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|  Karl May
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|  Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas
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   Karl May
   WALDRÖSCHEN II. DER SCHATZ DER MIXTEKAS


   1. Kapitel

   Der ununterbrochen und so wunderbar zusammenhängende Verlauf der Ereignisse veranlaßt den freundlichen Leser, über den atlantischen Ozean einen Blick zu werfen in jenes mittelamerikanische Land, das in Rodriganda so viele Male genannt wurde, weil da drüben die bedeutenden Besitzungen des Hauses Rodriganda-Sevila lagen.
   Es ist nicht notwendig, langweilige geographische Bemerkungen über Mexiko zu machen, aber wie der Mensch überhaupt von dem Boden abhängig ist, auf dem er lebt, so ist auch der Charakter des echten Mexikaners demjenigen seines Landes ganz konform. Der Boden des Landes ist zum großen Teil ein vulkanischer, und so glüht auch im Inneren des Bewohners ein Feuer, das oft mächtig und verzehrend emporflammt. An den Küstenstrichen herrschen tödliche Fieber, so sind auch die politischen Verhältnisse des Landes krankhaft und höchst unzuverlässig, das ganze Leben und Treiben der Nation ist ein reich phantastisches und wechselvolles, und man kann in einer Woche dort mehr Abenteuer erleben, als bei unseren geordneten Verhältnissen in zehn Jahren.
   Die Grenze des Landes nach Texas hin, das zu den Vereinigten Staaten gehört, bildet der Rio Grande del Norte, auch Rio Bravo del Norte, in den sich der Conchos, Salado, Sabinas und San Juan ergießen. Zwischen diesem Fluß und den Kordilleren von Coahuila lagen einige der zerstreuten Besitzungen, die dem Grafen Ferdinando de Rodriganda gehörten. Dieser war, wie wir bereits gesehen haben, der Bruder des Grafen Emanuel, er lebte ausschließlich nur auf seinen mexikanischen Besitzungen und hatte sich den Sohn seines Bruders, den jungen Grafen Alfonzo, hinüberkommen lassen, um seine Reichtümer auf ihn zu vererben.
   Ungefähr zwei Jahre vor dem Beginn der unglücklichen Ereignisse in Rodriganda schwamm ein leichtes Kanu langsam den Rio Grande hinab. Es war aus langen Baumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moos verbunden waren, und trug zwei Männer, die verschiedenen Rassen angehörten. Der eine führte das Steuer, und der andere saß sorglos im Bug, damit beschäftigt, aus Papier, Pulver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppelrifle zu drehen.
   Derjenige von den beiden, der das Steuer führte, hatte die scharfen, kühnen Züge und das durchdringende Auge eines Indianers, und auch ohnedies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehen, daß er zur amerikanischen Rasse gehörte. Er trug nämlich ein wildledernes Jagdhemd, dessen Nähte phantastisch ausgefranst waren, ein Paar Leggins – Lederhosen —, deren Seitennähte mit den Kopfhaaren der von ihm erlegten Feinde geschmückt waren, und Mokassins – Jagdschuhe —, die doppelte Sohlen zeigten. Um seinen nackten Hals hing eine Schnur aus den Zähnen des grauen Bären, und sein Haupthaar war in einen hohen Schopf geflochten, aus dem drei Adlerfedern hervorragten, ein sicheres Zeichen, daß er ein Häuptling sei. Neben ihm im Kanu lag ein fein gegerbtes Büffelfell, das ihm beim Gehen als Mantel diente. In seinem Gürtel steckte ein glänzender Tomahawk – Schlachtbeil —, ein zweischneidiges Skalpmesser und der Pulver– und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfell lag eine lange Doppelflinte, deren Kolben mit silbernen Nägeln verziert war und in deren Schaft man viele eingeschnittene Kerben bemerkte, um die Zahl der bereits erlegten Feinde zu bezeichnen. An der Bärenzahnschnur war das Kalumet – Friedenspfeife – befestigt, und außerdem sah man aus einer Tasche seines Jagdhemds die Kolben von zwei Revolvern hervorragen. Diese beiden bei den Indianern so seltenen Waffen waren ein sicheres Zeichen, daß er mit der Zivilisation in enge Berührung gekommen sei.
   Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Begleiter zuzuschauen und sich um weiter nichts zu bekümmern, ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er dennoch unter den tief gesenkten Wimpern hervor die Ufer des Flusses sehr scharf mit jenem eigentümlichen, maskierten Blick beobachtete, der dem Jäger eigen ist, der in jedem Augenblick einen Angriff auf sein Leben erwarten kann.
   Der andere, der im Vorderteil saß, war ein Weißer. Er war lang und schlank, aber doch ungemein kräftig gebaut und trug einen blonden Vollbart, der ihn sehr gut kleidete. Auch er hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezogenen Schäften schwerer Aufschlagstiefeln steckten. Eine blaue Weste und ein ebensolches Jagdwams bedeckten seinen Oberkörper, der Hals war frei, und auf dem Kopf saß einer jener breitkrempigen Filzhüte, die man im fernen Westen stets zu sehen bekommt. Er hatte Farbe und Form verloren.
   Die beiden Männer mochten in dem gleichen Alter von vielleicht achtundzwanzig Jahren sein. Beide trugen anstatt der Sporen scharfe Fersenstachel, ein sicherer Beweis, daß sie beritten gewesen waren, ehe sie sich das Kanu bauten, um den Rio Grande hinabzufahren.
   Indem sie so von dem Wasser des Flusses abwärts getragen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern eines Pferdes. Die Wirkung dieses Lautes war eine blitzschnelle, denn noch war der Ton nicht ganz verklungen, so lagen die beiden Männer bereits auf dem Boden des Kanus, so daß sie von außen nicht gesehen werden konnten.
   »Tkli – ein Pferd!« flüsterte der Indianer in der Sprache der Apachen. – »Es steht weiter abwärts«, meinte der Weiße. – »Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?« – »Ein Indianer nicht und ein weißer Jäger auch nicht«, sagte der Weiße. – »Warum nicht?« – »Ein erfahrener Mann läßt sein Pferd nicht so laut wiehern.« – »Was tun wir?« – »Rudern wir an das Ufer, steigen wir aus und schleichen uns hin.« – »Und das Kanu bleibt liegen?« fragte der Indianer. »Wenn es nun Feinde sind, die uns an das Ufer locken und töten wollen?« – »Pshaw, wir haben auch Waffen!« – »So mag wenigstens mein weißer Bruder den Kahn bewachen, während ich die Gegend untersuche.« – »Gut, ich bin einverstanden!«
   Die Männer leiteten das Kanu ans Ufer, wo der Indianer ausstieg, während der Weiße mit den Waffen in der Hand sitzen blieb, um seine Rückkehr zu erwarten. Nach einigen Minuten bereits sah er ihn in aufrechter Stellung kommen, das war ein Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.
   »Nun?« fragte der Weiße. – »Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busch.« – »Ah! Ein Jäger?« – »Er hat nur ein Messer.« – »Ist weiter niemand in der Nähe?« – »Ich habe niemand gesehen.« – »So wollen wir hin!«
   Der Weiße sprang aus dem Fahrzeug und band dieses fest, dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beiden Revolver, die auch er besaß, halb hervor, um kampfbereit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten bald die Stelle, an der der Schläfer lag. Neben ihm stand ein Pferd angebunden, das auf mexikanische Weise gesattelt war.
   Der Mann trug jene nach unten weiter werdenden mexikanischen Hosen, ein weißes Hemd und eine blaue, nach Husarenart um die Schultern hängend getragene Jacke. Hemd und Hose wurden durch ein gelbes Tuch zusammengehalten, das er wie einen Gürtel um die Hüften gewunden hatte. In diesem Gürtel steckte außer einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero – Hut – lag über seinem Gesicht, um dasselbe gegen die warmen Strahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief so fest, daß er das Nahen der beiden anderen gar nicht hörte.
   »Holla, Bursche, wach auf!« rief jetzt der Weiße, ihn am Arm schüttelnd.
   Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog das Messer.
   »Verdammt, was wollt ihr?« rief er schlaftrunken. – »Zunächst nur wissen, wer du bist.« – »Wer seid ihr denn?« – »Hm, mir scheint, du hast Angst da vor dem roten Mann. Das ist nicht nötig, alter Junge. Ich bin ein deutscher Trapper namens Helmers und stamme aus der Gegend von Mainz, und dieser hier ist Shoshinliett, der Häuptling der Jicarilla-Apachen.« – »Shoshinliett?« fragte der Fremde. »Oh, dann habe ich keine Sorge, denn dieser große Krieger der Apachen ist ein Freund der Weißen.«
   Shoshinliett heißt zu deutsch »Bärenherz«.
   »Nun, und du?« fragte der Weiße, der sich Helmers genannt hatte, also ganz denselben Namen führte wie der Steuermann in Rheinswalden bei Mainz. – »Ich bin Vaquero«, antwortete der Mann.
   Ein Vaquero ist ein Rinderhirte.
   »Wo?« – »Jenseits des Flusses.« – »Bei wem?« – »Beim Grafen de Rodriganda.« – »Und wie kommst du herüber?« – »Alle Teufel, sagt mir lieber, wie ich hinüberkomme! Ich werde verfolgt.« – »Von wem?« – »Von den Komantschen.« – »Das scheint sich nicht zu reimen. Du wirst von den Komantschen verfolgt und legst dich in aller Gemütsruhe hier schlafen.« – »Der Teufel schlafe nicht, wenn man so müde ist!« – »Wo trafst du auf die Komantschen?« – »Gerade im Norden von hier, nach dem Rio Pecos zu. Wir waren fünfzehn Männer und zwei Frauen, sie aber zählten über sechzig.« – »Donnerwetter! Habt ihr gekämpft?« – »Ja.« – »Weiter, weiter!« – »Was weiter? Sie überfielen uns, ohne daß wir von ihrer Gegenwart etwas ahnten, darum machten sie die Mehrzahl von uns nieder und nahmen die Frauen gefangen. Ich weiß nicht, wie viele noch außer mir entkommen sind.« – »Wo kamt ihr her, und wohin wolltet ihr?«
   Der Vaquero war nicht gesprächig, er ließ sich jedes Wort abkaufen; er antwortete:
   »Wir waren nach Forte del Guadeloupe geritten, um die beiden Damen abzuholen, die dort zu Besuch gewesen waren. Der Überfall geschah auf dem Heimweg.« – »Wer sind die Damen?« – »Señorita Arbellez und Karja, die Indianerin.« – »Wer ist Señorita Arbellez?« – »Die Tochter unseres Inspektors.«
   Man erinnere sich, daß Pedro Arbellez damals den kleinen Alfonzo von Rodriganda nach Mexiko geholt hatte.
   »Und Karja?« – »Sie ist die Schwester von Tecalto, dem Häuptling der Mixtekas.«
   Da horchte Bärenherz auf.
   »Die Schwester von Tecalto?« fragte er. – »Ja.« – »Er ist mein Freund. Wir haben die Friedenspfeife miteinander geraucht. Die Schwester seines Herzens soll nicht gefangen bleiben. Gehen meine weißen Freunde mit, sie zu befreien?« – »Ihr habt doch keine Pferde«, versetzte der Vaquero.
   Der Indianer warf ihm einen geringschätzigen Blick zu und antwortete:
   »Bärenherz hat ein Pferd, wenn er eins braucht. In einer Stunde wird er den Hunden der Komantschen eins genommen haben.« – »Verdammt, das wäre stark!« – »Nein, das versteht sich ganz von selbst«, versicherte der Weiße. »Wann seid ihr gestern überfallen worden?« – »Am Abend.« – »Und wie lange hast du hier geschlafen?« – »Oh, kaum eine Viertelstunde.« – »So werden die Komantschen bald hier sein.« – »Alle Teufel!« – »Du bist ein Vaquero und kennst die Gebräuche der Wilden nicht. Was für eine Absicht denkst du wohl, daß sie mit den Damen haben werden? Haben sie dieselben wohl wegen eines Lösegelds gefangengenommen?« – »Nein, sicherlich nicht. Sie werden sie mitnehmen, um sie zu ihren Weibern zu machen, denn beide sind sehr schön.« – »Ich habe gehört, daß die Mädchen der Mixtekas wegen ihrer Schönheit berühmt sind. Wenn also die Komantschen die beiden Damen nicht wieder herausgeben wollen, so müssen sie dafür sorgen, daß man den Aufenthaltsort derselben nicht entdecken kann; sie müssen ihre Spur verbergen. Infolgedessen dürfen sie also auch keinen von euch entkommen lassen, und darum haben sie sich ganz gewiß aufgemacht, um dich zu verfolgen, damit du keine Kunde nach Hause tragen kannst.« – »Das leuchtet mir ein«, entgegnete der Vaquero. – »Die Komantschen waren natürlich zu Pferde?« – »Ja.« – »Sie werden dich also auch zur Pferde verfolgen; sie werden auf deiner Spur reiten und Pferde haben, wenn sie hier ankommen.« – »Verdammt, das ist sehr leicht zu denken, obgleich ich nicht daran gedacht habe!« – »Ja, einen sonderlichen Scharfsinn scheinst du nicht zu haben. Dachtest du dir denn nicht, daß man dich verfolgen würde?« – »Natürlich!« – »Warum legst du dich da zum Schlafen?« – »Ich war zu müde.« – »Du mußtest wenigstens erst über den Fluß gehen.« – »Er ist hier zu breit und das Pferd zu angegriffen.« – »Danke Gott, daß wir keine Komantschen sind! Du wärst hier eingeschlafen und dann im Paradies ohne Kopfhaut erwacht. Hast du Hunger?« – »Ja.« – »So komm mit nach dem Kahn, führe aber zunächst dein Pferd weiter hinter die Büsche, damit man es von weitem nicht sehen kann.«
   Dieses Gespräch war nur von Helmers und dem Vaquero geführt worden. Bärenherz hatte sich nach dem Kanu begeben, wo er ruhend auf der Büffelhaut lag. Der Vaquero erhielt Fleisch; Wasser gab es im Fluß, so war für alles gesorgt.
   Nachdem er sich satt gegessen hatte, fragte ihn Helmers nach seinen näheren Verhältnissen und erfuhr dabei alle Umstände, die auf die Familie Rodriganda Bezug hatten. Als einige Zeit vergangen war, verließ Helmers den Kahn, um das etwas erhöhte Ufer zu erklettern und Ausguck zu halten, und er hatte die Höhe kaum erreicht, als er einen Ruf der Überraschung ausstieß.
   »Holla, sie kommen! Bald hätten wir die rechte Zeit versäumt.«
   Der Indianer stand im Nu bei ihm.
   »Sechs Reiter!« sagte er. – »Kommen auf jeden drei!«
   Der deutsche Trapper schien gar nicht daran zu denken, daß der Vaquero auch einen der Feinde auf sich nehmen könne.
   »Wer nimmt das Pferd?« fragte Bärenherz. – »Ich«, antwortete der Deutsche.
   Der Indianer nickte und sagte dann:
   »Von diesen Komantschen darf kein einziger entkommen!« – »Das versteht sich ganz von selbst«, meinte Helmers. Dann wandte er sich an den Vaquero: »Du hast nur dein Messer?« – »Ja.« – »So kannst du uns bei dieser Sache gar nichts nützen. Du bleibst im Kanu liegen, und ich nehme einstweilen dein Pferd.« – »Aber wenn es erschossen wird!« sagte der Mann ängstlich. – »Dummheit, so bekommen wir sechs andere dafür.«
   Der Mexikaner mußte dieser Anordnung Folge leisten. Er versteckte sich also in das Kanu, während die beiden andern sich nach dem Ort begaben, wo sie ihn gefunden hatten, sich neben das hinter den Büschen des Ufers versteckte Pferd stellten und warteten.
   Die Reiter, die Helmers zuerst als sechs dunkle Punkte in der Ferne erkannt hatte, kamen schnell näher. Man konnte bereits ihre Bekleidung und Bewaffnung erkennen.
   »Ja, es sind die Hunde der Komantschen«, sagte Bärenherz. – »Sie haben sich mit den Kriegsfarben bemalt, geben also keinen Pardon«, bemerkte Helmers. – »Sie sollen selbst keinen erhalten!« – »Die beiden hintersten müssen zuerst daran glauben; die vordersten bleiben uns dann gewiß.« – »Ich nehme die hintersten«, sagte der Apache. – »Gut!«
   Die Komantschen waren jetzt auf einen halben Kilometer herangekommen; sie ritten noch immer im schnellsten Galopp. In einer Minute mußten sie sich im Bereich der Büchsen befinden.
   »Wie dumm sie sind!« lachte der Deutsche. – »Diese Komantschen haben kein Hirn, sie vermögen nicht zu denken!« – »Sie könnten doch wenigstens vermuten, daß der Vaquero sich hier versteckt hat und auf sie wartet. Aber jedenfalls meinen sie, daß er sofort über den Strom geritten ist.« – »Ugh!« sagte der Apache.
   Mit dieser Aufforderung zur Aufmerksamkeit erhob er seine Büchse. Helmers tat dasselbe. Gleich darauf krachten zwei Schüsse und noch zwei, und vier der Komantschen wälzten sich am Boden. Im nächsten Augenblick saß Helmers auf dem Pferd des Vaquero und brach mit demselben durch die Büsche. Die beiden übriggebliebenen Komantschen stutzten und hatten gar nicht Zeit, ihre Pferde zu wenden, so war der Deutsche schon bei ihnen. Sie erhoben ihre Tomahawks zum tödlichen Schlag, er aber hielt den Revolver bereit, drückte zweimal ab, und auch die zwei stürzten von den Pferden.
   Dieser Sieg war in weniger als zwei Minuten errungen. Die Pferde der Gefallenen wurden mit leichter Mühe eingefangen.
   Jetzt kam der Vaquero herbei, der vom Kanu aus alles beobachtet hatte.
   »Verdammt«, meinte er, »das war ein Sieg!« – »Pah!« lachte der Deutsche. »Sechs Komantschen, was ist das weiter! Man sollte eigentlich mit Menschenblut sparsamer umgehen, denn es ist der köstlichste Saft, den es gibt; aber diese Komantschen verdienen es nicht anders.«
   Man nahm darauf den Komantschen die Waffen ab und warf die Toten in den Fluß, nachdem Bärenherz den beiden, die er getötet, die Skalpe gelöst hatte, um sie sich an den Gürtel zu hängen.
   »Was nun?« fragte der Deutsche. »Brechen wir sofort auf?« – »Ja«, antwortete der Apache. »Die Schwester meines Freundes soll nicht vergebens auf Hilfe rechnen.« – »Nehmen wir den Vaquero mit?«
   Bärenherz musterte diesen und erwiderte:
   »Tu, was du willst.« – »Ich gehe mit!« erklärte der Mexikaner. – »Ich glaube nicht, daß wir dich brauchen können«, meinte Helmers, »denn ein Held bist du nicht.« – »Ich hatte jetzt ja keine Waffen.« – »Aber bei dem gestrigen Überfall bist du doch auch geflohen.« – »Nur, um Hilfe herbeizuholen.« – »Ach so! Nun, wirst du den Platz wiederfinden können, wo ihr überfallen wurdet?« – »Ja.« – »So magst du uns begleiten.« – »Darf ich mir von den Waffen der Indianer nehmen?« – »Ja. Nimm dir auch ein Pferd von ihnen. Das deinige lassen wir frei; es ist zu sehr abgetrieben und würde uns nur hinderlich sein.«
   Die drei besten Pferde wurden darauf bestiegen und die übrigen freigelassen, dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung.


