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| Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3
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Karl May
WALDRÖSCHEN X. ERKÄMPFTES GLÜCK. TEIL 3
1. Kapitel
Einige Zeit nach den Ereignissen bei Vater Pirnero saß der alte, brave Haziendero Pedro Arbellez in einer Stube am Fenster und blickte hinaus in die Ebene, auf der seine Herden wieder ruhig weiden konnten, da die kriegerische Bewegung sich nach Süden gezogen hatte.
Arbellez sah wohl aus. Er hatte sich vollständig wieder erholt; doch lag auf seinem Gesicht ein schwermütiger Ernst, der ein Widerschein der Stimmung seiner Tochter war, die sich unglücklich fühlte, weil sie den Geliebten verloren hatte.
Da sah Arbellez eine Anzahl Reiter von Norden her sich nähern. Voran ritten zwei Männer und eine Dame, und hinter diesen folgten etwa ein Dutzend Packpferde, die von drei Männern getrieben wurden.
»Wer mag das sein?« meinte Arbellez zu der alten Marie Hermoyes, die sich bei ihm befand.
»Wir werden es ja sehen«, meinte diese, nun auch hinaus nach der Ebene blickend. »Diese Leute kommen gerade auf die Hazienda zu und werden also wohl hier einkehren.«
Die Reiter, in solche Nähe gekommen, spornten ihre Tiere zu größerer Eile an und ritten bald durch das Tor in den Hof. Man denke sich das Erstaunen des Haziendero, als er Pirnero erkannte, und die Freude Emmas, als sie Resedilla und den Schwarzen Gerard erblickte, den sie ja von dem Fort Guadeloupe her kannte.
Es gab auf der Hazienda eine Aufregung, die sich nur langsam wieder legte, und ein Erzählen und Berichten, das kein Ende nehmen wollte.
Nur einer blieb sich gleich, ohne sich aufregen zu lassen, der Schwarze Gerard nämlich. Kaum war er dem Haziendero vorgestellt worden, so litt es ihn nicht länger in dem Zimmer; er ging hinaus ins Freie. Vor der Tür trat ihm der Doktor Berthold entgegen, der sich mit Doktor Willmann nebst Pepi und Zilli noch auf der Hazienda befand.
»Ah, welche Überraschung!« rief der Arzt »Monsieur Mason. Sie sind also gesund und wohl?« – »Gott sei Dank, ja«, antwortete der Gefragte. »Ich bin mit Pirnero und Resedilla soeben erst hier angekommen.« – »Die beiden sind da?« fragte der Arzt erstaunt. – »Ja.« – »In welcher Angelegenheit?« – »Hm! Ich will es eine Besuchsreise nennen. Pirnero ist ja mit Arbellez verwandt. Da oben gibt es nun eine Menge Szenen, eine Aufregung, ein Fragen und Horchen, daß ich förmlich geflohen bin. Aber, Monsieur, von unseren Bekannten ist ja kein Mensch zu sehen!« – »Wen meinen Sie?« – »Sternau.« – »Ah, der ist verschwunden.« – »Verschwunden? Was soll das heißen? Er ist verreist?« – »Nein. Er ist verschwunden, es muß ihm ein Unfall begegnet sein; das will ich mit diesem Wort sagen. – »So will ich hoffen, daß Sie sich irren.« – »Leider irre ich mich nicht. Sternau ist fort, und die anderen mit ihm, ohne daß wir wissen, wo sie sich befinden.« – »Die anderen? Wen meinen Sie?«
Der Arzt zählte ihm die Namen her.
»Tod und Teufel!« rief Gerard. »Das klingt ja grausig. Kommen Sie, kommen Sie, Monsieur! Wir gehen in den Garten, wo Sie mir alles erzählen werden.«
Der Arzt tat Gerard den Willen und berichtete, was geschehen war, von der Ankunft Donnerpfeils bis zum rätselhaften Verschwinden des alten Grafen.
Gerard hatte zugehört, ohne ein Wort dazu zu sagen. Als der Arzt aber geendet hatte, fragte er:
»Hat man nicht nach dem Grafen geforscht?« – »Natürlich hat man dies getan.« – »Mit welchem Erfolg?« – »Ohne jeden Erfolg.« – »Unmöglich! Hat man keine Spuren entdeckt?« – »Keine!« – »Aber man muß doch irgend etwas gesehen haben – die Tapsen von Menschen und Pferden.« – »Ach! Wer gibt darauf acht!« – »Aber der Graf kann doch nicht zum Fenster hinausgestiegen sein.« – »Man fand sein Fenster verschlossen!« – »Aber die Tür geöffnet?« – »Ja, wie ich glaube.« – »Sonderbar. War denn nicht ein guter Jäger in der Nähe, der die Umgebung hätte absuchen können?« – »Nein. Übrigens war die allgemeine Bestürzung außerordentlich. Jeder war auf das heftigste erschrocken und tat, was er nach seiner Weise für richtig hielt.« – »Hatten sich am Tag vorher nicht verdächtige Leute blicken lassen?« – »Nein.« – »War kein Besuch auf der Hazienda?« – »O doch!« – »Wer war es?« – »Der Sohn des Alkalden, der von Señor Mariano an den Grafen geschickt wurde.« – »Ah, da scheint es licht zu werden.« – »O nein, es wird vielmehr noch dunkler.« – »Wieso?« – »Dieser Bote ist uns auch ein Rätsel gewesen.« – »Das glaube ich«, meinte der Schwarze Gerard in fast mitleidigem Ton. »Was sollte er beim Grafen?« – »Señor Mariano schickte ihn, um sagen zu lassen, daß Josefa gefangen sei und man Pablo Cortejo auch baldigst festnehmen werde.« – »Wer war der Mann?« – »Er sagte, daß er der Sohn des Richters aus Sombrereto sei.« – »Und Ihr habt das geglaubt?« – »Natürlich. Er legitimierte sich ja mit dem Ring von Señor Mariano, den er mitbrachte.« – »Und den er wieder mitnahm?« – »Nein. Don Ferdinando hat ihn behalten. Der Ring ist Hunderttausende wert. Ihr seht also, daß der Mann ehrlich war.« – »Wann ging er wieder fort?« – »Am anderen Morgen.« – »Wer war bei ihm?« – »Kein Mensch. Ich habe ihn fortreiten sehen, es war am hellen Tag.« – »Hm!« brummte der Jäger nachdenklich. »Erlauben Sie! Verzeihen Sie! Das ist eine Sache, die sich keine Sekunde aufschieben läßt.«
Gerard drehte sich rasch um und eilte nach dem Haus zurück.
Dort weilten alle im Empfangszimmer. Pirnero und Resedilla hatten erwartet, Sternau und dessen Freunde auf der Hazienda zu sehen oder wenigstens gute Nachricht über sie zu erhalten. Es war leicht erklärlich, daß beide nach ihnen fragten, und so kam es, daß auch hier im Empfangszimmer dasselbe Thema verhandelt wurde, wie unten im Garten zwischen dem Arzt und Gerard.
Der alte Haziendero hatte eben von dem rätselhaften Verschwinden des Grafen erzählt, und alle hatten seinem Bericht gelauscht, als Gerard eintrat. Er hörte noch die Worte Pedros, der mit der Bemerkung schloß, daß der leibhaftige Teufel hierbei seine Hände im Spiel gehabt haben müsse.
Einige der Hörer schlossen sich diesem Urteil an, keiner aber kam auf den Gedanken, der allein der richtige war. Pirnero meinte sogar zu dem Haziendero:
»Also ihr habt noch nicht entdeckt, wohin der Graf verschwunden ist?« – »Nein. Es wird wohl auch niemand entdecken.« – »Oh, da dürftest du dich irren.« – »Wieso?« – »Weißt du, was ein Diplomat ist?« – »Ja.« – »Und ein Politiker?« – »Ja.« – »Nun also! Vor einem Diplomaten und Politiker bleibt nichts verborgen. Auch diese Sache wird bald an den Tag kommen.« – »Du meinst durch einen Politiker?« fragte Arbellez. – »Ja«, antwortete Pirnero in stolzem Ton. – »Wer sollte das sein?« – »Hm! Ahnst du das nicht?« – »Nicht im geringsten.« – »So bist du eben nicht das, was man einen Diplomaten nennt. Als Juarez bei uns in Fort Guadeloupe war, habe ich ihm höchst wichtige Ratschläge erteilt, er hat sie befolgt und gewinnt nun Schlacht auf Schlacht und Sieg auf Sieg.«
Arbellez machte ein sehr erstauntes Gesicht und sagte:
»Ah, meinst du etwa, aß du selbst…«
Er vollendete den Satz nicht, weil er die Gaben und Eigentümlichkeiten seines Schwagers sehr gut kannte.
»Was denn? So rede doch weiter! Daß ich selbst …« – »Daß du selbst ein Politiker seiest?« – »Ja, dieses meine ich. Oder glaubst du das nicht?« – »Hm! Es müßte bewiesen werden.« – »Oho! Während der Anwesenheit Juarez‘ war ich nahe daran, Gouverneur einer der nördlichsten Provinzen zu werden.« – »Oho!« wiederholte Arbellez denselben Ausruf. – »Ja. Und ich bin auf dem Weg, mexikanischer Oberst zu werden.« – »Was du sagst!« – »Ja. Ich habe euch erzählt, daß ich alles verkauft habe. Ich bin frei und mein eigener Herr. Wir drei, ich, Resedilla und ihr Verlobter, werden große Vergnügungsreisen machen und uns dann in einer Residenz niederlassen, London, Paris oder Pirna. Das kann ich nur im Charakter eines bedeutenden Mannes tun, und darum will ich Oberst werden. Bin ich nicht ein Politiker?« – »Allerdings, nämlich, wenn wirklich alles so ist, wie du sagst.« – »Natürlich.« – »Und so meinst du also, daß du auch unser gegenwärtiges Rätsel lösen wirst?« – »Das versteht sich von selbst. Wer dem Präsidenten Ratschläge erteilt und nun Oberst werden will, dem wird es doch wohl gelingen, den Grafen Rodriganda aufzufinden.« – »Aber wie willst du das anfangen?« – »Da ich es eben erst erfahren habe, so hatte ich noch keine Zeit, es mir zu überlegen, werde aber schleunigst darüber nachdenken, lieber Schwager.«
Da fiel Gerard ein:
»Das ist nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich.« – »Wieso?« – »Unnötig, weil derjenige, der nicht sofort auf das Richtige kommt, es auch durch das schärfste Nachdenken nicht finden wird. Und schädlich, weil man durch das Nachsinnen viele kostbare Zeit verlieren würde, während der man zu handeln hat.« – »Ah, mein Junge, willst du etwa der Politiker sein, der hier gebraucht wird?« – »Ja. Ich bin überzeugt, daß ein echter, findiger Prärieläufer dazu gehört, das gutzumachen, was hier unterlassen worden ist.« – »Unterlassen?« fragte Arbellez. »Ich bin überzeugt, daß wir alles getan haben, was notwendig war, Aufklärung zu erhalten.« – »So? Nun, was habt Ihr denn getan?« – »Nun – hm, alles!« antwortete Arbellez, einigermaßen verlegen. – »Ah, ich sehe, wie es steht. Habt Ihr den Boden unter dem Fenster des Grafen untersucht?« – »Nein. Wozu wäre das nötig gewesen?« – »Der Graf wurde durch das Fenster entführt.« – »Unmöglich.« – »Warum unmöglich?« – »Weil das Fenster von innen verschlossen war.« – »Ja«, meinte Gerard mit einem überlegenen Lächeln. »Es gehört eben ein Jäger dazu, alles zu begreifen und sich alles zusammenzureimen. Wo liegt das Zimmer, in dem der Graf damals schlief?« – »Gleich nebenan.«
Gerard trat an eines der Fenster und untersuchte dasselbe.
»Eure Fenster sind sehr alt. Die Rahmen beginnen zu verwittern. Ist das mit dem Fenster in dem betreffenden Zimmer vielleicht ebenso?« – »Es ist ebenso alt wie diese hier.« – »Das höre ich gern. Wohin führt es?« – »Nach dem Hof.« – »Ist die Stelle des Hofes, die unter demselben liegt, viel betreten?« – »Gar nicht. Es liegen seit einigen Jahren Bausteine und einige Baumstämme da, die ich zur Ausbesserung des Stalles benutzen wollte, aber noch nicht benutzt habe.« – »Ist zwischen diesen Stämmen und Steinen und der Mauer Raum?« – »Ja.« – »Wieviel?« – »Drei Fuß ungefähr.« – »Und niemand kommt dorthin?« – »Kein Mensch.« – »Gut Ihr hättet dort suchen lassen sollen. Spuren nach monatelanger Zeit zu finden, ist nicht wahrscheinlich, aber ich will wenigstens nicht versäumen, nachzusehen. Führt mich doch einmal nach dem Zimmer!«
Gerards sicheres, bestimmtes Auftreten machte Eindruck. Voll der gespanntesten Erwartung begaben sich alle nach dem erwähnten Zimmer, wo Gerard sofort zum Fenster trat, um es zu öffnen und zu untersuchen. Sie folgten jeder seiner Bewegungen mit der größten Aufmerksamkeit. Es waren auch kaum drei Augenblicke vergangen, so zeigte es sich, daß er der richtige Mann sei, zu finden, was er suchte. Er wandte sich zu Arbellez:
»Habt Ihr irgend jemand im Verdacht gehabt, Señor?« – »Nein«, antwortete der Gefragte. – »Hm! Auch den Boten aus Sombrereto nicht?« – »Nein. Wie kann ein Verdacht auf ihn fallen? Er legitimierte sich durch den Ring, den er brachte.« – »Er ritt am hellen Tag wieder fort?« – »Ja, am hellen Morgen.« – »Habt Ihr seitdem aus Sombrereto eine Nachricht erhalten?« – »Von dem Richter oder seinem Sohn nicht.« – »Von wem sonst?« – »Von Lord Lindsay.« – »Ah. Der war ja auf der Hazienda, als der Graf verschwand.« – »Ja, er und Amy, seine Tochter. Sie begaben sich kurze Zeit darauf nach dem Hauptquartier des Juarez, und auf diesem Weg machte der Lord einen Abstecher nach Sombrereto.« – »Mit welchem Resultat?« – »Er ließ mir mitteilen, daß der Richter von Sombrereto weder einen Sohn habe, noch von der Angelegenheit etwas wisse.« – »Das dachte ich mir, aber man muß vorsichtig sein. War der Bote, den er sandte, zuverlässig?« – »Im höchsten Grade, denn es war einer meiner Vaqueros, den der Lord zu diesem Zwecke mitgenommen hatte.« – »Das beweist, daß der Lord klug war und dem vermeintlichen Sohn des Richters gleich von vornherein mißtraut hat.« – »Das hat er allerdings«, meinte die alte Marie Hermoyes. – »Ihr aber nicht?« fragte Gerard. – »Es war ja gar kein Grund dazu«, antwortete Arbellez. – »Auch nun noch nicht?« – »Hm! Das ist eben unbegreiflich. Wir haben ihn kommen und wieder fortreiten sehen, er war allein. Er hat den Ring gleich abgegeben. Wäre er ein schlechter Mensch gewesen, so hätte er denselben behalten, denn der Diamant war ein ganzes Vermögen wert.«
Gerard lächelte still vor sich hin, betrachtete das Fenster noch einmal und erwiderte:
»Auch dieser Fensterrahmen ist ziemlich morsch. Betrachtet Euch doch einmal diese Stelle im untersten Teil des Rahmens.«
Die Anwesenden taten dies und blickten ihn dann hilflos an.
»Nun, was habt Ihr gesehen, Señor Arbellez?« fragte er. – »Einen Strich, eine schmale Vertiefung im Rahmen«, antwortete dieser. – »Wie sieht diese Vertiefung aus?« – »Hm! Als ob man mit einem schmalen, stumpfen Gegenstand auf den Rahmen gedrückt hätte.« – »Nicht genauso«, entgegnete der Jäger. »Hier ist nicht gedrückt worden, sondern hier hat man etwas über den Rahmen gezogen. Seht Euch die Vertiefung genau an! Rührte sie von einem Strick her, so wäre sie glatt. Wie aber findet Ihr sie?« – »Rauh.« – »Ja, sie rührt augenscheinlich von einem Lasso her, der aus verschiedenen Riemen zusammengeflochten war. Dieser Lasso war nicht der eines Jägers, denn er war schlecht und holprig gearbeitet. Weiter! Welche Richtung haben die Holzfasern, die von dem Lasso am Rahmen abgeschliffen wurden?« – »Sie gehen nach außen«, antwortete Arbellez. – »Gut. Das beweist, daß am Lasso eine Last gehangen hat, die man nicht in das Zimmer, sondern aus demselben hinaus und hinunter in den Hof transportiert hat. Kommt mit hinab!«
Gerard verließ den Raum und begab sich in den Hof. Die anderen folgten. Sie begannen das, was er sagte, zu glauben.
»Ein verdammt gescheiter Kerl. Nicht wahr?« fragte Pirnero seinen Schwager leise. – »Es scheint so«, nickte dieser. – Ja, das kommt daher, daß er der Verlobte von Resedilla ist. Kennst du die Abstammung vom Vater auf die Tochter?« – »Nein.« – »Ich werde dir das zur passenden Zeit erklären. Von dieser Abstammung hat natürlich auch der Schwiegersohn seinen Profit. Doch sieh einmal, wie er hier unter den Steinen sucht.«
Gerard war über die Steine und Stämme auf den schmalen Raum gestiegen, der zwischen denselben und der Mauer lag. Er betrachtete jeden Zollbreit des Bodens mit großer Aufmerksamkeit. Da richtete er sich auf. Er mußte etwas gefunden haben, denn in seinem Gesicht machte sich ein Ausdruck der Genugtuung bemerkbar.
»Kommt einmal herüber, Señores und Señoritas«, sagte er. »Aber nehmt Euch in acht, hierher zu treten.«
Er deutete dabei nach der Stelle, die er meinte. Alle folgten seiner Aufforderung, und Gerard fragte:
»Was erblickt Ihr hier am Boden, Señor Arbellez?«
Der Haziendero betrachtete die Stelle genau und antwortete verlegen:
»Hm! Nicht eben sehr viel.« – »Also wenig. Aber was ist das Wenige?« – »Der Boden ist hart von Sand und Lehm; aber da gibt es doch einige Eindrücke.« – »Wieviel? Zählt sie einmal.« – »Eins, zwei drei – vier.« – »Richtig. Aber wovon mögen sie herrühren?«
Arbellez wollte auch scharfsinnig sein. Er betrachtete die Spuren mit der größten Aufmerksamkeit und antwortete dann:
»Mit zwei Instrumenten sind sie hervorgebracht.« – »Zwei Instrumente?« fragte Gerard lächelnd. – »Ja, ein breites und ein schmales, rund geformtes. Das letztere ist tiefer eingedrungen.« – »Hm! Ihr seid nicht weit vom Richtigen entfernt«, bemerkte Gerard. »Das Dach des Hauses springt vor und hält den Regen von dieser Stelle ab, kein Mensch ist hergekommen, und so ist es zu begreifen, daß diese Spuren sich erhalten haben. Freilich sind sie nicht mehr scharf und neu. Aber ich will Euch gleich anschaulich machen, wie sie entstanden sind.«
Er stellte sich aufrecht und blickte empor.
»Nehmen wir an«, fuhr er fort, »es werde da oben an einem Lasso ein Mann herabgelassen, den ich empfangen soll. Ich strecke die Arme nach ihm aus, um ihn zu erfassen. So! Wie stehen meine Füße dabei?« – »Auf den Zehen.« – »Gut. Meine Sohle macht also einen Eindruck in den Boden. Das ist das breite Instrument, von dem Ihr redet, Señor Arbellez. Weiter! Ich halte den Mann gefaßt, den er herabläßt, und bücke mich mit dieser Last langsam nieder, um sie auf die Erde zu legen. Paßt auf! So!«
Er tat, als ob er wirklich eine große Last in den Armen habe, und ahmte die beschriebenen Bewegungen nach. Indem er sich nun langsam bückte, fragte er:
»Seht meine Füße genau an! Welche Stellung haben sie?« – »Ihr kauert auf den Absätzen«, antwortete Arbellez. – »Richtig! Diese Absätze sind das scharfe, runde Instrument, von dem Ihr redet. Nun will ich zur Seite treten. Seht Euch die Spur an! Wird sie in drei oder vier Wochen nicht genau so sein wie die anderen?« – »Wahrhaftig! Gewiß! Sicher!« rief es aus aller Munde. – »Nun seht. Es ist einer zum Grafen gegangen, hat ihn im Schlaf überwältigt und am Lasso in den Hof hinabgelassen. Hier unten haben zwei Männer – denn wir haben die Eindrücke von vier Füßen – die Last in Empfang genommen. Jedenfalls sind noch mehrere dabei tätig gewesen. Der Haupttäter aber war jener Bote aus Sombrereto.«
Eine solche Erklärung hatte keiner erwartet. Sie sahen einander erstaunt an. Endlich meinte Pedro Arbellez:
»Ihr mögt recht haben, Señor Gerard, aber den Boten halte ich doch für unschuldig.« – »Wieso?« lächelte der Jäger. – »Er ging allein fort.« – »Das beweist nichts.« – »Wäre er der Täter, so hätte er sich des Nachts gleich mit den anderen entfernt.« – »Mein lieber Señor Pedro, Ihr betrachtet diese Sache nicht mit dem richtigen Auge. Dieser Bote war ein Schlaukopf. Was hättet Ihr wohl getan, wenn er früh verschwunden gewesen wäre?« – »Hm. Das wäre uns aufgefallen.« – »Richtig! Das hat er zu vermeiden gesucht. Er ist geblieben, um seinen Helfershelfern einen genügenden Vorsprung zu sichern.« – »Mein Gott, das klingt ja allerdings sehr wahrscheinlich. Aber er hat ja den Ring übergeben.« – »Deshalb haltet Ihr ihn für ehrlich?« – »Natürlich.« – »Ei, ei, Señor«, meinte Gerard kopfschüttelnd. »Wem gab er diesen wertvollen Ring?« – »Dem Grafen.« – »Wo ist der Graf?« – »Fort – natürlich!« – »Und der Ring?« – »Donnerwetter! Auch mit ihm fort – natürlich!« – »Nun, seht Ihr noch nichts ein?«
Da begann es im Kopf des guten Haziendero zu tagen.
»Heilige Madonna, ich begreife, was Ihr meint«, rief er. – »Nun?« – »Der Kerl konnte dem Grafen den Ring leicht geben, weil er wußte, daß sie beide wieder in seine Hände fallen würden.« – »Und das ist Euch nicht früher aufgefallen?« – »Wahrhaftig nicht.« – »Unbegreiflich. Selbst auch dann nicht, als Ihr die Nachricht vom Lord aus Sombrereto erhieltet?« – »Selbst dann nicht. Wir glaubten nämlich, daß wir uns verhört, daß wir den Boten falsch verstanden hätten. Es gibt nämlich auch ein Sombrera und ein Ombereto.« – »Daran glaube ich nicht! Übrigens hat sich der Bote einer sehr großen Unvorsichtigkeit schuldig gemacht. Liegt nicht Sombrereto nach Südwest von hier?« – »Ja. Es liegt seitwärts von Santa Jaga.« – »Sind nicht die Spuren von Büffelstirn und den anderen nach Santa Jaga gegangen?« – »Allerdings.« – »Das gibt eine sehr bemerkenswerte Übereinstimmung. Dieser Mensch hat uns, allerdings unwillkürlich und ganz gegen seine Absicht, einen Wink gegeben, nach welcher Richtung hin wir suchen müssen.« – »Gott sei Dank! Endlich gibt es einen Punkt, an den man sich halten kann«, rief der Haziendero.
Resedilla betrachtete den Geliebten mit stolzen Augen. Ihr Vater aber spreizte die Beine weit auseinander und fragte:
»Nun Schwager, glaubst du nun, daß es in Fort Guadeloupe Diplomaten und Politiker gibt?« – »Oh, darüber wollen wir nicht streiten«, antwortete Arbellez. »Nun ist es Hauptsache, sofort Boten auszusenden.« – »Wohin?« fragte Gerard rasch. – »Nach Santa Jaga, nach Sombrereto. Sie müssen die dortige Gegend absuchen.« – »Gemach, lieber Señor, Eure Boten würden alles verderben. Einer genügt.« – »Nur einer?« fragte Arbellez betroffen. – »Ja. Mehrere würden sich untereinander nur irremachen. Sie würden auffallen. Einer aber kann suchen, ohne auffällig zu werden. Natürlich muß es ein Mann sein, der so etwas versteht. Hm! Ich weiß einen, auf den wir uns vollständig verlassen können«, meinte Gerard, indem ein lustiges Lächeln um seine Lippen zuckte. – »Wer ist das?« fragte Arbellez. – »Hier unser guter Señor Pirnero.«
Pirnero warf einen erstaunten Blick auf den Sprecher, faßte sich aber sofort und antwortete:
»Ja, das weiß ich selbst. Gibt es einen, der sich zur Lösung dieser Aufgabe eignet, so bin ich es.« – »Ganz gewiß«, nickte Gerard.
Pirnero nahm eine stolze, siegesgewisse Miene an und fuhr fort:
»Es gehört ein tüchtiger Pfiffikus dazu, der zugleich sehr tapfer ist.« – »Gewiß, lieber Schwiegervater. Darum mache ich den Vorschlag, daß du nach Santa Jaga und Sombrereto reitest, um diese Angelegenheit endlich einmal aufzuklären.«
Da trat Pirnero einen Schritt zurück, streckte alle zehn Finger abwehrend von sich und rief:
»Ich?« – »Natürlich.« – »Ich soll dorthin reiten?« – »Ja.« – »Von wo keiner von ihnen allen wiedergekommen ist?« – »Leider. Doch wir alle sind überzeugt, daß du pfiffig und tapfer genug bist, um wiederzukommen.« – »Das ist ja über alle Zweifel erhaben. Aber, wenn ich nun doch nicht wiederkäme?« – »So würden wir dich suchen.« – »Was würde das mir nützen? Wißt ihr denn nicht, daß ein Feldherr sich stets um der Seinen willen zu schonen hat?« – »Das ist allerdings sehr richtig. Du betrachtest dich hier also als der Feldherr?« – »Natürlich! Ich gebe meine Einwilligung zu eurem Vorschlag und schicke einige Vaqueros nach Santa Jaga.« – »Pah. Das sind die Kerle nicht dazu. Wenn du nicht selbst reitest, so reite ich.« – »Ihr? Du? Nein. Mein Schwiegersohn soll sich nicht abermals in eine solche Gefahr begeben.« – »So halte ich alle die, die wir suchen und die wir so lieb haben, für verloren.« – »Donnerwetter, wirklich?« – Ja.« – »Das ist ja eine ganz verfluchte Geschichte. Sie sollen und müssen gefunden werden; aber ich bin so froh, endlich einmal einen Schwiegersohn zu haben, und nun soll ich gezwungen sein, ihn aufs Spiel zu setzen. Was sagst du dazu, Resedilla?«
Sie alle blickten auf das schöne Mädchen.
»Meine Braut ist gut und tapfer«, warf Gerard ein.
Da reichte sie ihm freudig die Hand und antwortete:
»Ich lasse dich nicht gern fort, Gerard, aber ich weiß, daß du es bist, der das vielleicht zustande bringt. Gehe in Gottes Namen, aber versprich mir, vorsichtig zu sein und dich zu schonen.« – »Habe keine Sorge, mein liebes Kind. Ich gehöre nicht mehr mir allein. Ich habe andere, heilige Verpflichtungen und werde mich sehr bedanken, etwas zu tun, was mir Schaden bringen kann.« – »Das nenne ich reden, als ob es in einem Buch geschrieben wäre«, meinte Pirnero. »Ist Resedilla tapfer, so will ich es auch sein. Gerard mag gehen, aber er darf nicht vergessen, daß er einen Schwiegervater hat, der ihn mit nach New York, Kopenhagen oder Pirna nehmen will. Wann geht es fort?« – »Für heute ist es zu spät«, antwortete Gerard. »Der Abend bricht bald herein. Aber morgen mit dem Frühesten steige ich in den Sattel.« – »Doch aber nicht allein?« – »Hm. Allein ist es mir am liebsten. Aber um euch zu beruhigen, will ich zwei Vaqueros mitnehmen, die euch Nachricht von mir bringen können.«
Somit war diese Angelegenheit geordnet, und der Rest des Tages verlief weniger aufgeregt als die vorherige Zeit.
Natürlich widmete Gerard der Geliebten den größten Teil des Abends, und noch ehe er sich zur Ruhe begab, mußte er ihr versprechen, nicht fortzureiten, bevor er nicht Abschied von ihr genommen habe.
2. Kapitel
In seinem Zimmer angekommen, schritt Gerard noch lange in demselben auf und ab, um nachzudenken, ob es nicht doch vielleicht noch irgend etwas gebe, was bei der Lösung seiner Aufgabe zu berücksichtigen sei. Er hatte sein Licht ausgelöscht und das Fenster geöffnet. Die Sterne blickten herab und spendeten soviel Helle, daß er ihren Strahl dem Talggeruch des Lichtes vorgezogen hatte.
Da war es ihm, als ob er unter sich ein Geräusch vernehme. Dies konnte eine ganz gewöhnliche Ursache haben, aber als Savannenläufer war er gewöhnt, nichts unberücksichtigt zu lassen. Er trat also an das Fenster und blickte hinab.
Aus dem Fenster, das unter dem seinigen lag, stieg ein Mann. Das konnte ein Vaquero sein, der irgendeiner Magd seine Huldigungen dargebracht hatte; aber in diesem Haus war schon zu viel geschehen, als daß Gerard sich mit einer solchen Vermutung hätte begnügen können.
»Halt! Wer ist da unten?« fragte er hinab.
Der Mann antwortete nicht und sprang eilig über den Hof hinüber nach dem Palisadenzaun zu.
»Halt, oder ich schieße!«
Da der Mann auch auf diesen Zuruf nicht hörte, so trat Gerard eilig vom Fenster zurück, um sein stets geladenes Gewehr zu ergreifen.
Der Sternenschein reichte nicht hin, ihm die Gestalt des Verdächtigen noch sehen zu lassen, aber er kannte ja die Richtung, die derselbe nach den Palisaden zu eingeschlagen hatte. Er drückte alle beide Läufe nacheinander ab, doch antwortete kein Schrei. Hätte er Schrot geladen gehabt, so hätte er wohl keinen Fehlschuß getan. Ein tüchtiger Jäger aber schießt nur mit Kugeln, und da ist es nicht möglich, ein so unsicheres Ziel zu treffen.
Seine Schüsse hallten im ganzen Gebäude wider. Aber damit begnügte er sich nicht. Im Nu hatte er die Revolver und das Messer zu sich gesteckt, im Nu war das eine Ende des Lassos an dem Bein des feststehenden Bettes befestigt, ebenso schnell ließ er sich aus dem Fenster hinab in den Hof, und noch war seit seinem zweiten Schuß nicht eine Minute vergangen, so hatte er sich bereits über die Palisaden geschwungen und horchte in die Nacht hinaus, ob irgendein Geräusch zu vernehmen sei.
Da, links von ihm und in gar nicht zu weiter Entfernung, ertönte das Schnauben eines Pferdes. Er zog den Revolver und eilte der Richtung zu. Aber noch ehe er den Platz erreichte, ertönte lautes Pferdegetrappel. Der Mann, den er fangen wollte, galoppierte davon.
Gerard blieb sofort stehen. Jetzt den Ort aufzusuchen, an dem das Pferd gestanden, wäre ein großer Fehler gewesen, denn er hätte mit seinen Füßen die Spuren verwischt, die ihm später von Nutzen sein konnten. Auch kehrte er nicht an derselben Stelle, an der er über die Palisaden gesprungen war, sondern an einer anderen nach dem Hof zurück. Auch hier galt es, die Spuren des unbekannten Mannes zu erhalten.
Die Bewohner der Hazienda waren durch die Schüsse alarmiert worden. Gerard eilte um das Gebäude herum, um den vorderen Eingang zu gewinnen. Dort hatte man bereits Lichter angebrannt. Ein Vaquero kam ihm entgegen.
»Ah, Señor Gerard«, sagte er, »man sucht Euch, man hat Euch vermißt.« – »Wo sind sie?« – »Überall. Man läuft hin und her und weiß nicht, was die Schüsse bedeuten.« – »Wie ruft man die Leute am schnellsten zusammen?« – »An der Tür des Speisesaales hängt eine Glocke. Läutet sie, so werden alle sich dort einstellen!«
Gerard befolgte den Rat und sah einen Bewohner der Hazienda nach dem anderen dort im Saal erscheinen. Die meisten waren mit Lichtern versehen. Auch Resedilla kam. Als sie Gerard erblickte, eilte sie mit einem Freudenruf auf ihn zu:
»Gott sei Dank, daß ich dich sehe! Ich hatte große Angst um dich!« – »Warum?« fragte er sie liebevoll. – »Wir hörten die Schüsse, wir suchten, ich kam in dein Zimmer und fand dein Gewehr. Die Läufe waren leer, und du warst fort. Bist du es, der geschossen hat?« – »Ja.« – »Warum?« – »Sogleich. Warte, bis alle beisammen sind!«
Dies dauerte nicht lange, und dann erzählte Gerard das Ereignis.
»Was für ein Raum liegt unter meinem Zimmer?« fragte er den Haziendero. – »Die Küche«, antwortete dieser. – »Wohnen alle Eure Vaqueros im Haus?« – »O nein. Die meisten kampieren des Nachts bei den Herden.« – »Bleibt eine Magd des Nachts in der Küche?« – »Nein«, antwortete Marie Hermoyes. »Die Küche ist leer und verschlossen. Ich habe den Schlüssel bei mir.« – »War das Fenster geöffnet?« – »Ja, damit die Hitze abziehen könne.« – »Glaubt Ihr, daß irgendein Vaquero des Nachts einsteigen werde, um sich irgend etwas zu holen?« – »Nein. Unsere Vaqueros haben alles, was sie wünschen. Sie brauchen nicht zu stehlen, und ich kenne keinen, den ich für fähig halte, es zu tun.« – »Ich frage nur, um ganz sicher zu gehen und nichts aus dem Auge zu lassen. Es gilt zunächst, zu sehen, ob die Küche noch verschlossen ist.«
Man begab sich in das Parterre, und da ergab sich, daß die Tür nicht geöffnet worden war. Marie Hermoyes wollte öffnen und eintreten, aber Gerard hielt sie zurück.
»Halt!« sagte er. »Wir müssen vorsichtig sein. Wartet hier, Señora Maria. Wir werden erst nach dem Hof gehen, um zu sehen, was dort zu bemerken ist.«
Es wurden Laternen angebrannt. Da durch das Küchenfenster zuweilen Wasser auf den Hof geschüttet wurde, so war unter demselben die Erde erweicht. Als Gerard hinleuchtete, fand er die ganz deutlichen Tapsen eines Mannes, der hier aus und eingestiegen war.
»Es stimmt«, sagte er. »Dieser Mensch ist nicht durch die Tür in die Küche gekommen. Er ist kein Vaquero, denn ein solcher trägt anderes Schuhwerk. Der Mann, von dem diese Spur stammt, hat einen kleinen Fuß und trägt feine Stiefel. Ich werde mir nachher diese Spur auf Papier zeichnen. Man kann nicht wissen, wozu ein solches Modell nützlich ist. Jetzt aber wollen wir in die Küche gehen.«
An der Küchentür angekommen, ließ Gerard öffnen, gebot aber, daß alle an der Tür bleiben sollten. Es galt zu erfahren, was der Mann hier gewollt hatte.
Er trat ein, den anderen voran, und untersuchte jeden Zollbreit des steinernen Bodens, ohne ein Wort zu sagen. Dann leuchtete er in allen Winkeln und auf den Tischen umher und gebot endlich Marie Hermoyes, nachzusehen, ob irgend etwas entwendet sei.
Sie fand alles in der größten Ordnung und sagte:
»Ich begreife nicht, was der Mensch hier gewollt hat. Wir werden das wohl auch nicht erfahren.« – »Oh«, meinte Gerard, »ich hoffe, daß wir es binnen zwei Minuten wissen. Wer ist zuletzt in der Küche gewesen, Señora?« – »Ich.« – »Habt Ihr da vielleicht ein kleines Fläschchen in der Hand gehabt?« – »Nein.« – »Hm. Ist Euch nicht ein Fläschchen bekannt, auf das dieser Stöpsel passen würde?«
Gerard bückte sich nieder und hob einen kleinen Kork empor, der in der unmittelbarsten Nähe des großen Wasserkessels am Boden lag. Marie wollte ihn in die Hand nehmen, um ihn genauer betrachten zu können, er aber sagte:
»Halt! Vorsicht! Man kann in solchen Dingen nie zu vorsichtig sein. Ihr könnt den Stöpsel so auch sehen.« – »Wir haben gar kein derartiges Fläschchen«, entschied Marie. – »Hm!« brummte Gerard nachdenklich vor sich hin, indem er den Kork noch einmal in das Auge faßte. »Dieser Stöpsel ist noch feucht, und der Teil, der durch den Hals des Fläschchens zusammengedrückt wurde, ist trotzdem noch nicht im geringsten aufgeschwollen. Ich wette meinen Kopf, daß dieser Kork noch vor einer halben Stunde in dem Fläschchen gesteckt hat. Der Fremde hat ihn verloren und gar nicht gesucht oder in der Finsternis nicht gefunden.«
»Was sollte er mit dem Fläschchen gemacht haben? Höchst sonderbar«, meinte Arbellez. – »Auch das werden wir hoffentlich erfahren«, antwortete der Jäger im zuversichtlichsten Ton.
Er trat an das Fenster und betrachtete dasselbe.
»Hier ist er eingestiegen«, erklärte er. »Sein Stiefel war mit nasser Erde beschmutzt, wovon ein Teil hier hängenblieb. Ein anderer Teil liegt hier.«
Er leuchtete dabei am Wasserkessel nieder, wo allerdings ein ziemlicher Brocken niedergetretener, nasser Erde lag.
»Was folgt daraus, daß die Erde hier am Kessel liegt, Señor Arbellez?« fragte er. – »Daß der Mann am Kessel gestanden hat«, antwortete der Haziendero. – »Richtig. Auch der Kork lag hier; er hat also hier das Fläschchen geöffnet. Aber wozu? Könnt Ihr Euch das vielleicht denken?« – »Oh, nicht im geringsten.« – »Nun, es sind hier nur zwei Fälle möglich. Erstens, ein fremder Mensch steigt mit einem winzigen, leeren Fläschchen in eine fremde Küche nächtlich ein, um sich am Kessel dasselbe mit Wasser zu füllen. Was sagt Ihr dazu?« – »Das wird niemand einfallen. Draußen fließt Wasser genug.« – »Gut und sehr richtig! Zweitens, ein fremder Kerl steigt während der Nacht heimlich mit einem vollen Fläschchen in eine fremde Küche ein, um dasselbe in den Kessel zu leeren oder auszuschütten! Was sagt Ihr dazu?« – »Bei Gott, das ist das wahrscheinlichere«, antwortete Arbellez. – »Oh, das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern wohl sicher.« – »Aber was mag er in dem Fläschchen gehabt haben?« – »Vielleicht erfahren wir es.« – »Und wozu hat er es in den Kessel ausgeschüttet?« – »Auch das werden wir sehen. Aber kann er etwa einen guten Zweck verfolgt haben?« – »Gewiß nicht.« – »Nun, ich habe das Wasser des Kessels bereits genau betrachtet. Señora Marie, ist etwas Fettiges gestern gekocht worden?« – »Nein«, antwortete die Gefragte. »In diesem Kessel wird nie eine Speise gekocht, er dient nur zur Erwärmung des Wassers, das wir anderweit brauchen. Und gestern ist er gar mit Sand ausgescheuert worden. Dann haben wir ihn mit gutem Quellwasser gefüllt. Das Wasser muß rein sein.« – »Kann es nicht ein wenig fettig sein?« – »Unmöglich.« – »Nun, an einigen Stellen des Randes haben sich Gruppen von winzigen, wasserhellen Fettaugen angesammelt. Die Señores Doktoren mögen näher treten, um sich dies zu betrachten.«
Wilmann und Berthold waren zugegen. Sie traten daraufhin zum Kessel und unterwarfen die Fettaugen einer genauen Betrachtung.
Sie schüttelten die Köpfe, tauschten leise ihre Ansicht aus, und dann fragte Berthold:
»Ist nicht ein wertloser Hund oder eine Katze zu haben?« – »Alle Teufel! Gift?« rief Arbellez, der sogleich begriff, um was es sich handelte. »Holt die alte taube Hündin und zwei Kaninchen herbei.«
Die verlangten Tiere wurden zur Stelle geschafft. Die beiden Ärzte ließen die Fettaugen des Wassers durch ein Stück Brot aufsaugen und gaben dies den Tieren zu fressen. Bereits nach zwei Minuten starben die beiden Kaninchen, ohne ein Zeichen des Schmerzes von sich zu geben, und nach abermals zwei Minuten fiel auch der Hund ganz plötzlich um, gerade so, als ob er umgeworfen worden sei. Er streckte die alten Glieder und war tot, ohne den leisesten Laut des Schmerzes von sich gegeben zu haben.
»Gift! Wirklich Gift!« rief es rundum. – »Ja«, meinte Doktor Berthold. »Aber dieses Gift ist mir unbekannt.« – »Mir auch«, fügte sein Kollege bei. – »Aber ich kenne es«, antwortete Gerard. »Es ist das Öl der fürchterlichen Pflanze, die von den Diggerindianern Klama-bale genannt wird, das heißt, Blatt des Todes. Ich habe die Wirkung dieses Giftes einige Male beobachtet.« – »Herrgott, welch eine Schlechtigkeit!« rief die alte Hermoyes. »Man steigt hier ein, um jemanden unter uns zu vergiften.«
Der Jäger schüttelte sehr ernst den Kopf.
Jemand unter uns?« sagte er. »Irrt Euch nicht, Señora. Wer Gift in den Kessel schüttet, aus dem für alle Wasser genommen wird, der will nicht einen einzelnen, sondern der will alle zugleich vergiften.«
Man kann sich denken, welchen Eindruck diese Worte machten, zumal sich ein jeder sagen mußte, daß Gerard recht habe.
»Wie sehr, wie sehr haben wir Gott zu danken, daß Ihr zu uns gekommen seid«, sagte Arbellez, vor Schreck fast zitternd. »Ohne Euren Scharfsinn wären wir alle morgen tot gewesen.«
Gerard antwortete trocken, ja beinahe vorwurfsvoll:
»Ein wenig von diesem Scharfsinn hätte Don Ferdinando retten können. Ihr aber habt seine Räuber entkommen lassen!« – »Ihr mögt recht haben, Señor! Aber bleiben wir bei der Gegenwart! Wer mag dieser Mensch gewesen sein? Wem mag daran liegen, daß sämtliche Bewohner dieses Hauses während eines Tages zugrunde gehen?«
Gerard zuckte fast mitleidig die Achseln und fragte: »Das ahnt Ihr nicht, Señor?« – »Nein«, lautete die Antwort. – »So denkt doch nur einmal darüber nach! Mir scheint es ganz und gar nicht schwer, das Richtige zu treffen. Seht Ihr denn nicht, daß es auf die Angehörigen der Familie de Rodriganda abgesehen ist?« – »Mein Gott, ja!« rief Arbellez. »Wie war es doch nur möglich, nicht auf diesen Gedanken zu kommen. Aber keiner von uns allen gehört zu dieser Familie.« – »Aber Ihr alle seid in ihre Geheimnisse eingeweiht.« – »Das ist allerdings richtig.« – »Sternau, die beiden Helmers und nach ihnen alle sind verschwunden, die um dieses Geheimnis wissen. Nun sind nur noch die Bewohner der Hazienda übrig. Und sie alle hat man auf einen Schlag mit Hilfe dieses Klama-bale, dieses Totenblattes, beseitigen wollen.« – »Das leuchtet ein. Aber wer mag der Täter sein?« – »Wer anders als Cortejo?« meinte die alte Marie Hermoyes. – »Cortejo«, nickte der Schwarze Gerard. »Cortejo oder eines seiner Werkzeuge. Es ist jedoch auch möglich, daß es nicht ein Verbündeter, sondern gerade ein Feind von ihm ist.« – »Wie wäre das möglich?« – »Hm! Man muß an alles denken. Cortejo scheint viele Werkzeuge zu haben. Um später ihrer Verschwiegenheit sicher zu sein, ist er gezwungen, sie zu opfern. Sind sie nicht ganz dumm, so müssen sie das einsehen, sie müssen vorsichtig sein, sie dürfen ihm nicht trauen. Landola ist sein Hauptverbündeter. Er ist Cortejo überlegen. Sollte er sich alles das, was er weiß, nicht auf die eine oder andere Weise zunutze machen? Kann es nicht noch einen anderen, einen zweiten oder dritten geben, von dem sich dasselbe sagen läßt? Ist es unmöglich, auf irgendeine Weise einen anderen als den Grafen Rodriganda unterzuschieben, wenn Mariano verschwunden ist, und wenn man dafür sorgt, daß auch der jetzige Graf Alfonzo vom Schauplatz tritt?« – »Dieser Gedanke ist ungeheuerlich«, sagte Arbellez. – »Ich will das gar nicht bestreiten«, antwortete Gerard. »Aber für einen Mann, der so viel erlebt hat, gibt es überhaupt nichts Ungeheuerliches mehr. Ich halte mich jetzt zunächst an die Tatsache, daß man die Bewohner der Hazienda vergiften wollte. Den Täter werde ich ergreifen, und er wird beichten müssen.« – »Aber wenn er nichts gesteht?« – »Pah!« antwortete der Jäger mit einer verächtlichen Handbewegung. »Ich möchte den Menschen sehen, der mir etwas verschweigt, wenn ich ihn in das Gebet nehme. Wir Savannenleute haben unsere unfehlbaren Mittel, einen jeden zum Sprechen zu bringen.« – »Und Ihr glaubt also, daß Ihr diesen Menschen in Wirklichkeit ergreifen werdet?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Aber er hat einen großen Vorsprung.« – »Dieser wird ihm nichts nützen. Er bedient sich jetzt desselben Pferdes, mit dem er nach der Hazienda gekommen ist. Es wird ermüdet sein, und ich hoffe doch, daß Ihr mir und den beiden Vaqueros, die mich begleiten werden, frische und schnelle Tiere zur Verfügung stellen könnt.« – »Ihr sollt die besten Pferde erhalten, die ich besitze. Aber vielleicht hilft Euch das gar nichts.« – »Wieso?« – »Wenn der Mann aus der Umgegend ist, so hat er seine Heimat erreicht, ehe Ihr in den Sattel kommt. Was nützt Euch dann die Schnelligkeit Eurer Pferde?«
Gerard schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ihr seid so viel mit Präriejägern zusammengekommen«, antwortete er, »daß Ihr endlich einmal wissen könntet, daß keiner von ihnen einen Mann entkommen läßt, dessen Spur er einmal fand. Von ruhigem Schlaf ist nun doch keine Rede. Ich will mich zum Ritt vorbereiten. Denn wenn der Tag anbricht, suche ich die Fährte.«
Dies geschah. So lange es noch dunkel war, konnte man das Geschehen nur besprechen und sich in allerlei Vermutungen ergehen, aber sobald der Tag zu grauen begann, begab man sich zunächst nach dem Hof unter das Küchenfenster, wo Gerard mit Hilfe eines Papierblattes eine ganz genaue Zeichnung der Fußspur nahm, die dort zu finden war.
Sodann führte er die Freunde in das Freie nach dem Ort, wo er das Schnauben des Pferdes und sodann das Hufgetrappel vernommen hatte. Er brauchte nicht lange zu suchen. Er deutete auf ein Loch im grasigen Erdboden und fragte:
»Was hat dieses Loch zu bedeuten, Señor Arbellez?« – »Es ist hier ein Pferd angepflockt gewesen«, antwortete der alte Haziendero. – »Richtig. Der Mann hat sein Tier angepflockt und nicht angebunden. Er trägt also einen Lassopflock bei sich. Das ist auch ein Erkennungszeichen. Und nun seht Euch einmal diesen Kaktus an.«
Die erwähnte Pflanze stand in unmittelbarer Nähe des Loches, in dem der Pflock gesteckt hatte. Arbellez betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit und sagte:
»Hm! Ich bemerke gar nichts Außergewöhnliches.« – »Wirklich nicht?« – »Nein.« – »Und die anderen?«
Auch diese untersuchten den Kaktus, konnten jedoch auch nichts Auffälliges finden.
»Ja«, lachte Gerard, »ein Jäger sieht doch etwas mehr als ein Haziendero oder Vaquero. Was ist denn das, Señores?«
Er zog etwas von den Stacheln des Kaktus weg.
»Ein Pferdehaar«, meinte Arbellez. – »Ja, aber von welchem Teil des Pferdes?« – »Es ist ein Schwanzhaar.« – »Welche Farbe hat es?«
Arbellez betrachtete es genau und antwortete dann:
»Schwarz, aber von einem Rappen scheint es dennoch nicht zu sein.« – »Da habt Ihr recht«, meinte Gerard. »Es ist weder von einem Rappen, noch von einem Braunen. Es hat ganz die eigentümliche Melierung, die man nur bei dunklen Rotschimmeln trifft. Das Pferd hat mit dem Schwanz um sich geschlagen, und dabei ist dieses Haar an den Kaktusstacheln hängengeblieben. Das Pferd ist ein Rotschimmel. Es hat hier das Gras niedergetreten, aber eine deutliche Spur ist leider nicht zu sehen.« – »Das ist freilich schade«, meinte Arbellez im Ton des Bedauerns. – »Warum?« – »Rotschimmel gibt es viele, ein Irrtum ist also möglich. Hättet Ihr aber ein so genaues Bild von der Hufspur, wie Ihr sie vom Stiefel des Reiters habt, so wäre ein Erkennen leichter.«
Gerard lächelte in seiner ruhigen und doch überlegenen Weise und antwortete:
»So glaubt Ihr, daß ein solches Bild nicht zu bekommen sei?« – »Woher denn?« – »Am Bach dort. Seht, daß er hier links hinübergeritten ist. Er hat über den Bach gemußt, und dort wird sich wohl ein deutlicher Eindruck der Hufe finden lassen.«
Er hatte recht. Sie folgten ihm nach dem Wasser, und als sie dort ankamen, zeigte der weiche Uferboden ganz deutliche Eindrücke, die eine Papierzeichnung gestatteten.
»So!« meinte Gerard. Jetzt habe ich alles beisammen, und nun darf ich auch nicht säumen, aufzubrechen.«
Er begab sich in sein Zimmer zurück, um seine Waffen zu sich zu nehmen. Dort suchte ihn Resedilla auf, um ihm Lebewohl zu sagen. Sie umschlang und küßte ihn, als ob es gelte, auf ewig von ihm zu scheiden.
»Tröste dich, mein Herz!« bat er sie in beruhigendem Ton. »Wir werden uns ja sehr bald wiedersehen.« – »Kannst du das wirklich behaupten, mein Gerard?« – »Ja, Kind«, antwortete er. – »O nein. Weißt du nicht, daß die anderen nicht wiedergekommen sind, obgleich sie ganz dasselbe glaubten wie du?« – »Sie konnten nicht wissen, was ich weiß. Sie suchten Verlorene, ich aber verfolge Verbrecher.«
Es gelang Gerard wirklich, Resedilla zu beruhigen, und auch die anderen hatten ihn so gut kennengelernt, daß ihn ihr ganzes Vertrauen geleitete, als er endlich mit den zwei Vaqueros aus dem Tor ritt.
Er nahm die Spur da auf, wo sie über den Bach führte, und ließ sie keinen Augenblick lang aus den Augen. Selbst da, wo seine Begleiter nicht das mindeste von ihr merkten, zeigte er eine Sicherheit, die sie in Erstaunen setzte.
So ging es in höchster Eile den ganzen Tag hindurch, bis die Nacht hereinbrach und von einer Fährte nichts mehr zu erkennen war.
»Hier werden wir absitzen und übernachten«, sagte er, auf ein kleines Gebüsch deutend, das am Weg lag. – »Wird das kein Fehler sein?« fragte der eine Vaquero. – »Warum ein Fehler?« – »Hier ganz in der Nähe liegt die Estanzia des Señor Marqueso. Da ist der Mann ganz sicher eingekehrt.« – »Meint Ihr? Hm! Ein Mörder kehrt nicht ein, wenn er von dem Schauplatz seines Verbrechens kommt. Es liegt in seinem Interesse, sich von keinem Menschen sehen zu lassen. Übrigens sind wir ihm sehr nahe gekommen.« – »Wie weit?« – »Ich sah vorhin aus der Spur, daß er kaum noch eine Stunde weit vor uns ist. Sein Pferd ist müde. Morgen früh haben wir ihn sicher und fest.«
In dieser Überzeugung streckte Gerard sich in das Gras, um zu schlafen. Am anderen Morgen, bereits bei Tagesgrauen, wurde der Weg fortgesetzt. Die Pferde hatten ausgeruht und flogen munter über die Ebene hin. Da plötzlich hielt Gerard das seinige an.
»Hier hat er angehalten«, sagte er, auf eine vielfach zertretene Rasenstelle deutend. »Wollen sehen!«
Er sprang ab und untersuchte den Boden im Umkreis.
»Donnerwetter!« rief er dann. »Wo liegt die Estanzia, von der Ihr gestern abend redetet?« – »Da rechts drüben hinter den Büschen.« – »Wie weit hat man hin?« – »Zehn Minuten.« – »Er ist zu Fuß hinüber und zu Pferde wieder zurück. Seht, hier hat er seinen Rotschimmel angepflockt gehabt. Ich will doch nicht hoffen, daß er sich von der Estanzia ein Pferd geholt hat.« – »Das wäre verteufelt!« – »Und doch wird es so sein. Er ist zurückgekehrt, um den Rotschimmel vom Lasso zu befreien und ihn laufenzulassen. Hier habt Ihr die Spur dieses Tieres. Sie führt rückwärts. Der Schimmel ist ledig. Und hier haben wir die Fährte des anderen Pferdes, die nach Süden geht, also in der Richtung, die er ursprünglich eingeschlagen hatte. Reitet auf dieser Fährte langsam weiter. Ich muß nach der Estanzia.«
Sie gehorchten. In zehn Minuten sah Gerard das Haus vor sich liegen. Er sprang vom Pferd und trat in das Zimmer. Ein älterer Mann lag in der Hängematte und rauchte eine Zigarette.
»Seid Ihr der Estanziero Señor Marqueso?« fragte Gerard. – »Ja«, antwortete der Mann. – »Habt Ihr gestern ein Pferd verkauft?«
Da fuhr der Mann aus der Hängematte empor und rief: »Verkauft? Nein, das ist mir nicht eingefallen. Aber mein Fuchs muß sich verlaufen haben. Er war heute morgen fort.« – »Verlaufen? Hm! Könnte er nicht gestohlen worden sein?« – »Das ist allerdings möglich. Ihr seht mich allein, weil alle meine Leute ausgeritten sind, ihn zu suchen.« – »War dieser Fuchs ein schnelles Pferd?« – »Es war mein bester Läufer.« – »Verdammt.« – »Warum?« – »Ich verfolge einen Mörder von der Hacienda del Erina her. Er ritt einen müden Rotschimmel, und ich glaubte, ihn heute vormittag zu erreichen. Nun aber hat er Euch den Fuchs genommen, und ich kann …« – »Donnerwetter! Also doch gestohlen?« unterbrach ihn der Mann. – »Ja. Hatte Euer Fuchs irgendein Zeichen?« – »Ein sehr häßliches. Die rechte Hälfte des Maules ist weiß und die linke schwarz.« – »Danke!«
Damit drehte Gerard sich um.
»Halt!« rief der Mexikaner hinter ihm her. »Wollt Ihr mir nicht wenigstens sagen, wo der Rotschimmel zu suchen ist? Dann hätte ich doch einigermaßen Ersatz.« – »Da drüben bei den Büschen findet Ihr die Spur«, antwortete Gerard, die Richtung mit der Hand bezeichnend.
Zugleich sprang er in den Sattel und galoppierte davon.
Er brauchte nicht weit zu reiten, so erblickte er seine beiden Gefährten, die er schnell einholte. Er teilte ihnen mit, was er erfahren hatte, und machte sie darauf aufmerksam, daß es jetzt gelte, die größte Schnelligkeit zu entfalten. Infolgedessen flogen ihre drei Pferde förmlich dahin, aber die Züge Gerard, der die Spur fest im Auge behielt, blieben finster. Es war ihm anzusehen, daß ihre Schnelligkeit seinen Erwartungen nicht entsprach.
»Dieser Mensch ist klüger, als ich vermutete«, sagte er. – »Er hat wohl gar nicht geschlafen?« fragte einer der Vaqueros. – »Nein. Er hat den Fuchs gestohlen und ist unverzüglich weiter. Heute früh hatte er einen Vorsprung von vier Stunden. Wir sind ihm näher gekommen, aber das genügt nicht, um ihn vor Einbruch der Nacht einzuholen.«
Es zeigte sich, daß seine Berechnung richtig war. Der Mittag ging vorüber, und der Nachmittag verflog auch. Gegen Abend, als es bereits dämmerte, näherten sie sich Santa Jaga.
»Ich hoffe nicht, daß der Kerl durch die Stadt reitet«, meinte der Vaquero. – »Warum nicht?« fragte Gerard. – »Weil wir in der Stadt seine Spur nicht sehen können.« – »Pah. Wir können dann desto besser nach ihm fragen. Übrigens glaube ich nicht, daß er durch die Stadt reitet.« – »Sondern um dieselbe herum?« – »Nein.« – »Wie sonst?« – »Er wird bloß hineinreiten, aber nicht hinaus. Ich ahne vielmehr, daß er ein Bewohner der Stadt ist.« – »Ah, das ist möglich.« – »War nicht jene Dame, die Juarez die Schriften schickte, aus Santa Jaga gekommen?« – »Ja.« – »Haben nicht Sternau und die anderen die Richtung nach Santa Jaga eingeschlagen?« – »Allerdings.« – »Nun, so ist es leicht möglich, ja, sogar sehr wahrscheinlich, daß wir hier die Lösung des Rätsels finden.«
Sie jagten weiter. Ungefähr zehn Minuten vor der Stadt trafen sie auf einen Mann, der langsam neben einem schweren Ochsenkarren einherschritt. Gerard grüßte und fragte:
»Wie weit ist es noch bis zur Stadt?« – »Ihr reitet keine Viertelstunde mehr«, antwortete der Mann. – »Seid Ihr dort bekannt?« – »Das will ich meinen. Ich bin dort geboren und wohne dort.«
Gerard hatte die Spur des Wagens fast schon während des ganzen Nachmittags gesehen. Er fragte daher:
»Ihr kommt aus dem Norden?« – »Ja.« – »Sind Euch heute viel Leute begegnet?« – »Kein einziger Mensch.« – »Aber überholt hat Euch ein Reiter?« – »Ein einziger.« – »Kanntet Ihr ihn vielleicht?« – »Hm«, antwortete der Mann, indem er pfiffig mit den Augen blinzelte. »Ja, vielleicht kenne ich ihn.« – »Ihr betont das Wort vielleicht. Weshalb?« – »Nun, weil der Señor jedenfalls nicht wollte, daß ich ihn erkennen sollte.« – »Wirklich? Weshalb denkt Ihr das?« – »Weil er einen Bogen schlug, um aus meiner Nähe zu kommen.« – »Ah! Was für ein Pferd ritt er?« – »Einen Fuchs.« – »Ihr erkanntet ihn also doch?« – »Ja, an seiner Haltung. So wie er auf dem Pferd saß, so sitzt nur ein einziger im Sattel.« – »Und wer ist das?«
Der Karrenführer blinzelte abermals sehr listig mit den Augen und fragte:
»Habt Ihr ein so großes Interesse, dieses zu erfahren?« – »Gar zu groß ist es allerdings nicht.« – »So. Na, Señor, ich bin ein armer Mann, und jeder Dienst ist doch seines Lohnes wert.« – »Da«, antwortete Gerard, indem er in die Tasche griff und jenem eine Silbermünze zuwarf. – »Danke. Nun sollt Ihr auch erfahren, wer es ist.« – »Aber schnell!« – »Schön. Es war kein anderer als Pater Hilario.« – »Wer ist das?« – »Ein Arzt im Kloster della Barbara hier in der Stadt.« – »Ein Arzt? Ah!« nickte Gerard. »Ritt er sehr weit an Euch vorüber?« – »Nicht sehr weit. Das Terrain erlaubte es nicht.« – »Habt Ihr an dem Fuchs nichts bemerkt, woran man ihn wiedererkennen könnte?« – »Ah, Ihr meint nicht den Mann, sondern den Fuchs? Nun, da kann ich Euch die allerbeste Auskunft geben.« – »Wirklich?« – »Ja. Ich kenne das Tier sehr genau. Der Pater muß es erst in den letzten Tagen gekauft haben.« – »Von wem?« – »Von einem Estanziero da draußen.« – »Ihr meint wohl Señor Marqueso?« – »Freilich. Der Fuchs hat eine Blässe, die ihm über die rechte Hälfte des Maules geht.« – »Danke. Gute Nacht!«
Gerard ritt mit seinen Begleitern weiter, in tiefe Gedanken versunken. Ein Pater – ein Arzt, der im Kloster wohnte? Hm! Tausend Gedanken stiegen in ihm auf und nieder. Endlich wandte er sich an seine Begleiter:
»Was ich erfahren habe, ist sehr wichtig. Es bestätigt meine Ansicht, daß der Mörder hier in der Stadt wohnt. Wir werden in einer Venta absteigen und hierbleiben. Das weitere wird sich finden.«
3. Kapitel
Pater Hilario befand sich in der Überzeugung, daß sein mörderischer Anschlag geglückt sei. Er ahnte nicht im geringsten, daß er einen Verfolger hinter sich hatte, und stieg, von dem Ergebnis seines weiten Rittes befriedigt, vor dem Klostertor ab, als das Abenddunkel hereinbrach.
Daß er sich eines fremden Pferdes bemächtigt hatte, machte ihm keine Sorge. Es gab hundert Ausreden für ihn.
Da er einige Tage länger geblieben war, als er vorher bestimmt hatte, so war er von seinem Neffen mit Ungeduld erwartet worden.
»Endlich!« rief dieser, als er zu ihm in das Zimmer trat. »So sage mir doch um aller Welt willen, wo du so lange bleibst!« – »Ja«, antwortete er. »Ich konnte nicht wissen, daß ich drei Nächte um die Hazienda schleichen mußte, ehe ich etwas erreichte.« – »Wie ging es denn?«
Hilario erzählte nun, was er getan hatte. Der Neffe war an Blut und Mord gewöhnt, aber er schüttelte sich doch.
»Brr!« sagte er. »Das ist fürchterlich!« – »Was denn?« fragte der Alte im gleichmütigsten Ton. – »Ein so vielfacher Mord!« – »Pah! Jeder Mensch muß sterben!« – »Aber auf welche Weise!« – »Unsinn! Diese Leute haben den schönsten Tod, den es geben kann. Sie legen sich hin und schlafen schmerzlos ein.« – »Bist du auch sicher, daß keiner übrigbleibt?« – »Von der Familie sicher keiner.« – »Und die anderen, die um das Geheimnis wissen, haben wir ja unten.« – »Einige noch nicht. Wir bekommen sie aber auch.« – »Wann?« – »Baldigst. Die Gelegenheit dazu wird sich mir in Mexiko bieten.« – »Wann wirst du abreisen?« – »Sogleich, nachdem ich gegessen habe.«
Der Neffe macht ein sehr erstauntes Gesicht.
»Sogleich?« fragte er. »Bist du denn nicht müde?« – »Außerordentlich. Aber ich habe drei Tage verloren. Ich muß fort. Reiten kann ich nicht. Ich würde vor Schlaf vom Pferd fallen.« – »So nimmst du wohl die alte Klosterkarosse?« – »Ja. Mache sie bereit und spanne vor dem hinteren Tor an. Es braucht nicht ein jeder zu wissen, daß ich sofort wieder verreise.«
Hilario aß, kleidete sich um und gab dann dem Neffen die Verhaltungsmaßregeln, die er für nötig hielt. Darüber vergingen doch noch einige Stunden, und dann fuhr er heimlich ab.
Sein Neffe horchte dem Wagen nach, so lange er die Räder desselben knarren hören konnte, dann begab er sich in die Stube des Onkels zurück, um sich die Schlüssel zu holen, da er ja die geheimnisvollen Gefangenen bedienen mußte. Auf dem Weg nach dem Studierzimmer des Paters mußte er durch den vorderen Hof. Das Tor desselben stand noch offen. Soeben trat ein Mann herein, der auf ihn zukam.
»Ist der Pater Hilario zu Hause?« fragte er. – »Nein. Ah, Señor, Ihr seid es?«
Als der Mann hörte, daß er erkannt sei, sah er sich auch den Neffen an und sagte dann:
»Ah, du bist es selbst, Manfredo?« – »Ja, Señor.« – »Also dein Oheim ist fort?« – »Ja.« – »Wann?« – »Soeben.« – »Donnerwetter! Warum so spät?« – »Er konnte nicht eher, doch meinte er, daß er noch zur rechten Zeit kommen werde.« – »Das mag sein. Kannst du in sein Zimmer?« – »Ja, ich wohne ja dort, wenn er verreist ist.« – »Laß uns hingehen, aber so, daß uns niemand sieht. Ich habe sehr Wichtiges mit dir zu reden.«
Unterdessen hatte der Schwarze Gerard mit seinen beiden Vaqueros die Stadt erreicht und sich dort nach der besten Venta erkundigt. Sie wurde ihm gezeigt. Er stieg dort ab und fragte den Wirt, ob er hier einen Raum zum Übernachten bekommen könne. Dies wurde ihm bejaht, und er bekam ein Zimmerchen angewiesen, das das beste des Hauses sein sollte, aber schon mehr einem Ziegenstall oder Taubenschlag glich.
Er aß einige Bissen und machte sich dann auf, nach dem Kloster rekognoszieren zu gehen. Er löschte also sein Talglicht aus und öffnete die Tür. Sie traf einen Menschen, der soeben im Dunkeln draußen vorüber wollte.
»Himmeldonnerwetter!« rief der Getroffene. – »Kann nicht dafür«, antwortet er. »Nehmt Euch in acht!« – »Was? Ich in acht? Alle Teufel! Da hast du es!«
Bei diesen Worten erhielt Gerard eine Ohrfeige, daß er meinte, das Feuer springe ihm aus den Augen.
»Hölle und Tod!« rief er. »Mensch, was wagst du?«
Er packte den anderen mit der Linken und gab ihm mit der Rechten eine Ohrfeige, die wenigstens ebenso kräftig war wie diejenige, die er erhalten hatte.
»Was? Mir eine Schelle?« rief der andere. »Da!«
Zugleich erhielt Gerard eine zweite Ohrfeige.
»Und da!« rief auch er.
Sein Gegner erhielt ebenso die zweite. Sie hielten sich fest gepackt. Keiner vermochte den anderen niederzuringen oder sich von ihm loszumachen; aber keiner vermochte auch, des Dunkels wegen, sich des rechten Armes seines Gegners zu bemächtigen. Und da sie beide zu stolz waren, um nach Hilfe zu rufen, so hörte man nur die Ausrufe: »Da! Hier! So! Noch eine! Da ist sie!« und dabei klatschte es herüber und hinüber, daß es eine Art hatte.
Das mochte aufgefallen sein, denn es öffnete sich in der Nähe eine Tür, und es trat ein junger, wie es schien, vornehmer Mann heraus, der in ein reiches, mexikanisches Kostüm gekleidet war und ein Licht in der Hand hielt.
»Was geht hier vor?« fragte er erstaunt, als er die beiden Männer erblickte, die sich mit den linken Fäusten gepackt hielten und mit ihren Rechten in diesem Augenblick zu gleicher Zeit zur Ohrfeige ausholten. – »Oh«, antwortete der andere, »ich will diesem Kerl nur noch seine neunte Maulschelle geben!« – »Und ich diesem Menschen seine zwölfte!« antwortete Gerard. – »Warum denn, Geierschnabel?« fragte der junge Mann erstaunt.
Sein Licht brannte nicht hell genug, darum hatten sich die beiden Kampfhähne nicht sogleich erkannt. Jetzt aber ließ Gerard sofort los und rief:
»Geierschnabel? Was? Ist das möglich?«
Und Geierschnabel drehte seinen Gegner nach dem Licht herum und rief:
»Heiliges Bombenwetter! Da geschehen ja Zeichen und Wunder! Ist es denn möglich, daß ich dich haue?« – »Und daß ich dich ohrfeige!« – »Zwölfe habe ich bekommen!« – »Und ich acht!« – »So habe ich nur elf. Ja, nun weiß ich, warum ich gar nichts machen konnte! Wer so einen Kerl gegen sich hat, der muß froh sein, daß er nicht gleich bei der ersten durch die Mauer fliegt!« – »Du hast dich ebenso tapfer gehalten. Aber wenn ich nicht so lange krank darniedergelegen hätte, wäre es doch noch anders gekommen.« – »Woher kommst du denn?« – »Von del Erina.« – »Ah, von daher!« – »Und du?« – »Aus der Hauptstadt.«
Jetzt mischte sich auch der junge Mann in das Gespräch.
»Wie? Diese Señores kennen sich?« fragte er lachend. – »Ja«, antwortete Geierschnabel. – »Und sind Freunde, trotzdem sie sich ohrfeigen?« – »Dicke Freunde sogar!« – »So darf ich wohl fragen, wer dieser Señor ist und wie Ihr beide dazu kommt, Euch in dieser Weise zu begrüßen.« – »Hölle und Teufel, das ging sehr einfach zu. Er wollte aus seiner Stube treten, eben als ich vorüberging. Da schmiß er mir die Tür gerade an die Nase. Ich gab ihm eine Ohrfeige und er mir eine Maulschelle. Nun wechselten wir ab: Er bekam eine Maulschelle und ich eine Ohrfeige. So haben wir uns amüsiert, bis Sie Licht in die Sache brachten, Señor Kurt. Aber wer es ist, das wollen wir drinnen sagen und nicht hier auf dem Gang, wo ein jeder Lump die Ohren herhalten kann. Komm, Alter!«
Geierschnabel faßte Gerard an und schob ihn in die Stube, aus welcher Kurt getreten war. Nachdem er die Tür sorgfältig verschlossen hatte, zeigte er auf die riesige Gestalt Gerards und fragte den anderen:
»Señor Leutnant, werden Sie vielleicht erraten können, wer dieser famose Kerl da ist?«
Kurt betrachtete sich den Jäger lächelnd und antwortete:
»Mit einiger Unterstützung wird es mir vielleicht möglich sein. Kenne ich den Namen dieses Herrn?« – »Sogar sehr gut.« – »Er sagte, daß er lange krank gelegen habe. Wohl auf Fort Guadeloupe?« – »Ja.« – »Nun, so darf ich mir nur diese Gestalt betrachten, so weiß ich sofort, wer er ist: der Schwarze Gerard. Nicht?« – »Erraten! Ja, erraten! Und nun, Gerard, mache es nach und errate, wer dieser Señor ist.« – »Das bringe ich nicht fertig«, meinte der Jäger. – »O doch!« – »Kenne ich seinen Namen?« – Ja. Du hast ihn sogar schon gesehen.« – »Wo?« – »Seinen Namen kennst du von Señor Sternau, und gesehen hast du ihn in Rheinswalden, als er noch ein Knabe war.« – »Ah! Ihr Name ist Helmers?« – »Ja«, nickte der junge Mann. »Kurt Helmers!« – Himmel! Welch ein Zufall!« – »Zufall? Vielleicht nicht.« – »Was tun Sie hier?« – »Wir suchen unsere Verschollenen.« – »Ich ebenso.« – »Nun, so ist es allerdings kein Zufall, daß wir uns hier treffen. Aber schnell, schnell! Haben Sie eine Spur von ihnen?« – »Ich hoffe es.« – »Wir vielleicht auch. Setzen Sie sich und erzählen Sie!«
So wunderbar eigentlich dieses Zusammentreffen war, es wurde doch kein Wort darüber verloren. Die drei Männer sahen ein, wie kostbar die Zeit sei und daß man keine Minute verlieren dürfe. Darum erzählte Gerard sofort in kurzen, schlichten Worten, was er seit seiner Trennung von den anderen bis auf den gegenwärtigen Augenblick erlebt hatte.
