Lindsay ist exklusiv.« – »Im Gegenteil, er ist Arzt« – »Und heißt?« – »Auf der Kampfliste steht Carlos Sternau.«
   Wieder lächelte die Freundin.
   »Auf der Kampfliste? Du hast den Namen früher nicht gekannt und gehört?« – »Gehört, aber wieder vergessen.« – »Wohl dir!« – »Warum?« – »Ich glaubte, wer diesen Mann einmal gesehen hat, der könne ihn nie vergessen. Dir ist dies wenigstens mit dem Namen gelungen. Sieh diese Gestalt!« – »Zu massiv, viel zu massiv.«
   Die Freundin lächelte zum dritten Mal heimlich.
   »Das ist Sache des Geschmacks«, sagte sie. – »Ich traue seiner starken Figur keine Gewandtheit zu. Und ein Deutscher, wie kann er sich in Lasso und Dolch mit einem Mexikaner messen! Die Deutschen sind zu zahm. In Büchse und Degen mögen sie einige Übung haben.« – »Du tadelst ihn, folglich ist er dir gefährlich!« – »Pah!« entgegnete die Gräfin stolz. Dabei folgte ihr Auge aber unverwandt der stattlichen Gestalt Sternaus. – »Und wer ist der Señor an seiner Seite?« fragte die Freundin. – »Ein Freund des Deutschen und ebenso Gast des englischen Gesandten. Er ist Offizier und nennt sich Alfred de Lautreville.« – »Du scheinst diese Fremden genau zu kennen?« – »Was willst du? Die ganze hiesige Damenwelt ist vernarrt in sie.« – »Natürlich außer dir!« – »Ich bestreite das nicht. Man ist gefeit gegen das, was andere Liebe nennen. Ich danke!«
   Nachdem jeder der Kämpfer seinen Platz eingenommen hatte, begann das Spiel. Zunächst wurde mit dem Degen gekämpft, immer zwei gegen zwei, und dann kämpften die Sieger gegeneinander. Sternaus Klinge konnte keiner widerstehen, und Marianos Gewandtheit war jedem gewachsen. So kam es, daß beide um den Preis kämpfen sollten, Sternau aber wehrte ab und trat freiwillig zurück.
   »Siehst du«, sagte die Gräfin zu ihrer Freundin, »seine rohe Kraft fürchtet sich vor der Gewandtheit des Freundes. Er wird keinen Preis erlangen.«
   Nun kam der Dolch an die Reihe. In dieser Waffe besitzt der Mexikaner eine ganz bedeutende Übung. Hier konnte es ohne Wunden gar nicht abgehen. Viele bluteten, andere traten zurück. Nur einer war nicht einmal geritzt worden, nämlich Sternau. Er blieb Sieger.
   »Nun, fehlt es ihm noch immer an Gewandtheit?« fragte die Freundin. – »Zufall!« – »Wenn einer mit zwanzig kämpft und Sieger bleibt, nennst du dies Zufall?«
   Die Gräfin schwieg, denn jetzt wurden die Pferde bestiegen, um die Lassos schwingen zu können. Es ritten je zwei auf den Schauplatz, von denen der eine den anderen vom Pferd zu reißen suchte. Die Besiegten ritten dann zurück, und nur die Sieger hielten sich bereit, um miteinander zu kämpfen.
   Der Freundin schien es Spaß zu machen, die Gräfin zu necken.
   »Glaubst du, daß der Deutsche einen Lasso führen kann?« fragte sie. – »Nein.« – »Dann wäre es unklug von ihm, sich mit den anderen messen zu wollen.« – »Der Preis, den er jetzt errungen hat, macht ihn trunken und unvorsichtig.« – »Hm, so war er bereits trunken und unvorsichtig, ehe er diesen Preis erhielt, denn er war ja schon damals entschlossen, mit dem Lasso zu kämpfen.«
   Die Entscheidung ließ dieses Mal lange auf sich warten, und als sie endlich gefallen war, hatte sich wieder Sternau den Preis errungen. Er hatte nicht ein einziges Mal im Sattel gewankt, es hatte ihn kein einziger Lasso fassen können, er aber hatte alle Gegner vom Pferd gerissen.
   Der vierte Gang mit den Büchsen begann. Es wurden Scheiben aufgestellt. Auch hier besiegte Sternau alle anderen. Als er den Entscheidungsschuß getan hatte, zog ein großer, weißköpfiger Geier hoch droben durch die Luft. Sternau deutete stumm nach dem Vogel empor und lud seine Büchse.
   Ein dumpfes Murmeln ließ sich hören. Kein Mensch glaubte, daß eine Kugel den Vogel erreichen könne, aber schon krachte Sternaus Schuß, und der Geier fiel in einer engen Spirallinie zur Erde herab. Ein lauter, tausendstimmiger Jubelruf belohnte den Meisterschuß.
   Nun nahten sich die Sieger der Tribüne. Was keiner vorher gedacht hatte, es waren nur zwei, und zwar zwei Fremde. Die mexikanische Tracht saß ihnen ebensogut wie den Einheimischen, und als sie jetzt die Preise in Empfang nahmen, verbeugten sie sich mit solchem ritterlichen Anstand, als ob sie gewohnt seien, sich alle Tage aus schönen Händen einen Preis zu erringen.
   Jetzt war das Kampfspiel vorüber, und der Maskenscherz begann. Die Sitte verbot nur den beim Kampf beteiligt Gewesenen das Tragen einer Verkleidung. Sternau und Mariano hatten ihre Pferde und Preise einem Diener des Lords übergeben und schlenderten auf dem Lustplatz umher, wurden aber später getrennt.
   Zwei der Kämpfer standen nebeneinander und besprachen den Erfolg des heutigen Spiels. Sie waren voller Wut, daß die beiden Fremden die Ehre des Tages hinweggenommen hatten.
   »Was meinst du, Gonzalvo«, sagte der eine, »ist es überhaupt richtig, daß man Fremde zuläßt?« – »Nein, zumal solche Elefanten, denen kein Mensch widerstehen kann. Wenn es mir einfällt, versetze ich diesem Señor Sternau einen kleinen Stich in den Rücken, an dem er genug haben soll.« – Ich bin dabei, aber woher nehmen wir das Geld, um uns die Absolution für eine solche Tat bei den frommen Patres zu erkaufen?« – »Das ist‘s, was auch mir Bedenken macht, sonst säße ihm mein Dolch bereits im Leib. Es ist nichts Kleines, mit dem Mord auf dem Gewissen dereinst in jene andere Welt zu gehen.«
   In ihrer Nähe hatte eine andere Maske gestanden, der diese halblaut geführte Unterhaltung nicht entgangen war. Jetzt trat sie näher und fragte:
   »Wieviel wird die Absolution bei den frommen Patres kosten, Señores?« – »Was geht das Euch an?« fuhr ihn Gonzalvo an. – »Vielleicht sehr viel.« – »Warum?« – »Weil ich Euch die Summe schenken will.« – »Alle Teufel. Ist das wahr?« – »Ja«, nickte die Maske. – »Wer seid Dir denn?« fragte Gonzalvo. – »Das tut nichts zur Sache. Ich ärgere mich gerade so wie Ihr, daß dieser Mensch uns Mexikanern den Preis fortnimmt. Stecht den Frechen nieder; die Absolution bezahle ich.« – »Das wird aber ein hübsches Sümmchen sein, Freund!« – »Wieviel?« – »Fünfzig Pesos für uns beide.« – »Ich gebe Euch hundert, wenn dieser Sternau in einer Stunde fertig mit dem Leben ist.« – »Wann gebt Ihr sie?« – »Sofort nach der Tat.« – »Und wo?« – »Wo es Euch paßt und gefällt.« – »Das klingt ganz gut. Aber wenn das Werk vollbracht ist, und Ihr wollt nicht zahlen, dann können wir nichts tun!« – »So stecht Ihr mich nieder!« – »Kennen wir Euch? Nehmt für einen Augenblick die Larve ab!«
   Die Maske tat, wie ihr geheißen wurde, und die Männer blickten ihr in das Gesicht.
   »Ah«, sagte Gonzalvo, »ich kenne Euch, Señor Cortejo; Ihr betrügt uns nicht. Wir werden unser Werk tun und uns den Lohn morgen holen.«
   Die beiden Männer gingen Arm in Arm weiter und ließen Cortejo stehen.
   Es klingt unglaublich, daß ein solcher Handel so schnell abgeschlossen werden konnte, aber wer in Mexiko gelebt hat, der weiß, daß dies gar keine Seltenheit ist.


   8. Kapitel

   Mariano hatte, als er Sternau verlor, sich wacker in das Menschengewühl gestürzt. Er freute sich seiner wiedererlangten Körperfrische und wandte sich infolgedessen immer nur solchen Gegenden zu, wo es Mühe kostete, sich durch die Menge hindurchzuarbeiten. Da wurde plötzlich seine Hand erfaßt, und er sah an seiner Seite eine weibliche Maske, die ihn mit sich zog. Das schien ein Abenteuer zu bedeuten, und so folgte er ihr.
   Als sie das Gedränge hinter sich hatten, führte sie ihn zu dem eingefallenen Gemäuer einer Wasserleitung.
   »Setzt Euch, Señor«, sagte sie, »ich habe mit Euch zu reden.«
   Er folgte aus Höflichkeit diesem Befehl und lehnte sich mit dem Rücken bequem an einen emporragenden Mauerteil.
   »So, Señorita«, sagte er. »Ich bin Euch gehorsam, nun seid auch gefällig und sagt mir, was Ihr von mir begehrt.« – »Ich will Euch eine Frage vorlegen«, antwortete sie. – »So sprecht!« – »Darf ich mich zuvor neben Euch setzen?« – »Ja.«
   Sie setzte sich an seiner Seite nieder und machte dabei einiges Geräusch, infolgedessen die beiden ein anderes Geräusch auf der anderen Seite der Mauer nicht vernahmen.
   Lord Lindsay war nämlich auch auf den Gedanken gekommen, sich zu maskieren. Er hatte Mariano bemerkt und ihn ein wenig necken wollen. Noch aber hatte er ihn nicht ganz erreicht, als sich die weibliche Maske des jungen Mannes bemächtigte. Das gab eine willkommene Gelegenheit, sich über den Charakter Marianos aufzuklären. Ging er ohne weiteres auf ein Liebesabenteuer ein, so war er Amy nicht wert. Darum folgte Lindsay ihm nach und versteckte sich, als er sah, wo die beiden sich niedersetzten, an der anderen Seite der Mauer, wo er jedes Wort vernehmen konnte.
   »Nun, so beginnt, Señorita«, hörte er jetzt Mariano sagen. – »Schwört mir zuvor, daß Ihr mir unter keiner Bedingung die Larve abnehmen wollt, Señor.« – »Seid Ihr so häßlich, daß man Euch nicht ansehen darf?« – »Das ist es nicht Ich will nicht erkannt sein, außer ich erlaube es Euch.« – »Nun wohl, ich gebe Euch mein Wort.« – »Nicht Euer Wort, sondern Euren Schwur!« – »Gut, also meinen Schwur. Nun aber dürft Ihr auch beginnen.« – »Sagt einmal, habt Ihr eine Braut, Señor?« – »Nein.« – »Oder eine Geliebte?« – »Ist Euch das so notwendig zu wissen?« – »Ja. Was ich Euch sagen will, ist von der allergrößten Wichtigkeit für Euch.« – »Das klingt sehr bestimmt. Na, ich kann ja ohnedies aufrichtig sein. Ja, ich habe eine Geliebte.« – »Und Ihr seid ihr von ganzem Herzen gut?« – »Ich mag ohne sie gar nicht leben.«
   Ein langer, tiefer Seufzer quoll da unter der Larve hervor, dann fragte die Maskierte weiter:
   »Ihr würdet unter keiner Bedingung von ihr lassen?« – »Unter keiner.« – »Aber sie ist ja nur Eure Verlobte, Braut oder Frau noch nicht.« – »Das ist egal. Ich habe ihr in meinem Herzen Treue geschworen, und diesen Schwur werde ich halten.« – »Ihr würdet sie auch nicht verlassen um eines großen Vorteils willen?« – »Fällt mir nicht ein.« – »Und wenn es sich nun um Glück und Leben handelt?« – »Mein Glück gehört ihr und mein Leben Gott, ich halte meinen Schwur.«
   Da schwieg die Maske, und wieder ließ sich der vorige lange, tiefe Seufzer hören. Dann sagte sie in einem energischeren Ton:
   »Ich will glauben, daß Ihr jetzt so denkt, später aber wird es anders. Ich habe mir vorgenommen, aufrichtig zu sein, und so will ich Euch sagen, daß ich Euch liebe.« – »Alle Wetter«, entgegnete er überrascht, »so soll ich meine Geliebte Euretwegen verlassen?« – »Ja.« – »Das geht nicht.« – »Warum nicht?« – »Weil ich sie liebe und nicht Euch.« – »Ihr kennt mich nicht, vielleicht bin ich schöner als sie.« – »Möglich, aber nicht wahrscheinlich.« – »Und reicher.« – »Ist gleichgültig.« – »Von edlerer Geburt und besserem Charakter.« – »Das ist unmöglich.« – »Ihr würdet mich sicher lieben.« – »Ich würde Euch hassen und mich verachten, daß ich meinen Schwur gebrochen habe.«
   Sie schien eine ganze Weile nachzusinnen, dann bat sie mit sanfter Stimme:
   »Gebt mir einmal Eure Hand.« – »Hier.«
   Sie ergriff seine Hand und schob sie unter den Mantel.
   »Greift an mein Herz, Señor«, bat sie, »Und fühlt, wie es für Euch schlägt!« – »Caramba, was fällt Euch ein!« rief er da. »Euren Mantel will ich wohl angreifen, aber nichts weiter. Sprecht um Gottes willen nicht davon, daß Ihr ein braves, ehrliches Mädchen seid.«
   Nun zuckte sie zusammen und antwortete in halb zornigem Ton:
   »Ich bin es! Was ich tue, das tue ich nur, weil ich Euch glühend liebe.« – »So tut Ihr mir leid, denn ich kann Euch wahrlich nicht helfen.« – »So werde auch ich Euch nicht helfen.«
   Sie sprach das in einem Ton, der seine Aufmerksamkeit erregte.
   »Ich wüßte auch nicht, in welcher Angelegenheit Ihr mir helfen wolltet«, sagte er. – »Oh, in einer höchst wichtigen«, versetzte sie. – »Ah! Darf ich es wissen?« – »Ja. Ihr nennt Euch Alfred de Lautreville, aber Ihr seid es nicht.«
   Er stutzte und fragte:
   »Wer bin ich denn?« – »Euer richtiger Name würde Alfonzo de Rodriganda sein.«
   Da faßte er sie schnell beim Arm, bog sich zu ihr herab und sagte:
   »Weib, was sprichst du da? Woher weißt du das? Wer bist du?«
   Sie ließ sich den scharfen Druck seiner Hand gefallen, ohne ein Wort des Schmerzes auszustoßen, denn dieser Schmerz war ihr eine Wonne, aber sie antwortete:
   »Das fragt Ihr mich vergebens.« – »Du mußt es sagen.« – »Ich muß? Wer will mich zwingen?« – »Ich.« – »Womit?« – »Ich werde erfahren, wer du bist.« – »Ihr habt geschworen, mir die Maske zu lassen, und wie Ihr der Geliebten den Schwur haltet, werdet Ihr Euer Wort auch mir halten.«
   Jetzt ließ er ihren Arm los und sagte:
   »Ihr habt recht, ich halte mein Wort. Also Ihr wißt, wer ich eigentlich sein sollte?« – »Ja, und niemand weiß es besser als ich. Ich weiß es besser als Euer Kapitän, als Euer Sternau, als Euer Kapitän Landola, ich weiß es besser als alle, alle, alle.« – »Und du willst es mir nicht sagen?« – »Nein. Nur dem Geliebten würde ich es sagen. Verlasse dein Mädchen.« – »Nie!« – »Ist dir diese Amy wirklich lieber als eine Grafschaft?« fragte sie zornig. – »Tausendmal lieber. Aber woher kennst du den Namen Amy?« – »Das geht dich nichts an. Überlege dir, was du tust! Ich gebe dir eine Bedenkzeit von zehn Minuten. Es handelt sich nicht nur um dich, sondern auch noch um andere. Vielleicht lebt dein Vater noch und ebenso dein Oheim Ferdinando.«
   Mariano fuhr empor.
   »Weib, bist du allwissend?« rief er erschreckt. – »In deiner Angelegenheit bin ich es. Ich habe alle Macht in meiner Hand. Es kostet mich nur ein einziges Wort, dich zu erhöhen oder zu verderben. Ich liebe dich, ich will dich besitzen, und darum biete ich dir alles für deine Liebe.« – »Du bietest mir dies alles umsonst mein Herz ist nicht mein Eigentum, ich kann es nicht verschenken.« – »So verkaufe es.« – »Was ich nicht verschenken darf, darf ich auch nicht verkaufen.«
   Sie hatte bis jetzt verhältnismäßig ruhig gesprochen, jetzt aber, als sie sah, daß all ihr Bitten und Drohen erfolglos sei, erhob sie sich und sagte mit vor Aufregung zitternder Stimme:
   »Ich habe dir die Wahl gelassen zwischen Liebe und Haß, Glück und Unglück, Himmel und Hölle. Wenn du mich annimmst, bist du innerhalb einer Woche hier als Graf Alfonzo anerkannt. Verstößt du mich, so soll deine Seele schreien und brüllen vor Schmerz. Die Bedenkzeit ist abgelaufen, jetzt wähle!«
   Auch er erhob sich.
   »Ich bleibe meinem Wort treu«, sagte er ruhig und bestimmt. – »Ist dies dein letztes Wort?« – »Mein letztes.«
   Jetzt zitterte sie vor Eifersucht, Grimm und Rachgier und sagte: »So bist du verloren, du und deine Amy.« Und dennoch fügte sie hinzu. »Entscheide dich noch einmal, entscheide dich anders.« – »Ich kann nicht anders.« – »So sei verflucht, verliebter Tor! Du sollst und wirst mich kennenlernen.« – »Ich kenne dich bereits, ich brauche dir die Larve nicht vom Gesicht zu reißen. Was du weißt, kann nur eine wissen, und was du sprichst das kann nur eine sprechen. Du bist Josefa Cortejo, die Tochter des Mörders und Betrügers.«
   Die Maske hatte bereits im Begriff gestanden zu gehen, jetzt aber drehte sie sich schnell um und sagte:
   »Ihr irrt, Señor. Ich habe mit dieser Josefa Cortejo nichts gemein.« – »O doch! Du hast alles mit ihr gemein, alles, selbst die Schönheit, mit der du mich anführen wolltest. Packe dich fort von hier!«
   Das war der schlimmste Schlag für sie. Sie blieb einen Augenblick stehen.
   »Wurm!« knirschte sie. »Zittre! Wenn du nur wüßtest, wer ich bin, so würdest zu erkennen, daß du in meine Hand gegeben bist.« – »Pah!« lachte er. »Sei froh, daß ich dir mein Wort gegeben habe, sonst würde ich dir die Larve vom Gesicht reißen!«
   Da ertönte neben ihm eine Stimme:
   »Ich werde es tun, denn ich habe ihr mein Wort nicht gegeben.«
   Im nächsten Augenblick kam eine Maskengestalt hinter der Mauer hervor und schoß auf das Mädchen zu. Josefa erkannte, in welcher Gefahr sie sich befand. Sie griff unter den Mantel und zog einen Dolch hervor. Die Klinge desselben fuhr in die Hand, die nach ihr greifen wollte, und während der Lord einen Laut des Schmerzes ausstieß und die Hand schnell an sich zog, huschte das Mädchen fort und verschwand einige Augenblicke später unter der Menge der anderen Masken.
   »Alle Teufel, sie hatte einen Dolch«, sagte Lindsay, sein Taschentuch ziehend, um damit das Blut zu stillen. – »Wer seid Ihr, Señor?« fragte Mariano ihn. —»Ein Freund von Euch.«
   Die Stimme klang hinter der Larve so dumpf, daß Mariano sie nicht erkannte.
   »Und Ihr habt unser Gespräch belauscht?« – »Von Anfang bis zu Ende.« – »Ohne Euch zu entfernen?« – »Ohne davonzulaufen. Ich kam ja zu dem Zweck her, Euch zu belauschen.« – »So seid Ihr ein Schuft.« – »Meinetwegen.« – »Und verdient eine derbe Züchtigung.« – »Ganz richtig.« – »Ich verlange, daß Ihr die Larve abnehmt.« – »Warum?« – »Weil ich sehen will, wer der Schurke ist, der sich herumschleicht, um die Geheimnisse anderer zu belauschen.« – »Das könnt Ihr leicht haben.«
   Der Lord nahm die Larve ab und hielt Mariano sein Gesicht entgegen. Mariano erkannte ihn trotz der Dunkelheit, er erschrak auf das heftigste.
   »Mylord«, rief er, »Sie sind es! Verzeihung.« – »Pah, ich bin es, dem verziehen werden muß«, entgegnete Lindsay. »Verzeihen Sie mir, daß ich Sie belauscht habe?« – »Gern, Mylord. Jeden anderen aber hätte ich gezüchtigt.« – »Das glaube ich Ihnen, Sie sind ein verteufelter Kerl! Sie steckten da in einer gewaltigen Klemme, dieses Frauenzimmer hat Ihnen die Hölle heiß gemacht. Glauben Sie wirklich, daß es die Tochter des Cortejo ist?« – »Sie war es ganz sicher.« – »Auch ich bin überzeugt davon. Leider habe ich sie nicht gefangen, und nun können wir ihr nichts nachweisen, trotz des Geständnisses, das sie Ihnen gemacht hat. Binden Sie mir doch einmal das Tuch um die Hand, ich habe eine Schmarre davongetragen.«
   Mariano verband die Wunde, dann nahm der Lord die Larve wieder vor, steckte seinen Arm in den des jungen Mannes und zog diesen mit sich fort.
   Mariano folgte ihm mit einem Gefühl des Glücks. Lindsay hatte alles gehört; er wußte nun genau, wie lieb er Amy hatte, und dieser Gedanke gab Mariano die Hoffnung, daß den Wünschen seines Herzens von jetzt an wenigstens keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegenstehen würden.
   *
   Sternau hatte sich, als er Mariano verlor, nach der anderen Seite gewandt. Er ging von Gruppe zu Gruppe und bemerkte nicht, daß ihm zwei Männer nachfolgten. Endlich war er des Lärmens müde und wandte sich dem Freien entgegen. Dort war es still. Er spazierte weiter, in Gedanken versunken.
   Er dachte an die Heimat, an das Weib seines Herzens, an den alten Oberförster, an Mutter und Schwester und merkte immer noch nicht, daß ihm zwei Gestalten nachschlichen. Endlich wollte er umkehren, warf sich aber im nächsten Augenblick, nachdem er sich umgedreht hatte, zu Boden.
   Die beiden Männer hatten nämlich nicht bedacht, daß er sie beim Umdrehen sofort erblicken müsse, da hinter ihnen der hellerleuchtete Festplatz lag und ihre Gestalten sich in der Helle desselben abzeichneten.
   Also Sternau hatte sie sofort bemerkt, und da es klar war, daß sie ihm in einer bösen Absicht folgten, so verschwand er ihnen mit jener Schnelligkeit und Geistesgegenwart, die den Mann der Prärie auszeichnen, kroch am Boden zur Seite hin und ließ sie herankommen. Sie blieben in seiner Nähe stehen und suchten das nächtliche Dunkel mit ihren Augen zu durchdringen.
   »Ich sehe ihn nicht mehr«, sagte der eine. »Und du?« – »Ich auch nicht.« – »Er muß sich gesetzt haben.« – »Oder er hat die Richtung verändert!« – »Das wäre verdammt! Kehrt er zum Platz zurück, so wird es uns schwerer, hier hätten wir so leichte Arbeit gehabt« – »Die hundert Pesos wären bald verdient. Wir müssen uns teilen, und wer ihn trifft, führt den Stoß!« – »Gut. So gehe du mehr rechts und ich mehr links!«
   Sternau überlegte, was er tun solle. Er hielt es für das klügste, sie laufenzulassen. Schlug er sie nieder und zeigte sie an, so konnte er es ihnen ja nicht beweisen, daß sie es auf ihn abgesehen gehabt hatten. So wartete er also, bis sie sich weit genug entfernt hatten, und kehrte dann nach dem Platz zurück, wo er bald Mariano und den Lord traf.
   Als er ihnen sein Abenteuer erzählte, vermuteten die beiden sofort, daß der Anschlag von Cortejo ausgehe, und hielten es für das beste, nach Hause aufzubrechen, was auch sofort geschah. Im Palazzo angekommen, wurden sie von Amy empfangen, die zwar während des Kampfes auf dem Festplatz gewesen, dann aber sofort zurückgekehrt war.
   »Da kommen die Sieger«, meinte sie freudig, die drei Männer in den Salon führend, »es ist unsere Pflicht, auf sie stolz zu sein.« – »Vor allen Dingen auf den dreifachen Sieger«, sagte Mariano, auf Sternau deutend. – »Und auch auf den anderen«, fügte der Lord hinzu. »Unser Freund hat nach dem Kampfspiel noch einen Sieg errungen, der größer war als der vorige. Darum soll er auch seinen Preis erhalten.«
   Er nahm darauf Amys Hand und legte sie in Marianos Rechte.
   »Ihr habt euch lieb, Kinder, und ihr seid einander wert. Werdet glücklich, so wie ich es euch wünsche!«
   Das war eine Überraschung, an die niemand gedacht hatte, und ein Preis, wie er nach einem Kampfspiel noch niemals ausgezahlt worden war. Die beiden Liebenden lagen sich in den Armen und waren überglücklich. Der Abend wurde zu einem Freuden– und Wonneabend, ganz anders wie bei Cortejo, der nach Hause gegangen war, um, falls Sternau getötet wurde, nachzuweisen, daß er nicht in der Nähe gewesen sei.
   Nach einiger Zeit kehrte auch Josefa zurück. Ihr Angesicht glühte, und ihre Augen blitzten. Sie warf den Maskenanzug von sich und trat vor ihren Vater.
   »Vater, dieser Sternau reist übermorgen nach der Hazienda?« fragte sie. – »Ja.« – »Allein?« – »Nein, sondern die beiden anderen mit ihm.« – »Wirst du sie entkommen lassen?«
   Cortejo blickte die Tochter verwundert an und antwortete mit verhaltener Ironie:
   »Du scheinst dich seit heute vormittag sehr geändert zu haben.« – »Nicht im geringsten, aber ich bin zu einem Entschluß gekommen.« – »Und dieser lautet?« – »Wir lassen diesen Menschen keine Minute Frist.« – »Das ist meine Ansicht auch. Der eine von ihnen ist wohl bereits jetzt schon tot.« – »Welcher?« – »Sternau.« – »Ah, ich dachte der andere.« – »Nein. Ich schickte ihm ein paar Hidalgos auf den Hals, die ich kenne. Für hundert Pesos laufen sie in die Hölle.« – »Gut, so ist der eine abgetan. Aber der andere?« – »Warte bis morgen, dann wird sich darüber sprechen lassen!«
   Vater und Tochter saßen noch beisammen, als zwei Männer Einlaß begehrten. Sie wurden eingelassen. Es waren die beiden Hidalgos. Als sie Josefa erblickten, wollten sie sich zurückziehen, aber Cortejo gab das nicht zu.
   »Tretet nur ein, Señores«, sagte er. »Meine Tochter darf hören, was Ihr mir zu sagen habt. Ich hoffe, daß Euer Werk Euch gelungen ist?« – »Leider nicht«, lautete die Antwort.
   Cortejo blickte sie streng an, ihm schien dieser Fall unglaublich.
   »Warum nicht?« fragte er. – »Wir verloren ihn aus den Augen. Er ging in die Nacht hinaus, ganz einsam und allein. Wir folgten ihm und verloren ihn dann aus den Augen, und erst, als wir nach dem Platz zurückkehrten, sahen wir ihn wieder, als er mit Lord Lindsay die Pferde bestieg.«
   »Ihr seid Toren und feige Mietlinge, ich mag nichts von Euch wissen.« – »Wir werden es nachholen«, entgegnete der eine. – »Ich brauche Euch nicht, Ihr könnt gehen. Für Eure unnütz verschwendete Mühe sollt Ihr jedoch ein kleines Geschenk haben. Hier habt Ihr zehn Pesos, teilt Euch darein und trollt Euch von dannen.«
   Die Hidalgos waren froh, so viel erhalten zu haben und gingen. Josefa begab sich zur Ruhe, aber sie konnte nicht schlafen. Sie brütete Rache wegen ihrer verschmähten Liebe, kam aber zu keinem Entschluß, der der Stärke ihres Grimmes entsprochen hätte. Auch Cortejo schlief nicht. Er sann und grübelte einige Stunden lang und schien endlich zu einem Entschluß gekommen zu sein, denn er ging nach dem Stall und ließ satteln. Gegen Morgen verließ er die Stadt in nördlicher Richtung, und als Josefa am Vormittag nach ihrem Vater fragte, erfuhr sie, daß er auf einige Zeit verreist sei.


   9. Kapitel

   »Es lag auf meinem Geist ein Alp,
   Nicht zentner-, sondern bergesschwer.
   Der Wahnsinn legte dicht und falb
   Um mich sein ödes Nebelmeer.
   Ich bebte, dennoch war ich tot;
   Es schlug mein Herz, doch fühlt‘ es nichts;
   Und mitten in des Morgens Rot
   Stand ich, beraubt des Tageslichts.
   Und nun ich endlich aufgewacht,
   Da hör‘ ich in mir fort und fort
   Von früh bis spät, bei Tag und Nacht
   Nur der Vergeltung blutig Wort.«

   Nicht einen Tag, sondern zwei Tage später hielten drei tüchtige, kraftvolle Pferde vor dem Palazzo des Lords, während drin in der Wohnung selbst Abschied genommen wurde.
   »Also wie lange gedenken Sie auszubleiben, Doktor?« fragte Lindsay. – »Wer kann dies unter den gegenwärtigen Umständen bestimmen?« lautete die Antwort. »Wir kommen so bald wie möglich zurück.« – »Das hoffe ich. Schont die Pferde nicht, es laufen ihrer tausende auf der Weide herum. Haben Sie noch einen Wunsch?« – »Ja, Mylord. Man weiß nicht, was einem in diesem Land begegnen kann. Nehmen Sie sich, wenn sich meine Rückkunft verzögern sollte, meiner Jacht und ihrer Bemannung an.« – »Das werde ich tun, obgleich ich nicht befürchte, daß ich Veranlassung dazu haben werde. Leben Sie wohl!«
   Sternau und Helmers saßen bereits zu Pferd, als Mariano noch immer oben an der Treppe stand und sich von Amy gar nicht trennen konnte. Endlich kam er, und nun ging es fort, zur Stadt hinaus, auf ganz demselben Weg, den zwei Tage vorher Cortejo eingeschlagen hatte.
   Sternau hatte vorgezogen, ohne Diener und Führer zu reisen. Er hatte eine Karte von Mexiko bei sich, die war ihr Führer, und obgleich keiner von den dreien diesen Weg bereits einmal zurückgelegt hatte, verirrten sie sich doch nicht ein einziges Mal.
   Es mochte noch eine kleine Tagereise von der Hazienda sein, als sie über eine mit einzelnen Gebüschinseln bestandene Ebene ritten. Sternau war der Erfahrenere von den dreien; es entging ihm kein gebrochener Halm, kein abgeknickter Zweig, kein von seinem Platz gestoßenes Steinchen. Da sagte er plötzlich, während sie lautlos dahinritten, zu seinen beiden Gefährten:
   »Wendet den Kopf jetzt weder nach rechts noch links, aber schielt einmal nach dem dichten Seifenbaumstrauch dort rechts am Wasser.« – »Was gibt‘s?« fragte Mariano. – »Dort liegt ein Mensch auf der Lauer, und sein Pferd ist hinter ihm angebunden.« – »Ich sehe nichts.«
   Auch Helmers versicherte dasselbe.
   »Das glaube ich. Es gehört Übung und Erfahrung dazu, in diesem Dickicht bereits von weitem einen Mann und ein Pferd zu unterscheiden. Sobald ich meine Büchse empornehme, tut ihr es auch, schießt aber nicht eher, als bis ich selbst schieße.«
   Sie ritten nun weiter, bis sie sich parallel mit dem Buschwerk befanden, da aber hielt Sternau plötzlich sein Pferd an, riß die Flinte vom Rücken und legte auf das Gebüsch an. Auch die beiden anderen folgten seinem Beispiel.
   »Holla, Señor, was sucht Ihr da drin an der Erde?« rief er hinüber.
   Ein kurzes, rauhes Lachen erscholl, und dann hörte man die Worte:
   »Was geht das Euch an?« – »Sehr viel«, antwortete Sternau. »Kommt doch einmal hervor, wenn Ihr so gut sein wollt!« – »Ist das Euer Ernst?« lachte es zurück. – »Ja doch!« – »Na, so will ich Euch den Gefallen tun.«
   Die Büsche teilten sich, und es trat ein Mann hervor, der in starkes Büffelfell gekleidet war. Sein Gesicht trug die Spuren indianischer Abstammung, aber seine Kleidung hatte den Schnitt, wie ihn die Ciboleros – Büffeljäger – lieben. Bewaffnet war er mit einer Büchse und einem Messer. Der Mann sah ganz so aus, als ob er sich in seinem Leben noch niemals gefürchtet habe. Sobald er das Gebüsch verlassen hatte, folgte ihm sein Pferd von selbst
   Er überflog die Gruppe der drei Männer mit bohrenden Augen und sagte:
   »Hm, das war nicht übel gemacht, Señores! Man möchte fast denken, daß Ihr bereits in der Prärie gewesen wäret«
   Sternau verstand ihn sofort, aber Mariano fragte:
   »Warum?« – »Weil Ihr so tatet, als ob Dir mich nicht bemerkt hättet, und dann doch plötzlich Eure Gewehre auf mich anlegtet.« – »Es kam uns natürlich verdächtig vor, einen Menschen hier versteckt zu sehen«, sagte Sternau. »Was tatet Ihr in dem Busch?« – »Ich wartete.« – Auf wen?« – »Ich weiß nicht. Vielleicht auf Euch!«
   Sternau zog die Brauen etwas zusammen und warnte:
   »Macht keinen dummen Witz, sondern erklärt Euch deutlicher.« – »Das kann ich tun. Sagt mir aber vorher, wohin Ihr wollt?« – »Nach der Hacienda del Erina.« – »Gut, so seid Ihr auch diejenigen, auf die ich warte.« – »Das klingt ja gerade so, als hätte man unsere Ankunft gewußt und Euch uns entgegengeschickt!« – »So ähnlich ist es! Ich jagte gestern da oben in den Bergen einen Büffel und fand auf dem Rückweg verdächtige Spuren. Ich ging ihnen nach und belauschte da einen Trupp Weiße, die beisammen lagen und sich laut erzählten. Da hörte ich, daß sie einige Reiter abfangen wollten, die nach der Hazienda von Mexiko aus unterwegs sind. Ich brach natürlich sofort auf, um diese Leute zu warnen. Seid Ihr die rechten, so ist es gut, seid Ihr aber die rechten nicht, so bleibe ich hier liegen, bis sie kommen.«
   Da reichte ihm Sternau die Hand und sagte:
   »Ihr seid ein braver Kerl, ich danke Euch! Wie die Sache liegt, werden wir wohl die rechten sein. Wie viele Männer waren es?« – »Zwölf.« – »Hm, das sind ihrer gerade so viele, als ich auf mich selbst nehme. Fast habe ich Lust, ein Wörtchen mit ihnen zu reden.«
   Der Büffelhautmann blickte Sternau von der Seite an und sagte:
   »Ihr nehmt zwölf auf Euch, Señor?« – »Ja, unter Umständen noch mehr«, antwortete Sternau ernsthaft. – »Da sind wohl elf zu viel, he?« – »Ganz wie Ihr denkt. Wenn es auf mich ankäme, so würde ich mir diese Leute einmal betrachten. Aber es ist doch wohl nicht geraten, sich unnötig in Gefahr zu begeben.« – »Ich denke das auch«, nickte der Fremde ironisch. – »Wohin geht nun Euer Weg?« fragte Sternau. – »Zur Hazienda. Soll ich Euch führen?« – »Wenn es Euch Vergnügen macht, ja.« – »So kommt.«
   Der Fremde bestieg sein Pferd und setzte sich damit an die Spitze der kleinen Truppe. Er hing ganz nach Indianerart vornüber auf dem Pferd, um jede Spur sogleich bemerken zu können, und Sternau sah es seinem ganzen Habitus an, daß es ein Mann sei, auf den man sich verlassen könne.
   Gegen Abend, als man ein Nachtlager brauchte, zeigte sich der Mann im Auffinden einer passenden Stelle und in Vorsichtsmaßregeln so erfahren und gewandt, daß Sternau erkannte, es mit keinem gewöhnlichen Menschen zu tun zu haben. Er nahm von den Speisen der drei, er rauchte auch eine Zigarette, aber als man ihm einen Schluck Rum anbot, wies er diesen zurück.
   Ein Feuer wurde der Unsicherheit des Weges wegen nicht angemacht, und so wurde das kurze Abendgespräch im Dunkeln geführt.
   »Kennt Ihr die Leute auf der Hazienda?« fragte Sternau den Führer. – »Ja, gewiß«, antwortete dieser. – »Wer ist dort zu treffen?« – »Zunächst Señor Arbellez, der Haziendero, sodann Señorita Emma, seine Tochter, sodann Señora Hermoyes und endlich ein Jäger, der am Kopf krank ist. Dann gibt es noch Gesinde und vierzig Vaqueros und Ciboleros.« – »Zu den Ciboleros gehört wohl auch Ihr?« – »Nein, Señor. Ich bin ein freier Mixteka.«
   Da horchte Sternau auf.
   »Ein Mixteka seid Ihr?« fragte er. – »Ja.« – »Oh, da müßt Ihr doch auch Mokaschimotak, den großen Häuptling Büffelstirn, kennen?« – »Ich kenne ihn«, entgegnete der Gefragte ruhig. – »Wo ist er jetzt zu finden?« – »Bald hier, bald dort, wie der große Geist ihn treibt Wo habt Ihr von ihm gehört?« – »Sein Name ist allüberall; ich habe ihn sogar drüben über dem großen Meer nennen hören.« – »Wenn er das erfährt, so freut er sich. Wie soll ich Euch nennen, Señores, wenn ich mit Euch spreche?« – »Ich heiße Sternau, dieser Señor heißt Mariano und der andere Helmers. Und wie nennen wir Euch, Señor?« – »Ich bin ein Mixteka; nennt mich so.«
   Das war das ganze Abendgespräch, dann ging man zur Ruhe, während welcher die Nachtwache unter die vier verteilt wurde. Am anderen Morgen wurde in der Frühe aufgebrochen, und bereits vor der Mittagszeit sah man die Hazienda vor sich liegen. Da hielt der Mixteka an und zeigte mit der Hand nach der Besitzung.
   »Das ist die Hacienda del Erina, Señores«, sagte er. »Nun könnt Ihr sie nicht mehr verfehlen.« – »Wollt Ihr nicht mit?« fragte Sternau. – »Nein. Mein Weg ist der Wald. Lebt wohl!«
   Der Mixteka gab seinem Pferd die Hacken und sprengte links ab davon. Die drei aber ritten der Ummauerung entgegen und hielten vor dem Tor an. Als Sternau klopfte, erschien ein Vaquero und fragte nach ihrem Begehr.
   »Ist Señor Arbellez zu Hause?« – »Ja.« – »Sagt ihm, daß Gäste aus Mexiko zu ihm wollen.« – »Seid Ihr allein, oder kommen noch mehrere?« – »Wir sind allein.« – »So will ich Euch vertrauen und öffnen.«
   Der Vaquero schob den Riegel zurück und ließ die Reiter in den Hof. Hier sprangen sie von ihren Pferden, die der Vaquero übernahm, um sie zu tränken. Als sie den Eingang des Hauses erreichten, kam ihnen der Haziendero bereits entgegen. Sein Blick ruhte mit staunendem Erschrecken auf der hohen Gestalt Sternaus.
   »Dios mios, was ist das!« sagte er. »Seid Ihr ein Spanier, Señor?« – »Nein, ein Deutscher.« – »So ist es ein Naturspiel. Fast hätte ich Euch für den Herzog von Olsunna gehalten.«
   Schon wieder hörte Sternau diesen Namen.
   »Habt Ihr ihn gekannt, Señor?« fragte er. – »Ja, ich bin ein Spanier. Aber es ist richtig, Ihr könnt gar nicht der Herzog von Olsunna sein, der viel älter als Ihr ist. Seid willkommen!«
   Der Haziendero reichte Sternau die Hand und streckte sie auch Mariano entgegen. Dieser hatte das Gesicht abgekehrt gehalten, weil er nach den Pferden blickte; jetzt drehte er sich herum, und nun der Haziendero in sein Gesicht blickte, zog er die Hand zurück und stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus.
   »Caramba, was ist das! Graf Emanuel! Doch nein, auch das kann nicht sein, denn Graf Emanuel ist viel älter.«
   Er griff sich an die Stirn, diese beiden Ähnlichkeiten machten ihm zu schaffen. Dabei fiel sein Auge auf Helmers, und er schlug die Hände zusammen.
   »Valga me Dios, Gott stehe mir bei, bin ich verhext?« rief er. – »Was ist‘s, Vater?« fragte hinter ihm eine klare, süße Mädchenstimme. – »Komm her, mein Kind«, antwortete er. »So etwas ist mir noch nicht geschehen, das ist ja wunderbar! Da kommen drei Señores; der eine sieht dem Herzog von Olsunna, der andere dem Grafen Emanuel und der dritte deinem armen Bräutigam so ähnlich wie ein Ei dem anderen.«
   Emma trat hervor und lächelte; aber als sie Helmers erblickte, sagte sie:
   »Es ist wahr, Vater, dieser Herr sieht so aus wie mein armer Antonio.« – »Na, das wird sich aufklären«, meinte der Haziendero. »Seid willkommen, Señores, und tretet ein in mein Haus!«
   Er streckte nun auch Mariano und Helmers die Hand entgegen und führte die Gäste in den Speisesaal, wo ihnen eine Erfrischung gereicht wurde. Eben hob Helmers das Glas empor, um zu trinken, als er es wieder absetzte. Sein Auge hing an der Tür, die sich geöffnet hatte, um eine bleiche Gestalt einzulassen, die mit irren, nichtssagenden Augen die Angekommenen überflog. Helmers trat ein paar Schritte nach der Tür zu und fixierte den Kranken.
   »Ist es möglich!« rief er dann. »Anton, Anton! O mein Gott!«
   Der Irre blickte ihn an und schüttelte den Kopf.
   »Ich bin tot, ich bin erschlagen worden«, wimmerte er.
   Helmers ließ die Arme sinken und fragte:
   »Señor Arbellez, wer ist dieser Mann?« – »Es ist der Bräutigam meiner Tochter«, antwortete der Haziendero. »Er heißt Antonio Helmers, und die Jäger nannten ihn Donnerpfeil.« – »Also doch! Bruder, o mein Bruder!«
   Mit diesem Ausruf stürzte Helmers auf den Irren zu, schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. Der Kranke ließ sich liebkosen, blickte gleichgültig in das Angesicht seines Bruders und sagte nur:
   »Ich bin erschlagen worden, ich bin tot!« – »Was ist mit ihm, was fehlt ihm?« fragte Helmers den Wirt. – »Er ist wahnsinnig«, antwortete dieser. – »Wahnsinnig? O Herr, mein Gott, welch ein Wiedersehen!«
   Der Deutsche drückte die Hand vor die Augen, warf sich in einen Stuhl und weinte. Die anderen standen wortlos und ergriffen dabei, bis Arbellez ihm die Hand auf die Schulter legte und mit leiser Stimme fragte:
   »Ist es wahr, daß Ihr der Bruder von Señor Antonio seid?«
   Helmers richtete die in Tränen schwimmenden Augen zu dem Frager empor und antwortete:
   »Ja, ich bin sein Bruder! O mein Gott, welch ein Wiedersehen!« – »So seid Ihr Seemann?« – »Ja.« – »Er hat uns viel von Euch erzählt.« – »Ich bin tot, ich bin erschlagen«, klagte der Irre dazwischen.
   Sternau hatte bisher kein Auge von ihm verwandt, jetzt fragte er:
   »Was ist die Ursache seiner Krankheit?« – »Ein Schlag auf den Kopf«, antwortete Arbellez. – »Haben Sie einen Arzt gehabt?« – »Ja, längere Zeit.« – »Hat dieser gesagt, daß keine Hilfe möglich sei?« – »Ja.« – »So ist dieser Arzt ein Pfuscher, ein unverständiger Ignorant. Fassen Sie sich, Helmers. Ihr Bruder ist nicht wahnsinnig, sondern geistig gestört; es ist noch Hilfe möglich.«
   Da ertönte ein heller Jubelschrei. Emma Arbellez hatte ihn ausgestoßen. Sie kam auf Sternau zugeflogen, faßte seine beiden Hände und fragte:
   »Sagen Sie die Wahrheit, Señor?« – »Ja.« – »Gewiß? Sind Sie Arzt?« – »Ich bin Arzt und hoffe das Beste. Sobald ich die näheren Umstände weiß, unter denen er erkrankte, werde ich Ihnen mit Gewißheit sagen können, ob ich Hilfe bringen kann.« – »Oh, so lassen Sie sich erzählen …« – »Gemach, Señorita!« unterbrach Sternau sie. »Das möchten wir uns denn doch bis zu einem ruhigeren Augenblick aufsparen. Zunächst haben wir noch anderes zu besprechen, das ebenso wichtig und nötig ist«
   Sie ließ sich nur ungern zurückweisen und führte den Irren hinaus.
   »Es muß eine sehr wichtige Angelegenheit sein, die Sie hierhergeführt hat«, sagte der Haziendero in einer Art von Vorahnung. – »Eine sehr, sehr wichtige«, bestätigte Sternau. – »Meine Hazienda war Ihr einziges Ziel?« – »Ja.« – »Und Sie haben sie ohne Führer gefunden?« – »So ziemlich. Erst gestern trafen wir einen Mann, der uns bis hierher begleitete. Es war ein Indianer, vom Stamm der Mixtekas.« – »Der Mixtekas? Das ist Büffelstirn gewesen.« – »Büffelstirn ist es gewesen, Büffelstirn?« fragte Sternau überrascht. »Er trug doch gar nicht die Abzeichen eines Häuptlings!« – »Das tut er nie. Er kleidet sich nur in Büffelhaut und trägt als Waffe eine Büchse und sein Messer.« – »So war er es. Ich bin mit Büffelstirn geritten, ohne es zu wissen. Er hat es uns verschwiegen, er ist ein echter, richtiger Mann. Wird man ihn wiedersehen?« – »Er ist jetzt täglich in der Gegend. Sie bleiben doch auf einige Zeit hier?« – »Das werden die Umstände bestimmen. Wann haben Sie Zeit, zu hören, was uns hierhergeführt hat?« – »Sogleich oder auch später, je nachdem Sie es wünschen. Ist die Sache kurz und muß sie sogleich erledigt sein?« – »Nein. Sie bedarf einer längeren Zeit und will überhaupt sehr achtsam behandelt sein. Es handelt sich um ein Familiengeheimnis, zu dessen Aufklärung wir Ihre Hilfe und diejenige von Maria Hermoyes brauchen.« – »Ich stehe zur Verfügung, bitte aber zunächst um die Erlaubnis, Ihnen Ihre Zimmer anweisen zu dürfen.«
   Karja, die Indianerin, trat ein. Sie hatte nach den Zimmern gesehen und kam nun, um die Herren zu führen. Sternau erhielt dasjenige, das Graf Alfonzo gewöhnlich bewohnt hatte. Er reinigte sich vom Schmutz der Reise und ging dann auf einen Augenblick hinunter in den Garten. Dort sah er die schöne Tochter des Hazienderos sitzen, neben ihr den Irren, der sich höchst gleichgültig von ihr liebkosen ließ. Sie erhob sich, um dem Gast Platz zu machen.
   Er setzte sich so, daß er den Kranken beobachten konnte, und begann nun mit der Señorita ein Gespräch, im Verlauf dessen sie ihm die Abenteuer in der Höhle des Königsschatzes und also auch den Grund von der Erkrankung ihres Bräutigams mitteilte. Er hörte aufmerksam zu, denn ihre Erzählung erregte noch mehr als bloß sein ärztliches Interesse.
   »Also der berühmte Bärenherz war auch dabei«, sagte er darauf. »Hat sich dieser Apachenhäuptling seitdem wieder sehen lassen?« – »Nein.« – »Und all, all dieses Unheil nur um eines einzigen Menschen, um dieses Alfonzo Rodriganda willen. Man wird ihm das Handwerk legen und ihn seine Missetat sühnen lassen.« – »Oh, Señor, wird auch hier bei meinem armen Antonio eine Sühne, eine Hilfe möglich sein? Sein Bruder hat mir bereits erzählt, während Sie auf Ihrem Zimmer waren, daß Sie ein großer und berühmter Arzt sind und daß Sie sogar Ihre eigene Gemahlin vom Wahnsinn gerettet haben.« – »Der größte Arzt ist Gott; ich hoffe, daß er auch hier helfen wird. Ist Ihr Patient geduldig und gefügig?« – »Sehr.« – »Wird er mit mir gehen?« – »Sofort.« – »So werde ich ihn mit mir nehmen, um ihn sogleich zu untersuchen. Ich führe meine Bestecks stets bei mir und hoffe, daß ich alles habe, was ich brauche.«
   Sternau ergriff die Hand des Patienten, und dieser folgte ihm mit der allergrößten Bereitwilligkeit. Emma ging unterdessen auf sein Zimmer und sank dort auf ihre Knie, um zu beten. Als sie dann in den Salon kam, waren bereits alle erwartungsvoll versammelt, um den Ausspruch des Arztes zu vernehmen. Dieser aber kam erst später. Er wurde sofort mit Fragen bestürmt
   »Ich will Ihnen allen eine frohe Botschaft bringen«, sagte er lächelnd. »Ich werde Señor Helmers wiederherstellen.«
   Ein lauter, vielstimmiger Ruf erscholl durch den Raum, dann fuhr Sternau fort:
   »Der Schlag ist ein außerordentlich kräftiger gewesen, aber er hat dennoch die Hirnschale nicht zertrümmert; doch unter derselben hat irgendein Blutgefäß seinen Inhalt gerade auf das Organ des Gedächtnisses ergossen, und so kommt es, daß der Patient alles vergessen hat, nur nicht das letzte, was er vom Leben fühlte, nämlich den Schlag. Er weiß, daß er totgeschlagen werden sollte, er hat den Hieb gefühlt und glaubt nun, daß er tot sei. Die sicherste Hilfe ist nur durch die Trepanation möglich. Ich werde die Hirnschale öffnen, um das ausgeflossene Blut zu entfernen, dann hört der Druck desselben auf die Hirnmasse auf, das Organ beginnt seine unterbrochene Tätigkeit, und in demselben Augenblick wird auch das vollständige Gedächtnis wiederkehren.« – »Ist diese Operation lebensgefährlich?« fragte Emma besorgt. – »Schmerzlich, aber nicht lebensgefährlich«, tröstete er. »Wenn die Angehörigen des Patienten mir Vollmacht erteilen, werde ich morgen die Trepanation vornehmen.«
   Sie erklärten sich alle einverstanden, und Arbellez fügte lächelnd hinzu:
   »Und um das Honorar dürfen Sie nicht bange sein, Señor. Der Patient ist reich, steinreich, er hat aus der Höhle des Königsschatzes ein Geschenk erhalten, das ihn in den Stand setzt, sogar eine Trepanation zu bezahlen.« – »Hoffen wir, daß die Operation ihn so weit herstellt, daß er seinen Schatz genießen kann«, entgegnete Sternau und ging wieder fort um nach seinen Instrumenten zu sehen, die ja morgen sich in einem brauchbaren Zustand befinden mußten.
   Am Abend nach dem Nachtmahl fand eine Sitzung statt, in der der eigentliche Zweck der Reise erörtert wurde. Was Arbellez und Marie Hermoyes da erzählten, das bestätigte die Vermutungen, die Sternau bis jetzt gehegt hatte.
   Der brave Haziendero bot Mariano sofort seine Hazienda an, und in dem ganzen Hausstand war nicht ein einziger, der nicht überzeugt gewesen wäre, daß Mariano der richtige, wirkliche Graf Alfonzo sei.
   Nun nahte der nächste Tag, an dem die Operation stattfinden sollte. Sternau bat Helmers, Mariano und Arbellez, ihm zu assistieren, wies aber sonst jede Störung von sich. Um die Mittagsstunde begaben sich die vier Männer nach dem Zimmer des Patienten. Der Korridor, in dem dasselbe lag, war für jedermann verschlossen. Die ganze Bewohnerschaft des Hauses hielt sich beisammen, und jeder Gedanke und jedes ausgesprochene Wort waren ein Gebet um das Gelingen des großen Unternehmens.
   Zuweilen war es, als ob ein schmerzhaftes Wimmern oder ein lauter, schriller Ton durch das Haus ertöne, dann aber war alles wieder ruhig. Endlich nach langer Zeit kam Arbellez herab. Er sah bleich und angegriffen aus.
   »Wie steht es?« kam ihm Emma entgegen. – »Señor Sternau hat die besten Hoffnungen. Der Patient liegt in Ohnmacht. Du sollst kommen und bei ihm bleiben.« – »Ich allein?« – »Nein, in meiner Gesellschaft. Wenn er erwacht, darf er nur bekannte Gesichter sehen.«
   Sie folgte dem Vater. Droben im Korridor begegnete ihnen Helmers Bruder. Auch er hatte die Farbe des Todes.
   Als die beiden leise eintraten, stand Sternau über den Kranken gebeugt, um seine Pulsschläge und Atemzüge zu zählen. Als Emma in die fürchterlich ermatteten und entstellten Züge des Geliebten blickte, hätte sie geradezu aufschreien mögen, aber sie bezwang sich.
   »Señorita, setzten Sie sich so, daß er Sie sofort sieht, wenn er erwacht. Ich werde mich hinter den Vorhang zurückziehen«, flüsterte Sternau. – »Wird es lange dauern, ehe ihm das Leben wiederkehrt?« fragte sie. – »Höchstens zehn Minuten, und dann wird es sich entscheiden, ob das Gedächtnis wieder da ist. Warten und beten wir!«
   Sternau trat hinter den Vorhang zurück, und Emma setzte sich neben das Bett, während Arbellez in der Nähe desselben Platz nahm. So dehnten sich die Minuten zu Ewigkeiten aus, bis endlich, endlich der Patient die Hand regte.
   »Erschrecken Sie nicht«, mahnte Sternau ganz leise. »Nach meiner Berechnung wird er einen Todesschrei ausstoßen, weil er meint, erschlagen zu werden.«
   Der kluge Arzt hatte sich nicht getäuscht. Der Kranke regte sich mit einem Mal am ganzen Körper, lag einige Sekunden lang starr, und das waren die Augenblicke, in denen sein Denkvermögen wieder in Kraft trat. Nun stieß er einen Schrei aus, so entsetzlich, so schauerlich, daß selbst Arbellez zitterte und Emma sich anhalten mußte, um nicht zusammenzubrechen. Diesem Schrei folgte ein tiefer, tiefer Seufzer, und dann – dann schlug der Kranke die Augen auf. In diesen Augen hatte monatelang keine Spur des Selbstbewußtseins gelegen, jetzt aber war es, als ob der Kranke aus einem Schlaf erwache; er blickte zunächst geradeaus, dann nach rechts, nach links. – Hierauf stutzte er, und als sein Blick sich verschärft hatte und auf Emma gefallen war, da öffneten sich auch die Lippen, und er sagte leise:
   »Emma! O Gott, mir träumte, daß mich dieser Alfonzo erschlagen wolle; es war in der Höhle des Königsschatzes. Ist‘s wahr, daß ich bei dir bin?« – »Ja, du bist bei mir, mein Antonio!« antwortete sie, indem sie seine Hand in die ihrige nahm.
   Da griff er nach dem verhüllten Kopf.
   »Aber doch tut mir der Kopf gerade dort, wo mich der Schlag traf, so weh«, sagte er. »Warum bin ich verbunden, Emma?« – »Du bist nur ein wenig verletzt«, antwortete sie. – »Ja, ich fühle es«, versetzte er. »Du wirst mir das erzählen, jetzt aber will ich schlafen, denn ich bin sehr müde.«
   Er schloß die Augen, und bald zeigte das ruhige Atmen seiner Brust, daß er in Schlaf verfallen sei. Nun trat Sternau wieder hervor und flüsterte mit freudestrahlender, triumphierender Miene:
   »Gewonnen! Es ist gelungen! Wenn das Wundfieber gut verläuft, so ist er vollständig hergestellt. Gehen Sie hinab, Señor Arbellez, und bringen Sie den Wartenden diese freudige Nachricht Ich werde mit der Señorita hier wachen.«
   Der brave Haziendero eilte fort und versetzte mit seiner Nachricht alle Bewohner des Hauses in Freude und Entzücken.


   10. Kapitel

   Der Tag und die folgende Nacht verflossen sehr günstig, aber der Morgen brachte eine Unruhe, die sich allerdings nicht auf den Kranken bezog. Es erschien nämlich Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, fragte nach dem Haziendero und erzählte, als er zu diesem geführt wurde, daß jedenfalls ein Überfall der Hazienda geplant werde. Arbellez erschrak.
   »Da muß ich gleich Señor Sternau holen«, sagte er. – »Señor Sternau? Den großen Fremden, den ich zu Euch brachte?« fragte der Indianer. – »Ja.« – »Was soll dieser?« – »Uns einen guten Rat erteilen.«
   Der Indianer machte eine Bewegung der Geringschätzung und fragte:
   »Was ist dieser Mann?« – »Ein Arzt.« – »Ein Arzt der Bleichgesichter! Wie kann er Büffelstirn, dem Häuptling der Mixtekas, einen guten Rat geben?« – »Dir soll er ihn nicht geben, sondern mir. Ihr sollt miteinander beraten, was zu tun ist.« – »Ist er ein Häuptling des Rates im Kampf gegen die Feinde?« – »Er ist ein kluger Mann. Er hat Donnerpfeil gestern in den Kopf geschnitten und ihm den Verstand und das Gedächtnis wiedergegeben.«
   Der Indianer staunte.
   »Mein Freund Donnerpfeil spricht wieder wie ein vernünftiger Mann?« fragte er. – »Ja. Er wird in wenigen Tagen gesund sein.« – »So ist dieser Señor Sternau ein großer Arzt, ein kluger Medizinmann, aber ein Krieger ist er nicht.« – »Warum?« – »Hast du seine Waffen betrachtet?« – »Ja.« – »Hast du ihn reiten sehen?« – »Ja. Ich sah ihn von weitem kommen.« – »Nun siehe, er sitzt auf seinem Pferd wie ein Bleichgesicht, und seine Waffen glänzen wie Silber; das ist bei einem großen Krieger niemals der Fall.« – »Du willst also nicht mit ihm beraten?« – »Ich bin ein Freund der Hazienda, ich werde es tun, aber es wird keinen Nutzen bringen. Er mag geholt werden und kommen.«
   Arbellez ging und trat bald darauf mit Sternau ein. Er hatte diesem unterwegs erzählt, was der berühmte Häuptling gesagt hatte. Sternau begrüßte ihn daher lächelnd, dann erkundigte er sich:
   »Ich habe gehört, daß Ihr Büffelstirn seid, der größte Häuptling der Mixtekas. Ist dies wahr?« – »Ich bin es«, lautete die Antwort. – »Welche Botschaft bringt Ihr uns?« – »Ich sah, bevor ich Euch nach der Hazienda führte, zwölf Bleichgesichter, die Euch überfallen und töten wollen, jetzt aber sah ich dreimal so viele Weiße, die die Hazienda zerstören und alles Lebendige darin ermorden wollen!« – »Habt Ihr sie belauscht?« – »Ja.« – »Wann wollen sie kommen?« – »Morgen nacht.« – »Wo befinden sie sich?« – »In der Schlucht des Tigers.« – »Ist diese weit von hier?« – »Nach dem Maß der Bleichgesichter muß man eine Stunde reiten oder über zwei Stunden gehen.« – »Was tun sie jetzt?« – »Sie essen, trinken und schlafen.« – »Ist Wald in der Schlucht?« – »Ein großer, dichter Wald. Im Wald ist eine Quelle, und an dem Wasser liegen sie.« – »Haben sie Wachen ausgestellt?« – »Ich habe zwei Wachen gesehen, die eine am Eingang und die andere am Ausgang der Schlucht.« – »Wie sind die Bleichgesichter bewaffnet?« – »Sie haben Flinten, Messer und Pistolen.« – »Wollt Ihr mich hinführen?«
   Bei dieser Frage blickte der Häuptling den Arzt mit sichtlichem Erstaunen an.
   »Was wollt Ihr dort?« fragte er. – »Ich will mir die Bleichgesichter ansehen.« – »Wozu? Ich habe sie bereits gesehen. Wer sie sehen will, der muß durch den Wald und im Moos kriechen, und da würdet Ihr Euch Eure schönen mexikanischen Kleider beschmutzen.« Dies sagte Büffelstirn mit einem beinahe beleidigenden Lächeln, dann fügte er hinzu. »Und wer zu ihnen geht, sie zu belauschen, den werden sie erschießen.« – »Fürchtet Ihr Euch, mich zu begleiten?« fragte Sternau.
   Da blickte ihm der Mixteka verächtlich ins Gesicht und erwiderte:
   »Büffelstirn kennt keine Furcht. Er wird Euch führen, aber er kann Euch nicht helfen, wenn dreimal zwölf Bleichgesichter über Euch herfallen.« – »So wartet!«
   Mit diesen Worten entfernte sich Sternau, um sich für den Weg vorzubereiten.
   »Dieser Doktor wird sterben!« meinte der Indianer mit Bestimmtheit – »So wirst du ihn beschützen!« antwortete Arbellez sehr ernst. – »Er hat gesagt, daß er sich vor zwölf Feinden nicht fürchtet; er hat einen großen Mund und eine kleine Hand, er spricht viel und wird nichts tun.«
   Damit trat er an das Fenster und blickte hinaus, als ob ihn alles Weitere nichts angehe.
   Sternau hatte seine Jägerkleidung mit auf die Reise genommen. Er hatte sie auf der Jacht eingepackt sie mit nach Mexiko gebracht und in Mexiko hinter sich auf das Pferd geschnallt. Er legte sie jetzt an und kam dann zurück.
   »Jetzt können wir gehen«, sagte er.
   Der Mixteka drehte sich um. Als sein Auge auf den Mann fiel, der vor ihm stand, spiegelte sich auf seinem Gesicht das lebhafteste Erstaunen.
   Sternau trug ein Paar elenlederne Leggins, ein festes Jagdhemd, einen breitkrempigen Hut und hoch heraufgehende Stiefel. Ober seiner Schulter hingen ein Henrystutzen, mit dem man fünfundzwanzigmal schießen kann, ohne zu laden, und eine doppelläufige Bärenbüchse. In seinem Gürtel steckten zwei Revolver, ein Bowiemesser und ein glänzender Tomahawk. Diese Waffen, außer dem Tomahawk, hatte der Indianer bereits gesehen. Das Äußere Sternaus war jetzt so kriegerisch und gebieterisch, daß es wohl Bedenken einzuflößen vermochte.
   Der Indianer schritt an ihm vorüber und sagte nur das eine Wort:
   »Kommt.«
   Da er Sporen an den Stiefeln trug, fragte Sternau:
   »Seid Ihr beritten?« – »Ja«, sagte Büffelstirn, noch einen Augenblick stehenbleibend. – »Wollt Ihr nach der Schlucht des Tigers reiten?« – »Ja.« – »Laßt Euer Pferd da, wir werden gehen.« – »Warum?« – »Ein Mann kann sich eher verbergen als ein Reiter, und ein Pferd verrät leicht den, dem es gehört. Ich will nicht die Fährte eines Pferdes machen.«
   Der Blick des Mixteka leuchtete auf. Er sah ein, daß Sternau recht hatte. Er führte also sein Pferd nach der Weide, trat dann mit dem Deutschen hinaus ins Freie und schritt mit langsamen Schritten voran, ohne sich umzusehen. Nur einmal, als der Boden sandig war, blieb er stehen und blickte auf die Spur zurück, die sie gemacht hatten. Es war nur die Spur eines einzigen Mannes, denn Sternau war in die Fußstapfen seines Führers getreten.
   »Ugh!« sagte dieser und nickte still mit dem Kopf.
   Der Weg führte erst über von Sandflächen durchbrochenes Weideland, dann über mit Kleinholz bewachsene Höhen und endlich in einen Wald, dessen Bäume so stark waren, daß sich ein Mann gut hinter ihnen verbergen konnte. Jetzt waren sie fast zwei Stunden gegangen, als Sternau bemerkte, daß der Indianer vorsichtiger wurde; er schloß daraus, daß die Schlucht des Tigers in der Nähe sei. Zum Überfluß blieb der Mixteka stehen und sagte leise:
   »Sie sind nicht weit von uns; mache keinen Lärm!«
   Sternau beantwortete diese Mahnung mit keiner Silbe, mit keiner Miene und folgte seinem Führer schweigend weiter. Endlich legte sich dieser platt auf den Boden und bedeutete ihm, ein Gleiches zu tun. So krochen sie leise, ganz leise vorwärts, bis laute Stimmen an ihr Ohr schlugen.
   Sie kamen in kurzer Zeit an den Rand einer tiefen Schlucht, deren Wände so steil abfielen, daß man sie unmöglich erklettern konnte. Diese Schlucht war vielleicht achthundert Schritte lang und dreihundert Schritte breit. Auf ihrem Grund schlängelte sich ein Wasser dahin, und an dem Ufer desselben lagen, im Gras ausgestreckt, gegen dreißig wohlbewaffnete Gestalten. Sowohl am Eingang als auch am Ausgang der Schlucht saß eine Wache.
   Sternau überblickte das in einer Sekunde, dann flüsterte er:
   »Ihr habt dreimal zwölf Krieger gesehen?« – »Ja.« – »Jetzt sind es kaum zweimal fünfzehn. Die anderen sind fort.« – »Sie werden auf Kundschaft gehen.« – »Oder auf Raub.«
   Sternau horchte hinab. Es wurde so laut gesprochen, daß man ganz deutlich jedes Wort vernehmen konnte. Diese Menschen mußten sich sehr sicher fühlen.
   »Und wieviel sollten wir erhalten, wenn wir sie erwischten?« fragte der eine. »Zehn Pesos der Mann? Das wäre genug. So viel sind zwei Deutsche und ein Spanier nicht wert.«
   Aus diesen Worten hörte Sternau, daß die Rede von ihm und seinen beiden Gefährten war.
   »Sie hatten einen anderen Weg eingeschlagen, hole sie der Teufel!« sagte ein zweiter. – »Warum fluchst du?« fragte dessen Nachbar. »Ich sage dir, es ist gut, daß sie uns entgangen sind, denn nun erhalten wir die ganze Hazienda als Beute, allerdings nur unter der Bedingung, daß wir alles niederschießen, besonders aber den einen Deutschen und den Spanier.« – »Wie nannte der Señor die beiden Namen?« – »Der Deutsche heißt Sternau und der Spanier Lautreville.« – »Ob wir Männer genug sind, um die Hazienda zu überwältigen? Dieser Arbellez soll gegen fünfzig Vaqueros haben.« – »Narr, wir überraschen sie ja!«
   Jetzt wußte Sternau genug. Er war nicht der Mann, unnötigerweise Menschenblut zu vergießen, hier aber handelte es sich um die Ausrottung einer Räuber– und Mörderbande. Er griff daher zum Henrystutzen und nahm ihn langsam und vorsichtig von der Schulter.
   »Was wollt Ihr tun?« fragte der Indianer besorgt. – »Diese Menschen töten.«
   Der Häuptling sperrte den Mund auf.
   »So viele?« fragte er. – »Ja.«
   Man sah es dem Gesicht des Indianers an, daß er seinen Begleiter für vollständig verrückt halte. Er wollte sich zurückziehen. Aber Sternau gebot:
   »Bleib! Oder fürchtest du dich? Ich bin Matavase, der Fürst des Felsens. Diese Mörder sind alle in unsere Hand gegeben.«
   Bei Nennung dieses Namens fuhr der Indianer vor Schreck halb empor, um eine Bewegung der tiefsten Ehrerbietung zu machen.
   »Du bestreichst den Ausgang mit deiner Büchse! Keiner darf entkommen.«
   Bei diesen Worten legte Sternau auch die Büchse handgerecht vor sich hin, griff wieder zum Stutzen, legte an und senkte das Rohr nach abwärts. Aber er besann sich doch anders.
   »Du sollst sehen, wie der Fürst des Felsens seine Feinde besiegt.«
   Mit diesen Worten erhob er sich, so daß er von unten vollständig gesehen werden konnte, und stieß einen lauten Schrei aus, wie die Präriejäger es tun, wenn sie sich im Wald verirrt haben. Sofort richteten sich aller Augen zu ihm empor.
   »Hier steht Sternau, den ihr haben wollt!« rief er hinab.
   Seine Stimme schallte im Echo wider, und zugleich krachte sein Stutzen zum ersten Mal. Die Briganten waren aufgesprungen und griffen nach ihren Gewehren, die in der Schlucht zerstreut umherlagen. Aber sobald einer Miene machte, durch den Eingang zu entfliehen, streckte ihn die nächste Kugel nieder.
   Die Schüsse fielen so schnell hintereinander, als ob zehn Schützen aus Doppelgewehren feuerten. Auch der Indianer hatte mit seiner Büchse zwei niedergestreckt, und als Sternau endlich den Stutzen wegwarf und nach der Büchse griff, waren nur noch zwei übrig. Den einen schoß er nieder, den letzten aber wollte er schonen.
   »Leg dich nieder und beweg dich nicht!« rief er ihm zu. Der Mann gehorchte auf der Stelle.
   »Geh hinab zu ihm, während ich ihn von oben bewache«, gebot er dem Häuptling der Mixtekas.
   Dieser eilte in weiten Sprüngen am Rand der Schlucht dahin, bis er am Ausgang die Sohle erreichte und den Mann, der noch immer bewegungslos am Boden lag. Nun konnte dieser nicht entkommen. Sternau war dem Indianer gefolgt.
   Jetzt gebot er dem am Boden Liegenden: »Steh auf!«
   Der Mann erhob sich. Er zitterte an allen Gliedern. Ein solches Massaker war ihm noch gar nicht vorgekommen.
   »Wie viele Männer wart ihr?« fragte ihn Sternau. – »Sechsunddreißig.« – »Wo sind die Fehlenden?«
   Der Mann zögerte mit der Antwort.
   »Rede, sonst kostet es dich dein Leben!« – »Sie sind nach der Hacienda Vandaqua.« – »Was tun sie dort?« – »Sie besuchen den Señor.« – »Wer ist der Señor?« – »Der uns befahl, die Hacienda del Erina zu überfallen.« – »Hat er euch seinen Namen nicht genannt?« – »Nein.« – »Ich kenne ihn dennoch. Habt ihr Pferde bei euch?« – »Ja.« – »Wo sind sie?« – »Sie weiden nicht weit von hier auf einer Lichtung.« – »Wie weit ist es von hier bis zur Hacienda Vandaqua?« – »Drei Stunden.« – »Wann ritten die Leute fort?« – »Vor einer Stunde.« – »Wann wollen sie wiederkommen?« – »Kurz vor Abend.« – »Gut! Führe uns nach der Weide, wo sich die Pferde befinden.«
   Sternau lud zunächst seine Gewehre wieder, dann ließ er sich nach der Weide bringen. Hier wurden die drei besten Pferde ausgewählt und nach der Schlucht gebracht. Alle vorhandenen Waffen wurden in Decken gebunden und den Pferden aufgeladen. Darauf wurde auch der Gefangene auf ein Pferd geschnallt. Endlich stiegen die beiden Sieger auf, und fort ging es im Schritt durch den Wald, im Trab über die Berge und im Galopp über die Ebene.
   Wie erstaunten die Bewohner der Hazienda, als die kleine Truppe dort anlangte. Sternau hatte seinen Patienten verlassen müssen, daher war sein erster Weg zu diesem. Unterdessen erzählte der Mixteka seinen staunenden Zuhörern, was geschehen war.
   »Dieser Arzt ist der größte Held der Prärie«, sagte er. »Er ist Matavase, der Fürst des Felsens. Er hat fast zweimal fünfzehn Feinde getötet in zwei Minuten, und dennoch ist seine Büchse nicht warm geworden.«
   Büffelstirn war soeben mit seinem Bericht fertig geworden, als Sternau wieder erschien. Er hatte seinen Patienten schlafend gefunden und Emma seine Maßregeln eingeschärft. Alle anderen Bewohner der Hazienda standen im Hof versammelt. Pedro Arbellez trat ihm entgegen und reichte ihm die Hand.
   »Señor, Sie sind ein wahrer Teufel!« sagte er. »Aber es ist gut so, denn Sie haben mich vor einem fürchterlichen Feind errettet«
   Sternau nickte nur und erkundigte sich:
   »Wie weit liegt die Hacienda Vandaqua von hier?« – »Drei Reitstunden.« – »Wie stehen Sie mit dem Besitzer?« – »Er ist mein Feind.« – »Ich dachte es. Dort steckt jetzt Pablo Cortejo, der diese Mörderbande gegen Euch gedungen hatte. Wir müssen ihn haben. Ihr, Mariano und ich reiten mit zehn Mann hin. Büffelstirn kehrt mit zehn Mann nach der Schlucht des Tigers zurück, um die Pferde und Beute zu holen, und die übrigen bleiben unter Aufsicht meines Freundes Helmers hier zum Schutz der Hazienda, da man nicht wissen kann, was geschieht. Seid ihr einverstanden?«
   Alle die Genannten hatten nichts gegen die Rollen, die ihnen zugeteilt worden waren, und es dauerte nicht lange, so ritten die beiden Trupps von der Hazienda ab, ihrem Ziel entgegen.
   Die Abteilung unter Büffelstirn hatte glatte Arbeit. Die Leute erreichten die Schlucht, plünderten die Toten und luden die sämtliche Beute auf die Pferde, die sie nach Hause brachten.
   Anders war es mit der Abteilung, die nach der Hacienda Vandaqua bestimmt war. Diese mußte vorsichtig verfahren. Als man die Grenze überschritten hatte, begegnete ihnen ein Cibolero, der von der Hazienda kam. Sternau ritt an ihn heran und fragte:
   »Du kommst von der Hacienda Vandaqua?« – »Ja, Señor.« – »Ist der Besitzer zu Hause?« – »Er sitzt beim Monte und spielt um silberne Pesos.« – »Mit wem spielt er?« – »Mit einem fremden Señor aus der Hauptstadt.« – »Wie heißt dieser?« – »Ich habe den Namen wieder vergessen.« – »Cortejo?« – »Ja.« – »Sind noch andere Fremde bei euch?« – »Noch sechs Señores, die vorhin erst kamen. Sie liegen bei den Vaqueros und spielen auch, aber nicht um silberne Pesos.«
   Jetzt galt es vor allen Dingen, die richtige Art und Weise zu finden, um Cortejo in die Hand zu bekommen. Einen Hausfriedensbruch zu wagen, davon konnte gar keine Rede sein, dennoch aber stimmten sowohl Sternau als auch Mariano dafür, direkt dem Haziendero vor das Haus zu reiten und zu sehen, was weiter zu machen sei.
   Man hatte noch eine tüchtige Viertelstunde zu reiten, ehe man die Hazienda zu Gesicht bekam, aber vorher schon bemerkte man von weitem einige dunkle Punkte, die draußen über die Ebene jagten.
   Als die Truppe dort ankam, trat ihnen der Besitzer entgegen.
   »Ah, Señor Arbellez«, sagte er, indem ein unbeschreibliches Lächeln um seine Lippen spielte. »Was verschafft mir die so seltene Ehre, Herr Nachbar?«
   Da drängte Sternau sein Pferd vor und antwortete an Arbellez‘ Stelle:
   »Verzeiht, Señor! Ich bin hier fremd und suchte Señor Cortejo in der Hacienda del Erina. Ich erfuhr aber, daß ich zu Euch muß, um ihn zu finden. Ist er zu sprechen?«
   Das Äußere Sternaus machte einen solchen Eindruck auf den Haziendero, daß sein Lächeln verschwand. Er erhob den Arm, deutete hinaus in die Ferne und antwortete:
   »Tut mir leid, Señor. Cortejo ist vor kurzem aufgebrochen.« – »Wohin?« – »Ich weiß es nicht.«
   Sternau nickte lächelnd vor sich hin. Es war ja leicht erklärlich, daß dieser Mann Cortejo nicht verraten würde. Es galt nur zu prüfen, ob er die Wahrheit gesprochen habe, als er sagte, daß Cortejo aufgebrochen sei. Darum fragte Sternau:
   »Würde es uns erlaubt sein, für kurze Zeit auf dieser Hazienda zu rasten?« – »Gern«, antwortete der Mann. »Tretet näher, Señores!«
   Diese Einladung war Beweis genug, daß Cortejo nicht mehr anwesend sei.
   »Wer waren die Männer, die da nach Westen hinüber ritten?« fragte Sternau. – »Quien save – wer weiß es!« antwortete der Haziendero.
   Es war seinem verschlagenen Gesicht recht gut anzusehen, daß er hätte antworten können, wenn er gewollt hätte. Sternau machte also kurzen Prozeß:
   »Lebt wohl!« sagte er, indem er sein Pferd drehte. »Wir werden bald wissen, wer es gewesen ist.«
   Er sprengte davon, und die anderen folgten ihm.
   Sie schlugen dieselbe Richtung ein, in der sie den Reitertrupp bemerkt hatten; es war die Richtung nach der Schlucht des Tigers. Als sie den Wald erreichten, vermochten sie nur sehr langsam vorzudringen. Die Pferde hinderten das Fortkommen; auch mußten sie besondere Vorsicht anwenden, da die Gegner sich versteckt haben konnten, um die Verfolger aus der Verborgenheit heraus niederzuschießen. Sie gelangten jedoch glücklich an den Eingang der Schlucht. Hier ließ Sternau den Trupp halten, um die Spuren zu untersuchen. Er fand, daß die Vaqueros bereits hiergewesen waren, aber auch Spuren, die aus der Schlucht heraus in westlicher Richtung in den Wald hineinführten. Das war ganz sicher Cortejo mit seinen Leuten gewesen, und nun galt es, zu erfahren, wohin derselbe sich begeben habe.
   Aus diesem Grund folgte Sternau mit seinen Leuten diesen Spuren. Dieselben führten immer tiefer in den Wald hinein, schlugen eine südliche Richtung ein und traten in derselben aus dem Wald hinaus in die baumlose Ebene.
   Zur Sicherheit blieb man bis gegen Abend auf der Fährte und überzeugte sich während dieser Zeit, daß die Verfolgten die Absicht hatten, sich nach dem kleinen Städtchen El Oro zu begeben. Endlich hielt man beruhigt wieder inne, und Sternau sagte:
   »Wir können umkehren. Diese Leute sind uns wenigstens für einige Zeit ungefährlich. Sie haben eine Lehre erhalten, die sie sich merken werden.« – »Ich werde Anzeige erstatten«, bemerkte der Haziendero. – »Was wird dies Ihnen helfen?« – »Nichts, ich weiß es wohl. Dieses von der Natur so reich gesegnete Land ist doch eins der unglücklichsten der Erde. Es wird von Parteien zerspalten und zerrissen, einer ist gegen den anderen, Gerechtigkeit ist nicht zu finden, es gilt das Recht entweder des Schlechteren oder des Stärkeren, und wer Genugtuung haben will, der muß sie sich selbst nehmen. Ja, lasset uns zurückkehren. Der Anschlag, der gegen uns gerichtet war, ist niedergekämpft worden, und man wird uns nicht so bald wieder beunruhigen.«
   Sie erreichten die Hacienda del Erina, als es bereits längst dunkel geworden war.


   11. Kapitel

   Was Cortejo betrifft, so war er allerdings in der benachbarten Hazienda gewesen. Um seinen Zweck zu erreichen, hatte er eine der herumziehenden Freibanden, auf die er zufällig traf, in seinen Sold genommen. Diese Leute hatten zunächst die Aufgabe, Sternau und seine Begleiter unterwegs zu überfallen und zu töten, und als dies nicht gelang, da die Bedrohten von Büffelstirn gewarnt und sicher nach ihrem Ziel gebracht worden waren, so wurde der Überfall der Hazienda beschlossen, und man begab sich in die Nähe derselben, in die Schlucht des Tigers, dort jedoch wurden sie wieder von Büffelstirn belauscht und dann gar von diesem und Sternau ohne Gnade und Barmherzigkeit niedergemacht.
   Cortejo fühlte sich zu vornehm, als daß er seinen Aufenthalt bei diesen Leuten hätte nehmen mögen, darum besuchte er die benachbarte Hazienda, von deren Besitzer er wußte, daß er dem braven Pedro Arbellez feindlich gesinnt sei. Dort kam ihm die Kunde, daß man in der Gegend der Schlucht des Tigers ein heftiges Schießen gehört habe, und er brach schnell auf, um sich zu überzeugen, wem dasselbe gegolten habe.
   Als er die Schlucht erreichte, waren die Vaqueros unter Anführung Büffelstirns mit ihrer Beute bereits wieder unterwegs, und er fand daher nur die nackten, ausgeplünderten Leichen seiner Verbündeten. Im höchsten Schreck sprang er vom Pferd und untersuchte die Schlucht.
   »Die von der Hacienda del Erina sind hiergewesen«, sagte er zu seinen Begleitern. »Man hat erfahren, was wir beabsichtigten, und unsere Leute überfallen. Sehen wir rasch nach unseren Pferden!«
   Doch als sie den Ort erreichten, an dem die Tiere sich auf der Weide befunden hatten, war keins derselben mehr vorhanden.
   »Fort, alles fort!« rief jetzt Cortejo. »Diese Leute haben sich ganz gewiß nach allem genau erkundigt und wissen, daß wir fort waren und hier eintreffen werden. Sie werden also wiederkommen oder haben uns bereits einen Hinterhalt gelegt. Wir müssen fliehen, und zwar schnell, sogleich!« – »Ohne uns zu rächen?« fragte finster einer der Männer. – »Wir werden uns rächen, aber erst, wenn wir Aussicht auf Erfolg haben.« – »Und wohin reiten wir?« – »Dahin, wo wir am schnellsten vor Kampf und Verfolgung sicher sind, also nach der nächsten Stadt.« – »Also nach El Oro?« – »Ja. Wir reiten nicht direkt, sonst könnten sie uns auch dorthin folgen. Wir machen einen Umweg.« – »Gut. Wir tun Euch Euren Willen, aber wir bedingen uns aus, daß wir uns rächen dürfen. Wir haben die Verpflichtung, den Tod unserer Kameraden quitt zu machen.« – »Diesen Willen sollt ihr haben.«
   Cortejo sprach diese Worte aus, ohne daß er es gewußt hätte, wie es ihm möglich sei, sein Versprechen zu erfüllen. Er sah ein, daß sein Vorhaben vollständig verunglückt sei und daß man auf der Hacienda del Erina die Augen offenhalten werde. Für die nächste Zeit war nichts zu machen, das glaubte er mit aller Gewißheit annehmen zu können.
   Sie schlugen also einen Umweg nach Westen zu ein und wandten sich erst wieder nach Süden, als sie den Wald fast hinter sich hatten. Das nahm eine bedeutende Zeit weg, und als sie in die Nähe von El Oro gelangten, war es bereits Nacht geworden.
   Die Pferde traten sicherer auf als vorher, denn sie fühlten jetzt einen gebahnten Weg unter ihren Hufen. Es war der Weg, der nach dem Städtchen führte. Einige Lichter schimmerten ihnen entgegen, und eben tauchte das erste Haus auf, als sie von einer barschen Stimme angerufen wurden.
   »Wer da?« ertönte die Frage. – »Was soll das?« entgegnete Cortejo. – »Was das soll? Eine Antwort will ich haben!« – »Wer seid Ihr?« – »Donnerwetter, merkt Ihr das nicht? Dann seid Ihr ungeheuer dumm. Eine Schildwache bin ich, verstanden! Und wissen will ich, wer Ihr seid und was Ihr hier wollt.« – »Eine Schildwache? Macht keinen Spaß!« sagte Cortejo. »Ich möchte wissen, weshalb man hier eine Schildwache aufstellt!« – »Ihr werdet sogleich sehen, ob ich zum Spaß oder zum Ernst hier stehe!« antwortete der Mann mit drohender Stimme. »Also, wer da?« – »Gut Freund!« lachte Cortejo. »Laßt uns weiter!«
   Da zog der Mann ein Pfeifchen aus der Tasche und blies hinein. Ein heller Pfiff ertönte.
   »Was tut Ihr da?« fragte Cortejo. – »Ihr hört es ja. Ich gebe ein Signal.« – »Macht keine Faxen.«
   Mit diesen Worten wollte Cortejo den Mexikaner zur Seite schieben, dieser jedoch schlug sofort sein Gewehr auf ihn an und rief:
   »Zurück! Bleibt halten, sonst jage ich Euch eine Kugel durch den Kopf. Ihr habt zu warten, bis Leute kommen. El Oro steht unter Belagerungszustand.« – »Ah! Seit wann?« – »Seit zwei Stunden.« – »Und wer hat es in diesen Zustand versetzt?« – »Señor Juarez.«
   Dieser Name verursachte eine sofortige Wirkung. Die Männer, die Cortejo begleiteten, hatten Miene gemacht, den Posten einfach über den Haufen zu reiten, jetzt aber drängten sie ihre Pferde zurück. Auch Cortejo stieß einen Ruf der Überraschung aus.
   »Juarez!« rief er. »Ist er hier in El Oro?« – »Ihr hört es ja.« – »Oh, das ist etwas anderes, ich werde mich fügen. Da kommen schon Eure Kameraden.«
   Auf den Pfiff des Postens war ein zweiter als Antwort erschollen, und jetzt nahten einige sehr gut bewaffnete Männer, von denen der eine, ihr Anführer, sagte:
   »Was gibt es, Hermillo?« – »Diese Männer wollen in die Stadt.« – »Wer ist es?« – »Sie haben den Namen noch nicht gesagt.« – »So werden sie mir ihn wohl nennen.« – »Ich heiße Cortejo«, sagte dieser, »und bin aus der Hauptstadt. Jetzt befinde ich mich auf dem Rückweg nach derselben und wollte in El Oro übernachten.« – »Gehören die anderen zu Euch?« – »Ja.« – »Was seid Ihr?« – »Ich bin Verwalter der Besitzungen des Grafen Rodriganda.« – »Ach, auch so ein vornehmer Blutsauger! Kommt und folgt mir.«
   Diese Worte wurden in einem nicht sehr freundlichen Ton gesprochen.
   »Ich werde doch vielleicht vorziehen, weiterzureiten«, entgegnete Cortejo schnell, denn er fand augenscheinlich kein Wohlgefallen an seiner gegenwärtigen Lage, die ihm mutmaßlicherweise von keinem Vorteil sein konnte. – »Das geht nicht«, antwortete der Mann. »Ihr seid bis an unsere Vorposten gekommen und dürft nun nicht mehr zurück. Vorwärts.«
   Jetzt folgte Cortejo. Es war kein großes Wagestück, auf dem Pferd in der Finsternis der Nacht zu entkommen, aber Cortejo war kein Held, er zog es vor, zu gehorchen.
   Der Patrouillenführer geleitete sie in das Städtchen, das nur aus wenigen Häusern bestand, heute aber sehr belebt war. Überall erblickte man angehängte Pferde, deren Reiter sich bei den Einwohnern des Ortes gütlich taten.
   Juarez ist derselbe, der in dem traurigen Schicksal des Kaisers Maximilian von Mexiko später eine so hervorragende Rolle spielte. Er war jetzt noch nicht Präsident, sondern nur Parteiführer, doch besaß er bereits genug Berühmtheit, um gefürchtet zu werden. Er war kein Weißer, sondern ein Indianer. Man wußte, daß er verwegen, listig und grausam sei, aber er besaß einen unerschütterlichen Charakter und einen Willen, der fest genug war, in den politischen Wirrwarr des Landes Klarheit und Festigkeit zu bringen.
   Er hatte sein Quartier im besten Haus des Städtchens aufgeschlagen. Dorthin wurde Cortejo mit den Seinen geführt. Vor dem Eingang hielten vier bewaffnete Fahnenreiter mit gezogenen Degen Wache. Cortejo stieg mit den Seinen vom Pferd und gelangte mit seinem Führer in das Innere des Hauses. Dort wurde er sofort in ein großes Gemach geleitet, in dem man beim Abendbrot saß.
   Am oberen Ende der Tafel präsidierte Juarez, der Indianer. Er trug sein Haar damals ganz kurz geschoren, so daß man den eckigen Bau seines mächtigen Schädels deutlich bemerken konnte, und war sehr einfach gekleidet, einfacher, als alle die Herren seiner Umgebung. Aber selbst ein Fremder hätte ihm angesehen, daß er ihrer aller Herr sei. »Was ist‘s?« fragte er kurz, als er die Eintretenden bemerkte. – »Diese Leute sind vom Posten angehalten worden«, antwortete der Gefragte.
   Das Auge des Indianers richtete sich mit stechender Schärfe auf Cortejo.
   »Wer seid Ihr?« fragte er. – »Ich heiße Cortejo, bin der Verwalter des Grafen de Rodriganda und wohne in Mexiko«, antwortete Cortejo.
   Juarez sann einen Augenblick nach und fragte dann weiter:
   »Des reichen Spaniers Rodriganda, dem die Hacienda del Erina gehörte?« – »Ja.« – »Wo wollt Ihr hin?« – »Heim nach Mexiko.« – »Und wo kommt Ihr her?« – »Von der Hacienda Vandaqua.« – »Was habt Ihr dort getan?« – »Den Haziendero besucht.« – »In welcher Angelegenheit?« – »Aus Freundschaft.«
   Die Augenbrauen Juarez‘ zogen sich finster zusammen, und er stieß die Frage hervor.
   »Ach, Ihr seid sein Freund?« – »Ja«, antwortete Cortejo unbefangen. – »So seid Ihr der meinige nicht. Dieser Mensch ist ein Anhänger von Miramon.«
   Cortejo erschrak. Miramon war der Präsident von Mexiko. Er zog im Land umher, um sich Anhänger zu sammeln und vernichtete dabei rücksichtslos diejenigen, die sich ihm nicht ergeben zeigten.
   »Ich habe ihn nach seiner politischen Ansicht niemals gefragt.«
   Damit wollte Cortejo sich verteidigen, schien aber seine Lage nicht verbessert zu haben, denn es traf ihn ein Blitz aus den dunklen Augen, und die Lippen Juarez‘ zogen sich auseinander, so daß man, etwa wie bei einem zähnefletschenden Kettenhund, die weiß glänzenden Zähne erblickte.
   »Das macht mir nicht weis!« rief Juarez. »Wo zwei beieinander sind, da wird von Politik gesprochen, das bringt der gegenwärtige Stand der Verhältnisse mit sich. Übrigens weiß ich, daß auch Ihr ein Anhänger von Miramon seid.«
   Das klang noch bedrohlicher als vorher. Cortejo beeilte sich daher, sich zu verteidigen und entgegnete:
   »Das muß ein Irrtum sein, Señor. Ich habe den Parteien stets ferngestanden.« – »So seid Ihr weder warm noch kalt, und das ist noch schlimmer. Übrigens habe ich gehört, daß Graf Rodriganda auf bloßem Wunsch hin ein ganzes Detachement Lanzenreiter erhalten hat, um sich die Hacienda del Erina zu unterwerfen. Muß er da nicht Freund des Präsidenten sein?« – »Er vielleicht, aber doch nicht ich.« – »Pah! Wie der Herr, so der Diener. Ich werde mit Euch vorsichtig sein und Euch, so lange ich nicht vom Gegenteil überzeugt bin, als Spion betrachten.« – »Señor, der bin ich nicht«, stieß Cortejo ängstlich hervor. – »Das wird sich finden. Ihr kommt mir verdächtig vor. Von Mexiko bis nach der Hacienda Vandaqua macht man keinen bloßen Freundschaftsbesuch!« – »Aber Señor, ich habe ja gar nicht gewußt, daß Sie in El Oro sind!« – »So haben Sie es erfahren wollen. Oder liegt El Oro etwa auf dem Weg von der Hazienda nach Mexiko? Weshalb dieser Umweg?«
   Cortejo konnte eine Verlegenheit nicht verbergen.
   »Ihr schweigt?« fuhr der Indianer fort. »Gut, ich lasse Euch einsperren, und morgen wird sich die Wahrheit finden.« – »Ich bin unschuldig!« beteuerte Cortejo. – »Das wird gut für Euch sein! Jetzt aber fort mit Euch!«
   Da erhob sich unter den an der Tafel Sitzenden eine Stimme:
   »Señor Juarez, erlaubt! Haltet Ihr mich für einen aufrichtigen Freund?«
   Der Sprecher war ein großer, ungewöhnlich stark gebauter Mexikaner. Seine Gestalt fiel um so mehr auf, als die Bewohner Mexikos gewöhnlich von kleiner Statur sind.
   »Welche Frage, Señor Verdoja!« antwortete Juarez. »Hätte ich Euch zum Kapitän meiner Leibwache gemacht, wenn ich Euch nicht traute? Was wollt Ihr mit dieser Frage?« – »Ich möchte Euch bitten, den Worten Cortejos zu glauben!« entgegnete der Große.
   Cortejo hatte in seiner Befangenheit die einzelnen noch gar nicht näher gemustert und also auch diesen Mann nicht beachtet, aber bei dem tiefen Klang seiner Stimme zog der Ausdruck einer freudigen Überraschung über sein Gesicht. Er fühlte sich gerettet, denn er kannte seinen Fürsprecher.
   Verdoja war zwar kein Millionär, aber doch ein ziemlich wohlhabender Grundbesitzer. Er besaß im Norden des Landes ein weitläufiges Weidegebiet und war dort der Nachbar Rodrigandas. Auch der Graf hatte dort eine Besitzung. Es befanden sich auf derselben alte Quecksilbergruben, und deshalb hätte Verdoja dieses Besitztum gern an sich gebracht, aber Graf Ferdinando hatte nicht verkaufen wollen.
   »Wieso? Kennt Ihr ihn?« fragte Juarez. – »Ja«, lautete die Antwort. – »Ihr haltet ihn nicht für gefährlich?« – »Nein, im Gegenteil, er ist Euer Freund. Ich garantiere für ihn!«
   Juarez musterte Cortejo nochmals aufmerksam und sagte dann:
   »Wenn Ihr garantiert, so mag er gehen. Aber Ihr seid verantwortlich für alles.« – »Gern, Señor.«
   Da wandte sich Juarez zu Cortejo:
   »Wer sind die Männer bei Euch?« – »Es sind meine Begleiter, brave Leute, die keinem etwas tun.« – »Sie können abtreten und sich ein Lager suchen. Ihr aber mögt mit uns essen. Ich übergebe Euch an Señor Verdoja. Ihr habt gehört, daß er verantwortlich für Euch ist, und ich hoffe, daß Ihr ihn nicht in Schaden bringt«
   Somit hatte sich die erst so gefährlich aussehende Angelegenheit zum Besten gewendet Man machte Cortejo Platz am Tisch, er kam neben Verdoja zu sitzen und teilte nun das Abendbrot des berühmten oder vielmehr berüchtigten Indianers Juarez, der berufen war, Präsident von Mexiko zu werden und einem österreichischen Erzherzog die Kaiserkrone vom Kopf zu stoßen.
   Das Mahl war nicht fein, aber desto kräftiger. Es wurden Speisen und Getränke in Menge vertilgt und als man fertig war, konnte nicht ein einziger mehr sagen, daß er nüchtern sei. Nur Juarez allein war mäßig gewesen, wie die Indianer es gewöhnlich sind. Er hob die Tafel auf und zog sich zurück.
   Dies war das Signal zum Aufbruch, und nun erst konnten Verdoja und Cortejo ungestört miteinander sprechen. Der erstere nahm den letzteren unter den Arm und verließ mit ihm das Haus.
   »Ihr werdet bei mir schlafen«, sagte er. »Ich hoffe, daß es Euch nicht unangenehm ist, mein Quartier zu teilen.« – »Ich bin im Gegenteil sehr erfreut darüber«, antwortete Cortejo. »Nehmt übrigens meinen Dank für Eure Fürsprache, Señor Verdoja. Ohne dieselbe hätte ich heute nacht vielleicht nicht sehr bequem geschlafen.« – »Höchstwahrscheinlich. Ich erschrak förmlich, als ich hörte, daß Ihr auf der Hacienda Vandaqua gewesen seid, denn dieser galt ja, im Vertrauen gesagt, unser Besuch.« – »Ist‘s möglich?«
   Cortejo erschrak jetzt nachträglich so, daß es ihm war, als habe er einen Schlag erhalten. Er kannte den Ruf des Indianers und bemerkte, daß sein Leben an einem Haar gehangen habe.
   »Ja, es ist so«, antwortete der Hauptmann. »Ich sollte es Euch allerdings nicht sagen, denn es ist bis jetzt noch Geheimnis. Aber, was zum Teufel, habt Ihr denn auf dieser Hazienda zu tun gehabt? So viel ich weiß, ist Euch dieser Nachbar doch niemals recht gewogen gewesen.« – »Das ist anders geworden, Señor Verdoja. Er ist mein Nachbar nicht mehr!« – »Nicht? Wie geht das zu?« – »Die Hacienda del Erina gehört uns nicht mehr.« – »Wem sonst? Habt Ihr verkauft?« – »Nein. Pedro Arbellez hat sie geerbt« – »Donnerwetter! Vom Grafen Ferdinando?« – »Ja.« – »Da schlage das Wetter drein! Mir verkaufte er den Fetzen Landes, den ich haben wollte, nicht, und hier verschenkt er einen Flächenraum von zwanzig geographischen Quadratmeilen. Doch darüber sprechen wir weiter. Tretet ein, ich wohne hier.«
   Sie waren an ein anderes Haus gekommen, dessen Tür bei ihrem Nahen geöffnet wurde. Die Eigentümer der Wohnung ließen sich nicht sehen. Verdoja hatte das beste Zimmer inne; sein Lager war bereitet, und auf dem Tisch war ein Mahl aufgetragen.
   »Essen werden wir wohl nicht«, sagte er. »In dem Bett schlafe ich, und Ihr müßt mit meiner Hängematte zufrieden sein, die wir aufmachen werden.« – »Ich bin zufrieden; geniert Euch nicht, Señor«, meinte Cortejo.
   Die Hängematte wurde befestigt, und Cortejo nahm in derselben Platz. Der Hauptmann aber setzte sich auf sein Bett, streckte dem anderen eine Zigarette hin, steckte sich selbst eine an und fragte dann.
   »Wie ich hörte, ist Graf Ferdinando gestorben?« – »Allerdings.« – »Und Alfonzo ist Erbe?« – »Ja.« – »Er befindet sich in Spanien?« – »Seit einiger Zeit.« – »So übernahmt ihr die Verwaltung seiner hiesigen Ländereien allein?« – »Ja.« – »Das will ich Euch gönnen, Señor Cortejo«, lachte Verdoja zynisch. »Ihr sitzt nun im Rohr und werdet Euch Pfeifen schneiden. Könnte dabei nicht vielleicht etwas für mich abfallen, mein lieber Cortejo?« – »Ihr meint in Bezug auf das Quecksilberland?« – »Ja, natürlich.« – »Hm, darüber läßt sich jetzt vielleicht besser sprechen als früher. Aber sagt mir zunächst einmal, was Juarez auf der Hacienda Vandaqua will.« – »Er will dem Haziendero an den Kragen.« – »Alle Teufel! Warum?« – »Er ist von ihm verraten worden.« – »Inwiefern?« – »Das darf ich nicht sagen, aber so viel ist sicher, morgen um diese Zeit lebt der Haziendero nicht mehr. Juarez kennt keine Gnade und Nachsicht. Übrigens werde ich dabei Eure Hacienda del Erina zu sehen bekommen.« – »Ah! Inwiefern?« – »Weil ein Teil von uns dort Quartier nimmt.« – »Hm«, brummte Cortejo. »Und Ihr mit?« – »Ja.«
   Cortejo blickte still vor sich hin. Da fragte ihn der Hauptmann, dem dies auffiel:
   »Worüber denkt Ihr nach, Señor?« – »Über das Quecksilberland«, lächelte Cortejo. – »Wieso? Wollt Ihr den Grafen Alfonzo bereden, daß er es mir verkauft?« – »Nein, sondern ich will etwas tun, was Euch noch bedeutend lieber sein wird.« – »Was? Ihr macht mich neugierig.« – »Die Besitzung, die Ihr das Quecksilberland zu nennen beliebt, liegt Euch bequem?« – »Natürlich. Sie liegt ja an meiner Grenze.« – »Graf Ferdinando verkaufte sie nicht, weil er meinte, daß dort ein ungeheurer Metallreichtum liege.« – »Er irrt sich.« – »Pah! Ihr wißt ebensogut wie ich, daß er recht hat, Señor Verdoja. Wieviel bietet Ihr für das Land?« – »Wollt Ihr verkaufen?« fragte Verdoja schnell. – »Zunächst will ich wissen, wieviel Ihr bietet.« – »Hm, viel wird es nicht sein. Es ist kein Weideland, und gerade dies brauche ich notwendig.« – »Gebärdet Euch nicht wie ein Jude, der den Gegenstand tadelt, den er zu haben wünscht. Wir kennen uns seit längerer Zeit und ich glaube, daß wir aufrichtig miteinander reden können. Also sprecht.« – »Es ist, wie gesagt, kein Weideland. Es besteht aus schroffen, unbewachsenen Höhen und Tiefen, vegetationslosen Schluchten, aber es liegt in meiner Nachbarschaft, und darum würde ich vielleicht hunderttausend Pesos bieten.«
   Cortejo stieß ein Lachen aus und entgegnete:
   »Ihr seid hunderttausendmal nicht klug.« – »Warum meint Ihr das, Señor?« – »Das Besitztum wurde vom Grafen mit fünfmalhunderttausend Pesos gekauft und ist wie es jetzt liegt, wenigstens viermal so viel wert« – »Das sind Ansichten.« – »Bewahrheitet sich aber meine Vermutung, daß dort neben dem Quecksilber auch noch die edlen Metalle zu finden sind, so ist es mit fünf Millionen nicht bezahlt, denn es wird eine Rente bringen, die sich nicht nur auf Hunderttausende, sondern vielleicht auf eine Million beziffern kann.« – »Ihr phantasiert.« – »Ich sage meine nüchterne Ansicht spreche aber allerdings nicht von der Gegenwart, sondern nur von der Zukunft und gehe dabei von der Voraussetzung aus, daß jener Landesteil eine reiche Arbeiterbevölkerung erhält.« – »Aber Voraussetzungen pflegt man nicht zu bezahlen.« – »Ich weiß das. Ich stelle Euch das übrigens nicht in egoistischer, sondern nur in einer sehr wohlmeinenden Absicht vor.« – »Donnerwetter, seit wann seid Ihr auf einmal so wohlmeinend geworden?« – »Seit heute. Ihr wißt daß ich zu rechnen verstehe, Ihr habt mir heute einen großen Dienst erwiesen. Ohne Euch wäre ich vielleicht erschossen worden, und darum will ich wegen des Quecksilberlands einmal nicht so mit Euch rechnen.«
   Der Hauptmann zog eine spöttische Miene und sagte:
   »Ihr wollt mir die Besitzung doch nicht etwa schenken?« – »Ja«, antwortete Cortejo.
   Verdoja sprang vom Bett auf.
   »Was sagt Ihr da?« rief er. – »Was Ihr gehört habt, daß ich Euch dieses schöne Quecksilberland geradezu schenken will.«
   Der andere ließ sich wieder auf sein Bett nieder und erwiderte kalt:
   »Unsinn! Das klingt ja zu ungeheuerlich!« – »Und dennoch ist es wahr!« – »Hört, Cortejo, was würdet Ihr tun, wenn es mir einfiele, Euch beim Wort zu nehmen?« – »Ich würde es halten.« – »Hört, jetzt seid Ihr selbst hunderttausendmal nicht klug, wie Ihr vorhin zu mir sagtet.« – »Dieses scheint nur so, ich weiß ganz genau, was ich sage.«
   Jetzt wurde Verdoja ungeduldig.
   »So redet im Ernst und erlaubt Euch keinen so albernen Scherz mit mir«, sagte er. – »Ich spreche ja im Ernst, Señor.« – »Aber, beim Teufel, ein solches Land verschenkt ja kein halbwegs vernünftiger Mensch.« – »Wenigstens nicht ohne anderweitige Absicht und Berechnung.« – »Ah, jetzt kommt die Erklärung. Ihr habt also eine Absicht und Berechnung dabei?« – »Natürlich!« – »Darf man dieselbe kennenlernen?« – »Versteht sich! Es handelt sich nämlich um einen kleinen Dienst, den Ihr mir leisten sollt.« – »So redet. Ich bin begierig zu erfahren, für welchen Dienst ich eine solche Gratifikation erhalten soll.« – »Hm, man muß dabei ein wenig vorsichtig sein. Wir kennen uns zwar und dürfen uns also Vertrauen schenken. Ich weiß, daß Ihr tüchtige Körperkräfte besitzt …« – »Allerdings. Aber was hat dies hierbei zu tun?« – »Daß Ihr ein tüchtiger Schütze und Fechter seid …« – »Freilich. Auch meinen Dolch weiß ich zu führen.« – »Das ist es, was ich brauche. Auch nehme ich an, daß Ihr Euch stets in guter Übung erhalten habt …« – »Gewiß«, lachte der Hauptmann. »Es hat mancher, der mit mir anzubinden wagte, in das Gras beißen müssen.« – »Nun, so stehen Eure Aktien so ziemlich gut. Es handelt sich nämlich um einige Personen, die mir im Weg stehen.« – »Ah!« rief der Hauptmann. »Meint Ihr einen solchen Dienst, Señor Cortejo?« – »Allerdings.« – »Ihr wollt mich als Meuchelmörder dingen?« – »Nein, ich will Euch nur auf einige Leute aufmerksam machen, mit denen Ihr sonst sehr leicht in Streit geraten könnt. Und dann würdet Ihr Euch, so weit ich Euch kenne, wohl zu helfen wissen.« – »Ich denke es. Also wenn diese Leute mit mir anbinden würden und sich dabei eine Kugel oder einen guten Stich oder Hiebe holten, so … hm?« – »So würde ich Euch das Quecksilberland schenken.« – »Donnerwetter! Ist es wahr?« fragte Verdoja ganz begeistert. – »Gewiß.« – »Aber das Land gehört Euch nicht, es gehört dem Grafen Alfonzo de Rodriganda.« – »Er würde beistimmen.« – »Ihr wollt sagen, daß er die Schenkungsurkunde unterzeichnen würde?« – »Ja, gerade dies und nichts anderes will ich sagen, Señor Verdoja.« – »So wünsche ich nichts sehnlicher, als daß ich diese Leute treffe.« – »Nichts leichter als das. Vielleicht seht Ihr sie bereits am morgenden Tag.« – »Wo?« – »Auf der Hacienda del Erina.« – »Alle Teufel! Ihr meint doch nicht etwa den alten Señor Pedro Arbellez?« – »Nein, sondern seine Gäste. Es befinden sich nämlich einige Männer bei ihm, die ich gern im Himmel oder meinetwegen auch in der Hölle wüßte.« – »Wer sind sie?« – »Da ist zunächst ein deutscher Arzt, der Doktor Sternau heißt.« – »Schön. Ich werde mir diesen Namen merken.« – »Sodann ein deutscher Seemann, der heißt wohl Helmers, und drittens ist es ein Spanier, der sich Mariano oder vielleicht auch Leutnant Alfred de Lautreville nennt« – »Also diese drei?« – »Ja.« – »Sternau, Helmers und Mariano oder Lautreville. Ich werde diese Namen nicht vergessen. Also ich setze den Fall, daß sie Händel mit mir beginnen, und ich erwehre mich ihrer, so ist das Quecksilberland mein?« – »Ja.« – »Wer garantiert mir dafür?« – »Ich, mit meinem Ehrenwort« – »Hm, das ist zwar auch eine Garantie, aber eine ungewisse. Was habt Ihr denn eigentlich gegen diese Leute? Haben sie Euch beleidigt?« – »Ja.« – »Macht mir nichts weis, Señor Cortejo. Um sich wegen einer Beleidigung rächen zu können, gibt man keine solche Besitzung umsonst hin. Es muß etwas anderes sein.« – »Und wenn es das ist, was geht es Euch an?« – »Das ist richtig; aber warum bringt Ihr sie nicht selbst auf die Seite?« – »Kann ich? Ich bin mit Pedro Arbellez verfeindet und darf mich infolgedessen nicht auf der Hacienda del Erina blicken lassen.« – »So lauert sie ab, wenn sie die Hazienda verlassen!« – »Mein Amt läßt mir nicht die Zeit dazu. Übrigens war ich jetzt deshalb hier. Ich will Euch sagen, daß ich mir einen Trupp hübscher Burschen angeworben hatte …« – »Dreier Männer wegen?« spottete der Hauptmann. – »Ja, lacht nur! Diese drei Kerle haben neunundneunzig Teufel im Leib!« – »Das macht pro Mann dreiunddreißig. Nun, und wie es scheint, seid Ihr nicht mit ihnen fertiggeworden?« – »Nein. Sie haben mir meine Leute alle erschossen, und nur zufällig bin ich mit den wenigen davongekommen, die Ihr bei mir gesehen habt.« – »Das wäre ja entweder ein Wunder oder sonst etwas Ähnliches! Da bin ich doch begierig, diese drei Kerle kennenzulernen. Also diese Leute, die Ihr bei Euch habt waren von Euch angeworben?« – »Ja.« – »Sie nehmen es also mit dem, was man Recht und Gewissen nennt, nicht sehr genau?« – »Nein.« – »Hm, die wären zu gebrauchen. Wenn Ihr sie mir doch ablassen könntet, Señor!«
   Bei diesen Worten fiel Cortejo eine Last vom Herzen.
   »Herzlich gern«, sagte er. »ich wußte nicht, was ich mit ihnen anfangen sollte. Sie sind ganz Feuer und Flamme, sich an den dreien zu rächen. Von mir aus hätten sie jetzt keine Gelegenheit dazu erhalten können.« – »Gut, so sollen sie diese Gelegenheit bei mir finden. Morgen beim Frühstück werde ich mit ihnen sprechen. Ihr kehrt nach Mexiko zurück?« – »Ja.« – »So werde ich Euch Nachricht geben, sobald es mir gelungen ist.« – »Dann wird die Schenkungsurkunde oder der fingierte Kauf sofort nach Spanien gehen, um von Graf Alfonzo unterzeichnet zu werden. Aber wie wollt Ihr es anfangen, die drei Kerle zu beseitigen?« – »Das weiß ich jetzt noch nicht. Das werde ich erst dann sagen können, wenn ich sie gesprochen und beobachtet habe. Habt Ihr in dieser Angelegenheit noch etwas zu bemerken?« – »Nein.« – »So entschuldigt mich jetzt. Schlaft ruhig ein. Ich muß vorher gehen, um die Posten zu inspizieren. Juarez ist in solchen Sachen sehr streng, und wenn er eine Nachlässigkeit bemerkt, so sitzt selbst der Kopf eines Offiziers nicht fest auf seinem Körper.«
   Cortejo lehnte sich in seine Hängematte zurück und lächelte befriedigt vor sich hin. Er konnte ruhig und sorgenlos nach Mexiko zurückkehren, denn er war überzeugt, seine Angelegenheit den besten Händen anvertraut zu haben.
   Er kannte Verdoja als einen rohen, gewissenlosen Menschen, der wegen des Quecksilberlands nicht nur drei, sondern zehn und zwanzig Morde auf sich nehmen würde. Übrigens behielt er sich die Erfüllung seines Wortes im stillen noch vor. Waren die drei getötet, so konnte man den Fall ja ganz einfach ignorieren. Verdoja wagte es sicher nicht, den Preis seines Verbrechens gerichtlich einzuklagen, denn dann wäre er selbst verloren gewesen.
   Während Cortejo diesen Gedanken nachhing, ging der Hauptmann draußen von Posten zu Posten. Er hatte dabei aber weniger auf seine militärischen Obliegenheiten acht, als vielmehr auf die Gedanken, die der eigentümliche Handel in ihm erweckte.
   »Also eine Beleidigung ist es nicht, um derentwillen sie verschwinden und sterben sollen«, dachte er. »Was aber ist es dann?«
   Er ging eine Strecke in die finstere Nacht hinein und überlegte für sich: »Es ist ein hoher Preis, den er zahlt. Die Besitzung ist eine Million wert, und wer eine Million zahlt, bei dem muß es sich um noch viel mehr handeln. Aber was kann das sein? Der Graf gibt das Quecksilberland, folglich muß es sich um die ganze Grafschaft handeln. So möchte man fast denken. Wer sind diese drei? Ein Arzt und ein Seemann; beide sind Deutsche. Der dritte ist ein Spanier, der heißt Mariano oder Alfred de Lautreville. Das kling sehr geheimnisvoll. Er scheint derjenige zu sein, um den es sich eigentlich handelt.«
   Er setzte jetzt seine Inspektion fort, konnte aber seine Gedanken nicht von diesem Gegenstand abbringen. Der ungeheure Vorteil, den ihm der Handel versprach, nahm alle seine Gedanken gefangen.
   »Aber wird er auch Wort halten?« dachte er. Ich kenne diesen Cortejo als einen ausgemachten Schlaukopf. Wie nun, wenn ich die drei umbringe, und er tut dann, als ob er gar nichts von der ganzen Sache wisse? Dann wäre das Quecksilberland allerdings zum Teufel. Ich könnte nichts machen. Aber Cortejo ginge auch zum Teufel, das ist gewiß. Ich werde mir die Angelegenheit beschlafen.«
   Er kehrte in sein Quartier zurück und legte sich zu Bett. Am anderen Morgen ließ er die bisherigen Begleiter Cortejos zu sich bescheiden und nahm sie in Gegenwart des letzteren vor.
   »Wer seid ihr eigentlich?« fragte er sie.
   Derjenige, der bereits gestern den Sprecher gemacht hatte, antwortete:
   »Hat Euch dies Señor Cortejo nicht gesagt?« – »Nein.« – »Wir sind arme Teufel, die sich auf verschiedene Art und Weise ihr Brot verdienen.« – »Die Art und Weise macht euch also nicht bedenklich?« – »Das fällt uns nicht ein.« – »Wollt ihr euch ein wenig Brot bei mir verdienen?« – »Das geht nicht, denn wir stehen jetzt in Señor Cortejos Diensten.« – »Der hat euch an mich abgetreten.« – »Oho!« rief der Mann. »Das geht nicht!« – »Warum nicht?« – »Das ist unsere und Señor Cortejos Sache.« – Er hat mir alles anvertraut«, sagte der Offizier. »Ihr könnt offen mit mir sprechen.« – »Ist‘s wahr, Señor?« fragte der Mann Cortejo. – »Ja«, antwortete dieser. – »Das dürfen Sie nicht, Señor! Sie dürfen uns an niemand abtreten; wir sind freie Männer. Sie haben uns versprochen, daß wir unsere Kameraden rächen sollen!« – »Ich habe keine Zeit, euch weiter zu führen, aber dieser Señor wird es an meiner Stelle tun.« – »Ist das wahr?« – »Ja«, sagte Verdoja. »Ihr sollt euch rächen, ihr begleitet mich nach der Hacienda del Erina.« – »Mit den Lanzenreitern?« – »Nein, das geht nicht. Ihr folgt uns. Kennt ihr die Hazienda?« – »Ja.« – »Sie hat eine Umzäunung?« – »Ja, eine sehr feste.« – »Nun wohl. Heute um Mitternacht – bis dahin haltet ihr euch versteckt – kommt einer von euch an die südliche Spitze dieser Umzäunung. Dort werde ich mich befinden, um ihm Verhaltungsmaßregeln zu erteilen.« – »Aber wie steht es mit dem Preis?« – »Es bleibt derselbe wie bei Señor Cortejo.« – »So sind wir zufrieden. Dürfen wir aufbrechen?« – »Nein. Juarez hat noch nichts befohlen.«
   Die Freischärler traten einstweilen ab. Der Hauptmann aber begab sich in Juarez‘ Quartier und erhielt dort bald den Befehl, Cortejo zu holen. Als dieser eintrat, stand der Indianer mitten im Zimmer und empfing ihn mit finsteren Mienen.
   »Weißt du, wem du dein Leben zu verdanken hast?« fragte er ihn. – »Ich weiß es. Ich hätte es unschuldigerweise verloren.« – »Schweig! Señor Verdoja hat sich auch weiter für dich verbürgt. Du willst nach Mexiko?« – »Ja.« – »Man soll dort nicht wissen, daß ich hier in El Oro war, aber man wird es durch dich erfahren. Ich darf dich also nicht von mir lassen.« – »Señor, ich werde schweigen!«
   Der spätere Präsident machte eine verächtliche Handbewegung und sagte geringschätzig:
   »Ein Weißer schweigt nie, nur ein Indianer weiß Herr seiner Zunge zu sein. Ein Weißer hält höchstens dann sein Wort, wenn er es beschworen hat.« – »So will ich schwören, Señor.« – »Gut, schwöre!«
   Cortejo mußte die Hand erheben und beschwören, daß er von dem Zusammentreffen mit Juarez nichts verraten wolle. Erst jetzt schien der letztere ihm zu glauben.
   »Jetzt kannst du gehen«, sagte er. »Nimm deine Leute mit und merke dir, daß du für sie verantwortlich bist!«