   2. Kapitel

   Es ging nach Norden immer dem Rio Pecos zu. Der Weg führte zunächst durch offene Prärie, dann erhob sich eine Sierra vor ihnen, deren Berge mit Wald bestanden waren, sie ritten durch Täler und Schluchten und gelangten gegen Abend auf eine Höhe, von der aus man eine kleine Savanne überblicken konnte.
   »Ugh!« rief der Apache, der voranritt. – »Was gibt es?« fragte der Deutsche. – »Siehe!«
   Bärenherz streckte die Hände aus und deutete nach unten.
   Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte man die Gefangenen erblickte. Der Deutsche nahm ein kleines Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an das Auge und blickte hindurch.
   »Was sieht mein weißer Bruder?« fragte der Apache. – »Neunundvierzig Komantschen.« – »Pshaw«, sagte der Apache geringschätzend. – »Und sechs Gefangene.« – »Sind die Frauen mit dabei?« – »Ja, zwei.« – »Wir werden sie befreien.«
   Diese Worte sagte der Häuptling mit so großer Seelenruhe, daß man glauben mußte, es verstehe sich von selbst, daß er es ganz allein mit einem Schock Komantschen aufnehme. – »Am Abend?« fragte der Deutsche. – »Ja«, nickte der Apache. – »Aber wie?« – »Wie ein Häuptling der Apachen!« sagte Bärenherz stolz. – »Ich bin dabei. Diese neunundvierzig Komantschen können nicht hundert Wachen aufstellen.« – »Wir wollen uns verbergen.« – »Warum?« fragte der Vaquero. – »Willst du dich etwa sehen lassen?« antwortete Helmers. – »Nein. Aber hier können sie uns ja gar nicht sehen!« – »Es können ja auch noch andere außer dir entkommen sein. Die hat man gewiß auch verfolgt, und wenn die Verfolger zurückkehren, können sie uns sehr leicht bemerken. Halte die Pferde. Wir beide wollen zunächst dafür sorgen, daß unsere Fährte verwischt wird.«
   Helmers kehrte mit Bärenherz eine Strecke weit auf dem Weg, den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspuren unsichtbar zu machen; dann wurde in dem dichtesten Gebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht und auch gefunden, worin sie sich mit ihren Tieren verbargen.
   Die Sonne ging unter, und es wurde Abend. Die finstere Nacht brach an, und noch regte sich nichts in dem Versteck. Die beste Zeit zum Überfall war kurz nach Mitternacht. – »Nun, hast du dir ausgesonnen, wie es zu machen ist?« fragte der Deutsche den Apachen. – »Ja«, antwortete dieser. »Wir wollen wie tapfere Männer handeln. Kannst du eine Wache töten, ohne daß sie einen Laut von sich gibt?« – »Ja.« – »Gut. So schleichen wir uns hinzu, töten die Wachen, schneiden die Fesseln der Gefangenen durch und entfliehen mit ihnen.« – »Natürlich zu Pferde?« – »Ja.« – »So wird es Zeit, zu beginnen, denn das Anschleichen ist eine langweilige Sache.« – »Aber dieser Vaquero bleibt zurück?« fragte der Apache. – »Ja, er hat die Pferde zu halten.« – »Wo erwartet er uns?« – »Da, wo wir die Komantschen zuerst erblickten. Wir müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls nach dem Rio Grande zurückkehren.« – »So laß uns beginnen.«
   Die beiden mutigen Männer ergriffen darauf ihre Gewehre und schritten, nachdem sie dem Vaquero die nötigen Instruktionen erteilt hatten, davon.
   Unten im Tal brannte ein einziges Wachtfeuer; rund um dasselbe lagen die schlafenden Komantschen und bei ihnen die gefesselten Gefangenen. Die Wachtposten waren jedenfalls außerhalb dieses Kreises zu suchen. Als die beiden das Tal erreichten, sagte Bärenherz:
   »Ich gehe links, und du gehst rechts.« – »Gut. Auf alle Fälle befreien wir zunächst die beiden Frauen.«
   Dann trennten sie sich.
   Helmers umschritt das Lager nach der rechten Seite hin. Natürlich geschah dies nicht in aufrechter Stellung, sondern in der Weise, wie sie in der Prärie gebräuchlich ist. Man legt sich nämlich dabei auf den Boden nieder und schiebt sich wie eine Schlange langsam weiter. Man darf dabei weder gehört, noch gesehen werden, auch muß man dafür sorgen, daß die Pferde keine Witterung bekommen, weil sie sonst durch ihr ängstliches Schnauben die Nähe des Feindes verraten.
   So tat es Helmers. Erst einen weiten Bogen schlagend, machte er denselben allmählich enger, bis er eine dunkle Gestalt erblickte, die langsam auf und nieder schritt. Das war eine Wache. Er schlich sich mit der größten Vorsicht heran. Es war ein Glück, daß die Nacht finster war und das Feuer nicht mehr leuchtete. So kam er ungesehen der Wache bis auf fünf Schritt nahe, dann schnellte er sich plötzlich auf dieselbe zu, packte sie von hinten mit der Linken bei der Kehle, schnürte diese so fest zu, daß ein Laut unmöglich war, und stieß ihr mit der Rechten das lange Bowiemesser in die Brust. Der Mann sank, ohne eine Wort zu sagen oder das leiseste Geräusch machen zu können, nieder.
   So gelang es Helmers, nach vielleicht einer Viertelstunde eine zweite Wache unschädlich zu machen, dann stieß er mit Bärenherz zusammen, der auf dieselbe Weise auch zwei Komantschen getötet hatte.
   »Nun die Frauen!« flüsterte der Indianer. – »Vorsicht!« bat der Deutsche. – »Pshaw! Der Apache ist mutig, aber auch vorsichtig. Vorwärts!« war die Antwort.
   Sie wandten sich vollständig unhörbar durch das fußhohe Gras nach dem Feuer hin. Die Frauen waren an der hellen Farbe ihrer Kleidung leicht zu unterscheiden. Helmers erreicht sie zuerst und näherte seine Lippen dem Ohr der einen. Dabei sah er trotz der Dunkelheit, daß sie die Augen offenhielt und ihn beobachtet hatte.
   »Erschrecken Sie nicht und halten Sie sich still!« flüsterte er. »Erst wenn ich auch Ihrer Freundin die Fesseln durchschnitten habe, eilen Sie zu den Pferden hin.«
   Sie verstand ihn. Die Frauen lagen nebeneinander und waren an Händen und Füßen gefesselt. Der Deutsche durchschnitt die Riemen, die ihnen in das Fleisch gedrungen waren.
   Sobald der Apache bemerkte, daß der Deutsche sich der Damen annahm, suchte er die männlichen Gefangenen auf. Es waren ihrer vier, sie lagen in der Nähe. Er kroch zu ihnen heran. Auch sie schliefen nicht. Er nahm das Messer zur Hand, um auch ihre Riemen zu durchschneiden. Schon hatte er dies bei zweien getan, da erhob sich ganz plötzlich in der Nähe einer der Indianer. Er hatte die Bewegungen des Apachen im halben Schlaf gehört. Zwar erhob Bärenherz sofort sein Messer und stieß es ihm in die Brust, aber der zum Tode Getroffene fand noch Zeit, einen lauten Warnungsruf auszustoßen.
   »Vorwärts, zu den Pferden! Mir nach!« rief der Apache, indem er blitzschnell die Banden der übrigen löste.
   Sie sprangen empor und stürzten zu den Pferden.
   »Schnell, schnell, um Gottes willen!« rief auch der Deutsche und ergriff hüben und drüben eine der Damen und riß sie zu den Pferden hin; aber ihre Hand– und Fußgelenke waren von den Fesseln so eingeschnürt gewesen, daß sie kaum gehen konnten.
   »Bärenherz!« rief da der Deutsche in höchster Angst. – »Hier!« ertönte die Stimme des Apachen. – »Schnell herbei!«
   Im nächsten Augenblick war der Häuptling da. Er ergriff eine der Frauen, hob sie empor und eilte mit ihr zu den Pferden. Helmers tat es ebenso. Sie sprangen auf, zogen die Frauen auf das Pferd, schnitten die Lassos durch, an denen die Tiere angepflockt waren und jagten davon.
   Das alles war in größter Angst, aber mit der Schnelligkeit des Blitzes geschehen, doch keinen Augenblick zu früh, denn in dem Moment, in dem sie die Tiere antrieben, krachten hinter ihnen die Schüsse der Komantschen.
   Diese hatten gar nicht an die Möglichkeit eines Überfalls gedacht und darum fest geschlafen. Jetzt sprangen sie empor und griffen zu den Waffen. Sie bildeten ein wirres Durcheinander und merkten erst dann, was geschehen war, als die Gefangenen bereits davonsprengten. Nun warfen auch sie sich auf die noch übrigen Pferde und jagten den Entflohenen nach.
   Helmers und der Apache ritten an der Spitze. Sie kannten den Weg, und jeder von ihnen hatte ein Mädchen vor sich liegen. Oben auf der Höhe wartete der Vaquero auf sie. Als er sie kommen hörte, stieg er auf und nahm die beiden anderen Pferde am Zaum.
   »Uns nach!« rief ihm Helmers zu, der ihn halten sah.
   So ging die wilde Jagd bei voller Dunkelheit jenseits wieder in das Tal hinab, voran die Flüchtlinge und hinter ihnen die Komantschen, die ohne Aufhören ihre Gewehre abschossen, ohne jemand zu treffen. Da endlich erreichte man die freie Prärie, und nun konnte man an eine Gegenwehr denken.
   »Können Sie reiten, Señorita?« fragte Helmers seine Dame. – »Ja.« – »Hier ist der Zügel! Immer geradeaus!«
   Damit sprang er ab und stieg auf sein Pferd, das der Vaquero am Zügel führte. Der Apache tat ganz dasselbe. Sie bildeten nun die Nachhut und hielten mit ihren vortrefflichen Büchsen die Indianer in Schach. So ging es fort, bis der Morgen graute und es sich zeigte, daß die Komantschen weit zurückgeblieben waren, teils aus Vorsicht, teils wohl auch deshalb, weil sie ihre Tiere jetzt noch nicht so antreiben wollten wie die Flüchtigen. – »Wollen wir langsamer reiten?« fragte der Vaquero. »Nein«, antwortete der Deutsche. »Immer fort, so schnell wie möglich, damit wir den Strom zwischen uns und die Komantschen bringen.«
   Helmers konnte jetzt die beiden befreiten Frauen deutlich sehen und also genauer betrachten. Die eine war eine Spanierin und die andere eine Indianerin, aber beide von ausgezeichneter Schönheit.
   »Können Sie den Ritt noch aushalten, Señorita?« fragte er die erstere. – »So lange, als Sie wollen«, antwortete sie. – »Wie soll ich Sie nennen?« – »Mein Name ist Emma Arbellez. Und der Ihrige?« – »Ich heiße Helmers.« – »Helmers? Das klingt deutsch.« – »Ich bin auch wirklich ein Deutscher.« – »Woher?« – »Aus Mainz.« – »Ah, haben Sie Verwandte dort, die ebenso heißen?« – »Einen Bruder.« – »Ist er Steuermann?«
   Helmers blickte ganz erstaunt zu ihr hinüber.
   »Allerdings.« – »Den kenne ich.« – »Woher?« – »Ich bin mit ihm gefahren.« – »Das wäre ja ein wunderbares Zusammentreffen!« – »Ja. Ich ging mit dem Vater nach dem Kontinent. Wir mußten eines Sturmes wegen auf Helena landen, um ein Leck auszubessern. Dort lag auch die ›Jeffrouw Mietje‹ … – »Ja, das ist sein Schiff.« – »Und Kapitän Dangerlahn nahm uns mit nach Hull.«
   Dieses abgerissene Zwiegespräch war von einem Pferd herab zum anderen hinüber während des eiligsten Ritts geführt worden. Jetzt ergriff der Deutsche den Zügel der Spanierin.
   »Wollen Sie sich mir anvertrauen?« – »Gern.« – »Auch auf dem Wasser, ganz so wie meinem Bruder?« – »Ja. Werden wir denn Wasser haben?« – »Wir müssen über den Fluß.« – »Wird uns das gelingen?« – »Ich hoffe es. Leider sind nur drei von uns bewaffnet; doch liegen dort am Rio Grande noch die übrigen Waffen, die wir gestern den Komantschen abgenommen haben.« – »Sie haben schon gestern gekämpft?« – »Ja. Wir trafen den Vaquero und hörten von ihm das Nähere. Wir erlegten seine Verfolger und beschlossen, auch Sie zu befreien.« – »Zwei Männer gegen so viele?«
   Es traf Helmers ein leuchtender Blick aus ihren dunklen Augen, und er bemerkte, daß diese mit Wohlgefallen an seiner stattlichen Gestalt herabglitten, damit aber war auch die Unterredung beendet.
   Als die fliehende Truppe den Rio Grande erreichte, hatte sie die Verfolger so weit hinter sich gelassen, daß man sie ganz aus den Augen verloren hatte. Die Waffen der erschossenen Indianer lagen noch hier und wurden unter diejenigen verteilt, die unbewaffnet waren. Die vier männlichen Geretteten waren drei Vaqueros und ein Majordomo oder Hausmeister.
   »Was tun wir?« fragte der letztere. »Erwarten wir die Indianer hier, um ihnen einen Denkzettel zu geben? Wir haben jetzt acht Gewehre.« – »Nein, wir setzen über. Drüben haben wir den Fluß als Verteidigungslinie vor uns. Die Damen nehmen im Kanu Platz.«
   So geschah es. Der Majordomo ruderte die Damen hinüber, während die anderen zu Pferde in das Wasser gingen. Es ging alles ganz glücklich vonstatten. Und als man drüben anlangte, wurde das Kanu versenkt und Anstalt zur Verteidigung getroffen. Dabei hielt sich Emma Arbellez immer an der Seite des Deutschen.
   »Warum reiten wir nicht sofort weiter, Señor?« fragte sie. – »Die Klugheit verbietet uns das«, antwortete er. »Wir haben einen Feind hinter uns, der uns an Zahl bedeutend überlegen ist.« – »Aber acht Gewehre«, meinte sie mutig. – »Gegen fünfzig, die der Feind hat. Bedenken Sie, daß wir Damen zu beschützen haben.« – »So meinen Sie, wir wollen uns hier belagern lassen?« – »Nein. Die Komantschen glauben sicher, daß wir nach unserem Übergang sofort weitergeritten sind. Sie werden also auch sogleich in das Wasser gehen, und wenn ihrer genug im Fluß sind, können wir ihre Zahl derart lichten, daß sie von der Verfolgung ablassen müssen.« – »Wenn sie nun aber vorsichtig sind?« – »Inwiefern?« – »Erst Kundschafter herüberzuschicken?« – »Hm, wahrhaftig, es ist möglich, daß sie das tun.« – »Welche Maßregeln werden Sie dagegen treffen?« – »Wir reiten weiter und kehren auf einem Umweg zurück. Vorwärts also, ehe sie kommen.«
   Man stieg wieder zu Pferde und sprengte in vollster Karriere in die jenseitige Ebene hinein. Dort schlug man einen Bogen und kehrte zurück. Man erreichte den Fluß etwas oberhalb der Stelle, wo man übergesetzt hatte. Das war kaum geschehen, so ließ sich drüben lauter Hufschlag hören.
   »Sie kommen«, sagte der Majordomo. – »Haltet den Pferden die Nüstern zu, damit sie nicht wiehern!« rief Helmers.
   Das kluge Mädchen hatte doch richtig geahnt. Die Komantschen suchten drüben die Spuren ab, und dann ritten zwei von ihnen vorsichtig in den Fluß, kamen herüber, suchten auch hier und fanden die Fährte, die weiterführte.
   »Ni-uake, mi ua o-o, ni esh miushyame – hier sehen wir sie, ihr könnt kommen!« riefen sie hinüber.
   Auf diese Aufforderung ging der ganze Trupp, ein Mann nach dem anderen, in das Wasser. Der Fluß war so breit, daß der erste Komantsche das eine Ufer noch nicht erreicht hatte, als der letzte das andere verließ. Die Flüchtlinge lagen in dem Gebüsch versteckt. Jetzt war es Zeit für sie.
   »Wohin zielen wir?« fragte der Majordomo. – »Auf die ersten im Wasser. Die beiden, die bereits drüben halten, sind uns sicher.« – »Nur nicht zwei auf einen Mann schießen!« warnte der Apache. Zählt allemal acht ab. Wir schießen so auf sie in der Reihe, wie wir hier in der Reihe stehen.« – »Gut, vortrefflich«, sagte Helmers. »Fertig?« – »Ja«, flüsterte es achtfach als Antwort. – »Dann Feuer!«
   Die acht wohlgezielten Schüsse krachten in demselben Augenblick, ein einziger Kanonenschlag, und die acht vordersten Komantschen versanken im Wasser. Der Deutsche und der Apache hatten Doppelbüchsen, sie drückten ihre zweiten Läufe ab und ließen noch zwei Feinde versinken.
   »Schnell wieder laden!« rief Helmers.
   Es war wunderbar, ja fast lächerlich anzusehen, welche Wirkung die Salve auf die Überlebenden hervorbrachte. Die Komantschen rissen die Pferde herum und schwammen wieder dem entgegengesetzten Ufer zu. Viele von ihnen glitten vorsichtig von den Tieren herab und schwammen neben denselben, um sich durch sie decken zu lassen. Die zwei aber, die bereits am diesseitigen Ufer waren, zeigten sich als die Besorgtesten, aber auch – Unvorsichtigsten. Sie rissen nämlich ihre Büchsen herab und kamen im Galopp herbeigesprengt. Sofort zog der Deutsche den Revolver und schlich ihnen hinter dem Buschwerk entgegen. Sie sahen ihn nicht, und eben, als sie an der Stelle, wo er sich befand, vorüber wollten, drückte er ab, worauf sie tot vom Pferd stürzten.
   »Holla, noch zwei geladene Gewehre!« gebot Helmers. – »Die sind für uns«, antwortete Emma Arbellez. – »Können Sie schießen?« – »Alle beide!« – »Dann schnell!«
   Helmers sprang dahin zurück, wo er seine Doppelbüchse verborgen hatte, und die beiden Damen ergriffen die Gewehre der zwei Komantschen. Das alles war so schnell gegangen, daß seit der ersten Salve bis jetzt kaum eine Minute vergangen war. Man hatte nun wieder geladen, und gleich darauf ertönte der Kommandoruf:
   »Feuer!«
   Die Feinde, die das jenseitige Ufer noch nicht wieder erreicht hatten, erhielten jetzt eine Salve aus acht einfachen und zwei Doppelgewehren, fast alle Schüsse gut gezielt. Mehrere Verwundete wurden vom Fluß abwärts getrieben, und mehrere Unverletzte stellten sich tot, indem auch sie sich abwärts treiben ließen, um so die Verteidiger zu täuschen und den Kugeln zu entgehen.
   »Laßt euch nicht betrügen!« rief Helmers. »Schnell laden und diesen Schuften längs des Ufers nach! Wer nicht untergeht, der hat noch Leben!«
   Man gehorchte seinen Worten, und bald hatten die Komantschen weit über zwanzig Tote verloren. Sie steckten nun drüben im Gebüsch und getrauten sich nicht wieder hervor.
   »Jetzt mag es genug sein!« sagte endlich der Deutsche. – »Sie werden uns nicht weiter verfolgen«, meinte auch der Apache. »Diese Hunde von Komantschen haben kein Hirn in ihren Schädeln.«
   Dann wandte Helmers sich mit folgenden Worten an die Damen:
   »Ich danke Ihnen für den Beistand, den Sie uns geleistet haben, Señoritas. Ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie schießen wie ein Westmann.« – »Man ist in unseren einsamen Gegenden gezwungen, diese Fertigkeit sich anzueignen«, entgegnete Emma. »Denken Sie wirklich, daß wir jetzt unbelästigt bleiben?« – »Ich hoffe es.« – »So wollen wir aufbrechen. Dieser Ort, der so viel Menschenleben gekostet hat, ist mir schauerlich, obgleich ich selbst auch zur Waffe gegriffen habe.« – »Dort sind die Pferde der beiden letzten Indianer, nehmen wir sie mit?« fragte Helmers. – »Versteht sich«, antwortete der Majordomo. »Ein indianisch zugerittenes Pferd hat stets Wert. Meine Vaqueros werden sie am Zügel nehmen.«
   Nach einem nur kurzen Verweilen stieg man wieder auf und ritt nun wirklich in die Prärie hinein. So oft und so scharf die Truppe auch den hinter ihr liegenden Horizont musterte, es zeigte sich doch keine Spur von Verfolgung mehr. So vergingen einige Stunden, erst dann erlaubte man den Pferden, einen langsamen Schritt zu gehen, was auch die Unterhaltung erleichterte.
   Bärenherz ritt, wie bereits vorher, so auch jetzt wieder an der Seite der schönen Mixtekas-Indianerin, während sich der Deutsche zu der Mexikanerin hielt.
   »Wir sind nun fast einen Tag zusammen, ohne uns nur im geringsten kennengelernt zu haben«, sagte letzterer zu seiner Dame. »Setzen Sie das nicht auf Rechnung meiner Unhöflichkeit, sondern auf Rechnung der außerordentlichen Umstände.« – »Oh, ich meine doch, daß wir uns gerade im Gegenteil recht gut kennen«, meinte sie lächelnd. – »Inwiefern?« – »Ich weiß von Ihnen, daß Sie für andere Ihr Leben wagen, daß Sie ein kühner und umsichtiger Jäger sind, und Sie wissen von mir, daß – daß – daß ich auch schießen kann.« – »Das ist allerdings etwas, aber nicht viel. Lassen Sie mich wenigstens meinerseits das Notwendigste nachholen.« – »Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, Señor.« – »Mein Name ist Anton Helmers, ich bin der jüngere von zwei Brüdern. Wir wollten studieren, da aber die Mittel nicht ausreichten und der Vater starb, so ging mein Bruder zur See und ich nach Amerika, wo ich nach vielen Irrfahrten mich schließlich in der Prärie als Waldläufer etablierte.« – »Also Anton heißen Sie? Da darf ich Sie Señor Anton nennen?« – »Wenn es Ihnen so beliebt, ja.« – »Aber wie kommen Sie so weit herab nach dem Rio Grande?« – »Hm, das ist eine Sache, von der ich eigentlich nicht sprechen sollte.« – »Also ein Geheimnis?« – »Vielleicht ein Geheimnis, vielleicht aber auch nur eine recht große Kinderei.« – »Sie machen mich neugierig.« – »Nun, so will ich Sie nicht auf die Folter spannen«, sagte Anton Helmers lachend. »Es handelt sich nämlich um nichts mehr und nichts weniger als um die Hebung eines unendlich reichen Schatzes.« – »Was für eines Schatzes?« – »Eines wirklichen, aus kostbaren Steinen und edlen Metallen bestehenden Schatzes.« – »Und wo soll derselbe liegen?« – »Das weiß ich noch nicht.« – »Ah, das ist unangenehm! Aber wo haben Sie denn von dem Vorhandensein dieses Schatzes gehört?« – »Hoch droben im Norden. Ich hatte das Glück, einem alten, kranken Indianer einige nicht ganz wertlose Dienste zu leisten, und als er starb, vertraute er mir zum Dank dafür das Geheimnis von dem Schatz an.« – »Aber er sagte Ihnen die Hauptsache nicht, nämlich wo er liegt?« – »Er sagte mir, daß ich ihn in Mexiko zu suchen habe, und gab mir eine Karte mit, bei der sich ein Situationsplan befindet.« – »Und welche Gegend betrifft diese Karte?« – »Ich weiß es nicht. Die Karte enthält zwar Höhenzüge, Talbildungen und Wasserläufe, aber keinen einzigen Namen.« – »Das ist allerdings höchst sonderbar. Weiß auch Shoshinliett, der Häuptling der Apachen davon?« – »Nein.« – »Und doch scheint er Ihr Freund zu sein?« – »Er ist es allerdings im vollsten Sinne des Wortes.« – »Und mir, mir teilen Sie das Geheimnis mit, obgleich wir uns erst heute gesehen haben!«
   Helmers blickte der schönen Mexikanerin mit seinen ehrlichen Augen voll in das Gesicht und antwortete:
   »Es gibt Menschen, denen man es ansieht, daß man kein Geheimnis vor ihnen zu haben braucht.« – »Und zu diesen Personen rechnen Sie mich?« – »Ja.«
   Sie errötete, reichte ihm die Hand und erwiderte:
   »Sie täuschen sich nicht. Ich werde Ihnen dies beweisen, indem ich ebenso aufrichtig gegen Sie bin und Ihnen eine auf Ihr Geheimnis bezügliche Mitteilung mache. Soll ich, Señor?« – »Ich bitte Sie sogar darum«, antwortete er mit überraschter Miene. – »Ich kenne nämlich einen, der auch nach diesem Schatz trachtet.« – »Ah! Wer ist es?« – »Unser junger Prinzipo, der Graf Alfonzo de Rodriganda y Sevilla.« – »Er weiß von dem Schatz?« – »Oh, wir alle wissen, daß die früheren Beherrscher des Landes ihre Schätze verbargen, als die Spanier Mexiko eroberten. Außerdem gibt es Orte, wo das gediegene Gold und Silber in Massen zu finden ist. Man nennt solche Orte eine Bonanza. Die Indianer kennen diese Orte, sterben aber lieber, als daß sie einem Weißen ihr Geheimnis anvertrauen.« – »Und diesem Alfonzo de Rodriganda hat es doch einer anvertraut?« – »Nein. Wir bewohnen die Hacienda del Erina, und es geht die Sage, daß in der Nähe derselben sich eine Höhle befindet, in der die Herrscher der Mixtekas ihre Schätze versteckten. Es ist viel nach dieser Höhle gesucht worden, Graf Alfonzo hat sich große Mühe gegeben, aber keiner fand sie.« – »Wo liegt diese Hacienda del Erina?« – »Etwas über eine Tagereise von hier, am Abhang der Berge von Coahuila. Sie werden sie sehen, da ich hoffe, daß Sie uns dorthin begleiten.« – »Ich werde Sie nicht eher verlassen, als bis ich Sie vollständig in Sicherheit weiß, Señorita!« – »Sie werden uns auch dann noch nicht verlassen, sondern unser Gast sein, Señor?« – »Gerade Ihre Sicherheit erfordert, daß ich Sie sofort wieder verlasse.« – »Wieso?« – »Wir haben eine Anzahl Komantschen getötet, und ich bin vollständig überzeugt, daß uns einige Späher heimlich folgen werden, um zu sehen, wo wir zu finden sind. Sie werden uns, wenn diese Kundschafter nicht unschädlich gemacht werden, überfallen, um sich zu rächen. Darum werde ich bei der Hazienda mit Bärenherz umkehren, um die Späher zu töten.«
   Die Mexikanerin warf Helmers einen besorgten Blick zu und sagte:
   »Sie begeben sich in eine neue Gefahr!« – »Gefahr? Pah! Der Präriejäger befindet sich stets in Gefahr, er ist daran gewöhnt. Bleiben wir aber für jetzt bei unserem Thema, dem Schatz des Königs! Es weiß also niemand, wo die Höhe zu suchen ist?« – »Wenigstens kein Weißer.« – »Aber ein Indianer?« – »Ja. Es gibt einen, der den Schatz der Könige ganz sicher kennt, vielleicht sind es auch zwei. Tecalto ist der einzige Nachkomme der einstigen Beherrscher der Mixtekas; sie haben das Geheimnis auf ihn vererbt. Karja, die dort neben dem Häuptling der Apachen reitet, ist seine Schwester, und es ist nicht unmöglich, daß er es ihr mitgeteilt hat.«
   Helmers betrachtete die schöne Indianerin jetzt mit größerem Interesse als vorher.
   »Ist sie verschwiegen?« fragte er. – »Ich denke es«, antwortete die Mexikanerin. Dann fügte sie lächelnd hinzu: »Man sagt allerdings, daß Damen nur bis zu einem gewissen Punkt verschwiegen sind.« – »Und welcher Punkt ist dies, Señorita?« – »Die Liebe.« – »Ah! Es ist möglich, daß Sie recht haben«, scherzte er. »Darf ich vielleicht erfahren, ob Karja bereits bei diesem Punkt angekommen ist?« – »Ich halte dies fast für möglich.« – »Ah! Wer ist der Glückliche?« – »Raten Sie. Es ist nicht schwer.«
   Die Stirn des Jägers zog sich scharf zusammen.
   »Ich vermute es«, sagte er. »Es ist Graf Alfonzo, der ihr auf diesem Weg das Geheimnis entlocken will.« – »Sie raten richtig.« – »Und Sie glauben, daß seine Bestrebungen Erfolg haben?« – »Sie liebt ihn.« – »Und ihr Bruder, der Nachkomme der Mixtekas? Was sagt er zu dieser Liebe?« – »Vielleicht weiß er noch nichts davon. Er ist der berühmteste Cibolero – Büffeljäger – und kommt nur selten einmal nach der Hazienda.« – »Der berühmteste Cibolero? Dann müßte ich ja seinen Namen kennen. Der Name Tecalto aber ist mir unbekannt.« – »Er wird von den Jägern nicht Tecalto genannt, sondern Mokaschimotak.« – »Mokaschimotak, Büffelstirn?« fragte Helmers überrascht. »Ah, den kenne ich allerdings. Büffelstirn ist der bekannteste Büffeljäger zwischen dem Red River und der Wüste Mapimi. Ich habe sehr viel von ihm gehört und würde mich freuen, ihn zu sehen. Und Karja ist also die Schwester dieses berühmten Mannes? Da muß man sie ja mit ganz anderen Augen ansehen.« – »Wollen Sie vielleicht Ihre Liebenswürdigkeit auch an ihr versuchen?«
   Er lachte und antwortete:
   »Ich? Wie kann ein Westmann liebenswürdig sein! Und wie könnte ich mit einem Grafen de Rodriganda in die Schranken treten wollen! Wäre es mir möglich, liebenswürdig zu sein, so würde ich dies bei einer ganz anderen versuchen.« – »Und wer wäre diese andere?« fragte sie. – »Nur Sie allein, Señorita!« antwortete er aufrichtig.
   Ihre Augen leuchteten ihm glückverheißend zu, als sie antwortete:
   »Aber bei mir können Sie ja nichts von Ihrem Königsschatz erfahren.« – »Oh, Señorita, es gibt Schätze, die mehr wert sind als eine ganze Höhle voll Gold und Silber. In diesem Sinne wünschte ich, einmal ein glücklicher Gambusino – Goldsucher – zu sein.« – »Suchen Sie, vielleicht finden sie.«
   Sie streckte ihm die Hand entgegen, und als er diese ergriff, war es ihnen beiden, als ob ein elektrisches Fluidum sie überströme. Sie hatten sich verstanden.
   Während dieser Unterredung war hinter ihnen eine andere geführt worden. Bärenherz ritt an der Seite der Indianerin. Sein Auge umfaßte mit verhaltener Glut die schöne Gestalt seiner Nachbarin, die mit einer Sicherheit auf dem halb wilden Pferd saß, als habe sie niemals anders als auf einem indianischen Männersattel geritten. Der schweigsame Häuptling war nicht gewohnt, seine Worte zu verschwenden; wenn er aber sprach, so hatte eine jede Silbe das doppelte Gewicht. Karja kannte diese Art und Weise der wilden Indianer, und darum wunderte sie sich auch nicht darüber, daß er wortlos blieb. Doch fühlte sie es förmlich, daß sein Auge durchdringend auf ihr ruhte; und fast erschrak sie, als er sie anredete:
   »Zu welchem Volk gehört meine junge Schwester?« – »Zu dem Volk der Mixtekas«, antwortete sie. – »Das war einst eine große Nation und ist noch jetzt durch die Schönheit seiner Frauen berühmt. Ist meine junge Schwester eine Squaw – Frau – oder ein Mädchen?« – »Ich habe keinen Mann.« – »Ist ihr Herz noch ihr Eigentum?«
   Bei dieser direkten Frage, die ein Weißer sicherlich nicht ausgesprochen hätte, rötete sich ihr dunkles Gesicht, aber sie antwortete mit fester Stimme:
   »Nein.«
   Sie wußte, daß es hier besser sei, die Wahrheit zu sagen, denn sie kannte die Apachen. Es veränderte sich kein Zug seines eisernen Gesichts, und er fragte weiter:
   »Ist es ein Mann ihres Volkes, der ihr Herz besitzt?« – »Nein, ein Weißer.« – »Bärenherz beklagt seine Schwester. Sie mag es ihm sagen, wenn der Weiße sie betrügt.« – »Er wird mich nicht betrügen!« antwortete sie stolz und zurückweisend.
   Ein leises, leises Lächeln zuckte um seine Lippen; er schüttelte den Kopf und entgegnete:
   »Die weiße Farbe ist falsch und wird leicht schmutzig. Meine Schwester mag vorsichtig sein!«
   Dies war das ganze Gespräch zwischen den beiden, aber es war wenigstens ebenso folgewichtig, wie die Unterredung zwischen dem Deutschen und der Mexikanerin.
   Im Verlauf des Weiterritts erfuhr Helmers, daß die beiden Frauen oben am Rio Pecos gewesen waren, um eine Tante der Mexikanerin zu besuchen, die schwer krank darniederlag. Diese Verwandte war die Schwester von Emmas Mutter, also die Schwägerin des alten Pedro Arbellez, der der Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda gewesen war, jetzt aber als Pächter des Grafen auf der Hacienda del Erina lebte. Die Pflege der beiden Frauen hatte den Tod der Tante nicht zu hindern, sondern nur zu verzögern vermocht. Später hatte Arbellez den Majordomo mit den Vaqueros geschickt, um die Tochter abholen zu lassen. Auf dem Rückweg waren sie von den Komantschen überfallen worden und wären ohne die Dazwischenkunft des Deutschen und des Apachenhäuptlings ganz sicher verloren gewesen.