Weit mehr hatten Kurt und Geierschnabel zu erzählen. Sie taten es in einer Weise, daß durch kein überflüssiges Wort Zeit verlorenging.
»Wo sind Grandeprise und der Seemann?« fragte Gerard. – »Sie haben unten einen Raum für sich«, antwortete Kurt. – »Eigentümlich. Ich ziele auf diesen Pater Hilario, und Sie ebenso. Kennen Sie das Kloster?« – »Nein, aber Grandeprise war da.« – »Ich stand soeben im Begriff, zu rekognoszieren.« – »Und ich auch; da stießest du mir die Bretter an die Nase«, antwortete Geierschnabel.
Jetzt öffnete sich die Tür, und Grandeprise trat ein. Er kam, um Geierschnabel zur Rekognoszierung abzuholen, die sie gemeinsam hatten unternehmen wollen, und staunte nicht wenig, den Schwarzen Gerard hier zu sehen. Nachdem ihm das Nötigste erläutert worden war, meinte er:
»Das ist ein glückliches Zusammentreffen. Ein tüchtiger Jäger ist mehr wert, als zehn andere, und es sollte mich wundern, wenn Cortejo und Landola uns zum zweiten Male entgehen sollten.« – »Waret Ihr einmal in dem Zimmer des Paters?« – »Einige Male.« – »Was steht darin?« – »Ein Sofa, einige Stühle, ein Tisch, ein Schreibtisch und mehrere Bücherregale. An den Wänden hängen Bilder und viele alte Schlüssel.« – »Wozu diese Schlüssel?« – »Wer weiß es?« – »Hm! Klöster haben immer verborgene Räume und Gänge. Was für eine Form haben die Schlüssel?« – »Eine altertümliche.« – »So bin ich beinahe überzeugt, daß wir unter dem Kloster finden, was wir suchen.« – »Sie meinen unsere Verschollenen?« fragte Kurt rasch. – »Ja, wenn er sie nicht getötet hat. Aber Cortejo und Landola finden wir jedenfalls dort.« – »Mein Gott! Wenn das wahr wäre!« – »Ich möchte darauf schwören!« – »So dürfen wir keine Zeit versäumen. Warum dieser Pater sich in die Angelegenheiten der Rodrigandas mischt, das wollen wir gar nicht fragen, wir werden es schon noch erfahren. Zunächst müssen wir um jeden Preis erfahren, ob die Gesuchten sich im Kloster befinden.« – »Aber wie?« fragte Grandeprise. »Der Pater wird es uns nicht freiwillig sagen.« – »Er wird es uns sagen«, antwortete Kurt, indem seine Augen entschlossen aufblitzten; »ob freiwillig oder nicht, das ist Nebensache. Wer bewohnt das Kloster?«
Grandeprise konnte Auskunft geben. Er sagte:
»Es sind mehrere Ärzte da, deren Oberer eben der Pater ist. Ein Gebäude ist für körperlich Kranke und ein zweites für Geisteskranke eingerichtet. Ein drittes wurde von Pensionärinnen bewohnt, steht aber nun leer. Die übrigen Gebäude dienen als Wirtschaftsräume. Einige Diener bilden die ganze Bewohnerschaft, außer den Kranken natürlich.« – »So haben wir gar nichts zu befürchten. Wir werden sehen, ob der Pater daheim ist.« – »Auf jeden Fall ist er da«, meinte Gerard. »Er ist kurze Zeit vor mir hier angekommen.« – »Dennoch ist es notwendig, sich zunächst zu überzeugen. Einer von uns muß zu ihm gehen.« – »Das ist richtig«, meinte Gerard. »Ich aber kann es nicht tun.« – »Warum nicht?« – »Er ist auf der Hazienda gewesen, wenn auch heimlich, aber er kann mich dort gesehen haben.« – »Auch ich kann nicht hin«, meinte Grandeprise, »denn er kennt mich.« – »Und ich ebensowenig«, meinte Geierschnabel. »Meine Nase ist zu bekannt im Land.« – »So mag Peters gehen«, entschied Grandeprise. – »Warum Peters?« fragte Kurt. »Eine so wichtige Sache mag ich ihm nicht anvertrauen. Mich kennt der Pater nicht. Ich gehe selbst.« – »Um Gottes willen«, rief Geierschnabel. »In eine solche Gefahr dürfen Sie sich nicht begeben.« – »Ein anderer aber doch? Halten Sie mich für feig?« – »Nein, aber ich will nicht, daß wir uns um Sie zu sorgen haben.« – »Um wen wir uns sorgen, das bleibt sich gleich. Ich verlasse mich lieber auf mich, als auf Peters. Er hat uns als Bote des Kapitäns begleitet. Wichtigeres darf ich ihm nicht anvertrauen.«
Der Schwarze Gerard blickte den jungen Mann wohlgefällig an. Er gab ihm die Hand und sagte:
»Sie haben recht, Monsieur. Ich sehe es Ihnen an, daß Sie ebenso bedächtig und vorsichtig wie mutig sind. Und auf alle Fälle sind ja wir anderen da. Geschehen kann Ihnen nichts. Grandeprise, wie gelangt man in das Zimmer des Paters?« – »Durch das Tor über den Hof hinüber und zur Treppe hinauf liegt die Tür gleich gegenüber. Sämtliche Zimmer des Klosters sind numeriert Es hat die Nummer 25.« – »Wohin gehen die Fenster?« – »Zwei nach einem Seitenhof, eins aber am Giebel heraus, wo wir stehen können.« – »So sind wir sicher, daß Señor Helmers nichts passieren kann. Es gilt, den Pater zu überraschen. Man darf im Hof nicht nach ihm fragen. Man tritt unangemeldet bei ihm ein. Das übrige ergibt sich dann aus den Umständen. Unter dem Fenster stehen wir. Sollte Monsieur Helmers in Gefahr oder Verlegenheit kommen, so braucht er uns nur zu rufen.« – »Das ist auch meine Ansicht«, sagte Kurt. »Wollen wir aufbrechen?« – »Ja, vorwärts«, meinte der Schwarze Gerard. »Zwar habe noch zwei Vaqueros mit, die uns helfen könnten, aber ich bin der Ansicht, daß solche Leute uns eher hinderlich als förderlich sind. Wir vier sind genug. Gehen wir.«
Sie verließen wohlbewaffnet die Venta und stiegen den Klosterberg empor. Als sie oben angekommen waren, hörten sie das Rollen eines Wagens, der um eine Mauerecke bog. Sie traten zur Seite, um nicht bemerkt zu werden, und ahnten nicht, daß in diesem Wagen derjenige saß, den sie suchten, Pater Hilario nämlich.
Dann zeigte Grandeprise ihnen das Fenster, das zum Zimmer des Paters gehörte. Das Tor war offen, und Kurt trat ein. Das betreffende Fenster war erleuchtet, und die drei Jäger blickten unverwandt empor, um beim kleinsten Zeichen bereit zu sein. Da hörten sie nahende Schritte. Sie traten zurück und duckten sich nieder, um nicht gesehen zu werden. Eine Gestalt schritt an ihnen vorüber und huschte in das Tor.
Es war der kleine, dicke Verschwörer, der im Vorderhof Manfredo traf und mit demselben nach dem Zimmer des Paters ging, wie wir bereits wissen.
Vorher aber war Kurt über den Hof geschritten und die Treppe emporgestiegen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Er sah die ihm gegenüberliegende Tür, auf der die Nummer 25 stand und trat ein, ohne anzuklopfen. Es brannte eine Lampe da, aber kein Mensch war zu sehen.
Eine zweite Tür führte nach dem Schlafzimmer des Paters. Kurt vermutete ihn in diesem Raum und öffnete die Tür. Auch hier befand sich niemand. Eben wollte er in das vordere Zimmer zurücktreten, als er draußen die Schritte zweier Personen hörte. Mehr aus plötzlicher Eingebung als aus Berechnung wich er in das Schlafzimmer zurück und zog die Tür desselben zwar an, aber nicht ganz zu. Er war der Meinung, daß der Pater mit irgend jemandem komme. Vielleicht gestattete ihm das Glück, etwas zu belauschen, was ihm von Nutzen sein konnte.
Durch die Spalte, die er gelassen hatte, sah er ein dickes Männchen eintreten und dahinter einen jüngeren Mann, der das Aussehen eines Bediensteten hatte. Nach der Beschreibung, die er sich von der Person des Paters hatte geben lassen, konnte dieser nicht dabeisein.
4. Kapitel
Der Dicke setzte sich behäbig auf einen Stuhl und fragte: »Also dein Oheim ist erst kürzlich fort?« – »Ja«, antwortete Manfredo. – »Weißt du nicht, was ihn so lange aufgehalten hat?« – »Nein.«
Der Kleine warf einen blitzschnellen, stechenden Blick auf den Neffen und fuhr fort:
»Du bist doch der einzige Verwandte des Paters, nicht wahr?« – »Ja, der einzige.« – »Hm! Da sollte man doch meinen, daß er Vertrauen zu dir habe.« – »Das hat er auch.« – »Warum sagt er dir da nicht, was ihn abgehalten hat, meinem Befehl schneller nachzukommen?« – »Weil ich ihn nicht gefragt habe.« – »So! Hm! Weißt du noch, wann ich zum letzten Mal hier war?« – »Ja.« – »Da waren auch zwei Männer aus der Hauptstadt hier?« – Ja«, antwortete der Neffe, der ja eingeweiht war. – »Was wollten sie?« – »Sie suchten Euch, sie wollten Euch arretieren.« – »Also doch! Welch ein Glück, daß ich ihnen entgangen bin! Es waren zwei ganz dumme Kerle. Sind sie wieder hier gewesen?« – »Nein.« – »Das ist ihr Glück. Ich werde dafür sorgen, daß sie gut empfangen werden, falls sie wiederkommen. Und das ist es eben, weshalb ich mit dir reden will. Sind wir allein?« – »Ihr seht es ja.« – »Und niemand kann uns belauschen?« – »Kein Mensch.« – »Nun gut, so sage mir, ob du weißt, weshalb dein Oheim nach der Hauptstadt gereist ist!« – »Er hat es mir gesagt« – »Alle Wetter! So scheint er also doch Vertrauen zu dir zu haben. Und da sehe ich, daß auch ich aufrichtig mit dir reden kann. Sage mir also, welchen Zweck der Pater in Mexiko verfolgt.« – »Er soll dahin wirken, daß der Kaiser nicht mit den Franzosen abzieht.« – »Und warum?« – »Damit Max von Juarez gerichtet und verurteilt werde.« – »Gut. Juarez steht dann als Mörder da und wird allen Kredit verlieren. Auf diese Weise werden wir den Kaiser und auch den Präsidenten los und bekommen die Macht in unsere Hände. Dein Oheim hat die Verhaltungsvorschriften. Er wird diesen Max nicht in Mexiko, sondern in Queretaro treffen. So weit scheint alles gelungen. Aber der Teufel könnte doch sein Spiel haben. Irgendein Zufall kann den Kaiser bestimmen, das Land schleunigst zu verlassen. Man kann ihm sagen, daß er keinen Rückhalt, keinen Beistand und keine Anhänger mehr habe. Da gilt es dann, ihn glauben zu machen, daß man noch in Massen zu ihm hält.« – »Das wird nicht leicht sein.« – »Leicht und schwer, wie man es nimmt. Ich habe die Veranstaltung getroffen, daß der Kaiser erfährt, seine Anhänger hätten sich im Rücken seines ärgsten Feindes, dieses Juarez erhoben, um die kaiserliche Fahne zum Sieg zu führen. Hört Max dies, so bleibt er sicher im Land und ist ebenso sicher verloren. Es werden morgen an einigen Orten Krawalle vorkommen, den Hauptkrawall aber soll es hier in Santa Jaga geben.« – »Hier?« fragte der Neffe überrascht. »Wieso? Hier gibt es ja nur Anhänger des Juarez.« – »Pah! Laß nur mich machen«, meinte der Dicke in überlegenem Ton. »Wir haben eine Schar von zweihundert tapferen Kerlen angeworben, die noch in dieser Nacht nach Santa Jaga kommen werden, um die kaiserliche Fahne zu entfalten.« – »Die Einwohnerschaft wird sie fortjagen.« – »Das wird nicht gelingen. Das Kloster ist zu einer Zeit gebaut worden, in der jedes Haus zugleich Festung sein mußte. Es hat starke, hohe Mauern und gleicht einem Fort. Unsere Leute werden sich im Kloster festsetzen. Was wollen da die Bürger tun?« – »Dann allerdings möchte es gehen«, meinte Manfredo nachdenklich. – »Gerade der Umstand, daß diese Schilderhebung hier stattfindet, wird deinem Oheim beim Kaiser die allerbeste Empfehlung sein.« – »Weiß mein Oheim davon?« – »Nein.« – »Warum?« – »Weil ich selbst noch nichts wußte, als ich zum letzten Male mit ihm sprach. Und heute ist er ja nicht da, so daß ich es ihm sagen könnte. Aber wenn er es in Querétaro hört, hat er bereits meine Instruktionen in den Händen und weiß, was er zu tun hat.« – »Sind es Soldaten, die kommen?« – »Hm! Man könnte sie so nennen. Es sind bewaffnete Leute, denen es ganz gleich ist, wem sie dienen.« – »Wann kommen sie?« – »Heute nacht punkt vier Uhr werden sie unten am Klosterweg eintreffen, und du wirst sie in das Kloster führen, aber so, daß unten im Ort kein Mensch etwas merkt. Wenn der Tag anbricht, weht die kaiserliche Fahne von den Mauern herab, und die Bürger dürfen nicht murren.« – »Wird der Anführer mir folgen?« – Ja. Du sagst ihm das Wort ›Miramara‹ dann weiß er, daß du der richtige bist.« – »Werdet Ihr nicht dabeisein?« – »Nein. Ich habe heute nacht noch einen weiten Ritt in einer ähnlichen Angelegenheit. Du hast doch alles ganz genau verstanden?« – »Ganz genau.« – »Gut. Sei so treu wie dein Oheim, dann wird die Belohnung nicht ausbleiben! Ich will gehen. Hier die Instruktion für den Anführer der Truppen. Du gibst sie ihm, sobald du ihn triffst. Gute Nacht.« – »Ich werde Euch hinunterbegleiten«, meinte der Neffe, indem er die empfangenen Papiere zu sich steckte. – »Warum?« – »Das Tor könnte unterdessen verschlossen worden sein.«
Kaum hatten sie das Zimmer verlassen, so trat Kurt in dasselbe. Er eilte an das Fenster, öffnete es und fragte halblaut hinab:
»Seid ihr hier?« – Ja«, antwortete Gerard. »Was gibt es?« – »Der Pater ist verreist. Alles geht gut. Haltet euch ruhig, bis ihr mich wiederseht! Aber tretet zurück! Es wird jemand kommen.«
Er schloß das Fenster und kehrte in die Schlafstube zurück! Er war überzeugt, diesem Neffen des Paters gewachsen zu sein; jedenfalls hatte er es nur mit diesem zu tun, und er beschloß, kurzen Prozeß mit ihm zu machen.
Nach wenigen Minuten kehrte Manfredo in die Stube zurück. Er schien nachdenklich zu sein und schritt sinnend im Zimmer auf und ab.
»Hm!« hörte Kurt ihn brummen. »Kaiserliche in Santa Jaga. Räuber und Mörder werden es sein, aber ich muß gehorchen. Zuvor will ich zu meinen Gefangenen. Ah! Bin ich nur erst Graf Alfonzo de Rodriganda, so mögen sie in Mexiko einander erwürgen, wie es ihnen beliebt. Mir soll alles gleich sein!«
Kurt erstaunte gewaltig über den Inhalt dieses Selbstgesprächs. Er stand schon im Begriff, aus der Tür zu treten und den Kerl zu packen und zum Geständnis zu bringen; da sah er, daß derselbe einige Schlüssel ergriff, und das brachte ihn auf andere Gedanken.
Manfredo steckte die Schlüssel ein, brannte eine Blendlaterne an und verließ das Zimmer, ohne die Tür desselben zuzuschieben. Sofort trat Kurt ein, riß ein Licht von einem Leuchter, steckte es ein und zog dann sein Messer. Er öffnete so leise wie möglich die Tür und sah Manfredo eine zweite Treppe hinabsteigen. Er drückte die Tür zu und folgte ihm.
Das Licht der Blendlaterne fiel nur vorwärts, darum ging Kurt im dunkelsten Schatten. Aus diesem Grund konnte er sehr leicht an etwas stoßen und dadurch ein verräterisches Geräusch verursachen. Deshalb blieb er einen Augenblick stehen, um seine Stiefel auszuziehen, deren Sporen ihn ohnedies verraten konnten. Dann ging es wieder weiter.
Da Kurt vom Dunkel eingehüllt war, so konnte er sich nahe genug an seinen Vordermann halten, um diesen nicht aus den Augen zu verlieren. Weil es aber doch möglich war, daß der Mexikaner einmal stehenbleiben und sich umdrehen konnte, so hielt Kurt sich für diesen Fall bereit, sich augenblicklich niederzuwerfen, um nicht bemerkt zu werden.
So ging es durch einige Türen, die Manfredo offenließ. Sie schritten durch mehrere feuchte Felsengänge, ohne daß es dem Mexikaner ein einziges Mal eingefallen wäre, sich umzudrehen. Der Gang, in dem sie sich nun befanden, hatte mehrere Türen. Vor einer derselben blieb Manfredo stehen. Er schob zwei starke, eiserne Riegel zurück und öffnete das Schloß mit einem seiner Schlüssel. Dann trat er ein.
War dort ein neuer Gang, oder gab es hinter dieser Tür ein Gefängnis? So fragte sich Kurt. Im ersteren Fall mußte er rasch folgen, im letzteren aber zurückbleiben.
Er horchte. Ah, er hörte sprechen! Diese Tür hatte also einen Kerker verschlossen. Leise schlich er näher. Niemand hörte ihn. Er wagte es, den Kopf ein wenig vorzustrecken und blickte in ein viereckiges Gefängnis, an dessen Mauern mehrere Personen gefesselt waren. Manfredo stand in der Mitte des Raumes und hatte seine Laterne in eine Ecke gestellt. Sie erhellte das Gefängnis so ungenügend, daß es unmöglich war, die Züge der Gefangenen zu erkennen. Manfredo sprach mit einem derselben.
»Es gibt einen Weg, Euch zu retten«, hörte Kurt ihn sagen. —
»Welchen?« fragte eine Stimme aus dem Hintergrund. – »Könnt Ihr das nicht erraten?« – »Nein.« – »Ich will ihn Euch sagen. Ihr wißt, daß dieser Mariano hier Euer wirklicher Neffe ist?« – »Ja.« – »Und daß der jetzige Graf Alfonzo nur der Sohn von Gasparino Cortejo ist?« – »Ja.« – »Nun, so stelle ich zwei Bedingungen. Erfüllt Ihr diese, so seid Ihr alle frei.« – »Wir wollen sie hören.«
Der alte Graf Ferdinando war es, der sprach. Der Neffe des Paters fuhr fort:
»Zunächst erklärt Ihr diesen Alfonzo für einen Betrüger und laßt ihn und seine Verwandten bestrafen.« – »Dazu bin ich natürlich bereit.« – »Sodann aber muß Mariano entsagen, und Ihr erkennt mich als den Knaben an, der geraubt und verwechselt wurde.«
Ein Schweigen des Erstaunens folgte.
»Nun, Antwort!« gebot der Mexikaner. – »Ah«, sagte Don Ferdinando, »so wollt wohl gar Ihr Graf von Rodriganda werden?« – »Ja«, antwortete der Gefragte im Ton der unverschämtesten Offenheit. »Das ist meine Bedingung.« – »Ich gehe niemals darauf ein.« – »So bleibt Ihr gefangen bis an Euer Ende.« – »Gott wird uns erretten.« – »Pah, das kann er nicht. Ich gebe Euch eine halbe Stunde Bedenkzeit, bis ich Euch Brot und Wasser bringe. Sagt Ihr dann nicht ja, so erhaltet Ihr weder Trank noch Speise und müßt elend verschmachten!« – »Gott wird uns rächen!« – »Don Ferdinando, sprecht nicht mit diesem Buben!« klang eine tiefe Stimme von der Seite her.
Es war, als ob Kurt augenblicklich vorstürzen solle. Diese Stimme kannte er. Er hätte sie an jedem Ort, unter allen Verhältnissen wiedererkannt. Es war die Stimme seines einstigen Lehrers, die Stimme Sternaus.
»Was?« rief Manfredo. »Einen Buben nennst du mich? Hier hast du deinen Lohn!«
Er trat zu dem Gefesselten und holte zum Schlag aus, kam aber nicht dazu, denn sein erhobener Arm wurde ergriffen. Er drehte sich im höchsten Grade erschrocken um und sah zwei blitzende Augen und die Mündung eines Revolvers auf sich gerichtet Die Blässe eines tödlichen Schrecks bedeckte sein Gesicht.
»Wer ist das? Was wollt Ihr hier?« fragte er vor Angst stammelnd. – »Das wirst du sogleich hören!« antwortete Kurt. »Nieder mit dir auf die Knie!« – »Wer – wer – was …« wiederholte der Erschrockene. – »Nieder auf die Knie!« wiederholte Kurt.
Und als Manfredo nicht sogleich gehorchte, riß Kurt ihn an dem Arm, den er noch gefaßt hielt, auf den Boden nieder.
»Komm, mein Bursche, wir wollen dich sicher nehmen!«
Bei diesen Worten nahm er sich den Lasso von den Hüften und schlang ihn um den Leib und die Arme des Kerkermeisters. Dieser war mit keiner Waffe versehen; aber selbst wenn er eine solche bei sich gehabt hätte, wäre er doch vor Erstarrung momentan unvermögend gewesen, sie zu gebrauchen. Als er so gebunden war, daß er sich nicht rühren konnte, gab Kurt ihm einen Fußtritt, daß er vollends umstürzte.
Nun aber konnte Kurt sich nicht länger halten. Er holte tief Atem, stieß einen überlauten Jubelruf aus, von dem draußen die Gänge widerhallten, und frohlockte:
»Gott sei Dank! Endlich ist es mir gelungen! Ihr seid frei!« – »Frei?« rief es rundum. »Ist das wahr?« – »Ja und tausendmal ja!« – »Señor, wer seid Ihr?« fragte der alte Ferdinando, der an dieses plötzliche Glück nicht zu glauben vermochte. – »Das werdet Ihr noch erfahren. Nur hinaus aus diesem Loch, aus diesem pestilenzialischen Gestank! Das ist das Allernötigste. Könnt Ihr gehen?« – »Ja«, antwortete Sternau.
Kurt, so jung er war, vermochte es doch über sich, seinem Herzen einstweilen zu gebieten und das zu tun, was der Verstand ihm vorschrieb.
»Wie öffnet man Eure Ketten?« fragte er. – »Dieser Mann hat den kleinen Schlüssel dazu in der Tasche.«
Kurt griff in Manfredos Taschen und fand ein Schlüsselchen. Er eilte von Mann zu Mann in unbeschreiblicher Hast und öffnete die Fesseln, die niederklirrten. Nun wollten sie alle auf ihn stürzen, er aber wehrte sie ab, obgleich ihm die Freudentränen aus den Augen liefen, und rief:
»Noch nicht! Zunächst das Allernötigste. Seid Ihr alle beisammen, oder gibt es woanders noch Leidensgefährten?« – »Wir sind es alle«, antwortete Sternau, der die meiste Kraft besaß, kaltblütig zu bleiben. – »Aber Cortejo und Landola müssen auch hier sein!« – »Sie sind auch hier.« – »Aber nicht gefangen?« – »Gefangen! Alle beide Cortejos, Landola und Josefa Cortejo.« – »Gott sei Dank! Das ist mir zwar ein Rätsel, aber es wird sich aufklären. Folgt mir in eine andere Luft.«
Er nahm dem gefesselten Manfredo alle Schlüssel ab, stieß ihn in die Ecke und ergriff die Laterne. Als er in den Gang trat, folgten ihm die anderen. Er verschloß und verriegelte die Tür und schritt ihnen voran, in der Richtung, aus der er gekommen war. Aber er durfte nur langsam gehen. Einige der Geretteten waren so schwach, daß sie sich kaum aufrecht halten konnten.
Die Luft wurde bei jedem Schritt besser, und im vordersten Keller hielt Kurt endlich an. Er brannte das Licht, das er zu sich gesteckt hatte, an, befestigte es auf einem Balken, und nun war es hell genug, um die Gesichtszüge zu erkennen. Da ergriff Sternau ihn bei der Hand und bat:
»Señor, hier können wir Atem holen. Nun müßt Ihr uns auch sagen, wer Ihr seid.« – Ja, hier sollt Ihr es erfahren«, antwortete Kurt, vor Aufregung beinahe schluchzend. »Aber einer soll es zuerst erfahren, vor allen anderen!«
Er zog einen der bärtigen Männer nach dem anderen in den Kreis der Lichter und betrachtete sie. Als er des Steuermanns Hände in den seinigen hatte, fragte er ihn:
»Werden Sie stark genug sein, alles zu hören?« – Ja«, antwortete dieser. – »So will ich Ihnen leise sagen, wer ich bin. Aber Sie müssen es noch verschweigen, denn die anderen sollen es erraten.«
Kurt schlang die Arme um ihn, näherte seinen Mund dem Ohr des Seemannes und wollte ganz leise flüstern: »Mein Vater!« Aber er brachte es nicht fertig. Als er die abgemagerte Gestalt seines Vaters in den Armen hielt, konnte er nicht an sich halten, sondern rief laut und schluchzend:
»Väter! Mein lieber, lieber Vater!«
Er drückte ihn an sich und küßte ihn auf Mund, Stirn und Wangen. Er bemerkte nicht, daß er vorher spanisch gesprochen, die letzten Worte aber in deutscher Sprache ausgerufen hatte.
Der Steuermann konnte nicht antworten. Er lag ohnmächtig in seinen Armen. Auch die anderen waren vor Entzücken und Bewunderung stumm. Sternau war der erste, der sich faßte.
»Kurt! Ist‘s wahr? Du bist Kurt Helmers?« fragte er bewegt. – »Ja, ja, Herr Doktor, ich bin es«, entgegnete Kurt, indem er seinen Vater langsam und vorsichtig zur Erde gleiten ließ und in die geöffneten Arme Sternaus flog. – »Mein Gott, welch ein Glück, welch eine Gnade!« rief nun der letztere. »Ich will nicht fragen, wie du uns fandest, wie es dir gelang, uns zu retten. Nur eins will ich wissen: Wie steht es in Rheinswalden?« – »Gut, gut! Sie leben alle, alle.« – »Meine Frau?« – »Ja.« – »Mein Kind, meine Tochter?« – »Ja.« – »Meine Mutter und Schwester?« – »Alle, alle!«
Da sank der gewaltige Mann, der sich am stärksten und kräftigsten erhalten hatte, in die Knie, faltete die Hände und betete:
»Herrgott im Himmel, zum zweiten Mal gerettet! Wenn ich das vergesse, so magst du meiner vergessen, wenn meine sterbende Hand an der Tür deines Himmels um Einlaß klopft.«
Da fühlte sich Kurt abermals von zwei Armen umfaßt.
»Ah, bist du Onkel Donnerpfeil?« – »Ja, mein lieber, lieber Neffe.«
Aus diesen Händen ging der junge Mann in andere. Jeder wollte ihn umarmen und küssen. Er mußte schließlich Sternau um Beistand bitten, diese Szenen zu beenden.
»Allein bist du unmöglich hier«, sagte dieser. – »Im Kloster ganz allein, draußen aber stehen meine Kameraden.« – »Wer sind sie?« – »Der Schwarze Gerard, Geierschnabel und der Jäger Grandeprise. Kommt, Ihr Herren, kommt heraus! Noch sind wir nicht völlig sicher. Man weiß nicht, ob dieser Teufel von Pater noch Helfershelfer hat. Wir wollen gehen, aber so wenig wie möglich Geräusch verursachen.«
Seinen Vater am rechten Arm, ergriff Kurt mit der Linken die Laterne und schritt voran. Die anderen folgten langsam. Den Schluß bildete Sternau mit dem Licht. Er, der immer an alles dachte, hatte die Schlüssel an sich genommen und verschloß jede Tür hinter sich, durch die sie kamen.
Sie gelangten in die Wohnung des Paters. Es war spät geworden. Man war im Kloster schlafen gegangen, und da die Krankenwärter, die zu wachen hatten, sich in einem anderen Gebäude befanden, so hatten die Erretteten ihren Aufenthalt erreicht, ohne daß sie gesehen worden waren.
Hier brannte eine helle Lampe. Kurt brannte zum Überfluß noch eine an, und nun konnte man sich deutlich sehen. Die Begrüßungen und Fragen begannen von neuem.
»Später, später«, wehrte Kurt ab. »Señor Sternau wird mir recht geben, daß wir zunächst auf unsere Sicherheit bedacht sein müssen.« – »Ganz recht«, antwortete der Genannte. »Wo sind die drei braven Jäger, die draußen stehen?« – »Ich werde sie rufen.«
Bei diesen Worten trat Kurt an das Fenster und öffnete es.
»Gerard!« rief er halblaut hinab. – »Hier, Monsieur!« – »Ist unten etwas vorgekommen?« – »Nein. Wie aber steht es oben?« – »Gut. Werfen Sie mir Ihren Lasso zu.« – »Warum?« – »Sie drei sollen an demselben heraufsteigen. Die anderen Wege werden verschlossen sein.« – »Haben Sie den Ihrigen nicht mehr?« – »Nein.«
Gerard warf, und Kurt fing den Lasso auf. Als er ihn gehörig befestigt hatte, kamen die drei nacheinander durch das Fenster. Sie waren nicht wenig erstaunt, eine so zahlreiche Gesellschaft zu finden.
»Donnerwetter!« meinte Geierschnabel, indem er den Mund weit aufriß. »Das sind sie ja!« – Ja, das sind wir«, antwortete Sternau. »Wir schulden Euch unendlichen Dank, daß Ihr Euch unserer angenommen habt.« – »Unsinn. Aber zum Teufel, wie hat dieser junge Mann denn das eigentlich fertiggebracht?« – »Das hören Sie später«, meinte Kurt. »Sie sollen hierbleiben und für die Sicherheit dieser Herren, die noch unbewaffnet sind, sorgen. Herr Doktor, meinen Sie, daß noch andere Bewohner des Klosters mit dem Pater im Komplott sind?« – »Außer seinem Neffen wohl keiner«, antwortete Sternau. – »Werde es gleich sehen.«
Bei diesen Worten eilte Kurt zur Tür hinaus, ohne sich durch die ängstlichen Zurufe der anderen zurückhalten zu lassen.
5. Kapitel
Zur Treppe hinunter kam Kurt in den Hof, dessen vorderes Tor verschlossen worden war. Beim Laternenschein sah er ein zweites Tor, das in einen anderen Hof führte. Er ging dahin und erblickte ein Gebäude vor sich, in dessen Parterre ein Fenster erleuchtet war. An der Tür des Zimmers, zu dem dieses Fenster gehörte, las er die Inschrift »Meldezimmer«. Er trat ein und wurde von dem darin sitzenden Wärter erschrocken angestarrt.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wie kommen Sie hierher?« fragte dieser, indem er aufsprang. – »Erschrecken Sie nicht«, antwortete er. »Ich komme in der friedlichsten Absicht. Ich befinde mich bei Manfredo, dem Neffen des Paters Hilario. Wer hat in Abwesenheit dieses letzteren Kranke zu behandeln?« – »Der zweite und dritte Arzt.« – »Wie heißt der zweite?« – »Menuccio.« – »Er schläft?« – »Ja.« – »Wecken Sie ihn augenblicklich.« – »Ist es notwendig? Sonst darf ich nicht.« – »Äußerst notwendig.« – »Wen soll ich melden?« – »Einen fremden Offizier.«
Der Mann ging und kam erst nach einer Weile wieder, um Kurt zu dem Arzt zu führen. Dieser befand sich im Schlafrock und empfing ihn nicht mit freundlicher Miene.
»Ist es so gefährlich, daß Sie mich im Schlaf stören?« fragte er. – »Ja, sehr gefährlich, besonders für Sie«, antwortete Kurt. – »Für mich? Señor, ich bin nicht zum Scherz aufgelegt!« – »Ich ebensowenig. Ich komme, um Sie zu einer ganzen Zahl von Patienten zu bitten.« – »Darin sehe ich doch keine Gefahr für mich.« – »Und doch ist es so. Sagen Sie, ob Ihnen das geheimnisvolle und verbrecherische Treiben des Paters Hilario ganz unbekannt ist.« – »Señor, wer sind Sie, daß Sie es wagen, von Verbrechen zu reden?« – »Ich habe das Recht dazu. Vor einiger Zeit verschwand eine Zahl teils gewöhnlicher, teils hochgestellter Personen, zwei Grafen Rodriganda, ein Herzog von Olsunna und andere. Ich wurde beauftragt, nach ihnen zu forschen, und fand sie vor einer Stunde als Gefangene in den unterirdischen Löchern dieses Klosters. Wissen Sie etwas davon?«
Der Arzt machte ein Gesicht, als ob er zu Stein geworden sei.
»Träume ich denn?« fragte er. – »Sie träumen nicht, sondern Sie wachen. Pater Hilario hat diese Señores ins Kloster gelockt und sie heimtückisch eingeschlossen. In den letzten Tagen war er sogar auf der Hacienda del Erina, um sämtliche Bewohner derselben zu vergiften.«
Der Arzt wußte wirklich nicht, was er sagen sollte.
»Ich träume«, stieß er abermals hervor. – »Ich wiederhole, daß Sie wachen. Ich habe die Gefangenen befreit. Die Gefangenschaft in jenen Löchern hat ihre Gesundheit im höchsten Grade angegriffen. Sie bedürfen Ihrer Hilfe, und ich fordere Sie auf, mir nach des Paters Wohnung zu folgen, wo jene sich einstweilen befinden.«
Der Arzt schüttelte noch immer den Kopf.
»Señor, es handelt sich nicht um einen Scherz?« fragt er. – »Es ist mein bitterer Ernst.« – »Ich werde Sie begleiten, um mich zu überzeugen.«
Der Arzt kleidete sich schnell an und folgte Kurt. Sein Staunen vergrößerte sich, anstatt sich zu vermindern, als er die zahlreiche Versammlung erblickte, zu der er gebracht wurde.
»Hier ist zunächst ein Arzt«, meldete Kurt. »Wir bedürfen eines größeren Zimmers und stärkender Speisen und Getränke.«
Der Heilkünstler befand sich noch wie im Traum. Aber als er Don Ferdinando erblickte, der todesmatt auf dem Sofa lag, begann er an die Wirklichkeit zu glauben. Er hatte den Grafen früher in Mexiko gesehen und erkannte ihn sofort wieder, trotzdem derselbe sich sehr verändert hatte.
Die Anwesenden hatten selbst den Zusammenhang ihrer Rettung noch nicht vollständig erfahren, darum mußte der Arzt sich mit kurzen Mitteilungen begnügen, aber dies reichte hin, ihn zu überzeugen, daß es seine unbedingte Pflicht sei, hier einzugreifen.
Die Gesellschaft wurde nach einem kleinen hübschen Salon versetzt, wo bald ein jeder erhielt, was notwendig war, ein Bad, frische Wäsche, reinliche Kleider anstatt der halb vom Leib gefaulten, stärkenden Wein und eine Mahlzeit, wie sie in den Räumen des Krankenhauses wohl noch selten verzehrt worden war.
Die Geretteten dachten indes wenig an ihre körperliche Schwäche. Sie wollten vor allen Dingen erfahren, was draußen geschehen sei. Jeder hatte unzählige Fragen, und selbst der Kleine André wandte sich an Kurt:
»Also Sie stammen aus Rheinswalden?« – »Ja, freilich.« – »Und kennen Sie dort wohl alle Leute?« – »Alle.« – »Kennen Sie einen Jägerburschen, der Ludwig Straubenberger heißt?« – »O freilich. Er ist der Liebling des Oberförsters.« – »Herr, der ist mein Bruder.« – »Das hat mir Geierschnabel bereits erzählt!« – »So lebt Ludwig noch?« – »Der?« meinte Geierschnabel. »Oh, wenn den die lieben Engel doch schon hätten!« – »Warum?« fragte André, indem er Miene machte, zornig zu werden. – »Weil er mich arretiert hat.« – »Arretiert? Als was?« – »Als Wilddieb, Piraten und Giftmischer. Aber er hat mich doch noch laufenlassen müssen.«
Während Geierschnabel sein kleines Abenteuer erzählte, fragte der Steuermann seinen Sohn:
»Vor allen Dingen eins, Kurt! Die Mutter lebt?« – »Ja. Sie ist auch gesund und wohl, obgleich sie sich sehr gehärmt und gegrämt hat.« – »Und du, was bist du denn eigentlich geworden?« – »Rate einmal!« – »Hm. Señor Sternau hat dir zur weiteren Ausbildung gefehlt, und deinen Anteil vom Schatz aus der Königshöhle hast du auch erhalten?« – »Ja, wenn auch etwas spät.« – »Nun, so bist du reich; du hast auf eine Stellung verzichtet?« – »O nein. Ich bin doch etwas, nämlich Offizier, geworden«, lächelte Kurt.
Da rötete sich das Gesicht des Steuermanns vor Freude. Sternau ergriff Kurts Hand und meinte:
»Das ist brav. Du hast Urlaub?« – »Ja.« – »Wo dienst du?« – »Ich stehe in Berlin und bin als Oberleutnant der Gardehusaren zum Generalstab kommandiert.« – »Alle Wetter! Ich gratuliere.«
Der Vater umarmte den Sohn vor Freude, und nun begann das eigentliche Erzählen und Berichten, das so lange dauerte, bis völlige Klarheit herrschte. Da erhob sich Sternau von seinem Stuhl und sagte:
»Meine Freunde, wir dürfen noch nicht ruhen, es gibt für uns zu tun. Da ich der kräftigste bin, werde ich mich mit Kurt von Euch auf kurze Zeit verabschieden.«
Die Unglücksgefährten ahnten, was Sternau vorhatte; aber sie waren durch die erlittenen Qualen und durch die gegenwärtige Aufregung geschwächt worden. Büffelstirn und Bärenherz wollten mitgehen; er aber bat sie, zu bleiben. Zwei allerdings ließen sich nicht zurückweisen, Grandeprise und Geierschnabel.
Diese vier begaben sich, nachdem sie sich mit Waffen und Licht versehen hatten, wieder hinab in die unterirdischen Gänge, wo sie Manfredo aufsuchten. Er war so fest geschnürt, daß er sich aus seiner Ecke nicht hatte fortbewegen können. Da Sternau von allem unterrichtet war, so leitete er das Verhör.
»Mensch«, sagte er, »du bist nicht wert, daß ich dich zertrete, aber vielleicht läßt sich dein Schicksal doch noch mildern, wenn du mir meine Fragen aufrichtig beantwortest.«
Manfredo war im Grunde genommen feig. Er sah, daß sein Spiel verloren sei, und darum suchte er sich zu entschuldigen.
»Ich bin nicht schuld, Señor, gar nicht«, wimmerte er. – »Wer denn?« – »Mein Oheim. Ich mußte ihm gehorchen.« – »Das entschuldigt dich nicht Ich will aber sehen, ob du ein aufrichtiges Geständnis ablegst. Warum nahmt Ihr uns gefangen?« – »Weil ich Graf von Rodriganda werden sollte.« – »Welch ein Wahnsinn? Dein Oheim hätte uns später getötet?« – »Ja.« – »Wo sind die Sachen, die ihr uns abgenommen habt?« – »Die habe ich noch. Nur die Pferde sind verkauft.« – »Du wirst uns nachher alles wiedergeben. Weißt du, wo die Cortejos und Landola stecken?« – Ja. Dieser Señor hat mir den Schlüssel zu ihrem Kerker mit den anderen weggenommen.« – »Wir haben ihn, und du wirst uns die vier Personen zeigen. Kennst du sämtliche unterirdische Gänge und Gewölbe dieses Klosters?« – »Alle.« – »Wer hat sie dir gezeigt?« – »Mein Oheim. Er hat einen Plan dieser Gewölbe.« – »Weißt du, wo dieser Plan sich befindet?« – Ja, im Schreibtisch.« – »Du wirst ihn uns zeigen. Gibt es heimliche Ausgänge aus diesen Gewölben?« – »Ihr meint in das Freie?« – »Ja.« – »Es gibt nur einen solchen!« – »Wo mündet er?« – »In einem Steinbruch, östlich von der Stadt« – »Du wirst uns dahinführen. Wo ist dein Oheim?« – »Er ist nach Mexiko oder Querétaro.« – »Zu wem?« – »Zu dem Kaiser.« – »Was will er da?« – »Ich – ich weiß es nicht.«
Manfredo log. Er dachte, daß sein Oheim ihn vielleicht doch noch retten könne, wenn es ihm gelang, seine politische Aufgabe zu erfüllen. Sternau durchschaute ihn, darum sagte er:
»Glaube nicht, daß du mich betrügst. Je weniger aufrichtig du bist, desto schlimmer wird dein Los. Was will dein Oheim beim Kaiser?« – »Er will ihn abhalten, Mexiko zu verlassen.«
– »Den Grund weiß ich bereits. Wer ist der dicke Mensch, mit dem du heute abend gesprochen hast?«
Manfredo erschrak. Also auch das war verraten.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. – »Man empfängt niemand bei sich, den man nicht kennt.« – »Ich kenne ihn wirklich nicht. Er kommt zuweilen zum Oheim, um ihm Befehle zu bringen.«
– »Von wem?« – »Von der geheimen Regierung.« – »Aus welchen Personen besteht diese?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wo hat sie ihren Sitz?« – »Auch das ist mir unbekannt.« – »Hm! Empfängt dein Oheim geheime Papiere?«
Manfredo zögerte mit der Antwort.
»Wenn du nicht redest«, drohte Sternau, »werde ich dich so lange prügeln lassen, bis du die Sprache findest. Ich frage dich, ob er geheime Papiere bekommt?« – »Ja.« – »Hebt er sie auf?«
– »Ja.« – »Wo?« – »In einer verborgenen Zelle.« – »Kennst du sie?« – »Ja.« – »Du wirst uns auch dahin führen. Steh auf, und zeige uns, wo die Cortejos stecken!«
Sternau lockerte dem Gefangenen die Beinfesseln so weit, daß derselbe langsam gehen konnte.
»Zunächst werde ich die Instruktion zu mir nehmen, die dieser gute Neffe eines noch besseren Onkels heute von dem Dicken empfangen hat«, meinte Kurt.
Er zog ihm die Papiere aus der Tasche und steckte sie in die seinige. Dann verließen sie das Gefängnis und wurden von Manfredo zu der Tür geführt, hinter der ihre Feinde steckten.
6. Kapitel
Kurt öffnete. Der Schein des Lichtes drang in den dunklen Raum, in dem vier gefesselte Gestalten zu erkennen waren.
»Kommst du, um uns herauszulassen?« fragte einer heisere Stimme.
Es war die Gasparino Cortejos, der glaubte, daß Manfredo käme.
»Herauslassen? Dich, Schurke?« rief Grandeprise, indem er Sternau die Laterne aus der Hand nahm und eintrat. Cortejo starrte ihn an.
»Grandeprise!« stöhnte er. – »Ja, Grandeprise bin ich, und endlich habe ich dich und meinen teuren Bruder! Oh, dieses Mal lasse ich mich nicht täuschen, dieses Mal sollt Ihr nicht entkommen.« – »Wie kommt Ihr hierher?« fragte Gasparino. »Hat der Pater Euch an Manfredos Stelle zum Kerkermeister gemacht? Laßt uns fliehen, und ich belohne Euch mit einer Million Dollar.« – »Mit einer Million? Wicht! Kein Pfennig ist dein Eigentum. Es wird dir alles genommen werden, selbst dein armseliges Leben.« – »Weshalb? Ich habe nichts getan.« – »Nichts, Schurke? Frage den hier!«
Grandeprise ließ das Licht der Laterne auf Sternau fallen, der hinter ihm eingetreten war. Cortejo erkannte diesen.
»Sternau!« knirschte er.
Da begannen auch sein Bruder und seine Nichte sich zu regen. Sie drehten sich um und blickten Sternau an.
»Er ist frei«, rief Josefa kreischend. – »So hat der Teufel uns betrogen«, meinte Landola, indem er einen fürchterlichen Fluch hinzufügte. – »Ja, er hat euch betrogen«, antwortete Sternau, »und Gott hat sein Gericht bereits begonnen. Ihr werdet das Loch nur verlassen, um verhört und bestraft zu werden.« – »Pah!« hohnlachte Landola. »Wer zwingt uns, zu gestehen?« – »Wir brauchen euer armseliges Geständnis nicht. Ihr seid bereits überwiesen. Aber ich würde wohl ein Mittel kennen, euch alle zum Reden zu bringen. Hast du es vergessen, Gasparino Cortejo?«
Dieser antwortete nicht.
»Ich werde es dir ins Gedächtnis zurückrufen«, sagte Sternau.
»Weißt du noch, als ich dich anschnallen und kitzeln ließ, weil ich deinen Geifer zu einem Gegengift brauchte?«
Es ging Cortejo eiskalt über den Körper.
»Graf Emanuel lebt«, fuhr Sternau fort, »aber er ist noch wahnsinnig von dem Gift, das ihr ihm gegeben. Ich brauche Gegengift. Macht euch gefaßt! Ich nehme es mir von keinem anderen Menschen als von euch.«
Damit verließ Sternau mit Grandeprise das Gefängnis und schloß es wieder zu.
»Jetzt sollst du uns zunächst den Plan dieser Gewölbe und Gänge zeigen«, sagte er darauf zu Manfredo, und sie begaben sich nach der Stube des Paters zurück, in dessen Schreibtisch sie den Plan fanden. Wer denselben zur Hand hatte, bedurfte keines Führers, so labyrinthisch die einzelnen Teile auch ineinanderflossen, das sah Sternau sofort.
Nun wollte er die geheimen Schriften des Paters sehen. Er wurde von dem Gefangenen nach der Zelle geführt, in der Señorita Emilia ihre Abschriften genommen hatte. Er blickte die vorhandenen Skripturen oberflächlich durch und untersuchte sodann die Koffer und Kisten. Dabei entdeckte er die Meßgewänder und heiligen Gefäße, die Emilia nicht angerührt hatte, obwohl dieselben ein Vermögen von mehreren Millionen präsentierten.
Sternau sah die Juwelen flimmern und fragte:
»Wem gehört das?« – »Meinem Onkel!« antwortete der Gefangene. – »Ah! Ihm? Woher hat er es?« – »Vom Kloster.« – »Er hat es gewiß geschenkt erhalten?« – »Nein. Er hat es einfach genommen und aufbewahrt. Das Kloster ging ein, da hatte das Zeug keinen Herrn mehr.« – »Schön! Es wird den richtigen finden. Jetzt wollen wir den Gang sehen, der ins Freie führt.«
Auch hier mußte Manfredo gehorchen. In Zeit von zehn Minuten standen sie vor dem geheimen Ausgang, der durch einen Haufen scheinbar zufällig hierher gekommener Steintrümmer maskiert wurde. Es genügte das Fortwälzen von drei oder vier Blöcken, um ein so großes Loch freizulegen, daß ein Mann ganz bequem eintreten konnte.
»Wie herrlich wird das passen!« meinte Kurt zu Sternau, jedoch in deutscher Sprache, um von Manfredo nicht verstanden zu werden. – »Was?« fragte der Doktor. – »Ich meine diesen geheimen Eingang in Beziehung zu den zweihundert Soldaten, die Punkt vier Uhr kommen sollen.« – »Ich verstehe dich. Glaubst du, daß ich diesen Gedanken gehabt habe?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Warum?« – »Weil Sie diesen Menschen nach einem verborgenen Ausgang fragten, nachdem wir von der erwarteten Einquartierung gesprochen hatten.« – »Das stimmt! Wo sollte er sie treffen?« – »Unten, wo der Klosterweg beginnt.« – »Es soll hier eine Demonstration vorgenommen werden, und zwar, um den Kaiser zu verleiten, Mexiko nicht zu verlassen. Wir müssen das hindern, sowohl des Kaisers, als auch Juarez‘ wegen.« – »Auch der Bewohner dieses Städtchens wegen, denn die sogenannten Soldaten, die kommen werden, sind jedenfalls nur zusammengetrommelte Räuber und Plünderer.« – »Das steht zu erwarten. Wie aber werden wir das fertigbringen? Ziehen wir die Stadtbewohner, um Hilfe zu haben, in das Geheimnis?« – »Da würden wir uns der Gefahr aussetzen, verraten zu werden.« – »Leider. Wir müssen allein fertig zu werden suchen. Bist du gewillt, an Stelle des Gefangenen hier die heimlich eintreffenden Truppen zu empfangen?« – »Natürlich!« – »Es kann das aber gefährlich sein.« – »Pah! Ich habe nicht gelernt, mich zu fürchten.« – »Schön! Sie werden aber denken, durch das Tor nach dem Kloster geführt zu werden.« – »Ich werde ihnen sagen, daß der Plan einigermaßen verraten zu sein scheine und daß Juarez einen kleinen Truppenteil gesandt habe, um das Kloster zu besetzen.« – »Schön! Sie werden also einsehen, daß sie ohne Kampf nicht durch das Tor gelangen können.« – »Und daß sie klüger tun, mir durch einen geheimen Eingang zu folgen, in welchem Fall es ihnen leicht sein würde, die Besatzung zu überrumpeln.« – »Ich bin darauf gefaßt, daß sie dir folgen werden. Aber wie wird es uns gelingen, sie zu überwältigen?« – »Wir schließen sie ein.« – »Pah, sie sind bewaffnet. Sie schießen die Türen kaputt! Wir müssen ihnen auf irgendeine Weise die Waffen abzunehmen suchen.« – »Mit Gewalt geht das nicht.« – »Hm!« meinte Kurt nachdenklich. »Da fällt mir ja ein, wie dieser Pater Hilario seine Gefangenen entwaffnet hat.« – »Du meinst das Pulver, mit welchem er uns die Besinnung nahm?« – »Ja.« – »Das wird sich bei einer so großen Anzahl wohl nicht verwenden lassen.« – »Warum nicht? Die Hauptsache ist, solches Pulver zu haben. Ich setze den Fall, wir kommen in einen Gang, der durch zwei Türen verschlossen ist und eine solche Länge hat, daß er gefüllt ist, wenn zweihundert Mann hintereinander herschreiten. Am Boden hat man, so lang der Gang ist, einen Strich dieses Pulvers geschüttet. Ich gehe voran, Sie hinterher, die Kerle aber zwischen uns. Wenn ich die vordere Tür erreiche, sind Sie zur hinteren eingetreten. Wir bücken uns und brennen das Pulver an; die Flamme läuft in einem Augenblick durch den ganzen Gang. Sie springen durch Ihre Tür zurück, ich zu der meinigen vor; wir verriegeln sie, und diese Kerle werden alle ohnmächtig.« – »Hm«, meinte Sternau nachdenklich. »Die Ausführung dieses Planes wäre möglich. Aber haben wir Pulver?«
Und sich zu Manfredo wendend, fragte er:
»Wer fertigte das Pulver an, mit dessen Hilfe Ihr uns verteidigungslos gemacht habt?« – »Mein Oheim.« – »Kennst du die Zusammensetzung desselben?« – »Nein.« – »Wird es durch Nässe verdorben?« – »Nein. Es brennt naß ebensogut wie trocken. Wir haben es in einem dumpfen Keller stehen, es zieht viel Feuchtigkeit an, hat aber noch niemals versagt.« – »So brennt es ebenso leicht wie Schießpulver?« – »Noch leichter.« – »Habt ihr davon Vorrat?« – »Ein kleines Fäßchen voll.« – »Zeige es uns!«
Sie kehrten zurück. Indem sie durch einen der Gänge schritten, meinte Sternau zu Kurt:
»Dieser Gang dürfte gerade die geeignete Länge haben.« – »Er wird zweihundert Personen fassen. Wenn ich da vorn die Tür erreicht hätte, müßte ich warten, bis Sie mir durch ein Zeichen zu verstehen geben, daß Sie eingetreten und bereit sind.« – »Ich würde ganz einfach so tun, als ob ich dir etwas zu sagen hätte, und laut deinen Namen rufen.« – »Das heißt nicht meinen richtigen.« – »Nein, sondern den Namen Manfredo, da sie dich für den Neffen des Paters halten.« – »Was aber geschieht, wenn es glückt, mit ihren Pferden? Denn Reiter kommen auf alle Fälle.« – »Sie werden die Tiere unter Aufsicht einiger Kameraden zurücklassen, und für diese letzteren sind wir jedenfalls Männer genug.« – »Richtig! Das wäre also abgemacht! Nun zunächst das Pulver sehen.«
Manfredo führte die Herren in ein kleines, niedriges Kellerchen, wo ein Fäßchen stand, das ungefähr fünfzehn Liter Inhalt zu fassen vermochte. Es war noch halb voll Pulver. Das letztere war sehr feinkörnig, vollständig geruchlos und hatte eine dunkelbraune Farbe.
»Wollen es probieren«, meinte Sternau, nahm eine kleine Quantität und kehrte eine Strecke zurück, wo er das Pulver auf eine sehr feuchte Stelle des Bodens fallen ließ. Dann putzte er das Licht und ließ eine kleine Schnuppe auf die Stelle niederfallen. Im Nu zuckte eine gelbblaue Flamme empor, und in demselben Augenblick verbreitete sich ein Geruch, der sie zur schleunigsten Flucht zwang.
»Es wird gelingen«, meinte Sternau. »Wir sind hier unten fertig. Kehren wir zu den Freunden zurück!«
Manfredo wurde in seine Zelle zurückgebracht und dort eingeschlossen; die vier Männer aber gingen hinauf, natürlich alle Türen sorgfältig hinter sich verschließend. Oben wandte Sternau sich an Geierschnabel:
»Sie kommen, wie ich hörte, aus der Hauptstadt?« – »Ja.« – »Wo hat Juarez sein Hauptquartier?« – »In Zacatecas.« – »Aber die Ortschaften nördlich dieser Stadt sind auch von seinen Truppen besetzt?« – »Natürlich!« – »Welches ist der nächste Ort von hier, wo Soldaten des Präsidenten zu finden sind?« – »Nombre de Dios.« – »Wie weit ist dies von hier?« – »Ein guter Reiter erreicht es in vier Stunden.« – »Würden Sie in der Nacht den Weg hin finden?« – »Donnerwetter! Geierschnabel und den Weg nicht finden! Das wäre ja ebenso schlimm, als wenn das Primchen den Mund nicht finden würde.« – »Wollen Sie den Ritter unternehmen?« – »Ja. Ah, wohl wegen der zweihundert Kerle, die da unten angeräuchert werden sollen?« – »Ja«, antwortete Sternau. »Sie sagen dem Platzkommandanten, was Sie wissen, und bitten ihn um eine hinreichende Anzahl Soldaten, denen wir unsere Gefangenen übergeben können.« – »Schön! Werde am Vormittag zurück sein.« – »Aber, ob man Ihnen glauben wird?« – »Sicher! Ich bin ja mit Señor Kurt durch den Ort gekommen, und wir haben den Kommandanten besucht. Er kennt mich persönlich.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Er war mit dabei, nämlich bei Juarez, als dieser am Rio Grande auf Lord Lindsay stieß. Damals war er nur Leutnant, jetzt ist er bereits Major. In diesem gesegneten Land avanciert man sehr schnell.« – »Es scheint allerdings so. Soll ich Ihnen einen Mann mitgeben?« – »Wozu?« – »Man weiß nicht, was passieren kann, und ich möchte die Botschaft ganz sicher wissen.« – »Pah! Bei Geierschnabel ist sie sicher. Ich gehe nach der Venta zu meinem Pferd. In zehn Minuten bin ich unterwegs.« Er ging.
Sternau hatte nun den anderen zu berichten, was er unter dem Kloster gesehen und gefunden. Man kann sich denken, mit welcher Spannung alle seinem Bericht folgten. Als er erwähnte, daß er im Begriff stehe, eine ganze Schar Soldaten zu fangen, wollte fast jeder dabeisein, aber er schlug alle Anerbietungen mit der Bemerkung ab, daß es auffallen müsse, wenn sich viele Personen zeigen würden.
Der Hauptheld des Abends aber war und blieb doch Kurt. Sein Vater und Oheim konnten sich nicht satt an ihm sehen; er hatte nur zu erzählen, und wenn eine Frage beantwortet war, so gab es deren für diese eine gleich zehn andere, die ebenso beantwortet werden mußten.
Es war eigentümlich, daß, außer Don Ferdinando, der im Bett lag, die anderen sich verhältnismäßig wohl fühlten. Die Freude über ihre Rettung schien alle Folgen ihrer Gefangenschaft beseitigt zu haben. Man war fröhlich, munter, teilweise sogar ausgelassen und dankte das in nicht geringem Grade auch der Aufmerksamkeit, die ihnen von dem Personal des Hauses erwiesen wurde.
Es war diesen Leuten fast unmöglich, an das Geschehene zu glauben. Sie wußten natürlich, daß eine gerichtliche, strenge Untersuchung die Folge sein werde, und taten alles Mögliche, um zu zeigen, wie fern sie den Taten des verbrecherischen Paters gestanden hatten.
So verging die Nacht, und es nahte die vierte Stunde. Da machte sich Sternau auf, um sich ganz allein nach den unterirdischen Gängen zu begeben. Es blieb ihm Zeit genug, das Pulver zu streuen. Eine volle halbe Stunde später brach Kurt auf.
7. Kapitel
Kurt schlich sich durch das geöffnete Klostertor und schritt den Weg hinab. Unten angekommen, war es ihm, als ob er ein leises Waffengeklirr vernehme. Er blieb also stehen und horchte aufmerksam in das Dunkel hinein. Da rief es so nahe neben ihm, daß er fast erschrocken zusammenfuhr:
»Halt! Werda?« – »Gut Freund«, antwortete er. – »Die Losung?« – »Miramara!« – »Gut! Du bist der richtige. Komm!«
Kurt wurde beim Arm gepackt und eine ziemliche Strecke vom Weg seitwärts abgeführt. Dort sah er trotz der Dunkelheit zahlreiche Männer und Pferde stehen. Eine Gestalt trat ihnen entgegen und fragte:
»Ist er da?« – Ja, hier«, antwortete der Mann, der Kurt geführt hatte. – »Wer bist du?« fragte die Gestalt. – »Ich hoffe, daß Ihr es bereits wißt«, antwortete der Gefragte. – »Allerdings. Ich frage nur der Sicherheit wegen.« – »Mein Name ist Manfredo.« – »Verwandt mit …« – »Neffe des Paters Hilario.« – »Das stimmt. Ist oben das Tor offen?« – »Nein.« – »Donnerwetter! Warum nicht?« – Ich würde schön ankommen, wenn ich es öffnen wollte!« – »Bei wem denn?« – »Beim Kommandanten.« – »Ist denn ein Kommandant da oben?« – »Natürlich.« – »Aber davon wurde mir ja gar nichts gesagt!« – »Das läßt sich denken. Die Kerle sind ja erst seit Mitternacht dort oben.« – »Welche Kerle?« – »Nun, die Republikaner.« – »Alle Wetter! Leute des Juarez?« – Ja.« – »Wie viele?« – »Fünfzig Mann.« – »Was wollen sie denn im Kloster?« – »Hm. Ob sie Wind bekommen haben? Der Anführer fragte nämlich in einem höhnischen Ton, ob wir vielleicht heute nacht Besucht erwarteten.« – »Ah! Sie haben eine Ahnung. Aber sein Hohn soll ihm schlecht bekommen. Wir werden hinaufreiten und die Kerle zusammenhauen.« – »Wenn das nur ginge, Señor.« – »Warum soll das nicht gehen?« – »Könnt Ihr durch die Mauern oder durch verschlossene Tore reiten?« – »Das nicht; aber wir können verschlossene Tore aufsprengen.« – »Und sich vorher von denen, die dahinter stehen, erschießen lassen.« – »Pah! Es sind nur fünfzig Mann!« – »Aber diese fünfzig Mann hinter Mauern sind mehr zu fürchten als die zehnfache Zahl im offenen Feld.« – »Das ist wahr. Verdammt! Ich habe Befehl, mich des Klosters auf alle Fälle zu bemächtigen.« – »Und ich habe den Befehl, Euch auf alle Fälle hinzubringen.« – »Das ist nun doch nicht möglich.« – »Warum nicht?« – »So gibt es wohl eine Pforte, die nicht besetzt oder bewacht ist?« – »Das nicht. Aber diese klugen Republikaner haben vergessen, daß alte Klöster geheime, unterirdische Gänge zu haben pflegen.« – »Alle Teufel! Gibt es hier einen?« – »Ja.« – »Ist er gefährlich?« – »Ganz und gar nicht. Ihr kommt durch denselben in das Innere des Klosters, ohne von einem einzigen Menschen bemerkt zu werden. Die Republikaner kampieren im Hof und Garten.«
Der Anführer stieß ein kurzes, befriedigtes Lachen aus.
»Welch eine Überraschung«, meinte er, »wenn es Tag wird, und sie sehen uns als Herren des Platzes, den sie verteidigen sollen! Wo ist der geheime Eingang?« – »Gar nicht weit von hier, da links hinüber.« – »Aber wir brauchen Laternen.« – »Nur zwei, und die sind vorhanden.« – »So führe uns! Aber was wird mit den Pferden?« – »Laßt einige Leute hier bei ihnen. Wenn ich Euch an Ort und Stelle gebracht habe, kehre ich zurück und bringe sie an einen sicheren Ort.«
Der Anführer hegte nicht das mindeste Mißtrauen. Er handelte ganz nach Kurts Vorschlägen.
Als die lange Kolonne in den Steinbruch kam, tönte ihnen ein Halt entgegen.
»Guter Freund«, antwortete Kurt. – »Die Losung?« – »Miramara.« – »Alles in Ordnung!« – »Donner und Doria! Wer ist das?« fragte der Anführer. – »Ein Kamerad von mir. Wir müssen doch wenigstens zweie sein, um Euch zu führen.« – »Hm. Ist der Kerl sicher?« – »Das seht Ihr aus dem Umstand, daß er die Losung kennt.« – »Mag sein. Wo ist der Eingang?« – »Hier«, antwortete Sternau, indem er in das Loch trat und die Blendlaterne öffnete, um ihren Schein auf die Umgebung fallen zu lassen. Eine zweite Laterne reichte er Kurt hin. – »Wer geht voran?« fragte der Offizier. – »Ich«, meinte Kurt. – »Und dieser da hinterher?« – »Ja.« – »Da haben wir zu wenig Licht; aber es ist zu spät, dies abzuändern. Vorwärts also!«
Kurt stellte sich an die Spitze und betrat den Gang. Der Anführer folgte gleich hinter ihm. Langsamen Schrittes setzte sich der Zug, einer hinter dem anderen, in Bewegung, aus einem Gang in den anderen.
Nach kurzer Zeit wurde derjenige erreicht, wo die Explosion vor sich gehen sollte. Kurt hatte ihn schon ganz durchschritten und stand an der Tür, die Sternau offengelassen hatte. Nur noch ein Schritt, so hatte er den Gang hinter sich, und es war ihm möglich, das Pulver anzubrennen. Daß dies an der rechten Seite des Ganges hart an die Mauer gestreut werden solle, hatte er mit Sternau ausgemacht.
Dieser letztere war jedenfalls noch zurück und hatte, hinter dem Zug hergehend, den Gang noch gar nicht erreicht. Um Zeit zu gewinnen, hielt Kurt das Windloch seiner Laterne zu, und sofort verlöschte dieselbe.
»Donnerwetter! Was machst du denn?« fragte der Offizier. – »Nichts. Ich bin nicht schuld«, antwortete Kurt, »Es kam ein Zug durch die Tür her.« – »Hast du Hölzer?« – Ja.« – »So brenne wieder an.«
Kurt kauerte sich nieder, als ob das Licht sich in dieser Stellung besser anbrennen lasse und strich das Hölzchen an. Beim Aufflackern desselben erkannte er deutlich den Pulverstrich, den Sternau gestreut hatte.
»Manfredo«, rief es glücklicherweise in diesem Augenblick von hinten her. – »Ja«, antwortete er.
Zugleich hielt er die Flamme des Hölzchens an das Pulver. Ein blaugelber Blitz zuckte von den beiden Enden des Ganges nach dem Mittelpunkt zu. Kurt sprang zur Tür hinaus, warf dieselbe zu und schob die Riegel vor. Dann erst brannte er die Laterne wieder an und lauschte.
Er hörte hinter der Tür ein wirres Rufen und Fluchen, es folgte ein vielstimmiges Ächzen, das nach und nach verstummte, und dann ward es still. Das Pulver hatte seine Wirkung getan.
Jetzt eilte Kurt nach oben, um Hilfe zu holen. Grandeprise, Gerard, André, die Indianerhäuptlinge, kurz alle außer Don Ferdinando, der zu schwach war, folgten ihm. Sie mußten sich, an Ort und Stelle angelangt, in vorsichtiger Entfernung halten, um, als Kurt die Tür öffnete, von dem Geruch nicht erreicht zu werden. Nach einiger Zeit jedoch hatte sich derselbe so weit verflüchtigt, daß man zu den Gefangenen konnte.
»Kurt«, rief es von hinten.
Es war Sternau, der die Laternen da vorn gesehen hatte. »Ja«, antwortete der Angerufene. – »Gelungen bei dir?« – »Ja.« – »Dann schnell entwaffnen und sie wieder einschließen.« Dies wurde in aller Eile besorgt, während Sternau von seiner Seite beschäftigt war, den Eingang im Steinbruch wieder zu maskieren. Als er zu den anderen kam, waren diese fertig.
»Das ist ein Streich«, meinte der Kleine André. »Den werden diese Kerle gewiß nie vergessen.« – »Wir sind noch nicht fertig«, entgegnete Sternau. »Wo hat man die Pferde gelassen?« – »Unten, unweit des Weges«, antwortete Kurt. – »Wie viele Männer sind bei ihnen?« – »Da es dunkel war, konnte ich sie nicht zählen.« – »Viele können es nicht sein. Wir werden es mit ihnen kurz machen.« – »Sie überfallen?« fragte Andre. – »Ja.« – »Ich würde einfacher verfahren«, meinte Kurt. – »Wie?« – »Ich gehe hinab zu den Wärtern und sage, daß wir glücklich im Kloster angekommen sind und die Republikaner überwältigt haben.« – »Du denkst, sie werden dir mit den Pferden folgen und uns so von selbst in die Hände laufen?« – »Ja.« – »Hm. Möglich wäre es, daß sie dumm genug sind. Mit unseren Kavalleriepferden brächten sie es nicht fertig; die mexikanischen Tiere aber folgen wie die Pudel, wenn sie einmal eingeritten sind. Versuche es!«
Nach kurzer Zeit verließ Kurt das Kloster durch das Tor und schritt, laut pfeifend, den Weg hinab. Unten angekommen, bog er nach der Stelle ab, wo er die Pferde wußte.
»Na, da bin ich endlich«, meinte er in übermütigem Ton. – »Kerl, was fällt dir ein«, antwortete einer der Leute. – »Was denn?« – »So laut zu pfeifen.« – »Warum soll ich das nicht?« – »Du machst ja die Republikaner droben auf uns aufmerksam.« – »Fällt mir nicht ein.« – »Sie müssen es doch hören.« – »Pah! Die hören mein Pfeifen nicht. Sie stecken alle im Keller.« – »Was? Wie? Ist es wahr?« – »Natürlich. Wir haben sie ausgezeichnet überrumpelt. Sie ahnten nichts und waren entwaffnet, ehe sie Widerstand zu leisten vermochten.« – »Das ist gut. Hurra, das ist gut! Hört Ihr es, Ihr anderen?«
Diese kamen herbei und jubelten mit, als sie die freudige Botschaft hörten. Einer fragte:
»Was tun denn nun die Kerle da oben?« – »Oh, die vertreiben sich die Zeit. Sie sitzen im Saal und schmausen oder sind im Keller bei den großen Stückfässern.« – »Diese Lumpen! Und was haben wir?« – »Ihr sollt hier bei den Pferden bleiben.« – »Wer sagte das? Etwa der Oberst?« – »Nein, der sitzt beim Arzt und säuft. Ein anderer sagte es.« – »Was andere sagen, geht uns nichts an. Wenn andere essen und trinken, so wollen wir es auch. Ist der Klosterhof groß?« – »Ja.« – »Faßt er diese Zahl von Pferden?« – Hm, noch viel mehr.« – »So reiten wir hinauf.« – »Das geht ja nicht.« – »Warum nicht?« – »Die Pferde werden Euch nicht nachlaufen.« – »Kerl, was verstehst du als Neffe eines alten Pfaffen von den Pferden! Diese Tiere werden uns ganz prächtig folgen. Kannst du reiten?« – »Ein wenig.« – »So steig auf das erste beste Pferd und zeige uns den Weg.« – »Gut. Aber ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn Ihr da droben nicht so aufgenommen werdet, wie Ihr es denkt.« – »Rede nicht, sondern gehorche!« – »Meinetwegen!«
Kurt stieg auf und ritt voran. Die Pferde folgten wirklich. In der Wildnis folgt jedes Tier dem Leithengst, und diese Pferde waren ja noch halb wild.
Droben angekommen, gab Kurt das Zeichen. Das Tor wurde geöffnet, und sie ritten in den Hof, wo nur eine einzige Laterne brannte. Das Tor aber schloß sich hinter ihnen. Als die Leute den Hof so dunkel und menschenleer sahen, fragte einen
»Nun, wo sind denn die Kameraden?« – »Kommt nur hinter, in den zweiten Hof«, antwortete Kurt, »da könnt Ihr Euch eine Güte tun.«
Sie stiegen ab und folgten ihm. Allerdings war dieser andere Hof besser erleuchtet, aber kaum eingetreten, wurden sie umringt und entwaffnet, ohne daß es nur einer von ihnen zustande gebracht hätte, das Messer zu ziehen oder ein Pistol abzufeuern.
Jetzt erst konnte man sagen, daß der Handstreich vollständig gelungen sei. Helmers war stolz auf seinen Sohn, er sah ja, was für ein tüchtiger Kerl derselbe geworden war.
Nachdem die Gefangenen in Sicherheit gebracht worden waren, wurde der Alkalde geweckt und geholt. Er mußte ein Protokoll über alles, was geschehen war, anfertigen und gab gern seine Erlaubnis dazu, daß die beiden Cortejos, Josefa und Landola so lange in ihrem Klosterkeller bleiben sollten, bis Juarez eine andere Bestimmung getroffen habe.
Sodann wurde beraten, was nun geschehen solle.
Es war klar, daß der erste gerichtliche Akt in Angelegenheit der Familie Rodriganda hier in Mexiko spielen müsse. Das aber konnte nicht eher geschehen, als bis geordnetere Verhältnisse eingetreten waren. Die Franzosen waren fort, und der Kaiserthron wankte bereits so sehr, daß er jeden Augenblick einstürzen konnte. Dann erst war auf die kräftige Hilfe Juarez‘ zu rechnen.