   12. Kapitel

   Einige Minuten später saß Cortejo zu Pferd und verließ El Oro auf der entgegengesetzten Seite, wo er gestern eingeritten war. Die Freischärler begleiteten ihn, denn es sollte ja niemand wissen, daß sie mit dem Hauptmann in Beziehung standen. Erst nach einiger Zeit trennten sie sich von Cortejo und suchten auf einem Umweg die Richtung nach der Hacienda del Erina zu gewinnen.
   Sie waren bis jetzt unglücklich gewesen in ihren Absichten auf die Hazienda, jetzt aber brannten sie vor Begierde, sich für das Erlebte reichlich zu entschädigen.
   Kurz nach Cortejos Abreise verkündigte der Ton einer Trompete den Aufbruch. Die Lanzenreiter bestiegen ihre Pferde. Juarez setzte sich mit den Offizieren an die Spitze, und dann flogen sie auf ihren halbwilden Tieren über die Ebene dahin wie die Windsbraut, der niemand widerstehen kann.
   Es waren damals gar schlimme Zeiten für Mexiko. Es hatte sich längst vom Mutterland Spanien losgesagt und sich einen eigenen Herrscher gegeben, aber es hatte nicht die Kraft, ein selbständiger Staat zu sein. Ein Präsident verdrängte den anderen, die Finanzen befanden sich im schlechtesten Zustand, das Beamtentum war korrumpiert, es herrschte weder Treu und Glauben, noch Gehorsam im Land. Kein Militär wollte gehorchen, jeder Offizier wollte regieren, und jeder General wollte Präsident sein.
   Wer an das Ruder kam, der suchte das Land schleunigst auszusaugen, denn er wußte, daß ihm nicht viel Zeit dazu übrigbleibe. Der Nachfolger tat ganz dasselbe, ebenso der Statthalter jeder einzelnen Provinz. Zuletzt wußte kein Untertan mehr, wem er zu gehorchen habe, und am wohlsten befanden sich die Hazienderos, die die entlegensten Gegenden bewohnten.
   Mitten in diesem Wirrwarr war Juarez aufgetaucht und erlangte bald einen solchen Einfluß, daß er, obgleich er nichts weniger als Präsident war, sogar mit der Regierung der Vereinigten Staaten Traktate abschloß. Er war bald hier, bald dort, um für sich zu werben, um zu belohnen oder zu bestrafen, und ein solcher Zweck führte ihn auch heute nach der Hacienda Vandaqua.
   Als die Lanzenreiter dort ankamen, erregte ihr Anblick allgemeinen Schreck. Juarez stieg vom Pferd und trat, gefolgt von einigen Offizieren, in das Haus. Der Besitzer desselben befand sich mit seiner Familie beim zweiten Frühstück, als der Fürchterliche bei ihm eintrat
   »Kennst du mich?« fragte der Indianer streng. – »Nein«, antwortete der Haziendero. – »Ich bin Juarez.«
   Bei diesen Worten erbleichte der Mann.
   »O heilige Madonna!« rief er. – »Rufe die Madonna nicht, es ist vergebens; sie wird dir nicht helfen!« sagte Juarez finster. »Du bist ein Anhänger des Präsidenten?«
   Der Mann erbleichte.
   »Nein«, sagte er. – »Lüge nicht!« donnerte ihn der Indianer an. »Stehst du mit seinen Anhängern in Briefwechsel?« – »Nein.« – »Ich werde mich überzeugen. – Sucht!«
   Das letzte Wort war an die Offiziere gerichtet. Diese winkten einige der Mannschaften herbei, und nun begann eine genaue Untersuchung des ganzen Hauses. Nach einiger Zeit kam einer der Offiziere mit einem Paket Briefe herbei, die er dem Indianer wortlos überreichte. Dieser nahm sie ebenso wortlos entgegen und las sie. Als der Haziendero die Briefe sah, war er totenbleich geworden. Jetzt hing sein Auge angstvoll am Gesicht Juarez‘. Die Seinen standen stumm in der Ecke und erwarteten klopfenden Herzens das Kommende. Endlich war Juarez fertig mit Lesen. Er erhob sich von seinem Sitz und fragte den Haziendero:
   »Du hast diese Briefe empfangen?« – »Ja.« – »Und gelesen? Und beantwortet?« – »Ja.« – »Du hast vorhin gelogen, du bist ein Anhänger des Präsidenten. Du bist Mitglied einer Verschwörung gegen die Freiheit des Volkes. Hier hast du deinen Lohn!«
   Damit zog er ein Pistol hervor, zielte und drückte ab. Der Haziendero stürzte, durch die Stirn getroffen, zu Boden. Ein lauter, vielstimmiger Schrei des Entsetzens erscholl. Er wurde ausgestoßen von den Verwandten des Gerichteten. Juarez aber wandte sich mit unerschütterlicher Ruhe und Kälte an diese:
   »Schweigt! Auch ihr seid schuldig, aber ihr sollt nicht sterben. Ihr verlaßt das Haus. Ich konfisziere diese Hazienda mit allem, was dazugehört, als Eigentum des Staates. In einer Stunde müßt ihr fort sein. Ich gewähre euch Pferde, auf die ihr euer Eigentum packen könnt. Auch euer Geld dürft ihr mitnehmen. Jetzt fort aus meinen Augen!« – »Dürfen wir den Toten mitnehmen?« fragte jammernd die Frau. – »Ja. Jetzt aber packt euch!«
   Die Leute nahmen ihren Toten auf, trugen ihn hinaus, und als die Stunde vergangen war, verließen sie tränenden Auges die Hazienda. Jetzt gab Juarez dieselbe seinen Soldaten frei, und es wurde geplündert, so lange etwas zu finden war. Dann schlachtete man einige Rinder und begann im Freien nach Herzenslust zu schmausen.
   Juarez war unterdessen in dem Zimmer geblieben, während Verdoja die Plünderung beaufsichtigt hatte. Als er nun bei dem Indianer eintrat, sagte dieser:
   »So müssen alle enden, die gegen das Wohl des Vaterlands sündigen. Verdoja, seid Ihr treu?«
   Er richtete dabei einen wahren Tigerblick auf den Gefragten. Dieser antwortete ruhig:
   »Ja, Señor; das wißt Ihr.« – »Gut. Ich werde Euch eine Aufgabe erteilen. Habt Ihr Mut?« – »Hm«, lächelte der Hauptmann. »Habt Ihr mich einmal erbleichen sehen?« – »Nein, und darum werdet Ihr es zu hohen Ehren bringen. Kennt Ihr die Provinz Chihuahua genau?« – »Ich bin dort geboren und habe an der Grenze meine Besitzungen.« – »Gut. Ihr werdet Euch nach der Hauptstadt gleichen Namens begeben und meine Interessen dort vertreten. Wir trennen uns heute. Zuerst aber begleitet Ihr mich nach der Hacienda del Erina.« – »Reise ich mit Militärbegleitung?« – »Ihr erhaltet eine Schwadron, mit der anderen kehre ich zurück. Vorwärts!«
   Eine Minute später saßen sie zu Pferde und ritten, nur von einigen Lanzenreitern begleitet, fort. Einer der anwesenden Vaqueros mußte den Führer machen.
   Als sie die Hazienda erreichten, waren sie bereits bemerkt worden. Da die Bewohner derselben gewitzigt waren, so hatten sie das Tor verschlossen. Juarez selbst klopfte an.
   »Wer ist draußen?« fragte Arbellez von innen. – »Soldaten! Öffnet!« – »Was wollt Ihr?« – »Alle Teufel, wollt Ihr öffnen oder nicht?«
   Sternau, Helmers und Mariano standen neben dem Haziendero.
   »Soll ich öffnen?« fragte dieser leise. – »Ja«, antwortete Sternau. »Es sind ja nur einige Reiter.«
   Als das Tor offen war und Juarez in den Hof ritt, musterte er mit funkelndem Auge die Leute, die vor ihm standen.
   »Warum gehorchtet Ihr nicht?« donnerte er. – »Wir kennen Euch nicht«, antwortete Arbellez. »Seid Ihr einer, dem man zu gehorchen hat, Señor?« – »Ich bin Juarez. Kennt Ihr meinen Namen?«
   Arbellez verbeugte sich ohne alle Verlegenheit und antwortete:
   »Wohl kenne ich ihn. Verzeiht, daß wir nicht sogleich öffneten. Tretet in mein Haus; Ihr seid uns willkommen.«
   Er geleitete die beiden Gaste nach dem Salon, wo sie sich ohne Umstände niederließen. Trotz des freundlichen Empfangs hatte Juarez seine finstere Miene nicht verloren und fragte:
   »Saht Ihr uns kommen?« – »Ja, Señor.« – »Und Ihr saht, daß wir Soldaten sind?« – »Ja, das sahen wir.« – »Und Ihr öffnetet trotzdem nicht? Das verdient Strafe!« – »Oh, Señor, der Präsident hat auch Soldaten. Diese würden mir nicht willkommen sein. Ich konnte doch nicht wissen, daß Sie es selbst waren.«
   Juarez‘ Züge heiterten sich auf.
   »Also, ich bin Euch wirklich willkommen.« – »Von Herzen.« – »Warum?« – »Weil Sie eine feste Hand haben, Señor, und diese fehlt unserem armen Land.« – »Ja. Diese feste Hand hat bereits mancher gefühlt. Vorhin wieder einer. Sagt, kennt Du die Hacienda Vandaqua?« – »Ich kenne sie genau.« – »Und alles, was dazu gehört?« – »Alles; ich bin ja der Nachbar.« – »Wieviel Pacht ist diese Besitzung wohl wert, Señor Arbellez?« – »Sie ist ja Eigentum, aber kein Pachtgut.« – »Beantwortet meine Frage!« sagte Juarez ungeduldig. – »Nun, wenn sie sich unter besseren Händen befände, könnte man zehntausend Duros zahlen, jetzt aber nicht.« – »Gut, so sollt Ihr sie für siebentausend Duros zur Pacht erhalten.«
   Arbellez blickte den Indianer verwundert an.
   »Señor, ich verstehe Euch nicht«, sagte er. – »Ich spreche deutlich genug. Ich denke, diese Pachtung liegt Euch bequem. Wollt Ihr sie oder nicht?« – »Ich habe keine Ahnung, daß die Hacienda Vandaqua zu verpachten ist!« – »Sie ist‘s. Ich habe sie für den Staat konfisziert und gebe sie Euch.« – »Und der Besitzer?« fragte Arbellez erschrocken. – »Er starb an meiner Kugel; er war ein Verräter. Seine Familie hat die Besitzung verlassen müssen. Entschließt Euch schnell, Señor!« – »Wenn es so steht, so sage ich ja. Aber …« – »Kein Aber! Holt Schreibzeug! Wir wollen diese Angelegenheit ordnen.«
   Wie alles, was Juarez in die Hand nahm, so wurde auch diese Sache in fliegender Eile und doch ganz sorgfältig und ordnungsmäßig erledigt. Dann sagte er:
   »Dieser Señor ist Hauptmann Verdoja. Er wird einige Tage bei Euch wohnen.«
   Das war dem Haziendero überraschend, aber er ließ sich nichts merken, sondern hieß den Hauptmann willkommen. Juarez fuhr fort:
   »Er hat eine Schwadron Reiter mit. Könnt Ihr diese verpflegen?« Arbellez bejahte diese Frage, obgleich er lieber nein gesagt hätte.
   »Diese Leute werden gegen Abend hier eintreffen. Sorgt für sie und macht dann mit dem Hauptmann Eure Rechnung. Lebt wohl!«
   Er erhob sich und schritt zur Tür hinaus. Verdoja folgte ihm. Sie ritten mit ihrer Begleitung im Galopp davon, die Bewohner der Hacienda del Erina in Verwunderung zurücklassend.
   Weshalb hatte der Nachbar sterben müssen? Weshalb sollte gerade Pedro Arbellez der Pächter sein? Also dieser Mann war Juarez, der große Indianer, den ganz Mexiko fürchtete und zugleich liebte und haßte. Diejenigen, die diese Frage aussprachen, ahnten nicht, welche Folgen die Anordnungen des Parteigängers für sie haben würden.
   Als dieser die Hacienda Vandaqua erreichte, fand er vor dem Haus alles aufgeschichtet, was die Lanzenreiter des Mitnehmens für wert gehalten hatten. Diese Beute wurde geteilt, und so wenig auf den Mann kam, es erregte bei den nicht an Luxus gewöhnten Leuten doch unendliche Freude.
   Nun das vorüber war, erhielt Hauptmann Verdoja seine Instruktion. Sein Aufenthalt bei Arbellez hatte nur den Zweck, die Pferde ausruhen und kräftigen zu lassen, da der Weg hinüber nach Chihuahua ein sehr beschwerlicher ist. Verdoja sollte sich auf der Hacienda del Erina nicht zu lange verweilen und dann schnell seinen Bestimmungsort zu erreichen suchen, wo er im Interesse seines jetzigen Vorgesetzten zu wirken hatte. Beide sprachen lange Zeit heimlich und angelegentlich miteinander. Man sah es ihnen an, daß sie höchst wichtige Sachen besprachen; dann aber schieden sie mit einem einfachen Händedruck voneinander.
   Juarez ließ aufsitzen und flog mit seiner Schwadron den Weg zurück, den er heute am Vormittag gekommen war. Er glich einem Rachegeist, der ebenso schnell verschwindet, wie er kommt, immer aber die blutige Spur seines Wirkens hinter sich läßt


   13. Kapitel

   Es wogt der Aufruhr durch die Gassen,
   Die Höhen leuchten blutig rot;
   Es geht durchs Land ein grimmig Hassen,
   Und reiche Ernte hält der Tod.
   Der Menschheit wild gewordne Scharen
   Zieh‘n mordend durch den weiten Gau,
   Und tausend tückische Gefahren
   Wälzt die Empörung durch die Au‘.
   Das stille Land wird zum Vulkane,
   Der weithin sein Verderben speit.
   Und die Elemente zum Orkane,
   Zertrümmernd alles, weit und breit.

   Es war bereits gegen die Zeit der Abenddämmerung, als donnernder Hufschlag das Nahen der Lanzenreiter verkündigte. Nur die Offiziere sollten in dem Haus wohnen, die Mannschaft mußte es sich unter dem freien Himmel so bequem wie möglich machen. Das ist in jenen Breiten nichts Ungewöhnliches und wird nichts weniger als hart empfunden. Die Pferde sind dort halb wild und bedürfen keiner Stallung, und die Menschen führen ein Leben, das es ihnen ganz gleichgültig macht ob sie in einem weichen Bett einer einfachen Hängematte oder auf harter Erde liegen.
   Kapitän Verdoja wurde mit seinen Offizieren in den Salon geführt; dann trat nach dem Willkommenstrunk die alte Hermoyes ein, um die Herren nach ihren Zimmern zu führen. Emma Arbellez hatte das Krankenbett des Geliebten verlassen, um diese Zimmer noch einmal zu revidieren, ob sich alles in Ordnung befinde. Sie stand in dem Raum, der dem Kapitän zugewiesen wurde. Sie hörte seine Schritte; es war zu spät, sich zurückzuziehen.
   Er öffnete die Tür, um einzutreten, da sah er sie in der Mitte des Zimmers stehen. Sie war vorher bereits schön gewesen, jetzt aber hatte die Sorge um den Geliebten ihren Zügen etwas Bewegt-Inniges aufgeprägt, das den Eindruck ihrer Erscheinung noch um ein Bedeutendes steigerte. Die Sonne sank soeben hinter dem Horizont hinab; ihre letzten Strahlen drangen durch das Fenster herein und umflossen die Gestalt des schönen Mädchens mit einem rosig goldenen Schein. Es war, als ob die Königin des Tages ihre schönsten Strahlen hereinsende, um auf die schwellenden Lippen der Holden einen Abschiedskuß zu drücken. Verdoja blieb überrascht stehen. Das war ein Bild, wie es die Hand des größten Künstlers nicht auf die Leinwand zu werfen vermochte. Er fühlte sich ergriffen und gepackt, aber nicht von jenem reinen, heiligen Gefühl, welches das Schöne liebt und zugleich ehrt, sondern von einer plötzlichen, leidenschaftlichen Empfindung, wie sie dem Herzen eines in Genußsucht und Frivolität versunkenen Menschen eigen ist.
   Emma verbeugte sich errötend und bat mit lieblich klingender Stimme:
   »Treten Sie näher, Señor! Sie befinden sich in Ihrer Wohnung.«
   Er gehorchte dieser Aufforderung und verbeugte sich mit dem Anstand eines gewandten, im Umgang mit dem schönen Geschlecht erfahrenen Kavaliers.
   »Ich bin entzückt, meine Wohnung durch die Anwesenheit der Schönheit geweiht zu sehen«, antwortete er, »und bitte um Ihre milde Verzeihung, daß ich diesen Weiheakt durch meine Dazwischenkunft profaniere.«
   Sie hatte bereits im Begriff gestanden, ihm nach mexikanischer Sitte die Hand zum Willkommen entgegenzustrecken, jetzt aber zog sie dieselbe wieder zurück. Es lag in seinem Wesen, seinen Worten, in seinem Gesicht etwas, das sie feindselig berührte.
   »O bitte, der ganze Weiheakt bestand nur darin, nachzusehen, ob genügend für Ihre Bequemlichkeit gesorgt sei«, sagte sie. – »Ah, so sind Sie also der Schutzgeist des Hauses! Vielleicht gar …?« – »Der Haziendero ist mein Vater«, sagte sie kurz. – »Ich danke, Madonna! Mein Name ist Verdoja; ich bin Hauptmann der Lanzenreiter und fühle mich in diesem Augenblick unendlich glücklich, Ihr kleines, reizendes Händchen küssen zu dürfen.«
   Er hatte dabei ihre Hand ergriffen und drückte, ohne daß sie es so schnell zu verhindern vermochte, seine Lippen auf dieselbe. Sie zog die Hand wie erschreckt zurück.
   »Erlauben Sie, daß ich Ihr Gebiet Ihnen überlasse«, sagte sie. »Sie werden der Ruhe und Erfrischung bedürfen.«
   Sie machte Miene, sich der Tür zu nähern, er aber trat ihr mit einem schnellen Schritt in den Weg.
   »Oh, ich bedarf der Ruhe gar nicht«, sagte er, »und mein eigentliches Gebiet ist die Liebe und die Anbetung der Schönheit. Lassen Sie sich nieder, Madonna. Ich sehe Sie erst seit einer Minute, aber ich schmachte danach, hier an Ihrer Seite bleiben zu dürfen.«
   Emma geriet in sichtliche Verlegenheit. Dieser Mann war jedenfalls gewöhnt, mit den koketten Damen der Hauptstadt zu verkehren, sie aber fühlte sich einem so selbstbewußten Auftreten gegenüber fast waffenlos.
   »O bitte, erlauben Sie!« bat sie. »Ich habe Pflichten zu erfüllen.«
   Sein Auge bohrte sich flammend und verlangend in ihr Angesicht Sie antwortete:
   »Die vornehmste Pflicht der Wirtin ist, sich dem Gast angenehm zu machen.« – »Und die Pflicht des Gastes ist es, aufmerksam gegen die Wirtin zu sein!« – »Das bin ich, wahrhaftig, das bin ich!« rief er. »Erlauben Sie mir Ihre Hand, und verlassen Sie mich jetzt noch nicht!«
   Er griff nach ihrer Hand, sie aber brachte es fertig, in diesem Augenblick an ihm vorüberzuschlüpfen und die Tür zu erreichen.
   »Adieu, Señor!« sagte sie, dieselbe öffnend. – »Halt!« rief er. »Ich lasse Sie nicht fort.«
   Er griff nach ihr, aber schneller als seine Hand war, huschte sie hinaus und drückte die Tür hinter sich zu. Er stand da und starrte lange Zeit die Tür an.
   »Donnerwetter!« meinte er. »Welch eine Schönheit! Es ist mir noch gar nicht so gegangen wie jetzt, daß ich gleich beim ersten Anblick so perfekt verliebt bin. Das wird ein reizendes Quartier. Wäre ich nicht bereits verheiratet so wäre ich vielleicht imstande, hier an dieser wunderbar hübschen Klippe zu scheitern. Aber mein muß sie werden.«
   Emma war froh, glücklich entkommen zu sein. Die unlautere Begierde, mit der die Augen dieses wüsten Mannes auf ihr geruht hatten, erschreckte sie, und sie nahm sich vor, seine Nähe so viel wie möglich zu meiden. Sie begab sich von ihm direkt nach dem Krankenzimmer, wo jetzt ihr immerwährender Aufenthalt war.
   Dort fand sie Sternau und Helmers, die neben dem Kranken saßen. Der Zustand desselben war ein befriedigender. Die Operation war vortrefflich gelungen, und das Wundfieber machte ihm noch nicht viel zu schaffen. Er besaß sein vollständiges Bewußtsein, wenigstens in diesem Augenblick, und sprach mit dem Arzt der ganz in der Nähe des Bettes saß. Als er die Geliebte bemerkte, breitete sich die Röte der Freude über sein blasses Gesicht.
   »Komm her, Emma«, bat er. »Denke Dir, Herr Doktor Sternau behauptet, meine Heimat zu kennen.«
   Emma wußte dies bereits, aber sie stellte sich, als ob es ihr neu sei.
   »Ah«, sagte sie, »das ist ein sehr glückliches Zusammentreffen.« – »Ja. Meinen Bruder kennt er auch. Er hat ihn vor seiner Abreise gesehen.«
   Dieser Bruder saß hinter dem Fenstervorhang; daß er da sei, durfte der Patient noch nicht wissen. Es war notwendig, jede Aufregung, mochte sie nun eine fröhliche oder traurige sein, von ihm fernzuhalten. Er war durch seinen krankhaften Zustand und die darauf folgende Operation so geschwächt, daß er fast stets im Schlaf oder in einem traumhaften Halbwachen lag, und so waren die hellen Augenblicke, wie der gegenwärtige, selten.
   Dies zeigte sich auch jetzt. Kaum hatte sich Sternau erhoben und Emma an seiner Stelle Platz genommen, so ergriff der Kranke ihre Hand, lächelte ihr glücklich zu und schloß die Augen. Er pflegte mit ihrer Hand in der seinigen einzuschlafen. Dies tat er auch jetzt.
   »Sie hegen keine Befürchtung mehr?« flüsterte da Emma Sternau zu. – »Nein. Diese stets wiederkehrende Ruhe, dieser gesunde Schlaf werden ihn körperlich und geistig schnell kräftigen. Wir haben nichts zu tun, als das Besserungsbestreben der Natur zu unterstützen, indem wir alles Störende von ihm fernhalten. Aber Sie selbst müssen sich auch die nötige Ruhe gönnen, sonst bringt uns die Heilung des einen die Erkrankung des anderen.« – »Oh, ich bin stark, Señor!« sagte sie. »Haben Sie um mich keine Sorge.«
   Sternau ging und nahm Helmers mit sich. Sie begaben sich hinab vor das Haus, um das Lagerleben der Soldaten in Augenschein zu nehmen. Dort trafen sie auch Mariano, den die gleiche Absicht herbeigetrieben hatte.
   Die Lanzenreiter waren beschäftigt, Holz zu ihren Lagerfeuern herbeizuschaffen. Sie trugen, während die Pferde frei zur Weide gingen, die Sättel zusammen, die als Kopfkissen zu dienen hatten. Arbellez hatte ihnen einen Stier zur Verfügung gestellt, den sie geschlachtet hatten und jetzt bereits zerstückten. Alles das gab ein lebhaftes, bewegtes Bild, dem die Männer eine ganze Weile zuschauten.
   Dann kam die Zeit des Nachtmahls. Sie begaben sich nach dem Speisesalon, wo sich auch bald die Offiziere einstellten. Der erste Blick des Hauptmanns oder Rittmeisters flog in der Runde herum, um zu sehen, ob Emma anwesend sei. Verdoja fühlte sich enttäuscht, als er bemerkte, daß sie nicht zugegen war. Die alte, gute Hermoyes mußte ihre Stelle vertreten.
   Arbellez stellte die Gäste einander vor. Die mexikanischen Offiziere verhielten sich höflich, aber zurückhaltend gegen die Fremden. So feine Caballeros wie sie brauchten um die Gunst eines Deutschen nicht zu buhlen.
   Verdoja beobachtete Sternau, Helmers und Mariano; das waren also die Männer, deren Tod ihm einen Länderbesitz im Wert von über eine Million einzubringen hatte. Sein Auge glitt über Mariano und Helmers schnell fort und blieb auf Sternau haften. Die mächtige Gestalt desselben imponierte ihm. Mit diesem Mann war nicht leicht anzubinden, der war ja ein Riese, stärker als Verdoja selbst. Und welches Selbstbewußtsein in jeder seiner Bewegungen und in jedem der wenigen Worte, die er sprach! Der Rittmeister nahm sich vor, bei diesem Mann sein Heil nur in der List zu suchen.
   Im Lauf der Unterhaltung während der Tafel machte Arbellez eine Bemerkung, die der Rittmeister sofort aufgriff.
   »Es ist uns nicht nur eine Freude, sondern auch eine Beruhigung, Sie hier zu sehen, Señores«, sagte der Haziendero. »Noch gestern erst drohte uns eine große Gefahr.«
   Verdoja kannte diese Gefahr aus seiner Unterredung mit Cortejo, aber er tat doch so, als ob er gar nichts davon wisse.
   »Eine Gefahr? Welche war es?« fragte er. – »Wir sollten überfallen werden«, antwortete Arbellez. – »Nicht möglich! Von wem?« – »Von einer Schar von Freibeutern oder Briganten.« – »Dann muß diese Schar eine bedeutende gewesen sein.« – »Über dreißig Mann.« – »Alle Wetter! Wenn sich solche Banden zusammentun, so ist es notwendig, die Zügel fester anzuziehen. Galt es Ihrer Hazienda, oder hatte man es nur auf Personen abgesehen?« – »Eigentlich wohl das letztere, aber da diese Personen sich in meinem Haus in Sicherheit befanden, so plante man, dasselbe zu überfallen, zu zerstören und alles zu töten.« – »Teufel! Darf man erfahren, welche Personen das sind?« – »Gewiß. Es sind die Señores Sternau, Mariano und Helmers.« – »Sonderbar! Wie haben Sie sich der Spitzbuben erwehrt?« – »Unser Señor Sternau hat sie alle niedergeschossen.«
   Der Rittmeister blickte überrascht zu dem Genannten hinüber, und auch die anderen Offiziere lächelten überlegen und ungläubig.
   »Die ganze Bande?« fragte Verdoja. – »Nur einige wenige ausgenommen.« – »Und das hat Señor Sternau ganz allein fertiggebracht?« – »Ja. Er hatte nur einen Begleiter mit, der vielleicht zwei der Feinde erschossen hat, die anderen kommen alle auf Señor Sternaus Rechnung.« – »Das klingt unglaublich. Dreißig Mann sollten sich so ohne alle Gegenwehr von einem einzigen Mann niederschießen lassen? Ihr irrt!« – »Es ist wahr«, sagte der Haziendero begeistert. »Lassen Sie es sich erzählen.«
   Da warf Sternau einen ernsten Blick auf Arbellez und sagte:
   »Bitte, lassen wir das. Was geschah, ist keine Heldentat.« – »Es ist eine Heldentat, dreißig Mann zu töten«, sagte der Rittmeister, »und ich hoffe, Señor, daß Sie nichts dagegen haben, daß wir uns diese interessante Tatsache erzählen lassen.«
   Sternau zuckte die Schultern und ergab sich in das Unvermeidliche. Pedro Arbellez machte den Berichterstatter, und er erzählte so lebendig, daß die Offiziere mit ihren Blicken bis zu seinem letzten Wort an seinem Mund hingen.
   »Kaum glaublich!« rief der Rittmeister. »Señor Sternau, ich gratuliere Ihnen zu einer solchen Tat.« – »Danke«, sagte dieser ziemlich kühl. – »Solche Tapferkeit ist nicht zu verwundern«, meinte Arbellez. »Haben Sie einmal von dem Indianerhäuptling Büffelstirn gehört, Señor Verdoja?« – »Ja. Er ist der König der Büffeljäger.« – »Und kennen Sie vielleicht einen nördlichen Jäger, den man den Fürsten des Felsens nennt?« – »Ja. Er ist der stärkste und verwegenste Jäger, den es geben soll.« – »Nun, Señor Sternau ist dieser Jäger, und Büffelstirn war sein Begleiter nach der Schlucht des Tigers.«
   Die Offiziere stießen einen Ruf der Überraschung aus. Sie hatten nicht geahnt, daß sie sich einem so berühmten Mann gegenüber befanden.
   »Ist dies wahr, Señor Sternau?« fragte der Rittmeister. – »Ja«, antwortete dieser, »obgleich es mir lieb wäre, meine Person nicht in dieser Weise in den Vordergrund gedrängt zu sehen.«
   Verdoja war ein kluger Kombinist. Er sagte sich, dieser Mariano ist die Hauptperson des Geheimnisses, und wenn sich dieser Fürst des Felsens seiner annimmt, so muß das Geheimnis ein wertvolles sein. Er beschloß kurz zu handeln und fragte daher:
   »Aber wie kommt es, daß man es gerade auf diese drei Señores abgesehen hat?« – »Das kann ich Ihnen erklären«, antwortete der Haziendero.
   Aber ehe er seine Erklärung beginnen konnte, fiel Sternau ein.
   »Das ist eine Privatangelegenheit, von der ich nicht glaube, daß sie Señor Verdoja interessieren wird. Brechen wir ab.«
   Arbellez nahm diese verdiente Zurechtweisung schweigend entgegen, der Rittmeister gab sich aber nicht zufrieden, sondern fragte:
   »Liegt die Schlucht des Tigers weit von hier?« – »Sie ist in einer Stunde zu erreichen«, antwortete Sternau. – »Ich bin begierig, diesen Ort zu sehen. Würden Sie vielleicht die Güte haben, mich oder uns dorthin zu begleiten, Señor Sternau?« – »Ich stehe zur Verfügung«, antwortete der Gefragte.
   Über das Gesicht des Rittmeisters glitt ein Zug der Befriedigung, den er nicht sofort zu beherrschen vermochte. Sternau, gewöhnt, selbst auf das Geringste zu achten, bemerkte dies, es fiel ihm auf; es kam ihm vor, als sei der Rittmeister aus irgendeinem Grund froh, diese Zusage der Begleitung zu erhalten. Er wurde aufmerksam und mißtrauisch, ließ sich aber nichts merken.
   »Und wann können wir reiten?« fragte Verdoja. – »Ganz wann es Ihnen beliebt, Señor«, antwortete Sternau. – »So werde ich mir erlauben, Ihnen die Stunde mitzuteilen.«
   Damit war dieser Gedanke abgetan und wurde im weiteren Verlauf des Gesprächs auch nicht wieder berührt.


   14. Kapitel

   Nach dem Abendmahl begaben sich die Offiziere nach ihren Gemächern. Der eine Leutnant, ein junger Wüstling, legte sich in sein Fenster, um die von dem Wachtfeuer erleuchtete Szenerie zu genießen. Da erblickte er ein weißes Frauengewand, das aus den dunklen Bosketts des Blumengartens emporleuchtete.
   »Eine Dame«, dachte er. »Wo Damen sind, da gibt es Abenteuer; da sucht man Liebe und Glück. Ich gehe hinunter.«
   Der Mexikaner ist gewöhnt, mit jeder Dame zu tändeln; er findet niemals eine Zurechtweisung, und so machte sich Leutnant Pardero keine Bedenken, ein kleines Abenteuer zu suchen. Die Soldaten hatten den Blumengarten respektiert, sie waren nicht in denselben eingedrungen, und so kam es, daß sich die Dame ganz allein befand. Es war Karja, die Indianerin, die Schwester Büffelstirns.
   Sie hatte sich im Garten ergangen, um der Vergangenheit zu gedenken. Sie dachte an Graf Alfonzo, den sie geliebt hatte, und wunderte sich, daß es möglich gewesen war, einem solchen Menschen ihr ganzes Herz zu schenken; jetzt haßte sie ihn. Sie dachte an Bärenherz, den tapferen Häuptling der Apachen, der sie geliebt hatte, und wunderte sich, daß es möglich gewesen war, einem solchen Krieger gegenüber kalt und gleichgültig zu bleiben; jetzt liebte sie ihn. Wie glücklich wäre sie gewesen, ihn einmal wiederzusehen. Aus diesem Sinnen erweckte sie ein leiser Schritt, der in ihrer Nähe erklang. Sie blickte auf und sah den Leutnant. Sie wollte sich entfernen, er aber trat ihr in den Weg und bat mit einer galanten Verbeugung:
   »Entfliehen Sie mir nicht, Señorita! Es sollte mir leid tun, wenn ich Sie im Genuß dieser herrlichen Blumendüfte störte.«
   Sie blickte ihn forschend an und fragte dann:
   »Wen suchen Sie, Señor?«
   Es war ziemlich dunkel, aber die Wachtfeuer warfen ihren Schein über die Planken herein, und bei diesem flackernden Licht erblickte er eine schlanke und doch volle Gestalt, die leicht bekleidet war, und ein dunkel gefärbtes Gesicht mit glühenden Augen und einem Lippenpaar, das zum sofortigen Genuß einlud.
   »Ich suche niemand«, antwortete er. »Der Abend war so schön, und da trieb es mich in den Garten. Ist der Zutritt zu demselben verboten?« – »Den Gästen des Hauses steht alles offen.« – »Aber Sie werden durch meine Gegenwart gestört, schöne Señorita?« – »Karja läßt sich durch niemand stören«, sagte sie. »Es ist Raum für uns beide in dem Garten.«
   Das war ein Wink, sich zu entfernen, aber der Leutnant tat so, als ob er ihn nicht verstanden habe, trat dem Mädchen einen Schritt näher und sagte:
   »Karja heißen Sie. Wie kommen Sie auf diese Hazienda?« – »Señorita Emma ist meine Freundin.« – »Wer ist Señorita Emma?« – »Sie sahen sie noch nicht? Sie ist die Tochter von Señor Pedro Arbellez.« – »Haben Sie noch Verwandte hier?« fragte er als ein gewandter Verführer, der stets wissen muß, ob er die Rache eines Verwandten zu fürchten hat. – »Büffelstirn ist mein Bruder.« – »Ah«, sagte er, sehr unangenehm berührt, »Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas?« – »Ja«, antwortete sie in einem selbstbewußten Ton. – »Befindet er sich gegenwärtig auf der Hazienda?« – »Nein.« – »Aber er war doch gestern hier. Er ist mit Señor Sternau nach der Schlucht des Tigers gegangen und hat dort am Kampf mit teilgenommen?« – »Er ist ein freier Mann; er geht und kommt, wie es ihm gefällt, und sagt keinem Menschen, was er tut.« – »Ich habe viel Rühmliches von ihm gehört. Er ist der König der Ciboleros, der Büffeljäger, aber daß er eine so schöne Schwester hat, das wußte ich nicht.«
   Er ergriff die Hand der Indianerin, um auf dieselbe einen Kuß zu drücken, aber ehe dies geschehen konnte, entzog sie sie ihm und sagte, sich abwendend:
   »Gute Nacht, Señor.«
   Jetzt hatte er sie im Profil vor sich. Gerade in diesem Augenblick flackerte eines der Wachtfeuer hoch auf, und diese Flamme beleuchtete hell die weichen, reinen Linien des dunklen Gesichts der schönen Indianerin. Der Leutnant trat hastig einen Schritt näher und versuchte, den Arm um ihre Taille zu legen.
   »Fliehen Sie nicht, Señorita«, bat er, »ich bin ja nicht Ihr Feind!«
   Sie schob seinen Arm von sich, aber so kurz die Berührung gewesen war, hatte er doch bemerkt, daß sie nach Art der Indianerinnen nur ein einziges Gewand trug, das hemdartig bis auf die Knöchel herabfließend ihren Körper umschloß.
   Er faßte jetzt mit festem Griff ihre Hand und sagte:
   »Ich lasse Sie nicht gehen, Señorita, ich liebe Sie!«
   Sie ließ ihm ihre Hand, aber er fühlte, daß alle Wärme aus derselben wich.
   »Sie lieben mich?« fragte sie. »Wie ist das möglich? Sie kennen mich ja nicht!« – »Ich kenne Sie nicht, meinen Sie? Sie irren. Die Liebe kommt wie der Blitz vom Himmel herab, wie die Sternschnuppe, die plötzlich leuchtet, so ist sie bei mir gekommen, und wen man liebt, den kennt man.« – »Ja, die Liebe der Weißen kommt wie der Blitz, der alles vernichtet, und wie die Sternschnuppe, die in einem einzigen Augenblick kommt und vergeht. Die Liebe der Weißen ist das Verderben, ist Untreue und Falschheit.«
   Sie entzog ihm die Hand und wandte sich zum Gehen. Da legte er den Arm um sie und versuchte, sie an sich zu ziehen. Aber es war, als ob ihre Gestalt dadurch nur an Höhe und Kraft gewinne, und ihre schwarzen Augen glühten ihm entgegen, so wild und drohend wie die Augen eines Panthers.
   »Was wollen Sie?« fragte sie im strengsten Ton. – »Was ich will?« fragte er. »Dich lieben, dich umarmen und küssen!«
   Er zog sie näher an sich und bog sich zu ihr nieder, um sie zu küssen.
   Da entzog sie sich ihm mit einer schlangengleichen Bewegung und sagte:
   »Lassen Sie mich! Wer gibt Ihnen die Erlaubnis, mich zu berühren?« – »Meine Liebe gibt mir sie.«
   Er faßte sie von neuem, er preßte sie an sich. Sie bog den Kopf zurück und versuchte, sich von ihm loszureißen.
   »Weg, fort von mir!« sagte sie. »Sonst …« – »Was sonst?« fragte er. »Ich liebe dich, ich muß dich küssen um jeden Preis!«
   Er hatte seinen Mund bereits an ihren Lippen, da gelang es ihr, sich den rechten Arm frei zu machen, und sofort stieß sie ihm die geballte Faust mit solcher Gewalt unter das Kinn, daß ihm der Kopf nach hinten flog, als ob er das Genick gebrochen hätte.
   »Donnerwetter!« fluchte er. »Warte, du Teufel! Das sollst du mir entgelten!«
   Er hatte sie unwillkürlich fahrenlassen und wollte sie nun wieder ergreifen, aber sie flog schnell über den Sandweg dahin, dem Eingang des Gartens zu. Er eilte ihr nach.
   Auch der Rittmeister hatte sein Fenster geöffnet, um dem Duft seiner Zigarette freien Abzug zu verschaffen. Er schritt sinnend in seinem Zimmer auf und ab und trat dabei einmal an das geöffnete Fenster. Sein blick fiel zufällig in den Garten hinab und wurde durch das weißglänzende Gewand gefesselt. Er strengte seine Augen mehr an und bemerkte, daß eine männliche Person neben der Frauengestalt stand.
   »Donnerwetter, wer ist das?« fragte er sich. »Ist das die Hazienderita? Und wer ist der Kerl bei ihr? Wenn sie bereits eine Liebschaft hat, so darf ich mich nicht wundern, daß sie spröde gegen mich ist. Ich werde den Menschen kennenlernen.«
   Er eilte nach der Tür und begab sich in den Garten hinab. Eben als er die Pforte desselben geöffnet hatte und im Begriff stand, einzutreten, kam die weiße Gestalt auf ihn zugeflogen, ohne ihn in der Eile der Flucht zu bemerken.
   »Ah, Señorita«, sagte er.
   Da erst gewahrte sie ihn und blieb stehen. Sofort hatte er sie erfaßt und wollte sie an sich drücken. Da holte sie aus und stieß ihm, gerade wie vorher dem Leutnant, die Faust an die Gurgel, so daß er sie fahren ließ und zurückflog.
   »Alle Teufel!« rief er. »Wer ist diese Katze?«
   In diesem Augenblick kam der Leutnant nachgesprungen und wollte, auch ohne ihn zu bemerken, an ihm vorüber.
   »Leutnant Pardero!« sagte er. »Ihr seid es? Wohin so schnell?«
   Bei diesem Zuruf blieb Pardero stehen und sagte:
   »Ah, Kapitän, Sie sind es? Ist Ihnen diese kleine Hexe begegnet?« – »Allerdings. Ich habe sie nicht nur gesehen, sondern auch gefühlt!« – »Gefühlt?« fragte der Leutnant. – »Ja, leider!« lautete die Antwort. – »Sie sind wohl mit ihr zusammengestoßen?« – »Ja, das heißt, ihre Faust ist mit meiner Kehle zusammengestoßen.« – »Verdammt. So haben Sie sie küssen wollen, gerade wie ich?« – »Möglich! Gerade wie Sie? Ah, Sie verraten sich!« – »Meinetwegen!« – »Und wie schmeckte der Kuß?« – »Verteufelt gesalzen; ich hatte den Stoß viel eher als den Kuß!« – »Aber den Kuß doch auch?« – »Nein. Der Teufel mag küssen, wenn einem der Kopf ins Genick getrieben wird.« – »Gerade wie bei mir«, lachte der Rittmeister. – »Das tröstet mich!« lachte nun auch der Leutnant. – »Aber, Pardero, Sie gehen auf schlimmen Wegen. Vergilt man die Gastfreundschaft auf diese Weise?« – »Pah! Was hat denn Sie in den Garten getrieben?« – »Nur allein der schöne Abend.« – »Das machen Sie mir nicht weis. Ich wette, daß es Ihnen gerade so wie mir gegangen ist.« – »Nun, wie?« – »Sie sahen zum Fenster heraus…« – »Zugegeben.« – »Erblickten ein weißes Frauenkleid …« – »Auch das.« – »Gedachten sich einen Kuß zu holen oder etwas dergleichen…« – »Eingestanden.« – »Und gingen herab in den Garten.« – »Auch das hat Ihr bekannter Scharfsinn erraten.« – »So haben wir also ganz dieselbe Absicht gehabt und auch ganz denselben Erfolg errungen«, lachte der Leutnant.
   Der Rittmeister war der Vorgesetzte, aber in Mexiko sind die Dienstverhältnisse andere als in Deutschland. Übrigens befanden sich beide jetzt nicht im Dienst, und, was die Hauptsache war, sie waren Freunde, sie kannten sich und pflegten sich bei ihren kleinen und großen Abenteuern zu unterstützen. Daher kam es, daß sie jetzt so ohne alle Reserve miteinander sprachen und einander auslachten.
   »Wer war denn die Kleine?« fragte der Rittmeister. – »Sie heißt Karja und ist eine Indianerin.« – »Und so spröde. Sie schien reizend zu sein.« – »Außerordentlich. Man könnte dieses Mädchens wegen recht gut irgend jemand umbringen. Ich war ganz Feuer und Flamme.« – »Und sie ganz Eis und Schnee.« – »Leider. Aber ich hoffe, dieses Eis zum Schmelzen zu bringen.« – »Was tut sie denn hier in der Hazienda?« – »Sie scheint eine Gesellschafterin der Tochter des Hauses zu sein.« – »Der Tochter? Also von Señorita Emma?« – »Ja. Kennen Sie diese Emma?« – »Ja.« – »Caramba! Welch ein Glück! Ist sie schön?« – »Schöner noch als diese Karja, weit schöner!« – »Das will viel sagen. Vielleicht auch freundlicher?« – »Ich habe das nicht gefunden. Dieses Haus scheint sehr klösterlich gesinnte Bewohner zu haben. Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen, Pardero.« – »Ich höre.« – »Sie wollen diese kleine Indianerin?« – »Um jeden Preis. Und sie diese kleine Señorita Emma?« – »Auch um jeden Preis. Helfen wir uns!« – »Versteht sich! Hier meine Hand.« – »Topp! Da gilt es zunächst zu erfahren, ob die Herzen dieser keuschen Dianen bereits engagiert sind. Es scheint so, nach der Kälte, die wir verspürt haben.« – »Vielleicht ist uns dieser Sternau zuvorgekommen. Er ist ein sehr schöner Mann, der wohl hundert Mädchen die Köpfe verdrehen könnte.« – »Ich meine dies nicht, eher erscheint mir dieser Mariano verdächtig. Haben Sie nicht bemerkt, daß ihn der Haziendero so auf eine stille, unauffällige, feine Weise auszuzeichnen sucht? Es ist fast, als ob er der Höhere von den dreien sei.« – »Ich hatte keine Veranlassung, so scharf zu beobachten. Erlauben Sie mir, schlafen zu gehen. Dieses Mädchen hat eine Faust wie ein indianischer Athlet; man sollte es ihren kleinen weichen Händchen gar nicht anfühlen. Mein Genick schmerzt und ist mir so steif geworden, als ob es aus Holz gedrechselt sei. Der Teufel hole die Liebe, die ihre Stärke und Innigkeit mit der Faust beweist.« – »So schlafen Sie aus, Leutnant. Morgen erneuern wir den Angriff, und ich denke doch, daß es uns gelingen wird, Bresche zu schießen. Gute Nacht!« – »Gute Nacht, Señor Verdoja.«


   15. Kapitel

   Pardero ging, der Rittmeister aber verweilte sich noch im Garten, bis seine Uhr die Nähe der zwölften Stunde zeigte. Dann tat er, als ob er die Runde mache, und versuchte dabei, unbeobachtet an die südliche Ecke der Umzäunung zu kommen. Dies war ja der Ort, wohin er den Briganten bestellt hatte.
   Dieser war bereits eingetroffen, er hatte sich im tiefsten Schatten so eng niedergehockt, daß ihn niemand sehen konnte, auch der Rittmeister nicht.
   »Señor!« flüsterte er, als Verdoja an ihm vorüberschleichen wollte. – »Ah, bist du es?« fragte der Angeredete, indem er stehenblieb. – »Ja, Sie sehen, daß ich pünktlich bin.« – »Das habe ich erwartet. Wo sind deine Gefährten?« – »In der Nähe.« – »Man wird sie doch nicht bemerken?« – »Tragen Sie keine Sorge. Nun, was haben Sie uns zu befehlen?« – »Kennst du diesen Sternau persönlich?« – »Nein.« – »Keiner von euch kennt ihn?« – »Keiner.« – »Das ist unbequem. Er reitet mit mir nach der Schlucht des Tigers.« – »Und wir sollen ihn dort erwarten?« – »Erwarten und niederschießen.« – »Das werden wir tun, bei der heiligen Mutter Gottes, wir werden es tun. Er hat unsere Kameraden getötet, er muß auch sterben, er und die anderen.« – »Aber ihr kennt ihn nicht. Ich weiß noch nicht, wer uns begleitet. Ich kann nicht allein mit ihm reiten und werde wohl einige meiner Leute mitnehmen. Vielleicht gehen noch andere mit. Welch ein Zeichen soll ich dir geben, um ihn zu erkennen?« – »Beschreiben Sie mir ihn!« – »Er ist wohl noch länger und stärker gebaut als ich und trägt einen blonden Vollbart. Was für Kleider er tragen und welch ein Pferd er reiten wird, das weiß ich heute natürlich noch nicht.« – »Nun gut, so wollen wir ein Zeichen bestimmen, an welchem ich ihn erkenne. Halten Sie sich womöglich stets an seiner rechten Seite.« – »Wird das genügen?« – »Vollständig. Aber was wird mit den anderen beiden?« – »Ich liefere sie euch bei einer anderen Gelegenheit. Hauptsache ist, daß du in jeder Mitternacht dich hier einfindest Wir können uns besprechen. Für jetzt aber trennen wir uns. Man könnte uns bemerken.«
   Er ging, legte sich schlafen und schlief sehr ruhig; der soeben besprochene Mordanschlag lag ihm nicht im mindesten auf dem Gewissen.
   Am anderen Morgen brachte er beim ersten Frühstück, das gemeinschaftlich eingenommen wurde, die Rede auf den beabsichtigten Ritt nach der Schlucht des Tigers. Er hielt es für zweckmäßig, den Morgen dazu zu verwenden, und Sternau erklärte sich bereit dazu. Die beiden Leutnants baten, mitkommen zu dürfen, was ihnen bereitwilligst zugestanden wurde. Von den anderen nahm keiner teil, da ihnen die Offiziere unsympathisch waren.
   Das hatte der Rittmeister gewünscht. Sternau war der einzige Zivilist, der bei ihnen war, und so konnte keine Verwechslung vorkommen, die Kugel mußte ihn treffen. Als sie zu Pferd die Hazienda verließen, hatte der Deutsche nicht die entfernteste Ahnung, daß er dem Tod verfallen sei.
   Sie ritten ganz denselben Weg, den Sternau mit Büffelstirn gegangen war. Er machte natürlich den Führer. Im Wald wurde abgestiegen, da man die Pferde stellenweise führen mußte. So näherten sie sich der Schlucht. Als man den Eingang zu derselben fast erreicht hatte, blieb Sternau stehen.
   »Lassen wir die Pferde hier«, sagte er. »Sie mögen bis zu unserer Rückkehr weiden.«
   Die anderen taten mit, und so schritt man ohne die Tiere weiter.
   Sternau hatte keine andere Waffe als seinen Stutzen mit, nur das Messer stak ihm noch im Gürtel. Als sie den Eingang der Schlucht erreichten, blieb er plötzlich stehen und blickte nieder, um das Gras zu betrachten.
   »Was suchen Sie?« fragte der Rittmeister. – »Hm, gehen wir weiter.«
   Mehr sagte Sternau nicht, aber sein Auge haftete nur am Boden.
   Als man die Schlucht erreichte, hielt sich der Rittmeister an seiner Seite. Er suchte mit seinen Blicken die beiden Seitenwände und die Ränder der Schlucht ab, jeden Augenblick konnte der tödliche Schuß fallen, es waren Minuten der peinlichsten Erwartung.
   Auf der Sohle des Tales lagen die Toten, wie man sie bei der Plünderung hingeworfen hatte, man konnte bereits den Verwesungsgeruch verspüren.
   »Also hier war es, Señor?« fragte der Rittmeister. – »Ja«, antwortete Sternau. – »Und diese Leichen sind Ihr Werk, außer zweien?« – »Man zählt solche Dinge nicht genau. Bemerken Sie, daß alle durch den Kopf getroffen sind?« – »Wirklich!«
   Sie betrachteten die Leichen und sahen, daß eine jede ganz genau an demselben Punkt der Stirn getroffen war. Bei dieser Betrachtung gewahrten sie nicht, daß Sternau sich mehr bückte, als notwendig war, und daß er hinter ihren Körpern sehr sorgfältig Deckung suchte. Auch sahen sie nicht, daß seine Blicke verstohlen rechts und links an den Seiten der Schlucht emporblitzten.
   »Das ist viel«, meinte der Rittmeister. »Sie sind wirklich ein großer Schütze, Señor. Man hat noch nie gehört, daß ein einziger Mann in der Zeit von zwei Minuten gegen dreißig Feinde erschießt.«
   Sternau zuckte geringschätzig die Schultern.
   »Ja, so ein Henrystutzen ist eine fürchterliche Waffe«, entgegnete er. »Aber es gehört auch etwas dazu, diese Waffe im geeigneten Augenblick zu gebrauchen. Dreißig sichtbare Feinde sind leichter zu erlegen als ein unsichtbarer.« – »Ein solcher dürfte wohl gar nicht zu erlegen sein«, meinte Leutnant Pardero. – »Ein guter Schütze erlegt auch ihn«, lächelte Sternau, indem er sich noch immer hinter den Körpern der anderen hielt. – »Das ist unmöglich!« versetzte der Rittmeister. – »Soll ich Ihnen die Möglichkeit beweisen?« – »Tun Sie es«, meinte der Leutnant neugierig. – »So frage ich Sie, ob Sie glauben, daß sich hier ein einziger Feind befindet.« – »Wer sollte das sein, und wo sollte er stecken?«
   Sternau lächelte überlegen und erwiderte:
   »Und dennoch lauert man mir hier auf, um mich zu erschießen.«
   Er hatte bei diesen Worten seinen Stutzen schon längst von der Schulter genommen und hielt ihn unter dem Arm. Der Rittmeister erschrak. Woher wußte Sternau; daß man sein Leben bedrohte?
   »Sie belieben zu scherzen, Señor Sternau«, sagte der Offizier. – »Ich werde Ihnen beweisen, daß es ernst ist.«
   Mit diesen Worten riß Sternau den Stutzen empor, zielte und drückte zweimal ab. Ein mehrmaliger Schrei erscholl vom Rand der Schlucht herunter. Sternau aber sprang nach der Seite dieses Randes hinüber und schnellte dann in mächtigen Sätzen, von den Büschen gedeckt, dem Ausgang der Schlucht zu, hinter dem er verschwand. Von seinem ersten Schuß an bis zu diesem Augenblick war nicht eine Minute vergangen.
   »Was war das?« rief Pardero. – »Er hat einen Menschen getötet«, antwortete der andere Leutnant. – »Ein fürchterlicher Kerl!« stieß der Rittmeister hervor.
   Er konnte nichts anderes sagen.
   »Wir stehen in Gefahr, wir müssen uns zurückziehen«, rief Pardero.
   Sie retirierten nun nach dem Eingang der Schlucht und warteten. Nach einer Weile ertönten ganz oben noch zwei Schüsse, dann blieb es längere Zeit still. So verging wohl eine Viertelstunde, da raschelte es hart neben ihnen in den Büschen, so daß sie erschrocken hinblicken und zu den Waffen griffen.
   »Fürchten Sie sich nicht, Señores«, klang es ihnen entgegen. »Ich bin es.«
   Es war Sternau, der hervortrat.
   »Señor, was war das, was haben Sie getan?« fragte der Leutnant. – »Geschossen habe ich«, lachte der Gefragte. – »Das wissen wir. Aber warum?« – »Aus Notwehr, denn ich war es, der erschossen werden sollte.« – »Unmöglich! Wer sollte das sein! Woher wissen Sie das?« – »Meine Augen sagten es mir.« – »Und wir haben nichts bemerkt.« – »Das ist Ihnen nicht zu verdenken, denn Sie sind keine Präriemänner. Der Herr Rittmeister bemerkte, daß ich vorhin das Gras betrachtete. Ich sah die Fußspuren von Menschen, die vor einer Viertelstunde hier waren, sie führten da rechts empor. Hier, blicken Sie her, sie sind noch zu sehen.«
   Er deutete auf den Boden nieder. Die Offiziere gaben sich alle Mühe, konnten aber nicht das mindeste erkennen.
   »Ja, es gehört ein geübtes Auge dazu«, lachte Sternau. »Nun weiter! Weil die Spuren rechts nach der Höhe führen, suchte ich nach unserem Eintritt in die Schlucht den Rand derselben ab, und da bemerkte ich denn einige Männerköpfe, die, hinter dem dort stehenden Buschwerk versteckt, uns beobachteten. Sie konnten nicht sehen, daß ich sie beobachtete, da meine Augen sich im Schatten meiner Hutkrempe befanden.« – »Wie konnten Sie wissen, daß es Feinde waren?« fragte der Rittmeister. – »Weil sie ihre Büchsen durch die Sträucher steckten, als wir in die Schlucht eindrangen. Ich sah ganz deutlich zwei Läufe auf uns gerichtet« – »Caramba!« fluchte Leutnant Pardero, der keine Ahnung von dem Zusammenhang hatte. »Das konnte auch uns gelten anstatt Ihnen.« – »Nein, das galt mir. Ich weiß, daß ich Veranlassung habe, auf meiner Hut zu sein, darum versteckte ich mich, je weiter wir gingen, immer hinter dem Körper des Herrn Rittmeisters. Wer mich schießen wollte, mußte erst ihn treffen.«
   Der Rittmeister sperrte den Mund auf.
   »Donnerwetter«, meinte er endlich, »so bin eigentlich ich es gewesen, der sich in Lebensgefahr befunden hat.« – »Allerdings«, lachte Sternau. »Es ist mir dabei sehr auffällig, daß diese Männer den Schild, als der Sie mir dienten, so sorgfältig respektiert haben.«
   Diese Bemerkung verursachte dem Rittmeister doch einiges Bedenken. Ahnte dieser Sternau vielleicht den Zusammenhang?
   Letzterer fuhr fort:
   »Übrigens wurde es mir sehr leicht, mich zu decken, die Büchsen blickten von rechts herab, und der Herr Rittmeister hatte die Güte, sich mit einer gewissen Anstrengung stets auch an meiner rechten Seite zu halten.«
   Der Rittmeister erbleichte. Jetzt war kein Zweifel übrig, daß er durchschaut war. Sternau ahnte, wer an dem Überfall Schuld trug. Er fuhr fort:
   »Sie sahen die Gewehre nicht. Ich aber weiß ganz genau, in welcher Richtung von der Mündung einer Büchse der Kopf des Zielenden zu suchen ist. Als ich meine beiden Schüsse abfeuerte, traf ich zwei Männer gerade in den Kopf. In demselben Augenblick aber fuhren neben ihnen noch zwei Büchsen durch die Sträucher, darum sprang ich nach rechts hinüber, wo ich Deckung fand, und eilte dem Ausgang zu. Die Burschen hatten ihre Position sehr schlecht gewählt, sie verdienen Ohrfeigen für ihre Dummheit.« – »Und wo gingen Sie dann hin?« fragte der Rittmeister. – »Ich pirschte mich so eilig wie möglich hinauf, um den Leuten in den Rücken zu kommen. Aber als ich an den Ort gelangte, waren sie so klug gewesen, sich davonzumachen. Ich hörte noch von weitem die Büsche knacken und schickte ihnen aufs Geratewohl zwei Kugeln nach.« – »Und die Toten?« – »Sie liegen oben. Wollen Sie sie sehen?« – »Ja.« – »So kommen Sie. Ihre Kameraden haben ihnen nur die Waffen und das Geld abgenommen, das übrige werden wir noch finden.«
   Sie folgten dem mutigen Mann am Rand der Schlucht empor und fanden dort oben wirklich zwei Männer liegen, die beide durch den Kopf geschossen waren. Der Rittmeister erkannte mit Befriedigung, daß der Anführer, mit dem er um Mitternacht gesprochen hatte, und den er heute um dieselbe Zeit wieder erwartete, nicht dabei war.
   »Señor, Sie wagten viel, als Sie die Gewehre auf sich gerichtet sahen und dennoch mit uns gingen«, sagte der zweite Leutnant. – »Ich wagte wenig. Aber diese Toten wagten viel, daß sie mich ihre Läufe sehen ließen, ehe sie zum Schuß kamen. Ein erfahrener Westmann tut das nie.« – »Was tun wir mit den Leichen?« – »Nichts, sie mögen bei den anderen liegen, zu denen sie gehören. Ich irre mich wohl nicht, wenn ich annehme, daß diese beiden Menschen gestern mit einem gewissen Cortejo in El Oro gewesen sind. Sie selbst kamen ja wohl von dort her?«
   Sternau sagte dies in einem scheinbar gleichgültigen Ton, aber der Rittmeister hörte aus demselben doch die Spur einer Anklage heraus.
   »Ja, ein gewisser Cortejo kam zu Juarez, als wir gerade zur Tafel saßen«, entgegnete der zweite Leutnant unbefangen und ahnungslos.
   Der Rittmeister warf ihm einen wütenden Blick zu, der aber nicht bemerkt wurde.
   »Waren Leute bei ihm?« fragte Sternau. – »Ja. Fünf oder sechs.« – »Gehörten diese beiden hier zu ihnen?« – »Ich habe sie nicht so genau angesehen, aber es ist mir so, als hätte ich sie bemerkt. Der Herr Rittmeister kann vielleicht nähere Auskunft erteilen.« – »Warum der Herr Rittmeister?« – »Weil jener Cortejo bei ihm geherbergt hat.«
   Ein zweiter wütender Blick traf den Sprecher, wurde aber von ihm ebensowenig bemerkt wie der erste. Nur Sternau fing ihn auf, ließ sich aber nichts merken und sagte ruhig:
   »Ich glaube nicht, daß ich von Señor Verdoja Auskunft erhalten werde. Übrigens ist ja die Sache abgemacht. Diese beiden Kerle haben ihren Lohn und mögen nun da verwesen, wo ihre Kameraden verfaulen.«
   Er stieß die Leichen über den Rand der Schlucht so daß sie den steilen Abhang hinabstürzten und unten halb zerschmettert liegenblieben. Nun kehrten die vier Männer nach dem Ort zurück, wo sie ihre Pferde stehengelassen hatten. Sie fanden dieselben ruhig weidend, stiegen auf und traten den Heimritt an. Während des Rittes wurde von Sternau kein Wort gesprochen; auch der Rittmeister verhielt sich vollständig schweigsam, und nur die beiden Leutnants plauderten halblaut miteinander. Sternau war der Gegenstand des Gesprächs. Sein Mut, seine Geistesgegenwart und Geschicklichkeit wurden von ihnen mit Bewunderung besprochen, und noch waren sie keine Stunde lang zu Hause, so wußten sämtliche Soldaten von dem Abenteuer, das ihre Offiziere mit dem kühnen Deutschen erlebt hatten.
   Die Bewohner der Hazienda erfuhren es natürlich auch, und es wurde von ihnen auf verschiedene Weise aufgenommen. Während der eine nur das Verhalten Sternaus pries, hob der andere hervor, daß man sich nun wohl sicher fühlen könne, und ein dritter bedauerte, daß nur zwei getötet worden seien und nicht auch die anderen mit.
   Da Sternau sich von dem Rittmeister beobachtet wußte, so hielt er sich von allem Verkehr fern und machte auch während der Mittagsmahlzeit über sein heutiges Erlebnis nur einige allgemeine Bemerkungen. Als aber am Nachmittag Verdoja einen Spazierritt unternahm, ließ er den Haziendero und die Freunde zu sich kommen und teilte ihnen seinen Verdacht mit.
   Sie glaubten anfangs, daß er sich getäuscht habe, schenkten später aber doch seinen Gründen einigermaßen Glauben und beschlossen, den Rittmeister genau zu beobachten und sich möglichst vor ihm in acht zu nehmen.


   16. Kapitel

   Der Abend verging wie der gestrige, nur daß die Indianerin sich hütete, in den Garten zu gehen. Als der Rittmeister sich mit einem gute Nacht empfahl, ging Sternau scheinbar auch schlafen, kehrte aber auf der Treppe um und begab sich in eines der Gemächer, die im Parterre neben dem Hausflur lagen.
   Wenn der Rittmeister mit dem Mordgesindel in Beziehung stand, so war es klar, daß er nur des Nachts mit diesen Leuten verkehren konnte; daher hatte Sternau beschlossen, sich auf die Lauer zu legen. Die hintere Tür war verschlossen, und da infolgedessen das Haus nur durch die vordere verlassen werden konnte, so mußte Sternau den Rittmeister, sobald dieser einen heimlichen Weg antrat, unbedingt bemerken.
   Er öffnete den einen Flügel seines Fensters ein wenig, um besser hören zu können, und ließ sich auf einen Stuhl nieder. Es kam ihm der Gedanke an die Heimat und an sein schönes Weib, aber er drängte diese Vorstellung zurück, da er seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu konzentrieren hatte. So saß er lange mit scharf wachenden Sinnen, bis Mitternacht nahe war.
   Da kam es ihm vor, als ob er ein Geräusch vernehme, das sich im Flur hören ließ. Er horchte mit doppeltem Fleiß und hörte die vordere Tür, neben der sein Fenster lag, leise öffnen. Ein scharfer Blick durch das Fenster zeigte ihm die Gestalt des Rittmeisters, der behutsam das Haus verließ und nach dem Tor schritt. Dasselbe war nicht verschlossen, da die Gegenwart der Lanzenreiter mehr als genug Schutz und Sicherheit bot Man mußte es offenlassen, damit Mannschaft und Offiziere auch des Abends und Nachts miteinander verkehren konnten. Der Rittmeister trat in das Freie hinaus.
   Sternau sprang durch sein Fenster, dessen Flügel er wieder anlehnte, und folgte ihm, aber nicht hinaus in das Freie, sondern nur bis an die Palisaden, die den Hof umschlossen. Über dieselben hinweg konnte er in das Freie blicken und so den Rittmeister sehen, wie er von Feuer zu Feuer ging, um die Wachen zu inspizieren. Wie dieser draußen ging, so folgte ihm Sternau im Inneren des Hofes.
   Bei einem zufälligen Rückblick auf das Gebäude bemerkte Sternau oben auf dem platten Dach desselben eine Gestalt, die langsam auf und nieder schritt. Er konnte ihre Züge nicht erkennen, aber er wußte, daß es Emma sei, der er heute ernstlich anbefohlen hatte, frische Luft zu genießen, da sie sonst sich am Krankenbett zu sehr anstrenge. Des Tages wollte sie mit dem Militär nicht in Berührung kommen, und so zog sie es vor, jetzt, da der Geliebte schlief, sich auf dem Dach des Hauses zu ergehen.
   Der Rittmeister hatte das ganze Lager durchschritten und hätte nun zurückkehren müssen, aber er huschte nach der südlichen Ecke des Hauses zu.
   Was wollte er dort? Warum schritt er nicht laut, wie ein ehrlicher Spaziergänger? Sternau folgte ihm von innen mit unhörbaren Schritten und kam so an die Stelle, wo draußen vor den Planken die beiden miteinander sprachen. Er hörte eine fremde Stimme sagen:
   »Sie selbst waren uns im Weg. Wir hätten ja Sie getroffen!« – »Warum postiertet ihr euch nicht auf die linke Seite?« – »Das blieb sich gleich. Wer denkt, daß dieser Mensch so scharfsinnig ist!« – »Es scheint fast, als ob er allwissend sei. Ich kann für den Augenblick nicht gleich einen neuen Plan entwerfen, sondern muß erst abwarten und beobachten. Zudem ist es möglich, daß dieser Señor Sternau mich beobachtet, darum dürfen wir uns hier nicht wieder treffen.« – »Wo denn?« – »Hast du Papier und Blei?« – »Nein.« – »Aber schreiben und lesen kannst du?« – »Ja.« – »Hier hast du einige Bogen und auch eine Bleifeder, die ich dir mitgebracht habe. Wenn man von hier nach der Schlucht des Tigers geht und an den Wald kommt, liegt zwischen den ersten Bäumen ein nicht zu großer Stein. Dorthin werde ich euch des Vormittags oder wenn es paßt eure Instruktion stecken, sie wird unter dem Stein liegen. Und habt ihr mir eine Antwort zu geben, so werde ich sie an demselben Ort finden. Hast du verstanden?« – »Ja; man braucht kein Gelehrter zu sein, um es zu begreifen. Aber sagen Sie, Señor, was ist das für eine Gestalt, die dort oben hin– und herläuft?« – »Wo?« – »Auf dem Dach.« – »Ich habe sie noch gar nicht bemerkt. Ah, das ist Emma, die Tochter des Haziendero. Ich werde ihr ein wenig Gesellschaft leisten. Hast du sonst vielleicht noch etwas zu fragen?« – »Nein.« – »So gehe. Aber das merke dir: Wenn ihr euch abermals so ungeschickt benehmt wie heute morgen, so ist es aus mit unserem Geschäft. Ich kann keine Dummköpfe gebrauchen. Gute Nacht.«
   Als Sternau die beiden letzten Worte hörte, schlüpfte er schleunigst zurück, stieg durch das Fenster wieder ein und verschloß dasselbe. Er hatte genug erfahren. Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen, dieser Rittmeister war als Todfeind zu betrachten; er war von Cortejo beauftragt worden und tat nun sein möglichstes, diesen Auftrag zu erfüllen.
   Ein Glück war es, daß Sternau das Versteck der Korrespondenz erfahren hatte, denn nun konnte er leicht die Machinationen seiner Feinde durchkreuzen. Aber was wollte der Rittmeister jetzt droben auf dem Dach? War das nur eine leichtsinnige Bemerkung gewesen, oder war es ihm Ernst, Emma aufzusuchen? Das mußte abgewartet werden.
   Sternau sah bald seinen Gegner durch das Tor zurückkehren; er hörte ihn durch den Hausflur eintreten und dann leise, ganz leise die Treppe ersteigen. Nach einigen Minuten öffnete auch er die Tür seines Zimmers geräuschlos und folgte dem Offizier. Mit unhörbaren Schritten stieg er langsam die erste und zweite Treppe empor, welche letztere auf das platte Dach mittels einer leiterähnlichen Fortsetzung führte. Man trat durch eine Falltür hinaus.
   Als Sternau diese letztere erreichte, fand er sie offen. Er steckte vorsichtig den Kopf hindurch und erblickte Emma und den Rittmeister, die ganz in der Nähe standen.
   »Sie wollen mich wirklich fliehen, Señorita?« fragte soeben der letztere. – »Ich muß fort«, antwortete Emma mit einer Bewegung nach der Tür.
   Sternau sah, daß der Rittmeister sie bei der Hand gefaßt hatte und daran festhielt.
   »Nein, Sie werden bleiben, Señorita«, entgegnete der Offizier. »Sie werden bleiben und anhören, was ich Ihnen zu sagen habe von meinem vollen Herzen, von meiner unendlichen Liebe und von meinem glühenden Verlangen, Sie an meine Brust zu drücken. Kommen Sie, Emma, sträuben Sie sich nicht, denn dies würde vergeblich sein!« – »Ich bitte inständigst, lassen Sie mich gehen, Señor!« bat sie in einem Ton, der die Größe ihrer Herzensangst erkennen ließ. – »Nein, ich lasse Sie nicht. Ich muß Ihre Lippen küssen.«
   Er versuchte sie an sich zu ziehen, sie wehrte sich vergeblich und sagte verzweifelnd:
   »Mein Gott, soll ich denn um Hilfe rufen!«
   Mit einem raschen Schwung stand da auf einmal Sternau neben ihnen.
   »Nein, Señorita, das brauchen Sie nicht, die Hilfe ist schon da. Wenn Señor Verdoja nicht sofort Ihre Hand freigibt, fliegt er vom Dach hinab in den Hof!« – »Ah, Señor Sternau!« stammelte sie erleichtert. »Helfen Sie mir!« – »Sternau!« knirschte der Rittmeister. – »Ja, ich bin es. Lassen Sie die Dame los!«
   Da legte der Offizier nun erst recht seinen Arm um sie und fragte:
   »Was wollen Sie hier? Was haben Sie mir zu befehlen? Packen Sie sich, Unverschämter!«
   Er hatte dieses Wort kaum ausgesprochen, so sauste die Faust Sternaus durch die Luft, ein fürchterlicher Schlag traf Verdojas Kopf, und er brach zusammen. Dann wandte sich der Deutsche zu dem Mädchen, das von dem Offizier fast mit niedergerissen worden wäre.
   »Kommen Sie, Señorita, ich werde Sie hinuntergeleiten!« – »O mein Gott«, klagte sie, am ganzen Körper zitternd, »ich habe nichts getan, was ihm den Mut zu einem solchen Überfall geben könnte!« – »Ich weiß es«, antwortete er. »Diese Art von Menschen hat den Mut zu allem Bösen, aber nicht zum Guten.« – »Diese Lanzenreiter lassen mir nur die Plattform des Hauses zum Promenieren übrig, und nun werde ich auch diese meiden müssen.« – »Nein, Señorita. Sie bedürfen der Erholung in freier Luft, und man soll Ihnen diese abendliche Promenade nicht rauben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie fernerhin ungestört bleiben.« – »Aber Sie werden sich dadurch grimmige Feinde machen, Señor!« – »Ich fürchte diese Sorte von Feinden nicht«, sagte er in wegwerfendem Ton. – »Sie haben den Mann niedergeschlagen. Wird das zu keinem Streit führen?« – »Vielleicht. Aber sorgen Sie sich nicht um mich. Eine offene Forderung hat ungleich weniger zu bedeuten als eine versteckte Heimtücke, gegen die man nicht gewappnet ist. Lassen wir jetzt den Mann liegen, und versuchen Sie, die freche Beleidigung im Schlaf zu vergessen. Er ist nicht wert, viel Worte um ihn zu verlieren.«
   Er geleitete sie die Treppe hinab bis vor die Tür des Krankenzimmers, wo er sich von ihr verabschiedete, denn sie wollte bei dem Bräutigam bleiben. In sein eigenes Gemach zurückgekehrt, an dem der Kapitän der Lanzenreiter vorüber mußte, lehnte er die Tür nur leicht an und wartete. Erst nach längerer Zeit hörte er ihn mit leisen Schritten vom Dach herabkommen und dann den Korridor durchschleichen. Nun erst begab sich auch Sternau zur Ruhe.
   Emma fühlte sich durch die ihr angetane Infamie so aufgeregt und geängstigt, daß sie, in der Hängematte am Krankenbett liegend, keinen Schlaf fand. Sie wurde von peinigenden Gedanken gequält. Die Lanzenreiter wollten noch einige Zeit auf der Hazienda verweilen. Da fand Kapitän Verdoja leicht Gelegenheit, seinen Angriff zu wiederholen, und es war mehr als fraglich, ob sich dann abermals ein so mutiger Beschützer finden werde. Auf ihren Vater konnte sie nicht rechnen. Er war erstens nicht zum Helden geboren und hatte zweitens alle mögliche Rücksicht auf die halb wilden Soldaten, die zudem ja seine Gäste waren, zu nehmen. Sie sagte sich ferner, daß die Rolle eines Beschützers unter den gegenwärtigen Umständen mit einer nicht geringen Gefahr verbunden sei. Sternau hatte ganz gewiß sein rasches und energisches Auftreten zu büßen. Was waren zwei oder drei noch so mutige Männer gegen eine zahlreiche Schar unzivilisierter Lanzenreiter, von denen jeder einzelne so ziemlich außerhalb der gesetzlichen Ordnung stand.
   In solchen Gedanken und Befürchtungen verging ihr die Nacht. Sie konnte denselben um so mehr nachhängen, als der Kranke die im Zimmer herrschende Stille nicht unterbrach. Er lag in einem festen, gesunden Schlaf, daß er sich nicht ein einziges Mal regte. Er schlief sogar noch, als am Morgen Karja, die schöne Indianerin, hereinschlüpfte, um nach ihrer Gewohnheit Emma in den notwendigen häuslichen Anordnungen für einige Zeit abzulösen.
   »War seine Nacht eine gute?« fragte sie. – »Ja«, antwortete Emma. »Er hat ohne Unterbrechung geschlafen, und nun steht, Gott sei Dank, zu erwarten, daß seine Genesung sicher und ungestört fortschreiten wird. Señor Sternau sagte, die Trepanation sei an und für sich nicht gefährlich, aber man müsse das Wundfieber und die sonstigen Folgen fürchten. Wir haben ihm von unserem Wundkraut aufgelegt und eingegeben; infolgedessen ist das Fieber kaum zu spüren. Es steht zu erwarten, daß Gott ihn beschützen und recht bald gesund machen wird.« – »Das ist mein innigster Wunsch«, sagte Karja. »Also um Señor Helmers brauchen wir fast nicht mehr bange zu sein; aber um deinetwillen bin ich besorgt.« – »Warum?« – »Du siehst so bleich und angegriffen aus. Das Nachtwachen schwächt dich zu sehr.« – »Das ist es nicht. Wenn ich mich ermüdet fühle, so ist es nicht der Krankenpflege, sondern eines anderen Grundes wegen.«
   Sie erzählte nun mit leiser Stimme, um den Schlummernden nicht zu wecken, ihr Abenteuer auf dem Dach. Karja, die ihr mit vollster Teilnahme zuhörte, wurde dadurch veranlaßt, auch ihre Begegnung mit Leutnant Pardero im Garten zu erwähnen. Beide waren noch dabei, ihren Abscheu über solche unverzeihliche Zudringlichkeiten in Worte zu fassen, als Sternau eintrat. Er hatte gleich nach seinem Erwachen nach dem Patienten sehen wollen, war ganz leise eingetreten und hörte die letzten Worte ihrer Unterhaltung, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Als sie ihn sahen, war es zum Schweigen zu spät. Er entschuldigte sich und fragte die Indianerin:
   »Wie, auch Sie haben in ähnlicher Weise wie Señorita Emma zu leiden gehabt?« – »Leider, ja«, antwortete sie. – »Von wem?« – »Leutnant Pardero fiel mich im Garten an, und als ich entfloh, lief ich dem Kapitän in die Hände, der mich fassen wollte.« – »Schurken!«
   Sternau sagte nur dieses eine Wort, dann wandte er sich zu dem Schlafenden. Als er ihn aufmerksam betrachtet und besonders auch seine ruhigen Atemzüge gezählt hatte, nickte er befriedigt Er hörte nun, daß der Patient ununterbrochen geschlafen habe; da heiterte sich sein Gesicht noch mehr auf, und er sagte:
   »Lassen wir ihn ruhig schlafen. Schlaf und Ruhe sind die besten und sichersten Mittel zu seiner Wiederherstellung.«


   17. Kapitel

   Sternau unternahm jetzt einen Morgenspaziergang hinaus nach den Weideplätzen, fing sich eines der Pferde und galoppierte auf demselben eine Strecke in die Savanne hinein; dann kehrte er wieder zurück. Er gab das Pferd frei und schritt zu Fuß der Hazienda zu. Unter dem Tor begegnete ihm der Leutnant Pardero.
   »Ah, Señor Sternau!« sagte dieser, stehenbleibend und in einem nicht eben höflichen Ton. »Ich habe Sie gesucht!« – »Weshalb?« fragte Sternau kurz. – »Ich muß mit Ihnen sprechen!« – »Sie müssen?« meinte der Deutsche in einem verwunderten Ton. »Heißt das vielleicht, das ich gezwungen bin, Sie anzuhören?« – »Allerdings«, lautete die spöttische Antwort. – »Nun ja, ein gebildeter Mann verweigert keinem anderen das Gehör, vorausgesetzt, daß die nötigen Höflichkeiten nicht vernachlässigt werden. Unter dem Torweg erteile ich keine Audienz. Haben Sie mich zu sprechen, so kommen Sie nach meinem Zimmer.«
   Der Leutnant verfärbte sich, trat einen Schritt zurück und erwiderte:
   »Sie sprechen so hochmütig von Audienzen. Halten Sie sich für ein gekröntes Haupt?« – »Pah! Ich verstehe Audienz in weiterem Sinne, bei der es sich um eine Unterredung zwischen einem höher und einem niedriger Gestellten handelt. Sie werden mir doch zugeben, daß unsere Stellungen in bürgerlicher, intellektueller und moralischer Beziehung sich nicht gleich sind. Ich werde dennoch bereit sein, Sie anzuhören.«
   Er wandte sich zum Gehen, doch der Leutnant faßte ihn hastig beim Arm und fragte mit drohender Miene:
   »Meinen Sie etwa, daß ich moralisch unter Ihnen stehe?« – »Ich meine niemals etwas, sondern ich sage stets nur das, von dessen Wahrheit ich vollständig überzeugt bin. Nehmen Sie übrigens Ihre Hand von meinem Arm, ich liebe derartige Berührungen nicht.«
   Er schüttelte die Hand des Spaniers von sich ab und ging fort. Der Leutnant fühlte sich durch den Ton und den Blick des Deutschen eingeschüchtert; er ließ ihn gehen, verfolgte ihn aber mit flammenden Augen und murmelte:
   »Prahler, das sollst du büßen! Diese Deutschen sind wie die Maulesel; tragen geduldig und ohne Mut und ohne Ehrgefühl die größten Lasten, rappelt es aber einmal in ihrem Kopf, so werden sie störrisch und ungezogen, man kann sie dann nur durch Prügel zähmen. Und dieses Experiment werde ich hier anwenden. Wir wollen doch einmal sehen, ob dieser Sternau so stolz bleibt, wenn er erfährt, um was es sich handelt.«
   Er wartete ein kleines Weilchen und begab sich sodann nach der Wohnung Sternaus. Dieser hatte ihn erwartet; er ahnte, welchen Gegenstand die Unterredung betreffen werde, und empfing den Eintretenden mit einer kalten, aber höflichen Verbeugung.
   »Sie sehen, Señor, daß ich komme«, sagte der Spanier mit einem höhnischen Lächeln.
   Sternau nickte.
   »Zur Audienz«, fügte der Spanier hinzu.
   Sternau nickte abermals, ohne ein Wort zu sagen.
   »Darum hoffe ich, daß ich jetzt Gehör finden werde!« fügte Pardero drohend hinzu. – »Jedenfalls, wenn Sie sich anständig betragen«, antwortete der Deutsche.
   Da brauste der Spanier auf.
   »Herr, haben Sie mich einmal unanständig gesehen?« – »Kommen wir zur Sache, Señor Pardero!« entgegnete Sternau eiseskühl. – »Gut, wir können ja diesen Gegenstand einstweilen fallenlassen. Aber ich bin nicht gewöhnt, stehend mich zu unterhalten!«
   Der Spanier blickte nach einem der vorhandenen Stühle. Sternau tat, als habe er den Blick gar nicht bemerkt, und antwortete mit einem sarkastischen Lächeln:
   »Von einer Unterhaltung ist hier keine Rede, sondern von einer Audienz. Der Empfangene hat sein Gesuch stehend vorzutragen. Ist dies gegen Ihren Geschmack, so muß ich die gegenwärtige Zusammenkunft für beendet erklären.«
   Hatte Sternau bei diesen Worten beabsichtigt, den Spanier auf das tiefste zu beleidigen, so war es ihm vollständig gelungen. Parderos Gesicht flammte von der Röte des Zorns, seine Augen glühten, und seine Stimme zitterte, als er antwortete:
   »Señor, ich fühle mich nicht mehr in der Lage, Sie für einen Kavalier zu halten!« – »Ihre Lage ist mir vollständig gleichgültig«, lächelte Sternau. »Aber bitte, kommen Sie zur Sache. Ich bin nicht gewillt, mich für einen Schwätzer halten zu lassen.«
   Pardero wollte aufbrausen, als er aber sah, daß Sternau sogleich nach dem Hut griff, um sich zu entfernen, bezwang er sich und sagte mit möglichster Gelassenheit:
   »Ich komme im Auftrag meines Vorgesetzten, Kapitän Verdoja.«
   Als Sternau keine Miene machte, diese Einleitung mit einem Wort zu beantworten, fuhr der Spanier leichthin fort:
   »Gestehen Sie, daß Sie ihn beleidigt haben?«
   Sternau zuckte die Schultern und erwiderte lächelnd:
   »Sie scheinen nicht gewohnt zu sein, Ihre Ausdrücke treffend zu wählen. Gestehen kann nur ein Verbrecher dem Richter gegenüber, und ich bin ebensowenig das erstere, wie Sie das andere sind. Von einem Geständnis meinerseits kann also keine Rede sein. Übrigens habe ich diesen Mann nicht beleidigt, sondern niedergeschlagen. Vielleicht ist das Ihrer Ansicht nach eine Beleidigung im Komparativ oder gar im Superlativ.« – »Ja«, rief der Leutnant, »das ist es allerdings. Der Kapitän fordert Genugtuung!« – »Ah!« dehnte Sternau mit gut gespielter Verwunderung. »Genugtuung? Und diese fordert er durch Sie?« – »Wie Sie hören.« – »Hm! Sind Ihnen die Regeln des Duells bekannt, Señor Pardero?« – »Zweifeln Sie daran?« – »Ja.« – »Donnerwetter!« – »Bitte, ich bin nicht gewöhnt, in meinem Zimmer dergleichen Ausdrücke zu vernehmen. Ich zweifle an Ihrer Kenntnis der Duellgesetze, weil Sie sich zum Kartellträger in einer Angelegenheit hergeben, die nichts weniger als ehrenvoll für Sie sein kann. Ist Ihnen die Veranlassung zu dem Hieb bekannt, den Kapitän Verdoja von mir erhalten hat?« – »Vollkommen«, antwortete der Gefragte mit vor Wut bebender Stimme. – »Nun, dann verachte ich Sie! Ich schlug den Kapitän nieder, weil er eine anständige Dame beleidigte, die sogar die Tochter seines Gastfreundes war. Wer sich zur Vermittlung eines solchen Falles hergibt, der ist in meinen Augen nicht nur eine moralische Null, sondern er ist sogar ein ganz bedeutendes sittliches Minus.«
   Da griff der Spanier nach seinem Degen, zog die Klinge halb heraus und rief:
   »Was sagen Sie? Was wagen Sie? Ich werde …« – »Nichts werden Sie!« sagte Sternau ruhig, aber diese Ruhe war diejenige vor dem Donnerschlag. In seinen Augen blitzte ein Wetterleuchten auf, das auch einen mutigeren Mann, als der Leutnant war, hätte erschrecken können. Er fuhr fort: »Nehmen Sie die Hand vom Degen, sonst zerbreche ich ihn vor Ihren Augen! Es kann mich eigentlich nicht wundern, daß Sie die Botschaft des Kapitäns übernommen haben, denn Sie sind ein ebenso großer Schurke wie er. Sie haben …« – »Halt!« schrie der Leutnant, den die Wut jetzt übermannte. »Sagen Sie noch ein solches Wort, so durchbohre ich Sie! Wollen Sie mir sogleich diesen Schurken abbitten?«
   Er zog den Degen vollends heraus und holte zum Stoß aus. Sternau stellte sich ihm gemütlich gegenüber, schlug die Arme über der breiten, mächtigen Brust zusammen und sagte:
   »Gut, wenn Sie es wünschen, so bitte ich Ihnen den ›Schurken‹ ab. Es ist wahr; Sie sind kein Schurke, sondern ein Doppelschurke, ein elender!«
   Der Eindruck dieser Worte war kein augenblicklicher. Der Spanier stand ganz steif, er konnte im ersten Moment sich gar nicht fassen und seinen Gegner gar nicht begreifen, dann aber stieß er einen heiseren Schrei der Wut aus und zückte den Degen. Aber in demselben Augenblick befand sich die scharfe, spitze Waffe in der Hand des Deutschen; der Spanier wußte gar nicht, wie sie ihm entwunden worden war. Sternau bog die Klinge zweimal zusammen und warf die drei Stücke dem Leutnant vor die Füße.
   »Hier haben Sie Ihren Apfelschäler!« sagte er lachend. »Sie haben Señorita Karja ebenso beleidigt, wie Ihr Kapitän Señorita Emma beleidigte. Es ist ein Schurke so groß wie der andere. Wenn Sie mein Zimmer nicht sofort verlassen, werfe ich Sie zum Fenster hinaus.«
   Er streckte seinen Arm drohend nach dem Gegner. Dieser schlüpfte gewandt unter demselben hinweg und sprang nach der Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und rief, dem Deutschen die geballte Faust entgegenstreckend:
   »Das sollen Sie büßen, und zwar bald, bald! Sie werden sich mit zweien zu schlagen haben, anstatt nur mit einem, und wenigstens einer von uns wird Sie töten, wenn Sie nicht geradezu den Teufel im Leib haben.«
   Er eilte zur Tür hinaus. Sternau brannte sich ruhig eine Zigarette an und wartete nun gleichmütig der Dinge, die da kommen sollten. Seine Geduld sollte nicht lange auf die Probe gestellt werden, denn bereits nach einer kleinen Viertelstunde klopfte es an seiner Tür, und auf sein lautes »Herein!« trat der andere Leutnant durch die geöffnete Tür, verbeugte sich sehr höflich und sagte in einem ebenso höflichen Ton:
   »Verzeihung, Señor Sternau, daß ich Sie störe! Können Sie sich mir auf höchstens fünf Minuten widmen?« – »Gern, Señor. Bitte, nehmen Sie Platz, und bedienen Sie sich einer Zigarette!«
   Der Offizier war ganz überrascht über diese Freundlichkeit. Leutnant Pardero hatte ihm von dem Verhalten Sternaus erzählt, und anstatt in diesem einen Wüterich zu finden, wurde er mit solcher Höflichkeit empfangen. Was ein europäischer Offizier als Kartellträger unterlassen hätte, der Leutnant tat es, er nahm eine Zigarette und ließ sie sich von Sternau in Brand stecken. Eigentlich mußte ihm die Veranlassung seines Besuchs doch verbieten, sie anzunehmen. Als beide nun einander gegenübersaßen, begann der Offizier.
   »Aufrichtig gestanden komme ich nicht gern zu Ihnen, Señor; denn die Angelegenheit, die mich zu Ihnen führt, ist eine feindliche.«
   Er hielt inne und blickte Sternau erwartungsvoll an. Dieser wollte Ihm das Schwierige seiner Lage erleichtern und sagte daher mild:
   »Sprechen Sie getrost, Señor! Ich bin jedenfalls auf das, was Sie mir bringen, bereits genugsam vorbereitet.« – »Nun, ich komme im Auftrag der Señores Verdoja und Pardero, die von Ihnen beleidigt zu sein glauben.«
   Sternau nickte leichthin.
   »Sie gebrauchen den richtigen Ausdruck«, sagte er. »Die Señores glauben, von mir beleidigt zu sein, aber im Gegenteil sind diese beiden es, die zwei Damen beleidigten, die sich ohne Schutz befanden, dann aber in mir den Rächer fanden. Señor, Sie bringen mir nun eine Aufforderung zum Zweikampf?« – »Ja, Señor Sternau.« – »Und mit wem soll ich mich schlagen?« – »Mit beiden.« – »Hm! Das tut mir leid um Ihretwillen, denn Sie sind der Abgesandte von Männern, die ich nicht achten kann. Übrigens brauche ich die Forderung gar nicht anzunehmen, da man sich nur mit Ehrenmännern schlägt. Aber ich will Sie, der Sie höflich zu mir sprachen, nicht kränken, und ebenso will ich bedenken, daß ich mich gegenwärtig in einem Land befinde, in dem der Ehrbegriff vielleicht noch nicht die notwendige Läuterung erfahren hat, und darum will ich mich zu der Forderung bekennen. Haben die beiden Herren bereits Wünsche in Beziehung auf das Arrangement ausgesprochen?« – »Allerdings.« – »Nun?« – »Der Kapitän wünscht, sich auf Degen zu schlagen, der Leutnant aber auf Pistolen.« – »Das glaube ich!« lachte Sternau fröhlich. »Ich habe des Leutnants Säbel zerbrochen; er weiß also, daß ich mit dieser Waffe umzugehen verstehe, und wählt daher Pistolen. Ich will den beiden Herren die Erfüllung ihrer Wünsche zugestehen, aber nur unter zwei Bedingungen.« – »Ich will sie hören, Señor.« – »Ich schlage mich mit dem Kapitän auf Degen, bis einer von uns durch eine Wunde gezwungen ist, den Degen fallen zu lassen.« – »Dies wird vielleicht zugestanden.« – »Und mit dem Leutnant schieße ich mich über die Barriere mit zwei geladenen Läufen. Die Barriere ist drei Schritte, und jeder hat zwei Kugeln.« – »Mein Gott, Señor, auf diese Weise gehen Sie einem sicheren Tod entgegen!« warnte der Offizier. »Wenn Sie dem Kapitän entkommen, werden Sie doch dem Leutnant nicht entgehen, der der beste Pistolenschütze ist, den ich kenne.« – »Vielleicht gibt es noch bessere, als er ist«, lachte Sternau. »Haben Sie bereits einmal von berühmten Schützen, Jägern und Savannenmännern gehört, Señor?« – »Oh, sehr oft!« – »Können Sie mir die Namen einiger sagen?« – »Nun, ich habe gehört von Sans-ear, von Shatterhand, von Firehand, von Winnetou, von dem berühmten Fürsten des Felsens und von …« – »Halt, Señor, glauben Sie, daß dieser Fürst des Felsens eine Pistole zu führen versteht?« – »Besser wie jeder andere«, meinte der Spanier rasch. – »Nun, dieser Fürst des Felsens bin ich. Haben Sie also keine Sorge, daß ich mich vor Ihrem Leutnant fürchte. Ich teile Ihnen vielmehr mit, daß ich das Resultat des Doppelduells bereits jetzt kenne.«
   Der Spanier blickte ihn überrascht an.
   »Daß Sie der Fürst des Felsens sind, weiß ich ja, und wie Sie schießen, das weiß ich ebensogut«, entgegnete er. »Aber Sie sind ja auch nur ein Mensch. Ein kleiner Unfall kann Ihnen verderblich sein. Wie wollen Sie das Resultat des doppelten Zweikampfs vorher wissen?« – »Ich würde Ihnen dieses Resultat jetzt mitteilen, wenn Sie nicht der Sekundant meiner Gegner wären, doch vor Beginn des Duells werde ich Ihnen beweisen, daß ich die Wahrheit sagte. Das übrige besprechen Sie gütigst mit Señor Mariano, der so freundlich sein wird, mir zu sekundieren.« – »Und Zeugen, Unparteiische?« – »Brauchen wir nicht!« – »Einen Arzt?« – »Auch nicht. Arzt bin übrigens ich selbst, werde aber meinen Gegnern nicht die mindeste Handreichung leisten.« – »Bedenken Sie, Señor, daß auch Sie verwundet werden können!« sagte der Leutnant. – »Pah, von diesen beiden Männern ist keiner imstande, mich zu verwunden!«
   Mit diesen Worten wandte Sternau sich stolz ab, und der Offizier ging. Als dieser fort war, suchte Sternau Mariano auf, um ihn von dem Stand der Sache zu unterrichten. Der junge Mann war bereit, Sekundant zu sein, und ging, um den Sekundanten der beiden Gegner aufzusuchen. Es dauerte nicht lange, so kehrte er wieder zurück und meldete, daß die Bedingungen Sternaus angenommen worden seien. Dieser letztere hatte als der Geforderte das Recht, seine eigenen Pistolen mitzubringen, und da er derselben ganz und gar sicher war, so fühlte er sich des Erfolges völlig gewiß.
   Von diesem Augenblick kam er nicht vom Fenster seines Zimmers. Er wußte, was nun geschehen werde, und behielt den Ausgang der Hazienda im Auge. Um die Zeit der Mittagshöhe schwang der Kapitän sich auf sein Pferd und ritt davon. Sternau ahnte, daß er die Absicht habe, einen Brief unter den Stein zu stecken, und ließ auch sich sein Pferd vorführen. Kaum war der Kapitän am nördlichen Horizont verschwunden, so sprengte Sternau nach Süden davon. Beide hatten die Absicht, andere irrezuleiten, denn der Ort, wo sich der Stein befand, lag nach Westen.
   Sobald Sternau nicht mehr gesehen werden konnte, lenkte er nach Westen ein und spornte sein Pferd zur größten Schnelligkeit an. Es lag ihm daran, eher dazusein als der Kapitän. Da sich aber dessen Helfershelfer in der Nähe befinden konnten, so war die größte Vorsicht geboten. Je näher er kam, desto aufmerksamer wurde er, er vermied alles freie Terrain und hielt sich sorgfältig gedeckt Endlich stieg er vom Pferd, führte dasselbe in ein Gebüsch und band es dort an. Dann setzte er seinen Weg zu Fuß fort.
   In der Nähe des Steins angekommen, legte er sich auf die Erde und kroch leise mit der äußersten Vorsicht weiter fort. Endlich erblickte er ihn, und nun umkroch er ihn in einem weiten Kreis. Er gewann die Überzeugung, daß kein Lauscher in der Nähe sei, und suchte sich nun ein Versteck.
   Kaum zehn Schritt von dem Baum entfernt, stand eine nicht zu hohe Zeder, deren dicht behangene Äste nicht schwer zu erreichen waren. Er schwang sich empor, und es gelang ihm, sich so gut zu verbergen, daß er unmöglich gesehen werden konnte.
   Dies war kaum geschehen, so erklang der Hufschlag eines Pferdes. Das Geräusch verstummte draußen vor den Bäumen. Ein Mann sprang aus dem Sattel und schritt eilig auf den Stein zu, hob ihn halb empor und legte einen zusammengefalteten Zettel darunter. Dann brachte er den Stein in seine ursprüngliche Lage zurück, ging zum Pferd, schwang sich auf und ritt davon.
   Im Nu war Sternau vom Baum herab, holte den Zettel heraus, faltete ihn auseinander und las:
   »Heute gerade um Mitternacht bei den Ladrillos. Aber ganz bestimmt; es ist sehr notwendig. Morgen sind wir am Ziel.«
   Eine Unterschrift war nicht vorhanden. Verdoja hatte eine solche nicht nur für überflüssig, sondern sogar für gefährlich gehalten. Sternau legte den Zettel genau wieder so zusammen, wie er erst gewesen war, und steckte ihn unter den Stein, vernichtete darauf seine Spuren und kehrte dann nach seinem Pferd zurück, das er bestieg, um im Galopp die Hazienda aufzusuchen.
   Als er sie erreichte, war der Kapitän noch nicht wieder da; er kehrte erst nach geraumer Zeit zurück und hatte keine Ahnung, daß sein Geheimnis bereits verraten sei. Vielleicht erfuhr er gar nicht, daß Sternau die Hazienda verlassen gehabt hatte.
   Ladrillos ist ein spanisches Wort und bedeutet zu deutsch Ziegelsteine. Die Urbewohner Mittelamerikas bauten nämlich ihre Pyramiden und Städte meist aus in der Sonne gedörrten Back– oder Ziegelsteinen, die von ihnen Adobes genannt wurden, bei den Spaniern aber Ladrillos hießen. Man findet noch heute die Ruinen solcher Adobesstädte und bewundert die Kunst, mit der jene Urvölker zu bauen verstanden. Hier und da trifft man im Urwald, mitten in der Savanne oder in einer Felseneinöde ein einsames, halb oder auch ganz zerfallenes Gemäuer, das aus solchen Ladrillos gesteht und als Zeuge dient, daß früher diese Einöden bewohnt und bebaut waren.
   Auch in der Nähe der Hacienda del Erina gab es eine solche Ruine. Sie lag, höchstens eine halbe Stunde von dem Haus entfernt, mitten in einem Felsengewirr und wurde von Domen und Schlingpflanzen so überwuchert, daß sie ganz unzugänglich war. Aber kurz vor der eingefallenen Frontmauer des einstigen Gebäudes befand sich ein rundes Loch, gerade so, als ob hier ein Schacht ausgefüllt worden sei. Dieses Loch war zugänglich und von dichtem Gebüsch umstanden, und Sternau glaubte sicher annehmen zu dürfen, daß die Zusammenkunft hier stattfinden werde.
   Er sagte keinem Menschen ein Wort von dem, was er wußte, und saß im Verlauf des ganzen Nachmittags bei dem Kranken, der sich ganz wohl fühlte und seine Erinnerung so vollständig wiedererhalten hatte, daß er ihm sein Abenteuer in der Höhle des Königsschatzes erzählen konnte. Emma brachte die Kostbarkeiten herbei, und Sternau konnte den Reichtum bewundern, durch den der einst so arme Jäger zum Millionär geworden war.
   Emma schwebte in Wonne, den Geliebten so wohl zu sehen. Sie hoffte auf ein baldiges Glück und sagte, auf den Steuermann Helmers deutend, zu dem Kranken:
   »Eigentlich brauchst du diesen Reichtum gar nicht, denn die Hacienda del Erina wird uns gehören. Solltest du da nicht mit deinem Bruder teilen?«
   Der Kranke nickte lächelnd und erwiderte:
   »Bruder, was ich habe, gehört auch dir. Sprachst du nicht gestern von einem Sohn, den du hast?« – »Ja. Ich habe Weib und Kind zu Hause«, antwortete der Steuermann.
   Er erzählte nun von den Seinen und wurde in dieser Schilderung von Sternau reichlich unterstützt. Der Kranke hörte aufmerksam zu und sagte:
   »Dieser Knabe ist ein Wunderkind und muß eine entsprechende Ausbildung erhalten. Du hast an deinem Landesherrn und dem Oberförster zwei mächtige Gönner, aber das ist doch immer eine Abhängigkeit. Du mußt die nötigen Mitteln von mir annehmen, ich bin ja dein Bruder, der Oheim deines Knaben, und darf dir eine Gabe anbieten, ohne dich zu beleidigen.«
   Der brave Steuermann wies das von sich ab, aber die Anwesenden waren alle gegen ihn, und auch der Haziendero Pedro Arbellez zeigte dieselbe Gesinnung wie die übrigen. Und so wurde halb im Scherz und halb im Ernst beschlossen, daß die Hälfte des Teiles, den Helmers vom Königsschatz erhalten hatte, dem kleinen Kurt Helmers in Rheinswalden gehören solle.
   Gegen Abend fühlte sich der Patient wieder ermüdet und schlief ein. Während Emma bei ihm blieb, gingen die anderen zum Abendbrot Die Offiziere waren nicht dabei. Nach dem, was vorgefallen war, hielten sie es geraten, ganz zurückgezogen auf ihren Zimmern zu speisen.
   Nach dem Essen sagte Sternau, daß ihn einige Arbeiten nötigten, ungestört in seiner Wohnung zu bleiben. Er wollte nicht haben, daß man seine Abwesenheit bemerke. Er wartete den geeigneten Augenblick ab, steckte Waffen, Tücher und Riemen zu sich und schlich sich in eins der Zimmer, die nach dem Hof lagen und unbewohnt waren. Er hatte in dem seinigen das Licht brennen lassen, damit man glauben solle, daß er anwesend sei, aber von außen die Tür verschlossen, daß niemand das Gegenteil bemerke. Er öffnete das Fenster, stieg hinaus und zog es wieder zu, dann schlich er sich über den Hof und schwang sich über den Palisadenzaun.
   So gelangte er glücklich ins Freie, ohne bemerkt worden zu sein, umging die Hazienda und schlug die Richtung nach den Ladrillos ein.
   Es war zwar dunkel, aber sein geübtes Auge erkannte die Umgebung so gut, daß er nicht zu befürchten brauchte, die Richtung zu verfehlen. Er hatte während seiner Wanderungen durch die Wildnis gelernt, unhörbaren Schrittes zu gehen. So hätte auch heute nur dann einer ihn bemerken können, auf den er geradezu gestoßen wäre. Als er glaubte, den Ladrillos nahe gekommen zu sein, verdoppelte er seine Vorsicht und bewegte sich schließlich nur in kriechender Stellung vorwärts.
   Plötzlich hielt er an und sog die Luft mit geöffneten Nasenflügeln ein.
   »Was ist das?« sagte er. »Das ist ein brenzlicher Geruch, untermischt mit dem Duft von gebratenem Fleisch. Ich glaube gar, dieser Kerl ist so dumm oder so verwegen, ein Feuer zu brennen. Auf ebener Erde aber kann das nicht sein, denn dann müßte man es bemerken. Es ist nahe von hier, denn der Bratengeruch geht nicht weit. Wollen doch sehen!«
   Er kroch dem Geruch nach und gelangte bald an das weiter oben beschriebene Loch. Es hatte höchstens zwanzig Fuß im Durchmesser und zehn Fuß in der Tiefe. Am Rand standen Büsche, unter denen Sternau sich versteckte.
   * * *
   Er sah nun den Mann, der unten bei einem kleinen Feuer saß und sich ein wildes Kaninchen briet. Mitternacht war gar nicht mehr fern, und Sternau machte es sich so bequem wie möglich in seinem Versteck. Der Mann begann, sein Kaninchen zu verspeisen, und zwar mit einem solchen Appetit, daß bald nichts mehr übrig war. Er hatte eine Doppelbüchse neben sich liegen und ein Messer im Gürtel. Seine Gestalt war zwar kräftig und untersetzt gebaut, aber Sternau sah, daß es ihm nicht schwerfallen werde, diesen Menschen ohne großes Geräusch zu überwältigen.
   So wartete er, bis es ihm vorkam, als ob er leise Schritte vernehme. Er war so klug gewesen, sich entgegengesetzt von der Seite zu verbergen, nach der die Hazienda lag, daher brauchte er sich nicht zu sorgen, von dem Nahenden bemerkt zu werden.