   3. Kapitel

   Man ritt immer nach Süden zu. Der Tag neigte sich zu Ende; sie hatten nur noch eine Stunde bis zum Hereinbruch des Abends und befanden sich am Rand einer weiten Ebene, die nun hinter ihnen lag, als der Apache sein Pferd plötzlich anhielt, hinter sich zeigte und rief:
   »Ugh!«
   Die anderen drehten sich um, die Ebene zu durchmustern.
   »Ich sehe nichts«, sagte der Majordomo. – »Wir auch nicht«, erklärten die Vaqueros, trotzdem sie Augen besaßen, die gewohnt waren, in weite Ferne zu spähen. – »Was gibt es?« fragte Emma. – »Auch Sie sehen nichts?« antwortete Helmers. – »Nein. Siehst du etwas, Karja?« – »Nicht das mindeste«, erklärte die Indianerin. – »Der Häuptling der Apachen kann doch nicht den Trupp wilder Pferde meinen, den man dort erblickt?« fragte der Majordomo. »Uff!« sagte der Apache mit geringschätziger Miene. – »Gerade den meint er«, sprach der Deutsche. – »Was gehen uns die Mustangs an?« – »Sind sie wirklich so gleichgültig, Señor Majordomo?« – »Ja. Wir sind ja mit Pferden versehen.« – »Seht sie Euch genauer an!«
   Ungefähr zwei englische Meilen hinter ihnen galoppierte eine Herde von Pferden mit erhobenen Schwänzen und wehenden Mähnen einher. Sie kam immer näher. Kein Reiter, kein Sattel oder Bügel, kein Zügel, nicht die dünnste Schnur ließ sich sehen.
   »Es sind Mustangs!« sagte der Majordomo. – »Uff!« rief der Apache zum zweiten Mal, jetzt aber wirklich verächtlich.
   Dann lenkte der sein Pferd wieder herum und ritt im Galopp vorwärts. Die anderen mußten folgen. Emma aber drängte ihr Pferd zu Helmers heran und fragte:
   »Was hat der Apache?« – »Er ärgert sich.« – »Worüber?« – »Über die Dummheit des Majordomo.« – »Dummheit? Señor Helmers, unser Majordomo ist ein sehr erfahrener Mann.« – »In häuslichen Angelegenheiten vielleicht.« – »O nein. Er ist ein tüchtiger Reiter und Schütze, ein Pfadfinder, der seinesgleichen sucht; man kann sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen.« – »Ein Pfadfinder? Hm!« Jetzt blickte der Deutsche ebenfalls verächtlich drein. »Ja, ein Pfadfinder in den Straßen einer Stadt oder auf den Gassen eines Dorfes. Zu einem Rastreador, zu einem wirklichen Pfadfinder, gehört mehr. Sie sagen, daß man sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen könne, und doch wären Sie verloren, wenn Sie jetzt nur allein auf seine Erfahrung und seinen Scharfsinn angewiesen wären.« – »Ah! Wieso?« – »Weil diese Pferde keine wilden Mustangs sind.« – »Was sonst?« – »Es sind die Komantschen, die uns verfolgen.« – »Die Komantschen? Man sieht doch nur die Pferde?« – »Ja, aber die Roten sind dennoch dabei. Sie haben einen Riemen um Hals und Leib der Pferde gezogen, und in diesen Riemen hängen sie mit dem linken Arm und dem rechten Bein. Sahen Sie nicht, daß uns nur die rechten Flanken der Pferde zugekehrt waren, trotzdem sie gerade hinter uns herreiten? Sie lassen ihre Tiere in schiefer Körperstellung galoppieren. Eine solche Haltung ist das sicherste Zeichen, daß ein Indianer sich hinter dem Pferd verbirgt.« – »Heilige Madonna. So werden sie uns abermals angreifen?« – »Entweder sie uns oder wir sie. Ich ziehe das letztere vor. Der Apache ist ganz meiner Meinung. Sehen Sie, wie er nach beiden Seiten späht!« – »Was sucht er?« – »Ein Versteck für uns, von dem aus wir die Komantschen fassen können. Überlassen wir ihm alles. Er ist die tüchtigste und wackerste Rothaut, die ich kenne, und auf ihn allein verlasse ich mich lieber, als auf tausende von Ihren Majordomos, so erfahren sie auch sind.« – »Gut! Verlassen wir uns auf ihn und auf noch einen!« – »Auf wen?« – »Auf Sie!« – »Ah, wollen Sie das wirklich?« fragte er mit einem freudigen Aufleuchten seiner Augen. – »Von ganzem Herzen!« antwortete sie. »Sie loben nur den Apachen, aber Sie vergessen zu sagen, daß man Ihnen ebenso vertrauen kann als ihm.« – »Glauben Sie das wirklich?« – »Ja. Ich habe Sie beobachtet. Sie sind kein gewöhnlicher Jäger, und ich glaube sicher, daß auch Sie einen Ehrennamen tragen, den Ihnen die Trapper und Indianer gegeben haben.«
   Er nickte.
   »Sie erraten es.« – »Und welches ist Ihr Jägername?« – »O bitte, nennen Sie mich immer Antonio oder Helmers.« – »Sie wollen ihn mir nicht sagen?« – »Jetzt nicht. Wenn man ihn einmal zufällig nennen wird, werde ich mich zu erkennen geben.« – »Ah, Sie sind eitel. Sie wollen inkognito sein wie ein Fürst.« – »Ja«, lachte er. »Ein guter Jäger muß ein klein wenig eitel sein, und Fürsten sind wir alle, nämlich Fürsten der Wildnis, des Waldes und der Prärie.« – »Fürsten! Ja, da fällt mir einer jener berühmten Namen ein.« – »Welcher?« – »Matavase.« – »Ja, der ist einer der Berühmtesten. Haben Sie von ihm gehört?« – »Viel. Er soll da oben in den Felsengebirgen gewesen sein.« – »Allerdings; darum nennen ihn die Indianer Matavase, die englischen Trapper Rockyprince, und die französischen Coureurs sagen Prince du roc. Alle diese drei Namen bedeuten ein und dasselbe, nämlich Fürst des Felsens.« – »Er ist ein Weißer?« – »Ja.« – »Haben Sie ihn gesehen?« – »Nein, aber ich habe gehört, daß er ein Landsmann von mir ist.« – »Ein Deutscher?« – »Ein Deutscher«, nickte Helmers. »Er soll Karl Sternau heißen und eigentlich ein Arzt sein. Er hat Amerika bereist und ist mehrere Monate mit unserem braven Bärenherz durch die gefährlichsten Regionen des Felsengebirges gestrichen. Jetzt befindet er sich längst wieder auf dem Kontinent.«
   Während dieses Gesprächs hatte man im Galopp den Weg fortgesetzt. Die offene Prärie lag hinter ihnen, und sie ritten nun durch ein Hügel– und Felsengewirr, das ganz geeignet war, ein Versteck zu bieten. Dies hatte der Apache gewollt, denn plötzlich bog er rechts ein und schlug einen schnellen, aber weiten Bogen, so daß sie nach bereits zehn Minuten eine Stelle erreichten, an der sie vorher vorbeigekommen waren.
   Die Stelle war von Bärenherz sehr vorsichtig gewählt worden. Die Truppe hielt auf einer von drei Seiten geschützten Anhöhe, die steil in die Schlucht niederfiel, durch die sie vorhin gekommen waren und die auch die Komantschen passieren mußten, wenn sie die Verfolgung wirklich fortsetzten.
   Der Apache stieg vom Pferd und pflockte dasselbe an. Die anderen taten ebenso.
   »Jetzt die Gewehre zur Hand!« gebot Helmers. »Wir werden nicht lange warten müssen.«
   Seine Gefährten gehorchten dem Gebot, sogar die beiden Mädchen ergriffen die erbeuteten Büchsen, schritten vor bis an den Rand und legten sich dort auf die Lauer.
   »Bst, Señor!« winkte der Deutsche dem Majordomo. »Den Kopf zurück, damit wir nicht bemerkt werden. Diese Komantschen haben scharfe Augen.« – »Späher vorüber lassen!« sagte der Apachenhäuptling in seiner kurzen Weise. – »Was meint er?« fragte einer der Vaqueros. – »Das ist doch sehr einfach«, antwortete der Deutsche. »Die Komantschen werden natürlich vermuten, daß wir auf den Gedanken kommen, ihnen aufzulauern. Daher werden sie wohl einen oder zwei Kundschafter voranreiten lassen, um sich zu überzeugen, ob wir einen Hinterhalt gelegt haben; sie kommen dann in sicherer Entfernung nach. Wir lassen also die Späher vorüber, die unserer Fährte weiter folgen werden, und warten, bis die anderen kommen. Aber wir schießen nicht aufs Geratewohl, sondern in der Reihenfolge, wie wir liegen, damit keine Kugel verschwendet wird. Der erste von uns schießt auf den ersten Komantschen, der zweite auf den zweiten und so weiter. Verstanden?«
   Die Vaqueros nickten zustimmend, und nun entstand eine Pause der Erwartung.
   Da endlich hörte man vorsichtig den Hufschlag zweier Pferde, und zwei Komantschen kamen langsam durch das Felsengewirr. Ihre scharfen Augen suchten jeden Schritt der Umgebung ab, wurden aber getäuscht, da die Spur der Mexikaner weiterführte. Daß diese seitwärts einen Bogen geschlagen hatten und zurückgeritten waren, daran dachten die Wilden nicht. Sie ritten vorüber und verschwanden hinter den Steinen.
   Nach einigen Minuten hörte man erneutes Pferdegetrappel. Die übrigen kamen und ritten unbesorgt heran, da sie ihre Kundschafter vor sich wußten. Als der letzte von ihnen in der Schlucht erschienen war, streckte der Apache sein Gewehr vor, und der Deutsche kommandierte:
   »Feuer!«
   Die Büchsen krachten, diejenigen des Deutschen und des Apachen zweimal, und ebenso viele Feinde stürzten von den Pferden. Die anderen stockten einige Augenblicke. Sie wußten nicht, sollten sie fliehen oder den verborgenen Feind angreifen. Ratlos blickten sie ringsumher, bis sie endlich den Pulverdampf oben auf der Höhe gewahrten.
   »Nlate tki – dort sind sie!« rief einer, mit der Hand empor deutend.
   So kurz diese Pause war, die Unentschlossenheit der Wilden hatte den Weißen doch Zeit gegeben, schnell wieder zu laden. Ihre Schüsse krachten von neuem, und die Zahl der Gefallenen verdoppelte sich. Nun gab es für die wenigen Verschonten keinen Halt mehr. Sie rissen ihre Pferde herum und flohen im gestreckten Galopp davon.
   »Der Komantsche ist ein Feigling!« meinte der Apache stolz und stieg langsam die Stellung nieder, um sich die Skalpe der vier von ihm erschossenen Feinde zu holen. Auch die anderen folgten, um sich der Waffen und reiterlosen Pferde zu bemächtigen. Nach einem kurzen Aufenthalt konnte der Weg wieder fortgesetzt werden.
   »Nun werden wir für alle Zeiten sicher sein«, meinte Emma. – »Glauben Sie das nicht, Señorita!« sagte Helmers. – »Nicht? Ich dächte, die Lehre, die wir ihnen gegeben haben, sei hart genug!« – »Gerade deshalb werden sie auf Rache sinnen. Sehen Sie, daß der Apache da links hinüberblickt?« – »Ja. Was will er?« – »Dorthin führt die Fährte der beiden Späher, die gleich den anderen geflohen sind. Sie werden die übriggebliebenen treffen und uns folgen, bis sie wissen, wo wir sind und wo wir bleiben. Dann kehren sie um und holen genug Krieger, um die Hazienda zu überfallen.« – »Oh, die Hazienda ist fest. Sie ist eine kleine Festung.« – »Ich kenne diese Art von Meiereien oder Gutshöfen. Sie sind aus Stein gebaut und gewöhnlich mit Palisaden umgeben. Was aber hilft das gegen einen Feind, der unvermutet kommt?« – »Wir werden wachen.« – »Tun Sie das!« – »Und Sie mit. Ich will hoffen, daß Sie doch unser Gast sein werden!« – »Ich muß sehen, was Bärenherz dazu sagt. Von ihm kann ich mich nicht trennen.« – »Er wird bleiben!« – »Er ist ein Freund der Freiheit. Er hält es in einem Gebäude nie längere Zeit aus.« – »Oh«, lächelte sie, »ich sehe, daß er es aushalten wird.« – »Woher vermuten Sie das?« – »Aus den Blicken, mit denen er Karja betrachtet.« – »Ha! Sie beobachten richtig, wie ich auch schon bemerkt habe. Aber ich denke, die Indianerin liebt bereits den Grafen?« – »Gewiß. Bärenherz sollte mich dauern, wenn er sich hinreißen ließe.« – »Dauern? Pah! Er ist von einem eisenharten Stoff gemacht. Er wird nie um Liebe winseln und sich auch einer unerwiderten Neigung wegen nicht zu Tode jammern.« – »Aus welchem Stoff sind denn Sie gemacht?« neckte sie. – »Vielleicht aus demselben.« – »So würden auch Sie nicht jammern?« – »Nie!« – »Und doch habe ich gehört, daß der Deutsche ein Herz hat, wie kein anderer, so tief und so weich. Er soll sogar ein Herzenswort besitzen, das in keiner anderen Sprache vorkommt.« – »Sie meinen das Wort ›Gemüt‹? Ja, dieses Wort hat kein anderes Volk. Der Deutsche allein hat ein Gemüt und zugleich einen Charakter. Und ein Präriemann, mag er nun stammen von welchem Volk es nur immer sei, bettelt selbst um die Liebe nicht.« – »Das ist stolz!« – »Aber richtig. Das Weib, das ich liebe, soll mich auch achten. Aber bitte, wir bleiben zurück! Der Apache eilt, weil es vor allen Dingen gilt, einen sicheren Lagerplatz aufzusuchen, und das wollen wir ihm durch unser Zögern nicht erschweren.«
   Es ging nun in munterer Schnelligkeit vorwärts, bis sie einen breiten Wasserlauf erreichten. Der Apache folgte demselben, bis das Flüßchen einen Bogen bildete. Hier hielt er an.
   »Hier sicher?« fragte er Helmers in seiner kurzen Weise.
   Der Gefragte musterte mit prüfendem Blick die Umgebung und nickte zustimmend.
   »Hier ist‘s gut«, sagte er. »Von drei Seiten schützt uns der Fluß, und die andere können wir recht gut bewachen. Steigen wir also ab!«
   Sie sprangen alle von den Pferden und richteten das Lager vor. Innerhalb des Dreiviertelkreises, den der Fluß bildete, und hart an dem Ufer desselben wurden die Pferde postiert; dann kam das Feuer, um das sich die Gesellschaft lagerte, und die vierte, die Landseite, wurde von Büschen abgeschlossen, in die man eine Wache legte.
   Helmers richtete für Emma aus Zweigen und Laub ein weiches Lager vor; Bärenherz tat dasselbe für die Indianerin. Es war dies von seiten des Apachen eine ganz ungewöhnliche Auszeichnung, denn kein Wilder läßt sich herbei, eine Handreichung zu leisten, die die Frau oder das Mädchen selbst tun könnte.
   Nachdem man die Ereignisse des Tages ausführlich besprochen hatte, wozu jedoch der Apache kein Wort sagte, legte man sich zur Ruhe.
   Es war die Anordnung getroffen, daß ein jeder drei Viertelstunden wachen sollte. Bärenherz und Helmers hatten die letzten Wachen übernommen, da die Zeit kurz vor Beginn des Tages, in der die Wilden ihre Angriffe am liebsten zu unternehmen pflegen, die gefährlichste ist.
   Doch verging die Nacht ohne alle Störung, und man brach am Morgen mit erneuten Kräften auf. Während des Weiterritts ließen sich die Komantschen nicht wieder sehen; man kam nach und nach in kultiviertere Gegenden und erreichte am Nachmittag das Ziel.