Darum wurde nach längerer Besprechung beschlossen, daß Kurt, Sternau, Geierschnabel, Gerard, Büffelstirn und Bärenherz sich zu Juarez begeben sollten, auch der Kleine André setzte es durch, mitgehen zu dürfen. Die anderen aber sollten zurückbleiben, um dafür zu sorgen, daß keiner der vier so wichtigen Gefangenen entkomme. Peters blieb auch zurück. Die beiden Vaqueros wurden aus der Venta geholt, und nachdem sie alles erfahren und gesehen hatten, ritten sie nach der Hazienda zurück, um dort die frohe Botschaft auszurichten, daß alle, alle gerettet seien.
Mariano sehnte sich zwar, auch mit zu Juarez zu gehen, da Lindsay und Amy sich bei demselben befanden, aber die Rücksicht auf die höchst angegriffene Gesundheit Don Ferdinandos, seines Oheims, nötigte ihn, bei demselben zu bleiben.
Der Vormittag war noch nicht vergangen, so kam Geierschnabel den Klosterweg herangaloppiert und meldete, daß der Major in eigener Person mit zweihundert Lanzenreitern aufgebrochen sei und ihm auf dem Fuß folge.
Als einige Minuten später diese Truppe anlangte, erinnerte Sternau sich allerdings, diesen Offizier am Rio Grande del Norte bei Juarez bereits gesehen zu haben. Dieser war nicht wenig erstaunt, als er hörte, was geschehen war und auf welche Weise man sich der Feinde bemächtigt hatte.
Er bestimmte, daß die Gefangenen bis auf weiteres hier verbleiben sollten, und legte hundert Mann Garnison in den Ort. Als er hörte, daß Sternau nebst seinen Genossen zu Juarez gehe, schrieb er einen Bericht an General Eskobedo nieder, der in Zacatecas kommandierte, und bat Sternau, dieses Schriftstück dem General zu überreichen.
Jetzt nun ging es ans Ausräumen. Die im unterirdischen Gemach vorgefunden Schriftstücke und Kostbarkeiten wurden sorgfältig verpackt. Überhaupt wurde alles, was für Juarez von Interesse sein konnte, mitgenommen.
8. Kapitel
Am Nachmittag ritt man ab, nachdem von den anderen Abschied genommen worden war, und am übernächsten Tag vormittags langte die Truppe glücklich in Zacatecas an.
Dort gab es ein mehr als reges, ein beinahe fieberhaftes Leben, da General Eskobedo hier kommandierte und zugleich Juarez seinen Sitz da hatte.
Der erste Weg Sternaus war natürlich zu diesem letzteren.
Der Präsident war außerordentlich beschäftigt, aber als er hörte, wer ihn sprechen wolle, ließ er Sternau augenblicklich vor.
Letzter kam nicht allein, sondern hatte Kurt mitgebracht. Dieser hatte im Kloster und auch unterwegs gar nicht viel Redens von sich gemacht Er hatte weder von seinen Orden, noch von der Auszeichnung gesprochen, die ihm von seinen Vorgesetzten geworden war, doch jetzt, da er diesem großen, berühmten Indianer gegenüberstehen sollte, hatte er sich den Spaß gemacht, alle seine Orden und Ehrenzeichen anzulegen. Da er aber nach mexikanischer Weise die Serape – kostbare Decke – um die Schulter trug, waren dieselben noch nicht zu sehen.
Sternau seinerseits hatte erkannt, daß der Same, den er in das Gemüt und den Charakter des Knaben gelegt hatte, zur glücklichen Reife gekommen sei. Er kannte zwar nicht die Anerkennungen, die dem jungen Mann geworden waren, aber er war überzeugt, daß dieser ganz das Zeug zu einer mehr als gewöhnlichen Karriere habe, und daher beschloß er, bei dieser Audienz beim Präsidenten Kurt mehr in den Vordergrund treten zu lassen, sich selbst aber nur mit der zweiten Rolle zu begnügen. Er ahnte nicht, daß dies gar nicht notwendig sei und daß Kurt es selbst ganz vortrefflich verstand, sich Geltung zu verschaffen.
Die kräftige Gestalt des Zapoteken stand stramm aufgerichtet an dem Tisch, als die beiden eintraten. In seinem sonst so ernsten Auge glänzte ein freudiger Schimmer, als er Sternau erblickte. Er schritt ihm schnell entgegen, gab ihm beide Hände und sagte:
»Wie? Da sind Sie wirklich, Señor? Ich traute meinen Ohren kaum, als Sie mir gemeldet wurden. So ist es also nicht wahr, was man mir erzählte, daß Ihnen ein neues großes Unglück zugestoßen sei?« – »Wohl ist es wahr, Señor«, antwortete Sternau ernst. »Ich und alle meine Freunde, wir befanden uns in einer geradezu verzweifelten Lage, und nur diesem jungen Mann haben wir es zu verdanken, daß wir gerettet wurden.«
Juarez richtete sein Auge forschend, aber mild und wohlwollend auf Kurt und sagte:
»Wollen Sie ihn mir nicht vorstellen, Señor Sternau?« – »Ich wollte bitten, es tun zu dürfen. Oberleutnant Kurt Helmers vom preußischen Regiment der Gardehusaren.«
Kurt verbeugte sich sehr höflich. Juarez nickte ihm freundlich zu und fragte, wie nachsinnend:
»Kurt Helmers? Habe ich diesen Namen nicht schon einmal gehört?« – »Gewiß, Señor«, antwortete Kurt. »Ich war so glücklich, zweimal durch Ihre Güte ein reicher Mann zu werden.« – »Wieso?« fragte der Präsident, frappiert durch diese Worte. – »Ich erhielt durch Ihre Vermittlung zweimal einen Betrag aus der Höhle des Königsschatzes.«
Jetzt besann sich Juarez.
»Ah, Sie sind aus Rheinswalden?« fragte er. – »Ja, Señor.« – »Der Sohn des Steuermannes Helmers und der Neffe Donnerpfeils?« – »So ist es.« – »So seien Sie mir willkommen! Señor Sternau bereitet mir wirklich eine große Freude, indem er mir Gelegenheit gibt, Sie kennenzulernen. Wie es scheint, haben Ihnen diese Schmucksachen doch einen Nutzen gebracht?«
Juarez hatte Kurt die Hand gereicht. Er wußte, daß der Steuermann ursprünglich arm war, und darum war es verzeihlich von ihm, zu denken, daß der Erlös aus jenen Kostbarkeiten Kurt die zu seiner Ausbildung nötigen Mittel an die Hand gegeben habe.
»Sie haben mich in eine freudige Überraschung versetzt«, antwortete Kurt, »und werden nie aus meinen Händen oder denen meiner Familie kommen.« – »Ah, so besitzen Sie noch alles? Das freut mich desto mehr. Aber, lieber Señor Sternau, jetzt bitte ich Sie, mir doch zu sagen, wie und wohin Sie verschwinden konnten.«
Sternau erzählte in kurzen, aber hinlänglichen Worten seine Erlebnisse. Natürlich fing er bei dem Augenblick seiner Trennung von Juarez an. Das Gesicht des letzteren nahm einen immer gespannteren Ausdruck an.
Sternau schwieg, als er den hoffnungslosen, verzweiflungsvollen Zustand der Gefangenschaft geschildert hatte. Da holte der Zapoteke tief Atem.
»Ich kann an keinem Ihrer Worte zweifeln«, sagte er, »aber dennoch muß ich fragen, ob so etwas auf der Erde, in Mexiko, möglich sei. Dieser Pater Hilario ist mir nicht unbekannt. Señorita Emilia hat ihn mir gegenüber entlarvt, wofür ich ihr großen Dank schuldig bin. Aber, daß er solcher Taten fähig sei, das konnte ich nicht glauben. Welchen Zweck aber hat er gehabt, sich Ihrer zu bemächtigen und Sie alle einzusperren? Und wie sind Sie dann doch noch entkommen?« – »Diese Fragen kann hier mein junger Freund am besten beantworten«, meinte Sternau, auf Kurt deutend. – »Erzählen Sie!« bat Juarez diesen.
Kurt gehorchte dieser Aufforderung. Er begann bei seiner Begegnung mit Geierschnabel in Schloß Rodriganda bei Rheinswalden und erzählte alles, was bis auf den gegenwärtigen Augenblick geschehen war. Das Erstaunen des Präsidenten wuchs von Sekunde zu Sekunde, er wich ganz unwillkürlich Schritt um Schritt zurück. Er hatte ganz das Aussehen, als ob er sprachlos geworden sei.
Dann aber begann sein starres Gesicht sich zu beleben. Hundert Regungen zuckten blitzschnell über dasselbe hin, aber keine einzige konnte festgehalten werden, um sich definieren zu lassen.
»Was Sie mir da sagen, Señor, ist mir von sehr großer Wichtigkeit«, meinte er endlich. Seine Stimme klang dabei tief grollend und drohend. »Also es gibt hier eine Vereinigung, die mich stürzen will, indem sie mich zwingt, der Mörder des Erzherzogs von Österreich zu werden?« – »Es scheint ganz so«, antwortete Kurt. – »Und dieser geheimnisvolle, dicke, kleine Mann gehört ihr an?« – »Ganz sicher.« – »Seinen Namen hörten Sie nicht?« – »Nein. Er kam mir wie ein verkappter Priester vor.« – »Sei er, wer und was er wolle, ich werde ihn zu packen wissen. Und dieser Pater Hilario ist also das Werkzeug dieser Verbindung?« – »Ohne allen Zweifel.« – »Jetzt bei Max in Querétaro?« – »Ja.« – »Dann ist es auch um Señorita Emilia geschehen, deren Feind der Pater geworden ist. Doch das wird sich wohl arrangieren lassen. Sie glauben nicht, Señor, welch einen Dienst Sie mir mit diesen Enthüllungen erweisen. Ein Meisterstück von Ihnen aber war es, daß Sie den Putsch auf Kloster Santa Jaga vereitelten. Aber ich bin so überwältigt von dem, was ich höre, daß ich ganz vergesse, höflich gegen Sie zu sein. Nehmen wir doch Platz!«
Die drei Männer hatten allerdings bisher nur im Stehen gesprochen. Jetzt zog Juarez Stühle herbei. Um bequem zu sitzen, legte Sternau die Serape ab, und Kurt tat dasselbe. Sofort ruhten die Augen der beiden anderen erstaunt auf seiner Brust.
»Wie? Alle Wetter, Kurt«, rief Sternau. »Diese Orden gehören dir?« – »Würde ich sie sonst tragen?« antwortete Kurt lächelnd. – »Aber, wie kommst du dazu, ein halber Knabe noch!« – »Man hat mich vielleicht trotzdem für einen Mann gehalten.« – »So hast du Außerordentliches erlebt. Mensch, daß du darüber geschwiegen hast, das beweist zur Evidenz, daß du ein braver, tüchtiger Junge geworden bist!« – »Auch ich muß sagen«, fiel Juarez ein, »daß ich auf einer so jungen Brust noch nicht solche Auszeichnungen erblickte. Das Schicksal scheint Ihnen wohlzuwollen. Verscherzen Sie sich die Gunst desselben nicht. Da Sie zur Garde gehören, stehen Sie wohl in Berlin?« – »Ja, Señor«, antwortete Kurt unter einer Verbeugung. – »So haben Sie das Glück, großen Männern zu begegnen, wenn auch einstweilen nur von weitem. Ihr Moltke ist ein großer Kriegsmann. Suchen Sie, mit der Zeit seiner Umgebung näherzutreten. Und Ihr Bismarck ist ein Staatsmann von genialem Scharfblick und eiserner Energie. Er wird einst dem Erdkreis Gesetze vorschreiben. Haben Sie seinen Vertreter in Mexiko besucht?« – »Baron Magnus? Ja. Er gab mir Gelegenheit, Sie um die Überreichung dieser Zeilen zu bitten.«
Kurt zog ein Portefeuille hervor und überreichte Juarez ein kleines Kuvert, das derselben öffnete, um den Inhalt zu lesen.
»Ah, das ist ja eine ganz ungewöhnliche Empfehlung«, sagte er. – »Ich bedarf derselben, um dieses zweite vorlegen zu dürfen.«
Kurt gab Juarez ein größeres Schreiben. Dieser brach das Wappensiegel auf und las. Sein Gesicht nahm den Ausdruck des allerhöchsten Erstaunens an. Als er fertig war, rief er laut:
»Dios mios! Junger Mann, wer sind Sie denn eigentlich? Wie kommen Sie dazu, der Überbringer so hochwichtiger Staatsakten zu sein? Entweder genießen Sie ein blindes Glück und Vertrauen, oder Sie haben das Zeug, das wirkliche Zeug zu einem Mann, dem seine Vorgesetzten bereits jetzt ein außerordentliches Prognostikon stellen. Während ich Ihnen rate, sich der Umgebung dieser großen Männer zu nähern, genießen Sie den Umgang und die Zuneigung nicht der Umgebung, sondern dieser Größen selbst. Fast möchte ich unhöflich sein und Sie fragen, wie Sie bei Ihrer Jugend zu einer solchen Auszeichnung kommen.«
Sternau war ebenso überrascht über diese Worte, wie über den Inhalt der Schreiben, den er allerdings nicht kannte, sondern nur vermuten konnte. Er betrachtete Kurt mit ebenso erstaunten Blicken wie der Präsident. Der junge Mann aber tat, als ob er dies gar nicht bemerke, und antwortete in ruhigem, bescheidenem Ton:
»Neben einigen kleinen Verdiensten ist es wohl zumeist die Güte derjenigen hohen Personen, mit denen ich in Berührung kam, der ich die Gnade zu verdanken habe, welcher ich mich erfreue.«
Juarez überflog die Schriftstücke noch einmal und meinte dann:
»Sie werden mir hier als diejenige Person empfohlen, die mir die Wünsche einer hervorragenden Regierung mündlich überbringt. Ich freue mich des Scharfsinnes der Vertreter dieser Regierung. Auf offiziellem Weg Verhandlungen über das Schicksal eines Mannes, der so viel dazu beigetragen hat, die Selbständigkeit der Republik von Mexiko zu töten, anzuknüpfen, das müßte ich entschieden ablehnen. Aber einen privaten Austausch unserer Gedanken werde ich nicht abweisen.« – »Diese Hoffnung war es, welche mich an einem Gelingen meiner Sendung nicht verzweifeln ließ, Señor«, entgegnete Kurt. – »Haben Sie fest formulierte Fragen oder Wünsche auszusprechen?« fragte Juarez in jenem Ton, mit dem er auf schwierige Verhandlungen einzugehen pflegte. – »Ja.« – »Darf ich sie hören?« – »Jetzt?« – »Warum nicht sogleich jetzt?« – »Ich bin beauftragt, unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen.«
Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Zapoteken, als er fragte:
»Mißtrauen Sie etwa unserem Freund Sternau?« – »Nicht im geringsten. Ich würde nicht anstehen, ihn zum Vertrauten aller meiner persönlichen Angelegenheiten zu machen; die Sache aber, die wir zu verhandeln haben, ist nicht mein Eigentum.« – »Aber das meinige. Geben Sie das zu?« – »Gern, obgleich diejenigen, in deren Auftrag ich hier stehe, daran partizipieren.« – »Und mein Eigentum kann ich teilen, mit wem ich will?« – »Allerdings.« – »Nun, so erkläre ich Ihnen, daß ich Señor Sternau erlaube, unserer Unterhaltung beizuwohnen. Wollen Sie weniger höflich sein?« – »Señor Sternau ist mein Freund und Gönner, mein Vater und Lehrer. Meine Pflicht gebot mir, seiner Gegenwart zu gedenken; nun aber erkläre ich, daß dieselbe mich nicht hindern kann, in aller Offenheit mit Ihnen zu sprechen.« – »So sprechen Sie.« – »Ich hoffe nicht, daß Sie erwarten, ein junger Mann von so wenig Erfahrung, wie ich bin, werde sich in komplizierten, diplomatischen Wendungen ergehen. Ich sagte bereits, daß das, was ich zu sagen habe, streng formuliert ist, und ich bitte um die Erlaubnis, offen und ehrlich fragen und sprechen zu können.«
Juarez betrachtete Kurt mit einem wohlgefälligen Blick und nickte zustimmend.
»Das ist Ihnen sehr gern gewährt«, antwortete er. »Ich hasse alle Finessen, alles diplomatische Versteckenspielen. Wie weit man sich auf eine Regierung verlassen kann, die ihre Absichten stets hinter den Schleier des Geheimnisses versteckt, das habe ich ja zur Genüge erfahren. Ihr Minister ist der erste gewesen, der mit dem alten Herkommen gebrochen hat. Talleyrand sagte, daß der Mensch die Sprache nur habe, um seine Gedanken zu verbergen. Dies ist der Grundsatz des Unehrlichen, der Spitzbuben. Trotzdem ist dieser Grundsatz von den Staatsmännern aller Zeiten und Völker befolgt worden. Ihr Minister hat den Mut gehabt, mit ihm zu brechen; er hat die offene, ehrliche Sprache zum Element auch diplomatischer Verhandlungen gemacht und dabei einen Sieg errungen, um den ich ihn beneiden möchte. Ich freue mich, daß in dieser Beziehung meine Intentionen sich mit den seinigen decken, und so ist es mir lieb, wenn Sie sich einer geraden, ehrlichen Sprache bedienen.«
Kurt verbeugte sich zustimmend und erwiderte:
»Man ist allgemein der Ansicht, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen Kaiser Max sich nicht zu halten vermag. Darf ich Sie um Ihre Meinung ersuchen?«
Juarez machte mit dem Arm eine Bewegung, die man fast geringschätzig nennen konnte, und antwortete:
»Sie nennen diesen Mann Kaiser?« – »Ja.« – »Mit welchem Recht?« – »Weil er als solcher anerkannt ist.« – »Ah! Von wem?« – »Von den meisten Regierungen.« – »Pah! Von den Regierungen aber nicht, die dabei zunächst in Frage kommen. Übrigens mußten die Regierungen, von denen Sie sprechen, wenigstens so viel Scharfblick haben, um gleich von vornherein zu wissen, daß es sich um einen Theatercoup handle, der zu Ende gehen müsse, sobald den Lampen das Öl mangle. Das Stück hat ausgespielt. Ich habe keinen Max von Mexiko gekannt und kenne auch jetzt nur einen gewissen Max von Habsburg, der sich zu seinem eigenen Schaden von Napoleon verleiten ließ, mir va banque zu bieten. Die Bank hat gewonnen. Ich bitte, wenigstens in meiner Gegenwart nicht von einem Kaiser Max zu sprechen! Ihre Frage beantworte ich dahin, daß dieser Señor allerdings nicht imstande sein wird, sich zu halten.« – »Und wie denken Sie, daß sich sein Schicksal gestalten werde?« – »Señor Helmers, Sie sprechen allerdings sehr offen und klar. Ich will dasselbe tun. Geht dieser Max beizeiten aus dem Land, so mag er mit dem Leben davonkommen und mit der Ehre, sich Kaiser von Mexiko genannt zu haben. Zögert er aber, so ist er verloren.« – »Was habe ich unter dem Wort verloren zu verstehen?« – »Ich meine, daß es ihm dann unmöglich sein wird, länger zu leben. Man wird ihm den Prozeß machen.« – »Wer?« – »Die Regierung von Mexiko.« – »An wen habe ich bei dem Wort Regierung zu denken?« – »An mich.«
Kurt verneigte sich höflich und fuhr fort:
»Sie werden Präsident von Mexiko sein?«
Juarez zog die Brauen finster zusammen.
»Ich werde Präsident sein?« fragte er. »Bin ich es etwa nicht gewesen, Señor?«
Kurt ließ sich nicht einschüchtern. Er meinte:
»Ich muß darauf aufmerksam machen, daß ich hier nicht von meiner persönlichen Meinung zu sprechen habe.« – »Oder bin ich es nicht mehr?« fuhr Juarez fort. »Wer hat mich abgesetzt?«
– »Napoleon und Max.« – »Diese beiden? Pah! Das glauben Sie selbst nicht. Ich sage Ihnen, daß in einigen Wochen ganz Mexiko mir Untertan sein wird. Ich wiederhole: Das Stück ist ausgespielt.« – »Dann werden also Sie es sein, der Max richtet?« – »Ja.« – »Und wie wird das Urteil lauten?« – »Auf Tod durch die Kugel.« – »Wollen Sie nicht bedenken, daß man das Glied einer kaiserlichen Familie nicht so ohne weiteres erschießt?« – »Ohne weiteres wird es auch nicht geschehen. Man wird einen Gerichtshof konstituieren.« – »Und dennoch darf dieser Gerichtshof nicht aus den Augen lassen, wer der Angeklagte ist. Ein Erzherzog von Österreich darf Rücksichten in Anspruch nehmen, die ich hier wohl nicht weiter auszuführen brauche.« – »Wer Rücksichten in Anspruch nimmt, muß gelernt haben, selbst Rücksichten zu üben. Ein Dieb, ein Verleumder, ein Fälscher, ein Mörder, ein Empörer oder Landfriedensbrecher wird bestraft, mag er sein, wer er will. Und je höher an Intelligenz ein Mensch steht, desto härtere Strafe verdient er, wenn er gegen Gesetze fehlt, die er besser kennen muß, als ein jeder andere.« – »Das ist der Grundsatz eines strengen Richters.« – »Der bin ich auch.« – »Aber nicht eines Regenten, der das schöne Recht hat, Gnade walten zu lassen.« – »Wer sagt Ihnen, daß ich nicht an Gnade gedacht habe?« —
»Ihre eigenen Worte.«
Juarez erhob sich von seinem Stuhl, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und blieb dann vor Kurt stehen.
»Junger Mann«, sagte er, »Sie sollen mir mitteilen, daß es der Wunsch Ihrer Regierung ist, ich möge Gnade walten lassen?« – »Sie erraten das richtige.« – »Kennen Sie die Art und Weise, wie Mexiko von den Franzosen für Max in Beschlag genommen wurde?« – Ja.« – »Wissen Sie, daß ich damals der von Gott eingesetzte und von den Mexikanern erwählte Regent dieses Landes war?« – Ja.« – »Können Sie sagen, daß ich mein Volk unglücklich gemacht habe?« – »Ich bin vom Gegenteil überzeugt.« – »Hat mein Volk mich abgesetzt?« – »Nein, obgleich eine Deputation nach Paris kam und den Kaiser …« – »Das war Blendwerk und Spiegelfechterei«, fiel Juarez schnell ein. »Es war ein Puppenspiel, an das nur Kinder glauben konnten. Aber wissen Sie, wie die Franzosen hier im Land gewirtschaftet haben?« – »Leider!« – »Sie waren meine Feinde. Gegen Maximilian von Habsburg habe ich nur zweierlei: erstens, daß er vertrauensselig auf die Intentionen eines Mannes einging, der selbst nur durch Blut und Revolution Kaiser wurde, eines Mannes, von dem wir niemals annehmen konnten, daß er der Beglücker seines Volkes sein werde, und zweitens, daß Maximilian jetzt, da der letzte Franzose das Land verlassen hat, in ganz unbegreiflicher Verblendung diesen Leuten, die an der Spitze der Zivilisation marschieren, nicht sofort auf dem Fuße folgt. Nur sein Vertrauen auf die Hilfe Napoleons war es, das ihn zu Schritten verleitete, deren Folgen zerschmetternd auf sein Haupt fallen werden. Ist Ihnen das berüchtigte Dekret vom 3. Oktober bekannt?« – Ja.« – »Und Ihrer Regierung auch?« – Jedenfalls.« – »Nun, so lassen Sie mich katechetisch verfahren. Welchen Inhalt hat dieses Dekret?« – »Ein jeder Feind des Kaiserreiches ist ein Landesverräter und Empörer und wird ohne vorheriges Urteil mit dem Tode bestraft.« – »Dieses Dekret hat vielen, vielen das Leben gekostet. Selbst meine treuen Generäle Arteagar und Salazar wurden ohne Urteil und Recht gemordet. Wir lebten friedlich im Land; wir waren glücklich. Da kamen die Franzosen und sagten, wir hätten kein Recht, Frieden und unsere Verfassung zu haben, Max müsse unser Kaiser sein. Das Blutvergießen begann. Wer waren die Empörer, junger Mann?« Kurt zuckte die Achseln.
»Etwa wir?« – »Hm!« – »Oder die Franzosen? Oder Napoleon und Max?« – »Señor, Sie haben recht«, meinte Sternau mit seiner tiefen, kräftigen Stimme.« – »Und dennoch waren wir es, die als Räuber behandelt wurden«, fuhr Juarez erregt fort. »Der Inhalt jenes blutigen Dekretes ist kein anderer als der Spruch jenes alten Eroberers: ›Wehe den Besiegten!‹ Wir waren die Besiegten, und das Wehe kam über uns. Jetzt aber hat unser gerechter Gott geholfen. Wir sind die Sieger. Wir könnten nun auch rufen: ›Wehe den Besiegten!‹ Und mit viel größerem Recht. Doch wir tun es nicht. Wir wollen nicht ungerecht, nicht grausam sein. Aber unser Recht wollen wir, und wenn wir dies wollen, so wollen wir folgerichtig, daß auch einem jeden anderen, also auch den Bedrückern unseres Landes, sein und ihr Recht werde. Ist Ihnen das jus talionis – Recht der Wiedervergeltung – der Bibel bekannt, Señor Helmers?« – »Natürlich!« antwortete Kurt. – »Dieses Recht herrscht und gilt noch in der Prärie, allüberall, wo die Völker noch in guter, alter patriarchalischer Weise beisammen wohnen …« – »Es ist grausam«, fiel Kurt ein. »Diejenigen Nationen, die Anspruch auf die Segnungen der Zivilisation …« – »Gehen Sie mir mit dieser Zivilisation!« unterbrach ihn Juarez. »Zählen Sie die Franzosen auch zu diesen zivilisierten Nationen?« – »Natürlich!« – »Ich habe es auch getan. Aber sie sind ohne alle Ursache in Mexiko eingefallen wie die Räuber! Ist das ihre Zivilisation, ihre Bildung? Wenn der Panther des Südens raubt und mordet, so ist er einfach ein Raubtier in Menschengestalt und wird seinen Käfig finden. Wenn dieser Cortejo erklärt, daß er Präsident sein wolle, so ist dies einfach wahnsinnig oder zum wenigsten lächerlich. Wenn aber Napoleon und Maximilian von Österreich mit einer Heeresmacht in ein Land einbrechen, dessen Bewohner ihnen nichts getan haben, so gleichen sie nur den Botokuden, Komantschen, Kurden und anderen wilden Völkerschaften, die ich unter die Barbaren zähle. Und wenn ich Sie unterbrach, als sie von den zivilisierten Nationen begannen, so haben doch auch diese das Vergeltungsrecht in ihre Gesetzbücher aufgenommen. Sie sagen zwar nicht mehr: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹, aber sie bestrafen jedes Verbrechen und Vergehen, den Mord mit dem Tode und jedes andere mit einer kongruenten Summe von Freiheitsentziehung oder Geld. Haben Sie die Tropfen Blutes gezählt, die während der letzten Invasion in Mexiko geflossen sind?«
Kurt schüttelte trüben Angesichts mit dem Kopf.
»Nun, sie sind nicht zu zählen. Es sind nicht Tropfen, sondern Ströme. Bin ich im Unrecht, wenn ich dieser Ströme wegen den Schuldigen zum Tode verurteile, während ein jeder Richter einen Mörder, der nur ein einziges Menschenleben zerstörte, dem Henker überliefert?« – »Ich wiederhole, daß der, von dem Sie sprechen, das Glied einer erlauchten Kaiserfamilie ist.« – »Erlaucht? Was nennen Sie erlaucht? Kommt dieses Wort nicht von dem Verbum erleuchten her?« – Ja.« – »Nun, so stelle ich es Ihnen anheim, den Betreffenden erleuchtet zu nennen, ich aber hüte mich, es zu tun. Und je höher er steht, desto strafbarer ist er. Was würde man in Österreich sagen, wenn ich plötzlich dort mit einem Heer einbräche, um dem Volke zu beweisen, daß ich ein besserer Regent sei, als …«
Juarez wurde unterbrochen. Die Tür öffnete sich, und es trat, nein, es stürmte ein Mann heran, an dessen Kleidung man sofort den höheren Offizier erkannte. Nicht groß und nicht klein, nicht schmächtig und nicht dick, trug sein Äußeres das echt mexikanische Gepräge. Seine Gesichtsfarbe spielte in das Gelbliche; seine Züge waren scharf, seine Augen schwarz und glänzend, und die raschen Schritte, mit denen er auf Juarez zueilte, verrieten ein feuriges Temperament und eine große Energie des Charakters.
»Señor Juarez«, rief er, beide Hände zum Gruß ausstreckend. – »General Diaz«, entgegnete Juarez, indem sein Gesicht den Ausdruck des höchsten Erstaunens zeigte. – »Ihr wundert Euch, mich hier zu sehen?« – »Ihr hier in Zacatecas!« rief Juarez, indem er ihn bei den Händen nahm und dann umarmte. – Ja, hier, Señor. Ihr seht es ja!« – »Ich vermutete Euch noch jenseits der Hauptstadt!« – »Da war ich auch.« – »Und nun hier! Ist ein Unglück geschehen?« – »O nein! Ich komme im Gegenteil, Euch eine sehr gute Nachricht zu bringen.« – »Ah! So sprecht!«
Diaz sah die beiden anderen an.
»Das sind Señor Sternau und Señor Helmers, zwei Freunde von mir, vor denen ich offen sein kann«, erklärte Juarez.
Die drei verbeugten sich stumm gegeneinander, und dann fragte der General den Präsidenten:
»Habt Ihr meine Botschaften alle erhalten?« – »Die beiden letzten nicht.« – »Sie wurden von dem Gegner aufgefangen. Darum komme ich selbst. Daß die Franzosen aus dem Land sind, wißt Ihr?« – »Ja.« – »Daß Max in Querétaro ist, auch?« – »Auch.« – »Er hat nur noch drei Städte im Besitz: Mexiko, die Hauptstadt, Querétaro und Verakruz. In Mexiko kommandiert der Schuft Marquez, der die Bürger bis auf das Blut schindet.« – »Gott wird geben, daß er nicht lange mehr befehligt!« – »Ich hoffe es. Ich erwartete Nachricht von Euch. Da ich aber keine erhielt, weil die Boten weggefangen wurden, habe ich auf eigene Faust gehandelt.« – »Ah! Was habt Ihr unternommen?«
»Die drei Städte, die Maximilian noch gehören, müssen getrennt werden; ihre Verbindung muß unterbrochen werden. Darum habe ich Puebla belagert und erstürmt.« – »Wirklich?« fragte Juarez im Ton höchster Freude. – »Ja.« – »Und es ist in Eure Hand gefallen?« – »Natürlich, ja.« – »Das ist herrlich! Das ist ein großer Fortschritt. Señor Porfirio, hier meine Hand. Ich danke Euch aus vollem Herzen.« – »Und nun«, fuhr Porfirio Diaz fort, »komme ich selbst, um mit Euch und General Eskobedo das Weitere persönlich zu beraten. Ich will mich jetzt nur anmelden. Befehlt, wann Ihr zu sprechen seid.« – »Ich werde es Euch und Eskobedo wissen lassen. Jetzt seid Ihr mein Gast. Kommt und laßt Euch führen!«
Die Freude hatte den ernsten Zapoteken förmlich verjüngt und ganz verändert. Er entschuldigte sich gegen Sternau und Helmers, nahm den General beim Arm und führte ihn fort.
Erst nach einer längeren Weile kehrte er zurück. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen.
»Señor Sternau«, fragte er, »habt Ihr schon von diesem Porfirio Diaz gehört?« – »Sehr viel«, antwortete der Gefragte. – »Wenn ich an ihn denke oder ihn sehe, erinnere ich mich stets eines Generals des ersten Napoleon, den dieser den Bravsten der Braven zu nennen pflegte.«
»Ah, Sie meinen den Marschall Ney?« – »Ja. Diaz ist mein Marschall Ney. Er ist nicht bloß ein guter und außerordentlich zuverlässiger Militär, sondern auch ein nicht schlechter Diplomat. Ich bin fest überzeugt, daß er einst mein Nachfolger sein wird. [Diese Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen, denn 1877 ist Porfirio Diaz erstmalig Präsident von Mexiko geworden. – Anmerkung des Verfassers.] Kennt Ihr die Lage von Puebla?« – »Sehr gut. Ich bin ja durch die Stadt gekommen.« – »Sie liegt zwischen der Hauptstadt und dem Hafen von Verakruz. Nun wir sie erobert haben, ist Max von Habsburg verloren. Er ist vom Hafen abgeschnitten und kann uns nicht mehr entgehen.«
Da erhob Kurt bittend die Hände und sagte:
»Señor, ich flehe um Gnade für ihn.« – »Und ich vereinige meine Bitte mit diesem Flehen!« meinte Sternau.
Juarez blickte sie kopfschüttelnd an. Sein Gesicht hatte einen weichen Zug, einen Zug der Milde angenommen, wie er an ihm nur selten zu bemerken war.
»Ich habe geglaubt, daß Sie mich kennen, Señor Sternau«, sagte er. – »Oh, ich kenne Sie ja auch!« antwortete der Doktor. – »Nun und wie denn?« – »Als einen festen, unerschütterlichen Charakter, der unter allen Umständen das hinausführt, was er sich vorgenommen hat.« – »Weiter nichts?« – »Dessen Herz aber doch nicht völlig unter der Herrschaft seines strengen Verstandes steht.« – »Da mögt Ihr recht haben.« – »Darum hoffe ich, daß unsere Bitte keine ganz vergebliche sei.« – »Hm. Was verlangen Sie denn eigentlich von mir?« – »Lassen Sie den Erzherzog entfliehen!« – »Und wenn ich dies nicht vermag?« – »So lassen Sie sein Urteil wenigstens nicht eins zum Tode sein.«
Der Zapoteke schüttelte den Kopf.
»Señores, Sie verlangen zu viel von mir«, sagte er. »Maximilian hat sich in jenem blutigen Dekret sein Urteil selbst gesprochen. Dennoch wollte ich Milde walten lassen, aber er hat mich nicht gehört. Ich darf keinen Kaiser von Mexiko anerkennen, wie er ja auch mich nicht als Präsidenten anerkannt hat. Ich sehe in ihm ebensowenig eine Person, mit der ich in diplomatischen Verkehr treten möchte, wie auch er es mit mir nicht getan hat. Doch ich bin nicht bloß Präsident, ich bin auch Mensch, und weil auch er Mensch ist, so habe ich zu ihm als Mensch zum Menschen gesprochen, er aber hat nicht auf mich gehört.« – »Welche Verblendung!« rief Sternau. – »Ich habe jene Señorita Emilia zu ihm gesandt. Sie hat ihn auf seine Umgebung aufmerksam gemacht. Sie hat ihm bewiesen, daß er nur Verräter oder schwachköpfige Abenteurer um sich hat – es hat nichts geholfen.« – »So ist er selbst schuld.« – »Er und kein anderer. Ich habe ihm sagen lassen, daß ich ihm den Weg nach der See bis zum letzten Augenblick offenlassen werde – er hat gelacht. Ich habe ihm ferner gesagt, daß ich ihn nicht zu retten vermöge, sobald er als Gefangener in die Hände der Meinigen gerate – er hat abermals gelacht!« – »Gibt es keinen weiteren Ausweg?« fragte Kurt.
Juarez blickte ihn forschend an.
»Vielleicht«, antwortete er nachdenklich. – »Oh, so versäumen Sie ihn nicht!« – »Hm. Wollen Sie etwa die Sache übernehmen?«
Bei diesen Worten war das Auge des Zapoteken forschend, fast stechend auf Kurt gerichtet.
»Sofort«, antwortete dieser freudig. – »Es wird auch umsonst sein.« – »Ich hoffe das Gegenteil.« – »So! Sie sind allerdings der einzige Mann, dem ich so etwas anvertrauen möchte. Glauben Sie durch die Vorposten zu kommen?« – »Sie meinen die Vorposten der Kaiserlichen?« – »Ja. Für die meinigen gebe ich Ihnen ein Passepartout.« – »Ich bin gut legitimiert. Man wird mich nicht anhalten.« – »Und Sie glauben auch vor Maximilian zu kommen?« – »Ganz bestimmt.«
Juarez blickte Kurt noch einmal mit voller Schärfe an. Es war, als ob er in der tiefsten Tiefe von dessen Seele lesen wolle. Dann machte er eine rasche Wendung und setzte sich an den Tisch, auf dem neben allerlei Skripturen die nötigen Schreibrequisiten lagen. Er legte sich ein Blatt zurecht, tauchte die Feder ein und schrieb. Als er fertig war, gab er es Kurt hin und fragte:
»Wird das genügen?«
Kurt las:
»Hiermit verbiete ich, dem Vorzeiger dieses und dessen Begleitern irgendwelche Hindernisse in den Weg zu legen. Ich befehle im Gegenteil, sie auf alle Fälle und ohne weiteres alle Linien passieren zu lassen und ihnen allen möglichen Vorschub zu leisten, ihr Ziel schnell und sicher zu erreichen. Wer diesem Befehl zuwiderhandelt, wird mit dem Tode bestraft.
Juarez.«
»Das genügt vollständig, vollständig!« rief Kurt, im höchsten Grade erfreut.
Er sah sich bereits als Retter des Kaisers drüben in der Heimat und allerwärts gefeiert.
»Ich glaube nicht daran«, erwiderte Juarez. – »Oh, man wird doch diesem Befehl gehorchen!« – »Sicher. Aber der eine, auf den es ankommt, wird ihn nicht respektieren.« – »Maximilian?« – Ja.« – »Er wäre wahnsinnig.« – »Versuchen Sie es!« – »Darf ich ihm dieses Passepartout zeigen?« – Ja.« – »Auch anderen?« – »Nein. Sie dürfen sich dieses Papiers nur im Notfall bedienen. Übrigens gebe ich Ihnen zu bedenken, daß ich verloren bin und von meinen Anhängern sicher verlassen werde, wenn sie erfahren sollten, daß ich meine Hand zur Rettung des Erzherzogs bot. Ich gebe mich trotz Ihrer Jugend in Ihre Hände, aber ich hoffe, daß Sie mein Vertrauen rechtfertigen.«
Kurt wollte antworten. Der Zapoteke aber schnitt ihm die Rede mit der schnellen und kalten Bemerkung ab:
Jetzt habe ich alles getan, was mir möglich ist; jetzt werde ich für nichts Weiteres verantwortlich sein und wasche meine Hände in Unschuld. Fällt Max dennoch in unsere Hand, so ist er nicht zu retten. Ich bin nicht König eines absolut regierten Landes. Ich hänge von Verhältnissen ab, denen ich mich nicht entwinden kann. Darum bitte ich Gott, Ihrem Vorhaben seinen Segen zu geben.«
Juarez reichte Kurt die Hand und wandte sich dann zu Sternau:
»Ihr junger Freund wird nun Eile haben; er mag schleunigst abreisen, um nach Querétaro zu kommen. Vielleicht ist es ihm möglich, etwas für Señorita Emilia zu tun, für die ich einiges befürchte, da dieser Pater Hilario, ihr Feind, zum Kaiser gegangen ist. Was Sie betrifft, so wissen Sie, daß ich gern für Sie tue, was möglich ist. Heute aber bin ich es, der eine sehr große Bitte an Sie hat.« – »Könnte ich sie doch erfüllen«, meinte Sternau. – »Sie können es.« – »Dann haben Sie meine Zusage im voraus, Señor.« – »Warten Sie erst. Wie haben Sie über Ihre nächste Zeit verfügt?« – »Ich habe mich noch zu nichts bestimmt. Ich kam, um Ihnen zu melden, was geschehen ist. Ich weiß ja, daß wir ohne Ihre gütige Hilfe mit dem Ordnen der Verhältnisse der Rodriganda nicht zustande kommen.« – »Das ist allerdings sehr wahr. Die Cortejos, Josefa Cortejo, Landola, der Pater und sein Neffe, sie alle müssen in Anklagezustand versetzt werden. Es handelt sich darum, ein umfassendes Geständnis von ihnen zu erlangen. Und selbst dann ist es nicht möglich, einen gültigen Urteilsspruch zu erlangen.« – »Warum?« – »Bedenken Sie unsere gegenwärtigen Verhältnisse. Noch wissen wir ja nicht, was geschehen kann. Wo gibt es einen kompetenten Gerichtshof für Ihre Angelegenheit?« – »Ich denke bei Ihnen.« – »Meine Gerechtigkeitspflege ist noch ambulant. Für Ihre Angelegenheit bedürfen wir eines Richterspruches, der auch von anderen Mächten, besonders von Spanien anerkannt wird.« – »Das ist allerdings sehr richtig.« – »Wir müssen also warten, bis sich die Verhältnisse Mexikos leidlich geordnet haben.« – »Das ist leider höchst unangenehm.« – »Aber ich hoffe, bis zum Juni zu Ende zu sein. Bis dahin ist nicht gar zu lange Zeit. Wie gedenken Sie, dieselbe zu verbringen?« – »Würden Sie mir gestatten, in Ihrer Nähe zu bleiben?« – »Sehr, sehr gern! Das war es gerade, was ich wünschte. Das war ja die Bitte, die ich an Sie richten wollte. Hätten Sie nicht Lust, in meine Dienste zu treten?«
Sternau blickte überrascht auf.
»Als was?« fragte er. – »Als Offizier.«
Sternau schüttelte langsam den Kopf.
»Señor, Sie sehen ein, daß ich …« – »Pst!« unterbrach ihn Juarez lächelnd. »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ihr Leben ist Ihnen und anderen, die sich seit zwanzig Jahre vergebens nach Ihnen sehnen, zu kostbar, als daß Sie es an eine Sache wagen möchten, die Sie unmittelbar doch nichts angeht.« – »Das ist allerdings meine Meinung. Ich hoffe, nicht falsch beurteilt zu werden.« – »Gar nicht. Ich bezweifle weder ihren Mut, noch Ihre außerordentliche Befähigung. Aber in meinem Dienst möchte ich Sie doch haben.« – »Als was, wenn nicht als Offizier?« – »Als Arzt.« – »Ah!« – »Ja. Wir kämpfen. Ärzte sind notwendig und leider so selten. Und welche Ärzte haben wir? Kaum einen, der eine geschickte Operation vorzunehmen vermag.« – »Auf welche Zeit würden Sie mich engagieren?« – »Auf keine bestimmte Frist. Ich will Ihnen nicht hinderlich sein. Sie können gehen, sobald Sie es für notwendig halten.« – »Gut, so akzeptiere ich.« – »Topp?« – »Topp!« Sie schlugen die Hände ineinander. Dann sagte Juarez: »Abgemacht also! Sie bringen mir ein Opfer, für das ich Ihnen dankbar sein werde. Welche Personen haben Sie noch bei sich?« – »Bärenherz und Büffelstirn, nebst dem Kleinen André.« – »Wie wollen sich diese beschäftigen?« – »Ich werde dafür sorgen. Bezüglich Andres hätte ich bereits jetzt eine Idee. Señor Helmers braucht einen Begleiter. Einen der Häuptlinge kann er unmöglich mitnehmen, also würde ich ihm André vorschlagen.« – »Ich nehme ihn mit, wenn er mitgeht!« meinte Kurt sehr rasch. – »Schön. Und nun noch eins. Erwähnten Sie nicht gewisse Gegenstände, die Sie im Keller des Klosters erbeutet haben?« – »Allerdings.« – »Was war es?« – »Der politische Briefwechsel des Paters und sodann die Meßgewänder, die er unterschlagen hat.« – »Sind Sie kostbar?« – »Sehr. Sie repräsentieren einen Reichtum von Millionen.« – »Sie werden mir diese Sachen vorlegen?« – »Ich bitte um die Erlaubnis dazu.« – »Sie haben dieselbe. Von jetzt an wohnen Sie mit in meinem Haus. Ich werde Ihnen sofort die nötigen Zimmer anweisen lassen. Und dann, wenn Sie sich ausgeruht haben, werden wir uns wiedersehen.«
9. Kapitel
Ein einsamer Reiter trabte auf der Straße von der Hauptstadt nach Queretaro dahin. Zwischen beiden Städten, ungefähr in der Mitte des Weges, liegt das Städtchen Tula.
Der Mann passierte dasselbe, ohne anzuhalten, obgleich sein Pferd müde zu sein schien. Aber als er Tula im Rücken hatte, verließ er die von Militär belebte Straße und bog seitwärts in das Feld ein.
Dort lag die Ruine eines Hauses. Die geschwärzten Mauern verrieten, daß das Gebäude ein Raub der Flammen geworden sei. Jedenfalls war dies während des gegenwärtigen Krieges geschehen, denn es schien, als ob die Ruinen noch nicht alt seien.
Der Mann stieg ab, ließ sein Tier frei grasen und setzte sich in dem Schatten einer halbeingestürzten Wand nieder. Kaum war dies geschehen, so fuhr er zusammen.
»Pst!« hatte er es rufen hören.
Er blickte sich um, konnte aber nichts bemerken.
»Pst!« hörte er von neuem.
Er zog ein Pistol hervor und suchte mit dem Auge in allen seinem Blick erreichbaren Winkeln herum – vergebens.
»Pater Hilario!« rief es jetzt halblaut. Da sprang er auf. Wer kannte ihn hier?
»Pater Hilario!« wiederholte es.
Aus dem Ton entnahm er jetzt die Richtung, aus der die Stimme kam. Er trat hinter die Mauer, vor der er gesessen hatte. Dort stand – der kleine, dicke Verschwörer, ihn mit einem freundlichen, breiten Grinsen seines Gesichtes empfangend.
»Nicht wahr, das ist eine Überraschung?« fragt er. – »Ihr? Ihr?« rief der Pater erstaunt. »Wie kommt Ihr hierher?« – »Der geheime Bund ist allgegenwärtig. Ich habe Euch hier erwartet.« – »Mich? Wie konntet Ihr wissen, daß ich nach der Ruine kommen würde, um auszuruhen?« – »Das wußte ich allerdings nicht. Aber seht Ihr denn nicht, daß man von hier aus die Straße überblicken kann?« – »Wußtet Ihr, daß ich jetzt diese Straße kommen werde?« – »Daß Ihr jetzt kommen würdet, wußte ich nicht, daß Ihr aber überhaupt die Straße passieren müßtet, das konnte ich mir denken.« – »Wieso?« – »Ich war in Santa Barbara.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Ich sprach mit Eurem Neffen. Ihr wäret kaum eine Stunde fort.« – »So konntet Ihr mir ja nachreiten.« – »Das war unsicher, da ich nicht wußte, welchen Weg Ihr eingeschlagen hattet. Ich hätte Euch leicht verfehlen können. Da ich aber wußte, daß Ihr nach der Hauptstadt gingt und von da, weil Ihr dort den Kaiser nicht mehr treffen würdet, gezwungenermaßen Euch nach Querétaro wenden mußtet, so zog ich vor, mir einen Punkt zwischen den beiden Städten auszusuchen, wo ich überzeugt war, Euch zu sehen. Dieser Punkt mußte, Verhältnisse halber, im Freien liegen, und so habe ich diese Brandruine gewählt.« – »So habt Ihr mir also etwas Notwendiges mitzuteilen?« – »Ja.« – »Wie ging es in Santa Barbara?« – »Warum diese Frage?«
Der kleine Dicke blickte den Pater erstaunt und forschend an.
»Nun, sie ist doch sehr natürlich. Wer von der Heimat fern ist, der will doch gern etwas von ihr wissen.« – »Ah pah! Ihr wißt doch, daß ich kaum eine Stunde nach Eurem Fortreiten dort war. Was konnte sich in dieser kurzen Zeit ereignet haben.« – »Das kann man doch nicht wissen.« – »Ihr scheint Euch dort mit geheimnisvollen Dingen herumgetragen zu haben, von denen ich nichts erfahren soll.« – »Da irrt Ihr Euch sehr. Aber wir leben im Krieg, da kann jeder Augenblick eine Änderung bringen.«
Der Kleine blickte den Pater scharf an und fragte: »Wollt Ihr etwa mit mir Versteckenspielen?« – »Fällt mir gar nicht ein.« – »Das sollte Euch auch schlecht bekommen.« – »Ich habe keine Angst. Was ist es, was Ihr mir zu sagen habt?« – »Seit dem Tag, da ich Euch meinen Auftrag gab, hat sich einiges verändert. Ihr kennt doch die Aufgabe, die Euch geworden ist, noch ganz genau?« – »Das versteht sich.« – »Nun, ich komme, Euch dieselbe wesentlich zu erleichtern. Die Verbindung hat an einige Orte, die im Rücken der Republikaner liegen, Truppen detachiert, um dort kriegerische Demonstrationen zu unternehmen.« – »Ah! Das wird den Lauf des Präsidenten aufhalten.« – »Ja, aber noch mehr als das. Es wird auch Euch beim Kaiser großen Nutzen bringen.« – »Wieso?« – »Könnt Ihr Euch das nicht denken?« – »Nein.« – »Es fehlt Euch doch mehr Scharfsinn, als ich dachte! Diese Demonstrationen geschehen scheinbar zu Gunsten des Kaisers …« – »Ah, jetzt vermute ich«, fiel der Pater ein. – »Nun?« – »Max wird infolgedessen glauben, daß die Zahl seiner Anhänger größer ist, als er angenommen hat.« – »Sehr richtig.« – »Sein Mut, sein Vertrauen werden wachsen.« – »Das eben bezwecken wir.« – »Und infolgedessen wird er nicht daran denken, Mexiko als Flüchtling zu verlassen.« – »So ist es. Er wird seine Lage als viel besser nehmen, als sie in Wahrheit ist, und das wird ihn in die Hände der Republikaner liefern. Diese können ihn infolge seines Dekretes nicht begnadigen, und er wird erschossen. Juarez steht dann als sein Mörder da und ist vor aller Welt gebrandmarkt.« – »Wo finden diese Kundgebungen statt?« – »Die erste in Santa Jaga.« – »In Santa Jaga?« fragte der Pater erschrocken. – »Ja.« – »Alle Wetter! Warum gerade dort?« – »Der geheime Bund hat es beschlossen.« – »Wird das Kloster Barbara davon berührt?« – »Sogar in sehr hervorragender Weise.« – »Inwiefern?« – »Das Kloster ist wie eine Festung gebaut. Es gewährt genügenden Schutz gegen alle Angriffe. Darum ist es von den Unsrigen besetzt worden.« – »Donnerwetter! Wann?« – »In der Nacht nach Eurer Abreise.« – »Und ich bin nicht dort!« Der Pater machte ein Gesicht, auf dem sich eine peinliche Verlegenheit nicht verkennen ließ.
»Warum alteriert Euch das in solcher Weise?« fragte der Dicke, indem er ihn von der Seite fixierte. – »Nun, ich dächte, das wäre doch sehr leicht zu erraten.« – »Ich errate es keineswegs.« – »So seid Ihr es dieses Mal, dem es an dem nötigen Scharfblick mangelt.« – »Ah, Ihr werdet spitzig«, lachte der Kleine. »Aber ich bitte Euch, deutlicher zu sprechen.« – »Nun, Ihr wißt doch, daß ich der Leiter der Klosteranstalt bin.« – »Freilich.« – »Ich bin also auch für alles, was die Anstalt betrifft, verantwortlich.« – »Das geht mich nichts an.« – »Aber mich desto mehr. Wie viele Soldaten habt Ihr hingelegt?« – »Zweihundert ungefähr.« – »Nun, ich habe Kranke da, schwere und leichte Kranke, Rekonvaleszenten und Geisteskranke. Ihr könnt Euch denken, welchen Einfluß der Lärm und die Verwirrung, die bei einer solchen militärischen Okkupation des Klosters unvermeidlich sind, auf diese Patienten hervorbringen muß.« – »Pah! Sie mögen sterben.« – »Das sagt Ihr, ich aber nicht.« – »So sagt es mit!« – »Der Ruf meiner Anstalt wird geschädigt!« – »Pah! Seid Ihr Schuld an dieser Okkupation?« – »Nein, aber die Folgen kommen dennoch über mich.« – »Ah!« lachte der Kleine. »Seit wann seid Ihr denn so zartfühlend und bedenklich? Ich denke mir, daß Euer Mißmut noch einen ganz anderen Grund hat!«
Er hatte recht. Der Pater dachte an seine Gefangenen, die er unter der Obhut seines Neffen hatte zurücklassen müssen. Was konnte da alles geschehen! Wie leicht konnte alles verraten werden! Dennoch antwortete er:
»Ich wüßte keinen Grund, den ich noch haben könnte.« – »Nun, so braucht Ihr Euch auch nicht aufzuregen. Also, dieses Militär ist des Nachts im Kloster eingezogen und hat dann des Morgens die Stadt Santa Jaga für den Kaiser in Besitz genommen.« – »Ist das gewiß?« – Ja. Ich war zwar nicht dabei, aber es versteht sich ganz von selbst. Ich mußte noch des Abends fort, bin aber von dem Gelingen dieses Streiches vollständig überzeugt, weil da niemand da war, Widerstand zu leisten.« – »Oh, der Teufel hat zuweilen seine Hand im Spiel.« – »Der ist ja unser Verbündeter!« lachte der Kleine. Ähnliche Demonstrationen sind noch an neun anderen Orten geschehen.« – »Wo?« – »Hier ist das Verzeichnis dieser Orte.«
Der kleine Dicke zog einen Zettel hervor, den er dem Pater gab.
»Soll ich dieses Verzeichnis behalten?« fragte dieser. – »Natürlich!« – »Wozu?« – »Um es in Queretaro vorzuzeigen.« – »Bei wem?« – »Beim Beichtvater des Kaisers.« – »Ist dieser auch mit uns verbündet?« – »Das geht Euch nichts an. Ihr meldet Euch bei ihm, und das übrige wird sich dann ganz von selbst finden.« – »Sind auch diese anderen Demonstrationen gelungen?« – »Ja. Ihr könnt darauf schwören.« – »Nun, so bin ich sicher, daß wir den Kaiser festhalten.« – »Ich ebenso. Habt Ihr vielleicht noch eine Frage?« – »Nein.« – »Nun, so reitet in Gottes Namen weiter. Wir sehen uns wieder, sobald es nötig ist.« – »Wohin geht Ihr jetzt?« – »Danach habt Ihr eigentlich gar nicht zu fragen. Da man aber doch zuweilen wissen muß, wonach man sich zu richten hat, so will ich Euch sagen, daß ich nach Tula gehe.« – »Also ebenfalls nach Queretaro.« – »Nein. Ich reise nicht durch, sondern um Queretaro herum.« – »Weshalb? Wir könnten ja miteinander reiten.« – »Nein. Man braucht uns nicht beisammen zu sehen. Adieu!«
Der kleine Dicke verschwand zunächst hinter einem Trümmerhaufen und kam sodann mit einem Pferd zum Vorschein, auf dem er davonritt.
Der Pater setzte ebenfalls seinen Weg fort, indem er wieder nach der Straße hinüberlenkte. Das, was er gehört hatte, war nicht geeignet, ihn in eine gute Laune zu versetzen.
In Querétaro angekommen, begab er sich zum Beichtvater des Kaisers, dessen Wohnung leicht zu erfragen war. Dieser betrachtete ihn forschend und fragte:
»Man meldet Sie mir als Pater Hilario?« – »Ja, der bin ich.« – »Vom Kloster Santa Barbara?« – »Dort wohne ich.« – »Ich kenne Sie bereits seit längerer Zeit.« – »Ich habe leider nicht die Ehre, mich zu besinnen, wann und wo …« – »Oh«, fiel der Beichtvater ein, »ich meine nur, daß ich Sie per Distance kenne, nämlich als verdienstvollen Arzt …« —»Sie beschämen mich.« – »Und als treuen Anhänger Seiner Majestät des Kaisers. Oder sollte ich mich in letzterer Beziehung irren?« – »Nein. Ich bin bereit, mein Leben für den Kaiser zu opfern.« – »Ich habe das erwartet. Übrigens ist mir Ihr Besuch gestern angekündigt worden.« – »Darf ich fragen, von wem?« – »Von einem Freund, den auch Sie kennen, den ich aber jetzt nicht nennen will. Welche Botschaft bringen Sie mir?« – »Ich bringe die ebenso gute wie wichtige Nachricht, daß sich einige Ortschaften für den Kaiser erhoben haben.« – »Ah! Das wäre allerdings höchst wertvoll.« – »Welche Ortschaften sind es?« – »Hier ist das Verzeichnis derselben.«
Der Beichtvater nahm den Zettel in Empfang und las die Namen.
»Das sind ja lauter Städte, die im Rücken des Heeres von Juarez liegen«, meinte er mit gutgespieltem Erstaunen. – »Allerdings.« – »Und sind diese Aufstände als gelungen zu bezeichnen?« – »Ja, sämtliche.« – »Wissen Sie das genau?« – »Ich kann es beschwören. Bei einem derselben bin ich sogar Zeuge gewesen.« – »Sie meinen Santa Jaga?« – »Ja.« – »Sie haben den Putsch mit angesehen?« – »Ich war dabei, als das Militär einzog und die kaiserliche Fahne auf die Zinne des Klosters pflanzte.« – »Wie verhielt sich die Bevölkerung?« – »Ausgezeichnet. Als der Morgen anbrach, jubelte sie dem Zeichen des Kaiserreiches zu.« – »Würden Sie diese Worte in Gegenwart des Kaisers wiederholen?« – Gern.« – »Ich werde Sie sofort zu ihm fuhren. Warten Sie einen Augenblick.«
Der Beichtvater des Kaisers trat in ein Nebenzimmer, scheinbar, um sich in Beziehung auf seine Kleidung auf den Gang zum Kaiser vorzubereiten. Aber in diesem Zimmer stand – der kleine Dicke.
»Nun, wie verhält er sich?« flüsterte dieser. – »Tadellos!« – »Bestätigt er alles?« – »Er sagt sogar, daß er bei dem Putsch in Santa Jaga gegenwärtig gewesen sei.« – »Ah, ich glaubte nicht, ihn so fügsam zu finden. Er ist das Werkzeug, das man zerbricht, nachdem man es gebraucht hat.« – »Ah, Sie wollen ihn opfern?« – »Was anders? Oder sollen wir fallen anstatt seiner?« – »Würde dies notwendig sein?« – »Sicher! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sämtliche Demonstrationen, deren Verzeichnis er besitzt, eine Lüge sind, ausgenommen diejenige in Santa Jage. Übrigens ist es nicht schade um den Kerl. Er hat Geheimnisse in seinem Kloster, die ich schon noch ergründen werde. Entweder er stirbt, oder wir beide sind verloren und – Miramon dazu.«
Der Dicke nannte diesen Namen so leise, daß er kaum gehört werden konnte.
»Ich werde ihn also zum Kaiser führen«, meinte der Beichtvater. – »Aber vorher zu Miramon.« – »Gut. Werde ich diesen in seinem Quartier treffen?« – »Nein, er ist hier im Kloster in seinem Kabinett.«
Kaiser Max hatte nämlich in dem Kloster la Cruz in Querétaro sein Hauptquartier aufgeschlagen. Dort wohnte natürlich auch sein Beichtvater, bei dem sich der Pater jetzt befand.
»Und wo treffe ich Sie wieder?« fragte der Beichtvater. – »Ich verlasse Querétaro sofort«, antwortete der Dicke. »Alle Botschaften senden Sie mir nach meiner Wohnung in Tula.«
Er verließ das Gemach durch eine Seitentür. Der Beichtvater aber trat in das Zimmer zurück, in dem der Pater sich befand. Seine Miene war die eines freundlichen Protektors, als er diesem sagte:
»Wir werden zunächst zum General Miramon gehen. Sind Sie bereit dazu?« – »Warum nicht direkt zum Kaiser?« – »Sie wissen ja, daß man zu gekrönten Häuptern nicht direkt gelangt wie etwa zu einem einfachen Bürger.« – »Ich stehe zur Verfügung.«
Sie verließen das Gemach und gingen über einen Korridor, bis der Geistliche eine Tür öffnete. Sie traten ein und befanden sich in einer Art Vorzimmer.
Hierauf klopfte der Beichtvater an eine nach innen führende Tür, die er öffnete, nachdem ein lautes, gebieterisches »Herein!« erschollen war.
Nachdem er die Tür sorgfältig wieder hinter sich zugezogen hatte, stand er vor dem berühmten oder vielmehr berüchtigten General, den man mit dem besten Gewissen als einen Räuber und sogar Verräter bezeichnen kann.
Dieser warf einen forschenden Blick auf ihn und fragte dann, ohne seine tiefe Verbeugung weiter zu beachten.
»Was bringen Sie mir?« – »Einen Mann, den ich Ihnen vorstellen muß.« – »Wer ist es?« – »Pater Hilario aus Santa Jaga.«
Das Gesicht des Generals nahm einen gespannten Ausdruck an.
»Ah, dem wir jene zweihundert Mann schickten?« – »Ja.« – »Ist er zu Hause gewesen?« – »Nein, er war bereits unterwegs.« – »Schade. So wird er uns wenig nützen.« – »O doch! Er schwört, bei dem Putsch zugegen gewesen zu sein.« – »Der natürlich gelungen ist?« – »Selbstverständlich!« – »Das ist gut. Sie haben die Sache famos arrangiert. Wenn ich Präsident sein werde, erhalten Sie Ihre Belohnung.«
Er machte eine Pause, während welcher sein Gesicht einen bedenklichen, ja finsteren Ausdruck annahm, dann fuhr er fort:
»Aber meinen Sie nicht, daß unser Spiel ein gewagtes ist?«
Der Geistliche schüttelte den Kopf.
»Ich kann das nicht einsehen«, sagte er. – »Und doch kommen mir allerlei Gedanken. Wir liefern den Kaiser in die Hände des Juarez. Wird dieser dankbar sein und uns dafür frei abziehen lassen?« – »Ganz sicher.« – »Bedenken Sie, daß wir, um den Löwen zu fangen, selbst vorher in die Falle gehen müssen. Fast möchte ich es eine Dummheit von Juarez nennen, wenn er mich, ›seinen Feind und Nebenbuhler‹, frei ließe.« – »Ich kenne Juarez. Er ist edel und dankbar.« – »Sein Edelmut ist mir sehr gleichgültig, aber auf seine Dankbarkeit möchte ich rechnen. Lassen Sie den Mann ein!«
Der Pater durfte eintreten. Er ahnte keineswegs, daß er jetzt vor dem Obersten des Geheimbundes stehe. General Miramon fixierte ihn scharf und fragte dann:
»Sie nennen sich Pater Hilario?« – »Ja, Señor.« – »Man sagt mir, daß Sie aus Santa Jaga seien.« – »So ist es die Wahrheit.« – »Was haben Sie von dort zu berichten?« – »Es ist ein Trupp Kaiserlicher dort eingezogen und hat die Fahne des Kaiserreiches entfaltet.«
Miramon legte die Stirn in Falten und meinte:
»Sie wollen sagen: ein Trupp Wahnsinniger. Denn Wahnsinn ist eine solche Kundgebung, wenn sie nicht von anderen, ähnlichen Demonstrationen unterstützt wird.« – »Das letztere ist ja eben der Fall.« – »Wie? Es hätten auch an anderen Orten solche Vorgänge stattgefunden?« – »Ja.« – »Wo?« – »Hier ist das Verzeichnis, Señor. Ich glaube übrigens, daß diese Bewegung immer weiter um sich greifen wird.« – »Ah, Sie bringen mir da eine sehr gute Nachricht! Können Sie die Wahrheit derselben verfechten?« – »Ich stehe mit meinem Kopf dafür.«
Man sieht, daß der Pater bei jeder Instanz mehr sagte, als bei der vorigen, mehr, als er zu beweisen vermochte.
Der General las das Verzeichnis durch und fragte dann:
»Sind diese Demonstrationen überall geglückt?« – »Ja, vollständig.«
Miramon mußte sich alle Mühe geben, um ein halb mitleidiges, halb triumphierendes Lächeln zu verbergen, und fragte weiter:
»Ihre Antwort ist für mich bestimmt?« – »Nicht allein, Señor.« – »Ah! Für wen noch?« – »Ich hoffte, daß meine frohe Botschaft mir den Zutritt bei Seiner Majestät öffnen werde.«
Miramon machte ein scheinbar erstauntes Gesicht und fragte:
»Zum Kaiser wollen Sie?« – »Ich bitte um die Erlaubnis dazu.« – »Warum?« – »Um ihm meine Nachricht zu bringen.« – »Es genügt, wenn sie mir gebracht wird. Sie wissen wohl, daß ich hier der Oberstkommandierende bin?« – »Ich weiß es, Señor. Aber doch hat jeder brave Untertan den Wunsch, seinen Herrscher einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und ich hege die Hoffnung, daß meine Botschaft geeignet ist, zur Erfüllung dieses Wunsches beizutragen.« – »Hm! So haben Sie den Kaiser noch nicht gesehen?« – »Noch nie.« – »Ich gebe zu«, meinte Miramon mit gutgespieltem Zögern, »daß das, was ich von Ihnen höre, eine Belohnung verdient. Also, Sie können alles verbürgen?« – »Mit meinem Kopf, mit meinem Leben!« – »Und Sie werden dem Kaiser alles wiederholen?« – »Alles!« – »So bin ich nicht abgeneigt, Ihnen den Zutritt zu ihm zu eröffnen.«
Miramon schnallte den Säbel, der in einer Ecke lehnte, um und sagte zu dem Beichtvater, der wartend an der Tür stand:
»Ich danke Ihnen! Wir sehen uns wieder!«
Der Geistliche verschwand, und der General winkte dem Pater, ihm zu folgen.
10. Kapitel
Um dieselbe Zeit, oder vielmehr einige Minuten zuvor, stand Kaiser Max am Fenster und blickte mit einem ernst sinnenden Ausdruck seines Gesichtes hinab in den Klostergarten. In der Mitte des Zimmers aber stand ein untersetzt gebauter Mann in reicher mexikanischer Uniform. Dieselbe trug die Abzeichen des Generals, und sein Gesicht, ebenso ernst wie dasjenige des Kaisers, war vom Wetter tiefgebräunt und gegerbt. Der Mann, dem man die indianische Abstammung leicht ansah, war – General Mejia.
Als Juarez gegen Sternau den Marschall Ney, den Bravsten der Braven, erwähnte, hatte er seinem General Porfirio Diaz dieselbe Bezeichnung gegeben. Kaiser Max aber hätte ganz mit ebendemselben Recht den General Mejia den Bravsten der Braven, den Treuesten der Treuen nennen können.
Die beiden Herren hatten augenscheinlich ein sehr ernstes Gespräch durch eine Pause unterbrochen. Endlich beendete der Kaiser diese, indem er, ohne sich umzudrehen, fragte:
»Und Puebla ist also auch verloren?« – »Unwiederbringlich, Majestät.« – »Sagen Sie dieses Wort mit voller Überzeugung?« – »Leider.« – »Und doch denke ich, daß dieser Ort wieder zurückzuerobern sei.« – »Ich sehen keine Möglichkeit ein.« – »Ah! Haben wir hier nicht fünfzehntausend Mann zur Verfügung?« – »Wir können keinen einzigen Mann entbehren.« – »Warum nicht?« – »Weil uns Eskobedo bedroht.« – »Er liegt noch in Zacatecas.« – »Aber er hat seine Avantgarde so weit vorgeschoben, daß er uns in drei Tagen erreichen kann, vielleicht sogar in zweien.«
Da drehte sich der Kaiser schnell um und sagte:
»Ah! Sie fürchten Eskobedo?«
Mejia antwortete nicht.
»Nun?« fragte Maximilian ungeduldig. – »Ich fürchte ihn nicht, aber er ist einer der besten Generäle, die ich kenne«, antwortete Mejia. »Übrigens glaube ich, niemals gezeigt zu haben, daß ich Furcht besitze.« – »Aber Sie sind zu bedenklich.« – »Nicht für mich, sondern für meinen Kaiser.« – »Ihre Bedenklichkeit ist es ja, die Puebla für immer aufgibt.« – »Weil ich keine Mittel sehe, es zurückzunehmen.« – »Nun, wenn wir unser Militär brauchen, so kommandiert ja Marquez in der Hauptstadt. Er ist im Besitz verfügbarer Kräfte.« – »Er braucht diese Kräfte. Er ist von Diaz bedroht.« – »So halten Sie Diaz für einen so vorzüglichen General wie Eskobedo?« – »Für noch vorzüglicher!« – »Marquez wird ihm gewachsen sein.« – »Majestät gestatten mir, zu zweifeln. Marquez ist verhaßt. Er ist zu langsam, er ist nicht treu. Gerade sein Zögern, sein Hinhalten trägt die Schuld, daß es Porfirio Diaz gelang, Puebla wegzunehmen.« – »Mein Gott! Welche Perspektive eröffnen Sie!« – »Leider! Majestät, wir sind eingeschlossen.« – »Sie meinen, wir können nicht nach der Küste?« – Jetzt nicht mehr.« – »Auch vereint nicht?« – »Nein.« – »Pah! Ich verfüge im ganzen über dreißigtausend Mann guter Truppen. Wenn ich mich entschließe, die Hauptstadt und Querétaro zu räumen, so bringen diese Truppen mich sicher nach Verakruz. Was meinen Sie? Zweifeln Sie auch da noch?« – »Leider ja.« – »Warum?« fragte Max ungeduldig oder vielleicht sogar unwillig. – »Erstens traue ich diesen ›guten Truppen« nicht. Und zweitens hat uns Porfirio Diaz den Weg verlegt.« – »Wir sind stärker als er. Wir werfen ihn über den Haufen.« – »Eskobedo würde ihm sofort durch einen eiligen Flankenmarsch zu Hilfe kommen.« – »So schlagen wir erst den einen und sodann den anderen.« – »Bedenken Majestät, daß, wenn wir Querétaro und die Hauptstadt aufgeben, wir in freier Feldschlacht ohne alle Stütze sind, während wir jetzt wenigstens unter Deckung stehen.«
Max war kein Kriegsmann. Seine Ansichten bewegten sich bald auf der höchsten Sprosse der Hoffnungsleiter, bald sanken sie wieder und rasch bis auf die unterste herab.
»So ist also Ihre Ansicht, daß alles verloren sei?« fragte er mutlos. – »Alles!« antwortete Mejia in tiefem Ton.
Da strich der Kaiser sich den Bart, seine Augen ruhten vorwurfsvoll auf dem General, und er sagte:
»Wissen Sie, daß Sie durchaus nicht Hofmann sind?« – »Majestät, ich bin es nie gewesen. Ich bin Soldat und meines Kaisers treuer, wahrheitsliebender Untertan.«
Da reichte Max ihm die Hand und sagte mit dem mildesten Ton seiner Stimme:
»Ich weiß das. Sie sind zwar immer ein Unglücksrabe gewesen, aber Sie haben es gut gemeint.« – »Ein Unglücksrabe?« fragte Mejia unter überströmendem Gefühl seines Herzens. »Nein, nein, Majestät. Ich habe Majestät gewarnt, seit Sie den Fuß auf den Boden dieses Landes setzten. Meine Warnungen verhallten ungehört. Nun werde ich mit meinem Kaiser untergehen.«
Wieder trat eine Pause ein, während welcher der Kaiser trüben Sinnes zum Fenster hinausblickte. Dann drehte er sich schwer und langsam um und sagte:
»General, ich will gestehen, daß ich jetzt wünsche, mich zuweilen Ihrer Ansicht gefügt zu haben.«
Da ergriff Mejia des Kaisers Hände, küßte sie und benetzte sie mit Tränen und rief aus:
»Dank, tausend Dank für dieses Wort, Majestät. Es entschädigt mich für alles, was ich im stillen erlitten habe.« – »Ja. Sie sind treu und zuverlässig. Und Sie glauben wirklich, daß wir weichen müssen?« – »Weichen? O nein, das können wir gar nicht.« – »Wieso?« – »Wohin wollen wir weichen?« – »Hm! Ich weiß es nicht.« – »Es gibt keinen Ort. Man wird Mexiko und Verakruz nehmen und uns hier erdrücken.« – »So werden wir kämpfen.« – »Kämpfen und sterben!« – »Dieses letztere Wort mag ich nicht hören. Ich scheue nicht den Heldentod auf dem Schlachtfeld; aber man wird es niemals wagen, Hand an das Leben eines Sohnes des Hauses Habsburg zu legen.«
Da streckte Mejia abwehrend seine Hand aus und rief:
»Man wird es wagen, Majestät.« – »Meinen Sie?« fragte Max fast drohend und indem er seine Gestalt stolz aufrichtete. – »Ich bin überzeugt davon.« – »Das wäre Kaisermord.« – »Die Bewohner dieses Landes sagen, daß sie keinen Kaiser kennen.« – »Man würde mich rächen.« – »Wer?« – »Die Mächte.« – »Haben England und Spanien etwas vermocht? Sie haben ihre Truppen bereits im ersten Augenblick zurückgezogen. Hat Frankreich etwas erreicht? Napoleon hat sich rechtzeitig aus der Schlinge gezogen und uns darin zurückgelassen. Welche Macht sollte uns rächen?« – »Die Stimme der Geschichte.«
Diese Worte waren im Ton tiefster Überzeugung gesprochen.