   18. Kapitel

   Die Schritte wurden deutlicher. Auch der Mexikaner lauschte und erhob sich. Drüben auf der anderen Seite des Randes wurde das Buschwerk auseinandergezogen, und die Gestalt des Rittmeisters oder Kapitäns erschien, von dem matten Schein des Feuers beleuchtet.
   »Bist du toll, Mensch?« fragte er. – »Warum?« meinte der Mexikaner. – »Daß du ein Feuer brennst!« – »Oh, das sieht kein Mensch. Ich hatte Hunger und habe mir einen Braten gemacht« – »Der Teufel hole deinen Braten! Man riecht das Feuer ja auf hundert Schritt!« – »Ja, aber auf hundert Schritt kommt nur der heran, der hier zu tun hat. Wir sind hier vollständig sicher. Kommt herab, Señor!«
   Der Kapitän stieg hinab, ließ sich aber nicht bei dem Mann nieder.
   »Ich darf nicht lange abwesend sein«, sagte er, »darum wollen wir es kurz machen. Wo sind deine Leute? – »Drüben hinter den Bergen im Wald.« – »Wissen sie, wo du bist?« – »Nein.« – »Hm, das ist mir lieb. Ich wünschte, so wenig wie möglich Vertraute haben zu können. Kannst du sie nicht loswerden?« – »Vielleicht. Aber kann ich denn allein verrichten, was Ihr verlangen werdet?« – »Ich hoffe es!« – »Bei derselben Bezahlung?« – »Ja. Ich gebe dir dasselbe, was ich den anderen in summa geben würde. Wenigstens das, was ich jetzt verlange, kannst du allein verrichten.« – »Was ist das?« – »Hm, ich sehe, daß du ein doppelläufiges Gewehr hast. Bist du deines Schusses sicher?« – »Ich fehle nie.« – »Du sollst zwei gute Schüsse für mich tun.« – »Ah, ich errate! Wen soll ich treffen?« – »Den Sternau und den Spanier.« – »Schön, sie sollen die Kugeln haben, aber wann und wo, das ist die Frage.« – »Das sollst du hören. Kennst du den alten Kalkbruch da hinter dem Berg?« – »Sehr gut denn eben dort sind meine Leute.« – »Die müssen fort. Morgen früh fünf Uhr habe ich ein Duell dort.« – »Caramba! Wollt Ihr Euch ermorden lassen?« – »Ohne deine Hilfe ist das sehr leicht möglich. Ich und Leutnant Pardero haben den Deutschen gefordert, und dieser Mariano ist sein Sekundant. Er hat sich zwar zweien zu stellen, aber dieser Sternau hat tausend Teufel im Leib, man muß sich vor ihm in acht nehmen. Er muß bereits vor Beginn des Duells unschädlich gemacht werden, und das sollst du tun.« – »Gern, Señor. Und der Mariano auch?« – »Ja.« – »Ich stehe zu Diensten. Sternau hat meine Kameraden abgeschlachtet; die Hölle soll ihn bekommen! Wie wünscht Ihr, daß die Sache angefangen werde?« – »Du führst deine Leute fort, damit der Platz frei wird, kehrst aber noch vor fünf Uhr zurück und versteckst dich in der Nähe. Es sind genug Bäume und Sträucher da.« – »Richtig, ich begreife! Ihr werdet Euch nicht sehr sputen, daher kommt der Deutsche mit dem Spanier eher an als Ihr, und wenn Ihr mit dem Leutnant eintrefft, so liegen die beiden mit zerschmetterten Schädeln da.« – »Nein, so nicht. Ich muß dabeisein, ich will die Kerle verenden sehen. Es muß werden wie bei einem Schauspiel auf der Bühne. Ich habe ihn auf Degen gefordert; der Leutnant kommt erst nach mir. Ich bin also der erste, und wenn Sternau mir gegenübersteht, schießt du ihn über den Haufen. Die zweite Kugel muß dann sofort den Spanier treffen.« – »Dieser Plan ist nicht übel. Aber der Lohn, Señor?« – »Den erhältst du morgen.« – »Wo?« – »Hier, wieder um Mitternacht.« – »Gut, ich bin es zufrieden, diesen Lohn werde ich allein einstecken, und Ihr könnt weiter auf mich rechnen.« – »Wann warst du bei dem Stein?« – »Erst gegen Abend.« – »Der Ort ist sicher, wir können ihn ohne Sorge vor Entdeckung weiter benutzen. Jetzt weißt du alles. Ich hoffe, daß ich mich auf dich verlassen kann. Gute Nacht!« – »Gute Nacht, Señor! Seid versichert, daß meine Kugeln ganz genau treffen werden.«
   Der Rittmeister ging. Der Mexikaner schabte und biß noch ein wenig an seinen Kaninchenknochen herum, dann erhob er sich, warf die Büchse über und kletterte empor. Schnell huschte Sternau aus seinem Versteck hervor und schlich sich dahin, wo der Mann aus dem Kreis der Büsche treten mußte. Ohne die geringste Ahnung von der ihm so nahen Gefahr schob der Mexikaner die Zweige auseinander; kaum aber hatten sie sich hinter ihm geschlossen, so tauchte Sternau vor ihm auf und faßte ihn bei der Gurgel. Nicht einen einzigen Laut konnte der Mann ausstoßen. Die Kehle wurde ihm so fest zugepreßt, daß er zuerst den Atem und dann auch die Besinnung verlor. Die erst konvulsivisch sich bewegenden Arme und Beine wurden steif, und der Bewußtlose fiel zu Boden. Einige Augenblicke später war er geknebelt, gebunden und so mit Tüchern umwickelt, daß er ein steifes Paket bildete.
   Sternau faßte ihn nebst seiner Büchse auf, warf sich beide auf die Schulter und kehrte nach der Hazienda zurück. Es schien alles in tiefster Ruhe zu liegen, aber Sternau traute dem Kapitän noch nicht. Dieser war ja erst vor kurzem zurück und konnte sich sehr leicht noch außerhalb des Hauses befinden. Daher wartete er wohl noch eine Stunde, ehe er sich mit seinem Gefangenen dem hinteren Plankenzaun näherte. Dort schob er erst sein lebendes Paket hinüber, und dann sprang er nach. Ebenso schob er den Gefangenen vorsichtig zu dem Fenster hinein, stieg nach und schloß es zu. Nun rekognoszierte er zunächst vorsichtig den Korridor, und als er fand, daß alle schliefen, trug er den Mexikaner nach seiner Wohnung, die er hinter sich wieder verschloß. Das Licht brannte noch, es war kein Mensch hier gewesen.
   Als er seinen Gefangenen von den ihn umhüllenden Tüchern befreit hatte, bemerkte er, daß dieser die Augen mit dem Ausdruck des Schreckens auf ihn richtete.
   »Ah, Bursche, du erkennst mich«, sagte er mit halblauter Stimme. »Ja, der Kapitän sagte, ich hätte den Teufel im Leib, und das muß wohl so sein, denn sonst hätte ich dich nicht in meine Hände bekommen. Hier kannst du besser schlafen als draußen. Zuvor werde ich dir einmal in deine Taschen greifen. Wer so unvorsichtig ist sich in der Nähe seiner Feinde ein Kaninchen zu braten, der ist vielleicht auch so einfältig, einen Zettel aufzubewahren, den er unter einem gewissen Stein gefunden hat.«
   Sternau durchsuchte die Taschen des Mannes und fand wirklich den Zettel zusammengeknittert in einer derselben. Er steckte ihn wieder dahin zurück und sagte:
   »Du sollst ihn noch bis früh behalten, denn eher brauche ich ihn nicht. Jetzt aber beschlafe dir die Frage, ob du beim Verhör leugnen oder ein Geständnis ablegen willst.«
   Er umband ihn noch sorgfältiger mit Schnüren, fesselte ihn außerdem an zwei Beine des Bettes und legte sich dann in dasselbe, um einige Stunden zu schlafen. Er wurde um die richtige Zeit von Mariano geweckt, der an die Tür klopfte. Er bat diesen, unten zu warten, und erhob sich.
   Es war ihm nicht eingefallen, schriftlich oder mündlich eine letztwillige Verfügung zu treffen. Er fühlte sich bereits im voraus als Sieger, untersuchte die Sicherheit seines Gefangenen, verschloß die Tür seines Zimmers und schritt mit den Pistolen so ruhig die Treppe hinab, als ob er zum Frühstück gehe.
   Unten wartete Mariano. Sie schritten nach dem Stall, sattelten selbst und trabten fort. Dabei warf Mariano einen Blick nach Verdojas Fenster und bemerkte, daß dieser an demselben stand.
   »Der Kapitän sieht uns reiten«, sagte er.
   Sternau warf keinen Blick hinauf, sondern fragte:
   »Errätst du, was er jetzt denkt?«
   Die beiden Freunde nannten einander bereits du.
   »Ja«, antwortete Mariano. – »Nun?« – »Er denkt, daß du ihnen nicht entkommen wirst. Wenn dich der eine nicht fällt, so gelingt es dem anderen. Der Leutnant soll ein vortrefflicher Schütze sein. Sie behandelten gestern die Angelegenheit so leicht und sorglos, daß ich überzeugt bin, sie haben nicht die mindeste Angst.«
   Sternau trieb sein Pferd zu rascherem Lauf an, und als er sah, daß Mariano dasselbe tat, antwortete er:
   »Auch ich bin überzeugt, daß sie sich nicht fürchten, aber aus einem anderen Grund.« – »Welcher sollte das sein?« – »Sehr einfach. Sie glauben ganz bestimmt, daß es gar nicht zum Duell kommt.« – »Ah! Warum?« – »Weil wir beide, du und ich, bereits vorher zwei tote Männer sind.« – »Ich verstehe dich nicht!« – »Du sollst mich gleich begreifen, höre.«
   Sternau erzählte dem Freund die Art und Weise, wie er den Kapitän beobachtet hatte und hinter die Schliche desselben gekommen war. Mariano war erschrocken über das, was er vernahm. Eine solche Niederträchtigkeit und Bosheit schien ihm ganz unglaublich. Er fixierte wirklich längere Zeit das Gesicht Sternaus, um zu sehen, ob dieser sich vielleicht einen nicht ganz passenden Scherz mit ihm machen wollte.
   »Und dies alles ist wahr, wirklich wahr?« fragte er. – »Natürlich«, antwortete Sternau. – »Und den Mörder hast du in deinem Zimmer?« – »Wie ich dir sagte, ja.« – »Wenn er nun ausbricht!« – »Er ist sehr gut gefesselt.« – »Oder wenn man ihn hört und in die Stube bringt. Er wird die Leute belügen, und sie lassen ihn frei!« – »Auch das wird nicht geschehen. Er ist so geknebelt, daß er kaum zu atmen vermag. Das Rufen ist ihm eine Unmöglichkeit. Und selbst wenn er zu stöhnen vermöchte, daß man es hört, freigeben wird man ihn doch nicht, denn man wird sich ja denken können, daß ich Gründe habe, einen Menschen in meinem Zimmer anzufesseln.« – »Seine Genossen sind nicht beim Kalkbruch?«
   Jetzt horchte Sternau auf.
   »Alle Teufel, das ist ja wahr, daran habe ich gar nicht gedacht!« sagte er. »Welch eine Unvorsichtigkeit! So leichtsinnig bin ich noch nicht gewesen. Ich nehme den Mann mit mir und denke nicht daran, daß es ihm nun unmöglich ist, seine Kollegen aus dem Bruch zu entfernen. Na, der Fehler wird noch auszubessern sein. Ich kenne zwar den Bruch nicht und habe mir ihn nur von einem Vaquero beschreiben lassen, aber ich glaube nicht, daß wir Gefahr laufen. Wir müssen die Kerle nur überraschen. Wir haben bereits zehn Minuten getrabt; dort liegt der Berg, links herum kommen wir an den Bruch. Wir wollen ihn im Sturm nehmen!«
   Sie gaben ihren Pferden die Sporen und jagten im Galopp weiter. Nach einigen Minuten öffnete sich vor ihnen der Kalkbruch, der eine breite und nicht sehr tiefe Öffnung in den Berg bildete. Die Höhen rechts und links waren mit Bäumen bestanden, der Bruch selbst aber nur mit Gestrüpp. Er hatte vor Jahren den Kalk zum Bau der Hazienda geliefert. Als sie im Galopp den Einritt beschleunigten, erblickten sie zwei Männer, die sich vom Boden erhoben. Drei Pferde grasten zwischen den Büschen. Sternau ritt sofort einen der Männer und Mariano den zweiten nieder.
   »Holla, was tut ihr hier?« rief Sternau, sich vom Pferd werfend und den Mann packend. »Wer seid ihr Strolche?« – »Oho!« antwortete der Mensch, sich das Knie reibend, das er sich beim Sturz beschädigt hatte. »Wer seid denn zuvor ihr, daß ihr es wagt, ehrliche Leute niederzureiten?« – »Wer wir sind, das weißt du genau, Halunke. Ihr habt ja den Auftrag, uns totzuschießen. Ich werde dich unschädlich machen, Bursche!«
   Er schlug dem Mann die Faust gegen die Schläfe, daß derselbe zusammenbrach. Nun erst drehte er sich nach Mariano um. Dieser kniete auf dem zweiten Mann, der vollständig überwältigt unter ihm lag.
   »Warte, ich werde nachhelfen!«
   Mit diesen Worten eilte er hinzu und versetzte dem Mann einen ebensolchen Hieb, der auch ganz dieselbe Wirkung hatte.
   »Nun fesseln, knebeln und fortschaffen, damit sie nicht gefunden werden.«
   Die beiden Männer wurden mit ihren eigenen Riemen gefesselt und mit ihren eigenen Tüchern geknebelt. Dann wurden sie auf ihre Pferde mittels der Lassos festgebunden. Das dritte Pferd gehörte jedenfalls dem Anführer, den Sternau bereits um Mitternacht überwältigt hatte. Die drei Tiere wurden eine genügende Strecke, um nicht gesehen und gehört zu werden, fortgeschafft und dort an Baumstämmen festgebunden. Dann kehrten die Freunde nach dem Bruch zurück, um die Spuren von der Anwesenheit dieser Leute zu verwischen. Sie waren kaum damit fertig, so erschienen die drei Offiziere.
   Man grüßte sie mit förmlicher Höflichkeit. Sternau und Mariano bemerkten mit innerlicher Genugtuung, daß der Kapitän seine Blicke forschend umherschweifen ließ. Er suchte das Dunkel der Büsche und Bäume zu durchdringen, um seinen Verbündeten zu sehen, aber es gelang ihm natürlich nicht.
   Die beiden Sekundanten traten zusammen, um sich noch einmal zu besprechen. Der Sekundant der Gegenpartei hatte für Sternau einen Kavalleriesäbel mitgebracht, da dieser sich augenblicklich nicht im Besitz eines solchen befand. Er machte zunächst den Versuch, eine Versöhnung zustande zu bringen, aber der Kapitän lehnte mit stolzer Miene und Bewegung ab.
   »Kein Wort weiter!« sagte er. »Mein Gegner hat die Bedingung gemacht, daß Genugtuung erst dann vorhanden sein soll, wenn einer von uns durch seine Verwundung gezwungen ist, seinen Degen fallen zu lassen. Ich habe die Bedingung akzeptiert und fühle nicht die mindeste Lust, von ihr abzugehen.« – »Und Sie, Señor Sternau?« fragte der Sekundant. – »Auch ich halte die Bedingung fest«, antwortete der Gefragte, »und das umsomehr, als sie von mir ausgegangen ist. Übrigens habe ich nur Ihnen noch eine Bemerkung zu machen, wenn Sie dieselbe gestatten.« – »Ich bitte!« sagte der Offizier. – »Ich bemerkte Ihnen bereits gestern, daß mir der Ausgang dieses Kampfes bekannt sei, und Sie glauben mir nicht. Ich werde Ihnen den Beweis liefern. Wer den Degen fallen läßt, ist besiegt. Nun wohlan, ich werde meinem Gegner die vier Finger der rechten Hand abschlagen. Es wäre mir leicht, ihn zu töten, aber ein Schuft muß gezeichnet, nicht aber getötet werden.« – »Herr!« brüllte der Kapitän. – »Pah!« antwortete Sternau mit dem Ton tiefster Verachtung. – »Señor«, erinnerte der Sekundant. »Sie selbst haben mich gestern auf die Regeln des Duells verwiesen. Ist es Sitte, seinen Gegner noch am Platz in einer solchen Weise zu beschimpfen?« – »Nein. Es ist ja nicht Sitte, sich mit einem Schurken zu schlagen, tut man es, so geschieht es nur unter dem Vorbehalt, ihn als solchen zu behandeln. Übrigens will ich jetzt Ihnen noch bemerken, daß ich meinen zweiten Gegner ebenso zeichnen werde. Unsere ersten Schüsse werden zu gleicher Zeit fallen, aber nicht treffen, auch sein zweiter Schuß trifft nicht, der meinige aber wird ihm die rechte Hand zerschmettern. Vorwärts!« – »Ja, vorwärts!« rief auch der Kapitän. »Er soll in die Hölle gehen, noch ehe er es denkt!«
   Sternau antwortete ihm nicht; aber als er seinen Degen erhalten hatte und die beiden Gegner sich nun gegenüberstanden, fragte er den Sekundanten:
   »Ist mir vorher noch ein Wort erlaubt?« – »Wenn es keine neue Beleidigung enthält, ja«, lautete die Antwort. – »Es enthält keine Beleidigung, sondern nur eine einfache Bemerkung, deren Wahrheit ich später beweisen werde.« – »So sprechen Sie!« – »Wohlan, der Mann, dem ich jetzt gegenüberstehe, erwartet mit großer Bestimmtheit, daß zwei Schüsse fallen werden, vielleicht von der Höhe herab oder zwischen den Büschen hervor. Der eine Schuß soll mich, der andere meinen Sekundanten treffen, der Mörder ist erkauft und soll heute um Mitternacht bei den Ladrillos für den doppelten Meuchelmord seine Bezahlung erhalten.«
   Der Offizier trat einen Schritt zurück und rief zornig:
   »Señor, das ist unwürdig, das ist eine neue tödliche Beleidigung.« – »Es ist die reine Wahrheit«, antwortete Sternau kalt. »Sehen Sie Ihren Kameraden, diesen Kapitän, diesen Kavalier an! Sieht er nicht leichenblaß aus vor Schreck? Sehen Sie nicht die Klinge in seiner Hand zittern? Sehen Sie nicht seine Lippen beben? Sehen Sie nicht seinen Blick stier vor Schreck und Angst? Ist dies der Anblick eines Unschuldigen?«
   Der Sekundant betrachtete seinen Vorgesetzten und sagte, selbst erbleichend:
   »O Dios, es ist wahr, Sie zittern, Kapitän!« – »Er lügt!« stammelte dieser. – »Und hören Sie, wie sogar seine Stimme zittert?« fragte Sternau. »Es ist die Angst. Er weiß, daß der Fürst des Felsens nicht besiegt werden kann; er weiß, daß ich Wort halten werde; er weiß, daß seine rechte Hand verloren ist. Vorwärts, beginnen wir die Komödie!«
   Da raffte sich der Kapitän zusammen.
   »Ja, beginnen wir!« rief er und drang sogleich auf Sternau ein. – »Halt!« rief dieser, indem er ihm mit einem gewaltigen Hieb den Degen aus der Hand wirbelte. »Noch stehen die Sekundanten nicht zu unserer Linken, und noch ist das Zeichen nicht gegeben. Passen Sie auf die Regel auf, sonst werfe ich den Degen fort und greife zur ersten besten Rute.«
   Der Degen wurde wieder geholt und die Gegner legten sich aus. Mariano war ein ausgezeichneter Fechter; noch keiner hatte ihn überwunden, aber wie Sternau die in dem Degenkorb steckenden vier Finger seines Gegners von der Hand trennen wollte, das wußte er nicht; er hielt es für eine Unmöglichkeit
   Jetzt wurde das Zeichen gegeben, und der Kampf begann. Der Kapitän warf sich mit wildem Mut auf Sternau; dieser aber stand da, stolz, ruhig und lächelnd, jeden Ausfall mit graziöser, aber kraftvoller Leichtigkeit parierend, bis plötzlich seine Augen aufblitzten; ein gewaltiger Hieb trieb den Arm seines Gegners zur Seite; die Klinge wandte sich blitzschnell, die Spitze derselben fuhr in den Korb hinein – ein Ausruf des Kapitäns, und der Degen desselben fiel zur Erde.
   »Oh, ich Unglücklicher, meine Hand!« brüllte er.
   Der Degen lag am Boden; im Korb der Waffe steckten zwei abgetrennte Finger, zwei andere lagen daneben, während der Verwundete den blutenden Stumpf in die Schöße seines Rocks grub.
   Sternau zog ruhig sein Taschentuch und trocknete das Blut von der Spitze seines Degens ab. Dann wandte er sich an den Sekundanten:
   »Sie sehen, daß ich Wort halte, Señor. Dieser Mann wird mit seiner Rechten niemals wieder eine Dame berühren, die es ihm nicht erlaubt.«
   Da erhob der Kapitän den blutenden Stumpf und rief:
   »Mensch, du bist ein Teufel, aber ich mache dich doch noch zahm!«
   Sein Sekundant trat zu ihm, Leutnant Pardero auch. Sie sprachen ihm zu und gaben sich Mühe, die Blutung durch einen provisorischen Verband zu stillen. Er ließ es geschehen, indem er wilde, halblaute Drohungen gegen Sternau ausstieß. Dieser kümmerte sich nicht um dieselben. Mariano war zu ihm getreten und sagte:
   »Das war ein Meisterstück, das ich nie für möglich gehalten hätte. Wirst du das andere Versprechen auch halten können?« – »Sicher«, antwortete Sternau lächelnd. – »Aber drei Schritte Barriere, und beide schießen zugleich.« – »Pah! Paß auf, wie ich dies mache! Doch tritt nicht seitwärts von mir, sondern gerade hinter mich.« – »Dann kann mich die Kugel des Gegners treffen.« – »Nein. Sie müßte ja erst mich durchbohren.« – »So soll sie seitwärts fliegen?« – »Ja, die meine und die seine.« – »Caramba, du willst auf die Öffnung seiner Pistole zielen?« – »Ja.« – »Auf seinen rechten Lauf?« – »Versteht sich.« – »Und wenn er nun den linken zuerst abschießt?« – »Das tut so ein Männchen nicht. Habe keine Sorge, es geschieht mir nicht das mindeste.«
   Diese Worte waren leise gesprochen worden, so daß sie von den drei Offizieren ungehört blieben. Der Kapitän war jetzt zur Not verbunden. Er raunte Pardero zu:
   »Wenn Sie diesen Hund niederschießen, quittiere ich Ihnen Ihre ganze Spielschuld!«
   Pardero nickte mit dem Kopf, aber es war ein automatisches, seelenloses Nicken, eine fast unbewußte Bewegung. Er sah ebenso bleich aus wie der Kapitän vorher, und sein Auge hing voll Angst an den Sekundanten, die jetzt die Barriere markierten. Die beiden Doppelpistolen wurden sorgfältig untersucht und geladen, dann wurden sie von den Gegnern aus dem Hut gewählt. Sie stellten sich einander gegenüber, nur drei Schritte voneinander entfernt. Der Leutnant stellte sich seitwärts, Mariano aber hinter Sternau.
   »Señor, welche Unvorsichtigkeit!« rief ihm der Sekundant des Gegners zu. »Sie müssen ja getroffen werden!« – »Oh, mein Freund und ich, wie sind unverwundbar«, antwortete er lächelnd.
   Dennoch war er sich bewußt, daß es nur das Vertrauen in Sternaus Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit sei, die ihn veranlaßte, eine so exponierte Stellung einzunehmen. Der Kapitän stand in der Nähe, hielt seinen Arm in der improvisierten Binde und schleuderte haßlodernde Blicke auf Sternau. Er hätte sein halbes Leben, vielleicht noch mehr darum gegeben, wenn er jetzt hätte die Kugel Parderos nach dem Herzen des Feindes lenken können.
   Der Leutnant erhob die Hand und zählte:
   »Eins!«
   Die rechten Arme der Gegner erhoben sich mit den Pistolen, die Läufe gerade auf die Brust des Gegenübers gerichtet
   »Zwei!«
   Die Hand Parderos zitterte; er biß die Zähne zusammen, überwand das Beben und hielt das Auge auf die Stelle gerichtet, wo das Herz Sternaus klopfte. Gerade dorthin mußte die Kugel kommen. Auf drei Schritte Entfernung konnte gar nicht gefehlt werden, kein Zoll breit, nicht den Gedanken eines Haares breit. Und diese Überzeugung gab ihm seine Ruhe und sein Selbstvertrauen zurück; die beiden Mündungen seiner Waffe starrten fest und unverrückbar, als ob sie auf einer granitenen Unterlage ruhten, nach dem Herzen des Gegners. Dieser aber, Sternau, stand hoch und stolz vor ihm mit einem überlegenen Lächeln auf den Lippen.
   »Drei!«
   Das war das Todeswort. Sternau hatte seinen festen Blick nicht vom Auge Parderos verwandt, dennoch richtete sich seine Waffe bei dem letzten Kommandowort von dessen Brust mit Gedankenschnelle weg auf dessen Waffe. Die beiden Schüsse krachten. Parderos Hand wurde samt der Pistole zurückgeschleudert; Sternaus zweiter Schuß blitzte auf, nur einen Augenblick später auch derjenige seines Gegners, aber dieser stieß einen Schrei aus und ließ die Pistole sinken. Zu gleicher Zeit stöhnte auch der Kapitän dort an seinem Busch.
   »Meine Hand!« rief der Leutnant. – »Ich bin getroffen!« schrie der Kapitän. – »Unmöglich!« rief der Sekundant und eilte zu ihm. – »Es ist so«, sagt Sternau ruhig. »Señor Pardero hatte keine feste Hand. Meine erste Kugel ging nach seinem Lauf, warf denselben zurück und diagonalisierte mit der seinigen zur Seite. Meine zweite Kugel zerschmetterte seine Hand, und so ging seine zweite ab, rückwärts hinter mich und, wie ich sehe, in den bereits verwundeten Arm meines ersten Gegners. Wer sich schießen will, muß etwas gelernt haben, und wer den Mut hat, Damen zu beleidigen, der muß den Mut haben, die Folgen zu tragen. Ich habe die Gewohnheit, solchen Leuten die rechte Hand zu nehmen. Adieu, Señores!«
   Er steckte die beiden abgeschossenen Pistolen zu sich und schritt nach seinem Pferd. Da stellte sich ihm der Sekundant in den Weg und sagte:
   »Herr, Sie sind Arzt?« – »Ich hatte bereits gestern die Ehre, es Ihnen zu sagen.« – »Nun wohl, hier sind zwei Verwundete.« – »Ich pflege nicht Wunden zu heilen, die ich schlage, weil sie verdient worden sind; so ähnlich sprach ich mich gestern aus. Übrigens ist die zweite Wunde Ihres Freundes eine einfache Fleischwunde, wie ich bereits aus der Haltung seines Armes sehe, sie hat nichts zu bedeuten. Vielleicht hütet er sich später vor Freunden, die auf ihn schießen, während vom Feind sein Leben geschont wird. Adieu!«
   Sternau stieg auf und ritt davon, Mariano folgte ihm. Die drei Offiziere blieben zurück. Pardero stand da mit zerschmetterter Hand, und Verdoja ließ sich den Ärmel aufschneiden und seine Schußwunde verbinden. Ihre Flüche und Verwünschungen folgten den Davonreitenden nach.
   Diese kümmerten sich nicht darum, sondern suchten den Ort auf, wo sie ihre Gefangenen verwahrt hatten.
   »Wie ist mir jetzt das Herz so leicht«, meinte Mariano. »Ich kam nicht ohne Besorgnis zum Rendezvous.« – »Du hast mich noch nicht gekannt«, meinte Sternau heiter. »Jetzt aber laß uns eilen, daß wir die Hazienda eher erreichen als sie, sonst kommen wir um eine Überraschung, auf die ich mich ganz außerordentlich freue.«
   Sie fanden die drei Pferde noch an den Bäumen, banden sie los, nahmen sie bei den Zügeln und galoppierten davon. Die beiden Gefangenen waren so fest auf ihre Tiere gebunden, daß sie sich kaum regen konnten. Unterwegs nahm ihnen Sternau die Knebel aus dem Mund.
   »Ihr redet kein Wort«, befahl er ihnen, »sonst jage ich euch eine Kugel durch den Kopf. Ich will euch sogar die Hände freigeben, doch nur unter der Voraussetzung, daß ihr euch stets hart vor uns haltet. Es geht nach der Hazienda del Erina.«
   Er knüpfte ihnen auch die Handfesseln auf, so daß sie nun die Zügel regieren konnten. Sie waren nur noch mit Stricken befestigt, die von dem einen ihrer Füße unter dem Pferd hinweg nach dem andern liefen. Dies war nicht nur eine Gnade, sondern auch eine Vorsichtsmaßregel von Sternau. Er wollte die bei der Hazienda lagernden Lanzenreiter nicht wissen lassen, daß er Gefangene bringe, das hätte dann der Kapitän zu früh erfahren. Gab er den beiden Männern also die Zügel frei, so hatten sie das Aussehen freier Begleiter und konnten sehr leicht für Leute gehalten werden, die zur Hazienda gehörten.
   Es ging im Galopp dieser letzteren zu. Das Tor stand, wie jetzt gewöhnlich, offen, und so ritten sie in den Hof ein, ohne von den Soldaten beachtet zu werden.


   19. Kapitel

   Der Haziendero stand am Portal und staunte, sie mit zwei Begleitern und einem ledigen Pferd ankommen zu sehen.
   »Ah, da sind Sie ja. Wir haben nach Ihnen gesucht. Sie bringen mir Gäste mit, Señores?« – »Nicht eigentlich Gäste, Señor«, sagte Sternau. »Es sind Gefangene.«
   Der Haziendero machte ein erstauntes Gesicht.
   »Gefangene?« fragte er. »Wieso? Mein Gott, was ist Ihnen schon wieder passiert?« – »Das werden Sie erfahren. Aber bitte, öffnen Sie uns ein Gewölbe, in dem wir diese Männer sicher unterbringen können, von deren Hiersein die Offiziere der Lanzenreiter zunächst noch nichts wissen dürfen.«
   Es wurden den Männern jetzt die Hände wieder gefesselt, dann band man sie von den Pferden los und steckte sie in ein Gewölbe, das ohne Fenster war und dessen Tür so verschlossen wurde, daß an eine Flucht gar nicht gedacht werden konnte. Die Soldaten merkten nicht das geringste davon.
   Nun begaben sich die beiden Freunde nach dem Speisesaal, um das Frühstück einzunehmen. Dort fanden sie Helmers, Karja und Emma, die auf einige Augenblicke ihren genesenden Pflegling verlassen hatten, und erzählten ihnen das gehabte Abenteuer. Pedro Arbellez wußte noch nichts davon, daß seine Tochter auf dem Dach beleidigt worden sei; er erschrak, als er es hörte. Als dann die Rede auf das Duell kam, erbleichte Emma. Mariano berichtete den ganzen Hergang desselben, und Sternau erntete wohlverdiente Bewunderung von den Zuhörern. Diese war aber gemischt mit der Befürchtung, daß die Lanzenreiter nun an der Hazienda und ihren Bewohnern Rache nehmen könnten. Sternau versuchte, diese Befürchtungen zu widerlegen.
   »Die Lanzenreiter sind ja Untergebene von Juarez, der es früher oder später ganz sicher zum Präsidenten bringen wird«, sagte er. Juarez aber ist Ihnen wohlgesinnt, Señor Arbellez, das hat er Ihnen bewiesen, indem er Ihnen die Verwaltung der Hacienda Vandaqua anvertraute. Das werden diese Offiziere bedenken müssen. Übrigens haben wir gegen diese eine sehr gefährliche Waffe in der Hand, nämlich unsere Gefangenen, die wir jetzt verhören werden. Der Mensch, den ich gestern abend gefangennahm, liegt wohl noch verschlossen in meinem Zimmer; ich habe heute noch nicht nach ihm sehen können und werde ihn herbeibringen.«
   Er ging nach seiner Wohnung und fand den Mann noch in derselben Lage, wie er ihn verlassen. Es stand zu vermuten, daß er sich alle Mühe gegeben hatte, freizukommen, aber seine Fesseln waren zu fest gewesen. Sein Gesicht hatte eine bläuliche Farbe, und ein leises, röchelndes Stöhnen drang unter dem Knebel hervor, der ihn verhindert hatte, in freier Weise zu atmen. Sternau erkannte, daß der Gefesselte in kurzer Zeit dem Erstickungstod erlegen wäre und nahm ihm den Knebel ab. Dann band er ihn vom Bett los und befreite auch seine Beine und Füße von den sich umschlingenden Riemen, so daß er nur noch an den Händen gebunden war.
   »Steh auf!« gebot er ihm. »Ich habe mit dir zu sprechen.«
   Der Gefangene erhob sich mühsam; er hatte während der Zeit, in der er in Banden gelegen hatte, den freien Gebrauch der Glieder verloren. Er konnte jedoch atmen, und so stellte sich seine natürliche Gesichtsfarbe wieder ein, und seine Augen verloren den stieren Ausdruck, den sie gehabt hatten. Aber der Blick, den er auf Sternau warf, zeigte keine Spur von Ergebung.
   »Wie können Sie sich an mir vergreifen!« sagte er. »Ich bin ein freier Mexikaner.« – »Laß diesen dummen Spaß!« antwortete Sternau. »Du siehst ja, daß du jetzt aufgehört hast, ein freier Mexikaner zu sein!« – »Aber ohne meine Schuld. Ich verlange Freiheit und Genugtuung!« – »Was du verlangst, ist uns gleichgültig; was du bekommst, das wird sich baldigst finden. Nur erwarte nicht, daß ich Theater mit dir spiele. Du gehst jetzt mit mir.«
   Sternau faßte den Mann und schob ihn vor sich her zur Tür hinaus. Der Mexikaner gab sich Mühe, einen trotzigen Gang und eine ebensolche Haltung anzunehmen, aber es gelang ihm schlecht, da infolge seiner Fesselung das Blut noch nicht in der früheren Weise durch seine Adern pulsierte. Er hatte seine Bewegungen noch nicht wieder in seiner Gewalt, und so kam es, daß er nicht den mindesten Versuch machte, sich durch einen raschen Sprung zu befreien, obgleich ihn Sternau nicht mit der Hand gefaßt hielt.
   Als sie in den Speisesaal traten und er die dort Anwesenden erblickte, fragte en
   »Was soll ich hier?« – »Meine Fragen beantworten, weiter nichts«, antwortete Sternau, indem er ihn vorwärts stieß. »Hier stellst du dich her! Sieh diesen Revolver, bei der geringsten Bewegung, die du etwa unternimmst, um zu entfliehen, schieße ich dich nieder!« – »Ich protestiere gegen eine solche Behandlung!« meinte der Mexikaner trotzig.
   Sternau zuckte geringschätzend die Schultern und antwortete nicht, sondern wandte sich zum Fenster. Draußen war der Hufschlag eines Pferdes zu hören, und als er hinausblickte, sah er einen Lanzenreiter, der auf schweißtriefendem Pferd beim Lager ankam. Es war gewiß ein Bote, der irgendeinen Befehl überbrachte.
   Nun wandte sich Sternau wieder zu dem Gefangenen und sagte zu ihm:
   »Du stehst vor einem Verhör, das über dein Schicksal entscheidet. Ich hoffe, daß du an deinen Vorteil denkst und mir aufrichtig antwortest.« – »Es hat niemand das Recht, mich zu verhören; ich gestehe dieses Recht nur dem Richter zu, das aber ist keiner von Ihnen.« – »Du irrst. Alle, die hier sind, sind deine Richter; du wirst das bald bemerken. Ich sage dir, daß wir wenig Federlesens mit dir machen werden. Du bist gedungen worden, einige von uns zu töten. Ich habe deine Unterhaltung um Mitternacht unten bei den Palisaden und bei der Ruine belauscht und jedes Wort vernommen; ich bin auch bei dem Stein gewesen und habe den Zettel gelesen, den der Kapitän dort für dich verbarg und den du noch in deiner Tasche hast. Ihr habt in der Schlucht des Tigers auf mich geschossen – ich weiß das alles. Du bist ein Mörder, und ich werde dich ohne alle Umstände binnen zehn Minuten aufhängen lassen, wenn du nicht durch eine offene Bereitwilligkeit dein Leben zu retten versuchst«
   Diese Worte waren in strengem Ton gesprochen, der den Mann bedenklich machte. Er hörte zu seinem Schrecken, daß alles verraten sei, und der angenommene Trotz wich aus seinen verwitterten Zügen. Er antwortete nur mit einem Schweigen.
   »Ich frage dich zunächst, ob du aufrichtig antworten willst«, fuhr Sternau fort. »Willst du nicht, so ist das Verhör allerdings beendet, und du wirst aufgehängt.«
   Der Mann blickte düster zu Boden und entgegnete:
   »Wenn Sie das tun, so wird man mich rächen; darauf können Sie sich verlassen!« – »Wer würde denn der Rächer sein?« fragte Sternau. – »Ich habe noch Gefährten.« – »Pah! Du hattest nur noch ihrer zwei übrig. Sie warteten in dem Kalkbruch auf dich, wie du gestern abend zu dem Kapitän sagtest. Wir sind heute dort gewesen und haben sie gefangengenommen. Du wirst sie bald sehen.«
   Der Mexikaner erbleichte, antwortete aber doch:
   »Das glaube ich nicht. Sie sagen die Unwahrheit, damit ich schüchtern werden soll.« – »Du bist nicht der Mann, um dessentwillen ich eine Unwahrheit sagen würde. Tritt an das Fenster und blicke hinab. Ihre Pferde stehen noch unten im Hof, und das deinige auch.«
   Der Mann tat, wie ihm befohlen war. Er sah die beiden Pferde seiner Gefährten, er erkannte auch das seinige und sah nun ein, daß Sternau die Wahrheit gesagt hatte. Dennoch machte er noch einen schwachen Versuch, den Anwesenden Furcht einzuflößen, und sagte:
   »Der Kapitän wird mich rächen!«
   Sternau war mit seinen Blicken dem Gefangenen, als dieser aus dem Fenster sah, gefolgt, und dabei bemerkte er drei Reiter, die von Westen her auf das Lager zugeritten kamen. Er erkannte sie sofort und antwortete dem Mann:
   »Sieh dort hinüber! Erblickst du die drei Reiter? Es ist der Kapitän mit seinen beiden Leutnants. Wenn sie näher kommen, wirst du sehen, daß Verdoja und Pardero die rechte Hand verbunden haben. Ich habe mich heute morgen in dem Kalkbruch mit ihnen geschlagen und dabei beide um die rechte Hand gebracht. Von ihnen hast du keine Hilfe zu erwarten.«
   Der Gefangene erschrak von neuem und blickte angestrengt zum Fenster hinaus. Auch die anderen traten herbei, um die Ankömmlinge zu beobachten. Diese kamen im Trab näher, ritten, ohne bei den Ihrigen, den Soldaten, anzuhalten, in den Hof ein und stiegen ab. Nach einigen Augenblicken hörte man an ihren Schritten, daß sie sich nach ihren Zimmern begaben. Alle Anwesenden hatten bemerkt, welch ein Zug entschlossener Rachgier auf den Gesichtern der drei lag; diesen Mienen nach hatte man auf einen friedlichen Weiterverlauf der Dinge allerdings nicht zu rechnen.
   »Nun, hoffst du noch auf Hilfe von dem Kapitän?« fragte Sternau.
   Der Gefragte schwieg. Er wollte nicht mit Worten eingestehen, daß er bereit sei, seinen bisherigen Widerstand aufzugeben.
   »Antworte mir jetzt!« fuhr Sternau fort. »Gestehst du ein, daß ihr von einem gewissen Cortejo gedungen waret, mir und meinen Gefährten aufzulauern?« – »Ja, das will ich gestehen«, sagte der Mann. – »Als dies mißlang und ich eure Leute in der Schlucht des Tigers getötet hatte, engagierte euch übrigen der Kapitän Verdoja, uns niederzuschießen?« – »Ja.« – »Ihr habt infolgedessen auch wirklich auf mich geschossen?« – »Ich nicht, sondern nur die beiden, die Sie in der Schlucht töteten.« – »Entschuldige dich nicht, du warst ihr Anführer. Du hast dann mit Verdoja einige Zusammenkünfte gehabt, und bei der letzten derselben, gestern, forderte er dich auf, mich und Señor Mariano heute mit deinem Doppelgewehr zu erschießen, und zwar in dem Augenblick, in dem ich mit ihm auf der Mensur stehen würde?« – »Ja«, antwortete der Mexikaner kleinlaut. Er sah ein, daß Leugnen ganz vergeblich sei, fügte jedoch hinzu. »Sie können mir aber glauben, Señor Sternau, daß ich es nicht getan hätte; ich hätte Sie auf keinen Fall erschossen.« – »Ah! Was hättest du denn getan?« – »Ich wäre hervorgetreten und hätte Ihnen gesagt, was der Kapitän mit Ihnen im Sinn hatte.« – »Das mache einem anderen weis. Du wirst übrigens jetzt deine Kameraden zu sehen bekommen. – Mariano, willst du die beiden Leute holen?«
   Mariano ging und brachte sie nach kurzer Zeit herbei. Sie erschraken sichtlich, als sie ihren Gefährten erblickten, und es bedurfte von seiten Sternaus nur einer kleinen Einschüchterung, um sie zum vollen Geständnis zu bringen. Sie hörten, daß ihr Mithelfer bereits alles gesagt habe, und sahen nun keinen Grund, durch ein unnötiges Leugnen ihre an und für sich bereits gefährliche Lage zu verschlimmern.
   »Ihr seid Mörder und wohl auch noch mehr als das«, sagte Sternau, »es gehört euch der Strick ohne alle Gnade und Barmherzigkeit, aber ich will Nachsicht üben, sobald ihr bereit seid, eine Bedingung zu erfüllen.« – »Welche ist es?« fragte der eine. – »Ich fordere von euch, daß ihr euer Geständnis in Gegenwart des Kapitäns wiederholt, sobald ich es verlange. Seid ihr bereit dazu?«
   Sie blickten einander an und antworteten nicht. Endlich fragte der Anführer:
   »Ist das unbedingt notwendig?« – »Ja. Tut ihr es nicht, so geschieht das mit euch, was ich euch sagte: Ich lasse euch unverzüglich aufhängen. Denket nicht, daß ich nur drohe!« – »Hängen lassen wir uns des Rittmeisters wegen nicht. Wenn es wirklich nicht anders geht, so werden wir also auch in seiner Gegenwart die Wahrheit sagen.« – »Gut. Das Leben ist euch also geschenkt, und das Weitere wird sich finden. Ihr werdet jetzt zusammengesperrt. Versucht nicht, zu entfliehen, denn jeder Versuch wird euren Tod zur Folge haben!«
   Sie wurden jetzt zu dreien in dasselbe Gewölbe eingeschlossen, in dem die zwei gesteckt hatten. Sternau ahnte mit den übrigen, daß sehr bald eine Kundgebung feindseliger Art von den Offizieren zu erwarten sei, und so zogen sie es vor, im Haus zu bleiben, um einander in jedem Augenblick zur Hand zu sein.


   20. Kapitel

   Die drei Offiziere waren nach dem Aufbruch Sternaus und Marianos noch längere Zeit auf dem Kampfplatz geblieben; sie sahen sich durch Verwundungen dazu gezwungen. Die Hand Parderos war vollständig zerschmettert, aber die Blutung zeigte sich bei ihm als nicht übermäßig. Das Taschentuch und ein Stück von der Pferdedecke genügten zum einstweiligen Verband. Anders war es bei dem Kapitän. Die scharfen Schnittflächen seiner vierfachen Fingerwunde begünstigten das Hervorbrechen des Blutes, und die Kugelwunde am Arm, obgleich nicht gefährlich, schien eine bedeutende Vene zerrissen zu haben. Hier war die Blutung mit weit größerer Mühe zu stillen.
   Während dieser Verbandarbeiten wurde nur wenig gesprochen, und das, was geredet wurde, trug den Charakter des Grimmes und der Wut an sich.
   »Wer hätte das gedacht!« meinte Pardero. – »Daß Sie so ungeschickt sind, auf mich zu schießen!« unterbrach ihn der Kapitän. – »Ich? Sie haben ja bereits gehört, wie es zugegangen ist. Dieser Sternau ist ein Fechter und ein Schütze, wie es keinen zweiten gibt.« – »Und Sie sind ebenso ein Schütze, wie es keinen zweiten gibt, nämlich ein so schlechter!« – »Ich bitte die Herren, sich nicht zu entzweien!« bat der Sekundant, dem das Geschäft des Verbindens allein oblag, da die beiden anderen durch ihre Wunden verhindert waren, ihm durch eine Handreichung beizustehen. »Das Rendezvous war ein ganz außergewöhnliches. Dieser Sternau kann wirklich fast ein Teufel genannt werden, obgleich alles sehr natürlich zugegangen ist. Seine Geschicklichkeit sowohl in der Handhabung von Schieß– und Hiebwaffen ist eine geradezu auffällige, aber noch auffälliger sind mir die Worte, die er sprach.« – »Allerdings auffällig im höchsten Grad«, stimmte Pardero bei. »Er beschuldigte Sie, Kapitän, ja geradezu, einen Mörder gedungen zu haben, der ihn und seinen Sekundanten niederschießen solle.« – »Infamie!« antwortete Verdoja.
   Aber trotz dieses Wortes konnte er die tiefe Röte nicht verbergen, die in sein vorher so totenbleiches Gesicht getreten war. Wer bei solchem Blutverlust so tief erröten konnte, der mußte sich getroffen fühlen.
   Der Sekundant fixierte ihn mit scharfem Auge. Er war ein Ehrenmann, der, wenngleich Mexikaner, sich der Beihilfe zu einer Unehrenhaftigkeit nicht schuldig machen wollte. Er hatte keine Ahnung von den eigentlichen Absichten seines Vorgesetzten, dem er nur sehr ungern als Sekundant gedient hatte, da es sich ja um die Beleidigung einer Dame handelte; aber gerade daß es sein Vorgesetzter war, hatte ihn vermocht, eine Weigerung nicht auszusprechen. Er fühlte, ja, er war fest überzeugt, daß Sternaus Anschuldigung eine begründete sei, und fragte:
   »Was sollte diesen Deutschen zu einer solchen Beschuldigung veranlassen?« – »Eben seine Schlechtigkeit«, antwortete der Kapitän. – »Sie irren wohl, Señor!« erwiderte der Sekundant ruhig. »So wie ich Sternau beurteile, ist er nicht der Mann zu einer solchen Bosheit.« – »So war es ein übel angebrachter Theatercoup, um den Effekt zu erhöhen.« – »Auch das glaube ich nicht. Sternau, der berühmte Jäger, ist kein Schauspieler.«
   Da stampfte Verdoja zornig mit dem Fuß.
   »Schweigen Sie! Oder wollen Sie mir etwa sagen, daß Sie glauben, was dieser Mensch ausgesprochen hat?« – »Er hat eine offene Anschuldigung ausgesprochen, die Sie nicht widerlegten«, antwortete der Leutnant gemessen. »Ich enthalte mich natürlich eines jeden Urteils, bis erwiesen ist, daß der Ankläger sich geirrt hat.« – »Das will ich Ihnen auch raten!«
   Der junge Mann blickte von dem Verband auf, mit dem er beschäftigt war, zog die Brauen zusammen und fragte:
   »Soll das eine Drohung sein, Kapitän?« – »Allerdings!« lautete die zornige Antwort.
   Sofort ließ der Leutnant das Tuch los und trat zurück.
   »Ich verbitte sie mir sehr ernstlich!« sagte er. »Sie sind im Dienst mein Vorgesetzter, in einem Ehrenhandel aber ist meine Stellung keine andere als die Ihrige. Ihr Verhalten gegen mich ist mir unbegreiflich, und ich sage Ihnen, daß ich sofort nach unserer Rückkehr mit Señor Sternau sprechen werde. Er hat Sie des Meuchelmords angeklagt, geschah es mit Unrecht, so muß er widerrufen und Genugtuung geben, geschah es aber mit Recht, so werde ich aus meiner Stellung scheiden.« – »Ich verbiete Ihnen, mit diesem Menschen zu sprechen!« schnaubte der Kapitän. – »Sie haben mir nur in dienstlichen Dingen Befehle zu erteilen, sonst nicht. Sie kennen jetzt meine Ansicht. Soll ich den Verband vollenden, so ersuche ich Sie, das jetzige Thema fallenzulassen.«
   Der Kapitän schwieg notgedrungen und hielt ihm den Arm hin. Der Zorn, der ihn beherrschte, war nicht geeignet, die Wallungen seines Blutes zu beruhigen, und so kam es, daß das Verbinden längere Zeit in Anspruch nahm. Während der Leutnant mit dem Arm seines Vorgesetzten beschäftigt war, wechselte dieser Blicke mit Pardero, aus denen er erkannte, daß er in letzterem einen Verbündeten haben werde.
   Endlich stiegen sie zu Pferde, um nach der Hazienda zurückzukehren. Sie taten dies, wie bereits bemerkt, mit düsteren Mienen, doch war bei dem Leutnant der Grund dazu ein ehrenhafterer als bei den beiden anderen.
   Bei den Lanzenreitern befand sich einer, der einmal Arzt hatte werden wollen, aber wegen schlimmen Lebenswandels relegiert worden war. Er war der Chirurg der Schwadron und hätte bei dem Duell eigentlich zugegen sein müssen. Aber Sternau hatte die Anwesenheit eines Arztes abgelehnt, und der Kapitän war so überzeugt gewesen, daß sein meuchlerischer Anschlag gelingen werde, daß man nicht für nötig befunden hatte, ihn zu benachrichtigen. Kaum aber waren Verdoja und Pardero nach der Hazienda zurückgekehrt, so ließen sie ihn kommen, um sich einen regelrechten Verband anlegen zu lassen.
   Bei dieser Gelegenheit erfuhren sie von ihm, daß ein Bote angekommen sei, der von Juarez die Weisung gebracht habe, sofort nach Monclova aufzubrechen, da dort die Bevölkerung im Aufstand gegen die Regierung begriffen sei. Der Kapitän ließ ihn zu sich kommen und empfing den schriftlichen Befehl, den Monclovanern gegen die Regierungstruppen beizustehen.
   »Werde ich reiten können?« fragte er den Chirurgen. – »Ja«, antwortete dieser. »Das Reiten strengt den Arm nicht an. Es ist nur das Wundfieber zu befürchten, aber da ich das Wundkraut angewandt habe, so wird es gar nicht eintreten.« – »Und Leutnant Pardero?« – »Seine Wunde ist schmerzhafter als die Ihrige, gefährlicher aber nicht. Auch er kann reiten. Allerdings den Degen werden Sie beide nicht wieder führen können.« – »So fechte ich mit der linken Hand. Morgen früh brechen wir auf.«
   Während der Chirurg mit den beiden Verwundeten beschäftigt war, führte der Leutnant seinen Vorsatz aus und begab sich zu Sternau. Dieser sah ein, daß er es mit einem Ehrenmann zu tun hatte, verweigerte ihm aber einstweilen jede Auskunft
   »Und doch muß ich auf dieser Auskunft bestehen«, sagte der Leutnant. »Es ist ein Bote angekommen, der unseren schleunigen Aufbruch fordert. Juarez dirigiert uns nach Monclova. Haben Sie ein Recht, den Kapitän des Meuchelmords oder der Anstiftung dazu zu beschuldigen, so trete ich aus oder zwinge ihn auszutreten. Dasselbe wird auch mit Pardero der Fall sein, denn ich vermute sehr, daß die beiden zusammenhalten. Eigentlich genügt schon ihr ehrloser Angriff auf die Damen, mich von ihnen loszusagen.« – »Und doch dienten Sie ihnen als Sekundant!« – »Wer hätte es sonst tun sollen? Übrigens erfuhr ich etwas Ausführliches erst auf dem Weg nach dem Stelldichein. Jetzt sehen Sie wohl ein, daß ich unbedingt um sofortige Aufklärung bitten muß.« – »Sie soll Ihnen werden, wenn auch nicht in dieser Minute, aber doch in ganz kurzer Zeit Der Kapitän sieht seinen Anschlag mißlungen, und er wird, wie ich vermute, in kurzer Zeit ausreiten, um an denjenigen, der den Mord ausführen sollte, eine Botschaft zu richten. Ich beabsichtige, ihn dabei zu beobachten; Sie werden mich deshalb begleiten, denn dies ist der Weg, Sie von der Wahrheit meiner Behauptungen zu überzeugen. Bereiten Sie sich auf einen baldigen Spazierritt vor, aber ohne daß es jemand merkt.«
   Der Leutnant mußte sich damit zufriedengeben und entfernte sich einstweilen. Sternau hatte sich in seinen Vermutungen nicht getäuscht, denn kaum hatte der Chirurg sich entfernt so verließ Verdoja zu Pferde die Hazienda, aber nicht allein, sondern er forderte den Leutnant Pardero auf, ihn zu begleiten, da er mit ihm zu sprechen habe.
   Pardero war ein echter Mexikaner, leichtlebig, leidenschaftlich, seinen Wünschen und Begierden alles unterordnend. Er war arm, wollte es aber nicht bleiben, denn der Besitz ist ja das einzige Mittel zur Befriedigung aller Bedürfnisse. Reich zu werden, war ihm kein Mittel zu verwerflich, aber leider hatte er bis jetzt noch keinen Erfolg gehabt. Er hatte es bisher zu nichts gebracht als nur zu Schulden, und sein Hauptgläubiger war der Kapitän, an den er im Spiel Summen verloren hatte, die nicht ganz unbedeutend waren. Dies wollte Verdoja benutzen. Er brauchte einen Verbündeten, der von ihm abhängig war, und dazu paßte niemand besser als Pardero. Daher nahm er ihn auf seinem jetzigen Ritt mit, um ihn für seine Zwecke zu engagieren.
   Verdoja wußte nicht, daß seine Helfershelfer gefangen seien; er konnte nicht begreifen, wie Sternau seinen Anschlag erfahren hatte, und wollte nun für den Mörder einen zweiten Zettel unter den Stein stecken, um ihn für Mitternacht abermals zu bestellen. Doch ritt er nicht direkt der Gegend zu, in der sich der Stein befand. Er wußte sich von Sternau beobachtet, darum machte er einen Umweg, und zwar einen noch weiteren, als sein gestriger gewesen war.
   »Warum brechen wir erst morgen nach Monclova auf?« fragte Pardero unterwegs. »Der Weisung nach müßten wir doch sofort reiten.« – »Wir haben erst hier noch einiges abzumachen, ich und Sie«, antwortete Verdoja. – »Ich?« fragte Pardero erstaunt. – »Ja. Oder wollen Sie diesen Sternau, der Ihnen die Hand zerschmettert hat, unbestraft lassen?« – »Ah, wenn ich ihn fassen könnte!« knirschte der Leutnant. – »Das werden wir. Übrigens denke ich auch, daß die schöne Indianerin Ihr Blut in Wallung gebracht hat. Sie ist schuld an Ihrem Rencontre mit dem Deutschen. Wollen Sie von hier fortgehen, ohne sich diese Schuld in liebenswürdiger Weise abtragen zu lassen?«
   Aus den Augen Parderos leuchtete eine gefährliche Glut.
   »Teufel, ja«, sagte er. »Ich gestehe aufrichtig, daß ich vor Lust brenne, sie zu küssen. Sie ist das schönste Mädchen, das ich kenne.«
   Dies war ein offenes Geständnis. Der Kapitän nickte mit dem Kopf.
   »Gut! Sie werden offen, und so will ich Ihnen ebenso ehrlich sagen, daß es mir geradeso geht mit dieser Señorita Emma. Ich habe mich in sie vergafft und bin wirklich ganz verliebt in den Gedanken, meine innigen Gefühle belohnt zu sehen. Freiwillig wird das nicht geschehen, aber wer kann uns widerstehen, wenn wir vereint handeln? Wollen wir uns verbünden, Leutnant?«
   Er streckte Pardero die Hand entgegen.
   »Gern!« rief dieser, indem er sofort und kräftig einschlug. »Aber wie?« – »Lassen Sie nur mich sorgen! Ich habe übrigens noch andere Pläne, die nicht nur für mich, sondern auch für Sie von Vorteil sind.« – »Ich hoffe, daß ich sie erfahren werde!« – »Hm, sie sind etwas heikler Natur, und ich weiß nicht, ob ich Ihnen vertrauen darf, ob ich auf alle Fälle und unter allen Umständen auf Ihre Verschwiegenheit rechnen kann.« – »Ganz sicher! Ich schwöre es Ihnen!« – »Nun wohl, ich will einmal kühn sein und Ihnen glauben. Was halten Sie von der Anschuldigung, die Sternau heute gegen mich ausgesprochen hat?« – »Hm!« antwortete Pardero, indem er nachdenklich auf den Sattelknopf niederblickte. – »Nun? Reden Sie offen!« – »Wenn Sie es befehlen, so sage ich Ihnen aufrichtig, daß Ihr Verhalten bei dieser Sache nicht ganz geeignet war, das Gegenteil glauben zu lassen.« – »Richtig. Ich gestehe Ihnen, daß dieser Deutsche recht hatte.«
   Dieses rückhaltlose Bekenntnis machte Pardero doch etwas verdutzt
   »Also wirklich!« sagte er erstaunt. – »Ja, und wenn mein vorsichtiger Anschlag gelungen wäre, so befänden wir uns beide noch im Besitz unserer Hände, und den Deutschen mitsamt seinem Sekundanten hätte der Teufel geholt Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich von sehr hoher und einflußreicher Seite den Befehl habe, Sternau und seine Begleiter unschädlich zu machen.«
   Diese letzten Worte waren schlaue Berechnung, sie sollten Pardero willig machen, dem Kapitän Hilfe zu leisten.
   »Das ist überraschend«, sagte dieser. »Darf man nach Namen fragen?« – »Jetzt noch nicht. Dieser Sternau ist mehr, als er scheint. Es hängt von seinem Verschwinden das Gelingen weittragender Pläne ab, und derjenige, der ihn verschwinden läßt oder dabei Hilfe leistet, hat auf eine nachhaltige Dankbarkeit zu rechnen. Sie können sich denken, daß ich mich nicht in Gefahr begeben hätte, wenn ich nicht wüßte, daß mir dadurch eine Karriere, eine Zukunft eröffnet wird, an die ich sonst nicht denken dürfte.«
   Das war nicht wahr, das war eine große Lüge, aber der Kapitän sprach sie mit Vorbedacht aus. Indem er vorgab, in einem höheren Auftrag zu handeln, stellte er sich als einen Bevollmächtigten hin, dessen Taten nicht gerichtet werden konnten. Und indem er von einer nachhaltigen Belohnung sprach, versicherte er sich des Beistands Parderos, der keine Ahnung harte, daß die Worte seines Vorgesetzten eine Unwahrheit enthielten.
   »Sie glauben, daß auch ich belohnt werde, wenn ich Ihnen behilflich bin?« fragte Pardero. – »Gewiß. Sie werden sogar doppelt belohnt, ebenso wie ich. Zunächst haben wir entweder auf ein schnelles Avancement oder auf eine bedeutende pekuniäre Berücksichtigung zu hoffen, und sodann ist es ja für uns beide eine Genugtuung, diesen Kerlen zu beweisen, daß wir uns zu rächen vermögen. Ich darf also auf Sie rechnen?« – »Vollständig, Kapitän! Ich stehe Ihnen mit größtem Vergnügen zur Verfügung und bitte, mir zu sagen, was ich zu tun habe.« – »Das weiß ich in diesem Augenblick selbst noch nicht. Zunächst muß ich erfahren, weshalb mein Beauftragter heute nicht gekommen ist.« – »Wir werden jetzt mit ihm sprechen?« – »Nein. Wir werden ihm jetzt zunächst ein Zeichen geben, daß ich heute abend mit ihm sprechen will. Da erfahre ich, was ihn abgehalten hat, und werde dann augenblicklich handeln. Dies ist auch der Grund, daß ich heute nicht nach Monclova aufbrechen kann, es kann dies erst morgen geschehen.« – »Aber wie hat Sternau erfahren, was Sie mit ihm vorhatten?« – »Das ist mir ein Rätsel.« – »Ihr Mann wird Sie doch nicht verraten haben?« – »Nein, er ist sicher. Eher glaube ich, daß Sternau uns belauscht hat. Er muß sich zufällig an dem Ort befunden haben, wo ich die Unterredung hatte. Daher werde ich die heutige Besprechung nach einem anderen Platz verlegen. Kommen Sie!«
   Pardero mußte sich mit den Andeutungen für jetzt begnügen und folgte dem Kapitän, der sein Pferd in einen schnelleren Gang versetzte. Sie hatten beide keine Ahnung, daß ihr Ritt nicht nur ein vergeblicher sein, sondern ihnen geradezu zum Verderben gereichen werde.


   21. Kapitel

   Sobald die Offiziere von der Hazienda aufgebrochen waren, stieg auch Sternau mit dem Leutnant zu Pferde und schlug ganz denselben Weg ein, den er gestern geritten war, um zu dem Stein zu gelangen. Sie verbargen ihre Pferde ganz an demselben Ort, wo er gestern das seinige versteckt hatte, und begaben sich dann nach der improvisierten Poste-restante-Station. Der Leutnant bestieg die Zeder, und Sternau versteckte sich hinter einige Büsche, die ihm genügenden Schutz gewährten.
   Sie hatten eine längere Weile zu warten, ehe sie den Hufschlag nahender Pferde vernahmen. Die Reiter hielten draußen am Rand des Gehölzes, stiegen ab und kamen dann bis zu dem Stein heran. Es waren Verdoja und Pardero.
   Der erstere hob den Stein empor und steckte einen Zettel unter denselben. Sie lauschten einige Sekunden lang, ob sich in der Umgebung etwas rege, dann kehrten sie zu ihren Pferden zurück und ritten davon. Nun verließen die beiden Lauscher ihre Verstecke, und Sternau nahm den Zettel hervor.
   »Pardero war dabei«, sagte der Leutnant, »er ist also eingeweiht. Darf ich diesen Zettel lesen, Señor?«
   Sternau hatte die Worte bereits überflogen und reichte ihm das Papier hin. Darauf stand:
   »Bleibe in der Nähe dieses Ortes. Um Mitternacht treffe ich dich hier beim Stein. Du hast dich zu rechtfertigen.«
   Auch dieses Mal fehlte die Unterschrift. Der Leutnant fragte Sternau:
   »Das ist für denjenigen bestimmt, der Sie und Señor Mariano erschießen sollte?« – »Ja.« – »Er wird den Zettel finden?« – »Nein.« – »So beabsichtigen Sie nicht, ihn wieder unter den Stein zurückzulegen? Ich würde das tun und dann um Mitternacht das Gespräch belauschen.« – »Das ist nicht möglich, da der betreffende Mann nicht kommen wird. Er befindet sich bereits in meiner Gewalt; er ist Gefangener auf der Hazienda. Kommen Sie zu den Pferden. Nun Sie die beiden Mörder mit eigenen Augen beobachtet haben, werde ich Ihnen alles erzählen, das kann ich während des Heimritts tun.«
   Was der Leutnant hörte, das forderte nicht nur sein Erstaunen, sondern auch seinen tiefsten Abscheu heraus; er beschloß, ganz nach den Gefühlen zu handeln, deren er sich jetzt nicht mehr erwehren konnte.
   »Was werden Sie tun?« fragte er Sternau. – »Ich werde den Kapitän und seinen Helfer entlarven«, war die Antwort. – »So recht! Werde ich dabeisein dürfen?« – »Gewiß! Ich werde Sie sogar bitten, mein Zeuge zu sein.« – »Und was gedenken Sie mit den Gefangenen zu tun, Señor?« – »Ich habe ihnen versprochen, ihr Leben zu schonen, falls sie ein offenes Geständnis ablegen; sie haben dies getan, und nun ist es meine Pflicht, mein Wort zu halten.« – »Hm, das ist nicht vorsichtig. Diese Kerle haben den Strick verdient. Werden sie ohne Strafe entlassen, so sind Sie Ihres Lebens ja gar nicht mehr sicher.« – »Das sage ich auch, aber ich habe mein Wort noch nie gebrochen und werde es auch jetzt nicht tun. Vielleicht macht meine Nachsicht einen bessernden Eindruck auf sie.« – »Dies glaube ich nicht; auf diese Art von Menschen macht Milde keinen Eindruck, da sie die Humanität doch nur für Schwäche halten. Aber Sie haben leider Ihr Wort einmal gegeben, und so ist nichts daran zu ändern.«
   Sie langten eine bedeutende Weile später auf der Hazienda an als der Kapitän und Pardero. Der erste befand sich bereits im Lager der Soldaten und sah sie kommen. Er runzelte die Stirn. Daß der Leutnant sich in Sternaus Gesellschaft befand, war ihm im höchsten Grade unangenehm, ja bedenklich; darum kam er ihm mit finsterer Miene entgegen und fragte:
   »Leutnant, wo waren Sie?« – »Spazieren«, lautete die Antwort. – »Hatten Sie meine Erlaubnis?« klang es drohend. – »Bedarf ich derselben?« fragte der Offizier scharf. – »Ich denke. Wir befinden uns nicht in Garnison, sondern auf dem Marsch.« – »Ich meine, daß wir uns nicht auf dem Marsch, sondern im Biwak befinden, Kapitän.« – »Diese Unterscheidungen sind hier nutzlos, Leutnant. Sie haben um Urlaub anzufragen, sobald Sie die Absicht haben, sich zu entfernen.«
   Der junge Offizier errötete, aber nicht vor Scham, sondern vor Unwillen, denn die Lanzenreiter standen umher und konnten jedes Wort hören, das gesprochen wurde.
   »Dies hätte ich nur dann zu tun«, antwortete er, »wenn ich die Absicht hätte, zu verreisen oder mich während einer Zeit zu entfernen, die den dienstlichen Angelegenheiten gewidmet sein soll. Gegenwärtig aber habe ich ebenso einen Spazierritt gemacht wie Sie und Leutnant Pardero. Was dem einen gestattet ist, muß auch dem anderen erlaubt sein. Sie werden mir da wohl recht geben?«
   Der Kapitän reckte sich zu seiner vollen Höhe empor.
   »Señor, wissen Sie, was Widersetzlichkeit zu bedeuten hat?« rief er drohend. – »Das weiß ich genau so gut wie Sie, Señor, aber von Widersetzlichkeit ist hier keine Rede. Es handelt sich um eine einfache Meinungsverschiedenheit, die in ruhiger und anständiger Weise ausgeglichen werden kann. Es versteht sich doch ganz von selbst, daß ein Offizier sich vor den Augen der Mannschaft nicht grundlos maßregeln lassen kann!«
   Die Augen des Kapitäns blitzten vor Wut. Er trat einen Schritt näher, streckte die Hand aus und gebot:
   »Geben Sie Ihren Degen ab, Leutnant! Sofort!«
   Der Leutnant war zwar noch jung, aber doch ein furchtloser Mann. Er vermochte sich so zu beherrschen, daß er lächelnd antworten konnte:
   »Meinen Degen? Pah! Den haben Sie nicht zu verlangen!« – »Ich bin Ihr Vorgesetzter!« – »Gewesen! Sie sind ein Schurke, ein großer, ein ausgefeimter Bösewicht. Es wäre für mich die größte Schande, wenn Sie meinen ehrlichen Degen nur anrührten!«
   Diese Worte waren mit erhobener Stimme gesprochen worden, so daß sie von sämtlichen Soldaten verstanden werden konnten. Die amerikanische Disziplin ist eine andere als zum Beispiel die preußische. Als die Lanzenreiter die fürchterliche Anschuldigung vernahmen, schlossen sie sofort einen Kreis um die Offiziere. Pardero stand auch dabei, und Sternau hielt an der Seite des mutigen jungen Leutnants, so daß er sich also mit den drei Offizieren in der Mitte des Kreises befand.
   Der Schimpf, der in den letzten Worten lag, war so groß, daß der Kapitän für den ersten Augenblick gar keine Worte zur Entgegnung fand, dann aber riß er den Revolver aus dem Gürtel, zielte auf den Leutnant und rief mit donnernder, aber vor Wut zitternder Stimme:
   »Widerrufen Sie sofort, oder ich schieße Sie nieder!« – »Widerrufen? Nein. Ich wiederhole, was ich sagte«, lautete die furchtlose Antwort.
   Da wollte der Kapitän wirklich losdrücken, aber in demselben Augenblick gab Sternau seinem Pferd die Sporen, er schoß in einer kräftigen Lançade an dem Kapitän vorüber, und dieser erhielt dabei von Sternau einen solchen Faustschlag, daß er augenblicklich zusammenbrach.
   »Was ist das? Was wagen Sie?« rief Pardero. – »Nichts!« antwortete Sternau. »Höchstens wage ich, meine Hand zu besudeln.« – »Ja«, rief der junge Leutnant seinem Kameraden zu, »ich erkläre auch Sie für einen Schurken, mit dessen Berührung man sich nur besudeln kann!«
   Pardero wurde bleich, entweder vor Ärger oder vor Angst oder aus allen beiden Gründen.
   »Sie phantasieren wohl?« rief er. – »Nein, ich bin im Besitz meiner Besinnung, ja sogar eines vollen moralischen Bewußtseins, was bei Ihnen nicht der Fall ist« – »Ah, Sie mögen daran denken, daß ich Ihr Vorgesetzter bin. Sie sind der jüngste Offizier!« – »Sie sind mein Vorgesetzter nicht mehr. Ich diene keinen Augenblick länger mit Ihnen.« – »Ah, Sie treten aus?« – »Das wird sich finden. Entweder trete ich aus oder Sie beide.« – »Sie vergessen, daß man nicht so leicht und schnell auszutreten vermag«, lächelte Pardero höhnisch. »Zunächst verhafte ich Sie wegen Insubordination, und auch Señor Sternau ist wegen Körperverletzung mein Gefangener!« – »Meinen Sie?« fragte Sternau. »Sie Wurm hätten das Geschick, mich gefangenzunehmen? Kommen Sie einmal her.«
   Pardero stand in seiner unmittelbaren Nähe; das war eine Unvorsichtigkeit von ihm, denn Sternau langte zu, faßte ihn beim Kragen, riß ihn zu sich empor und schmetterte ihn darauf mit solcher Gewalt zu Boden, daß er liegenblieb. Das war den Lanzenreitern denn doch zu viel. Der alte Wachtmeister der Truppe trat hervor, salutierte vor dem Leutnant und fragte:
   »Señor Leutnant, dürfen wir erfahren, was dies alles zu bedeuten hat?«
   Der Gefragte nickte ihm freundlich zu und erwiderte:
   »Bartholo, wer ist euch der liebste Offizier? Sage es aufrichtig!« – »Hm! Sie, Herr Leutnant; das wissen Sie. Wir hätten sonst wahrlich nicht so ruhig zugesehen, daß Señor Verdoja und Señor Pardero von Ihnen in dieser Weise insultiert wurden. Und von einem Zivilisten erst recht nicht.« – »Nun gut, Bartholo, so will ich dir sagen, daß diese beiden Señores durchaus infam gehandelt haben. Sie haben sich mit Räubern und Mördern verbunden, um ehrliche Leute zu morden und brave Damen zu beleidigen.« – »Ist das wahr, Señor?« – »Ja, du kannst es glauben. Wir haben heute morgen ein Duell gehabt; dabei sind sie um ihre rechten Hände gekommen; das war ein Gottesgericht. Und eben jetzt war ich mit diesem Señor draußen im Wald, um sie zu belauschen. Sie sind nicht wert, brave, mexikanische Lanzenreiter zu befehligen. Ich diene nicht weiter unter ihnen.« – »Caramba, Señor, da trete auch ich aus!« meinte der Alte. – »Das ist nicht nötig, Bartholo. Du bist ein altgedienter Haudegen und weißt genau, was sich schickt. Ich meine, wir untersuchen den Fall und bestimmen dann, wer auszutreten hat, sie beide oder ich.« – »Das ist wahr, Señor Leutnant«, meinte der Wachtmeister, indem er sich den Schnauzbart strich. »Müssen Sie austreten, dann trete ich mit aus, und ich glaube, es löst sich die ganze Schwadron auf. Werden aber diese beiden, denen wir ja alle nicht grün sind, zum Teufel gejagt, so sind Sie Kapitän.« – »Und du wirst Oberleutnant. Die anderen folgen nach, ganz nach der Reihenfolge.« – »So meinen Sie also, wir konstituieren ein Kriegsgericht?« – »Nein, denn ihre Verbrechen sind keine militärischen. Ich meine ein Ehrengericht.« – »Gut. Nehmen wir ihnen die Waffen ab?« – »Das versteht sich.« – »Fesseln wir sie?« – »Nein. Aber sie sind einstweilen Arrestanten und werden in einem Zimmer der Hazienda bewacht. Das Gericht wird im Hof abgehalten, so daß die ganze Schwadron es hören kann. Sie sind besinnungslos. Laß sie einschließen und bewachen, und dann kommst du herauf zu mir, um bei der Voruntersuchung zugegen zu sein.«
   Es war ein Glück, daß der junge Leutnant die Liebe seiner Untergebenen in diesem Maß besaß, sonst wäre der Ausgang dieser gefährlichen Szene sicherlich ein ganz anderer gewesen. Wie zwei Helden hielten er und Sternau in der Mitte der halbwilden Soldateska; auf seinen Wink wurden den beiden Bewußtlosen die Waffen genommen, und dann schaffte man sie in ein kleines Zimmer, dessen Tür und Fenster bewacht wurden.
   Nun begaben sich die beiden hinauf in den Saal, wo sie erzählten, was sie erlebt hatten. Mariano bestand darauf, daß das Ehrengericht in Anwesenheit der Bewohner der Hazienda gehalten werde und die beiden Gefangenen unter Aufsicht einiger kräftiger Vaqueros vorgeführt werden sollten. Beides wurde zugestanden und dann auch sofort die Vorbereitung zu der Sitzung getroffen.
   Während unten die Lanzenreiter in einzelnen Gruppen den ungewöhnlichen Vorfall besprachen, kam der alte Wachtmeister und wurde mit dem Leutnant zu den drei gefangenen Mexikanern geführt, die ihre Aussagen wiederholen sollten. Sie taten es, und da hiermit alle Vorbereitungen erledigt waren, so wurden nun mehrere Stühle und Bänke in den Hof geschafft, auf denen die Hauptpersonen Platz zu nehmen hatten.


   22. Kapitel

   An einem Tisch saß der Leutnant und an seiner Seite der Wachtmeister, rechts und links von ihnen die Unteroffiziere. Sie bildeten den Gerichtshof. An der anderen Seite hatten Sternau, Mariano und die beiden Damen Platz genommen; sie waren die Ankläger. Ihnen gegenüber saßen Helmers und der Haziendero als vielleicht zu gebrauchende Zeugen, und auf der vierten Seite standen in einiger Entfernung die Lanzenreiter nebst mehreren Vaqueros und Ciboleros als Publikum.
   Jetzt wurden Verdoja und Pardero vorgeführt.
   Es läßt sich gar nicht beschreiben, in welcher Verfassung sie sich befanden. Eine solche Lage, eine solche Demütigung hatten sie gar nicht für möglich gehalten. Sie schäumten vor Wut, und wenn sie ihre rechten Arme hätten gebrauchen können, so wären sie von den vier Vaqueros, von denen sie herbeigebracht wurden, wohl kaum zu bändigen gewesen.
   »Was soll das?« rief Verdoja, als er die Versammlung bemerkte. »Was steht ihr hier?« brüllte er die Soldaten an. »Packt euch hinaus, ihr Hunde!« – »Mäßigen Sie sich, Señor Verdoja!« mahnte der Leutnant als Vorsitzender. »Sie stehen als Angeklagter vor uns, und es kommt ganz allein nur auf Ihr Verhalten an, wie Sie von uns behandelt werden.« – »Als Angeklagter?« rief er. »Wer klagt mich an?« – »Das werden Sie sofort vernehmen.« – »Und wer soll mein Richter sein?« – »Wir, die Sie hier sitzen sehen.«
   Da schlug Verdoja ein schallendes, höhnisches Gelächter auf.
   »Befinde ich mich unter Wahnsinnigen?« fragte er. »Meine Soldaten wollen mich richten! Schurken, die ihr seid, wollt ihr an eure Plätze gehen! Ich lasse euch auf der Stelle füsilieren!«
   Er erhob die linke Faust und trat auf den Wachtmeister zu, wurde aber bald von den Vaqueros abgehalten, tätlich zu werden.
   »Ich stelle den Antrag, die beiden Angeklagten zu fesseln, wenn sie sich nicht augenblicklich beruhigen!« sagte Sternau. – »Der Antrag ist angenommen!« antwortete der Leutnant. – »Wagt es einmal!« rief der Kapitän. »Ich lasse die ganze Hazienda demolieren!« – »Habt ihr Riemen oder Stricke?« fragte anstatt der Antwort der Vorsitzende die Vaqueros.
   Diese griffen in ihre Taschen und brachten das Verlangte hervor.
   »Ihr seht, Señores, daß wir nicht scherzen!« sagte der Vorsitzende. »Fügt Euch in das Unvermeidliche, sonst werdet Ihr gezwungen, Euch zu fügen!« – »Fügen!« rief Verdoja. »Was haben wir verbrochen? Wer kann wagen, ein Kriegsgericht über seine eigenen Vorgesetzten zu halten? Ich, ich bin es, der anzuklagen hat!« – »Sie irren sich. Es handelt sich nicht um ein Kriegs-, sondern um ein Ehrengericht, und es soll entscheiden, ob Ehrenmänner unter Euch noch weiter dienen können.«
   Der Kapitän wollte eine seiner kräftigen Antworten geben, aber Pardero legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter und flüsterte:
   »Um Gottes willen ruhig! Mit Grobheit kommen wir hier nicht durch.«
   Darum faßte er sich und erwiderte:
   »Nun wohlan, beginnt Eure Faxe, ich behalte mir das Spätere vor!«
   Da jetzt die Ruhe der Erwartung eintrat, so sagte der Vorsitzende:
   »Señor Sternau, sprechen Sie.«
   Sternau erhob sich.
   »Ich klage im Namen dieser beiden anwesenden Señoritas diese beiden Männer der ehrlosen Handlung gegen unbeschützte Damen an«, sagte Sternau. »Ich klage sie ferner an des Mordanschlags gegen mich, Señor Mariano und Señor Helmers.« – »Können Sie diese Anklagen beweisen?« – »Ja.«
   Der Leutnant wandte sich nun zu den beiden Angeklagten und fragte:
   »Wie gedenken Sie, sich gegen diese Anschuldigungen zu verhalten?« – »Sie sind so ungereimt, daß ich sie einer Antwort gar nicht für wert halte.«
   So antwortete Verdoja, und Pardero schloß sich dieser Meinung an.
   »Ich danke Ihnen«, antwortete der Leutnant. »Wenn Sie wirklich nichts dazu sagen, so vereinfachen Sie das Verfahren auf eine erwünschte Weise. Über die erste Anklage gehen wir billigerweise hinweg; die Angeschuldigten beantworten sie nicht und gestehen die Wahrheit derselben ein. Was aber die zweite betrifft, so sind wir da zu einer größeren Ausführlichkeit gezwungen. Da die beiden Angeklagten uns jede Antwort verweigert haben, so werde ich Sie, Señor Sternau, bitten, Ihre Angaben zu machen.«
   Sternau brachte seine Anklage in ausführlicher Weise vor, aber ohne ahnen zu lassen, daß die drei Mörder ihm als Zeugen zur Verfügung standen. Er erzählte alles, was von dem Augenblick an geschehen war, in dem Büffelstirn die Reisenden vor dem Hinterhalt gewarnt hatte. Er berichtete über den Ritt, den er mit Verdoja und den Leutnants nach der Schlucht des Tigers gemacht hatte, und bemerkte, daß da sein Verdacht entstanden sei. Er erwähnte das nächtliche Schleichen und die verdächtigen Ausflüge des Kapitäns und schloß damit, daß der letzte Ritt, den derselbe mit Pardero unternommen hatte, wohl auch nur aus feindseligen Gründen geschehen sei.
   Als er geendet hatte, ergriff der Kapitän das Wort, obgleich er gesagt hatte, daß er keine Antwort geben werde.
   »Ich scheine es wirklich mit Wahnsinnigen zu tun zu haben«, sagte er. »Dieser Mann hat nichts als leere Vermutungen ausgesprochen, und auf diese hin wagt man es, zwei Caballeros und Offiziere unserer glorreichen Republik vor ein Ehrengericht zu stellen; das ist nicht nur lächerlich, sondern geradezu schändlich, und eine solche Schändlichkeit werde ich zu bestrafen wissen, sobald diese Komödie beendet ist!«
   »Eine derartige Bestrafung habe ich nicht zu befürchten«, antwortete Sternau, »denn ich werde meine Vermutungen sofort mit Beweisen belegen. Als die beiden Señores heute ausritten, ahnte ich den Zweck des Rittes und brach mit dem Leutnant auf, um sie zu belauschen. Verdoja hatte nämlich im Wald eine Post errichtet, einen Stein, unter den er seine geschriebenen Befehle steckte. Der heutige lautet: ›Bleibe in der Nähe dieses Ortes. Um Mitternacht treffe ich dich hier beim Stein. Du hast dich zu rechtfertigen.‹ Ich glaube nicht, daß Verdoja das ableugnen wird.«
   Als Sternau den Stein erwähnte und den Zettel hervorzog, um seinen Inhalt vorzulesen, erbleichte Verdoja, Pardero ging es ebenso. Beide schwiegen, als sie jetzt aller Augen auf sich gerichtet sahen. Sternau fuhr fort:
   »Ich muß nämlich bemerken, daß ich die heimlichen Zusammenkünfte des Angeklagten belauschte. Ich hörte, was gesprochen wurde, und habe danach gehandelt. Es stehen mir Zeugen zur Verfügung, deren Aussage über alles Weitere die beste Auskunft geben wird.«
   Auf seinen Wink wurden die drei gefangenen Mexikaner herbeigebracht. Bei ihrem Anblick erschrak Verdoja so, daß er sichtlich zurückprallte. Das hatte er denn doch nicht gedacht. Nun mußte ja alles an den Tag kommen!
   Und es kam an den Tag. Die Gefangenen legten ihre Aussagen zwar unter allen Zeichen der Verlegenheit, aber doch so wahrheitsgetreu und ausführlich ab, daß gar kein Zweifel übrigblieb. Die beiden Zettel wurden als von der Hand Verdojas kommend rekognosziert, und so war es diesem vollständig unmöglich, zu leugnen. Die beiden Angeklagten versteckten sich aber hinter einem wortlosen Trotz und verweigerten jedes Geständnis.
   »Die Schuld der Angeklagten ist auf das glänzendste erwiesen«, erklärte der Vorsitzende. »Nach den Gesetzen des Landes hat Verdoja den Tod verdient. Inwieweit Pardero mitschuldig ist, wollen wir nicht untersuchen. Wir haben uns bloß als ein Ehrengericht konstituiert; wir haben also nicht zu bestrafen, sondern nur zu entscheiden, ob wir mit diesen beiden Männern fortdienen wollen. Was nun mich betrifft, so erkläre ich mit aller Entschiedenheit, daß ich austrete, und zwar von dem jetzigen Augenblick an.« – »Ich verweigere Ihnen den Abschied!« rief Verdoja, indem ihm sein Grimm den Mut gab, sich zusammenzuraffen. – »Danach wird nicht gefragt«, antwortete der Leutnant. »Sie haben sich als ehrlos erwiesen, und kein Ehrenmann wird sich durch Ihre Weigerung zwingen lassen, Sie von jetzt an als Vorgesetzten anzuerkennen. Übrigens, und das betone ich mit allem Nachdruck, haben Sie selbst sich der Insubordination, des Ungehorsams, der Nachlässigkeit und Eigenmächtigkeit schuldig gemacht. Sie erhielten den Befehl, nach Monclova aufzubrechen, und taten es nicht, sondern ließen sich von Ihren meuchelmörderischen Absichten hier festhalten. Ich sehe mich verpflichtet, ein Protokoll abzufassen und dasselbe mit einem Eilboten an Juarez zu senden. Hiernach werden Sie zugeben, daß ich alles, was ich zu tun beschließe, recht wohl verantworten kann. Von dem Augenblick an, da Sie den Befehl Juarez‘ mißachteten, sind Sie Rebell, und Ihre Untergebenen haben nicht nur das Recht, sondern sie sind sogar verpflichtet, Ihnen den Gehorsam zu verweigern.« – »Gut, so treten Sie aus; ich halte Sie nicht!« knirschte der Kapitän. – »Sie werden weder mich noch andere halten können, denn ich bin überzeugt, daß das Beispiel, das ich gebe, nicht unfruchtbar sein wird.« – »Man soll es wagen!« brauste Verdoja auf. – »Pah! Sehen Sie!«
   Der alte Wachtmeister hatte sich erhoben.
   »Auch ich erkläre, nicht länger unter Schurken dienen zu wollen«, sagte er, »und ich hoffe, daß sämtliche Kameraden dasselbe tun wie ich.«
   Verdoja erhob seine Stimme zu einem energischen Widerspruch, aber er wurde überboten durch den lauten vielstimmigen Zuruf, mit dem die Unteroffiziere und sämtliche Mannschaften erklärten, von Verdoja und Pardero nichts mehr wissen, den Leutnant aber als Kapitän haben zu wollen. Er beabsichtigte, sich unter die Leute zu stürzen, wurde aber von den Vaqueros festgehalten. Als die Ruhe wiederhergestellt war, sagte der Leutnant:
   »Ich nehme die Führung der Schwadron an und werde die Offiziere nach der Reihenfolge ergänzen. Juarez wird meinen Bericht erhalten und bestimmen, ob dieses Interim Geltung behalten soll. Hiermit hat unsere Ehrengericht seine Schuldigkeit getan; die Mordanstifter nebst ihren Komplizen aber übergeben wir zur Bestrafung denen, gegen die ihre Anschläge gerichtet waren. Sie bleiben nebst allem, was ihr persönliches Eigentum ist, hier zurück, wir aber brechen innerhalb einer Viertelstunde nach Monclova auf.«
   Dieser Befehl wurde unter allgemeinem Jubel entgegengenommen. Man schaffte dann die Gefangenen nach ihrem Gewahrsam zurück, und der Leutnant begab sich nach seinem Zimmer, um den Bericht an Juarez schleunigst abzufassen und abzusenden. Hierauf nahm er herzlichen Abschied von den Bewohnern der Hazienda und sprengte mit seiner Schwadron davon.
   Als Verdoja sich mit Pardero wieder im Zimmer eingeschlossen sah, war sein Seelenzustand ein unbeschreiblicher. Sein Blut kochte förmlich in den Adern, er fühlte sich auf eine Weise gedemütigt, die die grimmigste Rache herausforderte, doch hatte er Selbstbeherrschung genug, sich Pardero gegenüber nichts merken zu lassen. Dieser stand am Fenster und blickte hinaus.
   »Zwei Vaqueros stehen draußen«, sagte er, »bis an die Zähne bewaffnet. Man glaubt, wir möchten ausreißen. Aber, Verdoja, erklären Sie mir Ihr Verhalten!« – »Wie?« fragte dieser, scheinbar ruhig. – »Wir sind auf eine geradezu unerhörte Weise gedemütigt worden, und Sie haben sich dem Beschluß gefügt. Ich beginne, an der Wahrheit dessen, was Sie mir sagten, zu zweifeln. Sie sprachen von hoher Protektion, von nachhaltiger Belohnung …?« – »Pardero, soll ich Sie einen Schwachkopf nennen? Sehen Sie nicht ein, daß die ganze Sache nur eine vorübergehende Episode, ein allerdings unangenehmes Intermezzo ist, das uns aber gleichgültig sein muß? Dieser neugebackene Kapitän hat zwar das Recht, so zu handeln, wie er gehandelt hat, aber was wir heute verloren, werden wir hundertfach wieder gewinnen. Ich habe den Befehl, gewisse Personen unter allen Umständen unschädlich zu machen, und es wird geschehen, obgleich ich die gegenwärtige Unannehmlichkeit zu tragen habe. Der Lohn wird dafür um so größer sein.«
   – »Sind Sie dessen gewiß?« – »Vollständig.« – »Aber wie wollen wir Personen unschädlich machen, in deren Gewalt wir uns befinden? Sie können uns ja töten.«
   Verdoja hegte zwar dieselbe Befürchtung, aber er durfte es sich nicht merken lassen. Er gab sich Mühe, Pardero darüber zu beruhigen, was ihm schließlich auch gelang. Er wußte ganz genau, daß er bei Juarez nichts mehr zu hoffen habe, er wußte ebenso genau, daß er bei der Gegenpartei doch nur Mißtrauen und infolgedessen heimliche Beaufsichtigung finden werde, und so nahm er sich im stillen vor, den Militärdienst ganz aufzugeben und nur noch zwei Aufgaben zu leben. Die eine Aufgabe war, sich die Ländereien zu verdienen, die Cortejo ihm versprochen hatte, und die andere richtete sich auf Emma, durch deren Besitz er sich schadlos halten wollte für die Verachtung, die ihm geworden war. Dabei bedurfte er der Hilfe, er mußte einen Gefährten haben, auf dessen Treue und Anhänglichkeit er rechnen konnte, und das sollte Pardero sein. Darum suchte er ihn zu umstricken, darum log er ihm vor, daß er auf einen höheren Befehl handle, und darum sagte er auch jetzt:
   »Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit dem, was geschehen ist. Der Dienst war mir ein Hindernis, meine schwierige Aufgabe zu erfüllen, nun ist dieses Hindernis beseitigt, und ich kann ohne Störung handeln. Wissen Sie, wie hoch Sie in meiner Schuld stehen, Pardero?« – »Hm, es werden einige tausend Silberpiaster sein.«
   – »Die Sie mir niemals wiedergeben könnten, wenn Sie blieben, was Sie sind. Helfen Sie mir, meine Aufgabe zu lösen, so zerreiße ich Ihre Schuldscheine, und Sie haben noch extra auf Beförderung und Belohnung zu rechnen. Außerdem gibt es einen noch süßeren und angenehmeren Preis: Karja, die schöne Indianerin!« – »Donnerwetter! Wenn Sie diese Versprechungen halten, so bin ich ganz der Ihrige!« – »Sie können sicher darauf rechnen. Was die Befürchtung betrifft, daß man uns töten werde, so ist dieselbe vollständig absurd. Wir werden entlassen werden und dann handeln.« – »Beabsichtigen Sie, die drei Señores Sternau, Mariano und Helmers zu töten?« – »Ich soll sie unschädlich machen, also töten, denn nur der Tote ist unschädlich. Bis jetzt lag auch nur ihr Tod in meiner Absicht, aber nach dem, was uns heute angetan wurde, wäre der Tod noch eine viel zu gelinde Strafe für sie.«
   Es legte sich ein Zug diabolischer Freude um Verdojas Mund, er schwebte im Vorgefühl seiner Rache, und auch Pardero sagte:
   »Da haben Sie allerdings recht. Die Schande, die man uns heute bereitete, bedarf einer geradezu raffinierten Bestrafung. Was werden Sie tun?« – »Ganz dasselbe, was sie jetzt mit uns getan haben, ich werde sie gefangennehmen und sie an einen Ort bringen, wo sie alle Freuden dieser Gefangenschaft bis zur Neige auskosten können. Nicht weit von meiner Hazienda gibt es nämlich eine alte mexikanische Opferstätte, es ist das eine Pyramide, die in ihrem Innern von Gängen und Höhlen durchzogen wird, die nur ich kenne, es ist das ein Geheimnis, das sich nur in meiner Familie fortgeerbt hat In diesen Höhlen werden die Gefangenen wohnen und verschmachten. In diese Höhlen werden wir auch die beiden Señoritas Emma und Karja bringen, und dort werden wir sie ja zwingen können, uns im reichlichsten Maß das zu gewähren, was sie uns verweigerten.«
   Dem leidenschaftlichen Pardero war diese letztere Verheißung die liebste.
   »Sie sind ein Teufel, Verdoja«, lachte er zynisch, »aber ein sehr angenehmer Teufel!« – »Ja, wir werden die beiden Teufel sein, welche die zwei Engel überwinden. Doch werde ich hierbei nicht nur durch das Gefühl der Rache und Liebe geleitet sondern es ist auch eine Berechnung, der ich folge. Man hat mir Großes versprochen, sobald ich die drei Männer unschädlich mache. Wird man das Versprechen halten? Ich bin überzeugt davon, aber in so unruhigen Zeiten, wie die jetzigen sind, muß man vorsichtig sein. Wenn ich die drei töte und man verweigert mir den Lohn, so kann ich nichts machen, ich bin einfach der Betrogene, leben sie aber noch, befinden sie sich in meinem Gewahrsam, so kann ich kräftig auftreten und meine Bezahlung fordern. Sie sehen, daß ich sehr sorgfältig in meinem und Ihrem Interesse handle.« – »Ja, Sie sind scharfsinnig, vorsichtig und schlau, das gibt mir Vertrauen zu Ihnen und läßt mich überzeugt sein, daß unsere Pläne gelingen werden. Sie können von jetzt an vollständig auf mich rechnen. Aber wir zwei sind doch nicht genug, drei starke Männer und zwei Mädchen zu entführen.« – »Das macht mir keine Sorge. In unserem gesegneten Mexiko gibt es Männer genug, die für eine Hand voll Silberdollars bereit sein werden, sich unter unser Kommando zu stellen.« – »Und die Verfolgung? Denn verfolgen wird man uns!« – »Pah, davor ist mir nicht im geringsten bange. Wir reiten durch die Wüste Mapimi, und dahin folgt uns keiner, darauf können Sie sich verlassen.« – »Durch die Mapimi!« sagte Pardero schaudernd. »Da gehen wir ja zugrunde.« – »Keine Sorge. Ich kenne diese Wüste wie meine Tasche. Sie besteht nicht nur aus Sand und Felsen, wie man erzählt, sondern man stößt auch auf Wälder, in denen man genug Wasser und Früchte findet, um nicht zu verschmachten.«
   Während diese Männer ihren Anschlag besprachen, waren sie selbst der Gegenstand einer Beratung, die im Speisesaal stattfand. Man besprach sich darüber, was zu geschehen habe. Mariano riet, sie zu erschießen, aber die anderen waren dagegen. Die Gefangenen hätten zwar auf Mord gesonnen, aber denselben nicht ausgeführt. Übrigens wußte man noch nicht, was der berühmte Juarez zu der ganzen Angelegenheit sagen werde. Es war besser, sie ohne Blutvergießen loszuwerden, da sie ja durch den Verlust ihrer Hände genug bestraft waren, und so wurde beschlossen, ihnen nur die Waffen vorzuenthalten, sie aber nach zwei Tagen zu entlassen. Dies letztere sollte geschehen, damit sie nicht Gelegenheit fänden, vor dem heute abgegangenen Eilboten bei Juarez einzutreffen.
   Was ihre drei mitgefangenen Mitschuldigen betraf, so wollte Sternau das ihnen gegebene Versprechen erfüllen. Sie erhielten ihre Pferde, Messer und Lassos, die Büchsen und Pistolen wurden ihnen jedoch abgenommen. Dann ließ man sie reiten, aber unter der strengen Androhung, daß ein jeder sofort erschossen werde, wenn er sich noch einmal in der Nähe der Hazienda erblicken lasse.
   Am dritten Tag wurden Verdoja und Pardero aus ihrem Gewahrsam geholt und vor die versammelten Bewohner der Hazienda gestellt. Sternau machte ihnen den Beschluß bekannt, der über sie gefaßt worden war, und dann wurden sie entlassen. Sie ritten davon, ohne ein einziges Wort gesagt oder geantwortet zu haben, und setzten sich das Städtchen Nombre de Dios zum ersten Ziel.
   Dort trugen sie Sorge, ihre Uniform mit einer gewöhnlichen Kleidung zu vertauschen, und waren sie verschwunden.