   4. Kapitel

   Unter einer Hazienda versteht man eine Meierei; doch sind diese mexikanischen Haziendas sehr oft mit unseren größten Rittergütern zu vergleichen, da zu ihnen zuweilen ein Länderkomplex von der Größe eines deutschen Fürstentums gehört.
   Die Hacienda del Erina war ein so fürstlicher Besitz. Das massive Gebäude war aus Bruchsteinen erbaut und von Palisaden umgeben, die gegen räuberische Überfälle einen starken Schutz gewährten. Das Innere des einem Schloß gleichenden Herrenhauses war auf das feinste ausgestattet und zeigte eine solche Geräumigkeit, daß Hunderte von Menschen da Wohnung finden konnten.
   Umgeben wurde das Haus von einem großen Park, in dem die prachtvollste tropische Vegetation in den strahlendsten Farben schimmerte und die üppigsten Düfte verbreitete. Hieran schloß sich auf der einen Seite der dichte Urwald, auf der anderen ein ausgedehnter Feldwuchs, und auf den beiden übrigen sah man große Weiden sich ausdehnen, auf denen sich Herden tummelten, deren Stückzahl viele tausende betrug.
   Bereits als die Kavalkade an den Weiden vorüberritt, kamen mehrere Vaqueros mit lautem Jubel herbeigesprengt, um die Kommenden zu begrüßen. Der Jubel aber wurde sehr bald zum Zornesausbruch, als sie erfuhren, daß so viele ihrer Kameraden unter den Kugeln der Komantschen gefallen seien. Sie baten sofort, einen Rachezug gegen die Roten veranstalten zu dürfen.
   Der Majordomo war der Kavalkade vorangeritten, um sie anzumelden. Darum stand, als die Reiter an der Estanzia anlangten, der alte Pedro Arbellez bereits unter dem Tor, um seine Tochter und deren Begleiter zu begrüßen.
   Tränen der Freude schimmerten in seinen Augen, als er Emma vom Pferd hob.
   »Sei willkommen, mein Kind«, sagte er. »Du mußt auf dieser gefährlichen Reise viel gelitten haben, denn du siehst sehr angestrengt aus.«
   Sie umarmte und küßte ihn innig und antwortete:
   »Ja, mein Vater, ich war in einer Gefahr, die größer ist als Lebensgefahr.« – »O Gott, in welcher?« fragte er, indem er auch die Indianerin freundlich bewillkommnete. – »Wir wurden von den Komantschen gefangen.« – »Heilige Mutter Gottes! Sind die jetzt am Rio Pecos?« – »Ja. Hier diese beiden Männer sind unsere Retter.«
   Emma nahm den Deutschen und den Apachen bei der Hand und führte sie dem Vater zu.
   »Dieser hier ist Señor Antonio Helmers aus Deutschland, und dieser ist Shoshinliett, der Häuptling der Apachen. Ohne sie hätte ich die Squaw eines Komantschen werden müssen, und die anderen hätte man am Pfahl zu Tode gemartert.«
   Dem alten, braven Verwalter trat schon bei dem Gedanken daran der Angstschweiß auf die Stirn.
   »Mein Gott, welch ein Unglück, und doch zugleich auch wieder welch ein Glück!« sagte er. »Willkommen Señores, von ganzem Herzen willkommen! Ihr sollt mir alles erzählen, und dann will ich sehen, wie ich Euch dankbar sein kann. Kommt herein und seid die Herren dieses Hauses!«
   Das war ein sehr freundlicher und liebenswürdiger Empfang. Überhaupt machte der Anblick des alten Mannes den Eindruck der Ehrlichkeit und Biederkeit, man mußte ihn sofort liebhaben.
   Die Gäste kamen durch das Palisadentor, übergaben ihre Pferde einigen Knechten und traten in das Gebäude; während der Majordomo mit den Vaqueros in dem Vorraum zurückgeblieben war, führte der Haziendero die beiden anderen mit den Damen nach dem Empfangszimmer, wo Platz genommen wurde, bis Emma in großen Umrissen ihr Abenteuer berichtet hatte.
   »Mein Jesus«, klagte der Haziendero, »was müßt ihr gelitten haben, ihr beiden Mädchen! Aber Gott hat diese beiden Señores gesandt, um euch zu retten. Ihm und ihnen sei Dank gesagt. Was wird der Graf und was wird Tecalto sagen, wenn sie es hören!« – »Tecalto?« fragte die Indianerin. »Ist Büffelstirn, mein Bruder, da?« – »Ja, er ist gestern angekommen.« – »Und der Graf auch?« fragte Emma. – »Ja, bereits eine Woche. Ah, da ist er!«
   Die Tür zu dem nebenan liegenden Speisesaal öffnete sich, und Graf Alfonzo trat heraus. Er trug einen rotseidenen, persisch in Gold gestickten Schlafrock, eine Hose vom feinsten weißen, französischen Linnen, blaue Samthausschuhe und einen türkischen Fez auf dem Kopf. Er verbreitete einen solchen Duft um sich, daß man hätte meinen können, in einer Parfümeriehandlung zu sein. Die offengebliebene Tür erlaubte, einen Blick in den Speisesalon zu tun. Die Ausschmückung desselben war mehr als fein, war luxuriös, und an der Serviette, die der Graf in der Hand trug, bemerkte man, daß er beschäftigt gewesen war, in den Genüssen und Delikatessen Mexikos zu schwelgen.
   »Man nannte meinen Namen«, sagte er. »Ah, die schönen Damen sind es! Glücklich wieder zurückgekehrt, Señoritas?«
   Bei seinem Anblick war die Indianerin blutrot geworden, was dem scharfen Auge des Apachen nicht entging; Emma aber blieb sich vollständig gleich. Sie antwortete kalt, wenn auch höflich:
   »Wie Sie sehen, Graf. Bald wären wir nicht wieder zurückgekehrt. Und doch war es nur ein kleiner Unfall, der uns betraf. Die Komantschen nahmen uns nämlich ein wenig gefangen.« – »Donnerwetter!« rief er. »Ich werde sie züchtigen lassen!« – »Das wird nicht sehr leicht sein«, erwiderte Emma spöttisch. »Übrigens sind wir ja davongekommen, hier unsere Lebensretter.«
   Der Graf trat einige Schritte zurück, setzte den Zwicker auf die Nase, betrachtete die beiden »Retter«, zog ein sehr enttäuschtes Gesicht und fragte:
   »Wer sind diese Leute?« – »Dieser hier ist Señor Helmers aus Deutschland, und der andere ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen.« – »Ah, ein Deutscher und ein Apache. Das gehört allerdings zusammen. Wann reisen diese Señores wieder ab? Doch sogleich?« – »Sie sind meine Gäste und werden bleiben, so lange es ihnen beliebt«, entgegnete der Haziendero. – »Aber, Arbellez, wo denkt Ihr hin!« rief da der Graf. »Seht Euch diese Männer an. Ich und sie unter einem Dach! Sie riechen nach Wald und Sumpf. Ich würde sofort abreisen!«
   Der Haziendero richtete sich auf. Sein Auge flammte vor Zorn.
   »Ich kann Ew. Erlaucht nicht halten«, versetzte er. »Diese Señores haben das Leben und das Glück meines Kindes gerettet und sind mir hochwillkommen.« – »Ah! Ihr widersprecht mir?« rief der Graf. – »Ja«, antwortete Arbellez fest. – »Wißt Ihr, daß ich hier der Gebieter bin?« – »Das weiß ich nicht.« – »Nicht?« zischte Alfonzo. »Wer sonst?« – »Graf Ferdinando. Ihr seid hier nur als Gast anwesend. Übrigens hätte selbst Graf Ferdinando keine Stimme in dieser Angelegenheit. Ich bin Pächter auf Lebenszeit. Wer will mir befehlen, wen ich bei mir empfangen soll oder nicht?« – »Verdammt, das ist stark.« – »Nein, stark war mir Ihre Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit gegen meine Gäste. Wenn Ihnen schon der Wald– und Sumpfgeruch nicht angenehm ist, von dem ich allerdings ganz und gar nichts merke, so weiß ich wirklich nicht, ob diese Señores nicht Ihre Parfüms auffällig finden, die ich recht gut bemerke. Ich werde meine Gäste jetzt in den Speisesaal führen und überlasse es Ihnen, weiterzuspeisen oder nicht.«
   Damit öffnete der Haziendero die Tür des Saales noch weiter und bat die beiden mit der höflichsten Verbeugung, Zutritt zu nehmen. Der Indianer hatte teilnahmslos dagestanden; kein Blick seines Auges hatte den Grafen getroffen, und fast schien es, als ob er auch kein Wort desselben verstanden habe. Er schritt stolz und wortlos in den Saal. Helmers dagegen wandte sich zuvor zum Grafen:
   »Sie sind Graf Alfonzo de Rodriganda?« – »Ja«, antwortete der Gefragte erstaunt, daß ihn der Jäger anzureden wagte. – »So. Señor Arbellez hatte vergessen, Sie auch uns vorzustellen. Sie sind gefordert. Was wählen Sie, Degen, Pistolen oder Kugelbüchsen?« – »Sie wollen sich mit mir schlagen?« fragte der Graf viel erstaunter als vorher. – »Versteht sich. Hätten Sie mich draußen vor der Hazienda beleidigt, so hätte ich Sie niedergeschlagen wie einen dummen Jungen; da es aber unter dem Dach meines Gastfreundes geschah, so nahm ich Rücksicht auf ihn und auf die Gegenwart dieser Damen. Nun ich jedoch höre, daß Sie in diesem Haus eigentlich keinen Pfifferling gelten, so biete ich Ihnen die Wahl der Waffen an.« – »Schlagen? Mit Euch? Gott, wer seid Ihr denn? Ein Jäger, ein Herumläufer! Pah!« – »Also nicht? So seid Ihr ein Lump, ein Feigling, ein ganz erbärmlicher Wicht! Laßt Ihr auch diese Prädikate auf Euch sitzen, so seid Ihr gerichtet auf alle Zeit. Tut, was Euch beliebt!«
   Helmers schritt dem Apachen nach. Der Graf stand ganz perplex da.
   »Arbellez, das leidet Ihr?« fragte er den Haziendero. – »Wenn Ihr es leidet!« antwortete dieser. »Komm, Emma, komm, Karja. Unser Platz ist da drinnen bei den Ehrenmännern.« – »Ah, welche Niederträchtigkeit! Das werde ich Euch eintränken, Arbellez.« – »Versucht es!«
   Der wackere Alte ging in den Saal, die beiden Damen mit ihm. Als jedoch Emma an dem Grafen vorüberschritt, sagte sie mit verächtlich gekräuselten Lippen und funkelnden Augen:
   »Das war niederträchtig, das war armselig!«
   Die Indianerin folgte ihr mit niedergeschlagenen Augen, es widerstrebte ihr, den Geliebten zu verachten, und dennoch konnte sie ihm nicht in das Gesicht sehen. Graf Alfonzo blieb stehen und kehrte nicht wieder nach dem Saal zurück. Er warf die Serviette zu Boden, stampfte mit den Füßen und knirschte:
   »Das sollt Ihr mir büßen, und bald, bald, bald!«
   Nach dieser ohnmächtigen Zornesäußerung suchte er sein Zimmer auf.
   Die anderen nahmen unterdessen ein lukullisches Mahl ein. Da gab es große Schnitte von Wassermelonen mit fleischfarbigem Inneren, deren wohlschmeckender Saft in rosigen Tropfen auf die silbernen Platten perlte; halb geöffnete Granaten, Früchte des Kerzenkaktus, Orangen, süße Limonen, Grenadillen und alle die Fleisch– und Mehlspeisen, an denen die mexikanische Küche so überaus reich ist. Während des Essens wurden die Erlebnisse noch ausführlicher besprochen, als es bisher möglich gewesen war; dann bat der Haziendero, den Señores ihre Zimmer anweisen zu dürfen.
   Die beiden Freunde wohnten nebeneinander. Es war dem Deutschen aber unmöglich, lange in dem engen Raum zu bleiben; er verließ ihn und suchte den Garten auf, wo er sich von Wohlgerüchen umduften ließ, bis er hinaustrat in das Freie, um die herrlichen mexikanischen Renner auf der Weide zu beobachten.
   Indem er so an den Palisaden hinschlenderte und um eine Ecke bog, erhob sich plötzlich vor ihm eine Gestalt, deren frappantes Äußeres ihn zum Stehen brachte. Der hohe, starke Mann war vollständig in ungegerbtes Büffelleder gekleidet, so wie die Ciboleros sich zu tragen pflegen; auf dem Kopf saß ihm der obere Teil eines Bärenschädels, von dem einige Streifen Fell bis fast herab zur Erde schleiften. Aus dem breiten Ledergürtel guckten die Griffe von Messern und anderen Werkzeugen, von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte herüber hatte er einen fünffach geflochtenen Lasso um den Leib geschlungen, und an der Palisade lehnte eine jener alten, schmiedeeisernen Büchsen, wie sie vor hundert Jahren in Kentucky gemacht wurden und die ein gewöhnlicher Mann nicht zu handhaben vermag, so schwer sind sie.
   »Wer bist du?« fragte Helmers im ersten Augenblick des Erstaunens. – »Ich bin Büffelstirn, der Indianer«, antwortete der Gefragte. – »Tecalto bist du? Mokaschimotak, der Cibolero?« – »Ja. Kennst du mich?« – »Ich sah dich noch nie, aber ich habe viel, sehr viel von dir gehört.« – »Wer bist du?« – »Mein Name ist Helmers, ich bin ein Deutscher.«
   Das ernste Gesicht des Indianers klärte sich auf. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und konnte als eine Schönheit des indianischen Typus gelten.
   »So bist du der Jäger, der Karja, meine Schwester, befreit hat?« – »Der Zufall war mir hold.« – »Nein, das war kein Zufall. Du hast dir die Pferde der Komantschen geholt und bist ihnen nachgeritten. Büffelstirn ist dir vielen Dank schuldig. Du bist so tapfer wie Matavase, der Fürst des Felsens, der auch ein Deutscher ist.« – »Kennst du die Deutschen?« – »Ich kenne einige. Sie werden von den Amerikanern Dutchmen genannt. Sie sind stark, tapfer und klug, wahr und treu. Ich habe gehört von einem von ihnen, den die Apachen und Komantschen Itintika, den Donnerpfeil, nennen.« – »Gesehen hast du ihn noch nicht?« fragte der Deutsche. – »Nein, er heißt der Donnerpfeil, weil er schnell und sicher ist wie der Pfeil und mächtig und schwer wie der Donner. Seine Büchse fehlt nie ihr Ziel, und sein Auge irrt auf keiner Spur. Ich habe viel von ihm gehört, ich habe ihn bisher noch nie gesehen, aber heute sehe ich ihn.« – »Wo?« fragte Helmers überrascht. – »Hier. Du bist es.« – »Ich? Woran erkennst du mich?« – »Siehe deine Wange an. Donnerpfeil hat einen Bowiemesserstich durch die Wange erhalten, das weiß ein jeder, der einmal von ihm gehört hat. Solche Erkennungszeichen merkt man sich. Habe ich richtig geraten oder nicht?«
   Helmers nickte.
   »Du hast recht. Man nennt mich allerdings Itintika, den Donnerpfeil.« – »So danke ich Wahkonta – Gott —, daß er mir erlaubt hat, mit dir zu sprechen. Du bist ein tapferer Mann, reiche mir deine Hand und sei mein Bruder.«
   Sie schlugen ein, und Helmers sagte:
   »So lange unsere Augen einander erblicken, soll Freundschaft sein zwischen mir und dir!«
   Und der Indianer fügte hinzu:
   »Meine Hand sei deine Hand und mein Fuß dein Fuß. Wehe deinem Feind, denn er ist auch der meinige, und wehe meinem Feind, da er auch der deinige ist. Ich bin du, und du bist ich, wir sind eins!«
   Sie umarmten sich.
   Dieser Büffelstirn war kein Indianer nach der Art der nördlichen Roten. Er war gesprächig und mitteilsam, und doch wohl trotzdem nicht minder furchtbar, als einer jener schweigsamen Wilden, die es für eine Schande halten, gleich einem Weib den Gefühlen des Herzens Worte zu verleihen.
   »Du wohnst in der Hazienda?« fragte Helmers. – »Nein«, antwortete der Büffeljäger. »Wer mag wohnen und schlafen in der Luft, die zwischen Mauern gefangen ist. Ich wohne hier.«
   Er deutete auf das Rasenstück, auf dem er stand.
   »So hast du das beste Lager auf der ganzen Estanzia. Ich konnte es in der Stube nicht aushalten.« – »Auch Bärenherz, dein Freund, hat die Weide aufgesucht.« – »Er ist hier?« – »Ja. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und ihm gedankt. Wir sind Brüder geworden wie ich und du.« – »Wo ist er?« – »Er sitzt da drüben bei den Vaqueros, die von dem Überfall der Komantschen erzählen.« – »Laß uns zu ihnen gehen.«
   Der Indianer ergriff seine schwere Büchse, warf sie auf die Schulter und führte den Deutschen.