»Die Geschichte?« fragte Mejia. »Ist sie stets unparteiisch?« – »Nicht immer, aber die Nachwelt müßte unsere Richter verurteilen.« – »Vielleicht verurteilt die Nachwelt uns.« – »Wieso?« – »Indem sie sich auf die Seite der Mexikaner stellt.« – »Also auf die Seite unserer Mörder?« – »O Majestät, gestatten Sie mir in Gnaden, diesen Punkt mit objektivem Auge zu betrachten. Der echte Mexikaner kennt keinen Kaiser von Mexiko. Er nennt den Erzherzog von Osterreich einen Eindringling, der widerrechtlich das Land mit Blut übergössen hat.« – »General, Sie ergehen sich in starken Ausdrücken.« – »Aber diese Ausdrücke bezeichnen die Stimme der Republikaner sehr genau. Und dazu bitte ich, an das Dekret zu denken.« – »Erwähnen Sie es nicht!« rief Max unter der Gebärde eines tiefen Unmutes. – »Und doch muß ich dies tun. Ich riet Ihnen damals von der Unterschrift ab, sie wurde dennoch vollzogen.« Von dem Augenblick an aber, als wir die Republikaner als Mörder bezeichneten und behandelten, hatten sie, von ihrem Standpunkt aus betrachtet, das doppelte Recht, dies auch mit uns zu tun. Gerät der Erzherzog Max von Österreich in ihre Hände, so machen sie ihm den Prozeß, ohne nach dem Urteil der Mächte oder nach der Stimme der Geschichte zu fragen.« – »Das wäre schrecklich.« – »Ja, man wird uns als gemeine Mörder behandeln und erschießen.« – »Eher sterbe ich mit dem Degen in der Faust.« – »Nicht immer hat man die Gelegenheit zu einem solchen Tode.« – »So gibt es also kein Mittel, einem so gräßlichen Schicksal zu entrinnen?« – »Es gibt eins.« – »Sie meinen den Rückzug?« – »Ein Rückzug? Wohin? Es gibt keinen. Ein Rückzug war möglich, als Bazaine wartete, Sie an Bord aufzunehmen. Ein Rückzug war möglich, noch immer und zum letzten Male möglich, als uns Puebla noch gehörte und der Weg nach Verakruz noch offenstand. Jetzt ist das nicht mehr der Fall.« – »Nun, welches Rettungsmittel meinen Sie?« – »Die Flucht.« – »Die Flucht?« fragte Max, sich abermals stolz emporrichtend. – »Ja.« – »Nie, niemals!« – »Sie ist der einzige Weg der Rettung.« – »Ich verschmähe, ihn zu betreten.« – »Und ich würde ihn nicht verschmähen.« – »Man würde Sie für feig erklären.«
Da richtete Mejia sich stolz empor.
»Majestät«, sagte er, »ich hoffe, man kennt den General Mejia zu gut, als daß es möglich sei, ihn für einen Feigling zu halten.« – »Und dennoch würde man dies tun.« – »Hielt man Bonaparte für einen Feigling, als er aus Ägypten und Rußland flüchtete? In beiden Fällen ließ er sein Heer zurück, das nichts zu erringen vermochte.« – »Er rettete die Kaiseridee, nicht sich.« – »Sie haben ganz dieselbe Aufgabe.« – »Ich halte aus.« – »Oder noch ein Beispiel. War der schwedische Karl ein Held, als er verachtete, nach der Heimat zurückzukehren?« – »Er war ein Tollkopf.« – »Und doch war er wenigstens seines Lebens sicher. Hier aber lauert der Tod in seiner schrecklichsten Gestalt auf Sie.« – »Ich halte auch diese Rettung für unmöglich.« – »Darf ich fragen, warum?« – »Das ganze Land ist vom Feind besetzt.«
Da legte Mejia mit blitzenden Augen seine Hand an den Degen und antwortete:
»Haben Sie nicht mehrere hundert ungarische Husaren, die bereit sind, ihr Leben für Sie zu lassen? Stellen Sie mich an die Spitze dieser Leute, und ich hafte mit meinem Ehrenwort und mit meinem Kopf dafür, daß ich Sie wohlbehalten an die Küste und auf ein Schiff bringe.« – »Ich darf diese Treuen nicht opfern.« – »Sie opfern sie auch, indem Sie hierbleiben.« – »Was wird aus den anderen, aus meinen Generälen, wenn es mir gelingt, zu entkommen? Man wird sie ergreifen!« – »Man wird dies auch tun, wenn Sie bleiben.« – »Aber dann wird es möglich sein, für sie zu sprechen.« – »Man wird nicht auf diese Fürsprache hören.« – »Sie würden verloren sein, alle, Marquez, Miramon …«
Mejia wagte den Kaiser zu unterbrechen, indem er fragte:
»Getrauen sich Majestät wirklich, diesen Miramon durch Ihre Fürsprache zu retten?« – Ja.« – »Er ist der erste, dem man den Prozeß machen wird.« – »Er steht unter meinem Schutz.« – »Man wird diesen Schutz nicht anerkennen. Miramon gilt im ganzen Land als Verräter.« – »General!« – »Ich weiß es, ich darf es behaupten.« – »General!« rief Max abermals in strengem Ton.
Mejia achtete nicht darauf. Er fuhr fort:
»Man gibt ihm die Schuld an allem, was geschehen ist.« – »Beweisen Sie es!« – »Tausend Stimmen sind zu hören!« – »Ah! Was sagen diese tausend Stimmen?« – »Haben Majestät von Jecker gehört?« – »Natürlich!« – »Dieser naturalisierte Franzose borgte Miramon, der damals Gegenpräsident war, sieben Millionen Franken, gab ihm aber nur drei Millionen bar und die anderen vier in wertlosen Papieren. Hierfür erhielt Jecker von Miramon Schuldbriefe, die auf die Republik Mexiko lauteten, und zwar im Betrag von fünfundsiebzig Millionen Franken. Über achtundsechzig Millionen also waren erschwindelt.« – »General!« – »Diese Schwindelschuld kaufte Herr Morny, Halbbruder Napoleons. Und weil Juarez diese Summe nicht bezahlen wollte, so …« – »General!« rief Max noch drohender.
Aber Mejia ließ sich in seinem ehrlichen Feuereifer nicht irremachen, sondern er fuhr fort:
»So überzog Napoleon unser schönes Land mit Krieg.« – »Ah, Sie machen mich zum Mitschuldigen!« rief Max. – »Nein. Das sei fern von mir! Davor mag unser Gott mich in Gnaden behüten! Ich halte es nur für meine Pflicht, Sie auf die Stimme des Landes, des Volkes aufmerksam zu machen, die vielleicht einmal die – Stimme der Geschichte sein wird.« – »Sie sind mehr als kühn!« – »Ich bin es nur, um Sie zu retten. Ich muß Ihnen beweisen, daß Miramon nichts zu erwarten hat, weder Gnade noch Barmherzigkeit. Und Marquez, Lopez und die anderen, unter denen die Bewohner der Hauptstadt seufzen, werden auch nicht gerettet, indem Sie sich für dieselben opfern. Ein Haar Eurer Majestät ist teurer und mehr wert als diese Männer zusammen. Majestät, Sie sehen mich zu Ihren Füßen. Ich vereinige mein Flehen mit den Bitten aller Ihrer treuen Diener und Untertanen. Lassen Sie das Wort Flucht nicht den schlimmen Klang haben, den es zu besitzen scheint! Vertrauen Sie sich mir an! Kehren wir zurück nach Europa, um Kräfte zu sammeln, das hohe Spiel, das uns die Klugheit rät, einstweilen aufzugeben, von neuem zu beginnen und dann zu gewinnen.«
Mejia war vor Max niedergekniet und hatte dessen Hände ergriffen.
»Ich – kann nicht!« antwortete dieser.
Da spielte Mejia seinen letzten und besten Trumpf aus. Er sagte:
»Denken Sie unserer hohen Kaiserin. Noch ist vielleicht Rettung für sie möglich. Vielleicht belebt sich ihr Auge, wenn es auf den Mann fällt, dem ihre Seele, ihr Herz, ihr Leben gehören. Soll sie in die Nacht unrettbaren Geistestodes fallen, wenn sie vernimmt, daß dieser Mann gestorben sei, gestorben am Kreuz im dunklen Winkel, gestorben den Tod des Verbrechers?«
Der Kaiser entzog dem General seine Hände und legte sie vor das leichenblasse Angesicht.
»Wer – wen erwähnten Sie da?« rief er. – »Diejenige, die Sie vielleicht retten können und retten müssen, indem Sie sich selbst retten.« – »Charlotte, o Charlotte!«
Bei diesem Schmerzensruf rollten dem Kaiser Tränentropfen zwischen den Fingern hervor. Er war tief bewegt. Seine Brust hob und senkte sich, und hinter den vorgehaltenen Händen ließ sich ein lautes Schluchzen hören.
»Majestät!« rief der noch immer kniende General in bittendem Ton.
Da ließ Max die Hände sinken und sagte unter strömenden Tränen:
»Mejia, Sie haben da eine Saite berührt, deren Klang ich niemals widerstehen konnte.«
Jetzt sprang der treue Mann auf und rief:
»O mein Gott, wäre es möglich, daß du das Herz meines Kaisers gelenkt hättest?« – Ja, er hat es gelenkt«, antwortete Max. »Mein Weib, meine Charlotte soll nicht dem Wahnsinn verfallen, wenn es mir möglich ist, ihrem Geist das Licht wiederzugeben. Also Sie halten die Rettung für möglich?« – Ja.«
– »Aber nur durch die Flucht?« – »Nur durch sie.« – »Sie meinen heimliche Flucht?« – »Nein. Heimlich zu fliehen, bin auch ich zu stolz. Freilich braucht nicht jeder vorher zu erfahren, daß Sie das Land verlassen wollen. An der Spitze Ihrer treuen Husaren bringe ich Sie sicher an das Meer.« – »Aber die Republikaner?« – »Ich fürchte sie nicht!« – »Sie werden es erfahren und uns den Weg verlegen.« – »Sie werden uns ziehen lassen.«
– »Nachdem wir sie zurückgeschlagen, ja. Aber ich will so wenig wie möglich Blut vergießen.« – »Es soll keins vergossen werden. Juarez wird uns beschützen.« – Juarez?« fragte der Kaiser erstaunt. – Ja.« – »Welch ein Rätsel! Juarez wird meine Flucht beschützen?« – Ja«, antwortete Mejia im Ton größter Zuversicht. – »Inwiefern?« – Darf ich an die Dame erinnern, die Majestät bereits einige Male gesprochen haben?« – Jene Señorita Emilia etwa?« – Ja.« – »Sie ist mir doch einige Male absichtlich in den Weg getreten.« – »Haben Majestät mit ihr gesprochen?« – »Nein. Sie hat mir jedesmal ein Schreiben übergeben.« – »Darf ich erfahren, was diese Schreiben enthielten?« – Die dringende Mahnung zur Flucht.« – »War Juarez nicht erwähnt?« – Ja. Ich hielt sie für eine Abenteurerin!« – »Vielleicht ist sie das auch. Aber Juarez bedient sich ihrer zu Aufträgen, die nicht den Charakter des Offiziellen trafen dürfen.« – »Ah! So ist sie seine Spionin?« – »Nein, sondern seine Agentin.« – »Verkehren Sie noch mit ihr?« – Ja.« – »Das könnte Sie verdächtig erscheinen lassen, General!« – »Majestät, Juarez will nicht Ihren Tod. Er weiß, daß er Sie nicht zu retten vermag, wenn Sie in die Hände der Republikaner gefallen sind, und so sandte er diese Dame als Botin, die seinen Wunsch in diskreter Weise zu erkennen geben soll. Sie hat sich an mich gewandt.« – »Hat sie bestimmt formulierte Aufträge?« – Die kann sie noch nicht haben. Aber sobald sie weiß, daß Majestät auf sie hören wollen, wird sie um eine kurze Audienz bitten.« – »Wo wohnt sie? Kennen Sie ihre Wohnung?«
– »Ja.« – »Sie sehen ein, daß es höchst unklug sein würde, der Vertrauten des Juarez wissen zu lassen, daß ich fliehen will. Aber ich will doch sehen, was sie mir mitzuteilen hat. Lassen Sie sie holen.« – »Sie ist bereits da.« – »Ah! Wo?« – »Im Garten.« – »Ich ahne, Sie haben sie bestellt oder mitgebracht.« – »Verzeihung, Majestät! Ich habe Gott gebeten, meinem Flehen bei meinem Kaiser Erhörung zu schenken. Ich war überzeugt, daß Gott ja und amen sage, und so beorderte ich die Señorita nach dem Garten, damit sie nötigenfalls sofort zur Hand sei.« – »Gut! Gehen Sie, um sie zu holen!«
11. Kapitel
Mejia ging. Draußen begegnete er Miramon, der ihm mit einem fremden Menschen entgegenkam. Beide Generäle grüßten sich kalt und schritten gleichgültig aneinander vorüber.
»Warten Sie hier!« meinte Miramon zu dem Pater.
Er ließ sich melden und trat dann ein.
Im Angesicht des Kaisers lag ein Etwas, was der General sich nicht zu erklären vermochte. Mejia war hier gewesen. Jedenfalls galt es, den Eindruck, den dieser zurückgelassen hatte, wieder zu verwischen.
»Was bringen Sie?« fragte der Kaiser ernst. – »Eine außerordentlich wichtige Nachricht, Majestät«, antwortete der General unter einer tiefen Verneigung. – »Wichtig? Aber doch wohl nicht erfreulich?« – »Im Gegenteil, außerordentlich erfreulich.« – »Das bin ich leider gar nicht mehr gewöhnt.« – »Oh, Majestät werden sich bald wieder an das zurückkehrende Glück gewöhnen und Ihre Regierung noch lange zum Wohl und Ruhm des Landes fortsetzen.« – »Ich verstehe Sie nicht! Welche Nachrichten bringen Sie?« – »Juarez wird von Querétaro ablassen.« – »Ah!« rief der Kaiser im Ton des höchsten Erstaunens. – »Und Diaz von der Hauptstadt und Puebla.« – »Das wäre mir unbegreiflich.« – »Juarez ist gezwungen.« – »Wodurch?« – »Durch den Aufstand Ihrer Treuen.«
Da trat der Kaiser rasch näher.
»Einen Aufstand gibt es? Wirklich?« – »Ich bringe die Nachricht davon.« – »Gegen Juarez ein Aufstand?« – »Ja.« – »Wo?« – »Oh, an vielen, vielen Orten.« – »Nennen Sie dieselben.« – »Da ist zuerst zu nennen das Kloster della Barbara.« – »Wo liegt dieses?« – »In Santa Jaga.« – »Liegt diese Stadt nicht viel nördlicher als Zacatecas?« – »Allerdings.« – »So wäre dieser Aufstand ja im Rücken von Juarez.« – »So ist es.« – »Und die anderen Orte?« – »Liegen alle auch im Rücken der Republikaner.« – »Woher haben Sie diese Kunde?« – »Von einem sicheren Gewährsmann.« – »Können Sie sich auf ihn verlassen?« – »Wie auf mich selbst.« – »Wo befindet er sich?« – »«Vor der Tür Eurer Majestät,« – »Ah, Sie haben ihn mitgebracht?« – »Ich sagte mir, daß Majestät den Wunsch haben würden, eine so wichtige Botschaft aus seinem eigenen Mund zu hören.« – »Ich danke Ihnen. Wer ist der Mann?« – »Er ist ein hochgelehrter und berühmter Arzt, Pater Hilario, der Dirigent der ebenso berühmten Krankenheilanstalt della Barbara.« – »Wo der Aufstand ausgebrochen ist?« – »Ja.« – »Lassen Sie ihn eintreten!«
Eigentümlich! Die Haltung des Kaisers war im Handumdrehen eine ganz andere geworden. Er dachte bereits nicht mehr an Rückzug und Flucht, Seine Augen glänzten; seine Wangen hatten sich gerötet, und es war ein höchst wohlwollender Blick, mit dem er den Eintretenden betrachtete.
»Sie nennen sich Pater Hilario?« fragte er ihn. – »Zu Befehl, Majestät«, antwortete der Gefragte, indem er sich fast bis zur Erde verneigte. – »Haben Sie sich bisher mit Politik beschäftigt?« – »Ich habe mich nur mit meinen Kranken beschäftigt.«
– »Das ist sehr verdienstvoll. Man sagt mir, daß diese Anstalt jetzt sehr beunruhigt worden sei?« – »Majestät meinen die militärische Demonstration, die in Santa Jaga stattgefunden hat?« – »Ja. War sie bedeutend?« – »Sie wurde von vielleicht zweihundert Personen eingeleitet, und sodann beteiligte sich die Bevölkerung der ganzen Stadt und Umgegend daran.« – »In welcher Weise?« – »Man bewaffnete sich, man ließ Fahnen und Flaggen wehen, man läutete die Glocken und sandte zu den Nachbargemeinden, um Kompanien, Bataillone und Regimenter zu bilden, die ausziehen werden, unseren Kaiser zu schützen.« – »Wie hoch belief sich die Anzahl der Demonstrierenden in Santa Jaga?« – »Früh zweihundert, abends vielleicht bereits dreitausend.« – »Man sagt, auch andere Orte haben demonstriert?« – »Ich habe die Liste derselben bei mir.« —
»Zeigen Sie, guter Mann.«
Der Pater gab auch hier den Zettel hin. Maximilian las die Namen und sagte dann zu Miramon gewandt:
»Alle im Rücken von Juarez.« – »Desto besser für uns.« – »Gelangen diese Demonstrationen ebenso wie diejenige in Santa Jaga?« – »Gewiß. Die Bewegung wird sich wie ein Präriefeuer verbreiten. Nach meiner Rechnung stehen dreißigtausend Mann hinter Juarez, die sich von Stunde zu Stunde verstärken werden.« – »Man muß ihnen einen geeigneten Anführer senden.« – »Ich bitte um die Erlaubnis, dies mit Majestät besprechen zu dürfen. Aber wir sehen, daß der Kaisergedanke tief Wurzel geschlagen hat und von keinem republikanischen Schwärmer jemals wieder ausgerissen werden darf.« – »Wenigstens sind die militärischen Folgen dieser Kundgebung einzusehen.« – »Sie werden nicht auf sich warten lassen. Die Republikaner müssen sich gegen den neuen Feind nach Norden wenden. Das verschafft uns Luft und Raum zu neuen Evolutionen.«
Während der Kaiser mit Miramon ganz begeistert von den so plötzlich neu belebten Hoffnungen sprach, kam Mejia mit Emilia aus dem Garten.
»Seine Majestät noch allein?« fragte der General einen Bedienten. – »Nein«, antwortete dieser. – »Wer ist bei ihm?« – »Miramon und ein Unbekannter.«
Mejias Stirn legte sich in Falten. Die beiden waren also zum Kaiser gegangen. Er ahnte eine Gefahr, und schnell entschlossen, wie er als Soldat war, sagte er zu Emilia.
»Kommen Sie! Treten Sie gleich mit ein.«
Es war dies natürlich gegen den Gebrauch. Miramon machte daher ein sehr finsteres Gesicht, als er Mejia eintreten sah. Der Kaiser aber übersah in seiner Freude den faux pas und trat rasch auf Mejia zu.
»General, haben Sie bereits gehört, daß es nun nicht nötig sein wird, unseren Plan auszuführen?« – »Unseren Plan«, dachte Miramon. »Ah, sie hatten einen Plan, von dem ich nichts wissen sollte?«
Mejia verbeugte sich kalt und antwortete:
»Ich würde glücklich sein, zu hören, daß Ereignisse eingetreten sind, die diesen Plan unnötig machen. Darf ich mir eine Erkundigung erlauben?« – »Oh, sehr einfach! Man revoltiert gegen Juarez und zwar an zehn Orten, hinter seinem Rücken. Er ist jetzt gezwungen, mit seinen Truppen eine Rückwärtsbewegung zu machen, die uns erlaubt, angriffsweise vorzugehen und ihn zwischen zwei Feuer zu nehmen.«
Der verständige Mejia schüttelte den Kopf.
»Haben Eure Majestät Beweise?« fragte er. – Ja. Hier steht der Bote.«
Der General wandte sich zum Pater. Dieser hatte nicht gewagt, sich umzudrehen, als die Tür aufging, und hatte also Emilia auch noch nicht gesehen.
»Wer sind Sie?« fragte ihn Mejia. – »Er ist ein Señor, den ich Majestät bereits vorgestellt habe«, entgegnete Miramon in scharfem Ton.
Um Mejias Lippen spielte ein überlegenes Lächeln.
»Das schließt nicht aus, daß auch ich ihn kennenlernen muß«, antwortete er. »Majestät sind nicht so gnädig gewesen, mir den Namen zu nennen, nach dem ich mich also erkundigen muß.« – »Dieser Señor ist der Arzt Pater Hilario im Kloster della Barbara in Santa Jaga«, erklärte der Kaiser.
Mejia konnte einen Ausdruck der Überraschung nicht verbergen. Sein Blick flog zu Emilia hin und auf den Pater zurück, auf dem er streng und stechend haften blieb. Dann fragte er, sich zum Kaiser wendend:
»Erlauben mir Majestät, einige Fragen an diesen Mann zu richten?« – »Sprechen Sie mit ihm!« nickte der Kaiser. – »Nicht wahr, Sie sind Arzt?« fragte Mejia. – Ja«, antwortete der Pater. – »Wer schickt Sie her nach Querétaro?« – »Die Bevölkerung dieser Stadt.« – »Weshalb?« – »Sie hat sich nebst den Bewohnern anderer Städte für Seine Majestät den Kaiser erklärt. Wir sind über dreißigtausend Mann stark und stehen bereit, Juarez anzugreifen.« – »Wer ist Euer Anführer?« – »Wir haben noch keinen, bitten aber um einen solchen.« – In solchen Fällen schickt man eine Deputation und keinen einzelnen Mann. Wo haben Sie die Adresse?« – »Eine Deputation mit Adresse wäre in die Hände von Juarez gefallen. Darum komme ich allein.« – »Ich hoffe, daß Sie ein ehrlicher Mann sind.« – »Ich bin es.« – »Kennen Sie diese Dame?«
Der Pater drehte sich um. Er erkannte Emilia, hatte aber so viel Macht über sich, daß er sich nicht aus der Fassung bringen ließ.
»Ja«, antwortete er ruhig. – »Nun, wer ist sie?« – »Eine Spionin des Juarez, die ich allerdings nicht hier erwartet habe.« – »Ah!« machte Miramon, indem er Emilia fixierte.
Mejia lächelte überlegen und antwortete:
»Majestät wissen bereits, wer diese Dame ist. Ich habe von ihr erfahren, daß sie in dem Kloster della Barbara gewesen ist. Es scheint dort nicht alles in Ordnung zu sein.«
Das trat Miramon vor. Er ahnte, was hier beabsichtigt wurde, und fiel schnell ein:
»Die Privatverhältnisse dieses Señors interessieren uns hier nicht. Wir haben es zunächst nur mit seiner Botschaft zu tun.« – »Ich glaube nicht daran«, meinte Mejia. – »Señor!« rief Miramon.
Mejia trat hart an ihn heran und antwortete:
»Welch ein Ton ist dies in Gegenwart unseres allergnädigsten Kaisers! Ich wiederhole, daß ich nicht an die Worte dieses Mannes glaube, es sei denn, daß er mir Beweise bringe.«
Da winkte der Kaiser mit der Hand und wandte sich an Miramon:
»General, Sie haben diesen Mann eingeführt. Sind Sie überzeugt von der Wahrheit dessen, was er berichtet hat?« – »Vollständig.« – »Das ist genügend.« Und sich an Mejia wendend, fuhr er fort: »Ich habe Ihnen die Mitteilung zu machen, daß ich dieser Dame nicht mehr bedarf. Sie können dieselbe begleiten.«
Mejias Fäuste ballten sich, aber er hielt an sich. Er verbeugte sich tief, aber nur vor dem Kaiser, und entfernte sich mit Emilia, seinen Feind und Widersacher beim Regenten lassend. Wieder einmal hatte ihm der Verräter den Rang abgelaufen!
Erst eine Stunde später verließ auch Miramon das Kabinett des Kaisers, an seiner Seite der Pater. Er bezeichnete diesem letzteren eine Venta, in der er logieren solle, und begab sich darauf zu dem Beichtvater.
Dieser hatte augenscheinlich auf ihn gewartet und empfing ihn mit der Frage:
»Gelungen, Señor?« – »Ja, aber schwer.« – »Ah! War der Kaiser ungläubig?« – »Der nicht, aber Mejia.« – »Der General war bei ihm, und in seiner Gesellschaft befand sich Señorita Emilia?« – »Ja.« – »Diese Señorita war beim Kaiser?« – »Ja.« – »Mit Mejia?« – Ja. Und zwar hatte Mejia mit dem Kaiser einen Plan gefaßt, von dem ich nichts wissen sollte.« – »Donner! Er wird doch nicht etwa fliehen wollen?« – »Ich vermute es.« – »Das müssen wir hintertreiben. Aber was hat diese Emilia dabei zu tun?« – »Oh, sehr viel. Unser Pater sagte mir, daß sie eine Spionin des Juarez sei und viele Franzosen in das Verderben geführt habe. Sie soll wenigstens ebenso gefährlich sein wie jener Schwarze Gerard, von dem man vor Wochen so viel erzählte.« – »So steht zu vermuten, daß beide, der Kaiser und Mejia, mit ihrer Hilfe, also unter dem indirekten Schutz des Juarez, fliehen wollen, was wir verhindern müssen.« – »Natürlich. Aber wie?« – »Ich habe das meinige bereits getan. Der Kaiser glaubt mir und dem Pater. Er ist voller Hoffnungen und erwartet nur eine Kunde, daß Juarez von hinten angegriffen worden sei. Ich werde ein Regiment detachieren, das eine Demonstration machen soll, dann ist dieser Max völlig überzeugt und wird in der Falle sitzen bleiben.« – »Das ist indes nur halbe Arbeit. Wie leicht könnte er dennoch mißtrauisch werden!« – »Er war nahe daran.« – »Inwiefern?« – »Diese Señorita Emilia muß Mejia einiges nicht Empfehlendes von unserem Pater mitgeteilt haben. Der General fing davon an, ich aber fiel ihm sofort in die Rede.« – »So müssen wir das Frauenzimmer entfernen.« – Jedenfalls. Dann fehlt Mejia der Beweis und ihnen beiden die Helferin zur Flucht.« – »Also fort mit ihr! Aber wie?« – »Es muß scheinen, als ob sie heimlich entwichen sei. Dann fällt der Verdacht des Kaisers auf sie, daß sie gelogen habe und vor der Verantwortung entwichen sei.« – »So muß ihre Entfernung im geheimen geschehen.« – »Natürlich. Kennen Sie Ihre Wohnung?« – »Sehr gut. Sie wohnt bei der alten Señora Miranda, deren Beichtvater ich bin und deren Haus; ich also ganz genau kenne.« – »Könnten Sie sie heute abend aus dem Haus locken, ohne daß es bemerkt wird?« – »Ich bin bereit. Aber was dann?« – »Der Kaiser darf nichts ahnen. Ich sende sie nach Tula und lasse ihr dort als Spionin den Prozeß machen.« – »Lopez ist zuverlässig und verschwiegen, er wird sie sicher hingeleiten. Sie werden also die Señorita aus dem Haus locken. In der Nähe hält Lopez dann mit seinen Leuten. Um wieviel Uhr sind Sie Bereit?« – »Punkt neun Uhr?« – »Lopez wird fünf Minuten vorher zu Ihnen kommen. Adios!« – »Adios!«
12. Kapitel
Während dieses Komplott gegen Emilia geschmiedet wurde, war sie in ihre Wohnung zurückgekehrt. Sie sah ein, daß ihre Rolle hier ausgespielt sei, und sehnte sich fort. Da hörte sie draußen Männerschritte, die vor der Tür halten blieben. Die alte Dienerin, die ihre Wirtin ihr zur Verfügung gestellt hatte, öffnete, steckte den Kopf herein und sagte:
»Zwei Señores wollen Euch sprechen, Señorita.« – »Wer sind sie?« – »Ein Señor Helmers und der andere heißt Strau-Strauber – ja, Straubenberger.« – »Ich kenne sie nicht.« – »Aber sie kennen Euch.« – »Nun, so mögen sie eintreten.«
Die beiden Eintretenden waren Kurt und der Kleine André. Sobald Emilias Blick auf den letzteren fiel, erheiterte sich ihr Gesicht. Sie eilte auf ihn zu, streckte ihm die Hände entgegen und sagte im Ton der höchsten Freude:
»Mein Gott, welch eine Überraschung! Ihr, Señor André?« – »Ja, ich«, antwortete der Kleine, ihre Hand ergreifend. – »Wo kommt Ihr denn her?«
André sah sich vorsichtig um, und als er fand, daß die Dienerin sich zurückgezogen habe, antwortete er leise:
»Von Juarez.« – »Von Juarez? Das ist aber unendlich gefährlich.« – »Ja, Ihr müßt wissen, gerade das Gefährliche liebe ich.« – »Das habe ich erfahren. Aber wer ist Euer Begleiter hier?«
Emilias Blick glitt mit sichtlichem Wohlgefallen an Kurts Gestalt nieder.
»Hm. Wenn Ihr das raten könntet!« schmunzelte der Kleine. – »Mit Raten gebe ich mich nicht gern ab.« – Er kennt meinen Bruder.« – »Ah!« – Ja, den Ludwig.« – »So, so«, lächelte sie. – »Habt Ihr denn nicht von den beiden Brüdern Helmers gehört, die mit Señor Sternau waren?« – »O doch, Ehr meint Donnerpfeil und den Steuermann?« – Ja. Señor Kurt hier ist der Sohn des Steuermannes. Er ist aus Deutschland herübergekommen, um uns zu retten.« – »Zu retten? Bedurftet Ihr denn der Rettung?« – »Das versteht sich. Wir waren alle miserabel gefangen.
Das wunderte Emilia noch mehr, und die beiden mußten sich niedersetzen und erzählen. Dieses letztere besorgte der brave André. Kurt saß da und beobachtete Emilia, deren Schönheit er bewunderte.
Das Mädchen war so lieb und gut mit dem Kleinen, daß diesem das Herz aufging. Was er darauf hatte, das mußte herunter, und so kam es auch, daß er ihr den Zweck ihrer gegenwärtigen Anwesenheit mitteilte.
»Wie?« fragte sie Kurt. »Sie wollen mit dem Kaiser sprechen! Ich darf wohl nicht fragen, welches der Zweck Ihrer Audienz beim Kaiser ist?« – »Es ist mir allerdings nicht erlaubt, darüber zu sprechen, obgleich ich überzeugt bin, daß ich Ihnen Vertrauen schenken dürfte.« – »Sicher, Señor. Wie lange werden Sie hierbleiben?« – »Das ist noch unbestimmt. Es kommt das auf die Antwort an, die ich vom Kaiser erhalte.« – »Sie gehen wieder zu Juarez?« – Ja.« – »Oh, würden Sie mich mitnehmen? Ich fühle mich so unsicher und elend hier.« – »Natürlich, natürlich! Wir nehmen Euch mit!« rief der Kleine André ganz enthusiasmiert. – »Ich stimme meinem Kameraden vollständig bei«, fügte Kurt hinzu. – »Wann gehen Sie zum Kaiser?« – »Sogleich.« – »Darf ich dann erfahren, wie lange Sie noch hierbleiben?« – »Ich stehe gern zu Diensten. Wann darf ich Sie wiedersehen?« – »Heute abend?« fragte sie. – »Gewiß.« – »Vielleicht nach neun Uhr? Sie müssen nämlich wissen, daß man hier sehr spät empfängt.« – »Wir werden kommen, Señorita. Nicht wahr, lieber André?« – »Mit dem allergrößten Vergnügen«, schmunzelte der Kleine. – »Wo logieren Sie?« – »In der Venta, rechts auf dieser Gasse.« – »So haben Sie also nicht weit zu mir. Ich wollte, Sie reisten bereits morgen wieder ab.« – »Vielleicht habe ich die Freude, Ihnen diese Antwort zu bringen.« – »Aber wie sind Sie in die Stadt gekommen? Man kontrolliert seit einiger Zeit sehr streng.« – »Ich bin im Besitz von Papieren, die mir überall Eingang verschaffen.«
Die beiden gingen. Während André nach seiner Venta zurückkehrte, wandte Kurt sich nach dem Kloster La Cruz. Er wurde zwar dort eingelassen, aber nach seinem Begehr gefragt. Er zeigte seine Papiere vor und erhielt nun erst die Erlaubnis, in das Vorzimmer zu treten. Er wurde angemeldet, obgleich noch mehrere andere Personen auf Einlaß warteten. Es dauerte kaum zehn Minuten, so durfte er eintreten.
So stand er also jetzt vor dem Mann, von dem die ganze Welt sprach, den so viele in den Himmel hoben und den noch viel mehr verurteilten.
Max richtete sein großes Auge auf ihn und fragte:
»Man hat Sie mir als Leutnant Helmers angemeldet?«
Kurt machte seine Reverenz und antwortete:
»Dies ist mein Name und meine Eigenschaft, Majestät.« – »In welchem Land dienen Sie?« – »Ich bin Preuße.« – »Ah! Sie waren in der Hauptstadt?« – »Vor einiger Zeit.« – »Kommen Sie vielleicht von Herrn von Magnus?« – »Leider nein.«
Das Gesicht des Kaisers hatte infolge der letzteren Vermutung einen freundlichen Ausdruck angenommen, jetzt aber wurde es wieder ernst.
»So ist es vielleicht eine Privatangelegenheit, in der Sie sich mir nähern?« – »Eine Privatangelegenheit? Ja, fast möchte ich es so nennen.« – »Das heißt eine Angelegenheit, die persönlich Sie betrifft?« – »Nein, Majestät. Ich komme aus Zacatecas.«
Da trat der Kaiser einen Schritt zurück.
»Aus Zacatecas? Aus dem Hauptquartier des Juarez?« – »Ja.« – »Waren Sie bei ihm?« – »Ich sprach mit ihm.« – »Wie kommen Sie als preußischer Offizier zu Juarez?« – »Ich bin nicht als Offizier, sondern als Privatmann bei ihm gewesen. Er ist bereits vor Jahren der Freund und Beschützer einiger Mitglieder meiner Familie gewesen, und in Angelegenheiten dieser Familie mußte ich zu ihm.« – »Und wie kommt es, daß Sie von ihm nach Querétaro gingen?« – »Er sendet mich.« – »Zu wem?« – »Zu Ihnen, Majestät.«
Die Züge des Kaisers wurden kälter und kälter.
»Halten Sie mich für einen Mann, der mit Juarez in Korrespondenz oder Verbindung steht?« fragte er. – »Mitnichten«, antwortete Kurt. »Ich bin hier auf Veranlassung mehrerer hervorragender Männer, die sich zwar in der Nähe des Zapoteken befinden, aber trotzdem nur das Wohl des Kaisers von Mexiko im Auge haben.« – »Welch eine Ehre!« meinte Max beinahe ironisch. »Nun, was haben Sie mir zu sagen?« – »Ich habe Euer Majestät ein Schriftstück zu übergeben, mußte aber mein Ehrenwort verpfänden, dasselbe zu vernichten, falls Eure Majestät sich dessen nicht zu bedienen beabsichtigten.« – »Das heißt, ich darf dieses Schriftstück nur lesen, muß es Ihnen aber wiedergeben?« – »Nur in dem von mir erwähnten Fall.« – »Das klingt ja sehr geheimnisvoll. Zeigen Sie!«
Kurt holte seine Brieftasche heraus, nahm das von Juarez unterschriebene Blatt hervor und überreichte es dem Kaiser. Dieser las es. Zuerst spiegelte sich allergrößte Überraschung in seinem Gesicht, dann aber zog er die Brauen finster zusammen.
»Was ist das?« fragte er. »Wer hat das geschrieben?« – Juarez«, antwortete Kurt kalt.
Er besaß Scharfsinn genug, um zu bemerken, daß seine Botschaft verunglückt sei.
»Ist die Unterschrift echt?« – »Majestät! Ich bin Offizier!«
Aus den Augen des Kaisers fiel ein Blitz auf den Sprecher.
»Ich meine«, sagte er, »ob Sie zugegen gewesen sind, als Juarez dieses Schriftstück verfaßte?« – Ja.« – »Aus welchem Grund tat er das?« – Er wurde von den bereits erwähnten Personen darum gebeten.« – »Er setzt also voraus, daß ich zu fliehen beabsichtige?« – »Nein, sondern es ist die Überzeugung aller seiner Anhänger, daß Majestät nur auf diese Weise zu retten sind.« – Junger Mann, vergessen Sie nicht, vor wem Sie stehen!« – »Ich bin meiner Lage vollständig eingedenk.« – Dem Wortlaut dieses Schreibens nach hätte ich mich irgend jemandem anzuvertrauen?« – Ja.« – »Wem?« – »Dem Besitzer dieses Passepartout.« – »Ah! Das sind ja Sie!« – »Allerdings.« – »Das ist mir interessant!« rief der Kaiser, in dessen Gesicht sich das allergrößte Erstaunen zu erkennen gab. »Sie sind es, der mich retten will?« – »Ich bin es«, antwortete Kurt ruhig. – »Ein junger Leutnant!« – »Ich bin überzeugt, Majestät könnten sich mir anvertrauen. Sie sehen, daß Juarez ganz derselben Überzeugung ist.« – »Das wäre Wahnsinn! Hier haben Sie Ihr Papier zurück.«
Kurt nahm die Schrift und schob sie wieder in die Brieftasche.
»Ich halte es für meine Pflicht, Eure Majestät aufmerksam zu machen, daß dies der letzte Schritt von Benito Juarez ist, den er in dieser Angelegenheit tun kann.« – »Diese Bemerkung ist vollständig überflüssig.« – »Sie kommt aus einem wohlmeinenden deutschen Herzen, Majestät. Und sollte sie wirklich überflüssig sein, so gestatte ich mir eine zweite, nämlich die, daß sich eine Clique gebildet hat, die Juarez dadurch stürzen will, daß sie ihn zwingt, Ihr Mörder zu werden.« – »Das klingt sehr romantisch.« – »Ist aber dennoch wahr. Und da er nur dann Ihr Mörder werden kann, wenn Sie in seine Hände geraten, so wird diese Clique alles tun, um Sie zu veranlassen, hier in Querétaro zu bleiben.« – »Woher wissen Sie das so genau?« – »Ich gestatte mir vorher die Gegenfrage, ob nicht ein gewisser Pater Hilario aus Santa Jaga hier angekommen ist?« – »Ich betrachte diese Frage als nicht an mich gerichtet.« – »So kann ich nur bemerken, daß dieser Pater das Werkzeug dieser Clique ist und daß es sehr wohlgetan sein wird, alles, was er tut und sagt, mit Mißtrauen entgegenzunehmen.« – »Ich verstehe. Juarez will nicht gestürzt sein, darum will er mich nicht fangen, und darum fordert er mich auf zu entfliehen.«
Der Kaiser sprach diese Worte in einem höchst beleidigendem Ton aus. Kurt aber blieb gleichmütig und antwortete:
»Ich bezeuge mit meinem Ehrenwort, daß Juarez nicht durch eine solche Berechnung, sondern allein durch die Stimme seines Herzens und durch unsere vereinten Bitten veranlaßt wurde, die Zeilen zu schreiben, die ich die Ehre hatte, Eurer Majestät vorzulegen. Juarez ist nicht der Mann, sich durch eine Intrige in seiner Handlungsweise beeinflussen zu lassen. Ein Mann des festen, unerschütterlichen Prinzips wie er, kann wohl besiegt werden, kann untergehen, wird aber nie einer gemeinen Berechnung fähig sein. Er kennt sein Ziel, er weiß, daß er es erreichen wird, und wenn er während seines riesenhaften, gigantischen Ringens einmal zeigt, daß in seinem Herzen nicht nur eine geradezu bewundernswerte Energie, sondern auch ein menschliches Fühlen wohnt, so muß man diesen großen Mann um so höher achten.«
Kurt verbeugte sich und ging hinaus.
Der Kaiser wußte nicht, wie ihm geschah. Er vergaß, zu fragen, ob Kurt in Querétaro bleiben oder dasselbe verlassen werde. Er vergaß ferner, daß die militärische Klugheit es fordere, sich dieses Mannes zu bemächtigen, der das Innere der Stadt gesehen hatte und dasselbe an Juarez verraten konnte. Er dachte nur an die Worte, die er zuletzt gehört hatte. Sie klangen wie ein sich immer mehr entfernendes Donnerrollen an sein Ohr, aber – er hatte die Stunde der Rettung unbenutzt vorübergehen lassen.
Kurt fühlte sich nicht aufgelegt, in seine Venta zurückzukehren. Der Nachmittag neigte sich zu Ende, und so strich er sinnend und langsam durch die Stadt, bis die Dunkelheit hereinbrach. Erst dann begab er sich zu André, der mit dem Abendbrot auf ihn gewartet hatte.
»Gelungen?« fragte dieser kurz. – »Mißlungen!« lautete die Antwort. – »Warum?« – »Der Kaiser hat jedenfalls noch eine Hoffnung, Juarez niederzuwerfen.« – »Wird ihm verdammt schwer werden.«
13. Kapitel
Es war gegen neun Uhr, und Emilia erwartete bereits ihre Gäste. Da ließen sich schleichende Schritte draußen vernehmen, die Tür wurde eine Spanne breit geöffnet, und zwei Augen lugten vorsichtig herein. Als der Draußenstehende sich überzeugt hatte, daß die Dame allein sei, trat er ein.
Emilia war erst ein wenig erschrocken gewesen, jetzt aber erkannte sie ihn. Es war – der Beichtvater des Kaisers.
Er grüßte sehr höflich und sagte:
»Verzeihung, Señorita, daß ich in dieser Weise Zutritt zu Ihnen nehme! Aber es handelt sich um eine diskrete Angelegenheit. Sie waren heute mit dem General Mejia beim Kaiser. Seine Majestät konnte Ihnen keine Aufmerksamkeit schenkten, weil Miramon mit einer anderen Person zugegen war. Da nun der Kaiser gewisse Vorschläge und vielleicht auch etwas über jene Person zu hören beabsichtigt, so glaubt er, Sie jetzt bei sich sehen zu können.« – »Sie sollen mich zu ihm bringen?« – »Ja, und dabei haben Majestät noch gewünscht, daß niemand etwas von dieser Audienz wissen sollte.« – »Es ist meine Pflicht, mich zur Verfügung zu stellen. Zuvor aber muß ich meiner Dienerin sagen …« – »Halt! Auch diese darf nicht wissen, wohin Sie gehen.« – »O nein. Ich werde Ihr nur befehlen, den Personen, die ich erwarte, zu sagen, daß ich erst in einer Stunde zu sprechen bin.« – »Gut! Ihre Dienerin ist bei der Señora unten. Ich werde mich vor das Haus begeben und Sie dort erwarten.«
Der Beichtvater ging.
Emilia machte schleunigst Toilette und stieg die Treppe hinab. Unten gab sie der Duenja den erwähnten Befehl und trat auf die Straße, wo sie den Beichtvater sah, Sie schritt zu ihm hin
»So, jetzt stehe ich zur Disposition«, meinte sie. – »Es ahnt doch niemand, wohin Sie gehen?« fragte er. – »Kein Mensch.« – »So kommen Sie.«
Emilia folgte, aber kaum hatte sie fünf Schritt getan, so wurde sie von starken Armen von hinten erfaßt.
»Hil…«
Mehr konnte sie nicht rufen, denn ein Tuch legte sich auf ihren Mund, und zugleich wurde sie an Händen und Füßen gebunden. Ein zweites Tuch wand man ihr über die Augen um den Kopf, und sie bemerkte, daß sie auf ein Pferd gehoben wurde. Der Reiter, der auf demselben saß, nahm sie in Empfang, und dann ging es fort.
Emilia vermochte sich nicht zu bewegen, sie wurde in einer höchst unangenehmen Lage von starken Armen wie mit Klammern festgehalten. Sie hörte und fühlte, daß die Pferde erst durch die Straßen der Stadt trabten und draußen auf der breiten Feldstraße dann angetrieben wurden und in einen gestreckten Galopp fielen.
Sie konnte kaum atmen. So ging es, wie es ihr schien, eine ganze Ewigkeit fort, bis der Führer zu halten gebot. Er nahm ihr die Tücher ab. Nun konnte sie wenigstens sehen und atmen.
»Um Gottes willen, was soll das sein?« fragte sie. »Ihr müßt Euch in mir geirrt haben, Señores.« – »O nein! Wir wissen ganz genau, wen wir haben«, lachte der Reiter. – »Was wollt Ihr denn von mir?« fragte sie voller Angst. »Und was soll mit mir geschehen?« – »Halte den Mund! Du wirst schon Antwort bekommen, wenn es Zeit ist. Mit Weibern Eures Gelichters wird wenig Federlesens gemacht. Für Euch ist der Strick noch viel zu gut.«
Der dies sagte, war der Oberst Miguel Lopez, ein Oheim der Frau des Marschalls Bazaine, Ritter der französischen Ehrenlegion und gern gesehener Gast in den Tuilerien – der Wohnung des Kaisers Napoleon in Paris —.
»Hier ist ein Pferd für dich! Ich kann mich mit dir nicht weiterschleppen. Wir werden dich also auf den Gaul binden. Aber spreize dich nicht, und versuche weder zu sprechen, noch zu entfliehen, sonst erhältst du eine Kugel vor den Kopf!«
Emilia wurde auf das Pferd gebunden, der Oberst nahm die Zügel desselben in die Hand, und dann ging es im Galopp weiter.
So mochte man wohl drei Stunden geritten sein, als man an einer Venta vorüberkam, die einsam an der Straße lag. Man sah noch Licht durch die Ladenritzen schimmern.
»Enrico, siehe einmal nach, wer drin ist!« gebot Lopez.
Der genannte Soldat stieg ab und blickte durch eine der Ritzen.
»Einige Vaqueros«, antwortete er. – »Wie viele?« – »Ich sehe drei, es können im ganzen höchstens fünf sein.« – »So steigen wir ab, um einen Schluck zu tun. Bindet das Frauenzimmer los und bringt es herein.«
Die Pferde wurden an eine dazu vorhandene Querstange gebunden, und Lopez, dem die anderen folgten, trat in das Haus.
Als die fünf Männer in Querétaro Emilia gefesselt hatten und aufgestiegen waren, hatte der Beichtvater den Beobachter gemacht. Aber wie sich die Pferde in Bewegung setzten, hatte er die Unvorsichtigkeit begangen, ihnen nachzurufen:
»Guten Ritt nach Tula!«
Die Reiter hatten es nicht beachtet oder wohl auch gar nicht gehört, wohl aber zwei andere.
Nämlich, als es einige Minuten nach neun geworden war, hatte Kurt sich mit André aufgemacht, um zu Emilia zu gehen. Querétaro war, wie damals alle mexikanischen Städte, nicht gepflastert, deshalb verursachten ihre Schritte nur wenig Geräusch.
Da hörten sie plötzlich ein laut gerufenes:
»Hil…«
Sie blieben stehen.
»Was war das?« fragte André. – »Es rief jemand um Hilfe!« antwortete Kurt. – »Aber nur halb.« – »Es schien eine Dame zu sein.« – »Ja. Sie brachte das Wort nur halb hervor. Man hat ihr also den Mund zugehalten.« – »Wir müssen ihr helfen. Vorwärts!« – »Halt. Langsam und leise anschleichen. Das ist viel sicherer.«
Sie versuchten, ihre Schritte so viel wie möglich zu dämpfen, und huschten leise vorwärts. Sie kamen vor der offenstehenden Tür des Hauses vorüber, in dem Emilia wohnte. Schon bemerkten sie eine kleine Gruppe vor sich, da setzte sich dieselbe mit lautem Pferdegetrappel in Bewegung.
»Guten Ritt nach Tula!« rief dabei eine Stimme.
Im Nu stand Kurt neben dem Sprecher und hatte ihn gepackt.
»Kerl, was ist hier geschehen?« fragte er. – »Nichts«, antwortete der Mann.
Er machte eine rasche Bewegung – Kurt hielt ein Kleidungsstück in der Hand, der aber, der darinnen gesteckt hatte, eilte davon.
»Er entkommt!« rief André.
Zugleich schickte er sich an, dem Fliehenden nachzueilen. »Halt!« gebot Kurt.
André gehorchte, aber er brummte unwillig:
»Wollen wir den Kerl denn entlaufen lassen?« – »Vielleicht ist es das beste. Und selbst wenn sich meine Vermutung bestätigt, nützt er uns nichts.« – »Wie? Sie haben eine Vermutung? Alle Teufel! Denken Sie etwa gar – Señorita Emilia?« – »Überzeugen wir uns.« – »Ah, da sollte der Teufel diese Kerle holen!«
Der kleine Mann sprang vorwärts, zur Tür hinein, zur Treppe empor. Oben war kein Licht, und die Zimmertür war verschlossen. Man hatte seine Schritte gehört, und eben als er die Treppe herabkam, trat die Dienerin in den Hausflur.
»Zu wem wünschen Sie?« fragte sie ihn. – »Ist Señorita Emilia zu Hause?« fragte er. – »Nein«, antwortete die Duenja. – »Ah, gewiß sind Sie die Señores, die sie erwartete. Sie waren heute bereits einmal da?« – »Ja.« – »In diesem Fall muß ich Sie bitten, in einer Stunde wiederzukommen.« – »Weshalb?« fragte Kurt. – »Der Beichtvater der Kaisers war bei Señorita Emilia, und sie ging gleich nach ihm aus.« – »Leuchten Sie einmal her! Kennen Sie dieses Gewand?« – »Himmel! Das ist ja die Kutte des Beichtvaters.« – »Oh, nun weiß ich genug. Die Señorita ist auf einige Zeit verreist, sie wird aber wiederkommen. Schließen Sie alle Sachen, die sie zurückgelassen hat, sorgfältig ein, und geben Sie den Schlüssel niemandem in die Hände.«
Er ließ die Alte nach ihrer Verwunderung stehen und eilte davon, seiner Venta zu. Der Kleine André sprang ihm nach.
»Donnerwetter! Verreist soll sie sein?« fragte er. – »Fällt niemandem ein«, antwortete Kurt – »Sie sagten es aber doch!« – »Weil die Alte das Richtige nicht zu wissen braucht. – Señorita Emilia ist entführt, das unterliegt keinem Zweifel, und da der dumme Teufel von einem Pfaffen sich selbst verraten hat, indem er ausrief: ›Nach Tula‹, so müssen wir ihm nach, und zwar sofort. Hier ist die Venta. Bezahlen wir unsere Zeche, und dann ihnen nach!« – »Wissen Sie den Weg?« – »Ja, ich bin ihn schon geritten.«
Unter diesen Reden hatten sie das Gasthaus erreicht. Der Wirt wunderte sich nicht wenig, als Kurt die Zeche bezahlte und die beiden ihre Pferde schnell sattelten und auf die Straße zogen.
»Señores, wollt Ihr etwa abreisen?« fragte er. – »Ja, alter Christian«, antwortete der Kleine. – »Nur werdet Ihr nicht hinauskommen. Denn es darf, sobald es dunkel ist, niemand passieren.« – »Bei dir mag es schwarz sein, bei uns aber ist es hell. Adieu, lieber Gottlieb.«
Nach diesem halb zärtlichen, halb beleidigenden Abschied trabten die beiden davon. Am Tor angekommen, sahen sie beim Schein einer Lampe eine Schildwache stehen.
»Halt! Wer da?« rief dieselbe. – »Offiziere!« – »Name!« – »Pedro Gibellar.« – »Kann passieren.« – »Sage, mein Lieber, sind nicht vor einer halben Stunde hier mehrere Reiter passiert? Wir gehören ihnen.« – »Ja. Oberst Lopez.« – »Richtig. Sie hatten eine gefangene Dame bei sich?« – »Ja. Sie mußten Eile habe, denn sie begannen draußen zu galoppieren.« – »Wir erreichen sie doch noch. Hier hast du!« – »Danke, Señor!«
Während der Soldat aufschloß, hatte Kurt ihm eine Silbermünze zugeworfen.
Als sie das Freie erreichten und ihre Pferde in einen fliegenden Galopp gesetzt hatten, meine der Kleine.
»Schöne Wirtschaft da in Queretaro.« – »Wieso?« – »Nicht einmal Parole oder wie man es nennt.« – »Das war gut für uns.«
– »Ich stand schon im Begriff, den Kerl mit dem Kolben niederzuschlagen, um zu seinem Schlüssel zu kommen.« – »Es wäre schade um seine Dummheit gewesen. Doch vorwärts!«
Sie ritten mehrere Stunden lang, ohne die Verfolgten zu erreichen. Da sahen sie an der Straße eine Venta, durch deren Ladenritzen Licht schimmerte.
»Sollten sie da eingekehrt sein?« fragte André. – »Jedenfalls.«
– »Ah! Wieso?« – »Dort stehen ja sechs Pferde.« – »Bei Gott, das ist wahr! Hallelujah! Wir haben sie!« – »Ruhig. Auch wir binden unsere Pferde an, aber etwas abseits. Wenn wir drin die Señorita sehen, tun wir so, als ob wie sie nicht kennen und nichts ahnten.«
Sie stiegen ab. In der Stube waren sehr laute Stimmen zu hören. Nachdem sie ihre Pferde angebunden hatten, traten sie an den Laden und blickten hindurch.
»Ein Offizier und vier Soldaten«, flüsterte der Kleine. – »Und einige Vaqueros am anderen Tisch«, antwortete Kurt. »Hinten am Herd sitzt die Señorita.« – »Richtig! Na, freue dich, Oberst Mo-Po-Ro – wie hieß der Kerl?« – »Lopez.« – Ja. Lopez. Freue dich, Lopez, der Kleine André ist da.« – »Schonen wir ihn so viel wie möglich.« – »Werden es abwarten.« – »Sie brüllen so laut, daß sie den Hufschlag unserer Pferde wohl gar nicht gehört haben. Treten wir ein!«
Kurt hatte recht. Als die beiden Männer grüßend in die armselige Hütte traten, fuhr Lopez erschrocken auf. Als er aber bemerkte, daß es nur zwei waren, setzte er sich wieder nieder. Aber er drehte sich zu ihnen herum und fixierte sie scharf.
Sie setzten sich an einen leeren Tisch nieder, der an der Tür stand. So waren sie sicher, daß ihnen niemand entgehen könne. Der Wirt fragte sie, ob sie etwas genießen wollten.
»Drei Glas Wein«, antwortete André. – »Drei?« fragte der Wirt verwundert, – »Ja.« – »Sie sind doch nur zwei.« – »Was geht das deine Tante an?«
Da begann der Oberst.
»Wer seid Ihr, Señores?«
Der Kleine saß mit dem Rücken gegen ihn gerichtet. Jetzt drehte er sich herum, betrachtete den Frager mit maliziösen Blicken und antwortete:
»Neugierde!« – »Was? Neugierde?« brauste der Offizier auf. »Wißt Ihr, wer ich bin?« – »Pah! Wollen es gar nicht wissen. Viel Gescheites wird es nicht sein!« – »Mensch, ich glaube, du bist verrückt!«
Bei diesen Worten erhob sich Lopez und trat an den Tisch.
Emilia hatte beim Eintritt der beiden sofort gewußt, daß dieselben gekommen seien, sie zu retten. Aber sie hatte das mit keiner Miene verraten. Jetzt wollte es ihr angst werden um den kleinen Mann. Dieser jedoch blickte den Obersten furchtlos an und meinte:
Ja, einer von uns beiden ist verrückt!« – »Du nämlich, Mensch!« – »Wollen sehen!«
In demselben Augenblick gab der Kleine dem Obersten, der ihm prächtig hiebrecht stand, einen so gewaltigen Faustschlag in die Magengegend, daß der Getroffene zu Boden stürzte. Und im nächsten Augenblick kniete er auf ihm und schnürte ihm die Kehle zu.
Die vier Soldaten wollten ihrem Offizier zu Hilfe kommen, aber da stand Kurt vor ihnen und hielt ihnen den geladenen Revolver entgegen.
»Halt!« gebot er. »Keinen Laut und keine Bewegung, wenn Ihr nicht eine Kugel haben wollt!«
Sein Aussehen war so drohend, daß sie auf Widerstand verzichteten. Sie setzten sich, gar nicht an ihre Waffen denkend, wieder nieder. Die Vaqueros und der Wirt, an solche Szenen gewöhnt, hielten es für das beste, sich nicht einzumischen.
»Fertig mit dem Obersten?« fragte Kurt. – »Gleich«, meinte der Kleine, indem er dem Offizier noch einen Faustschlag auf den Kopf versetzte. »So, der hat genügt für diesen Abend.« – »Dann die Stricke her dort von der Wand. Wir wollen die vier Señores ein wenig binden.«
André brachte die Stricke herbei und fesselte einen Soldaten nach dem anderen. Sie wagten auch jetzt nicht, sich zu widersetzen, denn sie sahen es Kurt an, daß er wirklich schießen werde. Zuletzt wurde auch der Oberst gebunden, damit er nicht schaden könne, wenn er wieder zu sich komme.
»So!« meinte der Kleine. »Von jetzt an wird niemand ohne unsere Erlaubnis die Stube verlassen. Es geschieht keinem etwas, aber wer sich nicht fügt, den holt entweder der Teufel oder ich.«
Dann trat er zu Emilia.
»Welche Angst werden Sie ausgestanden haben«, sagte er. »Wir kamen gerade dazu, als diese Kerle mit Ihnen forttrabten, und sind natürlich schleunigst nach. Kommen Sie, Señorita, und trinken Sie einen Schluck.
Kurt führte Emilia zum Tisch und reichte ihr das dritte Glas.
»Seht Ihr«, sagte er zum Wirt, »daß ich wohl recht hatte, als ich drei Gläser verlangte.«
Emilia dankte mit überströmendem Herzen. Sie erzählte, wie sie behandelt worden war und daß man sie morgen hatte aufknüpfen wollen.
»Was?« rief der Kleine. »Gehängt sollten Sie werden?« – »Ja.« – »Das war doch nur dummer Spaß?« – »Nein, sondern völliger Ernst.«
Da versetzte André dem noch immer bewußtlosen Obersten wütend einen Fußtritt und rief:
»Das hätten sie wagen sollen! Wäre ich morgen nach Tula gekommen und hätte Sie hängen sehen, so hätte ich das Nest in die Luft gesprengt.«
Emilia reichte André das zarte, schöne Händchen und erwiderte:
»Ich glaube, daß Sie zornig geworden wären, und danke Ihnen herzlich für diese Teilnahme.« – »Was? Zornig?« fragte er. »Verrückt wäre ich geworden, ein rasender Robinson, oder heißt es vielleicht Roland? Wissen Sie noch, was ich in Chihuahua für meine Kameraden tat?« – »Oh, noch sehr gut weiß ich das. Ich werde es nie vergessen.« – »Nun, für Sie könnte ich noch tausendmal mehr tun. Trinken Sie nur, damit der Schreck keine weiteren Folgen hat.«
Als Emilia das Glas zum Mund führte, hörte man den Hufschlag eines Pferdes, das draußen anhielt, und eine Minute darauf trat der Reiter ein. Es war der dicke Kleine, der Bote des geheimen Bundes.
Als er die Gefesselten erblickte, wollte er sofort zurückweichen, aber André war schneller als er und hatte ihn gepackt.
»Halt, Freund!« sagte er. »Hierbleiben! Wer hier einmal eintritt, der muß wenigstens so lange bleiben wie wir.« – »Aber, Señor, ich wollte gar nicht bleiben«, meinte der Mann angstvoll. – »So? Was wolltest du denn?« – »Ich wollte einen Schluck Wein trinken und wieder fort.« – »Trinke zehn Schlucke. Dann sind auch wir fertig, und du kannst gehen, wohin es dir beliebt.« – »Das wohl nicht«, meinte Kurt lächelnd. »Der Señor wird uns begleiten.« – »Sie begleiten?« fragte der Dicke. »Wohin?« – »Zu Juarez.«
Der Dicke wurde leichenblaß.
»Zu Juarez?« fragte er. »Warum?« – »Weil der Präsident Sie gern kennenlernen will. Wo sind Sie heute gewesen?« – »In der Umgegend.« – »Nicht in Querétaro?« – »Auch mit.« – »Was hatten Sie da zu tun?« – »Ich bin Handelsmann und reise für mein Geschäft.« – »Ja. Sie handeln mit Lügen, und Ihr Geschäft ist der Verrat.« – »Gott, Señor, Sie verkennen mich«, rief der Beschuldigte voller Angst. – »Ich Sie verkennen? Das wollen wir gleich sehen. Sind Sie in Santa Jaga bekannt?« – »Nein.« – »Auch nicht im Kloster della Barbara dort?« – »Nein.« – »Sie sind nie dort gewesen?« – »Nein.« – »Aber Sie kennen den Pater Hilario?« – »Nein.« – »Oder dessen Neffen Manfredo?« – »Auch nicht.« – »Sie lügen. Ich selbst habe Sie dort gesehen.« – »Sie täuschen sich.«
Da holte Kurt aus und gab dem Dicken eine solche Ohrfeige, daß er mit dem Kopf an die Wand flog. Der Getroffene nahm beide Hände gegen das Haupt und rief:
»Sie tun mir wirklich unrecht. Der, den Sie gesehen haben, muß mir außerordentlich ähnlich sein.« – »Ja, so ähnlich, daß du es bist, mein Bursche. Hast du nicht am Mittwoch abend im Zimmer des Paters mit dessen Neffen gesprochen?« – »Nein.« – »Hast du ihm nicht gesagt, daß zweihundert Soldaten kommen würden, die er den Klosterberg heraufholen solle?«
Der Mann starrte Kurt erschrocken an.
»Nein«, leugnete er dennoch. – »Diese Soldaten sollten das Kloster in Besitz nehmen, damit der Kaiser getötet und Juarez sein Mörder werde?« – »Nein. Ich habe nicht daran gedacht.« – »Leugne jetzt, wie du willst. Ich bin kein Henker. Aber wir werden dich schon noch zum Sprechen bringen und auch die Mitglieder eures sauberen Bundes erfahren. Wir binden dich aufs Pferd und nehmen dich mit. Brechen wir auf!«
Kurt warf ein Geldstück als Bezahlung für den Wein auf den Tisch und faßte den Dicken an. André half, und bald war der Verschwörer auf sein Pferd gebunden. Emilia, jetzt frei, stieg auf ein anderes, und es ging fort.
Sie mußten zurück, vorsichtig um Querétaro herum, und nun galt es, die Vorposten von Juarez zu erreichen.
Der ebenso vorsichtige wie tatkräftige Zapoteke hatte sein Heer unterdessen eine allgemeine Vorwärtsbewegung machen lassen. Er befand sich in viel größerer Nähe, als selbst Mejia heute am Nachmittag geahnt hatte, denn noch war der Mittag nicht vorüber, so stieß Kurt auf eine bedeutende Streifpatrouille, welche zum Korps des Generals Velez gehörte.
Sie wurden in das Quartier desselben geleitet. Dieser hatte Kurt bei Juarez gesehen und kannte überdies Emilia sehr genau. Er war ein rauher, höchst feuriger und oft rücksichtsloser Republikaner. Er ließ sich das Geschehene erzählen und rief den Dicken vor sich, den er eine ganze Weile schweigend und mit finsteren Blicken betrachtete.
»Du hast geleugnet, was dir dieser Señor vorgeworfen hat?« fragte er ihn. – »Ich leugnete es, denn ich sagte die Wahrheit«, antwortete der Mann. – »Du bist nicht derjenige, für den er dich hielt?« – »Ich heiße Pedrillo und handle mit Ponchos und Sarapen.«
Da nahm das Gesicht des Generals eine höhnische Miene an.
»Und jetzt sagst du auch die Wahrheit?« fragte er. – »Die reine, lautere Wahrheit.« – »Wenn ich dich nun besser kenne?« – »So täuschen Sie sich, Señor.« – »Hund! Ich täusche mich niemals in einer Person, am allerwenigsten aber in einer solchen Galgenphysiognomie, wie die deinige ist. Hast du jemals einem Mönch, einen Pater Juanito gekannt?«
Der Mann wurde leichenblaß.
»Nein«, antwortete er dennoch. – »Der aus dem Kloster Anuamente entwich?« – »Nein.« – »Und den Franzosen den General Tonamente an das Messer lieferte?« – »Ich habe ihn nicht gekannt, Señor.«
Dies Verhör fand im Freien statt. Der General stand wie ein Racheengel vor dem Gefangenen.
»Mensch, zu allen Teufeleien hattest du den Mut, aber zu einem Bekenntnis bist du zu feig!« rief Velez. »Du nanntest dich Pedrillo, den Verlorenen, und du hast recht. Verloren bist du! Du sollst zum Teufel fahren in allen deinen Sünden, ohne Beichte und Absolution!«
Seine Hand fuhr in den Gürtel, ein Schuß krachte, und der frühere Mönch stürzte, durch den Kopf getroffen, tot zur Erde.
»General!« rief Kurt. – »Was?« fragte Velez rauh. – »Er hätte noch leben sollen.« – »Wozu?« – »Er hätte uns Geständnisse machen und alle seine Mitschuldigen und Verschworenen nennen müssen.« – »Pah! Ich mag nichts von ihnen wissen. Diese Schufte geraten noch alle in meine Hände. Wenn ich so einen Schurken für irgendein Verhör oder eine Untersuchung aufhebe, so bin ich niemals sicher, daß er mir nicht doch noch entkommt.« An demselben Mittag traf Oberst Lopez mit seinen vier Soldaten wieder in Querétaro ein; man kann sich denken, in welcher Stimmung. Seine Pflicht war, sich sogleich zu Miramon zu begeben, um diesem Meldung über das Geschehene zu machen.
Der General hörte ihn erstaunt an.
»Was?« fragte er. »Zwei Männer waren es, die Euch bezwangen?« – »Es ging so verteufelt schnell, Señor.« – »Hm. Und wohin haben sie das Mädchen geschafft?« – »Zu Juarez, wie die Vaqueros sagten.« – »Das ist noch gut, denn da sind wir sicher, daß der Kaiser sie niemals wieder zu sehen bekommt, und darum will ich Ihnen diesen Fehler verzeihen. Aber ich hoffe, daß Sie den nächsten Auftrag, den ich Ihnen geben werde, desto besser, sorgfältiger und vor allem vorsichtiger zu Ende führen.«
Welcher Auftrag dies sein sollte, das wußte der Oberst jetzt bereits, hütete sich aber sehr, schon jetzt ein Wort davon zu sagen.
Von nun an entwickelten sich die Verhältnisse mit ungemeiner Schnelligkeit. Eskobedo rückte rasch näher und schloß die fünfzehntausend Mann, die Max bei sich hatte, mit fünfundzwanzigtausend Republikanern ein. Die Belagerung von Querétaro begann.
Ebenso umschloß Porfirio Diaz mit seiner Armee die Hauptstadt, in der bald der gräßlichste Hunger zu wüten begann.
Kurt wollte nicht untätig bleiben. Er schloß sich dem Geniewesen an und leitete unter dem Kommandanten dieses Korps die Belagerungsarbeiten.
Sternau bemühte sich als tüchtiger Arzt und leuchtete allen seinen mexikanischen Kollegen als Muster vor.
Juarez hatte den Sitz der Regierung nach San Luis Potosi verlegt. Lindsay und Amy befanden sich bei ihm. Es läßt sich denken, wie erfreut diese beiden gewesen waren, als sie von der Rettung der Gefangenen hörten. Wie gern wäre Amy nach Santa Jaga gegangen, aber allein getraute sie sich nicht fort, und die Begleitung ihres Vaters konnte sie nicht erlangen, da er bei Juarez unumgänglich nötig war. Desto eifriger aber wurden Briefe gewechselt. Täglich flogen dieselben zwischen Santa Jaga und Potosi hin und her, um Grüße und Küsse zu bringen und die Liebenden auf die so nahe Zukunft zu vertrösten.
Auch Sternau hatte seine Pflicht getan und, sobald der Telegraf benutzbar war, in die Heimat telegrafiert, daß sie alle gerettet seien. Hätte er dabeisein können, als diese Depesche das alte, liebe Rheinswalden erreichte!
14. Kapitel
In Rheinswalden saß der Hauptmann Rodenstein in seinem Lehnstuhl und stöberte in allerlei Papieren herum. Er war recht alt und grau und wacklig geworden, der alte Oberförster, und gerade heute plagte ihn die Gicht auf eine wahrhaft gräßliche Weise.
Da trat Ludwig ein, schob die Absätze zusammen, legte die Hand an den Kopf, als ob er seine Mütze aufhabe, und wartete, bis sein Herr ihn anreden werde. Dieser drehte sich endlich zu ihm und sagte mißmutig:
»‘n Morgen; Ludwig!« – »‘n Morgen, Herr Hauptmann!« – »Was Neues?« – »Nein.« – »Kein Wilddieb? Kein Windbruch? Keine Kuh gekalbt?« – »Nein.« – »Hole dich der Teufel, du alte Neinposaune – au!«
Der Hauptmann hatte eine schnellere Bewegung gemacht, als seine liebe Gicht es gestattete, und zog nun vor Schmerzen ein fürchterliches Gesicht.
»Da hat man‘s!« räsonnierte er. »Ich wollte, du wärest der Oberförster und hättest die Gicht.« – »Und Sie wären der Ludwig ohne Gicht dahier?« – Ja.« – »Habe auch meine Leiden, Herr Hauptmann.« – »Was denn?« – »Gehaltszulage.« – »Donnerwetter! Das fällt dir niederträch… au! Mensch, mache, daß du fortkommst, sonst werfe ich dir hier meine Tabakspfeife in das Gesicht, daß dir die Gehaltszulagen aus der Nase wachsen – he, wer kommt da?«
Es hatte draußen geklopft.
»Weiß es nicht dahier«, meinte Ludwig gleichmütig. – »So gucke doch hinaus, du Esel!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Ludwig drehte sich um, öffnete ein wenig, steckte den Kopf vorsichtig hinaus, zog ihn wieder ein und meldete:
»Der Telegrafenbote.« – »So laß ihn herein!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann.«
Der Bote trat ein.
»Woher?« fragte der Alte, indem er die Hand ausstreckte. – »Aus Mexiko«, antwortete der Beamte, indem er ihm das Kuvert entgegenstreckte. – »Aus Me… Me… Mexi… woher, Kerl?« – »Aus Mexiko.«
Der Hauptmann machte Augen wie ein Teller so groß.