   23. Kapitel

   Nach dieser Zeit der Aufregung folgten auf der Hacienda del Erina einige Wochen ruhigen Stillebens. Sternau wollte nicht eher fortgehen, als bis der Patient hergestellt sei, der geringfügigste, unvorhergesehene Umstand konnte ja dessen Genesung, sogar sein Leben in Frage stellen. Nach vierzehn Tagen war der Kranke bereits so weit, daß er sein Bett verlassen konnte, nach weiteren acht Tagen durfte er sich im Garten ergehen, und als noch eine Woche vergangen war, versuchte er sich bereits in weiteren Fußtouren.
   Geistig war er vollständig wiederhergestellt, aber seit dem Augenblick, da sein Gedächtnis von neuem erwacht war, lebte in ihm nur der eine Gedanke, sich an Alfonzo de Rodriganda zu rächen. Darum ließ er die Freunde nicht fort, er wollte sich ihnen auf ihrem Rachezug anschließen, und da er dies nicht konnte, bevor er sich an das Reiten gewöhnt hatte, so mußten sie notgedrungenerweise warten, bis dies geschehen war. Jetzt war ihm die Erschütterung, die der Gang des Pferdes auf sein Gehirn hervorbrachte, noch zu unerträglich, er konnte sich an dieselbe nur durch langsam fortschreitende Übung gewöhnen.
   So vergingen noch einige Wochen.
   Während dieser Zeit stand Mariano mit seiner Geliebten in brieflichem Verkehr. Er hatte ihr einige Male geschrieben und auch ihre Antworten erhalten. Sie ermunterte ihn, sich der Führung Sternaus auch fernerhin anzuvertrauen, und versicherte ihn ihrer innigsten Liebe und ewigen Treue.
   Sternau hatte in Verakruz, ehe er den Ritt nach Mexiko antrat, seiner Frau geschrieben und sie gebeten, ihren nächsten Brief nach Mexiko an ihre Freundin Amy Lindsay zu richten, durch deren Hand er denselben auf alle Fälle erhalten werde, er möge sein, wo er wolle. Heute erhielt Mariano abermals ein Schreiben von der Geliebten, das Kuvert hatte einen ziemlichen Umfang, und als er es öffnete, enthielt es auch einen an Sternau adressierten Brief.
   Dieser Brief war aus der Heimat, aus Rheinswalden gekommen, und Sternau öffnete ihn, als er sich in sein Zimmer zurückgezogen, mit vor Freude zitternden Händen. Der Inhalt strömte über von Glück und Liebe, er füllte mehrere eng geschriebene Bogen und enthielt auch ein Blatt an Kapitän Helmers, dessen eine Seite von seiner Frau und die andere von dem kleinen Kurt beschrieben war.
   Rosa erzählte alles, was sich während Sternaus Abwesenheit zugetragen hatte, kam dann auf ihre eigene Angelegenheit zu sprechen und erwähnte dabei, daß der Staatsanwalt sich alle Mühe gebe, aber bisher noch keinen weiteren Erfolg zu verzeichnen habe. Das größte Glück aber gewährte dem Leser der Schluß des Schreibens, der in Worten, die die Wangen der schönen Schreiberin sicherlich vor Glück, Freude und wonniger Scham hatten erglühen lassen, ihm eine Kunde brachte, bei deren Lesen er einen lauten Jubelruf ausstieß und das Papier zehnmal und zehnmal küßte. Die Worte lauteten:
   »Und nun noch eins, mein Carlos, was ich Dir mit entzücktem, wonneschauerndem Herzen mitteile, obgleich eine mädchenhafte Regung mir gebieten will, es Dir zu verschweigen. Sollte Deine Reise länger dauern, als ich hoffe und erwarte, so findest Du deine Rosa nicht mehr allein, sondern sie eilt Dir entgegen, auf dem Arm einen kleinen Carlico oder eine allerliebste Rosilla, denn anders als Carlos oder Rosa werden wir das geliebte Wesen, das mich für die Zukunft begeistert, doch nicht nennen. Freue Dich mit mir und nimm die Millionen Küsse, die Dir über das weite Meer hinübersendet
   Deine unendlich glückselige Rosa.«
   Und wie selten eine Dame schreiben kann, ohne ein Postskriptum anzufügen, so folgte auch hier ein solches. Es lautete:
   »P. S. – Du wirst nicht zürnen, daß ich dieselbe Botschaft auch meiner Amy mitgeteilt habe! Sie ist meine einzige Freundin gewesen und wird ganz glücklich sein zu erfahren, welchen Wonnen ich entgegensehe.
   Rosa.«
   Sternau faltete den Brief zusammen, steckte ihn in die Brusttasche, damit er auf seinem Herzen ruhe, und ging hinunter, um sich das wildeste Pferd zu fangen, aufzuspringen und in die weite Savanne hineinzujagen. Die Hazienda war zu klein für sein Glück. Und dennoch, als er zurückkehrte, war es das erste, was er tat, daß er sich in sein Zimmer zurückzog, um den Brief aber– und abermals zu lesen und zu küssen. Es gibt einen Himmel bereits auf Erden, und dieser Himmel ist nur zu finden in einem Herzen, das liebt und weiß, daß diese Liebe erwidert wird.
   Anton Helmers, der Patient, trug bis jetzt auf dem Loch, das in seine Schädeldecke gebohrt worden war, ein Stück gekochtes Leder, das später mit einer Goldplatte vertauscht werden sollte. Er machte täglich vorsichtige Reitausflüge mit Sternau und erstarkte dabei so weit, daß er bald bedeutendere Strecken zurücklegen konnte, vorausgesetzt, daß er ein gutes Pferd hatte, das einen sanften Gang besaß. Sternau setzte den Tag der Abreise fest; man wollte noch eine Woche in der Hacienda del Erina bleiben.
   Diese Wochen waren für Emma und den Geliebten eine Zeit des Glücks gewesen, und beide hegten eine unendliche Dankbarkeit gegen Sternau, dem sie dieses Glück ja ganz allein zu verdanken hatten.
   Pedro Arbellez war von Juarez, dem später so berühmten Präsidenten, zum Verwalter der Hacienda Vandaqua ernannt worden und daher oft drüben in der Nachbarbesitzung anwesend. Eines Tages war seine Anwesenheit wieder dort notwendig geworden; er wollte aber seinen künftigen Schwiegersohn vor dessen Abreise noch möglichst genießen, und so bat er ihn um seine Begleitung. Da bereits die Dämmerung nahe war, so sagte er, daß sie erst am nächsten Tag zurückkehren würden. Beide ritten ab.
   Kurze Zeit, nachdem sie die Hazienda verlassen hatten, sah Sternau von seinem Fenster aus einen Reiter am Horizont auftauchen, der sich der Besitzung schnell näherte. Als er näher kam, erkannte der Deutsche, daß es ein Lanzenreiter, und zwar ein Offizier sei. Sternau ging rasch zu den übrigen, die sich bereits im Speisesaal versammelt hatten, und meldete ihnen die Ankunft des Fremden.
   Dieser ritt bereits nach kurzer Zeit in den Hof ein und wurde von Emma, als der Dame des Hauses, empfangen.
   »Hier ist die Hacienda del Erina?« fragte er nach dem ersten Gruß. – »Ja«, antwortete ihm Emma. – »Deren Besitzer Pedro Arbellez heißt?« – »So heißt er, ich bin seine Tochter.« – »Dann erlauben Sie mir die Mitteilung, Señorita, daß ich ein Kurier bin, der mit Depeschen von Juarez nach Monclova geschickt wurde. Juarez sagte, daß Señor Arbellez mir gern Gastfreundschaft gewähren würde, wenn ich mein Ziel vor der Nacht nicht erreichen könnte.« – »Das versteht sich ja von selbst, Señor. Zwar ist Vater nicht anwesend, er kehrt erst morgen zurück, aber Sie werden alles finden, was Sie zu Ihrer Bequemlichkeit bedürfen. Bitte, überlassen Sie Ihr Pferd dem Vaquero, und folgen Sie mir nach dem Saal.«
   Er folgte ihr mit dem Anstand und in der Haltung eines Edelmannes nach oben, wo sie ihn den dort anwesenden Herren vorstellte. Er mußte sich setzen und sofort an dem Mahl teilnehmen. An der Unterhaltung beteiligte er sich wenig, und als Sternau ihn nach dem gegenwärtigen Aufenthalt Juarez‘ fragte, sagte er ausweichend:
   »Diplomatische und kriegerische Gründe verbieten zuweilen die Beantwortung einer solchen Frage, Señor. Juarez will nicht wissen lassen, wo er sich befindet«
   Das klang befremdlich. Sternau warf einen forschenden Blick auf den Sprecher und sah von einer Unterhaltung mit ihm gänzlich ab.
   Der Fremde erklärte nach einiger Zeit zur Ruhe gehen zu wollen, da er in der Frühe wieder aufbrechen müsse, und so wurde ihm von der alten Marie Hermoyes sein Zimmer angewiesen. Dort angekommen aber entkleidete er sich nicht, um schlafen zu gehen, sondern streckte sich auf seine Hängematte und brannte eine Zigarette an. Als diese zu Ende, nahm er eine zweite, dritte und vierte; so rauchte er fort und horchte dabei auf den Korridor hinaus, bis die Mitternacht herankam. Er nahm jetzt das Licht und trat zum Fenster, vor dem er mit demselben einen Kreis beschrieb. Dies tat er noch zweimal, dann löschte er es aus. Einige Minuten später wurden einige Sandkörnchen gegen das Fenster geworfen, und er öffnete.
   Als der Offizier den Speisesaal verlassen hatte, kam das Gespräch erst in ordentlichen Fluß. Seine Anwesenheit hatte nicht wohltuend gewirkt. Sein Auge hatte etwas Stechendes, seine Stimme etwas Scharfes, Zurückstoßendes gehabt. Am nachdenklichsten war Sternau gestimmt. Es sprach ein Etwas in ihm gegen diesen fremden Offizier, aber er konnte sich nicht klarwerden, was es war. Die Uniform hatte ihm nicht gepaßt, es war gewesen, als ob sie für einen anderen gemacht worden sei; weiter aber ließ sich nichts sagen.
   Als man sich getrennt hatte, um zur Ruhe zu gehen, und Sternau sich in seinem Zimmer befand, schritt er nachdenklich in demselben auf und nieder. Er fühlte eine Unruhe in sich, die er nicht begreifen konnte; nur das wußte er, daß sie mit der Anwesenheit dieses Offiziers zusammenhing.
   War der Mann wirklich Offizier? Verdoja und Pardero waren mit Rachegedanken fortgegangen, und seit Arbellez die Hacienda Vandaqua zu verwalten hatte, war die Hacienda del Erina von Vaqueros entblößt. Sternau beschloß, wachsam zu sein. Er schlich sich also hinaus auf den Korridor und horchte an der Tür des Fremden. Dieser mußte schlafen, denn es ließ sich nicht das mindeste Geräusch vernehmen. Er schlich sich nun wieder zurück und begab sich hinunter in den Hof, um da einen Rundgang zu machen und zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er ahnte nicht, was ihm bevorstand.
   Von dem Städtchen Nombre de Dios her nämlich kam, als die Sonne im Untergehen war, eine bewaffnete Reiterschar. Sie zählte fünfzehn Mann, und an ihrer Spitze ritten – Verdoja und Pardero. Die Männer ritten der Hacienda del Erina entgegen und hielten, nachdem es dunkel geworden war, bei dem Wald an, an dessen äußerster Ecke sich der Stein befand, der dem Kapitän als Postoffice gedient hatte. Dort stiegen sie ab, führten die Tiere zwischen die Bäume und banden sie an. Drei Mann blieben als Wache zurück, und die anderen zehn folgten ihren beiden Anführern nun zu Fuß nach der Hazienda.
   Verdoja und Pardero flüsterten leise.
   »Es war doch gut, daß sich unsere Uniformen noch in der Stadt befanden«, meinte der erstere; »so konnte sich Enrico als Spion einschleichen, und wir sind von allem unterrichtet, ehe wir beginnen.« – »Wenn man ihn nur nicht durchschaut!« sagte Pardero. – »Ich habe keine Sorge. Er ist ein gewandter Halunke, der sich durch keinen Blick, keine Miene verraten wird. Ich habe die Ahnung, daß alles glücklich gelingen wird.«
   Es war Neumond und also dunkel. Die Männer umschlichen die Hazienda und kamen an deren hintere Seite, als Mitternacht in der Nähe war.
   »Da oben sind die Fremdenzimmer; da oben wohnt er«, sagte Pardero leise. »Er wird uns bald das Zeichen geben. Wollen wir einstweilen übersteigen?« – »Wir verstecken uns in einer dunklen Ecke.«
   Die Mannschaften mußten draußen halten bleiben und sich hinter den Palisaden niederducken; die beiden aber stiegen über dieselben hinweg und schlichen sich in die nahe Ecke. Kaum hatten sie dort Posto gefaßt, so hörten sie den Sand des Hofes leise knirschen. Sternau war es, der daherkam.
   »Nieder, ganz nieder! Es kommt jemand!« flüsterte Verdoja.
   Sternau kam langsam und leise herbei, blieb an der Ecke des Hauses stehen, horchte eine Weile nach der anderen Seite hin und schritt weiter.
   »Er war es!« sagte Pardero leise. »Was tun wir?« – »Drauf! Ich schlage ihn mit dem Kolben nieder. Droben macht er uns mehr Arbeit als hier, wo wir ihn überraschen.« – »Aber wenn man ihn vermißt?« – »Man wird ihn nicht vermissen. Es sind alle zu Bett, und er ist auf eigenen Antrieb rekognoszieren gegangen. Aufgepaßt!«
   Verdoja nahm sein Doppelgewehr bei den Läufen und schlich sich an den Palisaden hin, Sternau nach. Dort an den Palisaden war so reichlich Gras aus dem Sand hervorgewachsen, daß man seine Schritte nicht hörte. Hart bei Sternau angekommen, duckte er sich einen Augenblick nieder, um die Figur des letzteren und die Entfernung von ihm gegen das Sternenlicht genau abzumessen, und sprang vorwärts.
   Sternaus Ohren waren scharf; er hörte hinter sich ein leises Geräusch und drehte sich um; aber gerade in diesem Augenblick krachte ein fürchterlicher Kolbenschlag auf seinen Kopf hernieder, so daß er sofort, ohne einen Laut auszustoßen, zusammenstürzte.
   »Pardero!« sagte der Ex-Kapitän halblaut. – »Hier!« – »Kommen Sie!« – »Haben Sie ihn?« – »Ja; ich binde ihn bereits. Lassen Sie sich einen Knebel herüberwerfen!«
   Nach einigen Augenblicken brachte Pardero den Knebel.
   »Hier!« sagte er. »Das ist günstig abgelaufen. Dieser Kerl war der einzige, den man zu fürchten hatte; nun wir ihn haben, werden uns die anderen keine große Arbeit machen. Ah, dort gibt Enrico das Zeichen!«
   Man sah eben jetzt den dreimaligen Lichtkreis, den der angebliche Offizier an seinem Fenster beschrieb; dann verlöschte das Licht.
   »Wo bringen wir Sternau unter?« fragte Pardero. – »Wir legen ihn ganz einfach in die Ecke, in der wir uns befanden, dort ist er sicher. Er ist festgebunden; vielleicht habe ich ihn gar erschlagen; entkommen kann er uns auf keinen Fall.«
   Nachdem Sternau fortgeschafft war, warf Verdoja einige Sandkörner gegen das Fenster, hinter dem vorher das Lichtzeichen erschienen war.
   »Enrico?« – »Ja«, antwortete es leise von oben. – »Alles in Ordnung?« – »Alles!« – »Den Faden herab!«
   Während Enrico eine Schnur aus dem Fenster herabließ, ließ Pardero sich von einem der draußen harrenden Männer eine Strickleiter geben, die zu diesem Zweck mitgebracht worden war. Sie wurde an die Schnur gebunden, an derselben emporgezogen und oben befestigt.
   »Sie wird halten!« flüsterte Enrico von oben herab.
   Verdoja stieg empor, und als er an das Fenster gelangte, sagte er:
   »Wir sind glücklich gewesen. Wir haben Sternau schon.« – »Ah! Wie denn?« – »Er schlich um das Haus, da habe ich ihn niedergeschlagen und gefesselt.« – »Das ist gut. Er ist ein starker Mensch, und seinetwegen war es mir bange. Er muß durch die vordere Tür gegangen sein, denn diese steht offen. Da bedürfen Sie der Strickleiter nun eigentlich gar nicht.« – »O doch. Wenn wir hier bei dir einsteigen, sind wir sofort oben, während wir hier im Flur und auf der Treppe Geräusche erregen könnten. Aber ich will zwei Mann an das Portal beordern, damit niemand entkommen kann.«
   Verdoja stieg wieder die Leiter hinab und befahl seinen Leuten, sich leise über die Palisaden herüberzuschwingen. Als dies geschehen war, gebot er ihnen, einer nach dem anderen an der Leiter empor in das Zimmer Enricos zu steigen. Zwei aber nahm er mit sich und führte sie geräuschlos um die Ecke nach der Vorderfront des Gebäudes, wo er die Tür wirklich nur angelehnt fand. Hinter ihr mußten diese beiden sich aufstellen und erhielten den Befehl, darauf zu sehen, daß kein Bewohner des Hauses dasselbe verlasse.
   Nun kehrte Verdoja zur Strickleiter zurück, stieg empor, und nachdem sie wieder emporgekommen war, schloß man das Fenster.


   24. Kapitel

   Bis jetzt war alles gut abgelaufen. Man war in die Hazienda gekommen, ohne von den in ihrer Umgebung lagernden Vaqueros bemerkt worden zu sein; man hatte sich bereits des gefürchtetsten Gegners bemächtigt, und nun galt es, das übrige möglichst geräuschlos zu vollenden.
   »Der Haziendero ist nicht daheim«, flüsterte Enrico. – »Wo ist er?« fragte Verdoja. – »Auf Vandaqua.« – »Allein?« – »Sein Schwiegersohn ist mit« – »Alle Teufel! Hat er einen Schwiegersohn?« fragte der Ex-Kapitän hastig. – »Ich wollte sagen, der Verlobte seiner Tochter.« – »Verlobt ist sie? Mit wem?« – »Sie nannte ihn Señor Antonio; er muß, wie ich hörte, sehr krank gewesen sein.« – Ah, dieser! Pah! Und er ist auf Vandaqua?« – »Ja.« – »Immerhin! Ihn brauchen wir nicht. Aber Mariano ist da?« – »Ja.« – »Und Señor Helmers?« – »Ja.« – »Auch Señorita Emma und die Indianerin?« – »Ich habe beide gesehen.« – »Gut Ich kenne die Zimmer, in denen sie alle schlafen. Hast du das Blendlaternchen?« – »Ja. Soll ich anbrennen?« – »Gewiß. Folgt mir!«
   Sie öffneten leise die Tür des Zimmers und traten hintereinander hinaus auf den Korridor, auf den Enrico einen Strahl seiner Laterne fallen ließ, damit sie sich orientieren konnten, dann steckte er sie wieder in die Tasche zurück.
   Verdoja führte die Leute zunächst vor die Tür Marianos, die sie ganz geräuschlos erreichten. Er klopfte einige Male leise an, bis von drinnen eine Stimme fragte:
   »Wer ist da?« – »Ich, Sternau!« antwortete er flüsternd, aber so, daß es drinnen gehört werden konnte. – »Ah, du! Was gibt es?« – »Mach schnell einmal auf! Ich habe dir etwas sehr Notwendiges zu sagen.« – »Gleich!«
   Man hörte drin das Lager rascheln.
   »Du brauchst kein Licht anzubrennen«, flüsterte der vorsichtige Verdoja.
   Mariano zog die nötigsten Kleidungsstücke an und öffnete.
   »Komm herein«, sagte er leise, und neugierig, zu erfahren, was Sternau von ihm wolle, hörte er nur einen Mann eintreten, aber nicht, daß ihm mehrere folgten. »Es muß etwas sehr Wichtiges sein«, meinte er. »Willst du nicht die Tür schließen?«
   In demselben Augenblick wurde er bei der Gurgel gepackt; zwei Hände schlangen sich um seinen Hals und drückten ihm die Kehle so zusammen, daß ihm der Atem verging und er keinen Laut ausstoßen konnte. Er wollte sich wehren, aber er wurde jetzt von vielen kräftigen Armen ergriffen; feste Riemen wanden sich ihm um Leib, Arme und Beine, und ein Knebel schloß ihm den Mund; dann erst ließen die beiden Hände von seinem Hals ab – er war gefangen.
   »Den haben wir! Nun zu Helmers!« sagte Verdoja.
   Bei Helmers wurde ganz in derselben Weise und mit demselben Erfolg verfahren. Sternau, Mariano und Helmers waren gefangen, ohne daß jemand im Haus erwacht wäre.
   »Jetzt zu der Señorita«, gebot Verdoja.
   Auch an Emmas Tür wurde leise geklopft.
   »Mein Gott, wer ist draußen?« fragte sie.
   Verdoja gab seiner Stimme den weichsten Flüsterton, als er antwortete:
   »Ich bin es, Karja!« – »Was willst du?« – »Ich muß mit dir sprechen. Öffne, Emma!« – »Warum?« – »Nicht so laut. Es ist wegen des fremden Offiziers. Ich weiß nicht, ob ich Señor Sternau wecken soll.«
   Emma ging in die Falle.
   »Ah, es gibt eine Gefahr!« sagte sie. »Warte, ich öffne sogleich!«
   Man hörte, daß sie sich vom Lager erhob, an die Tür kam, den Riegel zurückschob und mit leiser, aber vor Besorgnis zitternder Stimme sagte:
   »Komm herein! Was ist es denn?«
   Verdoja huschte hinein und hatte sie im nächsten Augenblick bei der Kehle. Sie brach ohne jeden Versuch der Gegenwehr zusammen; der fürchterliche Schreck hatte sie ohnmächtig gemacht, so daß sie am Boden lag, ohne sich zu regen. Verdoja fesselte und knebelte sie selbst; dann ging man nach dem Schlafzimmer der Indianerin.
   Auch hier hatte die List denselben Erfolg, nur daß Karja nicht in Ohnmacht fiel. Sie war die Tochter eines Indianerhäuptlings und besaß nicht die zarten Nerven einer verwöhnten Mexikanerin. Jetzt waren alle Personen, die man haben wollte, in den Händen der Räuber.
   Die ganze erste Etage befand sich im Besitz derselben. Verdoja und Pardero wußten, daß unten im Parterre einige Räumlichkeiten lagen, in denen Vaqueros schliefen. Sie wollten sich ihren Raub nicht gern streitig machen lassen und verboten daher jede Plünderung. Je vier ihrer Begleiter wurden zu Mariano und Helmers beordert, um ihnen ihre Kleider anzuziehen; Verdoja aber begab sich zu Emma, während Pardero die Indianerin aufsuchte.
   Als Verdoja das Zimmer der Señorita betrat, war dasselbe noch dunkel. Er brannte die Kerze an. Emma lag noch ohnmächtig am Boden. Er befreite das Mädchen von seinen Banden und zog ihm die Kleider an, die es am Tag vorher getragen hatte, sie lagen noch auf dem Stuhl; endlich suchte er aus dem Schrank noch einiges hervor, was ihm bei einem weiten Ritt dienlich schien, und nahm bei ihr Platz, um ihr Erwachen zu erwarten.
   Pardero fand Karja nicht leblos am Boden liegend. Sie wälzte sich hin und her und gab sich alle Mühe, sich ihrer Fesseln zu entledigen. Er zog die Tür hinter sich zu und brannte die Kerze an.
   Die Zeit drängte. Rasch griff er nach ihren Fesseln und löste dieselben vorsichtig so weit, daß sie nicht ihre vollständige Freiheit erhielt, dann zwang er sie, sich ganz anzukleiden. Sie ließ alles ruhig geschehen. Erst hatten ihre Augen mit unendlicher Wildheit auf ihn geblickt und geblitzt, jetzt aber hielt sie dieselben geschlossen, es schien ihr ganz gleichgültig zu sein, was mit ihr geschah, nur, als er ihre Hand berührte, fühlte er, daß diese vollständig kalt war.
   Da öffnete sich die Tür, und Verdoja blickte herein.
   »Sind Sie fertig?« fragt er. – »Ja.« – »Nehmen Sie noch einige Tücher und Decken. Es geht jetzt fort.«
   Auch die beiden männlichen Gefangenen hatten ihre Kleidung bekommen. Sie waren so gefesselt und eingewickelt daß sie kein Glied zu regen vermochten, und wurden nun hinunter in den Hof getragen. Verdoja und Pardero brachten die Mädchen nach.
   Das geschah so leise und vorsichtig, daß es von keinem Menschen gehört wurde. Nun öffnete man ebenso leise das große Tor und holte Sternau herbei. Es war dunkel, und man sah also nicht, ob er die Augen geöffnet hielt; eine Bewegung bemerkte man nicht an ihm.
   Jetzt nahmen je zwei und zwei einen Gefangenen auf die Schultern und trugen ihn unhörbar davon. Verdoja blieb zurück, um das Tor zu verschließen, über die Palisaden hinauszuspringen und den anderen nachzufolgen. Seit sie die Hazienda erreicht hatten, war eine Stunde vergangen; eine halbe Stunde später erreichten sie ihre Pferde im Wald.
   Für die fünf Gefangenen hatte man fünf Pferde mitgebracht, für die Mädchen sogar Damensättel. Man fesselte sie auf die Pferde, und dabei zeigte es sich, daß Sternau wieder zu sich gekommen war.
   Jetzt teilten sich die fünfzehn Mann in fünf Gruppen. Je drei Mann hatten einen Gefangenen oder eine Gefangene bei sich. Sie trennten sich und ritten in verschiedenen Richtungen davon. Dies war eine List, die geradezu raffiniert genannt werden konnte, denn sie erschwerte eine Verfolgung auf das äußerste. Verdoja hatte diese Trennung angeraten. Erst nach einer vollen Tagereise sollten je zwei Abteilungen zusammentreffen, und diese sollten dann am Ende der zweiten Tagereise zu ihm stoßen. Die Punkte, wo dies geschehen sollte, waren vorher bestimmt, und ein jeder von den Räubern hatte einige Tage vor dem Überfall den Weg, den er zurückzulegen hatte, ganz genau rekognosziert. So war an einem Gelingen kaum zu zweifeln.
   Zwei Punkte freilich fielen hierbei gegenteilig ins Gewicht. Verdoja lief nämlich bei dieser Zersplitterung Gefahr, von seinen eigenen Helfershelfern betrogen zu werden, und außerdem konnten bei einem Überfall drei Mann doch nicht denselben Widerstand leisten wie fünfzehn.
   Das überlegte er sich erst, als er mit den Seinen am anderen Morgen den ersten Halt machte. Er hatte Emma bei sich, die anderen Gefangenen waren Pardero und den Mexikanern anvertraut worden. Die erste Tagereise führte ihn auf den Kamm des Gebirges, das als ein Teil der mittelamerikanischen Kordilleren sich von Norden nach Süden durch das Land zieht. Am anderen Morgen ritt er am westlichen Abhang dieses Gebirges herab und erreichte am Nachmittag den Rand der Wüste Mapimi, die als die verrufenste Strecke Mexikos bekannt ist.
   Hier war das Rendezvous, wo die vier anderen Trupps zu ihm stoßen sollten, und nun erwartete er mit ängstlicher Spannung den Erfolg der listigen Maßregel, die er getroffen hatte.
   Bereits eine Stunde nach seiner Ankunft sah er einen Reitertrupp von Süden kommen. Als derselbe sich näherte, zählte er acht Männer. Sein Herz wurde leicht, denn diese Leute gehörten zu ihm. Es zeigte sich, daß es die vereinigten Abteilungen waren, die Sternau und Mariano zu transportieren hatten. Sie wurden von ihm mit großer Befriedigung empfangen.
   Die beiden Gefangenen waren auf eine geradezu unmenschliche Weise gefesselt Nur die Knebel waren ihnen abgenommen, so daß sie wenigstens Atem holen konnten.
   Gegend Abend trafen zur großen Freude Verdojas auch die übrigen mit Karja und Helmers ein. Es war keine einzige der fünf Abteilungen verfolgt oder beunruhigt worden, und so glaubte Verdoja, daß er von jetzt an seinen Ritt mit Sicherheit fortsetzen könne.
   Es wurde jedoch zunächst ein Lager errichtet. Man brannte ein Feuer an und aß, dann fütterte man die Gefangenen, die sich ja ihrer Hände nicht bedienen konnten, teilte sich in die Wache und legte sich zur Ruhe.
   Verdoja hatte die erste Wache übernommen, obgleich er dies nicht nötig hatte, da er ja der Anführer war. Aber er hatte sich vorgenommen, die Gefangenen, von denen keiner ein Wort gesprochen hatte, zu peinigen. Sie lagen in der Mitte des Kreises, den die dreizehn Mexikaner bildeten. Er trat zunächst zu Helmers.
   »Nun, Bursche, wie gefällt dir dieser Spazierritt?« fragte er. »Ich habe euch von jemand zu grüßen, der sich sehr für euch interessiert« – »Von wem denn?« fragte Helmers. – »Von einem gewissen Cortejo.« – »In Mexiko?« – »Ja. Er scheint ein sehr guter Freund von euch zu sein.«
   Verdoja gab hier sein Geheimnis preis, und zwar mit Absicht. Es lag ihm nämlich daran, zu erfahren, weshalb Cortejo den Tod dieser Männer wünschte, er hätte dann eine Waffe gegen ihn in der Hand gehabt. Darum brachte er also die Rede auf ihn, denn er dachte, durch irgendein Wort oder eine unbedachte Äußerung der Gefangenen Aufschluß zu erhalten.
   »Hole ihn der Teufel!« sagte Helmers. – »Das tut er nicht, aber euch wird er holen.« – »Ohne dich sicherlich nicht!« – »Schweig, Schurke! Sonst will ich dir zeigen, wen du vor dir hast«
   Er gab Helmers einen Fußtritt und schritt weiter zu Mariano.
   »Siehst du nun, was daraus wird, wenn man Schurken als Sekundant dient?« sagte er. »Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! Kennst du euern Freund Cortejo?«
   Mariano antwortete nicht
   »Kennst du ihn?« wiederholte Verdoja.
   Mariano schwieg noch immer.
   »Ah, ich sehe, daß ich euch erst gefügig machen muß. Ihr werdet schon noch reden lernen.«
   Verdoja gab auch ihm einen Fußtritt und kam nun zu Sternau. Dieser war so gebunden, daß er weder Arme noch Beine rühren konnte, aber die Knie konnte er an den Leib ziehen.
   »Nun zu dir, du Hund!« sagte Verdoja. »Du hast uns um unsere Hände gebracht und wirst doppelt büßen müssen. Wie war dir‘s denn, als du meinen Hieb auf den Kopf bekamst?«
   Sternau beachtete ihn gar nicht.
   »Was, du willst auch nicht antworten? Warte, ich werde dir gleich Worte machen!«
   Er erhob den Fuß, um auch Sternau einen Tritt zu geben, dieser aber zog blitzschnell die Beine an sich, streckte sie wieder aus und trat ihm mit solcher Gewalt auf den Unterleib, daß er hinten überstürzte und mit dem Kopf gerade in das hell lodernde Feuer fiel. Zwar raffte er sich sofort wieder auf, aber ein lautes Schmerzgeheul zeigte, daß er in irgendeiner Weise verwundet worden sei.
   »Mein Auge, mein Auge!« brüllte er.
   Die Schläfer erhoben sich sofort, nahmen ihm die Hand vom Auge und untersuchten dasselbe. Da stellte sich heraus, daß er sich ein Ästchen des brennenden Holzes in das Auge gestochen hatte, es war abgebrochen, und die Spitze stak noch im Auge.
   »Das Auge ist verloren, denn es gibt keinen Arzt«, sagte Pardero.
   Verdoja wimmerte noch immer, er mochte furchtbare Schmerzen haben. Er lief im Kreis umher und bat, ihm die Spitze des Ästchens auszuziehen, aber keiner konnte es tun.
   »Hier vermag nur einer zu helfen«, sagte Pardero. – »Wer?« fragte Verdoja. – »Sternau.« – »Sternau, dieser Hund, dem ich dieses Unglück verdanke! Totprügeln werde ich ihn!« rief der Verwundete grimmig. – »Es ist mir eingefallen, daß er Arzt ist.« – »Arzt? Ah, wirklich, es ist wahr. Er hat ja den Kranken auf del Erina behandelt.« – »Er wird Ihnen den Splitter entfernen können!« – »Das soll er, ja, das soll er. Und dann, dann werde ich ihn krumm auf das Pferd schließen. Er soll an mich und meine Rache denken.«
   Pardero trat an Sternau heran und fragte:
   »Sind Sie Augenarzt?«
   Da Sternau mit »Sie« und im höflichen Ton angeredet worden war, so antwortete er:
   »Ja.«
   Er hätte aber trotzdem keine Antwort gegeben, wenn ihm nicht der Gedanke durch den Kopf gefahren wäre, daß er jetzt entfliehen könne.
   »Werden Sie den Splitter entfernen können?« – »Das weiß ich nicht. Ich muß das Auge erst untersuchen.« – »So kommen Sie.« – »Ich kann mich ja nicht erheben!« – »Ah, so! Nun, ich werde Ihnen die Fesseln so weit abnehmen, daß Sie aufstehen können. Warten Sie!«
   Pardero nahm Sternau die Riemen von den Beinen und Füßen und schob ihn zum Feuer, an dem Verdoja wimmernd saß.
   »Untersuchen Sie ihn!« gebot Pardero.
   Verdoja nahm die Hand vom Auge, das er geschlossen hielt, blickte ihn mit dem anderen grimmig an und sagte:
   »Kerl, wenn du mir das Auge nicht sofort wieder herstellst, so lasse ich dich mit glühenden Zangen zwicken. Sieh her!«
   Er hielt das verletzte Auge einige Sekunden lang geöffnet, und Pardero leuchtete mit einem Feuerbrand dazu. Das Gespräch wurde natürlich in mexikanisch-spanischer Sprache geführt. Sternau war überzeugt, daß unter allen, die sich hier befanden, nur Helmers Deutsch verstehe, und so sagte er, indem er das Auge sehr aufmerksam betrachtete, in deutscher Sprache:
   »Mut! Ich werde euch befreien!« – »Was sagst du da?« brüllte Verdoja. – »Wir Ärzte nennen jede Krankheit und Wunde bei ihrem lateinischen Namen, ich sagte den lateinischen Namen der Verletzung«, antwortete Sternau. – »Geht der Splitter zu entfernen?« – »Ja.« – »Tut es sehr weh?« – »Nein, fast gar nicht« – »So tut es, augenblicklich!« – »Die Hände sind mir ja gebunden.« – »Bindet ihn los!« gebot Verdoja. – »Aber wenn er entflieht!« meinte Enrico. – »Bist du klug?« fragte Pardero. »Wir sind fünfzehn Mann. Wie will er uns entkommen? Bildet einen Kreis und nehmt ihn in die Mitte.«
   Dies geschah. Als Sternau die deutschen Worte sprach, hatte Helmers sich geräuspert, zum Zeichen, daß er ihn verstanden habe. Jetzt konnte Sternau handeln.
   »Mit dem Finger kann ich den Splitter nicht fassen«, sagte er. »Gebt mir ein Messer.«
   Er erhielt das Messer. Jetzt war er frei von allen Banden und hatte eine Waffe in der Hand. Es handelte sich nur noch darum, ein Gewehr mit Munition zu bekommen.
   Um das Lager weideten die Pferde. Die Gewehre waren in Pyramiden zusammengestellt, und Verdoja hatte über seinen um die Hüften gewundenen Schal einen breiten Gurt geschlungen, der ihm als Kasse diente. An demselben hing der Pulver– und Kugelbeutel. Sternaus Plan war in einer Sekunde gefaßt.
   Er betrachtete das Messer, es war gut, scharf und spitz. Nun trat er zu Verdoja heran und legte ihm die Hand auf den Kopf. Aller Augen waren auf die beiden gerichtet, am gespanntesten aber die Augen der Gefangenen.
   »Öffnen Sie das kranke Auge und schließen Sie das gesunde«, gebot Sternau.
   Er beabsichtigte damit, Verdoja solle gar nichts sehen. Dieser folgte der Weisung, und nun näherte Sternau das Messer dem Gesicht des Ex-Kapitäns. Aber plötzlich fuhr er mit demselben niederwärts. Mit einem raschen Schnitt trennte er den Gurt vom Leib Verdojas und faßte ihn, da er seine Hände brauchte, zwischen die Zähne. In demselben Augenblick packte er Verdoja mit herkulischer Kraft und schleuderte ihn gegen die nahe stehenden Mexikaner. Drei oder vier derselben wurden niedergerissen, so entstand eine Bresche, durch die Sternau in einem weiten Sprung hindurchflog. Im nächsten Moment hatte er eines der Gewehre an sich gerissen, und eine Sekunde später saß er auf dem Rücken eines der Pferde und galoppierte davon.
   Dies alles war so schnell geschehen, fast schneller als man denken kann. Als ein fünfzehnstimmiger Schrei des Schreckens erscholl, war es bereits zu spät. Ein jeder griff nach Gewehr oder Pistole, mehrere Schüsse wurden abgefeuert, aber keiner traf.
   »Auf! Ihm nach! Wir müssen ihn wiederhaben!« brüllte Verdoja.
   Sofort warfen sich einige auf die Pferde und sprengten nach der Richtung hin, in der er entflohen war, ihn einzuholen.
   Sternau ahnte natürlich, daß man dies tun würde. Indem er in immer gerader Richtung dahinfloh, untersuchte er seine Büchse. Es war ein Doppelgewehr, und zwar geladen. Das genügte, das mußte mehreren Verfolgern das Leben kosten.
   Er hielt sein Pferd an und wandte den Kopf desselben in die Richtung, aus der er den Galopp der Verfolger hörte. Sie ritten nicht in einem Haufen, sondern hatten sich auf eine breite Linie verteilt, und da sie nicht die Geistesgegenwart und Gewandtheit Sternaus besaßen, nahmen sie für sicher an, daß dieser in gerader Linie fliehen werde, so daß man ihn immer vor sich habe und den Hufschlag seines Pferdes hören müsse. Daß er anhalten und sie erwarten könne, das fiel ihnen gar nicht ein, das war nach ihrer Ansicht so tollkühn, daß sie es für ganz unmöglich hielten.
   Es war so dunkel, daß man einander zwar hören, aber nicht sehen konnte. Sternaus Pferd stand still, und er hielt die Büchse zum Schuß erhoben. Die Verfolger nahten; da durchzuckte ihn ein anderer Gedanke. Er brauchte ja gar nicht zu schießen.
   Schnell sprang er vom Pferd und riß auch dieses zu Boden nieder. Da waren die Mexikaner bereits da und sprengten an ihm vorüber, rechts und links von ihm je einer. Im Nu war er wieder auf und sein Pferd ebenso, dann sprang er auf den Rücken desselben und jagte hinter ihnen her. Nach wenigen Augenblicken befand er sich zwischen den zweien. Sie hatten kein Arg, denn ein jeder hielt ihn für den anderen. Nun setzte er die Hähne seines Gewehrs in Ruhe, faßte dasselbe bei den Läufen und trieb sein Pferd mit einigen Sätzen hart an den Mexikaner heran, der ihm zur Rechten ritt. Als dieser es bemerkte, rief er »Weiter nach links!«
   Da sauste aber auch bereits Sternaus Kolben auf ihn herab und zerschmetterte ihm den Kopf.
   Zugleich erfaßte der kühne Deutsche den Zügel des Mexikaners und hielt das Pferd desselben auf. In weniger als einer Minute hatte er ihn ausgeplündert, galoppierte weiter und hielt jetzt auf den Nachbar zur Linken zu. Als er diesen erreichte, rief derselbe:
   »Mir gebietest du, weiter nach links zu gehen, und nun hältst du selbst nicht Richtung. Mehr nach rechts!« – »Gleich!« antwortete Sternau.
   Schon war er an ihn heran, und ehe noch der Mann ahnte, was ihm bevorstand, zerschmetterte ihm ein Kolbenschlag den Schädel. Dann hielt Sternau wieder das fremde Pferd an und nahm dem Reiter alles ab, was er selbst gebrauchen konnte.
   Jetzt horchte er, und als er vernahm, daß die Mexikaner nur noch rechts von ihm galoppierten, hielt er auf diese Seite hin und untersuchte die beiden erbeuteten Gewehre. Sie hatten nur einen Lauf und waren geladen. Er hatte also vier Schüsse. Das war mehr als genug, denn er konnte nur noch zwei Verfolger unterscheiden. Mit diesen war es leicht aufzunehmen.
   »Holla!« rief er. »Hierher! Ich habe ihn!«
   Er hielt sein Pferd an und bemerkte, daß die beiden dasselbe taten.
   »Wo?« fragte eine Stimme. – »Hier! Hier! Er ist gestürzt!«
   Da kamen sie einer hinter dem anderen herbeigesprengt. Sternau erhob das Doppelgewehr, und als sie vor ihm hielten, donnerte er ihnen entgegen:
   »So, da habe ich euch, ihr Schurken!«
   Im nächsten Moment krachten zwei Schüsse, und die Kugeln trafen so gut, daß die Reiter wankten und von den Pferden stürzten. Die Tiere aber blieben ruhig stehen.
   Jetzt horchte Sternau nochmals in die Nacht hinaus; es ließ sich nichts hören. Also waren es nur vier gewesen, die so unvorsichtig waren, ihn zu verfolgen. Er stieg darauf ab und untersuchte die Gefallenen. Sie hatten wirklich kein Leben mehr. Auch ihnen nahm er alles ab, was sie bei sich trugen, und hatte nun fünf Gewehre, mehrere Messer und Pistolen, zwei Lassos und eine hinreichende Menge Munition, denn ein jeder der vier Reiter hatte die seinige bei sich getragen. Außerdem fühlte er in dem Gurt Verdojas eine Menge Goldstücke und Banknoten. Er war also mit allem versehen, nur nicht mit Proviant. Doch dies machte ihm keine Sorge.
   Schnell befestigte er seine Beute auf die Sättel der erbeuteten Tiere, koppelte dieselben zusammen, nahm sie beim Zügel und ritt in die unbekannte Wüste hinein.
   Seine Hauptsorge war, der Nachstellung zu entgehen, denn er wußte, daß man bei Anbruch des Morgens die vier Leichen finden werde. Er erwartete auch, daß man seiner Spur folgen werde, und so galt es, die Verfolger irrezuführen.
   Er dachte sich, daß man von der Hazienda aus den Räubern nachsetzen werde; darum galt es, sie so lange wie möglich an einer Stelle festzuhalten, und er beschloß, einen Kreis zu reiten. Nachdem er so einige Stunden nach Westen fortgeritten war, lenkte er nach Süden um und ritt darauf nach Verlauf von abermals zwei Stunden nach Osten zurück. So erreichte er bei Morgengrauen den Fuß des Gebirges zwei Stunden südlicher als da, wo sich das Lager befunden hatte.
   Hier gönnte er den Pferden einige Ruhe, ließ sie grasen und trinken und rauchte einige der Zigaretten, die er den Toten abgenommen hatte.
   Jetzt stieg er wieder auf und ritt gerade nach Norden. Das mußte aber mit sehr großer Vorsicht geschehen, da er in jedem Augenblick die Mexikaner sehen konnte, die ja von Nord nach Süd, also ihm entgegen, ihre Verfolgung beginnen mußten. Es waren seit Tagesanbruch wohl über vier Stunden vergangen, als er die Stelle erreichte, an der er die beiden letzten Mexikaner vom Pferd geschossen hatte. Er fand statt ihrer einen Steinhaufen. Man hatte sie also bereits gefunden und begraben.
   Als Sternau nun den Boden untersuchte, kam er zu der Überzeugung, daß der ganze Trupp mitsamt den Gefangenen aufgebrochen sei, um seine Spur zu verfolgen. Er lachte, denn er befand sich, da er einen Kreis geritten war, ja hinter ihnen, während sie ihn vor sich glaubten. Unverzüglich folgte er ihnen, gab aber vorher eines seiner Pferde frei, indem er ihm alles, sogar Sattel und Zaum abnahm und es in die Berge trieb. So hatte er nur noch ein Leittier zu führen, darum ging es nun leichter vorwärts als vorher. Als Sternau die Stelle erreichte, an der er nach Süden abgelenkt war, sah er an den Spuren, daß man hier zwar angehalten hatte, um zu beraten, ihm aber nachher gefolgt war, und als er darauf nach zwei Stunden an die Stelle kam, wo er nach Osten umgekehrt war, zeigten die Hufspuren, daß man hier abermals eine Beratung vorgenommen hatte, daß aber das Ergebnis derselben jetzt doch ein anderes gewesen war. Die Mexikaner hatten nämlich von seiner Spur abgelassen und waren von hier aus nach Westen geritten, also gerade in die Wüste Mapimi hinein.
   Er folgte ihnen. Sie waren einen solchen Ritt nicht gewöhnt Indianer und Jäger reiten stets im Gänsemarsch, damit man aus der Fährte ja nicht ihre Anzahl erkennen kann, diese Mexikaner aber hatten eine breite Truppe gebildet. Sternau zählte fünfzehn einzelne Pferdespuren, sie waren also, außer den vier Getöteten, alle beisammen, Verdoja, Pardero, vier Gefangene und neun Mexikaner. Er hatte gute Hoffnung, heute abend ihr Lager zu beschleichen und wieder einige von ihnen zu töten. Mit diesem tröstlichen Gedanken sprengte er vorwärts, zumal er sah, daß auch sie Galopp geritten waren.


   25. Kapitel

   Als am verflossenen Abend die vier Mexikaner dem Entflohenen nachsprengten, horchten die Zurückbleibenden still und lautlos in die Nacht hinein. Sogar Verdoja vergaß die Schmerzen seines Auges. Sie alle waren überzeugt, daß Sternau eingeholt werde.
   Es blieb längere Zeit still, dann aber fielen in bedeutender Ferne zwei Schüsse. Der Schall war so leise, daß man ihn kaum noch zu vernehmen vermochte.
   »Sie haben ihn!« rief Pardero. – »Ja, aber nicht lebendig«, zürnte Verdoja. »Sie haben ihn erschossen, die Schurken! Wie kann ich mich nun an ihm rächen? Wer soll mein Auge behandeln?« – »Vielleicht ist er nur verwundet«, meinte einer der Mexikaner. »Dieser Kerl scheint ein zähes Leben zu haben.« – »Dann bringen sie ihn herbei. In einer halben Stunde sind sie sicher da.«
   Aber die halbe Stunde verging, und es kam niemand. Verdoja wurde unruhig.
   »Warum zaudern die Kerle?« meinte er. »Ich werde sie für diese Nachlässigkeit zu bestrafen wissen!«
   Doch es verging eine halbe und noch eine ganze Stunde, ohne daß sich jemand sehen ließ. Das Auge Verdojas schmerzte so, daß er ein Tuch vorbinden mußte. Es träufelte ihm nun ein scharfe Flüssigkeit über die Wange herab, an der er stets zu wischen hatte. Er konnte nicht schlafen. Darum erging er sich während der ganzen Nacht in zornigen Flüchen, und als die Dämmerung nahe war, sandte er zwei Mexikaner aus, um ihre vier Kameraden zu suchen.
   Sie setzten sich auf ihre Pferde und ritten davon. Bereits nach einiger Zeit fanden sie einen Toten an der Erde liegen. Der Schädel war ihm zerschmettert, und man hatte ihm alles abgenommen, was er bei sich trug.
   »Was ist das? Wer hat das getan?« fragte der eine schaudernd. – »Sternau?« – »Nein, das ist unmöglich! Er wäre ja während des Kampfes und des Plünderns von den anderen dreien ergriffen und getötet worden. Wir können jetzt hier nichts tun als weiterreiten.«
   Sie hatten kaum dreihundert Schritt zurückgelegt, so trafen sie auf eine zweite Leiche, der ebenso der Kopf zerschmettert war. Auch sie war ausgeraubt. Die beiden Männer blickten einander fragend an und ritten weiter, ohne ein Wort zu sprechen, es war ihnen unheimlich zumute.
   Nach fünf Minuten trafen sie – auf zwei Leichen. Sie waren erschossen worden, die Kugeln waren ihnen durch den Kopf gedrungen.
   »Santa Madonna, alle vier tot!« rief der eine Mexikaner. – »Ist dieser Sternau ein Zauberer?« fragte der andere. – »Wir können hier nichts tun als schnell zurückkehren.«
   Sie taten dies. Als sie vom Lager aus in Sicht waren und man bemerkte, daß sie allein kamen, sprangen alle Zurückgebliebenen erwartungsvoll auf.
   »Nun?« fragte Verdoja. »Seid ihr blind? Ihr habt nichts gefunden?« – »Mehr als genug, Señor«, antwortete der eine. – »Nun, wo ist Sternau?« – »Das weiß er und der Teufel. Wir haben nur die Kameraden gefunden. Zweien ist der Kopf zerschmettert, und zwei sind erschossen, alle vier aber sind geplündert und vollständig ausgeraubt.«
   Bei diesen Worten leuchteten die Augen der männlichen Gefangenen hoffnungsvoll auf, und Emma stieß einen Ruf der Freude aus.
   »Still!« donnerte ihr Verdoja zu. »Ihr jubelt zu früh. Noch ist er uns nicht entkommen. Aber wenn ich ihn fange, so werde ich ihm jedes Glied einzeln aus dem Leib reißen.« – »Niemand wird ihn bekommen«, antwortete Emma mutig. »Er ist ein Held. Er wird euch verfolgen, er wird euch töten, heute abend oder morgen abend, wie er diese vier getötet hat, und dann wird er uns befreien!«
   Mariano und Helmers warfen ihr einen warnenden Blick zu, und Karja, die neben ihr lag, flüsterte ängstlich:
   »Schweig doch! Du machst ihn ja klug und vorsichtig!« – »Still!« gebot auch Verdoja, der von dem Flüstern nichts gehört hatte. »Wer noch einmal redet, erhält seine Strafe. Dieser Satan soll uns nicht mehr schaden, das versichere ich euch! Vorwärts, wir brechen auf, ich muß wissen, welche Richtung er eingeschlagen hat.«
   Die Gefangenen wurden auf die Pferde gebunden, die anderen stiegen auf, und nun ging es der Gegend zu, wo die Leichen lagen.
   Man fand die beiden ersten, konnte aber aus den vorhandenen Spuren nicht klug werden, wie ihre Tötung möglich geworden war, die beiden Pferde hatten sich natürlich während der Nacht verlaufen. Zwei Reiter nahmen die Leichen vor sich, worauf man weiterritt. Als man bei den Erschossenen anlangte, wurde der Platz ganz sorgfältig untersucht aber man konnte auch hier nicht ergründen, wie es Sternau gelungen war, sie zu überwinden.
   »Er hat wahrhaftig den Satan im Leib!« meinte einer der Männer, indem er sich bekreuzigte. »Ein Flüchtling kann ohne Hilfe des Teufels nicht vier Verfolger töten!« – »Schweig, Dummkopf, antwortete Verdoja. »Dieser Sternau ist ein listiger Mensch, weiter ist es nichts. Er hat die Pferde der beiden Getöteten mit sich genommen, hier ist die Spur. Wir müssen ihr nach!«
   Dies geschah. Als die Spur sich nach Süden wandte, wurde Rat gehalten.
   »Er kehrt nach der Hazienda zurück«, meinte Pardero. – »Nein«, antwortete Verdoja. »Die Hazienda liegt gegen Osten, aber nicht gegen Süden. Er hat etwas anderes vor. Hätte er nach der Hazienda zurückkehren wollen, so wäre es vom Kampfplatz aus geschehen. Er ist aber erst einige Stunden lang in entgegengesetzter Richtung in die Wüste hineingeritten, das muß uns vorsichtig machen. Reiten wir auf seiner Spur noch weiter!«
   Sie verfolgten Sternaus Fährte abermals einige Stunden lang und kamen endlich an die Stelle, wo er nach Osten eingebogen war.
   »Sehen Sie, ich hatte recht!« meinte Pardero. »Er ist nach der Hazienda zurückgekehrt, um Hilfe zu holen.« – »Dummheit!« antwortete Verdoja. »Wir sind nur noch elf Mann. Ein Kerl, der in fünf Minuten vier Verfolger tötet braucht sich nicht zwei Tagereisen weit Hilfe herbeizuholen, um elf Männer nach und nach zu erschießen. Dieser Sternau ist kein Dummkopf. Er braucht zwei Tage hin und zwei zurück, das gibt vier Tage, im günstigsten Fall drei Tage, eher er hier wieder anlangt. Da sind unsere Spuren verweht, jedenfalls aber haben wir einen Vorsprung von drei Tagen und sind nicht mehr einzuholen.« – »Aber was bezweckt er denn?« fragte Pardero. – »Sie sind Offizier, aber kein Taktiker. Sternau hat vier Gewehre an sich genommen. Warum? Etwa um sie als Beute mit sich zu schleppen? Nein; er kann damit, da eins doppelt ist, fünf Schüsse tun. Das ist ein Zeichen, daß er es auf uns abgesehen hat. Er hat die Pferde der beiden Getöteten bei sich. Warum? Etwa nur um den Pferdeknecht zu machen? Nein. Er erzielt dadurch eine größere Schnelligkeit, denn wenn sein Reitpferd müde ist, so besteigt er ein lediges, das noch frische Kräfte hat.« – »Aber warum reitet er nach Osten?« – »Ich errate es. Er reitet einen Bogen. Da hinten an den Bergen wird er sich nach Norden wenden, um uns in den Rücken zu kommen. Vielleicht will er Zeit gewinnen, denn während wir ihm im Kreis folgen, werden wir aufgehalten, bis vielleicht Leute von der Hazienda eintreffen. Sie wissen, daß Sternau jener berühmte Fürst des Felsens ist. Glauben Sie mir, er fürchtet sich nicht, allein mit uns anzubinden, er hat es bewiesen. Aber nun ich errate, was er will, werde ich mich von ihm nicht übertölpeln lassen. Ich bin überzeugt, daß er sich bei jedem Nachtlager einige von uns holt, einem solchen Savannenmann gegenüber hilft keine Vorsicht. Wir dürfen also kein Nachtlager halten. Wir reiten bis morgen früh, ruhen einige Stunden, dann reiten wir bis übermorgen früh, da erreichen wir den westlichen Saum der Wüste, und des Abends sind wir am Ziel. Er aber wird zwei Nächte hindurch lagern müssen, so kommen wir ihm aus den Augen.« – »Aber werden unsere Pferde diesen forcierten Ritt aushalten?« – »Sicher. Morgen früh sind wir am Muschelsee, wo sie trinken und weiden können. Übermorgen werden sie zusammenbrechen können, denn wir finden sofort auf jedem Weideplatz frische Tiere.« – »Aber die beiden Mädchen?« – »Pah, die müssen es aushalten. Wir geben den Gefangenen die Hände frei, damit sie nicht so leicht ermüden. Am Rand der Wüste lassen wir einige Mann zurück, die Sternau erwarten müssen. Sobald sie ihn sehen, wird er gefangen oder er bekommt eine Kugel. Jetzt vorwärts!«
   Verdoja bewies damit, daß er Sternau durchschaut, und daß er klüger sei, als dieser dachte. Wenn sein Plan gelang, so brachte er seine Gefangenen in Sicherheit, und Sternau wurde entweder erschossen oder gefangen.
   Man gab jetzt den Gefangenen die Hände frei, so daß sie ihre Tiere selbst lenken konnten, doch kam diese Maßregel mit solcher Vorsicht in Anwendung, daß die Gefesselten sich nicht zu befreien vermochten. Darauf ging es im Galopp in die Mapimi hinein.
   Man sah es den verzerrten Zögen Verdojas an, daß er an seinem Auge fürchterliche Schmerzen litt, aber er sagte kein Wort darüber. Es kochte ein fürchterlicher Grimm in seinem Inneren, doch galt es jetzt vor allen Dingen, so schnell wie möglich an das Ziel zu gelangen. Die Rache wurde für später aufgeschoben.
   So ging es während des ganzen Tages immer nach Westen zu, über steinige Flächen, über nackte Felsen und öde Sandstriche, bis man am Abend den vorgestreckten Arm eines Waldes erreichte. Hier durften sich die ermüdeten Pferde eine halbe Stunde lang erholen, ehe es wieder vorwärts ging.
   Während die Tage in jenen Gegenden heiß sind, zeigen sich die Nächte empfindlich kalt. Diese Kälte war der Truppe von Vorteil, denn sie unterstützte die Beweglichkeit und ließ die Pferde weniger ermüden. Man glaubt übrigens kaum, welch einer Ausdauer die mexikanischen Pferde fähig sind.
   Am anderen Morgen erreichte man den von allen längst ersehnten Muschelsee, wo Rast gemacht wurde. Die Pferde wurden entsattelt und durften trinken und grasen nach Herzenslust. Die Menschen erquickten sich an der mitgenommenen Speise, von der auch die Gefangenen einen Teil erhielten.
   Als die neugekräftigten Pferde zu wiehern und miteinander zu scherzen und zu kämpfen begannen, war dies ein Zeichen, daß sie nicht mehr ermüdet seien, und man setzte den Ritt in der bisherigen Weise und Richtung fort.
   Es zeigte sich jetzt eher einmal eine gewächsreiche Stelle, die eine Weide oder ein Wäldchen trug, gegen Abend hatte man sogar einen größeren Wald zu durchreiten, und am anderen Morgen lag die Mapimi hinter ihnen. Der Wüstenrand erhob sich plateauartig vor ihnen, und sie drangen in einen Engpaß ein, der sich nach kurzer Zeit zu einem Tälchen erweiterte. Hier wurde haltgemacht und die Pferde durften sich abermals erholen. Es war vorauszusehen, daß sie dann den Ritt bis zum Abend aushalten würden.
   Das Tälchen zeigte eine wild bewachsene Seitenschlucht. Verdoja postierte zwei seiner Mexikaner in dieselbe. Sie sollten Sternau auflauern, der hier jedenfalls längere Zeit verweilen würde, um die Spuren des Lagerplatzes zu untersuchen. Er konnte vor morgen abend nicht hier sind, und bis dahin wollte Verdoja von seinen Begleitern noch drei zurückschicken. Sie waren dann zu fünfen und konnten den einzelnen überwältigen.
   Als man wieder aufbrach, mündete der Paß in eine weite Ebene, die aus fruchtbaren Weiden bestand. Es wurden Wege eingeschlagen, auf denen man niemandem begegnen konnte; der Tag verging, ohne daß man eine Hazienda erblickte, obwohl man die Nähe derselben vermuten konnte, und als die Dunkelheit hereinbrach, hielt man vor einer hohen, mächtigen, pyramidenförmigen Masse, deren Fuß von Felsentrümmern und Sträuchern eingefaßt war. Verdoja steckte den Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus. Sofort raschelte es in den Büschen, und ein Mann trat hervor.
   »War mein Bote bei dir?« fragte Verdoja. – »Ja, Señor«, antwortete der Mann. »Er brachte mir Ihren Brief, und es ist alles vorbereitet. Auch Licht habe ich.« – »So führe mich. Die anderen warten hier, bis ich zurückkehre!«


   26. Kapitel

   Verdoja trat zu Emma, befestigte ihr die Arme auf den Rücken, band sie vom Pferd los, hob sie herab und schob sie zwischen die Büsche hinein. Sie ließ es geschehen, denn sie sah ein, daß Widerstand vergeblich sein würde.
   Jetzt wurden ihr die Augen verbunden, und Verdoja nahm sie auf den Arm und trug sie fort. Bald hörte sie an dem Ton seiner Schritte, daß sie sich in einem dumpfen Gewölbe befanden, und fühlte, daß es auf– und abwärts ging und die Luft immer schlechter wurde. Endlich knarrte eine Tür, und kurze Zeit darauf ließ Verdoja sie auf ihre Füße nieder.
   Als er ihr die Binde von den Augen nahm, sah sie, daß sie sich in einer Felsenkammer befand, die ungefähr acht Fuß lang, sechs Fuß breit und sieben Fuß hoch war. Sie enthielt nichts als ein Strohlager, einen Wasserkrug, ein Stück trockenes Brot und zwei Ketten, eine jeder in eine der Längsseiten befestigt. Verdoja hatte eine Laterne in der Hand. Der Führer hatte sich von der mit Eisen beschlagenen Tür zurückgezogen.
   »Jetzt sind wir an Ort und Stelle«, sagte Verdoja triumphierend.
   »Du wirst nie von hier entfliehen können, darum werde ich dir die Fesseln abnehmen.«
   Er tat es und ließ dabei sein gesundes Auge über ihre schöne Gestalt gleiten.
   »Aber, Señor, was habe ich Ihnen getan«, hauchte das unglückliche Mädchen voller Angst, »daß Sie mich rauben und an einen solchen Ort bringen?« – »Mein Herz hast du mir geraubt«, antwortete er. »Und dieses Herz will befriedigt sein! Hier ist die Kammer der Liebe, in der bereits der Widerstand mancher Schönheit gebrochen wurde. Auch du lernst, meine Liebe zu erwidern.«
   Er streckte den Arm aus, um sie an sich zu ziehen. Sie wich erschrocken zurück.
   »Niemals, du Bösewicht!« rief sie, sich in die hinterste Ecke lehnend. – »O doch! Das werde ich dir sofort zeigen!«
   Er trat abermals näher. Da fuhr sie mit der Hand nach seinem Gürtel, entriß ihm sein Messer, zückte es gegen ihn und gebot entschlossen:
   »Zurück, sonst wehre ich mich!«
   Er erschrak wirklich und trat zurück; dann aber stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus und sagte:
   »Ein Messer in dieser Hand ist mir nicht gefährlicher als eine Nadel. – Gib her!«
   Er wollte zugreifen und setzte deshalb, da er nur eine Hand hatte, die Laterne zur Erde nieder. Da hob sie das Messer zum Stoß und rief:
   »Ich bin ein schwaches Mädchen, aber Sie haben nur eine Hand. Wagen Sie es nicht, mich anzurühren!«
   Er zauderte doch. Da aber tat der Führer aus dem Gang herbei und unter die Tür. Er hatte das Gespräch gehört.
   »Soll ich Ihnen beistehen, Señor?« fragte er. – »Ja«, antwortete Verdoja. »Komm her und nimm ihr das Messer ab!«
   Emma erkannte, daß sie sich zweien gegenüber nicht verteidigen könne, aber sie gab doch die Hoffnung nicht auf, den rohen Angriff zurückzuweisen. Entschlossen setzte sie sich selbst das Messer auf die Brust und drohte:
   »Wenn Ihr es wagt, mich anzurühren, so töte ich mich selbst!«
   Der Ausdruck ihres Gesichts war bei diesen Worten ein so entschlossener, daß Verdoja einsah, daß es ihr vollständiger Ernst sei, sich das Messer in das Herz zu stoßen. Dies lag aber ganz und gar nicht in seiner Absicht. Er wollte das schöne Mädchen lebendig besitzen, aber nicht tot. Darum hielt er den Diener, der seine Hand bereits nach ihr ausstreckte, zurück und sagte:
   »Laß sie jetzt! Sie ist mir sicher. Der Hunger ist ein harter Gast, er wird ihren Willen rasch brechen. Sie erhält von heute an nichts mehr zu essen, bis sie gefügiger wird. Wir wollen gehen!«
   Er nahm darauf die Laterne vom Boden auf und verließ das Gefängnis. Der Diener folgte ihm, die Tür schloß sich hinter ihnen, und Emma hörte draußen die mächtigen Riegel klirren, die sich vor die Tür legten, um eine Flucht unmöglich zu machen.
   Da stak nun die an Freiheit, Liebe und den feinsten Genuß Gewöhnte in der engen, dunklen Felsenkammer! Stroh war ihr Lager und schmutziges Wasser ihr Getränk. Frische Luft konnte nicht in den elenden Raum dringen, und auch zum Hunger war sie verurteilt, denn das Stück Maisbrot, das neben dem Wasserkrug lag, konnte nur für eine sehr kurze Zeit hinreichen.
   Sie hatte während des weiten Ritts Gelegenheit gehabt, einige Worte ungehört mit Karja zu wechseln, und war dabei von der Indianerin darauf aufmerksam gemacht worden, sich womöglich eine Waffe zu verschaffen, um den tätlichen Angriffen, die ihnen beiden bevorstanden, widerstehen zu können. Diesen guten Rat hatte Emma befolgt; sie befand sich jetzt im Besitz eines Messers und hatte auch bereits die Erfahrung gemacht, welchen Nutzen ihr dasselbe bringe. Sie hielt den Griff noch fest mit ihrer kleinen, zarten Faust umspannt und war entschlossen, es sich keinesfalls entringen zu lassen; viel eher wollte sie es sich in das eigene Herz stoßen.
   Aber der weite Ritt und der letzte Auftritt hatten ihre Körper– und Seelenkräfte so angestrengt, daß sie auf das Lager niederglitt und ihren Tränen freien Lauf ließ. Sie befand sich tief unter der Erde als Opfer eines gefühllosen Bösewichts und hatte keine Hoffnung, als nur die, daß es Sternau gelingen werde, ihre Spuren zu verfolgen und den Mördern zu entkommen, die ihm auflauerten, um ihn zu ergreifen oder zu töten.
   Verdoja kehrte unterdessen mit seinem Diener zu denen zurück, die vor der Pyramide auf ihn warteten. Die Pyramide, ein Überrest alter, mexikanischer Baukunst, war aus Backsteinen auf einem Felsengrund errichtet. In diesem Grund hatte man vor Beginn des Baues zahlreiche Kammern ausgebrochen und sie durch Gänge verbunden. Auch die Pyramide war durch solche Gänge durchbrochen, in denen die Fürsten und Priester des untergegangenen Reiches ihre Geheimnisse bewahrt und ihre Orgien gefeiert hatten. Die Backsteine waren unter dem Einfluß der Jahre zerbröckelt, und Pflanzen hatten ihre Wurzeln immer tiefer in die entstehenden Ritzen getrieben. Das hatte den Bau noch mehr gelockert. Seine Spitze war verwittert und von den Stürmen nach und nach abgeweht worden, und heute hatte er das Aussehen eines pyramidalen Hügels, der von seinem Fuß bis hinauf zur Höhe mit Gesträuch bedeckt war.
   Aber in das Innere hatten Sturm und Regen nicht zu dringen vermocht; da waren die Kammern und Gänge noch ganz wohl erhalten und besaßen ganz dieselbe Festigkeit, die sie seit Jahrhunderten hatten. Der alte Bau lag inmitten der Ländereien, die Verdojas Vorfahren gehörten. Einer derselben hatte lange vergebens nach einem Zugang der Pyramide gesucht, ihn endlich aber doch unter Stein– und Ziegeltrümmern gefunden. Er war darüber nicht mitteilsam gewesen, und so hatte sich das Geheimnis nur in der Familie fortgeerbt
   Seit dieser Zeit war im Innern der Pyramide manches und vieles geschehen, was sich dem Tageslicht und dem Auge des Gesetzes entziehen mußte, und der Diener, der Verdoja und Emma geführt hatte, war der Wächter des alten Bauwerks und Vertraute seines gegenwärtigen Herrn. Beide hüteten ihr Geheimnis mit sorgfältigster Verschwiegenheit und wußten, daß sie sich aufeinander verlassen konnten.
   Nachdem Verdoja aus der Pyramide zurückgekehrt war, wurde Karja, die Indianerin, vom Pferd losgebunden. Man verhüllte ihr die Augen, und ganz dasselbe geschah auch mit Leutnant Pardero. Dieser sträubte sich allerdings dagegen, mußte es sich aber doch gefallen lassen, da Verdoja ihm sagte, daß er den Eingang zur Pyramide keinem einzigen Menschen zeigen werde. Im Inneren angelangt, könne Pardero die Binde abnehmen und ungehindert umherstreifen, nur der Eingang müsse ihm wie jedermann verborgen bleiben.
   Der Wächter ergriff das Mädchen, und Pardero wurde von Verdoja geführt. Sie gelangten wieder an die Zelle, in der Emma steckte. Neben derselben gab es eine ähnliche, die geöffnet wurde, um die Indianerin unterzubringen.
   »Ich gehe einstweilen«, sagte Verdoja zu Pardero, »um die anderen Gefangenen einzuquartieren. Sehen Sie, wie Sie mit ihr fertig werden. Sind Sie zu Ende, so brauchen Sie am Ausgang des Ganges nur zu rufen oder zu warten.«
   Er entfernte sich mit dem Wächter, und Pardero nahm dem Mädchen nun die Binde ab, auch entfernte er ihr die Fesseln von den Händen, so daß sie sich im freien Gebrauch ihrer Glieder befand. Er hatte die Laterne bei sich behalten und betrachtete das schöne Mädchen mit leidenschaftlichen Blicken.
   »Nun bist du mein, und kein Mensch soll dich mir entreißen«, sagte er.
   Ihre Augen funkelten vor Stolz und Zorn. Sie, die Tochter eines berühmten Häuptlings, die Schwester des wenigstens ebenso berühmten »Königs der Ciboleros« fürchtete sich vor dem einhändigen Leutnant nicht im mindesten.
   »Feigling!« antwortete sie im Ton der tiefsten Verachtung. – »Feigling?« fragte er lachend. »Haben wir euch nicht besiegt? Haben wir euch nicht gefangengenommen und bis hierher gebracht?« – »Gefangengenommen durch Hinterlist, als wir schliefen. Ein Mann kämpft nicht mit Weibern. Ist euch nicht Sternau entkommen? Er war ein Mann, und ihr konntet ihn nicht halten. Ihr seid wie die Präriewölfe, die nur des Nachts und mit Übermacht nach Beute gehen, aber vor Angst heulen, wenn sie einen Schuß fallen hören. Ich bin ein Mädchen, aber ich fürchte dich weniger als einen Hasen oder als einen Käfer, der mich umsummt, den ich aber zwischen den Spitzen meiner Finger zu zerquetschen vermag.«
   Diese Worte waren in einem so verächtlichen Ton gesprochen, daß selbst ein so ehrloser Mensch wie Pardero zornig wurde.
   »Schweig!« rief er. »Du befindest dich in meinen Händen, und es kommt nun ganz auf dein Verhalten an, ob ich dich zermalme oder deine jetzige Lage verbessere.« – »Mich zermalmen?« antwortete sie. »Pah, du bist nicht der Mann, die Schwester Büffelstirns zu zermalmen. Du wärest verloren, sobald du mich nur anrührtest!«
   Sie stand mit drohend erhobenem Arm vor ihm und war in dieser gebieterischen Stellung so schön, daß alle seine Sinne entbrannten. Er trat auf sie zu und streckte die Arme, die unverletzte Linke und den umwickelten Stumpf der Rechten nach ihr aus, als ob er sie an sich ziehen wolle. Sie wußte, welchen Rat sie Emma erteilt hatte; es war ihr darum zu tun, eine Waffe in die Hand zu bekommen, und die mutige Indianern bebte vor einem Angriff keineswegs zurück. Sie trat daher einen Schritt vor, fuhr mit blitzartiger Schnelligkeit mit beiden Händen nach dem Gürtel Parderos und entriß ihm das Messer und den Revolver, ehe er es hindern konnte. Zugleich gab sie ihm einen so kräftigen Stoß, daß er bis an die Tür zurückflog, und nun richtete sie den Lauf ihrer Waffe gegen ihn, während der scharfe Stahl des Messers in ihrer Linken blinkte.
   »Bestie! Warte, ich werde dich zähmen!« rief da Pardero und wollte auf sie eindringen. – »Keinen Schritt weiter!« rief sie ihm entgegen. – »Pah, ein Mädchen schießt nicht sogleich!« lachte er, und schon hatte er die Laterne zur Erde gesetzt und sprang auf Karja ein. Da krachte auch bereits ihr Schuß, und mit lautem Schmerzgebrüll fuhr er sich an den Mund. Ihre Kugel hatte ihm die Kinnlade zerschmettert und die Zunge verwundet. Er stand einige Momente lang brüllend da, dann aber drang er von neuem auf sie ein. – »Satan, das sollst du mir entgelten!« rief er mit lallender Stimme, da er nun nicht mehr richtig zu sprechen vermochte, und drang, während er die linke Hand an die Wunde hielt, mit der rechten auf sie ein.
   Da blitzte das Messer in ihrer Hand und senkte sich mit fürchterlicher Schnelligkeit ein, zwei, drei Mal bis an das Heft in die Brust des Angreifers. – »O Dios!« rief er und taumelte. – »Gehe zur Hölle!« antwortete sie, und zum vierten Mal fuhr das Messer ihm zwischen die Rippen, und erst jetzt traf es das Herz, so daß Pardero in die Knie sank und nach hinten auf das Lagerstroh stürzte. Im Nu kniete das tapfere Mädchen neben ihm, entriß ihm den zweiten Revolver, den Munitionsbeutel, die Uhr, die Provianttasche, die über die Schulter herab an einem Riemen hing, und nahm überhaupt alles an sich, was er bei sich trug.
   Da hörte sie nebenan ein lautes Pochen.
   »Wer klopft, wer ist da?« fragte sie. – »Ich, Emma!« antwortete es dumpf.
   Karja stieß einen Jubelruf aus, ergriff die Laterne und stand im nächsten Augenblick vor der Tür der Nebenzelle. Sie mußte alle ihre Kräfte anstrengen, um die alten, rostigen Riegel zu entfernen, und als dies geschehen war, flog Emma ihr entgegen.
   »Du hast Waffen und Licht, du bist frei?« rief diese. – »Ich bin bewaffnet, aber noch nicht frei«, antwortete die Indianerin. »Du riefst. Wußtest du, daß ich hier in der Nähe war?« – »Ich hörte zwei Stimmen, eine männliche und eine weibliche, und dachte, die letztere müßte die deinige sein. Dann fiel ein Schuß. Wer hat geschossen?« – »Ich. Ich habe Pardero erst die Kinnlade zerschmettert und ihn dann mit dem Messer erstochen.«
   Sie erhob die vom Blut gerötete Klinge. Emma schauderte.
   »Mein Gott, das ist furchtbar!« hauchte sie. – furchtbar?« fragte Karja. »O nein; es war Notwehr, und er hat seinen Lohn. Aber wir müssen unsere Zeit benutzen. Einschließen lassen wir uns nicht wieder. Kannst du mit einem Revolver umgehen?« – »Ja. Vater hat es mich gelehrt.« – »Hast du eine Waffe?« – »Dieses Messer. Ich habe es Verdoja entrissen.« – »Gut, ich sehe, daß auch du mutig sein kannst. Hier hast du den einen Revolver. Wer uns anrührt, der wird erschossen. Jetzt komm, wir wollen den Gang untersuchen!«
   Sie schritten in den düsteren Gang hinein, der Richtung entgegen, aus der sie gekommen waren. Der Gang war eng und niedrig, und die Luft in demselben dick und modrig. Karja ging voran. Plötzlich blieb sie stehen und stieß einen Ruf der Freude aus.
   »Was ist‘s?« fragte Emma. – »Ein glücklicher Fund!« antwortete die Indianerin. »Wir werden nicht im Finstern bleiben und brauchen auch nicht zu hungern. Sieh hierher!«
   Bei der Aufmauerung des Ganges war ein tiefes, viereckiges Loch freigelassen worden, und in demselben lag ein Vorrat von Tortillos, wie der Mexikaner seine flachen Maiskuchen nennt, und dabei stand eine große, gefüllte Flasche, deren Inhalt sich beim Schein der Laterne als Öl erwies.
   »Welch ein Glück!« sagte Emma. »Ich dachte, ich sollte verhungern!« – »Das wirst du nicht. Wir haben diese Kuchen, und ich besitze außerdem die Provianttasche, die ich Pardero abgenommen habe. Komm weiter!« – »Aber ist es nicht gefährlich, in diese Gänge einzudringen?« – »Warum?« – »Wir verirren uns vielleicht immer weiter in das Innere hinein?« – »Nein. Ich weiß ganz genau, daß wir aus dieser Richtung gekommen sind. Es waren mir zwar die Augen verbunden, aber ich habe gefühlt, daß die Tür meines Gefängnisses nach der Seite zu aufging, von der wir kamen.«
   Sie schritten langsam weiter und gelangten schließlich an eine Tür, an der sich ein sehr schwerer, eiserner Riegel befand, der aber, wie man leicht sehen konnte, ganz vor kurzem neu eingeölt war. Die Tür war nur angelehnt, und als sie dieselbe zurückstießen, traten sie in einen zweiten Gang, der zu ersterem einen rechten Winkel bildete.
   Karja war vorsichtig und untersuchte zunächst die Tür. Diese zeigte auch auf der anderen Seite einen Riegel, konnte also von innen und außen verschlossen werden.
   »Das war alles wohl überlegt«, sagte sie. »Dieser äußere Riegel diente dazu, den Gang, in dem sich unsere Zellen befinden, abzuschließen, und der innere hatte den Zweck, alle Störungen abzuhalten, wenn unsere beiden Anbeter uns besuchten.« – »Ich schaudere«, gestand Emma. »Welches Schicksal stand uns bevor!« – »Das ist glücklich abgewandt.« – »Aber was nun weiter?« – »Ich hoffe von neuem, Sternau wird uns folgen und unser Gefängnis vielleicht entdecken. Wir haben Waffen, Munition, Öl und Proviant. Wir werden uns wehren und uns nicht ergeben. Wüßte ich nur, wohin wir uns zu wenden haben, ob nach rechts oder nach links.« – »Horch!«
   Auf diesen leisen Ruf Emmas lauschten beide in den Gang hinein und hörten das Geräusch von Schritten, die sich von fern her näherten.
   »Zurück! Wir verschließen die Tür!« gebot Karja.
   Sie schlüpften schnell zurück, zogen die Tür an sich und schoben den Riegel vor. Die Schritte näherten sich und – gingen draußen vorüber; man machte keinen Versuch, die Tür zu öffnen, nur ein leiser Schlag geschah gegen dieselbe, als ob man probieren wolle, ob sie offen sei oder nicht
   »Das waren mehrere Männer«, flüsterte Emma. – »Ja, es schienen vier Personen zu sein«, antwortete Karja. »Ich glaube, es waren Verdoja und der Wächter, die Señor Mariano und Señor Helmers gebracht haben. Sie halten an. Horch, was sprechen sie?«
   Die vier Vorüberschreitenden hatten sich noch nicht sehr weit entfernt, als man die Stimme Verdojas hören konnte.
   »Halt, da sind wir! Hier hinein der eine und daneben der andere. Vorwärts!«
   Es vergingen einige Minuten, ohne daß sich ein Geräusch vernehmen ließ, und dann hörte man Riegel klirren. Darauf kehrten die Schritte von zwei Männern zurück. Draußen vor der Tür des Ganges hielten sie an, und man versuchte zu öffnen.
   »Ah, er hat verschlossen«, lachte Verdoja. – »Das hätte er nicht nötig gehabt!« brummte der Wärter. »Nun müssen wir warten.« – »Pah, er will nicht gestört sein von uns. Ich möchte ihn fast beneiden. Die Indianerin ist fast ebenso hübsch wie ihre Herrin. Aber ich werde dieser Señorita Emma schon noch Gehorsam beibringen. Übrigens fällt es mir gar nicht ein, auf Pardero zu warten.« – »Aber wenn er zurückkehren will?« – »So mag er warten.« – »Er wird vielleicht in die Gänge laufen und sich verirren oder etwas sehen, was er nicht zu sehen braucht.« – »Wir verschließen die nächste Tür, dann kann er nur in diesen Gang gelangen und muß Geduld haben, bis wir ihn holen.« – »Doch wenn er von seiner Zelle aus Hinterwerts geht?« – »So kommt er auch nicht weit. Die hintere Tür kann er nicht öffnen, denn er kennt das Geheimnis nicht. Komm, in einer Stunde holst du ihn.«
   Sie gingen, und die beiden Mädchen holten erleichtert Atem, denn es war ihnen nicht sehr wohl zumute gewesen bei dem Gedanken, daß sie ergriffen werden könnten. Sie lauschten, bis die Schritte verklungen waren, und dann fragte Emma:
   »Was tun wir jetzt?« – »Wir befreien die beiden Señores.« – »Wird dies gehen?« – »Ich hoffe es. Dann sind wir zu vieren und brauchen uns nicht zu fürchten.«


   27. Kapitel

   Emma entriegelte die Tür wieder, stieß sie auf, und die beiden Mädchen traten hinaus in den Quergang. Dort schritten sie vorwärts, bis sie an zwei Türen gelangten, die nebeneinanderlagen.
   Karja klopfte, aber es antwortete niemand. Auch als sie an die andere Tür klopfte, blieb es hinter derselben still. Da schob sie den Riegel zurück und ließ das Licht ihrer Laterne in das Innere der nun geöffneten Zelle fallen. Es beleuchtete eine männliche Person, die, an zwei Ketten befestigt, auf dem Boden lag.
   »Señor Helmers!« sagte sie, ihn erkennend. »Warum antworten Sie nicht?«
   Da klirrten die Ketten, denn der Steuermann machte eine Bewegung der freudigsten Überraschung. Er hatte nicht gesehen, wer der Öffnende war, da Karja das Licht in die Zelle fallen ließ, selbst aber im Schatten stand. Jetzt aber erkannte er sie sofort an der Stimme.
   »Señorita Karja!« sagte er. »Wie kommen Sie hierher?« – »Wir haben uns befreit«, antwortete sie. – »Wie? Wen meinen Sie noch?« – »Señorita Emma.« – »Ah! Ist sie mit bei Ihnen?« – »Ja, hier bin ich«, antwortete Emma, als sie in die Zelle trat, um sich sehen zu lassen. »Diese mutige Karja hat Pardero getötet, ihm seine Waffen abgenommen und mich befreit. Nun sollen auch Sie erlöst werden.« – »Gott sei Dank!« rief er, tief aufatmend. »Aber ist Verdoja fort?« – »Ja. Er kehrt erst in einer Stunde zurück.« – »So haben wir Zeit. Señor Mariano liegt neben mir.« – »Auch er soll frei sein«, sagte Karja. »Aber wie werden wir Ihre Ketten öffnen können? Wir haben keine Schlüssel zu den Schlössern.« – »Oh«, meinte er, »es gibt gar keine Schlösser, sondern nur Vorsteckeisen, hüben und drüben an der Wand, so daß ich sie nicht erreichen kann. Sehen Sie nach, Señorita!«
   Es war so, wie er sagte. Er lag auf dem Rücken und war mit einem jeden Arm vermittels einer Kette an die betreffende Seite der Zelle befestigt. Diese beiden Ketten waren so kurz, daß sie die Arme auseinander hielten, so daß weder der rechte den linken, noch der linke den rechten befreien konnte. Karja erkannte auf den ersten Blick, wie die Ketten gelöst werden konnten, und eine Minute später stand Helmers aufrecht und von den Banden befreit in der Zelle und streckte seine kräftigen Seemannsglieder, um die unterbrochene Zirkulation des Blutes wieder in Gang zu bringen.
   »Alle Wetter, ist das Glück bei allem Unglück!« meinte er. »Aber zunächst wollen wir nicht fragen und erzählen, sondern an Mariano denken.«
   Sie verließen den Raum und öffneten die nächste Zelle. Es ging Mariano so wie Helmers. Er hatte auf das Klopfen nicht geantwortet, weil er glaubte, daß es einer seiner Peiniger sei, der ihn verhöhnen wolle. Als er aber die drei Personen erkannte, bemächtigte sich eine wahre Wonne seiner.
   Er war ganz in derselben Weise wie Helmers befestigt, und darum nahm seine Befreiung auch nur wenige Augenblicke in Anspruch. Nun mußten die beiden Mädchen erzählen, wie es ihnen gelungen war, freizukommen. Sie taten es und ernteten das volle Lob der zwei Männer, in denen sie nun starke und mutige Beschützer fanden.
   Mariano schlug vor, daß die Damen die Messer behalten, die Revolver aber ihnen übergeben sollten, da Männer mit denselben besser umzugehen verstehen. Dies geschah, und nun wurde ausgemacht, daß die vier sich unter keiner Bedingung trennen wollten. Wer von den anderen abkam, konnte verloren sein.
   Trotzdem wurde der vorhandene Proviant in vier Teile geteilt, von denen jede Person einen bekam; man konnte ja nicht wissen, was passieren möchte. Auch die vier Wasserkrüge wurden geholt, jede Person sollte den ihrigen bei sich tragen. Helmers und Mariano teilten danach die Revolverpatronen, die Pardero bei sich geführt hatte, und der erstere steckte zuletzt auch die Ölflasche zu sich.
   Nun hatten sie alles bei sich, was die finsteren Gänge ihnen geboten hatten, und gingen zunächst an die Untersuchung dieser letzteren.
   Der Gang, in dem die Zellen der beiden Männer sich befanden, war vorn durch eine Tür verschlossen und hörte hinten in einem offenen Felsenzimmer auf. Von ihm aus trat man in den Gang, der die Gefängnisse der Frauen enthalten hatte. Dieser führte in schnurgerader Richtung fort auf eine Tür, die mit zwei verrosteten Eisenriegeln verschlossen war. Es gelang der vereinigten Kraft der beiden Männer, dieselben zurückzuschieben, aber die Tür öffnete sich dennoch nicht; es war ja dieselbe, von welcher Verdoja gesagt hatte: »Er kann sie nicht öffnen, denn er kennt das Geheimnis nicht.«
   »Was tun?« fragte Helmers. »Wir bringen sie nicht auf.« – »Sie soll ja eine geheimnisvolle Vorrichtung haben«, meinte Mariano. »Wir wollen suchen, vielleicht entdecken wir sie.«
   Sie beleuchteten jeden Zollbreit der Tür und ihrer Umgebung, sie tasteten mit Händen und Füßen nach jeder, auch der kleinsten Erhöhung oder Vertiefung in der Tür, auf dem Fußboden und an den Wänden, aber vergebens.
   »Es hilft kein Suchen«, meinte Helmers. »So kommen wir nicht frei. Wir müssen uns durch List zu erretten suchen.« – »Auf welche Weise?« fragte Emma. – »Die Stunde, nach der der Wächter zurückkehren wollte, muß fast vergangen sein. Wir müssen ihn ergreifen. Haben wir ihn fest, so zwingen wir ihn, uns den Weg in die Freiheit zu zeigen.« – »Das ist das beste und einzig sichere Mittel«, stimmte Mariano bei. »Wir haben ja das Feuerzeug, das Pardero bei sich trug, und können also unsere Laterne getrost verlöschen, damit sie uns nicht verrät. Kehren wir an den Eingang dieses Ganges zurück. Wir öffnen ihn. Einer bleibt im Gang stehen, und der andere versteckt sich hinter die zurückgelehnte Tür. Sobald er kommt, wird er gefaßt und überwältigt.« – »Und wir?« fragte Karja. – »Sie verstecken sich in der Zelle, in der Señorita Emma gesteckt hat. In der anderen liegt die Leiche Parderos, der Sie ja nicht Gesellschaft leisten werden.«
   Wie er es angegeben hatte, so geschah es. Die beiden Damen begaben sich in die Zelle, Mariano blieb im Dunkel des Ganges stehen, und Helmers steckte sich hinter die Tür.
   Sie hatten eine ziemliche Weile zu warten, bis ein fernes Geräusch zu ihnen drang. Dann hörten sie von weitem das dumpfe Schlagen einer Tür, dem ein eigentümliches Scharren folgte, und jetzt, ja, jetzt hörten sie Schritte, die sich langsam näherten.
   Der Wärter kam. Seine kleine Blendlaterne verbreitete auf eine nur sehr kurze Entfernung einen ungewissen Schein, der immer näher rückte, bis er auf die geöffnete Tür fiel. Da blieb der Mann stehen.
   »Señor Pardero!« rief er halblaut.
   Niemand antwortete; darum trat er näher an den Eingang heran und blickte in den Gang hinein. Das Licht fiel mit seinen zweifelhaften Strahlen auf die Gestalt Marianos, der hier an der Seite des Ganges lehnte.
   »Señor Pardero, sind Sie fertig?« fragte der Wärter. – »Ja«, antwortete der Gefragte mit verstellter Stimme. – »So kommen Sie. Señor Verdoja ist bereits nach der Hazienda geritten, ich soll Sie nachbringen.« – »Und die anderen?«
   Wäre der Gang nicht so eng, feucht, dumpfig und dunkel gewesen, so wäre der Mann wohl nicht so leicht zu täuschen gewesen, so aber erhielt die Gestalt Marianos kaum halbes Licht, und seine Stimme hatte eine eigentümliche Tonart, daß der Wärter wirklich glaubte, Pardero vor sich zu haben. Er antwortete:
   »Sie sind alle zurückgekehrt.« – »Alle?« – »Ja. Señor Verdoja wollte nur einige schicken, aber da dieser Sternau ein gar so gewaltiger und schlauer Patron ist, so sind sie alle zurückgekehrt, um ihn zu fangen. Sie werden ihren Lohn erst bekommen, wenn sie ihn lebendig bringen oder seinen abgeschnittenen Kopf. Darum werden sie sich alle Mühe geben, ihn zu erwischen.« – »Aber ihre Pferde waren ja ermattet.«
   Helmers sah ein, daß Mariano wünschte, so viel wie möglich über die Pläne Verdojas zu erfahren, aber eine Fortsetzung des Gesprächs konnte gefährlich werden. Er schlich sich also hinter der Tür hervor und stellte sich dicht hinter den Wärter. Dieser schöpfte noch immer keinen Verdacht und antwortete:
   »Sie sind zunächst nach der Hazienda, wo sie sofort neue Tiere erhalten. Übrigens sind die beiden Kerle, die Mariano und Helmers heißen, jetzt eingeschlossen und angekettet, sie werden nicht entkommen.« – »Nicht?« fragte Mariano.
   Damit trat er hervor, und zu gleicher Zeit faßte Helmers den Mann mit beiden Händen um die Gurgel. Der also Überfallene ließ die Laterne fallen, stieß ein unartikuliertes Stöhnen aus, fuhr mit den Armen in die Luft und bewegte die Beine konvulsivisch. Dann ging ein fühlbares Zittern durch seinen Körper, und nun hing er steif und bewegungslos in den Händen der beiden Männer, denn auch Mariano hatte ihn ergriffen, sobald er bemerkte, daß Helmers ihn gepackt hielt.
   »Es ist gut!« sagte Helmers. »Er ist ohnmächtig. Brennen wir die Laterne an!« Sie ließen ihn zu Boden gleiten und steckten das Lämpchen in Brand. Als sie ihn beleuchteten, lag er lang ausgestreckt und steif am Boden. Die Augen standen ihm offen, und die Farbe seines Gesichts hatte ein bleiernes Graublau.
   »Der ist nicht ohnmächtig, der ist tot«, meinte Mariano. – »Nein, tot kann er nicht sein«, antwortete Helmers. »Ich habe ihn ja nur ein ganz klein wenig gequetscht.« – »Sehen Sie her, Señor, das ist nicht die Gesichtsfarbe eines Ohnmächtigen, er ist tot, wirklich tot, aber nicht von Ihrer Hand, sondern gestorben vor Schreck, daß er so plötzlich erfaßt wurde.« – »Alle Teufel, das ist möglich! Ganz genau so sieht einer aus, den der Schlag gerührt hat, ich habe mehrere solche Leute gesehen. Aber das ist dumm von diesem Kerl!« – »Warum?« – »Weil er uns nun den Ausgang nicht zeigen kann.« – »Allerdings. Doch vielleicht finden wir den Weg auch ohne ihn. Wir dürfen ja nur da hinausgehen, wo er hereingekommen ist« – »Das klingt sehr einfach, Señor, aber diese Gänge scheinen ein Labyrinth zu bilden, in dem man sich leicht verirren kann, und es gibt hier, wie wir ja gesehen haben, Türen, die nicht ein jeder zu öffnen vermag.« – »Wir werden ja sehen. Vor allen Dingen wollen wir untersuchen, ob der Kerl auch wirklich tot ist. Hier hat er ein Messer und auch ein Doppelpistol im Gürtel, da haben wir neue Waffen.«
   Mariano nahm das Messer und machte einen Schnitt in das Handgelenk des Wärters. Was aus der Wunde hervorquoll, war kein Blut zu nennen, es war eine mehr wässrige Flüssigkeit. Jetzt horchten beide auf den Atem, entblößten darauf seine Brust, um zu sehen, ob hier eine Bewegung zu bemerken sei, und beschäftigten sich wohl eine volle Viertelstunde mit ihm, bis sie endlich zu der Überzeugung gelangten, daß er wirklich tot sei.
   »Unerklärlich!« meinte Helmers. »Dieser Mensch schleicht in diesen Gängen herum, ohne sich zu fürchten, und läßt sich bei der geringsten unerwarteten Berührung vom Schlag niederstrecken! Wir wollen ihn zu Pardero schaffen, daß ihn die Damen gar nicht zu sehen bekommen.«
   Dies wurde ausgeführt, vorher aber untersuchten sie seine Taschen. Sie fanden darin eine alte tombakene Uhr, die ihnen jetzt aber von hohem Wert war, da sie sehen konnten, ob es Tag oder Nacht draußen sei, ein kleines Taschenmesser und eine ziemliche Menge von Zigaretten, die der Mexikaner stets bei sich führt.
   Erst als die Leiche bei der Parderos lag, riefen sie die Damen hervor und erzählten ihnen, welches Mißgeschick sie gehabt hatten.
   »Der Mann schien nicht furchtsam zu sein«, meinte Karja. »Aber Señor Helmers hat Seemannshände und wird ihn erwürgt haben.« – »Fällt mir nicht ein!« antwortete Helmers. »Er mag ohne Furcht gewesen sein, aber er war kein guter Mensch und hatte ein böses Gewissen. Wer aber dieses hat, der kann ganz leicht bis zum Tod erschrecken. Ich weiß, wie eine Menschengurgel zu behandeln ist, darauf können Sie sich verlassen. Doch streiten wir uns nicht. Wir wollen sehen, ob dieser Mensch uns den Weg offengelassen hat.«
   Sie brachen auf und traten in den Quergang hinaus. Demselben nach rechts hin folgend, denn aus dieser Richtung war der Wärter gekommen, trafen sie auf eine offenstehende Tür, die in einen weiteren Querkorridor führte. Als sie demselben nach rechts hin folgten, kamen sie an eine Felsenwand, hier ging es nicht weiter. Dann kehrten sie zurück und durchschritten die linke Hälfte des Korridors. Da erreichten sie eine Tür, die durch zwei Riegel verschlossen war. Sie schoben dieselben zurück, aber die Tür war nicht zu öffnen.
   »Auch sie hat ein Geheimnis«, meinte Helmers enttäuscht. – »Wahrscheinlich«, antwortete Mariano. »Suchen wir!«
   Sie wandten nun allen ihren Scharfsinn auf, sie suchten und probierten stundenlang, aber vergebens. Und auch als sie ihre Kräfte anstrengten, um die Tür aus ihren Angeln zu drücken, gelang ihnen dies ebenfalls nicht.
   »Unsere Mühe ist umsonst«, sagte endlich Mariano. »Wir müssen einen zweiten Überfall versuchen.« – »Auf wen?« fragte Emma. – »Auf Verdoja.« – »Ja, er hat recht«, meinte Helmers. »Wenn der Wächter Pardero nicht bringt, so wird Verdoja annehmen, daß beiden ein Unglück widerfahren sei. Er wird dann nach der Pyramide kommen, und wir lauern ihm auf dieselbe Weise auf wie seinem Diener.« – »Aber wenn Sie auch ihn totdrücken!« versetzte Emma. – »Fällt mir gar nicht ein. Ich werde ihn gar nicht bei der Gurgel fassen. Wir zwei sind stark genug, ihn festzuhalten, dann rufen wir die Damen herbei, die ihn binden, während wir dafür sorgen, daß er sich nicht wehren kann. Um sein Leben zu retten, wird er uns die Freiheit geben müssen.« – »Das ist der einzige Weg zu unserer Rettung«, stimmte Mariano bei. »Kehren wir nach unserem Gang zurück.« – »Zunächst haben wir noch Zeit«, sagte Karja. »Jetzt wird der Wächter noch nicht erwartet und bis Verdoja besorgt wird, können immerhin noch einige Stunden vergehen.« – »So mögen die Damen zu schlafen versuchen, während wir wachen.«
   Das wurde angenommen. Aber da die Mädchen sich vor den beiden Leichen scheuten, so schlugen sie ihr gemeinschaftliches Lager in der Zelle auf, in der Mariano angefesselt gewesen war, und erhielten die brennende Laterne hinein. Mariano und Helmers aber nahmen ihre Posten an der Tür ein, an der sie bereits den Wärter ergriffen hatten. Dort konnten sie Verdoja am sichersten erwarten.


   28. Kapitel

   Verdoja hatte unterdessen keine Ahnung von dem Schicksal, das ihm bei seiner Rückkehr nach der alten Opferstätte bevorstand. Er war mit den Mexikanern, wie der Wärter erzählt hatte, nach der Hazienda geritten. Diese war sein väterliches Erbe und gehörte zu den ungefähr sechzig Landgütern, die der mexikanische Staat Chihuahua mit der Hauptstadt gleichen Namens aufzuweisen hat. Die Hacienda Verdoja lag zwei Tagereisen von der Hauptstadt entfernt; nach Mexiko aber hatte man über eine Woche lang zu reiten. Darum waren die Vorfahren Verdojas echte Hazienderos gewesen, die sich nur der Viehzucht gewidmet hatten, der Politik aber fremd geblieben waren. Er war der erste, der dieses Prinzip aufgegeben hatte. Er war ehrgeizig und wollte eine Rolle spielen, das ist in Mexiko, dem Land der Parteigänger, leicht, aber auch schwer. Er hatte eine Ahnung gehabt, daß Juarez zur einstigen Größe berufen sei, und sich ihm angeschlossen; er hatte es unter diesem kühnen Parteigänger, dessen Zeit damals noch nicht gekommen war, bis zum Rittmeister – Kapitän – gebracht, nun aber hatte dieses Debüt ein schmähliches Ende gefunden, denn daß Juarez von ihm nichts mehr wissen möge, das konnte er sich denken.
   Es war sehr spät, als er die Hazienda erreichte, und niemand hatte ihn erwartet. Er hatte zwar einen Boten gesandt, um dem Wächter Befehle bezüglich der zu erwartenden Gefangenen zu geben, aber dieser Wächter hatte zugleich die Weisung erhalten, gegen jedermann zu schweigen. Darum befand sich bei seiner Ankunft alles im tiefsten Schlaf, und er mußte einige Vaqueros wecken, die den Befehl erhielten, vor allen Dingen seine bisherigen Begleiter mit frischen, kräftigen Pferden zu versehen. Als dies geschehen war, sprengten die Mexikaner in die Nacht hinaus, derselben Richtung zu, aus der sie gekommen waren. Sie waren vollkommen überzeugt, Sternau zu fangen oder zu töten und also den versprochenen Lohn zu erhalten.
   Erst jetzt konnte Verdoja an seine eigene Pflege denken. Er war noch unverheiratet, hatte aber eine entfernte Verwandte auf der Hazienda, die als Dame des Hauses figurierte. Sie empfing ihn mit Überraschung. Sie wußte nichts anderes, als daß er sich bei Juarez im Süden Mexikos befinde, und war daher erstaunt, ihn bei Nacht und Nebel ankommen zu sehen. Ihr Staunen aber verwandelte sich in Schreck, als sie bemerkte, daß ihm die rechte Hand fehlte. Sie wollte eine große Beileidsrede beginnen, er aber schnitt dieselbe barsch ab und befahl, ein Abendbrot zu bringen.
   Während des Essens teilte er ihr mit, daß noch ein Gast komme, ein Señor Pardero, den der Wächter bringen werde. Auch für diesen sei ein Zimmer und ein Nachtmahl bereitzuhalten. Dann begab er sich, ermüdet wie er war, zur Ruhe.
   Als er erwachte, war der Morgen bereits vorgeschritten, und die alte Señora stand mit der Schokolade bereit. Während er dieselbe wortlos verzehrte, sagte sie ihm, wie gut es sei, daß er auf der Hazienda eingetroffen war. Die Revolution hatte auch die Bevölkerung des sonst so ruhigen Staates Chihuahua ergriffen, und der Gouverneur hatte daher um militärische Unterstützung nach Mexiko geschrieben. Infolge dieses Berichts waren mehrere Schwadronen Reiter nach Chihuahua detachiert worden, die nun die Gegend durchzogen und alle Feinde der gegenwärtigen Regierung ihre Oberhand fühlen ließen.
   Nun war es zur Genüge bekannt, daß Verdoja zu diesen Feinden gehöre, er diente ja unter Juarez, und darum hatte man auf der Hazienda bereits längst einen Besuch der Truppen erwartet und gefürchtet.
   Verdoja hörte schweigsam zu und äußerte kein Wort darüber, ob diese Nachricht ihm Sorge bereite oder nicht. Endlich aber fragte er, die leere Tasse fortschiebend:
   »Ist Señor Pardero bereits munter?« – »Señor Pardero?« – »Nun ja, der Señor, den ich gestern noch erwartete.« – »Ah, dieser? Der ist noch gar nicht da.« – »Noch nicht?« rief Verdoja erstaunt. »Und der Wächter, der ihn bringen sollte?« – »Den habe ich auch nicht gesehen.« – »Du hast es verschlafen, und man wird sich geholfen haben, wie man konnte.«
   Sie machte ein sehr erzürntes Gesicht und erwiderte:
   »Man kann sich hier gar nicht helfen, wie man will. Wenn Gäste kommen, so bin ich es, die zu befehlen hat, und ist es nachts, so werde ich sicherlich geweckt. Ich habe aber bis zum Anbruch des Morgens gewacht und vergebens gewartet.«
   Er sagte weiter nichts, erhob sich, schritt nach dem Hof und befahl, ihm ein Pferd zu satteln. Noch während man damit beschäftigt war, kam einer der Vaqueros herbeigesprengt und meldete, daß eine sehr bedeutende Schar Dragoner im Anzug sei. Er hatte diese Meldung kaum gemacht, so sah man auch bereits die Reiter dahergesprengt kommen. Jetzt war also keine Zeit, nach der Opferstätte zu reiten.
   Verdoja wartete die Ankunft der Dragoner ruhig ab, die vor dem Wohnhaus haltmachten. Dann stiegen die Offiziere ab, und der Befehlshaber, ein Rittmeister, trat mit leichtem, militärischem Gruß herzu und fragte:
   »Dies ist die Hacienda Verdoja, Señor?« – »Ja«, antwortete der Besitzer. – »Sie gehört einem Señor gleichen Namens?« – »Ja.« – »Der als Rittmeister unter Juarez dient?« – »Nein.«
   Der Offizier blickte Verdoja überrascht an und sagte pikiert:
   »Señor, wir sind sehr gut unterrichtet!« – »Ich bezweifle dies«, antwortete Verdoja kühl. – »Señor«, meinte der Rittmeister fast drohend, »ich weiß sehr genau; daß Verdoja sich gegenwärtig in Potosi bei Juarez befindet!« – »Ha! Wenn Sie wirklich so gut unterrichtet sind, so bin ich es desto schlechter.« – »Ohne allen Zweifel. Sie sehen also ein, daß die Regierung alle Veranlassung hat, diese Hazienda zu berücksichtigen. Ich habe den Befehl erhalten, mein Quartier hier aufzuschlagen.« – »Mit der ganzen Schwadron?« – »Gewiß.« – »Auf Kosten der Hazienda?« – »Ja.« – »Gegen diese Maßregel muß ich protestieren.« – »Mit welchem Recht?« – »Mit dem Recht, das dem Besitzer zusteht. Mein Name ist Verdoja, Señor.« – »Ah, Sie sind ein Verwandter des Besitzers?« – »Nein, ich bin der Besitzer selbst. Ich befinde mich hier, aber nicht in Potosi. Sie sehen also, wer von uns beiden am besten unterrichtet ist.« – »So beruht die Sache auf einem Irrtum?« – »Wahrscheinlich. Ich stehe im Begriff, meine Vaqueros zu inspizieren; dies ist ein Ritt, der sich nicht aufschieben läßt. Quartieren Sie sich nach Belieben ein, aber denken Sie daran, daß ich nicht verantwortlich bin für das, was Sie tun. Adieu!«
   Verdoja schwang sich auf sein Pferd und ritt davon, ohne einen der Dragoner eines Blickes zu würdigen. Niemand folgte ihm, und er erreichte die Pyramide unbemerkt und unbeobachtet. Rasch stieg er ab, führte sein Pferd in das Gebüsch und band es an.
   An dieses Gebüsch stieß ein zersprungener Felsen, in dessen Rissen sich eine kleine Moosart angesiedelt hatte. Da, wo der Felsen auf dem Boden ruhte, schienen einige Risse tief einzuschneiden. Verdoja kniete nieder und legte die eine Schulter an den Felsen, drückte dagegen, und ein Stück dieses Felsens, das von vier Rissen eingefaßt war, wich nach innen. Jetzt wurde ein großes Loch sichtbar und auf dem Boden desselben einige harte Steinrollen, auf denen sich das Felsenstück bewegt hatte. Das Loch hatte einen Umfang, um einem Mann in gebückter Stellung Eingang zu gestatten.
   Verdoja trat ein, wandte sich einer seitlichen Vertiefung zu und schob den Felsen wieder in sein früheres Lager zurück.
   In dieser Vertiefung standen einige Blendlaternen von derselben Art, wie der Wächter eine getragen hatte. Verdoja brannte eine an und schritt nach einem Gang, der abwärts in den Felsen lief. Nach einer Weile ging es einige Stufen aufwärts, dann wieder abwärts, bald geradeaus, bald in einem Bogen. Er gelangte durch Felsenkammern, er kam an Zellen vorüber. Er öffnete Türen und schloß sie wieder nur durch einen leichten Druck mit der Hand, wobei ein scharfes, metallisches Klingen sich hören ließ. Und überall waren die Wände feucht, der Fußboden noch feuchter.
   Endlich ging es eine Treppe aufwärts. Nachdem er auf dieselbe geheimnisvolle Weise wie vorhin noch einige Türen geöffnet hatte, kam er durch mehrere Gänge und endlich auch an die Tür, vor der die vier Gefangenen sich vergeblich angestrengt hatten. Sie wich seinem leisen Druck, obgleich sie auf der anderen Seite mit zwei Riegeln befestigt war. Er hatte noch die Tür zu passieren, die der Wächter offengelassen hatte, und trat nun in den Gang, wo die beiden Zellen lagen, in denen Mariano und Helmers angefesselt gewesen waren.
   Er hatte alle diese Türen hinter sich verschlossen. Er ahnte ja nicht, daß man in diesem Gang auf ihn warte. Er glaubte, daß Pardero sich immer noch bei der Indianerin befinde und dem Wächter nicht gefolgt sei, und war der Meinung, daß dieser durch irgendeinen zufälligen Umstand verhindert worden sei, nach der Hazienda zurückzukommen.
   So schritt er langsam vorwärts und bog endlich in den Gang ein, in dem die beiden Gefängnisse der Mädchen lagen. Da fiel das Licht der Laterne auf Mariano. Doch kaum hatte er ihn erkannt, so wurde er von hinten gefaßt, und Helmers rief:
   »Halt! Ich habe ihn!« – »Noch nicht!« brüllte Verdoja, riß sich los und versetzte Mariano, der ihn gleichfalls packen wollte, einen Fußtritt in den Unterleib, daß der Getroffene zu Boden stürzte. Dann sprang er in langen Sätzen, die Laterne in der Hand, vorwärts.
   Er ahnte im Augenblick, wie die Sache stand. Pardero und der Wärter waren getötet worden, sonst konnten die Gefangenen ja nicht frei sein. Es galt, ihnen zu entkommen und dafür zu sorgen, daß sie den Ausweg nicht fanden. Darum setzte er den Kampf nicht fort, sondern zog die Flucht vor.
   »Ihm nach!« rief Helmers.
   Mariano hatte sich augenblicklich wieder erhoben.
   »Ohne die Damen?« fragte er. – »Ja«, antwortete Helmers. – »Aber wenn wir sie verlieren! Ich hole sie!« – »So laufe ich voran.«
   Helmers sprang dem Fliehenden nach, während Mariano die Mädchen holen wollte. Es war nicht nötig; sie standen bereits hinter ihm, mit der brennenden Laterne in der Hand. Karja war sogar so vorsichtig gewesen, die Ölflasche zu ergreifen.
   »Kommen Sie, schnell, schnell!« rief Mariano und eilte Helmers nach, dem es unterdessen fast gelungen war, Verdoja einzuholen. Dieser hatte die Tür erreicht. Sie sprang vor ihm auf, ohne daß er den Riegel berührte. Hinter ihr wurde ein dunkler Raum sichtbar, in dessen Mitte ein schwarzes Loch im Boden gähnte. Ein Brett führte darüber.
   Verdoja betrat dasselbe in dem Augenblick, als Helmers unter der Tür erschien, sprang in eiligem Lauf über das Brett, daß es zitterte und knirschte, und hatte nur noch zwei Schritte zu tun, um den jenseitigen Rand des Schlundes zu erreichen, da – prasselte und knackte es auseinander, und er stürzte mit dem gellend ausgestoßenen Schrei: »0 Dios!«, die Hände emporschlagend, in die gähnende Tiefe hinab. Man hörte seinen Körper unten aufschlagen.
   »Herr Gott!« rief Helmers, unter der Tür stehenbleibend. »Er ist zerschmettert!« – »Wo, wo?« fragte Mariano, der hinter ihm angekommen war. – »Hier unten!«
   Auch die beiden Mädchen kamen herbei, und Emma wollte, an den Schlund tretend, die Tür hinter sich zufallen lassen, aber Mariano erfaßte dieselbe noch zur rechten Zeit.
   »Um Gottes willen, Señorita, wir dürfen die Tür nicht zufallen lassen, denn wir können sie nicht wieder öffnen und ständen dann vor diesem Abgrund, könnten nicht hinüber und hätten hier kaum so viel Platz, um bequem stehen zu können.«
   Und es war so. Der Raum, vor dessen geöffneter Tür sie standen, war viereckig, aber im Boden klaffte ein wohl fünf Meter breiter Spalt in die Tiefe, der von der rechten bis zur linken Wand ging und nur mittels eines Bretts überschritten werden konnte. Diesseits des Lochs hatte der Fußboden eine Breite von nur zwei Fuß, so daß kaum Platz zum Stehen war.
   Beim Schein der Laterne sahen sie, daß in der Decke ein großes Loch war, das in die Höhe ging.
   »Es ist ein Brunnen gewesen«, sagte Helmers. – »Jedenfalls«, antwortete Mariano. »Horcht!«
   Aus der Tiefe klangen dumpfe Laute. Helmers kniete nieder und rief hinab:
   »Verdoja!«
   Ein gräßliches Wimmern antwortete.
   »Sind Sie bei Besinnung?« fragte der Deutsche.
   Man hörte dasselbe Wimmern, aber man vernahm, daß es eine Antwort sein sollte. Einen artikulierten Laut konnte man nicht unterscheiden.
   »Können wir helfen?« fragte Helmers abermals.
   Aus dem auch jetzt erfolgenden Wimmern ließ sich nichts entnehmen.
   »Er ist verloren; es ist wenigstens dreißig Meter tief, meinte Mariano. – »Er hat seine Strafe«, setzte Karja finster hinzu. »Aber was wird mit uns?« – »Die Tür ist offen«, antwortete Emma. »Vielleicht entdecken wir jetzt die geheimnisvolle Einrichtung.«
   Sie beleuchteten den Eingang und sahen nun zu ihrem Erstaunen, daß die Seitenteile des Türgewandes sich mit der Tür geöffnet hatten. Im oberen Teil aber und in der Schwelle waren tiefe Riegellöcher zu bemerken, die in ganz gleiche Vertiefungen führten und sich in der oberen und unteren Kante der Tür befanden. Wie aber die darinnen steckenden Riegel geöffnet und geschlossen werden konnten, das war nicht zu ersehen.
   Die vier Personen gaben sich die erdenklichste Mühe, dieses Geheimnis zu ergründen, aber es gelang ihnen nicht. Über den Abgrund hinüber war nicht zu entkommen; das Wimmern des Verunglückten wurde immer gräßlicher und schneidender, und so kehrten sie wieder nach dem Gang zurück, in dem sie sich vorher befunden hatten. Die Tür zu dem Brunnengemach aber ließen sie offen, indem sie das Verschließen durch dazwischen gestecktes Stroh, das sie aus der Zelle holten, verhinderten.