   5. Kapitel

   Weit draußen, mitten zwischen halbwilden weidenden Pferdegruppen, saßen die rauhen Vaqueros an der Erde und erzählten sich die Abenteuer ihrer jungen Herrin, die sich sehr schnell herumgesprochen hatten. Bärenherz saß schweigsam dabei. Er sagte kein Wort dazu, obgleich er alles besser und wahrer hätte erzählen können. Die beiden kamen und setzten sich mit zu den anderen, die sich nicht stören ließen, obgleich nun auch der zweite Held der Erzählung zugegen war. Dieser nahm zuweilen das Wort, und so entwickelte sich nach und nach eine jener fesselnden Unterhaltungen, die man nur beim Lagern in der Wildnis zu hören bekommt.
   Da drang ein zorniges Schnauben und Röcheln in das Gespräch hinein.
   »Was ist das?« fragte Helmers, der sich bei diesem Geräusch schnell umdrehte. – »Es ist der Rapphengst«, antwortete einer der Vaqueros. – »Was ist mit ihm?« – »Er soll verhungern, wenn er nicht gehorcht.« – »Verhungern? Warum?« – »Er ist unzähmbar.« – »Pah!« – »Pah? Señor, zweifelt ja nicht! Wir haben uns alle Mühe mit ihm gegeben. Wir haben ihn nun schon dreimal im Korral gehabt, um ihn zu zähmen, aber wir mußten ihn immer wieder freigeben. Er ist ein Teufel. Wir alle sind Reiter, das könnt Ihr glauben, aber alle hat er abgeworfen, außer einem.« – »Wer ist dieser eine?« – »Büffelstirn hier, der Häuptling der Mixtekas. Er allein wurde nicht abgeworfen, aber dennoch hat er ihn nicht bezwungen.« – »Unmöglich. Wer nicht abgeworfen wird, der muß doch Sieger bleiben.« – »So dachten auch wir. Aber der Teufel von einem Rapphengst ist mit ihm in das Wasser gegangen, um ihn herabzutauchen, und als dies nichts fruchtete, hat er ihn in den dichtesten Wald getragen und einfach abgestreift.« – »Donnerwetter!« rief Helmers. – »Ja«, nickte Büffelstirn. »Es ist eine Schande, aber es ist wahr. Und ich darf mich doch rühmen, daß ich schon manches Pferd totgemacht habe, das nicht gehorchen wollte.«
   Der Vaquero fuhr fort:
   »Es sind viele berühmte Reiter und Jäger hier auf der Estanzia gewesen, um ihre Kraft und Gewandtheit zu versuchen, aber immer vergebens. Sie alle sagen, daß es nur einen gibt, der den Hengst bezwingen kann.« – »Wer sollte das sein?« – »Das ist ein fremder Jäger da oben am Red River, der selbst den Teufel in die Hölle reiten würde. Dieser Mann ist mitten in wilde Pferdetrupps geraten und von Kopf zu Kopf über die Tiere hinweggelaufen, um sich das beste herauszuholen.«
   Helmers lächelte belustigt und fragte:
   »Hat er einen Namen?« – »Das versteht sich.« – »Welchen?« – »Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itintika, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.«
   Helmers ließ es sich nicht merken, daß von ihm selbst die Rede sei, auch Bärenherz und Büffelstirn zuckten mit keiner Miene. Der erstere aber fragte:
   »Wo ist das Pferd?« – »Dort hinter jener Truppe liegt es.« – »Gefesselt?« – »Natürlich!« – »Alle Teufel, das ist Unrecht.« – »Pah. Señor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber dieses Mal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.« – »So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?« – »Versteht sich.« – »Zeigt mir ihn.« – »So kommt, Señor.«
   Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeigeritten kommen. Es war der gewöhnliche Inspektionsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen sich nicht stören und führten Helmers zu dem Hengst.
   Das Tier lag, an allen vieren gefesselt und mit einem Korb vor dem Maul, am Boden. Die Augen waren ihm vor Wut und Aufregung mit Blut unterlaufen, jede einzelne Ader war zum Zerplatzen geschwollen, und aus dem Maulkorb troff der Schaum in großen Flockentrauben.
   »Alle Wetter, das ist ja die reine Sünde!« rief Helmers. – »Macht es anders, Señor«, meinte der Vaquero, kaltblütig die Schultern zuckend. – »Das ist Tierquälerei. Das darf man nicht leiden. Auf diese Weise wird das edelste Pferd vollständig umgebracht.«
   Helmers hatte sich ganz in Ekstase hineingeredet. Da kam Arbellez mit den Mädchen an.
   »Was gibt es, Señor Helmers, daß Ihr Euch so ereifert?« fragte er. – »Ihr bringt den Hengst um!« antwortete dieser. – »Das will ich auch, wenn er nicht gehorchen lernt.« – »Er wird gehorchen lernen, so aber nicht.« – »Wir haben alles vergebens versucht.« – »Gebt ihm einen tüchtigen Reiter auf den Rücken!« – »Hilft nichts!« – »Pah! Darf ich es versuchen, Señor?« – »Nein.«
   Helmers sah ihn erstaunt an.
   »Warum nicht?« fragte er. – »Weil mir Euer Leben zu lieb ist.« – »Pah! Ich will lieber sterben, als dieses länger mit ansehen. Ein guter Pferdemann hält das nicht aus. Also, darf ich den Rappen reiten? Bitte, Señor!«
   Da drängte Emma besorgt ihr Pferd heran und bat ängstlich:
   »Vater, erlaube es ihm nicht! Der Rappe ist zu gefährlich!«
   Der Deutsche blickte ihr mit einem glücklichen Lächeln in das Gesicht. Ihre Angst war ihm ja ein Beweis, daß er ihr nicht gleichgültig sei, dennoch aber fragte er sehr ernst:
   »Señorita, hassen Sie mich?« – »Hassen? Mein Gott, warum sollte ich das?« – »Oder verachten Sie mich?« – »Das noch viel weniger!« – »Nun, warum beleidigen Sie mich in dieser Weise? Nur ein Knabe unternimmt, was er nicht auszuführen vermag. Ich sage Ihnen, daß ich den Schwarzen ganz und gar nicht fürchte.« – »Sie kennen das Tier nicht, Señor«, mahnte Arbellez. »Es sind viele hier gewesen, die behaupten, daß nur Itintika, der Donnerpfeil, es bändigen könne.« – »Kennen Sie diesen Itintika?« – »Nein, aber er ist der beste Rastreador und Reiter, der zwischen den beiden Meeren lebt.« – »Und dennoch bitte ich um den Hengst.« – »Ich warne Sie.« – »Ich bleibe bei meiner Bitte.« – »Nun wohl, ich muß sie ihnen gewähren, denn Sie sind mein Gast, aber es tut mir leid um die Folgen. Zürnen Sie mir später nicht!«
   Da stieg Emma schnell vom Pferd, trat auf Helmers zu und bat, seine Hand ergreifend:
   »Señor Helmers, wollen Sie nicht doch um meinetwillen von dem Pferd ablassen? Mir ist so unendlich angst!«
   Er erglühte vor Wonne, und sein Auge traf mit einem glühenden Strahl das ihrige.
   »Señorita«, entgegnete er, »sprechen Sie aufrichtig: Ist es eine Ehre oder eine Schande für mich, wenn ich erst behaupte, daß ich mich nicht fürchte, und dann doch zurücktrete?«
   Sie senkte den Kopf, sie sah ein, daß er recht hatte, daß er vor den anderen, die alle gute Reiter waren, nicht zurückkonnte. Darum fragte sie kleinlaut:
   »Sie wollen es also wirklich wagen?« – »Oh, Señorita Emma, für mich ist das kein Wagnis!«
   Helmers blickte dem schönen Mädchen dabei mit einer so offenen, heiteren Zuversichtlichkeit in die Augen, daß es zurücktrat und an die Möglichkeit des Gelingens glaubte.
   »Wohlan, nun gilt‘s!«
   Mit diesen Worten trat er an den Hengst heran und wies die Vaqueros zurück, die ihm helfen wollten, die Fesseln abzunehmen. Das Tier wälzte sich noch immer schnaubend und stöhnend am Boden. Helmers nahm ihm den Korb ab und zog das Messer. Nur das Ende eines Lassos war dem Pferd um das Maul gebunden. Der Deutsche nahm diesen Riemen in die Linke, schnitt mit dem Messer die Fesseln erst der Hinter-, dann auch der Vorderbeine durch und saß, als der Rappe emporschnellte, wie angegossen auf dessen Rücken.
   Jetzt begann ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, wie ihn noch keiner der sich vorsichtig zurückziehenden Zuschauer gesehen hatte. Der Hengst ging vorn und hinten in die Höhe, bockte zur Seite, schlug und biß, warf sich zu Boden, wälzte sich, sprang wieder empor – immer blieb der Reiter über ihm. Es war zunächst ein Kampf der menschlichen Intelligenz gegen die Widerspenstigkeit eines wilden Tieres, dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Pferd schwitzte förmlich Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte, es strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter gab nicht nach, mit stählernem Schenkeldruck preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Atem auszugehen drohte, und nun erhob es sich zum letzten Mal mit allen vieren in die Luft, dann – schoß es davon, über Stock und Stein, über Graben und Büsche, daß man es mit seinem Reiter in einer halben Minute nicht mehr erblickte.
   »Donnerwetter, so etwas habe ich noch nicht gesehen!« gestand Arbellez. – »Er wird den Hals brechen«, sagte einer der Vaqueros. – »Nun nicht mehr«, meinte ein anderer. »Er hat gesiegt.« – »Oh, war es mir angst!« gestand Emma. »Aber ich glaube nun wirklich, daß keine Gefahr mehr vorhanden ist. Nicht war, Vater?« – »Sei ruhig. Wer so fest sitzt und solche Stärke zeigt, der stürzt nun nicht mehr herab. Das war ja gerade, als ob Teufel gegen Teufel kämpften. Ich glaube, dieser Itintika könnte es auch nicht besser machen.«
   Da trat Büffelstirn heran und sagte:
   »Nein, Señor, er kann es nicht besser machen, sondern nur ganz genauso.« – »Wieso? Ich verstehe nicht.« – »Dieser Señor Helmers ist ja Itintika, der Donnerpfeil.« – »Was?« fuhr Arbellez auf. »Er? Der Donnerpfeil?« – »Ja. Fragt hier den Häuptling der Apachen.«
   Arbellez richtete einen fragenden Blick auf den Genannten.
   »Ja, er ist es«, sagte dieser einfach. – »Ja, wenn ich das wußte, so hätte ich keine solche Angst ausgestanden«, erklärte der Haziendero. »Es war mir wahrhaftig so, als ob ich selbst auf dem Tier säße.«
   Emma blickte still vor sich hin, aber in ihrem Auge brannte ein glückliches, inniges Feuer. Helmers hatte recht gehabt, er konnte nicht zurück, es hatte sich um seine Ehre gehandelt, und nun wußte sie, daß er ein noch viel größerer Held sei, als sie bisher gedacht hatte.
   Voller Erwartung blieben alle halten, und keiner ging von dem Platz fort. So verfloß eine Viertelstunde, da kehrte Helmers zurück. Der Rapphengst war zum Zusammenbrechen müde, aber der Reiter saß lächelnd und frisch auf seinem Rücken. Emma ritt ihm entgegen.
   »Señor, ich danke Euch!« sagte sie.
   Ein anderer hätte gefragt. »Wofür?« Er aber verstand sie und lächelte ihr glücklich zu.
   »Nun, Señor Arbellez«, fragte er, »braucht es denn gerade wirklich dieser Itintika zu sein?« – »Natürlich!« – »Na, ich denke, wir können ihn entbehren, denn ich kann es auch.« – »Weil Ihr es seid, ja.« – »Aha, so ist mein Geheimnis verraten!« lachte er. – »Und das Inkognito des Fürsten der Savanne ist zu Ende«, fügte Emma hinzu.
   Es wurde ihm von allen Seiten die lauteste Bewunderung zuteil, er aber wehrte alle Lobeserhebungen ab und sagte:
   »Ich bin noch nicht fertig. Darf ich Sie auf Ihrem Ritt begleiten, Señor Arbellez?« – »Ist das Pferd nicht zu müde?« – »Es muß, ich will es so.« – »Gut, so kommt!«
   Sie ritten nun die weiten Plätze ab, auf denen Pferde, Rinder, Maultiere, Schafe und Ziegen weideten, und kehrten dann nach Hause zurück, wo der Rapphengst angepflockt wurde.