»Ist‘s wahr?« fragte er. – »Natürlich. Hier steht es ja.« – »So soll mich doch gleich vor lauter Freude der Kuckuck fressen! Fahre hin, du alte Kanaille! Von heute an wird die neue gestopft! Verstanden, Ludwig?«
Der Hauptmann warf bei diesen Worten die Tabakspfeife zum Fenster hinaus, so daß sie mitsamt der zerbrochenen Scheibe in den Hof hinunterflog.
»Zu Befehl!« brummte Ludwig. »Erst mir ins Gesicht und dann zum Fenster hinaus dahier. Wollte lieber, ich hätte sie zum Präsent erhalten.« – »Gehe hinunter und hole sie dir.«
Aber der brave Bursche ging noch lange nicht. Er mußte doch auch wissen, was in der Depesche stand.
Der Alte hatte jetzt geöffnet und las:
»An den Hauptmann von Rodenstein. Rheinswalden bei Mainz in Deutschland. – Alle glücklich gerettet durch Kurt. Brieflich mehr. Euer Sternau.«
Noch einmal las der Hauptmann diese Worte leise durch, dann aber fuhr er in die Höhe, daß der Stuhl umfiel, machte einen Freudensprung und rief:
»Gerettet! Hurra! Alle gerettet! Durch Kurt! Kyrieeleison! Glücklich gerettet! Gaudeamus igitur! Brieflich mehr! In dulcio jubilo! Euer Sternau! Vivat Pestilenz! Pereat Exzellenz! Hast du‘s gehört, Ludwig? Na, was steht Er denn noch da und hält Maulaffen feil?«
Letztere Worte waren an den Telegrafenboten gerichtet. Dieser kannte den Alten von früher her und antwortete ruhig:
»Ich lauere auf meine Gebühr.« – »Auf deine Gebühr?« – Ja.« – »Hast du denn eine Gebühr zu bekommen?« – »Natürlich. Oder denken Sie etwa, daß so eine Depesche ganz umsonst übers Meer herübergetragen wird?« – »Alle Teufel, ist der Kerl grob! Na dieses Mal mag dir‘s noch so hingehen, weil ich gerade bei guter Laune bin. Also deine Gebühr. Hm! Was gebe ich dir nur gleich?«
Der Hauptmann war vor Freude ganz außer Rand und Band geraten. Er dachte in seinem Entzücken gar nicht daran, daß für das Telegramm eine feste Taxe zu zahlen sei, sondern sein Auge schweifte im Zimmer umher, um da etwas zu finden, womit er den Mann belohnen könne.
»Halt! Ich hab‘s!« rief er endlich.
Er sprang auf den Stuhl und von da auf den Tisch und langte an die Wand, wo hoch oben eine alte Schwarzwälder Kuckucksuhr hing, deren Schleuder und Gewicht in einem ewig langen, wurmzerstochenen Kasten steckten.
»Kerl, siehst du diese Uhr, he?« fragte er. – »Ja, Herr Hauptmann.« – »Das ist ein altes Kapitalstück. Sie geht zwar schon einundzwanzig Jahre nicht mehr, aber sie ist unter Brüdern noch vierzig Taler wert. Da nimm sie! Sie soll deine Gebühr sein! Da!«
Er hob die Uhr ab und schob sie dem Boten in die Arme. Dabei sprang er vom Tisch herab, packte den Kasten und packte denselben dem Boten entgegen, daß beide beinahe niedergestürzt wären.
»Da hast du sie! Halte sie gut! Wenn du sie nicht aufziehst, dann brauchst du sie im ganzen Leben nicht reparieren zu lassen. Gescheit muß man sein. Nun aber hinaus mit dir und dem alten Urahnenkasten! Fort! Hinaus mit euch!«
Der Telegrafenbote wollte gegen diese Art von Gebührenentrichtung protestieren, aber ehe er so recht zu Worte kam, stand er draußen, die Uhr in den Händen, und der Kasten lag neben ihm. Nach einigem Nachdenken fügte er sich in das Unvermeidliche, hob den Kasten auf und schleppte seine »Telegrammgebühr« mühselig und beladen zur Treppe hinab.
»So, der ist bezahlt«, meinte der Hauptmann. »Habe ich eine Freude, so mache ich anderen auch gern eine.«
Ludwig stand dabei, starrte ihn ganz verdutzt an und fragte:
»Aber, Herr Hauptmann, tut es denn nicht weh?« – »Was denn?« – »Beißt oder zwickt und kneipt es denn gar nicht?« – »Zum Teufel! Was denn?« – »Na, die Gicht dahier.«
Jetzt erst fiel auch dem Alten seine Gicht ein. Er machte ein eminent überraschtes Gesicht, stampfte einige Male mit den Füßen und rief:
»Ludwig, sie ist fort, rein fort, Gott habe sie selig!« – »Das ist aber doch merkwürdig«, meinte der Bursche kopfschüttelnd. – Ja. Was mag da schuld sein?« – »Die Freude oder das Telegramm.« – »Die Freude, Dummkopf! Denke dir, und an mich hat er‘s adressiert, an mich! Der Prachtkerl, dieser Sternau! Ludwig renne hinunter in die Küche und sage, daß ihr heute mittag ein Extraessen bekommen sollt.« – »Was denn dahier?« – »Na, was ist euch denn lieber? Nudeln mit Hering oder Eierkuchen mit Sauerkraut oder Pflaumenmus mit Schweizerkäse?« – »Alles drei!« – »Gut. Mir auch egal! Laßt es euch machen! Ich laufe aber sogleich hinüber nach Rodriganda, um die Depesche vorzulesen.« – »Laufen? Mit der Gicht?« – »Sie ist ja fort.« – »Aber sie kann unterwegs wiederkommen.« – »Das mag sie nicht etwa wagen. Ich würde ihr schön heimleuchten. Heute und Gicht! Das reimt sich schlecht auf ein Telegramm aus Mexiko!«
Damit humpelte der Hauptmann fort. Man kann sich denken, welche Freude, ja, welches Entzücken seine Botschaft bei den Lieben allen hervorbrachte.
15. Kapitel
Unterdessen schritt die Belagerung von Querétaro rasch vorwärts. Die Belagerten sahen freilich nicht müßig zu. Bis zum sechsten Mai hatten sie fünfzehn Ausfälle gemacht, aber nun waren auch die Mittel zum Widerstand fast erschöpft.
Max hatte Unterhandlungen mit Eskobedo anzuknüpfen versucht. Er bot demselben die Übergabe der Stadt unter der Bedingung an, daß ihm nebst seinen europäischen Soldaten und Begleitern freier Abzug aus dem Land bewilligt und seinen mexikanischen Anhängern eine vollständige Amnestie zugesichert werde. Eskobedo ließ kurz antworten:
»Ich habe den Befehl, Querétaro zu nehmen, nicht aber mit dem angeblichen Kaiser von Mexiko – ich kenne keinen solchen – zu unterhandeln. Im übrigen schreit das Blut derer, die um dieses sogenannten Kaiserreiches willen ermordet wurden und die man infolge des Dekretes vom dritten Oktober rechtlos erschoß, zum Himmel auf um Rache. Zudem ist es dem Erzherzog von Österreich verschiedene Male geflissentlich an die Hand gegeben worden, dem wohlverdienten Schicksal zu entgehen. Hat er diese Winke nicht befolgt, so ist das seine Sache.«
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So von Eskobedo abgewiesen, hatte Maximilian sich an Juarez selbst gewandt, aber gar keine Antwort erhalten.
Ebenso war es Miramon ergangen. Er hatte sich mit verschiedenen Anträgen an Juarez, Eskobedo und andere gewandt, aber seine Hoffnungen, aus der Falle zu kommen, in die er seinen Kaiser gelockt hatte, war stets vergeblich gewesen. Er erntete entweder Schweigen oder verächtlichen Hohn.
Jetzt hatte er sich auf sein Zimmer zurückgezogen, und vor ihm stand – der Oberst Miguel Lopez, jener Ritter der französischen Ehrenlegion, der für einen persönlichen Freund des Kaisers gehalten wurde, weil dieser sogar seinen Sohn aus der Taufe gehoben hatte. Max hatte ihn erst zum Kommandanten und zum Gouverneur der Feste und des Schlosses Chapultepek und sodann zum Obersten des Reiterregimentes der Kaiserin sowie zum Befehlshaber der Leibgarde derselben gemacht. Grund genug, seinem Kaiser die höchste Dankbarkeit und Anhänglichkeit zu beweisen.
Nun also stand er vor Miramon. Beider Mienen waren düster, aber doch zeigten sie einen ganz verschiedenen Ausdruck.
Der General hatte das Aussehen eines Mannes, der sich verloren gibt, der keine Hoffnung mehr hat und doch nach jedem Strohhalm greifen möchte. Er sah ein, daß er nicht entkommen könne, daß er rettungslos verloren sei.
Oberst Lopez hingegen zeigte eine finstere Entschlossenheit. Er war anzusehen wie ein Mann, der seine schlimme Lage zwar kennt, dem aber jedes Mittel recht ist, sich derselben zu entwinden.
»Soeben komme ich von einer Inspektion zurück«, meinte Miramon. »Wir vermögen uns kaum noch einige Tage zu halten. Der Cerro de las Campanas ist von den Kartätschen des Feindes vollständig verwüstet, die Stadt ist zerstört, die Befestigungen sind vernichtet, und nur das Fort la Benze vermag noch Widerstand zu leisten.« – »Es wird für uneinnehmbar gehalten«, meinte Lopez. – »Das ist es jetzt nicht mehr. In kurzer Zeit wird Eskobedo seinen Einzug halten und uns das fürchterliche Echo des Blutdekretes vernehmen lassen.« – »Sollte es keine Rettung geben?« – »Den Heldentod mit der Waffe in der Hand.« – »Pah!« lachte Lopez. »Es mag sehr schön sein, für seinen Kaiser zu sterben, noch schöner aber ist es jedenfalls, für sich selbst zu leben.« – »Sie haben nicht unrecht«, entgegnete Miramon nachdenklich. »Und was heißt Sterben für uns! Es ist das Aufgeben aller Errungenschaften, aller Hoffnungen und Wünsche, aller Pläne, an denen wir Jahrzehnte lang gebaut und gearbeitet haben. Ich mag, ich kann nicht sterben mit dem Gedanken, daß dieser Juarez, dieser Indianer, wieder Präsident von Mexiko ist und als der Retter seines Vaterlandes gefeiert wird.« – »Es muß, es muß ein Mittel geben, uns zu retten.« – »Es gibt eins!« – »Ah! Welches, General?« – »Es ist ein Mittel, das man kaum sich selbst anzuvertrauen wagt, viel weniger einem anderen.« – »So darf ich es nicht hören?« – »Nur, wenn Sie stumm wären.« – »Nun, so bin ich stumm.« – »Schwören Sie es mir zu!« – »Ich versichere Ihnen bei Gott und allen Heiligen, daß kein menschliches Ohr ein Wort von dem hören soll, was wir nun sprechen werden!« – »Gut. Ich vertraue Ihnen. Beginnen wir mit der Betrachtung der Lage, in der sich der Kaiser befindet!« – »Er ist verloren.« – »Meinen Sie?« – »Ich bin überzeugt davon. Er hat sich mit dem Dekret sein eigenes Todesurteil unterzeichnet, und es wird jedenfalls an ihm vollstreckt werden.« – »Wenn das ist, so hilft ihm auch unsere Aufopferung nichts.« – »Sie nützt weder ihm noch uns das geringste.« – »Sie schadet uns vielmehr. Könnten wir diese Aufopferung in das Gegenteil verwandeln, so würde auch aus dem Schaden ein Nutzen für uns werden.« – »Was soll das heißen?« – »Das müssen Sie verstehen, ohne es zu hören!« – »Ah! Sie meinen, anstatt den Kaiser zu verteidigen sei es geratener – ihn seinem Schicksal zu überlassen?« – »Das wäre zu wenig; das hieße doch für uns untätig verbleiben. Und doch, nur die Tat kann uns retten.« – »Ich verstehe«, meinte der Oberst in einem sehr entschlossenen Ton. – »Gut, Sind Sie bereit, mein Bote zu sein?« – »Ja.« – »Es ist noch nicht lange her, daß Ihnen diese Señorita Emilia entkam. Ich vergab Ihnen diesen Streich, indem ich von Ihnen erwartete, daß Ihnen ein anderer Auftrag besser gelingen werde. Die Zeit, Ihnen diesen Auftrag zu erteilen, ist gekommen.«
Lopez warf einen listigen Blick auf seinen Vorgesetzten und fragte:
»Sie haben also schon damals an diese Möglichkeit gedacht?« – »Schon längere Zeit,« – »Desto besser. Ich darf dann hoffen, daß alles reiflich überlegt sei.« – »Das ist es.« – »Die Hauptsache ist, wie überall, hier das Schwierigste.« – »Was verstehen Sie unter der Hauptsache?« – »Eine Person zu finden, an die man sich gefahrlos wenden kann.« – »Sie ist gefunden.« – »Wirklich?« – »Ja, und auch so leidlich vorbereitet.« – »Wer ist es?« – »General Velez.« – »Der mir gegenüber in den Trencheen liegt? Eignet er sich zu einer so schwierigen Verhandlung?« – »Ausgezeichnet. Er ist ein zweiter Trenck, rauh, verwegen und Herr seiner Soldaten, nicht aber seiner Gesinnung. Er haßt den Kaiser wie den Tod und würde sehr viel darum geben, derjenige zu sein, von dem gesagt wird, daß er den Kaiser gefangen habe.« – »Wird er aber ermächtigt sein, einen Vertrag wie den beabsichtigten, abzuschließen?« – »Jedenfalls.« – »Also autorisiert von Eskobedo?« – »Es kann Eskobedo nur lieb sein, ohne weitere Opfer in den Besitz der Stadt zu gelangen.« – »Dann müßte vor allen Dingen Fort la Cruz übergeben werden.« – »Allerdings. Also wollen Sie diese Verhandlung übernehmen?« – »Ja. Ich bin entschlossen dazu.« – »So ist hier der Schlüssel zur Ausfallpforte. Heute, gerade um Mitternacht, wird Velez sich bis zu derselben heranschleichen.« – »Er selbst?« – »Ja. Er verläßt sich auf mein Wort, daß ihm nichts geschieht.« – »Welche Bedingungen stellen Sie?« – »Freien Abzug für mich und Sie.« – »Welche Garantien fordern Sie?« – »Welche könnte ich fordern?« – »Etwa eine Unterschrift?« – »Die kann ich nicht verlangen. Kein General wird so unvorsichtig sein, über einen solchen Vertrag ein Schriftstück zu verfassen und dasselbe gar noch mit seiner Unterschrift versehen.« – »So müssen wir uns mit dem Ehrenwort begnügen?« – »Ja. Velez hat sein Wort noch niemals gebrochen.« – »So ist das meine ganze Instruktion?« – »Ihre ganze. Nur habe ich noch hinzuzufügen, daß die Stunde genau angegeben werden muß.« – »Das versteht sich von selbst.« – »So können wir uns trennen. Ich werde heute abend nicht eher zur Ruhe gehen, als bis Sie bei mir gewesen sind, um mir das Resultat Ihrer Konferenz mitzuteilen.«
Lopez ging. Draußen aber wandte er sich um, ballte die Faust, drohte zurück und meinte:
»Jeder erhält seinen Lohn. Hast du den Kaiser ins Unglück gestürzt, so wirst du nun von mir betrogen. Du sollst sterben müssen, gerade wie er.«
Er konnte kaum die Mitternacht erwarten. Der Tag und der Abend schienen ihm schneckenhaft zu schleichen. Endlich aber war doch die Zeit gekommen. Er schlich zur Ausfallpforte, öffnete leise und verschloß sie ebenso, nachdem er sich im Freien befand.
Nun blickte er sich um. Nicht weit von ihm lehnte eine dunkle Gestalt an der Mauer.
»Wer da?« flüsterte diese. – »Bote von Miramon«, antwortete er ebenso leise. – »Willkommen!«
Mit diesem Wort trat die Gestalt näher.
»General Velez?« fragte er. – »Ja. Und Sie?« – »Oberst Lopez.« – »Ah! Kenne Sie! Schickten mir kürzlich ein allerliebstes Mädchen.«
Dabei kicherte der Offizier leise, aber doch vernehmlich vor sich hin.
»Ich Ihnen ein Mädchen?« fragte Lopez erstaunt. »Wüßte nicht!« – »Schon gut! Hatten sie sollen nach Tula bringen, um sie dort zu hängen!« – »Ah, diese, Señor! Das war eine fatale Sache.« – »Wir hoffen, daß es heute nicht ebenso fatal zugehen wird.« – »Ich bin überzeugt, daß wir uns einigen.« – »Kommt auf Eure Vorschläge an. Was verlangt Miramon?« – »Freiheit für sich und mich.« – »Hm. Ist sie nicht wert. Lasse ihn nicht gern durchschlüpfen.« – »Das ist auch nicht notwendig.« – »Ah! Wieso?« fragte der General betreten. – »Er ist nicht mein Freund.« – »Alle Teufel! Ich denke, Sie sind sein Bote, sein Bevollmächtigter!« – »Das ist wahr. Aber muß denn er das Tor aufschließen? Kann nicht auch ich dasselbe tun?« – »Sehr richtig! Aber wie wollen Sie sich dann gegen ihn verhalten?« – »Ich werde so tun, als ob ich abgeschlossen habe, unter der Bedingung, daß er die Freiheit erhält.« – »Donnerwetter! So wird er mich für unehrlich halten, nicht aber Sie! Und das würde mir verteufelt unlieb sein.« – »Das läßt sich arrangieren. Wir müssen doch die Zeit bestimmen?« – »Allerdings.« – »Ich gebe dem General einen späteren Tag an. Geschieht es einen Tag vorher, so wird er nicht annehmen, daß die Stadt infolge unseres Vertrages in Ihre Hand gefallen sei.« – »Das ist richtig. Also lassen Sie uns machen und keine Zeit versäumen, sonst werde ich vermißt.« – »Ich lasse Ihnen die Initiative.« – »Gut. Also Sie wollen den Vertrag auf eigene Faust abschließen?« – »Das versteht sich ja von selbst« – »So sagen Sie mir, ob Sie ganz genau wissen, wo und wie der Kaiser wohnt« – »Er wohnt im Kloster La Cruz hier über uns, und seine Wohnung kenne ich.« – »Ich verlange zu einer gewissen Stunde hier eingelassen zu werden.« – »Sie haben diese Stunde zu bestimmen!« – »Von hier aus führen Sie mich nach dem Schlafzimmer des Kaisers.« – »Zugestanden!« – »Weiter verlange ich nichts.« – »So viel kann ich leisten«, lachte Lopez leise. – »Welche Ansprüche machen nun Sie?« – »Ich verlange volle Freiheit für mich und mein Eigentum, die Meinen sind natürlich eingeschlossen.« – »Ich stimme bei.« – »Und außerdem eine Summe in Münzen oder guten Papieren. Die Gründe, wegen deren ich eine solche Forderung stelle, gehören entweder nicht hierher oder sind selbstverständlich.« – »Ich verstehe. Wieviel verlangen Sie?« – »Werden Sie handeln?« – »Ich schachere nie. Fordern Sie zu viel, so sehe ich ganz einfach von der Sache ab. Also …« – »Sind Ihnen zehntausend Pesos zu viel?« – »Fast, aber ich will sie Ihnen geben. Sagen wir: In der Nacht vom 14. bis 15. Mai öffnen Sie elf Uhr abends dieses Pförtchen. Neben demselben liegt in einer Brieftasche diese Summe in englischen Noten. Sie haben bis zwölf Uhr Zeit, die Noten zu prüfen. Genügen sie Ihnen nicht, oder, was dasselbe ist, halte ich mein Wort nicht, so schließen Sie wieder zu. Um Mitternacht rücke ich ein, voran zweihundert Mann. Mit diesen Leuten werde ich mich überzeugen, ob auch Sie ehrlich sind. Mehr Menschenleben darf ich nicht daran wagen. Bemerke ich, daß Sie Wort halten und verschwiegen waren, schicke ich nach Verstärkung, und Sie führen mich zum Kaiser. Sobald Sie mir dessen Wohnung gezeigt haben, sind Sie entlassen und können tun, was Ihnen beliebt. Jedenfalls werden Sie gefangen. Sie werden auch, um allen Verdacht abzulenken, einige Zeit festgehalten werden; aber ich verbürge mich dafür, daß Sie innerhalb zweier Wochen mit allem, was Ihnen gehört, freigelassen werden. Einverstanden?« – »Vollständig.« – »Ihr Ehrenwort?« – »Hier ist es.« – »Und hier das meinige.«
Beide Männer reichten sich die Hände und trennten sich dann. General Velez suchte sein Lager auf, und Lopez kehrte zu General Miramon zurück, der ihn sehnlichst erwartet hatte. Es wäre ihm unmöglich gewesen, zur Ruhe zu gehen, ehe Lopez zurückgekehrt war, denn er hätte wegen der erwartungsvollen Spannung, in der er sich befand, doch keinen Schlaf finden können.
»Nun, wie ist es gegangen?«
Mit diesen Worten empfing er den Eintretenden, noch ehe dieser Zeit gefunden hatte, zu grüßen.
»Sie werden zufrieden sein, General«, antwortete der Gefragte. – »Gott sei Dank«, meinte Miramon mit einem Seufzer der Erleichterung. »Es war mir fast, als ob ich Sorge haben müsse.« – »Warum?« – »Nun, unsere Angelegenheit war doch immerhin eine prekäre. Das Vorhaben, mit einem feindlichen Offizier auf solchen Grundlagen in Verhandlungen zu treten, ist stets ein Wagnis, das mißlingen kann, und dann hat man die unangenehmen Folgen zu tragen.«
Lopez zog die Brauen zusammen und antwortete in einem Ton, der jedenfalls ein wenig spitz zu nennen war:
»Ein Wagnis? Jedenfalls! Aber wer hat dieses Wagnis unternommen? Wir beide doch.« – »Wohl ich allein, Señor!« – »Das möchte ich denn doch bestreiten. Sie haben sich in dem Hintergrund gehalten and mich vorgeschickt. Bei einem Mißlingen des Unternehmens würde also ich es sein, den man anpackt.« – »Aber ich bin Ihr Auftraggeber, und infolgedessen hätten Sie sich wohl auf mich berufen. Sie sehen, daß wir beide uns ganz der gleichen Gefahr ausgesetzt haben.« – »Mag sein«, meinte Lopez, der einsah, daß er wieder einlenken müsse. »Es ist ein Glück, daß ich unser gefährliches Vorhaben als ein gelungenes bezeichnen kann.« – »Nun, wie lautet das Übereinkommen?« – »Wir öffnen ihm heimlich Fort und Kloster la Cruz, so daß der Kaiser in seine Hände fällt, und dafür erhalten wir die Freiheit.« – »Welche Garantie haben Sie erhalten?« – »Keine andere als sein Ehrenwort.«
Der General schüttelte nachdenklich den Kopf und meinte:
»Hm! Wird das genügen?« – »Zweifeln Sie an der Rechtlichkeit des Generals Velez?« – »Ich habe allerdings noch nie gehört, daß er sein Wort gebrochen hätte, aber in diesem Fall … hm!«
Der General schwieg. Es fiel ihm augenscheinlich schwer, in der begonnenen Rede fortzufahren. Lopez verstand ihn und fragte lächelnd:
»Warum meinen Sie, daß er gerade in diesem Fall eine Ausnahme machen werde?« – »Weil – weil – er uns – für Verräter halten wird.« – »Dieses Wort ist kein gar zu schönes, aber trotzdem ist es das richtige. Es gibt Leute, die den eigentümlichen Grundsatz haben, daß man einem Ver… Donnerwetter, dieses verdammte Wort – daß man einem Verräter nicht Wort zu halten brauche.« – »Sollte Velez zu diesen Leuten gehören?« – »Ich hoffe es nicht, aber trotzdem wäre es gut, wenn Sie einige Gewährleistung hätten erhalten können.« – »Worin sollte diese bestehen?« – »Das ist allerdings das Schwierige.« – »Und wenn es möglich gewesen wäre, irgendeine Bürgschaft zu erlangen, so hätte Velez auch von unserer Seite eine solche haben müssen. Was aber hätten wir ihm bieten können?« – »Hm! Nichts als unser Wort.« – »Sie sehen also, daß er uns gegenüber wenigstens nicht in irgendeinem Vorteil steht.« – »O doch! Die Lage, in der wir uns befinden, muß ihm Bürgschaft genug sein, daß wir unser Versprechen erfüllen werden.« – »Welches Schicksal erwartet uns, wenn wir kriegsgefangen werden?« – »Ein rosiges allerdings nicht.« Und mit eigentümlicher Betonung fügte Lopez hinzu: »Ein schlimmes kann ich es aber auch nicht nennen. Man pflegt doch Kriegsgefangene nach geschlossenem Frieden wieder freizulassen.« – »Darauf kann aber ich nicht rechnen.« – »Ah!«
Lopez machte zu diesem Ausruf ein sehr erstauntes Gesicht. Es kam ihm darauf an, den General, dem er keineswegs gewogen war, ein wenig zu peinigen.
»Nein«, fuhr dieser fort. »Freigelassen würden wir keinesfalls, aber wissen Sie, welches Schicksal den Kaiser erwartet, wenn er in die Hände der Republikaner gerät?« – »Er wird erschossen.« – »Jedenfalls. Und wir? Werden wir ein besseres Schicksal haben?« – »Meinen Sie etwa, daß Juarez uns alle erschießen lassen wird, vom Kaiser an bis auf den letzten Soldaten?« – »Das zu denken, wäre ja Wahnsinn.« – »Nun also! Man erschießt einfach die Führer, das heißt, den Kaiser und einige Generäle – weiter keinen!«
Miramon zog die Stirn in Falten.
»Oberst«, sagte er, »es ist nicht sehr liebenswürdig, mich auf eine so aufrichtige Weise vor diese Perspektive zu stellen.« – »Was nun meine Abmachung mit Velez anbelangt, so kommt derselbe mit zweihundert Mann. Sieht er aber, daß wir Wort halten, so zieht er die notwendige, größere Truppe zu sich heran.« – »Das ist allerdings sehr vorsichtig von ihm. Wann und um welche Zeit gedenkt er zu kommen?« – »In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai.« – »Donnerwetter! So spät?«
Lopez hatte den mit Velez vereinbarten Zeitpunkt um zwei Tage hinausgeschoben. Er antwortete abermals lügend:
»Er könnte nicht eher, weil er bis dahin abwesend sei, sagte er mir.« – »So müssen wir uns fügen. Welche Stunde wurde bestimmt?« – »Mitternacht.« – »So wollen wir wünschen, daß diese Nacht nicht eine helle, sondern eine recht trübe sei. Ist das alles, was zwischen Ihnen und dem General verhandelt wurde?« – »Ja, alles.« – »Nun, so wollen wir mit der Hoffnung auseinandergehen, daß unser Vorhaben gelingen werde. In diesem Falle dürfen Sie darauf rechnen, daß ich imstande sein werde, Ihr Verdienst anzuerkennen und zu belohnen.«
Lopez zuckte unter einem halben Lächeln die Achsel und antwortete:
»Mit Illusionen ist nicht gut rechnen, Señor.« – »Halten Sie meine Worte für ein Hirngespinst?« – »Das nicht Aber …« – »Was, aber …?« fragte Miramon. – »Wir wollen bedenken, daß Juarez nicht nur Ihr Gegner, sondern geradezu Ihr Feind ist. Er wird Präsident sein, und Sie werden unter seiner Regierung keinerlei Einfluß erlangen.« – »Ich werde sogar des Landes verwiesen werden.« – »Wie also werden Sie mir nützlich sein können?« – »Hm! Denken Sie, daß ich mich seinen Anordnungen wirklich fügen werde? Ich werde rücksichtslos gegen ihn vorgehen. Noch ist mein Einfluß nicht erloschen, er reicht sogar weit über die See hinüber, und ich werde ihn aufbieten, um Juarez zu stürzen.« – »Eine schwere Aufgabe, die nicht einmal Napoleon und Maximilian von Österreich zu lösen vermochten.« – »Die Schule, durch die ich gegangen bin, hat mich gewitzigt. Bin ich einmal frei, so wird der Zapoteke nicht lange am Ruder bleiben. Ich bin dessen so sicher, daß ich darauf schwören kann.«
Miramon dachte dabei an die geheime Korporation. Vielleicht hatte er die Absicht, derselben eine solche Verfassung und Ausdehnung zu geben, daß sie Juarez gefährlich werden mußte. Natürlich aber hütete er sich, Lopez von diesem Plan etwas mitzuteilen. Er fuhr nur fort:
»Doch, noch ist es nicht Zeit, von diesen Dingen zu sprechen. Ist der Augenblick gekommen, so werden auch Sie etwas Näheres erfahren und dann mit mir zufrieden sein. Aber wir wollen scheiden. Gute Nacht, Oberst!« – »Gute Nacht, General!«
Lopez entfernte sich. Miramon ging schlafen. Er dachte nicht daran, daß Lopez entschlossen sei, so an ihm zu handeln, wie er im Begriff stand, an seinem Kaiser zu handeln. Er hatte seine Maßregeln getroffen und, um nun auch Maximilian zu täuschen, einen Boten abgesandt, der einen seiner Anhänger, einen Bandenführer, aufsuchen sollte, von dem er wußte, daß er sich in der Gegend zwischen Salamanca und Quanachta aufhalte.
Dieser Bote hatte einen schriftlichen Befehl mit, der lautete:
»Sie brechen nach Empfang dieses Befehls mit Ihrer Truppe auf, um während der nächstfolgenden Nacht im Rücken von Eskobedo einen Angriff unter Ausrufungen usw., durch die sich die Ihrigen als Anhänger des Kaisers bezeichnen, zu unternehmen. Dieser Angriff wird zwar für Sie nutzlos, für mich aber von großen Folgen sein. Sie kämpfen, so lange es geht, und ziehen sich dann zurück, um sich in Ihrem Lager zu verbergen.
General Miramon.«
Der Bote war angewiesen, falls es ihm nicht gelinge, sich durch den Feind zu schleichen, und falls er ergriffen würde, diesen Zettel zusammenzuballen und zu verschlingen, damit nichts von dem Inhalt desselben verraten werde.
Er war mit Anbruch der Nacht aufgebrochen und glücklich durch die Linien der Belagerer gekommen.
Am Tage glückte es ihm dann, den Adressaten aufzufinden, und dieser machte sich sofort daran, den ihm übermittelten Befehl auszuführen.
16. Kapitel
Kurt war bei demjenigen Truppenteil tätig, der unter dem Befehl des Generals Velez stand. Man hatte sich über einen neuen Plan geeinigt, der die Eroberung der Stadt erleichtern sollte. Velez hatte diesen zwar für unnütz erklärt, weil er wußte, daß die Festung durch Verrat in seine Hände fallen werde. Da er dies aber nicht sagen durfte, so war trotz seines Einspruches der Plan angenommen worden, und es bedurfte zur Ausführung desselben nur noch der Genehmigung des Generals Eskobedo.
Um dieselbe zu erlangen, mußte ein Bote zu dem Feldherrn geschickt werden, der imstande war, demselben alle Vorteile des Planes vorzustellen. Man wählte Kurt Helmers.
Eskobedo hatte sein Hauptquartier eine Stunde von Querétaro entfernt, und es war am Nachmittag, als Kurt aufbrach. Er traf den General an und erlangte die Genehmigung desselben, allerdings nach einer so eingehenden Besprechung, daß währenddessen der Abend herangekommen war.
Es war dunkel, und um schneller fortzukommen, wich Kurt von der geraden Richtung ab, diese hätte ihn mitten durch das Belagerungsheer geführt, wo sein Ritt durch allerlei Aufenthalt verlangsamt worden wäre. Er hatte also beschlossen, einen Bogen zu schlagen und am äußersten Ende der Truppenaufstellung hinzureiten.
Da es finster war und es hier keinen gebahnten Weg gab, so konnte man leicht die beabsichtigte Richtung versehen, und wirklich geriet Kurt eine Strecke abseits in das Feld. Er merkte es und hielt an, um sich zu orientieren.
Indem er überlegend im Gras hielt, war es ihm, als ob er das Schnauben eines Pferdes vor sich höre, da, wo ein Streifen zu bemerken war, der, dunkler als die nächtliche Finsternis, sich ohne Schwierigkeit erkennen ließ. Ein zweites und darauf ein drittes und viertes Schnaufen erfolgte.
Was war das? Dort waren jedenfalls mehrere, vielleicht viele Pferde beisammen. Und wo Pferde sind, da gibt es auch Reiter. Waren es Freunde oder Feinde? Jedenfalls das letztere. Die Truppen Eskobedos lagen links hinüber und hätten auch nicht notwendig gehabt, sich im Wald zu verbergen. Daß nämlich der dunkle Streifen einen Wald bedeute, verstand sich von selbst.
»Es sind Feinde. Ich muß sehen, was sie wollen«, flüsterte Kurt sich selbst zu.
Er wandte sein Pferd und ritt so weit zurück, daß es, im Falle es schnauben sollte, außer Hörweite der zu belauschenden Reiter sei, pflockte es an und schritt wieder leise und vorsichtig auf den Wald zu.
Es verstand sich von selbst, daß sein Vorhaben nicht ohne Gefahr war. Daher legte er sich, in der Nähe des Waldes angekommen, im Gras nieder und schob sich nach Art der Präriejäger vorwärts.
Nicht lange dauerte es, so hatte er den Waldrand erreicht und drang zwischen den Bäumen vor. Da hörte er zu seiner Linken ein halblaut geführtes Gespräch. Er schlich sich auf diese Gegend zu, mußte aber bald anhalten, denn er war bei einem Baum angelangt, in dessen Nähe zwei Männer saßen, die miteinander sprachen. Er konnte jedes Wort genau verstehen.
»Wieviel Uhr haben wir?« fragte der eine. – »Das weiß der Teufel«, antwortete der andere. »Es wird gegen elf Uhr sein.« – »Also noch eine Stunde.« – »Du denkst, daß wir um Mitternacht aufbrechen?« – »Ja. Um ein Uhr soll der Angriff unternommen werden.« – »Hm! Was hältst du von diesem Angriff?« – »Eigentlich eine verrückte Idee.« – »Ganz meine Ansicht.« – »Wir sind vierhundert, und der Feind zählt fünfundzwanzigtausend.« – »Unsinn! Wir haben es ja nur mit einem kleinen Teil desselben zu tun! Aber trotzdem wird es nichts sein, als ein Laufen in den Tod.« – »Ich stelle mir die Sache nicht so schlimm vor. Als ich heute Posten stand, kam der Colonel mit dem Boten des Generals Miramon an mir vorüber, und da gelang es mir, einige Worte ihres Gespräches wegzuschnappen.« – »Was sagten sie?« – »Der Colonel war ungehalten darüber, daß er sich opfern solle.« – »Und der Bote?« – »Dieser beruhigte ihn, indem er ihm erklärte, daß es sich ja gar nicht um ein ernstliches Gefecht handle. Es sei nur darum zu tun, die Annahme zu wecken, daß der Kaiser im Rücken seiner Feinde noch Anhänger habe, die gesonnen sind, für ihn zu kämpfen.« – »Dummheit! Was könnte das ihm nützen?« – »Wer weiß es? Ich bin kein General und auch kein Minister. Wir greifen an und ziehen uns zurück, sobald die Kugeln des Feindes zu pfeifen beginnen.« – »Ja, und haben dabei nichts weiter zu tun, als uns totschießen zu lassen und ›Vivat Max‹ zu rufen. Ich habe große Lust, zurückzubleiben und schreien zu lassen, wer da will.« – »Hast du etwa Angst?« – »Angst? Vor wem?« – »Nun, vor den Waffen der Republikaner.« – »Was fällt dir ein! Hast du jemals bemerkt, daß ich mich gefürchtet habe? Aber es ist ein großer Unterschied, ob ich für eine Sache kämpfe, die eine Zukunft hat, oder für eine solche, die ich im vornherein verloren geben muß!« – »Verloren? Du meinst die Sache des Kaisers?« – »Natürlich!« – »Und du erklärst sie für verloren? Das laß ja den Colonel nicht hören. Er würde dir eine Kugel vor den Kopf geben lassen.« – »So wäre er dumm genug. Die Wahrheit belohnt man nicht mit einer Kugel.« – »Pah! Die Wahrheit! Du denkst, weil wir jetzt so schauderhaftes Pech gehabt haben, müsse das auch so bleiben. Aber du irrst dich da gewaltig. Miramon ist ein tüchtiger Kerl. Ist er nicht Präsident gewesen? Er wird wohl wissen, was er tut. Und der Streich, den wir heute auszuführen haben, hat jedenfalls auch seine Berechnung. Vielleicht sollen wir die Aufmerksamkeit Eskobedos auf uns lenken, damit den Unseren in der Stadt ein Ausfall gelingt, der den Belagerern verderblich wird.
Während dieses Gesprächs, am Schluß desselben, hatte Kurt nahende Schritte vernommen, die aber den beiden Sprechenden entgangen waren. Jetzt fragte eine tiefe befehlshaberische Stimme:
»Was fällt euch ein, so laut hier zu sprechen?« – »Ah! Der Colonel!« riefen die beiden, indem sie aufsprangen.
Kurt hatte die Ansicht, daß die eigentliche Truppe im Innern des Wäldchens kampiere, während an den Rand desselben Doppelposten gelegt waren. Einen solchen Posten bildeten jedenfalls auch die beiden, die er belauscht hatte. Daß seine Meinung die richtige sei, sollte er sogleich hören.
»Leise!« befahl der Colonel. »Ich habe doch den Befehl gegeben, daß auf Posten nicht gesprochen werden soll!«
Die zwei fühlten sich schuldig und schwiegen infolgedessen. Der Colonel fuhr fort:
»Ist etwas vorgekommen?« – »Nein«, antwortete der eine. – »Auch nichts Verdächtiges gehört?« – »Gar nichts.« – »So verhaltet euch ruhiger als bisher. Anstatt zu hören, werdet ihr gehört, wenn ihr laut sprecht. Ich will einmal rundum rekognoszieren gehen. Fällt während dieser Zeit etwas vor, so meldet ihr es dem Major!«
Kurt konnte den Colonel nicht sehen, aber er hörte es an dem Geräusch der Schritte, daß derselbe gerade auf den Baum zukam, hinter dem er sich niedergelegt hatte. Infolgedessen erhob er sich schnell und geräuschlos aus seiner liegenden in eine kauernde Stellung, duckte sich so eng und tief wie möglich zusammen und schmiegte sich fest an den Stamm des Baumes.
Um nicht anzustoßen, hielt der Oberst die Hände vor. Er fühlte den Stamm und wollte zur Seite vorüber. Dabei aber blieb er am Fuß Kurts hängen und stürzte zu Boden.
»Verdammt!« rief er. »Das war gerade, als ob ich an dem Stiefel eines Menschen hängengeblieben wäre. Schnell herbei, ihr beiden!«
Kurt hatte kaum so viel Zeit, zur Seite zu schnellen und, an einigen Bäumen vorüberschleichend, sich hinter einem anderen Stamm zu verbergen, so rasch waren die zwei Männer da.
Der Oberst hatte sich natürlich wieder erhoben.
»Habt ihr Zündhölzer?« fragte er. – »Ja«, antwortete einer.
Kurt zog sich rasch noch weiter zurück.
»Brennt an!« gebot der Offizier. »Aber nicht eins allein, sondern mehrere zusammen. Das leuchtet besser.«
Kurt vernahm das Anstreichen der Hölzer, und einen Augenblick darauf beleuchtete das Flämmchen die Umgebung des Ortes, wo die drei Personen standen, ziemlich deutlich. Ein Glück war es, daß der Schein nicht zu ihm dringen konnte.
»Seht ihr etwas?« fragte der Colonel. – »Nein«, antworteten die Männer zugleich. – »Leuchtet nieder an den Boden.«
Sie gehorchten.
»Ah!« meinte der Offizier im Ton der Beruhigung. »Hier ist eine Wurzel. Freilich war das, worüber ich stolperte, weicher, als eine Wurzel zu sein pflegt, aber sie ist mit Moos bewachsen. Sie ist es gewesen, an der ich hängenblieb.« – »Jedenfalls, Señor«, bestärkte ihn der eine der beiden Posten in dieser irrigen, für Kurt aber günstigen Ansicht. – »Man kann nicht vorsichtig genug sein«, meinte er, »besonders in der Lage, in der wir uns befinden. Haltet darum eure Ohren offen, Leute!«
Nach dieser Warnung schritt der Oberst weiter, dem Ausgang zu. Es war kein Zweifel, daß Kurt sich in Gefahr befunden hatte, doch schätzte er dieselbe nicht groß. Er wußte, daß man ihn sicher nicht zu ergreifen vermocht hätte. Freilich wäre der Oberst dann zu der Überzeugung gekommen, daß er belauscht worden und seine Absicht kaum noch ausführbar sei.
Jetzt war diese Gefahr vorüber. Der Colonel hatte sich jedenfalls vorgenommen, außerhalb des Wäldchens, da, wo ebener Grasboden zu sein schien, rund um das letztere herumzugehen. Bei diesem Gedanken durchzuckte ein Entschluß den jungen Mann. Wie, wenn er diesen Obersten gefangennahm? Es war dies wohl kein leichtes Unternehmen, aber er fühlte sich gewandt genug dazu, dasselbe auszuführen.
Er folgte in geduckter Stellung dem Offizier. Dieser war wirklich aus dem Wald heraus auf die offene Grasfläche getreten und patrouillierte nun langsam an dem Waldrand weiter. Kurt schlich, nachdem er einige Zeit hatte vergehen lassen, um außer Hörweite der beiden Posten zu kommen, hinter ihm her. Er erreichte ihn und schlang ihm von hinten die Finger der beiden Hände fest um den Hals. Der Offizier stieß ein halblautes Stöhnen aus, griff mit den Händen in die Luft, um seinen Angreifer zu fassen, was ihm aber nicht gelang. Ein noch festerer Druck von Kurts Fingern, ein röchelndes, leise endendes Stöhnen, und der Oberst sank zur Erde.
»So, den habe ich!« murmelte Kurt befriedigt.
Dann zog er sein Taschentuch hervor, band es um den Mund des augenblicklich Besinnungslosen, schlang sich den Lasso von den Hüften und wickelte denselben so fest um die Arme und Beine des Gefangenen, daß dieser sich beim Erwachen nicht zu rühren vermochte.
Nun erst hatte er ihn vollständig in seiner Gewalt. Er warf sich den Mann über die Schulter und eilte zu seinem Pferd zurück, das zu finden ihm trotz der Dunkelheit glücklicherweise gelang. Er hob ihn empor, stieg auf, nahm ihn quer vor sich über und ritt davon, erst langsam und vorsichtig, dann aber so schnell, als es ihm die Dunkelheit und das Terrain gestatteten.
Anstatt bei der vorher eingehaltenen Richtung zu verharren, die ihn längs der Vorpostenkette der Republikaner hingeführt hatte, hielt er jetzt in gerader Richtung auf dieselbe zu, bis er angerufen wurde und also halten mußte. Nachdem er sich durch Parole, Losung und Feldgeschrei legitimiert hatte, fragte er den befehlenden Offizier, der in der Nähe war:
»Wer ist Ihr Kommandeur?« – »General Hernano«, antwortete der Gefragte. – »Bringen Sie mich schnell zu ihm.« – »Ist die Angelegenheit eilig?« – »Ja. Sie sollen um ein Uhr angegriffen werden.« – »Donner! Wen haben Sie denn da auf dem Pferd?« – »Einen Gefangenen. Aber ich habe keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Bitte, lassen Sie uns eilen!«
Nachdem der Offizier den Seinen die größte Wachsamkeit eingeschärft hatte, ging er, Kurt führend, nach seinem Posten zurück, wo sein Pferd stand, bestieg es, und beide sprengten dem Quartier des Generals zu.
Dasselbe befand sich in einer Art von Dörfchen, das vielleicht eine halbe Stunde von Querétaro lag. Der Kommandierende saß mit seinen Stabsoffizieren bei einem frugalen Nachtessen, als ihm Kurt gemeldet wurde.
»Ein deutscher Name«, sagte er. »Wird nicht viel bringen. Der Mann mag eintreten!«
Kurt hatte kurzen Prozeß gemacht und seinen Gefangenen auf die Schulter geladen. Er trat mit demselben ein. Bei diesem außergewöhnlichen Anblick sprangen die Offiziere auf.
»Valga me Dios! Was bringen Sie da?« fragte erstaunt der General. – »Einen Gefangenen, Señor«, antwortete Kurt, indem er den Colonel zur Erde legte und sein Honneur machte. – »Das scheint so! Wer ist der Mann?« – »Ein kaiserlicher Oberst.« – »Hm. Der Kerl sieht nicht danach aus. Jedenfalls haben Sie da eine Maus gefangen, anstatt eines Elefanten.«
Bei diesen Worten umspielte ein ironisches Lächeln die Lippen des Generals, und seine Offiziere hielten es natürlich für ihre Pflicht, dasselbe Lächeln sehen zu lassen.
»Überzeugen Sie sich«, meinte Kurt in sehr ruhigem Ton. – »Er trägt ja nicht die kaiserliche Uniform!« – »Er ist dennoch ein Kaiserlicher. Ich trage auch nicht die Uniform Eskobedos oder des Präsidenten, sondern gerade wie dieser Gefangene mexikanische Kleidung.« – »Und dennoch sind Sie Republikaner? Das wollen Sie doch sagen?« – »Nein.« – »Was sonst? Sie wurden mir als Premierleutnant angemeldet.« – »Das bin ich allerdings. Ich diene in der Armee des Königs von Preußen, bin in Familienangelegenheiten nach Mexiko gekommen und habe mich gegenwärtig aus gewissen Gründen der Sache des Präsidenten angeschlossen.« – »Ah! Warum nicht der Sache des Kaisers?« fragte der General.
Es war ihm leicht anzusehen, daß er einiges Mißtrauen hegte.
»Es war mir so opportun«, antwortete Kurt kurz und scharf. – »Sie haben sich bei den Vorposten legitimiert?« – »Ja. Hätte der Führer der Posten mich Ihnen sonst angemeldet?«
Der General erkannte, daß er im Begriff gestanden hatte, zu weit zu gehen, und fragte:
»Woher kommen Sie?« – »Von Eskobedo.« – »Ah! Sie waren beim Oberstkommandierenden? In welcher Angelegenheit wenn ich fragen darf?«
Der letzte Zusatz war doch wieder in einem ziemlich ironischen Ton gesprochen.
»Fragen dürfen Sie allerdings, Señor«, antwortete Kurt lächelnd, »aber antworten darf ich nicht.« – »Ah! Es handelt sich um eine diskrete Angelegenheit?« – »Ja, um einen Plan, über den Sie das Nähere von einem anderen als von mir zu erfahren haben.« – »Sie scheinen in Preußen an eine strenge Disziplin gewöhnt zu sein.« – »Das ist allerdings wahr.« – »Auch an diese Verschlossenheit Vorgesetzten gegenüber?« – »Auch an sie, wenn es nötig ist. Nur fragt es sich, wen Sie einen Vorgesetzten nennen.« – »Sie meinen doch, daß ich der Ihrige bin?« – »Vielleicht nicht. Ich habe mich dem Präsidenten zur Verfügung gestellt, ohne einen militärischen Rang zu beanspruchen.« – »Sie meinen doch nicht etwa, daß Ihnen im anderen Fall der meinige angeboten worden wäre? Ich bin General.« – »Ich bin Offizier, wie Sie, das ist alles, was ich Ihnen antworten kann. Welcher Rang mir geworden wäre, kommt nicht in Betracht. Übrigens denke ich, dem Präsidenten nicht weniger dienlich zu sein als jeder andere.«
General Hernano war als stolzer, hochfahrender, aber keineswegs als sehr befähigter General bekannt. Seine Arroganz machte sich auch hier Kurt gegenüber geltend. Dieser aber war freilich nicht derjenige, der so etwas etwa demütig hinnahm. Er wußte, daß ein mexikanischer General in Beziehung auf militärische Kenntnis nicht stets einem deutschen Leutnant gleichstehe, und beeilte sich daher, dem Ton des Generals mit einem gleichen zu begegnen.
Er sah, daß dies von der Umgebung Hernanos beifällig bemerkt wurde, und das befriedigte ihn. Der General dagegen ließ ein finsteres Gesicht sehen.
»Ah!« sagte er. »In welcher Weise dienen Sie dem Präsidenten?« – »Als Ingenieur. Ich bin den Genietruppen zugeteilt.« – »Hm. Ich halte es mit der Reiterei. Der Ingenieur ist ein Bohrwurm, der das Tageslicht scheut. Sie wurden mir als Oberleutnant Helbert angemeldet. Ich hörte den Namen zum ersten Male.«
Kurt verstand sehr wohl, was das heißen solle, aber er antwortete dennoch in ruhiger Höflichkeit:
»So hatte sich der betreffende Offizier verhört, oder er besitzt nicht die Fertigkeiten, einen deutschen Namen auszusprechen. Ich heiße nicht Helbert, sondern Helmers.«
Da blickte der General rasch empor.
»Helmers?« fragte er. – »Ja, Señor.« – »Sie stehen bei der Truppe des Generals Velez?« – »Allerdings.« – »Ah! Das ist etwas anderes. Entschuldigung! Wäre mir Ihr Name richtig genannt worden, so wäre Ihr Empfang ein anderer gewesen. Señores, ich stelle Ihnen hiermit die eigentliche Seele unserer Belagerungsarbeit vor.«
Gerecht war Hernano also doch. Die Offiziere traten jetzt zu Kurt und reichten ihm in kameradschaftlicher Weise die Hände. Dann fuhr der Oberst fort:
»Nun lassen Sie uns zur Ursache Ihrer Anwesenheit zurückkehren! Sie bezeichnen diesen Gefangenen wirklich als einen kaiserlichen Obersten?« – »Ja, obgleich ich der Ansicht bin, daß es sich nur um einen Guerilla– oder Bandenführer handelt. Er wurde von den Seinen in meiner Gegenwart Colonel, also Oberst genannt.« – »Wieviel Mann Begleitung hatten Sie bei sich?« – »Niemanden.« – »Wie aber sind Sie in den Besitz dieses Mannes gekommen?« – »Sehr einfach, ich habe ihn gefangen.« – »Sie allein?« fragte der General erstaunt. – »Nicht anders. Darf ich den Fall berichten?« – »Tun Sie es! Ich bin sehr gespannt!«
Kurt erzählte, und die Anwesenden hörten aufmerksam zu. Am Schluß rief der General:
»Alle Wetter! Man will uns also überfallen?« – »Ja.« – »Und wir versäumen die Zeit mit unnützen Reden!« – »Nicht meine Schuld«, meinte Kurt, indem er mit der Achsel zuckte. – »Warum machten Sie mich nicht sogleich aufmerksam?« – »Sie sind General, ich bin nur Leutnant«, antwortete Kurt, nun seinerseits mit einem ironischen Lächeln. »Ich hatte also nichts anderes zu tun, als Ihre Fragen zu beantworten.« – »Donner! Höflich scheinen diese Herren Preußen nicht zu sein. Ich werde sogleich eine Abteilung gegen den Wald vorrücken lassen. Wollen Sie die Güte haben, derselben als Führer zu dienen?« – »Ich stelle mich gern zur Verfügung, bitte aber, sich vorher mit diesem Colonel einen Augenblick zu beschäftigen.« – »Warum? Die Zeit drängt.« – »Nicht so sehr, daß wir nicht vorher einige Fragen an ihn richten und seine Taschen untersuchen könnten.« – »Das ist wahr. Sie sagten, daß der Angriff um ein Uhr stattfinden soll?« – Ja.« – »Und daß sie sich dazu um Mitternacht vorbereiten werden?« – »So ist es.« – »Es ist jetzt erst über elf Uhr, und so bleibt uns also noch Zeit. Binden wir ihn los.«
17. Kapitel
Der Gefangene war unterdessen wieder zu sich gekommen, das sah man an seinen dunklen Augen, die er geöffnet hatte und mit dem Ausdruck der Wut von einem zum anderen gleiten ließ. Man nahm ihm das Taschentuch und den Lasso ab und hieß ihn aufstehen. Er tat es, indem er die schmerzenden Glieder streckte.
»Wie heißen Sie?« fragte ihn der General.
Der Gefragte antwortete nicht und schwieg selbst dann, als die Frage wiederholt wurde. Da meinte Hernano:
»Wenn Sie nicht antworten, so betrachte ich Sie nicht als Offizier, sondern als einen gemeinen Verräter und lasse Sie auf der Stelle erschießen. Also, wie heißen Sie?«
Jetzt nannte der Mann seinen Namen.
»Haben Sie gehört, was dieser Señor uns erzählt hat?« – »Ja.« – »Sie geben zu, daß es die Wahrheit ist?« – »Sie als General werden einsehen, daß ich diese Frage nicht beantworten darf.« – »Sie meinen, daß Ihre Pflicht Ihnen hier Schweigen auferlegt? Gut, ich will das zugeben. Aber fragen muß ich Sie doch, ob es sich wirklich um einen Angriff auf uns handelt.« – »Auch jetzt antworte ich nicht.« – »Von wem haben Sie den Befehl erhalten, heute …« – »Halt!« rief in diesem Augenblick Kurt, den General unterbrechend.
Der Gefangene war nämlich leise und, wie er meinte, unbeobachtet mit der Hand in die Tasche gefahren und stand im Begriff, diese Hand zum Mund zu führen. Kurt aber hatte ihn im Auge behalten und den erhobenen Arm am Handgelenk ergriffen. Der Gefangene machte eine verzweifelte Kraftanstrengung, ihm den Arm zu entreißen, was ihm aber nicht gelang. Da bückte er sich schnell mit dem Kopf herab. Ehe einer der Anwesenden herzutreten konnte, wäre es dem Colonel fast gelungen, das, was er in der Hand hielt, in den Mund zu bekommen, aber Kurt, der den Arm mit der Linken gepackt hielt, stieß ihm die geballte Faust in der Weise unter das Kinn, daß der Kopf emporflog. Ein zweiter Faustschlag gegen die Schläfe des Widerstrebenden warf denselben zu Boden, wobei Kurt noch immer die Hand des jetzt Besinnungslosen festhielt.
»Donnerwetter«, rief der General. »Was für einen famosen Hieb haben Sie!« – »Beweis, daß ich einen tüchtigen Lehrmeister hatte«, lächelte Kurt. – »Sie haben den Mann erschlagen. Er ist tot.« – »Wohl nicht! Um ihn zu töten, hätte ich ihn ein wenig mehr nach hinten treffen müssen.« – »Sie scheinen den Schädelbau Ihrer Gegner genau zu studieren, ehe Sie zuschlagen.« – »Das ist allerdings notwendig.« – »Warum unterbrachen Sie mich?« – »Der Mann zog etwas aus der Tasche, was er zum Mund führen und jedenfalls verschlingen wollte.« – »Ah! Was ist es?« – »Wir werden sehen.«
Kurt brach die Hand des Bewußtlosen auf und fand ein fest zusammengeknülltes Papier, das er glättete und dem General überreichte. Dieser las es durch.
»Ein Befehl des Generals Miramon!« rief er aus.
Die Anwesenden gaben ihr Erstaunen teils durch ihre Mienen, teils durch verschiedene laute Ausrufe zu erkennen.
»Daß dies Billett in die Hände dieses Mannes kommen konnte«, meinte der General, »ist ein Beweis, daß entweder die Stadt noch nicht vollständig eingeschlossen ist oder daß unsere Posten nicht wachsam sind.«
Er las den Befehl des Generals Miramon laut vor und sagte dann:
»Er hat also doch eingesehen, daß dieser Angriff keinen direkten Nutzen haben werde. Unsere Vorposten hätten Alarm geschlagen. Aber er redet da von einem indirekten Vorteil. Was mag er meinen?«
Einer der anwesenden Offiziere antwortete:
»Das ist, meiner Ansicht nach, sehr leicht einzusehen.« – »Wieso?« – »Miramon beabsichtigt heute nach Mitternacht einen Ausfall und will unsere Aufmerksamkeit von demselben ablenken.« – »Hm. Das ist allerdings wahrscheinlich.« – »Ich bin anderer Meinung«, bemerkte Kurt – »Warum?« fragte der General. – »Miramons Ausfälle sind alle siegreich zurückgeschlagen worden. Der letzte wurde am fünften Mai unternommen, wobei ich durch eine einzige Mine das ganze Vorhaben vereitelte. Miramon muß, wenn er nur ein mittelmäßiger Soldat ist, wissen, daß seine ganzen Befestigungen von unseren Minen umgeben sind. Er mag einen Ausfall versuchen, wo er will, so sprenge ich ihn in die Luft. Nein, seine Absicht ist eine andere!« – »Aber mir ein Rätsel. Wollen Sie sich erklären?« – »Er will den Kaiser verderben. Max soll denken, daß hinter unserem Rücken seine Anhänger in hinreichender Stärke stehen, um uns anzugreifen und von der Stadt abzuziehen.« – »Eine Spiegelfechterei also?« – »Die aber doch ihren Zweck erfüllen kann. Halten Sie es für unmöglich, daß der Kaiser noch heimlich entkommen kann?« – »Ja.« – »Es ist dem Boten Miramons gelungen, unbemerkt sich durchzuschleichen. Was diesem nicht unmöglich war, kann auch dem Kaiser recht wohl möglich werden.« – »Hm. Man wird wachsamer sein müssen.« – »Um nun Max von jedem solchen Gedanken abzubringen, spiegelt Miramon ihm die erwähnte Lüge vor.« – »Was aber kann es ihm nützen, wenn der Kaiser nicht entkommt, sondern gefangen wird?« – »Vielleicht gibt er sich der Hoffnung hin, daß man sich begnügen werde, das Haupt unschädlich zu machen.« – »Ah! Er gedenkt, dadurch sein Leben zu retten?« – »Ich habe Grund, dies zu glauben. Ich weiß ganz genau, daß von einer gewissen Seite Anstrengungen gemacht werden, den Kaiser zu täuschen.« – »Woher wissen Sie das?« – »Ich habe keine Anweisung, darüber zu sprechen. Ich darf Ihnen nur sagen, daß ich den Präsidenten darüber unterrichtet habe und daß dieser seine Maßregeln danach zu ergreifen weiß. Auch mit General Miramon habe ich über diesen Punkt gesprochen.« – »Donner! Sie scheinen ja mit diesen Herren auf einem sehr vertrauten Fuß zu stehen.« – »Vielleicht! Jedenfalls aber ist es notwendig, dem Oberstkommandierenden sofort diesen Befehl Miramons zu schicken und ihn von dem beabsichtigten Überfall, sowie den dagegen ergriffenen Mitteln zu benachrichtigen.« – »Das soll geschehen. Wie stark sind diese Guerillas? Wie sagten Sie?« – »Vierhundert, wie ich erlauschte.« – »Reiter oder Fußtruppen?« – »Ich hörte die Pferde schnaufen und glaube auch bemerkt zu haben, daß die beiden Posten großrädrige Sporen trugen. Ich vernahm das Klirren derselben. Diese Banden sind ja meist beritten.« – »Meinen Sie, daß wir den Angriff erwarten?« – »Nein. Weil dann mehr oder weniger der Unserigen fallen werden.« – »Also greifen wir sie an?« – »Auch nicht. Sie sind vom Wald gedeckt, und wir geben uns ihren Kugeln preis, obgleich bei der Dunkelheit ein gutes Zielen nicht möglich ist. Wir umzingeln sie.« – »Sie werden durchzubrechen versuchen.« – »Es wird ihnen nicht gelingen, denn Sie werden die Güte haben, eine hinreichende Anzahl zu detachieren.« – »Gewiß! Aber der Versuch des Durchbruches wird uns Tote und Verwundete kosten, und das ist es gerade, was Sie vermeiden zu wollen scheinen.« – »Wir werden es auch vermeiden, indem wir sie verhindern, den Durchbruch auch nur zu versuchen.« – »In welcher Weise scheint Ihnen das möglich?« – »Wir umschließen den Wald und benachrichtigen sie einfach hiervon durch einen Parlamentär.« – »Teufel! Das ist gefährlich!« – »Wieso?« – »Diese Kerle achten keinen Parlamentär. Sie stechen ihn nieder.« – »Ich befürchte dies nicht, sobald man einen Mann sendet, der mit ihnen zu sprechen versteht.« – »Sie vergessen, daß Sie es hier mit keiner regelrechten Truppe, sondern mit einer Bande zu tun haben. Keiner meiner Offiziere wird es wagen, sich als Parlamentär zu melden.« – »Sie haben zu befehlen.« – »Ich weiß, daß ich den Betreffenden in den Tod schicken würde.« – »Gut, so bin ich es, der sich meldet.«
Der General machte ein sehr erstauntes Gesicht.
»Sie? Sie wollen mit diesen Guerillas unterhandeln?« fragte er. – »Ja, ich«, antwortete Kurt zuversichtlich. – »So sage ich Ihnen im voraus, daß Sie ein toter Mann sind.«
Kurt zuckte die Achseln und antwortete gleichmütig:
»Ich fühle nicht die Lust, mich von diesen Leuten erschießen oder aufhängen zu lassen. Ich bin überzeugt, daß es mir gelingen wird, sie zur Räson zu bringen. Allerdings sehe ich mich gezwungen, die Bedingung zu stellen, daß Sie mir den geschriebenen Befehl Miramons mitgeben.« – »Ich denke, daß ich denselben an Eskobedo schicken soll?« – »Der Obergeneral wird ihn noch früh genug erhalten. Aber ich sehe ein, daß auch eine Abschrift genügen wird.« – »Sie soll sofort ausgefertigt werden.«
Der General gab einem Offizier den Zettel des feindlichen Generals, der im Augenblick kopiert wurde, während Hernano fortfuhr:
»Was meinen Sie, Señor Helmers, werden zwei Bataillone genügen?« – »Sicher«, antwortete Kurt. »Wählen Sie gute Schützen, und verteilen Sie Fackeln und Raketen, denn jedenfalls werden wir in die Lage kommen, das Terrain erleuchten zu müssen.«
Der General gab die nötigen Befehle, und dann wurde der gefangene Colonel untersucht. Es fand sich nichts Bedeutungsvolles bei ihm; er wurde nach dem Depot transportiert.
Kurze Zeit später befand Kurt sich mit zwei Bataillonen auf dem Marsch, der ohne alles Geräusch ausgeführt wurde. Es war noch nicht zwölf, als sie in der Nähe des Wäldchens ankamen, welches in Zeit von kaum zehn Minuten vollständig umzingelt wurde.
Es war bestimmt worden, daß, wenn Kurt eine Rakete steigen lasse, auch von Seiten der Republikaner rundum mehrere abgebrannt werden sollten, um den Leuten zu beweisen, daß sie wirklich umzingelt seien.
18. Kapitel
Nun machte sich Kurt an das Werk. Er trat den von General Hernano für so schwierig gehaltenen Gang an.
Er schritt gerade auf das Wäldchen zu und gab sich natürlich keine Mühe, seine Schritte zu dämpfen.
»Halt! Werda?« tönte es ihm entgegen, als er den ersten Baum beinahe erreicht hatte. – »Parlamentär«, antwortete er. – »Steh, oder ich schieße!« wurde ihm warnend zugerufen.
Kurt blieb stehen. Es trat eine Pause ein, während der er nichts vernahm, als das Rascheln von Zweigen und ein leises Knicken von an dem Boden liegenden Ästchen. Aber es dünkte ihm, trotz der Dunkelheit, einige Gewehrläufe auf den Ort gerichtet zu sehen, wo er sich befand. Erst nach einer längeren Weile wurde er wieder angerufen, und zwar dieses Mal von einer anderen Stimme.
»Wer ist da draußen?« – »Parlamentär von General Hernano.« – »Alle Teufel!« hörte er fluchen. »Wie kommt dieser dazu, uns einen Parlamentär zu senden?« – »Das werde ich Ihnen sagen, sobald Sie mir erlaubt haben, näherzutreten.« – »Wie viele Personen sind dort?« – »Ich bin allein.« – »Warten Sie!«
Obgleich Kurt sein Gesicht und Gehör anstrengte, hoben sich nach kaum einer Minute fünf bis sechs Gestalten gerade vor ihm vom Boden empor, ohne daß er ihr Kommen bemerkt hätte. Der eine fragte:
»Wer sind Sie?« – »Das werde ich dem Stellvertreter des Colonels sagen.« – »Ich bin Leutnant!« – »So bitte ich, mich zu ihm zu führen, Señor Leutnant.« – »Kommen Sie!«
Kurt wurde von mehreren Händen gepackt und fortgezogen, was er sich auch gefallen ließ. Sie waren nicht weit in das Wäldchen eingedrungen, so stießen sie auf eine Gruppe von Männern, vor der sie halten blieben.
»Hier, Major, ist der Mann«, meldete der Leutnant.
Eine schnarrende Stimme antwortete:
»Haltet ihn fest! Hat er Waffen bei sich?« – »Ah, das ist uns noch gar nicht eingefallen, danach haben wir ihn noch nicht gefragt.« – »Dumme Kerle! Durchsucht ihn!« – »Ich führe als Parlamentär keine Waffen«, meinte Kurt. – »Maul halten«, gebot der Major. »Durchsucht ihn!«
Dies geschah sehr sorgfältig, und da sie nichts als die Rakete fanden, so meldete der Leutnant:
»Er ist wirklich unbewaffnet. Aber da hat er ein Ding in der Hand.« – »Was ist es?« fragte der Major. – »Ich weiß es nicht.« – »Es ist eine Rakete«, antwortete Kurt – »Donnerwetter, eine Rakete! Wozu?« – »Ich werde Ihnen das erklären, nachdem Sie mich gehört haben.« – »O nein, mein Bester, wir werden die Rakete an uns nehmen, bevor wir Sie gehört haben. So ein Ding ist gefährlich. Bindet ihn!«
Man nahm Kurt die Rakete und schickte sich an, ihn zu fesseln.
»Ich werde mich binden lassen«, erklärte Kurt, »obgleich es nicht völkerrechtlich ist, einen Parlamentär in Banden zu legen.« – »Es ist auch nicht gebräuchlich, daß Parlamentäre Raketen bei sich führen«, schnarrte der Major. – »Das gebe ich zu. Ich habe das Feuerwerk in der besten Absicht mitgebracht, wie Sie später einsehen werden. Schon der Umstand, daß ich mich mitten in dunkler Nacht Ihnen im finsteren Wald überliefere, muß Sie überzeugen, daß ich eine ehrliche Absicht hege.« – »Das werden wir sehen. Seid ihr fertig?« – »Ja«, antwortete einer von denen, die Kurt gefesselt hatten. – »So können wir beginnen. Also wer sendet Sie?« – »General Hernano, wie ich dem Señor Leutnant bereite sagte.« – »Hernano?« fragte der Major im Ton des Erstaunens. »Wie kommt dieser Mann dazu, Sie hierherzuschicken?« – »Sehr einfach. Weil er wußte, daß Sie sich hier befinden.« – »Unmöglich! Wie hat er es erfahren?« – »Es ist heute von General Miramon ein Bote zu Ihnen gekommen, der Ihnen eine Befehl Miramons überbracht hat.« – »Donnerwetter, woher haben Sie das erfahren?« – »Unsere Quelle darf ich nicht verraten. Wir kennen diesen Befehl, ja, ich kann Ihnen eine Abschrift desselben zeigen, und zwar eine ganz genaue.« – »Dann wäre ja der krasseste Verrat im Spiel.« – »Darüber kann ich mich nicht äußern.« – »Sie haben die Abschrift bei sich?« – Ja. Sie steckt in meiner rechten Hosentasche. Man hat bei meiner Durchsuchung den kleinen Zettel nicht beachtet.«
Kurt fühlte, daß man ihm den Zettel aus der Tasche nahm. Er wurde dem Major übergeben.
»Das Licht her!« gebot dieser.
Einen Augenblick später brannte eine kleine Blendlaterne, bei deren Schein der Major die Zeilen las.
»Das ist Verrat! Das ist der unverzeihlichste Verrat!« rief er.
Ein Mann, der neben ihm stand, fragte:
»Stimmt es denn, Major?« – »Ganz genau. Was sagt Ihr dazu, Pater?« – »Daß es mir völlig unbegreiflich ist, denn ich weiß, daß Miramon allein von diesem Befehl unterrichtet ist.« – »Ihr waret bei ihm, als er ihn schrieb?« – »Ja, und kein Mensch weiter, dann brach ich sofort auf.« – »Sollte Miramon davon gesprochen haben? Oder sollte er selbst – ah, das ist ja nicht zu denken!« Und sich wieder an Kurt wendend, fragte er: »Wissen Sie, wie dieser Befehl in die Hände der Ihrigen gefallen ist?« – »Ja, es ist mir aber natürlich verboten, darüber zu sprechen.«
Es war eine eigentümliche Szene. Das Lämpchen der kleinen Laterne beleuchtete das Gesicht des ergrimmten Majors. Die anderen Gestalten, auch diejenige des gefesselten Kurt, und die Bäume mit ihren im völligen Dunkel verschwindenden Wipfeln lagen in schwarzgrauem Dunkel.
»Sie sind umzingelt«, unterbrach Kurt das Schweigen. »Entkommen ist unmöglich, also ergeben Sie sich und vermeiden Sie so unnötiges Blutvergießen.« – »Tod und Teufel!«
Der Major warf den Zettel, den ihm der Pater wiedergegeben hatte, zu Boden und stampfte mit den Füßen darauf. Auch die anderen Offiziere, die bei ihm standen, und diejenigen der sich herandrängenden Mannschaft, die Kurts letzte Worte vernommen hatten, wurden von demselben Zorn ergriffen. Ein tiefes, grollendes Murmeln durchlief das Lager.