   29. Kapitel

   Jetzt standen sie da und blickten einander ratlos an. »Ob Verdoja vielleicht, bevor er zu uns kam, eine Tür offengelassen hat?« meinte Mariano. »Wir wollen nachsehen!«
   Sie verfolgten den Gang bis zu derselben Tür, die ihnen schon einmal Halt geboten hatte, fanden sie aber fest verschlossen, und so viel Scharfsinn und Körperkraft sie auch daran wandten, sie zu öffnen, es gelang ihnen nicht.
   »Wir sind eingeschlossen«, sagte Emma. »Wir sind zum Tod des Verschmachtens verdammt; wir müssen sterben.« – »Noch nicht«, tröstete Mariano. »Gott wird uns nicht umkommen lassen.« – »Wir wollen fleißig nachdenken und alles zu unserer Rettung versuchen«, meinte Helmers. »Vielleicht gelingt es uns doch noch, das Geheimnis der Türen zu entdecken.« – »Wir entdecken es nicht«, versetzte Karja. »Hilfe kann nur von Señor Sternau kommen.« – »Aber wenn dieser selbst nicht kommt?« klagte Emma. »Wenn sie ihn fangen und töten?« – »Oh, er ist klug; er entkommt vielleicht doch«, tröstete Helmers. »Übrigens brauchen wir uns den Kopf nicht darüber zu zerbrechen, wie die Türen geöffnet werden. Wir haben ja ein ganz gutes Werkzeug dazu.« – »Welches?« fragte Mariano. – »Unsere Messer.« – »Ah, wirklich!« rief Emma. »Wir schneiden die Türen durch.«
   Helmers konnte sich trotz ihrer schlimmen Lage eines Lachens nicht erwehren.
   »So ist es nicht gemeint, Señorita«, sagte er. »Dieses Holz ist so hart wie Eisen, es würde eine Riesenarbeit von einigen Jahren sein, alle Türen zu durchschneiden, und selbst dann wäre es noch fraglich, ob wir zu dem richtigen Ausgang gelangen. Und das Holz nur einer Tür zu durchschneiden, würde uns nichts anderes bringen, als was wir bereits gesehen haben. Wir haben ja hier eine offene Tür, ohne das Geheimnis ergründen zu können. Ich meine vielmehr, wir müssen den Teil der Mauer entfernen, der sich um das Türgewände legt; in diesem Teil ist das Geheimnis verborgen.« – »Das ist richtig!« stimmte Mariano bei. »Gehen wir an das Werk!« – »Es gibt noch ein kürzeres Mittel, wenn es gelingt«, bemerkte Karja. – »Welches?« fragten schnell die anderen. – »Wir drehen uns ein Seil, und einer läßt sich zu Verdoja hinab. Lebt er noch, so muß er sagen, wie die Türen geöffnet werden.« – »Wovon soll das Seil gefertigt werden?« – »Von den Lassoriemen, mit denen wir gefesselt waren, sie liegen noch in den Zellen; ferner von den Kleidern der beiden Toten, auch von den unsrigen, soweit sie entbehrlich sind. Vielleicht können wir die Ketten ausdrehen, an denen die beiden Señores gefesselt waren. Man nahm für Señorita Emma und mich einige Decken mit. Sie liegen noch in meiner Zelle und der ihrigen. Wenn wir sie zerschneiden und zusammendrehen, wird ein Seil fertig.«
   Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man vereinigte also die zerschnittenen Lassostücke, zerschnitt die Kleider Parderos und des Wächters, die man ihnen auszog, ebenso die Decken, und als das Seil fertig war, hatte es eine Länge von über dreißig Fuß. Um seine Festigkeit zu prüfen, zogen Mariano und Helmers mit aller Macht an demselben, es gab nicht nach; und so erklärte Mariano, sich demselben anvertrauen zu wollen, da er der leichtere sei.
   Man hatte zwei Laternen. Die eine befestigte Mariano sich um die Taille, und nun begaben sie sich nach dem Brunnengemach, wo sie das Wimmern noch so stark wie vorher hörten. Mariano band sich jetzt das eine Ende des Seils unter den Armen fest, um sich hinabzulassen, erklärte aber, aufwärts werde er daran emporklettern. Hierzu gab es zwei Gründe, erstens wurde ihm dieses Klettern leichter, als Helmers das Ziehen, selbst wenn die Damen mithelfen würden, und zweitens war das Emporziehen für ihn gefährlich, da das Seil am Rand des Schlundes scheuerte und dadurch leicht reißen konnte.
   Da vier Krüge mit Wasser vorhanden waren, so opferte man einen davon, um das Seil zu befeuchten, es erhielt dadurch eine größere Elastizität und Widerstandsfähigkeit. Dann ging man an das Werk.
   Mariano kniete am Rand nieder, faßte darauf das Seil oberhalb der Befestigung mit beiden Händen und stieß mit den Worten: »In Gottes Namen, jetzt hinab!« die Knie vom Rand ab.
   Helmers war stark; niederwärts konnte er ihn allein erhalten, und so verschwand der kühne, junge Mann bald in dem schwarzen Schlund. Helmers ließ das Seil sehr langsam und vorsichtig ablaufen, und die beiden Frauen, die sich am Rand niedergekniet hatten, sahen den Lichtschein seiner Laterne sich immer weiter entfernen.
   »Um Gottes willen, wenn er erstickt!« sagte da Emma. »Dieser Brunnen ist sehr tief und sehr alt; er kann gefährliche Gase enthalten!«
   Daran hatte man vorher gar nicht gedacht; aber Helmers schüttelte lächelnd den Kopf und fragte:
   »Señorita, hören Sie Verdoja noch wimmern?« – »Ja«, antwortete sie, »es klingt schrecklich!« – »Nun, dieses Wimmern ist ein Zeichen, daß er noch lebt, und er würde nicht mehr leben, sondern erstickt sein, wenn es da unten tödliche Gase gäbe.«
   Nach einiger Zeit, als das Seil auf fast nur noch zwei Meter abgelaufen war, hörte die Spannung auf. Mariano hatte den Boden erreicht, und die drei oben befindlichen Personen lauschten mit großer Spannung hinab.
   Der Brunnen war, wie bereits gesagt, nicht rund, sondern viereckig, und die Wände waren glatt; das schloß jede Gefahr für das Seil aus. Vor Jahrhunderten hatte er wohl Wasser gegeben, jetzt aber war er ausgetrocknet. Mariano stand an einem porösen Felsen, der ringsum von einer sandigen Erdschicht umgeben war. Durch diese war vor Jahren das Wasser hereingesickert.
   Jetzt sah sich der junge Mann nach Verdoja um. Dieser lag zusammengekrümmt wie ein Hund vor seinen Füßen und ließ aus dem offenen Mund jenes Wimmern hören, das hier unten noch viel schrecklicher klang als oben. Die Lippen zeigten einen blutigen Schaum, die Augen standen offen, waren aber nicht stier, sondern hatten einen Ausdruck, der erkennen ließ, daß Verdoja bei vollständiger Besinnung sei.
   »Schreien Sie nicht, sondern antworten Sie«, sagte Mariano. »Ich komme, Ihnen zu helfen.«
   Der Verunglückte hörte einen Augenblick lang auf mit Wimmern und sah den Retter mit einem Blick an, in dem ein wahrhaft teuflischer Haß zu erkennen war.
   »Wo ist Pardero?« fragte er.
   Aber man sah ihm an, daß ein jedes Wort ihm die fürchterlichsten Schmerzen bereitete.
   »Tot«, antwortete Mariano. – »Der Wächter?« – »Auch tot.« – »Die Mädchen?« – »Sie sind oben bei uns.« – »Mörder!«
   Verdoja wollte die Fäuste ballen, aber es ging nicht; er hatte beide Arme gebrochen.
   »Schmähen Sie nicht«, gebot Mariano ernst. »Sie sind an allem selbst schuld! Und dennoch werden wir Sie retten.« – »Ihr? Wie?« fragte Verdoja.
   Aber er litt dabei solche Schmerzen, daß er fast zwischen jeder Silbe ein schneidendes Jammern ausstieß und daß seine Worte schwer zu verstehen waren.
   »Wir ziehen Sie mit dem Seil hinauf und schaffen Sie nach der Hazienda.«
   Über das schmerzverzerrte Gesicht Verdojas glitt für einen Augenblick ein lichter Zug; dann aber verfinsterte es sich wieder, und er fragte:
   »Wie kommt ihr hinaus?« – »Sie werden sagen, wie die Türen zu öffnen sind und welchen Weg wir einzuschlagen haben.« – »Ah! Ihr wißt es nicht?«
   Ein Zug wahrhaft höllischer Schadenfreude verzerrte sein Gesicht noch mehr, als es bereits vom Schmerz geschah, und er fügte hinzu:
   »Ihr müßt verhungern – verdursten – verschmachten!«
   Dabei rief er jedes der drei Worte in einem höheren Ton, bis die letzte Silbe überschnappte. Offenbar empfand er eine Genugtuung, die sogar die fürchterlichen Schmerzen, die er litt, betäubte.
   »Wir werden nicht verschmachten«, sagte Mariano, »denn Sie werden wieder frei und gesund sein wollen, und das können Sie nur durch uns.« – »Frei! Gesund! Ah!« stöhnte Verdoja. »Nie! Arme gebrochen! Rückgrat gebrochen! Ich muß sterben!« – »Sie werden nicht sterben; Sie werden leben, und zwar durch uns. Wollen Sie sich uns anvertrauen?« – »Nie! Nie! Auch ihr sollt sterben!«
   Der Schaum um Verdojas Mund verdoppelte sich, und seine Augen drohten aus ihren Höhlen zu treten, er glich einer Schlange, die sich noch im Tod windet, um Gift zu spritzen. Mit Marianos Geduld ging es fast zu Ende.
   »Aber Mensch, Sie richten sich ja selbst zugrunde!« rief er. – »Ich will es!« antwortete Verdoja. »Und auch ihr sollt zugrunde gehen, verfaulen, in die Hölle fahren!« – »Ist dies Ihr letztes Wort?«
   Da fletschte der Mensch die Zähne und grinste:
   »Mein letztes, letztes, letztes.« – »Nun gut, so hört die Liebe auf, und die Strenge beginnt«, sagte der junge Mann. »Wenn Bitten nicht helfen und die eigene Lust zum Leben, so gibt es andere Mittel, einen solchen Teufel zum Reden zu bringen. Wir haben keine Lust, wegen deiner höllischen Bosheit hier zu verschmachten.«
   Mariano kniete darauf neben Verdoja nieder, faßte die beiden Arme desselben an der Stelle, wo sie gebrochen waren, und drückte sie mit aller Gewalt. Diese Art der Folter preßte dem Bösewicht einen Schrei aus, von dem Mariano meinte, er müsse da oben sogar außerhalb der Pyramide gehört werden.
   »Wie werden die Türen geöffnet?« fragte er. – »Ich sage es nicht!« brüllte Verdoja. – »Du mußt es sagen; ich lasse nicht nach!« rief Mariano und drückte den Arm nochmals an den gebrochenen Stellen mit aller Macht. Das Geschrei, das Verdoja jetzt bei den entsetzlichsten Schmerzen ausstieß, glich dem Gebrüll von Tigern, aber er gab die gewünschte Antwort trotzdem noch nicht. Da faßte ihn Mariano bei den Beinen. Das half jedoch nichts, sie waren gänzlich gefühllos, denn der Mensch hatte den unteren Teil des Rückgrats gebrochen und lachte höhnisch auf, als er die Erfolglosigkeit von Marianos Bemühungen sah. Dieser wurde dadurch noch zorniger.
   »Lache nur, du Satan«, sagte er. »Es gibt noch andere Schmerzen.«
   Damit faßte er, bis zur Gefühllosigkeit zornig, die Hände des Verwundeten und gab beiden Armen einen so gewaltigen Ruck, daß er glaubte, sie aus den Schultern zu ziehen. Verdoja stieß einen entsetzlichen Schrei aus, beantwortete aber die Frage nicht.
   »Mensch, du bist selbst für den Teufel zu schlecht!« rief Mariano. »So stirb denn so, wie du es willst. Gott wird uns helfen!«
   Er rüttelte darauf an dem Strick, zum Zeichen, daß er empor wolle, und faßte denselben mit beiden Händen. Als Verdoja dieses bemerkte, erhob er den Kopf, spie nach dem jungen Mann und rief mit überschnappender Stimme:
   »Seid verflucht! Verflucht! Verflucht!«
   Diese Abschiedsworte brachten Mariano auf einen Gedanken, den er bisher wunderbarerweise gar nicht gehabt hatte. Er kniete noch einmal neben Verdoja nieder, untersuchte dessen Kleider und nahm ihm, nachdem er darin eine Uhr, Geld, Ringe, einen Revolver, ein Messer und andere Kleinigkeiten gefunden hatte, alles ab und steckte es zu sich.
   »Räuber!« rief Verdoja. – »Pah, wir können es gebrauchen, du aber nicht, Halunke!«
   Mariano probierte nochmals am Seil, ob es oben festhalten werde und turnte sich an demselben empor, bis er den Rand erreichte. Während von unten das herzzerreißende Wimmern heraufscholl, wurde er von den anderen nach dem Erfolg seiner Sendung gefragt. Als er denselben mitteilte und auch erzählte, welche Folter er angewandt habe, um den Menschen zum Sprechen zu bringen, zogen sich die Mädchen voll Grauen zurück. Helmers aber sagte:
   »Warum haben Sie diesen Satan nicht erstochen oder erschlagen?« – »Fällt mir nicht ein. Er will nicht gerettet sein, weil auch wir frei würden, und so mag er verschmachten und sterben, wie er es uns bestimmt hat.« – »So bleibt uns nichts anderes übrig, als zu den Messern zu greifen und die Backsteine um die Tür auszugraben. Wenn wir die Konstruktion nur einer einzigen Tür kennen, so können wir alle anderen öffnen.«
   Sie kehrten in die Gänge zurück, und zwar zu der von Verdoja zuletzt verschlossenen Tür, und machten sich da an die Arbeit.


   30. Kapitel

   Unterdessen hatten sich die Dragoner in der Hacienda Verdoja einquartiert, und ihre Offiziere warteten auf die Rückkehr des Besitzers. Der Tag verging, der Abend und die Nacht ebenso, und Verdoja kam nicht. Nun war der Rittmeister überzeugt, daß er entflohen sei, und behandelte die Hazienda als feindliches Gebiet. Er hatte die Aufgabe, den Herd der Empörung gegen Norden zu von der Provinz Sonora abzuschließen, und da in diesen Gegenden das Militär dazu zu schwach war, so waren Botschafter an die Häuptlinge der nördlichen Indianer gegangen, und die Komantschen hatten sich bereit erklärt, die Gegend zu besetzen. Sie kamen in hellen Haufen herangezogen, aber ihre eigentliche Absicht war nicht, die Verfassung von Mexiko zu schützen, sondern im Trüben zu fischen und möglichst reich an Beute nach ihren Wigwams zurückzukehren. Während es auf der Hacienda Verdoja von Kriegern wimmelte, sah es auf der Hacienda del Erina sehr einsam aus.
   Pedro Arbellez, der Besitzer derselben, hatte jene Nacht, in der seine Tochter geraubt wurde, mit Helmers, dem Bruder des Steuermanns, auf der benachbarten Hacienda Vandaqua zugebracht. Dies wissen wir bereits. Als am anderen Morgen die brave Marie Hermoyes erwachte, war ihr erstes, wie gewöhnlich die Schokolade für Emma und Karja zu bereiten und dieselbe nach den Schlafzimmern der beiden Señoritas emporzutragen. Wie erstaunte sie aber, als sie die Zimmer verlassen fand!
   Eine Unordnung oder gar die Spuren eines Kampfes waren nicht zu bemerken, dafür hatte Verdoja klugerweise gesorgt, und da sich bald herausstellte, daß auch die drei Señores Sternau, Helmers und Mariano die Hazienda verlassen hatten, so glaubte die alte Dame, daß es sich hier um weiter nichts als einen schnell beschlossenen Morgenausflug handle.
   Als aber der Morgen und dazu der halbe Nachmittag verging, ohne daß die Vermißten zurückkehrten, so ward die Sorge dringender. Es gab nur noch Beruhigung in der Annahme, daß alle fünf Personen einen Ritt nach der Hacienda Vandaqua unternommen hatten, um den Vater und den Geliebten zu überraschen. Da kehrten aber Pedro Arbellez und Helmers allein zurück, und sogleich stand bei der guten Marie die Überzeugung fest, daß es sich hier um ein sehr großes Unglück handle. Sie eilte in den Hof und empfing die beiden mit der weinend ausgesprochenen Frage:
   »Oh, Señores, Sie kommen allein! Sind denn die anderen nicht dabei?« – »Wer?« fragte Arbellez. »Was meinst du?« – »Weil es ein Unglück ist, ein fürchterliches Unglück.« – »Was denn?« – »Daß sie nicht da sind.« – »Wer denn, zum Teufel?« – »Señor Sternau.« – »Señor Sternau? Was soll ihm denn passiert sein!« – »Und Señor Mariano.« – »Auch er?« – »Und Señor Helmers!« – »Diese drei? Oh, das sind tüchtige Kerle, die schon dafür sorgen werden, daß ihnen nichts passiert.« – »Aber sie sind bereits seit heute morgen fort.« – »So werden sie wiederkommen.« – »Und Señorita Karja.« – »Hm, auch sie?« – »Und Señorita Emma.« – »Alle Wetter, sind die Damen denn auch mit?« – »Ja.« – »Wohin denn?« – »Das weiß ja niemand.« – »Wann sind sie fort?« – »Auch das weiß kein Mensch. Als ich erwachte, waren sie bereits nicht mehr da.«
   Jetzt begann der Haziendero ängstlich zu werden.
   »Haben sie denn keinem Menschen von dem Ausflug etwas gesagt?« fragte er. – »Keinem.« – »So möchte ich wissen, wohin sie geritten sind.« – »Das ist ja das Schlimme, daß sie gar nicht geritten sind.« – »Nicht? Alle Teufel, da scheint wirklich etwas vorzuliegen. Haben sie denn auch gestern abend nichts erwähnt?« – »Kein Wort, obgleich sie noch beisammenblieben, als der Lanzenreiter bereits zur Ruhe gegangen war.« – »Ein Lanzenreiter war da?« fragte Helmers schnell. – »Ja, ein Kurier von Juarez.« – »Wann ist er abgereist?« – »Er war auch fort!« – »Ah! In welchem Zimmer hat er geschlafen? Zeige es mir. Schnell!«
   Der Haziendero faßte die Alte beim Arm und zog sie fort, hinauf nach dem Gastzimmer. Dasjenige, in dem der vermeintliche Offizier gewohnt hatte, wurde geöffnet, und da zeigte sich nichts als eine Menge Sand, was auffällig war. Helmers blickte unter das Bett, langte mit dem Arm hinab und zog – eine Strickleiter hervor. Die Räuber hatten sie liegenlassen, hatten nicht wieder an sie gedacht.
   Arbellez stieß einen Ruf des Schreckens aus und wollte forteilen, um alle seine Untergebenen zu alarmieren, aber Helmers hielt ihn zurück.
   »Halt«, sagte er, »keine Überstürzung. Es scheint allerdings, daß hier etwas Ungewöhnliches geschehen ist, wir müssen das aber in Ruhe untersuchen. Marie, gehen Sie in die Zimmer Emmas und Karjas und sehen Sie, welche Kleider fehlen. Kommen Sie gleich wieder hierher, ohne einem Menschen ein Wort zu sagen.«
   Marie eilte fort. Arbellez zitterte vor Aufregung, auch Helmers war erregt, aber er bezwang sich und öffnete ruhig das Fenster, um hinabzublicken. Als er den Kopf wieder dem Zimmer zuwandte, war sein Antlitz blaß geworden, denn als Präriejäger, der sogar unter dem Namen Donnerpfeil berühmt gewesen war, verstand er es, die Spuren eines Verbrechens zu verfolgen.
   »Man hat sie entführt und geraubt«, sagte er. – »O heilige Madonna, ist das wahr?« fragte Arbellez erschrocken. – »Ja. Aber nur Ruhe, mein lieber Vater. Vor dem Fenster haben viele Menschen gestanden, das sieht man an den Spuren. Sie sind über die Palisaden herübergekommen und durch das Fenster ins Zimmer gestiegen. Die Sandkörner hier auf der Diele blieben ihnen an den Sohlen kleben. Sie haben die Verschwundenen jedenfalls einzeln überfallen. Aber es wundert mich, daß dies so in aller Ruhe hat geschehen können, daß niemand etwas davon gemerkt hat.«
   Arbellez war sprachlos vor Schreck, und auch Helmers sagte kein Wort mehr, bis Marie Hermoyes zurückkehrte und meldete, daß bei beiden Damen nur ein Kleid und eine Decke fehlten.
   »So gehen wir in die Zimmer der verschwundenen Señores«, sagte Helmers.
   Sie fanden bei Mariano und dem Steuermann die Betten eingerissen, sonst aber alles in Ordnung, bei Sternau aber war das Bett unberührt. Helmers schüttelte den Kopf.
   »Jetzt in den Hof«, sagte er. »Ich muß Klarheit haben!«
   Sie umschritten, Helmers stets voran, das Gebäude. Er betrachtete jeden Zollbreit des hinteren Hofes, auch die ganze Länge des Palisadenzauns, zuletzt die eine Ecke desselben und sagte dann:
   »Jetzt weiß ich es. Der Lanzenreiter war ein Spion, er sollte sie in das Gebäude lassen. Hier an dieser Stelle sind sie über den Zaun gestiegen. Sternau hat Verdacht geschöpft, er ist patrouillieren gegangen, er kam jedoch nur bis hierher, wie seine Fußtapfen im Sand zeigen. Da hat man ihn von hinten niedergeschlagen und nach jener Ecke geschleppt. Ich sehe genau, daß er dort gelegen hat. Dann sind sie durch das Fenster gestiegen, haben aber das Haus nicht wieder durch dasselbe verlassen, folglich sind sie durch das Tor fortgegangen. Nach den Palisaden sind sie von Süden hergekommen, folglich sind sie wieder in dieser Richtung hingegangen. Wir wollen sehen.«
   Er führte Arbellez zum Tor hinaus und schritt, den Boden genau beobachtend und ohne ein Wort zu sagen, immer nach Süden zu. Bei einem Gebüsch angekommen, verweilte er dort längere Zeit.
   »Warten Sie hier, bis ich wiederkomme.«
   Mit diesen Worten ging er fort und schlug einen großen, weiten Bogen um den Ort, an dem Arbellez stand. Als er zurückkehrte, sagte er:
   »Endlich bin ich fertig. Was ich vermutete, ist wahr. Man hat Ihnen Ihre Tochter und mir meine Braut geraubt. Oh, wären wir heute morgen zurückgekehrt, so säße ich den Räubern vielleicht bereits auf dem Nacken. So aber werden sie über einen Tag Vorsprung erhalten.«
   Arbellez brach fast zusammen. Er schlug die Hände vor das Gesicht und rief:
   »O mein Kind, meine Tochter! Wer hat mir das getan?« – »Verdoja und Pardero, kein anderer. Der eine trachtete nach Emma und der andere nach Karja. Und die übrigen haben sie überrumpelt, um sich für das Duell zu rächen. Aber so wahr ich hier stehe und Donnerpfeil genannt werde, der Raub soll ihnen keinen Segen bringen.«
   Seine Augen funkelten, und seine Gestalt reckte sich. Er war nicht mehr der kranke, hilflose Patient, sondern ganz wieder der frühere Westmann.
   »Aber was tun wir?« fragte Arbellez. – »Wir verfolgen sie und werden sie erwischen, obgleich sie es sehr schlau angefangen haben. Sie haben sich in fünf Teile geteilt und sind von hier aus, wo sie sich versammelten, nach verschiedenen Richtungen fort. Je drei haben einen Gefangenen bei sich gehabt, fünfzehn Mann und fünf Gefangene. Es gibt ganz sicher einen Punkt, an dem sie sich wieder vereinigen, und dieser ist jedenfalls jenseits des Gebirges.« – »So müssen wir jeder dieser Spuren einzeln folgen?« – »Nein. Der Räuber ist Verdoja. Hier darf er sich nicht sehen lassen, in Durango auch nicht; in Chihuahua ist er ansässig, sicher geht er dorthin. Da muß er durch die Mapimi, und ich bin überzeugt, daß am Rand dieser Wüste sich diese Spuren vereinigen. Hätte ich Büffelstirn oder Bärenherz, den Apachen, hier, so wüßte ich, daß in sechs Tagen Emma wieder in Ihren Armen läge.« – »Oh, Antonio«, rief der Haziendero, »nehmen Sie alle meine Vaqueros und Ciboleros mit sich. Ich selbst will mitgehen! Nur befreien Sie meine Tochter!« – »Haben Sie keine Sorge, mein Vater! Ich werde sie befreien. Aber von Ihren Vaqueros geben Sie mir nur zwei mit, den braven Francesco, der mich begleiten soll, und noch einen, den ich zurücksende, sobald ich eine gute Spur gefunden habe.« – »Und wann brechen Sie auf?« – »Sogleich. Geben Sie mir sechs Pferde mit, damit ich morgen früh frische Tiere habe.«
   Als sie die Hazienda wieder erreichten, standen alle Angehörigen des Landguts bereits versammelt. Marie Hermoyes hatte nicht zu schweigen vermocht, sondern Alarm geschlagen. Arbellez gab Auskunft und teilte seine Befehle aus, wobei ihm immer die Tränen des Grams über die Wangen liefen. Helmers aber ging nach seinem Zimmer, um seinen Trapperanzug wieder anzulegen. Dann suchte er noch die Zimmer der Verschwundenen auf, und als die Pferde gesattelt unten standen, lud man ihnen nicht nur Munition und Proviant, sondern auch einige Pakete auf, in denen sich Verschiedenes, was den Verschwundenen gehörte, befand, besonders aber ihre Waffen.
   »Ich werde sie finden«, sagte Helmers, »und dann werden sie sich freuen, sofort die Waffen zu haben, an die sie gewöhnt sind.«
   Er nahm hierauf innigen Abschied von dem Haziendero und sprengte, von dem Segen desselben begleitet, mit seinen beiden Vaqueros dem Westen entgegen.
   Pedro Arbellez blieb zurück. Er wäre von Herzen gern mitgeritten, um sein einziges Kind aus der Gefangenschaft dieser Menschen zu befreien; er war voll Schmerz über ihr Schicksal und voll Grimm über die Räuber, aber er konnte die zwei Haziendas, deren Herr er jetzt war, nicht ohne Aufsicht lassen, und so blieb dem alten, frommen Mann nichts übrig, als für die Rettung seiner Tochter und der übrigen Gefangenen zu beten.


   31. Kapitel

   Anton Helmers, oder, wie er wieder genannt werden kann, Donnerpfeil, hatte nur noch drei Stunden Tag für sich, und diese wurden reichlich ausgenützt. Er sagte sich, daß die Räuber die Hacienda del Erina erst nach Mitternacht verlassen und also einen Vorsprung von ungefähr zwölf Stunden erreicht hatten, und diesen hoffte er einzubringen. Er ließ daher, so lange es Tag war, die Pferde im Galopp gehen, und selbst als der Abend hereingebrochen war, brauchte er diese Schnelligkeit kaum zu vermindern. Die fünf Trupps der Räuber waren gewiß nicht so rasch vorwärts gekommen. Sie hatten dann auch am Versammlungsort aufeinander warten müssen, während er den nächsten Weg einschlug und mit dem Auffinden ihrer Spur nicht viel Zeit zu verlieren hoffte.
   Diese Berechnung erwies sich als richtig, denn nachdem Helmers mit seinen Begleitern den jenseitigen Fuß des Gebirges zwei Stunden später erreichte als Verdoja, der mit seinen vier Gefangenen den Weg nach Westen durch die Mapimi eingeschlagen hatte, fanden sie dort eine Spur, die sich längs des Gebirges nach Norden zog. Sie stiegen nun ab und untersuchten dieselbe.
   »Sechs Pferde«, sagte Donnerpfeil. »Es haben sich also zwei der Abteilungen bereits vereinigt, und ich hoffe, daß wir das Stelldichein der anderen bald erreichen.«
   Es dauerte kaum zehn Minuten, so erfüllte sich dieses Wort, denn sie kamen an den Lagerplatz der Mexikaner und sahen aus den Spuren, in welcher Weise diese um das Feuer gruppiert gewesen waren. Die Stellen, an denen die Gefesselten langgestreckt gelegen hatten, waren sehr leicht zu erkennen. Donnerpfeil zeigte auf eine derselben.
   »Hier hat Sternau gelegen«, sagte er. – »Woraus sehen Sie das?« fragte Francesco. – »Das ist sehr einfach«, erklärte der Gefragte. »Sternau ist ein erfahrener Westmann, der alle Schliche des Prärielebens kennt Er hat sich denken können, daß die Räuber verfolgt werden, und sich darum Mühe gegeben, die Spuren so deutlich wie möglich zu machen. Hier hat er mit den Füßen gelegen; man sieht, daß er die Absätze seiner Stiefel mit Vorbedacht in den Boden gegraben hat. Hier rechts und links hat er die Ellbogen tief niedergedrückt, und hier oben ist die deutliche Spur seines Kopfes. So handelt nur ein sehr umsichtiger Westjäger, und daraus schon würde ich schließen, daß Sternau es gewesen ist. Aber noch sicherer wird meine Vermutung durch die Länge der Körpereindrücke. Sternau ist der längste und stärkste; nur er kann hier gelegen haben.« – »Das stimmt«, antwortete Francesco. »Aber was ist denn das hier?«
   Er zeigte auf mehrere sehr energische Fußeindrücke in der unmittelbaren Nähe der Feuerstelle. Donnerpfeil untersuchte dieselben.
   »Ah, hier hat Sternau gestanden«, sagte er; »das können nur die Eindrücke seiner Füße sein. Ein anderer stand gerade vor ihm, und die übrigen rund im Kreis. Was hat es da gegeben? Wenn er stehen konnte, so hat man seine Füße von den Fesseln befreien müssen. Sollte es einen Grund gegeben haben, der die Räuber nötigte, ihn loszubinden? Dann ist er ganz sicher entweder entkommen oder gefallen, denn ein drittes gibt es bei diesem unvergleichlichen Mann ja nicht. Wollen sehen!«
   Donnerpfeil forschte weiter, aber schon im nächsten Augenblick rief er:
   »Ich hab‘ es! Man hat ihm die Fesseln nicht nur von den Beinen, sondern auch von den Händen und Armen genommen. Er muß, er muß sich befreit haben!«
   Die beiden Vaqueros blickten den Sprecher erstaunt an. So etwas zu erkennen und zu behaupten, waren sie nicht imstande.
   »Woraus erkennen Sie das?« fragte Francesco. »Das will ich Ihnen sagen. Hier hat sich Sternau niedergekniet und der Mann auch, der ihm gegenüberstand. Sternau muß an diesem etwas untersucht haben; daneben liegt, außerhalb der Asche, ein erloschener Feuerbrand; man hat also dazu geleuchtet. Sternau ist Arzt; er hat einen Patienten vor sich gehabt. Dann haben sich beide wieder erhoben. Und nun seht, wie tief Sternau seine Fersen in den weichen Boden gegraben hat, und wie hingegen der andere den Boden mit den Fersen zuerst verlassen und die Zehen eingedrückt hat. Sternau hat eine Last in den Händen gehabt, er hat den anderen gepackt und emporgehoben. Die Richtung seiner Füße zeigt da hinüber. Ich wette, er hat diesen Mann emporgehoben und unter die anderen hineingeschleudert, um sich einen freien Weg zu bahnen!«
   Donnerpfeil umging die Feuerstelle und bückte sich auf die dortigen Spuren nieder.
   »Seht«, sagte er, »ich hatte recht. Hier sind wenigstens vier Mann zusammengebrochen; der eine wurde auf sie geschleudert. Dadurch entstand eine Bresche, durch die Sternau entsprungen ist, das sieht man an den Eindrücken seiner Füße, die ich ganz deutlich erkenne. Er ist in weiten Sprüngen davongeflogen, jedenfalls dahin, wo die Pferde standen, denn er wußte ganz genau, daß er ohne ein solches nicht entkommen könne. Er wurde verfolgt, wie die anderen Eindrücke beweisen.«
   Donnerpfeil schritt den Spuren nach, blieb aber nach fünf Schritten bereits stehen.
   »Ah, hier hatte man die Gewehre zusammengelehnt; er hat eins derselben mit fortgerissen; er ist also bewaffnet!«
   Er ging weiter bis zu dem Ort, an dem die Pferde gestanden hatten, und noch darüber hinaus bis dahin, wo die von Sternau getöteten Mexikaner begraben worden waren. Donnerpfeil erriet alles.
   »Dieser Sternau ist ein Held, ein geradezu unvergleichlicher Held. Es ist mir unbegreiflich, wie es ihm gelingen konnte, so viele Männer zu töten.«
   Mit diesen Worten spendete Donnerpfeil dem Arzt das größte Lob, welches er erteilen konnte, da er ja selbst ein berühmter Savannenläufer war.
   Jetzt ritten die drei den Spuren nach, die zunächst nach Westen und dann nach Süden führten. Plötzlich aber bogen drei Pferde nach Osten zurück, während die Spuren der übrigen nach Westen führten, und Donnerpfeil fragte sehr nachdenklich:
   »Was ist das? Wer hat sich hier von den anderen getrennt?«
   Dann untersuchte er die Spuren der drei vereinzelten Pferde und sagte mit vergnügtem Nicken:
   »Ein Teufelskerl, dieser Sternau! Von diesen drei Pferden waren zwei ledig und nur das eine besetzt; das sieht man aus der Tiefe der Hufeindrücke. Das ist Sternau gewesen, er hat zwei Tiere, die den Getöteten gehörten, an sich genommen, um den Wechsel zu haben und also rascher vorwärts zu kommen. Dann ist er nach Osten zurückgeritten, um in den Rücken der Mexikaner zu kommen. Er ist also einen Kreis geritten und befindet sich hinter ihnen. Wir haben also sie und ihn vor uns.«
   Er blickte bei diesen Worten, als müsse er die Verfolgten sehen, mit scharfen Augen nach Westen aus und sprang plötzlich einige Schritte vorwärts. Dort war, was ihm und den anderen bisher entgangen war, ein ziemlich großes Sandhäufchen errichtet worden. Das konnte kein Werk des Windes oder irgendeines Zufalls sein; das konnte nur ein Mensch getan haben.
   »Das ist ganz sicher ein Zeichen von Sternau«, sagte Donnerpfeil erfreut. »Das müssen wir sogleich untersuchen.«
   Und sofort griff er mit den Händen in das Häufchen und brachte nach kurzem Wühlen ein zusammengelegtes Papier hervor, faltete es auseinander und las:
   »Ich bin entkommen, die anderen noch gefangen, aber gesund und wohl. Habe zwei Pferde und genug Waffen und Munition. Verdoja schlug mich im Hof nieder. Pardero und dreizehn Mexikaner waren bei ihm. Sie stiegen durch das Fenster des Lanzenreiters und überrumpelten die vier mit List. Man vergaß, meine Kleider zu untersuchen. Ich habe Papier und Stift bei mir und gebe dieses Zeichen. Die Gefangenen werden befreit werden, keine Sorge. Mir nur schleunigst folgen, ich werde meine Spur sichtbar machen.
   Den .... früh neun Uhr.
   Sternau.«
   »Hurra!« rief Donnerpfeil. »Jetzt ist alles gut!« Sich zu dem einen Vaquero wendend, setzte er dann hinzu: »Francesco bleibt bei mir, nun wir aber Sicherheit haben, kehrst du mit den müden Pferden zurück und bringst Señor Arbellez diesen Zettel. Er wird ihm ein Trost sein. Sage dem Señor, daß wir nur eine Stunde hinter Sternau sind. Er war um neun Uhr hier, und jetzt ist es kaum zehn. Vorwärts! Rasch!«
   Die Pferde wurden gewechselt; dann flogen Donnerpfeil und Francesco auf zwei ungebrauchten Pferden in voller Karriere nach Osten zu in die Mapimi hinein, immer auf der Spur, die sehr deutlich zu erkennen war. Der Vaquero aber kehrte sehr gern um, es lag ihm gar nichts daran, die verrufene Wüste kennenzulernen.
   Die beiden anderen ließen ihre Pferde nach Herzenslust ausgreifen. Diese mexikanischen Pferde ermüden, sobald sie ledig gehen, selbst durch den stärksten Tagesmarsch nicht; die Tiere, auf denen Donnerpfeil und Francesco saßen, waren also so gut wie frisch und ließen die Entfernungen förmlich unter ihren Hufen verschwinden. Da aber Sternau jedenfalls auch die äußerste Schnelligkeit anwandte, so konnte er nicht in kurzer Zeit erreicht werden.
   Der Vormittag verging und ebenso ein großer Teil des Nachmittags; da endlich erblickten sie in der fernen Ebene vor sich zwei kleine, dunkle Punkte.
   »Das ist er, er und das ledige Pferd!« sagte Donnerpfeil. »Ah, wir müssen ihn einholen, ehe es Nacht wird.«
   Sie gaben darauf den Pferden die Sporen zu fühlen und flogen in rasender Schnelligkeit über den Boden dahin. Wieder verging eine halbe Stunde. Dann vergrößerten sich die beiden Punkte, und man erkannte bereits einen Reiter mit einem ledigen Pferd und sah jetzt sogar, daß dieser Reiter die Büchse quer über sich erhob und über dem Kopf wirbelte.
   »Er hat sich umgedreht und uns gesehen«, sagte Donnerpfeil. – »Aber er hält uns für Feinde«, bemerkte Francesco. – »Warum?« – »Weil er nicht anhält und uns erwartet.« – »Mein guter Francesco, du bist ein tüchtiger Vaquero, aber kein Savannenmann. Wenn er uns erwarten will, so verliert er Zeit und Raum. Hier ist jede Minute kostbar. Des Nachts können wir die Spuren der Räuber nicht sehen, da bleiben wir zurück, während sie jedenfalls die Nacht noch zum Ritt benutzen. Also müssen wir die Helligkeit bis zur letzten Sekunde ausbeuten. Darum überläßt Sternau es uns, ihn einfach einzuholen.« – »Aber wir könnten doch auch andere sein?« – »Dann wäre es desto dümmer von ihm, nur einen Augenblick unsertwegen gewartet zu haben. Er ahnt aber bereits, daß wir zu ihm gehören. Siehe, er gibt das Zeichen wieder.«
   Jetzt erhob auch Donnerpfeil seine Büchse und wirbelte sie über dem Kopf. Dies genügte, um Sternau wissen zu lassen, daß er einen Bekannten hinter sich habe, und dieser konnte doch nur von der Hacienda del Erina kommen.
   »Wir kommen ihm doch näher«, meinte Francesco. – »Das ist erklärlich«, antwortete Donnerpfeil. »Er hat die Pferde nehmen müssen, wie sie waren, gut oder schlecht, während wir uns die besten aussuchen konnten. Übrigens sind die seinigen nicht frisch gewesen, während die unsrigen ledig gegangen sind. Auch ist er viel schwerer als einer von uns beiden. Siehe, jetzt wechselt er.«
   Sie sahen, daß Sternau mitten im Galopp von seinem Reitpferd sich hinüber in den Sattel des anderen schwang.
   »Er nimmt sich nicht einmal Zeit, während des Umsteigens anzuhalten; das ist recht von ihm«, nickte Donnerpfeil. »Paß auf, daß er seine Schnelligkeit nicht im geringsten mindert, um uns zu begrüßen, sobald wir ihn erreichen. Er ist der ›Fürst des Felsens‹ und weiß genau, um was es sich handelt.«
   Die Entfernung zwischen den Reitern verminderte sich immer mehr, man konnte sich bereits hören.
   »Herr Sternau!« rief Donnerpfeil in deutscher Sprache.
   Da drehte der Angerufene das Gesicht zurück und antwortete:
   »Herr Helmers! Ah, ich habe Sie schon längst erkannt!« – »Hallo! Woran denn?« – »So reitet nur ein Westmann, und auf del Erina waren Sie nur der einzige noch. Aber machen Sie vorwärts!« – »Komme gleich!«
   Donnerpfeil erhob sich im Sattel, um die Last zu erleichtern, und stieß einen schrillen Schrei aus. Sein Pferd schoß dahin wie ein Pfeil, dasjenige Francescos ebenso, und in einigen Minuten galoppierten beide an Sternaus Seite dahin.
   »Willkommen, und Gott sei Dank!« sagte dieser, den beiden die Hand reichend. »Haben Sie meinen Zettel gefunden?« – »Ja, er ist bereits nach der Hazienda unterwegs.« – »Das ist gut. Sie hatten noch einen Mann mit?« – »Ja, um Señor Arbellez Nachricht zu bringen, sobald wir Gewißheit fanden.« – »Recht so. Aber warum beladen Sie Ihre Pferde mit solchen Paketen?«
   Donnerpfeil lächelte.
   »Das sind lauter notwendige Sachen«, sagte er. »Ich dachte, daß die Ausrüstung der Herren, die ich befreien wollte, sehr mangelhaft sein werde, und darum habe ich einiges mitgebracht. Ihr Trapperanzug und alle Ihre Waffen sind mit dabei.« – »Ah, wirklich?« fragte Sternau erfreut. – »Ja.« – »Mein Bärentöter?« – »Ja.« – »Mein Henrystutzen?« – »Natürlich!« – »Meine Revolver, Messer und Tomahawk?« – »Alles, alles! Auch die Waffen Marianos und meines Bruders habe ich mitgebracht.« – »Ich danke Ihnen! Das ist sehr umsichtig gehandelt. Übrigens hindert uns der Galopp ja nicht im Sprechen. Wie steht es auf der Hazienda? Wann entdeckte man den Überfall?«
   Donnerpfeil erzählte alles von dem Augenblick seiner Rückkehr von der Hacienda Vandaqua an bis zum gegenwärtigen. Und dann gab Sternau seinen Bericht, dem die beiden anderen mit Spannung und Staunen folgten.
   Dabei aber wurde die Schnelligkeit nicht vermindert, und die Pferde hielten aus, bis es Nacht geworden war und man die Spuren der Räuber unmöglich mehr erkennen konnte. Dadurch wurden die drei Männer gezwungen, haltzumachen. Zum Glück gab es an dieser Stelle einiges Gras, das die Pferde abweiden konnten, Holz aber, um ein Feuer anzumachen, fehlte gänzlich, und so verbrachten sie die Nacht im Finstern.
   Gesprochen wurde wenig. Es galt vor allen Dingen auszuruhen, und erst als dies vorüber war und der Tagesanbruch bevorstand, meinte Donnerpfeil:
   »Diese Schurken werden die ganze Nacht geritten sein!« – »Ganz sicher«, antwortete Sternau. »Sie wissen ja, daß ich ihnen folge. Jedenfalls machen sie erst jetzt, am Morgen, einen kurzen Halt, und diesen müssen wir benutzen, die Versäumnis der Nacht möglichst einzuholen.«


   32. Kapitel

   In jenen Breiten gibt es keine Morgen– und Abenddämmerung. Tag und Nacht gehen ohne eine Vermittlung in kürzester Zeit ineinander über. Sternau hatte seine letzten Worte noch im Finstern gesprochen, fünf Minuten darauf war es bereits heller, lichter Tag, und die drei Reiter flogen wieder im Galopp über die Mapimi.
   Wo die Südgrenze von Neumexiko und Arizona an den Rio Grande del Norte stößt, gibt es im Süden dieses bedeutendsten Flusses Mexikos eine nur von wenig Bergzügen unterbrochene Hochebene, die sich nach Ost und Nordost in die Weideländer der Komantschen-Indianer hinabsenkt. Die Hochebene selbst aber steht im Besitz der Apachen, die in ewiger Todfeindschaft mit den Komantschen leben.
   Diese Indianer waren nach Mexiko gerufen worden, um den Truppen der Regierung Unterstützung zu leisten. Sie waren diesem Ruf sehr gern gefolgt, denn sie hofften, mit reicher Beute zurückkehren zu können. Sie hatten sich zu mehreren Tausenden aufgemacht, aber nicht auf einmal und öffentlich, sondern sie hatten sich in Stämme geteilt und legten ihren Weg heimlich zurück, damit die Apachen, ihre Todfeinde, nichts davon merken sollten.
   Wohl eine Woche vor den bereits erzählten Ereignissen gab es im Süden des Nordpasses auf einer kleinen Prärie ein außerordentlich reges, wild bewegtes Leben. Es war die Zeit, in der die wilden Büffel ihre Wanderungen nach Norden antreten. Sie drängen sich da in hellen Haufen durch den Nordpaß, und da versteht es sich ganz von selbst, daß die angrenzenden Ebenen und Prärien von den Indianern besucht werden, die sich für den ganzen Winter mit Fleisch versorgen.
   Die Sonne stand bereits dem Horizont nahe und beleuchtete ein blutiges Schauspiel. So weit das Auge reichte, lagen die Körper der getöteten Büffel umher, sah man kupferbraune Gestalten beschäftigt ›Fleisch zu machen‹, wie der Präriebesitzer sich ausdrückt. Zahlreiche Feuer brannten, über denen der saftige Braten zischte. Tausende von Schnüren und Riemen waren über Pfähle gezogen, und daran hingen lange, dünn und schmal geschnittene Stücke Büffelfleisch, um an der Sonne und in der Luft zu trocknen.
   Mitten auf dem Schauplatz dieses lebensvollen Bildes standen drei Zelte. Sie waren aus Büffelhäuten gefertigt und mit Adlerfedern geschmückt, ein sicheres Zeichen, daß sie berühmten Häuptlingen zum Obdach dienten. Zwei von ihnen waren jetzt leer. Vor dem dritten aber saß ein alter Indianer, vom Kopf bis zum Fuß herab tätowiert. Er hatte seinen nackten Körper in ein gegerbtes Hirschfell gewickelt. Neben ihm lag eine lange Flinte. An seinem Körper sah man zahlreiche Narben, und die Haare seines Kopfes waren zu einem helmartigen Schopf verbunden, in dem fünf Adlerfedern staken.
   Dieser Mann war das Fliegende Pferd, einer der größten Häuptlinge der Apachen. Sein Haar war ergraut, und er hatte nicht mehr die Kraft, den mutigen Büffel zu jagen. Aber sein Herz war noch jung und sein Gesicht scharf, daher war er der Angesehenste am Beratungsfeuer, und sein Wort galt mehr, als die Stimmen von hundert tapferen Kriegern.
   Da er nicht mit jagen konnte, so saß er vor seinem Zelt und sah dem Schauspiel zu, das ihm durch die Büffeljagd geboten wurde, zu der sich drei befreundete Stämme der Apachen vereinigt hatten.
   Die Ebene war vielfach durch einzelne oder zusammenhängende Büsche unterbrochen, und zwischen diesen grünen Inseln spielten sich die heftigsten Zweikämpfe zwischen Indianern und Büffeln ab. Auch in der Nähe der drei Zelte stand ein dichtes Strauchwerk. Es wurde von dem alten Häuptling kaum beachtet, aber dennoch entging es ihm nicht, daß einige kleine Zweige desselben sich seit kurzem leise bewegten.
   Er ergriff die Büchse, denn er glaubte, irgendein Kleinwild habe sich da verkrochen, und da sein Arm zu schwach war, den Büffel zu töten, so wollte er es wenigstens hier versuchen, einen guten Schuß zu tun. Sein Auge erkannte jetzt eine dunkle Stelle inmitten des Busches. Dort mußte sich das Wild befinden. Er erhob also den Lauf und stand fast im Begriff, den Finger an den Abzug zu legen, als der Busch sich teilte und ein Mann aus demselben trat.
   Das war kein Apache! Das war ein Fremder! Wie kam er in den Busch, inmitten der jagenden Apachen? Kam er als Feind? Er mußte wohl ein sehr berühmter Jäger sein, denn sonst wäre es ihm nicht gelungen, sich bis in den Mittelpunkt eines Jagdfeldes der Apachen zu schleichen, ohne bemerkt zu werden.
   Das Fliegende Pferd behielt den Finger am Drücker; der Fremde aber erhob die linke Hand zum Zeichen, daß er in friedlicher Absicht komme. Er war ganz in starke Büffelhaut gekleidet und hatte eine sehr schwere, alte Doppelbüchse in der Hand. An seinem Gürtel sah man außer dem Munitionsbeutel nur ein Messer und einen Tomahawk. Sein Gesicht war rotbraun, er konnte kein Weißer, sondern nur ein Indianer sein.
   Jetzt nahm er, ohne ein Wort zu sagen, zur linken Hand des Apachen Platz, legte Büchse, Messer und Tomahawk weit von sich, und dann erst, nachdem er diesen Beweis seiner Friedfertigkeit gegeben hatte, sagte er in der einen Mundart der Apachen:
   »Die Söhne der Apachen haben heute eine sehr gute Jagd. Der große Geist ist seinen tapferen Kindern hold.«
   Der alte Apache war nun überzeugt, daß er einen sehr berühmten Krieger vor sich habe; aber trotzdem sagte er im gleichgültigsten Ton:
   »Der Apache jagt, um Fleisch zu machen, aber er weiß nicht nur den Büffel zu treffen, sondern auch seine Feinde.« – »Das Fliegende Pferd sagt die Wahrheit«, meinte der Fremde.
   Über das Gesicht des Alten zuckte es stolz und wohlgefällig.
   »Du bist ein Fremdling und kennst mich!« sagte er. – »Ich habe dich noch nie gesehen, aber der Ruhm des Fliegenden Pferdes dringt über alle Berge und Prärien; wer ihn sieht, der kennt ihn sofort« – »Das Fliegende Pferd ist ein Häuptling, er trägt die Federn des Adlers und sitzt stets auf seinem Pferd, wenn er sein Lager verläßt«, sagte der Alte.
   In diesen Worten lag eine feine Politik, die der Fremde wohl bemerkte, darum antwortete er
   »Andere Häuptlinge haben auch Pferde, aber sie verbergen sie, sobald sie auf Kundschaft gehen. Sie haben auch das Recht, viele Adlerfedern zu tragen und die Skalpe von mehr als hundert Feinden umzuhängen, aber sie wollen es den Mann, dem sie begegnen, nicht sogleich wissen lassen. Ihr Haar ist noch nicht grau, dennoch aber wissen sie, daß ein kleines Täschchen voll List oft besser ist als ein ganzes Zelt voll Pulver und Blei.«
   Das imponierte dem Alten gewaltig. »Viele Adlerfedern und mehr als hundert Feinde!« Das konnte selbst das Fliegende Pferd nicht von sich rühmen. Darum sagte der Alte:
   »Der fremde Mann ist mutig und listig. Er schleicht sich mitten unter die Söhne der Skalpe. Das gelingt nur einem berühmten Krieger. Der Fremde ist kein Komantsche; die Söhne der Apachen sind auf der Jagd, aber nicht auf dem Kriegszug, ihr Kriegsbeil liegt begraben; kommt der Fremde, um die Friedenspfeife mit ihnen zu rauchen?« – »Er hat sie bereits mit ihnen geraucht.« – »So ist der Fremde ein Freund der Apachen?« – »Er ist ihr Bruder. Ein jeder der Jicarilla-Apachen kennt ihn, daher kommt er, zu suchen den berühmten Häuptling derselben, der Shoshinliett heißt, Bärenherz.«
   Jetzt verlor das Gesicht des Alten seine Gleichgültigkeit; er warf einen überraschten, aber freundlichen Blick auf seinen Nachbar und sagte:
   »Der Fremde ist ein Bruder von Bärenherz?« – »Ja.« – »Er hat das Recht, sieben Adlerfedern zu tragen?« – »Ja.« – »Er hat hundertvierzig Skalpe seiner Feinde?« – »Noch mehr.« – »So kenne ich ihn. Er ist Mokaschimotak, Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas. Er ist der König der Büffeljäger, und darum trägt er die Adlerfedern nicht, sondern läßt sie in seinem Wigwam zurück.« – »Das Fliegende Pferd hat recht geraten«, sagte Büffelstirn. »Mein Bruder Bärenherz befindet sich hier bei den Kriegern der Apachen.« – »Ja. Er hat heute ganz allein mehr als zehn Büffel getötet. Der Häuptling der Mixtekas soll ihn sprechen, er soll unser Bruder sein, und die Krieger der Apachen werden seine Brüder sein und ihn nicht töten.«
   Über das kühne, ernste Gesicht Büffelstirns glitt ein leises, ganz leises Lächeln. Er antwortete:
   »Die Krieger der Apachen würden ihn nicht fangen und töten, selbst wenn sie seine Feinde wären. Büffelstirn kennt niemanden, den er zu fürchten hat.«
   Der Alte gab seine Zustimmung durch ein längeres Schweigen, dann fragte er:
   »Soll ich einen Krieger rufen, daß er Büffelstirns Pferd hole?«
   Der Gefragte verneinte und erwiderte:
   »Die Krieger der Apachen sind sehr beschäftigt, die Büffel zu töten. Büffelstirn wird selbst gehen, um sein Pferd zu holen. Es ist keine Schande für einen Häuptling, nach dem Tier zu sehen, das ihn getragen hat.«
   Er erhob sich, ging und wand sich von Busch zu Busch über den schmälsten Teil der Prärie hinweg, ohne von einem der Apachen gesehen zu werden. Sie wußten sich so sicher vor Feinden, daß sie die sonstige Vorsicht nicht für nötig hielten; zudem war eine jede seiner Bewegungen so berechnet und schlau, daß er selbst einen aufmerksamen Feind getäuscht hätte. Er hatte dies hier gar nicht nötig, aber als Indianer suchte er seine Befriedigung darin, selbst auf dem Gebiet der Freunde zu verweilen, ohne von ihnen gesehen zu werden.
   Die Prärie, die hier eigentlich nur eine Einbuchtung der großen Savanne genannt werden konnte, stieß an einen mächtigen Urwald, der die Höhen und Schluchten bedeckte, die sich nach dem eigentlichen Gebirge emporzogen. Büffelstirn bog in diesen Urwald ein, durchschritt ihn quer und stand soeben im Begriff, in eine der Schluchten hinabzusteigen, als er da unten ein lautes Stampfen und das gewaltsame Brechen von Büschen und Sträuchern vernahm. Hinabschauend, gewahrte er einen Büffelstier, der aus der offenen Prärie hereinbrach und von einem Indianer zu Pferde verfolgt wurde. Dieser trug den Köcher auf dem Rücken, den Bogen in der Linken, in der Rechten aber den langen, elastischen Büffelspeer, der für den Büffel gefährlicher ist als eine Büchsenkugel. Es war ein junger, kaum zwanzigjähriger Mensch, ein älterer und erfahrenerer Krieger hätte das weiche, saftige Fleisch einer Büffelkuh dem harten eines alten Stiers vorgezogen und es sich auch nicht einfallen lassen, so einem mächtigen Tier auf ein so gefährliches Terrain zu folgen. Dieser aber hatte sich von der Jagdlust hinreißen lassen und folgte dem Stier durch dick und dünn, so daß die zusammenschlagenden Äste ihm das Gesicht zerschlugen und ihn fast vom Pferd rissen.
   So stürmten sie in die enge, kurze Schlucht hinein, in deren Hintergrund Büffelstirn sein Pferd versteckt hatte. Als hier der Stier sah, daß er nicht weiter konnte, senkte er den unter der gewaltigen Mähne fast ganz verborgenen Kopf und warf sich gerade in dem Augenblick herum, wo der Indianer den Speer nach der Stelle schleuderte, an der der Büffel am leichtesten zu verwunden ist – hinter und oberhalb der Gegend, wo die Mähne aufhört.
   Durch die Bewegung des Tieres wurde jedoch der Zielpunkt verändert, der Speer drang in eine ganz ungefährliche Stelle ein, und nun senkte der Büffel, der sich verwundet fühlte und schnaufend einen heißen Dampf aus den Nüstern blies, den Kopf mit den kurzen, spitzen und fürchterlichen Hörnern abermals und stieß dieselben dem Pferd in den Leib, so daß es im Nu mit aufgeschlitztem Bauch zur Erde stürzte und die Eingeweide ihm heraushingen.
   Der Indianer hatte sich, schon im Sturz, durch einen raschen Sprung auf die Erde gerettet Er besaß keine anderen Waffen als seine Pfeile und sein Messer. Doch ein Moment genügte, um einen Pfeil aus dem Köcher zu nehmen, im zweiten war der Bogen gespannt, und im dritten schwirrte der Pfeil von der Sehne ab und dem Stier in das eine Auge.
   Das war eine seltene Geistesgegenwart, aber der Stier besaß noch ein Auge, mit dem er sehen konnte. Er stieß ein heiseres Brüllen aus, hielt einen Augenblick inne und senkte den Kopf abermals zu einem Stoß, der jetzt ebenfalls tödlich gewesen wäre. Da blitzte neben dem Indianer ein Schuß auf, und mit dem Krachen desselben warf der Büffel den Kopf zur Seite, dann durchlief ein gewaltiges Zittern seinen kolossalen Körper, und er brach erst auf die vorderen, dann auf die hinteren Knie zusammen und fiel tot zur Seite; die Kugel war ihm durch das andere Auge bis in das Gehirn gedrungen.
   Als Büffelstirn bemerkte, welch einen unglücklichen Ausgang der Kampf nehmen mußte, war er den steilen Hang hinabgesprungen und hatte den Schuß abgefeuert, war aber den Moment, wo der Indianer sich jetzt nach ihm umwandte, nach Jägerart schon beschäftigt, den abgeschossenen Lauf wieder zu laden.
   »Schmeckt meinem Bruder das Fleisch eines Stiers besser als das einer Kuh?« fragte er ruhig. »Tötet mein Bruder den Büffel lieber im Wald als in der offenen Prärie? Mein Bruder tue in Zukunft das, was besser und klüger ist.«
   Man konnte trotz der dunklen Haut des Wilden deutlich sehen, daß er errötete. Sofort aber hatte er sich gefaßt, warf das Haupt stolz in den Nacken und antwortete auf die Zurechtweisung in zornigem Ton:
   »Was geht es dich an, wenn der Stier mich getötet hätte?« – »Hat mein Bruder keinen Vater, der um ihn getrauert hätte?« – »Mein Vater ist das Fliegende Pferd!« sagte der Indianer stolz. – »Und wie heißt du?« – »Mein Name wird genannt werden auf allen Höhen und in allen Tälern.« – »Du hast noch keinen Namen? So wärst du also hier gestorben, ohne daß man hätte sagen können, wen man begraben habe. Mein junger Bruder ist einer sehr großen Schmach entgangen. Er möge vorsichtiger sein, dann wird er einst einen sehr berühmten Namen tragen.«
   Bei den Apachen erhält nämlich der junge Krieger erst dann seinen Namen, wenn er seine erste Heldentat verrichtet und den Skalp eines Feindes erobert hat. Es ist eine Schande, als junger Mann getötet zu werden, ohne einen Namen zu besitzen.
   Darum steigerte sich der Zorn des Apachen bei den letzten Worten Büffelstirns noch mehr, und er zog das Messer und sagte:
   »Soll ich deinen Skalp nehmen und dann einen Namen haben?«
   Büffelstirn lächelte und antwortete:
   »Ich würde zehnmal den deinen haben, ehe du einmal den meinen!« – »Versuche es!«
   Mit diesem Ausruf faßte der Apache den anderen bei der Brust und holte zum Stoß aus, aber blitzschnell ergriff Büffelstirn die Hand, die das Messer hielt und drückte sie mit solcher Gewalt zusammen, daß der Apache einen lauten Schrei des Schmerzes ausstieß und das Messer fallen ließ.
   »Seit wann schreit ein Apache, wenn er Schmerz fühlt?« fragte der Häuptling der Mixtekas. »Seit wann tötet ein Apache denjenigen, der ihm das Leben gerettet hat? Ich hätte jetzt das Recht und die Gelegenheit, dir den Skalp zu nehmen, aber ich schenke dir das Leben, denn – dort kommt ein anderer, mit dem es würdiger ist zu kämpfen.«
   Büffelstirn deutete nach dem gegenüberliegenden Rand der Schlucht. Dort teilte sich nämlich soeben das Gebüsch, und die beiden sahen einen Bären, der hervortrat.
   Es war nicht der kleine, braune Bär, sondern der ungeheure graue Bär des Gebirges, den die Amerikaner Grizzly nennen. Er ist, wenn er sich emporrichtet, oft über neun Fuß hoch, besitzt genug Kraft, den größten Ochsen weit genug fortzutragen, und ist das gefährlichste Raubtier des amerikanischen Kontinents. Wer einen grauen Bären erlegt, gilt für einen Helden, als wenn er zehn Feinde getötet und ihre Skalpe erobert hätte.
   Der Bär war jedenfalls durch die Witterung des Pferdes angelockt worden; da er aber jetzt eine andere Beute vor sich sah, so wandte er sich dieser zu.
   »Oh, hätte ich die Büchse meines Vaters!« rief der junge Apache.
   Ein Apache bekommt nämlich erst bei der Namensgebung ein Feuergewehr in die Hand.
   »Hier hast du die meinige«, sagte Büffelstirn.
   Der junge Mann blickte ihn erstaunt an. Das war ihm unbegreiflich, das war ja ganz unmöglich, auf einen solchen Ruhm und eine solche Beute zu verzichten. Als er aber sah, daß es wirklich ernst gemeint sei, ergriff er mit einem lauten Jubelruf die Büchse, spannte die beiden Hähne und sprang über die Sohle des Tales hinüber, dem Bären entgegen.
   Noch schneller aber war Büffelstirn. Er zog sein Messer, sprang in einem Bogen auch nach dem gegenüberliegenden Rand und kam auf diese Weise dem Bären in den Rücken. Er wollte den Kampf überwachen und, im Fall dieser für den Apachen unglücklich ablaufen sollte, sich mit dem Messer auf das Tier werfen.
   Dieses letztere hatte nur den Apachen im Auge. Es befand sich jetzt nur noch sechs Schritt von ihm entfernt und erhob sich auf die Hinterpranken, um ihn zu erdrücken. Dies benutzte der Wilde. Er legte an, zielte zwischen die Rippen auf die Herzgegend, drückte los und sprang in demselben Augenblick, den zweiten Lauf fest auf das Tier gerichtet, zur Seite.
   Dieses tat noch einen, zwei – fünf Schritt vorwärts, blieb dann stehen, stieß ein tiefes, röchelndes Brummen aus, wobei ihm ein dicker Blutstrom aus dem Rachen quoll, und brach zusammen.
   »Das war gut!« rief Büffelstirn. »Der Bär ist gerade in das Herz getroffen. Mein Bruder hat ein sicheres Auge und eine feste Hand. Er hat nicht gezittert und wird einst ein berühmter Krieger werden. Er hat nun das Recht, einen Namen zu erhalten, und ich werde sein Freund sein, so lange der große Manitou mir das Leben schenkt!«
   Der Apache hatte angesichts des furchtbaren Raubtiers nicht gezittert, jetzt aber bebte er vor Freude.
   »Ist er wirklich tot?« fragte er. – »Ja. Mein Bruder kann sich das Fell nehmen und den geräucherten Kopf als Siegeszeichen aufbewahren, als Erinnerung an die erste Heldentat, die er verrichtete.«
   Der Apache gab ihm die Büchse zurück und kniete vor dem Bären nieder, in welchem in Wirklichkeit keine Spur von Leben mehr war. Dieser Wilde war mehr erfreut als mancher Weiße, der die Insignien des höchsten Ordens erhalten hat. Er machte sich sogleich daran, seiner Beute das Fell abzuziehen.
   Büffelstirn aber lud seine Flinte, schlich zu seinem Pferd, band es los und ritt davon. Er wollte das Entzücken des Apachen nicht stören, das so groß war, daß derselbe sich gar nicht mehr um den Davonreitenden bekümmerte.


   33. Kapitel

   Als Büffelstirn den Rand der Prärie erreichte, war die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden, in einer halben Stunde mußte es Nacht sein. Man sah die Apachen beschäftigt, die erlegten Büffel mittels des Lassos von ihren Pferden in die Nähe der Zelte schleifen zu lassen. Der Mixteka gab sich jetzt keine Mühe mehr, nicht gesehen zu werden, er sprengte gerade auf die Zelte zu, wo sich bereits einige hundert Krieger mit ihrer Beute versammelt hatten, und sprang dort vom Pferd.
   Vor dem zweiten Zelt stand ein junger Häuptling mit drei Adlerfedern im Schopf. Es war Bärenherz. Er trat auf Büffelstirn zu und streckte ihm die Hand zum Willkommen entgegen.
   »Mein Herz hat sich gesehnt nach dir«, sagte er. »Ich danke dir, daß ich dich wiedersehe. Sei der Gast meines Zeltes und rauche das Kalumet mit meinen Brüdern.«
   Die Krieger, die im Kreise herumstanden, betrachteten mit Ehrfurcht den berühmten Häuptling der Mixtekas und bildeten eine Gasse, als Bärenherz ihn zu den beiden anderen Häuptlingen führte, die vor dem Zelt des Fliegenden Pferdes saßen. Sie erhoben sich, obgleich der Alte den Mixteka gesehen hatte, und reichten ihm die Hände. In kurzer Zeit brannte ein Feuer, man briet viele Büffelrippen über demselben, und dann wurden noch mehrere angebrannt, immer eins neben dem anderen, so daß sich bald ein Halbkreis von Feuern gebildet harte, in dessen Mittelpunkt die drei Häuptlinge mit dem Gast saßen. Das bratende Fleisch verbreitete einen Geruch, der auch dem verwöhntesten Gaumen Appetit gemacht hätte, und die Flammen warfen ihre Reflexe hinaus auf die Prärie, wo kein Krieger sich mehr befand und nur die feigen Präriewölfe hin und her huschten, angelockt von der Ausdünstung des vergossenen Büffelbluts.
   Nur einer fehlte, der Sohn des Fliegenden Pferdes. Sie alle wußten es, aber keiner sagte ein Wort. Es wurde überhaupt bei der Zubereitung des Mahles keine Silbe gesprochen. Die geselligen Zusammenkünfte und Vergnügungen der wilden Indianer werden ja stets durch ein anhaltendes Schweigen eingeleitet. Nur dann, wenn das Fleisch gar ist, hat der oberste Häuptling das Recht, die Unterhaltung zu beginnen.
   Da plötzlich wurden aller Augen nach einer grotesken, fürchterlichen Gestalt gerichtet, die langsam dahergeschritten kam. Es war der junge Apache. Er hatte dem Bären das Fell abgenommen, den Kopf aber drangelassen. Diesen Kopf hatte er sich auf den seinigen gesetzt, so daß ihn das Fell wie ein weiter, ungeheurer Mantel umgab. Der Bär war so groß gewesen, daß dieser Mantel eine Elle lang am Boden nachschleifte.
   Am Feuer der Häuptlinge hielt er an, er wunderte sich, den fremden Helfer bei ihnen sitzen zu sehen, verriet das aber durch keine Miene und legte die beiden Tatzen des Bären, die er in der Hand hielt, vor Büffelstirn nieder. Das war eine ehrenvolle und für die anderen sehr überraschende Widmung. Sie merkten daraus, daß Büffelstirn mit der Erlegung des Bären in irgendeinem Zusammenhang stehe und daß er der Namensgeber, der Pate des jungen Häuptlingssohnes sein solle, aber keiner sprach ein Wort, sogar das Fliegende Pferd nicht. Doch man sah die Augen des Alten leuchten vor Freude, daß sein jüngster Sohn eine solche Heldentat verrichtet und den gefürchteten Grizzly erlegt habe.
   Endlich, als das Fett aufzuhören begann, in das Feuer zu tropfen, und die Bratstücke sich bräunten, griff das Fliegende Pferd nach der bereitgehaltenen Friedenspfeife, erhob sich und begann:
   »Heute ist den Kriegern der Apachen große Freude widerfahren, denn Büffelstirn, der große Häuptling der Mixtekas, der Freund unseres Bruders Bärenherz, ist gekommen, um das Kalumet mit ihnen zu rauchen. Seine Hand ist stark und sein Fuß schnell, seine Gedanken sind die Gedanken eines Weisen, und alles, was er tut geschieht in der Weise eines Helden. Er sei uns willkommen!«
   Der Häuptling legte nunmehr eine Kohle auf den Tabak, tat aus der Pfeife sechs Züge, die er nach dem Himmel, der Erde und den vier Richtungen von sich blies, reichte die Pfeife dem Gast, der sich wieder erhoben hatte und nun sprach:
   »Die Söhne der Apachen sind große und tapfere Krieger, sogar ihre Knaben erlegen den grauen Bären mit einer einzigen Kugel und ohne mit der Wimper zu zucken.«
   Aller Augen richteten sich bei diesen Worten auf den Sohn des Häuptlings. Dieser hatte aus den Worten seines Vaters erfahren, welchem berühmten Mann er solche Güte zu verdanken habe, und sein Herz bebte vor Wonne. Im Auge des Alten aber glänzte es feucht, als er hörte, daß sein Sohn von einem solchen Krieger und Häuptling sogar in der ersten, allgemeinen Anrede ausgezeichnet werde. So eine Auszeichnung war noch niemals erlebt worden. Büffelstirn fuhr fort:
   »Der Häuptling der Mixtekas ist zu ihnen gekommen, um ihnen eine Kunde zu bringen. Sie mögen ihn hören nachher, wenn das Mahl gehalten ist. Ihre Feinde sind seine Feinde und ihre Freunde seine Freunde. Er läßt sein Leben für jeden Sohn der Apachen und wird sich freuen, den Ruhm der Mixtekas mit dem ihrigen zu vereinigen.«
   Nach diesen Worten tat auch er die sechs beschriebenen Züge aus der Friedenspfeife und gab sie dann an Bärenherz. Dieser und nach ihm der dritte Häuptling, der ein Sohn des Fliegenden Pferdes war, taten unter ähnlichen Höflichkeitsausdrücken ebenso, und nun ging die Pfeife im Kreis der Krieger herum. Nur der Sohn des Alten durfte sie nicht in den Mund nehmen, da er noch keinen Namen hatte.
   Als diese Zeremonie beendet war, begann das Essen. Die großen Stücke Büffelfleischs verschwanden in einer Zeit, deren Kürze ganz erstaunlich war, und dann erklärte der Alte, daß man bereit sei, die Kunde Büffelstirns zu vernehmen.
   Dieser erhob sich und begann:
   »Es ist in dem Land Mexiko ein großer Streit ausgebrochen. Die Krieger und Männer sind mit dem Häuptling, den sie sich gewählt hatten, nicht mehr zufrieden. Er ist ein Bleichgesicht und tut nichts, was seines Amtes ist. Sie haben sich einen anderen Häuptling namens Juarez gewählt. Er ist stark wie ein Büffel, schlau wie ein Panther und erfahren in allen Dingen, die ein Häuptling wissen muß. Er hat die Stimme seines Volkes gehört und will die Seinen glücklich machen. Daher hat er sich mit tapferen Kriegern umgeben und durchzieht das Land, um alle zu sammeln, die zu ihm gehören. Da ist es dem bisherigen Häuptling angst geworden, und er hat viele Boten zu den Söhnen der Komantschen gesandt, die ihm helfen sollen. Die Häuptlinge der Komantschen aber haben eine große Beratung gehalten und ihm ihre Hilfe versprochen. Jetzt brechen sie auf, viele hundert Krieger stark, und ziehen nach Mexiko. Sie wollen sich zwischen dieses Land und die Weidegründe der Apachen legen. Wenn ihnen dies gelingt, so sind die Krieger der Apachen von den südlichen Gebieten abgeschnitten und werden in die Gebirge gedrängt, wo sie großen Mangel leiden müssen, denn der Winter ist vor der Tür. Der neue Häuptling der Mexikaner aber liebt die tapferen Krieger der Apachen, er will nicht haben, daß sie von den Hunden der Komantschen verdrängt werden, und sendet mich, ihnen zu sagen, daß er sich mit ihnen vereinigen will, den Feind zurückzujagen. Die Komantschen befinden sich bereits auf dem Kriegspfad, aber wenn die Apachen sofort aufbrechen und sich zwischen die Wüste Mapimi und die Stadt stellen, die man Chihuahua nennt, so können die Komantschen ihren Weg nicht fortsetzen und werden mitten in der Wüste erschlagen. Wenn die Krieger der Apachen meine Stimme hören, so werden sie viele Skalpe erbeuten und einen großen Sieg erfechten.«
   Nach diesen Worten setzte er sich wieder nieder. Die Versammelten blieben zunächst in ein tiefes Schweigen versunken. Dann sagte das Fliegende Pferd:
   »Die Worte unseres Bruders klingen gut. Der neue Häuptling Juarez ist ein roter Mann, dessen Stimme wir lieber hören als diejenige eines Bleichgesichts; die Söhne der Apachen werden sich nicht verdrängen lassen von den Feiglingen der Komantschen. Das Fliegende Pferd bittet die beiden anderen Häuptlinge, ihre Stimme zu erheben.«
   Da stand Bärenherz auf und sprach:
   »Hier steht mein Bruder Büffelstirn. Er ist ein berühmter Krieger, er fürchtet keinen Feind, und auf seiner Zunge wohnt nur das Wort der Wahrheit. Er wird nie etwas sagen und fordern, was den Söhnen und Töchtern der Apachen Schaden bringen könnte. Ich habe mit ihm die Komantschen getötet und werde mir mit ihm noch viele ihrer Skalpe holen. Sie befinden sich bereits auf dem Weg, und darum darf keine Zeit verloren werden. Hier sind versammelt drei Stämme der Apachen, um Fleisch zu machen für den Winter. Ich bin der Anführer der tapferen Jicarilla-Apachen, ich werde sogleich mit ihnen aufbrechen, wenn die beiden anderen Stämme uns versprechen, Fleisch für den Winter für uns zu bereiten und uns dann nachzukommen.«
   Der dritte Häuptling, der Sohn des Alten, nahm auch das Wort.
   »Mein Bruder Bärenherz hat die Wahrheit gesprochen«, sagte er. »Die Krieger der Apachen dürfen keine Zeit verlieren. Einer der Stämme muß schnell aufbrechen, und welcher dies sein soll, ob der seinige oder der meinige, das soll die Beratung entscheiden.«
   Somit hatten alle drei Häuptlinge sich einverstanden erklärt, und es galt nur noch, den Medizinmann zu befragen. Medizin bedeutet bei den Indianern nicht Arznei, sondern Zauber, der Medizinmann ist also der Zauberer, der einen großen Einfluß auf alles einzelne und allgemeine hat, besonders wichtig ist seine Zustimmung, wenn es sich um einen Kriegszug handelt. Sagt er voraus, daß der Zug verunglücken werde, so wird derselbe nicht unternommen.
   Der Mann hatte alle Insignien seiner Würde bei sich, wunderbar geformte Skalpe, Beutel, Haarschöpfe, Stäbe und Fähnchen. Er hüllte sich jetzt in die frische Haut eines der getöteten Büffel, legte die Zeichen seiner Würde an und begann einen Tanz, der um so ungeheuerlicher und grotesker aussah, als er von den düsteren Feuern beschienen wurde, die tiefe Schatten in die dunkle Ebene hinaus zeichneten.
   Die Indianer sahen mit ernster Andacht zu und wurden nicht ungeduldig, obgleich der Tanz eine ziemliche Weile in Anspruch nahm. Endlich hielt der Zauberer in seinen Bewegungen inne, nahm zwei Feuerbrände und beobachtete die Richtung des Rauches, dann warf er einen forschenden Blick zu den Sternen empor und verkündete mit lauter Stimme:
   »Manitou, der große Geist, zürnt den Kröten, die sich Komantschen nennen; er gibt sie in die Hände der Apachen und gebietet, daß die Krieger der Jicarilla ausziehen, sobald die Sonne sich zum zweiten Male erhebt, die anderen Stämme sollen ihnen folgen, wenn das Fleisch getrocknet ist, das für den Winter reicht.«
   In diesen Worten war nicht nur die Erlaubnis Gottes zum Kriegszug enthalten, sondern es war auch auf eine schnelle und darum praktische Weise die Frage entschieden, welcher Stamm zunächst aufzubrechen habe; es war der Stamm, dessen Häuptling Bärenherz war. Diese Leute jubelten vor Freude. Sie erhielten einen vollen Tag Zeit, ihre Vorbereitungen zu dem Kriegszug zu treffen. Dies war ein Umstand, der sie sehr befriedigte, denn ohne diese Vorbereitungen, zu denen besonders das Anmalen mit den Kriegsfarben gehört, glaubt der Indianer nicht an einen glücklichen Ausgang.
   Es wurden nun noch verschiedene Einzelheiten besprochen, über die man sich schnell einigte, denn alle waren begeistert von dem Gedanken, den Komantschen so viele Skalpe wie möglich abzunehmen.
   Nach diesen notwendigen Verhandlungen war es dem Fliegenden Pferd möglich, seinem jüngsten Sohn gerecht zu werden. Dieser hatte bis jetzt bewegungslos dagesessen und kein Wort gesprochen. Nun aber fragte ihn sein Vater:
   »Mein Sohn hat sich in die Haut des Bären gekleidet. Hat er ein Recht dazu?« – »Ich habe ihn erlegt«, antwortete der junge Mann. – »Allein?« – »Ganz allein.« – »Mit welcher Waffe?« – »Mit der Büchse, die der berühmte Häuptling der Mixtekas mir lieh. Er ist Zeuge.«
   Da wandte sich der Alte an Büffelstirn und sagte:
   »Der Häuptling der Mixtekas ist Zeuge von dem Kampf mit dem Bären, denn die Tatzen desselben liegen zu seinen Füßen. Er mag uns erzählen, was er gesehen hat.«
   Büffelstirn erzählte mit kurzen Worten das Vorkommnis, vermied aber dabei alles, was den jungen Mann kränken konnte. Als er geendet hatte, erhob sich Bärenherz und sagte:
   »Der Sohn des Fliegenden Pferdes hat den Grizzly erlegt; er hat dazu eines einzigen Schusses bedurft, das ist mehr, als wenn er zwanzig feige Söhne der Komantschen getötet hätte, sein Herz ist stark, seine Hand fest und sein Auge sicher, er verdient, aufgenommen zu werden unter die Schar der Krieger. Bärenherz will, daß sein junger Bruder einen Namen erhalte.«
   Das war sehr schmeichelhaft für Vater und Sohn, denn beide hatten als die Beteiligten kein Recht, den Antrag zu stellen, den Bärenherz jetzt ausgesprochen hatte. Er erhielt allgemeinen Beifall. Der Besieger des Bären stand noch immer aufrecht am Feuer. Sein Auge glänzte vor Stolz und Freude, und er sagte:
   »Bärenherz, mein Bruder, ist berühmt unter den Berühmten; seiner Rede verdanke ich es, daß ich einen Namen haben werde. Wann soll das Fest des Namens gefeiert werden?« – »Sobald die Söhne der Apachen heimgekehrt sind in ihre Wigwams«, antwortete der Alte. – »Darf einer, der keinen Namen hat gegen die Hunde der Komantschen ziehen?« – »Nein.« – »Aber ich will jetzt Bärenherz, meinen Freund, nach Mexiko begleiten; darum soll man mir bereits morgen einen Namen geben.« – »Das ist nicht Sitte; aber die Tatzen des Bären gehören dem Häuptling der Mixtekas, er ist unser Gast und mag entscheiden, wann er einen Namen für dich hat.«
   Da sagte Büffelstirn:
   »Diesen Namen habe ich bereits. Mein junger Freund hat den Grizzly überwunden, und darum soll er Grizzlytastsa, der Grizzlytöter, heißen. Ich werde ihm morgen diesen Namen geben, und wenn mein Bruder, das Fliegende Pferd, erlaubt, so soll Grizzlytöter mit uns nach Mexiko reiten, um sich die Skalpe der Komantschen zu holen, nachdem er sich die Haut des Bären genommen hat.«
   Dieser Vorschlag des berühmten Häuptlings war abermals eine ehrenvolle Auszeichnung für den jungen Apachen und wurde darum sofort angenommen.
   Damit war die Beratung beendet, aber noch lange saßen die Männer beisammen, um sich in ihrer ernsten, ruhigen Weise über den beabsichtigten Kriegszug auszusprechen. Einige brachen trotz der Dunkelheit nach der Schlucht auf, um den von Büffelstirn getöteten Stier und den abgezogenen Bären herbeizuschaffen. Es geschah dies durch Schleifen, die man aus freier Hand fertigte und an die man mittels Lassos die Pferde spannte.
   Darauf trat die nächtliche Stille ein. Büffelstirn schlief im Zelt Bärenherzens, und das Lager war von Posten bewacht, die sich stündlich abzulösen hatten.
   Am anderen Morgen wurde die Feier der Namensgebung vorgenommen, bei der die beiden gebratenen Bärentatzen eine Hauptrolle spielten. Grizzlytöter erhielt die beste Büchse seines Vaters und als Häuptlingssohn das Recht, eine Adlerfeder in seinem Haarschopf zu tragen. Am Nachmittag begannen die Kriegsmalereien. Es waren gegen zweihundert Krieger, die bei Anbruch des Tages abziehen sollten, und sie alle hatten vollauf zu tun, ihre Kleider und Waffen mit den Trophäen früherer Siege zu schmücken.
   Als diese Schar am anderen Morgen das Lager verließ, wurde sie von den übrigen eine Strecke lang begleitet, und erst nach der Trennung formierte man den bekannten indianischen Zug, indem ein Reiter dem anderen folgte. Der älteste Krieger erhielt das Kommando über die Schar; Büffelstirn, Bärenherz und Grizzlytöter aber ritten im Galopp davon, um eine halbe Tagereise vor den Ihrigen die Gegend zu erkunden und für die nötige Sicherheit zu sorgen.
   Da man die offene Prärie nicht benutzen durfte, so führte der Zug in das Gebirge und über die verschiedenen Stufen desselben empor auf die Hochebene; dies gab einen Aufenthalt, eine Verspätung, die man aber der Vorsicht halber keineswegs umgehen konnte, und erst am fünften Tag nach dem Aufbruch wurde die Wüste Mapimi erreicht, und zwar an einem Punkt, der sich ungefähr zwischen dem Muschelsee und dem westlichen Ende der Wüste befand.
   Da es galt, zwischen Chihuahua und den heranziehenden Komantschen Stellung zu nehmen, so drangen die drei Männer nach Süden vor, immer weiter in die Mapimi ein, bis sie plötzlich alle drei zugleich ihre Pferde anhielten, denn gerade im rechten Winkel zu ihrer jetzigen Richtung führten Spuren vorüber.
   »Reiter!« sagte Grizzlytöter, indem er vom Pferd stieg. »Mein Bruder mag zählen, wieviel es ihrer waren«, sagte Bärenherz, indem er ruhig im Sattel blieb. Er wollte nur den Scharfsinn des jungen Apachen üben, denn für ihn selbst hätte es nur einer halben Minute bedurft, um die Zahl der vorübergekommenen Pferde zu erkennen.
   Grizzlytöter untersuchte die Fährte und sagte dann: »Es waren zehn und ein Pferd.« – »Das ist richtig. Wer hat auf diesen Pferden gesessen?« – »Es waren Bleichgesichter.« – »Woraus sieht das mein Bruder?« – »Sie sind nicht hintereinander geritten. Ihre Spur ist so breit, daß man alle Huftritte zählen kann.« – »Wann kamen sie vorüber?«
   Der junge Apache bückte sich abermals nieder und antwortete dann:
   »Die Sonne steht jetzt bald über uns; sie sind vorübergekommen, als sie gestern fast am Horizont war.« – »Hatten diese Bleichgesichter Eile oder nicht?« – »Sie hatten sehr große Eile, denn der Sand wurde von den Hufen zurückgeschleudert. Sie sind im Galopp geritten.« – »Mein Bruder hat sehr richtig gesehen, nun aber mag er mir noch sagen, ob es gute Männer waren oder böse!«
   Grizzlytöter blickte den Häuptling einigermaßen ratlos an, schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf und erwiderte dann:
   »Wer soll das aus dieser Fährte erkennen! Kein Mensch!« – »Ich werde meinem Bruder beweisen, daß es zu erkennen ist. Die Mapimi ist hier vier Tagereisen breit. Wer über drei Tagereisen geritten ist, dessen Tier ist sehr ermüdet, und er wird es schonen. Die Eindrücke der Hufe sind nicht leicht, wie beim Galopp, sondern sehr tief; die Sprünge sind nicht weit und langgestreckt, sondern kurz gewesen. Die Tiere waren angegriffen und wurden über die Maßen angestrengt, die Reiter befanden sich also auf der Flucht.«
   Grizzlytöter wollte sich verteidigen und sagte:
   »Auch wer sich auf der Verfolgung befindet, reitet schnell.« – »Hätten sie einen Feind verfolgt, so wären sie auf dessen Fährte geritten, dies ist nicht der Fall; es gibt keine frühere Fährte, sie sind geflohen, sie befanden sich auf der Flucht und werden verfolgt. Es sind also böse Menschen gewesen.«
   Büffelstirn nickte und sagte, scharf nach der Richtung blickend, aus der die Fährte kam:
   »Bärenherz hat recht. Die Verfolger können bald eintreffen, und da wir uns nicht sehen lassen dürfen, so mag Grizzlytöter zurückreiten und sagen, daß die Krieger der Apachen uns nicht hierher folgen mögen; sie sollen weiter nach Norden über die Höhen gehen, welche die Mapimi begrenzen, und dort auf mich und Bärenherz warten. Wir werden sehen, was diese Spuren zu bedeuten haben.«
   Der junge Apache gehorchte. Er setzte sich auf sein Pferd und ritt im Galopp zurück. Die beiden anderen verfolgten den westlichen Lauf der Spuren und blickten sich dann an. Sie sahen, daß sie ganz denselben Gedanken hatten.
   »Die Fährte geht gerade nach West«, sagte Büffelstirn. – »In jenen Paß hinein. Das ist ein gefährlicher Ort.« – »Vielleicht stellen die Verfolgten den Verfolgern eine Falle. Wir wollen nachsehen.« – »Aber wir müssen unsere Spuren verbergen, denn die Verfolger können doch unsere Feinde sein. Mein Bruder mag mir helfen.«
   Sie löschten die Tapfen ihrer Pferde und ihre eigenen mit einer Geschicklichkeit aus, die bewunderungswert genannt werden mußte, und als dies auf einer genügend langen Strecke geschehen war, ritten sie einen Bogen und erreichten die Berge, die an der westlichen Grenze der Mapimi liegen, vielleicht eine englische Meile nördlich von der Stelle, an der der Paß durch die Berge führt.
   Es gab zwar hier ein außerordentlich schwieriges Terrain, aber dennoch lenkten sie ihre Pferde die schroffen, von Gebüsch besetzten Höhen hinan, wieder in die Tiefe hinab und ließen sie hier, wo sie in Sicherheit waren, stehen. Dann stiegen sie einen Felsenrücken empor und konnten nun von hier aus eine ziemliche Strecke des Passes übersehen. Derselbe bildete gerade unter ihnen das Tal, in dem Verdoja zum letzten Mal gelagert hatte und von dem aus die kleine Seitenschlucht nach Süden lief, in der die Mexikaner zurückgeblieben waren, die Sternau töten oder fangen sollten. Davon aber wußten die beiden Indianer nichts.
   Sie hatten sich auf den Boden niedergeduckt und konnten von unten unmöglich gesehen werden, während ihre scharfen, geübten Augen alles erkannten, was unter ihnen lag.
   »Uff!« sagte da plötzlich Bärenherz.
   Dieses Wort war ein sicherer Beweis, daß er etwas Ungewöhnliches bemerkte. Büffelstirn sah ihn an und folgte dann der Richtung seiner Augen. Da erkannte er einen Mann, der aus dem Seitental empor zur Höhe stieg. Die Entfernung war so groß, daß der Mann einem großen Käfer glich, der sich aufwärts bewegte, dennoch aber wußten die beiden sofort, wie sie ihn zu bezeichnen hatten.
   »Ein Mexikaner«, sagte Büffelstirn. – »Ja«, antwortete Bärenherz. »Das Seitental scheint besetzt zu sein.« – »Sie stellen den Verfolgern einen Hinterhalt.«
   Die beiden Indianer warteten nun, bis der Mann die gegenüberliegende Höhe erreicht hatte, dort stillstand und nach Osten blickte, und sie folgten mit ihren Augen dann ganz unwillkürlich derselben Richtung. Es vergingen einige Sekunden, ehe sie den dortigen Horizont abgesucht hatten, da aber meinte Büffelstirn:
   »Uff, sie kommen!« – »Drei Reiter!« fiel Bärenherz ein.
   In der Tat erblickten sie jetzt drei kleine Punkte, die aber so winzig waren, daß sie nur von zwei Paar solcher Augen erkannt werden konnten, wie sie die beiden Indianer besaßen. Der Mexikaner da drüben, jenseits des Passes, hatte sie jedenfalls noch nicht erkannt.
   »Sollten es die Verfolger sein?« fragte Bärenherz. – »Nein«, antwortete Büffelstirn. – »Warum nicht?« – »Würden elf Krieger vor dreien fliehen?« – »Warum nicht, wenn diese drei tapfer genug sind! Übrigens können diese drei ja der Vortrab einer größeren Horde sein.« – »Wir müssen es abwarten.«
   Sie beobachteten den Mann, der drüben auf dem Berg stand, auch fernerhin mit großer Aufmerksamkeit. Er stieß jetzt einen Ruf aus und stieg so schnell wie möglich von der Höhe herab. Offenbar hatte er die drei Nahenden jetzt auch bemerkt.
   »Er benachrichtigt die anderen, die sich versteckt haben«, meinte Bärenherz.
   Und so war es wirklich, denn nachdem er in dem Seitental verschwunden war, erschien er eine Minute später mit noch zwei anderen, die aus dem Tal herauskamen und sich mit ihm hinter einen Felsen versteckten, der die ganze Breite des Passes beherrschte.
   »Sie werden die Nahenden töten«, sagte Bärenherz. – »Aber weshalb sind es nur drei, da wir doch elf Spuren fanden?« – »Die anderen haben den Ritt fortgesetzt, da die drei Feiglinge genug sind, um drei tapfere Männer aus dem Hinterhalt zu ermorden.« – »Wollen wir die Bedrohten warnen?« – »Wir warnen sie nicht nur, sondern helfen ihnen, wenn sie es wert sind. Es vergehen nach der Zeit der Weißen noch fünf Minuten, ehe sie hier sind, und das gibt uns Zeit, hinter ihre Gegner zu kommen. Vorwärts!«
   Bärenherz glitt wieder von der Höhe herab, und Büffelstirn folgte ihm. Sobald sie von unten nicht mehr gesehen werden konnten, rannten sie aus Leibeskräften an der Abdachung des Berges dahin, bis sie ein Gebüsch erreichten, das sich über die Höhe zog und drüben bis auf die Sohle des Passes niederstieg.
   Im Schutz dieses Gebüschs gelangten sie hinab, und zwar in genügender Entfernung, um von den drei Mexikanern nicht gesehen zu werden, dann sprangen sie quer über das Tal und befanden sich auf derselben Seite, an der die Männer versteckt lagen. Nun galt es, sich diesen unbemerkt zu nähern. Es gab zum Glück einige Büsche und zerstreute Felsblöcke, die Deckung gewährten, und so brachten es die beiden Häuptlinge fertig, sich vorwärts zu bewegen und hinter einem Stein Posto zu fassen, der kaum fünfzig Schritt von dem Felsenstück entfernt war, hinter dem die drei Mexikaner lagen.
   Die Häuptlinge konnten die letzteren genau sehen und zugleich auch die ganze Sohle des Tales überblicken. Sie kauerten hinter dem Stein und hielten ihre Büchsen schußbereit.
   Da hörte man Pferdegetrappel, und sogleich erschienen die drei Nahenden am Eingang des Haupttales, befanden sich aber noch außer Schußweite.
   Kaum hatten die Indianer einen Blick auf sie geworfen, so konnten sie sich eine Bewegung der lebhaftesten Überraschung nicht erwehren.
   »Uff!« flüsterte Bärenherz. »Das ist Itintika, Donnerpfeil, unser Bruder.« – »Und Francesco, der Vaquero!« flüsterte Büffelstirn. »Was tun die hier? Sollte es auf der Hacienda del Erina ein Unglück gegeben haben?« – »Das müssen wir abwarten. Aber wer ist der starke Krieger, den sie bei sich haben? Kennt ihn mein Bruder Büffelstirn?« – »Ja«, entgegnete Büffelstirn. »Es ist der berühmteste Jäger der Savanne, es ist der Fürst des Felsens, vor dem alle Feinde zittern.« – »Ugh!« machte Bärenherz, indem seine dunklen Augen glänzten. »Das ist ein großer Tag, an dem Bärenherz diesen Krieger kennenlernt. Wir werden die drei Mexikaner töten!« – »Erst wollen wir sehen, was sie vorhaben. Nur wenn sie zu den Waffen greifen, schießen wir sie nieder.«
   Die Mexikaner lagen hinter dem Stein und flüsterten miteinander. Sie hatten nur Sternau erwartet, und zwar auch nicht jetzt schon, sondern erst am nächsten Tag. Und nun kam er nicht allein, sondern mit zwei anderen. Wer waren sie?
   »Sie werden unterwegs zu ihm gestoßen sein«, sagte der eine Mexikaner zu seinen Gefährten. »Was tun wir? Es sind nun drei gegen uns.« – »Pah!« antwortete der zweite. »Fangen können wir ihn nicht; das ist nun wegen seiner Begleiter unmöglich; aber erschießen werden wir ihn.« – »Und die Begleiter? Lassen wir sie laufen?« – »Unsinn! Sie müssen fallen, damit sie nichts erzählen können. Aber wir haben noch Zeit. Sie sind noch nicht im Bereich unserer Büchsen, und wir dürfen keinen von ihnen fehlen. Sie müssen auf unsere ersten Schüsse fallen, sonst kann es uns übel ergehen; wir wissen ja, was für ein Teufel dieser Sternau ist. Übrigens haben wir Zeit zum Zielen, denn wenn sie hier die Spuren unseres Lagers finden, werden sie diese genau untersuchen und also geraume Zeit vor den Mündungen unserer Gewehre verweilen und uns nicht entlaufen. Wir brauchen uns nicht zu überstürzen und können mit Gemächlichkeit zielen.« – »Wenn unsere Kameraden, die Verdoja zurücksenden wollte, bereits erschienen wären, so würden wir alle drei fangen können«, meinte der dritte. – »Wir brauchen sie nicht Wir sind stark genug.« Die Mexikaner ahnten nicht daß wenige Schritte hinter ihnen zwei furchtbare Männer lagen, die jede ihrer Bewegungen beaufsichtigten.


   34. Kapitel

   Unterdessen war Sternau mit seinen beiden Begleitern vorwärts geritten, aber nicht so scharf wie vorhin, sondern er hatte den Gang seines Pferdes gezügelt und betrachtete nun mit forschenden Blicken den Bau des Tales und die Entfernung der Bergwände voneinander.
   »Ein gefährliches Loch!« sagte er. – »Warum?« fragte Donnerpfeil. – »Wenn Verdoja uns hier nicht einen Hinterhalt gelegt hat, so verdient er totgeprügelt zu werden. Wir wollen langsam vordringen und so tun, als ob wir uns gar nicht umblickten. Aber ich werde dabei die Augen offenhalten.«
   Sie ritten im Schritt vorwärts, bis sie an die Stelle kamen, an der Verdoja gelagert hatte. Hier blieben sie stehen.
   »Hier haben die Schufte ausgeruht«, sagte Francesco.
   Sternau warf einen Blick umher und erwiderte hastig:
   »Rasch! Steigt von den Pferden, koppelt sie an und tut, als ob wir hier lagern wollten! Schnell, schnell!«
   Donnerpfeils Auge suchte in der Richtung, die der Blick Sternaus gehabt hatte, und sofort sprang er vom Pferd.
   »Sie haben recht!« sagte er.»Aber lassen wir uns nichts merken. Wir müssen uns eine Verschanzung suchen.« – »Da, rechts an der Wand, der große Felsblock«, entgegnete Sternau, »die Pferde werden sie nicht erschießen. Wir teilen uns und tun, als ob wir Holz zum Lagerfeuer suchen wollen; dann springen wir hinter den Felsen.«
   Sie ließen ihre Pferde grasen und lasen dürre Zweige auf.
   »Seht«, meinte der erste Mexikaner, »sie bleiben hier. Wir können sie also in aller Gemütlichkeit niederpuffen.« – »Sie suchen Lesholz«, sagte der zweite. »Wir haben unsere Spuren nicht verwischt.« – »Pah, die haben sie ja gar nicht gesehen. Sie sind ja noch nicht in das Seitentälchen gekommen. Es muß einen anderen Grund haben.« – »Schwerlich. Nun stecken wir hier und sie drüben. Wir sind also ebensogut belagert wie sie!«
   So war es in der Tat. Sternau hatte nichts weiter gesehen, als am Eingang zu dem Seitental den abgebrochenen Zweig eines Busches. Als der eine Mexikaner, der vorhin von der Höhe Umschau gehalten hatte, emporgeklommen war, hatte er sich an diesem Zweig angehalten und denselben abgebrochen; die Rinde hatte weitergeschlitzt, so war eine helle Stelle entstanden, die einem scharfen, vorsichtigen Auge sofort auffallen mußte. Auch Donnerpfeil hatte sie bemerkt.
   Jetzt lagen die drei Bedrohten hinter dem Felsen in vollständiger Sicherheit.
   »Was gab es denn?« fragte Francesco.
   Er konnte sich den Grund dieses Versteckspielens nicht erklären.
   »Siehst du nicht den abgeschlitzten Zweig da drüben am Busch?« fragte Donnerpfeil. – »Ah! Ja.« – »Und darüber die eigentümlichen Einschärfungen in dem Steingeröll?« – »Ja.« – »Nun, es ist vor ganz kurzer Zeit jemand da oben gewesen und hat nach uns ausgeschaut. Als er uns bemerkte, ist er etwas zu hastig in das Tal zurückgekehrt, mehr gerutscht als gelaufen und hat also jene Spur zurückgelassen. Da drüben stehen Leute, die uns auflauern.« – »Donnerwetter!« fluchte Francesco. – »Du brauchst keine Angst zu haben«, lächelte Sternau. »Es sind nur zwei, höchstens drei Männer.« – »Warum so wenige?« fragte Donnerpfeil. – »Glauben Sie«, antwortete Sternau, »daß sich Verdoja mit seiner ganzen Truppe in den Hinterhalt gelegt hat? Nein! Es muß ihm zuerst daran liegen, seine Gefangenen in Sicherheit zu bringen. Es sind vier, die Eskorte aber beträgt nur elf Mann, und so kann er höchstens drei entbehren. Da er ja nicht gewußt hat, daß ich Hilfe erhalte, und glaubte, daß ich allein kommen werde, so hat er gemeint, ein einziger sei genug, mir eine Kugel zu geben. Der Hinterhalt da drüben liegt natürlich in Schußweite von dem Lagerort. Wir wollen einmal alles genau absuchen. Vielleicht bemerken wir das Versteck.«
   Sein scharfes Auge glitt langsam und bedächtig über jeden Busch und Stein, der da drüben Deckung geben konnte.
   »Ah, ich hab‘s!« sagte er plötzlich. – »Wo?« fragte Francesco. – »Ich sah ein Knie für einen kurzen Augenblick hinter jenem hohen, viereckigen Felsen erscheinen. Wollen den Leuten einmal eine Kugel geben.« – »Sie wird nicht treffen«, meinte der Vaquero. – »Ich bin vom Gegenteil überzeugt«
   Sternau legte sich platt auf den Boden. Es war aus der Ecke des Steins, hinter dem sie steckten, etwas ausgebröckelt und er konnte also durch diese Öffnung zielen, ohne sich selbst eine Blöße zu geben. Dann bat er Donnerpfeil:
   »Wenn Sie Ihren Hut auf den Gewehrlauf stecken und ihn so weit emporhalten, daß es gerade so aussieht, als ob jemand über den Stein hinübersehen wolle, so wird sich wohl einer da drüben verleiten lassen, nach dem Hut zu schießen; er wird also einen Teil von sich sehen lassen müssen, und dann ist es um ihn geschehen.« – »Wollen es versuchen«, meinte Donnerpfeil lächelnd, indem er den Hut vom Kopf nahm und auf den Gewehrlauf steckte.
   Drüben hatten vorher die beiden Häuptlinge alles genau beobachtet und legten ihre Büchsen bereit, um jeden Augenblick abdrücken zu können.
   »Jetzt sind sie in Schußweite«, sagte Bärenherz. »Sie steigen ab. Der Fürst des Felsens blickt sich um, ah, sein Auge blitzt auf; er hat etwas Verdächtiges bemerkt. Was muß es sein?«
   Büffelstirn nickte.
   »Er ist gewarnt Er weiß, daß ihm der Tod nahe ist. Jetzt gibt er den anderen seine Befehle. Wie ruhig! Ja, er ist ein großer Jäger!« – »Uff« flüsterte Bärenherz. »Sie springen hinter den Stein. Sie sind gerettet, auch ohne uns. Was werden sie beginnen?«
   Es verging eine Weile; dann erschien da drüben der Hut, und es sah ganz so aus, als ob ein Kopf vorsichtig herüberblickte.
   »Uff!« flüsterte Bärenherz. »Welche Unvorsichtigkeit!« – »Hält mein Bruder den Fürsten des Felsens wirklich für so dumm?« fragte Büffelstirn. »Wir wollen den Spaß abwarten.«
   Die drei Mexikaner flüsterten miteinander; dann griff der erste nach seinem Karabiner, lehnte ihn an die Kante des Felsens, bog seinen Kopf ein wenig vor und zielte auf den Hut. Noch aber hatte er nicht losgedrückt, so blitzte es drüben auf, ein Schuß krachte, und der Mexikaner sank mit zerschmettertem Kopf hintenüber.
   »Sieht nun mein Bruder, daß es eine List war?« fragte Büffelstirn. – »Der Herr des Felsens ist wahrhaftig ein großer Jäger!« antwortete der Gefragte. – »Er würde die beiden anderen auf alle Fälle töten; aber das dauert zu lange. Wollen wir uns zeigen?« – »Ja«, nickte der Apache.
   Die beiden Mexikaner waren um ihren Toten so beschäftigt, daß sie gar kein Auge für das hatten, was hinter ihnen vorging. Die beiden Häuptlinge erhoben sich also und winkten hinüber; dann ließen sie sich wieder nieder.
   »Alle Teufel, was ist das!« sagte Donnerpfeil. – »Das ist ja Büffelstirn«, meinte Sternau. »Wer war der Indianer an seiner Seite?« – »Bärenherz, der Apache«, antwortete der Gefragte. – »Der berühmte Bärenherz? Welch ein Zusammentreffen! So haben wir den Feind also zwischen zwei Feuern. Wer konnte ahnen, daß die beiden Häuptlinge in der Nähe sind. Kein Zufall konnte so glücklich sein.« – »Sie werden die Mexikaner erschießen, wir brauchen nur ruhig zuzusehen«, meinte Francesco. – »Daran liegt mir nichts«, entgegnete Sternau. »Besser ist es, wir fangen sie lebendig, damit wir sie ausfragen können. Ich hoffe nicht, daß diese Mexikaner die Sprache der Apachen verstehen. Wenn ich also rufe, werden sie nicht ahnen, wem es gilt und wie es heißt. Und ich glaube auch nicht, daß die beiden Häuptlinge so unbedacht sind, mir mit Worten zu antworten.« – »Das fällt ihnen nicht ein«, sagte Donnerpfeil.
   Sternau ließ einige Augenblicke vergehen, dann rief er, aber ohne sich sehen zu lassen, mit seiner weithin schallenden Stimme:
   »Tlao nte akajia – wie viele Feinde sind drüben?«
   Sofort erhoben sich hinter dem Versteck der Häuptlinge zwei Arme.
   »Also nur zwei«, meinte Sternau; »ich hatte recht.«
   Und er rief abermals:
   »Ni nokhi et tastsa, ni nokhi hotli intahinta – ich will sie nicht tot, sondern ich will sie lebendig haben!« – »Was schreit nur dieser Sternau da drüben?« meinte der eine Mexikaner. »Will er uns verhöhnen, so mag er doch spanisch reden! Wir stecken in einer verfluchten Patsche. Sobald wir ein Glied sehen lassen, werden sie schießen. Es bleibt uns wirklich nichts anderes übrig, als hier steckenzubleiben, bis es Nacht wird oder gar bis die Unsrigen zurückkehren.«
   Es sollte aber anders kommen, als er gedacht hatte. Die Häuptlinge hatten nämlich Sternau verstanden. Sie legten ihre Büchsen weg, nahmen die Messer zwischen die Zähne, erhoben sich und schlichen sich leise an die Mexikaner heran. Sternau bemerkte dies und sah, daß er die Aufmerksamkeit der letzteren von den Indianern ablenken müsse; er erhob sich also zu seiner vollen Höhe, legte die Büchse an und zielte.
   »Ah, er will schießen!« lachte der eine Mexikaner, indem er vorsichtig hinter dem Felsen hervorlugte. »Ich werde ihm eine Kugel geben.«
   Damit langte er nach seinem Gewehr, fühlte aber in demselben Augenblick zwei Hände um seinen Hals, die ihm die Kehle mit solcher Gewalt zudrückten, daß ihm der Atem verging, und seinem Kameraden geschah ebenso.
   »Hinüber!« sagte jetzt Sternau, indem er quer über das Tal sprang. Die beiden anderen folgten ihm. Sie brauchten gar nicht zu helfen, denn die Häuptlinge waten bereits beschäftigt, die Besinnungslosen mit ihren Lassos zu binden.
   »Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, rettet mich zum zweiten Mal«, sagte Sternau und streckte dem Genannten dankbar die Hand entgegen.
   »Der Fürst des Felsens hat sich selbst verteidigt«, sagte der Häuptling bescheiden. »Hier steht Bärenherz, der Häuptling der Apachen.«
   Sternau streckte auch diesem die Hand entgegen.
   »Ich begrüße den tapferen Häuptling der Apachen«, sagte er. »Sein Name ist berühmt, aber seine Gestalt sehe ich erst heute.« – »Noch berühmter ist der Fürst des Felsens«, antwortete der Apache. »Er ist ein Freund der roten Männer, und ich werde sein Bruder sein.«
   Die beiden großen Jäger und Krieger standen einander gegenüber, Hand in Hand, der eine ein hochgebildeter Meister und der andere ein ungebildeter Indianer, aber vom Standpunkt der Menschlichkeit beide von gleich hohem Wert. Sie dachten in diesem Augenblick wohl nicht, welchem gemeinschaftlichen Geschick auf viele Jahre hinaus sie entgegengingen. Auch die anderen, die sich ja bereits kannten, begrüßten sich; dann setzten sie sich zur Beratung nieder, aber so, daß die zwei Mexikaner von der Unterhaltung nichts hören konnten.
   »Was treibt unsere Freunde über die Wüste?« fragte Büffelstirn. – »Ein sehr trauriges Ereignis«, antwortete Sternau. »Die Hacienda del Erina ist überfallen worden.« – »Von wem? Von den Mexikanern?« – »Ja, diese Schufte haben vier Personen gefangengenommen, nämlich Señor Mariano, Señor Helmers, Señorita Emma und Señorita Karja.«
   Die Indianer sind gewöhnt, selbst der überraschendsten Nachricht mit stoischem Gleichmut entgegenzutreten, bei Nennung dieser Namen aber fuhren die Häuptlinge alle beide erschrocken empor.
   »Karja, meine Schwester?« fragte Büffelstirn. – »Karja, die Blume der Mixtekas?« rief Bärenherz. – »Ja«, antwortete Sternau. – »Wie ist das gekommen? Waren keine Männer da?« fragte die beiden wie aus einem Mund. – »Es waren alle Männer da, aber…« – »Nein, es können keine Männer da gewesen sein, wenn man Gefangene fortzuschleppen vermag«, sagte Bärenherz.
   Der Umstand, daß er Sternau gar nicht ausreden ließ, verriet deutlich, wie sehr sein Herz noch heute an Karja hing.
   »Ich sage dem Häuptling der Apachen, daß ich selbst gefangen war«, entgegnete Sternau. – »Der Fürst des Felsens war gefangen?« fragte Bärenherz ungläubig. – »Ja.« – »Aber ich sehe ihn doch frei.« – »Weil ich mich befreit habe. Die beiden Häuptlinge mögen hören, was geschehen ist.«
   Er erzählte nunmehr in kurzen, gedrängten Worten das Erlebnis der letzten Tage. Als er geendet hatte, reichte ihm der Apache die Hand und bat:
   »Der Fürst des Felsens möge mir verzeihen. Im Dunkel der Nacht ist es leicht, den stärksten und tapfersten Helden hinterrücks niederzuschlagen. Jetzt aber wollen wir die Pferde verbergen, denn keiner weiß, wer kommen kann.«
   Sternau ging selbst mit, und die Pferde wurden in das Nebental geführt, wo man bei dieser Gelegenheit die drei Pferde der Mexikaner fand, die hinter dem Gebüsch verborgen waren, wo sie ruhig weideten. Die Mexikaner, die wieder zu sich gekommen waren, wurden jetzt herbeigeschafft; Francesco blieb am Eingang des Seitentals als Wache zurück, und die übrigen hörten den Fragen zu, die Sternau an die Gefangenen richtete.
   »Ihr gehört zu der Truppe Verdojas?« fragte er.
   Keiner antwortete.
   »Ich sah euch bei ihm, es hilft euch weder das Schweigen noch eine Leugnung etwas«, sagte er. »Aber ich will euch bemerken, daß ihr euer Schicksal verschlimmert, wenn ihr hartköpfig seid. Weshalb bliebt ihr zurück?« – »Verdoja gebot es uns«, erwiderte der eine barsch. – »Was solltet ihr?« – »Wir sollten Sie fangen oder töten.« – »Das konnte ich mir denken. Aber getrautet ihr drei euch denn wirklich an mich? Ihr habt mich ja kennengelernt. Töten war leicht, aber das Fangen wäre euch schwergeworden.« – »Wir dachten, Sie würden erst morgen hier vorüberkommen, und Verdoja wollte uns ja Hilfe senden.« – »Ah! Es kommen noch Leute?« – »Ja.« – »Wann?« – »Vielleicht bereits morgen am Vormittag.« – »Wie viele?« – »Das wissen wir nicht.« – »Wohin hat Verdoja seine Gefangenen geführt?« – »Auch das wissen wir nicht.« – »Lüge nicht!« – »Glauben Sie, daß Verdoja uns solche Geheimnisse mitteilt?« – »Hm! Aber diejenigen, die morgen nach hier zurückkehren, werden es wissen?« – Jedenfalls.« – »Wo wollten sie mit euch zusammentreffen?« – »Hier im Tal.« – »Wieviel hat Verdoja euch für den Raub versprochen?« – »Dem Mann hundert Pesos.« – »Es ist gut. Man wird über euer Schicksal beraten.«
   Diese Beratung fiel für die beiden Gefangenen sehr ungünstig aus. Sternau hätte ihnen gern das Leben geschenkt, aber die beiden Häuptlinge gaben es nicht zu, und Donnerpfeil nebst Francesco schlossen sich ihnen an.
   Die Mexikaner wurden tiefer in das Seitental hineingeführt, während Sternau zurückblieb. Als er zwei Schüsse fallen hörte, wußte er, wem sie gegolten hatten. Zu den beiden Toten wurde nun auch der Leichnam des dritten geschleift, und man begrub sie gar nicht, sondern ließ sie den Geiern, die sich bald versammelten, zum Fraß liegen.
   Jetzt waren sie zu fünf Mann versammelt und konnten auch von der Veranlassung sprechen, welche die Apachen herbeigeführt hatte. Sternau wußte weiter nichts, als daß ein Leutnant mit einer Schwadron Lanzenreiter, die zu Juarez gehörten, in Monclova hielt, und daß Verdoja sechs Mexikaner bei sich hatte. Selbst wenn diese morgen zurückkehrten, brauchte man sie nicht zu fürchten, und so wurde beschlossen, daß Bärenherz zu seinen Apachen gehen solle, um sie über sein Wegbleiben zu beruhigen und jenseits des Gebirgszuges auf die anderen zu warten. Bärenherz entfernte sich daher zusammen mit Büffelstirn, und beide suchten ihre Pferde auf, worauf sie sich trennten und Büffelstirn zu Sternau zurückkehrte.