   6. Kapitel

   Als Karja, die Indianerin, sich nach ihrem Zimmer begab und an der Tür des Grafen vorüberging, öffnete sich diese, und Graf Alfonzo trat für einen Augenblick heraus.
   »Karja«, fragte er, »kann ich dich heute sprechen?« – »Wann?« fragte sie. – »Zwei Stunden vor Mitternacht.« – »Wo?« – »Unter den Ölbäumen am Bach.« – »Ich komme!«
   Als der Abend hereingebrochen war, versammelte man sich im Speisesaal, wo ein großartiges Souper aufgetragen wurde. Auch die beiden Indianerhäuptlinge waren anwesend, der Graf jedoch ließ sich nicht sehen. Er hatte sich bereits nach den Ölbäumen geschlichen, in deren Nähe das Wasser so vertraulich rauschte. Um die angegebene Zeit kam die Indianerin. Er umschlang sie und zog sie zu sich nieder. Sie zeigte sich schweigsamer als bisher.
   »Was hast du, Karja?« fragte er. »Liebst du mich nicht mehr?« – »O doch, obgleich ich dich nicht mehr lieben sollte«, erwiderte sie. »Freust du dich etwa nicht, daß ich gerettet worden bin?« – »Ah! Wie kommst du auf diesen Gedanken?« – »Hättest du sonst meine Retter beleidigt?« – »Sie gehören hinaus auf die Weide, nicht aber in die Estanzia.«
   Die Indianerin schüttelte den schönen Kopf.
   »Du bist nicht edel, Alfonzo.« – »O doch, aber ich hasse alles Häßliche.« – »Ist dieser Donnerpfeil etwa häßlich?« – »Donnerpfeil? Der große Reiter und Rastreador? Den habe ich ja noch gar nicht gesehen.« – »Du hast ihn allerdings gesehen. Es ist Helmers.« – »Verdammt! Nun begreife ich auch die Forderung.« – »Wirst du dich mit ihm schlagen?« – »Fällt mir nicht ein. Er ist mir nicht ebenbürtig!«
   Die Indianerin liebte Alfonzo, und sie hatte Angst um ihn, darum sagte sie:
   »Daran tust du recht, du wärest sonst verloren.«
   Es ist nicht angenehm für einen Mann, von der Geliebten zu hören, daß sie einen anderen für stärker und tapferer hält. Er antwortete daher
   »Du täuschst dich. Sahst du mich einmal schießen oder fechten?« – »Nein.« – »Nun, so kannst du auch nicht über mich urteilen. Ein Ritter, ein Graf muß ja in solchen Dingen jedem Jäger überlegen sein. Du wirst mich erst kennenlernen, wenn ich dich zu meiner Gemahlin erhoben habe.« – »Oh, das wird nie geschehen!« – »Warum zweifelst du?« – »O Alfonzo, ich möchte dir ja so gern glauben. Ich liebe dich, und wir würden glücklich sein.« – »Ja, wir werden es, und ob früher oder später, das kommt ganz auf dich an, mein süßes Herz. Kennst du nicht die Bedingung, die ich dir gesagt habe?« – »Sie ist hart, denn sie verlangt, daß ich meinen Schwur breche, daß ich zur Verräterin an meinem Volk werde.« – »Der Schwur bindet dich nicht, da du ihn als Kind gabst und dein Volk kein Volk mehr ist. Wenn du mich liebst und die meinige werden willst, so ist nur mein Volk das deinige. Ich bin jetzt nach der Hacienda del Erina gekommen, um mir Gewißheit zu holen. Muß ich auch dieses Mal ohne dich abreisen, so gehe ich nach Spanien, und wir sind getrennt für immer.« – »Du bist grausam.« – »Nein, ich bin nur vorsichtig. Ein Herz, das kein Opfer zu bringen vermag, kann nicht wirklich lieben.« – »Oh«, rief Karja, ihn umschlingend, »ich liebe dich ja unendlich! Glaube es mir doch!« – »So beweise es mir!« – »Muß es wirklich sein?« – »Ja. Wir brauchen die Schätze der Königshöhle, um dem Vaterland einen neuen Herrscher zu geben. Und die erste Tat dieses Herrschers wird sein, dich in den Adelsstand zu erheben, damit du Gräfin Rodriganda werden kannst.« – »Das wird wirklich geschehen?« – »Ich schwöre es dir zum tausendsten Mal.« – »Und du wirst meinem Bruder niemals verraten, daß ich es war, die dir das Geheimnis mitteilte?« – »Niemals. Er wird gar nicht erfahren, wer die Schätze gehoben hat.«
   Alfonzo fühlte die Indianerin nachgiebig werden, und seine Brust schwoll vor Entzücken. Er heuchelte ihr nur Liebe, um ihr das Geheimnis zu entlocken, und hätte ihr jetzt alles, alles versprochen, um sie nur zum Reden zu bringen.
   »Nun gut, du sollst erfahren, wo sich der Königsschatz befindet. Aber nur unter der Bedingung, daß ich dir erst am Tag unserer Verlobung das Geheimnis offenbare.« – »Das geht nicht«, sagte er enttäuscht. »Du erhältst den Adel nur nach der Entdeckung des Schatzes, und eher darf den Gesetzen des Landes gemäß unsere Verlobung nicht stattfinden.« – »Ist dies wirklich wahr?« fragte sie.
   Alfonzo umschlang sie, drückte sie an sich und küßte sie zärtlich auf die schwellenden Lippen. – »Es ist so, glaube es mir doch, meine liebe, liebe Karja. Du weißt ja, daß ich ohne dich nicht leben kann! Du bist zwar ein Fürstenkind, aber das gilt nach spanischen Gesetzen nicht als Adel. Meinem Herzen bist du teuer und ebenbürtig, vor der Welt aber ist dies anders. Magst du mir denn nicht vertrauen, mein Leben?« – »Ja, du sollst es erfahren«, erwiderte Karja, deren Widerstand unter seinen Zärtlichkeiten zusammenschmolz. »Aber dennoch wirst du mir eine ganz kleine Bedingung erlauben. Gib mir vorher eine Schrift, in der du bekennst, daß ich gegen Überantwortung des Schatzes deine Frau werden soll.«
   Diese Bedingung war Alfonzo höchst fatal; aber sollte er jetzt, so nahe am Ziel, einer Albernheit wegen zaudern? Nein. Diese Indianerin war nicht die Person, mit einigen geschriebenen Worten irgendwelche Ansprüche rechtfertigen zu können; darum antwortete er bereitwillig:
   »Gern, sehr gern, meine Karja! Ich tue ja damit nur das, was ich selbst von ganzem Herzen wünsche. Also sag, wo liegen die Schätze?« – »Erst die Schrift, lieber Alfonzo!« – »Schön. Ich werde sie bis morgen mittag anfertigen.« – »Und dein Siegel darunter setzen?« – »Jawohl!« – »So werde ich dir am Abend den Ort beschreiben.« – »Warum erst am Abend? Die Schrift ist ja bereits am Mittag fertig. Darf ich da zu dir kommen?« – »Nein. Ich muß jeden Augenblick gewärtig sein, daß Emma oder eine der Dienerinnen mich aufsucht. Man könnte uns leicht überraschen.« – »So kommst du zu mir?« – »Ich zu dir?« fragte sie zögernd. – »Fürchtest du dich?« – »Nein. Ich werde kommen.« – »Ich kann mich darauf verlassen?« – »Ja, gewiß!«
   Da zog er Karja abermals an sich und küßte sie, obgleich ihm diese Zärtlichkeit eine gewisse Überwindung kostete. Sein Herz war zwar weit, aber eine Indianerin war doch nicht nach seinem Geschmack. Er liebte – wenigstens für jetzt – eine andere, und diese andere war Emma Arbellez, deretwegen er so oft von Mexiko nach der Hazienda kam, Emma Arbellez, die ihn doch stets so kalt und schroff zurückwies und ihm noch heute ihre Verachtung in so deutlichen Ausdrücken zu verstehen gegeben hatte.
   Während Alfonzo und die Indianerin unter den Oliven saßen, führte Helmers den Häuptling Tecalto nach seinem Lagerplatz im Gras der Weide. Er war seit langer Zeit die freie Gottesnacht gewöhnt und wollte, ehe er sich im Zimmer schlafen legte, noch eine Lunge voll frischer Luft sammeln. Darum ging er, als er sich von dem Häuptling verabschiedet hatte, noch nicht in die Hazienda zurück, sondern trat in den Blumengarten, wo er sich am Rand des künstlichen Bassins niederließ, in dem eine Fontäne ihren belebenden Wasserstrahl in die Höhe schoß.
   Er hatte noch nicht lange hier gesessen, als er leise Schritte hörte. Gleich daraufkam eine weibliche Gestalt langsam den Gang dahergeschritten und gerade auf die Fontäne zu. Er erkannte Emma und erhob sich, um nicht vielleicht für einen Lauscher gehalten zu werden. Sie erblickte ihn und zauderte, weiterzugehen.
   »Bitte, Señorita, treten Sie getrost näher«, bat er. »Ich werde mich sogleich entfernen, um Sie nicht zu stören.« – »Ach, Sie sind es, Señor Helmers«, antwortete sie. »Ich glaubte, daß es ein anderer sei, und dachte, Sie hätten sich bereits zur Ruhe begeben.« – »Das Zimmer ist mir noch zu unbequem und drückend; man muß sich erst daran gewöhnen!« – »Es ging mir ganz ebenso, darum suchte ich vorher noch den Garten auf.« – »So genießen Sie den Abend ungestört. Gute Nacht, Señorita.«
   Helmers wollte sich zurückziehen, sie aber nahm ihn bei der Hand, um ihn zurückzuhalten.
   »Bleiben Sie, wenn es Ihnen Bedürfnis ist«, sagte sie. »Unser Gott hat Luft und Duft und Sterne genug für uns beide. Sie stören mich nicht.«
   Er gehorchte und nahm neben ihr am Rand des Bassins Platz.
   Unterdessen hatte sich der Häuptling der Mixtekas hart an der Gartenpalisade niedergelegt. Er blickte träumerisch gen Himmel und ließ seine Phantasie hinaufsteigen in jene ewigen Welten, wo die Sonnen rollen, die von seinen Ahnen verehrt worden waren. Dabei aber hatte er doch Sinn für das kleinste Geräusch seiner Umgebung.
   Da war es ihm, als ob er im Innern des Blumengartens leise Schritte und dann auch unterdrückte Stimmen vernehme. Er wußte, daß der Graf sich bemühte, so oft wie möglich in die Nähe seiner Schwester Karja zu kommen, und ebenso, daß diese dem Bestreben des Grafen keinen Widerstand entgegensetzte. Sein Argwohn erwachte. Weder der Graf noch Karja waren seit einer Stunde in der Hazienda zu sehen gewesen. Sollten sie ein Stelldichein im Garten verabredet haben? Er mußte das erfahren, das war notwendig für ihn und sie.
   Er erhob sich also und schwang sich mit echt indianischer Leichtigkeit über die Palisaden in den Garten hinüber. Dort legte er sich auf den Boden und schlich mit solcher Unhörbarkeit näher, daß selbst das geschärfte, jetzt aber in Sicherheit gewiegte Ohr des Deutschen nichts vernahm. So erreichte er unbemerkt die andere Seite des Bassins und konnte nun jedes Wort der Unterhaltung verstehen.
   »Señor, ich sollte Ihnen eigentlich zürnen«, sagte Emma soeben. – »Warum?« – »Weil Sie mir heute so große Angst verursacht haben.« – »Wegen des Pferdes?« – »Ja.« – »Sie haben sich umsonst geängstigt, denn ich habe Pferde gebändigt, die noch viel schlimmer waren. Der Rappe ist nun so fromm, daß ihn jede Dame unbesorgt reiten kann.« – »Ein Gutes hat der Vorgang doch gehabt, nämlich, daß Sie Ihr Inkognito aufgegeben haben, Sie eitler Mann!« – »Oh«, lachte er, »eine eigentliche Eitelkeit war es nicht. Man muß zuweilen vorsichtig sein. Gerade dadurch, daß man mich für einen ganz gewöhnlichen und ungeübten Jäger hielt, habe ich oft die größten Vorteile errungen.« – »Aber mir konnten Sie es doch wenigstens offenbaren. Sie hatten mir ja bereits ein viel größeres Geheimnis anvertraut.« – »Ein Geheimnis, das für mich wohl niemals einen Wert haben wird. Ich werde die Höhle des Königsschatzes niemals entdecken, obgleich ich mich hier in der Nähe desselben befinden muß.« – »Ah, woraus schließen Sie das?« – »Aus der Bildung der Berge und dem Lauf des Wassers. Die Gegend, die wir zuletzt durchritten, stimmt ganz genau mit einem Teil meiner Karte.« – »So haben Sie ja einen Anhalt gefunden und können weitersuchen.« – »Es fragt sich sehr, ob ich das tue. Ich bin nämlich im Zweifel, ob ich ein Recht dazu habe.« – »Sie hätten doch jedenfalls das Recht des Finders. Ich überschätze den Wert des Goldes keinesfalls, aber ich weiß doch auch, daß der Besitz desselben vieles gewährt, wonach Tausende vergeblich streben. Suchen Sie, Señor! Es sollte mich freuen, wenn Sie die Höhle fänden!« – »Ja, die Macht des Goldes ist groß«, sagte er nachdenklich, »ich habe in der Heimat einen armen Bruder, dessen Glück ich vielleicht machen könnte. Aber wem gehört der Schatz? Doch wohl den Nachkommen derer, die ihn versteckten.« – »Wissen Sie nicht, von wem Ihre Karte stammt?« – »Von einem Jäger, wie ich Ihnen bereits sagte. Er war verwundet und starb, ehe er mir die notwendigen mündlichen Aufklärungen geben konnte.« – »Und es steht kein Name darauf?« – »Nein. In der einen Ecke befindet sich ein rätselhaftes Zeichen, das ich nicht zu erklären vermag. Ja, ich nehme es mir vor, ich werde suchen. Aber wenn ich den Schatz wirklich finden sollte, so werde ich ihn nicht berühren, sondern nach den rechtlichen Besitzern desselben suchen. Sollten diese nicht zu finden sein, so ist es noch immer Zeit, sich zu entschließen.« – »Señor, Sie sind ein Ehrenmann«, sagte die Mexikanerin warm. – »Ich tue nur, was ich muß, und unterlasse alles Unrecht.« – »Ihr Bruder ist also arm?« – »Ja. Er ist ein Seemann, der es wohl nie zur Selbständigkeit bringen kann, so lange er auf seine eigene Kraft angewiesen ist, und ich selbst besitze nur eine kleine Summe, die ich aus dem Ertrag meiner Jagdstreifereien gelöst habe.« – »Sie besitzen mehr! Sollte ein ›Donnerpfeil‹ wirklich so arm sein? Gibt es nicht Reichtümer, die mit dem Besitz des Goldes nichts zu tun haben?« – »Ja, es gibt solche Schätze. Ich kenne einen solchen Schatz, der kostbarer ist, als alles Gold der Erde, und hätte ich tausend Leben, so würde ich sie alle opfern, um nach dem Besitz dieses Schatzes ringen zu dürfen. Ja, Señorita, ich bin Itintika, der Donnerpfeil; ich gehöre zu den gefürchtetsten Pfadfindern der Wildnis. Der Bösewicht zittert vor mir, mag er nun eine weiße oder eine rote Haut tragen. Ich bin an Gefahren gewöhnt, aber um diesen Schatz zu erobern, würde ich mit allen Weißen und Indianern des Westlandes kämpfen.« – »Darf man diesen Schatz kennenlernen?« – »Soll ich ihn nennen?« fragte er leise.
   In seiner Stimme klang jene unbeschreibliche Modulation, die nur eine Folge echter, wahrer Liebe ist. Dieser Ton fand Widerhall in ihrem Herzen. Sie antwortete:
   »Sagen Sie es!« – »Sie – Sie sind es!« sprach er da, indem er ihre Hand ergriff. »Glauben Sie das?« – »Ja, ich glaube es!« erwiderte sie einfach und innig. »Klingt das nicht wie eine Anmaßung, Señor? Aber es ist die Wahrheit, denn auch ich fühle es, daß man ein Menschenherz höher schätzen kann als alle Reichtümer dieser Erde! Ich selbst kenne ja auch einen solchen Schatz.«
   Es durchzitterte ihn in süßer, wonniger Ahnung bei diesen Worten, und er fragte:
   »Welcher Schatz ist es, Señorita?« – »Sie sind es – nein, du bist es, Antonio!«
   Bei diesen Worten schlang sie die Arme um seinen Nacken und legte das Köpfchen an seine Brust.
   »Ist‘s wahr, ist‘s möglich?« fragte er. – »Ja. Ich habe dich bewundert von dem Augenblick an, wo du meine Fesseln zerschnittest und mich mit starker Hand auf dein Pferd schwangst, und ich habe dich geliebt von dem Augenblick an, wo ich dir in dein gutes, treues Auge blicken konnte. Ich bin dein, du starker, du guter, du lieber Mann, und jeder Moment meines Lebens soll nur dir allein gewidmet sein.«
   Da legte auch er seine Arme um sie und flüsterte fast betend:
   »Herrgott, ich danke dir! Das ist des Glücks fast zu viel für einen armen Jägersmann.«
   Ihre Lippen suchten sich, und als sie sich in einem langen, seligen Kuß fanden, da hörten sie beide nicht, daß sich an der anderen Seite des Bassins etwas zu bewegen begann. Es war Mokaschimotak, der Häuptling Büffelstirn, der sich an die Palisaden zurückschlich, um sich über dieselben hinüberzuschwingen und sich zur Ruhe zu legen.