»Ruhe!« zischte der Major. »Man muß hier vorsichtig sein.« Und sich an Kurt wendend, fragte er, während alle anderen in größter Spannung lauschten: »Wer hat uns umzingelt?« – »Eine Abteilung des Generals Hernano.« – »Wie stark ist sie?« – »Señor«, antwortete Kurt, »ich bin Offizier, aber kein Wahnsinniger.« – »Ah! Sie haben recht! Verzeihen Sie« – »Ich habe Ihnen zu sagen, daß Hernano, sobald er sich orientiert hatte, eine Abteilung aussandte, die stark genug ist, die fünffache Zahl der Ihrigen zu bewältigen. Wir sind von allem genug unterrichtet, Sie haben nicht mehr und nicht weniger als vierhundert Mann.« – »Teufel! Abermals Verrat!« – »Sie werden zugeben, daß, wenn man Ihre Zahl kennt, man auch geschickt ist, gegen Sie eine Truppe zu detachieren, gegen die Sie nichts machen können. Wir halten den Wald so umzingelt, daß kein einziger Mann entkommen kann. Ich ersuche Sie in Ihrem eigenen Interesse, nicht in den Fehler zu verfallen, den Ihr Colonel begangen hat!« – »Der Colonel? Ah! Der ist noch nicht wieder da.« – »Das glaube ich gern, denn er fiel in unsere Hände.« – »Maria und Josef! Er ist Ihr Gefangener? Ah! Jetzt weiß ich auch, wie Sie unsere Stärke erfahren haben, denn nur der Colonel konnte Sie unterrichten. Nicht?« – »Ich bin auch hier nicht beauftragt, Auskunft zu erteilen.« – »Aber es ist jedenfalls so. Wir sind von mehreren Seiten verraten. Wissen Sie, Señor, daß dies sehr, sehr schlimm für Sie ist, denn Sie werden diesen Ort nicht lebend verlassen!« – »Hm! So bin ich tot!« – »Das nehmen Sie so ruhig hin?« – »Was soll ich sonst tun? Ich befinde mich ja in Ihrer Gewalt!« – »Sie scheinen den Tod nicht zu fürchten?« – »Nein, besonders dann nicht, wenn er unverschuldet ist und gerächt wird. Meine Leute haben den Befehl, Sie alle bis auf den letzten Mann niederzumachen, falls ich binnen einer Stunde nicht wieder bei ihnen bin.« – »Das wird ihnen schwer werden. Wir verteidigen uns!« – »Das ändert Ihr Schicksal nicht. Wir sind stark genug. Übrigens kam ich in der Überzeugung zu Ihnen, mit dem Anführer einer achtbaren, regulären Truppe, nicht aber mit einem Bandenhäuptling zu verhandeln.« – »Sehen Sie da einen Unterschied, dann bitte ich um eine Erklärung.« – »Diese ist sehr einfach. Wie Sie mich behandeln, so werden auch Sie behandelt. Töten Sie mich, so schießt man Sie als Mörder zusammen. Beachten Sie aber gegen mich das Völkerrecht, so ist Ihr Schicksal höchstens, Kriegsgefangener zu sein, die man nach Abschluß des Friedens freigibt.« – »Sie fordern uns also auf, uns zu ergeben?« – Ja. Jeder Widerstand würde unnütz sein, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich die Wahrheit sage.« – »Im Falle, daß wir uns ergeben, sind wir nur kriegsgefangen?« – »Ja.« – »Man läßt uns also unser Eigentum?« – »Das versteht sich. Sie werden allerdings entwaffnet, aber Juarez ist kein Blutmensch, der Kriegsgefangene für Mörder erklärt und töten läßt.« – »Wie aber wollen Sie uns beweisen, daß alles, was Sie gesagt haben, die Wahrheit ist, also, daß wir von einer Macht umzingelt sind, gegen die ein Widerstand nutzlos sein würde?« – »Dazu sollte eben die Rakete dienen.« – »Wieso?« – »Sobald ich sie steigen lasse, werden meine Leute den ganzen Kreis erleuchten, den sie um den Wald bilden. Das wird genügen, um Sie sehen zu lassen, daß ich wahr gesprochen habe.«
War es der Grimm, daß er verraten worden war, oder war der Major so einsichtsvoll oder so feig, kurz, er schien für einen Widerstand nicht sehr eingenommen zu sein. Er besann sich ein Weilchen und sagte dann:
»Gut, ich werde mich überzeugen. Señor Gardenas, Ihr versteht es, mit Raketen umzugehen?« – »Ja«, antwortete einer der anwesenden Offiziere. – »Die Señores mögen sich rundum am Waldesrand verteilen, damit der Überblick ein vollständiger wird. Dann läßt Gardenas die Rakete steigen, und Ihr kehrt hierher zurück, um mir Meldung zu machen. Vorwärts. Ihr, Pater, bleibt bei mir!«
Es trat nun eine Stille ein, die vielleicht fünf Minuten währte, dann gab der Major dem erwähnten Gardenas ein Zeichen. Die Rakete zischte hoch empor, und zugleich war eine dunkle Linie zu bemerken, die in nicht gar zu großer Entfernung den nächtlichen Horizont abschloß.
»Sind das Ihre Leute?« fragte der Major, auf diese Linie zeigend. – »Ja«, antwortete Kurt. – »Man konnte nur höchst undeutlich sehen.« – »Warten Sie. Da, da.«
In diesem Augenblick hörte man draußen auf der Ebene einen lauten Befehl erschallen, der rund im Kreis weitergegeben wurde, und einen Augenblick später stiegen Flammen, Funken und Kugeln empor, die die ganze Umgebung des Wäldchens fast taghell erleuchteten.
»Alle Teufel! Es ist wahr!« rief der Major.
Er hatte einen Kreis von Truppen gesehen, die mit angelegtem Gewehr postiert waren, jeden Moment zum Schuß bereit.
»Nun, sind Sie überzeugt?« fragte Kurt, als es wieder dunkel war. – »Warten Sie noch!«
Es dauerte nicht lange, so kehrten die Offiziere zurück. Sie hatten ganz dasselbe gesehen, und auf alle hatte die von den grellen, farbigen Lichtern bestrahlte Truppenabteilung einen höchst imponierenden Eindruck gemacht.
»Was meint Ihr, Señores?« fragte der Major. – »Widerstand ist unnütz«, wagte einer zu sagen. – »Ich bin nicht unsinnig genug, dies zu bestreiten«, meinte der Major. »Aber ich hege nicht den Wahnsinn, mich, Euch und alle unsere Leute ohne Nutzen niederschießen zu lassen, zumal wir verraten worden sind, mag es nun sein, von wem es wolle. Nehmt diesem Parlamentär die Fesseln ab. Er hat die Wahrheit gesagt«
Als dies geschehen war und Kurt nun wieder Herr seiner Glieder war, fragte er:
»Nun, Señor, was beschließt Ihr, zu tun?« – »Das ist bald gesagt. Also, Sie versichern uns, daß wir als Kriegsgefangene behandelt werden, wenn wir uns ergeben?« – »Ja.« – »Dann sind Sie von jetzt frei.« – »Das habe ich nicht anders erwartet. Ich gehe also jetzt, um den Kommandierenden zu benachrichtigen. Halten Sie sich bereit, in zehn Minuten eine Rakete von dem Punkt aufsteigen zu sehen, wo Sie uns treffen werden.«
Kurt wollte gehen, da aber faßte ihn der am Arm, der Pater genannt worden war.
»Halt, Señor«, sagte dieser. »Zuvor noch einige Worte.« – »Sprechen Sie«, meinte Kurt. – »Werde auch ich in den Vertrag eingeschlossen sein?« – »Sie gehören nicht zu dieser Truppe?« – »Nein.« – »Ah! Ich hörte, daß Sie der Bote sind, der den Befehl des Generals Miramon überbracht hat?« – »Der bin ich allerdings.« – »Hm! Das ist nun freilich eine heikle Angelegenheit! Wissen Sie vielleicht, mit welchem Wort man einen Menschen bezeichnet, der geheime Befehle und Botschaften aus einer Festung schmuggelt?« – »Ich hoffe doch nicht, daß Sie mich als – als – als Spion bezeichnen werden!« – »Gerade das meine ich leider.« – »Ich bin nicht Spion.« – »Ah, hören Sie! Sind Sie Adjutant Miramons?« – »Nein.« – »Sind Sie Offizier? Wenn nicht ein solcher, so frage ich Sie: Sind Sie überhaupt Militär?« – »Nein.« – »Und dennoch kolportieren Sie militärische Befehle?«
Es erfolgte keine Antwort.
»Sie antworten nicht, Sie richten sich also selbst.« – »Señor, ich kannte die Tragweite meiner Botschaft nicht.« – »Sie sagten vorhin selbst, daß Sie den Befehl unterwegs gelesen haben. Wer lesen kann, hat auch gelernt zu denken, zu begreifen und zu verstehen. Ihre Ausrede ist hinfällig!«
Da ergriff der Major das Wort, indem er bemerkte:
»Señor, ich teile Ihnen mit, daß ich nicht kapitulieren werde, wenn einer von denjenigen, welche jetzt bei mir sind, ausgeschlossen würde.« – »Nun, so will ich Ihnen versprechen, meinen Kommandeur zur Nachsicht zu bestimmen.« – »Das genügt nicht. Ich muß eine bündige Erklärung, ich muß Ihr Versprechen, Ihr Wort haben.«
Kurt sann nach, dann erklärte er:
»Nun, ich will nicht hart sein, ich glaube vielmehr im Sinne des Präsidenten zu handeln, wenn ich den Señor mit in den Vertrag aufnehme.«
Kurt ging. Er ahnte ganz und gar nicht, wer derjenige sei, dem er das Leben geschenkt hatte.
Man hatte von seiten der Republikaner Kurt gleich von vornherein aufgegeben. Als man aber seine Rakete steigen sah, begann man zu hoffen, und jetzt wurde er mit Freude empfangen. Der Kommandierende gab seine Zustimmung zu allem, was er versprochen hatte, er sah ein, daß man, um Blutvergießen zu verhüten, doch einige Konzessionen machen könne.
Eine Viertelstunde später fanden er und Kurt sich mit dem Major und dessen Begleiter zusammen, um die notwendigen Einzelheiten zu vereinbaren. Das Hauptergebnis war, daß die Gefangenen noch während der Nacht die Waffen abzuliefern und dann den Morgen zu erwarten hatten, um nach dem Lager von Querétaro transportiert zu werden.
Natürlich war von Schlaf keine Rede. Die Offiziere der Guerillas hatten ihr Ehrenwort gegeben, nicht zu fliehen, und durften sich daher frei bewegen. Dieses Vorrecht hätte auch ein anderer gern genossen, nämlich – der Pater.
Er meinte, in Kurt ein mitleidiges, nachsichtiges Gemüt kennengelernt zu haben, und ließ ihn um eine Unterredung bitten. Der Leutnant verfügte sich zu ihm, da er glaubte, daß es sich vielleicht um eine wichtige Mitteilung handeln könne.
»Was wünschen Sie?« fragte er den Pater. – »Ich wollte mir eine Erkundigung gestatten. Nicht wahr, die Offiziere sind frei auf Ehrenwort? Könnte ich das nicht auch für mich erlangen?«
Kurt brachte vor Erstaunen zunächst kein Wort hervor, dann aber fragte er in einem keineswegs Hoffnung erweckenden Ton:
»Für Sie …?« – »Ja.« – »Aber Mann, sind Sie klug? Ich habe Ihnen gesagt, daß man einen Menschen, der das unternimmt, was Sie ausgeführt haben, in die Klasse oder Ordnung der Spione rechnet. Sie haben mir das Leben zu verdanken.« – »Mein Leben gehört dafür Ihnen.« – »Ich verzichte auf diesen Besitz. Wissen Sie auch, daß man Spione zu denjenigen Menschen zählt, die keine Ehre besitzen? Ich schließe mich der allgemeinen und landläufigen Ansicht an. Nun sagen Sie, wenn Sie ehrlos sind, wie wollen Sie da auf Ehrenwort freiere Bewegung erlangen? Wer keine Ehre hat, kann auch kein Ehrenwort geben.«
Das war dem Pater denn doch etwas zu deutlich. Er erwiderte:
»Señor, Sie wissen noch nicht, wer ich bin. Sie halten mich für einen Spion, allein ich bin Arzt, und zwar Arzt und Priester, man nennt mich Pater Lorenzo, ich lebe im Kloster de la Cruz in Querétaro.« – »Also ein Klostergeistlicher. Kennen Sie das Bibelwort von der Lieblichkeit der Boten, die da Frieden predigen und das Heil verkündigen?« – »Warum sollte ich es nicht kennen?« – »Ein solcher Bote des Friedens sollen Sie sein. Und was sind Sie? Ein Bote, der auf dem Weg der Spione wandelt, um Kampfbefehle auszutragen. Man wird Ihnen keine freie Bewegung erlauben.«
Der Tag wollte anbrechen, aber es war noch dunkel. Trotzdem sah Kurt die Augen des Paters mit glühendem Blick auf sich ruhen. Es waren die Augen der Wildkatze, die zum Sprung bereit ist. Dieser Mann erweckte in ihm ein höchst negatives Gefühl.
Aber der Pater hatte gelernt, sich zu beherrschen. Er sagte nach einer kurzen Pause in demütigem Ton:
»Sie beurteilen mich falsch. Ich mußte meinen Oberen gehorchen und glaubte, meinem Kaiser zu dienen.« – »Für meine Person will ich diese Gesinnungen und Gefühle gelten lassen, aber von anderer Seite wird man keine Lust haben, sie anzuerkennen. Also Sie sind ein treuer Anhänger des Kaisers?« – »Ja! Und indem ich Ihnen, dem Republikaner, dies offen gestehe, gebe ich Ihnen den Beweis, daß ich kein feiger Spion bin.«
Dabei brach ein eigentümliches, gefährliches Feuer aus den Augen des Paters hervor. Er verstand es, dasselbe sogleich zu dämpfen, doch Kurt hatte es bereits bemerkt.
»Welche Blicke«, dachte er. »Dieser Pater ist ein böser, ein gefährlicher Mensch. Ich werde mich vor ihm hüten.«
19. Kapitel
Endlich brach der Morgen an, und der Zug konnte sich in Bewegung setzen. Die Gefangenen in der Mitte, ging es auf Querétaro zu. Natürlich hatten die Sieger die Pferde der Besiegten in Verwahrung genommen.
Der Weg wurde in größter Ordnung zurückgelegt, bis man an eine Schlucht kam, die nach links hin in eine Höhe schnitt und mit dichtem Buschwerk bestanden war.
Der Pater hatte sich geärgert, daß es ihm nicht erlaubt gewesen war, sich den gefangenen Offizieren anzuschließen, denen man ihre Pferde gelassen. Er sah seine Zukunft beim Schimmer des Tages, der jede Einbildung zu zerstören pflegt, in einem nicht so günstigen Licht wie am Ende der Nacht.
Er wurde nach Querétaro transportiert. Wie nun, wenn man ihn dort erkannte? Wenn man hörte, daß er nicht Pater Lorenzo aus dem Kloster de la Cruz sei? In diesem Fall war er verloren. Flucht war das einzige Rettungsmittel für ihn.
Er sah sich vergebens nach einer Gelegenheit zu derselben um. Aber als man die erwähnte Schlucht erreichte, die man umreiten und umschreiten mußte, war eine Möglichkeit des Entkommens geboten.
Der Weg war hier sehr schmal. Fußgänger und Reiter waren gezwungen, sich einzeln zu folgen. Der Pater ließ seine Augen umherschweifen. Niemand schien auf ihn zu achten. Gelang es ihm, die Büsche zu erreichen, so war er unter denselben versteckt, und keine Kugel konnte ihn treffen.
Gerade an der Mündung der Schlucht warf er den letzten Blick um sich. Dann – husch – sprang er zur Linken ab.
»Haltet auf!« schrie sein Hintermann.
Jetzt erst sah man den Fliehenden in weiten Sprüngen den Büschen entgegeneilen. Zehn, zwanzig Gewehre wurden erhoben. Die Schüsse krachten. Zu spät! Die Zweige hatten sich bereits hinter dem Flüchtling geschlossen.
Dieser drang in das Dickicht ein. Er hatte die Schüsse gehört Er war von keiner Kugel getroffen worden. Die Freude seines Herzens war so groß, daß er einen lauten Jubelruf ausstieß.
Dieser Ruf war verfrüht. Ein einziger hatte, mehr aus Instinkt als aus Berechnung, ihn im Auge behalten – Kurt Helmers. Er ritt seitwärts hinter ihm, und als das fragliche Terrain kam, drängte er sein Pferd noch näher, ohne daß der Pater es merkte.
Sobald nun der letztere mit möglichster Schnelligkeit in die Schlucht eindrang und Deckung durch die Büsche zu erreichen suchte, riß Kurt sein Pferd nach links, gab ihm die Sporen und galoppierte eine Strecke oben am Rand der Schlucht dahin, bis er annehmen konnte, daß er den unten durch das Gesträuch sich drängenden Pater überholt habe.
Dort stieg er ab, band sein Pferd an und arbeitete sich durch die Büsche bis an den Rand der Schlucht, an dem er vorsichtig hinabrutschte. Dort kauerte er sich nieder und lauschte.
Er brauchte nicht lange zu warten, so hörte er nahende Schritte, immer lauter werdendes Rascheln und ein tiefes, arbeitendes Atmen.
»Da kommt mein Mann«, flüsterte er. »Wie wird er staunen, wenn er mich bemerkt!«
Einige Sekunden später teilte sich das Buschwerk, und der Pater erschien, bemüht, eiligst weiterzukommen. Nur noch wenige Schritte war es bis zum Beginn des eigentlichen Waldes. Hätte er diesen erreicht, so wäre er geborgen gewesen.
Kurt richtete sich gerade vor ihm auf.
»Guten Morgen, frommer Pater!« grüßte er lachend. »Wohin so früh und so eilig?«
Der Pater blieb einen Augenblick starr und mit aufgerissenen Augen stehen. Den Leutnant hier vor sich, wo er alle hinter sich wähnte, das dünkte ihm Zauberei zu sein.
»Verdammt!«
Diesen Ausruf stieß er endlich hervor, und zugleich schoß er seitwärts, um die Lehne der Schlucht emporzuklimmen.
»Halt!« rief Kurt. »Stehe, oder ich schieße!«
Zugleich zog er den Revolver hervor.
»Schieß, du Hund!« rief der Pater.
Zugleich keuchte er mit aller Anstrengung nach oben, in der Hoffnung, daß ihn die vielleicht unsichere Revolverkugel nicht treffen werde. In einer Minute mußte er den Rand erreichen.
Kurt besann sich anders. Vielleicht war es besser, diesen Menschen lebendig zu fangen.
»Schießen? Nein!« antwortete er. »Aber mein wirst du doch!«
Im Nu hatte er den Lasso los; im Nu war derselbe zur Schlinge gelegt. Kurt hob den Arm empor. Ein kurzes Drehen – ein pfeifendes Sausen, und die Schlinge zuckte nieder.
»Alle Teufel!« rief der Pater.
Er hatte gerade in diesem Augenblick den Rand der Schlucht erreicht und sich als gerettet betrachtet. Da wurden ihm die Arme plötzlich mit aller Gewalt zusammengezogen, und ein kräftiger Ruck riß ihn kopfüber von oben wieder in die Schlucht hinab. Es war ihm zumute, als sei er vom Himmel in die Hölle gestürzt. Er schloß die Augen.
Als er dieselben wieder öffnete, lag er oben neben Kurts Pferd, an Händen und Füßen gebunden. Das volle, von der Sonne gebräunte Gesicht des Leutnants lachte ihm entgegen.
»Nun, Pater Lorenzo, wie ist der Rutsch bekommen?« fragte Helmers. – »Hole Sie der Teufel!« lautete die grimmige Antwort. – »Ich denke, der hat mehr Neigung für Sie als für mich.« – »Warum lassen Sie mich nicht entkommen?« – »Weil ein Spion das nicht wert ist.« – »Wo sind die anderen?« – »Vorwärts! Man wollte Sie in Masse verfolgen, aber ich habe sie zurückgewiesen. Um einen Pater zu fangen, ist ein Mann mehr als genug.«
Der Pater drängte seinen Ärger zurück.
»Wenn man nicht wüßte«, sagte er, »daß Sie mich wieder ergriffen haben, würde ich Ihnen einen sehr akzeptablen Vorschlag machen.« – »Kann ich denselben nicht unter den gegenwärtigen Verhältnissen hören?« – »Es würde nichts nützen.« – »Das weiß man nicht.« – »Gut. Sie sollen ihn hören! Aber machen Sie mir vorher erst die Fesseln weg!« – »Nein, Schatz! Sonst müßte ich Sie vielleicht wieder einfangen, und es ist mit einem Male genug. Es geht dabei nicht sehr rücksichtsvoll zu, und es schmerzt mich, einen Angehörigen Ihres Standes unzart zu behandeln.« – »Sie spotten? Wenn Sie wüßten, was ich Ihnen sein könnte, würden Sie das nicht tun!« – »Nicht? Nun, was könnten Sie mir denn sein?« – »Ihr – Ihr Wohltäter.« – »Ah! Inwiefern denn?« – »Nicht wahr, Sie sind nicht reich?« – »Hm! Nicht sehr.« – »Sondern arm?« – »So ziemlich.« – »Nun, ich könnte Sie reich machen, nach Ihren Begriffen sehr reich.« – »So? Sind Ihnen denn meine Begriffe so sehr bekannt?« – »Ich denke.« – »Nun, wodurch wollen Sie mich denn reich machen?« – »Indem ich Ihnen meine Freiheit bezahle.« – »Pah! Ihre Freiheit ist ganz und gar nichts wert. Ich gebe keinen Pfifferling dafür.« – »Aber ich.« – »Wirklich? Wieviel?« – »Ich biete Ihnen fünftausend Dollar.« – »Ah! Sie haben also Geld?« – »Ich bin reich.« – »So, so. Dann können Sie auch noch mehr bezahlen.« – »Gut, Ich biete Ihnen zehntausend.« – »Alle Wetter! Sie müssen es sehr notwendig haben, wieder frei zu sein.« – »Das ist wahr. Ich habe nämlich einige schwere Patienten liegen, die ohne mich sterben müssen.« – »Da tun mir die Patienten leid, der Arzt aber keineswegs. Ich denke, aus unserem Handel wird nichts werden. Kommen Sie!«
Kurt hob den Pater empor, um ihn auf das Pferd zu nehmen.
»Fünfzehntausend!« rief dieser. – »Unsinn!« – »Ich gebe zwanzigtausend!« – »Schweigen Sie, ich brauche Ihr Geld nicht.«
Bei diesen Worten stieg Kurt auf und nahm den Pater zu sich empor.
»So haben Sie doch nur Erbarmen!« bat letzterer in höchster Verzweiflung. »Ich biete Ihnen dreißigtausend Dollar!«
Kurt setzte sein Pferd in Bewegung und antwortete: »Jetzt befehle ich Ihnen, still zu sein, sonst stecke ich Ihnen einen Knebel in den Mund. Daß Sie für Ihre Freiheit so viel bieten, macht Sie mir im höchsten Grade verdächtig; ich werde mich informieren, welche Gründe Sie veranlassen, für Ihr Entkommen solche Summen zu bieten. Ihr Gewissen scheint viel schlimmer bestellt zu sein, als ich bisher dachte.«
Er setzte sein Pferd in Galopp und flog den anderen nach, die er kurz vor dem Lager erreichte.
Der Pater hatte den Mund nicht wieder geöffnet. Er schien sich einstweilen in sein Schicksal ergeben zu haben. Jetzt wurde er vom Pferd genommen, um seinen Einzug mit den anderen zu Fuß zu halten, wobei es ohne einige Püffe und Stöße nicht abging.
Er hatte mit seinem Fluchtversuch so viel erreicht, daß er in ein Gefängnis gesteckt wurde, während die anderen nach dem Gefangenendepot gebracht wurden, wo ihnen ihr Los möglichst wenig hart gemacht wurde.
General Hernano war sehr erfreut über den günstigen Erfolg der Expedition. Ganz entgegen der Art und Weise, wie er Kurt am Abend vorher empfangen hatte, sendete er demselben jetzt das höchste Lob und versprach, über ihn Juarez und dem Obergeneral in bester Weise zu berichten.
Bei Erwähnung des Paters und dessen Flucht gab er den Entschluß kund, über die Person dieses Mannes die genaueste Erkundigung einzuziehen. Kurt wurde in größer Freundlichkeit entlassen.
Er stand eben im Begriff, sein Pferd zu besteigen, als ein Reiter in kurzem Galopp dahergeritten kam. Kurt erkannte ihn bereits von weitem, es war – Sternau.
»Ah, Herr Doktor, Sie hier?« rief er ihm entgegen. »Das ist eine Überraschung!« – »Dich zu finden, für mich auch, mein Junge«, antwortete der Arzt. »Ich suchte dich.« – »Wo?« – »Bei dir. Es hat seit einiger Zeit keinen Kampf, kein Gefecht gegeben; so habe ich einige freie Zeit und beschloß gestern, dich zu besuchen.« – »Ich war leider nicht anwesend.« – »Allerdings. Ich erfuhr, daß du zu Eskobedo seist, aber am Abend zurückkehren würdest. Ich wartete den Abend, ich wartete die ganze Nacht – vergebens. Da brach ich auf. Um mir die Schanzarbeiten zu besehen, schlug ich die gegenwärtige Richtung ein und – treffe dich.« – »Was mir die größte Freude bereitet.« – »Mir ebenso. Aber sage, wo du gesteckt hast!« – »Ich hatte ein Abenteuer, und zwar ein sehr glückliches. Lassen Sie uns absteigen und einige Augenblicke da eintreten! Es wird sich in Hernanos Hauptquartier schon ein Ort zum Plaudern finden und auch ein Tropfen, um das Plaudern zu erleichtern.« – »Wollen es versuchen.«
Sie fanden, was sie suchten, und als sie beisammensaßen, begann Kurt zu erzählen. Sternau hörte sehr aufmerksam zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Als Kurt geendet hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte:
»Eigentümlich! Bist du über die gegenwärtigen Verhältnisse des Klosters de la Cruz in Querétaro unterrichtet?« – »Nein.« – »Nun, im Hauptquartier hat man sich besser orientiert. Die früheren Insassen haben das Kloster räumen müssen.« – »Das ist auffällig.« – »Auch hat es, soweit ich weiß, dort jetzt keinen Mönch gegeben, der als Arzt tätig gewesen ist. Willst du mir diesen Pater nicht einmal beschreiben?« – »Gewiß.«
Er folgte der Aufforderung. Sternaus Gesicht nahm den Ausdruck einer immer größeren Spannung an, und als Kurt geendet hatte, sprang er sogar auf.
»Wie?« fragte er. »Du hast diesen Pater gefangengenommen? Es muß der Pater Hilario sein!« – »Sollte dies möglich sein!« antwortete Kurt ganz erstaunt. – »Und er befindet sich hier im Gefängnis? Hast du Zutritt zu ihm, ohne große Weitläufigkeiten zu haben?« – »Ich kann zu ihm, sobald und so oft es mir beliebt.« – »Gehen wir zu ihm!« – »Sofort!« – »Aber ich trete zunächst nicht mit ein.« – »Warum?« – »Weil ich ihn überraschen möchte. Du sprichst zuerst allein mit ihm.« – »Gut! Brechen wir sofort auf. Wehe ihm, wenn er es ist! Ich eile dann sofort zum General, um ihm Mitteilung zu machen.«
Sie ließen den Wein auf dem Tisch und ihre Pferde vor dem Haus stehen und begaben sich nach dem Gefängnis.
Als solches diente das Erdgeschoß eines einzelstehenden Hauses, das aus früherer Zeit stammte und äußerst solide gebaut war. Die Mauern waren mehr als mannesdick, und alle Fenster zeigten ein Gitterwerk von Eisen. Hierher ließ Hernano alle Gefangenen bringen.
Der Soldat, dem die Schlüssel anvertraut waren, erkannte Kurt sogleich wieder und öffnete ihm ohne Weigerung die Tür zur Zelle des Paters. Sie wurde nicht verschlossen und blieb angelehnt. Draußen aber stand Sternau, um dem innen geführten Gespräch zu lauschen.
Der Pater wunderte sich, als er den Leutnant eintreten sah.
»Sie wieder hier?« fragte er.
Er war jetzt nicht gefesselt und saß auf der nackten Diele, von der er sich erhob.
»Wie Sie sehen«, antwortete Kurt.
Es war ein ganz anderer Blick als früher, den er auf den Gefangenen warf. Diesem fiel das auf.
»Was führt Sie her?« fragte er. – »Eine Erkundigung. Ich habe Ihnen gesagt, daß der hohe Preis, den Sie mir für Ihre Befreiung boten, meinen Verdacht erregt habe, und daß ich Erkundigungen einziehen wolle. Wird es nun nicht besser sein, wenn Sie mich dieser Mühe entheben, indem Sie offen sind und mir sagen, was der Grund Ihrer Furcht ist, erkannt zu werden?« – »Erkannt zu werden? Von wem? Ich habe keine Begegnung zu befürchten. Wer den Pater Lorenzo kennt, der kann und wird mir von Nutzen sein.« – »Und sodann verlangten Sie so sehnlich nach Ihrer Freiheit, nicht weil Kranke auf Sie warten, sondern weil Gefangene von Ihnen zu versorgen sind. So zunächst ein gewisser Gasparino Cortejo und ein anderer, der Henrico Landola heißt.«
Es war dem Pater, als ob er mit einer Keule auf den Kopf getroffen sei. Dennoch gelang es ihm, sich schnell zu fassen, denn die beiden Genannten waren doch nicht Freunde, sondern Feinde von Kurt Helmers.
»Ich kenne diese Namen nicht«, antwortete er mit gutgespieltem Gleichmut. – »Andere werden Sie besser kennen. Ich nenne da Pablo Cortejo und dessen Tochter Josefa.« – »Diese beiden sind mir allerdings bekannt, aber nur wie jedem anderen Mexikaner, der weiß, welche jämmerliche Rolle sie gespielt haben.« – »Hm! Jetzt spielen sie eine noch viel jämmerlichere Rolle – in dem unterirdischen Keller von della Barbara – angeschmiedet an die nackten Wände.«
Kurt gab diese Tropfen langsam, einen nach dem anderen. Der Pater wurde kreideweiß im Gesicht. Seine Stimme zitterte merklich, als er fragte:
»Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht. Ich weiß nicht, was Sie wollen.« – »Wirklich? Nun, so muß ich Ihnen noch einige andere Gefangene nennen, zum Beispiel den Grafen Ferdinando de Rodriganda. Kennen Sie den?«
Es war dem Pater, als ob er in die Erde versinken müsse. Seine Knie zitterten.
»Ich kenne ihn nicht.« – »Mariano, Helmers, den Kleinen André, Büffelstirn und Bärenherz auch nicht?« – »Nein. Sie sind mir völlig fremd.« – »Aber Sternau doch nicht?«
Jetzt lehnte sich der Pater in die Ecke. Er fürchtete, daß er sonst umfallen werde. Doch stammelte er:
»Ich habe diesen Namen – noch – nie gehört.« – »Alle diese Männer steckten angebunden in einem anderen Gewölbe, bewacht von Manfredo, Ihrem Neffen.«
Für einen anderen wäre das zu viel gewesen, aber gerade das Fürchterliche der Entdeckung, daß dies alles verraten sei, gab dem Pater seine Beherrschung zurück. Er richtete sich wieder empor und sagte:
»Was Sie da reden, scheint einem Märchen entnommen zu sein oder aus einem alten Ritter– oder Schauerroman zu stammen.« – »Ja, ein Schauerroman ist es, und der Ritter desselben sind Sie. Ich selbst bin es gewesen, der die Gefangenen befreit hat.« – »Wa– wa– waaas?!« rief der Pater. – »Und dafür habe ich Ihren Neffen eingesperrt. Er sieht seiner Strafe entgegen, die Sie mit ihm teilen werden.«
Der Pater starrte den Sprecher an, ohne zu antworten. Wann war das geschehen? Befanden sich nicht Soldaten jetzt im Kloster? Es sollte ihm sofort Auskunft werden, denn Kurt sagte:
»Auch Ihre anderen Machinationen liegen offenbar. Ihr Verbündeter, der Sie nach Querétaro schickte, ist von General Velez niedergesäbelt worden; Señorita Emilia wurde von mir und dem Kleinen André gerettet. Ich bin es gewesen, der die in das Kloster della Barbara eingedrungenen Kaiserlichen gefangennahm. Und die Hauptsache, der Massenmord, den Sie auf der Hacienda del Erina beabsichtigten, ist vereitelt worden. Kein Mensch hat von dem Saft des Todesblattes getrunken, den Sie in den Kessel schütteten.«
Das war mehr, als selbst der Pater auszuhalten vermochte. Seine Augen nahmen einen starren Ausdruck an. Er hörte Namen und vernahm Tatsachen, die er im tiefsten Geheimnis gewähnt hatte, und nun war alles offenbar. Er fühlte sich verloren, versuchte aber doch mit fast überschnappender Stimme die Rechtfertigung: »Ich verstehe – ich begreife nichts.« – »Wirklich nicht, Schurke?« tönte es da vom Eingang her.
Die hohe, ernste Gestalt Sternaus erschien im Rahmen der Tür. Der Pater erblickte ihn. Seine Augen wurden gläsern, seine Lippen verfärbten sich. Er griff mit den Händen haltlos in die Luft.
»Ster– Ster– Ster– er…«
Er wollte den Namen des Eintretenden ausrufen, vermochte aber nicht einmal, die erste Silbe zu wiederholen. Er stammelte die verschwindenden Laute, die in ein unartikuliertes Gurgeln verliefen. Die Hände emporgehoben, taumelte er hin und her und stürzte dann wie ein Sack zu Boden, wo er bewegungslos liegenblieb, dicken Schaum vor dem Mund.
Kurt wandte sich ab, Sternau aber kniete nieder, um den Pater zu untersuchen. Als er damit zu Ende war und sich wieder erhob, erklärte er:
»Den richten wir nicht. Gott hat ihn gerichtet.« – »Ah! Ist er tot?« – »Nein. Noch schlimmer. Der Schlag hat ihn getroffen.« – »Ist er zu heilen?« – »Nein. Er wird noch tagelang leben und Todesqualen erdulden müssen, denn wie ich an seinem Blick sehe, ist der Geist nicht mit betroffen.« – »Fürchterlich!« – »Ich werde ihn überwachen, obgleich keine Hoffnung vorhanden ist, ihn noch zum Sprechen zu bringen.« – »Hört er, was wir reden?« – »Jedenfalls. Siehst du nicht, daß seine Augen angstvoll auf uns gerichtet sind?« – »Ja. Gott straft gerecht. Aber wenn er stirbt, geht manches Geheimnis mit ihm für uns verloren.« – »Das befürchte ich nicht.« – »Wenn er nicht wieder zum Sprechen kommt?« – »Er wird keinen verständigen Laut mehr zu stammeln vermögen; aber sein Neffe wird gezwungen sein zu reden. Dieser Pater wird langsam zur Hölle fahren. Die Zunge wird bleischwer in seinem Mund liegen. Seine Eingeweide werden nach und nach den Dienst versagen, und er wird, zur Strafe für das, was wir bei ihm erlitten haben, seine letzten Atemzüge zählen können und seinen letzten Pulsschlag fühlen. Komm! Laß uns gehen!«
Sie verließen das Gefängnis und schlossen den Pater ein, über dessen einstweilige Behandlung Sternau dem Schließer Verhaltungsmaßregeln gab. Der Doktor ging sodann zu General Hernano, um diesem das Nötige mitzuteilen, während Kurt sich zu Pferde setzte, da er seit gestern nicht auf seinem Posten gewesen war, wo seine Gegenwart leicht notwendig sein konnte.
20. Kapitel
Unterwegs sah Kurt zu seiner Überraschung eine verschleierte Dame vor sich reiten. Sie saß auf einem Maultier, hatte einen Diener hinter sich und wurde von einer Kavalleriebedeckung geleitet. Da er schneller ritt, als diese kleine Kavalkade, so kam er rasch an sie heran. Als höflicher Mann griff er im Vorüberreiten grüßend an den Hut und war nicht wenig überrascht, als er hinter dem Schleier hervor in deutscher Sprache die Worte hörte:
»Ist es möglich? Sehe ich recht? Sie hier, Herr Leutnant?«
Die Sprecherin hielt ihr Maultier an und er infolgedessen sein Pferd natürlich auch. Da er in deutscher Sprache angeredet worden war, so antwortete er auch in derselben:
»Höre ich recht? Eine deutsche Dame?« – »Ja. Sie sind der Leutnant Kurt Helmers?« – »Allerdings. Wie komme ich zu der Ehre, von Ihnen gekannt zu sein?« – »Wir sahen uns in Wien und auch in Darmstadt, am Hof des Großherzogs. Ich denke, Sie werden mich noch kennen.«
Dabei schob die Sprecherin den dichten Schleier zurück, und Kurt erblickte ein Gesicht, das ihm allerdings sehr bekannt war.
»Wie, gnädige Frau, Sie hier? Sie wagen sich aus der Stadt heraus?« rief er. – »Sie wußten, daß ich in Querétaro bin?« – »Ich wußte, daß Sie treu zu Ihrem Gemahl halten, wie dieser treu zu dem Kaiser hält. Ich habe Ihr Schicksal mit dem allerregsten Interesse verfolgt.« – »Ich danke Ihnen! Hier, meine Hand zum Gruß, lieber Leutnant! Aber was tun Sie hier in Mexiko?«
Kurt nahm ihre Hand und drückte dieselbe an seine Lippen. Die Eskorte hatte sich ehrfurchtsvoll zurückgezogen, so daß sie nicht verstanden werden konnten, selbst wenn sie sich der spanischen, anstatt der deutschen Sprache bedient hätten.
Diese Dame war die Prinzessin Salm, die Gemahlin jenes braven Prinzen Salm, der als treuer Adjutant des Kaisers die letzte, unglückliche Phase des mexikanischen Kaiserreiches mit durchlebte und durchlitt. Beide, er und seine Frau, hingen mit größter Hingebung an Max, aber alle ihre Bemühungen, eine Änderung seines Schicksals herbeizuführen, erwiesen sich leider als vergeblich.
»Sprachen wir nicht in Darmstadt einmal von den eigentümlichen Verhältnissen der Familie Rodriganda, gnädige Frau?« fragte Kurt. – »Gewiß! Ich entsinne mich dessen ganz genau.« – »Nun, das ist die Angelegenheit, die mich über die See führte.« – »So wünsche ich Ihnen die besten Erfolge.« – »Ergebenen Dank! Die Erfolge haben auf sich warten lassen, stellen sich jedoch endlich ein.« – »Das freut mich. Aber was tun Sie hier im feindlichen Lager? Man scheint Sie zu kennen und zu respektieren.« – »Was ich tue?« lächelte Kurt. »Nun, ich belagere Querétaro!« – »Sie auch?« antwortete die Prinzessin in scherzendem Ton, da sie annahm, daß auch Kurt nur scherze. – »Ja, auch ich. Ich bin bei den Belagerungsarbeiten beschäftigt.« – »Im Ernst?« – »Im Ernst«, nickte Kurt.
Da nahm das Gesicht der Dame einen fast bestürzten Ausdruck an. Sie sagte:
»Das kann ich doch nicht für möglich halten!« – »Halten Sie es sogar für wirklich. Ich habe mich Juarez und Eskobedo zur Verfügung gestellt.« – »Sie als Deutscher? Abtrünniger! Verräter!«
Diese letzten Worte waren zwar nicht schlimm gemeint, wurden aber doch in einem sehr ernsten Ton ausgesprochen.
»Ich bin überzeugt, daß Sie mich pardonieren werden, meine Gnädige«, meinte Kurt. »Darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen?« – »Ich werde es nicht verraten.« – »Oh, Sie dürfen und sollen es verraten, aber nur an zwei Personen, sonst an keinen Menschen.« – »Wer sind diese beiden Personen?« – »Der Kaiser und Ihr Herr Gemahl.« – »Und wie lautet Ihr Geheimnis?«
– »Ich belagere den Kaiser nur aus dem Grund, um ihn zu retten.« – »Das klingt widersinnig.« – »Ist aber leicht verständlich und erklärlich. Leider aber sind meine bisherigen Bemühungen ohne Erfolg gewesen.« – »Wie leider auch die unsrigen. Raten Sie, von wem ich komme, lieber Helmers!« – »Ich habe keine Ahnung.« – »Vom Präsidenten.« – »Von Juarez? Das ist mir im höchsten Grade interessant.« – »Ich wurde vorgelassen und habe mit ihm gesprochen.« – »Im Auftrag?«
Die Prinzessin sah sich vorsichtig um und antwortete:
»Eigentlich war es mein Herz, das mich zu dem Zapoteken trieb, aber ich kenne Sie und kann Ihnen im Vertrauen mitteilen, daß mir auch von gewisser Seite, die ich nur anzudeuten brauche, ein Auftrag wurde. Ich suchte bei Eskobedo um freies Geleit nach und erhielt es.« – »Aber wohl vergeblich?« – »Leider! Ich kehre hoffnungslos zurück.«
Im Auge der Prinzessin standen Tränen. Kurt konnte seine Rührung über diese Treue kaum verbergen. Die Dame fuhr fort:
»O mein Gott, ist dieser Juarez hart und gefühllos!« Kurt schüttelte den Kopf.
»Sie irren«, sagte er. »Ich kenne ihn. Äußerlich scheint er von Eisen zu sein, unnahbar, wie er auch unbestechlich ist. Aber sein Herz schlägt warm und fühlt mit anderen Menschen.« – »Das kann nicht sein, nein, das kann nicht sein! Er hat mich kalt und teilnahmslos angehört und dann fortgeschickt,« – »Kalt und teilnahmslos? Das hat nur so geschienen. Er ist ein Indianer und läßt als solcher seine Gefühle nur selten einem Mann, niemals aber einer Dame merken.« – »Wenn er wirklich fühlt, so mußte er mein Flehen erhören.« – »Um was baten Sie?« – »Um das Leben des Kaisers.« – »Und was antwortete er?« – »Seine Antwort war härter als hart, sie war unhöflich, ja ungezogen.« – »Das sollte mich wundern.« – »Sie werden mir recht geben. Er sagte, der Kaiser habe bereits selbst über sein Leben verfügt, ihm, dem Präsidenten, sei es also unmöglich, etwas zu tun; übrigens sei es eine Unvorsichtigkeit von mir, ihm eine solche Bitte vorzutragen, und er wünsche sehr, daß dies von keiner Seite mehr geschehe. Ist das nicht ungezogen und beleidigend sogar?« – »Ich finde das nicht.« – »Was? Wie? Haben auch Sie kein Herz, kein Gefühl?« – »Von mir ist jetzt nicht die Rede, sondern von dem Zapoteken, und ich finde, daß er nichts als die Wahrheit gesagt hat.« – »Dann ist es mir bei Gott unmöglich, den Kaiser zu begreifen!« – »Hören Sie! Juarez hat ganz recht, wenn er sagte, daß der Kaiser selbst endgültig über sein Leben entschieden habe. Juarez hat ihn retten wollen, ja, er hat sogar Personen in die Nähe des Kaisers gebracht, die den bestimmten Auftrag hatten, für das Leben Maximilians zu wirken, ich selbst war in dieser Angelegenheit beim Kaiser. Ja, der Präsident vertraute mir ein Passepartout durch alle Truppen und Stellungen an, das auf den Vorzeiger und alle seiner Begleiter lautete. Er bedrohte jeden, der diesen Paß nicht achte, sogar mit dem Tode.« – »Gott! Wenn Sie es nicht sagten, könnte ich es unmöglich glauben.« – »Ich gebe Ihnen, allerdings überflüssigerweise, mein Ehrenwort darauf.« – »Das ist nicht nötig, Leutnant! Sie sind mit diesem Passepartout beim Kaiser gewesen?« – »Ja, vor einigen Tagen, allein ohne Erfolg; der Kaiser las es durch, gab es mir zurück, und ich konnte wieder gehen.« – »Das ist mir abermals unbegreiflich.« – »Ich gestehe von mir das Gegenteil. Ich war sogar sehr froh, daß ich nicht als heimlich eingeschlichener Republikaner ergriffen und stranguliert oder erschossen wurde.« – »Ist das nicht übertrieben?« – »Nein, gewiß nicht. Eine andere Person befand sich bereits längere Zeit in der Nähe des Kaisers, um auf Befehl des Präsidenten auf den Kaiser zur Rettung desselben einzuwirken …« – »Wer war diese Person?« – »Verzeihung, gnädige Frau. Ich bin nicht genau überzeugt, ob ich Namen nennen darf. Es gelang dieser Person, das Vertrauen des Generals Mejia zu erlangen …« – »Mejia ist treu und brav.« – »Beide gaben sich alle Mühe, den Wünschen des Präsidenten gerecht zu werden – vergeblich. Zuletzt erriet man von gewisser Seite den Zweck, den jene Person verfolgte. Raten Sie, was nun geschah? Man lockte sie auf die Straße, des Nachts, und nahm sie gefangen. Man entführte sie gefesselt nach Tula, wo sie hingerichtet werden sollte. Es war an dem Abend des Tages, an dem ich bei dem Kaiser gewesen war. Ich überraschte zwar die Menschen, kam aber zu spät, um eingreifen zu können. Ich kehrte in meine Venta zurück, stieg auf das Pferd, gelangte glücklich aus der Stadt und verfolgte diese Kerle. Ich erreichte sie in einem Wirtshaus, und es gelang mir, die Person zu befreien.« – »Sie sehen mich erstaunt, ja vollständig bestürzt. Wer war der, der die betroffene Person gefangennahm und entführte?« – »Oberst Lopez.« – »Ah! Ahnen oder wissen Sie vielleicht, auf wessen Befehl derselbe handelte?« – »Das ist leicht zu erraten.« – »Meinen Sie etwa Miramon?« – »Ja.« – »Wie soll ich das glauben?« – »Miramon war es auch, der durch sein Einschreiten den Kaiser bestimmte, mich fortzuschicken.« – »Welchen Grund kann er haben?« – »Er hofft durch den Tod des Kaisers sich selbst zu retten. Übrigens gibt es eine geheime Verschwörung, die den Zweck hat, den Kaiser zu bestimmen, im Land auszuharren, bis keine Rettung mehr möglich ist. Sein Tod soll Juarez aufgeladen und dieser dadurch als Kaisermörder diskreditiert und gestürzt werden.« – »In welchen Abgrund blicke ich da! Sind Ihnen etwa Teilnehmer dieser Verschwörung bekannt?« – »Sie hüllen sich in Dunkel, doch vermute ich, daß Miramon das Haupt ist. Einen anderen, den Sie aber nicht kennen, ergriff ich, und General Velez spaltete ihm den Kopf. Sie sehen, daß selbst republikanische Offiziere im Interesse des Kaisers handeln.« – »Ich werde denselben benachrichtigen und warnen.« – »Wenn Sie das tun, so erwähnen Sie dabei eine Person, die er gesehen hat, als ich bei ihm war, und die sicher zu den Verschwörern gehört. Es ist das ein gewisser Pater Hilario aus Santa Jaga.« – »Ah, ich glaube diesen Namen vom Beichtvater gehört zu haben.« – »Warnen Sie den Kaiser auch vor dem letzteren, denn er war es, der jene Person, die heimlich entführt wurde und in Tula den Tod finden sollte, hinterlistigerweise auf die Straße lockte.« – »Könnten Sie das beweisen?« – »Zur Genüge. Ich kam dazu und ergriff den einen. Er entfloh und ließ seine Kutte in meinen Händen. Es war diejenige des Beichtvaters.« – »Kutten sind einander ähnlich!« – »Der Beichtvater war soeben bei einer Familie gewesen, die er täglich besuchte, und diese Leute erkannten die Kutte. Das ist genug, um jeden Zweifel zu beseitigen.« – »Himmel, was soll man da denken! Untreue und Verrat auf allen Seiten! Aber jener Pater Hilario, was wollten Sie von ihm sagen?« – »Er war der Beauftragte, der Bote der geheimen Verbindung und kam nach Querétaro, um dem Kaiser vorzulügen, daß hinter dem Rücken der Republikaner zahlreiche Demonstrationen zu seinen Gunsten stattgefunden hätten. Nur in Santa Jaga bestand eine Verbindung, die allerdings eine Demonstration vorbereitete, um den Kaiser zu täuschen, aber die Republikaner vereitelten dieses Vorhaben und nahmen die Demonstranten gefangen. Diese letzteren sitzen noch heute im Kloster hinter Schloß und Riegel.« – »Darf ich das dem Kaiser erzählen?« – »Ich bitte Sie sogar darum.« – »Und Sie verbürgen diese Tatsache mit Ihrem Ehrenwort?« – »Ja. Ich war ja Zeuge des ganzen Vorganges. Sie kennen die Gräfin Rosa de Rodriganda, die jetzt Frau Sternau ist?« – »Ja. Ich sah sie beim Großherzog und unterhielt mich gern mit ihr.« – »Nun, ihr Gemahl, Doktor Sternau, war auch Zeuge jener mißlungenen Demonstration von Santa Jaga. Und in vergangener Nacht hat Miramon nicht weit von hier eine ebensolche angeordnet. Er sandte jenen Pater Hilario mit dem Befehl an einen Bandenführer, derselbe solle die Republikaner angreifen, sich aber zurückziehen. Auch dies mißlang. Wir haben sie ergriffen, bis auf den letzten Mann. Sogar der Pater ist in meine Hand geraten. Wir hatten von früher her mit ihm abzurechnen, und als wir ihn als einen Verbrecher ersten Ranges entlarvten, wirkte die Fürchterlichkeit der Enthüllungen so auf ihn, daß er vom Schlag getroffen zu Boden niederstürzte. Gott hat ihn gerichtet, obgleich der Kaiser ihm glaubte und vertraute.« – »Der Kaiser ist nicht allwissend. Wie wird mein Mann staunen, wenn er alles hören wird. Er muß sofort um Audienz nachsuchen.«
Kurt zuckte die Achsel.
»Ich zweifle am Erfolg!« sagte er. »Sie sehen also ein, daß Juarez das Wohl des Kaisers gewollt hat. Indem der letztere das bekannte Dekret fertigte und unterzeichnete, hat er das jus talionis herausgefordert und über sein Leben verfügt. Indem er alle Bemühungen des Präsidenten zurückwies, hat er über sein Leben verfügt. Indem er der Bitte des französischen Marschalls, mit ihm Mexiko zu verlassen, das Gehör versagte, hat er über sein Leben verfügt. Hat Juarez nicht recht?« – »Was soll ich Ihnen antworten, lieber Leutnant? Ich möchte fast verzweifeln!« – »Juarez hat die rettende Hand wiederholt geboten, sie wurde zurückgewiesen. Juarez war nicht die Person, mit der man unterhandeln konnte, von der man sich retten lassen wollte. Verträgt es sich mit der Würde des Präsidenten, die Hand abermals zu bieten, wo übrigens an eine Rettung kaum noch gedacht werden kann?« – »Mit seiner Würde allerdings nicht. Aber als Mensch muß er vor dem Vergießen dieses Blutes zurückschrecken, und dennoch wies er mich ab.« – »Ah, da komme ich auf seine vermeintliche Unhöflichkeit.« – »Vermeintlich? Ich bin neugierig, wie es Ihnen gelingen soll, ihn zu entschuldigen.« – »Eine bloße Entschuldigung liegt nicht in meiner Absicht. Ich will ihn so verteidigen, daß Sie ihn freisprechen, ja, daß Sie sogar sein Verhalten gutheißen.« – »So versuchen Sie das Unmögliche!« – »Bitte sagen Sie mir, ob Juarez das, was er für den Kaiser tat, öffentlich tun durfte! Keineswegs!« – »Warum nicht?« – »Er hätte sich bei seinen Anhängern unmöglich gemacht. Es wäre um sein Ansehen, um seine Präsidentschaft geschehen gewesen. Sie staunen, und dennoch ist es richtig. Ich versichere Ihnen, daß ich überzeugt bin, der Präsident sei auch nun noch nicht abgeneigt, dahin zu wirken, daß wenigstens das Leben des Kaisers nicht angegriffen werde …« – »Wirklich?« unterbrach sie ihn. – »Ich wiederhole Ihnen, daß ich wirklich überzeugt bin.« – »Sie geben mir die bereits geschwundene Hoffnung zurück.« – »Mußte er es vorher geheimhalten, so nun erst recht. Wo die Republikaner den Kaiser sicher zu haben glauben, werden sie ihn mit aller Gewalt festhalten. Er kann ihnen nur durch List entrissen werden.« – »Das sehe ich ein.« – »Die Schritte, die Juarez in dieser Richtung tut, müssen sehr geheimgehalten werden. Niemand darf ahnen, daß er sich auch nur mit der Spur eines Gedankens beschäftigen könne, der dem Kaiser günstig ist.« – »Ich gebe das zu, aber was bezwecken Sie denn eigentlich mit dieser so eifrigen Auseinandersetzung?«
Kurt wehrte mit der Hand ab und fuhr, ohne eine direkte Antwort zu geben, fort:
»Und nun gehen Sie öffentlich zu ihm, um ihn um das Leben des Kaisers zu bitten, offen und frei; vor den Augen und Ohren aller Welt, die nur sehen und hören und dann – beobachten und verurteilen will!« – »Gott, ich begreife, was Sie meinen!«
– »Das wollte ich. Hat Juarez nicht das Recht, Sie unvorsichtig zu nennen?« – »Oh, mehr als das.« – »Und selbst, daß er Ihnen dies Wort gesagt hat, ist ein sehr großes Wagnis von ihm. Indem er von Unvorsichtigkeit spricht, gibt er indiskret zu, daß er Vorsicht wünsche, also, daß er sich mit dem Gedanken beschäftige, den Sie in ihm anregen wollen.« – »Leutnant!« meinte die Prinzeß, seine Hand ergreifend. »Sie stellen diese Angelegenheit in ein Licht, für das ich Ihnen gar nicht genug dankbar sein kann!« – »Ich will Ihnen nur beweisen, daß Juarez nicht unhöflich, nicht ungezogen gegen Sie gewesen ist, sondern Ihnen auf eine zwar indiskrete, doch korrekte und diplomatisch feine Weise die Versicherung gegeben hat, daß er tun werde, was in seinen Kräften steht, um Ihre Bitte zu erfüllen.«
Bei diesen Worten änderte sich die trübe Stimmung der Prinzessin plötzlich. Ihr Gesicht glänzte vor Freude, und in lebhaftem Ton sagte sie:
»Sie geben mir da eine Lektion, wie ich sie aus dem Munde eines jungen Leutnants nicht erwartet, ja geradezu für eine Unmöglichkeit gehalten hätte. Man hat recht, Sie als einen guten Offizier zu bezeichnen, und ich bin überzeugt, daß Sie so nebenbei auch noch das Zeug zu einem ganz leidlichen Diplomaten haben.« – »Zu viel auf einmal, meine Gnädigste«, lachte Kurt. »Aber bleiben wir beim Gegenstand unserer Unterhaltung! Ich kann Ihnen sogar den Beweis liefern, daß ich die Antwort, die Sie von Juarez erhalten haben, richtig deute. Ich habe Ihnen doch vorhin gesagt, daß ich den Kaiser belagere, nur um ihn zu retten. Juarez weiß nun ganz genau, daß Mexiko mich nichts angeht, daß es mir sehr gleichgültig ist, ob dieses Land von einem Monarchen oder einem Präsidenten regiert wird. Er weiß genau, daß ich nicht aus Begeisterung für die Republik hier vor Queretaro liege und daran arbeite, eine Bresche in die Mauern zu legen.« – »Sie meinen also, er kenne Ihre Absicht?« – »Ja.« – »Und billige dieselbe?« – »Natürlich! Anderenfalls würde er mich nicht dulden, mir nicht sogar allen Vorschub leisten.« – »Das tut er?« – »Ja, ich kann es zu meiner Freude sagen.« – »Haben Sie sich vielleicht ihm gegenüber aussprechen können?« – »Was man aussprechen nennt, nein; aber es sind gewisse Worte und Winke gefallen, die mir zur Richtschnur dienen.« – »Sie halten also den Kaiser nicht für rettungslos verloren?« – »Nein, obgleich seine Rettung schwierig ist.« – »Worin liegt denn eigentlich diese Schwierigkeit?« – »Darin, daß er nur dann zu retten ist, wenn er gerettet werden will. Bisher aber hat er es nicht gewollt.« – »Man muß ihn umzustimmen suchen.« – »Ja, aber man muß vor allen Dingen den Einfluß der Personen brechen, die es nicht ehrlich mit ihm meinen, und dazu ist leider die Zeit fast zu kurz. Es kann dies nur mit Gewalt geschehen, und die Mittel dazu habe ich Ihnen heute ja hinreichend an die Hand gegeben.« – »Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür und werde Sorge tragen, sie sofort und mit Nachdruck in Anwendung zu bringen. Also ich darf Ihrer bei ihm erwähnen?« – »Ja. Versichern Sie ihn meiner Ergebenheit, und bitten Sie ihn inständigst, daß er auf mich hören möge, wenn er mich wiedersieht!« – »Sie werden ihn sehen?« – »Ich hoffe und wünsche es mit Sehnsucht.« – »Wann?« – »Bei – der Erstürmung von Querétaro.« – »Schrecklich! Wird die Stadt fallen?« – »In einigen Tagen. Begegne ich dem Kaiser, so werde ich glücklich sein, ihn in Zivilkleidung und waffenlos zu sehen. Folgt er dann genau dem Wink, den ich ihm gebe, so hoffe ich, daß er gerettet wird.« – »Diese Worte wiegen schwerer als Gold. Möge Gott Sie und Ihre Pläne segnen!« – »Das ist auch mein Gebet. Nun aber lassen Sie uns scheiden!« – »Bleiben Sie nicht, mich zu begleiten?« – »Nein. Ich muß bitten, mich zu entschuldigen. Man weiß, welche Absicht Sie aus der Stadt geführt hat. Sieht man mich bei Ihnen, so könnte man mich mit dieser Absicht in Verbindung bringen, und das wünsche ich nicht. Hier war zufälligerweise ein einsamer Ort. Wir haben uns unterhalten, ohne von vielen beobachtet zu werden, was aber anders würde, wenn ich Sie begleiten wollte. Ich werde sogar einen kleinen Umweg einschlagen.«
Sie nahmen mit herzlichem Händedruck Abschied, und die Prinzessin nahm Hoffnungen mit in die Stadt, die sie kurz vorher vollständig aufgegeben hatte.
21. Kapitel
Von da an vergingen einige Tage. Der Morgen des vierzehnten Mai brach an. Da wurde Kurt zu General Velez beordert, mit dem er eine lange Unterredung hatte. Nach Beendigung derselben kehrte er mit einem ungewöhnlich ernsten Gesicht in sein Zelt zurück.
Der Kleine André war bei ihm. Dieser hielt sich vorzugsweise im Hauptquartier auf, weil er da Señorita Emilia treffen und sprechen konnte.
»Was für ein Gesicht machen Sie da, Herr Leutnant?« fragte er.
Kurt antwortete nicht, sondern schritt eine Weile grübelnd in dem engen Raum auf und ab. Dann blieb er vor dem Jäger stehen und fragte:
»Wo ist Sternau heute?« – »Im Lager Eskobedos.« – »Wissen Sie das genau?« – »Ja, sehr genau.« – »Satteln Sie! Wir müssen hin!« – »Warum?« – »Fragen Sie nicht.«
In Zeit von zehn Minuten saßen sie auf und sprengten im Galopp dem Quartier des Obergenerals zu. André hatte die Wahrheit gesagt; Sternau ließ sich nicht nur im Lager überhaupt, sondern sogar in seiner Wohnung treffen. Er war einigermaßen erstaunt, als er die beiden, ganz erhitzt von dem schnellen Ritt, bei sich eintreten sah. Er begrüßte sie und fragte dann:
»So angegriffen? Es muß etwas Wichtiges sein, dem Ihr heute nachgeritten seid.« – »Allerdings«, antwortete Kurt. »Sind wir hier ungestört?« – »Vollständig. Warum diese Frage?« – »Weil ich Ihnen höchst Wichtiges mitzuteilen habe.« – »Gut. Setzen wir uns!«
Sternau verriegelte die Tür, schob den beiden ein Kistchen Cigarros zu, steckte sich selbst eine an und erwartete dann in seiner ruhigen, überlegenen Weise den Beginn der Mitteilung.
»Was ich zu sagen habe, bedarf der Verschwiegenheit«, bemerkte Kurt. – »Der meinigen bist du sicher«, meinte Sternau. – »Ich weiß es; darum will ich Ihnen sagen, daß in nächster Nacht Queretaro in unsere Hände fallen wird.«
André sprang auf.
»Wirklich? Endlich! Ah, das freut mich!« rief er.
Sternau aber fragte in seiner selbstbewußten Weise:
»Will man einen Hauptsturm unternehmen? Eskobedo hat mir ja nichts davon gesagt!« – »Es handelt sich nicht um einen Sturm«, antwortete Kurt. »Die Stadt wird durch Verrat fallen.« – »Durch Verrat? Wieso?« fragte Sternau befremdet. – »Lopez wird dem General Velez die Ausfallpforte öffnen. Ich teile Ihnen das mit, weil ich Ihrer zur Ausführung eines schwierigen Vorhabens bedarf. Ich will den Kaiser retten.«
Sternau bewegte unter einem leisen Lächeln den Kopf langsam hin und her und antwortete:
»Du weißt doch, daß ich dich lieb habe. Darum kann mir nichts verborgen bleiben, obgleich du es mir zu verheimlichen strebst. Wie aber willst du in den Besitz des Kaisers kommen?« – »Unter Umständen sehr leicht. Von Mitternacht an steht die Pforte offen. Velez schleicht sich mit zweihundert Mann ein …« – »Ah!« unterbrach ihn Sternau. »Der Schlaukopf. Er will sich erst überzeugen, ob man ihm nicht eine Falle legt.« – »So ist es. Er hat Zutrauen zu mir gefaßt und mir eine Abteilung dieser zweihundert übergeben. Er wird zwar sofort den Kaiser aufsuchen, um ihn gefangenzunehmen, aber ich hoffe, ihm zuvorzukommen. Der Kaiser ist von mir bereits benachrichtigt, nur Zivil anzulegen …« – »Wohl durch die Prinzessin Salm?« – »Was wissen Sie von dieser?« – »Daß du mit ihr gesprochen hast, als sie von Juarez kam. Du siehst, daß ich mich mehr mit dir beschäftige, als du ahnst.« – »Sie haben das Richtige erraten. An der Pforte bleibt nur ein Posten zurück. Gelingt ein Überfall, so sendet Velez nach Verstärkung. Vom Augenblick an, wo wir in das Fort de la Cruz dringen, bis zur Ankunft der Verstärkung wird mir Zeit genug bleiben, den Kaiser unerkannt durch die Pforte in das Freie zu bringen.« – »Und der Posten?« – »Verursacht keine Schwierigkeiten.« – »Wenn man bemerkt, daß der Kaiser entkommen ist und daß du mit einem zweiten die Pforte passiert hast, wird der Verdacht auf dich fallen.« – »Es gibt Vorwände genug, den Posten auf einige Augenblicke zu beschäftigen, so daß er nichts bemerkt.« – »Gut also, wohin mit dem Kaiser?« – »Zunächst in mein Zelt, wo André auf ihn wartet.« – »Ich?« fragte der Kleine begeistert. »Ich soll den Kaiser retten, den Señorita Emilia nicht zu retten vermochte?« – »Ja«, antwortete Kurt. »Ich muß natürlich in das Fort zurück, nachdem ich Ihnen den Kaiser gebracht habe. Dann aber bringen Sie ihn außerhalb des Lagers einstweilen in Sicherheit.« – »Wohin?« – »Hm! Der Ort ist noch nicht bestimmt. Es kam zu schnell über mich. Ich bin noch nicht ganz vorbereitet. Wir werden uns über den Ort besprechen müssen.« – »Er ist schon längst bestimmt«, lächelte Sternau. – »Bestimmt? Schon längst?« fragte Kurt überrascht. – »Ja«, antwortete der Doktor. »Ich bin älter als du, und daher wirst du mir wohl erlauben, überlegt und umsichtig zu verfahren, nachdem ich einmal deine Absicht durchschaut hatte.« – »Sie beschämen mich!« bekannte Kurt. – »Das ist nicht meine Absicht. Deine Verschwiegenheit war mir im Gegenteil ganz recht und willkommen.« – »Welchen Ort meinen Sie denn?« – »Diesen hier.« – »Ihre Wohnung?« – »Ja.« – »Das ist außerordentlich gefährlich. Ich soll den flüchtigen Kaiser nach dem Hauptquartier Eskobedos schicken?« – »Unter Umständen ist man in der Höhle des Löwen sicherer als anderswo. Du sorgst für eine Verkleidung, und André bringt ihn zu Pferde zu mir.« – »Aber hier kann er doch unmöglich bleiben.« – »Allerdings nicht. Er wird nur fünf Minuten verweilen. Die Relais sind längst gelegt und harren nur der Benutzung.« – »Was! Sie haben Relais gelegt?« – »Ja, natürlich!« – »Wohin?« – »Kannst du das nicht erraten?« – »Wie wäre mir das möglich?« – »Es muß ein abgelegener Ort sein, wo niemand den Kaiser sucht und wo er in Sicherheit und Verborgenheit leben kann, bis ihm der Weg nach der See geöffnet ist.« – »Wo liegt ein solcher Ort?« – »Ich werde dir es doch sagen müssen. Ich meine die Hacienda del Erina.«
Dieses Wort elektrisierte die beiden anderen.
»Ja, die Hazienda«, stimmte André bei. – »Ich war noch nicht dort«, meinte Kurt, »aber ich glaube, daß eine bessere Wahl nicht getroffen werden könnte. Wer aber bringt ihn hin?« – »Ich«, antwortete Sternau. – »Sie selbst? So müssen Sie Urlaub nehmen.« – »Dessen bedarf es nicht. Ich bin mein eigener Herr und kann kommen und gehen, wann es mir beliebt.« – »Aber Juarez wird Sie vermissen!« – »Er wird kein Wort darüber verlieren und im stillen sich freuen, daß ich ihm nicht gesagt habe, wohin ich reise.« – »Wie? Sie meinen, daß er ahnen wird, daß …« – Juarez ist doch noch klüger und menschlicher, als du denkst.« – »Aber wenn nun die anderen, Velez, Eskobedo, etwas ahnen oder gar eine Spur entdecken sollten?« – »So steht dem Kaiser der noch erhaltene Teile der Höhle des Königsschatzes offen. Dort wird ihn niemand finden.« – »Dazu bedarf es der Genehmigung Büffelstirns.« – »Die habe ich. Er und Bärenherz werden mich und den Kaiser begleiten.« – »Wie? Haben nicht beide gegen den Kaiser gekämpft?« – »So lange er Kaiser war. Sobald er Mensch und Hilfesuchender ist, gilt meine Empfehlung. Sie werden ihn mit ihrem Leben beschützen und verteidigen.« – »Welch eine Umsicht!« staunte Kurt. – »Wenn du mein Alter erreicht hast, wirst du mich darin vielleicht noch übertreffen. Die Hauptsache ist, daß es dir gelingt, allen Verdacht von dir abzulenken.« – »Was aber geschieht, wenn sie abreisen, mit unseren Gefangenen in Santa Jaga?« – »Ich komme ja wieder, und übrigens kannst du dich in dieser Angelegenheit fest auf Juarez verlassen.«
Damit war der Plan entworfen. Es galt nun, die Details zu besprechen, womit man auch sehr bald zustande kam. Dann trennten sich Kurt und André von Sternau, um nach ihrem Lager zurückzukehren.
22. Kapitel
Der Abend dieses für Mexiko und auch andere Kreise so wichtigen Tages brach an. Er war mild, so daß in Queretaro die Soldaten auf den Straßen kampierten. Die Gewehre standen in Pyramiden beisammen, rund um dieselben saßen die Krieger, miteinander flüsternd.
Der Kaiser hatte nämlich für die Zeit gegen Morgen einen allgemeinen Ausfall angeordnet, von dem er sich vielleicht mehr Erfolg versprach, als von den früheren, die abgeschlagen worden waren.
Da galt es, angestrengt und tapfer zu kämpfen, und so sank ein Kriegerhaupt nach dem anderen nieder, um die Ruhe zu suchen, bis der Befehl zum Aufbruch gegeben werde. Endlich schlief die ganze Stadt, und nur einzelne Posten wachten, müde, über die ihnen auferlegten Pflichten schimpfend.
Der Kaiser hatte in seinen Gemächern keine Ruhe gefunden, daher begab er sich mit dem Prinzen Salm, seinem Adjutanten, hinab in den Garten, ohne daß dies jemand bemerkt hätte. Er hoffte, dort besser schlafen zu können als in dem schwülen Klostergemach.
Es war Mitternacht. Da schlich eine Gestalt aus dem Kloster nach der Ausfallpforte. Ein Schlüssel knirschte leise, und die Pforte öffnete sich. Neben derselben lag ein wohl gefülltes Portefeuille, das der Mann – es war Oberst Lopez – an sich nahm. Er trat in das Türgewölbe zurück, wo er sich sicher fühlten konnte, zog eine Laterne aus der Tasche, brannte das Licht derselben an und untersuchte den Inhalt der Brieftasche. Als er sie dann einsteckte und das Licht wieder ausblies, murmelte er befriedigt:
»Alles richtig! Der General hat Wort gehalten, und so soll er auch mit mir zufrieden sein!«
Unterdessen war auch draußen bei den Belagerern alles still geworden. Niemand ahnte, was bevorstand. Rückwärts lag zwar ein Regiment in Waffen, aber das fiel nicht auf, da man stets auf einen etwaigen Ausfall vorbereitet sein mußte.
Aber seitwärts sammelte sich kurz vor Mitternacht eine Schar von zweihundert Männern, die alle bis an die Zähne bewaffnet waren. Leise Schritte näherten sich dem Zelt Kurts! Der Vorhang wurde beiseite geschoben, und eine gedämpfte Stimme fragte:
»Sind Sie bereit, Señor?« – »Ja, General.« – »So kommen Sie.«
Die beiden nahmen die Richtung auf die zweihundert zu und stellten sich an die Spitze derselben. Der General gab seine Befehle, und dann setzte sich die Truppe langsam und vorsichtig in Bewegung.
Die Sterne leuchteten am Himmel. Sie hätten sich in Anbetracht dessen, was geschehen sollte, hinter dichte Wolken verhüllen mögen, um nicht zu sehen, daß Verrat und Untreue auf Erden oft den Sieg davontragen über Treue und Zuverlässigkeit.
Als man die Pforte erreichte, war dieselbe nur angelehnt. Velez öffnete ein wenig und schob langsam und vorsichtig den Kopf in die Wölbung.
»Señor!« rief er mit gedämpfter Stimme. – »General!« antwortete es ebenso. – »Seid Ihr der Rechte?« – »Ja.« – »Wie steht es drin?« – »Gut! Es schläft alles, ohne zu ahnen, wie man erwachen werde.« – »Wo befindet sich der Kaiser?« – »Er liegt in seinem Schlafzimmer.« – »Wissen Sie das genau?« – »Ich habe Achtung gegeben. Übrigens ist es sehr gut, daß wir die gegenwärtige Zeit bestimmt haben. Kurz vor Anbruch des Tages sollte ein allgemeiner Ausfall stattfinden.« – »Das hätte uns höchst fatal werden können. Also Sie führen uns?« – »Ja.« – »Hundert Mann für das Innere des Klosters.« – »Wie die anderen?« – »Ich werde sie oben verteilen.« – »Dann vorwärts!«
Die Klingen wurden entblößt und die Pistolen in die linke Faust genommen; dann schlich sich die Schar, Lopez mit dem General voran, vorwärts.
Die Verteilung begann, und es glückte Kurt, an die Spitze derjenigen Schar zu kommen, die den Garten zu besetzen hatte, während Lopez den General in das Innere führte.
Kurt hatte nur fünfzehn Mann bei sich. Dies war ihm außerordentlich lieb. Als er den Garten erreichte, teilte er sie und befahl ihnen, den Zaun desselben zu umschleichen, damit von keiner Seite ein Entrinnen möglich sei. Als sie dieser Weisung gefolgt waren, schritt er auf das Zelt zu, das er im Sternenschimmer liegen sah.
Bereits erscholl lautes Waffengeklirr aus dem Inneren des Klosters. Max wurde dadurch geweckt und trat aus dem Zelt. Er sah eine Gestalt, die schnell auf ihn zukam.
»Was …« – »Pst! Um Gottes willen still!« unterbrach ihn der Nahende. »Majestät.«
Er hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen.
Ja«, antwortete der Kaiser ebenso. »Was wollen Sie?« – »Sie retten, Folgen Sie mir!« – »Retten? Wer sind Sie? Was ist geschehen?« – »Ich bin Leutnant Helmers und …« – »Sie? Sie sind es? Wie kommen Sie in das Innere der Stadt?« – »Velez ist mit den Seinigen durch Verrat eingedrungen. Ich flehe Sie an, mir schleunigst zu folgen!« – »Mein Gott! Wohin?« – »Durch die Ausfallpforte ins Freie. Der Weg steht noch offen. In einer Minute kann das vorüber sein.« – »Und was dann da draußen?« – »Es sind Relais gelegt. Sobald Sie die Pforte hinter sich haben, sind Sie in Sicherheit.«
Max antwortete nicht. Das Gehörte schien ihn zu überwältigen. Da faßte Kurt ihn bei der Hand und bat dringend:
»Ich bitte Sie um des Himmels willen keinen Augenblick zu verlieren, sonst ist es zu spät!«
Jetzt hatte der Kaiser sich gefaßt. Er antwortete:
»Ich danke Ihnen. Ist eine Rettung möglich, so will ich mich nicht sträuben, aber ich gehe nicht ohne diesen und den treuen Mejia.«
Dabei deutete er nach dem Zelt, aus dem der Adjutant trat.