   35. Kapitel

   Während des Nachmittags und während der Nacht unterbrach nichts die Einsamkeit des Tales, auch fast der ganze Vormittag verging, aber um die Zeit des Mittags ließ sich Pferdegetrappel vernehmen. Sternau hatte für diesen Fall jedem seinen Posten angewiesen und jedem den Befehl gegeben, zunächst die Pferde zu erschießen. Als sich das Geräusch vernehmen ließ, steckte sich jeder einzelne hinter einen der herumliegenden Felsenblöcke.
   Es erschienen sechs Mexikaner an der Stelle, wo nach Westen hin das Tal sich wieder zum Paß verengte. Sie blieben halten, um das Tal zu überblicken. Als sie aber keinen ihrer Gefährten bemerkten, schwenkten sie in das kleine, enge Seitental ein. Kaum waren sie dort angekommen, so fielen vier Schüsse, und darauf aus den Doppelgewehren noch zwei. Alle sechs Pferde bäumten sich empor und stürzten dann zur Erde; sie waren zu gut getroffen, als daß sie sich hätten wieder erheben können. Pferde und Reiter bildeten für einige Zeit einen Wirrwarr, den die vier Schützen augenblicklich benützten, indem sie herbeisprangen, die Mexikaner, noch ehe dieselben sich von den Pferden losmachen konnten, mit dem Kolben zu Boden schlugen und sie mit ihren eigenen Lassos so banden, daß an eine Flucht nicht zu denken war.
   Der Anführer dieser Leute war derjenige, der auf der Hacienda del Erina als Lanzenreiter-Offizier erschienen war.
   »Jetzt sehen wir uns wieder, mein Bursche, und werden Abrechnung halten«, sagte Sternau zu ihm. »Du sollst nicht so bald wieder Gelegenheit finden, den Offizier zu spielen.«
   Der Mann warf einen haßerfüllten Blick auf ihn und antwortete:
   »Ich bin ein freier Mexikaner, mit mir hat kein Fremder Abrechnung zu halten.« – »Also ein freier Mexikaner?« lachte Sternau. »Ich habe noch nicht gewußt, daß jemand, der in Fesseln liegt, frei ist. Wohin habt ihr eure Gefangenen gebracht?« – »Das geht niemanden etwas an.« – »Ich wiederhole meine Frage, aber nur dies eine Mal! Wo sind die Gefangenen?« – »Ich sage es nicht!«
   Da zog Büffelstirn das Messer, hielt es dem Mexikaner entgegen und sagte:
   »Wo ist Karja, meine Schwester?«
   Der Gefragte schwieg trotzig; denn er kannte den Sinn der Indianer nicht. Der Häuptling der Mixtekas bemerkt nochmals mit ruhiger Stimme:
   »Antworte!« – »Ich sage nichts!« – »So brauchst du nicht zu leben. Nur die Toten schweigen, und wer schweigt, soll tot sein. Aber dein Tod soll nicht schnell sein, sondern du sollst ihn langsam kommen sehen.«
   Mit diesen Worten setzte Büffelstirn dem Gefangenen das Messer auf den Unterleib und riß ihm denselben mit einem raschen Schnitt auf, so daß die Eingeweide sofort aus der Wunde hervorquollen. Der Mann stieß einen Schrei des Entsetzens aus, aber trotzdem er sah, daß er nunmehr unvermeidlich dem Tod verfallen sei, rief er:
   »Verdammte Rothaut, nun sollst du erst recht nichts erfahren!« Und sich an seine Gefährten wendend, setzte er hinzu: »Tausendmal verflucht sei der von euch, der sagt, wohin wir die Gefangenen geschafft haben!« – »So werden sie alle sterben, gerade wie du!« sagte Büffelstirn kaltblütig.
   Dann setzte er das Messer dem zweiten auf den Leib und fragte:
   »Wirst du auch schweigen, oder sagst du mir, wo sie sind?«
   Der Mann besann sich nur eine Minute lang, er wollte gern sein Leben retten, aber der Fluch des anderen hatte ihn eingeschüchtert. Diese Minute entschied über ihn, sie dauerte dem Mixteka zu lange, er senkte sein Messer in den Leib des Mexikaners, und sofort quollen auch dessen Gedärme durch die fürchterliche Wunde.
   »Ihr sollt sterben wie die Hunde«, sagte Büffelstirn. »Ihr sollt eure Kaldaunen sehen und zählen, bis der Brand euch tötet. Sprich, Hund, wo sind die Gefangenen!«
   Während die beiden Aufgeschlitzten vor Schmerz und Todesangst ächzten und wimmerten, setzte er bereits dem dritten das Messer auf den Leib.
   »Ich will es sagen«, rief dieser eilig. – »Schweig!« brüllte der Anführer. – »Daß ich ein Esel wäre!« antwortete der Mann. »Ich will leben und nicht sterben nur dir zuliebe!« – »So möge dich die Hölle verderben, schuftiger Verräter!«
   Der Sprecher, der jetzt sah, daß er sein Leben nutzlos geopfert hatte, schäumte vor Schmerz und Wut. Seine Augen unterliefen mit Blut, und dicker Gischt stand auf seinen bleichen Lippen.
   »Rede schnell!« gebot Büffelstirn dem Mexikaner.
   Mit dieser Aufforderung drückte er die Klinge seines Messers durch die Kleidung des Gefesselten, so daß die Spitze den bloßen Leib berührte.
   »Ich spreche ja schon, tue das Messer fort!« rief der Mann erschrocken. »Die Gefangenen befinden sich in einer alten Opferstätte.« – »Leben sie noch?« – »Ich hoffe es.« – »Wo ist die Opferstätte?« – »Im Staat Chihuahua, in der Nähe der Hacienda Verdoja.« – »Beschreibe sie mir.« – »Das ist eine alte, mexikanische Pyramide, sie liegt im Norden von der Hazienda und ist mit Gebüsch bewachsen.« – »Wo ist der Eingang?« – »Das weiß ich nicht. Es war Nacht, als wir hinkamen. Wir mußten im Freien halten bleiben und durften nicht mit hinein.« – »Keiner von euch?« – »Keiner. Nur Señor Verdoja, Señor Pardero und ein alter Diener gingen in die Pyramide. Erst wurden die Damen und dann die beiden Männer hineingeschafft.« – »Auf welcher Seite befindet sich der Eingang?« – »Ich weiß es nicht.« – »Dummkopf! Auf welcher Seite hieltet ihr, als ihr dort ankamt?« – »Auf der Ostseite.« – »Und auf dieser Seite verschwand Verdoja in der Pyramide?« – »Nein. Er ging nach den Büschen, die an der Ecke der Pyramide stehen, und verschwand dann auf der Südseite.« – »So ist dort der Eingang. Was tatet ihr, als die Gefangenen fort waren?« – »Wir ritten nach der Hacienda Verdoja, erhielten frische Pferde und Proviant, dann brachen wir sofort wieder auf.« – »Nach hier?« – »Ja.« – »Wie lange seid ihr geritten?« – »Von zwei Stunden nach Mitternacht bis jetzt.« – »Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir also des Abends bei der Pyramide sein?« – »Ja.« – »Gut. Du wirst uns führen, und zwar so, daß wir von niemand bemerkt werden. Aber beim kleinsten Verdacht, daß du uns betrügen willst, bist du ein Kind des Todes. Hast du dir den Weg gemerkt?« – »Ja, ich kenne ihn genau.« – »Das genügt, und wir brauchen die anderen nicht. Sie haben nach den Gesetzen der Savanne den Tod verdient und sollen ihn haben, aber da sie nicht widersetzlich gewesen sind, so sollen sie ihn leicht und schnell finden.«
   Damit zückte Büffelstirn, ehe Sternau es noch verhindern konnte, dreimal das Messer und senkte es bis an das Heft in die Herzen der drei übrigen Mexikaner; sie waren augenblicklich tot. Dann wandte er sich an die zwei, die mit aufgeschlitzten Leibern dalagen, und durchschnitt ihre Banden.
   »Ihr sollt hier liegen und sehen, wie die Geier eure Kameraden zerreißen, und dann sollt ihr mit den Vögeln ringen, bis ihr matt werdet und sie euch überwältigen. Wir aber brechen auf, denn es ist keine Zeit zu verlieren.« – »Warum nimmt man nicht die Skalpe der Toten?« fragte Donnerpfeil.
   Der Gefragte antwortete in stolzem Ton:
   »Der Häuptling der Mixtekas nimmt nur die Skalpe solcher Feinde, mit denen er gekämpft hat, dies hier aber sind Hunde, deren Fell er nicht haben mag, sie sind gestorben wie die Schakale, die man mit dem Stock erschlägt.«
   Man nahm nun den sechs Mexikanern alles ab, was sie Brauchbares bei sich trugen, dann wurde aufgebrochen. Der gefangene Führer erhielt das Pferd, das Sternau übrig hatte. Als die fünf Männer davonritten, sahen sie noch, wie die beiden Lebenden sich bemühten, ihre Gedärme in die geöffneten Leiber zurückzustecken, und noch lange verfolgte sie das Geschrei der dem langsamen Tod Geweihten, die an diesem einsamen Ort so unerwartet ihre Bestrafung gefunden hatten. Sie ritten durch den Paß und bogen nach Norden um, wo die Apachen ihrer warteten. Diese hatten Posten vorgeschoben, um leichter gefunden zu werden.
   Als Bärenherz hörte, was im Tal geschehen war, gab er zu dem, was Büffelstirn getan hatte, seine Zustimmung. Der Führer wurde gefragt, ob er gehört und gesehen habe, daß Komantschen in der Gegend von Chihuahua befindlich seien. Er verneinte die Frage, und auch von den Regierungstruppen, die in der Hacienda Verdoja lagen, wußte er nichts. Er hatte die Hazienda ja vor dem Morgen verlassen, an dem sie dort angekommen waren.
   Es wurde nun beschlossen, insgesamt aufzubrechen. Die Apachen wollten sich der Hazienda bemächtigen und Verdoja mit Pardero gefangennehmen. Beide waren dann ja gezwungen, ihre Gefangenen herauszugeben, und dann sollte Gericht über sie gehalten werden. Einer der Apachen ritt als Bote zurück, um dem Fliegenden Pferd zu melden, wo die nachfolgenden Krieger mit den zuerst aufgebrochenen zusammentreffen sollten.
   Nun setzte sich der Zug in Bewegung. Voran ritten die Weißen mit Bärenherz und Grizzlytöter, den wohl bewachten Führer in der Mitte. Dann folgten unter Anführung des ältesten Kriegers die Apachen in ihrer gewohnten Weise, einer immer in den Tapfen des anderen reitend. Sie erreichten die Hochebene von Chihuahua und passierten die Gebiete mehrerer Haziendas, ohne von den Bewohnern derselben gesehen zu werden.
   Am Spätnachmittag ritten sie an einem Wald vorüber, der sich so in die Länge dehnte, daß es unmöglich war, ihn zu durchsuchen, was eigentlich durch die Vorsicht geboten worden wäre. Als es dunkel wurde, gelangten sie an die Grenze von Verdojas Besitzung und sahen im Westen die Pyramide aufsteigen, die das Ziel ihrer Wanderung bildete. Sie erhob sich finster, von jeher der Schauplatz von Taten, die das Licht zu scheuen hatten.


   36. Kapitel

   Im Norden der Mapimi, da, wo von Südwesten aus der Gegend von Cosigniachi her mehrere größere Wässer die Hochebene durchfließen, um sich dann von dem Plateau hinab in den Rio Grande del Norte zu stürzen, entlocken diese Wasser dem sonst unfruchtbaren Boden eine üppige Vegetation. Es gibt fruchtbare Weidestrecken, die von dichten Wäldern umschlossen werden, die sich hinab nach Sonora, der nordwestlichen Provinz von Mexiko erstrecken, wo sie sich dann in die leblosen Ebenen der Apacheria verlieren, denen weiter im Norden durch den Rio Gila einige Fruchtbarkeit abgezwungen wird.
   Einer dieser Wälder war derjenige, an dem die Apachen unter Anführung Sternaus, Büffelstirns und Bärenherzens vorüberritten. Sie hatten während des ganzen Rittes keinen einzigen Menschen gesehen und hielten sich für vollständig sicher und unbeobachtet.
   Hätte der Wald einen geringeren Umfang gehabt, so wäre er ganz gewiß von ihnen umstellt und durchsucht worden, dies war aber bei seiner ganz bedeutenden Größe vollständig unmöglich, und so begnügte man sich, an ihm vorüberzureiten und nichts als seinen Saum zu durchforschen.
   Zu ganz derselben Zeit hätte ein aufmerksamer Beobachter in der Tiefe dieses Waldes ein leises aber ununterbrochen sich fortbewegendes Geräusch vernehmen können. Bald klang es wie das Knicken eines kleinen, dürren Zweiges, bald wie das Zusammenreiben von Blättern, an die jemand stieß. Dieses Geräusch blieb nicht an einer Stelle, sondern es bewegte sich fort, nach dem Rand des Waldes hin. Endlich erklangen sogar einige geflüsterte Worte:
   »Hat mein Bruder gelernt, sich unhörbar zu bewegen?«
   Darauf hätte man eine ebenso leise geflüsterte Antwort hören können:
   »Unter den Bäumen ist es dunkel. Hat mein Bruder etwa die Augen einer Katze, daß er alle Zweige und Blätter erkennen kann?«
   Darauf wurde es wieder still, nur ein geheimnisvolles Rauschen ließ sich vernehmen. Dann verstummte auch dieses, und nach kurzer Zeit lispelte es:
   »Warum steht mein Bruder? Hat er etwas gehört?« – »Ja, er hörte das ferne Schnauben eines Pferdes.«
   Da erklang dasselbe Schnauben abermals, und zwar in größerer Nähe.
   »Es kommen Reiter. Hier ist eine große Kiefer; wer oben in den Zweigen sitzt, kann nicht gesehen werden und hat die Prärie vor sich liegen.«
   Es waren zwei Indianer, die dieses Gespräch führten. Derjenige von ihnen, der die letzten Worte gesprochen hatte, umfaßte den Stamm und kletterte empor, der andere folgte ihm. Beide kletterten wie Eichkätzchen und zeigten eine solche Gewandtheit, daß nicht das geringste Geräusch zu vernehmen war. Als sie oben zwischen den dicht benadelten Ästen saßen, waren sie von unten unmöglich zu bemerken. Sie hatten ihre Waffen an sich hängen, wurden durch dieselben jedoch nicht im mindesten belästigt. Kaum saßen sie fest, so hörten sie nahende Schritte. Es waren diejenigen der Apachen, die von ihren Pferden gestiegen waren, um den Rand des Gehölzes zu untersuchen. Man konnte sie von oben nicht sehen. Als sie, dem Geräusch nach, vorüber waren, ertönte draußen lautes Pferdegetrappel, und die Truppe ritt vorüber.
   »Uff!« flüsterte der eine Indianer. »Apachen.« – »In den Farben des Krieges!« fügte der andere bei. – »Es sind Bleichgesichter bei ihnen?« – »Vier! Uff! Uff!«
   Die beiden letzten Worte waren in einem solchen Ton der Überraschung geflüstert daß der andere leise fragte:
   »Worüber wundert sich mein Bruder?« – »Kennt mein Bruder das große, starke Bleichgesicht, das an der Spitze reitet?« – »Nein.« – »Es ist der Fürst des Felsens. Ich habe ihn gesehen vor drei Wintern, als ich in der Stadt war, die die Bleichgesichter Santa Fe nennen.« – »Uff! Das ist das tapferste Bleichgesicht, das es gibt! Aber kennt mein Bruder die beiden Häuptlinge, die daneben reiten?« – »Der eine ist Bärenherz, der Apachenhund.« – »Und der andere ist Büffelstirn, der Mixteka. Wir wollen sehen, wie viele reiten.«
   Der Sitz der Indianer war so hoch, daß sie über die Wipfel des Waldrandes hinausblicken und den ganzen Zug übersehen konnten. Sie zählten genau, und als die Apachen vorüber waren, sagte der eine:
   »Zwanzigmal zehn und noch sechs Apachen und vier Bleichgesichter!« – »Mein Bruder hat richtig gezählt, aber der Fürst des Felsens gilt hundert Apachen. Wohin gehen sie?« – »Diese Richtung geht nach der Hacienda Verdoja. Der Präsident von Mexiko hat die Krieger der Komantschen gerufen, und nun wird der Verräter Juarez die Apachen gerufen haben. Sie gehen nach der Hazienda, wohin auch wir wollen, und werden die Reiter, die sich dort befinden, töten wollen. Morgen kommen viele Krieger der Komantschen, die Apachen sind verloren und werden uns ihre Skalpe geben müssen. Wir müssen unsere Freunde auf der Hazienda warnen, aber wir müssen auch den Hunden der Apachen folgen, um darüber gewiß zu sein, was sie beabsichtigen.« – »So trennen wir uns. Ich folge ihnen, und mein Freund eilt nach der Hazienda.« – »So soll es sein.«
   Die Indianer glitten vom Baum herab und drangen bis zum Ende des Waldes vor. Dort überzeugten sie sich zunächst, daß kein Nachzügler zu erwarten war, und dann traten sie auf die offene Prärie hinaus.
   Jetzt konnte man beide genau erkennen. Es waren zwei Komantschen im vollen Kriegsschmuck. Sie trugen nicht das Häuptlingsabzeichen, aber sie waren jedenfalls keine gewöhnlichen Krieger, sonst hätte man ihnen nicht die schwierige Aufgabe anvertraut, das Terrain zu sondieren und auf der Hacienda Verdoja die Ankunft der verbündeten Komantschen anzusagen.
   Die Sonne war im Untergehen, und in der Ferne verschwand jetzt der lange, schlangengleiche Zug der Apachen.
   »Mein Bruder beeile sich, ihnen zu folgen. Er muß sie stets vor Augen haben, denn es wird nun so dunkel, daß man sich nicht auf die Fährte verlassen kann.«
   Der andere eilte, ohne eine Antwort zu geben, vorwärts. Ein Kriegskundschafter hat selten ein Pferd bei sich, da ihm dasselbe oft hinderlich sein würde. So war es auch hier, und da der Komantsche als Fußgänger in dem weiten Raum der Prärie nur einen verschwindenden Punkt bildete und jede Art der Deckung benutzen konnte, so war es ihm leicht, selbst jetzt, da es noch hell war, sich den Apachen zu nähern, ohne von ihnen bemerkt zu werden.
   Sein Kamerad blickte ihm eine Weile nach und schritt dann in westlicher Richtung davon. Die Apachen machten, um unbemerkt zu bleiben, einen Umweg; der Komantsche konnte sich also direkt nach den Weideplätzen der Hazienda wenden und kam dort eher an als sie, obgleich sie beritten waren.
   Er war wohl noch nie in dieser Gegend gewesen, aber sein Instinkt und ein Rundblick über den Horizont ließen ihn erraten, wo die Hazienda liegen werde. Er hatte auch wirklich die genaue Richtung dahin eingeschlagen und eilte nun mit den langen, elastischen Schritten vorwärts, die man bei einem Indianer, wenn er Eile hat, beobachtet. Es wurde bald dunkel, aber er eilte weiter, als ob er jeden Fußbreit dieser Gegend kenne, bis er schließlich verschiedene Herdenfeuer sah, die die Vaqueros angezündet hatten, um sich zu erwärmen und die wilden Tiere abzuhalten. Er hielt sich jedoch von ihnen fern, obgleich er als Freund kam und niemand zu fürchten hatte, schlich sich unbemerkt zwischen den Herden hindurch und erreichte die Hazienda.
   Dort weideten die Pferde der Dragoner, an den Vorderbeinen eng gefesselt, und vor der Umzäunung, die jede Hazienda besitzt, lagen die Krieger um mehrere Feuer. Der Komantsche duckte sich zur Erde, schlich nahe an sie heran und stand plötzlich mitten unter ihnen, wie aus der Erde emporgefahren.
   Dies tut der Wilde auch dann gern, wenn er zu Freunden kommt, denn wer es versteht, sich unbemerkt anzuschleichen, der wird für einen guten Krieger gehalten. Die Dragoner erschraken beim Anblick der dunklen Gestalt, sprangen empor und griffen zu den Waffen, indem sie ihn sofort umringten.
   Bei diesen Zeichen der Feindseligkeit machte der Komantsche eine geringschätzende Handbewegung, blickte sich ruhig im Kreis um und fragte:
   »Fürchten sich die Bleichgesichter vor einem einzelnen roten Krieger?«
   Einer der Dragoner, der die Abzeichen des Unteroffiziers trug, antwortete:
   »Pah, wir fürchten uns vor hundert Roten nicht! Wer bist du?« – »Können die Bleichgesichter die Kriegsfarben der roten Männer nicht unterscheiden?« – »Ihr seid viele hundert Stämme, und der Teufel kann sich da die Malereien alle merken; aber wie mir scheint, bist du ein Komantsche?« – »Ich bin es. Wo ist der Häuptling der Weißen?« – »Du meinst den Rittmeister? Was willst du bei ihm?« – »Ich habe mit ihm zu sprechen.« – »Das läßt sich denken, aber es fragt sich, ob er mit dir zu sprechen hat.« – »Er muß froh sein, wenn der rote Krieger zu ihm kommt«, antwortete der Komantsche stolz. »Ich komme als Abgesandter der verbündeten Komantschen und habe ihm eine wichtige Botschaft mitzuteilen.« – »Das ist etwas anderes. Komm, ich werde dich führen!«
   Der Unteroffizier schritt voran, der Indianer folgte ihm. Sie passierten das Palisadentor und begaben sich in das Innere des Gebäudes. Dort mußte der Wilde warten, bis er angemeldet war. Als er eintreten durfte, sah er den Rittmeister mit seinen Offizieren rauchend und spielend am Tisch sitzen. Er blieb ruhig und wortlos an der Tür stehen. Der Rittmeister warf einen verächtlichen Blick auf ihn, spielte seine Partie erst aus, warf dann die Karte von sich und fragte unmutig:
   »Was willst du, Rothaut?«
   Der Indianer antwortete nicht.
   »Was du willst, frage ich!« wiederholte der Rittmeister. – »Mit wem spricht der Offizier?« fragte jetzt der Komantsche. – »Mit dir!« rief der Rittmeister. – »Ich dachte, der weiße Häuptling rede mit einem Fuchs.« – »Mit einem Fuchs? Bist du toll!« – »Der weiße Häuptling sprach mit einer Rothaut, und der Fuchs hat eine rote Haut.« – »Ah«, lachte der Offizier. »Du fühlst dich beleidigt! Nun gut, so werde ich höflicher sein. Was willst du, Komantsche?« – »Ich bringe den Gruß unserer großen Häuptlinge. Der Präsident hat uns gebeten, ihm unsere Hilfe zu leihen, und die Häuptlinge haben beschlossen, es zu tun.« – »Sehr freundlich von euch! Also eure Krieger werden kommen?« – »Ja, sie kommen. Bereits morgen früh wird ein ganzer Stamm sich in dem Wald befinden, der von hier gerade gen Osten liegt.« – »Ah, das geht rasch! Und die anderen?« – »Sie kommen nach, täglich ein berühmter Häuptling mit den Seinen.« – »Ihr scheint lauter berühmte Häuptlinge zu haben; ob sie uns aber großen Nutzen bringen, das wird sich erst zeigen. Sie werden sich zunächst unter meinen Befehl zu begeben haben. Ich werde noch heute abend einen Boten nach Chihuahua senden, um mir Verhaltungsmaßregeln geben zu lassen.«
   Der Komantsche lächelte auf eine eigentümliche Weise und antwortete:
   »Mein weißer Bruder spricht Worte, die ich nicht begreife.« – »Warum nicht?« – »Er will einen Boten senden, um Befehle zu holen, also kann er kein Häuptling sein, und dennoch verlangt er, daß die berühmten Führer der Komantschen ihm gehorchen sollen. Die Komantschen werden kommen, ihre Häuptlinge werden eine Beratung halten mit den Häuptlingen der Weißen, und dann wird man tun, was beschlossen worden ist. Ein Komantsche stellt sich nicht unter den Befehl eines fremden Kriegers.«
   Der Rittmeister sah gar wohl ein, daß er hier nicht starke Saiten aufziehen dürfe, und antwortete daher:
   »Wir streiten uns nicht. Wenn deine Häuptlinge kommen, werde ich mit ihnen sprechen. Was mich betrifft, so würde ich allerdings keinen Roten brauchen.«
   Das Auge des Indianers glühte auf.
   »Wenn du keinen Roten brauchtest, so wärest du morgen eine Leiche, und dein Skalp hinge an dem Gürtel eines Apachen«, antwortete er. – »Alle Wetter! Was sagst du da?« fragte der Rittmeister erschrocken. – »Was du gehört hast!« – »Du sprachst von Apachen?« – »Ja.« – »Sind sie etwa in der Nähe?« – »Ja.« – »Wo?« – »Sie sind von ihren Weideplätzen aufgebrochen, um die Weißen zu töten.« – »Das ist möglich, aber sie haben einen weiten Weg.« – »Sie haben gute Pferde.« – »Eure Komantschen werden eher hier sein als sie.« – »Die Apachen sind eher da als wir.« – »Donnerwetter! Morgen kommt ihr, da müßten sie also heute hier sein.« – »Sie sind hier.« – »Wo?« – »Sie können in diesem Augenblick bereits draußen bei euren Pferden sein.« – »Heilige Madonna, ist das möglich?«
   Der Offizier sprang erschrocken auf und die anderen mit ihm. Der Komantsche lächelte über den Eindruck, den seine Worte machten. Ein Indianer wäre ganz kaltblütig sitzen geblieben. Er wußte sehr genau, daß die Wilden ihre Angriffe am liebsten gegen Morgen unternehmen. Wenn er auch die Apachen gesehen hatte, so war er doch überzeugt, daß die Hazienda jetzt noch vor ihnen sicher sei. Darum sagte er in stolzem Ton:
   »Die Bleichgesichter fürchten sich!« – »Nein!« rief der Rittmeister. »Aber wir wollen uns nicht unvermutet und wehrlos morden lassen. Hast du die Apachen gesehen?« – »Ja.« – »Wo?« – »Sie ritten am Wald vorüber, in dem morgen die Komantschen ankommen werden.« – »Wann?« – »Vor so viel Zeit, als die Bleichgesichter eine Stunde nennen.« – »Wie viele waren es?« – »Zehnmal zwanzig und sechs.« – »Alle Teufel, zweihundertundsechs! Doppelt so viel, als wir sind.« – »Es waren vier Bleichgesichter bei ihnen.« – »Ah! Jedenfalls Anhänger dieses Juarez! Jetzt ist es sicher, daß sie es auf die Hazienda abgesehen haben. Wir müssen uns in Verteidigungszustand versetzen!« – »Es werden dennoch viele Bleichgesichter fallen.« – »Das befürchte ich nicht. Wir ziehen uns hinter die Umzäunung zurück und sind dann vor ihren Kugeln sicher.« – »Es ist bei ihnen der größte Krieger der Bleichgesichter, er hat ein Gewehr, das viele Feinde tötet, ehe er wieder ladet.« – »Wer wäre das?« – »Der Fürst des Felsens.«
   Dieser Name war überall bekannt und berühmt, auch die Offiziere hatten ihn bereits gehört
   »Der Fürst des Felsens?« fragte der Rittmeister. »Donnerwetter, das wäre die beste Gelegenheit, diesen famosen Kerl einmal zu sehen. Ist er wirklich dabei?« – »Ja, ich kenne ihn.« – »Aber was haben wir ihm getan, daß er als Feind zu uns kommt?« – »Der Fürst des Felsens ist der Freund der Apachen und Komantschen, er ist der Freund aller roten und weißen Männer«, sagte der Indianer. »Er ist gerecht und gut, er tötet nur den, der ihn beleidigt hat. Wenn er als Feind nach der Hacienda Verdoja kommt, so muß es hier einen Mann geben, der sein Feind ist.« – »Hm, vielleicht Verdoja selbst? Aber der ist nicht mehr da, der hat sich aus dem Staub gemacht, der ist entflohen. Wo stecken die Apachen?« – »Ich weiß es nicht, aber es war einer meiner roten Brüder bei mir, der ist ihnen nachgeschlichen. Er wird kommen und berichten, wo sie zu finden sind.« – »Das genügt. Du bleibst bei uns, bis eure Krieger kommen?« – »Ich bleibe hier während der Nacht, dann aber gehe ich meinen Brüdern entgegen, um sie nach der Hazienda zu führen.«
   Somit war dieses Gespräch beendet, und der Rittmeister traf seine Vorbereitungen zum Empfang der Apachen. Die Pferde wurden auf der Weide gelassen, um den Anschein zu bewahren, daß man von der Anwesenheit der Feinde gar nichts wisse, die Dragoner aber löschten ihre Feuer aus und zogen sich hinter die Palisaden und in das Gebäude zurück. Da ein jeder einen Karabiner, einen Degen und auch Pistolen hatte, so war vorauszusehen, daß die Apachen mit fürchterlichen Verlusten zurückgeschlagen werden würden.


   37. Kapitel

   Als der Komantsche die Hazienda erreichte, waren die Apachen auch bei der Pyramide angekommen. Sie hielten in der Nähe des finsteren Bauwerks, und die Anführer betrachteten dasselbe mit nicht sehr angenehmen Gefühlen. Im Inneren dieses massiven Mauerwerks staken ja diejenigen, denen ihre Liebe gehörte.
   »Könnte man das Dings da zertrümmern!« knirschte Donnerpfeil. – »Nur Geduld!« antwortete Sternau. »Wir werden die Unsrigen ganz sicher befreien.« – »Davon bin ich überzeugt. Aber was werden sie zu leiden haben, ehe wir sie finden!« – »Vielleicht gelingt es uns, ihre Leiden sehr bald zu beenden.«
   Da sagte Büffelstirn:
   »Jeder Seufzer, den Karja, die Tochter der Mixtekas ausgestoßen hat, bezahlt ein Feind mit dem Leben! Wo wird der Eingang sein?«
   Sternau wandte sich an ihren Führer, den Mexikaner:
   »An welcher Stelle habt ihr angehalten?« – »Kommen Sie.«
   Der Mexikaner ritt eine Strecke weiter ab und blieb dann halten.
   »Hier war es«, sagte er. – »Und wo verschwand Verdoja mit den Gefangenen?« – »Hier ist der Busch, in dessen Nähe er in das Dickicht drang, und dort die Ecke, an der ich das Licht der Laterne aufleuchten sah.«
   »Gut. Wenn alles sich wirklich so verhält, soll dir das Leben geschenkt sein.« – »Señor, ich rede die Wahrheit.« – »Das ist gut für dich.«
   Sternau rief die beiden Häuptlinge und Donnerpfeil herbei und zeigte ihnen das Terrain.
   »So darf jetzt kein Mensch das Gebüsch und den Fuß der Pyramide betreten«, sagte Büffelstirn. »Verdoja ist öfters hin– und hergegangen, es müssen Spuren vorhanden sein trotz der Länge der Zeit, die seitdem vergangen ist, und diese Spuren können wir erst sehen, wenn es Tag geworden ist.« – »Warum warten bis der Tag anbricht?« fragte Bärenherz. – »Jawohl!« stimmte Donnerpfeil bei. »Meine Braut soll keine Minute länger in diesem Kerker schmachten, als es durchaus notwendig ist« – »Sie meinen, daß uns Verdoja selbst den Weg zeigen soll?« fragte Sternau. – »Ja.« – »So überfallen wir die Hazienda?« – »Ja, unbedingt! Und wehe ihm, wenn er uns nicht gehorcht.« – »Gut, so wollen wir zunächst einmal forschen, wie es in der Hazienda aussieht« – »Warum erst forschen«, sagte Donnerpfeil. »Wir reiten hin, fassen den Kerl fest und schleppen ihn her. Weiter ist ja nichts anderes möglich!«
   Der gute Anton Helmers, genannt Donnerpfeil, hätte am liebsten gleich den Himmel herabgerissen, um der Geliebten baldige Erlösung zu bringen. Eben wollte Sternau antworten, als ein lauter Ruf erscholl:
   »Uff! No-ki peniyil! – Uff, kommt herbei!«
   Das waren Worte im Apachendialekt Es war also ein Apache, der gerufen hatte. Die Stimme klang in der Nähe, und zwar von der Richtung her, aus der sie gekommen waren.
   »Wer war das?« fragte Sternau. – »Der Grizzlytöter«, antwortete der Apache. – »Ist er fort?« – »Ja, er wollte die Gegend durchsuchen, ob wir sicher sind.« – »So hat er etwas Wichtiges entdeckt. Schnell hin zu ihm!«
   Sternau selbst sprang eilig vom Pferd und eilte nach dem Ort hin, wo der Ruf erklungen war. Da fand er den jungen Apachen am Boden kniend, und unter ihm lag ein Mensch, den er fest an der Erde hielt.
   »Ein Komantsche!« sagte er.
   Im Nu war ein Lasso zur Stelle, und der Komantsche wurde gebunden. Es war der Bote, der sich im Wald von seinem Kameraden getrennt hatte, um den Apachen nachzuschleichen.
   »Wie kommt mein Bruder Grizzlytöter zu diesem Hund?« – »Ich ritt am Ende des Zuges und hörte ein Schleichen hinter uns«, erklärte der junge Held. »Es folgte uns ein Mann. Darum stieg ich vom Pferd, als wir hier angekommen waren, und suchte ihn. Ich fand ihn hier, er wollte unsere Rede belauschen. Da warf ich mich auf ihn und hielt ihn fest.«
   Da trat Sternau herzu und betrachtete den Gefangenen.
   »Ja«, sagte er, »es ist ein Komantsche; er ist uns gefolgt.« – »Tötet den Hund!« sagte einer der Apachen.
   Nun wandte sich Sternau zu dem Sprecher und erwiderte in scharfem Ton:
   »Seit wann sprechen bei den Apachen die Männer, ehe die Häuptlinge gesprochen haben? Wer seine Rede nicht zügeln kann, ist ein Knabe oder ein Weib.«
   Jetzt trat der Mann beschämt zurück. Bärenherz stand auch dabei und fragte den Gefangenen:
   »Wo hast du deine Gefährten?«
   Der Gefragte antwortete nicht. Da versetzte ihm Grizzlytöter einen Hieb in das Gesicht und sagte:
   »Wirst du antworten, wenn dich ein Häuptling der Apachen fragt!«
   Aber der Mann schwieg. Und auch, als einige andere versuchten, ihn zum Reden zu bringen, war dies vergeblich, bis Sternau die Sache änderte, indem er fragte:
   »Du bist ein Krieger der Komantschen und antwortest nur dem, der dich als tapferen Krieger behandelt. Wirst du fliehen, wenn ich deine Fesseln löse?« – »Ich bleibe«, antwortete der Mann. – »Wirst du mir antworten?« – »Dem Fürsten des Felsens antworte ich; er ist gerecht und gut; er schlägt keinen Gefangenen, der sich nicht wehren kann.«
   Das ging auf Grizzlytöter, der sich durch einen Schlag in dem Komantschen einen Todfeind erworben hatte.
   »Wie, du kennst mich?« fragte Sternau. – »Ich kenne dich und bin dein Gefangener.« – »Du gehörst dem, der dich besiegt hat. Stehe auf!«
   Sternau band den Lasso los, und der Gefangene erhob sich vom Boden und machte auch nicht die geringste Miene zu entfliehen.
   »Bist du allein hier?« fragte ihn jetzt Sternau. – »Nein«, lautete die Antwort. – »Sind viele bei dir?« – »Nur einer.« – »So seid ihr als Kundschafter gekommen?« – »Ja.« – »Und es kommen sehr viele Krieger hinter euch?« – »Weiter darf ich nichts sagen.« – »Gut, ich werde dich nicht weiter fragen. Also du wirst nicht entfliehen?« – »Ich werde fliehen.« – »Sprechen die Söhne der Komantschen in zwei Zungen? Du versprachst mir doch, zu bleiben.« – »Wenn ich dein Gefangener sein kann. Der Gefangene eines Knaben, der mich schlägt, mag ich nicht bleiben.« – »So müssen wir dich wieder binden.« – »Versucht es!«
   Der Komantsche holte aus und hätte Grizzlytöter mit einem Schlag seiner Faust niedergeworfen, wenn Sternau nicht schneller gewesen wäre. Er faßte den erhobenen Arm des Komantschen mit der Linken und versetzte ihm mit der Rechten einen Hieb an die Schläfe, daß er zusammenbrach; in demselben Augenblick aber erhob auch Grizzlytöter sein Messer und stieß es dem Niederstürzenden in das Herz.
   »Sein Skalp ist mein!« rief er. – »Ein schlechter Skalp!« sagte Sternau, indem er sich unwillig abwandte.
   Grizzlytöter sah ihn betroffen an und fragte:
   »Warum soll der Apache nicht den Komantschen töten?« – »Weil er ihn nicht in einem ehrlichen Kampf erlegt hat, soll er den Skalp nicht tragen«, entgegnete statt Sternau Bärenherz. »Der Komantsche war bereits betäubt Warum hast du ihn geschlagen? Ein tapferer Krieger trägt nicht den Skalp dessen, den er entehrt hat.«
   Das war eine harte, aber wohlverdiente Zurechtweisung. Der junge Apache wandte sich ab, warf keinen Blick mehr auf die Leiche und getraute sich nicht wieder in die Nähe der Häuptlinge zu treten, die sich jetzt mit halblauter Stimme berieten.
   »Wenn heute zwei Kundschafter hier sind, so steht es fest, daß die Komantschen bald nachkommen«, sagte Sternau. »Wir müssen vorsichtig sein. Die zwei haben uns gesehen und sich dann jedenfalls geteilt. Der eine ist uns nachgefolgt und der andere ist nach der Hazienda geeilt, um deren Bewohner zu warnen. Wollen wir sie überfallen, so ist es nötig, vorher zu rekognoszieren. Und das werde ich selbst tun. Die Zurückbleibenden mögen absitzen, um ihre Pferde weiden zu lassen. Sie mögen ein Lager ohne Feuer bilden und Wachen aufstellen. Sie mögen ferner dafür sorgen, daß die Spuren Verdojas nicht zerstört werden.«
   Nach dieser Anordnung und nachdem er sich bei dem mexikanischen Führer nach der Lage der Hazienda erkundigt hatte, schritt Sternau davon. Die schwere, ihn hindernde Büchse ließ er beim Pferd zurück, aber den Henrystutzen warf er über die Schulter.
   Es war ganz dunkel geworden, aber als er ungefähr fünf Minuten gegangen war, sah er die Herdenfeuer leuchten. Sie dienten ihm als untrügliche Wegweiser.
   Eines dieser Feuer brannte an der Seite eines großen Felsblocks, der mitten in der Ebene lag. Die Flamme war hier gegen den Luftzug geschützt, und fünf bärtige Vaqueros bildeten einen Halbkreis um dieselbe.
   Sternaus scharfes Auge erkannte die günstige Gelegenheit, etwas zu erlauschen, sofort. Rasch schlich er sich herbei, und dies wurde ihm nicht schwer, denn der nur von der einen Seite erleuchtete Felsen warf nach der entgegengesetzten Richtung einen riefen Schlagschatten, in dessen Dunkel Sternau vollständig sicher herbeischleichen konnte. Er faßte an dieser Seite des Felsens Posto und konnte nun jedes Wort des Gesprächs belauschen.
   »Verdammt gefährlich ist‘s für uns«, sagte jetzt einer der Vaqueros. – »Nicht im mindesten«, antwortete ein anderer. – »So? Wenn die Apachen kommen, über wen fallen sie zuerst her? Über uns.« – »Ich wette mein Leben, daß sie erst gegen Morgen kommen, und dann sind wir nicht mehr da. Wir sollen uns ja bereits um Mitternacht in die Hazienda zurückziehen.« – »Wo mögen sie stecken?« – »Das werden wir erfahren, sobald der andere Komantsche kommt; er ist ihnen nachgegangen. Dieser Rittmeister der Dragoner scheint in tüchtiger Kerl zu sein. Er hat die Hazienda verbarrikadiert, daß sicherlich kein Apache über die Palisaden kommt. Und wenn über hundert Dragonergewehre krachen, dann werden nicht viele Rothäute übrigbleiben.«
   Ah, war das so! Sternau hörte, daß ein Rittmeister mit einer Schwadron Dragoner hier lag. Das gab der Sache eine ganz andere Wendung. Er trat schnell entschlossen hinter dem Felsen hervor und grüßte. Die Vaqueros sprangen entsetzt auf und griffen nach ihren Gewehren, als sie aber sahen, daß sie einen Weißen vor sich hatten, beruhigten sie sich.
   »Es liegen Dragoner in der Hazienda?« fragte er. – »Ja«, antwortete einer. – »Wie viele?« – »Über hundert.« – »Regierungstruppen?« – »Ja.« – »Wird man den Rittmeister sprechen können?« – »Sicher.« – »Gute Nacht.«
   Sternau wandte sich ab und schritt der Hazienda zu.
   »Santa Madonna«, sagte der Vaquero, »ich dachte zunächst, es sei der Teufel!« – »Ja«, meinte ein zweiter, »ich dachte, es sei der Geist des Riesen Goliath. So einen Kerl habe ich noch gar nicht gesehen!« – »Wie er einen anguckte! Man war ganz verblüfft. Man hätte ihn doch eigentlich examinieren sollen! Wer mag er sein?« – »Er war keine Rothaut, und das ist genug. Er sah aus wie ein Jäger aus dem Norden; wir werden ihn noch kennenlernen, denn jedenfalls sucht er sich ein Nachtlager in der Hazienda.«
   Während hier am Feuer diese Vermutungen ausgesprochen wurden, schritt Sternau dem Haus entgegen. Als er die vor demselben weidenden Pferde sah, lächelte er.
   Er schritt an den Palisaden entlang und hörte dahinter flüstern. Diese Dragoner waren nicht die Leute, einen Savannenmann zu täuschen. Am Tor klopfte er an.
   »Wer ist draußen?« fragte eine Stimme. – »Ein Fremder«, antwortete er. – »Was will er?« – »Mit dem Rittmeister sprechen.« – »Ah, ist‘s ein Roter oder ein Weißer?« – »Ein Weißer.« – »Allein?« – »Ganz allein!« – »Hm, wer darf trauen! Das Tor öffne ich nicht, Könnt Ihr klettern?« – »Ja.« – »So steigt über die Palisaden; wir wollen‘s erlauben, wenn es nur einer ist; sind es aber mehrere, so schießen wir sie über den Haufen!« – »So tretet hinten weg!«
   Sternau schritt eine kurze Strecke zurück und nahm einen Anlauf; im nächsten Augenblick flog er über die Planken hinüber und mitten unter die Dragoner hinein, die nicht geahnt hatten, daß sie es mit einem solchen Voltigeur zu tun hatten. Er riß einige davon zu Boden, während die anderen zusammenprallten, daß die Köpfe krachten.
   »Donnerwetter!« rief die Stimme, die bereits vorhin gesprochen hatte. »Was ist denn das? Ihr fliegt ja aus den Wolken herab! Ich denke, Ihr wolltet über die Palisaden steigen?« – »Das tat ich auch, aber nur in meiner Weise«, lachte Sternau. – »Nun, das ist eine ganz verdammte Art und Weise! Ihr könnt dabei Hals und Beine brechen und anderen ehrbaren Leuten die Knochen zerschlagen. Wer seid Ihr denn?«
   Es war ein Unteroffizier, der das sagte. Er rieb sich den Rücken, denn er gehörte auch zu denen, welche niedergerissen worden waren.
   »Ein Jäger bin ich.« – »Ein Jäger? Hm, ich denke, Ihr hättet es auch zum Seiltänzer bringen können! Und mit dem Rittmeister wollt Ihr reden?« – »Ja.« – »Was denn?« – »Was Euch nichts angeht! Wenn ich es Euch sagen wollte, brauchte ich es nicht dem Rittmeister zu erzählen. Verstanden?« – »Heilige Madonna, seid Ihr ein Grobian! Woher wißt Ihr denn, daß ein Rittmeister hier ist?« – »Es hat mir geträumt. Vorwärts, ich habe nicht viel Zeit.« – »Hopp, hopp! Wenn ein mexikanischer Unteroffizier der Dragoner Auskunft verlangt, so hat man ihm zu antworten!« – »Das tue ich ja auch. Oder bin ich Euch vielleicht zu einsilbig?« – »Beileibe nicht! Ihr redet eher zu viel. Seid Ihr bewaffnet?« – »Ja.« – »So gebt die Waffen ab!« – »Weshalb?« – »Es sind Kriegszeiten, und da muß man vorsichtig sein. Wie nun, wenn Ihr nur kämt, um den Rittmeister zu ermorden!« – »Glaubt Ihr, daß es so einen Wahnsinnigen geben kann? Ich wäre ja sofort des Todes. Oder sind die mexikanischen Dragoner Memmen, die man nicht zu fürchten braucht, weil sie selbst sich fürchten vor einem einzelnen Mann, der eine Flinte hat?« – »Hört, Mann, zu reden versteht Ihr wie sonst einer! Nun, ich will einmal von der Regel absehen und Euch auch bewaffnet zum Rittmeister lassen. Kommt!«
   Der Unteroffizier führte Sternau nun in ganz dasselbe Zimmer, in dem nicht lange Zeit vorher der Komantsche gewesen war. Die Offiziere saßen noch immer beim Spiel. Als sie Sternau erblickten, erhoben sie sich unwillkürlich. Der Eindruck seines Äußeren gab sich sofort zu erkennen.


   38. Kapitel

   »Wer sind Sie, Señor?« fragte der Rittmeister, als er den höflichen Gruß des Eintretenden erwidert hatte.
   Sternau warf einen Blick im Zimmer umher und dann auf die Offiziere. Sie trugen ihre Degen, waren aber sonst unbewaffnet.
   Er antwortete: »Mein Name ist Sternau, Señor; ich bin Arzt und reise teils in Familienangelegenheiten und teils, um meine Erfahrungen zu erweitern. Ich komme nach dieser Hazienda, um mit Señor Verdoja in Ihrer Gegenwart ein Wort zu sprechen.« – »Das ist unmöglich, denn Verdoja ist nicht hier.« – »Ah! Wo befindet er sich?« – »Ich weiß es nicht; ich vermute, daß er sich vor uns aus dem Staub gemacht hat.« – »Das ist mir höchst unangenehm. Seit wann befinden Sie sich hier?« – »Seit heute vormittag.« – »War da Verdoja bereits fort?« – »Nein. Ich sprach mit ihm. Er sagte, daß er seine Vaqueros zu inspizieren hätte, und ritt davon. Er kam nicht zurück, und ich habe erfahren, daß er bei keinem einzigen Vaquero gesehen wurde. Er war ein Anhänger von Juarez und floh deshalb. Sein Lieblingsdiener ist mit ihm verschwunden.« – »So befindet sich wenigstens Señor Pardero hier?« – »Pardero? Ah, der Leutnant Verdojas? Nein, er ist nicht hier.«
   Das gab Sternau zu denken. Waren diese beiden Männer mit ihren Gefangenen entflohen? Möglich war es schon. Oder hatten sie sich vor den Regierungstruppen in die Pyramide geflüchtet? Welch ein Los erwartete da die beiden Mädchen! Es lag auf der Hand, daß keiner der Offiziere von dem verbrecherischen Tun Verdojas etwas ahnte. Sollte Sternau es ihnen erzählen? Vielleicht war es gut, vielleicht auch nicht.
   »Sie sind mit Verdoja und Pardero Freund?« fragte der Rittmeister. – »Nein«, antwortete Sternau. »Diese beiden Männer sind die größten Schurken, die ich jemals kennenlernte. Ich kam, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.« – »Ach, ich teile Ihre Meinung vollständig; um so mehr tut es mir leid, daß Sie diese Leute nicht finden.« – »Sie haben wirklich keine Ahnung, wo sie zu suchen sind?« – »Nicht die geringste.« – »So habe ich Sie umsonst inkommodiert und bitte, mich zu entschuldigen.«
   Man hatte während der kurzen Unterhaltung noch nicht daran gedacht, Sternau einen Sessel anzubieten; jetzt, als er sich mit einer Verbeugung verabschieden wollte, sagte der Rittmeister:
   »Nehmen Sie doch Platz, Señor! Sie bleiben diese Nacht doch hier?« – »Nein.« – »Ah, nicht? Sie wollen weiter? Die beiden Männer suchen?« – »Ja, allerdings.« – »Hören Sie, das ist gefährlich! Sie sind fremd, und es ist gewissermaßen Revolution im Land. Es streifen wilde Indianer gerade in dieser Gegend herum, und ich will Ihnen aufrichtig sagen, daß wir sogar diese Nacht einen Überfall der Apachen hier erwarten. Wenn Sie diesen Schuften in die Hände fallen, so sind Sie verloren!« – »Oh, ich fürchte sie nicht, Señor!« – »Nicht? Hm, Sie sind ein Neuling im Land!« – »Nicht so ganz! Übrigens weiß ich, daß die Indianer im Grunde genommen bessere Menschen sind, als man zu meinen gewohnt ist.« – »Sie irren, Sie irren sehr. Da liegt neben der hiesigen Besitzung eine weite Länderei, die dem Grafen Rodriganda gehört Er hat eine Anzahl Pueblo-Indianer angestellt, und vorige Woche haben sie den Majordomo mit fast sämtlichen Weißen abgeschlachtet.« – »Das tut mir leid, hat seinen Grund aber jedenfalls in der nicht menschenfreundlichen Administration des Señor Cortejo.« – »Ah, Sie kennen diesen Cortejo, der die Güter des Grafen verwaltet?« – »Ja, er wohnt in Mexiko.« – »Das ist richtig. Dieser Graf Rodriganda ist einer der reichsten Grundbesitzer des Landes. Ich möchte wünschen, sein Sohn oder Erbe zu sein.«
   Sternau lächelte und verbeugte sich verbindlich.
   »Dann wären wir Verwandte«, sagte er. – »Verwandte?« fragte der Offizier. – »Ja. Meine Frau ist eine Condesa de Rodriganda y Sevilla, die einstige Erbin der Güter, von denen Sie sprachen.«
   Der Rittmeister fuhr empor.
   »Nicht möglich!« rief er. »Eine Gräfin de Rodriganda die Frau eines Arztes?« – »Es ist dennoch so!« – »Dann sind Sie von Adel?« – »Nein.« – »Aber ich bitte Sie! Das wäre ja kaum zu verstehen!«
   Sternau griff in die Tasche und zog den letzten Brief hervor, den er von Rosa erhalten hatte. Er zeigte dem Rittmeister die Über– und die Unterschrift, den Stempel des Bogens und das Siegel des Kuverts.
   »Bitte, überzeugen Sie sich«, sagte er. – »Wahrhaftig, das ist das Siegel der Rodriganda; ich kenne es sehr genau. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mit Alfonzo de Rodriganda, der sich jetzt in Spanien befindet, sehr befreundet war. Ich habe von ihm erfahren, daß er eine Schwester besitzt, die Rosa heißt, und sehe also, daß Sie die volle Wahrheit sagen. Nun müssen Sie bei uns Platz nehmen, denn es versteht sich ganz von selbst, daß ich Sie nicht fort lasse!«
   Sternau lächelte abermals und erwiderte:
   »Ihre Freundlichkeit verpflichtet mich zum größten Dank, aber ich darf nicht bleiben.« – »Warum?« – »Ich werde erwartet.« – »Wo? Außerhalb der Hacienda Verdoja?« – »Ja.« – »Teufel, wo könnte das sein? Bis zur nächsten Besitzung hat man fast einen Tag zu reiten. Und daß Ihre Gesellschaft im Freien kampiert, nehme ich doch nicht an.« – »Und doch ist es so. Ich werde von den Apachen erwartet.«
   Sternau sprach diese Worte mit einem unendlichen Gleichmut aus, und doch war die Wirkung ganz dieselbe, als ob eine Bombe geplatzt wäre. Die Herren Offiziere fuhren von ihren Sitzen auf und dann weit auseinander.
   »Von den Apachen?« fragte der Rittmeister mit offenem Mund. – »Ja.« – »Alle Wetter, das ist ein Spaß! Erklären Sie mir das!« – »Die Erklärung ist einfach, ich bin der Anführer der Apachen.«
   Die Bestürzung der Herren verdoppelte sich; sie waren das, was man perplex nennt.
   »Ihr Anführer? Aber das ist ja unmöglich!« – »Es ist im Gegenteil nicht nur möglich, sondern wirklich. Soll ich es Ihnen beweisen?« – »Ja, ich bitte Sie darum, ich bitte Sie recht sehr darum.« – »Nun, Sie haben einen Komantschen hier?« – »Das stimmt. Aber was hat das mit Ihrem Beweis zu tun?« – »Und den anderen Komantschen haben wir«, fuhr Sternau unbeirrt fort. – »Sie haben ihn?« fuhr der Offizier auf. – »Ja. Diese beiden Komantschen beobachteten uns, und dann trennten sie sich. Der eine ging nach dieser Hazienda, und der andere folgte unserer Fährte. Er war dabei sehr unvorsichtig, wurde ertappt und von einem der Apachen erstochen.«
   Da griff der Rittmeister an seinen Degen und donnerte: »Señor, ist das wahr?« – »Ja.« – »Und das sagen Sie uns, die wir mit den Komantschen verbündet sind? Sie wagen es, in dieses Haus zu kommen?« – »Ah, pah, ich wage nichts! Ich kam in dieses Haus, um mit Verdoja eine Abrechnung zu halten, und nun ich ihn nicht finde, halte ich es für meine Pflicht, Ihren Leuten zu sagen, daß sie schlafen gehen können. Die Apachen werden keinen Angriff auf die Hazienda unternehmen.« – »Aber, zum Teufel, träume ich denn?« fragte der Offizier, indem er sich an den Kopf griff. – »Nein, Sie wachen. Mein Erscheinen hier mag Ihnen ein wenig ungewöhnlich vorkommen, ist aber sehr leicht zu erklären. Die Apachen kommen nicht, um mit den Weißen Krieg zu führen, sie beabsichtigen weiter nichts, als sich von den Komantschen einige Skalpe zu holen; sie sind meine Freunde, aber darum bin ich noch nicht Ihr Feind, Señor. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Apachen weder Ihnen noch der Hazienda einen Schaden zufügen werden, und daher erwarte ich, daß auch Sie meine Freunde nicht belästigen.« – »Den Teufel können Sie erwarten!« rief der Rittmeister. »Die Apachen sind Feinde unserer Verbündeten, also auch die unsrigen, ich werde sie niedersäbeln, wo ich sie finde!« – »Ich habe keine Veranlassung, Sie zu bekehren; aber betrachten Sie mich wenigstens als einen Abgesandten, der Sie um einen dreitägigen Waffenstillstand bitten will!« – »Fällt mir nicht ein! Die Rothäute mögen heute nacht kommen und sich blutige Köpfe holen. Und kommen sie nicht, so werde ich sie morgen aufsuchen; darauf können Sie sich verlassen!« – »Dies ist Ihr Ernst?« – »Mein vollständiger!« – »Dann habe ich hier nichts mehr zu suchen. Gute Nacht!«
   Da trat ihm der Rittmeister in den Weg und fragte:
   »Halt, wohin?« – »Fort, zu meinen Apachen«, antwortete Sternau gleichmütig. – »Sie? Fort? Daß ich ein Narr wäre! Sie bleiben da, Sie sind mein Gefangener!« – »Sie scherzen«, lachte Sternau. – »Donnerwetter, in solchen Sachen scherzt man nicht! Es ist mein vollständiger Ernst!« – »Sie erklären einen Abgesandten, einen Parlamentär, für gefangen?« – »Von den Roten erkenne ich keinen Parlamentär an. Übrigens sind Sie ganz ohne meine Erlaubnis gekommen, ich habe keinerlei Verpflichtung gegen Sie. Sie sind gekommen, um sich unsere Vorbereitungsmaßregeln anzusehen, ich erkläre Sie für einen Spion!« – »Halt, Señor! Der Gemahl einer Rodriganda ein Spion?« – »Pah, ich glaube jetzt nicht mehr an das, was ich vorhin für wahr hielt!« – »Tun Sie, was Ihnen beliebt! Ich aber bemerke Ihnen, daß ein Spion sich wohl nicht in der Weise in die Hazienda wagen würde, wie ich es getan habe.« – »Nun gut, Spion oder nicht! Sie sind in der Hazienda, Sie haben unsere Vorbereitungen gesehen, und Sie dürfen also nicht fort!« – »Wer will mich halten?« – »Ich, Señor!« entgegnete der Rittmeister drohend. – »Pah, Sie und alle Ihre Dragoner können mich nicht halten. Ich werde gehen, wie mir es beliebt, gerade so, wie ich gekommen bin, als es mir beliebte.«
   Da zog der Offizier den Degen.
   »Sie bleiben!« gebot er. »Sie riskieren sonst Ihr Leben!« – »Haben Sie keine Sorge um mich!« lächelte Sternau. »In solcher Gesellschaft riskiert der Fürst des Felsens ganz und gar nichts.«
   Da erbleichte der Rittmeister und mit ihm die anderen Offiziere, trat zurück und sagte:
   »Der Fürst des Felsens? Dios, ja, er soll dabeigewesen sein!« – »Allerdings war er bei den Apachen. Ich selbst bin es. Und nun versuchen Sie einmal, mich zu halten!«
   Der Rittmeister war doch mutig genug, ihm wieder nahe zu treten. Er gebot:
   »Und wenn Sie es zehnmal sind, Sie bleiben mein Gefangener. Legen Sie die Waffen ab!« – »Das dürfte mir wohl schwerlich einfallen! Übrigens haben Sie nur Ihre Degen, Señores, ich dürfte nur den Revolver ziehen, so wären Sie verloren; aber ich tue es anders. Ich habe gesagt, daß ich Ihr Feind nicht bin, und bitte nochmals, mich zu entlassen.« – »Sie bleiben!« gebot der Rittmeister. – »Nun denn, Sie wollen es nicht anders!«
   Damit erhob Sternau blitzschnell die Faust, und in derselben Sekunde krachte der Rittmeister besinnungslos zu Boden. Ehe die beiden Leutnants nur einen Gedanken haben konnten, stand er auch schon vor ihnen – zwei Faustschläge, und auch sie lagen an der Erde, er hatte sich die Bahn frei gemacht und ging.
   Als er in den Hof kam, empfing ihn derselbe Unteroffizier.
   »Fertig?« fragte dieser. – »Ja. Laßt mich hinaus!« – »Durch die Tür?« – »Versteht sich, denn nun werdet Ihr ja glauben, daß ich allein bin!« – »Na, so kommt!«
   Der Unteroffizier trat an das Tor, um es zu öffnen. In diesem Augenblick kam eine dunkle Gestalt herangeschlichen, es war der Komantsche, der einen Rundgang gemacht hatte. Die hohe Gestalt Sternaus fiel ihm auf; er trat heran, warf einen forschen Blick auf ihn und rief:
   »Der Fürst des Felsens!« – »Der Fürst des Felsens!« erscholl es von Mund zu Mund. – »Haltet ihn fest!« schrie der Komantsche abermals und faßte zugleich nach Sternau. – »Sei nicht dumm, Komantsche!« gebot da Sternau. »Wie kannst du den Fürsten des Felsens halten! Ich weiß, du willst meinen Tod nicht, ich den deinen auch nicht. Pack dich!«
   Damit ergriff er den Roten und gab ihm einen Stoß, daß er weit fortflog. Da aber wurde ein Fenster aufgerissen, und man sah den von der Lampe beschienenen Kopf des Rittmeisters erscheinen.
   »Ist er noch da?« rief er in den Hof hinaus. »Nehmt ihn gefangen!« – »Hier ist er! Haltet ihn, haltet ihn fest!« rief es aus mehr als einem Dutzend Kehlen.
   Doppelt so viele Hände streckten sich nach Sternau aus. Dieser aber riß den Stutzen von der Schulter und schlug ein gewaltiges Rad mit demselben. Der zwölffache Hieb, den er so austeilte, schaffte ihm freie Bahn, dann nahm er einen Anlauf und flog ebenso schnell über die Palisaden hinaus, wie er über dieselben hereingekommen war.
   Jetzt griff alles zu den Gewehren, man kletterte an den Planken empor und schoß nach ihm. Doch Sternau hatte dies vorausgesehen und war im eiligsten Lauf um die nächste Ecke gebogen; daher flogen die Kugeln in eine vollständig falsche Richtung.
   »Zu den Vaqueros, zu den Vaqueros!« rief der Rittmeister. »Sie mögen ihn fangen!«
   Das Tor wurde geöffnet, und mehrere der flinksten Dragoner rannten zu den Herdfeuern, um die Vaqueros zu unterrichten; da aber bog Sternau wieder um die Ecke herum und schlich sich zu den Pferden. Vier von ihnen weideten auf einem separaten Platz, das waren die Offizierspferde, die besten von allen. Er sprang hinzu, löste die Fessel des einen, schwang sich auf und galoppierte davon, ehe noch einer der Vaqueros erfuhr, um was es sich handle.
   Die Herren Dragoner hatten heute abend den Fürsten des Felsens kennengelernt.


   39. Kapitel

   Sternau ritt natürlich nicht direkt nach der Pyramide. Er wußte, daß man auf den Hufschlag seines Pferdes hören werde, und wandte sich daher der entgegengesetzten Richtung zu, machte nachher einen weiten Bogen und kam, da er sich so fern wie möglich von der Estanzia halten mußte, erst spät zu der Pyramide.
   Als man dort das Pferdegetrappel hörte, sah er sich plötzlich von den Wachen der Apachen umringt. Die Wilden rufen keinen Menschen an. Wäre dieser Reiter nicht Sternau gewesen, so hätte er sterben müssen, ohne daß eine Silbe gesprochen worden wäre.
   »Wo sind die Häuptlinge?« fragte er.
   Er wurde zu ihnen geführt. Unmittelbar am westlichen Fuß des Bauwerks entsprang eine Quelle; man hatte sie entdeckt, und hier wurden die Pferde getränkt. Die Häuptlinge hatten sich dort niedergelassen. Das war dieselbe Quelle, die in früheren Zeiten den im Inneren der Pyramide befindlichen Brunnen gespeist hatte.
   Sternau teilte mit, was er gesehen und gehört hatte. Er war sicher, daß diese Nacht nicht die mindeste Störung vorkommen würde, aber ebenso sicher war es, daß man morgen die Apachen aufsuchen würde, und so fragte es sich, was für einen solchen Fall zu tun sei. Sich zurückziehen wollte keiner, alle wollten den Platz behaupten, die einen, weil sie nicht gehen wollten, ohne ihre Lieben zu erlösen, und die anderen infolge des regen Ehrgefühls, das die Apachen auszeichnet.
   Die Dragoner brauchte oder wollte man nicht fürchten. Vielleicht hätten die Roten doch anders gedacht, wenn nicht der Fürst des Felsens und Donnerpfeil bei ihnen gewesen wären. Und die Komantschen, die eintreffen wollten, bekamen es jedenfalls sehr bald mit den Apachen zu tun, die das Fliegende Pferd nachsenden wollte.
   »Wir bleiben hier!« entschied auch Sternau, und das gab den Ausschlag. »Wir können unmöglich gehen«, fuhr er fort, »ohne zu wissen, ob die Unsrigen zu retten sind oder nicht. Dieser alte Opferplatz bietet uns eine Position, wie sie bequemer, fester und sicherer gar nicht gedacht werden kann. Wir haben Wasser für uns und die Pferde, die Büsche geben uns Deckung, es fehlt uns nur der Proviant. Und dieser ist sehr leicht beschafft, wir dürfen ja nur eine Anzahl Rinder herbeitreiben. Von Mitternacht an sind die Vaqueros nicht mehr auf der Weide; sie werden uns nicht stören.«
   Das wurde getan. In sehr kurzer Zeit hatte man eine genügende Anzahl Rinder da, um die Apachen auf zwei Wochen lang mit Fleisch zu versehen, und das Areal, auf dessen Mittelpunkt die Pyramide stand, war groß genug, diesen Rindern mit sämtlichen Pferden Futter zu gewähren.
   Jetzt legte sich ein jeder, der nicht zu wachen hatte, in seine Decke gewickelt zur Erde, um sich für die Anstrengungen des kommenden Tages zu stärken. Donnerpfeil, Bärenherz und Büffelstirn schliefen nicht. Sie dachten an die Gefangenen, die jedenfalls im Inneren der Pyramide steckten, und die Sorge um diese hielt sie wach.
   Schon mit Tagesanbruch weckten sie Sternau, ohne den sie nichts unternehmen mochten. Dieser war ihnen auch sofort zu Willen.
   Diese vier Männer stellten sich an den Punkt, den der Mexikaner ihnen gestern abend gezeigt hatte, und als sie die Erde untersuchten, fanden sie Spuren, die deutlich nach der südöstlichen Ecke der Pyramide führten. Sie folgten diesen Spuren durch das Gebüsch, dann aber gab es grasigen Boden, auf dem sie vollständig verschwanden. Es war zu lange Zeit vergangen, und so hatte sich das Gras wieder aufgerichtet.
   Das war schlimm. Die vier scharfsichtigen Männer, denen es wohl selten einer gleichtat, standen völlig ratlos da; es wurde alles versucht und probiert, aber vergeblich. Nun mußten die Apachen herbei. Das ganze Gebüsch, die Umfassung der Pyramide, die vier Seiten und die stumpf gewordene Spitze des alten Bauwerks, alles wurde auf das genaueste untersucht, doch man fand nichts.
   Es war fast ein Gefühl der Verzweiflung, das sich der vier Männer bemächtigte, aber man beschloß, die Untersuchung von neuem zu beginnen. Man war bereits wieder im vollen Zug, als plötzlich von der Höhe der Pyramide ein lauter Ruf erscholl. Man blickte empor. Grizzlytöter stand oben, winkte, daß man sich verstecken solle, und kam auch selbst mit größter Schnelligkeit herunter.
   »Was gibt es?« fragte Sternau. – »Reiter«, lautete die Antwort. – »Wo?« – »Von der Hazienda her. Es sind ihrer viele, und sie kommen im Galopp.«
   Ja, die Dragoner waren im Anzug. Der Komantsche hatte bereits gestern abend von dem Rittmeister erfahren, daß sein Genosse von den Apachen getötet worden sei, und dies hatte ihn zur Rache getrieben. Er war noch während der Nacht nach dem Wald gegangen, in dem er auf der Weimutskiefer gesessen, und hatte dann mit Tagesanbruch sein Werk begonnen, er war den Spuren der Apachen gefolgt. Als er in die Nähe der Pyramide kam, gebot ihm die Klugheit, haltzumachen. Er ahnte, daß sie sich dort bei der Pyramide befänden. Er schlug einen weiten Kreis um dieselbe und erfuhr da, daß die Spuren nur bis zu dem Bauwerk, aber nicht weiterführten.
   Jetzt kehrte er in die Hazienda zurück und machte dem Rittmeister seine Meldung. Dieser war noch voller Wut über die Schlappe, die er gestern abend erhalten hatte, und beschloß, sich sofort zu rächen. Er ließ satteln und aufsitzen und ritt mit allen seinen Leuten nach der Pyramide; auch die meisten Vaqueros schlössen sich an, um Zeugen des Kampfes zu werden.
   Als Sternau den Reitertrupp herankommen sah, nickte er nachdenklich mit dem Kopf. Über sein schönes, männliches Gesicht glitt ein Zug lustiger Ironie. »Das sind über hundert Mann«, sagte er. »Wie viele Apachen sind nötig, sie abzuhalten?« – »Fünfzig«, antwortete Bärenherz. – »Sagen wir hundert«, meinte Sternau. »Die anderen hundert will ich mit mir nehmen.« – »Wohin?« – »Das ist noch mein Geheimnis. Grizzlytöter mag hundert Mann aufsitzen lassen und mit mir kommen.«
   Noch war kaum eine Minute vergangen, so saßen sie im Sattel und warteten auf Sternau, um sich von ihm führen zu lassen.
   »Was beabsichtigen Sie denn eigentlich?« fragte Donnerpfeil. – »Das werden Sie später sehen.« – »Sie kommen doch wieder?« – »Versteht sich. Halten Sie sich gut gegen die Dragoner!«
   Sternau setzte sich nun an die Spitze seiner Reiter und verließ die Pyramide. Gerade von Süden her kamen die Dragoner, und gerade nach Norden ritten die Apachen davon, die ersteren konnten die letzteren nicht sehen, da das breite, hohe Bauwerk dazwischen lag.
   Sternau ritt im schnellsten Galopp. Als er bemerkte, daß er von der Pyramide aus nicht mehr gesehen werden konnte, schwenkte er nach Westen, dann nach Süden und in einer Weile nach Osten ein. Auf diese Weise hatten sie einen Halbkreis geschlagen und kamen von Westen her auf die Hazienda zu. Als sie die Besitzung endlich sahen, bemerkten sie, daß kein einziger Vaquero sich auf der Weide befand, darum erreichten sie das Haus ganz unbemerkt. Es war nur die alte Wirtschafterin mit dem weiblichen Dienstpersonal vorhanden.
   Sie erhoben ein fürchterliches Angstgeheul, als sie die Apachen erblickten, wurden aber bald zur Ruhe gebracht. Jetzt wurde das ganze Haus durchsucht. Man fand Proviant in Menge, auch Waffen und Munition, von der letzteren den ganzen Vorrat der Dragonerschwadron. Alles, was bei einem Biwak an der Pyramide gebraucht werden konnte, wurde auf die Pferde geladen, dann sperrte man die Frauen ein, und als die Apachen nun fertig waren, warteten sie auf die Rückkehr der Dragoner.
   Als diese vorhin in die Nähe der Pyramide gekommen waren, hielten sie zunächst an, um zu rekognoszieren. Ein Unteroffizier mußte mit seiner Sektion absteigen und zu Fuß vorrücken. Die Dragoner näherten sich den Büschen immer mehr, ohne daß man dort ein Lebenszeichen bemerkt hätte, und schon glaubte der Rittmeister, daß der Komantsche sich geirrt habe und daß hier von Apachen gar keine Rede sei, da donnert plötzlich eine Salve, und der Unteroffizier stürzte mit seiner ganzen Sektion tot zu Boden; kein einziger war am Leben geblieben.
   »Heilige Madonna, sie sind wirklich da!« rief der Rittmeister. »Das Plänkeln hilft nichts. Diese verdammten Rothäute fürchten den offenen Angriff, sie werden sofort ausreißen. Drauf auf sie!«
   In donnerndem Galopp brauste die Schwadron gegen das Gebüsch. Der Kommandeur war ein mutiger Mann, aber er besaß keine Klugheit. Als Büffelstirn und die anderen Anführer erkannten, daß der Angriff nur von dieser Seite geschehen werde, riefen sie alle ihre Leute zusammen. Am Rande des Gebüschs lagen sie versteckt, Mann an Mann, und als die Reiter in genügende Nähe herangekommen waren, krachten die Büchsen und schwirrten die Pfeile.
   Es entstand ein gewaltiger Wirrwarr unter den Dragonern. Tote und verwundete Menschen und Tiere lagen untereinander, und die anderen waren gezwungen anzuhalten. Auch den Rittmeister hatte ein Pfeil verwundet.
   »Das ist dieser Fürst des Felsens!« zürnte er. »Ohne diesen Menschen würden die Roten nicht standhalten. Holt die Verwundeten zurück, und dann wollen wir versuchen, die Mäuse aus ihren Löchern zu locken.«
   Es wurde versucht, aber ohne Erfolg. Die Apachen waren zu klug, um ihre schöne, sichere Deckung aufzugeben. Der Rittmeister saß ratlos auf dem Pferd.
   »Was tun?« fragte er zornig. – »Ich habe einen Plan, der vielleicht gut ist«, meinte der Oberleutnant – »Nun?« – »Der Platz ist nur im Sturm zu nehmen.« – »Ja«, lachte der Rittmeister höhnisch, »wir haben es gesehen und erfahren!« – »Es fragt sich nur, wie man den Plan ausführt.« – »Haben Sie eine neue Methode erfunden?« – »Nein. Es ist klar, daß der Feind seine Leute hier uns gegenüber konzentriert Die anderen Seiten sind also von Verteidigern entblößt Wir tun also, als wollen wir diese eine Seite angreifen, schwenken aber kurz vor der Linie nach rechts ab, fassen das Terrain von der anderen Seite und rollen den Feind einfach auf; dadurch jagen wir ihn hinaus ins Freie, wo er seine Pferde nicht hat, und reiten ihn dann nieder.« – »Die Idee ist gut, Leutnant. Sie wird sofort ausgeführt!«
   Die Dragoner formierten sich abermals und drangen im Galopp vor, aber sie hatten sich verrechnet denn während sie sich berieten, wurde an der Pyramide auch eine Beratung gehalten.
   »Was werden sie jetzt tun?« fragte Büffelstirn nachdenklich.
   Auch die anderen überlegten.
   »Der zweite Häuptling macht dem ersten einen Vorschlag«, meinte Bärenherz, der den Feind scharf beobachtete. – »Dieser Vorschlag scheint nicht viel zu taugen«, lachte Donnerpfeil; »ich glaube sehr, daß ich ihn errate.« – »Unser Bruder sage uns seine Gedanken«, bat Bärenherz. – »Die Dragoner werden bemerkt haben, daß die Krieger der Apachen sich meist auf dieser Seite befinden; sie werden ihren Angriff nun auf eine andere richten.« – »Auf welche?« – »Das muß man sehen.« – »Dann ist keine Zeit mehr«, meinte Büffelstirn. – »Mehr als genug!« versicherte Donnerpfeil. »Sie werden tun müssen, als ob ihr Angriff abermals dieser Seite gälte; wenn sie dann abschwenken, geraten sie auf einige Zeit in Unordnung, und das gibt uns die nötige Frist. Wir stellen uns hier in der Mitte der Seite auf, so daß wir beliebig nach rechts oder links schwenken oder auch vorgehen können. Haben wir sie dann zwischen den Büschen, so können sie zu Pferde gar nichts tun, während wir zu Fuß freiere Bewegung haben.«
   Die anderen sahen die Wahrheit dieser Worte ein und trafen die Aufstellung ihrer Leute danach. Bald sahen sie die Schwadron herangebraust kommen, dann umschwenken und sich nach der Ostseite wenden. Da nahmen auch die Apachen Stellung gegen Osten, und als die Dragoner herankamen, stutzten sie fast, daß kein einziger Schuß fiel; als sie aber samt und sonders in die Büsche eingedrungen waren, da krachte es von allen Seiten auf sie ein.
   Es entstand ein schauderhaftes Gemetzel. Die Dragoner, hoch zu Roß, konnten sich fast gar nicht verteidigen, weil ihnen das Strauchwerk hinderlich war; die Apachen aber hatten Raum genug zur Bewegung. Dieser Kampf dauerte nicht zehn Minuten, aber er war ein mörderischer. Als der Rittmeister seine Leute sammelte, hatte er von seinen hundert Mann nur noch einzige zwanzig. Er hatte eine Dummheit begangen, die ihm von seinem Vorgesetzten sicherlich nicht vergeben wurde.
   Er hielt noch lange unentschlossen draußen auf der Ebene; fast war es, als ob er noch einmal angreifen wolle, um sich den Tod zu holen, dann aber ritt er doch nach der Hazienda zurück.
   Seine Toten und Verwundeten ließ er liegen, er wußte sicher, daß er sie nicht erhalten hätte; ein Indianer verschenkt keinen Skalp.
   Die beiden Leutnants waren auch gefallen. Er war der einzige Offizier, und als er die Hazienda erblickte, die er mit so stolzem Mut verlassen hatte, da hätte er sich vor Grimm und Scham erschießen können.
   Sie ritten in den vorderen Hof, der Kommandeur ging sofort nach seinem Zimmer. Sternau war so vorsichtig gewesen, die Apachen mit ihren Pferden nach dem hinteren Hof zu schicken. Als der Rittmeister in seine Stube trat, riß er den Degen aus der Scheide, warf ihn zu Boden und rief grimmig:
   »Eine verdammte Heldentat! Diese Rothäute haben wohl nicht fünf Mann verloren, ich aber über achtzig!« – »Das ist traurig!«
   Der Rittmeister schrak zusammen, als er diese Worte hörte. Er hatte geglaubt, allein zu sein, und drehte sich um – da saß Sternau auf dem Stuhl.
   »Tausend Teufel! Sie hier!« rief der Offizier. – »Wie Sie sehen«, meinte Sternau, ruhig sitzen bleibend. »Ich habe mir erlaubt, mir eine Ihrer Zigaretten anzubrennen.« – »Ich denke, Sie haben bei der Pyramide mitgekämpft?« – »Fällt mir nicht ein! Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich nicht Ihr Feind bin. Ja, ich habe Ihnen sogar einen großen Gefallen getan.« – »Welchen?« – »Haben Sie nichts bemerkt?« – »Daß ich nicht wüßte«, sagte der Rittmeister, der gar nicht wußte, wie er sich zu benehmen habe. – »So wissen Sie doch vielleicht, wie stark die Apachen sind?« – »Zweihundert und sechs Mann.« – »Und gegen wie viele haben Sie heute gekämpft?« – »Gegen diese alle, jedenfalls.« – »Sie irren, es hat nur die Hälfte Ihnen gegenübergestanden.« – »Nur hundert?« – »Hundert und sechs.« – »Unmöglich. Dann wären wir an Zahl ja gleich gewesen. Und wir hätten siegen müssen.« – »Sehr falsch, wie sich erwiesen hat. Ich habe Ihnen den Gefallen getan und den Häuptlingen hundert ihrer Krieger entführt« – »Ah, ist das wahr?« – »Vollständig.« – »Aber weshalb taten Sie es?« – »Um Ihnen den Sieg leichter zu machen«, antwortete Sternau mit ironischem Lächeln. – »Wollen Sie mich verspotten?« brauste der Rittmeister auf. – »Gar nicht Ich spreche sehr im Ernst Hätte ich diese hundert Mann nicht entführt, so wäre keiner der Ihrigen entkommen. Als Sie im Süden anrückten, ritt ich nach Norden ab. Sie konnten das nicht sehen, die Pyramide verdeckte mich.« – »Wie kommt es da, daß ich Sie hier finde?« – »Ebenso könnte ich Sie fragen: Wie kommt es, daß ich Sie an der Pyramide sah? Sie kamen, um uns anzugreifen, und ich komme, um Sie anzugreifen. Sie wollten mich gestern festhalten, heute dreht sich das Ding um: Sie sind mein Gefangener!«
   Bei diesen Worten erhob er sich und trat auf den Rittmeister zu.
   »Sind Sie bei Sinnen?« rief dieser.
   Bei diesen Worten griff er nach seinem Revolver, den er vom Kampf her noch im Gürtel hatte. Sternau blitzte ihn aber mit seinen leuchtenden Augen an und drohte:
   »Hand von der Waffe! Oder wünschen Sie einen ähnlichen Hieb wie gestern?«
   Der Rittmeister nahm doch die Hand weg und sagte:
   »Sie werden mir unbegreiflich! Ich werde meine Leute rufen.« – »Und ich die meinigen.«
   Damit trat Sternau an den Tisch, ergriff eine darauf stehende Schokoladentasse und warf sie durch dasjenige Fenster des Zimmers, das nach dem hinteren Hof ging. Er hatte mit seinen Indianern ausgemacht, sobald er das Fenster zerbreche, sollten sie nach dem vorderen Hof gehen und alle Dragoner gefangennehmen. Daß sie dieser Verabredung Folge leisteten, bewies ein wirres Geschrei, das sich jetzt unten erhob.
   »Kommen und sehen Sie!« gebot Sternau.
   Der Rittmeister sprang zum Fenster und kam gerade recht, um zu sehen, daß der letzte seiner Leute niedergerissen und gefesselt wurde.
   »Die Apachen hier?« rief er erschrocken. – »Natürlich«, antwortete Sternau. »Und zwar wiederum Ihnen zuliebe. Wir wollen Sie nicht nach Chihuahua gehen lassen, wo Ihrer eine fürchterliche Nase wartet für den Streich, den Sie heute spielten. Sie sind mein Gefangener und bleiben mit Ihren Leuten bei uns!« – »Was soll ich bei den Apachen?« fragte der Rittmeister entsetzt. – »Es geschieht Ihnen nicht das mindeste. Sie sind eine Geisel, sind mein Gefangener, es wird Sie niemand anrühren.« – »Eine Geisel? Wozu?« – »Das werden Sie später erfahren. Packen Sie Ihr Notwendigstes zusammen, Sie hören, meine Apachen sind bereits vor der Tür.«
   Da endlich sah der Offizier ein, daß es Ernst war.
   »Señor, Sie sind ein Verräter!« rief er. »Sie als Weißer überantworten mich den Rothäuten!« – »Ob ich ein Verräter bin, müssen meine Freunde wissen. Ich habe Ihnen gestern gesagt, daß die Apachen nicht mit Ihnen kämpfen wollen, ich habe Sie um einen dreitägigen Waffenstillstand gebeten, Sie wollten nicht. Sie haben den Kampf herbeigezwungen und mögen nun auch die Folgen tragen.«
   Sternau öffnete hierauf die Tür und ließ einige Apachen herein, die den Rittmeister ohne Umstände banden und fortführten.
   Dann begab er sich in den Raum, wo man die Frauen eingeschlossen hatte. Als er unter die Tür trat, erhoben sie ein großes Geschrei.
   »Still!« gebot er.
   Aber solchen Weibern ist schwer Schweigen zu gebieten. Die alte Haushälterin warf sich vielmehr vor ihm nieder, hob die Hände auf und flehte.
   »Señor, habt Erbarmen! Wir haben Euch doch nichts getan! Oder ist mein Cousin Euer Feind gewesen?«
   Bei diesen Worten kam Sternau ein Gedanke.
   »Verdoja war Euer Cousin?« fragte er. – »Ja, Señor. Ich bin die Dame des Hauses.« – »Hatte er Vertrauen zu Euch?« – »Hätte er mich sonst zur Dame des Hauses gemacht, Señor?« – »Ich meine es anders. Hat er Euch zuweilen Dinge mitgeteilt, die er anderen nicht sagen würde?« – »Einiges.« – »Wißt Ihr, wo er sich befindet?« – »«Nein.« – »Hat Verdoja die Nacht hier in der Hazienda geschlafen?« – »Ja.« – »Kennt Ihr die Pyramide, die hier in der Nähe liegt?« – »Ich kenne sie.« – »Wißt Ihr nicht, ob sie hohl ist?« – »Sie ist hohl, denn Señor Verdoja war sehr oft darin.« – »Ah«, fragte Sternau erfreut, »wie ist er hineingekommen?« – »Das weiß ich nicht, das war ein Geheimnis schon zu Zeiten seines Vaters; aber droben im Schreibtisch, da liegt eine Zeichnung, auf der es steht, wie es in dem Innern der Pyramide aussieht« – »Führen Sie mich zu dem Schreibtisch.«
   Die Alte führte Sternau nunmehr nach dem Wohnzimmer Verdojas. Dort stand ein sehr alter Schreibtisch, den mit dem Messer zu öffnen, Sternau Mühe hatte. Endlich sprang der Kasten auf, und nun fand Sternau wirklich einen Plan, der sich auf das Innere der Pyramide beziehen mußte.
   »Aber was wird Señor Verdoja sagen, wenn er sieht daß der Tisch aufgesprengt worden ist?« sagte die Alte ängstlich. – »Habt keine Sorge«, antwortete Sternau. »Er wird nichts merken, denn er kehrt gar nicht zurück; die Apachen werden ihn töten. Und übrigens werde ich die Hazienda jetzt anbrennen.« – »Anbrennen? – O heilige Madonna! Was habe ich Euch denn getan, daß Ihr mich Ärmste unglücklich machen wollt?« – »Verdoja hat es verdient.« – »Aber ich nicht! Wenn er wirklich tot ist, so bin ich ja die Erbin!«
   Das machte Sternau zur Milde gestimmt. Als die Alte jetzt bat und flehte und auf ihr Geschrei die anderen Frauenzimmer herbeieilten und, nachdem sie gehört, um was es sich handle, ihm zu Füßen fielen und ihn unter Tränen baten, daß er barmherzig sein möge, willigte er endlich ein, steckte den Plan als einen jetzt köstlichen Schatz in die Tasche und gebot dann seinen Apachen, aufzubrechen. Diese waren unterdessen nicht müßig gewesen und hatten den Pferden der Dragoner auch noch vieles aufgeladen, so daß die Tiere fast unter ihrer Last zusammenbrachen.
   Der Zug setzte sich in Bewegung. Alle Männer gingen zu Fuß, und ein jeder führte sein beladenes Pferd. Die Dragoner waren so gefesselt, daß sie zwar ihre Pferde führen, aber nicht entfliehen konnten. Von den Vaqueros ließ sich keiner sehen. Erst waren sie Zeugen des unglücklichen Kampfes gewesen, dann waren sie zu ihren Herden zurückgekehrt, und jetzt als sie die Apachen erblickten, versteckten sie sich, so gut es gehen wollte.


   40. Kapitel

   Als die lange Karawane die Pyramide erreichte, war die Überraschung eine ganz bedeutende. Sternau hatte alle verschont gebliebenen Dragoner zu Gefangenen gemacht und eine Beute gebracht die den Indianern das Lagerleben erleichterte und sie an Proviant und Munition so bereicherte, daß sie eine förmliche Belagerung hätten aushalten können. Sein Lob erklang aus aller Munde, das Beste aber, was er mitgebracht hatte, waren Hacken und Brechstangen, die er vielleicht zu gebrauchen glaubte.
   Die Vorräte wurden aufgespeichert, die Gefangenen unter gute Bewachung gestellt und dann Kundschafter ausgesandt, um etwa anrückende Feinde sofort zu melden.
   Nun erst nahm Sternau sich Zeit, die Karte zu studieren.
   Sie war sehr deutlich gezeichnet. Das Innere der Pyramide bestand aus drei Stockwerken, deren Mitte der tiefe, viereckige Brunnen bildete. Konzentrisch zu diesem Brunnen liefen Gänge, die durch Quergänge verbunden waren, und nach den Ecken zu waren Zellen angebracht. Die Pyramide hatte unten an ihrem Fuß vier Eingänge gehabt, in der Mitte einer jeden Seite einen.
   Jetzt handelte es sich darum, einen dieser Eingänge, die jedenfalls vermauert waren, zu finden. Sternau teilte den andern den Plan des Bauwerks mit, und dann begab man sich auf die Suche. Es fand sich nichts, bis Sternau auf den Gedanken kam, die genaue Mitte der Seiten abzumessen.
   Als diese gefunden war, kam man an einen Felsen, der eigentümlich zerrissen war. Sternau untersuchte ihn und verzweifelte bereits, als er sich plötzlich niederkniete, an dem Stein zu schieben versuchte – und dieser sich bewegte. Da sprang er, leichenblaß vor Freude, auf und rief:
   »Ich hab‘s!« – »Ist‘s möglich?« fragte Donnerpfeil. – »Ja. Hier ist der Eingang, ich habe es gefühlt.« – »Wo? Wo? Rasch! Rasch!« – »Man muß diesen Mittelstein nach innen schieben.«
   Sofort kniete Donnerpfeil nieder und schob aus Leibeskräften. Der Stein wich nach innen, und es waren die steinernen Rollen zu sehen, auf denen er lief.
   »O mein Gott, dir sei Dank!« rief Donnerpfeil, indem er auf den Knien liegenblieb, halb betend und halb vor Freude überwältigt.
   Sternau blickte in die Öffnung. »Hier steht eine Laterne, es müssen mehrere hier gestanden haben«, sagte er. – »Eine Flasche voll Öl ist da.« – »Schnell anbrennen, und dann hinein!«
   Bei diesen Worten sprang Donnerpfeil auf und steckte die Laterne in Brand. Dann schritt er eiligst vorwärts, ohne in seinem Eifer darauf zu achten, ob ihm jemand folge oder nicht. Sie waren aber alle drei hinter ihm her, Sternau, Büffelstirn und Bärenherz; ganz zuletzt kam auch der Vaquero Francesco.
   Es ging den langen Gang hinter, aber dann stand man vor einer Tür. Sternau hielt hier den Plan an die Laterne und betrachtete ihn.
   »Türen sind hier nicht verzeichnet«, sagte er. »Ist ein Schloß daran?« – »Nein«, antwortete Donnerpfeil, »doch sie ist fest zu.« – »So befindet sich entweder auf der inneren Seite ein Riegel, oder es gibt irgendeine geheime Mechanik daran. Wir können uns nicht damit aufhalten, diese Mechanik zu entdecken. Wir haben Pulver genug, sprengen wir also die Tür auf. Macht mit den Messern einige Sprenglöcher zwischen die Mauer und das Türgewände. Die Mauer ist aus Backsteinen und weich. Ich gehe und hole das Pulver.«
   Die anderen machten sich sofort an die Arbeit, und als Sternau zurückkehrte, waren sie bereits fertig. Die Löcher wurden gefüllt, mit einer Lunte versehen, die man aus einigen Faden zusammendrehte und mit Pulver einrieb. Jetzt brannte man die Lunten an und eilte zum Ausgang zurück.
   Es dauerte eine kleine Weile, dann hörte man es schnell hintereinander viermal krachen, und schon wollten sich die fünf wieder nach dem Innern begeben, als Grizzlytöter herbeikam. Man sah es seinem eiligen Lauf an, daß er etwas Wichtiges zu verkünden habe.
   »Was bringt uns mein Bruder?« fragte Bärenherz. – »Die Hunde der Komantschen kommen durch den Wald, an dem wir gestern vorüberritten.« – »Wer hat diese Kunde gebracht?« – »Der Rote Hirsch.« – »So wollen wir ihn zunächst hören. Hole ihn!«
   Der Apache, der den Namen Roter Hirsch trug, kam herbei. Er war einer von denen, die auf Kundschaft ausgesandt worden waren.
   »Mein Bruder sage uns, was er gesehen hat!« gebot Bärenherz. – »Ich ging den Weg zurück, den wir gekommen sind«, sagte der Kundschafter. »Die beiden Komantschen, deren einen wir töteten, hatten uns gesehen, und das konnte nur im Wald geschehen sein. Ich ging also an dem Rand desselben entlang und fand eine ganz neue Fährte, die hineinführte; ich untersuchte sie und erkannte die Fährte eines Indianers, die von der Hazienda kam.« – »Es war jedenfalls der Komantsche, der auf der Hazienda übernachtete; er wird seine Gefährten geholt und ihnen auch gesagt haben, daß wir hier sind«, sagte Sternau. »Der Rote Hirsch mag weiter berichten.« – »Ich verfolgte die Fährte«, fuhr dieser fort. »Sie führte gerade in den Wald hinein. Ich kam nur langsam vorwärts, da ich meine eigene Spur immer verwischen mußte. Da hörte ich das Krächzen mehrerer Raben. Sie waren von jemand, der im Wald ging, aufgescheucht worden; darum verbarg ich mich schnell in ein Dickicht und wartete. Es dauerte nun gar nicht lange, so kamen die Hunde der Komantschen an mir vorüber. Es war ein großer Stamm, denn ich zählte viermal zehnmal zehn Krieger, und es waren drei Häuptlinge dabei.« – »Kanntest du diese?« fragte Bärenherz. – »Nein.« – »Wohin gingen sie?« – »Als der letzte vorüber war, folgte ich ihnen. Sie gingen bis an den Rand des Waldes. Dort erzählte ihnen der Spion, daß wir hier sind, und alles, was geschehen ist. Darauf hielten sie eine kurze Beratung und gingen zur Hazienda.« – »So werden wir sie bald zu sehen bekommen.« – »Vielleicht erst heute nacht«, meinte Donnerpfeil. – »Nein. Sie werden uns einschließen, damit uns jede Verbindung abgeschnitten wird«, versetzte Sternau. »Dann aber greifen sie uns des Nachts an. Haltet gut Wache, und wenn etwas Wichtiges passiert, so kommt uns in diese Höhle nach und sagt es uns.«
   Damit war der Kundschafter entlassen; die anderen aber drangen wieder in den Gang hinein.
   Als sie die Stelle erreichten, wo sich die Tür befunden hatte, lag diese am Boden. Sie war samt dem Gewande aus der Mauer gerissen worden. Sie wurde aus dem Mauerblock hervorgezogen und untersucht. Es war nichts zu sehen als oben und unten ein viereckiges Loch. Man untersuchte darauf den Boden an der Stelle, wo sie befestigt gewesen war, und ebenso die Decke; da fand man oben und unten einen eisernen Zahn, der in das Loch eingegriffen hatte; aber dieser Zahn war fest und unbeweglich, und man konnte die Mechanik nicht entdecken, mittels welcher er vor– und zurückgeschoben wurde.
   »Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als alle Türen aufzusprengen«, sagte Sternau. »Ich werde wieder Pulver holen. Zunächst aber wollen wir weitersehen.«
   Sie hatten eine bedeutende Strecke zu gehen, ehe sie wieder an eine Tür kamen, die sich an der rechten Mauer befand, während der Gang weiterführte. Da nahm Sternau den Plan abermals vor und sah nach.
   »Was sucht mein Bruder?« fragte Bärenherz. – »Ich suche den Ort, an dem sich die Gefangenen befinden. Jedenfalls sind sie in der Mitte der Pyramide, in der Nähe des Brunnens, denn dort sind sie am sichersten. Bis zum Brunnen haben wir noch fünf Türen. Diese hier muß aufgesprengt werden, denn dem Gang folgen wir nicht weiter.«
   Wieder machten sich die anderen daran, Sprenglöcher zu bohren, und als Sternau mit Pulver zurückkehrte, wurden dieselben geladen. Man kehrte darauf in eine genügende Entfernung zurück, und als die Knalle erfolgt waren, fand man ganz dasselbe Ergebnis wie vorher. Auch hier sahen sie oben und unten die eisernen Zähne aus dem Gestein hervorragen, ohne daß man ihre Mechanik entdecken konnte. Der Mann, der diese Vorrichtung erfunden hatte, war jedenfalls ein kluger Mann gewesen.
   Man drang nun nach Sternaus Anweisung weiter vor. Dieser hatte außer dem Pulver jetzt auch eine Hacke und einen eisernen Hebebaum mitgebracht. Bei der nächsten Tür wurden diese beiden Instrumente versucht, aber sie erwiesen sich als nicht zulänglich. Es mußte wieder das Pulver zu Hilfe genommen werden. Diese Tür hatte von zwei Seiten schwere Riegel; man mußte mehr Pulver als bisher verwenden. Das gab einen fürchterlichen Knall, so daß der ganze Bau zu beben schien. Als man zu der gesprengten Tür kam, war so viel Mauer und Decke mit fortgerissen, daß man nicht weiter vorwärts konnte. Man mußte zunächst den Schutt forträumen und auch die Decke stützen. Dies gab, da es an geeignetem Material dazu fehlte, eine bedeutende Arbeit, worüber mehrere Stunden vergingen.
   Noch während man damit beschäftigt war, kam ein Bote und rief die Häuptlinge nach außen. Sie sagten sich, daß das Wohl und Wehe, ja das Leben der Eingesperrten an einem einzigen Augenblick hänge, aber da draußen standen zweihundert Apachen, deren Schicksal ihnen anvertraut war, und so mußten sie dem Ruf folgen.
   Als sie vor der Pyramide anlangten, sahen sie, daß die Komantschen einen weiten Ring um dieselbe gezogen hatten und sie eingeschlossen waren. Eine Zählung der Feinde ergab, daß es nicht viel über hundert waren. Aber alle hatten Pferde.
   »Sie haben sich mit den Pferden, die zur Hacienda Verdoja gehören, beritten gemacht«, sagte Sternau. »Die anderen streifen noch weiter, um Pferde zu finden. Sie werden den Kampf nicht eher beginnen, als bis sie alle Tiere besitzen. Wir sind also jetzt noch sicher und können an unser Werk zurückkehren.«
   Es darf nicht Wunder nehmen, daß sich hundert Indianer auf einer einzigen Hazienda beritten machen, es gibt Hazienderos, die viele tausend Stück halbwilder Pferde auf den freien Weiden haben. Existieren doch auch in den ungarischen Pusten und in den Steppen Rußlands Pferdeherden von mehreren tausend Stück.