   7. Kapitel

   Um diese Zeit saß in einem abgelegenen Tal, vielleicht zwei Stunden von der Hacienda del Erina entfernt, eine Anzahl von ungefähr zwanzig Männern um ein Feuer. Es waren lauter wilde, verwegene Gestalten, deren jeder man zutrauen konnte, daß sie einen Mord oder so etwas Ähnliches auf dem Gewissen habe. Das Viertel eines Kalbs briet am Spieß, und die Reste des Tiers, die daneben lagen, bewiesen, daß man bereits seit längerer Zeit tüchtig geschmaust habe.
   »Also wie wird‘s, Capitano?« fragte einer mit unmutiger Stimme. »Warten wir noch länger?«
   Der Gefragte lag neben ihm auf dem Ellbogen. Er hatte ein echtes Banditengesicht, und sein Gürtel strotzte von Waffen.
   »Wir warten«, sagte er finster und bestimmt. – »Aber wie lange noch?« – »So lange es mir gefällt.« – »Oho, ich habe es satt!« – »Schweig!« – »Du wirst mir wohl erlauben, zu reden. Wir liegen bereits seit vier Tagen hier und wissen nicht, ob man uns nur für Narren hält.« – »Hältst du dich für einen Narren, so habe ich nichts dagegen. Wie ich mit mir daran bin, das weiß ich glücklicherweise ganz genau.« – »Aber wie wir mit diesem sogenannten Grafen daran sind, weißt du das auch?« – »Auch das weiß ich.« – »Nun, wie denn?« – »Er bezahlt uns gut, und wir warten also, bis er erklärt, was wir tun sollen.« – »Das halte der Teufel aus! Was hätten wir während dieser Zeit tun und verdienen können!« – »Schweig!« – »Oho! Ich bin ein Mann und habe zu reden!« – »Und ich bin der Capitano und verbiete es dir!« – »Wer hat dich zum Capitano gemacht? Doch erst wir!« – »Richtig! Und weil ich es nun einmal bin, so weiß ich es auch zu sein. Iß dein Fleisch und halte deinen Mund, sonst kennst du die Gesetze!« – »Du willst drohen?« fragte der andere, indem er an das Messer griff. – »Drohen? Nein, sondern handeln!«
   Der Capitano sagte dies in kaltem, gleichgültigem Ton, aber mit blitzschnellem Griff riß er die Pistole aus dem Gürtel und drückte ab. Der Schuß krachte, und der widersetzliche Sprecher stürzte mit zerschmettertem Kopf zu Boden.
   »So; das gehört dem Ungehorsam. Schafft ihn zur Seite!«
   Mit diesen Worten begann der Capitano, seine Pistole gleichgültig wieder zu laden.
   Es erhob sich ein leises, mißbilligendes Gemurmel, doch verstummte es sofort, als der Hauptmann den Kopf erhob.
   »Wer murrt?« fragte er. »Ich habe noch mehrere Kugeln. Was soll werden, wenn es keinen Gehorsam mehr gibt? Dieser Graf Rodriganda zahlt einem jeden von uns ein Goldstück pro Tag. Ist dies nicht genug? Er läßt uns warten, ja, aber er wird uns schon noch Arbeit bringen, denn eine solche Summe gibt selbst ein Graf nicht umsonst aus.«
   Die Leute beruhigten sich, und der Tote wurde zur Seite geschafft. Das Feuer warf seine ungewissen Schatten über die Gruppe. Man verzehrte den Rest des Fleisches, stellte eine Wache aus und hüllte sich in die Decken.
   Schon begann der Schlaf die Männer zu umfangen, als man den Hufschlag eines Pferdes hörte. Sofort erhoben sich alle aus ihrer liegenden Stellung. Ein Reiter nahte.
   »Wer da?« fragte die Wache. – »Der Richtige.« – »Kann passieren.«
   Der Angekommene gab sein Pferd der Wache und kam dann herbei. Es war Graf Alfonzo de Rodriganda. Er ließ sich neben dem Capitano nieder, zog seinen Tabak hervor und drehte sich eine Cigarrita. Man sah ihm schweigend zu, als er aber die Cigarrita angebrannt hatte und noch immer schwieg, fragte der Hauptmann:
   »Bringen Sie uns endlich Arbeit, Don Rodriganda?« – »Ja.« – »Was für welche? Wir tun alles, was uns gut bezahlt wird.«
   Der Capitano deutete dabei mit einer sprechenden Gebärde auf seinen Dolch. Der Graf schüttelte den Kopf und antwortete:
   »Es ist nichts Derartiges. Ihr sollt mir nur als Arrieros – Maultiertreiber – dienen.« – »Als Arrieros?« sagte der Capitano. »Señor, wir sind keine solchen Lumpen!« – »Das weiß ich. Hört, was ich euch sage!«
   Die Männer rückten neugierig zusammen, und Graf Alfonzo begann:
   »Ich habe etwas nach Mexiko zu schaffen, wovon kein Mensch etwas erfahren darf; das ist es. Kann ich auf euch rechnen?« – »Wenn Sie zahlen, ja.« – »Ihr sollt haben, was ihr verlangt. Habt ihr Packsättel mit?« – »Ja.« – »Säcke und Kisten?« – »Ja.« – »Gut. Pferde nehmen wir uns von der Estancia del Erina, so viele wir brauchen. Morgen um die Zeit bin ich wieder hier, und mit Tagesgrauen brechen wir auf.« – »Wohin?« – »Das weiß ich jetzt selbst noch nicht. Ich werde euch führen.« – »Was ist es, was wir zu transportieren haben?« – »Das geht euch nichts an. Ich bringe meine zwei Diener mit, die euch irgendwo und irgendwann die Säcke und Kisten füllen. Dann geht es unter meiner Aufsicht nach Mexiko, und ihr habt den Transport zu verteidigen, wenn wir vielleicht belästigt werden sollten.« – »Das ist ein geheimnisvolles Ding, Don Rodriganda. Wir werden den Preis danach richten müssen.« – »Tut es! Was verlangt ihr?« – »Drei Goldstücke pro Mann und Tag.« – »Zugestanden!« – »Mir als Anführer aber sechs.« – »Auch das!« – »Die ganze Beköstigung und Verpflegung.« – »Versteht sich.« – »Und wenn wir den Transport glücklich nach Mexiko bringen, dreihundert Goldstücke als Extrabelohnung.« – »Ihr sollt fünfhundert haben, wenn ich mit euch zufrieden bin!« – »Hurra, das klingt gut! Señor, verlaßt Euch auf uns; wir gehen für Euch durchs Feuer!« – »Das hoffe ich. Hier ist übrigens eine kleine Aufmunterung zur Treue. Verteilt es unter euch.«
   Graf Alfonzo zog eine Geldrolle aus der Tasche und gab sie dem Capitano. Dann ritt er davon.
   Als der Hufschlag seines Pferdes verklungen war, wartete der vorsichtige Anführer noch ein Weilchen; dann öffnete er die Rolle.
   »Gold!« sagte er. »Blankes, gelbes Gold!« – »Der ist splendid!« bemerkte einer. – »Hm«, meinte der Capitano, »da darf man seine Gedanken haben!« – »Was werden wir transportieren?« – »Niemand soll es wissen.« – »Auch wir selbst nicht?« – »Nur die beiden Diener zieht er ins Vertrauen.«
   So gingen die Fragen und Meinungen herüber und hinüber. Einer meinte:
   »Vielleicht ist es Menschenfleisch, was er verbergen will!« – »Oder Gold aus einer Estanzia.« – »Oder ein vergrabener Schatz der Aztekenkönige.«
   Der Anführer winkte zur Ruhe und meinte:
   »Jungens, zerbrecht euch nicht die Köpfe. Er zahlt so gut, daß das, was wir zu transportieren und zu verteidigen haben, sicher nichts Gewöhnliches ist. Wir werden ihm in allen Stücken gehorsam sein, dann aber seid mir ein klein wenig neugierig, und wenn wir das, was wir geladen haben auch gebrauchen können, so ist ein Graf ebensogut eine Kugel wert wie ein gräflicher Diener oder zwei solche Kerle. Jetzt schlaft und seid still!«
   Es wurde am Feuer ruhig, obgleich mancher von den Männern nicht wirklich schlief, sondern zu erraten suchte, welcher Art die Last sei, die ihnen anvertraut werden sollte.
   Am andern Morgen hatte sich Helmers kaum vom Lager erhoben, als der Haziendero bei ihm eintrat, um ihm einen guten Morgen zu wüschen. Trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins hatte er den Deutschen bereits herzlich liebgewonnen.
   »Ich komme eigentlich mit einer Bitte«, sagte er. – »Die ich erfüllen werde, wenn ich kann«, meinte Helmers. – »Sie können es. Sie befinden sich hier in der Einsamkeit, wo Sie Ihre Bedürfnisse gar nicht befriedigen können, während ich von allem einen Vorrat habe, da ich die Meinigen mit dem, was sie brauchen, versorgen muß. Wollen Sie sich mit Wäsche und einer neuen Kleidung versehen, so hoffe ich, daß Sie mit meinen Preisen zufrieden sein werden.«
   Helmers wußte gar wohl, wie es gemeint war, aber einesteils konnte er den guten Haziendero doch nicht beleidigen, und anderenteils befand sich sein alter Jagdanzug in einem sehr tragischen Zustand. Er überlegte sich die Sache also kurz und erwiderte:
   »Gut, ich nehme Ihr Anerbieten an, Señor Arbellez, vorausgesetzt, daß Ihre Preise nicht gar zu hoch sind, denn ich bin, offen gestanden, das, was man einen armen Teufel nennt.« – »Hm, eine Kleinigkeit wenigstens muß ich mir doch auch verdienen, obgleich die Zahlung nicht gerade heute notwendig ist. Kommen Sie, Señor; ich werde Ihnen meine Vorratskammer zeigen!«
   Als eine Stunde später Helmers vor dem Spiegel stand, kam er sich selbst ganz fremd vor. Er trug eine unten aufgeschlitzte, goldverbrämte mexikanische Hose, leichte Halbstiefel mit ungeheuren Rädersporen, ein schneeweißes Hemd, darüber eine kurze, vorn offene Jacke, die mit Gold– und Silberstücken besetzt war, auf dem Kopf einen breitkrempigen Sombrero und um die Taille einen Schal von feinster, chinesischer Seidengaze. Das Haar war ihm verschnitten, der Bart ausrasiert und zugestutzt, und so erkannte er sich in dieser kleidsamen, reichen Tracht kaum selbst wieder.
   Als er zum Frühstück in den Speisesaal trat, fand er Emma bereits anwesend. Sie errötete vor Entzücken, als sie die Veränderung bemerkte, die mit ihm vorgegangen war. So männlich und schön hatte sie sich ihn denn doch nicht gedacht. Auch Karja, die Indianerin, schien erst jetzt zu sehen, welch ein Mann der Deutsche war. Vielleicht stellte sie Vergleiche zwischen ihm und dem Grafen an. Die beiden Indianerhäuptlinge taten natürlich, als bemerkten sie diese Veränderung gar nicht. Einer aber ärgerte sich fürchterlich darüber.
   Das war der Graf. Die Hoffnung, bald in den Besitz des Schatzes zu gelangen, mochte ihn nachgiebig stimmen; er erschien zum Frühstück, wäre aber fast wieder umgekehrt, als er Helmers erblickte. Kein Mensch sprach ein Wort mit ihm, und er mußte sehen, mit welcher Herzlichkeit Emma mit dem Verhaßten verkehrte. Er knirschte heimlich mit den Zähnen und nahm sich vor, diesen Fremden unschädlich zu machen.
   Nach dem Frühstück bat Emma den Deutschen, noch zu bleiben. Er ahnte nicht im geringsten, was sie beabsichtigte, aber als die drei sich nun allein befanden, legte das schöne Mädchen den Arm um den Haziendero und sagte:
   »Vater, wir haben gestern nachgesonnen, wie wir Señor Helmers danken wollen.« – »Ja«, nickte er, »aber wir haben leider nichts gefunden.« – »Oh«, sagte sie, »ich habe dann später wieder nachgesonnen und das Richtige getroffen. Soll ich dir es zeigen?« – »Freilich!«
   Da nahm sie den Deutschen beim Kopf und küßte ihn.
   »So meine ich es, Vater, und ich denke, daß er es wert ist.«
   Die Augen des Hazienderos leuchteten und wurden feucht.
   »Mein Kind, ist dies dein Ernst?« – »Von ganzem Herzen, Vater!« versicherte sie. – »Und ist Señor Helmers damit zufrieden?« – »Oh, der liebt mich über alles, und das macht mich ja so glücklich!« – »Hat er es dir denn gesagt?« – »Jawohl!« lachte sie unter Tränen. – »Wann denn?« – »Gestern abend.« – »Und wo?« – »Im Garten: Aber, Vater, mußt du das alles wissen? Ist es dir denn nicht genug, daß ich glücklich bin, recht sehr, sehr glücklich?« – »Ja, ja, das ist mir genug, obgleich ich dir sagen muß, daß du auch mich ganz glücklich machst. Und Sie, Señor Helmers, wollen Sie denn wirklich der Sohn eines so alten, einfachen Mannes sein?«
   Dem guten Deutschen liefen die Tränen über die Wangen.
   »Oh, wie gern, wie so sehr gern!« antwortete er. »Aber ich bin arm, sehr arm, Señor!« – »Nun, so bin ich desto reicher, und das hebt sich also auf. Kommt an mein Herz, ihr guten Kinder. Gott segne uns alle und lasse diesen Tag den Anfang eines recht frohen Lebens sein!«
   Sie lagen sich in den Armen und hielten sich umschlungen lange, lange Zeit in tiefer Rührung und reinster Wonne, als sich die Tür öffnete und – der Graf wieder eintrat.
   Er blieb ganz erstaunt stehen, er verstand, was hier vorging, und wurde leichenblaß vor Grimm.
   »Ich kam eines der Pferde wegen«, entschuldigte er sich, »aber ich sehe, daß ich störe!« – »Gehen Sie nicht eher«, sagte der Haziendero, »als bis Sie erfahren, daß ich meine Tochter Señor Helmers verlobt habe!« – »Gratuliere!«
   Mit diesem wütend hervorgepreßten Wort verschwand er wieder. Pedro Arbellez aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als sein Gesinde zusammenrufen zu lassen, um ihm zu erklären, daß heute Feiertag sei, da die Verlobung von Doña Emma gefeiert würde. Die Hazienda und ihre Umgebung hallten wider von dem Jubel der Vaqueros und Indianer, die im Dienst des Hazienderos standen. Sie alle hatten ihre Herrschaft lieb und gestern ja auch den Deutschen als einen Mann kennengelernt, dem man die schöne Tochter Arbellez‘ wohl gönnen konnte.
   Als Helmers einmal hinaus auf die Weide trat, kam ihm der Häuptling der Mixtekas entgegen.
   »Du bist ein tapferer Mann«, sagte er. »Du besiegst den Feind und eroberst die schönste Squaw des Landes. Wahkonta gebe dir seinen Segen. Das wünscht dein Bruder.« – »Ja, es ist ein großes Glück«, antwortete der Deutsche. »Ich war ein armer Jäger und werde nun ein reicher Haziendero sein.« – »Du warst nicht arm, du warst reich!« – »Ja«, lächelte Helmers, »ich schlief im Wald und deckte mich mit den Sternen zu.« – »Nein«, entgegnete der Indianer ernst. »Du warst reich, denn du hattest die Karte zur Höhle des Königsschatzes.«
   Der Deutsche trat erstaunt einen Schritt zurück.
   »Woher weißt du das?« – »Ich weiß es! Darf ich die Karte sehen?« – »Ja.« – »Sogleich?« – »Komm!«
   Helmers führte den Indianer in sein Zimmer und legte ihm das abgegriffene Papier vor. Tecalto warf einen Blick in die Ecke des Plans und sagte:
   »Ja, du hast sie! Das ist das Zeichen von Toxertes, der der Vater meines Vaters war. Er mußte das Land verlassen und kehrte nie wieder zurück. Du bist nicht arm. Willst du die Höhle des Königsschatzes sehen?« – »Kannst du sie mir zeigen?« – »Ja.« – »Wem gehört der Schatz?« – »Mir und Karja, meiner Schwester. Wir sind die einzigen Abkömmlinge der Könige der Mixtekas. Soll ich dich führen?« – »Ich gehe mit!« – »So sei heute zwei Stunden nach Mitternacht bereit. Dieser Weg darf nur im Dunkel der Nacht angetreten werden.« – »Wer darf davon wissen?« – »Niemand. Aber dem Weib deines Herzens magst du es anvertrauen.« – »Warum ihr?« – »Weil sie weiß, daß du den Schatz suchtest.« – »Ah, woher ist dir das bekannt?« – »Ich habe jedes Wort gehört, daß ihr gestern im Garten geredet habt. Du hattest die Karte und wolltest dennoch nichts nehmen. Du wolltest erst forschen, ob der Erbe vorhanden ist. Du bist ein ehrlicher Mann, wie es unter den Bleichgesichtern wenige gibt. Darum sollst du den Schatz der Könige sehen.«
   Eine Stunde später, zur Zeit des Mittagsmahls, als die anderen beim Nachtisch saßen, schlüpfte die Indianerin in das Zimmer des Grafen. Er empfing sie mit vollster Zärtlichkeit und zog sie auf das Sofa.
   »Hast du das Papier geschrieben?« fragte sie. – »Kannst du lesen?« – »Ja«, antwortete sie stolz. – »Hier ist es.«
   Alfonzo gab Katja einen Bogen Papier, auf dem folgende Zeilen zu lesen waren:
   »Ich erkläre hiermit, daß ich nach Empfang des Schatzes der Könige der Mixtekas mich als Verlobten von Karja, der Nachkömmlingin dieser Könige, betrachten und sie als meine Gemahlin heimführen werde.
   Alfonzo,
   Graf de Rodriganda y Sevilla.«
   »Ist es so recht?« fragte er. – »Die Worte sind gut, aber das Siegel fehlt.« – »Das ist ja nicht notwendig!« – »Du hast es mir versprochen.« – »Gut, so magst du es haben«, sagte er, seinen Unwillen verbergend.
   Er brannte den Wachsstock an und drückte sein Siegel unter die Worte.
   »Hier, meine Karja! Und nun halte auch du dein Wort!« – »Ich halte es. Kennst du den Berg El Reparo?« – »Ja. Er liegt vier Stunden von hier gegen Westen.« – »Er siehst fast aus wie ein langgezogener, hoher Damm.« – »Das stimmt.« – »Von ihm fließen drei Bäche in das Tal. Der mittelste ist der für dich wichtige. Sein Anfang bildet keinen offenen Quell, sondern er tritt gleich voll und breit aus der Erde heraus. Wenn du in das Wasser trittst und da, wo es aus dem Berg kommt, dich bückst und hineinkriechst, so hast du die Höhle vor dir.« – »Ah, das wäre doch recht einfach.« – »Sehr einfach.« – »Braucht man Licht?« – »Du wirst Fackeln rechts vom Eingang finden.« – »Das ist alles, was du mir zu sagen hast?« – »Alles.« – »Und der Schatz befindet sich wirklich auch vollständig dort?« – »Vollständig.« – »So habe Dank, mein gutes Kind. Du bist jetzt meine Verlobte und wirst nun bald mein Weibchen sein. Jetzt aber geh. Man könnte uns hier überraschen.« – Sehe ich dich heute abend?« – »Ja. Wieder am Bach unter den Oliven.«
   Karja ging. Sie hatte ein Opfer gebracht, aber dieses Opfer lag ihr mit Zentnerschwere auf der Seele, denn sie mußte teilnehmen an der heutigen Festlichkeit, und doch war es ihr bei der allgemeinen Freude, als ob sie bittere Tränen weinen möchte.
   Der Graf blieb in seinen Gemächern und ließ sich gar nicht sehen. Am Nachmittag kam eine Estafette an ihn. Er erhielt einen Brief aus der Hauptstadt Mexiko, der ihm nur allein eingehändigt werden durfte. Als er ihn geöffnet und gelesen hatte, blickte er erst starr vor sich hin, dann aber sprang er auf und murmelte:
   »Es mag ein Verbrechen sein, pah! Ich heiße es jedoch gut, denn es bringt mir eine Grafenkrone. Wie gut, daß ich bereits zur Abreise gerüstet bin. Ich bringe einen Reichtum mit, um den mich Könige und Kaiser beneiden werden.«
   Der Brief lautete folgendermaßen:
   »Lieber Neffe!
   Dein Vater hat geschrieben. Du mußt nach Rodriganda. Zuvor jedoch stirbt der alte Ferdinando, ganz so wie es verabredet wurde. Komm! Der Kapitän Landola wartet bereits im Hafen.
   Dein Oheim Pablo Cortejo.«


   8. Kapitel

   Wenn es einen gab, dessen Beifall die Verlobung Helmers‘ mit der Mexikanerin nicht ganz hatte, so war dies Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Er hatte den Deutschen sehr liebgewonnen, wenn er es sich bei seiner schweigsamen Natur auch nicht merken ließ, und geglaubt, noch lange Zeit mit ihm durch Wald und Prärie streifen zu können, und nun mußte er diese Hoffnung aufgeben. Darum fühlte er sich unmutig und vereinsamt. Er fing sich also eines der halbwilden Pferde, setzte sich darauf und jagte in die Welt hinaus.
   Dort trieb er sich einige Stunden lang im tollen Jagen herum, bis er endlich doch daran dachte, daß man ihn vermissen und suchen werde, und kehrte zurück. Dabei suchte er sich aber nicht etwa den geradesten und bequemsten Weg aus, sondern folgte den Tälern, Schluchten und Gründen, wie sie ihm gerade in die Richtung kamen, bis er, in einer Vertiefung reitend, plötzlich Stimmen vernahm. Gleich darauf ertönte ein Schuß und ein Schrei.
   Ein solches Vorkommnis war verdächtig, besonders aber einem vorsichtigen Indianer. Er stieg also ab, band sein Pferd an, griff zur Büchse und pirschte sich vorsichtig der Gegend zu, wo der Schuß gefallen war. Es war nicht weit. Er kroch eine Böschung empor, deren Höhe mit wilder Myrte besetzt war. Als er diese Büsche erreichte, erblickte er zwischen diesen hindurch ein kleines, aber tiefes Tälchen, in dem sich um ein abgebranntes Feuer herum achtzehn Männer und zwei Leichen befanden. Dabei lagen eine Menge Kisten. Säcke und Packsattel auf einem Haufen. Einer der Männer hatte ein Pistol in der Hand, das er lud.
   »Es bleibt dabei«, sagte er, »wer widerspricht, der wird einfach erschossen!« – »Werden uns die Schüsse nicht verraten?« fragte ein anderer schüchtern. – »Schwachkopf, wer wird sich an uns wagen!«
   Bärenherz verstand das Gemisch von Spanisch und Indianisch, das an der Grenze gesprochen wird, sehr gut, diese Leute hier aber redeten rein Spanisch, das er nicht verstand. Er hielt sie für eine Jagdtruppe, deren Mitglieder untereinander in Streit geraten waren und auf sich geschossen hatten. Das kommt in Mexiko häufig vor, ohne daß es groß beachtet wird. Er zog sich also leise wieder zurück, bestieg sein Pferd und ritt nach der Estanzia.
   Dort hatte man ihn allerdings vermißt, und als er anlangte, mußte er sofort an der Tafel erscheinen, wo er keine Zeit fand, der Begegnung mit den Fremden zu gedenken.
   Der Freudentag verlief ungestört, zumal sich der Graf ganz und gar nicht sehen ließ; doch ermüdet die Freude den Menschen ebenso wie der Schmerz, und man legte sich zeitig schlafen.
   Nun erst verließ der Graf sein Zimmer und ging zu den Olivenbäumen, wo er die Indianerin bereits seiner wartend fand. Nicht die Sehnsucht der Liebe führte ihn zu ihr, aber er mußte ihr Vertrauen wenigstens so lange aufrechterhalten, bis er den Schatz gehoben hatte. Er heuchelte also Zuneigung und Zärtlichkeit, suchte aber so bald wie möglich von ihr fortzukommen.
   »Warum willst du schon gehen‘?« fragte sie ihn. – »Weil ich einen Ausflug nach der Höhle des Schatzes unternehme.« – »Willst du ihn jetzt schon holen?« – »Nein. Ich will nur sehen, ob er wirklich noch da ist.« – »Er ist noch da. Mein Bruder hat ihn vor kurzem erst gesehen.« – »Ich muß mich dennoch selbst überzeugen. Diese Sache ist ja zu wichtig für mich.« – »Wann kommst du wieder?« – »Noch vor Abend.« – »So schlafe wohl!«
   Karja umschlang den Grafen, küßte ihn zum Abschied und ging dann fort. Er folgte langsam. Als er sein Zimmer erreichte, waren bereits seine beiden Diener beschäftigt, diejenigen seiner Sachen einzupacken, die er mitzunehmen hatte. Es war nicht viel, und darum kamen sie bald zu Ende damit.
   »Tragt es leise hinab und sattelt die Pferde. Draußen bei der großen Zeder treffen wir uns!« gebot er den Leuten, darauf ging er hinab, um langsam voranzuschreiten. Dabei bemerkte er ein helles Licht, das aus dem Fenster von Emmas Schlafzimmer drang. Ah, das war die Braut, die schöne, die ihn verschmäht hatte! War vielleicht der Bräutigam bei ihr? Er mußte das wissen; die Eifersucht packte ihn. Er wußte, daß an den Palisaden mehrere lange, starke Stangen lagen. Er holte eine derselben, lehnte sich an die Mauer und kletterte daran in die Höhe. Sie war so lang, daß er neben das offene Fenster kam und in das Zimmer sehen konnte.
   Da erblickte er Emma, die ihm in diesem Augenblick so bezaubernd schön erschien, daß er nicht widerstehen konnte, sondern den Fuß auf die Fensterbrüstung setzte und sich in das Gemach hineinschwang. Sie hörte das Geräusch, drehte sich um und stieß einen Schrei des Schrecks aus.
   »Was wollen Sie?« fragte sie entsetzt. – »Liebe!« stammelte er, völlig berauscht von ihrem Anblick.
   Ihr Auge blitzte auf. In ihrem Zimmer befand sich zwar keine Waffe, aber sie war mutig und entschlossen.
   »Liebe?« fragte sie. »Nicht Liebe sollst du finden, aber Verachtung und Blut!«
   Mit einem schnellen Griff riß sie ihm das Messer aus dem Gürtel, zückte es gegen ihn und gebot:
   »Augenblicklich verlassen Sie mich wieder!« – »Dich verlassen, du Herrliche?« erwiderte er. »Nein, nein, und tausendmal nein!«
   Er griff zu und faßte ihr Handgelenk, so daß sie nicht stechen konnte. Sie rangen nun um den Besitz des Messers. Er war stärker als sie, aber die Verzweiflung gab ihr Kraft genug, den Griff der Waffe festzuhalten. Er hatte den anderen Arm um sie geschlungen und drückte sie an sich. Sie fühlte seinen Atem und seine Küsse, sie erkannte, daß sie unterliegen müsse, wenn sie aus Scham länger schwiege, da rief sie um Hilfe, ein-, zwei-, dreimal.
   Gleich darauf nahte draußen ein schneller, leichter Schritt.
   »Um Gottes willen, was rufst du?« erklang die Stimme der Indianerin, deren Wohnung neben derjenigen Emmas lag und die also den Hilferuf zuerst gehört hatte.
   Der Graf drückte Emma fester an sich und versuchte, ihr den Mund zuzuhalten, es gelang aber nicht.
   »Rufe die Leute herbei, der Graf hat mich überfallen! Schnell, schnell!« – »Der Graf? Ah!«
   Karja klingte an der Tür, fand sie aber verschlossen. Eine lange Minute verging, dann hörte man die leichten Füße Karjas zurückkehren; ein Schuß krachte, und die Tür flog auf. Wie der Engel der Rache stand die Indianerin vor derselben, die rauchende Büchse noch in der Hand. Sie hatte das Schloß mit der Kugel geöffnet.
   »Lügner! Treuloser!« rief sie.
   Graf Alfonzo ließ jetzt Emma los; als er aber sah, daß die Büchse nur einen Lauf hatte, lachte er und wollte das Mädchen wieder packen; da aber faßte ihn die Indianerin und schleuderte ihn mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß er zu Boden sank. Zugleich ertönten laute Stimmen. Man hatte den Schuß gehört und eilte herbei.
   Da sprang der Graf, der seiner Sinne kaum mächtig gewesen war und erst jetzt wieder zu sich kam, auf den Fensterstock zurück, faßte die Stange und ließ sich hinab. Einen Augenblick später hörten ihn die beiden Mädchen mit noch mehreren Pferden fortgaloppieren.
   »Heilige Madonna, wer schießt, was gibt es hier oben?« erschallte die Stimme des Hazienderos, der mit der Dienerschaft herbeigeeilt kam.
   Zu gleicher Zeit ertönte in der Ferne ein Schuß und noch einer, worauf zwei Schreie erfolgten.
   »Gott, Gott, was ist das?« fragte Arbellez, der jetzt eintrat. – »Der Graf überfiel mich, Vater.« – »Der Graf? Was wollte er? Hattest du denn nicht zugeschlossen?« – »Er kam durch das Fenster.« – »Durch das Fenster? Wie ein Dieb? O mein Gott! Und wer schoß dann?« – »Ich!« erwiderte die Indianerin mit bleichen Lippen. »Ich hätte ihn erschossen, wenn ich zwei Läufe gehabt hätte. Ich holte die Büchse aus dem Waffenschrank.« – »Ah! Und wer schoß da unten?« – »Ich weiß es nicht.« – »Zieht euch an, Kinder, und kommt in den Saal. Das muß besprochen werden.«
   Nach kurzer Zeit waren sämtliche Bewohner des Hauses versammelt; auch Bärenherz trat ein. Er hatte zwei noch blutende Skalpe am Gürtel hängen.
   »Was ist das?« fragte der Haziendero schaudernd. – »Zwei Kopfhäute«, antwortete der Indianer einfach. – »Woher?« – »Ich konnte noch nicht schlafen und ging hinaus in die Nacht. Da hörte ich meine weiße Schwester um Hilfe rufen. Ich war weit fort, aber das Fenster war offen, und ich vernahm es. Ich eilte herbei und sah einen Mann davonspringen, dem ich nachsetzte. Zwei andere warteten auf ihn. Sie ritten davon. Ich erhob mein Gewehr. Es war sehr dunkel, aber ich schoß zwei von den Pferden und nahm ihre Skalpe. Es sind die Diener des Grafen.« – »So ist er entkommen?« – »Ja.« – »Und die Unschuldigen sind erschossen.« – »Pshaw! Wer mit dem Grafen reitet, ist nicht unschuldig.«
   Mit diesen Worten verließ der Apache das Zimmer, kehrte aber sofort wieder um und fragte:
   »Wo ist Donnerpfeil, mein weißer Bruder?« – »Ja, wo ist Señor Helmers, daß er nicht kommt, wo sein Schutz nötig ist?« fragte Arbellez. – »Er ist fort«, antwortete Emma. – »Fort? Wohin?« – »Mit Tecalto.« – »Wohin, frage ich!« sagte Arbellez ängstlich. – »Ich darf es nicht sagen.« – »Mit meinem Bruder? Wirklich?« erkundigte sich die Indianerin. – »Ja. Er sagte es.«
   Der Apache schüttelte den Kopf.
   »Meine weiße Schwester mag ihre Lippen öffnen«, versetzte er. »Was will der Graf in ihrem Wigwam? Nicht weit von hier lagen viele böse Weiße mit Sätteln, Kisten und Säcken, auch waren Tote dabei. Und meine tapferen Brüder sind fort. Das ist eine große Gefahr. Meine Schwester mag ja sprechen.« – »Aber er hat es mir verboten.« – »So hat er nicht gewußt, was geschieht, wenn er fort ist.« – »O Gott, so rede doch«, drängte der Estanziero. »Er befindet sich in Lebensgefahr!« – »So muß ich reden. Er wird es mir verzeihen. Er ist mit Tecalto nach dem Schatz der Könige.« – »Nach dem Schatz der Könige?« fragte Karja erschrocken. – »Ja.« – »Und der Graf ist auch hin. Und Männer waren in der Nähe mit Säcken und Kisten?« – »Ja«, antwortete der Apache. – »Wie viele?« – »Zweimal fünf und acht.« – »Oh, das ist Gefahr, das ist Gefahr!« rief da die Indianerin. »Der Graf, der Lügner, der Verräter, will den Schatz der Könige stehlen. Er wird Señor Helmers und meinen Bruder dort finden und sie töten. Señor Arbellez, blast in das Nothorn. Laßt Eure Vaqueros und Ciboleros kommen. Sie müssen nach der Höhle des Schatzes, um die zwei zu retten!«
   Jetzt gab es einen Wirrwarr von Fragen und Antworten, bei dem nur der Apache seine Ruhe behauptete. Er hörte die einzelnen Fragen und Entgegnungen und sagte:
   »Wer weiß, wo die Höhle liegt?« – »Ich«, antwortete Karja. »Ich werde euch führen!« – »Kann man reiten?« – »Ja.« – »So gebt mir dieses Mädchen und zehn Ciboleros und Vaqueros mit. – »Ich gehe auch mit!« rief Arbellez. – »Nein!« entschied der Apache. »Wer soll die Hazienda schützen? Man rufe alle Männer und gebe mir zehn von ihnen. Die anderen beschützen die Hazienda.«
   Dabei blieb es. Der Haziendero stieß in das Horn, und auf dieses Zeichen kamen die Wächter der Herden und sonstige Bedienstete herbeigesprengt. Der Apache suchte sich zehn von ihnen aus; sie wurden bewaffnet. Auch Karja stieg zu Pferde; dann ritten sie ab, während die anderen, gut Wache haltend, zurückblieben. Die Verwirrung war schuld, daß bis zum Abreiten der kleinen Truppe doch eine ziemliche Zeit vergangen war.