»Wer ist dieser?« fragte Kurt, dessen Atem flog. – »Mein Adjutant Prinz Salm.« – »Nun wohlan! Und wo ist Mejia?« – »Auf dem Cerro de las Campanas.« – »So ist er nicht zu retten.« – »So bleibe auch ich!«
Das Waffengeklirr hatte überhandgenommen. Kurt hörte, wie einige Leute nach der Ausfallpforte eilten, um Verstärkung herbeizurufen.
»Um Gottes willen, kommen Sie ohne Verzug!« drang Kurt in den Kaiser. »In wenigen Augenblicken ist man im Garten, und die Republikaner dringen in die Stadt.« – »Nicht ohne Mejia!« lautete die unerschütterliche Antwort. – »Ich bitte Sie um Ihrer Anhänger, um alles, was Ihnen lieb ist, um des Vaterlandes, um Österreichs willen, mir zu folgen, Majestät! Ich werde … ah! Da haben wir es! Zu spät, zu spät! Kommen Sie, kommen Sie!«
Er faßte den Kaiser beim Arm und riß ihn mit sich fort in einen Laubengang hinein; der Adjutant folgte eilig. General Velez war mit seiner Schar in den Garten gedrungen und rief wütend:
»Er ist nicht drin, er ist nicht im Kloster! Sucht hier, hier, hier!«
Zugleich hörte man draußen im Feld den Laufschritt heraneilender Militärmassen. Velez war in den Garten eingedrungen, der Eingang war auf einige Augenblicke frei. Dahin riß jetzt Kurt den Kaiser.
»Gott, zur Flucht ist‘s nun zu spät!« stöhnte er. »Schnell, schnell, hier hinaus und nach dem Cerro de las Campanas, Majestät!«
Er zog den nur widerwillig folgenden Max, der von hinten von dem Adjutanten gedrängt wurde, aus dem Garten hinaus. Aber da kam ihnen eine neue Schar Republikaner entgegen.
»Hat! Wer ist das? Wohin?« rief der Führer derselben, indem er den Fliehenden den Degen vorhielt. – »Was wollen Sie, Orbejo?« antwortete Kurt. »Sehen Sie denn nicht, daß diese Señores friedliche Bürger sind?« – »Bürger? Der Teufel mag das glauben!« – »Ich kenne sie! Wollen Sie das etwa bezweifeln?« – »Ah, wer sind denn Sie selbst?«
Der Führer trat nahe an Kurt heran, um ihm in das Gesicht zu blicken, und erkannte ihn.
»Sie sind es, Señor Helmers?« sagte er. »Das ist etwas anderes. Aber was haben diese beiden Hidalgos denn hier zu suchen?« – »Sie sind vom Wein nach Hause gegangen und neugierig herbeigeeilt, als sie hier ein Geräusch vernahmen.« – »Das glaube ich, das richtige Geräusch. Aber sie mögen ein anderes Mal ihre Nase unter das Bett stecken und nicht in eine solche Art von Geräusch. Lassen wir sie laufen!«
Er entfernte sich nach dem Garten zu. Die Verstärkung war angekommen und drang in Masse vor.
»Fort, fort! Geschwind!« bat Kurt, indem er den Kaiser eine Strecke weiterzog.
Dort aber blieb Max stehen.
»Lassen Sie!« sagte er in wunderbarer Ruhe. »Ich sehe jetzt ein, daß ich Ihnen hätte Gehör schenken sollen. Prinzeß Salm hat mir von Ihnen erzählt, und auch da hatte ich keinen Glauben. Sie wollten mich retten und vermochten es nicht, denn Sie waren nicht so stark wie das Schicksal, dem ich zu gehorchen habe. Nehmen Sie den innigsten Dank und leben Sie wohl!«
Er drückte Kurt die Hand.
»Majestät, Gott schütze Sie besser, als ich es vermochte!« schluchzte der junge Mann.
Die beiden anderen verschwanden im Dunkel der Nacht. Kurt aber stand da und lauschte auf ihre Schritte, die er längst nicht mehr hören konnte. Da schlug ihn jemand mit der Faust auf die Schulter.
»Heda, Faulenzer! Was stehst du da und träumst? Auf zum Sieg! Hurra, die Republik! Hurra, Juarez! Hurra, Eskobedo und Hurra unser Velez!«
Da ergrimmte Kurt. Er hob den Arm und schmetterte den Mann nieder, als ob seine Faust ein Schmiedehammer sei.
»Da, Schreihals!« knirschte er. »Ich wollte, ich hätte in dir die ganze Menschheit zu Boden geschlagen. Fort, fort! Hier habe ich nichts mehr zu tun! Hier ist meines Bleibens keinen Augenblick länger!«
Er wandte sich um und stürmte der Ausfallpforte zu. Er traf gerade einen Augenblick, in dem niemand passierte, und gelangte in das Freie. Schweigend schritt er seinem Zelt zu.
Dort trat ihm der Kleine André entgegen.
»Endlich«, sagte dieser. »Wo ist der Kaiser?« – »Da drin«, antwortete Kurt, nach der Stadt deutend. – »Ist‘s nicht gelungen?« – »Pah! Es wäre gelungen, aber er wollte nicht!« – »Er wollte nicht? Gott, welche Torheit! Was wird Señorita Emilia dazu sagen! Nun kann ich ihn nicht retten! Aber, Herr Oberleutnant, warum wollte er denn eigentlich nicht?« – »Lassen Sie mich in Ruhe, sonst schlage ich auch Sie nieder!«
Kurt warf sich, unbekümmert um das, was draußen vorging, auf sein Lager und vergrub das Gesicht tief in die Decke. So lag er noch, als der Morgen anbrach, und so lag er noch am Mittag, als Sternau eintrat, um sich nach dem Grund des Fehlschlagens ihres Planes zu erkundigen. Auch er hatte vergebens gewartet und vergebens seine Relais gelegt.
Das Fort de la Cruz und die Stadt Querétaro befanden sich bereits beim Morgengrauen in Eskobedos Besitz, der überrascht herbeigeeilt war, als er hörte, daß die Seinigen ohne Schwertstreich eingedrungen seien.
Der von den Belagerern eng umschlossene und schon früher von ihnen fast zerstörte Cerro de las Campanas, den der Kaiser glücklich erreicht hatte, konnte sich nur wenige Stunden halten.
Um sieben Uhr sandte Max einen Parlamentär, um die Übergabe anzubieten, sie konnte nur auf Gnade oder Ungnade sein, und bereits um acht Uhr überlieferte er seinen Degen an den General Eskobedo.
So fiel Querétaro mit seiner ganzen Besatzung in die Hände der Sieger.
Kurz sei hier erwähnt, daß sich am neunzehnten Juni auch die Hauptstadt Mexiko an General Porfirio Diaz auf Gnade und Ungnade ergab, nachdem sich der schändliche Kommandant, General Marquez, heimlicherweise aus der Stadt geschlichen hatte. Und am siebenundzwanzigsten desselben Monats zogen die Scharen des Präsidenten siegreich auch in Verakruz ein.
So kam es, daß Juarez die von den Franzosen verhöhnte und besudelte Fahne Mexikos, die er bis nach Paso del Norte, dem äußersten Punkt des Reiches, gerettet hatte, triumphierend wieder in das Hochtal von Onahuak zurückbrachte und auf der Plaza mayor von neuem aufpflanzte.
Die Republik war im ganzen Bereich von Mexiko neu hergestellt, und die Autorität des Präsidenten Juarez wurde wieder anerkannt Der Kaisertraum war ausgeträumt und – der Kaiser selbst? Wir werden sehen!
Am fünfzehnten Mai berichtete General Eskobedo folgendes an den Kriegsminister des Präsidenten in San Luis Potosi:
»Lager vor Querétaro, am 15. Mai 1867. Heute morgen um drei Uhr haben die Truppen das Fort La Cruz genommen, indem sie den Feind an jenem Punkt überrumpelten. Kurz darauf wurde die Garnison des Platzes gefangengenommen und die Stadt durch unsere Truppen besetzt, während der Feind mit einem Teil der Seinigen sich auf den Cerro de las Campanas zurückzog, in großer Unordnung und von unserer Artillerie auf das wirksamste beschossen. Schließlich, etwa um die achte Stunde, ergab sich mir Maximilian auf Diskretion, ebenfalls auf dem erwähnten Cerro. Haben Sie die Güte, dem Bürger Präsidenten meine Glückwünsche zu diesem großen Triumph der nationalen Sache darzubringen!
General Eskobedo.«
In dieser Depesche ist allerdings der Verrat des Obersten Lopez nicht erwähnt, aber höhere, republikanische Offiziere pflegten, wenn darauf die Rede kam, diese Angelegenheit mit der Bemerkung abzutun: »Solche Leute benutzt man und gibt ihnen dann einen Fußtritt.«
Kaum war die Kunde erschollen, daß der Kaiser gefangen sei, so vereinigten die Vertreter fast aller Mächte sich in der eifrigsten Anstrengung zur Rettung des Gefangenen. Allein der Zapoteke schien taub zu sein. Wie konnte er auf die Vorstellung von Mächten hören, die seine Erniedrigung geduldet und das Kaisertum anerkannt hatten!
Der österreichische Gesandte in Washington wandte sich an die Regierung der Union mit der Bitte, um die Begnadigung des Kaisers nachzusuchen, und diese ging wirklich darauf ein. Aber der Zapoteke antwortete kurz:
»Ich gebe allerdings zu, daß der Prinz die Schuld eines anderen büßt, der weit schuldiger ist als er selbst, aber seine Invasion war ein Attentat auf die Unabhängigkeit meines Volkes, und daher ist es unmöglich, ihn zu begnadigen. Sollen wir in ihm den Mittelpunkt aller feindseligen Machinationen bestehen lassen? Es mag der Republik zum Ruhm gereichen, des Gefangenen Leben zu schonen, aber mit dieser Ansicht ist gegen die Logik der Notwendigkeit nicht aufzukommen.
Juarez.«
Am einundzwanzigsten Mai hatte der Kaiser eine Zusammenkunft mit Eskobedo. Er erbot sich, abzudanken, und verlangte dafür Leben und sicheres Geleit aus dem Land für sich, seine deutschen Offiziere und Soldaten und ebenso für Mejia und seinen mexikanischen Privatsekretär. Miramon wurde ausgeschlossen.
Juarez verwarf alle diese Punkte. Er hatte die Ansicht, daß ein gefangener Kaiser ohne Land und Volk ganz überflüssig von Abdankung spreche.
Und doch tat er noch einen Schritt, um Max zu retten. Er entzog nämlich den gegen diesen gerichteten Prozeß der gewöhnlichen Standrechtsübung und brachte denselben vor ein eigens zu diesem Zweck bestelltes Kriegsgericht.
Er wollte dadurch Zeit gewinnen, damit die Leidenschaften sich inzwischen abkühlen sollten. Währenddessen konnte er seinen Einfluß aufbieten, so daß von dem Kriegsgericht nicht auf Tod, sondern auf einfache Landesverweisung erkannt worden wäre. Diese Absicht wäre wohl erreicht worden, allein gerade derjenige, den er retten wollte, arbeitete ihm entgegen.
Max nämlich setzte ein Schriftstück auf, in dem er zu Gunsten des alten, schwachen Iturbide entsagte und die Herren Larez, Lakunza und Marquez zu Mitgliedern der Zwischenregierung ernannte, lauter Feinde des Präsidenten.
Außerdem wurden von verschiedenen Seiten Versuche unternommen, Max zu befreien. Dadurch wurde die Aufregung der Republikaner hochgradig erhalten, und Juarez sah sich gezwungen, nun endlich auf alles zu verzichten, was er zugunsten des Gefangenen hätte unternehmen können.
Das aus sieben Mitgliedern bestehende Kriegsgericht begann am dreizehnten Juni seine Sitzungen. Die Anklage lautete auf Verschwörung, Usurpation und das an den rechtmäßigen Verteidigern begangene Verbrechen der Ächtung. Mitangeklagt waren Mejia und Miramon. Am vierzehnten Juni nachts elf Uhr wurde gegen alle drei der Todesspruch gefällt. Das Hauptquartier bestätigte dieses Urteil, das am sechzehnten vollzogen werden sollte, doch wurde den Verurteilten noch eine weitere Frist von drei Tagen bewilligt, damit sie Zeit fänden, ihre Angelegenheiten zu ordnen.
Dieser Aufschub wurde von dem preußischen Geschäftsträger, Herrn von Magnus, schleunigst benutzt, um doch noch das Leben Maximilians zu retten. Er sandte folgenden Protest an die Regierung des Präsidenten Juarez:
»An Seine Exzellenz Señor Sebastian Lerdo de Tejada! Heute in Queretaro angekommen, werde ich mir klar, daß die am vierzehnten dieses Monats verurteilten Gefangenen bereits am verflossenen Sonntag, dem sechzehnten, moralisch gestorben sind. So wird die ganze Welt es ansehen, denn da alle Vorbereitungen für jenen Tag getroffen waren, so warteten sie eine ganze Stunde darauf, zum Richtplatz geführt zu werden, ehe der die Urteilsvollstreckung aufschiebende Befehl ihnen angezeigt wurde. Der humane Geist unseres Zeitalters wird es nicht gestatten, daß sie, die einen so schrecklichen Todeskampf bereits bestanden haben, nun morgen zum zweiten Male zum Tode geführt werden sollen. Im Namen der Humanität und der Ehre beschwöre ich Sie, anzuordnen, daß ihnen das Leben nicht genommen werde, und ich wiederhole Ihnen nochmals meine sichere Überzeugung, daß mein Herrscher, Seine Majestät der König von Preußen, und alle gekrönten Häupter Europas bereitwilligst darauf eingehen werden, Eurer Exzellenz jede Bürgschaft zu stellen, daß keiner der Gefangenen jemals wieder den mexikanischen Boden betreten wird.« Es war zu spät. Die Antwort des Ministers lautete:
»Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß, wie ich Ihnen schon vorgestern anzeigte, der Präsident der Republik nicht der Ansicht ist, daß es sich mit den großen Rücksichten auf die Gerechtigkeit und auf die Notwendigkeit der Sicherstellung des zukünftigen Friedens der Republik vereinigen lasse, Maximilian von Habsburg zu begnadigen.«
Max hatte sich Tinte und Feder bringen lassen und schrieb in der letzten Nacht einen Brief an seine Frau und einen an seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Der erste lautete:
»Meine vielgeliebte Charlotte!
Wenn Gott es zuläßt, daß Du eines Tages genesest und diese Zeilen liest, so wirst Du die ganze Grausamkeit des Schicksals erkennen lernen, das mich ununterbrochen schlägt seit Deine Abreise nach Europa. Du hast mit Dir mein Glück und meine Seele fortgeführt. Warum habe ich Deine Stimme nicht gehört! So viele Ereignisse, ach, so viele plötzliche Schläge haben die Fülle meiner Hoffnungen zerstört, so daß der Tod für mich eine glückliche Befreiung und keine Agonie ist. Ich werde glorreich fallen wie ein Soldat, wie ein besiegter König, nicht entehrt. Wenn meine Leiden zu heftig sind, wenn Gott mich bald mit Dir vereinigt, so werde ich seine göttliche Hand segnen, die uns schwer getroffen hat. Adieu, adieu!
Dein armer Max.«
Diesem Brief legte er eine Haarlocke bei, die ihm die Frau seines Kerkermeisters abgeschnitten hatte. Er küßte sie und steckte sie in das bereits geschlossene Kuvert.
Ganz verschieden nun war das Verhalten der beiden übrigen Gefangenen.
Der treue Mejia war in Beziehung auf sich ganz entzückt über das Todesurteil. Er war ein Indianer, der eine Klage über körperliches Leid und Wehe gar nicht kennt, und für den es der größte Ruhm ist, für seinen Freund, den er liebt, zu sterben.
Anders bei Miramon.
In jener Nacht des Überfalles war er erschrocken aufgewacht und hatte nach Oberst Lopez gesandt. Dieser war auch wirklich kurze Zeit darauf erschienen.
»Was geschieht? Welch ein Lärm ist das?« hatte Miramon gefragt.
Lopez hatte kaltblütig die Achsel gezuckt und geantwortet:
»Die Republikaner sind in der Stadt.« – »Alle Teufel! Sind sie Sturm gelaufen?« – »Nein.« – »Wie sind sie denn hereingekommen?« – »Niemand weiß es.« – »Wer führt sie an?« – »Velez.« – »Ich denke, daß er erst in drei Tagen kommt!« – »Er hat Ihnen nicht Wort gehalten, wie es scheint.«
Der Ton, in dem diese Antworten gegeben wurden, hatte den General frappiert. Er hatte geahnt, was vorgegangen sei.
»Aber Ihnen hat er desto mehr Wort gehalten?« – »Das müßte man untersuchen.« – »Verräter!« hatte Miramon gezischt. – »Pah! Was sind denn Sie? Soll ich bekanntgeben, daß Sie mich beauftragten, mit dem General Velez zu verhandeln? Sie haben sich in Ihrer eigenen Schlinge gefangen und werden ganz dasselbe Schicksal erleiden, das Sie dem Kaiser bereiten wollten.«
Damit war er davongegangen.
Miramon hatte sich bewaffnet, fand aber, daß aller Widerstand nutzlos sei. Er war, ebenso wie Mejia, mit dem Kaiser gefangengenommen worden.
Seit dieser Zeit saß er finster brütend in seinem Gefängnis.
Er war ein Feind von Juarez gewesen, hatte diesen stürzen wollen und doch gefühlt, daß er nicht die Kraft besitze, dies allein zu vollbringen. In Mexiko einen Verbündeten zu finden, war ihm unmöglich gewesen, und so war ihm der Gedanke gekommen, Juarez durch einen Fremden zu stürzen, dessen Herrschaft ja auch nur auf kurze Zeit berechnet sein konnte – er hatte zu denjenigen gehört, die die Kaiserkrone gemacht und dem Erzherzog von Österreich gebracht hatten. Dieser Prinz war, wie das Werkzeug Napoleons, so auch das seinige gewesen.
Seit Maxens Einzug in Mexiko hatte Miramon für einen Anhänger desselben gegolten, war aber im stillen bemüht gewesen, nur für sein eigenes Interesse zu handeln. In der Überzeugung der jedenfalls nur kurzen Dauer des Kaiserreiches hatte er im trüben gefischt; aber seine Rechnung war an der Zähigkeit und Ausdauer Juarez‘ gescheitert. Diesen zu stürzen, hatte er alles aufgeboten, aber es war ihm nicht gelungen. Seine letzte Falle war der Verrat an dem Kaiser gewesen – er hatte sich selbst in derselben gefangen.
Jetzt nun sah er ein, daß alles verloren sei. Einen einzigen Hoffnungsstrahl hatte er zu sehen geglaubt, die Begnadigung des Kaisers. Wäre diese ausgesprochen worden, so hätte man auch die Generäle dessen, den man Usurpator nannte, nicht töten können. Es wäre nur eine Verbannung ausgesprochen worden, die Miramon Gelegenheit gegeben hätte, seine feindselige Rolle von neuem aufzunehmen.
Dieses war es, was jedenfalls auch mit in Betracht gezogen wurde, als der Gedanke an die Begnadigung des Kaisers zur Sprache kam.
Man hätte nicht nur in Max einen immerwährenden Prätendenten der mexikanischen Herrschaft gehabt, sondern es wären in Miramon und Konsorten Männer am Leben geblieben, die als ewige Ruhestörer eine stete Aufmerksamkeit erregt und eine immerwährende Sorge bereitet hätten.
Auch dies müssen diejenigen bedenken, die einen Schrei der Entrüstung ausstießen, als sie die Kunde von dem Tode des Kaisers vernahmen.
Also jetzt saß Miramon, aller, auch der letzten Hoffnung bar, im Gefängnis. Nicht Reue war es, die über ihn kam, sondern ein Gefühl des Hasses, der Wut gegen Lopez, der ihn betrogen hatte. Und aus Rache gegen diesen Verräter ließ Miramon einen der Untersuchungsrichter kommen und vertraute ihm an, was Lopez getan hatte.
»Zu welchem Zweck sprechen Sie zu mir von dieser obskuren Angelegenheit?« fragte der Richter. – »Ich hege die Hoffnung, daß Sie meine Mitteilung dem Kaiser vermitteln werden«, antwortete Miramon. – »Welchen Nutzen könnte er davon haben? Er hat nur noch wenige Stunden zu leben.« – »Den Nutzen, daß er wenigstens weiß, wem er sein gegenwärtiges Schicksal zu verdanken hat.« – »Er weiß dies bereits.« – »Ah, er hat von Lopez‘ Verrat gehört?«
Der Richter antwortete nicht gleich. Er hielt den strengen Blick auf Miramon gerichtet und antwortete dann:
»Er weiß allerdings, daß unsere Truppen nicht dadurch in die Stadt gekommen sind, daß sie das Fort de la Cruz erstürmt haben.« – »Sondern daß sie von einem der Unseligen verräterischerweise eingelassen worden sind.« – »Ja, aber der Kaiser weiß auch, wie wir alle, daß Lopez eigentlich nur das Werkzeug eines kaiserlichen Generals war.«
Miramon gewann es über sich, eine gleichgültige Miene zu heucheln, und sprach:
»Das ist mir neu, das ist mir höchst unwahrscheinlich. Jedenfalls eine Erfindung des Lopez, um seine Tat zu beschönigen.« – »Sie irren! Es kann Lopez nicht einfallen, von dieser Tat zu sprechen, also hat er gar keine Gelegenheit, dieselbe zu beschönigen, wie Sie sich auszudrücken belieben.« – »Dennoch möchte ich den Namen dessen kennen, in dessen Auftrag er gehandelt haben soll.« – »Sie kennen diesen Namen besser als jeder andere.« – »Ich?« fragte Miramon mit gut gespieltem Erstaunen. – »Ja, Sie, denn Sie sind es selbst!«
Da wollte Miramon zornig auffahren.
»Ich?« rief er. »Was fällt Ihnen ein?«
Der Richter machte eine abwehrende, verächtliche Handbewegung und sagte:
»Schweigen wir darüber.« – »Nein, Señor, schweigen wir nicht darüber! Es kann nicht die Rede davon sein, daß ich einen so krassen, so entehrenden Vorwurf auf mir sitzen lasse.« – »Und dennoch wird er auf Ihnen sitzen bleiben. Wir kennen die Unterredung, die Sie mit Lopez geführt haben, sehr genau.« – »Ich habe keine auf diesen Gegenstand bezügliche Unterredung mit ihm gehabt. Und selbst wenn eine solche stattgefunden hätte, wer könnte sie Ihnen verraten haben?« – »Der, welcher zugegen war.« – »Lopez selbst?« – »Nein. Dieser wird sich hüten, ein Wort darüber zu verlieren!« – »Wer aber sonst?« – »Ich will es Ihnen sagen, obgleich ich das nicht notwendig habe. Der General, der mit Ihnen in eine heimliche Unterhaltung getreten war, ist als ein schlauer und vorsichtiger Mann bekannt …« – »Welchen General meinen Sie?« – »Namen sind nicht notwendig. Und überdies sind Sie ja wenigstens ebensogut unterrichtet wie ich selbst. Dieser Offizier wußte ganz genau, welche Gefahren ein solches geheimes Verhältnis mit sich bringen kann. Er mußte sich überzeugen, ob Sie es ehrlich meinten, und es gelang ihm, einen Mann zu gewinnen, der sich in Ihrer unmittelbaren Nähe zu befinden pflegte.« – »Alle Teufel! Wer ist das?« fragte Miramon zornig. – »Ich wiederhole, daß ich Namen nicht nenne.« – »So erkläre ich dieses Gerücht für eine niederträchtige und armselige Lüge!« – »Leugnen Sie nicht!« meinte der Richter in strengem Ton. – »Señor!« brauste Miramon auf. – »Pah!« erklang es im Ton der Verachtung. »Ihr Zuruf kann nicht die mindeste Wirkung haben. Man weiß, was geschehen ist. Wenn man die drei Personen nach der Richtstätte führt, wird man Max bemitleiden, den treuen Mejia bewundern und Sie ver… ah, erlassen Sie mir das Wort auszusprechen, das Sie sich ja selbst sagen können.«
Dabei drehte sich der Richter um und verließ das Gefängnis.
Miramon blieb in einer fürchterlichen Stimmung zurück.
»Ver– verachten, Sie aber wird man verachten, hat dieser Mensch gemeint. Das bietet er mir! Oh, wäre ich frei! Ich wollte diese Kreatur des Zapoteken lehren, mich zu verachten!«
Er war unfähig, Reue zu fühlen, und auch der Zuspruch des Beichtvaters, der ihm gewährt worden war, brachte ihn nicht dazu.
Ein amerikanischer Bericht vom 30. Mai hatte gesagt: »Morgen werden wahrscheinlich Maximilian und seine vornehmsten Generäle zum Tode durch Pulver und Blei verurteilt werden.«
Man sieht aus diesem und ähnlichen Berichten, daß man über das Schicksal der Gefangenen selbst im Ausland nicht im Zweifel war. Eine jede Regierung besitzt das Recht, denjenigen, der durch Gewalt oder List ihre Fundamente zu untergraben strebt, als Verräter oder Empörer zu bezeichnen oder zu bestrafen. Von diesem Standpunkt aus war das bereits allerwärts vorher geweissagte Todesurteil ausgesprochen worden, und heute, am 19. Juni, sollte dasselbe auf dem östlich vor der Stadt gelegenen Cerro de las Campanas vollzogen werden.
Max hatte die ihm von Kurt gebotene Rettung verschmäht; er war nach dem Cerro geflohen und hatte damit aus eigener Entschließung den ersten Schritt ins Grab getan.
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Am Morgen des angegebenen Tages herrschte in Queretaro eine dumpfe Stille, obgleich kein Mensch schlief, sondern alle Welt wach und auf den Beinen war. Der Mexikaner pflegt sich überhaupt sehr früh vom Lager zu erheben, und so waren die Teile der Stadt, durch die der Zug kommen mußte, bereits vor sechs mit Tausenden und aber Tausenden bedeckt.
Bürger, Soldaten, Vaqueros zu Pferde und zu Fuß, Indianer und Weiße, Neger, Mestizen, Mulatten, Terzeronen, Quarteronen, Chinos, überhaupt Menschen in allen Farben und Trachten standen wartend auf den Plätzen oder schoben sich in dichter Menge schweigend durch die Straßen, um die Hinrichtung eines Kaisers zu sehen.
Es war nicht das Gefühl wilder Befriedigung, das aus den Augen dieser meist nur halb zivilisierten Menschen leuchtete; nein, in ihren ernsten Gesichtern sprach sich eine Teilnahme aus, die auch der Barbar dem Unglück nicht versagen sollte.
Man redete nicht laut. Wo man sich unterhielt, da geschah es im Flüsterton. Es war, als ob man sich in der Kirche oder in einem Trauerhaus befände.
Um sieben Uhr wurden die Gefangenen aus den Zellen geholt.
Für einen jeden war ein von einer starken Eskorte umgebener Wagen bestimmt und ein starkes Holzkreuz, an das gelehnt er die Kugel empfangen sollte.
Auf der Hauptstraße trafen die drei Wagen zusammen und fuhren dann, langsamen Schrittes und von einer ungeheuren Menschenmenge gefolgt, dem Richtplatz zu.
Der Zug wurde von einer Schwadron Lanciers eröffnet. Dann kam die Musik, die einen Trauermarsch spielte. Das Spalier bildete eine Bataillon Infanterie, das Gewehr im Arm, in zwei Reihen zu je vier Mann.
Als der Zug die hohe Spitalpforte erreichte, warf Mejia einen herausfordernden Blick auf die Menge und rief mit lauter Stimme dem Kaiser zu:
»Majestät, geben Sie uns zum letzten Male ein Beispiel Ihres edlen Mutes! Wir folgen Ihnen in Tod und Grab!«
Gerade in diesem Augenblick zogen die Franziskaner vorüber. Die beiden Vordersten trugen das Kreuz und das geweihte Wasser, die anderen hielten Kerzen in den Händen.
Jeder der drei Särge, die den Verurteilten folgten, wurde von vier Indianern getragen. Dann kamen die drei Hinrichtungskreuze nebst den Bänken.
In den Augen Maximilians lag während des ganzen Weges ein Ausdruck, den niemand vergessen kann, der den verratenen und verlassenen Kaiser in seiner letzten Stunde geschaut hat.
Sobald sein Wagen den Hauptplatz verlassen hatte, wandte er das große Auge mit unverwandtem Blick nach Osten, wo die Heimat lag und alles, alles, was er verlassen hatte, um einem Trugbild zu folgen, das ihn in das nun offene Grab führen sollte. Dort drüben über der See lag auch Miramare, wo die Kaiserin gestörten Geistes durch die Gemächer und die Gärten irrte, nichts von all der Herrlichkeit bemerkend, durch die sich dieser Edelsitz vor anderen auszeichnet.
Ein schmerzvolles Lächeln umspielte seine Lippen. Die eine blasse Hand lag ruhig auf dem Polster des Wagens, während die andere leise den schönen, vollen Bart strich.
Als der Zug den Richtplatz erreichte, wurde die Menge zurückgehalten, und die Truppen bildeten ein Viereck, das nach einer Seite zu offen blieb.
Eskobedo, der die Exekution selbst befehligte, näherte sich mit seinem Stab den drei Wagen und befahl den Gefangenen auszusteigen.
»Vamos nos a la liberdad – sterben wir für die Freiheit!« sagte Max mit einem Blick in die aufgehende Sonne, die ihm zum letzten Male leuchten sollte. Dann zog er seine Uhr und ließ eine daran angebrachte Feder spielen. Es sprang ein Deckel auf, der das Miniaturporträt der Kaiserin Charlotte barg. Er küßte das Bild und reichte dann die Uhr dem Beichtvater mit der Bitte:
»Überbringen Sie dieses Andenken meiner geliebten Gattin in Europa. Sollte dieselbe Sie jemals verstehen können, so sagen Sie ihr, daß meine Augen sich schließen mit ihrem Bildnis, das ich mit nach oben nehme!«
Die Sterbeglocken hallten dumpf zusammen. An der starken, äußeren Kirchhofmauer hielten die Verurteilten, denen ihre Plätze angewiesen wurden. Maximilian schritt in fester, aufrechter Haltung nach dem Holzkreuz und der Bank, die man für ihn neben dem geöffneten Grab aufgestellt hatte. Mejia tat desgleichen. Miramon aber wankte. Sein Auge irrte, wie nach Hilfe suchend, über die Höhe und in die Ebene hinaus.
Jetzt wurden das Todesurteil und die Gründe verlesen, und dann erteilte man den Gefangenen die Erlaubnis, noch einmal zu sprechen. Miramon stammelte einige Worte. Mejia machte eine stolze Handbewegung als Zeichen, daß er auf diese Gnade verzichte. Aber der Kaiser ergriff die Gelegenheit, zum letzten Male auf Erden seine Stimme öffentlich hören zu lassen.
Man hat viel über seine letzten Worte gefabelt; man hat ihm Reden in den Mund gelegt, die die Zeit einer ganzen Viertelstunde in Anspruch genommen hätten, sie sind erfunden. Nach authentischen Berichten trat er einen Schritt vor und sagte mit lauter, fester Stimme:
»Ich sterbe für eine gerechte Sache, die der Freiheit und Unabhängigkeit Mexikos! Möge mein Blut das Unglück meines Vaterlandes auf immer besiegen! Es lebe Mexiko!«
Diese Worte fanden keinen Widerspruch, aber auch nicht den leisesten Widerhall.
Nun wurden drei Pelotons kommandiert, ein jedes aus fünf Mann und zwei Unteroffizieren bestehend. Sie näherten sich den Verurteilten auf drei Schritte.
Der Kaiser winkte den Feldwebel, der die Pelotons befehligte, zu sich heran, zog eine Hand voll Goldstücke hervor und sagte:
»Verteilen Sie dies nach meinem Tode unter Ihre Leute, und sagen Sie ihnen, daß sie nach meinem Herzen zielen sollen. Auf die Brust! Zielt nach meinem Herzen! Zielt gut!«
Der Feldwebel trat zurück und ebenso der Kaiser. Die geladenen Gewehre wurden erhoben. Miramon sank auf die Bank nieder, wo er kraftlos sitzen blieb. Die Franziskaner legten ihm die Arme kreuzweise übereinander. Der Kaiser umarmte Mejia. Dieser erwiderte die Umarmung schluchzend und mit einigen Worten, die niemand verstehen konnte. Dann kreuzte der treue, tapfere General die Arme über der Brust, die Kugeln mutig erwartend.
Der Bischof trat hierauf zu Maximilian und sagte:
»Majestät, geben Sie in meiner Person dem Land und Volk von Mexiko den Kuß der Versöhnung. Mögen Sie im letzten Augenblick allen und alles verzeihen!«
Max ließ sich umarmen und küssen. Er war tief erregt. Er wußte, was der Bischof meinte. Ein innerer Kampf folgte, dann aber sagte er laut:
»Sagen Sie Lopez, daß ich ihm seinen Verrat verzeihe!«
Viele von den Umstehenden weinten, und selbst diejenigen, die keine Tränen hatten, waren sichtlich gerührt. Was Eskobedo fühlte, konnte kein Mensch erraten. Sein Gesicht war ernst und unbeweglich. An ihn wandte sich Max mit den Worten:
»A la disposition de usted – ich stelle mich zu Ihrer Verfügung!«
Bei diesen Worten lehnte er sich aufrecht an das Kreuz, das für ihn bestimmt war. Der Feldwebel blickte auf Eskobedo. Dieser nickte mit dem Kopf und gebot:
»Adelante – vorwärts!«
Die Schützen traten an. Ein entblößter Degen hob sich, und die Gewehrläufe senkten sich, der Degen hob sich abermals, die Schüsse krachten, die Hörner gellten, und die Trommeln wirbelten.
Der Kaiser fiel, durch das Herz getroffen, auf das Kreuz, an das er sich gelehnt hatte. Man hob ihn auf und legte ihn sofort in den Sarg.
Miramon war schwerfällig in den Sand gerollt, aber tot. Mejia blieb stehen und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er war schlecht getroffen. Einer der Unteroffiziere trat zu ihm heran, hielt ihm die Mündung seines Gewehres hinters Ohr und drückte ab. Dieser Schuß aus nächster Nähe streckte den treuen Mann zu Boden.
»Libertad y independencia – Freiheit und Unabhängigkeit«, erscholl es über die drei Särge hinweg.
Dies war die Grabrede, die die mexikanische Nation dem toten Kaiser und seinen vornehmsten Generalen hielt.
Am dreißigsten Juni erhielt der Kaiser von Österreich, der sich in München aufhielt, die Botschaft von der Hinrichtung Maximilians. Das »Neue Wiener Fremdenblatt« berichtete über den Tod des Erschossenen:
//-- * * * --//
»Kaiser Maximilian von Mexiko ist tot! Aus dem kühnen Zug eines geistvollen Prinzen ist ein Trauerspiel geworden, so grandios, wie es noch in dem Sinne keines Dichters entstand. Der Kaiser, ausgezogen, um ein Werk der Zivilisation zu vollbringen, liegt nun, von seinen Feinden erschossen, auf den Feldern von Mexiko, und die Kaiserin sitzt wahnsinnig auf dem Schloß zu Miramare. Fürwahr, die Geschichte hat der kommenden Generation da eines ihrer geheimnisvollsten Rätsel aufgegeben!
Wir aber sagen:
So starb Maximilian von Österreich. Er war wert, für eine bessere Sache zu sterben; er hat dies durch sein Verhalten in den letzten Tagen seines Lebens bewiesen.«
23. Kapitel
Juarez war nun wieder Alleinherrscher von Mexiko. Kurt hatte der Hinrichtung nicht beigewohnt. Es widerstrebte seinem Gefühl, einen Mann sterben zu sehen, den er hatte retten wollen. Er saß zur Zeit der Exekution mit dem Kleinen André in seinem Zelt. Er hörte das Trauergeläut. Das Krachen der Gewehre drang an sein Ohr.
»Jetzt! Jetzt sind sie tot!« rief André. – »Er war bereits tot, als er mich von sich wies«, antwortete Kurt. – »War keine Rettung mehr möglich? Man hätte ihn vielleicht doch heimlich aus seinem Gefängnis entführen können.« – »Ehe Max gefangen war, konnte ich ihn retten, ohne ein Verbrechen zu begehen.« – »War es denn später eins?« – »Gewiß, und zwar ein Verbrechen, das von jedem Gesetzbuch mit hoher Strafe belegt wird. Es ist widerrechtliche Befreiung eines Gefangenen.« – »Nun, so wäre die Befreiung erst auch widerrechtlich gewesen.« – »Nein, er befand sich noch mitten unter den Seinigen. Sobald er aber in die Gewalt der Republikaner geraten war, sah ich mich gezwungen, die Hand abzulassen.« – »Hm. Sie mögen recht haben. Er hat es nicht anders gewollt.« – »Und so brauchen wir uns keine Vorwürfe zu machen. Hier aber haben wir nichts mehr zu tun. Ich wollte nur noch diese verhängnisvollen Schüsse hören. Nun bin ich Zeuge eines der größten geschichtlichen Trauerspiele gewesen und werde Querétaro verlassen.« – »Ohne Abschied oder Urlaub?« – »Ich bin von Eskobedo nicht abhängig.« – »Wohin gehen Sie?« – »Zu Juarez.« – »Ah, darf ich mit?« – »Natürlich«, nickte Kurt. – »Ah, da werde ich Señorita Emilia sehen! Geht Herr Doktor Sternau auch mit uns?« – »Ich hoffe es. Reiten Sie voraus zu ihm, damit ich ihn bereit finde, wenn ich komme!«
Am anderen Morgen ritten die drei unter Begleitung der beiden Indianerhäuptlinge nach San Luis Potosi. Als sie durch Guanajuato kamen, hielt der Kleine André an.
»Ah, meine Herren, kennen Sie dieses Pferd?«
Dabei deutete er auf ein gesatteltes Pferd, das vor einer Venta hielt.
»Das Pferd des Schwarzen Gerard«, antwortete Sternau. »Er muß hier abgestiegen sein. Gehen wir hinein.«
Aber sie brauchten nicht in das Haus zu treten. Gerard hatte sie schon gesehen und kam heraus. Er war in Santa Jaga gewesen und hatte sie aufsuchen wollen, um ihnen mitzuteilen, daß dort alles in Ordnung sei. Natürlich schloß er sich ihnen an.
Als sie Potosi erreichten und ihre Pferde untergebracht hatten, begab sich Sternau mit Kurt sofort zu dem Präsidenten, der sie empfing, obgleich er mit Geschäften überhäuft war.
»Sie bringen Trauriges?« fragte er ernst, nachdem die Begrüßungsworte gewechselt worden waren. – Ja«, antwortete Kurt. »Ich bringe den Schall der Schüsse, unter denen Max von Österreich gefallen ist.« – »So waren Sie bei der Exekution zugegen?« – »Nein. Ich mußte verschmähen, ein Schauspiel anzustaunen, das ich hatte kommen sehen.« – »Eskobedos Kurier ist bereits angelangt. Maximilian ist mutig und als Mann gestorben. Ich war sein politischer Gegner, aber nicht sein persönlicher Feind.«
Es war, als ob er es für nötig gehalten hätte, diese Entschuldigung hier auszusprechen; daher fiel Sternau schnell ein:
»Wir wissen das am besten, Señor!« – »Ah!« sagte Juarez, indem er ein leises, geheimnisvolles Lächeln bemerken ließ. »So hatten Sie mich verstanden!« – Ja, Señor, und Sie haben sich bemüht?« – »Sogar sehr eifrig, aber ohne Erfolg, sogar Leutnant Helmers hier wurde abgewiesen«, antwortete Juarez. – »So hielten Sie es also doch für möglich, Herr Leutnant, den Erzherzog – Sie verstehen?« – »Es war sogar sehr leicht«, antwortete Kurt.
Da schüttelte Juarez den Kopf, trat an das Fenster und sah lange schweigend hinaus. Dann drehte er sich rasch wieder um und sagte:
»So hat er es nicht anders gewollt Er ist tot! Richten nicht auch wir noch über ihn! Ihnen aber danke ich, daß Sie meine Andeutungen verstanden und danach gehandelt haben. Man wird mich falsch beurteilen, Sie aber kennen mich besser, obgleich Sie schweigen müssen, so lange ich noch die Zügel der mexikanischen Angelegenheiten in den Händen halte. Während dieser Zeit darf kein Republikaner wissen, was ich tat und wünschte. Aber wenn ich einmal abgetreten oder tot sein werde, dann denken Sie daran, daß die Zeit gekommen sei, der Welt mitzuteilen, wie gern ich meinen Gegner retten wollte. Dies ist das Vermächtnis, das ich Ihnen anvertraue, wenn Sie das Land verlassen, das der Schauplatz einer Tragödie war, die ich weder veranlaßt, noch verschuldet habe.«
Er sprach ernst und aus bewegtem Herzen. Die beiden Zuhörer waren ebenso bewegt. Es entstand eine Pause, die Juarez mit der Frage beendete:
»Und nicht wahr, daß Sie Mexiko verlassen, wird sehr bald geschehen?« – »Wir hoffen es allerdings«, antwortete Sternau. »Aber einige Zeit werden wir immer noch unter Ihrem Schutz bleiben müssen, Señor.« – »Das freut mich. Sie wissen, daß alles geschieht, was ich für Sie tun kann. Wir müssen, ehe Sie abreisen, die Angelegenheit der Rodriganda beenden, soweit dieselbe nämlich vor das mexikanische Forum gehört.« – »An welchen Richter haben wir uns da zu wenden?« – »An mich selbst. Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Sache in ebenso gerechte, wie eifrige Hände gelegt wird. Die Gefangenen befinden sich noch im Kloster della Barbara?« – »Ja. Sie sind sehr gut bewacht.« – »Holen Sie sie! Lassen Sie auch Marie Hermoyes, den alten Haziendero Pedro Arbellez nebst seiner Tochter und die Indianerin Karja herbeirufen.« – »Nach Potosi hier?« – »Nein. Ich werde nach der Hauptstadt gehen. Dorthin haben Sie die Gefangenen zu bringen.« – »Stehen nicht nur diejenigen, die hier geboren oder naturalisiert sind, unter Ihrer Jurisdiktion?« – »Allerdings. Ich kann zwar alle in Anklagestand versetzen, aber nur Pablo Cortejo und dessen Tochter aburteilen.« – »Und die anderen?« – »Führen Sie sie nach Spanien, wo die Angelegenheit zu beenden ist.« – »An welche Behörde haben wir uns da zu wenden?« – »An das Obertribunalgericht zu Barcelona.« – »Ich danke. Werden Sie die Untersuchung hier öffentlich führen?« – »Natürlich!« – »Ich möchte dagegen Einspruch erheben.« – »Warum?« – »Es würde von der Sache, ehe wir hier mit derselben fertig sind, so viel nach Spanien verlauten, daß die Schuldigen, die sich dort befinden, Zeit gewinnen, sich der Gerechtigkeit zu entziehen.« – »Das ist allerdings richtig. Wir werden also vorsichtig sein und die Untersuchung so diskret wie möglich führen müssen. Um aber allem vorzubeugen, werde ich mich nach Spanien unter Beifügung der Gründe mit der Bitte wenden, den Grafen Alfonzo unter eine, wenn auch heimliche, aber desto strengere Polizeiaufsicht zu nehmen. Genügt Ihnen das?« – »Vollständig, Señor!« – »Zum Transport der Gefangenen vom Kloster della Barbara nach der Hauptstadt stelle ich Ihnen ein hinreichendes Militärdetachement zur Verfügung. Wann reisen Sie ab?« – »Morgen früh. Wir wollen bis dahin die Pferde ausruhen lassen.« – »So werde ich die nötigen Befehle geben.«
Damit war die Unterredung beendet. Sternau besprach sich mit den anderen, wer nach der Hazienda reiten sollte, um die Bewohner derselben zu holen. Da Emma, Resedilla und Karja sich dort befanden, wurden Donnerpfeil, Gerard und Bärenherz gewählt. Am anderen Morgen wurde aufgebrochen.
Vorher aber wurde noch ein Herz glücklich gemacht, das ein solches Glück nicht für möglich gehalten hätte.
Nach der erwähnten Besprechung begab sich André zu Señorita Emilia, die sich ja in Potosi befand. Es war Abend, und das Gemach, das sie mit noch zwei anderen bewohnte, war von einer Lampe hell erleuchtet.
Juarez hatte sie für die ihm geleisteten Dienste so freigebig belohnt, daß sie imstande war, sich einer fein ausgestatteten Wohnung zu bedienen.
Als André eintrat, lag das schöne Mädchen hingegossen auf einer Ottomane. Es stand zwar nicht mehr in den Tagen der ersten, der besten Jugend, aber seine Schönheit gehörte zu denen, die nicht verschwinden, sondern mit den Jahren an Zauber zu gewinnen scheinen.
Als es ihn erblickte, erhob es sich rasch aus den Kissen.
»Ah, Monsieur André!« rief Emilia. »Ihr wieder hier? Das freut mich, das freut mich wirklich recht herzlich!«
Der kleine Jäger machte ein halb seliges und halb verlegenes Gesicht und fragte:
»Freut Ihr Euch denn wirklich, daß so ein alter Büffeltöter zu Euch kommt, Mademoiselle?« – »Natürlich, natürlich! Seht Ihr denn nicht, daß ich Euch beide Hände entgegenstrecke?« – »Alle Wetter, ja! Aber – hm!«
Er zögerte, ihre Hände zu nehmen, und sprach:
»Diese kleinen, schönen, weißen Patschchen, und da meine sonnenverbrannten Tatzen. Paßt das zusammen?«
Da ergriff sie seine Hände, um sie kräftig zu schütteln, und dann fuhr sie fort:
»Ihr scheut Euch vor meinen Händen, wißt Ihr denn, was ohne Euch aus denselben geworden wäre?« – »Na, was denn, Mademoiselle?« – »Sie wären jetzt kalt, starr und faulten unter der Erde.« – »Donnerwetter, das wäre weiß Gott zu jammerschade. Aber, hm, wo denn eigentlich?« – »In Tula, wo ich ja erschossen oder gar gehängt worden wäre, wenn Ihr mich nicht gerettet hättet.« – »Ich?« fragte er verwundert. – »Ja, Ihr!« antwortete sie. – »Unsinn! Der Retter war dieser famose Leutnant Helmers, aber doch nicht ich.« – »Ihr habt beide gleichviel getan, einer so viel wie der andere. Kommt, setzt Euch doch endlich nieder!«
Sie wollte ihn nach der Ottomane ziehen; er sträubte sich.
»Nicht dorthin!« sagte er. – »Dieser Platz ist ja aus Samt fabriziert.« – »Was tut das?« – »Sehr viel. Meine Hosen und so ein Samt! Der Kleine André und so ein Kanapee oder was es ist! Das würde gerade so passen wie eine Eidechse in den Milchreis oder in den Hirsebrei!«
Sie faßte ihn kräftig an und zog ihn neben sich in die schwellenden Polster nieder.
»Himmel hilf!« rief er. »Das geht tief hinab. So ein Polster gibt es ja selbst im besten Wald nicht.« – »Meint Ihr? Und diese Kissen haben noch dazu die Eigentümlichkeit, daß es sich darauf so recht gemütlich plaudern läßt.« – »Im Wald auf dem Moos auch.« – »Geht mir jetzt mit dem Wald! Wir sind hier und wollen von uns reden, aber nicht von Euren Büffeln und Bären.« – »Gut«, sagte er, sich scheu in die Ecke drückend, wo er aber auch von den Sprungfedern recht beunruhigend auf– und niedergeschaukelt wurde. »Also von uns wollen wir reden? So fangt einmal an!« – »Warum Ihr nicht?« – »Ich? Alle Wetter! Womit sollte ich denn anfangen?« – »Von mir!« lachte sie.
Er blinzelte furchtsam zu ihr herüber. Sie bemerkte das und fragte:
»Fürchtet Ihr Euch vor mir, oder redet Ihr etwa nicht gern von mir?«
Er nickte bedenklich mit dem Kopf und antwortete:
»Hm! Mit dem Fürchten ist es nicht so ganz richtig!« – »Ah! Warum?« – »Nun, das will ich Euch erklären. Sagt einmal, wenn hier der Teufel hereinkäme, würdet Ihr …« – »Pfui, der Teufel! Wie kommt Ihr auf den? Bin ich ihm etwa so ähnlich?« – »Gar nicht! Aber würdet Ihr Euch nicht vor ihm fürchten?« – »Ein wenig, ja.« – »Oder wenn ein Engel käme, würdet Ihr Euch da nicht auch fürchten?« – »Hm! Ein wenig scheuen würde ich mich allerdings.« – »Nun seht, Mademoiselle. Man fürchtet sich vor allem, was ganz häßlich und schlecht oder ganz schön und gut ist. Man steht so sehr in der Mitte der beiden, daß man sich weder an das eine, noch an das andere getraut.« – »Das habt Ihr sehr gut erklärt, mein lieber André. Aber was wollt Ihr denn damit in Beziehung auf mich sagen?« – »Daß ich mich fürchte, weil Ihr ein Engel seid.«
Sie machte eine allerliebste, verwunderte Miene und rief:
»Wie? Ihr könnt auch galant sein?« – »Galant?« fragte er erschrocken. »Ist das denn galant?« – »Natürlich!« – »Alle Wetter! Da bitte ich um Verzeihung! Nehmt mir das nur ja nicht übel. Ich habe es nicht böse gemeint!« – »Davon bin ich überzeugt. Aber meint Ihr etwa, daß Ihr gegen mich nicht galant sein dürft?« – »Wie dürfte ich so etwas wagen?« – »Warum denn nicht?«
Sie rückte ihm dabei etwas näher, und er drückte sich, als er dies bemerkte, so viel wie möglich in seiner Ecke zusammen.
»Ich, der Andreas Straubenberger! Und Ihr, der Engel, die schöne Señorita Emilia! Das verhält sich ja gerade so wie die Stiefelschmiere zur Morgenröte!«
»Was war denn eigentlich Euer Vater, André?« – »Ein blutarmer Teufel in der Rheinpfalz.« – »Und mein Vater war ein blutarmer Teufel in Paris. Habt Ihr Euch da vor mir zu fürchten?« – »Der Väter wegen nicht, aber der Tochter wegen!« – »Da irrt Ihr Euch. Ich bin ein Mädchen, nichts weiter, eine Kundschafterin des Präsidenten. Ihr aber seid ein wackerer, tapferer Jäger, der hundert schöne, rühmliche Taten zu seinem Lob hat. Wißt Ehr noch, wie Ihr Euch damals in Chihuahua für Eure Freunde aufgeopfert habt?« – »Hm! Ja!«
Er dachte dabei an die Küsse, die er von dem schönen Mädchen zum Lohn erhalten hatte.
»Und sodann habt Ihr mir das Leben gerettet!« – »Das ist ja nur eine Kleinigkeit!« – »Was? Ihr haltet mein Leben für eine Kleinigkeit?« fragte sie.
Er fuhr erschrocken empor.
»Alle Teufel, das habe ich nicht gemeint«, rief er. »Dem Kerl, der Euer Leben eine Kleinigkeit nennen wollte, den würde ich auf den Kopf schlagen, daß ihm die Seele zu allen zehn Fußzehen hinausfahren sollte!« – »Nun seht, Monsieur, und doch hing dieses Leben nur an einem Faden. Ihr habt mich gerettet. Ich wünsche sehr, ich hätte stets so einen Beschützer bei mir.«
Da blitzte sein gutes, ehrliches Auge vor Freude hell auf.
»Wirklich, wünscht Ihr das, Mademoiselle?« fragte er rasch. – »Ja«, antwortete sie. »So einen Beschützer, wie Ihr seid, oder am liebsten Euch selbst.« – »Nun, das könntet Ihr ja sehr leicht haben.« – »Wieso?« fragte sie, gespannt auf die Antwort, die er ihr geben werde. – »Nun – hm!« hustete er verlegen. »Braucht Ihr vielleicht einen – hm – einen Diener?« – »Einen Diener? Warum?« – »Dann würde ich fragen, ob ich der Diener sein darf.« – »Ihr? O nein! Als Diener würde ich Euch nicht haben mögen.« – »Sapperment!« meinte er enttäuscht. »Ich würde aber stets so treu und aufmerksam sein wie kein zweiter!« – »Das glaube ich Euch sehr gern, denn Ihr seid eine gute, treue Seele. Aber als Diener wäret Ihr ja mein Untergebener!« – »Das gerade will ich ja!« – »Aber ich will es nicht. Ich schätze Euch, ich achte Euch so hoch, daß ich Euch nie unter mich stellen könnte.« – »Nun, so stellt mich neben Euch!« – »Als was denn?« – »Hm! Das ist freilich eine ganz verteufelte Geschichte. Da hört meine Weisheit beinahe auf. Braucht Ihr nicht einen Reisebegleiter?« – »Vielleicht. Aber ich werde sehr wenig auf Reisen sein.« – »Nun, so stellt mich als Hausmeister an!« – »Ich habe kein Haus.« – »So baue ich Euch eins. Ich bin nicht ganz ohne!«
Er blinzelte dabei mit den Augen und machte mit den beiden ersten Fingern der Rechten das Zeichen des Geldzählens.
»So, so!« lachte sie. »Das brauche ich nicht anzunehmen. Denn ich bin auch nicht ganz ohne.«
Sie blinzelte dabei ebenso wie er schalkhaft zu ihm hinüber und machte auch dieselbe Bewegung mit Daumen und Zeigefinger.
»Das freut mich«, meinte er. »Also mit dem Haushofmeister ist es nichts. So macht mich zum Aufseher oder Verwalter!« – »Ich habe keine Fabrik und kein Rittergut.« – »Das schadet nichts. Baut Euch eine Brauerei! Ich bin eigentlich ein Brauer.« – »Wenn ich bauen wollte, so würde ich auf die Brauerei verzichten und doch lieber auf Euren vorigen Vorschlag eingehen.« – »Ein Haus zu bauen? Sapperment! So werde ich Hausmeister!« – »Dann wäret Ihr doch immer mein Untergebener.« – »Das ist wahr. Aber wenn es sich um ein Haus handeln muß, so gibt es da ja nur den Hausherrn, der nicht Untergebener ist.« – »Richtig! Was aber hält Euch denn ab, das zu werden?« – »Nichts. Nur müßte ich es sein, der das Haus baut, nicht Ihr.« – »Aber wenn ich es dennoch baute?« – »So wäret Ihr die Herrin.« – »Wäre denn ein Herr da ganz und gar keine Möglichkeit?«
Er saß sie groß an, nickte mit dem Kopf und antwortete:
»Freilich doch, aber dann wäre er nicht Hausherr, sondern Haus …« – »Nun, warum stockt Ihr denn? Redet doch aus.« – »Hm! Es ist ein verteufelt dummes Wort.« – »Welches denn?« – »Haus – hm – Hausva– Hausvater!«
Endlich hatte er das Wort herausgebracht Er holte tief Atem, legte den Kopf furchtsam nach hinten und machte die Augen zu, um nicht sehen zu müssen, wie zornig er sie gemacht habe. Aber anstatt Worte des Zorns zu hören, vernahm er in leisem, freundlichen Ton die Frage:
»Nun, Monsieur, ist das nicht ein schöner Posten? Möchtet Ihr ihn nicht haben? Möchtet Ihr denn nicht bei mir Hausvater sein?«
Da öffnete er langsam die Augen und sagte ebenso langsam:
»Aber wer sollte denn da die Hausmutter machen?« – »Nun, wer anders als ich?« – »Ihr?« rief er.
Er war so erschrocken, daß er aufspringen wollte. Sie aber hielt ihn zurück und fragte:
»Glaubt Ihr etwa, daß ich eine schlechte Hausfrau sein würde?« – »Nein, nein! Ganz und gar nicht«, antwortete er. »Aber es geht nicht, es geht nicht.« – »Warum nicht?« – »Weil – Ihr dann ja meine – Frau werden müßtet.«
Sie lachte laut auf und fragte:
»Und dieses kleine Wort auszusprechen, ist Euch so schwer geworden?« – »Sehr schwer, ungeheuer schwer! Lieber will ich einen Bären mit einer Stricknadel erstechen, als daß ich mich auf so etwas einlasse.« – »So habt Ihr wohl noch niemals einem Mädchen eine Liebeserklärung gemacht?« – »Nein – hm, ja, nein, nämlich was man so eine richtige Liebeserklärung nennt.« – »Aber gut gewesen seid Ihr einmal einer?« – »Ja, höllisch gut. Aber mein Bruder war ihr lieber, und darum ging ich in die weite Welt.« – »Und seit jener Zeit bis heute seid Ihr keiner wieder so gut gewesen, Monsieur?«
Da machte er abermals die Augen zu, aber aus einem ganz anderen Grund als vorher. Sein Gesicht nahm einen eigentümlich seelenvollen Ausdruck an, der es verschönte, und ohne die Augen zu öffnen, antwortete er:
»O doch, Mademoiselle! Einer einzigen bin ich gut. Aber nein, gut sein, das ist nicht der richtige Ausdruck, das ist viel, viel zu wenig. Ich denke an sie bei Tag und Nacht. Ich träume von ihr. Ich möchte ihr jeden Tropfen meines Blutes einzeln opfern. Ich könnte auf alles und jedes Glück verzichten, um sie nur froh zu sehen. Ich wäre imstande, tausendfaches Herzeleid zu erdulden, nur damit sie mich einmal freundlich anblicken möchte.«
Da wurde das Auge Emilias groß und feucht. Ihr schönes Angesicht zeigte einen tiefen Ernst, und ihre Stimme vibrierte leise, als sie fragte:
»Darf ich nicht wissen, wer die ist, die Ihr so unendlich liebt?«
Da öffnete er, wie erschrocken, rasch die Augen und antwortete:
»Nein, um Gottes willen nein!« – »Warum nicht?« – »Weil Ihr zornig, entsetzlich zornig werden würdet.« – »Nun, wenn Ihr es mir nicht mitteilt, so will ich es Euch sagen.« – »Das könnt Ihr nicht. Ihr wißt es ja nicht.« – »Ich will Euch beweisen, daß ich es weiß. Legt einmal den Kopf so nach hinten und macht dabei die Augen zu, gerade wie Ihr es vorhin getan habt.«
Er gehorchte, ohne zu ahnen, was sie wollte. Da, kaum hatte er die Augen geschlossen, fühlte er sich von zwei warmen, weichen Armen umfangen, zwei Lippen legten sich auf seinen Mund, und dann hörte er die leisen, liebevollen Worte:
»Ich bin es, ich! Nicht wahr, ich weiß es, wen du lieb hast?«
Er antwortete nicht, er öffnete auch die Augen nicht. Er bewegte sich nicht, sondern er blieb liegen wie ein Hund, den die schöne Herrin liebkost und der vor Freude und Entzücken darüber vergehen und sich in Wonne auflösen möchte.
Sie drückte ihn an sich, küßte ihn abermals und fragte wieder:
»Antworte mir. André! Nicht wahr, ich bin es, die du so unendlich lieb hast?« – Ja«, wagte er ganz leise zu sagen. – »So schlage deine Augen auf.«
Er gehorchte. Er erblickte ihr schönes, freudeglänzendes Gesicht so nahe an dem seinigen. Er fühlte, daß der Hauch ihres Atems ihn berührte, es war ihm so eigentümlich, so traumhaft, so wirr im Kopf. Er strich sich langsam die Haare aus der Stirn und fragte:
»Träume ich, oder ist es wirklich wahr?! O Gott, es ist des Glückes zu viel!«
Sanft entwand er sich den Fesseln der Liebe und erhob sich.
Langsam und fast taumelnd schritt er zum Fenster. Dort stand er lange, lange Zeit mit gefalteten Händen und in die Nacht hinaus zu den Sternen emporblickend. Sie ließ ihn ruhig gewähren. Sie hatte den Wert dieses rauhen Mannes kennengelernt. Wurde sie auch nicht von der Glut zu ihm gezogen, die sie Gerard gegenüber gefühlt hatte, so war sie ihm, ihrem Lebensretter, dagegen mit jenem stillen, reinen Gefühl ergeben, das der Volksmund »von Herzen gut sein« nennt und das mehr Bürgschaft eines dauernden Glückes bietet, als ein hell aufloderndes, aber ebenso schnell wieder in sich zusammensinkendes Herzensfeuer.
Sie war Spionin gewesen. Was hatte sie zu hoffen? Sollte sie ihre Schönheit einem auf Adel oder Reichtum stolzen Protzen opfern, um dann von ihm verlassen zu werden? Nein. Sie wußte, daß sie schön war, aber sie wußte auch, daß sie mit dieser Gottesgabe hier einem braven Mann ein unendliches Glück bereiten werde, und sie zog dies letztere vor, nicht aus Berechnung, sondern weil ihr Herz sie dazu trieb. Sie war ihm ja so herzensgut, diesem einfachen, biederen Andreas, dessen Charakter ihr mehr Gewähr eines wirklichen und dauerhaften Glückes bot, als die egoistische, genußsüchtige Liebe all der vornehmen Anbeter, die sie bisher gehabt hatte.
Da drehte er sich um und kehrte langsam zu ihr zurück. Sein ehrliches Gesicht glänzte wie verklärt, und in seinen Augen standen Tränentropfen, die ihm über die Wangen rollten.
»Weißt du, was ich jetzt getan habe?« fragte er. – »Was? Sage es!« – »Gebetet. Ja, gebetet habe ich, daß der liebe Gott mir den Verstand und die Gedanken lasse. Ich habe jetzt erkannt, daß es ebenso schwer ist, sich in ein großes Glück zu finden wie in ein schweres Herzeleid. Und nun sage mir, ob du wirklich im Ernst gesprochen hast, und ob es wahr ist, daß ich dich in Wirklichkeit besitzen soll, dich, die ich im stillen angebetet habe, als ob du meine Königin seiest, und ich, der Sklave, der Untertan, der bereit ist, für dich zu leben, aber auch für dich zu jeder Stunde in den Tod zu gehen!«
Die Frage, die er aussprach, glänzte ihr auch aus seinen ehrlichen, treuen Augen entgegen, und zwar so angstvoll und unsicher, daß sie ihre Hände ausstreckte, die seinigen ergriff und schnell antwortete:
»Ja, es ist wahr, mein lieber André. Ich will dein Weib sein, deine Hausfrau, bei der du eine Heimat findest, nachdem du so lange Jahre ruhe– und heimatlos gewesen bist.«
Da stieß er einen Ruf des höchsten Entzückens aus. Er schlang die Arme um sie, drückte sie fest und innig an sich und sagte:
»Gott segne dich für dieses Wort! Oh, nun bin ich ein ganz anderer Kerl! Nun tausche ich nicht mit Sternau oder Mariano, mit keinem einzigen Menschen! Mögen sie mich immerhin den Kleinen André nennen. Ich fühle mich jetzt auf einmal so groß, so groß, daß es mir gar nicht einfallen kann, einen von ihnen zu beneiden.«
Da schob sie ihn leise von sich, maß unter einem glücklichen Lächeln seine Gestalt, zog ihn wieder an sich heran, so daß sie wieder Brust an Brust standen und sagte:
»Messen wir uns einmal, lieber André. Bin ich etwa länger als du?«
Er verglich ihre Höhe mit der seinigen und meinte ganz erstaunt:
»Wahrhaftig, ich bin noch einen Zoll länger als du. Wer hätte das gedacht!« – »Du siehst, daß der Schein trügt. Wir Frauen sehen größer aus, als wir sind. Wir passen sehr gut zusammen. Nicht?« – »Außerordentlich gut. Ich bekomme Respekt vor mir selber. Und nun wirst du sehen, daß auch die anderen den gleichen Respekt haben sollen. Die Liebe ist doch ein wunderbares Ding, ich glaube, daß sie gar imstande sein wird, aus dem Kleinen André einen großen Kerl zu machen.«
24. Kapitel
Einige Zeit später hielt der wieder zu allen Ehren und Würden gelangte Präsident Juarez seinen Einzug in der Hauptstadt Mexiko. Es herrschte ein unbeschreiblicher Jubel unter der Bevölkerung, als der Zapoteke, der einst zur Flucht gezwungen gewesen war, aber trotzdem seinen starren Mut nicht verloren und auf seinen Titel verzichtet hatte, nun als Retter des Vaterlandes in der Stadt einritt. Alle Straßen waren mit Ehrenpforten, Girlanden und Flaggen geschmückt, und ein wahrer Regen von duftenden Blumen flog auf ihn und das Pferd, das ihn trug und mit stolzen Schritten über die lieblichen Kinder Floras hinwegtänzelte.
Aber am ersten Tag nach seinem Einzug hatte sich der laute Jubel in eine stille Erwartung umgewandelt; Juarez begann zu sichten. In unerbittlicher Gerechtigkeit prüfte er diejenigen, die seit dem ersten Tag der französischen Invasion eine Rolle gespielt hatten, auf ihren patriotischen Wert. Er begann die Schafe von den Böcken zu scheiden und das Gewürm von dem Baum der nationalen Wohlfahrt zu schütteln. Tausende fühlten sich im Besitz eines bösen Gewissens. Viele entflohen heimlich, als sie sahen, wie ernst es dem Präsidenten war. Wo es möglich war, ließ er Gnade walten, aber wo er erkannte, daß Milde nicht angewandt oder gar für das Allgemeinwohl gefährlich sei, da ließ er sich von seinem guten Herzen nicht hinreißen, sondern strafte mit jener einsichtsvollen Unnachsichtigkeit, der man es dankbar anmerkt, daß sie nicht aus Persönlichkeit und Eigennutz entspringt.
Da er selbst eine ruhelose Tätigkeit entfaltete, so dauerte es nur kurze Zeit, bis in allen Abteilungen des Regierungsmechanismus die größte Ordnung herrschte, und so kam es, daß er selbst von denjenigen Regierungen, die vorher mit Napoleon geliebäugelt hatten, als Herrscher des mexikanischen Reiches anerkannt wurde.
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Eines Spätabends, als die Bewohner der Hauptstadt im Schlummer lagen, näherte sich der letzteren von Norden her ein Reiterzug. Der Mond schien hell, und so konnte man erkennen, daß derselbe aus mehreren Gefangenen und ihrer Eskorte bestand. Die ersteren waren sorgfältig gefesselt und auf ihre Pferde gebunden. Zwei Maultiere trugen eine Art von Sänfte, aus der fast ununterbrochen das Wimmern einer weiblichen Stimme erscholl, um das sich die Begleiter aber nicht im geringsten kümmerten.
Dieser Trupp erreichte die Stadt, ritt durch einige Straßen und hielt dann vor dem Regierungsgebäude, an dessen Tor die Reiter der Eskorte sich von ihren Pferden schwangen. Einer von ihnen trat ein und wurde von dem wachhabenden Posten gefragt, was er wolle und wen er bringe.
»Ist der Präsident noch wach?« lautete die kurze Gegenfrage. – »Ja. Er arbeitet alle Nächte bis zum Anbruch des Morgens.« – »So lassen Sie mich melden. Ich heiße Sternau. – »Sternau? Hm. Man darf niemand melden. Der Präsident will ungestört sein. Kommen Sie am Tag wieder.« – »Ob und wann ich wiederkommen soll, haben nicht Sie zu bestimmen. Sie haben mich melden zu lassen, und der Präsident wird mich empfangen.«
Diese Worte waren in einem so befehlenden Ton gesprochen, daß der Posten gehorchte, ohne einen weiteren Einwand zu wagen. Es dauerte auch nur eine kurze Zeit, so wurde Sternau benachrichtigt, daß Juarez bereit sei, ihn zu empfangen.
Als er bei dem Präsidenten eintrat, wollte er sich wegen seines späten Erscheinens entschuldigen, wurde aber durch den freundlichen Ausruf unterbrochen:
»Endlich, endlich kommen Sie! Ich habe Sie bereits längst mit Ungeduld erwartet.« – »Wir konnten nicht eher, Señor. Wir hatten auf die Herren und Damen der Hazienda zu warten, und unterdessen war Josefa Cortejo so krank geworden, daß es unmöglich war, sie nach der Hauptstadt zu transportieren.« – »Was fehlte ihr?« – »Sie wissen, Señor, daß sie auf der Hazienda von einem Vaquero so gegen die Wand und Diele geworfen wurde, daß sie einige Verletzungen davontrug, die vollständig falsch behandelt worden sind. Die Folgen davon stellten sich nun in Santa Jaga ein, und zwar in Gestalt einer heftigen Entzündung, deren ich kaum Herr werden konnte.« – »Aber jetzt ist sie bereits wiederhergestellt?« – »Nein. Sie wird nicht wiederhergestellt werden.« – »Was Sie sagen!« rief Juarez beinahe erschrocken. »Verstehe ich Sie recht? Sie meinen, daß sie sterben werde?« – Ja.« – »Doch nicht eher, als bis wir mit ihr fertig sind?« – »Ich hoffe das. Ich habe alle Sorgfalt und alle künstlichen Mittel anwenden müssen, um sie nach hier zu bringen. Sie hat trotzdem unbeschreibliche Schmerzen auszustehen gehabt. Sie wimmert Tag und Nacht. Wenn die Wirkung meiner Mittel zu Ende ist, wird sie aufhören zu leben.«
Juarez nickte leise mit dem Kopf und meinte ernsten Tones:
»Da ist Gott selbst eingetreten, um sie zu bestrafen, noch ehe die Gesetze des menschlichen Richters aufgeschlagen zu werden brauchen. Es gibt, das sehen wir auch hier wieder, eine Gerechtigkeit, die zwar nur sich selbst verantwortlich ist, aber gerechter straft, als wir es vermögen. Sie haben die anderen Gefangenen auch mitgebracht?« – »Alle, außer einem, dem Neffen des Paters nämlich.« – »Warum diesen nicht?« – »Auch ihn hat Gottes Strafe getroffen, oder vielmehr, er ist sein eigener Richter gewesen. Er hat sich in der Zelle, in der er aufbewahrt wurde, erhängt.« – »Das ist mir außerordentlich unangenehm. Ich glaubte, die Geheimnisse des Paters entdecken zu können, und nun ist dieser an den Folgen des Schlaganfalles gestorben, und sein Neffe, der jedenfalls sein einziger Vertrauter war, hat sich getötet.« – »Ich verzweifle noch nicht an der Enthüllung jener Geheimnisse. Es ist wahrscheinlich, daß sich bei einer genauen Durchforschung des Klosters della Barbara vieles entdecken läßt, was uns jetzt noch entgangen ist. Ich werde eine gründliche Durchsuchung aller Räume vornehmen lassen.« – »Aber, wie steht es, Señor Sternau, haben Sie die Gefangenen ins Verhör genommen?« – Ja.« – »Und irgendwie ein Geständnis erhalten?« – »Leider nein.« – Das habe ich erwartet. Die Charaktere, mit denen wir es zu tun haben, sind so verstockt, daß ein offenes Geständnis gar nicht zu erwarten ist. Wir werden also notgedrungen einen genauen Beweis führen müssen.«
Sternau wiegte bedenklich den Kopf hin und her und antwortete:
»Einem Beweis, selbst wenn er mit aller Logik und vollster Sicherheit gezogen wird, haftet immer eine kleine Portion Zweifelhaftigkeit an. Er gibt dem Verbrecher noch Gelegenheit zum Leugnen und zu der Behauptung, daß er unschuldig sei, trotz aller Beweise. Das ist um so unangenehmer, als selbst der scharfsinnigste Richter nicht untrüglich ist. Daher möchte ich eine Überführung auf Zeugenaussagen hin, mögen sie noch so untrüglich sein, gern vermeiden, zumal wir es hier mit einem außerordentlichen Fall zu tun haben und auch zur möglichsten Geheimhaltung wenigstens einstweilen gezwungen sind.« – »So meinen Sie, daß wir auf ein Geständnis noch hoffen dürfen?« – »Ja, nämlich von seiten der Josefa Cortejo. Wir haben einen kräftigen Verbündeten in den Schmerzen, die sie zu erdulden hat. Ich habe dieselben durch meine Mittel zu lindern gesucht. Das werde ich nicht länger tun. Ich bin überzeugt, daß sich diese Schmerzen in so fürchterliche Qualen verwandeln, wie sie von der Tortur nicht schlimmer hervorgebracht werden können. Das muß und wird ihrer Verstocktheit ein Ende machen.« – »Als Mensch bedaure ich dieses Mädchen, als Jurist aber muß ich sagen, daß sie ihr Los verdient hat. Sie sind eben erst angekommen?« – »Ja.« – »Sie werden natürlich alle Wohnung bei mir nehmen. Das Palais hat mehr als genug Zimmer für Sie. Landola und die Cortejos werde ich streng in Gewahrsam nehmen. Ich will sofort die nötigen Befehle erteilen.«
Er griff zur Klingel, Sternau aber hinderte ihn, jetzt schon das Zeichen zu geben, und sagte:
»Noch eins, Señor! Sie wissen, daß Graf Emanuel noch irrsinnig ist, und zwar infolge des Giftes, das man ihm gegeben hat. Ich habe Ihnen auch erzählt, daß ich das Gegengift kenne und es bereits einmal bereitete. Es gelang mir damals, meine Frau mit demselben herzustellen. Jetzt brauche ich eine Dosis dieses Gegengiftes.« – »Ja, Sie haben mir einmal davon erzählt. Ich entsinne mich dieses Gegengiftes und seiner Zubereitungsweise. Es ist dazu der Mundschaum eines Menschen nötig, der fast bis zum Wahnsinn gekitzelt wird?« – »Allerdings. Ich muß diese Prozedur eine unmenschliche nennen, aber ebenso muß ich den Grafen herstellen.« – »Ich verstehe Sie. Einer der Gefangenen ist es, der Ihnen diesen Schaum liefern soll. Auf welchen ist Ihre Wahl gefallen?« – »Auf Landola. Er ist der Böseste und Schlimmste von allen. Die Prozedur muß natürlich im geheimen vorgenommen werden und ist unmöglich, wenn ich nicht die Erlaubnis dazu erhalte.«
Juarez schritt einige Male im Zimmer auf und ab, dann blieb er vor Sternau stehen und sagte:
»Gut! Eigentlich widerstrebt es mir, aber der arme Graf muß gerettet werden, und Landola, der tausendfache Bösewicht, verdient ein Mitleid nicht. Ich erteile Ihnen die notwendige Erlaubnis, doch unter der Bedingung, daß Sie ihn nicht töten oder wahnsinnig machen.« – »Das wird nicht geschehen. Ich glaube im Gegenteil, daß wir ihn durch dieses Verfahren zu einem Geständnis bringen werden. Auch ich bin Mensch und habe als solcher meine Gefühle; aber wenn zum Beispiel die Vivisektion unschuldige Tiere ohne Zahl in teuflischer Weise quälen darf, um Fragen zu beantworten, die teils untergeordneter Natur und teils durch die Sektion lebender Geschöpfe gar nicht zu lösen sind, so sehe ich kein Verbrechen darin, einen Teufel, wie Landola ist, zu zwingen, sein Gift herzugeben, um einen der vielen Unschuldigen zu retten, die er ins Elend stürzte.«
So waren die beiden also einig, und nun wurden die Angekommenen mit aller Sorgfalt untergebracht.