   41. Kapitel

   Während die Gefahr des Kampfes sich der Pyramide mehr näherte, saßen die vier Gefangenen im Innern derselben und erwogen die Möglichkeit der Rettung untereinander. Sie hatten auf Sternau gerechnet, aber es waren nun bereits zwei Nächte vorüber, und das ist in solchen Verhältnissen eine Ewigkeit. Das Wasser war fast verbraucht, der Proviant reichte nur noch kurze Zeit, die Leichen Parderos und des Wärters verbreiteten bereits einen fast unerträglichen Gestank, und aus dem Brunnen erklang in regelmäßigen Zwischenräumen ein wahnsinniges Schmerzgebrüll oder ein markerschütternder Jammerschrei Verdojas. Es war, als ob ein wildes Tier am Spieß lebendig gebraten werde.
   Karja, die Indianerin, war wortkarg, aber Emma konnte ihrer Angst nicht gebieten. Sie glaubte nicht mehr an die Möglichkeit einer Rettung. Sie hatten die Messer an der Tür versucht, sie aber als unzulänglich befunden. Rettung konnte nur von außen kommen, und wer sollte da der Retter sein? Das Innere der Pyramide war ein Geheimnis, und diejenigen, die allein es kannten, lagen tot oder gelähmt in der Zelle und in der Tiefe des Brunnens.
   Emma faltete die Hände und flehte:
   »Oh, heilige Mutter Gottes, bitte für uns in dieser entsetzlichen Not! Laß uns nicht verschmachten und verderben in dieser Finsternis! Laß uns das Licht des Tages wiedersehen, und ich will Deine Güte preisen, so lange ich lebe!«
   Der Steuermann war still geworden, aber Mariano ergriff die Hand der Señorita und bat mit trostvoller Stimme:
   »Verzagen Sie noch nicht! Ich kenne Gott, der allmächtig ist, und ich kenne Sternau, den man fast auch allmächtig nennen mag. Er bringt fertig, was kein anderer kann. Er weiß, was für ein Schicksal uns bei Verdoja und Pardero erwartet, und wird alles wagen und tun, um uns zu finden und zu retten.« – »Aber wer soll ihm sagen, daß wir uns hier befinden?« – »Darüber lassen Sie Gott und ihn sorgen. Er findet uns, ich bin überzeugt!« – »Aber wenn ihm selbst ein Unfall widerfährt?« – »Ihm geschieht nichts Böses. Er weiß, was für uns davon abhängt, daß er in keine Fährlichkeit gerät, und wird vorsichtig sein. Vielleicht ist gerade diese Vorsicht schuld, daß wir warten müssen. Es sind ja erst zwei Tage verflossen, es ist sehr leicht möglich, daß er jetzt erst in dieser Gegend eintrifft. Nun wird er nach Spuren suchen und sie finden. Er wird auch ein Mittel entdecken, zu uns zu gelangen. Es ist mir, als … horch!«
   Sie lauschten, hörten aber nichts.
   »Was war es?« fragte Emma. – »Es war mir, als ob ich ein leises Rollen hörte, fast wie ferner Donner.« – »Das war eine Täuschung, Señor. In diese Tiefe dringt kein Ton von außen!«
   Es trat wieder eine tiefe Stille ein, bis der Steuermann aus seinem Grübeln auffuhr.
   »Hol‘s der Teufel, ich finde nichts!« – »Was suchen Sie?« fragte Mariano. – »Nach einem Mittel, diese verteufelte Pyramide in die Luft zu sprengen, aber natürlich so, daß wir unbeschädigt sitzen bleiben.« – »Geben Sie sich keine Mühe, es ist alles vergeblich. Wir können nur von außen Hilfe erwarten.« – »Nun, dann mag sie bald kommen, nicht um meinetwillen, denn ich halte etwas aus, sondern um dieser Señoritas willen, die so etwas nicht verdient haben. Es muß ein miserabler Tod sein, hier unten so langsam … horch!«
   Jetzt horchten sie alle auf, denn alle hatten einen Donner vernommen.
   »Das war ganz wie vorhin, aber stärker«, sagte Mariano. »Es gibt doch jetzt keine Gewitter! Und wie sollte man hier unten den Donner hören können?« – »Das war kein Donner«, erklärte der Steuermann; »das war ein Schuß.« – »Es ist ganz unmöglich, es hier unten zu hören, wenn ein Schuß fällt«, sagte Emma. – »Aber wenn der Schuß von hier unten gefallen wäre?« fragte Helmers. – »Wer sollte da schießen?« – »Weiß ich es? Ich weiß nur so viel, daß ich als Seemann den Donner von einem Schuß sehr genau unterscheiden kann. Es war ein Schuß. Wäre er aber gefallen, so müßte es ein Kanonenschuß gewesen sein, und ich zweifle, ob man selbst einen solchen hier hören würde. Wir haben ihn aber gehört, folglich ist er unten abgefeuert worden.« – »Aber es hat kein Pistol und keine Büchse einen solchen Klang. Und wozu sollte man hier unten schießen? Etwa, um uns ein Zeichen zu geben? Sternau weiß ja, daß wir nicht antworten können.«
   Auf diese Worte Emmas schüttelte der Steuermann den Kopf.
   »Ja, eine Büchse hat keinen solchen Klang«, sagte er, »aber wissen Sie, was genau so klingen würde?« – »Was?« – »Ein Sprengschuß.« – »Allmächtiger! Sie glauben …?«
   Helmers nickte und antwortete:
   »Ich glaube, daß Sternau da ist; ja, es war ein Sprengschuß. Ich kenne meinen Herrn Sternau genau. Ihm ist nichts zu schwer. Vielleicht ist er gar auf die Idee gekommen, die Türen aufzusprengen, weil er sie nicht öffnen kann.«
   Diese Worte waren in einem so zuversichtlichen Ton gesprochen, daß Emma mit vor Hoffnung leuchtenden Augen sagte:
   »Sie geben mir Trost, Señor Helmers. Es ist mir, als ob ich jetzt an eine Errettung glauben dürfte. Oh, mein Vater, mein armer, guter Vater! Werde ich dich noch einmal wiedersehen?«
   Sie weinte, aber es waren doch noch immer Tränen des Schmerzes und nicht der Hoffnung, die sie vergoß. Da ertönte mitten in ihr Schluchzen hinein ein gewaltiger Knall, so daß sie fühlten, wie der Boden und die Wände des Ganges zitterten. Und als auf diesen Knall ein dumpfes Prasseln erscholl, da sprang der Steuermann in die Höhe und rief:
   »Hurra! Hurra! Sternau ist da, ist wirklich da! Das war ein Sprengschuß, wie er leibt und lebt, und dahinter prasselte die Mauer ein. Die Rettung ist da, juchhe, sie ist da!«
   Auch Emma wollte sich erheben, aber sie wankte und sank wieder in die Knie.
   »Wär‘s möglich!« hauchte sie.
   »Ich glaube selbst, daß Señor Helmers recht hat«, entgegnete Mariano. »Was glauben Sie, Señorita Karja?«
   Die Indianerin schlug langsam die geschlossen gewesenen Augen auf und erwiderte:
   »Es ist Sternau, ich wußte, daß er kommen würde.«
   Da fiel Emma der Sprecherin um den Hals, küßte sie und jubelte:
   »Herrgott, ich danke dir! Nie will ich deine Liebe vergessen, wie du jetzt auch unserer nicht vergessen hast.«
   Jetzt verging eine längere Zeit, während welcher sie lauschten. Sie saßen in dem Gang, in dessen Zellen Mariano und Helmers gesteckt hatten.
   »Wollen wir nicht an die vordere Tür gehen?« fragte der Steuermann. – »Ja, vielleicht hören wir da besser, was geschieht«, antwortete Mariano.
   Emma stützte sich auf den letzteren; so begaben sie sich nach der Tür, an der sie ihre Messer vergebens versucht hatten. Dort ließen sie sich auf den feuchten Boden nieder und lauschten. Nun hörten sie ein dumpfes Stoßen und Schieben, das kein Ende nehmen wollte.
   »Wissen Sie, was das ist, Señorita?« fragte Helmers. – »Nein.« – »Sie räumen den Schutt weg. Der letzte Schuß war stark und hat den Gang höchstwahrscheinlich sehr beschädigt.« – »Ach, wenn es doch so wäre!« – »Es ist so, Señorita. Ich bin still gewesen da hinten in dem Gang, denn ich dachte an mein Weib und an meine Lieben, die mir Gott erhalten möge, aber den Mut habe ich doch nicht verloren gehabt. Der Tod ist ein eigentümlicher Kauz; er wagt sich nicht an jedes Menschenkind sogleich heran.« – »Aber horcht, man hört jetzt nichts mehr.« – »Sie ruhen wohl aus«, tröstete der brave Steuermann.
   Es war gerade die Zeit, in der die Häuptlinge nach oben gerufen wurden, um die Umzingelung der Komantschen zu beobachten.
   Nun herrschte eine erwartungsvolle Stille unter den Eingeschlossenen, bis sich das Stoßen und Schieben wieder vernehmen ließ. Dann hörte man laute Schläge wie mit einem Beil oder einer Hacke gegen Holz, und dabei war es, als ob ferne Menschenstimmen erklängen. Da – da nahten Schritte, die laut und deutlich zu vernehmen waren.
   »Nun diese Tür«, sagte eine sonore Stimme. »Sie führt ganz sicher nach dem Brunnen. Wir haben noch Pulver genug.«
   Den Eingeschlossenen war es, als ob sie einen elektrischen Schlag erhielten; sie konnten vor Wonne nicht sprechen und hielten einander fest mit der Hand gefaßt.
   »Sternau!« flüsterte endlich der Steuermann. »Ich wußte es! Und ihm ist sogar bekannt, daß diese Tür nach dem Brunnen führt.«
   Sie lauschten. Ein suchendes Tasten ließ sich an der Tür vernehmen, dann sagte eine andere Stimme:
   »Das kostet wieder viel Pulver; es ist eine Tür mit Doppelriegel.«
   Da schnellte Emma empor und stieß einen Schrei des Entzückens aus:
   »Gott, mein Gott! Antonio, Antonio!«
   Einen Augenblick lang war es drüben still, der freudige Schreck lähmte die Zungen; dann aber rief Donnerpfeil herüber:
   »Emma, meine Emma, bist du es?« – »Ja«, antwortete sie, »ich bin es, Geliebter!« – »Gott sei tausend Dank! Bist du allein?« – »Nein, wir sind da, alle vier.«
   Da rief eine Stimme, die man bisher noch nicht gehört hatte:
   »Alle vier, Karja, du auch?«
   Der Ton dieser Stimme rief die Röte des Entzückens auf die bleichen Wangen der Indianerin.
   »Ja«, rief sie, »Karja, deine Schwester, ist da!« – »Uff! Uff!« ließ sich darauf eine neue Stimme vernehmen.
   Die Wangen Karjas wurden beim Klang dieser Stimme wieder blaß. War dies vor Schreck oder vor Freude?
   »Wer sprach da?« fragte der Steuermann leise. – »Diese Stimme kenne ich«, antwortete Emma leise. »Es ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Die Helden sind alle beisammen: Bärenherz, Büffelstirn, Donnerpfeil, aber wo ist Sternau? Ich höre ihn nicht mehr. Habe ich mich vorhin in jener Stimme getäuscht?«
   Diese Wechselreden und Ausrufungen folgten natürlich viel schneller aufeinander, als sie geschrieben oder gelesen werden können. Sie flogen herüber und hinüber, und es gab zwischen ihnen keine Pause, die auch nur den zehnten Teil einer Sekunde lang gewesen wäre. Jetzt wieder fragte Donnerpfeil:
   »Wie befindet ihr euch, Emma?« – »Gut. Oh, nun ist ja alles vergessen!«
   Da klopfte es, und endlich erklang Sternaus Stimme zum zweiten Mal:
   »Wie geht es denn meinem braven Steuermann? Er wird ja ganz vergessen über die anderen, sogar von seinem Bruder!« – »Danke sehr, Herr Doktor!« rief Helmers hinüber. »Ich bin noch fest auf dem Kiel. Machen Sie nur das Fahrwasser frei, daß wir bald hinaussegeln können.« – »Soll gleich geschehen! Fragen und antworten können wir ja später; jetzt aber nur das eine: Ist Verdoja drüben? Und Pardero?« – »Ja.« – »Was tun sie? Sie scheinen doch nicht bei euch zu sein?« – »Sie sind in der Nähe und haben genug. Pardero ist tot und auch der Gefängniswärter. Verdoja ist in den Brunnen gefallen und hat das Rückgrat und beide Arme gebrochen; er lebt aber noch.« – »Ach, welch eine Schickung!« hörte man Sternau drüben sagen. »Sie scheinen sich wacker gewehrt zu haben. Nun schnell, daß wir zu ihnen kommen!« Und dann fragte er noch durch die Tür: »Ist‘s finster drüben?« – »Nein. Wir haben sogar zwei Laternen«, antwortete Helmers. – »Das ist gut. Zieht euch so weit wie möglich zurück. Wir sprengen die Tür. Oder könnt ihr nicht?« – »Oh, sehr weit!« – »So geht jetzt! Dann kommen wir gleich.«
   Die Eingeschlossenen kehrten nun bis in den nächsten Gang zurück und teilten sich ihr Glück in glühenden Worten mit. Dann lauschten sie dem knirschenden Bohren der Messer.
   »Sagte ich es nicht, daß Sternau kommen würde?« meinte Helmers. »Das ist ein Mann, wie es keinen zweiten gibt.« – »Ich wußte es sicher!« bestätigte Mariano in dem Ton der vollsten Überzeugung. »Wäre ich ein Heide, so würde ich sagen, er sei ein Halbgott oder ein Liebling der Götter. Niemand kann ihm genug danken!«
   Es verging einige Zeit, und dann erfolgte abermals ein Krach, der wegen der größeren Nähe fast ebenso gefühlt wie gehört wurde. Die Wände bröckelten, und aus der Decke brachen ganze Stücke, dann aber erklang vorn an der Sprengstelle Donnerpfeils Stimme:
   »Emma, wo bist du?« – »Hier!« jubelte sie und eilte den Gang vor.
   Dort stand Donnerpfeil diesseits des Schutts, zwar im Dunkeln, aber von den jenseitigen Laterne genügend beleuchtet Sie flog an seine Brust, und er legte seine Arme um sie, so fest und innig, daß sie sein stilles Gelübde fühlen konnte, sie nie, nie wieder zu verlassen.
   »Mein Antonio!« flüsterte sie. »Fast wäre ich gestorben!« – »Gott sei Dank, daß dies nicht geschehen ist«, antwortete er mit tiefster Innigkeit »Mein kranker Kopf hätte das nicht ausgehalten, und ich wäre wieder wahnsinnig geworden.«
   Da tauchte neben ihnen die Gestalt Büffelstirns auf.
   »Wo ist Karja, die Tochter der Mixtekas?« rief er.
   Da kam die Genannte herbeigeflogen, und sie fanden sich zu glückseliger Umarmung. Nenne man nicht den Indianer einen Wilden. Er ist dasselbe Ebenbild Gottes wie der Weiße, der sich doch unendlich höher dünkt
   Jetzt kam Sternau herüber und reichte allen die Hand. Mariano umarmte ihn und sagte in innigster Dankbarkeit
   »Schon wiederrettest du mich! Carlos, du bist mein Schutzgeist für und für.«
   Und der Steuermann meinte bewegt
   »Herr Doktor, wenn ich die Meinen wiedersehe, so habe ich das nur Urnen zu verdanken. Gott vergelte es Ihnen, ich kann es nicht«
   Nun wurde in kurzen, abgerissenen Sätzen das Geschehene schnell erzählt.
   »Wie, du hast diesem Verdoja das Messer entrissen und ihm gedroht?« fragte Donnerpfeil seine Braut – »Ja. Er durfte mich nicht anfassen, ich hätte ihn oder mich getötet« – »Meine Heldin!«
   Mit diesem Ausruf der Bewunderung drückte er sie an sich, fest und warm.
   Und in demselben Augenblick wurde hinter Karja eine Frage hörbar:
   »Die Tochter der Mixtekas hat diesen Pardero mit eigener Hand getötet?«
   Es war Bärenherz, der Apache, den Karja jetzt liebte mit der vollen Glut ihres Herzens, obgleich sie einst so töricht gewesen war, ihm Graf Alfonzo vorzuziehen.
   »Ja«, antwortete sie leise. – »Und dann ihre Mitgefangenen befreit?« – »Ja.« – »Die Tochter der Mixtekas ist eine Heldin, sie verdiente, die einzige Squaw eines großen Häuptlings zu werden.«
   Der Apache fuhr ihr mit der Hand liebkosend über das Haar und wandte sich dann ab, aber Karja wußte, daß seine Worte und dieses fast unfühlbare Streichen ihres Haares bei ihm mehr zu bedeuten hatte, als bei einem anderen eine Rede von tausend Worten.
   Da aber kam noch einer und sagte schüchtern:
   »Señorita, wie freue ich mich, Euch wiederzusehen.«
   Emma blickte sich um und erkannte den Vaquero.
   »Francesco, du auch hier?« sagte sie hocherfreut. »Du bist mir wie ein Gruß vom Vaterhaus. Das werde ich dir nicht vergessen!«
   Sie reichte ihm die Hand, und dann sagte Sternau:
   »Verschieben wir alles für später und denken wir zunächst an die Gegenwart. Wir wollen die Zellen sehen, in denen Sie gesteckt haben, und die Leichen.«
   Mariano ergriff die eine Laterne und machte den Führer. Die Retter schauderten, als sie die engen, modrigen Zellen erblickten. Als sie zu den beiden Leichen kamen, sprach keiner ein Wort. Sie fühlten, daß hier Gottes Strafgericht gewaltet habe.
   Da ertönte ein entsetzlicher, langgezogener Schrei.
   »Was ist das?« fragte Donnerpfeil. – »Verdoja ist‘s«, antwortete Mariano. – »Fürchterlich!« meinte Sternau. »Ich muß ihn sehen!«
   Sie schritten vorwärts, und nur die beiden Mädchen blieben zagend zurück und baten den Steuermann, bei ihnen zu bleiben.
   Gerade als sie an den Brunnen traten, ertönte ein neuer Schrei. Es gibt kein Tier, das einen solchen Laut ausstoßen könnte. Er durchzitterte die Männer, die oben am Rand standen, so daß sie sich schüttelten.
   »Und er hat nicht sagen wollen, wie die Türen geöffnet werden?« fragte Sternau. – »Nein. Wir sollten zugrunde gehen.« – »So ist er wirklich ein Teufel. Ich gehe hinab zu ihm.«
   Damit rollte er seinen Lasso los, ließ sich diejenigen von Büffelstirn und Bärenherz geben, band sich fest und wurde, nachdem er die Laterne genommen, hinabgelassen.
   Als er unten ankam, ließ er das Licht auf den Zerschmetterten fallen. Dieser öffnete die blutunterlaufenen Augen, starrte auf ihn wie auf ein Gespenst, und rief:
   »Hund, bist du es?« – »Ja, ich bin es«, sagte Sternau. »Du Teufel in Menschengestalt sollst erfahren, daß deine Pläne zuschanden geworden sind. Wir sind gekommen, deine Gefangenen zu befreien, die Türen sind offen, sie sind erlöst.« – »So verdamme euch der …«
   Verdoja wollte sich vor Wut aufrichten, aber diese Bewegung verursachte ihm solche Schmerzen, daß er seinen Fluch nicht aussprechen konnte, sondern einen seiner entsetzlichen Schreie ausstieß.
   »Du stehst an der Schwelle des Todes, du stehst vor dem ewigen Richter«, sagte Sternau, »bitte Gott um Erbarmen, statt zu fluchen!«
   Verdoja wollte die Hände ballen, aber es ging nicht Er knirschte mit den Zähnen, fletschte sie wie ein Raubtier und schrie:
   »Fort! Ich mag keine Gnade!«
   Diese Gottlosigkeit ertötete jeden Funken von Mitgefühl in Sternaus Brust
   »Nun gut so sollst du auch keine Gnade haben«, sagt er, »wenigstens bei mir nicht. Gott hat dich gestraft und diese Strafe sollst du auskosten bis zum letzten Tropfen. Du gehörst in die Hölle und sollst eine Hölle haben, eine Hölle voll unbeschreiblicher Qualen und Schmerzen bereits hier auf Erden. Ich werde dich untersuchen und dann alles tun, dich mitsamt deinen Schmerzen am Leben zu erhalten.«
   Damit bückte Sternau sich nieder und begann seine Untersuchung. Er gab sich dabei keine Mühe, zart und behutsam zu sein, und so entfuhr dem Mund des Verruchten ein Schmerzgeheul, das geradezu schrecklich war.
   Endlich war Sternau fertig.
   »Das ist Gottes Gericht«, sagte er. »Du bist zermalmt am ganzen Leib, deine Glieder sind gebrochen und können nie wieder vereinigt werden, aber dennoch ist dies alles nicht tödlich. Deine Eingeweide sind unverletzt und kräftig, du wirst leben, aber den Schmerz, der dich jetzt zerfrißt nie loswerden. Eine solche Strafe kann nur Gott oder der Teufel ersinnen, und du, du sollst sie leiden, dafür will ich sorgen.«
   Sternau band sich nun von den Lassos los und befestigte den Zerschmetterten daran, ohne Rücksicht auf dessen Zustand zu nehmen. Dann gab er das Zeichen. Die Männer oben zogen an, in dem Glauben, daß es Sternau sei, aber bald sagte ihnen ein näherkommendes Qualgebrüll, wen sie emporzogen. Als Verdoja oben war, legten sie ihn in den Gang, knüpften ihn ab und ließen die Lassos wieder in den Brunnen hinab. Sternau kletterte jetzt selbst daran empor.
   »Aber was soll mit diesem Menschen werden?« fragte Donnerpfeil. – »Er soll nicht sterben, denn sein Tod wäre ja eine Belohnung für ihn. Er soll leben, aber dabei keinen Augenblick frei von Schmerzen sein.« – »Das ist recht!« stimmte Bärenherz bei. »Der große Geist ist gerecht!« – »Er hat es verdient«, meinte Büffelstirn einfach, dann wandte er sich ab. – »Ich werde einige Apachen senden«, sagte Sternau, »die ihn nach dem vordersten Gang schaffen, dort soll er liegen, so lange es mir gefällt. Jetzt aber laßt uns an das Licht des Tages zurückkehren!«
   Sie gingen zu den Frauen und führten sie durch die jetzt aufgesprengten Türen nach dem Ausgang. Als Emma dort anlangte, blieb sie wie geblendet stehen. Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie breitete ihre Arme aus, um Sternau zu umfassen.
   »Wenn ich Ihnen dies vergesse, Señor, so möge mir die Seligkeit verschlossen sein!«
   Auch Büffelstirn reichte Sternau die Hand.
   »Der Fürst des Felsens fordere mein Leben, es ist sein!« sagte er.
   Sie alle drängten sich an ihn, und er hatte Mühe, von all den Dankesbezeugungen und Liebesbeweisen nicht erdrückt zu werden.


   42. Kapitel

   Jetzt stieg man ein Stück an der Seite der Pyramide empor, um eine freie Aussicht zu erlangen. Die Komantschen waren weit zahlreicher geworden. Man konnte ihrer wohl bereits dreihundert zählen. Sie waren alle wohl beritten und, wie es schien, mit zahlreichen Waffen versehen.
   Emma ward angst beim Anblick so vieler Feinde, doch versuchten die Männer, ihr Mut einzuflößen, was ihnen auch gelang. Was hingegen Karja betraf, so verachtete sie die Komantschen und verlangte eine Büchse, um an der Verteidigung mit teilzunehmen.
   »Wir haben einen großen Fehler begangen«, sagte später Sternau.
   Die Frauen konnten das nicht hören, denn man hatte ihnen an einem geschützten Ort ein Lager bereitet, wo sie warm und weich ruhen konnten.
   »Welchen?« fragte Büffelstirn. – »Erst waren es ihrer nur hundert, wir aber waren zweihundert. Griffen wir sie an, so hätten wir sie besiegt und konnten den Ort verlassen oder die übrigen einzeln aufreiben.« – »Der Fürst des Felsens hat recht«, sagte Bärenherz, »aber unsere Herzen kannten nur die Sprache des Mitleids mit unseren gefangenen Freunden. Doch werden uns die Komantschen nichts tun. Wir sind hier sicher, und das Fliegende Pferd wird uns weitere Krieger senden, die zu uns stoßen.« – »Sie mögen kommen, die Komantschen«, meinte Büffelstirn. »Sie sind wie die Heuschrecken, die man zertritt.«
   Das war mutig gesprochen, aber kurz vor Sonnenuntergang sah man, daß die Feinde vollständig beisammen waren, sie zählten über vierhundert Mann, die einen engen Kreis um die Pyramide geschlossen hatten.
   Als es dunkel wurde, sah man ihre Wachtfeuer rundum brennen, und auch die Apachen durften Feuer anzünden, um Fleisch zu braten, denn es war ein Rind für sie geschlachtet worden. Die Feuer ließ man später verlöschen, und auch diejenigen der Komantschen waren gegen Mittemacht im Verglimmen.
   Jetzt galt es, aufmerksam zu sein. So lange die feindlichen Feuer brannten, war ein Angriff nicht zu befürchten, da man jede feindselige Bewegung sehen konnte. Nun aber war das anders. Die Häuptlinge beschlossen daher, daß die Leute des Tages schlafen, des Nachts aber alle munter bleiben sollten. Am Rand des Gebüschs lagen die Schützen im Anschlag, die scharfen, wachen Augen in das Dunkel hinaus gerichtet Und Sternau hatte die Einrichtung getroffen, daß zwischen der freundlichen und feindlichen Position eine Postenkette placiert wurde.
   Die Leute krochen dem Feind entgegen, so weit hinaus, als es nur möglich war. Sie trugen keine schweren Waffen, sondern nur ihre Messer bei sich und hatten den Befehl, nicht zu kämpfen, sondern sich sofort zurückzuziehen, sobald sie eine Angriffsbewegung des Feindes bemerkten.
   Bärenherz kommandierte an der nördlichen, Büffelstirn an der südlichen, Donnerpfeil an der östlichen und Sternau an der westlichen Seite der Pyramide. Der letztere hatte sogleich den Oberbefehl übernommen und vier gute Läufer dazu bestimmt, ihm als Adjutanten zu dienen.
   So vergingen zwei Stunden nach Mitternacht, als Donnerpfeil einen Mann sandte, um Sternau sagen zu lassen, daß der Feind sich nach Nord und Süd ziehe. Kurze Zeit darauf ließen Bärenherz und Büffelstirn melden, daß die Komantschen alle nach der Westseite gingen. Daraus war zu schließen, daß sich alle vierhundert Feinde im Westen versammelten, um die Apachen auf dieser Seite mit Übermacht anzugreifen. Sofort gab Sternau den Befehl, daß alle Apachen sich auf seine Seite ziehen wollten. Kaum war dies geschehen, so kamen die Außenposten herbeigekrochen und meldeten, daß der Feind von Westen her vorrücke.
   Da wandte sich Sternau an Bärenherz und sagte:
   »Mein Bruder nehme seine fünfzig Krieger, um die Komantschen zu umgehen und ihnen in den Rücken zu fallen. Er wird leicht ihre Pferde finden, auf diese setzt er sich mit seinen Leuten und reitet den Feind nieder.« – »Uff!« antwortete der Apache, dem dieser Auftrag außerordentlich behagte. »Der Fürst des Felsens ist ein großer Feldherr. Wir werden einen großen Sieg erringen.«
   In kurzer Zeit war er mit seinen Leuten unhörbar verschwunden. Jetzt erteilte Sternau seinen übrigen hundertfünfzig den Befehl, nicht auf die Reiter zu schießen, da dies ihre Brüder seien, und dann erwartete man in Stille den Beginn des Kampfes, dessen Ausgang sehr zweifelhaft war.
   Es verging noch eine geraume Zeit, aber als es bleich im Osten zu werden begann und es so viel Licht gab, daß man in der Nähe Freund und Feind unterscheiden konnte, da erscholl plötzlich ein fürchterliches, vierhundertstimmiges Kriegsgeheul, und die Komantschen stürmten im raschesten Schritt heran.
   Der Indianer kämpft am liebsten zu Pferde, aber hier, wo es die Pyramide zu erobern galt, nützten die Pferde nichts, darum waren die Feinde alle zu Fuß. Freilich ist der Rote kein sehr guter Fußkämpfer; die Apachen hatten ein gutes Ziel, und als der Feind nahe genug herangekommen war, wurden auf Sternaus Befehl hundertfünfzig Kugeln oder Pfeile abgeschossen.
   Das gab einen fürchterlichen Treffer; die Komantschen kamen ins Stocken, wurden aber von ihren Häuptlingen von neuem vorwärts getrieben. Aber, so kurz das Stocken gewesen war, die Apachen hatten doch Zeit bekommen, wieder zu laden, und ihre zweite Salve hatte eine ebensolche Wirkung wie die erste.
   Ein entsetzliches Gebrüll zeigte die Wut der Komantschen an. Sie rotteten sich zusammen und drangen zum dritten Mal vor. Die Apachen hatten nicht Zeit, ihre einläufigen Büchsen zu laden, es schien ein Kampf Mann gegen Mann bevorzustehen, und nun war der entscheidende Augenblick gekommen.
   Wer eine Kugel im Lauf hatte, schoß ab und griff dann zum Tomahawk. Da aber, da brauste es plötzlich heran auf galoppierenden Pferden – es war Bärenherz mit seinen fünfzig. Still, ohne einen Kriegslaut auszustoßen, drangen sie in den dicht zusammengedrängten Haufen der Komantschen ein und rissen alles nieder, was ihnen in den Weg kam.
   Es war fast Tag geworden, und Sternau konnte den ganzen Kampfplatz übersehen. Sein Scharfblick sagte ihm, was das beste sei. Er erhob seine Stimme und rief:
   »Auf die Pferde und drauf!«
   Die Pferde der Apachen standen zufälligerweise hier an der Westseite. In weniger als einer Minute brausten sie mit ihren Reitern auf die Komantschen ein. Einem solchen Angriff waren diese nicht gewachsen. Sie wandten sich, kämpften sich durch den Feind und flohen in die Ebene hinaus. Die Wahlstatt gehörte den Apachen, die eine furchtbare Ernte an Skalpen erhielten.
   Sternau hatte keinen einzigen Schuß getan. Er hatte seinen Henrystutzen bis auf einen gefährlichen Moment aufheben wollen, war aber nicht dazu gekommen. Die Apachen hatten gegen zweihundert Skalpe erbeutet, selbst aber gegen dreißig Krieger verloren. Diesen Sieg hatte man der Umsicht Sternaus zu verdanken.
   Während die Apachen sich ausruhten, sah man die Komantschen sich im Westen wieder sammeln; dann unternahmen sie dasselbe Manöver wie gestern, sie umzingelten die Pyramide, um die Apachen abzuschneiden.
   Sternau hielt mit den Häuptlingen Rat.
   »Jetzt können wir durchdringen«, sagte er, »die Komantschen können uns nicht aufhalten, die Niederlage hat ihren Mut geschwächt.« – »Warum sollen wir fort?« fragte Bärenherz. »Hier können die Komantschen uns nicht besiegen, und bald werden unsere Brüder zu uns stoßen.«
   Auch die anderen waren der Meinung, und so mußte Sternau nachgeben.
   Verdoja war in die Nähe des Eingangs der Höhle geschafft worden, wo einer der Apachen die Aufsicht über ihn hatte. Er aß und trank wie ein gesunder Mensch, bot aber mit seinen geschwollenen Armen und dem bewegungslosen Unterkörper einen schauderhaften Anblick.
   Die gefangenen Dragoner wurden streng bewacht. Sternau wollte sie als Geisel benutzen, falls von Chihuahua ein anderes Kommando gegen ihn ausgesandt werde.
   Der erste Tag verging und auch die folgende Nacht, der zweite ebenso, ohne daß die erwarteten Krieger kamen. Die Komantschen schienen wieder zahlreicher zu werden. Da, in der nächsten Nacht sah einer der Außenposten einen Mann auf dem Bauch heranschleichen. Beide erblickten sich zu gleicher Zeit; sie lagen kaum acht Fuß voneinander. Schon griff der Posten nach seinem Messer, als ein leiser Laut ihn aufmerksam machte – der andere war auch ein Apache, aber nicht von demselben Stamm. Er kam heran und flüsterte leise:
   »Mein Bruder hält die Wache?« – »Ja.« – »Welcher Häuptling hat den Befehl bei ihm?« – »Der Fürst des Felsens.«
   Der Fremde schwieg betroffen, dann fragte er
   »Ist der Fürst des Felsens hier bei meinen Brüdern?« – »Ja« – »So werden sie Taten großer Tapferkeit verrichten. Wo ist er zu finden?« – »Gehe weiter! Man wird dich sehen und zu ihm führen.«
   Der Fremde folgte diesem Gebot und gelangte an das Gebüsch, wo er angehalten wurde. Man führte ihn zu Sternau, der eben eine Beratung hielt.
   »Wer bist du?« fragte er. – »Ich bin der Fliegende Geier, der Häuptling der Taracone-Apachen«, antwortete er.
   Bei dieser Antwort erhob sich Bärenherz schnell und trat auf ihn zu.
   »Der Fliegende Geier? Uff, ja, du bist es, mein Bruder. Du bist uns willkommen. Wann kommst du mit deinen Apachen?« – »Ich komme als Bote!« – »Nicht als Häuptling?« – »Nein. Das Fliegende Pferd hat die Häuptlinge aller Apachen versammelt, um ihnen zu sagen, daß Krieg in Mexiko und daß Juarez ein Freund der Apachen sei. Es waren versammelt alle Krieger, aber sie wollen nicht Krieg beginnen mit dem rechten Häuptling von Mexiko. Darum haben sie das Kriegsbeil in die Erde gegraben, und ich bin gesandt worden, dir dies zu sagen.« – »So kommen keine Krieger zu uns?« – »Nein. Das Fliegende Pferd läßt dir sagen, du sollst mit deinen Kriegern zurückkehren in die Jagdgründe, um Fleisch zu machen.«
   Bärenherz senkte den Kopf, ohne etwas zu sagen. Da aber nahm Büffelstirn das Wort und sprach:
   »Seit wann hat der Apache zwei Zungen? Erst sagt das Fliegende Pferd, daß wir das Kriegsbeil nehmen sollen, und dann sagt er, es soll vergraben werden. Wir haben einen großen Sieg erfochten, wir haben zweihundert Skalps erbeutet, und nun sollen wir wieder Fleisch machen?« – »Du brauchst nicht zu gehorchen, du bist der Häuptling der Mixtekas«, sagte der Bote. – »So schweige ich!« meinte Büffelstirn trotzig. – »Was sagt der Fürst des Felsens zu der Botschaft?« fragte Bärenherz. – »Ich liebe den Frieden, obgleich ich dem Freund helfe. Mein Bruder Bärenherz mag tun, was ihm beliebt.«
   Da sagte auch der Bote:
   »Ich habe gesagt, was ich sagen sollte; meine Brüder mögen beraten. Ich aber muß noch in dieser Stunde zurück, das ist der Wille der Häuptlinge. Aber ich werde erzählen, daß ich gesehen habe den Fürsten des Felsens, den großen Häuptling der Bleichgesichter.«
   Damit nahm der Fliegende Geier Abschied und verschwand, wie er gekommen war. Sein Weg war ein lebensgefährlicher, er mußte sich zwischen den Komantschen hindurchschleichen. Wurde er ergriffen, dann war es um ihn geschehen.
   Unter den Zurückbleibenden wurde die Angelegenheit vorläufig nicht weiter besprochen.
   Gegen Morgen ließ sich im Lager der Komantschen ein außerordentliches Jubelgeschrei vernehmen, es mußte etwas für sie höchst Erfreuliches geschehen sein. Was das war, das sah man, als es hell wurde. Nämlich ringsumher erblickte man eine Menge von Kriegern, die während der Nacht angekommen waren. Es waren weit mehr als tausend Komantschen beisammen. Das war das Gros der Hilfstruppen, die die Häuptlinge dem Präsidenten sandten.
   Sternau erschrak, trotzdem er ein tapferer Mann war. Hier war an ein Entkommen nicht zu denken, hier konnte man nur sterben.
   Auch die Krieger der Apachen blickten finster auf den weit überlegenen Feind. Sie hatten nun nichts mehr zu hoffen, denn Ersatz wurde ja nicht gesandt
   Doch dies war noch nicht alles. Am Vormittag sprengte von Süden her eine Schwadron Dragoner herbei und saß mitten auf dem Feld ab. Dann entspann sich zwischen ihren Offizieren und den Häuptlingen der Komantschen ein lebhafter Verkehr, dessen Folge war, daß ein Leutnant sich als Parlamentär näherte. Er trug auf der bloßen Degenspitze sein weißes Taschentuch zum Zeichen, daß er in friedlicher Absicht komme. Sternau ging ihm selbst entgegen.
   »Wer ist der Anführer dieser Apachen?« fragte der Offizier nach einem höflichen Gruß, wobei er Sternau mit bewundernden Blicken betrachtete. – »Bärenherz, ihr Häuptling.« – »Ist ein Mann hier, den man den Fürst des Felsens nennt?« – »Ja.« – »Wo ist er?« – »Er steht vor Ihnen.«
   Der Leutnant verbeugte sich tief und sagte im verbindlichsten Ton:
   »Ich komme als Abgesandter meines Rittmeisters und der Häuptlinge der Komantschen. Wollen Sie mich hören?« – »Gewiß. Kommen Sie!«
   Sternau führte nun den Offizier dahin, wo die anderen Häuptlinge saßen, hieß ihn Platz zu nehmen und forderte ihn durch ein Zeichen mit der Hand auf zu sprechen. Der Mann begann:
   »Erlauben Sie mir zunächst, Ihnen meine Hochachtung auszusprechen, Señor. Ich bin …« – »Bitte«, unterbrach ihn Sternau. »Was haben Sie uns Dienstliches zu sagen?« – »Das ist freilich ein wenig unangenehm, Señor. Die Apachen haben mit der Schwadron Dragoner gekämpft die in der Hacienda Verdoja lag?« – »Ja.« – »Sie haben sich an dem Kampf beteiligt?« – »Nein.« – »Aber Sie haben eine Anzahl Dragoner gefangengenommen?« – »Ja.« – »Nun gut. Mein Rittmeister verlangt Ihre Auslieferung und auch diejenige der sämtlichen Anführer. Die anderen Leute haben freien, ungehinderten Abzug.« – »Weiter verlangt Ihr Rittmeister nichts?« – »Nein.« – »Sie sagten, daß Sie auch im Auftrag der Häuptlinge kämen. Was lassen uns diese sagen, Señor?« – »Sie verlangen ihre Toten nebst den erbeuteten Skalpen sowie zehn Apachen, um sie den Martertod sterben zu lassen. Dann können die übrigen abziehen.« – »Haben meine Brüder das gehört?« fragte Sternau seine Freunde.
   Sie neigten zustimmend den Kopf.
   »Was werden sie beschließen?« – »Sie werden kämpfen«, erwiderte Büffelstirn.
   Bärenherz und Donnerpfeil stimmten ihm bei.
   »Sie hören, was für eine Antwort Sie erhalten«, sagte jetzt Sternau zu dem Offizier. – »Und was ist nun Ihr Bescheid, Señor?« fragte dieser. – »Hm, ich würde mich nicht ausliefern, selbst wenn ich ganz allein hier auf der Pyramide säße.« – »Ich ehre dieses Wort als das Wort eines Helden, halte es aber doch für meine Pflicht, Sie daran zu erinnern, daß Sie gegen eine fast zehnfache Übermacht kämpfen.« – »Ganz richtig; dafür aber ist unsere Position eine hundertfach stärkere, abgesehen davon, daß es unter uns Männer gibt, die es mit zwanzig Feinden aufgenommen haben.« – »Dies ist Ihr fester Entschluß?« – »Ja. Aber eins muß ich bemerken. Ich habe den Hauptmann jener Dragonerschwadron nebst einigen zwanzig seiner Leute als Gefangene bei mir. Bis jetzt sind sie meine Gefangenen. Besteht Ihr Chef darauf, daß ich mich ihm mit den anderen Anführern ausliefere, so werden jene Leute dann Gefangene der Apachen, und was da ihr Schicksal ist, das können Sie sich denken.« – »Ah, Sie wollen sich mit Geiseln decken?« – »Ich gestehe, daß dies meine Absicht ist.« – »Es wird Ihnen nicht nützen. Im Süden stehen die Regierungstruppen; von Nord und Ost nähern sich neue Scharen der Komantschen. Sie sind auf jeden Fall verloren. Wir geben Ihnen Bedenkzeit bis morgen um dieselbe Stunde. Das tun wir, weil wir genau wissen, daß Ihre Lage eine hoffnungslose ist. Sie erhalten keinen Ersatz, wir aber möchten Blutvergießen vermeiden.« – »Wir werden während dieser Bedenkzeit nicht angegriffen?« – »Nein.« – »Auch von den Komantschen nicht?« – »Nein; ich gebe Ihnen mein Wort.« – »Gut, so kommen Sie morgen, um sich unsere Antwort zu holen, Señor!«
   Der Offizier entfernte sich. Sternau aber stieg auf die Spitze der Pyramide, da er allein sein wollte, um seine Lage zu überdenken. Er wußte, daß die Häuptlinge ganz dasselbe tun würden, so konnte man später zu einem klaren Entschluß gelangen.
   Seine Lage war eine kritische. Es handelte sich hier um die Freiheit, vielleicht gar um das Leben. Würde er seine Lieben jemals wiedersehen?


   43. Kapitel

   Sternau langte in die Tasche, um den letzten Brief Rosas noch einmal durchzulesen, zog aber statt dessen den Plan der Pyramide hervor, faltete ihn auseinander und überflog ihn mehr instinktiv als absichtlich nochmals mit den Augen.
   Die Gänge waren überaus symmetrisch gebaut, nur einer, ein ganz kurzer, paßte nicht in die Ordnung. Es schien kein Gang, sondern eine lange, schmale Kammer zu sein. Auf der Zeichnung stand das Wort peta-pove; das Sternau noch niemals hörte.
   Während der nachdachte, kam Büffelstirn auch emporgestiegen. Mehr aus wirklicher Zerstreutheit als aus Überlegung fragte Sternau ihn:
   »Hat mein Bruder einmal das Wort peta-pove gehört?« – »Ja« – »Was bedeutet das?« – »So sprechen die Jemes-Indianer. Es heißt, ›in das Tal gehen‹. Warum fragt mein Bruder?«
   Der Indianer bekam keine Antwort, denn Sternau hatte sich erhoben und blickte scharf nach Westen, wo sich die Kordilleren von Sonora erhoben. Ein Blitz durchzuckte sein Inneres, rasch wandte er sich um und sagte:
   »Mein Bruder folge mir.«
   Mit diesen Worten eilte er an der Seite der Pyramide hinab nach dem Ort, wo die beiden Mädchen ihr Lager hatten. Auch ihnen waren die Komantschen, die Anwesenheit der Dragoner und die Sendung des Leutnants aufgefallen. Sie wollten die beiden mit Fragen bestürmen, aber Sternau ließ sich auf keine Antwort ein, sondern nahm ein kleines Fäßchen Pulver, das zum Vorrat der Dragoner gehörte, rief einige kräftige Apachen herbei, denen er Hammer und Hacke nebst Brecheisen gab, bat Bärenherz, acht zu haben, und verschwand mit Büffelstirn und den Apachen in der Eingangsöffnung der Pyramide.
   Verdoja stieß bei ihrem Anblick einen Schrei aus, wurde aber nicht beachtet. Man brannte einige Laternen an und vertiefte sich dann in das Innere.
   Da, wo man zum ersten Mal rechts eingebogen war, schritt Sternau geradeaus, bis er an eine Tür kam. Sie leistete der Hacke und Brechstange Widerstand und wurde dann gesprengt. Mit einer zweiten Tür ging es ebenso. Dann gelangte man an eine Treppe, die abwärts führte. Hier traf man auf die Tür, die den Raum verschloß, den Sternau der Zeichnung nach für eine lange, schmale Zelle gehalten hatte. Als auch sie gesprengt worden war, gab es einige Stufen niederzusteigen, und man gelangte in ein schmales, hohes Gewölbe, das kein Ende nahm. Es war – ein unterirdischer, aus Backsteinen gemauerter Gang, der in schnurgerader Richtung nach West führte.
   Das war es, was Sternau gedacht hatte, als er die Übersetzung des fremden Wortes hörte. Das Herz wurde ihm froh und leicht. Er eilte voran, immer den finsteren Gang hinein, den seine Laterne nur notdürftig erhellte. Wie lange das so fort ging, das wußte er nicht, bis er plötzlich nach kurzer Zeit wieder vor Stufen stand. Er stieg diese hinauf und fand die mit großem Steingeröll gefüllte Wölbung.
   Hier waren die Hacke und das Brecheisen zu gebrauchen. Das Geröll wurde zur Seite gestoßen, nach unten geworfen, und – plötzlich brach das Tageslicht herein. Sie machten die Öffnung weiter, stiegen heraus und standen in einem kleinen Tälchen, das nur aus Steingeröll bestand und nicht eine Spur von Vegetation zeigte.
   Vorsichtig bestiegen sie die eine Seite des Tälchens und gewahrten in einer Entfernung von mehr als einer englischen Meile die Pyramide im Osten und zwischen ihr und dem Tal die Menge der Komantschen. Die Pferde derselben weideten kaum fünfhundert Schritt von dem Tal entfernt.
   »Was sagt mein Bruder zu dieser Entdeckung?« fragte Sternau den Mixteka. – »Sie ist viele Menschenleben wert«, antwortete dieser mit ruhiger Stimme, aber man sah es seinem Auge an, daß ihm das Herz leicht geworden war. – »Die Söhne der Komantschen werden glauben, wir sind Zauberer.« – »Sie werden uns suchen und nicht finden, denn wir sind mit ihren Pferden fortgegangen. Karja, die Tochter der Mixtekas, braucht nun nicht zu sterben von der Hand ihres Bruders, der sie erlösen wollte von der Schande, das Weib eines Komantschen zu sein.«
   Er, der Bruder, dachte doch immer sogleich an seine Schwester.
   »Nun müssen wir zurückkehren«, warnte Sternau. »Man darf uns hier nicht sehen.«
   Sie stiegen wieder in den Gang hinab und legten so viel Geröll wie möglich vor die Öffnung. Dann kehrten sie auf dem unterirdischen Weg nach der Pyramide zurück. Wer weiß, was dieser Weg früher alles gesehen hatte! Gewiß hatte er dazu gedient, das gläubige Volk zu mystifizieren; die Priester waren in ihm hin– und hergewandelt, wenn droben auf der Pyramide das Blut der Menschenopfer in Strömen vergossen wurde.
   Jetzt nun wurde eine große Beratung gehalten, zunächst unter den Häuptlingen, und dann zog man auch die Krieger dazu heran.
   Sie hatte hatten sich bereits verloren gegeben, nun, da sich ihnen ein solcher Ausweg bot, gab es keinen einzigen, der widersprochen hätte. Am glücklichsten waren die beiden Mädchen, die auch der Beratung mit beiwohnten.
   Es wurde beschlossen, daß man die Kordilleren ersteigen wolle, um sich dann zu trennen. Aber Bärenherz fügte hinzu:
   »Bärenherz liebt seine Freunde, er wird sie begleiten bis Guaymas.«
   Die Wangen Karjas röteten sich. Sie wußte recht gut, wem diese Aufmerksamkeit eigentlich galt
   Auf den Bergen war wenig Proviant zu finden, darum war es gut, daß man mit demselben reichlich versehen war. Da man die Pferde nicht mit durch die unterirdischen Gewölbe nehmen konnte, so mußte man sie zurücklassen und dafür die der Komantschen zu bekommen suchen.
   Ein jeder war beschäftigt mit Vorbereitungen zur Abreise. Alles, was man fortbringen konnte, sollte mitgenommen werden, und so legten sich die Apachen sogar ihre Sättel zurecht in die sie sich eingewöhnt hatten.
   Als die Sonne zu sinken begann und bereits den Horizont erreichte, stieg Karja zur Höhe empor. Sie stand oben, hoch und schlank wie eine mexikanische Priesterin. Ihr Gewand flatterte im Wind, und ihre dunklen Wangen belebten sich unter dem Abschiedskuß der scheidenden Sonne. Woran dachte sie?
   Ihr Auge blickte nach Norden. Dort lag nicht Guaymas, das nächste Ziel ihrer Reise, dort lag auch nicht die Hacienda del Erina, ihre Heimat in die sie zurückwollte, aber dort lagen die Jagd– und Weidegründe der Apachen, und Bärenherz, der Häuptling derselben, hatte es ihrem Herzen angetan.
   Wie hatte sie nur glauben können, den Grafen Alfonzo zu lieben! Oh, hätte sie doch jene Abende aus dem Leben streichen können, jene Abende am Bach hinter der Hazienda, an denen sie dieser Mensch geküßt und an sich gedrückt hatte.
   Wie anders war dagegen Bärenherz! Sie hätte für ihn sterben können.
   Sie hörte nicht, daß auf der anderen Seite der Pyramide auch jemand emporgestiegen kam; es war kein anderer als der, an den sich dachte.
   Nicht Überlegung oder Absicht führte beide herauf, sondern der unbewußte Instinkt des Herzens, der oft richtiger führt als die raffinierteste Überlegung. Bärenherz sah sie und blieb stehen. Er sah die Sonne auf ihrem Scheitel und ihren Wangen glänzen, er sah ihre dunklen Augen in Wehmut nach Mitternacht gerichtet, er sah die schönen, runden Linien ihrer schlanken Gestalt, jetzt begriff er, wie Pardero um dieses Mädchens willen so vieles wagen konnte.
   Es stieg ihm heiß zum Herzen. Wenn dieses schöne Mädchen, diese Tochter der Edelsten ihres Volkes, unterlegen wäre! Wenn Pardero durch Hunger, Durst oder Gewalt ihren Widerstand besiegt hätte! Das war jetzt ein fürchterlicher Gedanke für ihn, und er legte unwillkürlich die Hand an den Tomahawk.
   Er trat ihr näher, da hörte sie seine Schritte und wandte sich um. Als sie ihn erblickte, ward sie trotz ihres dunklen Teints bis tief in den Nacken rot. Das war ja der, an den sie gedacht hatte, er mußte es ihr ja sofort ansehen!
   Er sah in der Tat ihre Verwirrung, trat einen Schritt zurück und sagte:
   »Die Tochter der Mixtekas erschrickt, wenn Bärenherz erscheint. Er wird wieder gehen, aber er weiß nicht, womit er sie beleidigt hat.«
   Sie schwieg, und als er sich von ihr wandte, erwiderte sie kaum hörbar:
   »Der Häuptling der Apachen hat mit nicht beleidigt.«
   Da drehte er sich wieder um, blickte sie forschend an und fragte:
   »Aber sie haßt ihn, sie möchte fort sein, wenn er kommt?«
   Sie nahm sich den Mut, zu antworten, wenn auch nur das kleine Wörtchen:
   »Nein.« – »Kann Bärenherz dafür, daß er immer ihre Fährte trifft? Kann der Mann die Gedanken aus seiner Brust schneiden? Kann er dem Traum befehlen, was er bringen soll und was er nicht bringen darf? Warum sieht das Auge in den Wellen des Flusses, in den Wolken des Himmels immer nur das eine Haupt und die eine Gestalt? Bin ich Manitou, bin ich ein Gott, daß ich das Leben töten kann, das in meiner Seele wohnt?«
   Karja schwieg, aber Bärenherz sah, daß sie leise, ganz leise bebte. Er zog die Brauen finster zusammen, er, der Heldenhäuptling, wußte nicht, daß es auch ein Beben des Glücks, der Wonne, der Erwartung gibt.
   »Warum antwortet Karja nicht?« fragte er. »Wie lange wird Bärenherz noch diejenige sehen, welche er liebt? Einige Tage, einige Stunden. Dann wird sie das Weib eines anderen, und er geht, um dies an seinen Feinden zu rächen.« – »Sie wird nie das Weib eines anderen sein!« flüsterte sie.
   Da trat er schnell näher.
   »Nie, sagst du, nie?« fragte er. – »Nie!« antwortete sie. – »Weißt du das wirklich, weißt du das genau?« – »Wer Bärenherz liebt, kann keinen anderen lieben!«
   Da faßte er ihre Hand und fragte:
   »Und kennst du eine, die ihn liebt?«
   Sie schwieg.
   »Du willst es nicht sagen, du willst mich nicht glücklich sehen!« – »Oh«, antwortete sie, »ich möchte dich glücklich sehen, aber du willst ja nicht glücklich sein!« – »Weshalb glaubst du das?« fragte er. – »Wer glücklich sein will, der muß Liebe haben, Liebe, bloß für eine.« – »Du hast recht. Und habe ich dir nicht bereits unten in dem Gewölbe gesagt, daß du wert bist, die einzige Frau eines Helden zu sein? Wäre ich ein Held, so würde ich dich bitten, meine Frau zu sein.« – »Du bist ein Held!« sagte sie, ihn mit stolzem, entzücktem Auge betrachtend. – »Bin ich wirklich einer, so sag, ob du mich lieb hast, Karja!« – »Ich habe dich lieb«, flüsterte sie erglühend. – »Und ich dich auch. Du sollst das Weib des Apachen sein, sein einziges Weib, das schönste, stolzeste und glücklichste Weib unter den Roten. Du sollst nicht arbeiten wie andere Frauen, sondern du sollst es haben wie eine weiße Señora, deren Wunsch ist wie ein Befehl!«
   Damit schlang Bärenherz die Arme um Karja, drückte sie an sich und küßte sie, ganz unbekümmert darum, daß sie auf der Höhe der Pyramide standen und von allen Komantschen gesehen werden konnten. Da unten lauerte der Tod auf sie, und hier oben ruhten die Herzen warm aneinander. Da unten sprach man bereits das Todesurteil über sie, und da oben schlossen sie einen Bund für das Leben. Die Liebe kennt keinen Tod, denn sie ist ja das Leben.
   So standen sie, eng umschlungen, sich selbst und alles andere vergessend, beleuchtet vom Abendrot, das nach und nach im Westen verglimmte. Da drehten sie sich erschrocken um, denn eine bekannte Stimme hatte gefragt:
   »Wer von Euch ist der Kranke, daß ihn der andere stützt?«
   Büffelstirn war es! Es war fast Zeit zum Aufbruch, darum hatte er die Schwester gesucht und allerdings nicht geahnt, sie in den Armen des Apachen zu finden.
   Dieser wurde für einen Augenblick verlegen, doch faßte er sich schnell und fragte mit fester Stimme:
   »Ist Büffelstirn noch mein Freund und Bruder?« – »Er ist es«, antwortete der Gefragte ernst. – »Zürnt er mir, daß ich ihm das Herz seiner Schwester raube?« – »Er zürnt nicht, denn das Herz der Schwester kann mir keiner rauben. Im Herzen eines guten Weibes haben beide Platz, der Gatte und der Bruder.« – »Erlaubst du mir, nach der Hacienda del Erina zu kommen und die Morgengabe zu bringen?« – »Ich erlaube es!« – »Worin soll sie bestehen?« – »Bestimme es selbst! Büffelstirn verkauft seine Schwester nicht.« – »Soll ich dir bringen hundert Skalps deiner Feinde?« – »Nein; ich nehme mir diese Skalps selbst.« – »Oder zehn Felle des grauen Bären?« – »Nein; ich habe der Felle genug.« – »So sage, was du von mir forderst!«
   Da wurde das Auge des Königs der Ciboleros feucht, er legte dem Apachen die Hand auf die Schulter und sagte:
   »Ich verlange von dir nicht die Skalpe und Häute, nicht Gold und Silber, sondern ich verlange, daß Karja, die Tochter der Mixtekas, glücklich sei in deinem Haus. Du bist mein Freund und Bruder, aber wäre meine Schwester nicht glücklich bei dir, so würde ich mit meinem Tomahawk dir den Kopf spalten und dein Gehirn den Ameisen zur Speise geben. Geh nach deinem Weidegrund und sprich mit den Deinen, dann komme nach der Hacienda del Erina, und du sollst sie haben!«
   Büffelstirn drehte sich um und schritt hinab. Bärenherz aber forderte von der Geliebten noch einen Kuß, dann folgte er ihm, hoch und stolz wie ein Mann, der nie ein süßes Wort mit einem Weib gesprochen hat.
   So lange es noch hell war, durfte man den Lagerplatz nicht verlassen, sobald es aber dunkel war, sollte der Aufbruch beginnen.
   Vor allen Dingen galt es, Verdoja nichts wissen zu lassen. Er wurde daher aus der Höhle heraus und an einen Ort geschafft, von wo aus er nichts bemerken konnte. Seine Schreie hallten da wie die Rufe böser, gequälter Geister hinaus in die stille Nacht, und die Komantschen schüttelten die Köpfe über die fürchterlichen Laute, die sie zu hören bekamen.
   Jetzt war der Weg frei, und die Apachen betraten die Gänge, ein jeder seine Waffe bei sich und das, was er nicht entbehren zu können glaubte. Als der letzte eingetreten war, wurde der Stein wieder vorgeschoben, und dann setzte sich der Zug in Bewegung, voran Büffelstirn und hintenan Sternau.
   Dieser letztere hatte Pulver mitgenommen. Als der Zug die Treppe passiert hatte, legte er eine Mine in den Gang und zündete die Schnur an. Dann folgte er den anderen. Sie passierten den unterirdischen Gang ohne Licht und gelangten glücklich an den Ausgang desselben, der sofort verschüttet wurde.
   Eben als sie damit fertig waren, vernahmen sie ein leises Rollen, wie von einem fernen Erdbeben, aber es war kein verräterischer Luftblitz dabei zu sehen, so fest Sternau auch seine Augen auf die Ruinen richtete – die Mine war explodiert und hatte den Gang eingestürzt. Jetzt konnte niemand sagen, wie sie entkommen waren.
   Nun galt es vor allen Dingen, ungefähr hundertsiebzig Pferde zu verschaffen, eigentlich keine Kleinigkeit, hier aber doch nicht schwer, da viele hunderte derselben gar nicht weit von dem Tal weideten.
   Es wurden Kundschafter ausgesandt, um zu sehen, ob die Tiere sehr sorgfältig bewacht seien. Sie kamen mit der Meldung zurück, daß sie drei Wächter bemerkt hätten. Sie wurden nun voran geschickt, diese Wächter unschädlich zu machen, und dann folgten die anderen, ein jeder sein Eigentum gleich bei sich.
   Es waren Indianerpferde, sie ließen die Indianer heran zu sich, ohne zu schnaufen oder sonst ein Zeichen der Unruhe zu geben. Auf Sternaus Befehl ging man sehr vorsichtig zu Werke. Es durften nicht alle auf einmal aufsitzen und im Trupp wegreiten, dadurch wären die Komantschen aufmerksam gemacht worden, sondern es holte sich ein jeder sein Pferd einzeln und leise weg, führte es eine genügende Strecke weit fort und stieg erst dann auf.
   Da es hier weichen Prärieboden gab, so wurde kein Mensch etwas von dem Pferderaub gewahr, und als der nächste Morgen graute und man die Leichen der Wächter fand, hatten die Apachen schon eine halbe Tagereise zurückgelegt. Sie kümmerten sich wenig um die Enttäuschung der Komantschen, als diese ihre Feinde verschwunden wußten. Es wurde nach Erklärungen gesucht, und schließlich wurde allgemein angenommen, daß der Fürst des Felsens die Macht besitze, durch die Luft zu fliegen und seine Freunde mitzunehmen. Sein Ruhm war jetzt größer als längst vorher.


   44. Kapitel

   Unterhalb von Colima in Westmexiko bildet der gleichnamige Fluß bei seinem Austritt in den großen Ozean einen ausgezeichneten Hafen, den Puerto de Colima, auch Manzanillo genant. Colima ist eine Stadt von beiläufig 35 000 Einwohnern, liegt in einer sehr fruchtbaren Gegend und betreibt einen nicht unbedeutenden Handel, so daß in der Mündung des Flusses auch Schiffe mit nicht geringem Tonnengehalt vor Anker gehen.
   Gerade jetzt lag ein solches Schiff da vor Anker. Es schien ganz neu zu sein, war wie abgeleckt und bot dem Auge des Kenners einen sehr erfreulichen Anblick dar. Dies schienen auch die beiden Männer zu fühlen, die jetzt miteinander am Ufer standen und das Schiff betrachteten.
   »Goddam, ein schmuckes Ding!« sagte der eine. Er war längst nicht mehr jung, war lang und dürr aufgeschossen und trug einen gemischt-modischen Anzug an seinem Leib. »Das ist auf einer amerikanischen Werft gebaut!« – »Das sieht man auf den ersten Blick«, meinte der andere, eine starkknochige, viereckige Gestalt, die man für einen Seemann hätte halten können, wenn die Füße nicht in zerrissenen Lackstiefeletten und die Hände in aufgesprungenen Glacehandschuhen gesteckt hätten. – »Ob sich da wohl ein verborgener Kanonenbord anbringen ließe, he?« meinte der erstere. – »Fragt nur nicht, Kapitän; Ihr versteht das Ding ja besser als ich!« – »Meinst du? Hahaha! Aber nenne mich nicht Kapitän, sonst versprichst du dich auch dann, wenn wir belauscht sind. Ich bin der ehrenwerte Schauspieldirektor Guzman, und du bist mein – na – wie heißt es doch …« – »Regisseur!« – »Ja, mein Regisseur Hermilio Martinez. Verstanden?« – »Jawohl, Herr Direktor!« antwortete der andere mit einer gänzlich mißlungenen Verbeugung.
   Der Direktor fragte weiter:
   »Wohin muß das Schiff bestimmt sein?« – »Wer weiß es. Aber man kann es ja erfahren. Der Schiffsjunge da im Boot scheint zu der Equipage zu gehören.«
   Sie traten näher an das Ufer hin, wo ein Kapitänsboot vor dem Tau lag. In demselben saß ein etwa sechzehnjähriger Junge und blickte den beiden sonderbaren Gestalten mit jugendlichem Mutwillen entgegen. Als sie das Boot erreicht hatten, fragte der Direktor:
   »Ah, Señor, gehört Ihr zu dem Schiff da?«
   Es war dem Jungen noch nie passiert, Señor genannt zu werden, aber gerade aus diesem Grund bekam er plötzlich eine ganz passable Meinung von den beiden Männern, die ihn mit solcher Höflichkeit behandelten.
   »Ja«, antwortet er. – »Wie heißt das Schiff?« – »Die Lady. Da steht‘s ja mit goldenen Buchstaben!« – »Ja, ja, ich sah das nicht gleich, Señor. Hat dieses schöne Schiff vielleicht auch einen Kapitän?« – »Das versteht sich«, lachte der Bursche. »Was soll es denn haben?« – »Ich dachte, vielleicht einen Leutnant« – »Das ist bei Kriegsschiffen der Fall.« – »Wie heißt denn dieser Kapitän, Señor?« – »Master Wirkers.« – »Ah, er ist Nordamerikaner?« – Ja, ein echter. Ich auch!« – »Das glaube ich. Was habt Ihr denn geladen?« – »Verschiedenes, nebst einer hübschen Fracht nach Guaymas.« – »Nach Guaymas? Hm! Vielleicht könnte man mit Euch fahren. Wir wollen auch nach Guaymas. Wo ist der Kapitän?« – »Der ist an Land, wird aber bald wiederkommen. Ah, dort kommt er!« – »Welcher? Der Kleine?« – »Ja, der die Hände in den Hosentaschen hat«
   Die beiden stellten sich am Ufer auf und blickten dem Nahenden entgegen. Er war ein kleiner, dürrer Mann, und aus seinen geröteten Wangen, dem wankenden Gang und den wässrigen Augen konnte man leicht schließen, daß er heute einen Schluck zu viel getrunken habe.
   »Holla, Coq, mach los! Ich komme!« rief er bereits von weitem dem Jungen zu. – »Nicht so schnell, Sir«, antwortete dieser. – »Nicht? Ah, warum nicht schnell? Wenn ich komme, so muß es schnell gehen, dreißig Knoten in einer Viertelstunde. Das merke dir!« – »Aber jetzt nicht, denn diese Gentlemen wollen mit Ihnen reden.« – »Mit mir? Hm! Mit mir? Wer sind sie denn?«
   Der Kapitän betrachtete sich die beiden mit gemütlicher Naivität, lachte dann ein wenig, schnipste mit den Fingern und sagte:
   »Landratten! Nicht?«
   Die Männer hatten die Hüte tief gezogen und standen in demütiger Haltung vor ihm, als ob er ihnen Audienz erteile. Der Lange sagte dabei:
   »Verzeihung, Capitano. Ich bin der Theaterdirektor Guzman, und dieser ist mein Regisseur, Martinez.« – »Schauspieler? Hm, gemütliche Leute, spaßhafte Leute! Was wollt Ihr von mir?« – »Wir hören, daß Sie nach Guaymas segeln. Auch ich will nach Guaymas mit meiner ganzen Gesellschaft.« – »Donnerwetter, wie viele Personen sind es?« – »Sechs Herren und fünf Damen, alle jung, schön und munter, Señor!« – »Alle Wetter, das gäbe einen Spaß!« lachte der Kapitän. »Könnt Ihr denn auch zahlen, he?« – »Wenn‘s nicht zu viel ist!« – »Fünf Dollar pro Person, aber nur die Fuhre. Alles andere ist Eure Sache!« – »Dies macht fünfundfünfzig Dollar. Geht es mit fünfzig, Señor?« – »Fünfzig? Hm, eigentlich nicht Aber weil Ihr Schauspieler seid und Damen bei Euch habt so mag es sein. Gezahlt wird sofort beim Besteigen des Bords, sonst werfe ich Euch ins Wasser.« – »Wann geht es fort?« – »Heute abend noch. Der Flutwechsel ist um neun Uhr, um elf geht‘s fort.« – »Wir danken sehr, Señor, für Eure freundliche Bereitwilligkeit. Halb zehn werden wir an Bord sein.«
   Die Männer verbeugten sich tief und entfernten sich. Der Kapitän aber blickte ihnen vergnügt lächelnd nach und stieg dann in das Boot.
   Die beiden Künstler schlenderten ein wenig durch den Ort, gingen dann mehr landeinwärts und kamen da an ein einstöckiges Gebäude, das außerordentlich verfallen aussah. Es war eine Schenke, und so hatten die beiden Männer wohl kein Bedenken, einzutreten. Sie schienen überhaupt hier nicht unbekannt zu sein, denn sie wurden von einigen Kerlen, die am zerbrochenen Tisch bei dem Saft der Agave saßen, mit Freude begrüßt.
   »Nun, Direktor, noch nichts?« fragte der eine. – »Doch, heute endlich!« antwortete der Direktor. – »Es wird Zeit. Aber wie?« – »Schauspieler, sechs Herren und fünf Damen.« – »Schön! Hahaha! Das wird doch mal ein Witz.«
   Der Direktor trank ein einziges Glas und verließ dann die Schenke wieder, und zwar mit der Bemerkung, daß er die Gesellschaft abholen werde.
   Der Tag verging; der Abend brach an, und die »Lady« machte sich segelfertig. Es war bereits neun Uhr vorüber, und die Matrosen lugten über Bord nach den Passagieren. Da endlich kamen sie, elf Personen, eine immer hinter der anderen. Da sie nicht in das kleine Boot gingen, so mußte es zweimal fahren; es nahm erst die Herren und dann die Damen.
   Kapitän Wilkers stand an der Schiffstreppe und streckte die Hand aus; der Direktor bezahlte, und der Kapitän begab sich auf das Hinterdeck, das war die ganze Zeremonie. Nach einem Paß oder sonstigen Legitimationen wurde nicht gefragt, ein Platz für sich oder ihre Sachen wurde ihnen nicht angewiesen, aber sonderbar, sie zogen sich zusammen, sie machten sich klein, und wo sie etwas hintaten oder sich selbst hinsetzten oder stellten, da waren sie sicherlich nicht im Weg, darum sagten die Matrosen bereits nach einer Stunde, daß diese Gentlemen und Ladies doch recht anständige Leute seien.
   »Aber ob‘s die Ladies aushalten?« meinte einer. »Es ist eine hohe See, und da kommt die dumme Seekrankheit stets darein.«
   Er hatte sich umsonst gesorgt, weder einer der Gentlemen noch eine der Ladies bekam einen Krankheitsanfall. Das war nun eigentlich sonderbar, fiel aber den Seeleuten nicht auf. Sie saßen im Vorderdeck und erzählten. Der Steuermann stand hinten, liebäugelte mit den Sternen, und der Kapitän lag in der Kajüte und verschlief seinen Rausch.
   Die Künstlergesellschaft saß zusammengerückt auf einem Segel, und alle schienen zu schlafen. Da, es mochten zwei Stunden nach Mitternacht sein, machte der Direktor eine Bewegung.
   »Es wird Zeit«, flüsterte er, »wir haben bereits die Breite von Quatalaxaca hinter uns.« – »Alle zugleich?« fragte eine der Damen.
   Aber trotzdem sie nur flüsterten, klang es doch nicht wie eine Frauenstimme.
   »Ja«, antwortete der Direktor. »Seht die Wolke dort. Sie kommt näher. Sobald sie über dem Schiff steht, nimmt ein jeder seinen Mann. Das Messer gerade in das Herz und darin steckenlassen; das gibt keinen Tropfen Blut.«
   Es vergingen noch einige Minuten, da hatte die Wolke die Höhe des Schiffes erreicht, und es wurde um einige Schatten dunkler als bisher.
   »Auf! Vorwärts!« flüsterte der Direktor.
   Die Leute warfen auf einmal alles Weiße von sich ab, so daß die Kleidung vollständig schwarz war, und huschten wie die Schatten davon. Man hörte hier einen Seufzer und dort ein lautes Atmen, dann war es still wie vorher.
   Der Direktor war nach dem Hinterdeck geglitten. Dort stand der Steuermann, hatte sich nach hinten gewandt und schaute der vorübereilenden Wolke nach. Da fühlte er einen Druck auf das Herz, etwas Kaltes, Starres drang in dasselbe ein; er wollte rufen, brachte es aber nicht fertig und sank zu Boden, und in demselben Augenblick stand der Direktor am Steuer.
   Er stieß einen leisen Pfiff aus, und sofort stand der Regisseur vor ihm.
   »Wie steht es?« fragte er diesen. – »Alles gut, Señor!« – »Nehmt das Steuer. Ich will zum Kapitän.« – »Was wird mit dem Jungen? Er schläft unten.« – »Können ihn nicht gebrauchen.« – »Schade. War so ein netter Frosch.«
   So war über zwei weitere Menschenleben entschieden. Der Direktor ging nach der Kajüte. Sie war nicht verschlossen. Er öffnete und trat ein. Der Kapitän schlief. Der Mörder hob ganz ruhig die Decke auf, setzte die Spitze des Messers mit furchtbarer Genauigkeit auf das Herz und stieß zu. Dann ließ er das Messer stecken und trug den Kapitän auf das Deck.
   Nach einigen Minuten brachte er auch die Leiche des Schiffsjungen. Nun wurde im Ballastraum nach schweren Steinen gesucht; diese hing man den Leichen an die Füße und versenkte sie in das Meer.
   »Vor Cap Lucas kreuzen wir«, sagte der Direktor zu seinem Regisseur, dann ging er in die Kajüte.
   Dort studierte er mit der allergrößten Aufmerksamkeit die Schiffsbücher, Tabellen und alle Skripturen, welche er vorfand. Dies dauerte, bis es Tag war; dann kehrte er auf das Deck zurück.
   Ein Stoß in eine kleine, silberne Pfeife brachte alle Mann nach dem Hinterdeck.
   »Der Spaß ist gelungen, Jungens«, sagte der Mann. »Nun soll ein Leben losgehen, um das euch ein König beneiden könnte. Zunächst müssen wir noch vorsichtig sein. Wir haben Fracht nach Guaymas. Dort ist das Schiff noch unbekannt und seine Bemannung auch. Wir behalten also die Namen, die in dem Buch verzeichnet sind. Ich bin der Kapitän Wilkers.«
   Er gab einem jeden seinen Namen und machte ihn mit seiner Rolle bekannt. Dann befahl er, nicht mehr zu kreuzen, sondern in den engen Meerbusen einzulaufen.
   Die »Lady« war ein ausgezeichneter Segler, und am nächsten Tag lief sie in den Hafen von Guaymas ein.
   Guaymas ist ein hübsches, freundliches Hafenstädtchen, das zur mexikanischen Provinz Sonora gehört. Seine hübsche Umgebung wird von den Seeleuten fleißig auf Ausflügen genossen.
   Kapitän Wilkers fragte nach seinen Obliegenheiten bei der Hafenpolizei und bei dem Kaufmann mit einer Unverfrorenheit, als ob er der rechtmäßige Eigentümer dieses Namens und des Schiffs sei. Dann gestattete er sich einige Tage des Genusses. Er war dies seinen Leuten schuldig, obgleich der Ort hier so nahe am Schauplatz des Verbrechens ein gefährlicher genannt werden mußte.
   Er machte an einem dieser Tage eine Landpartie und nahm seinen Steuermann dazu. Sie mieteten sich Maultiere und ritten in die Berge. Nachdem sie umhergestreift waren, kehrten sie gegen Abend zurück. Sie brachten noch einige Stunden in einer Kneipe zu und gingen dann nach dem Schiff. Unterwegs kam ihnen eine männliche Gestalt entgegen. Als sie nahe heran war, fiel durch ein offenes Fenster der Lampenschein auf den Fremden, zwar nur auf einen Augenblick, aber doch so, daß man das Gesicht erkennen konnte.
   Alle beide stutzten, sowohl der Kapitän wie auch der Steuermann.
   »Alle Teufel!« sagte der erstere. »War das ein Geist?« – »Welche Ähnlichkeit!« fügte der zweite bei. – »Der Teufel soll Euch holen, wenn er es nicht war! Kommt, Steuermann, wir müssen ihm nach!«
   Sie wandten um und eilten dem Mann nach. Er schwenkte eben nach einem Wohnhaus ein, das inmitten eines Gartens lag. Dort klingelte er. Nach ganz kurzer Pause wurde geöffnet, und es erschien eine sehr schöne, junge Dame, die eine Lampe trug. Das Licht derselben fiel voll auf den Ankommenden, und man hörte deutlich den Gruß der Dame:
   »Ah, Señor Mariano! Willkommen! Señor Sternau erwartet Sie schon.« – »Beim Teufel, er ist‘s!« sagte der Kapitän. – »Ja, er ist‘s«, stimmte der Steuermann bei. – »Und wißt Ihr, wer hier wohnt?« – »Wer?« – »Jener Sternau, der uns an der Küste von Jamaika mit seiner Jacht angriff und alle meine Offiziere niederschoß, mich aber nur verwundete. Ihr rettetet Euch damals, und darum seid Ihr mein Steuermann geworden.« – »Donnerwetter, könnten wir denn da nicht ein wenig den Chor der Rache spielen? Ich hätte große Lust dazu!« – »Ich habe nicht nur Lust, sondern für mich ist‘s eine Lebensfrage, ob ich diese Halunken wieder in meine Hand kriege oder nicht. Horch, sie kommen auf die Gartenveranda! Da können wir lauschen. Schnell, über den Zaun!«
   Sie schwangen sich über den Zaun hinüber und versteckten sich hinter einigen üppig wuchernden Zierbüschen.
   Die Bewohner des Hauses kamen allerdings auf die Veranda. Es wurden zwei Tische zusammengeschoben und mit einem weißen Tuch bedeckt. Man stellte die Lampe darauf, präsentierte einige Früchte und begann eine lebhafte Unterhaltung. Um die Tische saßen Sternau, Mariano, Büffelstirn, Bärenherz, Donnerpfeil, der Steuermann Helmers, Emma und Karja.
   Sie waren erst gestern in dem Ort angekommen, und da es nicht sogleich ein Schiff gab, das sie benutzen konnten, so hatten sie sich in Privatwohnungen eingemietet und hielten hier bei Sternau ihre Zusammenkunft.
   Das Gespräch erstreckte sich auf verschiedene Tatsachen, die die Lauscher nicht interessierten; endlich aber nahm es doch eine höchst spannende Wendung, denn Emma fragte:
   »Und wenn Sie Mexiko erreicht haben, Señor Sternau, was werden Sie dann tun?« – »Ich werde ein wenig nach Afrika fahren«, antwortete er. – »Ah, Sie kühner Mann! Was wollen Sie denn dort?« – »Ich will den alten Grafen Ferdinando de Rodriganda suchen.« – »So glauben Sie also wirklich, daß er noch lebt?« – »Ich glaube, daß er in Mexiko nicht gestorben ist. Sie haben doch von jenem schuftigen Henrico Landola gehört?« – »Dem Seeräuber, den Sie bei Jamaika mit in den Grund schossen?« – »Ja. Dieser hat den alten Grafen nach Afrika geschafft, an die Ostküste dieses Erdteils. Ich weiß ganz genau, wo ich ihn zu suchen habe. Wenn er nicht gestorben und verdorben ist, werde ich ihn in Harrar finden.« – »Und dann, meinen Sie, ist die Schlinge gegen diese Cortejos zum Zusammenziehen fertig?« – »Nein. Erst muß der alte Graf Emanuel de Rodriganda, mein Schwiegervater, aufgefunden werden. Ich bin überzeugt, daß er noch lebt. Aber, weg mit diesen Traurigkeiten! Heute habe ich an meine Frau geschrieben, und ich will mir ihr liebes Bild nicht durch solche Schatten schwärzen lassen.«
   Von jetzt an nahm die Unterhaltung einen so einfachen Verlauf, daß die Lauscher gar nicht mehr auf sie hörten.
   »Dieser Schuft, dieser Sternau!« knirschte der Kapitän, in dem wir ja schon längst Landola wiedererkannt haben. – »Nehmen wir ihn fest, Kapitän!« meinte der Steuermann. – »Das tue ich, und soll es mir den Hals kosten. Aber wie dies anfangen?« – »Das findet sich. Es gilt zunächst, die jetzigen Verhältnisse und Absichten der ganzen Sippe kennenzulernen. Ihr dürft Euch nicht sehen lassen.« – »Pah, ich habe meine falschen Bärte!« – »Auf die kann man sich solchen Leuten gegenüber nicht verlassen. Ich werde für Euch handeln. Ich werde bereits morgen zu spionieren beginnen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht eine Durchfahrt finden ließe.« – »Ich hoffe es. Aber hört, sie brechen auf. Wir müssen diesem Mariano nachgehen; ich muß unbedingt wissen, wo er wohnt. Schnell wieder über den Zaun, und dann stecken wir uns da drüben in den Winkel. Es ist am besten, wir bleiben nicht zusammen, folgen ihm aber beide. Sollte ihn der eine ja verlieren, so wird ihn der andere desto sicherer halten.«
   Sie warteten, bis Mariano vorüber war, und folgten ihm dann nach, getrennt voneinander und sich den Anschein von unbefangenen Spaziergängern gebend. Er schritt nach dem Strand zu und trat da in das Haus, in dem er sich eingemietet hatte. Sie beobachteten ihn, bis er verschwunden war, dann trat der Kapitän zu dem Steuermann und sagte:
   »Jetzt wissen wir, wo er wohnt, und die Logis der anderen kennen wir auch. Es handelt sich also darum, zu erfahren, was sie beabsichtigen.« – »Ich werde mich erkundigen«, meinte der Steuermann. »Mich kennt weder Sternau noch ein anderer dieser Leute.« – »Das muß aber bald geschehen, möglichst morgen früh bereits.«
   Sie begaben sich nach Hause, und am anderen Morgen beabsichtigte der Steuermann, seine Nachforschungen anzustellen, begab sich aber vorher nach dem Hafen, um zu sehen, ob an Bord alles in Ordnung sei. Das Glück lächelte ihm, denn am Ufer stand Sternau mit Mariano. Beide betrachteten das Schiff, und als sie bemerkten, daß der Steuermann die Absicht habe, an Bord zu gehen, und also wohl zu der Bemannung des Fahrzeugs gehöre, fragte Sternau:
   »Kennen Sie vielleicht die Bestimmung dieses Schiffs, Señor?«
   Den Steuermann durchzuckte ein Gedanke, der für die Absichten seines Kapitäns außerordentlich vorteilhaft war, er beschloß, denselben auszuführen, sich aber vorher über die Absichten Sternaus zu informieren. Darum entgegnete er:
   »Warum fragen Sie, Señor? Wollen Sie vielleicht als Passagier an Bord gehen, oder können Sie uns eine Ladung überweisen?« – »Das erstere ist der Fall«, antwortete Sternau. »Ich beabsichtige, mit einigen Gefährten nach Acapulco oder einem anderen südländischen Hafen zu gehen.« – »Hm!« nickte der Steuermann, »das dürfte passen, denn ich habe allerdings die Absicht, auf meiner Fahrt den Hafen von Acapulco anzulaufen.« – »Ah, Sie sind der Kapitän?« —»Allerdings.« – »Wann lichten Sie die Anker?« – »Morgen mit dem Frühesten. Die Passagiere müßten noch heute gegen Abend an Bord kommen. Wollen Sie sich das Schiff ansehen?« – »Ich werde dies in vielleicht einer Stunde tun, dann können wir uns ja über die Bedingungen einigen.«
   Sternau wollte sich das Schiff in Gegenwart seines Steuermanns Helmers betrachten, da dieser in solchen Angelegenheiten der erfahrenste war. Während er mit Mariano zur Stadt ging, um Helmers zu holen, ruderte der Steuermann nach dem Schiff. Es war ihm lieb, daß Sternau erst später kommen wollte, denn auf diese Weise bot sich die nötige Zeit, alles Verdächtige zu entfernen und das Innere des Schiffs so einzurichten, daß die Passagiere nicht abgeschreckt wurden. Das Personal erhielt die notwendigen Instruktionen, und als Sternau mit Helmers kam, wurden beide in der höflichsten Weise empfangen, und die Besichtigung fiel so günstig aus, daß Sternau sogleich den Handel abschloß und auch das Reisegeld bezahlte.
   Um nach der Hacienda del Erina zurückzukehren, hätten die beiden Damen unter der Begleitung Donnerpfeils und der beiden Häuptlinge den Landweg einschlagen können, aber dieser war zu gefährlich und anstrengend, darum entschlossen sie sich, mit nach Acapulco zu fahren und von da aus nach Mexiko zu gehen, wo es dann leichter war, die Hazienda zu erreichen. Büffelstirn und Bärenherz jedoch schlossen sich nicht mit an. Sie wollten den direkten Landweg wählen, um auf demselben eher nach del Erina zu gelangen und dem Besitzer die gewiß heißersehnte Nachricht zu bringen, daß seine Tochter gerettet sei und über die Hauptstadt Mexiko wohlbehalten zurückkehren werde. Beide jedoch wollten vor ihrer Abreise mit an Bord gehen, um den Abend noch mit den Freunden vereinigt sein zu können.
   Als Kapitän Landola hörte, wie glücklich sein Steuermann gewesen sei, konnte er seine Freude kaum beherrschen.
   »Das fügt sich ja günstiger, als man erwarten konnte«, sagte er zu ihm. »Auf diese Weise habe ich weder einen falschen Bart noch irgendeine Verkleidung nötig. Ich komme an Bord, wenn es ganz dunkel ist. Dann nehmen wir sie gefangen.« – »Sollen sie leben bleiben?« – »Ja, es ist vorteilhafter für mich.« – »Aber das wird einen fürchterlichen Kampf geben! Ein jeder dieser Kerle nimmt es mit einigen von uns auf.« – »Pah, wir überrumpeln sie einzeln. Man wird das nicht schwer zu bewerkstelligen wissen. Sternau ist der gefährlichste, er muß zunächst unschädlich gemacht werden.« – »Aber doch erst dann, wenn die beiden Indianer das Schiff verlassen haben?« – »Sie werden es gar nicht verlassen, sondern auch mit gefangen werden. Ich bin dazu gezwungen, damit später kein Mensch weiß, auf welche Weise die Gesellschaft verschwunden ist. Haben wir uns ihrer bemächtigt, so segeln wir nach Westen. Ich kenne eine einzelne Insel, die so ganz und gar verloren in der See liegt, daß kein Schiff in ihre Nähe kommt. Dort setzen wir sie aus. Sie können sich erhalten, denn es gibt Quellwasser und Früchte genug für sie. Es wird ein jeder Fluchtversuch vergebens sein, und so bleiben sie unsere Gefangenen entweder auf Lebenszeit oder bis ich vielleicht Gründe finde, ihrer zu bedürfen.« – »Wo liegt die Insel?« – »Sie liegt weit von jedem Schiffahrtskurs entfernt und unter dem vierzigsten Grad südlicher Breite auf der Höhe der Osterinseln und ist ein sichereres Gefängnis, als eine von den stärksten Mauern umgebene Bastille. Sie hat noch keinen Namen und besteht aus Korallen. Die auf ihr vorhandenen Bäume sind nicht so groß, daß man ein Schiff bauen könnte, und selbst wenn dies den Gefangenen gelänge, so würden sie mit einem so unvollkommenen Fahrzeug nicht durch die fürchterliche Brandung kommen, die Tag und Nacht sich an den Korallenriffen bricht.« – »Aber wir werden zu viele Zeugen haben. Ein jeder einzelne von unseren Leuten kann später das Geheimnis ausplaudern.«
   Der Kapitän warf seinem Steuermann einen mitleidigen Blick zu und sagte dann langsam mit Nachdruck:
   »Wir werden keine Zeugen haben, denn wir beide werden die einzigen sein, die, von dieser Fahrt zurückgekehrt, lebendig das Schiff verlassen.«
   Das war sehr deutlich gesprochen. Der Steuermann schauderte. Wie nun, wenn der Kapitän gar keinen Zeugen haben wollte und infolgedessen auch ihm das Leben nahm? Er beschloß, sehr vorsichtig zu sein.


   45. Kapitel

   »Wir lagen in des Kerkers Nacht,
   Zu uns kein Ton des Lebens drang,
   Die Toten hatten uns bewacht,
   Uns selbst, uns wurde sterbensbang.
   Und nun uns die Erlösung schlug,
   Und als uns die Errettung kam,
   Da ward die Freiheit uns zum Trug,
   Und doppelt bitter ist der Gram.«

   Gegen Abend kamen die Passagiere an Bord und wurden mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen. Sie erhielten eine sehr reichliche Abendmahlzeit serviert, die in der Kapitänskajüte eingenommen wurde, während derselben stellte sich Landola ein, und sofort begann das Werk.
   Es war sehr finster, und zugleich lag ein so dichter Nebel auf dem Wasser, daß man nicht drei Schritt weit zu sehen vermochte. Einige der stärksten Matrosen stellten sich am Gangspill auf, und dann ging ein anderer hinab zur Kajüte, wo er von dem angeblichen Kapitän, also dem Steuermann, mit verstellter Barschheit angeredet wurde:
   »Was hast du hier in der Kajüte zu suchen, he?« – »Verzeihung, Señor Capitano«, entschuldigte sich der Mann. »Es kam soeben in einem Boot ein Fremder, der mit Señor Sternau sprechen will.« – »Mit mir?« fragte Sternau. – »Ja.« – »Wer ist es?« – »Er sagte, daß er der Wirt sei, bei dem Ihr gewohnt habt. Er hat Euch unter vier Augen eine notwendige Mitteilung zu machen.« – »Gut, ich komme.«
   Sternau erhob sich und folgte dem Matrosen, der ihn auf das Deck führte. Als sie an dem Gangspill vorüberkamen, fühlte er plötzlich zwei Fäuste an seiner Kehle, und zu gleicher Zeit erhielt er mit einer Handspeiche einen solchen Hieb auf den Kopf, daß er besinnungslos zusammenbrach, ohne nur einen Laut ausgestoßen zu haben.
   »Der ist expediert!« lachte Landola halblaut. »Bindet ihn und schafft ihn hinunter in den Raum. Dann holen wir zunächst den einen Indianer, der in Büffelleder gekleidet ist, er scheint mir nach Sternau der Stärkere zu sein.«
   Nach einiger Zeit erschien der Matrose wieder in der Kajüte und sagte Büffelstirn, daß er einmal hinauf zu Señor Sternau kommen solle. Er folgte dem Führer, nichts ahnend, und wurde ebenso widerstandslos niedergemacht. Nach kaum zwei Minuten kam Bärenherz an die Reihe und erlitt das gleiche Schicksal. Da stand Mariano auf und sagte:
   »Das sieht ja ganz aus wie eine wichtige Neuigkeit, von der man nichts wissen soll. Ich werde mich einmal erkundigen.«
   Er stieg die Kajütentreppe empor. Die beiden Brüder Helmers, die nun mit den zwei Damen und dem angeblichen Kapitän allein am Tisch saßen, hörten seine sich entfernenden Schritte und warteten vergeblich auf seine Rückkehr. Da verließen auch sie die Tafel und versprachen Emma und Karja, ihnen Nachricht zu bringen, was es da oben für eine so wichtige Unterredung gäbe.
   Es dauerte eine geraume Zeit, bis sich nahende Schritte hören ließen. Die Tür wurde geöffnet, und Landola trat ein. Die Damen sahen ihn mit ängstlichem Erstaunen an. Er machte ihnen eine sehr höfliche Verbeugung und meldete:
   »Señoritas, haben Sie die Güte, mir zu folgen. Die Herren wollen gern mit Ihnen sprechen!«
   Die beiden Mädchen kamen seiner Aufforderung ahnungslos nach. Er führte sie aus der Kajüte hinauf auf das finstere Verdeck, wo sofort zwei Männer zu ihnen traten und sie erfaßten. Als sie dabei einen Schrei des Schreckens ausstießen, gebot er ihnen Ruhe und sagte:
   »Schweigen Sie! Sie haben lautlos das anzuhören, was ich Ihnen jetzt sage! Sie und die Männer, die bei Ihnen sind, haben sich so feindselig gegen mich und meine Freunde benommen, daß ich mich Ihrer Personen versichern muß. Die Herren befinden sich bereits in meinem Gewahrsam, und auch Sie sind meine Gefangenen!« – »Mit welchem Recht?« fragte Karja, die sich als gewandte Indianerin schnell faßte. – »Mit dem Recht des Stärkeren«, lachte er. »Ich weiß nicht, ob Sie mich kennen. Mein Name ist Landola.« – »Landola, der Seeräuber«, hauchte Emma erschrocken. – »Ja, der Seeräuber«, antwortete er in rohem Stolz. »Es ist jeder Widerstand unnütz. Es soll den Damen nichts geschehen, ja, sie sollen sogar unter Aufsicht auf dem freien Deck promenieren dürfen, aber sobald Sie die geringste Miene machen, gegen meine Befehle zu handeln, töte ich die Señores. Sie werden diese während unserer Fahrt nicht zu sehen bekommen, sie liegen gefesselt unten im Raum, und ich werde ihnen sagen, daß sie sich allen Widerstands zu enthalten haben, weil sonst die Señoritas getötet werden.« – »Und was soll unser Schicksal sein?« fragte Karja sehr gefaßt. – »Ich werde Sie mit den Herren auf einer unbewohnten Insel aussetzen, damit mir niemand Schaden machen kann. Es wird Ihnen unterwegs nicht das mindeste geschehen, keiner meiner Leute wird Sie anrühren, aber ich verlange dafür unbedingten Gehorsam und alles Aufgeben eines Versuchs der Flucht oder der Meuterei, der Sie nur unglücklich machen würde. Jetzt kommen Sie, ich werde Ihnen den Raum anweisen, der Ihnen als Aufenthaltsort dienen wird.«
   Er führte sie durch die Fockmastluke hinab in einen engen, festen Verschlag, in den er sie einschloß. Sie fielen einander dort im Finstern in die Arme. Ein einziger Augenblick hatte sie vom Gipfel des Glücks wieder in eine grauenvolle Tiefe hinabgeworfen.
   Jetzt begab sich der Pirat nach dem Raum zu seinen männlichen Gefangenen. Sie befanden sich nicht etwa in dem Güterraum, in dem die Fracht aufgestapelt zu werden pflegt, sondern ganz unten auf dem unter dem Wasser liegenden Boden des Schiffs.
   Es muß nämlich erwähnt werden, daß ein Schiff, selbst wenn es schwer beladen ist, Ballast mit sich fuhren muß. Dieser Ballast besteht in Steinen, Sand oder anderen schwerwiegenden Materialien, die in dem untersten Raum aufgehäuft werden, damit das Schiff tief in das Wasser sinkt. Hat es keinen Ballast, so schwimmt es zu leicht, wankt herüber und hinüber, verliert den Halt und kann sehr leicht von Wind und Wogen umgeworfen werden. Vieles, wenn nicht gar das meiste Unglück zur See kommt davon her, daß man zu wenig Ballast eingenommen hat; das Fahrzeug folgt dann dem Steuer nicht exakt, wird durch den Druck der Segel hinten emporgehoben, bekommt einen wankenden Gang, gerade wie ein Betrunkener, und kann mit Mann und Maus in einem Augenblick untergehen, in dem ein gut belastetes Schiff gerade die beste Fahrt machen würde. So verschwinden Fahrzeuge, von denen man nicht weiß, wohin sie gekommen sind, obgleich es keine Spur von einem gefährlichen Sturm oder Orkan gegeben hat.
   Der betreffende Raum des gegenwärtigen Schiffs nun war bis zur Höhe von drei Metern mit Sand gefüllt. Ein jedes, selbst das bestgebaute Holzschiff leckt, das heißt, es dringt ein ungefährlicher Teil Seewassers durch die Planken hindurch, und so kam es, daß dieser Sand eine nicht unbedeutende Menge Feuchtigkeit enthielt. In diesem nassen Sand lagen die Gefangenen. Es waren an die Rippen des Schiffs, an denen die Planken befestigt sind, Ketten eingeschraubt, an die man die Männer gefesselt hatte, und zwar in solcher Entfernung, daß sie einander zwar hören, aber nicht erreichen konnten. Außerdem waren ihnen die Hände und Füße so mit festen Tauen zusammengebunden, daß sie den Gebrauch der Glieder vollständig verloren hatten.
   Als Landola mit einer Laterne zu ihnen in den selbst am hellen Tag vollständig dunklen Raum kam, fand er, daß sie alle sich von der Besinnungslosigkeit bereits wieder erholt hatten. Er untersuchte nun jeden einzelnen und setzte sich dann Sternau gegenüber, der ihn auf den ersten Blick erkannt hatte und nun wußte, daß von diesem Menschen nichts Gutes zu erwarten sei.
   »Señor Sternau, erkennen Sie mich?« fragte er höhnisch.
   Der Gefragte antwortete nicht und tat, als ob er seine Gegenwart gar nicht bemerkt habe.
   »Ah, Sie spielen den Stolzen?« lachte Landola. »Nun, das muß ich mir gefallen lassen! Da mich aber die anderen Señores wohl noch nicht gesehen haben, so will ich ihnen sagen, daß ich Henrico Landola bin, der Kapitän der berühmten ›Pendola‹. Man nennt mich auch zuweilen Grandeprise vom Piratenschiff ›Lion‹. Nun habe ich mich Ihnen vorgestellt und hoffe, Ihnen bekannt zu sein. Antworten Sie!«
   Aber keiner von ihnen sprach ein Wort.
   »Gut«, meinte der Seeräuber. »Ich bin überzeugt, daß Ihnen nur die Angst die Sprache geraubt hat; darum will ich nachsichtig sein. Doch nehme ich an, daß Ihnen wenigstens das Gehör geblieben ist, und so will ich mitteilen, was ich für Absichten mit Ihnen verfolge.«
   Er ließ darauf den Blick von einem zum anderen schweifen, und als er bemerkte, daß ihn auch jetzt noch keiner anblickte, nickte er mit einem boshaften Lächeln und fuhr fort:
   »Ich habe den Auftrag erhalten, Sie alle unschädlich zu machen, indem ich Sie töte; Sie sind endlich in meine Hand gegeben, und ich könnte Sie mit leichter Mühe töten. Ich habe jedoch beschlossen, dies nicht zu tun, nicht etwa aus Mitleid, denn dies wäre eine Schwäche, die Henrico Landola nicht kennt, sondern aus einer einfachen Berechnung, die sich ganz von selbst ergibt.«
   Er warf abermals einen forschenden Blick auf die Gefangenen, aber er bemerkte auch jetzt nicht die mindeste Miene, daß einer auf seine Eröffnungen gespannt oder neugierig war. So fuhr er denn nach einer kurzen Pause fort:
   »Ich habe nämlich, wenn ich Sie unschädlich mache, auf einen großen Lohn zu hoffen. Es ist aber sehr leicht möglich, daß man mir diesen Lohn verweigert, sobald man erfährt, daß ich meinen Auftrag wirklich ausgeführt habe. In diesem Fall hätte ich keine Zeugen. Schenke ich Ihnen aber das Leben, obgleich Sie natürlich verschwinden müssen, so steht es mir später zu jeder Stunde frei, Sie wieder erscheinen zu lassen. Dadurch wird mein Auftraggeber gezwungen, mir meinen Lohn auszuzahlen. Erhalte ich ihn, so bleiben Sie verschollen für alle Ewigkeit, verweigert man ihn mir aber, so hole ich Sie ab und geben Sie unter der Bedingung frei, daß ich meine Bezahlung dann von Ihnen erhalte und natürlich meine Begnadigung dazu.«
   Er sprach in so geschäftsmäßigem Ton, als ob es sich um einen geringfügigen Handel und nicht um das Lebensglück so vieler Menschen handle, und fuhr fort:
   »Sie sehen, daß ich Ihnen nicht gefährlich werden will, ja, daß Sie unter Umständen sogar später auf Ihre Befreiung rechnen können. Darum denke ich aber auch, daß Sie vernünftig und dankbar sein werden. Unter dieser Dankbarkeit verstehe ich besonders ein Verzichten auf jeden Versuch, sich zu befreien. Er würde nur zu Ihrem eigenen Schaden ausfallen. Auch die beiden Señoritas sind gefangen. Man wird sie anständig behandeln, ebenso, wie man Sie nicht unnötigerweise quälen wird; aber ein jeder Rettungsversuch der einen Partei, ich gebe Ihnen mein heiliges Wort, kostet der anderen das Leben. Droht mir von Ihnen Beschwerde oder Gefahr, so töte ich die Damen, sind mir aber diese ungehorsam, so lasse ich Sie umbringen. Merken Sie sich das!«
   Landola hielt inne, um den Eindruck zu beobachten, den seine Worte auf die Gefangenen gemacht hatten; aber sie lagen noch immer so regungslos wie vorher und gaben keinen Laut von sich, der ihn darüber belehrt hätte, welchen Erfolg er erreicht. Darum sagte er zum Schluß:
   »Ich teile Ihnen endlich noch mit, daß Sie so liegenbleiben werden wie jetzt und daß täglich unter meiner Aufsicht jemand kommen wird, um für einen Augenblick Ihre Hände zu befreien, damit Sie essen und trinken können. Jetzt wissen Sie genug. Vergessen Sie nicht, daß Sie es mit einem Mann zu tun haben, der den kleinsten Ungehorsam mit dem Tod bestrafen wird. Gute Nacht!«
   Der Kapitän nahm sodann seine Laterne auf, ging und verschloß die Luke, deren schwere, eiserne Riegel man rasseln und klirren hörte.
   Einige Minuten lang blieb in dem dumpfen, feuchten Raum alles ruhig. Man hörte nur die Ratten, die auf einem solchen Schiff, besonders im Ballastraum, zahlreich zu finden sind, hin und her springen. Endlich vernahm man die Stimme des Apachen, der nur das eine Wort ausstieß:
   »Uff!« – »Uff!« antwortete nach einer Weile Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas.
   Wieder trat eine Stille von vielleicht fünf Minuten ein, bis Mariano Sternau, der sein Nachbar war, fragte:
   »Was sagst du dazu, Carlos?« – »Nichts!« lautete die ernste Antwort. »Oder könnte es dir vielleicht noch während der Nacht gelingen, dich von der Kette freizumachen?« – »Unmöglich! Sie ist zu fest. Überdies sind wir ja auch an Händen und Füßen zugleich gefesselt.« – »Nun, so müssen wir uns fügen!«
   Sternau sagte diese Worte mit ruhiger Stimme, aber das Knirschen seiner Zähne verriet, was in ihm vorging. Sie alle waren Männer, die dem Tod und allen Gefahren kühn in das Angesicht geschaut hatten, sie waren nicht gewohnt, zu lamentieren, denn sie wußten, daß es nur bei klarem Geist und ruhiger Sammlung möglich sei, sich aus Fährlichkeiten zu retten. Dennoch aber kochte es wohl in einem jeden von ihnen, obgleich sie zu stolz waren, dies äußerlich merken zu lassen. Erst nach einer längeren Weile sagte Büffelstirn:
   »Dieser Räuber ist verloren, wenn er Karja, der Schwester des Häuptlings der Mixtekas, nur ein Haar ihres Hauptes krümmt.«
   Der berühmte Jäger dachte nicht an sich, sondern nur an seine Schwester.
   »Er würde die größten Martern erleiden«, stimmte der Apache bei, der auch nicht an sich dachte, sondern an das Mädchen, das er liebte, trotzdem ihr Herz auf eine kurze Weile für den falschen Rodriganda geschlagen hatte.
   Es war das von den beiden so stolz und selbstbewußt gesprochen, wie es sich für Indianerhäuptlinge geziemt. Sie waren gefangen, sie hatten nicht die kleinste Hoffnung, sich von ihren Fesseln befreien zu können, und dennoch drohten sie dem Feind und sprachen davon, daß sie ihn bestrafen würden. Und Helmers, der berühmte Donnerpfeil, tat ganz so wie sie.
   »Der Teufel soll sie holen, wenn sie nur die kleinste Unhöflichkeit gegen Emma begehen!« sagte er. »Wir werden in diesem verdammten Schiff nicht umkommen und ja sehen, was zu tun ist.«
   Sternau, der immer an das zunächst Wichtige dachte, fragte ihn:
   »Wie sind Sie überwältigt worden? Durch einen Griff um die Gurgel oder durch einen Hieb?« – »Man drosselte mich«, antwortete der Gefragte. – »So können Sie von Glück reden. Ein Hieb auf Ihre Kopfwunde hätte Sie getötet. Übrigens wollen wir jetzt nicht klagen und drohen, sondern einmal allen Ernstes versuchen, ob denn wirklich keiner seinen Ketten gewachsen ist. Mich hat man ganz besonders bedacht; ich bin doppelt so stark gefesselt als ihr. Sonst würde es mir wohl gelingen, das bißchen Eisen abzudrehen.«
   Sie folgten seinem Vorschlag. Durch das Dunkel des Raumes hörte man jetzt nichts als ein angestrengtes Klirren, Zerren, Drehen und Schrauben an den Ketten.
   »Es ist nichts«, sagte Mariano. »Wir müssen auf einen Zufall rechnen.« – »Das werden wir kaum dürfen. Dieser Mensch wird noch während der Nacht mit uns in See gehen«, antwortete Sternau. »Sind wir bis dahin noch nicht frei, so bleiben wir seine Gefangenen, bis es ihm beliebt, uns zu ermorden oder an einer wüsten, unbewohnten Insel auszusetzen, wie aus seinen Worten ja hervorgeht. Unterwegs aber hätten wir nicht nur mit ihm und seinen Leuten, sondern auch mit den Elementen zu kämpfen. Die Fesseln sprengen wir nicht. Es gäbe höchstens die eine Möglichkeit, daß es den Damen gelänge, uns auf irgendeine Weise ein Werkzeug zuzustellen, mit dem wir die Ketten lösen könnten. Das aber ist wohl unmöglich. Und wäre es auch möglich, so werden sie es nicht wagen, da ja ein solcher Versuch mit unserem Tod bedroht worden ist. Berücksichtigen wir zunächst, daß wir nicht getötet werden sollen. Auch ich denke an mein Weib, an alle meine Lieben, aber ich halte es für das beste und unserer würdigste, diese neue Prüfung mit Festigkeit zu tragen. Halten wir den Mut und die Hoffnung fest, ermuntern wir uns, damit unsere Gesundheit nicht zu sehr leidet, so wird uns ganz sicher eine Stunde der Freiheit und der Vergeltung schlagen. Das hoffe ich zu Gott!«
   Diese festen Worte richteten die anderen wieder auf. Es entstand eine lautlose Stille. Man hörte nur zuweilen das Rascheln einer Kette im Sand, und wahrhaftig, bald bewiesen die geregelten Atemzüge, daß die Männer schliefen, trotzdem sie heute eine der größten Enttäuschungen ihres Lebens erfahren hatten und sich in einer Lage befanden, in der ein anderer verzweifelt wäre. Sie erwachten erst, als die Wasser des Meeres an die Planken rauschten, zum Beweis dafür, daß das Schiff unter Segel gegangen sei. Wohin, davon hatten sie keine Ahnung.
   Warum die Stunden, die Tage und Wochen beschreiben, die da unten im dunklen Raum vergingen? Warum die Gefühle schildern, die während fast dreier Monate die Herzen der Gefangenen bewegten? Obgleich die beiden Damen Luft und Licht genießen durften, litten sie doch am meisten. Es fehlte ihnen jenes zähe Selbstbewußtsein, das die Männer besaßen, die selbst in Ketten sich ihres Wertes vollständig bewußt blieben und keinen einzigen Augenblick die Überzeugung verloren, daß der Tag der Rache einst ganz sicher kommen werde.
   Man hatte länger ruhiges Wetter gehabt, man hatte Stürme erlebt, doch nie war das Schiff angehalten worden. Da endlich, endlich schlugen die Wogen leiser und langsamer gegen die Planken, hörte man den Anker rasseln – tiefe Stille trat ein, man vernahm den Schritt mehrerer Männer zur Lukentreppe herabkommen.
   »Jetzt naht die Entscheidung«, sagte Sternau. »Das schlimmste Los wird besser sein als diese tödliche Ungewißheit!«
   Die Luke wurde entriegelt und geöffnet. Landola trat herunter mit mehreren von seinen Leuten.
   »Macht ihnen die Ketten los!« gebot er. »Aber bindet sie so, daß sie nicht stehen oder die Arme bewegen können.«
   Dies geschah. Und nun wurden die Gefangenen auf das Deck geschafft, wo man sie wie Holzklötze niederlegte.
   Jetzt sahen sie nach so langer Zeit zum ersten Mal wieder die Sonne und den Himmel, jetzt atmeten sie zum ersten Mal wieder freie, reine Luft. Wie aber sahen diese Männer aus! Gehungert und gedurstet hatten sie nicht, aber seit Monaten nicht gepflegt, gewaschen, gekämmt, lagen sie da mit halb verfaulten Kleidern, die von den Ratten zerfetzt worden waren.
   In der Nähe standen die beiden Mädchen. Sie waren heute auch gefesselt, sonst hätten sie sich sicher vor Schmerz auf die Geliebten geworfen.
   Zur Rechten lag die weite See, zur Linken erblickten sie eine Insel, die von einem Korallenkreis umgeben war, an dem die Brandung haushoch emporschäumte. In diesem Brandungsring gab es nur eine Öffnung, aber auch diese war jedenfalls nur von einem stark gebauten Boot zu passieren.
   Die Gefangenen hatten zunächst nur einen kurzen Blick für die Insel. Ihre Aufmerksamkeit galt jetzt hauptsächlich der Bemannung des Schiffs, die sich, den Kapitän an der Spitze, um sie geschart hatte. Dieser sagte zu den Gefesselten:
   »Señores, wir sind am Ziel, denn diese Insel soll Ihre Wohnung sein. Sie werden nie erfahren, wie sie heißt und wo sie liegt, denn es kann Ihnen kein Mensch Auskunft geben, da sich das Eiland ganz außerhalb jeden Kurses befindet und niemals besucht wird. Sie werden nicht verhungern und verdursten, denn es gibt hier zwei frische Quelle und Früchte, Fische, Vögel und anderes Wild genug. Die Waffen, die ich Ihnen abgenommen habe, erhalten Sie nicht wieder, doch können Sie ja Schlingen legen oder Bogen und Pfeile fertigen, um sich Nahrung und Häute zu Ihren Kleidern zu verschaffen. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir uns unter Umständen wiedersehen werden. Wenn sich Ihnen ein Schiff naht, so ist es ganz sicher das meinige, glauben Sie nicht, daß es ein anderes sein wird. Ich lasse Sie jetzt durch die Brandung an das Land fahren. Wenn sich meine Leute dann entfernt haben, können Sie sich mit Hilfe spitzer und scharfer Steine sehr leicht von Ihren Fesseln befreien. Adieu, Señores! Adieu, Señoritas!«
   Die Matrosen griffen zu und legten die Gefangenen in die beiden Boote, die dann vom Schiff abstießen. Es gelang ihnen, durch die Brandung zu kommen. Am stilleren Ufer wurden die Gefesselten ausgeladen und hingelegt, dann kehrten die Matrosen zurück.
   Sternau wälzte sich sofort an eine scharfe Kante des Korallenufers und rieb den Strick, der seine Hände verband, so lange gegen dieselbe, bis er zerriß. Nun schlug er ein Stück dieser Kante ab, gebrauchte sie als Messer, befreite mit demselben auch seine Füße und war frei. Nach noch nicht zehn Minuten standen alle wieder aufrecht und im Besitz des Gebrauchs ihrer Glieder da.
   Nun erhob Büffelstirn die Hand, deutete auf das Schiff und fragte:
   »Wünschen meine Brüder, daß wir das große Kanu unserer Feinde erobern?«
   Sternau mußte trotz des Ernstes ihrer Lage doch beinahe lächeln, als er antwortete:
   »Das ist unmöglich, ganz und gar unmöglich!«
   Da deutete Büffelstirn auf die Brandung.
   »Fürchten sich meine Brüder vor diesem Wasser?« fragte er. »Der Häuptling der Mixtekas schwimmt durch jedes Wasser!« – »Aber ehe er hinauskommt, ist das Schiff bereits fort. Da zieht es schon die Segel wieder in den Wind. Es geht weiter. Welcher Schwimmer kann es erreichen!«
   Es war so, wie Sternau sagte. Das Schiff hatte seinen Lauf wieder aufgenommen, und da es ein guter Segler war, machte es eine so schnelle Fahrt, daß die Insel, besonders da sie nicht sehr groß war, bald aus den Augen der Bemannung verschwand.
   Der Kapitän aber stand oben auf dem Quaterdeck und blickte noch mit dem Fernrohr nach der Insel zurück. Als er sie nicht mehr erkennen konnte, schob er das Rohr zusammen und drehte sich nach dem Steuermann.
   »Fertig!« sagte er. »Diese Herrschaften sind sicher aufgehoben.« – »Sicher?« fragte der Maat. »Wie nun, wenn es ihnen doch gelingen sollte, sich zu befreien?« – »Das gelingt ihnen nie. Sie machen mir keine Sorge, wohl aber die hier.«
   Landola deutete bei diesen Worten auf seine Matrosen.
   »Man wird Maßregeln treffen müssen«, meinte der Steuermann mit verschlagenem Lächeln. – »Das werden wir«, nickte der Kapitän. »Halten wir unseren Kurs nach Westnordwest. Ich will die Insel Pitcairn anlaufen.« – »Hm!« brummte der Maat, indem er langsam mit dem Kopf nickte, denn er hatte seinen Gebieter vollständig verstanden.
   Die Fahrt blieb auch jetzt eine gute. Pitcairn wurde glücklich erreicht, und der Kapitän ging mit seiner Gig ganz allein an das Land.
   »Das hat etwas zu bedeuten«, sagte sich der Steuermann. »Ich aber will mich in acht nehmen.«
   Als Landola zurückkehrte, machte er eine sehr ärgerliche Miene.
   »Es war nichts«, sagte er. »Ich wollte unsere Kerle gegen neue Mannschaften umtauschen und mich gar nicht aufhalten. Aber das geht sehr langsam hier. Wir werden einige Tage warten müssen.« – »Soll ich es nicht lieber einmal versuchen, Kapitän?« fragte der Maat.
   Es war ihm jetzt nicht geheuer auf dem Schiff. Landola wollte die Zeugen seiner Tat unschädlich machen, und er selbst, der Steuermann, befand sich in derselben Gefahr, da auch er ein solcher Zeuge war. Landola jedoch machte ein so freundliches Gesicht, als sei er einer großen Sorge überhoben, und antwortete:
   »Das wäre mir das liebste. Es können noch einige mitgehen, und wenn Ihr bis morgen bleibt, so könnt Ihr genug Leute finden. Vier Mann im Boot werden genug sein.« – »Völlig. So werde ich mich sogleich fertig machen.« – »Aber die Waffen nicht vergessen, denn mit diesen Eingeborenen ist nicht zu scherzen.«
   Der Steuermann ging. Als er sich entfernt hatte, lachte der Kapitän höhnisch und brummte leise vor sich hin:
   »Dieser Kerl durchschaut mich. Er soll der erste sein, der dran glauben muß. Wie gut, daß ich gleich die Gesellschaft des gescheiterten Walfischfängers fand, die froh ist, aufgenommen zu werden. So kann ich kurzen Prozeß machen.«
   Der Kapitän stieg dem Steuermann nach. Dieser stand eben im Begriff, seine gute, mit blanken Ankerknöpfen besetzte Jacke anzuziehen. Auf dem kleinen, angeschraubten Tischchen lag ein Doppelterzerol. Der Maat hatte es bereits geladen, um eine Waffe gegen etwaige Überfälle der Eingeborenen zu haben.
   »Bereits scharf geladen?« fragte der Kapitän, indem er die Waffe ergriff, wie um sie zu besehen.
   Der mißtrauische Steuermann ahnte etwas. Er griff schnell zu und erwiderte:
   »Halt, Vorsicht, Kapitän! Mit dem Ding ist nicht zu spaßen!« – »Das will ich auch nicht!«
   Mit diesen Worten riß der Kapitän seine Hand, die das Pistol festgefaßt hatte, los und drückte ab. Die Kugel fuhr dem Steuermann durchs Auge in das Gehirn. Er stürzte sofort tot zusammen.
   Nun sprang der Kapitän rasch an Deck und rief die Leute zu Hilfe.
   »Der Maat hat sich verwundet!« rief er. »Er ist mit seinem Gewehr unvorsichtig umgegangen.«
   Alles eilte hinab. Man fand, daß von einer bloßen Verwundung keine Rede war, er war vollständig tot. Die gefühllosen Kerle machten sich nicht viel daraus, denn nun avancierten sie ja um einen Grad. Die Leiche wurde in einen Sack gesteckt und ohne Zeremonie in das Wasser geworfen. Der Hauptzeuge war unschädlich gemacht. Nun blieben noch die anderen übrig.
   Landola rief sie zusammen und teilte ihnen mit, daß nun das eigentliche Geschäft erst beginnen solle, und aus diesem Grund habe er sich die hier befindliche Bemannung eines verunglückten Walfischfahrers engagiert.
   »Sie halten uns für friedliche Kauffahrer und dürfen erst nach und nach eingeweiht werden. Darum müßt ihr zunächst verschwiegen und vorsichtig gegen sie sein. Sie dürfen jetzt meinen Namen noch gar nicht ahnen.«
   Die Matrosen versprachen dem Schurken, schlau zu sein. Als dann die Walfischfahrer an Bord kamen, wurden sie von der Bemannung des Schiffs freundlich empfangen. Der Kapitän aber nahm den Steuermann zu sich in die Kajüte und sagte:
   »Ich habe Euch bereits mitgeteilt, daß meine Leute revoltiert haben. Sie töteten mich nur deshalb nicht, weil ich der einzige bin, der die Seerechnung versteht. Wollt Ihr mir behilflich sein, so seid Ihr morgen Steuermann. Der meinige hat sich vorhin unvorsichtigerweise erschossen.« – »Ich bin bereit«, lautete die Antwort. – »Gut. Ich gebe Euch als Willkommen einen tüchtigen Trunk. Ihr macht sie total betrunken, fallt dann mit Euren Leuten über sie her, und wir fesseln sie im Kielraum fest. Dann übergeben wir sie dem nächsten Kriegsschiff oder Konsulat zur Verurteilung.«
   Von diesem Vorschlag wurde die erste Hälfte ausgeführt. Die Piraten wurden in der Betrunkenheit überwältigt, aber einer nach dem anderen erhielt von Landola Gift, so daß in acht Tagen keiner mehr lebte. Der Kapitän hatte alle Zeugen beiseite geschafft. Er galt bei seiner neuen Bemannung für einen ehrlichen Mann und ließ sich auch nicht merken, daß er das Gegenteil sei.
   Er fuhr darauf nach dem Bendana-Archipel. Hier gelang es ihm, zu veräußern, was er bei sich hatte, und eine gute Ladung einzunehmen, mit der er nach Valparaiso ging. Dort brachte er es durch seine Schlauheit fertig, sich als Eigentümer des Schiffs zu legitimieren, verkaufte es mitsamt der Ladung und bestieg dann mit einer bedeutenden Summe einen Dampfer, um über Rio de Janeiro nach Spanien in seine Heimat zu gehen, wo er auch glücklich anlangte.