Am anderen Tag begann das Verhör, es hatte keinen Erfolg. Aber es verging nur kurze Zeit, so zeigte sich, daß Sternau richtig vermutet hatte. Die Schmerzen Josefas steigerten sich in einer Weise, daß sie dieselben nicht mehr ertragen konnte. Es gab Minuten, in denen sie vor Qual brüllte und heulte. Sternau riet, ihren Vater nun in ihre Zelle zu führen.
Pablo Cortejo, so verstockt er war, konnte doch den Zustand seiner Tochter nicht ersehen und ihr Geschrei nicht erhören, ohne davon nicht nur ergriffen, sondern geradezu niedergeschmettert zu werden. Er sah, daß sie nur noch Stunden zu leben habe, gräßliche Stunden, sie, für die er gesündigt hatte und ein Verbrecher geworden. Es war ihm, als ob ein verzehrendes Feuer in ihm brenne. Ein herbeigeholter Priester benutzte diesen Augenblick, Vater und Tochter zu einem Geständnis zu bewegen und dadurch wenigstens ihr Gewissen zu reinigen und ihre Seelen zu retten. Josefa, dem Tode nahe, schrie mit zitternder Stimme, daß sie alles sagen wolle, da gab es auch für ihren Vater kein Zurückhalten mehr. Juarez selbst eilte herbei. Sämtliche Zeugen kamen mit ihm, und das Geständnis der beiden wurde zu Protokoll genommen und in gehöriger rechtsgültiger Weise unterzeichnet.
Nur eine Stunde später war Josefa eine Leiche.
Nun galt es noch, auch Landola und Gasparino Cortejo zum Bekenntnis ihrer Taten zu bringen. Sie blieben beim Leugnen, obgleich ihnen das erwähnte Protokoll verlesen wurde.
Aber in der nächsten Nacht wurden beide in ein tiefliegendes Gewölbe geschafft, in dem Sternau, Juarez, Büffelstirn und Bärenherz sich befanden. Was da unten vorgenommen wurde, ist Geheimnis geblieben. Wäre aber jemand auf den Gedanken gekommen, an dem Luftloch zu horchen, das von außen nach diesem Gewölbe hinabführte, so hätte er, obgleich dieses Loch von innen sehr sorgfältig verstopft war, ein nicht ganz zu unterdrückendes Brüllen und Stöhnen vernommen, das aus keiner menschlichen Kehle zu kommen schien. Und als die beiden dann nach ihren Zellen gebracht wurden, war Landola ohnmächtig und steif wie eine Leiche, und Cortejo wankte in völlig gebrochener Haltung zwischen seinen Führern, so daß sie ihn halten und stützen mußten.
Nach ihnen verließen auch die anderen das Gewölbe. Die beiden Indianer schienen kalt und teilnahmslos; aber Juarez und Sternau waren bleich. Der letztere steckte ein Fläschchen in die Tasche, und der erstere trug ein Aktenstück in der Hand, das alle Aussagen enthielt, die ihnen in der letzten halben Stunde gemacht worden waren.
Erst in seinem Zimmer angekommen, ergriff der Präsident das Wort:
»Das war fürchterlich, entsetzlich! Das war haarsträubend! Hätte ich das vorher gewußt, so wäre es sehr fraglich gewesen, ob ich mitgegangen wäre. Aber wir haben nun alles beisammen, was wir brauchen, und können kurz verfahren. Landola und Gasparino Cortejo gehen mit Ihnen nach Spanien, und Pablo Cortejo – hm.«
Er brach ab, um in ein nachdenkliches Schweigen zu verfallen.
»Was geschieht mit ihm?« fragte Sternau. – »Er bleibt hüben. Er ist meiner Gerichtsbarkeit verfallen. Übrigens hat er als Empörer den Tod verdient. Sprechen wir nicht weiter über ihn, wir haben heute abend genug Schreckliches zu sehen und zu hören gehabt.«
Am anderen Tag bemerkten die Nachbarn des Palastes der Rodriganda, der nach Abzug der Franzosen fast leergestanden hatte, daß derselbe jetzt von mehr Personen als vorher bewohnt sei. Aber wer diese Personen seien, erfuhr niemand. Diese letzteren ließen sich nicht sehen, da die Kunde, daß Graf Ferdinando noch lebe, nicht eher nach Spanien dringen sollte, als dieser selbst dort angelangt war.
Es gab in Schnelligkeit sehr vieles und Schwieriges zu ordnen, und nach einiger Zeit trabte des Nachts eine ziemliche Anzahl von Reitern, die einige Wagen umgaben, durch die Stadt, um den Weg einzuschlagen, den die Diligence zu fahren pflegte, wenn sie nach Verakruz ging.
Der alte, brave Haziendero nebst seiner Tochter Emma und seinem Schwiegersohn Helmers blieben zurück. Sie hatten von dem Grafen den Auftrag bekommen, die Verwaltung seiner mexikanischen Besitzungen unter dem Schutz des Präsidenten einstweilen zu übernehmen.
Eine kurze Zeit später verlautete das Gerücht, daß der verschwundene Prätendent Pablo Cortejo, lächerlichen Andenkens, ergriffen worden sei. Und bald darauf erzählte man sich, daß er, als Anführer und auch noch aus anderen Gründen zum Tode verurteilt, im Hof des Gefängnisses eine Kugel vor den Kopf bekommen habe.
25. Kapitel
Der Personenzug, der von Hof über Reichenbach mittags gegen halb zwölf Uhr in Dresden einzutreffen pflegt, war soeben in den böhmischen Bahnhof eingelaufen, und den geöffneten Waggons entstiegen hunderte von Passagieren, die sich freuten, ihr Ziel erreicht zu haben.
Unter diesen befanden sich zwei, die die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es waren eine Dame und ein Herr. Die erstere ging in Seide gekleidet und hatte ihr Gesicht mit einem Schleier verhüllt. Solche Erscheinungen sind auf einem Bahnhof nichts Seltenes, und so wäre sie nicht so beobachtet worden, wenn ihr Begleiter sich ebenso unauffällig getragen hätte.
Dieser aber hatte sich auf eine Weise gekleidet, die in Dresden nichts weniger als gewöhnlich war. Seine Hose war weit und aus einem rot und himmelblau karierten Stoff gefertigt. Sie wurde um die Hüften von einem grünen Schal festgehalten, in dem drei Pistolen, zwei Messer und drei Revolver steckten. Dann kam eine weiß und violettgestreifte Weste, aus deren Taschen zwei Uhrketten hingen, an denen einige Dutzend Petschaften und Berloques befestigt waren. Darüber sah man eine kurze, dunkelrote Jacke, die reiche Goldstickereien zeigte. Um den offenen Hals war ein gelbseidenes Tuch gebunden, dessen Zipfel über beide Schultern geworfen, weit auf den Rücken hinunterhingen. Dazu trug der Mann einen riesigen Sombrero, der zehn Köpfen Schutz gegen die Sonne hätte geben können, und in der rechten Hand einen grauen Regenschirm, während die Linke das Rohr einer langen Tabakspfeife hielt, aus der er mächtige Rauchwolken blies. Außerdem hatte er einen großen, mit einer breiten Horneinfassung versehenen Klemmer auf der Nase und an den Lackstiefeln Sporen, deren Räder so groß waren, daß man sie als Deckel eines Kaffeetopfes hätte benützen können.
Dieser Mann war mit seiner Dame aus einem Kupee erster Klasse gestiegen. Er blickte sich auf dem Perron um und winkte mit der Pfeife einen Kofferträger herbei.
»Heda, Mann, sind Sie ein Sachse?« fragte er ihn. – »Ja, mein Herr«, antwortete der Gefragte, indem er seine Mütze höflich vom Kopf riß. – »Kennen Sie Pirna?« – Ja, mein Herr.« – »Waren Sie schon dort?« – »Oh, sehr oft.« – »Das freut mich. Da sollen Sie uns bedienen dürfen. Wo ist das Wartezimmer erster Klasse?« – »Ich bitte, nur durch diese Tür zu treten.« – »Schön! Bringen Sie uns das Gepäck nach, das sich noch im Kupee befindet, und dann besorgen Sie uns eine Droschke bester Klasse. Das Passagiergut lasse ich vom Hausknecht des Hotels holen.«
Er hatte diese Worte mit der Miene und dem Ton eines Oberfeldherrn gesprochen, der seiner Generalität die Schlachtbefehle erteilt. Dann trat er in das Wartezimmer, wo er gravitätisch Platz nahm. Aller Augen ruhten mit halb erstaunten und halb lustigen Blicken auf ihm.
Als der Kofferträger eintrat, brachte er zwei Gewehre in Mahagonifutteralen, ein Gebauer mit drei Papageien, einen mexikanischen Reitsattel, den er sich der Schwere wegen mit dem Bügelriemen auf den Rücken gehängt hatte, einen Säbel, ein riesiges Fernrohr und ein Dutzend Bauernhasen.
Letzte sind ein der Stadt Freiberg eigentümliches Gebäck, das Reisende oft auf dem dortigen Bahnhof einkaufen, um es als Kuriosität mit in die Heimat zu nehmen.
Nachdem der Kofferträger diese Sachen abgelegt hatte, ging er, um nach einer Droschke zu sehen. Ein Kellner eilte herbei und fragte unter einer tiefen Verneigung, ob die Herrschaften etwas zu trinken wünschten. Der Fremde musterte ihn vornehm und antwortete:
»Na! Natürlich trinken wir etwas. Aber, hm, kennen Sie Pirna?« – Ja, mein Herr.« – »Waren Sie einmal dort?« – »Nein, mein Herr!« – »Nicht? Ah, dann packen Sie sich! Wir trinken nichts!«
Man sah, daß die Dame ihm eine leise, bedenkliche Bemerkung zuflüsterte, er aber nahm keine Notiz davon.
Jetzt kehrte der Dienstmann mit dem Lenker der Droschke zurück. Letzterer fragte:
»Wohin wünschen Sie, mein Herr?« – »Ins feinste Hotel, ins allerfeinste.« – »Wünschen Sie Hotel de Saxe, de Rome, Bellevue oder Union?« – »Bellevue, Bellevue! Aber gleich!«
Die beiden dienstbaren Geister nahmen die Effekten auf, um sie nach der Droschke zu tragen, und er folgte ihnen mit der Dame.
»Donnerwetter!« flüsterte er ihr in spanischer Sprache zu. »Siehst du, welches Aufsehen wir erregen, Resedilla?«
Sie antwortete nicht.
Draußen am Ausgang stand ein Stadtgendarm. Als er den Fremden kommen sah, machte er ein höchst erstauntes Gesicht, fixierte ihn einige Augenblicke lang, trat dann schnell zu ihm heran und fragte in höflichem Ton:
»Entschuldigung, mein Herr! Sie befinden sich wohl jedenfalls im Besitz eines Waffenpasses?«
Der Fremde nahm den Klemmer ab, blies eine Rauchwolke von sich, maß den Polizisten vom Kopf bis zur Sohle und antwortete:
»Waffenpaß? Warum denn?« – »Weil Sie Waffen tragen.« – »Darf ich das nicht?« – »Nein.« – »Sie sind ja mein Eigentum.« – »Das ist noch kein Grund, eine solche Menge von Waffen in einem Land zu tragen, dessen Zustände sehr gesicherte sind. Sind diese Pistolen und Büchsen geladen?« – »Nein.« – »Sie sind jedenfalls fremd. Darf ich um Ihre Legitimation bitten?«
– »Legitimation? Donnerwetter! Halten Sie mich etwa für einen Räuberhauptmann?« – »Das nicht«, antwortete lächelnd der Polizist. »Aber wir erregen hier die Aufmerksamkeit des Publikums. Bitte, folgen Sie mir hier herein!«
Er öffnete eine Tür, an der das ominöse Wort »Polizei« zu lesen war, und die beiden sahen sich gezwungen, einzutreten. Als sie nach einer Weile wieder erschienen, trug der Fremde seinen Schal so breit, daß man die darin steckenden Waffen nicht sehen konnte. Sein Gesicht zeigte eine ärgerliche Miene, und in grimmigem Ton sagte er zu seiner Begleiterin:
»Das will Dresden sein? Donnerwetter, man arretiert mich hier. Hätten sie nur ein einziges Pulverkörnchen in den Läufen gefunden, so wäre ich gar noch eingesperrt worden, ich, du und die Papageien. Kein Mensch sieht mich auf diesem Bahnhof wieder!«
Der Fremde stieg mit Resedilla, die sich unter ihrem Schleier ganz schweigsam verhielt, in die Droschke, die sie in kurzer Zeit vor das erwähnte Hotel brachte. Ein an der Tür stehender Kellner sprang herbei und öffnete unter einer höchst devoten Verbeugung den Schlag des Wagens. Er mochte den Insassen für einen ägyptischen General oder so etwas Ähnliches halten.
»Kennen Sie Pirna?« fragte Pirnero. – Jawohl, mein Herr«, antwortete der Gefragte mit einem ausdrucksvollen, vielsagenden Lächeln. – »Was lachen Sie denn? Ist denn mit Pirna etwas los?« – »O nein, ganz und gar nicht! Pirna ist ja das sächsische Buxtehude oder Schöppenstädt.«
Da wurde das Gesicht des Mexikaners um das Doppelte grimmiger.
»Was? Wie?« rief er aus. »Schöppenstädt? Buxtehude? Und dieses Nest hier soll Bellevue, das Hotel ersten Ranges sein? Kutscher, gibt es an der Elbe Dampfschiffe?« – »Natürlich, mein Herr!« – »Die nach Pirna fahren?« – Ja. Ich glaube, in fünf Minuten geht eins ab.« – »Rasch hin! Dieses Dresden ist mir ein schönes Dorf. Arretur und Buxtehude. Ich fahre nach Pirna. Dort wird es wohl noch Menschen geben, mit denen sich reden läßt.«
Die Droschke setzte sich abermals in Bewegung, um ihre Insassen nebst deren Eigentum nach dem Schiff zu bringen. Es war gerade die höchste Zeit.
Auch hier erregte Pirnero bei den Fahrgästen ein solches Aufsehen, daß er es vorzog, in der Kajüte zu verschwinden. Er kam nicht eher wieder zum Vorschein, als bis das Schiff in Pirna anlegte, wo er sein Gepäck nach dem Ratskeller tragen ließ, der ihm von früher her bekannt war. Er folgte mit Resedilla dorthin.
Sein Gesicht war wieder hell geworden. Er blickte sich nach allen Seiten um.
»Fürchterlich verändert das gute Nestchen! Ich kenne es gar nicht wieder. Jetzt wirst du sehen, daß es hier ein ganz anderes Ding ist als mit diesem Loch, dem Dresden. Dort wohnt jetzt nur Plebs, das haben wir ja gesehen. Aber hier in Pirna ist der eigentliche Sammelpunkt der sächsischen Aristokratie. Du wirst das sofort merken.«
In der Restauration des Ratskellers war kein Gast vorhanden. Der Wirt und seine Bedienung waren nicht wenig erstaunt über die fremdartige Erscheinung der Eingetretenen. Doch war leicht einzusehen, daß dieselben nichts Gewöhnliches seien, und so wurden sie in feinster Manier empfangen.
Um zu imponieren, sprach Pirnero nur das Allernötigste und bestellte sich ein Mittagsmahl, das er bereits nach kurzer Zeit erhielt. Während er mit seiner Tochter speiste, trat ein Mann ein, der sich an einen nahestehenden Tisch setzte und ein Glas Bier verlangte. Pirnero beobachtete ihn von der Seite. Er sah, wie er angestaunt wurde, und glaubte nun, den richtigen Augenblick gekommen, dem lauschenden Wirt wissen zu lassen, was für einen außerordentlichen Gast zu bedienen er die Ehre habe.
»Schönes Wetter!« meinte er, eine Viertelwendung nach dem Neuangekommenen machend.
Dieser wußte nicht, ob er gemeint sei, und schwieg.
»Nun?«
Dabei drehte er sich vollständig um, so daß der Mann nun nicht mehr im Zweifel sein konnte, daß der Herr mit ihm rede.
»Ja, sehr schön«, antwortete er darum. – »Der reine Sonnenschein.« – »Können ihn auch gebrauchen.« – »Wieso?« – »Weil Sonnenschein gutes Obst gibt. Ich handle nämlich mit Obst.« – »Ah!« fuhr Pirnero auf. »Vielleicht auch mit Meerrettich?« – »Auch.« – »Hat es hier in Pirna nicht schon früher Meerrettichhändler gegeben?« – »Jawohl.« – »Wie hießen sie denn?« – »Hm! Es waren ihrer viele.« – »Ich meine einen, der sehr berühmt war. Er starb in der Ausübung seines Amtes und Berufes.« – »Wieso denn?« – »Er ertrank im Garten. Hieß er nicht Matzke?« – »Ah, Sie meinen den alten Matzke, den Trunkenbold, den Schnapsbruder? Der ist auch nur ersoffen, weil er besoffen war.« – »Donnerwetter! Da irren Sie sich wohl! Ich meine den Matzke, dessen Sohn Essenkehrer war!« – »Jawohl ist der‘s!« – »Der Sohn starb auch in der Ausübung seines Berufes.« – »Freilich. Er erstickte in der Feueresse, aber auch nur in der Trunkenheit. Die ganze Familie hat es von jeher mit dem Spiritus und Kornschnaps gehalten.«
Pirnero machte ein ganz eigentümliches Gesicht. Er schielte bedenklich zu Resedilla hinüber und antwortete:
»Sie sind wirklich im Irrtum! Ich meine den Essenkehrer, dessen Sohn nachher in die Fremde ging!« – »Ganz recht, ganz recht«, nickte der Mann eifrig. »Und das war erst der richtige Urian. Ich weiß ein Wort davon zu erzählen.« – »Wieso?« – »Nun, der Kerl hat mich um vier Taler angepumpt und ist nachher fortgelaufen. Er ist mir das Geld heute noch schuldig. Der sollte mir wiederkommen!« – »Sapperment! Wie heißen Sie denn?« – »Eberbach. Wir waren Schulkameraden und liefen immer miteinander. Aber in diesem Menschen war eben nichts Gutes. Vogel hat er gestellt, daß ihm die Polizei aufpaßte. Dann hatte er eine Liebste, die er nicht kriegen sollte. Zu der ist er auf der Leiter zum Bodenfenster hineingeklettert, und als ihr Vater dazugekommen ist, sind sie einander in die Haare gefahren im Stockfinstern. Der Alte ist dabei zur Treppe hinuntergestürzt und hat das Bein gebrochen, der Schlingel aber ist zum Fenster hinaus und auf der Leiter hinunter entkommen, und am anderen Morgen ist er über alle Berge gewesen. Seitdem hat man nichts wieder von ihm gehört. Er soll nur wiederkommen! Der Beinbruch kann ihn noch heute in das Gefängnis bringen. Haben Sie ihn etwa irgendwo gesehen?«
Pirnero würgte ein Stück Schweinskarbonade hinunter, schluckte und drückte und antwortete erst nach einer ganzen Weile:
»Fällt mir ganz und gar nicht ein!« – »Aber wie kommen Sie als Fremder denn auf diese Familie Matzke zu sprechen?« – »Es wurde auf dem Schiff von ihr geredet.« – »Hm! Woher sind Sie denn eigentlich?« – »Aus – aus – aus Rheinswalden!« platze Pirnero heraus. – »Wo liegt denn das?« – »Bei Mainz.« – »Und was sind Sie denn?« – »Großherzoglich-hessischer Hauptmann und Oberförster. – »Ach so. Tragen die Hessen denn solche Uniform?« – »Ja, seit drei Wochen. Wirt, was habe ich zu bezahlen?«
Der Wirt machte die Rechnung. Pirnero bezahlte und fragte dann seine Tochter leise:
»Gefällt es dir hier in Pirna, Resedilla?« – »Bei deiner sächsischen Aristokratie?« lachte sie. »Ganz und gar nicht. Aber, Vater, was höre ich da für Sachen!« – »Pst! Pst! Sprich leise!« sprach er ängstlich. »Wenn die hier hören, daß ich früher Matzke geheißen habe, so geht es mir traurig. Ich mache mich zum zweiten Male aus dem Staub und komme niemals wieder. Der Teufel hole Pirna! Ich habe nicht gedacht, daß so ein blutdürstiges Volk hier wohnt. Wir fahren nach Dresden zurück und lassen uns das Passagiergut holen und fahren von einem anderen Bahnhof ab nach Leipzig. Auf dem Böhmischen Bahnhof soll mich kein Mensch wieder erblicken. In Leipzig kaufe ich mir andere Kleider, und dann können wir es einrichten, daß wir zur verabredeten Zeit in Mainz und Rheinswalden eintreffen. Die anderen werden aus Spanien angekommen sein, Gerard mit ihnen.« – »Und was tun wir dann?« – »Erst sehen wir uns das Wiedersehen an, und darauf geht es nach Mexiko zurück.« – »Wirklich?« fragte sie, sichtlich erfreut. »Du wolltest doch in Pirna wohnen bleiben?« – »Sei still! Dieses Pirna kann mir gestohlen werden. Drüben in Mexiko sind Gerards Schwester und Schwager, André geht auch wieder hinüber zu seiner Emilia. Warum denn wir nicht auch? Von unserem Geld können wir dort ebensogut und noch besser leben als hier. Ich habe verteufelt wenig Lust, mich hier als ehemaligen Hausbodeneinsteiger und Beinbrecher arretieren zu lassen, sondern werde schleunigst verschwinden.«
Mit dem nächsten Schiff dampften sie wieder stromabwärts. Die Stadt Pirna ahnte nicht, welchen Besuch sie heute bei sich gesehen hatte.
26. Kapitel
Auf dem alten Polsterstuhl seines Arbeitszimmers saß der Hauptmann von Rodenstein und starrte verdrießlich vor sich nieder. Seine Beine steckten bis zu den Knien herauf in dicken, unförmlichen Filzstiefeln, über die noch eine wollene Pferdedecke doppelt gebreitet war. Vor ihm stand sein treuer Ludwig, ebenso finster und ratlos auf den Boden niederblickend.
»Ja«, sagte letzterer, »ich weiß auch kein Mittel, Herr Hauptmann.« – »Da bist du gerade ebenso gescheit wie die Ärzte oder ebenso dumm. Die Allopathen haben mich hingerichtet, die Hydropathen haben gar den Zapfen hinausgestoßen, und die Homöopathie bringt mich nun ganz um den Verstand. Da soll ich gegen den akuten Rheumatismus nehmen Akonit, Arnika, Belladonna, Loryonia, Chinin, Chamomilla, Merkur, Nux, Vomica, Pulsatilla, gegen den chronischen Arsenik Sulfur, Rhododendron. Phytolaca und Stillingia, gegen den herumziehenden Arnika, Pulsatilla, Belladonna, Moschus, Sabina, Sulfur, Almia und Capsia. Nun sage mir ein Mensch, was für ein Kräuter-, Pulver– und Pillensack aus mir würde, wenn ich das Zeug alles verschlingen soll! Hole es der Teufel! Wenn nur wieder einmal eine so famos gute Nachricht käme wie damals von unserem Sternau. Ich bin vor Freude aufgesprungen und war plötzlich so gesund wie ein Fisch im Wasser. Aber jetzt, da … ah, hat es nicht geklopft, Ludwig?« – »Ja, Herr Hauptmann!« – »Sieh nach!«
Ludwig öffnete die Tür. Draußen stand ein gespornter, uniformierter, junger Mensch.
»Wer sind Sie?« fragte Ludwig. – »Kurier Seiner Durchlaucht des Herrn Großherzogs an den Herrn Hauptmann von Rodenstein.« – »An mich?« rief der Alte. »Vom Großherzog? Herein!«
Der Kurier trat ein und überreichte ein wappengesiegeltes Schreiben.
»Soll Antwort erfolgen?« fragte der Oberförster. – »Nein.« – »Gut! Lassen Sie Ihr Pferd ausruhen und sich Essen geben. Sie wissen ja schon!«
Als der Mann abgetreten war, öffnete der Alte das Kuvert und las das Schreiben. Er war aber noch nicht zur Hälfte fertig, so warf er wie ein Knabe beide Arme empor.
»Juch! Juchhei! Juchheirassassa! Ludwig! Esel! Alter Knabe! Herunter mit den Stiefeln!«
Er war aufgesprungen und bemühte sich, die Stiefel von den Füßen zu schlenkern, was ihm bei der großen Weite der ersteren auch gelang. Ludwig war perplex.
»Aber, Herr Hauptmann! Die Stiefel – die Schmerzen!« – »Schmerzen? Unsinn! Ich habe keine Schmerzen. Ich bin geheilt; ich bin kuriert; der Rheumatismus ist zum Teufel! Der Großherzog hat mich geheilt. Weißt du, was in dem Brief steht?« – »Nein.« – »Nun, auch von dir steht etwas darin. Darum werde ich dir den Prachtwisch vorlesen. Du hast während der Schmerzen bei mir ausgehalten und nicht gemuckst, nun sollst du die Freudenbotschaft hören und dann mucksen.« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann. Ich werde mucksen, wenn es verlangt wird dahier!«
Der Hauptmann stand aufrecht ohne das mindeste Gefühl von Schmerzen da und las:
»Unserem lieben Hauptmann von Rodenstein. Es naht der Jahrestag des Festes, an dem Wir die Freude hatten, in der Verbindung der Gräfin Rosa de Rodriganda mit dem Herrn Doktor Sternau der Vereinigung zweier Herzen mit beizuwohnen, die Gottes Liebe und Güte füreinander bestimmt hatte. Da Wir anzunehmen geneigt sind, daß dieser Tag auf Rheinswalden und Rodriganda ein festlicher sein wird, so laden Wir Uns für den Abend desselben zu Gaste und werden eine Anzahl Unserer Herren und Damen des Hofes mitbringen, um zu beweisen, daß die Teilnahme der Genannten eine allgemeine sei.
Nachdenkend über die Art und Weise, wie dieser Feier am besten eine äußere Gestaltung zu geben sei, ist Uns der Gedanke gekommen, eine kleine Maskerade zu veranstalten. Die Damen und Herren, die sich in Unserer Begleitung befinden, werden vollständig maskiert abends präzis acht Uhr ankommen. Was nun die Maskierung der Bewohner Rheinswaldens betrifft, so haben Wir unserem Zeremonienmeister das Arrangement überlassen. Es ist dasselbe auf dem beiliegenden Entwurf enthalten, und übersenden Wir dieses in der Überzeugung, daß Wir bei Unserer Ankunft alle genannten Personen bereits maskiert finden.
Wir tun Ihnen dieses mit dem Befehl kund, es alle Bewohner der beiden Besitzungen schleunigst wissen zu lassen und verbleiben bis zum Wiedersehen Ihr wohlgewogener
Ludwig.«
Ludwig Straubenberger sperrte den Mund auf, so weit er konnte.
»Donnerwetter!« rief er, »ein Maskenball!« – »Ja, ein Maskenball mit dem Großherzog und der Großherzogin, mit dem ganzen anderen großherzoglichen Menageriegerümpel! Juchheirassassa! Heidideldumheirassa! Vivat, mein Podagra, meine Gicht, meinen Rheumatismus habe ich in den Filzstiefeln stecken gelassen! Schau, wie ich springen kann!«
Wahrhaftig, der Hauptmann stieg mit großen Schritten in der Stube umher und rief dabei:
»Und hier ist der Zettel, wie wir uns maskieren sollen. Horch: Frau Rosa Sternau und Frau Flora von Rodenstein, das ist meine Schwiegertochter, nebst Frau Herzogin von Olsunna und Fräulein Waldröschen als Mexikanerinnen. Herr Herzog von Olsunna, Herr Otto von Rodenstein als Mexikaner. Frau Helmers als Schifferin, Ludwig Straubenberger als Präriejäger und Herr Hauptmann von Rodenstein als …«
Er hielt im Lesen inne und starrte auf das Papier.
»Alle Graupelwetter! Was steht denn da?« rief er. – »Also ich als Präriejäger?« fragte Ludwig. – »Ja.« – »Das gefällt mir! Das ist allerliebst!« – »Ja, ja. Aber meins ist nicht allerliebst. Da steht … Donner und Doria! Da steht mit wirklichen Buchstaben geschrieben: ›Herr Hauptmann von Rodenstein als Wilddieb, hat eine Larve mit möglichst langer Nase vorzustecken.‹ Ist das nicht impertinent?« – »Sehr. Aber man hat zu gehorchen.« – »Werde sehen. Ich, der Hauptmann und Oberförster von Rodenstein als langnasiger Wilddieb! So eine Maliziosität ist mir all mein Lebtag noch nicht vorgekommen! Die lange Nase ginge noch, aber der Wilddieb wurmt mich. Was nur dem Herzog eingefallen ist! Na, ich werde mir das Ding doch erst einmal überlegen. Jetzt aber muß ich hinüber nach Rodriganda, um denen da drüben den Brief und das Verzeichnis zu übergeben. Es stehen noch mehr Personen darauf, ich habe aber keine Zeit, es zu lesen.« – »Werden der Herr Hauptmann denn auch hinüberlaufen können?« fragte Ludwig besorgt. – »Warum denn nicht? Ich möchte den Rheumatismus sehen, der mich verhindern könnte, einen großherzoglichen Maskenball mitzumachen! Ein Wildspitzbube muß laufen können. Siehe dich nach dem Kurier um, daß er gehörig zu essen und zu trinken bekommt. Der Kerl hat es verdient«
Der Hauptmann humpelte wirklich die Treppe hinab und durch den Wald nach Rodriganda, wo seine Botschaft großes Aufsehen hervorbrachte.
27. Kapitel
Die Bewohner des schönen Landsitzes Rodriganda waren bereits von allem unterrichtet, was in Mexiko geschehen war, und vor einigen Tagen war aus Spanien durch Sternaus Hand die Nachricht gekommen, daß alles gut gehe und der falsche Alfonzo nebst der Schwester Clarissa sich bereits in Haft befinde. Zarba, die Zigeunerin, hatte man nebst ihrer Bande nicht aufzufinden vermocht, was um so auffälliger war, da auch Tombi, der Waldhüter, aus Rheinswalden verschwunden war. Dafür aber hatte man den alten Dominikaner aufgefunden, der Marianos Jugendlehrer gewesen war, seine Abstammung aus der Beichte des Bettlers Pedro kannte und Sternau aus dem Gefängnis zu Barcelona befreit hatte. Daran hatte letzterer die Bemerkung geschlossen, daß es ihm und seinen Gefährten vielleicht möglich sei, nach Verlauf von vierzehn Tagen nach Rheinswalden aufzubrechen.
Diese Nachricht hatte alle mit großer Freude und Wonne erfüllt. Endlich, endlich stand das so heißersehnte Wiedersehen bevor. Der Seelenzustand der Bewohner von Rheinswalden und Rodriganda läßt sich gar nicht beschreiben, er war ein fast fieberhafter zu nennen.
Zu dieser gehobenen, freudigen Stimmung paßte ganz der Vorschlag, den der Großherzog in seinem Schreiben machte. Er war von dem Herzog von Olsunna in einer Audienz von dem Stand der Dinge unterrichtet worden, und es lag auf der Hand, daß er mit der Maskerade bezweckte, ein Bild des Volkes zu geben, in dessen Mitte die Zurückerwarteten so viele Freunde, aber auch ebenso viele Feinde gefunden hatten.
Selbstverständlich wußte niemand, daß auch die Zurückkehrenden als Maskierte erscheinen würden.
Die Anweisung des Zeremonienmeisters war eine sehr ausführliche. Der Hauptmann hatte sie seinem Ludwig nicht vollständig vorgelesen. Sie enthielt genau Angaben über die Kleidung der einzelnen Personen. Daß jeder das Gesicht mit einer Larve zu verhüllen hatte, war selbstverständlich.
Die Vorbereitungen zu dem Fest begannen auf der Stelle, und am Tag vor dem Fest waren alle Gaderobenstücke fertiggestellt.
Waldröschen befand sich wie in einem glücklichen, wonnigen Traum. Sie sollte den Vater sehen, den ihre Augen noch nie erblickt hatten, und den – Geliebten. Die Erwartung trieb sie bin und her und auf und ab. Gegen Abend des erwähnten Tages konnte sie es im Schloß nicht aushalten, sie mußte hinaus in ihren lieben Wald, um sich die Szene des frohen Wiedersehens zum tausendsten Male in einsamer Stille auszumalen.
Zu derselben Stunde saßen in einem Dickicht zwei Männer beisammen, die leise miteinander sprachen.
»Ob Sie sich nicht irren werden, lieber Geierschnabel«, flüsterte der eine. – »Sicher nicht, Master Sternau«, antwortete der andere. »An jedem der vier Tage, die ich hier auf der Lauer lag, ist der alte Graf im Wald herumspaziert. Er spricht leise vor sich hin und findet sich vor der Dämmerung nach dem Schloß zurück. Er scheint die Wege zu kennen.« – »Gott gebe, daß es mir gelingt! Wie gern hätte ich meinem Herzen gefolgt, aber es galt, den Willen des Großherzogs zu berücksichtigen. Ah, da höre ich Schritte!«
Sie lauschten. Es nahte jemand leise, langsam, fast schleichend. Graf Emanuel war es, der wie ein Nachtwandler geistesabwesend vorüberging. Sternau huschte hervor, ging ihm nach und holte ihn ein.
Der Graf erschrak nicht, als er ihn bemerkte, sondern setzte teilnahmslos seinen Weg fort, als ob niemand vorhanden sei. Sternau grüßte ihn und versuchte, mit ihm zu sprechen, erhielt aber keine Antwort als ein monotones: »Ich bin der gute, treue Alimpo.«
Sternau ergriff daraufhin die Hand des Grafen, sie wurde ihm auch ohne Widerstand gelassen. Er blieb stehen, um die halbgeschlossenen Lider des Geisteskranken emporzuziehen. Dieser ließ es ruhig geschehen und leistete auch nicht den leisesten Widerstand, als Sternau eine eingehende Untersuchung des Körpers vornahm.
Schließlich zog der Arzt ein Fläschchen und ein Löffelchen aus der Tasche, ließ aus dem ersteren in dieses einige Tropfen fließen und reichte sie dem Grafen, der sie wie ein Kind nahm und hinunterschluckte.
»Pst! Man kommt!« warnte Geierschnabel, der den Wächter machte und nach dieser Mahnung sofort verschwand.
Auch Sternau wollte sich zurückziehen, doch zu spät. Er konnte nur noch Flasche und Löffel verbergen, dann stand – Waldröschen vor ihm.
Sie blickte den großen Mann mit dem langen, prachtvollen Bart ein wenig befremdet an, aber nach diesem ersten Blick wurde ihr Auge mild und freundlich. Es war ihr, als ob sie diese Gestalt und dieses ernste, bedeutende Gesicht bereits längst gekannt habe, eine Regung, die sie an sich noch niemals beobachtet hatte.
»Wer sind Sie mein Herr?« fragte sie in freundlichem Ton, der keine Spur von Zudringlichkeit hatte.
Sternau hatte sie sofort erkannt. Das war nicht nur das Original jener Fotografie, die er in der Kajüte auf Lindsays Dampfer gesehen hatte, sondern das Ebenbild seiner Rosa, aber verjüngt und verschönt durch ein seelisches Etwas, das sich nicht in Worten beschreiben läßt.
Er hätte die Arme fest um sein Kind schlingen mögen, aber er beherrschte sich und antwortete im Ton eines höflichen Unbekannten:
»Ich bin Landschaftsmaler, mein Fräulein, und durchstrich den Wald, in der Hoffnung, ein Sujet zu einer kleinen Skizze zu finden. Dabei traf ich diesen Herrn, der mir des Schutzes bedürftig zu sein schien; daher begleitete ich ihn.« – »Ich danke Ihnen. Er ist mein Großpapa. Er ist sehr krank, doch kennt er den Weg so genau, daß er sich nie verirrt. Wollen Sie nicht weiter mitkommen? Vielleicht finden sich in der Nähe des Schlosses Punkte, die Ihrem Künstlerauge genügen.« – »Sie sind gütig, mein Fräulein, aber leider ist meine Zeit so kurz bemessen, daß ich heimkehren muß.« – »Wo wohnen Sie?« – »In Mainz. Darf ich fragen, wem dieses Schloß gehört?« – »Meinem Großpapa, dem Herzog von Olsunna.« – »Ah, Verzeihung, gnädiges Fräulein, daß ich das nicht ahnte!«
Sternau zog den Hut abermals, aber viel tiefer als vorher und machte dazu eine höchst respektvolle Verbeugung.
»O bitte«, meinte Waldröschen, indem sie ein reizendes, goldenes Lachen hören ließ. »Man beansprucht hier auf dem Lande keine solche Verehrung. Ich habe Sie noch nie gesehen. Durchstreifen Sie öfters unseren Wald?« – »Ich war noch niemals hier, fürchte auch, Ihr Mißfallen …« – »O nein«, unterbrach sie ihn schnell. »Die Natur ist ja jedes Eigentum, und jeder hat das Recht, ihre Schönheit zu bewundern. Vielleicht treffen wir uns noch einmal hier.« – »Ich würde glücklich darüber sein.« – »Oh, ich liebe die Kunst, die es sich zur Aufgabe stellt, uns Gott in seinen Werken erkennen zu lassen. Sehen wir uns wieder, so können wir dieses Themas festhalten! Adieu, mein Herr. Komm, lieber Großpapa.«
Waldröschen verbeugte sich mit entzückender Anmut, ergriff die Hand des Grafen und schritt mit diesem davon.
Sternau blickte ihr nach, so lange er konnte, dann lehnte er sich an den Stamm des nächsten Baumes, faltete die Hände, hob die Augen zum Himmel empor und betete halblaut:
»Mein Gott, wie reich hast Du mich mit Deiner Güte begnadigt! Jeder Augenblick meines Lebens soll ein Dankgebet für Dich sein!«
Der nächste Tag brach hell und goldig an, und reges, frohes Leben herrschte in dem Schloß. In Küche und Keller legte man die letzte Hand an. Alles sah dem Abend mit Spannung entgegen. Niemand ahnte, was er in Wirklichkeit bringen werde. Aller Stirnen zeigten Heiterkeit, doch wurde diese gestört, als man gegen Mittag die Entdeckung machte, daß Graf Emanuel noch nicht von seinem Schlaf erwacht sei. Man versuchte, ihn zu wecken, doch vergebens. Nun wurde ein Bote nach dem Arzt geschickt. Dieser kam, untersuchte den Kranken und beruhigte dessen Verwandte durch die Versicherung, daß es sich hier nicht um einen besorgniserregenden Zustand, sondern um einen ungewöhnlich festen Schlaf handle, wie er bei solchen Patienten nicht sehr selten zu beobachten sei. Da er sich bereit erklärte, bei dem Schläfer bis zu dessen Erwachen zu bleiben, so kehrte nach dieser Unterbrechung die gute Stimmung bald zurück.
Um die vom Herzog angegebene Zeit erstrahlten alle Gesellschaftsräume im Lichterglanz. Alle fanden sich ein, alle trugen Masken, nur die Herzogin, Sternaus Mutter, nicht, da sie die Gäste empfangen wollte.
Die mexikanische Nationaltracht kleidete die Herren und besonders die Damen außerordentlich gut. Gräfin Rosa glich einer Königin des Sonnenreiches von Anahuac, wurde aber doch noch überstrahlt von dem Liebreiz Röschens, die sich in dieser Verkleidung geradezu bezaubernd ausnahm.
Der kleine Alimpo stolzierte an der Seite seiner Elvira her. Er als Indianerhäuptling und sie als Indianerin waren trotz dieser Umwandlung zu erkennen. Auch der alte Hauptmann war eingetroffen mit seiner riesigen Nase, in deren Schatten Ludwig als Präriejäger sich bewegte.
Da hörte man Karossen rollen, und einige Augenblicke später drangen zahlreiche Gestalten in den Saal, männliche und weibliche, große und kleine, glänzende und bescheidene. Es erfolgte zunächst ein wirres Durcheinander, ein Suchen, Prüfen, Finden, Zweifeln und wieder Verlieren, bis endlich einige Ordnung in die Bewegung zu kommen schien. Von den Schloßbewohnern vermutete natürlich niemand, daß Sternau und die anderen Erwarteten darunter waren, denn dieselben sollten ja direkt von der Reise eintreffen.
Kein einziges Gesicht war zu erkennen, alle waren durch Larven unkenntlich gemacht; sogar Sternaus Mutter hatte gleichfalls eine vorgenommen, als sie erkannte, daß es bei dem schnellen Eintritt der Gäste unmöglich sei, dieselben nach den gegebenen Regeln zu empfangen.
Von den Masken, die Paare bildeten, hatten zwei sich sofort und zu allererst zusammengefunden; der Oberförster hatte unweit des Einganges gestanden, als die Gäste kamen; da war einer derselben auf ihn zugesprungen und hatte ihm unter einem Schlag auf die Schulter zugerufen:
»Spitzbube! Wilddieb! Wollen wir Kompanie machen?«
Der Sprecher trug dieselbe Kleidung wie der Alte und hatte eine ebenso lange Nase.
»Halte den Mund, Kerl!« schimpfte der Hauptmann. »Es ist ja nur Verkleidung!« – »Das wollen wir untersuchen. Komm, Bursche!«
Der Langnasige faßte den Alten an und riß ihn mit sich fort. Als dieses Paar ein entferntes Zimmer erreicht hatte, wo sie unbelauscht waren, meinte die andere Maske:
»Sie sind der Herr Hauptmann Rodenstein?« – »Ja, aber ich darf es nicht verraten, so lange ich diese verteufelte Maske trage. Wer sind denn Sie?« – »Raten Sie!« – »Unsinn, raten! Nehmen Sie diese Nase herunter, damit ich Ihre Visage betrachten kann.« – »Das geht nicht, mein Lieber. Diese Nase ist leider angewachsen.« – »Donnerwetter! Das macht mir niemand weis. Eine solche Gesichtsturbine kann es in Wirklichkeit gar nicht geben.« – »Überzeugen Sie sich.«
Der Sprecher zog ein Tuch aus der Tasche und wischte sich mit demselben die roten und schwarzen Farben aus dem Gesicht Der Alte starrte ihn mit immer größer werdenden Augen wie abwesend an und rief:
»Alle guten Geister loben … Das ist ja …« – »Nun, wer denn?« – »Storch – ja Storchschnabel!« – »Falsch.« – »Kreuzschnabel.« – »Falsch.« – »Grünschnabel.« – »Noch falscher.« – »Löffelgans.« – »Hurrje! Sind Sie denn verrückt? Ist das Wort Geierschnabel denn so schwer zu merken?« – »Geierschnabel! Ah, ja, Geierschnabel! Aber, Kerl, auf welche Weise bringt denn der Geier seinen Schnabel wieder hierher?« – »Das werden Sie sehr bald erfahren. Aber, sagen Sie einmal, ob Sie wissen, in welchem Zimmer sich Graf Emanuel befindet.« – »Natürlich weiß ich es.« – »Zeigen Sie mir die Tür.« – »Warum, Sie Teufelsschnabel?« – »Fragen Sie nicht, sondern halten Sie den Hauptmannsschnabel!«
Dabei faßte Geierschnabel den Hauptmann an und zog ihn aus dem Zimmer.
Alimpo und Elvira waren zwei Indianern nebst einer Indianerin in die Hände geraten, die dem Ehepaar nicht wenig zu schaffen machten. Auf Frau Helmers war ein Schiffer zugeeilt, hatte ihren Arm in den seinen genommen und sie mit sich fortgeführt. Sie traten in ein kleines Zimmer, die Tür desselben wurde verschlossen, und dann ließ sich ein Jubelschrei im Inneren vernehmen. Kurts Vater hatte sich seiner Frau zu erkennen gegeben.
Ein kleiner Kerl, als Präriejäger gekleidet, trat auf Ludwig zu und faßte diesen beim Arm.
»Glück gehabt auf der Jagd, Kamerad?« fragte er. – »Das ist Neugier!« meinte Ludwig. »Aber heute abend wird es gemütlich. Wollen wir in Gemeinschaft einen Bock schießen dahier?« – »Meinetwegen. Komm, Kumpan! Ich kenne einen Wechsel, wo du ganz sicher zum Schuß kommst.«
Auch die beiden verließen den Saal. Es gab im Schloß Zimmer genug zu allerlei Szenen unter vier Augen. Der brave Ludwig folgte dem Kameraden in eins derselben. Dort nahm der letztere seine Larve ab.
»Ludwig Straubenberger, kennst du mich?« fragte er.
Der Gefragte starrte den Sprecher an, schüttelte den Kopf und antwortete:
»Dieses Gesicht muß ich schon einmal gesehen haben, aber wo? Ich kann mich nicht besinnen.« – »So will ich es kurz machen und es dir sagen. Ich bin der Brauer Andreas Straubenberger, dein ehemaliger Nebenbuhler, jetziger Bruder und glücklicher Bräutigam einer ganz famosen Heißgeliebten.«
Da erbleichte Ludwig. Er griff in die Luft, als ob er fallen wollte.
»Ist‘s wa– wahr«, stotterte er. – »Natürlich, ja. Herunter mit deiner Larve, damit ich dein gutes, liebes Gesicht zu sehen bekomme!«
Nun hätte ein Lauscher in diesem Zimmer ein zweistimmiges Schluchzen hören können, das von Freudenrufen unterbrochen wurde.
Waldröschen hatte an der Seite der Mutter gestanden. Da war ein geschmeidiger, reichgekleideter Mexikaner auf sie zugetreten, hatte sich tief verneigt und dann ihren Arm in den seinigen genommen, um langsamen Schrittes mit ihr im Saal auf und ab zu spazieren.
»Darf ich um Ihren Namen bitten, Señorita?« fragte er.
Die Larve war Schutz genug, die Stimme nicht erkennen zu lassen.
»Wozu? Sie würden meinen mexikanischen Namen doch nicht auszusprechen vermögen«, antwortete sie. – »Den Ihrigen jedenfalls. Im Falle der Not aber würde ich ihn deutsch aussprechen.« – »Da klingt er häßlich.« – »Wie? Ist ›Waldröschen‹ ein so häßliches Wort?« – »Ah, Sie erkennen und verraten mich! Das ist nicht chevaleresk von Ihnen. Es muß bestraft werden.«
Sie entzog ihm rasch ihren Arm und entfloh. Sie wollte ihre Mutter aufsuchen, fand dieselbe aber auch bereits engagiert.
Ein hoch und breit gebauter Mexikaner, unter dessen Larve ein mächtiger Bart hervorwallte, hatte von Geierschnabel einen Wink erhalten und war ihm hinaus auf den Korridor gefolgt.
»Da hinten, die vorletzte Tür, Master Sternau.« – »Schön. Ich danke.«
Sternau schritt auf diese Tür zu, klopfte an und trat ein. Der Arzt saß am Bett des Schläfers. Sternau bog sich wortlos über den letzteren, schob seine Augenlider empor, prüfte die Pupille und beobachtete den Schlag des Pulses.
»Ein krampfhafter Schlaf, nicht gefährlich«, erklärte der Arzt, der glaubte, einen Herrn des großherzoglichen Hofes vor sich zu haben.
Sternau zuckte wie mitleidig die Achsel und antwortete:
»Dieser Kranke wird in fünf Minuten erwachen und gesund sein.«
Nach diesen Worten verließ Sternau das Zimmer und kehrte nach dem Saal zurück. Dort ging er auf Rosa zu und legte ihre Hand auf seinen Arm. Es war ihr, als ob die Hand dieses kräftigen Mannes zittere. Sie mußte bei dem Anblick dieser Gestalt an ihren Gatten denken.
Er führte sie in eine Fensternische und sagte:
»Ich möchte Ihnen zu dem heutigen Tag gratulieren, gnädige Frau. Werden Sie mir das erlauben?«
Seine Stimme hatte einen vibrierenden, belegten Ton, dessen Ursache nicht allein die Maske sein konnte.
»Ich danke Ihnen, Señor«, antwortete sie. »Dieser Tag ist für mich leider mehr ein Tag der Trauer als der Freude.« – »Ich halte ihn aber dennoch nur für einen Tag der Freude.« – »So sind Ihnen die Verhältnisse meiner Familie unbekannt.« – »Nicht doch, ich kenne sie sehr genau und weiß, daß Ihrer eine große Freude wartet.« – »Wo?« – »Vertrauen Sie sich mir an, so werde ich es Ihnen zeigen.«
Sternau führte Rosa aus dem Saal hinaus und nach dem Krankenzimmer; wo er auf den ersten Blick bemerkte, daß sich die Wangen des Grafen zu röten begannen.
»Verlassen Sie uns!« gebot er dem Arzt. – »Verzeihung! Mein Platz ist hier«, antwortete dieser.
Da nahm Sternau Rosa ohne Umstände die Maske ab.
»Sie erkennen die Tochter dieses Patienten«, sagte er. »Das wird genügen, uns allein zu lassen.«
Der Arzt zog sich zurück. Rosa blickte auf den Maskierten und fragte:
»Was bezwecken Sie, Señor?« – »Bitte setzten Sie sich so zu Ihrem Papa, daß sein Blick sofort auf Sie fällt.« – »Wird er erwachen?« – »In einer halben Minute.« – »Wie gut! Ich glaubte ihn in Gefahr. Sind Sie Arzt?« – »Ein wenig. Bitte zu schweigen.«
Sternau ergriff die Hand des Patienten und behielt sie in der seinigen, bis er plötzlich sie losließ und hinter das Kopfende des Bettes trat.
Der Graf regte sich, öffnete die Augen, ließ sie langsam durch das Zimmer gleiten, wie einer, der vom Schlaf erwacht, bis sie Rosa trafen. Er blickte sie lange und forschend an und sagte mit leiser Stimme:
»Mein Gott! Wo bin ich? Was habe ich geträumt? Das ist ihr Gesicht und doch auch nicht. Rosa, meine liebe Rosa, bist du es? Wo ist Señor Sternau, der mich gerettet hat?«
Rosa war totenbleich geworden. Sie saß starr, als hätte sie der Schlag getroffen. Dann aber fuhr sie mit einem Schrei empor und rief:
»Vater, mein Vater. Kennst du mich? Kennst du mich wirklich?«
Da zog ein seliges Lächeln über sein Gesicht, und er antwortete:
»Ja, ich kenne dich. Du bist meine Rosa, mein Kind. Du bist heute anders als sonst, aber du bist es doch. Laß Cortejo und Clarissa und Alfonzo nicht zu mir. Sternau mag wachen. Ich bin so müde, ich muß schlafen. Komm, gib mir den Abendkuß, mein Kind, und sei morgen recht bald bei mir.«
Da hob sich Rosas Brust, als ob sie gesprengt werden solle, ihre Lippen und Zähne preßten sich zusammen, aber sie vermochte nicht, das, was sich in ihr aufbäumte, zurückzudrängen. Ein fast unmenschlicher Schrei kam aus ihrem Mund, eine ganze Flut von Tränen aus ihren Augen, und dann lagen ihre Lippen auf denen des Vaters. Sie drückte das teure Haupt an ihre Brust, sie küßte und küßte es wieder und wieder, bis sie endlich merkte, daß der Vater entschlummert sei. Da erhob sie sich. Ihr Auge traf Sternau, es blieb forschend, flammend auf ihm haften. Ihr Busen wogte, ihre Pulse glühten, und ihre Lippen, ihre Glieder zitterten.
»Señor«, stieß sie in fliegender Hast hervor, »Ist mein Vater geheilt?« – »Ja, Señora«, antwortete er mühsam. – »Erwacht zu neuem, geistigen Leben?« – »Ja, Señora, der Wahnsinn ist – ist be– ist be…« – »Besiegt« wollte er sagen, aber der Sturm der Gefühle, die er nicht länger zu beherrschen vermochte, machte es ihm unmöglich, auszureden. Rosa begann zu wanken, aber sie nahm alle Kraft zusammen.
»Das vermag nur einer«, rief sie, die Arme gegen ihn ausbreitend. »Sternau! Carlos! Karl, mein Karl!« – »Rosa, Gott, Gott, meine Rosa!« antwortete er, die Maske vom Gesicht reißend.
Im nächsten Augenblick lag sie ohnmächtig an seinem Herzen.
Die folgenden Minuten gehören hinter den Vorhang des Allerheiligsten. Kein profanes Auge darf bis zum Thron der göttlichen Liebe dringen, die sich in der menschlichen offenbart.
Nachdem über eine halbe Stunde vergangen war, verließen sie Arm in Arm und wieder maskiert das Gemach, in dem der Graf seinem völligen Erwachen entgegenschlief.
»Nun zu Rosita, meinem süßen Kind!« sagte Sternau.
Sie suchten im Saal nach ihr, ohne sie zu finden. Da trafen sie auf Geierschnabel, der die vorher fortgewischten Striche und Punkte in seinem Gesicht wieder erneuert hatte.
»Suchen Sie Waldröschen?« fragte er, ihre Absicht erratend. – Ja«, antwortete Sternau. – »Kommen Sie!«
28. Kapitel
Kurt war es doch geglückt, sich Röschens noch einmal zu bemächtigen. Ihre Flucht war nur ein Scherz gewesen, und nun lauschte sie ganz aufmerksam dem, was er sagte.
»Bitte, mir zu verraten, wer von den Herren der Großherzog ist«, bat sie ihn. – »Muß ich aufrichtig sein?« – »Natürlich! Ich befehle es!« – »Nun, so muß ich gehorchen. Keiner ist es.« – »Wie? Er ist nicht hier?« meinte sie erstaunt. – »Nein, aber er wird noch eintreffen.« – »Warum so spät?« – »Um nicht bei gewissen Überraschungen zugegen zu sein, wo er nur stören würde.« – »Welche Geheimnisse wären das?« – »Es sind verschiedene, von denen ich nur eines Ihnen enthüllen dürfte.« – »So sprechen Sie!« – »Hier nicht. Bitte, kommen Sie!«
Kurt zog Röschen mit sich fort, hinaus, den Korridor hinab, bis zu einer Tür, an deren Klinge er probierte.
»Was wollen Sie?« fragte sie, ein wenig ängstlich. »Hier kann niemand herein. Das ist das Stübchen, das Leutnant Kurt Helmers zu bewohnen pflegte. Er ist abwesend.« – »Hat er den Schlüssel mitgenommen?« – »Es scheint so. Alimpo hat einen zweiten.« – »Und ich einen dritten.«
Kurt brachte einen Schlüssel aus der Tasche hervor, öffnete die Tür und trat ein, ohne Röschen loszulassen.
»Mein Gott, ich verstehe Sie nicht«, wehrte sie.
Sein Blick durchflog das Zimmerchen, das durch eine der Tür gegenüberhängende Lampe Licht erhielt.
»Sie verstehen mich nicht?« rief er beinahe jubelnd aus. »Oh, ich will Ihnen sagen, daß während der Abwesenheit dieses garstigen Helmers ein allerliebstes Waldröschen, jedenfalls mit Hilfe von Alimpos Schlüssel, zuweilen hier geblüht und geduftet hat. Dieser Stickrahmen, dieses Album, diese Bouquetts verraten es mir.«
In diesem Augenblick flammte ein Hölzchen in seiner Hand. Er zündete die auf dem Tisch stehende Kerze an und schloß dann die Tür. Röschen war von diesem sicheren Gebaren so überrascht, daß sie vergaß, ihm hindernd entgegenzutreten.
»Ja«, fuhr er fort, »so ist es, wenn zu einem Zimmer drei Schlüssel vorhanden sind.«
Da gewann sie ihre Sprache wieder.
»Von wem haben Sie den Ihrigen, mein Herr?« fragte sie. – »Von dem da!«
Bei diesen Worten nahm Kurt die Maske ab. Röschen fuhr einen Schritt zurück, dann aber warf sie sich ohne Rückhalt mit einem lauten Jubelruf in seine Arme.
»Kurt! Mein Kurt, mein lieber, lieber Kurt. Du bist es, du? O du schlimmer, du gefährlicher, hinterlistiger Intrigant. Ich muß dich streng, sehr streng bestrafen.« – »Mit einem Kuß, meine Rosita, nicht wahr?« – »Nein, sondern mit dreien oder gar noch mehr!« – »Auf diese Maske?« fragte er sie, glücklich lächelnd. – »Ah, wahrhaftig, ich habe das häßliche Ding noch dran. Komm, du Retter meines Vaters, du darfst mich küssen ohne Maske!«
Sie riß die Maske vom Gesicht und warf sie zu Boden; dann lagen sie sich am Herzen und tauschten Kuß um Kuß in seliger Vergessenheit, Sie merkten nicht, daß draußen Schritte erklangen; sie bemerkten ebensowenig, daß die Tür geöffnet wurde und daß zwei Personen unter derselben erschienen und dort stehenblieben.
»Oh, wie unendlich glücklich bin ich, dein liebes, liebes Gesichtchen wiederzusehen!« sagte Kurt. – »Ich bin nicht minder glücklich!« gestand sie ihm. »Aber, nicht wahr, du bringst mir den Vater mit?« – Jawohl, jawohl, du herziges Röschen. Ich bringe dir ihn mit und werde ihn bitten, dir all meine Geschmeide aus der Höhle des Königsschatzes schenken zu dürfen, obgleich der garstige Hauptmann einst sagte, daß ich mir keine so großen Rosinen in den Kopf setzen solle.« – »Ich nehme es an, ich nehme es an. Ich habe dir das ja versprochen unter der Bedingung, daß du meinen lieben, guten, armen Vater rettest. Aber wo hast du ihn? Wo befindet er sich?« – »Hier!«
Dieses Wort ertönte von der Tür her. Rosa hatte es ausgesprochen. Die beiden fuhren auseinander.
»Mama!« rief Röschen bestürzt. – »Gnädige Frau!« sekundierte Kurt erschrocken.
Da nahmen die Eltern ihre Masken ab und traten näher.
»Fürchte dich nicht, mein lieber Kurt!« sagte Sternau. »Glaubst du, ich könnte den Augenblick vergessen, in dem du in unser Gefängnis tratest und den Kerkermeister niederwarfst, um uns zu retten? Wollte ich daran nicht denken, so würde Gott, der ein Vergelter aller Taten ist, meiner auch vergessen.«
Röschen erkannte den Mann, mit dem sie bereits gestern gesprochen hatte. Es wurde ihr hell und sonnenklar im Köpfchen und im Herzen.
»Vater, mein Vater!« rief sie aus, und im nächsten Augenblick hing sie an seinem Hals. »Vater, mein armer, mein schöner, mein stolzer Vater. Ich bin deine Rosita, dein Kind, deine Tochter, dein Röschen, das gestorben wäre, wenn du noch länger gezögert hättest, zu kommen!«
Da legte Sternau die starken Arme um sie, hob sie hoch empor und betrachtete sie unter Wonnetränen, so, wie ein Kind die geliebte Puppe vor sich hinhält, um sie mit zärtlichen Blicken zu umfassen.
»Röschen! Rosita! Mein Leben, meine Seele, mein Abgott! Oh, wie ist mir, wie wird mir! Ich muß mich setzen!«
Der starke Mann ließ sie wieder nieder und sank langsam auf einen Stuhl. Rechts von Rosa und links von Röschen umschlungen, weinten alle drei Tränen des Schmerzes, der innigsten Rührung und des Entzückens zugleich. Kurt fühlte, daß diese Herzen mehr Rechte aneinander hatten als er an sie. Er schlich sich leise an ihnen vorüber und zur Tür hinaus, wo er stehenblieb, um die Tränen zu trocknen, die auch in seinen Augen standen. Dann kehrte er still nach dem Saal zurück.
Er hatte ganz vergessen, daß er jetzt ohne Maske war. Als er eintrat, fielen die Blicke der Anwesenden auf ihn.
»Kurt! Kurt!« rief es vor und neben ihm, von rechts und von links. Erst jetzt dachte er an sein unverhülltes Gesicht.
Der Herzog und die Herzogin, Otto von Rodenstein nebst Flora, seiner Frau, Sternaus Schwester, sie alle eilten auf ihn zu, ihre Masken entfernend, um von ihm erkannt zu werden. Zu ihnen gesellten sich ein Präriejäger und ein Wilddieb mit einer ungeheuren Nase, Ludwig und sein Herr, der Rodensteiner.
Kurt wurde von ihnen mit hundert Fragen bestürmt, die so durcheinander geschleudert wurden, daß er auf keine einzige mit Bedacht zu antworten vermochte, bis endlich Rettung erschien. Sternau, mit Frau und Tochter, die eintraten, ebenfalls ohne Hülle vor ihren Gesichtern. Auch sie hatten vergessen, die Masken wieder anzulegen. Kaum wurden sie bemerkt, so eilte Flora von Rodenstein auf den Herzog, ihren Vater, zu.
»Papa! Vater!« rief sie. »Schau hin, wer da kommt. Erkennst du ihn? Kennst du ihn noch?«
Zugleich flog sie auf Sternau zu, warf ihm die Arme um den Nacken und schluchzte unter Tränen:
»Carlos, mein Bruder, mein lieber, lieber Bruder!«
Sternau wollte erstaunt zurückweichen, da wurde er noch von vier Armen umschlungen.
»Mein Sohn! Mein Karl! Ist es wahr?« schluchzte seine Mutter. – »Mein Arzt und Retter! Mein Wohltäter! Mein Sohn!« so klang es aus dem Mund des Herzogs.
Sternaus einfache, anspruchslose Schwester fand gar keinen Raum, zu ihrem Bruder zu gelangen. Es dauerte eine lange Zeit, ehe der Sturm sich legte, den das Erscheinen Kurts und Sternaus hervorgerufen hatte. Diese Aufregung wurde eigentlich erst durch das Erscheinen des Großherzogs besiegt, der mit seiner Gemahlin und einigen bevorzugten Herren kam, um zu gratulieren.
Jetzt erst kam es zu einem geordneten Reden und zu einem wirklich zusammenhängenden Bericht. Es ist leicht erklärlich, daß man bis zur Morgenstunde beisammenblieb, und da kamen nun auch die Personen zur Geltung, die bisher in zweiter Reihe gestanden harten: Resedilla und Pirnero, die sich glücklich von Pirna hierhergefunden hatten, der Schwarze Gerard, der Kleine André, die beiden Häuptlinge und Karja. Außer Geierschnabel war auch Grandeprise zugegen, der mit nach Spanien gegangen war, um gegen Landola, seinen teuflischen Stiefbruder, zu zeugen.
Was aber war aus diesem Landola, aus Gasparino Cortejo und Clarissa, was aus dem falschen Alfonzo, ihrem Sohn, geworden? Sternau, im Verein nach allen diesen Personen gefragt, antwortete:
»Die Entscheidung ist gefallen, und die Beweise sind geführt: Unser Mariano ist Graf Alfonzo de Rodriganda. Er mußte, um das Allernötigste zu ordnen, in Rodriganda bleiben, wird aber in einigen Tagen mit Amy Lindsay, seiner Braut, und ihrem Vater, dem Lord, hier eintreffen. Ich sehe zu meinem Erstaunen, daß aus dem einfachen Doktor Sternau ein Herzogsohn geworden ist. Unsere Schicksale haben uns gelehrt, daß der Mensch nur so viel wert ist als er wiegt, und daß Rang, Stand und Besitz nur eine nebensächliche Bedeutung haben. Daher wird es keinen von uns überraschen, daß Kurt, der Steuermannssohn, mein und unser aller Retter, durch das, was er für uns tat, sich uns allen ebenbürtig gestellt hat. Unserer Feinde wollen wir nur kurz gedenken. Clarissa spinnt für lebenslang Flachs im engen Kerker, Landola und Gasparino Cortejo sind unter der Hand des Henkers gefallen. Die alte Zarba bleibt spurlos verschwunden. Auf dem Weg zur Hinrichtung ist sie Gasparino Cortejo noch hohnlachend entgegengetreten. Ihr Racheschwur, an dessen Verwirklichung ihre geheimnisvollen Helfer mitarbeiteten, hat sich erfüllt. Alfonzo, der falsche Graf, büßt seine Taten als Sträfling, ohne Aussicht auf spätere Begnadigung. Sie alle haben ihren Lohn; darum soll auch unser Kurt den Lohn empfangen, der ihm verheißen worden ist. Eine herzogliche Prinzeß von Olsunna muß Wort halten. Röschen, stehe auf, und sage unserem Retter, daß er von uns die Erlaubnis empfängt, sein Andenken an die Höhle des Königsschatzes an Eurem Ehrentag als Brautgeschmeide dir anzulegen. Gott segne euch, so wie er uns alle fortan beschützen möge!«
Die Wirkung dieser Worte läßt sich unmöglich beschreiben. Alles rief, staunte, fragte, gratulierte, weinte und lachte. Aber zwei standen in der Ecke des Saales, in Liebe umschlungen, und weinten heiße Zähren der Herzenswonne und des Dankes an Gott, die einfachen Eltern Kurts, deren Glück nur dadurch gesteigert werden konnte, daß Waldröschen herbeikam, sie beide herzlich umarmte und küßte und dann zu dem Kreis der anderen zog.
Die Sonne ging auf. Ihre ersten Strahlen fielen in goldigem Purpur zum Fenster herein auf die so seltsame Versammlung von Personen, die, so lange hart und schwer geprüft, nun endlich sich die Garantien eines reinen und dauernden Glückes errungen hatten. Da öffnete sich die Tür, und die hohe, ernste Greisengestalt des Grafen Emanuel trat ein. Alle, außer Sternau und Rosa, erwarteten, ihn sein: »Ich bin der brave, treue Alimpo!« aussprechen zu hören. Aber ehe er noch zu Worte kam, stand bereits einer vor ihm, der die Arme zur Begrüßung ausbreitete.
»Emanuel! Bruder! O Gott, wäre er doch nicht krank!«
Der Angeredete warf einen langen, forschenden Blick in das Gesicht des anderen und antwortete:
»Ferdinando! Bruder! Du lebst? Man sagte mir doch wohl vor einigen Tagen, daß du gestorben und begraben seiest!« – »Er redet! Er spricht! Er kann denken! Gott, Gott, Allmächtiger, wir danken Dir!«
Bei diesem Ausruf Ferdinandos lagen sich die beiden Brüder in den Armen. Sternau aber trat hinzu und führte sie in ein anderes Gemach. Die zurückkehrende Denkkraft Emanuels war noch viel zu schwach, um das verwickelte Material, das vor ihm lag, zu überwinden und zu entwirren.
Er wurde wiederhergestellt. Ferdinando kehrte nicht mehr nach Mexiko zurück. Er verkaufte seine dortigen Güter und blieb mit Emanuel auf dem deutschen Rodriganda. Mariano, der junge Graf, residierte mit seiner glücklichen Amy auf dem spanischen Rodriganda, war und ist aber sehr oft Gast bei seinen deutschen Verwandten. Sternau, der einstige Arzt, weiß die Traditionen seines herzoglichen Hauses in Spanien an der Seite seiner noch immer schönen Rosa würdig zu vertreten. Otto von Rodenstein und Flora befinden sich sehr oft bei ihm. Alimpo lebt mit Elvira beim Grafen Emanuel. Der Rodensteiner zankt sich auch jetzt noch täglich mit Ludwig und mit seinem Podraga. Der Kleine André wohnt mit Frau Emilia bei Anton Helmers und dessen Emma auf der Hacienda del Erina, während der alte Pedro Arbellez sich zur Ruhe gesetzt hat. Der Schwarze Gerard lebt mit Frau und Schwiegervater in der Hauptstadt Mexiko, wo sie oft Geierschnabels Besuch erhalten. Büffelstirn jagt noch immer die Bisons und Bären und kehrt zuweilen auf der Hacienda ein. Bärenherz hat Karja als seine Squaw mit nach den Jagd– und Weidegründen der Apachen genommen, um mit seinem Bruder Bärenauge sich in die Herrschaft der tapferen Stämme zu teilen. Das tapfere Schwesternpaar, Pepi und Zilli, die hinterlassenen Kinder eines reichen, mexikanischen Granden, der ein Freund des Grafen Ferdinando gewesen war, sind mit ihren Erwählten verheiratet und leben als glückliche Professorsfrauen in Wien.
Waldröschen ist aber die glücklichste der jungen Frauen. Ihr Kurt ist bereits Oberst in einer norddeutschen Stadt, wenn man hier auch nicht verraten darf, in welcher Garnison. Beide wiegen abwechselnd auf ihren Knien ein kleines, niedliches Waldknösplein, das verspricht, das Ebenbild der Mutter zu werden – ein liebreizendes ›Waldröschen‹.