   46. Kapitel

   Während Henrico Landola mit seinen Gefangenen nach dem Großen Ozean segelte, um die Unglücklichen zur tiefsten Einsamkeit und Verlassenheit zu verurteilen, erwartete man in der Heimat vergebens ein Lebenszeichen von ihnen. Aber auch noch andere warteten, und zwar ganz ebenso vergebens.
   Da waren zunächst Lindsay und Amy, die sich nach einer Nachricht von Mariano sehnten. Und da waren ferner Pablo Cortejo und seine häßliche Tochter Josefa, denen ganz außerordentlich daran lag, über das Schicksal dieser Männer etwas zu erfahren.
   Und dennoch vergingen Wochen und Monate, ohne daß eine Kunde kam. Das lag nun zwar daran, daß man sie hatte verschwinden lassen, aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, lagen die höchst verwickelten politischen Verhältnisse Mexikos so im argen, daß die Sicherheit von Sendungen und Nachrichten eine höchst problematische war, denn das an und für sich so schöne Land war von Wirren heimgesucht, deren Lösung bisher noch keiner Hand gelungen war.
   Einen freilich gab es, der das Geschick dazu hatte; das war Benito Juarez, der Indianer aus dem Stamm der Zapoteken, dem wir im Verlauf unserer Erzählung ja bereits begegnet sind. Viele kennen ihn nicht und beurteilen ihn falsch. Darum ist es die Pflicht des unparteiischen Beobachters, sein Bild der reinen Wahrheit nachzuzeichnen.
   Ein gerechter Beurteiler vermag in Juarez freilich nicht einen außerordentlichen Träger jenes Genies erkennen, das einer Periode, einem Volk das Gepräge seines Geistes und Willens aufdrückt, aber dieser nicht geniale Mann besaß einen gesunden Verstand, eine eiserne Willenskraft und neben seiner Rechtlichkeit, Entschlossenheit, Nüchternheit und Vaterlandsliebe eine Menge anderer Eigenschaften, die ihn befähigten, seinem Volk größere Dienste zu leisten, als wenn er nichts als bloß ein Genie gewesen wäre, das wie eine Wetterfahne von den dortigen Verhältnissen herumgedreht und herumgerissen worden wäre.
   Er wurde in dem Ort San Pedro in der Sierra de Oaxaca geboren und hatte in seinen Jugendjahren gelernt, sich wacker mit den Hindernissen der Armut und nationalen Verachtung herumzuschlagen. Unter vielen, fast unüberwindlichen Beschwerden gelang es ihm, die Rechtswissenschaft zu studieren und am Kollegium von Oaxaca Lehrer dieser Wissenschaft zu werden. Das war für einen Indianer, für eine verachtete Rothaut, bereits sehr viel erreicht.
   Neben diesem Lehramt widmete er sich der Advokatur, und dieses sein Wirken brachte ihm weithin den Ruf eines streng ehrlichen und tadellos redlichen Mannes. Daher kam es, daß er zum Gouverneur des Staates Oaxaca gewählt wurde, und selbst seine Feinde müssen zugeben, daß niemals dieses Amt so selbstlos und kraftvoll verwaltet wurde als von ihm. Er erwarb sich eine so bedeutende Achtung, daß ihm die alte, berühmte Kreolenfamilie Mazo ihre Tochter Margarita zur Frau gab, während sonst die stolzen Kreolen jede Vermischung mit Indianern streng vermeiden.
   Er zeichnete sich als Gouverneur aus durch Besserung der Rechtspflege, Hebung der Finanzen, Abstellung von Mißbräuchen und Schlendrian des Beamtentums, Förderung des Gewerbefleißes und Mehrung der Verkehrsmittel. Der Wohlstand und die Sicherheit der von ihm beherrschten Provinz erhob sich dadurch so schnell und hoch, daß er im ganzen Land berühmt wurde, und so war es gar nicht zu verwundern, daß er bald zum Vorsitzenden des höchsten Nationalgerichtshofs erwählt wurde, und zwar infolge einer unmittelbaren Volkswahl, was eine um so größere Ehre für ihn war.
   Sodann wurde er gar Justizminister, als welcher er den bösen Praktiken des Präsidenten Commonfort entschieden entgegentrat und als strenger Rechtsmann, umsichtiger Patriot und edler, redlicher Staatsdiener seinen bereits erworbenen Ruf befestigte und behauptete.
   Nach dem Fall dieses Präsidenten wurde Juarez Präsident. Hiermit erhielt der einst so verachtete Indianer nicht nur die höchste Würde des Staates, sondern er erbte mit derselben von seinen Vorgängern auch die ganze, unglückselige Korruption der Verhältnisse, an der er weder Teil noch Schuld hatte. Er erbte ebenso die fürchterliche Last des Krieges mit den Armeen und Flotten Frankreichs, die tiefen Zerwürfnisse mit Spanien und England, die schiefe Stellung mit den Vereinigten Staaten, den hartnäckigen Widerstand seiner inneren Feinde und – den armen Maximilian von Österreich, der von Napoleon des Dritten Gnaden zum Kaiser von Mexiko ausgerufen wurde.
   Diese Aufgabe war eine ungeheure. Hat er sie gelöst? Welche Frage! Konnte sie von einem einzigen, konnte sie in einem Menschenalter, in der kurzen Zeit einer Präsidentschaft gelöst werden? Er erkannte, daß ein Kaiser von Napoleons Gnaden in Mexiko unmöglich sei. Er widmete dem guten Max seine persönliche Sympathie und Teilnahme, aber er war ein echter Mann des Prinzips, und so ist er auf seiner Überzeugung stehengeblieben und hat für sie gekämpft, ohne sich von dem Franzmann blenden zu lassen, mutig und ausdauernd und doch in persönlichen Angelegenheiten eine ruhige, sichere Würde, ein feines Gefühl und eine gewinnende Sanftmut und Milde zeigend. Einer unserer neueren bedeutendsten Geschichtsschreiber fällt das Urteil über ihn:
   »Alles in allem: Benito Juarez ist die bedeutendste geschichtliche Gestalt, die innerhalb des Kreises der europäischen Zivilisation bisher aus der indianischen Rasse hervorgegangen ist.«
   Während Juarez noch Kriegsminister war, und bereits vorher, saß Commonfort auf dem Präsidentenstuhl. Dieser war früher Zöllner in Acapulco gewesen und erhielt einen Gegenpräsidenten, der Miramon hieß und jene traurigen Eingriffe in das Eigentum fremder Staatsangehöriger begann, die schließlich das englisch-französisch-spanische Einschreiten veranlaßten. Man plünderte sogar das Hotel des englischen Gesandten, und die Ansprüche der also Geschädigten beliefen sich zuletzt auf die ungeheure Summe von beinahe fünfhundert Millionen Mark.
   Dieser Miramon war ein Freund des früheren Präsidenten Alvarez, ebenfalls eines Indianers, der seiner außerordentlichen Grausamkeit wegen der Panther des Südens genannt wurde. Diesen beiden werden wir leider sehr bald begegnen.
   Seit dem Tag, an dem Sternau mit Mariano und Helmers Mexiko verlassen hatte, war nun ein Jahr vergangen. Da kam von Norden her ein Reiter in die Stadt. Er war bestaubt, und alle Anzeichen verrieten, daß er einen langen und beschwerlichen Ritt zurückgelegt habe. Hinter ihm trabten mehrere Vaqueros, sie waren, ebenso wie er, gut bewaffnet, doch bedeutend jünger als er und führten ein kräftiges Maultier bei sich, das eine sorgfältig verpackte Last trug, die zwar nicht groß war, aber sehr schwer zu sein schien.
   Der alte Mann ritt durch mehrere Straßen und hielt vor dem Palast des Obertribunals. Dort stieg er vom Pferd und fragte den Türsteher, ob seine Gnaden, Señor Benito Juarez, zu sprechen sei. Der Türsteher betrachtete den Alten mit einem geringschätzigen Blick und erwiderte:
   »Für Euch jedenfalls nichts.« – »Warum nicht?« – »Hat er Euch befohlen, heute zu ihm zu kommen?« – »Nein.« – »So wartet. Ohne Anmeldung empfängt er nur Freunde bei sich.« – »So melde mich an. Übrigens darf ich mich sehr wohl zu seinen Freunden zählen.«
   Die sichere Antwort des Greises machte Eindruck auf den Diener. Er fragte:
   »Welchen Namen tragt Ihr, Señor?« – »Ich heiße Pedro Arbellez und bin Besitzer der Hacienda del Erina« – »Oh, das ist etwas anderes, Señor! Ihr seid weit geritten, und Euer Aussehen machte mich irre! Man hat zu sorgen, daß der Herr nicht zu sehr überlaufen wird. Alle Welt will zu ihm, weil es bei einem anderen keine Gerechtigkeit gibt. Tretet ein und laßt Eure Diener in den Hof reiten!«
   Die Vaqueros begaben sich mit ihren Pferden nach dem Innenhof des Hauses, und Arbellez wurde von einem Domestiken nach einem geräumigen Zimmer geführt. Es hatte trotz seiner Größe nur ein Fenster, zwei Hängematten und einen Tisch. Auf dem Tisch stand ein Schreibzeug neben einem Stoß Papier. In der einen Hängematte saß ein Mann, der eine Zigarette rauchte, und in der anderen saß ein zweiter, der dasselbe tat. Der erstere war Benito Juarez, der oberste Richter des Landes. Er erhob sich beim Eintritt des Gastes ein wenig und sagte:
   »Ah, Señor Pedro Arbellez! Euch habe ich seit einem Jahr nicht gesehen, wißt Ihr, seit ich Euch die Hacienda Vandaqua in Pacht gab. Was bringt Ihr mir?« – »Eben den Pachtzins, Señor«, antwortete der Gefragte. »Und außerdem möchte ich Euch eine große Bitte vorlegen.« – »Privaten Charakters?« – »Nein. Ich komme zu Euch als zum Richter.« – »So sollt Ihr gehört werden; vorher aber muß ich die Angelegenheit dieses Señors erledigen, da sie keinen Aufschub erleidet. Legt das Schreibzeug zu Boden und setzt Euch auf den Tisch. Ich habe keinen anderen Platz!«
   Arbellez hielt es für unmöglich, sich auf den Tisch zu setzen, aber Juarez machte eine so kurze und gebieterische Handbewegung, daß er gehorchte. Nun wandte sich der Oberrichter an den anderen, der ein Mann in den mittleren Jahren war, ein dicht behaartes Gesicht und dunkle, stechende Augen hatte, und sagte:
   »Also, Señor, ich habe Euch aus dem Gefängnis rufen lassen, um Eure Sache schnell zu erledigen. Es ist sehr unhöflich, jemand warten zu lassen, und ich bin nicht gern unhöflich. Brennt Eure Zigarette noch?« – »Ja, Señor.« – »Schön!« fuhr Juarez im Ton der heiteren Konversation fort. »Wie lange hält man Euch bereits gefangen?« – »Volle drei Wochen, Señor.« – »Ah, das ist unartig, ich muß es gestehen. Ich werde diese Unterrichter bitten, zuvorkommender zu sein. Euer Urteil ist noch gar nicht gefällt?« – »Leider noch nicht. Ich hoffe, daß ich mit demselben zufrieden sein werde!« – »Ich bin überzeugt davon«, sagte Juarez freundlich. »Ich werde keinem Unrecht tun, weder Euch noch Eurem Gegner. Also es handelt sich um einen kleinen Schuß?« – »Allerdings.« – »Traf dieser Schuß?« – »Die Dame gerade in den Kopf. Ich hatte gut gezielt.« – »Ah, so seid Ihr also ein sehr sicherer Schütze! Das freut mich, denn gute Schützen sind in dieser bösen Zeit sehr gut zu gebrauchen. Warum aber habt Ihr auf die Dame geschossen?« – »Weil sie mir sagte, daß sie einen anderen heiraten werde. Ich bat sie höflich, sich zu besinnen, aber sie blieb dabei, und so schoß ich sie nieder.« – »Das ist klar«, nickte der Oberrichter. »Sie wollte Euch nicht, und so schoßt Ihr sie nieder. Ein jeder hat die Folgen seiner Handlung zu tragen. Eure Zigarette ist zu Ende, Señor. Darf ich Euch eine von den meinigen anbieten?«
   Er schenkte dem anderen eine Zigarette, die dieser sich anbrannte, und fuhr dann fort:
   »Der Vater der Dame hat Euch leider angezeigt, und so müssen wir über die Sache reden. Ihr sagt also, daß Ihr sie wirklich erschossen habt?« – »Allerdings.« – »Nun, so werden wir gleich fertig sein. Auf Mord steht Todesstrafe; ich werde Euch also auch erschießen lassen. Ist Euch dies recht so, Señor?«
   Der andere machte doch etwas große Augen. Er hatte an die Möglichkeit dieses Urteils gar nicht gedacht, da Juarez die Untersuchung, die fast eine freundschaftliche Unterhaltung zu nennen war, in dieser freundlichen Weise geführt hatte.
   »Aber, Euer Gnaden, ich denke doch …« – »Pst!« unterbrach ihn Juarez. »Unter Männern macht man nicht viele Worte bei einer so einfachen, klarliegenden Sache. Ihr habt sie erschossen und werdet wieder erschossen, ein jeder hat die Folgen seiner Handlung zu tragen, das sagte ich bereits vorhin. Wollt Ihr mir ein wenig Feuer geben? Das meinige ist ausgegangen.«
   Juarez brannte seine Zigarette an derjenigen des Mörders an, steckte dann den Finger in den Mund und stieß zwei schrille Pfiffe aus. Sofort erschienen zwei Polizisten.
   »Gebt mir ein Stück Papier und taucht die Feder ein!« gebot er.
   Die Männer kamen der Aufforderung nach, der Oberrichter legte das Papier auf seine Knie, schrieb einige Worte darauf und reichte es dem Mörder hin.
   »Hier, Señor, lest! Das ist Euer Urteil. Es ist Euch doch recht, daß ich Euch sogleich erschießen lasse?«
   Der Mann erhob sich bleich aus der Hängematte und sagte:
   »Euer Gnaden, ich muß denn doch bitten …« – »Pst!« unterbrach ihn Juarez mit einem Lächeln voll Nachsicht und Gefälligkeit. »Ihr habt vorhin geklagt, daß Ihr volle drei Wochen wartet, ich habe Euch also eine Genugtuung zu geben. Man muß immer möglichst gefällig sein! Also sofort, Señor. Brennt Eure Zigarette noch?« – »Ja, ich danke!« stotterte der Mann. – »Schön! Es gibt nichts Unangenehmeres, als wenn einem bei einer wichtigen Angelegenheit die Zigarette ausgeht. Es kann das fälschlicherweise leicht für einen Mangel an Selbstzufriedenheit und Behaglichkeit genommen werden. Und das muß man vermeiden. Verzeiht, Señor, daß ich leider nun nicht länger Zeit habe. Adios!«
   Er machte dem Mann eine höfliche Verbeugung, dieser erwiderte sie und verschwand mit den Beamten. Juarez horchte einige Augenblicke – da fielen mehrere Schüsse; er legte sich in die Hängematte zurück und meinte:
   »Er ist tot! Was meint Ihr zu meiner Art und Weise, Gericht zu halten, Señor Arbellez?«
   Der Gefragte hatte der interessanten Verhandlung mit dem größten Staunen beigewohnt. Er antwortete:
   »Señor, sie scheint mir durchaus ungewöhnlich zu sein!« – »Aber praktisch, mein lieber Arbellez!« nickte der Oberrichter. »Gerecht, freundlich und schnell, so muß die Justiz handeln, anders nicht. Darum wollen auch wir beide keine Zeit versäumen. Also, Ihr bringt mir den Pachtzins?« – »Ja. Ich werde ihn vorzählen; ich habe das Geld noch auf dem Maultier.« – »Laßt das, Señor! Schickt mir das Geld nachher herein, wenn wir uns verabschiedet haben. Ich weiß, daß Ihr mich nicht betrügen werdet. Gehen wir lieber jetzt gleich zu Eurer Bitte über.« – »Aber, Euer Gnaden, sie wird nicht so schnell zu behandeln sein wie das Todesurteil.« – »Das wird uns nicht hindern, denn jedes Ding bedarf seiner Zeit. Also Ihr kommt zu mir als zum Richter?« – »Ja, ich flehe um Gerechtigkeit.« – »Für wen?« – »Für mich und die Meinen.« – »Und gegen wen?« – »Gegen viele. Es wird das eine sehr umfangreiche Erzählung werden, aber, Señor, ich habe so Schweres gelitten, und ich leide auch jetzt noch so sehr, daß mein Vaterherz bitten muß, mir aufmerksam zuzuhören.« – »Sprecht nur, mein guter Arbellez«, sagte der Oberrichter. »Ich werde Euch bis zum Ende anhören. Aber brennt Euch vorher eine von meinen Zigaretten an.« – »Wie kann ich das tun, Euer Gnaden! Ich würde vor Schmerz und Tränen keinen Zug tun können.« – »Eben gerade darum sollt Ihr rauchen. Ich ehre den Schmerz und die Tränen, wenn sie ehrlich gemeint sind, aber sie machen den Richter leicht irre und parteiisch. Er braucht vor allen Dingen eine wahrheitsgetreue Darstellung der Sache. Darum sollt Ihr rauchen, denn dann werden Eure Tränen den Eindruck Eurer Erzählung nicht stören und benachteiligen können. Hier, nehmt Feuer, und beginnt Euren Bericht!«
   So sah Arbellez sich gezwungen zu rauchen. Er erzählte und begann von vorn, von seinen Jugenderfahrungen und von den späteren Erlebnissen; dann schilderte er die Personen, wie er sie gefunden hatte, teilte seine Vermutungen mit, und – wunderbar, es war keine einzige Träne geflossen, als er geendet hatte.
   Der große Indianer hatte ihm ruhig, beinahe wortlos zugehört; jetzt erhob er sich aus der Hängematte und schritt im Raum auf und ab, um zu rekapitulieren. Er dachte lange nach, verglich und folgerte, dann blieb er vor dem alten Haziendero stehen und sagte:
   »Señor Arbellez, wenn Ihr es nicht wäret, der mir diese Geschichte erzählt, so würde ich sie nicht glauben, da ich Euch aber für einen nüchternen, wahrheitsliebenden Mann halte, so glaube ich Euch jedes Wort und verspreche Euch meine ganze Hilfe. Wo dieselbe anzufassen ist, weiß ich freilich noch nicht. Ich habe mir vorher vieles zurechtzulegen, ich muß verschiedene und sehr genaue Erkundigungen einziehen, bin ich damit aber zu Ende, so soll auch, das verspreche ich Euch, Schlag auf Schlag kommen, bis dieses ganze schändliche Komplott aufgedeckt und bestraft worden ist. Bleibt Ihr für einige Zeit hier?« – »Ja, bei Sir Lindsay.« – »Ah, bei dem! Warum gerade bei ihm?« – »Weil ich auch ihm das erzählen muß, und weil er mir eine Bitte erfüllen soll.« – »Darf ich erfahren, welche es ist?« – »Gewiß, Señor. Ich habe erwähnt, daß Donnerpfeil ein Geschenk aus der Höhle des Königsschatzes erhalten hat. Sein Bruder besitzt drüben in Deutschland, seiner Heimat, einen hochbegabten Knaben, der aber arm ist. Donnerpfeil, der Bräutigam meiner Tochter, hat nun vor einem Jahr, das heißt, seit er verschwunden ist, beschlossen, daß dieser Knabe die Hälfte seines Geschenks erhalten soll. Es konnte ihm nicht geschickt werden, und so geht gerade die Zeit verloren, in der dieser Reichtum dem Knaben den meisten Nutzen bringen wird. Darum habe ich die Kostbarkeiten aufgeladen und mitgebracht und will sie dem Lord bringen, der sie nach Deutschland senden mag.« – »Wo wohnt der Knabe?« – »Bei Mainz auf einem Schloß, dessen Namen ich vergessen habe. Doch ist es leicht zu finden, denn es gehört einem Hauptmann und Oberförster von Rodenstein. Diesen Namen habe ich behalten.« – »So überlaßt diese Sendung lieber mir als dem Engländer. Ginge sie von ihm aus, so würde sie von unseren Bravos – Räubern – nicht respektiert. Kommt sie aber aus meiner Hand, so will ich den Mexikaner sehen, der sich an ihr vergreift. Ich werde das Sicherste wählen und sie an ein Bankhaus in Mainz adressieren. Der Bankier wird den Knaben ausfindig machen.« – »Oh, wie bin ich Euch dankbar, denn Ihr nehmt mir da eine große Last vom Herzen.« – »Wie heißt der Knabe?« – »Kurt Helmers. Sein Vater ist Steuermann.« – »Ich werde mir das notieren. Übrigens ersuche ich Euch, lieber bei mir, als bei dem Engländer zu wohnen, so lange Ihr in Mexiko bleibt. Es ist möglich, daß ich Euch in Eurer Angelegenheit öfters zu sprechen habe, und da ist es bei mir bequemer. Ich werde Euch ein gutes Zimmer anweisen lassen, und Sir Lindsay wird es uns nicht übelnehmen, Ihr könnt ihn ja immerhin besuchen. Bringt einmal den Schatz herein. Und da es nun in einem geht, könnt Ihr auch gleich den Pachtzins mitbringen.«
   Der Haziendero entfernte sich und brachte mit Hilfe eines seiner Vaqueros die Maultierlast herein. Sie enthielt zwei Pakete, beide in ungegerbtes Büffelleder eingeschnürt.
   Die eine Hälfte enthielt den Pachtbetrag in Goldstücken, den der Oberrichter quittierte. Als die andere Hälfte geöffnet worden war, wurden von dem Inhalt die durch das Fenster einfallenden Sonnenstrahlen aufgefangen und in tausend funkelnden Reflexen durch das Zimmer geworfen. Benito Juarez stieß einen Ruf der Bewunderung aus.
   »Dios! Welche Pracht und Herrlichkeit!« rief er. »Welche Kostbarkeiten! Welch ein Reichtum! Welch einen Wert repräsentiert dieses seltene Geschmeide. So etwas habe ich noch gar nicht gesehen!« Und mit finsterer Miene fügte er hinzu: »Dieser Schatz in der Höhle der Könige könnte Mexiko groß machen; aber seine Bewohner sind es nicht wert. Der Häuptling der Mixtekas hat recht. Sein Geheimnis mag mit ihm sterben. – Und diese Sachen sind nur die Hälfte davon, was Euer Schwiegersohn bekam?« – »Ja.« – »Habt Ihr die andere Hälfte gut verwahrt?« – »Ja. Sie ist an einem Ort vergraben, an dem sie von niemand gefunden wird.« – »Und diesen Teil wollt Ihr wirklich nach Deutschland senden? Und ein Knabe soll ihn bekommen, der den Wert nicht kennt und der auch kaum den rechten Gebrauch davon machen wird?« – »Ja. Der Häuptling der Mixtekas hat es selbst so gewollt, und ich muß ihm gehorsam sein. Sollte er zurückkehren, so wird er mich loben, daß ich seinen Willen befolgt habe.« – »So können wir nichts dagegen machen. Dieser Schatz geht aus dem Land. Vielleicht aber kommt er in würdige Hände.«
   Juarez trat an den Tisch, öffnete den Kasten und nahm ein Buch heraus, das er aufschlug. Es enthielt ein Namenverzeichnis, bei dem die Kurse von Aktien und verschiedenen Wertpapieren angegeben waren. Er suchte eine Zeitlang und sagte dann:
   »Hier steht Mainz. Ich finde da das Bankhaus Wallner verzeichnet. Dorthin wird die Sendung gehen, und ich bin überzeugt, daß bei dem großen Wert derselben der Mann sich Mühe geben wird, den Adressaten ausfindig zu machen. Wollt Ihr einen Brief beilegen?« – »Oh, Señor, das Schreiben fällt mir jetzt sehr schwer. Aber Miß Amy Lindsay wird die Güte haben, es für mich zu tun.« – »So bringt denselben heute noch zu mir, denn diese Sendung soll morgen mit dem frühesten bereits abgehen. Ich werde ihr eine genügende Eskorte geben und sie auch gut versichern lassen. Jetzt aber wollen wir ein Verzeichnis anfertigen, und sodann erhaltet Ihr die Bescheinigung, daß Ihr mir die Gegenstände übergeben habt.«
   Dies geschah, und dann erhielt der Haziendero ein Zimmer angewiesen, das er bewohnen sollte und in dem er sich von dem Staub der Reise befreite, um dann Sir Lindsay aufzusuchen. Dort war nur Miß Amy zu Hause, von der er mit herzlicher Freunde empfangen wurde.
   Pedro Arbellez hatte als glücklicher Vater bisher seine Tochter für das schönste Mädchen der Welt gehalten, aber als er die Engländerin erblickte, wie sie in einem schneeweißen, von rosaseidenen Spitzen verzierten Anzug vor ihm in der Hängematte lag, da glaubte er, die Madonna sei vom Himmel herabgestiegen, um mit ihm zu sprechen.
   Sie erhob sich, reichte ihm ihr Händchen und sagte:
   »Señor Arbellez! Aus del Erina! Welch eine Überraschung, welch eine Freude! Was für Nachrichten bringt Ihr mir?«
   Ihre Schönheit entzückte ihn trotz seines Alters so sehr, daß er die Beantwortung der letzteren Frage einstweilen vergaß. Er drückte nur einen Kuß auf ihre Finger und sagte:
   »Oh, Señorita, wie schön seid Ihr. Wer kann es unserem gnädigen Herrn verdenken, daß er Euch so liebhat!« – »Euern gnädigen Herrn? Wen meint Ihr?« – »Nun, den rechten, wahren Herrn von Rodriganda, der bisher fälschlicherweise Mariano oder Herr de Lautreville genannt wurde.« – »Ah!« rief sie. »So seid auch Ihr überzeugt, daß er es wirklich ist?« – »Seine Ähnlichkeit ist ein genügender Beweis dafür. Außerdem hoffe ich zu Gott, daß es uns gelingt, auch andere Beweise zu finden, die vor dem Richter noch wirkungsvoller sind.« – »Wir alle hoffen es. Aber was tut Mariano? Wo befindet er sich? Warum hat er mich während einer solchen Ewigkeit ohne Botschaft gelassen?« – »Señorita, er hat jedenfalls nicht gekonnt. Es scheint, die Sachen stehen so, daß ich der einzige Bote bin, der Euch von ihm erzählen kann. Dies ist freilich nur wenig und nicht tröstlich, und zudem war der Weg von der Hazienda nach hier während langer Monate so unsicher, daß ich mir weder zugetraute, einen Boten zu senden, noch selbst zu gehen.« – »Nicht tröstlich?« fuhr sie auf. »Mein Gott, setzen Sie sich und erzählen Sie!«
   Arbellez nahm bedächtig Platz und erzählte. Amy hörte ihm mit größer Spannung zu, und beide vergaßen ganz, daß sie nicht allein seien, daß in einer anderen Hängematte ein Mädchen saß, das vor der Ankunft des Haziendero beschäftigt gewesen zu sein schien, der Miß vorzulesen. Es war ihre Duenja, ihre Gesellschafterin. In Mexiko ist es nämlich eine unabweisbare Sitte, daß jede anständige Dame eine Duenja habe.
   Dieses Mädchen war sehr schön. Sie war augenscheinlich eine Mestizin, das heißt, sie stammte von einem weißen Vater und einer indianischen Mutter ab. Diese Mischlinge sind gewöhnlich sehr schön, erben aber oft nur die schlechten Eigenschaften ihrer Eltern, die sie unter der glänzenden Hülle ihres Äußeren geschickt zu verbergen wissen.
   Sie hielt die Augen niedergeschlagen und blickte scheinbar aufmerksam in das Buch. Aber wer sie schärfer beobachtet hätte, der konnte bemerken, daß sie den Worten des alten Mannes mit außerordentlicher Teilnahme folgte. Ihr Auge warf zuweilen durch die langen Wimpern einen blitzähnlichen Blick auf die beiden, und ihre Mundwinkel zuckten dabei zu beiden Seiten empor, daß man den herrlichen Schmelz ihrer Zähne sehen konnte. Sie hatte dabei ganz das Aussehen eines bissigen Köters, der sehr gern zufahren möchte, aber aus Furcht sich nicht getraut, es zu tun. Ein Menschenkenner hätte diesem Mädchen niemals seine Zuneigung oder gar sein Vertrauen schenken können.


   47. Kapitel

   Während derselben Zeit gab es in einem anderen Haus eine Unterredung, die sich ganz auf denselben Gegenstand bezog. Es war im Palast des Grafen de Rodriganda. Dort befand sich Josefa Cortejo in ihrem Zimmer. Auch sie lag in der Hängematte hingestreckt, aber welch einen anderen Anblick bot ihre Erscheinung gegen diejenige der lieblichen Amy Lindsay! Das Jahr, das vergangen war, hatte nicht dazu beigetragen, ihre Häßlichkeit zu vermindern. Sie war womöglich noch hagerer geworden, ihre Finger schienen aus langen, dünnen Totenknochen zu bestehen, und da sie noch nicht Besuchstoilette gemacht hatte, so fehlten ihr die falschen Zähne.
   Sie schien bei schlechter Laune zu sein, denn als ihre Dienerin jetzt eintrat, um sie zu frisieren, erwiderte sie deren höflichen Gruß mit keinem Wort.
   Die Dienerin war noch immer jene Indianerin, die wir bereits bei Josefa gesehen haben und die den Namen Amaika führte. Sie begann, stillschweigend ihre Herrin anzukleiden. Es wurde dabei kein Wort gesprochen, und erst als die Indianerin die letzte Hand an die Toilette legte, fragte die Herrin:
   »Hast du mit deiner Tochter gesprochen?« – »Nein«, lautete die Antwort. – »Warum nicht?« – »Weil ich, wenn ich uns nicht verraten will, doch nicht zu ihr gehen darf. Und zu mir ist sie jetzt nicht gekommen.« – »Ich sehe, daß ihr beide nachlässig seid! Ich höre, daß diese Amy Lindsay eine Duenja sucht, ich lasse es mir Geld, Mühe und andere Opfer kosten, um ihr von anderer Seite deine Tochter empfehlen zu lassen. Ich sehe zu meiner Freude, daß mir die Intrige gelingt, daß sie sie engagiert. Aber nun ich durch die Spionin etwas von Bedeutung endlich einmal erfahren will, läßt sie sich nicht sehen!« – »Sie wird kommen, sobald sie etwas Wichtiges erlauscht hat, darauf könnt Ihr Euch verlassen, meine liebe, schöne Señorita!« – »Schön!« rief da Josefa. »Lüge nicht!«
   Da schlug die Alte ganz erstaunt die Hände zusammen und sagte:
   »Lügen? Mein Gott, sehen Sie doch in den Spiegel, Señorita! Der wird Ihnen sagen, ob ich lüge oder nicht!«
   Josefa warf wirklich einen Blick in den Trumeau, und da sie frisiert, gepudert und geschminkt worden war, so ließ sie sich von ihrem eigenen Bild täuschen.
   »Ich will dir glauben«, sagte sie. »Aber warum halten mich andere nicht für schön?« – »Andere? Wer sollte denn das sein?« – »Nun – dieser – dieser Herr de Lautreville, weißt du, der vor Jahresfrist mit jenem Sternau alle unsere Preise weggewann.« – »Der? Oh, der war blind! Ja, bei der heiligen Madonna, ich glaube fast, daß er blind gewesen ist.«
   Die Herrin zuckte verächtlich mit der Schulter und sagte:
   »Nein, blind war er nicht, aber verliebt. Und das ist ganz dasselbe.«
   Die Indianerin war die Vertraute ihrer Herrin. Sie hatte mit ihr täglich über diesen Gegenstand gesprochen, und darum wußte sie sehr genau, wie sie sich zu verhalten hatte, und meinte in einem höchst geringschätzigen Ton:
   »Verliebt? Wohl gar in jene Engländerin? Das glaube ich nicht! Er war ein gar so hübscher Señor und wird sich nie in dieser Weise wegwerfen.« – »Aber man redet doch heimlich davon, daß die Verlobung gefeiert worden sei, ehe er von hier abreiste.« – »Ich glaube nicht daran, diese Amy will sich nur rühmen.« – »Doch warum sagte er dann da draußen auf der Fantasia zu mir, daß er nicht von ihr lassen möge, daß er keine andere lieben könnte.« – »Er war sicherlich verrückt.« – »Ja, verrückt. Sie hat ihm mit ihren großen, lichten Augen den Verstand genommen. Ich bot ihm meine Schönheit und meine Liebe an, und er wies mich zurück. Ich bot ihm ein Grafentum an, und er wies mich zurück. Ich bot ihm Glück, Reichtum und Ehre an, und er wies mich zurück. Ich drohte ihm, daß seine Amy verloren sei, wenn er nicht von ihr lasse, und er wies mich zurück. Er hatte einen Helfershelfer hinter sich, der mich fangen und demaskieren wollte, und ich bin ihm nur mit Hilfe meines Dolches entgangen. O ja, wir Mexikanerinnen haben Dolche und wissen sie zu gebrauchen. Verdammt sei diese Amy, verdammt und verflucht dreimal, nein tausendmal! Ich richte sie zugrunde. Wenn nur deine Tochter ihre Pflicht tun wollte. Sie weiß ja, daß ich sie königlich belohnen werde.«
   Josefa hatte sich erhoben und stand inmitten des Zimmers wie ein Furie, mit blitzenden Augen, zusammengekniffenen Lippen und geballten Händen.
   »Sie wird aufpassen, Señorita«, entgegnete die Dienerin in beruhigendem Ton. »Ihr müßt nur bedenken, daß sie sich zuerst in das Vertrauen dieser kalten Engländerin einzuschmeicheln hat.« – »Ich weiß das. Aber sie ist lange genug bei ihr und soll mir endlich einmal zeigen, daß ich mich auf sie verlassen kann. Diese Amy muß fallen, muß verschwinden oder sterben. Wenn ich nur zuvor wüßte, was aus Lautreville und seiner Sippe geworden ist. Da, horch! Ich höre den Vater kommen. Er wird mir die Zeitungen und Neuigkeiten bringen. Du kannst gehen.«
   Die Alte entfernte sich. Sie begegnete draußen vor der Tür Cortejo. Dieser überzeugte sich genau, ob sie auch wirklich verschwunden sei und nicht etwa zum Lauschen zurückkehren werde, dann trat er bei der Tochter ein. Ihr fiel seine vor Freude glänzende und triumphierende Miene auf, und als sie bemerkte, daß er in der Hand einen geöffneten Brief hielt, fragte sie rasch:
   »Einen Brief? Von wem? Ist‘s die ersehnte Nachricht?« – »Ja«, antwortete er, tief aufatmend. – »Wie lautet sie? Zeig her!«
   Josefa griff nach dem Schreiben, aber er zog die Hand zurück, hielt sie hoch empor und rief mit einem Ton, in dem sich der ganze Triumph eines hartgesottenen Bösewichts aussprach:
   »Gewonnen! Endlich gewonnen! Wir können nun vollständig ruhig sein! – »Ah! Ist‘s wahr? Gib her, gib her!«
   Ihre dünnen Finger zitterten vor Aufregung, als sie sich abermals nach dem verheißungsvollen Schreiben ausstreckten. Der Vater ließ es ihr mit den Worten:
   »Ja, nimm hin und lies. Es ist die größte Freude und Genugtuung meines Lebens, die mir widerfahren ist.«
   Sie warf einen Blick auf das Papier und sagte einigermaßen enttäuscht:
   »Ah, von deinem Bruder, dem Oheim? Von ihm hatte ich die entscheidende Nachricht nicht erwartet. Ich denke, die soll von hier aus Mexiko kommen, und zwar von Verdoja und Pardero, den beiden Offizieren!« – »Lies nur, mein Kind! Es wird dir dann alles erklärlich sein!«
   Josefa konnte sich nicht niedersetzen, die Aufregung trieb sie im Zimmer hin und her, und so las sie im Auf– und Niederschreiten folgendes:
   »Lieber Bruder!
   Endlich, endlich kann ich Dir eine Nachricht geben, die ungeheuer wertvoll ist. Gestern war Landola bei mir. Er ist um die Südspitze von Amerika herum nach Spanien gekommen. Er hat im Hafen von Guaymas folgende Personen getroffen: Sternau, Mariano, zwei Deutsche, namens Helmers, und zwei Indianer, von denen der eine Büffelstirn und der andere Bärenherz heißt. Ferner sind bei ihnen gewesen zwei Mädchen, nämlich die Schwester dieses Büffelstirn und sodann Emma, die Tochter des alten Pedro Arbellez, des Haziendero auf del Erina.
   Diese Personen haben nach Acapulco gewollt und den Kapitän nicht gekannt. Er hat sie alle auf sein Schiff genommen, scheinbar, um sie nach dem verlangten Hafen zu bringen. Sie sind von ihm in Fesseln geschlagen worden, und da hat er von den Mädchen erfahren, daß sie dem Kapitän Verdoja glücklich entgangen sind, dem Du den Auftrag gegeben hattest, sie zu vernichten. Am ersten Abend der Fahrt, während alles schlief und nur eine Wache an Deck war, hat Landola eine Lunte an die Pulverkammer gelegt und sich unbemerkt auf dem kleinen Boot davongemacht. Das Schiff ist in die Luft geflogen und mit Mann und Maus zugrunde gegangen. Der Kapitän hat sich genau überzeugt, denn er ist bis zum Tagesanbruch an Ort und Stelle geblieben. Kein einziger ist gerettet worden.
   Durch diesen kühnen Streich des Kapitäns sind wir nun alle Sorgen los. Ich teile Dir es schleunigst mit und behalte mir vor, Dir noch ausführlicher darüber zu berichten.
   Dein Bruder
   Gasparino Cortejo.«
   Josefa ließ die Hand mit dem Brief sinken. Sie fühlte sich in diesem Augenblick von den widersprechendsten Empfindungen bewegt und wußte nicht, ob sie zunächst lachen oder weinen sollte. Sie war leichenblaß, ob vor Freude oder vor Schreck, das ließ sich nicht bestimmen.
   »So sind sie tot?« fragte sie, die Augen starr auf ihren Vater gerichtet. – »Jawohl! Freilich! Du hast es ja gelesen!« rief Cortejo, vor Freude glühend. – »Alle?« – »Alle.« – »O Dios! Also auch er!« hauchte sie. – »Er? Wer?« fragte Cortejo. – »Lautreville«, antwortete Josefa.
   Da trat er näher an sie heran, faßte sie am Arm und sagte beinahe drohend:
   »Mädchen, ich hoffe, daß du den Verstand nicht ganz verloren hast. Er liebte dich nicht, er hat dich von sich gewiesen. Und selbst wenn wir ehrlich mit ihm gewesen wären und ihn zum Grafen de Rodriganda gemacht hätten, würde er uns einige tausend Duros gegeben haben, weiter nichts, dich aber hätte er nicht angesehen. Diese Engländerin war ihm lieber. Sie wäre Gräfin de Rodriganda geworden.« – »Ja«, stimmte sie mit funkelnden Augen bei. »Sie hätte sein Glück geteilt, darum soll sie auch sein jetziges Schicksal teilen.« – »Wie meinst du das?« – »Sie soll untergehen wie er!« – »Pah!« lachte er. »Willst du sie in die Luft sprengen, wie der Kapitän ihren Anbeter?« – »Es gibt noch andere Wege.« – »Von denen du keinen einzigen betreten wirst. Ich verbiete es dir auf das strengste! Wir dürfen den Sieg, den wir gewonnen haben, nicht durch die Unvorsichtigkeit eines Mädchens wieder in Gefahr bringen. Ich habe ganz andere Dinge vor, ich darf das Gelingen meiner Pläne nicht durch einen Jugendstreich in Frage stellen.« – »Deine Pläne? Welche wären das?«
   Cortejo warf sich stolz in die Brust und erklärte:
   »Ich habe bisher geschwiegen, sehe aber, daß ich nun endlich sprechen muß, um dich vor Dingen zu bewahren, die uns großen Schaden machen können. Du weißt, daß wir jetzt zwei Präsidenten haben, von denen ich keinen für geschickt halte, sich zu behaupten. Das Land bedarf einer einheitlichen Regierung. Es ist ein Mann nötig, der bei einer rücksichtslosen Schlauheit auch die Geldmittel besitzt, seine Gegner zu bestechen. Dieser wird dann Präsident, und dann stehen ihm alle Reichtümer der Nation zu Gebote. Und dieser Mann werde ich sein.« – »Du?« fragte Josefa mit dem Ausdruck des unverhohlensten Erstaunens. – »Ja, ich!« antwortete er im Ton stolzen Selbstbewußtseins. »Oder wunderst du dich darüber? Ich habe meinen Neffen zum Grafen von Rodriganda und meinen Bruder zum Verweser von dessen Einkünften gemacht. Das Haus Rodriganda besitzt über hundert Millionen. Soll ich leer ausgehen? Nein, sondern ich werde die mexikanischen Besitzungen erhalten. Sie repräsentieren einen Wert von vierzig Millionen. Ich stehe schon längst in Unterhandlung mit dem Panther des Südens. Wenn ich ihm eine Million zahle, fällt mir sein ganzer Anhang zu. Er will mich in diesen Tagen aufsuchen, vielleicht kommt er bereits heute abend. Er beherrscht sämtliche Bewohner der Gebirge und die freien Indianer des Südens. Sobald ich ihm seine Million gegeben habe, wirbt er an und erscheint mit über zehntausend Mann hier in der Stadt. Benito Juarez wird gefangengenommen und erschossen, mit den anderen habe ich dann leichtes Spiel.«
   Die Augen des Mädchens glänzten vor Entzücken.
   »Und das ist wahr, wirklich wahr?« fragte sie. – »Glaubst du, daß ich träume?« – »O nein, sondern nur scheint es, als ob ich es sei, die träumt. Ich, Josefa Cortejo, von der sich die anderen stolz zurückziehen, die Tochter des Präsidenten, die höchste Dame des Landes! Wer hätte das gedacht! Oh, wie werde ich sie alle mit Verachtung strafen, die sich jetzt einbilden, hoch über mir zu stehen! Sie sollen ihren Stolz büßen müssen, alle, alle, alle!«
   Ihr Vater nickte jetzt wohlgefällig zustimmend und sagte:
   »So will ich dich hören und sehen, denn so bist du eine echte Cortejo. Wir sind gewohnt gewesen, unsere Herren zu beherrschen und uns an unseren Widersachern zu rächen. Was ist mein Bruder, was ist sein Sohn, der falsche Rodriganda, gegen mich und dich! Was wäre Mariano, der echte Rodriganda, wenn er nicht in die Luft geflogen wäre, gegen uns? Ich werde der Beherrscher von Mexiko sein. Ich werde dieses Land zu einem erblichen Königreich machen, und für dich wird dann nur ein königlicher Prinz gut genug sein. Du siehst, daß wir vor einer Aufgabe stehen, deren Lösung wir uns nicht durch leichtsinnige Jugendstreiche unmöglich machen dürfen. Ich hätte nichts dawider, wenn du dich an dieser Amy und ihrem stolzen Vater rächen wolltest, wenn es nur ohne Gefahr für uns geschehen könnte. Aber wie leicht könnten wir verraten werden, und dann wäre das Gelingen unseres Plans sehr in Frage gestellt Ich darf mich nicht blamieren oder gar unpopulär machen.« – »Ich gebe dir recht. Oh, wäre es doch bereits so weit! Also um eine Million handelt es sich?« – »Ja, gerade um eine Million.« – »Aber woher diese ungeheure Summe nehmen, bevor dir die mexikanischen Besitzungen zugesprochen worden sind?« – »Ich verkaufe eine derselben im Namen des Besitzers, oder, was noch besser und müheloser ist, ich schenke sie dem Panther des Südens. Nun unsere gefährlichsten Feinde vernichtet sind, darf ich alles wagen.« – »Aber haben wir wirklich keine Feinde mehr, durch die es entdeckt werden kann, daß Alfonzo nicht der richtige Sohn des alten Rodriganda ist?« – »Diejenigen, die noch übriggeblieben sind, habe ich nicht zu fürchten.« – »Auch nicht den Haziendero Pedro Arbellez und die schändliche Marie Hermoyes, die von uns zu ihm geflohen ist?« – »Bin ich Präsident, so sind sie in meine Hand gegeben!« – »Rosa de Rodriganda, die jetzt Frau Sternau heißt?« – »Sie hat ihr Erbteil ausgezahlt erhalten und ist unschädlich.« – »Der Kapitän Henrico Landola, der das ganze Geheimnis kennt?« – »Er erhält seinen Lohn und wird schon um seiner selbst willen verschwiegen sein.« – »So haben wir also keinen Menschen eigentlich mehr zu fürchten und können ruhig sein. Aber wenn ich mich an dieser Amy Lindsay rächen könnte, ohne uns Schaden zu machen, so würde ich mein Glück vollständig nennen.« – »Vielleicht ist es möglich. Man kann eben nicht in die Zukunft blicken. Sollte sich eine Gelegenheit bieten, so hoffe ich, daß du nicht handelst, ohne mich vorher um Rat zu fragen. Jetzt weißt du alles. Ich muß zum Präsidenten gehen. Je mehr ich mich bei ihm einschmeichle, desto fester habe ich ihn im Sack. Adios, meine Tochter!« – »Adios, mein Vater!«
   Cortejo küßte Josefa und sie ihn, ein Zärtlichkeitserguß, der zwischen diesen beiden Menschen seit langer Zeit nicht mehr stattgefunden hatte.
   Als er sich entfernt hatte, eilte Josefa an den Spiegel, um sich zum tausendsten Mal zu betrachten und dabei heute allerdings zum ersten Mal zu beurteilen, ob ihre Schönheit einer Präsidenten– oder gar Königstochter würdig sei. Sie war noch mit dieser Untersuchung beschäftigt, als es leise an die Tür klopfte. Auf ihr Herein trat jene Halbindianerin ein, die als Duenja jetzt im Dienst von Amy Lindsay stand. Sie war die Tochter der alten Amaika und hatte ihre jetzige Stellung nur zu dem Zweck angetreten, Josefa Cortejo als Spionin zu dienen.
   »Ah«, sagte diese, »endlich! Ich dachte bereits, du hättest vergessen, daß du in meinem Sold stehst. Hast du etwas Wichtiges erfahren?« – »Oh, etwas sehr Wichtiges, Señorita!« antwortete die schöne Spitzbübin. – »So erzähle schnell!« – »Darf ich mich vorher setzen?« – »Setze dich!«
   Das Mädchen nahm in der Hängematte Platz, und zwar in einer Stellung, in der ihre Schönheit zur vollen Geltung kam. War sie eine natürliche Kokette, oder beabsichtigte sie, der Señorita zu zeigen, welche von beiden die Schönere sei?
   »Nun?« fragte Josefa in einem nicht sehr freundlichen Ton, da sie unwillkürlich die Schönheit dieser Dienerin mit der ihrigen vergleichen mußte. – »Ich hoffe, heute eine sehr gute Belohnung zu erhalten, Señorita«, sagte das Mädchen, »denn ich bringe wirklich einige Neuigkeiten von größter Bedeutung. Nämlich Pedro Arbellez war heute bei uns.« – »Der Haziendero von del Erina?« fragte Josefa erstaunt. – »Ja. Er ist auch beim Oberrichter gewesen, der ihn sogar eingeladen hat, bei ihm zu wohnen.« – »Santa Madonna! Was hat dies zu bedeuten?« – »Nicht sehr viel. Ich habe alles gehört, denn ich war bei Miß Amy, als er kam und ihr alles erzählte. Zunächst hat er den Pachtzins gebracht, den er dem Oberrichter zu bezahlen hat. Sodann hat er goldene Geschmeide gebracht, das fortgeschickt werden soll. Und drittens hat er ihm erzählt, daß seine Tochter geraubt worden ist und daß alle verschwunden sind, die den Entführern nachjagten.«
   Josefa verbarg den Eindruck, den diese Mitteilung auf sie machte, und fragte nur:
   »Was hat Benito Juarez dazu gesagt?« – »Er will die Sache untersuchen und über sie Erkundigungen einziehen.« – »Wer sind diejenigen, die verschwunden sind?« – »Es war eine lange Reihe von Namen, und Namen kann ich nicht gut merken.« – »Das ist die eine Nachricht. Sie interessiert mich nicht sehr. Und nun die andere?« – »Wenn Ihr Euch für erste nicht interessiert, so werdet Ihr es für die zweite noch viel weniger tun. Es liegen nämlich große Schätze im Haus des Lords.« – »Ah!« fuhr Josefa auf. – »Ja, mehrere Millionen.« – »Woher weißt du das?« – »Miß Amy hat es zu dem Haziendero gesagt. Dieser hatte nämlich den Lord bitten wollen, einige Kostbarkeiten für ihn nach Deutschland zu schicken, aber der Oberrichter hat dies übernommen, weil Wertsachen, die der Lord schickt, nicht sicher bis an die Küste gehen. Miß Amy stimmte dem bei. Sie sagte, daß ihr Vater wohl an die fünf Millionen Pesos im Keller liegen habe und nicht fortsenden könne, weil er die Bravos fürchten müsse. Dieses Geld gehört nicht ihm, sondern den englischen Kapitalisten, die an Mexiko Geld geborgt haben. Es sind teils Zinsen und teils zurückgezahlte Kapitalbeträge.« – »Auch das geht mich nichts an«, sagte Josefa, obgleich sie ihre Freude kaum beherrschen konnte. »Kennst du diesen Keller?« – »Ja. Ich muß zuweilen Eingemachtes aus demselben holen.« – »Ist er groß?« – »Sehr groß. Vorn ist der Küchenkeller, dann kommt der Weinkeller, und hinter diesem liegt noch ein kleines Loch, vor dem eine starke, eiserne Tür ist. Da drin steht das Geld in eisernen Kisten.« – »Woher weißt du das?« – »Miß Amy sagte es dem Haziendero, um ihm zu zeigen, wie vorsichtig man hier mit dem Geld sein müsse.« – »Und gerade dadurch handelt sie außerordentlich unvorsichtig. Wenn es nun jemand erfährt und in den Keller dringt!« – »Das geht nicht, denn stets müssen abends die Schlüssel zu den Vorkellern an den Lord abgegeben werden. Den Schlüssel zu dem hintersten hat er selbst und gibt ihn niemals aus der Hand. Er schließt sie alle in das geheime Fach seines Toilettentischs ein, der in seinem Schlafzimmer steht.« – »Dann allerdings ist er sicher, daß niemand zu dem Geld kann.« – »Und nun das dritte, was du mir mitzuteilen hattest?« – »Es war ja nur dieses beides. Ich dachte, daß es Euch interessieren würde, Señorita, weil ich Euch bisher nichts anderes mitteilen konnte.« – »Nun, ich sehe wenigstens deinen guten Willen. Hier hast du fünf Goldstücke. Paß auch ferner auf und sage mir besonders alles, was von der verschwundenen Tochter des Hazienderos und einem gewissen Mariano oder Lautreville gesprochen wird. Jetzt kannst du gehen.«
   Das Mädchen schlüpfte aus der Hängematte heraus, schlug die Mantille graziöse um sich, machte eine Verbeugung und verließ das Zimmer. Josefa lauschte, bis die Tritte verklungen waren, schlug dann die Hände frohlockend zusammen und sagte:
   »Gefunden! Die Rache ist da! Oh, wenn doch der Panther des Südens bald käme!«


   48. Kapitel

   Der Panther des Südens kam weder heute noch morgen. Erst am dritten Abend überraschte er Cortejo. Josefa hatte am Tag wieder den Besuch ihrer Spionin gehabt und von derselben erfahren, daß Pedro Arbellez wieder abgereist sei. Sie erzählte das ihrem Vater, als sie noch sehr spät beieinandersaßen. Von dem übrigen hatte sie ihm noch nichts mitgeteilt. Da öffnete sich vollständig die Tür, und eine Gestalt huschte herein, so unhörbar, als ob sie nur ein Schatten sei.
   Josefa stieß einen lauten Schrei des Schreckens aus; selbst ihr Vater fuhr empor. Da trat der Fremde aus dem Dunkel in den Lichtkreis der Lampe und winkte den beiden mit der Hand Beruhigung zu. Er war in die einfache Tracht eines gewöhnlichen Peonen – Reitknechts – gekleidet, doch zeigten seine Waffen mehr als den Reichtum eines Dieners. Sein langes, dunkles, schlaffes Haar, seine braune Haut und die Bildung seines kühnen, von Leidenschaften zerrissenen Gesichts zeigten, daß er von indianischer Abstammung sei. Es war der Wüterich Juan Alvarez, der Panther des Südens.
   »Oh, Señor Alvarez, wie habt Ihr uns erschreckt!« sagte Josef. »Wir erwarten Euch bereits seit vorgestern. Seid willkommen!«
   Der Indianer blickte sie mit kaltem Staunen an und sagte zu Cortejo:
   »Ich komme im Dunkel der Nacht, um keinen Zeugen zu haben! Und Ihr gebt mir ein Weib zum Zeugen!« – »Sie ist meine Tochter«, entschuldigte sich Cortejo. – »Ist eine Tochter kein Weib?« klang es scharf zurück.
   Da trat Josefa einen Schritt auf ihn zu. Wenn es sich um solche Dinge, die das Licht zu scheuen hatten, handelte, so war sie ganz an ihrem Platz. Darum sagte sie in einem stolzen, selbstbewußten Ton:
   »Glaubt Ihr etwa, daß ich mich vor dem Panther des Südens fürchte? Bin ich denn schuld, daß ich ein Weib bin? Gibt es nicht unter den Männern Weiber? Warum soll es nicht unter den Weibern Männer geben? Ein solcher Mann bin ich. Mein Vater vertraut mir alles an, und er hat es noch nie zu bereuen gehabt. Auch Ihr sollt noch heute erfahren, daß ich Eures Vertrauens würdig bin und wie ein Mann zu handeln weiß!«
   Auf die schmalen Lippen des grimmigen Mannes trat ein leises, höhnisch zuckendes Lächeln, und er antwortete:
   »Sie spricht wie ein Mann, Señor Cortejo. Wenn sie aber nicht wie ein Mann handelt, so ist es Euer Schaden. Der Panther des Südens gibt seine Geheimnisse nur so vielen Ohren kund, als es ihm beliebt. Laßt uns von unserer Angelegenheit reden!« – »Setzt Euch!« bat Cortejo, indem er dem Gast einen Stuhl hinschob. – »Nein«, antwortete dieser, schlug die Hände über der Brust zusammen, leuchtete den Spanier mit seinen Flammenaugen an und fuhr fort: »Ich werde im Stehen sprechen. Da Ihr eine Mitwisserin habt, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen, so können wir kurz sein. Habt Ihr das Geld?« – »Bar allerdings nicht!« – »So sind wir fertig!«
   Der Indianer drehte sich kalt um und wollte gehen. Doch Cortejo ergriff ihn am Arm und bat:
   »Bleibt einen Augenblick, Señor, und hört meine Erklärung. Ich sagte, daß ich das Geld nicht bar habe, denn wer legt in der jetzigen Zeit Millionen leichtsinnig her. Ich habe Besitzungen, von denen jede mehr wert ist. Soll ich eine verkaufen, so erhaltet Ihr das Geld, soll ich Euch eine schenken, so tun wir, als hättet Ihr sie gekauft. Was wählt Ihr?«
   Der Indianer hatte ihm halb abgewandt zugehört, jetzt drehte er sich herum und fragte:
   »Habt Ihr das Recht, eine Besitzung zu verkaufen oder zu verschenken?« – »Ja.« – »Seid Ihr der Besitzer?« – »Nein, aber ich bin vom Grafen Rodriganda ermächtigt, zu tun, was mir beliebt. Ich darf in seinem Namen unterschreiben.« – »Das ist Eure Sache, ich aber glaube es nicht. Ich will keine Hazienda kaufen oder mir schenken lassen, die ich früher oder später wieder hergeben muß. Lebt wohl!«
   Er drehte sich wieder um, und dieses Mal war es Josefa, die ihn zurückhielt.
   »Wartet, Señor!« sagte sie. »Ich werde diese Sache ordnen.«
   Der Indianer lächelte höhnisch wie vorher und erwiderte in ungeduldigem Ton:
   »Wozu die unnötigen Worte! Wie will ein Weib eine Angelegenheit ordnen, zu der der Mann, der es tun sollte, kein Geld hat! Und gerade Geld ist es, was ich brauche.« – »Ihr sollt es haben!« – »Wann?« fragte er kalt. – »Wann Ihr wollt.« – »Eine Million?« – »Nein, sondern fünf Millionen!«
   Jetzt trat er erstaunt einen Schritt zurück. Doch sagte er sofort:
   »Diese Señorita ist nicht bei Sinnen!«
   Auch ihr Vater blickte in höchster Verwunderung zu ihr hinüber. Sie aber ließ sich nicht irremachen, sondern fuhr fort:
   »Ich will deutlicher sprechen. Mein Vater hat Euch eine Million versprochen, Señor. Er wollte sie Euch auszahlen, hier auf diesen Tisch; Ihr konntet sie einstecken, leicht und mühelos. Ich nun biete Euch vier Millionen mehr und mache nur die zwei Bedingungen, daß Ihr sie Euch selbst holt und meinem Vater dennoch Euer Versprechen haltet.« – »Wo sind sie zu finden?« fragte der Indianer rasch. – »Das werde ich Euch sagen, sobald Ihr mir Euer Wort gegeben habt und wir noch über einen anderen Punkt einig geworden sind.« – »So redet!«
   Der Indianer stellte sich, wie vorher, mit über der Brust gekreuzten Armen vor die beiden hin und richtete seine Augen mit einem wahrhaft durchbohrenden Blick auf das Mädchen, das fortfuhr:
   »Es gibt zwei Personen, die meiner Rache verfallen sind. Sie sollen sterben oder wenigstens in die fernen Berge verschwinden, in denen Ihr Gebieter seid. Es ist Vater und Tochter. Sie haben fünf Millionen bares Geld bei sich und wohnen hier in der Stadt. Ich kenne den Ort, wo diese Summe zu finden ist, und ich kenne auch die Art und Weise, wie man zu ihm gelangt. Ihr sollt Euch das Geld holen. Ihr sollt diese beiden Personen mitnehmen und verschwinden lassen. Ihr sollt endlich, wenn dies Euch gelingt, annehmen, daß mein Vater Euch seine Million bezahlt hat, und ihm ehrlich das Wort halten, das Ihr ihm gegeben habt. Unter diesen Bedingungen sage ich Euch, welche Personen und welchen Ort ich meine.« – »Alle Teufel, jetzt weiß ich, wen du meinst!« rief Cortejo. »Und du weißt genau, daß diese ungeheure Summe dort zu finden ist?« – »Ganz genau. Du kennst ja meine Spionin.«
   Da legte ihr der Indianer die Hand auf den Arm und sagte mit tiefer Stimme:
   »Señorita, der Panther des Südens läßt sich nicht betrügen, am allerwenigsten von einem Weib. Wenn Ihr lügt, so morde ich Euch!« – »Tut es!« antwortete sie, ihm furchtlos in die vor Geldgier funkelnden Augen blickend. »Ich bin meiner Sache gewiß.« – »Nun, so seid Ihr wirklich kein Weib, sondern ein Mann. Wem eine Rache mehr wert ist als fünf Millionen, dem darf man Vertrauen schenken. Ich gehe auf den Handel ein und nehme die Bedingungen an.«
   Nun endlich war es ihr geglückt. Ihre fahlen Wangen röteten sich vor Freude. Doch ging sie sicher und fragte speziell:
   »Ihr nehmt den Mann und die Tochter mit?« – »Ja«, antwortete er. – »Quittiert Ihr meinem Vater die Million?« – »Ja.« – »Und steht ihm bei, auf den Präsidentenstuhl zu gelangen?« – »Ja.« – »Gebt uns Eure Hand und schwört es uns!«
   Er reichte beiden seine Hände hin und gelobte mit fester Stimme:
   »Ich schwöre es Euch und werde mein Wort halten, wenn Ihr die Wahrheit gesprochen habt Jetzt aber sagt mir den Ort, Señorita!« – »Kennt Ihr Lord Lindsay, den Engländer?«
   Der Indianer horchte auf; seine Lippen öffneten sich ein wenig, und ein leise pfeifender Ton fuhr zwischen seinen Zähnen hervor.
   »Ist‘s bei ihm?« fragte er. – »Ja. Ihr scheint überrascht. Wollt Ihr vielleicht zurücktreten, Señor?« – »Nein. Redet weiter!«
   »Der Keller seines Hauses hat drei Teile; vorn ist der Küchenkeller, dann folgt der Weinkeller und endlich der Geldkeller. Er ist klein und mit einer eisernen Tür verschlossen. Er enthält die eisernen Geldkisten. Der Schlüssel dazu und alle anderen befinden sich im geheimen Fach des Toilettentischs im Schlafzimmer Lindsays. Das ist alles, was ich weiß und zu sagen habe.« – »Es ist genug«, meinte der Indianer. »Bleibt morgen abend zu Hause. Señorita.« – »Warum? Kommt Ihr wieder?« – »Ja, morgen werde ich mir das Geld holen. Ihr werdet dabeisein.« – »Ich? Warum?« fragte sie erschrocken. »Was soll ich dabei tun?« – »Nichts. Man wird Euch nicht bemerken, denn ich werde Euch an einen Platz stellen lassen, wo Ihr sicher seid. Ist das Geld im Keller, so bringe ich Euch nach Hause und halte mein Wort. Habt Ihr mich aber belogen, so hängt Ihr am nächsten Morgen an der Kellertür.« – »Dios! Wenn nun das Geld vorhanden ist und Ihr gelangt nicht dazu?« – »So seid Ihr schuldlos, und ich halte Euch dennoch mein Wort. Ihr seht, daß ich ehrlich mit Euch handle. Komme ich morgen abend, um Euch abzuholen und Ihr stellt Euch nicht, so seid Ihr und Euer Vater verloren!«
   Der Panther des Südens wartete keine Entgegnung ab und ließ die beiden in einer nicht sehr fröhlichen Stimmung zurück. Wie nun, wenn die Spionin sich geirrt hatte? Der Indianer hörte die Befürchtungen nicht, die hinter ihm laut wurden. Er ging durch den finsteren Korridor mit einer Sicherheit, als ob es am hellen Tag sei. Mit dem Schritt einer Katze gelangte er in den Hof und schwang sich über die Mauer, schritt durch die Straßen und kam nach einer halben Stunde an das Wasser eines Kanals, dessen Ufer von Bäumen umsäumt waren. Dort hockten mehrere dunkle Gestalten am Boden. Die eine derselben erhob sich bei seinem Kommen und fragte leise:
   »Vater?« – »Ich bin es, Diego«, antwortete er. »Steigt auf. Wir gehen zurück!«
   Da standen auch die anderen vom Boden auf, es wurden Pferde herbeigeholt, die in der Nähe verborgen gewesen waren, und bald setzte sich der kleine Trupp in Bewegung.
   Der Panther ritt mit seinem Sohn voran; die anderen folgten respektvoll in einiger Entfernung. Die Pferde gingen sicher, obgleich es sehr dunkel war, sie und ihre Reiter schienen jeden Schritt des Weges zu kennen. Die ganze Umgegend, die ganze Natur war in tiefe Stille versunken, so auch der Panther. Doch endlich fragte er seinen Sohn:
   »Weißt du noch, wie wir den Präsidenten Santa Anna aus Mexiko jagten?« – »Ich weiß es«, antwortete der Gefragte einfach. – »Es gab einen fürchterlichen Straßenkampf, in dem unser Häuflein fast erlag.« – »Ja. Ich erhielt einen Stich in die Brust und einen Hieb über den Kopf und stürzte nieder. Als ich erwachte, lag ich im Bett, in einem schönen Zimmer.« – »Im Haus des Engländers Lord Lindsay. Ich hätte dich wohl damals verloren, denn jede deiner Wunden schien tödlich. Aber man pflegte dich wie einen Sohn und gab dich mir wieder. Wir schwuren beide, dankbar zu sein.« – »Wir sind es noch nicht gewesen.« – »Wir werden es morgen sein. Ich soll mir aus dem Haus des Engländers Geld holen und ihn und seine Tochter töten. Er soll sehen, daß der Panther des Südens keine Wohltat vergißt. Ich werde das Geld holen, ihn und seine Tochter aber nicht töten, sondern beide in die fernen Berge von Chiapa als Gefangene senden. Sie dürfen uns nicht sehen, sie dürfen nicht wissen, wer ihnen das Geld nahm. Darum werde ich sie einem anderen anvertrauen, der sie festnimmt und an ihren Bestimmungsort bringt, wo sie nicht entfliehen können, sondern bewacht werden, so lange es mir gefällt.« – »Wieviel Geld ist es?« – »Fünf Millionen.«
   Der Sohn antwortete nicht. Diese Summe war so groß, so unfaßbar für ihn, daß ihm mit der Sprache fast der Atem ausging. Aber ebensogroß und unfaßbar dünkte ihm auch die Dankbarkeit seines Vaters, der ja nur aus Dankbarkeit die fünf Millionen nahm, ohne den Besitzer zu töten.


   49. Kapitel

   Am anderen Abend blieb Lindsay etwas länger als gewöhnlich wach mit seiner Tochter. Er hatte einen sehr ausführlichen Bericht nach der Heimat zu verfassen gehabt und unterhielt sich mit Amy noch über den Besuch des alten, ehrlichen Hazienderos und über die verschollenen Freunde. Über Amys Wesen lag ein Hauch tiefer Schwermut ausgebreitet, der ihre angeborene Lieblichkeit zu verdoppeln schien, und auch der Lord war mißmutiger als gewöhnlich gestimmt. Er war der ewigen mexikanischen Wirren herzlich müde und sehnte sich aus diesem Land fort, das nie zur Ruhe kommen konnte. Endlich nahmen sie herzlichen, innigen Abschied voneinander, und der Lord steckte, da die Dienerschaft bereits zur Ruhe gegangen war, sich sein Licht selbst an und begab sich nach seinem Schlafzimmer.
   Dort öffnete er den Toilettentisch, drückte an der verborgenen Feder, worauf ein Kästchen aufsprang, und legte in dieses mehrere Schlüssel, die er aus der Tasche zog, um es durch denselben Federdruck zu verschließen.
   Er bemerkte nicht, daß unter dem Bett hervor vier Augen jeder seiner Bewegungen mit der größten Aufmerksamkeit folgten, entkleidete sich, verlöschte das Licht und begab sich zur Ruhe, und bald hörte man an seinen leisen, ruhigen Atemzügen, daß er eingeschlafen sei.
   »Hast du die Feder bemerkt?« raunte es da plötzlich selbst für einen Wachen, der im Bett gelegen hätte, ganz unhörbar unter demselben. – »Ich würde sie im Dunkeln finden«, lautete die ebenso leise Antwort. – »So komm!«
   Kein Laut, nicht die leiseste Spur von Geräusch verriet, daß jetzt zwei Gestalten unter dem Bett hervorkrochen und sich neben dem Vorhang desselben emporrichteten. Der eine der Männer zog ein Tuch und ein Fläschchen aus der Tasche, tröpfelte eine Flüssigkeit auf das erstere, schlug den Vorhang zurück und trat zu dem Schlafenden, dem er erst das Tuch vorsichtig nahe an Mund und Nase hielt, und es dann, als er das Geräusch des Atmens nicht mehr hörte, ihm ganz auf das Gesicht legte.
   »Fertig!« sagte er jetzt halblaut. »Gib die Maske her!« – »Soll ich das Licht anbrennen?« – »Ja; schließe aber erst die Vorhänge!« In einer Minute brannte das Licht wieder. Dem narkotisierten Lord wurde nun eine schwarze Kopfbedeckung über den Kopf gezogen, die unten am Kinn zugebunden werden konnte und nur drei Öffnungen für die Augen und den Mund hatte. Dann zogen ihm die beiden Indianer, denn solche waren es, die sämtlichen Kleider wieder an und steckten ihm, da er nun bald wieder erwachen konnte, durch das Loch der Maske einen Knebel in den Mund.
   Unterdessen war Amy noch nicht sofort schlafen gegangen und saß, mit dem Rücken nach der Tür gekehrt, am Tisch, in einem Album blätternd, das die Bildnisse bekannter Personen enthielt. Auch das des Geliebten war dabei. Sie betrachtete die teuren Züge. Sie dachte sich in die Zeit zurück, in der sie ihn in Rodriganda zum ersten Mal gesehen und kennen– und liebengelernt hatte. Die Erinnerung drang so mächtig auf sie ein, daß die Gegenwart vor ihren Sinnen schwand und sie nicht ein leises, leises Geräusch hörte. Sie sah auch nicht, daß die Tür sich öffnete und daß die beiden Männer eintraten, die soeben im Schlafzimmer ihres Vaters gewesen waren.
   Beide winkten einander. Der eine zog abermals das Tuch hervor und befeuchtete es mit der Flüssigkeit aus seinem Fläschchen. Dann rückten sie näher an die in so tiefes Sinnen Versunkene heran. Plötzlich faßte der eine sie mit beiden Händen bei der Gurgel, so daß sie keinen Laut ausstoßen konnte, und der andere legte ihr das Tuch auf Mund und Nase. In kurzer Zeit lag sie in ihrem Stuhl wie eine Leiche.
   »Wie schön!« flüsterte der eine. – »Wir wollen ihr nicht weh tun«, meinte der andere. »Sie hat den Sohn des Panthers gerettet.«
   Da fiel das Auge des ersten auf das Album, und nachdem er einen Augenblick lang darinnen geblättert, flüsterte er:
   »Sie hat diejenigen lieb, deren Bilder dies sind. Wollen wir ihr dieses Buch mitgeben?« – »Wird der Panther nicht zanken?« – »Muß er es denn wissen? Er darf es gar nicht zu sehen bekommen.« – »So nimm es mit.«
   Der Mann schlich, während sein Gefährte das Album zu sich nahm, zur Tür hinaus und kam bald darauf mit einigen Indianern zurück. Von diesen Leuten wurden die Lichter verlöscht und die beiden Gefangenen vorsichtig emporgenommen, um sie fortzutragen. Der Weg ging den Korridor entlang und die Treppe hinab. Hier wurde die hintere Tür entriegelt, so daß man in den Hof gelangen konnte. Da trat eine dunkle Gestalt zu ihnen. Es war der Panther.
   »Endlich!« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ihr habt mich lange warten lassen. Leben die beiden noch?« – »Ja«, antwortete einer. – »Habt ihr die Schlüssel?« – »Hier sind sie.« – »Wie erfuhrt ihr, welches die Zimmer der beiden seien?« – »Ich lernte am Tag die Duenja kennen, indem ich als Bettler hierherging und dem Gesinde einige Lieder vorsang. Das Mädchen vernarrte sich in mich und gab mir Antwort auf alle meine Fragen.« – »Gut. Wißt ihr, wo die Kellertür ist?« – »Hier, gleich neben der Treppe.« – »So schafft die beiden zur Stadt hinaus nach den Pferden und schickt mir die anderen her. Sie warten dort in der Ecke des Hofes. Aber wenn ihr euch unterwegs sehen oder gar ergreifen laßt, so ist das euer Tod.«
   Sie gingen nun, die Gefangenen auf den Armen, davon, und nach wenigen Augenblicken schlichen sich andere Gestalten herbei, fast dreißig an der Zahl, die in das Haus traten und die Tür des Hofes wieder hinter sich zuzogen, deren Riegel sie vorschoben, um ja von außen nicht zufälligerweise gestört zu werden.
   Der Panther tappte sich zur Stelle, die ihm bezeichnet worden war, und fand die Tür. Sie war mit Eisen beschlagen und hatte ein Loch für einen großen Hohlschlüssel. Deshalb wußte Alvarez sogleich, welches der richtige war, wählte ihn unter den anderen Schlüsseln aus, steckte ihn leise ein und öffnete, ohne daß er ein Geräusch verursachte, worauf er, noch immer mit leiser Stimme, sagte:
   »Hier ist die offene Tür! Folgt mir die Stufen hinab! Die zwei letzten ziehen den Schlüssel heraus und die Tür hinter sich heran. Auf der obersten Treppenstufe bleiben sie als Wache stehen. Die Lichter werden erst unten angebrannt.«
   So geschah es. Als sich alle, außer den beiden Wachen, unten in dem Küchenkeller befanden, wurden einige kleine Laternen hervorgezogen und angebrannt. Nun konnte man das Terrain ganz leidlich überblicken.
   Ein Stück weiter hinten, in dem mit allerhand Speisewaren besetzten Keller, gab es eine zweite Tür. Der Panther untersuchte das Schloß derselben, zog einen Schlüssel hervor, der paßte, und öffnete.
   Jetzt befand man sich im Weinkeller, der einen großen Vorrat von Faßwein und ein noch größeres Flaschenlager zeigte. Keiner der Indianer machte Miene, eine der Flaschen anzurühren. Ganz im Hintergrund gab es nun eine dritte, kleinere Tür, die aus dickem Eisen bestand. Auch hierzu fand sich der Schlüssel. Der Panther des Südens war das Schloß nicht gewöhnt, es schien sich sehr schwer zu öffnen. Er trat daher zur Seite, um mehr Kraft anwenden zu können. Da plötzlich sprang die Tür auf, und zu gleicher Zeit krachte ein Doppelschuß, und zwei der Indianer stürzten nieder.
   Die Indianer standen vor Schreck wortlos da, und nur der Panther blieb gefaßt. Er bückte sich kaltblütig zu den Gefallenen nieder, leuchtete sie an, befühlte sie und sagte:
   »Sie sind tot. An einen Selbstschuß habe ich nicht gedacht. Er war mit zwei Kugeln geladen. Schafft sie zur Seite.«
   Damit leuchtete er empor, um das Gewölbe zu untersuchen, und sagte, um seine Leute zu beruhigen:
   »Man kann die Schüsse da oben gar nicht hören. Sie waren ganz allein zur Verteidigung angebracht, nicht aber, um die Bewohner des Hauses zu alarmieren. Übrigens haben wir die beiden Wächter und im Notfall unsere Waffen. Treten wir also ein!«
   Es rührte ihn nicht im mindesten, daß er nur durch einen geringfügigen Zufall dem Tod entgangen war. Hätte er nicht zur Seite gestanden, so wäre er von einer der Kugeln oder von allen beiden getroffen worden.
   Das kleine Gewölbe vermochte gar nicht alle zu fassen. Aber diejenigen, die eintreten konnten, sahen nichts als sechs schwarze, eiserne Kisten, die am Boden standen. Keiner von ihnen wußte, um was es sich eigentlich handele; der Anführer hatte es nicht für gut befunden, ihnen mitzuteilen, daß es sich um den Raub von fünf Millionen handle.
   »Faßt an!« gebot er.
   Es gehörten vier starke Männer dazu, eine der Kisten in die Höhe zu heben.
   »Nun fort damit, hinauf, und zunächst in den Hof.«
   Der Panther leuchtete voran, und seine Leute schleppten die überreiche Beute hinter ihm her. Als er zu den Schildwachen gelangte, fragte er:
   »Habt Ihr den Schuß gehört?« – »Nur dumpf«, lautete die Antwort. – »Verspürtet ihr oben etwas Verdächtiges?« – »Nein.« – »So kommt alle! Löscht aber zuvor die Laternen aus und laßt sie zurück.«
   Nur der Panther allein ließ die seinige brennen, um den Flur und die nach der Etage führende Treppe zu beleuchten. Er fand alles in Ruhe und Sicherheit und öffnete nun die Hoftür, nachdem er sein Licht auch verlöscht hatte. Seine Leute folgten ihm hinaus, keuchend unter der Last.
   Es ging bis hin zur Mauer, hinter der ein Weg vorüberführte. Zwei Männer standen hier, die nicht untätig gewacht, sondern einen Block hingestellt hatten, über den einige starke Bretter vom Boden hinauf zur Kante der Mauer führten. Der Panther war umsichtig gewesen und hatte für alles gesorgt.
   »Ist der Wagen noch nicht da?« fragte er die Wachen. – »Er wartet bereits draußen«, antwortete der eine. – »Hörte man ihn kommen?« – »Nein, denn die Hufe und die Räder sind ja umwickelt. Nur die Pferde schnaubten ein wenig.« – »So, nun schnell ans Werk, damit wir vollends zu Ende kommen.«
   An der anderen Seite der Mauer hielt ein Wagen, der mit vier Pferden bespannt war. Die Kisten wurden mit Hilfe der Bretter zunächst auf die Mauer gebracht und auf den Wagen geladen. Dies ging nicht ganz geräuschlos ab, aber man befleißigte sich einer solchen Schnelligkeit, daß keine Gefahr zu befürchten war, selbst wenn jemand Verdacht geschöpft hätte und herbeigekommen wäre. Das hätte ja immerhin eine gewisse Zeit erfordert.
   Als die Kisten sich auf dem Wagen befanden, gab der Panther Befehl zum Aufbruch. Einer seiner Untergebenen wagte zu fragen:
   »Sollen wir nicht unsere Toten mitnehmen, Señor?« – »Nein«, antwortete er barsch. »Sie bleiben da, ebenso wie die Laternen und diese Bretter, damit niemand denken möge, daß der Engländer selbst mit diesen Kisten geflohen sei. Also vorwärts! Es kommt nur noch darauf an, den Wagen glücklich aus der Stadt zu bringen. Wer euch hindern will, den schießt ihr einfach nieder.«
   Der Wagen fuhr ab. Der Panther blieb noch eine Weile auf der Mauer stehen, zog einen Zettel aus der Tasche, warf ihn in den Hof zurück und sprang jenseits hinab auf den Weg. Auf demselben schlich er sich fort, trat um zwei dunkle Ecken und stand nun vor zwei Männern, die ein Frauenzimmer zwischen sich hatten.
   »Ihr könnt gehen und mir mein Pferd bringen«, gebot er.
   Sie entfernten sich eilig. Er aber wartete, bis er von ihren leisen Schritten nicht mehr hörte, und sagte:
   »Nun, Señorita, ist Euch die Zeit lang geworden?« – »Unendlich!« antwortete sie mit grollender Stimme. »Meine Gegenwart war ganz und gar unnötig!« – »Im Gegenteil sehr!« höhnte er. – »Ist es gelungen?« – »Ja, bis jetzt.« – »Habt Ihr die Kisten alle?« – »Alle.« – »So werdet Ihr also Wort halten?« – »Ich werde mein Wort natürlich nicht brechen, vorausgesetzt, daß es wirklich fünf Millionen sind.«
   Da dachte Josefa daran, daß ihre Spionin nicht von vollen fünf Millionen, sondern von »wohl an die fünf Millionen« gesprochen hatte. Darum sagte sie:
   »Sollte eine Kleinigkeit fehlen, so kommt es wohl nicht darauf an?« – »Soll ich etwa auch eine Kleinigkeit an meinem Wort fehlen lassen, Señorita?« spottete er. »Ich kann mein Wort nicht in Teile zerlegen und werde mir also auch nicht die mir garantierte Summe teilen lassen. Ich bin meines Wortes entbunden, sobald ein einziges Goldstück, ein einziger Peso fehlt.« – »Das wäre schändlich!« rief Josefa, fast zu laut für die Vorsicht, die anzuwenden hier so notwendig war. »In diesem Fall würdet Ihr mich zwingen, zu verraten, wer die Kisten geholt hat.«
   Sie hatte diese Worte in einem drohenden Ton gesprochen. Der Panther aber lachte in seiner höhnisch-kalten Weise und antwortete:
   »Und ich würde in diesem Fall verraten, wer diese Kisten zunächst ausspioniert, mir angeboten und sodann hier Wache gestanden hat. Da bringt man mein Pferd! Lebt wohl, Señorita! Ich werde Euch die Summe, die ich finde, ganz genau wissen lassen.«
   Damit stieg er auf und ritt davon, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als im Dunkel der Nacht allein nach Hause zu gehen, mit dem Bewußtsein, daß sie diese Millionen aufs Spiel gesetzt habe, ohne das geringste dabei zu gewinnen.
   Bereits am frühen Morgen versetzte die Nachricht von dem Verschwinden des Geldes die ganze Stadt Mexiko in die größte Aufregung. Ein solcher Raub – er ist eine geschichtliche Tatsache – war so unerhört, daß man gar nicht begreifen konnte, wie er hatte gelingen können, obgleich die Spuren deutlich genug waren, um daraus zu sehen, in welcher Weise er unternommen worden war. Man fand den losgegangenen Selbstschuß, die beiden Toten, die Laternen, den Bock mit den Brettern und sogar auch den Zettel, der die Worte enthielt:
   »So muß es allen Fremden gehen, die nach Mexiko kommen, um Humanität zu predigen und dabei doch Reichtümer zusammenscharren und die Hilfsquellen des Landes erschöpfen! Einer, dem nie seine Rache mißlingt.«
   Der Täter konnte kein gewöhnlicher Mann gewesen sein. Er mußte über außerordentliche Mittel verfügen und eine Kühnheit besitzen, die ihresgleichen suchte. Aber alle Nachforschungen nach ihm blieben resultatlos.
   Eine weitere Frage war die, wohin Lindsay mit seiner Tochter gekommen sei. Er blieb verschwunden für lange Jahre, und man wußte nichts weiter von den beiden Unglücklichen, als daß sie zu gleicher Zeit mit dem Geld verschwunden seien. Lindsays Aufzeichnungen wiesen nach, daß die geraubte Summe vier und eine halbe Million in Gold und Staatspapieren betrage, und als dies Cortejo und seine Tochter hörten, vermochten sie ihre Wut kaum zu zügeln. Sie hatten den Kontrakt mit dem Panther des Südens umsonst gemacht und waren gezwungen, ihre Enttäuschung zu verbergen. Und als ob es dieser besonderen Mitteilung bedurft hätte, erhielten sie nach einigen Tagen die Zeitungsnummer zugeschickt, in der von dem Raub die Rede und die genaue Summe angegeben war. Und am Rand der betreffenden Stelle stand geschrieben:
   »Meines Wortes quitt! Fragt Euch überhaupt, ob Ihr das Zeug zum Präsidenten habt und Señorita Josefa zur Tochter eines solchen!«


   50. Kapitel

   »Um Tannen schlingt sich eng die Ranke,
   Sie trägt ein Röschen zart und mild:
   Der Unschuld lieblichster Gedanke
   Verkörpert sich in ihrem Bild.
   Du fragst, was man der Holden, Lieben,
   Für einen Namen geben mag?
   Die Antwort ist sehr bald geschrieben:
   Waldröschen ist‘s, im grünen Hag!
   Es wohnt im stillen Heiligtume
   Des Forsts, ein zartes, frohes Kind
   Wie eine holde Menschenblume,
   Um die des Märchens Zauber spinnt.
   Welch‘ Name soll dies Duftbild preisen
   Dort in der Tannen dunklem Schlag?
   Waldröschen, ja, so soll es heißen,
   Wäldröschen ist‘s, im grünen Hag!«

   Wie Lindsay mit Amy verschwunden war, so war es auch mit dem Brief, den sie für den alten Pedro Arbellez nach Deutschland geschrieben hatten. Der Brief gelangte ebensowenig an seine Adresse wie die kostbare Sendung, der er beigegeben war. Der Oberrichter hatte alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, aber da keine Reklamation einging, indem der Adressat nicht die mindeste Ahnung von der Sendung hatte, so hielt Juarez sich für überzeugt, daß sie richtig an den Mann gekommen sei.
   Mittlerweile war bereits seit Monaten in Erfüllung gegangen, was Rosa ihrem geliebten Sternau mit so innigen, glückatmenden Worten geschrieben hatte: Sie war von einem Töchterchen entbunden worden, bei dessen Geburt hohe, allgemeine Freude in Rheinswalden eingezogen war.
   Die weiblichen Bewohner des Schlosses hatten vor und bei Eintritt dieses Ereignisses alles getan, was im Bereich der liebevollsten Hilfeleistung steht, und die männlichen waren schweigend umhergelaufen oder hatten die Köpfe zusammengesteckt und von einem »vielleicht ein Mädchen« oder gar einem »Donnerwetter, wenn‘s gar ein Junge wäre« gemunkelt. Der Hauptmann aber saß in seinem Arbeitszimmer, rechnete und rechnete, und als er nicht fertig werden konnte, da bemerkte er, daß er subtrahiert statt dividiert und addiert statt multipliziert hatte. Und als er wieder von vorn anfing, um die Bestände seiner Waldungen zu berechnen, da mengte er Scheffeln, Erlen, Hasen, Morgen, Rehe, Tannen, Unterförster, Quadratruten und Rebhühner so gründlich untereinander, daß er die Feder wegwarf und halb zornig, halb lachend ausrief:
   »Kreuzbataillon, nun hört‘s aber auf! Was einen das verrückt macht, wenn sich so eine Bube oder Mädel einstellen will! Ich danke doch meinem lieben Gott, daß er mich nicht mit vielen Kindern gesegnet hat. Wäre ich so ein zwölf– bis sechzehnfacher Familienvater geworden, so möchte ich nur meine Rechnungen, Gutachten und Monatsberichte sehen. Ich mengte Eichen, Ziehflaschen, Dachse, Wiegenpferde, Windeln, Holzklaftern, alles, alles, untereinander. Aber neugierig bin ich, wer da Gevatter wird!«
   Und indem er das sagte, ging die Tür auf, und der ehrliche Ludwig Straubenberger trat ein, stellte sich in Achtung und wartete, bis er angeredet werde.
   »Was willst du?« fragte der Oberförster. – »Um Verlaub, Herr Hauptmann, ich möchte bloß fragen, was?« – »Was?« wiederholte der Hauptmann, ganz erstaunt über diese geistreiche Ausdrucksweise. »Was?« – »Ja, was?« – »Nun, was denn, zum Teufel?« – »Ja, das ist es ja eben! Was denn, zum Teufel? Es fällt mir vor lauter Neugierde das Richtige gar nicht ein. Ob ›Sah ein Knab‘ ein Röslein steh‘n‹ oder vielleicht ›Ein Schäfermädchen weidete‹. Man weiß ja noch gar nicht, ob‘s ein Junge oder ein Mädchen wird dahier!«
   Da konnte der Oberförster nicht länger an sich halten und donnerte, indem er sich drohend erhob:
   »Kerl, bist du denn ganz und gar verrückt geworden?« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann, allerdings ganz verrückt dahier«, nickte Ludwig. – »Aber was, zum Teufel, ist‘s denn eigentlich mit dem Knab‘ und dem Schäfermädchen, he?« – »Nun, die Burschen stehen mit den Waldhörnern unten. Wird‘s ein Junge, so denke ich, wir blasen ›Sah ein Knab‘ ein Röslein steh‘n‹, wird‘s aber ein Mädchen, so blasen wir ›Ein Schäfermädchen weidete‹. Oder befehlen der Herr Hauptmann vielleicht ›Ich bin vom Berg der Hirtenknab‹ und ›Bin i net a schöne Rußbuttenbub‹ oder ›Das Mädchen hat ein hübsch Gesicht‹ und ›Madle, ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite‹. Das sind alles lauter wunderschöne Lieder, und wir blasen sie vierstimmig mit Gefühl und Dreivierteltakt dahier.«
   Der Oberförster hatte diese Auslassung seines Lieblingsgehilfen vor lauter Erstaunen wortlos angehört, jetzt aber bekam er die Sprache wieder.
   »Kerl, Mensch, Ludwig, soll ich dich etwa hinauswerfen, dich, die anderen, den Rußbuttenbub, die grüne Seite und den ganzen Dreivierteltakt? Bläst man denn einer schwachen Wöchnerin die Ohren voll, he? Leg‘ du dich doch einmal hin und laß dich anmusizieren, wenn der Storch in deiner Feueresse klappert! Nein, so etwas ist doch unerhört!«
   Der arme Ludwig stand da, als ob ihn der Schlag gerührt hätte. Er brachte vor lauter Verlegenheit nichts weiter hervor, als:
   »Ich soll mich hinlegen, Herr Hauptmann! Ich habe mir doch noch gar keine Frau genommen und bin zweitens auch nicht verheiratet!« – »Das weiß ich! Aber das war nur so ein Beispiel. Ich sage dir, Ludwig, diese Blaserei ist die größte Dummheit, die du dir in deinem ganzen Leben ausgesonnen hast. Ich denke …«
   Der Oberförster wurde unterbrochen, denn die Tür wurde aufgerissen, und Alimpo keuchte herein, ganz atemlos vor Anstrengung.
   »Ein Mädchen, Herr Hauptmann!« meldete er. – »Ein Mädchen?« fragte der Oberförster. »Ist‘s wahr?« – »Ja. Meine Elvira sagt‘s auch!« – »Hurra! Und gesund, Alimpo?« – »Wie ein Fisch!« – »Viktoria! Hurra! Hussa! Lauf, Alimpo, lauf zum Herzog von Olsunna und zu meinem Sohn und sag‘s, daß es ein Mädchen ist! Ludwig, laß satteln! Ich reite sofort nach Darmstadt zum Großherzog. Ein Mädchen! Ein Mädchen! Na, ihr Kanaillen, was steht ihr denn noch! Heute bekommt alles Freibier. Fräulein Sternau soll gleich Napfkuchen backen und gebackene Zwetschgen in der Mitte. Ich nehme den Braunen, Ludwig, der Fuchs läuft nicht mehr so rasch. Bei solchen Anmeldungen muß man pünktlich sein!«
   Der gute Hauptmann kannte sich vor Freude selbst nicht mehr. Während er auf seinem Braunen nach Darmstadt jagte, lag die junge Mutter auf dem blütenweißen Lager und betrachtete ihr süßes, schlafendes Kind. Bei ihr saß Flora, die Herzogstochter, die jetzige Frau des einfachen Malers.
   »Wie ist dir jetzt, meine Rosa?« flüsterte sie besorgt. – »Ich bin matt, aber glücklich«, hauchte Rosa. »Gib mir sein Bild.«
   Sie winkte mit den schönen Augen nach der Wand, an der Sternaus Porträt hing. Flora holte es und legte es auf das Bett neben den kleinen Engel. Nun betrachtete Rosa beide, das Bild und das Kind, um sie miteinander zu vergleichen.
   »Sieht sie ihm ähnlich, Flora?« fragte sie leise.
   »Sehr«, lächelte die Gefragte, obgleich sich die Ähnlichkeit eines Neugeborenen wohl kaum bestimmen läßt.
   »Oh, wenn er es doch wüßte, der Liebe, Gute.«
   Rosa faltete die Hände, und über ihre schönen, jetzt ermatteten Wangen flossen Tränen des Gebets für den Fernen und für das teure Pfand von ihm, das jetzt an ihrem Herzen lag. Ihre Augen irrten unter diesen Tränen immer wieder vom Bild zum Kind und vom Kind zum Bild, bis sie müde wurden und sich schlossen – sie entschlummerte. Und noch während dieses Schlummers stritten sich in ihren reinen, frommen Zügen das süße, holde Glück der Mutter mit dem Weh des treuen, liebenden Weibes, das den Teuren in der Ferne weiß, mitten in Not und Gefahr.
   Nun folgten Tage des ruhigen Abwartens, bis Rosa sich gekräftigt fühlte und Besuch anzunehmen vermochte. Da zeigte es sich so recht, wie sehr die aus dem fernen Spanien Herbeigezogenen beliebt waren. Alle kamen, und selbst sämtliche Chargen des großherzoglichen Hofes erschienen, um ihre Freude zu äußern und ihre Gratulationen darzubringen.
   Einige Wochen später wurde die kleine Weltbürgerin getauft. Der Großherzog, die Herzogin von Olsunna und Hauptmann von Rodenstein standen Pate. Das Kind wurde wie seine Mutter genannt, Rosa, und die Liebe verwandelte diesen Namen in das deutsche Röschen, obgleich die der spanischen Sprache Mächtigen gern auch Rosita sagten.
   Dieses Glück wurde leider getrübt durch den Gedanken an die Fernen, die noch immer nichts von sich hören ließen. So verging ein Jahr und noch ein zweites, und nun schien es wirklich, daß sie verschollen und unwiderbringlich verloren seien. Auch von Amy Lindsay kam keine Nachricht, obgleich Rosa öfters an sie geschrieben hatte. Da diese Briefe nicht zurückkamen und auch nicht beantwortet wurden, so wußte man sich gar keine Erklärung zu geben.
   Rosa betrachtete sich je länger, desto sicherer als Witwe. Hätte sie Röschen nicht gehabt, so hätte sie den Gram nicht zu überwinden vermocht. Nun aber konzentrierte sich ihre Sorge und die Tätigkeit ihrer Seele auf ihr Kind und auf den alten, leider immer noch wahnsinnigen Vater.
   Otto von Rodenstein hatte sich auch in Rheinswalden niedergelassen und genoß hier an der Seite seiner Flora, der Herzogstochter, ein Glück, das ungetrübt hätte genannt werden müssen, wenn nicht die Teilnahme für Rosa und die Verschwundenen ihren Schatten auf dasselbe geworfen hätte.
   Der Herzog von Olsunna konnte nicht vergessen, daß er durch die Kunst Sternaus, seines jedenfalls echten Sohnes, vom Rand des Grabes hinweggerissen und dem Leben wiedergegeben worden war. Er liebte seine Gemahlin jetzt fast mit dem Feuer einer Jugendliebe und bat Gott Tag und Nacht, zu verhüten, daß sein Sohn verloren gegangen sei.
   Aber je länger die Zeit verging, desto hinfälliger wurde die so krampfhaft festgehaltene Hoffnung. Der Kreis dieser guten, wahrhaft edlen Menschen wurde immer stille und stiller, und selbst, wenn der alte Rodenstein einmal in seiner derben Art und Weise Leben und Bewegung schaffen wollte, so bekam er nur ein schwaches, verzagtes Lächeln zur Belohnung.
   »Das kann nicht länger so fortgehen«, meinte er einmal zum Herzog von Olsunna, als beide still und allein durch den Wald strichen. »Sie sind krank, Hoheit, Ihre Frau, meine gute Sternau, ist krank, alles ist krank, alles läßt die Flügel hängen und will nicht ein leises Flattern versuchen. So wird der Mensch ganz und gar alle, so geht er zu Grabe. Man muß Hilfe suchen, nicht bei einem Doktor und bei einem Apotheker, sondern wo ganz anders. Zerstreuung ist das beste. Wie wäre es mit einer Reise?«
   Der Herzog schüttelte den Kopf.
   »Hier habe ich Ruhe gefunden, hier bleibe ich«, sagte er. – »Und die anderen?« – »Die denken ebenso, ich bin davon überzeugt.« – »Da wäre es also mit meinem Vorschlag nichts«, meinte Rodenstein nachdenklich. »Ließe sich denn nicht etwas anderes finden? Hm! Vielleicht treffe ich es. Also Sie wollen am liebsten hierbleiben?« – »Das ist mein Wunsch.« – »Und die anderen?« – »Sie haben denselben Wunsch. Wir setzten natürlich voraus, daß wir Ihnen nicht beschwerlich fallen.«
   Da blieb der Hauptmann schnell stehen, blickte den Herzog verwundert an, machte sein allergrimmigstes Gesicht und antwortete:
   »Das ist‘s ja eben, Sie fallen mir beschwerlich, ganz außerordentlich beschwerlich. Ich halte es nicht länger aus.« – »Ah! Sie scherzen!« meinte der Herzog lächelnd. – »Ich scherzen! Fällt mir gar nicht ein!« brauste da der Hauptmann auf. »Ich habe da diese viele Menschheit auf dem Hals, muß diese sauren Gesichter sehen. Das geht nicht länger. Ich brauche meinen Platz selbst, habe ihn erst schon gebraucht und brauche ihn jetzt noch viel notwendiger.«
   Der Herzog erschrak fast bei diesen Worten.
   »Aber, mein bester Rodenstein«, bat er, »sagen Sie mir doch, ob dies wirklich Ihr Ernst ist?« – »Mein voller, richtiger, wirklicher Ernst. Ich mag diese trübselige Einquartierung nicht mehr bei mir leiden. Sie wollen hier bleiben, und ich leide es nicht, was bleibt da übrig, Hoheit? Haben Sie Geld?« – »Wenn es an diesem fehlt, so …« – »Pah, ich brauche keins! Ich frage nur, ob Sie Geld haben. Ja oder nein?« – »Ja.« – »Nun gut, so bauen Sie! Mein Nachbar, Baron Hauwald, verkauft. Kaufen Sie ihm seinen Krimskrams ab, er verlangt nicht zu viel. Dann bauen Sie, bauen Sie ein hübsches, nettes Schlößchen, an dem die Damen etwas Neues sehen und ihre Freude haben. Bauen Sie da ein Maleratelier für meinen Sohn und Ihre Flora. Bauen Sie ein kleines Rodriganda für unsere arme, liebe Rosa und ihr Röschen. Das gibt Zerstreuung. Verstehen Sie mich?«
   Da konnte sich der Herzog nicht länger halten. Er streckte dem Hauptmann dankend beide Hände entgegen und rief:
   »Ja, jetzt verstehe ich Sie, Sie lieber, grober Oberförster. Jetzt weiß ich, wie Sie es meinen. Ja, ich werde Ihren Rat befolgen, ich werde kaufen und bauen, und wir wollen sehen, ob es Segen bringt.« – »Es bringt Segen, darauf dürfen Sie sich verlassen!«
   * * *
   Drei Jahre waren seit Röschens Geburt vergangen, da wurde der Grundstein zu dem neuen Schloß gelegt. Der Plan hatte die Teilnahme aller gefunden. Mitten im Park sollte das Schloß von Rodriganda in Miniatur hinkommen.
   Endlich wurde das Schloß fertiggestellt, und der Herzog lud zur Einweihung desselben den Adel der Umgegend ein. Es verstand sich von selbst, daß der Großherzog nebst Gemahlin erschien. Die letztere fuhr mit einigen ihrer Hofdamen etwas vorher, um vorerst nach Klein-Rodriganda zu gehen und ihr liebes Patenkind zu sehen. Da sahen sie etwas Helles durch die Büsche schimmern. Sie traten näher und erblickten Röschen, mit einem aus Tannenreisern und Hageröschen geflochtenen Strauß auf dem Kopf und einer ebensolchen Girlande um den Leib. Kurt kniete vor ihr, um sie zu schmücken. Die beiden Kinder erschraken nicht, als sie die hohe Frau erblickten, sondern traten unbefangen näher.
   »Was spielt ihr da?« fragte die Großherzogin freundlich. – »Weil Röschen jetzt im Wald wohnt, möchte sie gern Waldröschen heißen, und so habe ich sie gerade wie ein Waldröschen geschmückt«
   Da bog sich die Großherzogin, hingerissen von der kindlichen Schönheit des lieblichen Wesens, zu ihr nieder, küßte sie und sagte gerührt:
   »Ja, du sollst Waldröschen heißen, denn du bist so zart und rein, so hold und so schön wie die Blüten, die du trägst. Gott schütze dich, mein Liebling!«
   Seit jener Stunde wurde Röschen Waldröschen genannt. Kurt hatte ihr diesen Namen gegeben, und die Großherzogin hatte ihn bestätigt.
   Am anderen Tag ging Röschen wieder in den Park. Sie suchte Kurt und fand ihn nicht. Darum ging sie weiter. Da endlich sah sie ein kleines Häuschen vor sich, und als sie die Pforte des Staketenzäunchens offen und die Tür der Hütte angelehnt sah, trat sie ein.
   Aber fast hätte sie vor Schreck laut aufgeschrien, denn auf einem Schemel inmitten des engen, niederen Raumes saß zwar der Waldhüter, aber vor ihm auf dem Stuhl eine alte Frau, so häßlich, wie sie noch gar keine gesehen hatte. Sie wollte fliehen, aber Tombi hatte sie bereits bemerkt und winkte sie näher. Da drehte sich auch die Alte nach ihr um, blickte sie scharf an und sagte:
   »Das ist sie! Diese Züge tragen fürstliches und gräfliches Gepräge. Wache über sie, mein Sohn! Ich aber will dem Unglück gebieten, von ihrem reinen Haupt fernzubleiben!«
   Sie trat zu Röschen, legte ihr die Hände wie segnend auf das schöne Lockenköpfchen, und während sich ihre Augen emporrichteten, bewegten sich ihre Lippen wie im Gebet. Das Mädchen hob die Wimpern leise und blickte verstohlen zu der Alten empor. Und als sie dieselbe so warm und innig beten sah, war es ihr, als ob sie jetzt nicht mehr häßlich aussehe, sondern lieb und gut, wenn auch ein wenig alt. Dann nahm die Frau die Hand wieder zurück, beugte sich freundlich herab und fragte:
   »Fürchtest du dich vor mir?« – »Nein«, antwortete Röschen mit zutraulichem Augenaufschlag. – »Das sollst du auch nicht, mein Kind. Merk‘ auf, was ich dir jetzt sage! Ich heiße Zarba und bin der Schutzgeist der Deinen, obgleich sie mich jetzt verkennen. Ich werde euch erscheinen zu der Zeit, die da ist für euch die Stunde des Glücks, für eure Widersacher aber die Stunde der Rache.«
   Das waren für Röschen unverständliche Worte, aber sie gruben sich ihr tief in das kleine Herz hinein, und noch als sie die Hütte verließ, blieb sie am Gartenpförtchen stehen, um nachzudenken, was Zarba, der Schutzgeist, gemeint habe. Die Alte aber stand unter der Tür, beschattete mit der Hand ihre Augen und blickte dem Waldröschen nach, das den Zügen ihres tief ausgewitterten Gesichts einen Abendschein jener Glorie gab, mit der einst die Sonne des Südens ihren glücklichen, damals noch unentweihten Lebensmorgen bestrahlte.
   Und was hatte die einst so schöne Gitana auf das Haupt des Kindes herabgefleht? Wir können es uns denken und werden baldigst erfahren, daß ihr Gebet bei dem allmächtigen Lenker des Geschicks Erhörung fand.