   9. Kapitel

   Kurz nachdem sich die festliche Versammlung getrennt hatte, um zur Ruhe zu gehen, trat Büffelstirn in das Zimmer des Deutschen.
   »Gedenkst du noch deines Wortes?« fragte er. – »Ja.« – »Du reitest mit?« – .Ja.« – »So komm!«
   Helmers bewaffnete sich und folgte dem Indianer. Unten standen drei Pferde bereit, zwei mit Reitsätteln und das dritte mit einem Packsattel.
   »Was soll dieses hier?« fragte der Deutsche, auf das letztere zeigend. – »Ich habe gesagt, daß du nicht arm bist. Du hast den Schatz der Könige nicht berauben wollen, darum sollst du dir davon nehmen dürfen so viel, wie ein Pferd zu tragen vermag.« – »Nein. Wo denkst du hin!« rief Helmers erstaunt. – »Rede nicht, sondern steige auf und folge mir!«
   Der Indianer bestieg sein Pferd, nahm das Packtier beim Zügel und ritt fort. Helmers konnte nicht anders, als ihm folgen. Es war finstere Nacht, aber der Indianer kannte seinen Weg genau, und die halbwilden Pferde Mexikos sehen während der Nacht wie die Katzen. Der Deutsche konnte sich der Führung Büffelstirns getrost anvertrauen. Schnell freilich kamen sie nicht vorwärts, denn es ging tief zwischen unwegbare Berge hinein.
   Büffelstirn sprach kein Wort. Man hörte in der schweigsamen Nacht nichts als den Schritt und das zeitweilige Schnauben der Pferde. So verging eine Stunde, noch eine und noch eine. Da rauschte Wasser; man kam an den Lauf eines Baches, dem man folgte. Dann türmte sich ein wallartiger Berg vor ihnen auf, und als sie denselben beinahe erreicht hatten, stieg der Indianer ab.
   »Hier warten wir, bis der Tag kommt«, sagte er.
   Helmers folgte seinem Beispiel, ließ sein Pferd grasen und setzte sich neben Büffelstirn auf einem Felsstück nieder.
   »Ist die Höhle hier in der Nähe?« fragte er. – »Ja, sie ist da, wo dieses Wasser aus dem Berg kommt. Man steigt in den Bach, bückt sich und kriecht in das Loch, dann befindet man sich in einer Höhle, deren Größe und Abteilungen niemand kennt als Büffelstirn und Karja.« – »Ist Karja schweigsam?« – »Sie schweigt!«
   Helmers dachte an das, was ihm Emma erzählt hatte, und sagte daher:
   »Aber es gibt einen, der das Geheimnis des Schatzes von ihr erfahren will.« – »Wer ist es?« – »Der Graf Alfonzo.« – »Ugh!« – »Du bist mein Freund, und darum darf ich dir sagen, daß sie ihn liebt.« – »Ich weiß es.« – »Und wenn sie ihm nun euer Geheimnis verrät?« – »So ist Büffelstirn da. Er wird nicht den kleinsten Teil des Schatzes erhalten.« – »Ist dieser Schatz groß?« – »Du wirst ihn sehen. Nimm alles Gold, das Mexiko heute besitzt, zusammen, so reicht es noch nicht an den zehnten Teil dieses Schatzes. Es hat einen einzigen Weißen gegeben, der ihn gesehen hat, und…« – »Ihr habt ihn getötet?« – »Nein. Er brauchte nicht getötet zu werden, denn er ist wahnsinnig geworden, wahnsinnig vor Freude und Entzücken. Der Weiße vermag den Anblick des Reichtums nicht zu ertragen, nur der Indianer ist stark genug dazu!« – »Und mir willst du den Schatz zeigen?« – »Nein. Du wirst nur einen Teil desselben sehen. Ich habe dich lieb, und du sollst nicht auch wahnsinnig werden. Gib mir deine Hand und zeige mir deinen Puls.«
   Der Indianer faßte die Hand des Deutschen und prüfte dessen Puls, worauf er fortfuhr:
   »Ja, du bist stark. Der Geist des Goldes hat dich noch nicht ergriffen, aber bis du in die Höhle trittst, wird dein Blut gehen wie der Fall des Wassers vom Felsen.«
   Das Gespräch verstummte nun. Es war dem Deutschen eigentümlich wie noch nie zumute. Da begann sich der Himmel zu färben. Der blasse Schimmer des Ostens wurde stärker, und bald konnte man die einzelnen Gegenstände mit Genauigkeit unterscheiden.
   Helmers erblickte den Berg El Reparo vor sich, dessen schroffer Hang zumeist mit Eichenbäumen bestanden war. Ganz am Fuß desselben trat ein Wasser aus dem Felsen, das wenigstens eine Breite von drei Fuß und eine Tiefe von vier Fuß hatte.
   »Dies ist der Eingang?« fragte er. – »Ja«, antwortete Büffelstirn. Aber noch treten wir nicht hinein. Wir wollen erst die Pferde verstecken. Der Besitzer eines Schatzes muß vorsichtig sein.«
   Sie führten die Pferde längs des Berges hin, bis der Indianer ein Gebüsch auseinanderbog. Hinter demselben befand sich eine enge, niedrige Schlucht, wo die Tiere Platz fanden. Dann kehrten sie an den Bach zurück und verwischten nach Indianerart ihre Spuren, bis sie an den Felsen gelangten, aus dessen Öffnung das Wasser floß.
   »Nun komm!« sagte Büffelstirn und stieg mit diesen Worten in das Wasser, zwischen dessen Oberfläche und dem Felsen ein Fuß tief Raum war, so daß man mit dem Kopf hindurchgelangen konnte. Sie kamen nun in einen dunklen Raum, dessen Luft trotz des Baches außerordentlich trocken war.
   »Reiche mir deine Hand!« gebot der Indianer und führte Helmers aus dem Wasser heraus auf das Trockene, um abermals dessen Puls zu befühlen.
   »Dein Herz ist sehr stark«, sagte er. »Ich darf die Fackel anbrennen.«
   Er ging darauf einige Schritte von Helmers fort, und bald durchzuckte ein matter, phosphorartiger Blitz den Raum, ertönte ein lautes Prasseln, und dann flammte eine Fackel auf.
   Aber was ging nun vor? Nicht die eine, sondern tausende von Fackeln schienen zu brennen. Als befände sich der Deutsche inmitten einer ungeheuren, wie Gold und Demant blitzenden Sonne, so strahlten Millionen von Lichtern und Reflexen in sein geblendetes Auge, und in dieses unendliche Schimmern, Schillern und Brillieren hinein erklangen die Worte des Indianers:
   »Das ist die Höhle des Königsschatzes! Sei stark und halte deine Seele fest!«
   Es verging eine geraume Zeit, ehe der Deutsche seine Augen an diese Pracht gewöhnen konnte.
   Die Höhle bildete ein hohes Viereck von vielleicht sechzig Schritt in der Länge und Breite, durch das der mit Steinplatten bedeckte Bach floß. Sie war vom Boden an bis hinauf an die gewölbte Decke angefüllt mit Kostbarkeiten, deren Glanz die Sinne auch des nüchternsten Menschen verwirren konnte.
   Da gab es Götterbilder, die mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt waren, besonders die Bilder des Luftgottes Quetzalcoatl, des Schöpfers Tetzkatlipoka, des Kriegsgottes Huitzilopochtli und seiner Gemahlin Teoyaniqui, nebst seines Bruders Tlakahuepankuexkotzin, der Wassergöttin Chalchiuhtlicue, des Feuergottes Ixcozauhqui und des Weingottes Cenzontotochtin. Hunderte von Hausgötterfiguren standen auf Wandbrettern, sie waren entweder aus edlen Metallen getrieben oder in Kristall geschliffen. Dazwischen standen goldene Kriegspanzer, goldene und silberne Gefäße, Schmucksachen in Demant, Smaragden, Rubinen und anderen Edelsteinen, Opfermesser, deren Griffe, die funkelnden Steine gar nicht gerechnet, schon einen Altertumswert von Hunderttausenden hatten, Schilde von starken Tierhäuten, die mit massiven Goldplatten besetzt waren. Von dem Mittelpunkt der Decke aber hing gleich einem Lüster eine Königskrone herab; sie hatte die Gestalt einer Mütze, war aus massivem Golddraht gefertigt und mit Diamanten besetzt. Ferner sah man da ganze Säcke voll Goldsand und Goldstaub. Kisten, die mit Nuggets – Goldkörnern – angefüllt waren, die die Größe einer Erbse bis zu der eines Hühnereis hatten. Auch sah man ganze Haufen gediegenes Silber, gleich in großen Stücken aus zutage getretenen Adern gebrochen. Auf großen Tischen standen leuchtende Modelle der Tempel von Mexiko, Cholula und Teotihuakan; der prachtvollen Mosaiken von Muscheln, Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen gar nicht zu gedenken, die am Boden und in den Ecken lagen.
   Der Anblick dieser Reichtümer brachte auf den Deutschen einen wahrhaft berauschenden Eindruck hervor. Es war ihm, als sei er ein Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht. Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte das Blut an seinen Schläfen pochen, und es war ihm, als ob große Feuer– und leuchtende Demanträder vor seinen Augen wirbelten. Es kam eine Art von Rausch über ihn, und in demselben sah er ein, daß solche Reichtümer eine Macht ausüben, ein wahnsinniges Verlangen erwecken können, das selbst vor dem fürchterlichsten Verbrechen nicht zurückschrecken würde.
   »Ja, das ist die Höhle des Königsschatzes«, wiederholte der Indianer. »Und dieser Schatz gehört nur allein mir und meiner Schwester Karja.« – »So bist du reicher als irgendein Fürst der Erde!« antwortete Helmers. – »Du irrst! Ich bin ärmer als du und jeder andere. Oder willst du den Enkel eines Herrschers beneiden, dessen Macht vergangen ist und dessen Reich in Trümmern liegt? Die Krieger, die jene Rüstungen trugen, wurden von ihrem Volk geliebt und verehrt; ein Wort von ihnen gab Leben oder Tod. Ihre Schätze sind noch vorhanden, aber die Stätte, wo man ihre Gebeine niederlegte, ist von den Weißen entweiht und zertreten worden, und ihre Asche wurde in alle Winde zerstreut. Ihre Enkel irren durch die Wälder und Prärien, um den Büffel zu töten. Der Weiße kam; er log und trog, er mordete und wütete unter meinem Volk um dieser Schätze willen. Das Land ist sein, aber es liegt verödet, und der Indianer hat die Schätze dem Dunkel der Erde übergeben, damit sie dem Räuber nicht in die Hände fallen. Du aber bist nicht wie die anderen, dein Herz ist rein vom Verbrechen. Du hast meine Schwester aus den Händen der Komantschen errettet, du bist mein Bruder, und darum sollst du von diesen Schätzen so viel haben, wie ein Pferd zu tragen vermag. Doch nur zweierlei steht dir zu Gebote. Hier sind Goldkörner, ganze Säcke voll, und hier sind Ketten, Ringe und anderer Schmuck; wähle dir aus, was dir gefällt. Das andere aber ist heilig; es soll nie wieder beschienen werden von der Sonne, die den Untergang der Mixtekas gesehen hat.«
   Helmers sah die Nuggets und das Geschmeide, ihm wurde fast schwindlig.
   »Ist dies dein Ernst?« fragte er. – »Ich scherze nicht.« – »Aber das sind ja hunderttausende von Dollars, die du mir schenkst!« – »Nein; es werden sogar Millionen sein.« – »Ich kann es nicht annehmen!« – »Warum? Willst du die Gabe des Freundes verachten?« – »Nein, aber ich kann nicht dulden, daß du dich meinetwegen beraubst.«
   Der Indianer schüttelte stolz den Kopf.
   »Es ist kein Raub. Ich bringe kein Opfer. Was du hier siehst, ist nur ein Teil der Schätze, die der Berg El Reparo verbirgt. Es gibt hier noch weitere Höhlen, von denen nicht einmal Karja, meine Schwester, etwas weiß. Nur ich kenne sie, und wenn ich einst sterbe, so wird kein menschlicher Gedanke mehr in diese Tiefen dringen. Ich werde jetzt gehen, um die anderen Höhlen zu besuchen. Siehe dir die Schätze an und lege zur Seite alles, was du für dich auswählst. Wenn ich zurückkehre, beladen wir das Pferd damit und kehren heim nach der Estanzia.«
   Der Indianer steckte die Fackel in den Boden und schritt nach der hintersten Ecke, in der er verschwand.
   Der Deutsche stand jetzt allein inmitten dieser unermeßlichen Reichtümer. Welch ein Vertrauen mußte der Indianer zu ihm haben! Wie nun, wenn er den Indianer tötete, um Herr des Ganzen zu werden, von dem er nur einen kleinen Teil erhalten sollte? Aber kein einziger solcher Gedanke kam dem ehrlichen Mann. Er fieberte ja schon vor Wonne, daß er eine ganze Pferdelast Geschmeide und Nuggets mitnehmen durfte.


   10. Kapitel

   »Das Wasser rauscht, die Woge brüllt,
   Entfesselt ist das Element.
   Es wird das Herz von Grau‘n erfüllt,
   Für das es keine Worte kennt.
   Jedoch des Wassers düsterer Grimm,
   Der Woge kalt gefräß‘ge Wut
   Ist nicht so schrecklich, nicht so schlimm,
   Als wie der Rache wilde Glut!
   Das Feuer steigt, die Flamme braust,
   Die lodernd in die Wolken brennt,
   So daß es selbst dem Kühnsten graust,
   Der sonst des Schreckens Macht nicht kennt.
   Jedoch des Feuers heißer Grimm,
   Der Flamme schonungslose Wut
   Ist nicht so schrecklich, nicht so schlimm,
   Als wie der Rache wilde Glut!«

   Graf Alfonzo war der Büchse des Apachen glücklich entkommen. Er hatte bemerkt, daß seine beiden Diener stürzten, aber er hielt nicht an, um zu sehen, ob sie tot oder nur verwundet seien. Die Angst vor den Folgen seiner Unbesonnenheit trieb ihn vorwärts. Er war zwar der Sohn des eigentlichen Gebieters der Hazienda, hatte aber erfahren, was dies galt, und dazu wußte er, daß hier, so nahe an der indianischen Grenze, ganz andere Anschauungen und Gebräuche herrschten als in der Hauptstadt und ihrer Umgebung. Der Umstand, daß man auf ihn schoß, sagte ihm, mit welchen Leuten er es zu tun bekomme, falls er sich ergreifen ließ, und so hatte er nur den einen Gedanken: Fort, nach der Höhle des Königsschatzes und dann heim nach Mexiko!
   Er ließ sein Tier so rasch ausgreifen, als es bei der Dunkelheit ohne Gefahr möglich war, und minderte diese Schnelligkeit auch nicht eher, als bis er das Tal erreichte, in dem seine Helfershelfer lagerten. Er wurde wieder wie gestern angerufen und gab dieselbe Antwort. Nun durfte er an das Feuer treten, das man schürte, damit man besser zu sehen vermöge.
   »Seid ihr fertig?« fragte er. – »Wir sind bereit«, antwortete der Anführer. – »Und wie steht es mit den Pferden?« – »Die haben wir von den Herden Señor Arbellez‘ eingefangen.« – »Wie viele?« – »Achtzehn für uns und dreißig für Sie.« – »Sind Sie gesattelt?« – »Ja.« – »So laßt uns aufbrechen!« – »Und Ihre beiden Diener, die dabeisein sollen?« – »Die kommen nicht.« – »Ah! Wer wird es da sein, der Sie bedient?« – »Das wird sich finden«, antwortete er.
   Erst jetzt fiel ihm ein, in welcher Verlegenheit er sich befand. Er konnte diese wüsten Menschen doch unmöglich mit in die Höhle nehmen. Sie hätten dieselbe ausgeräumt, nicht für ihn, sondern für sich. Doch hoffte er, daß sich wohl im rechten Augenblick ein Ausweg finden lassen werde. Die Männer holten ihre Pferde herbei und saßen auf. Er setzte sich mit dem Anführer an ihre Spitze, und fort ging es.
   Alfonzo kannte den Berg, den die Indianerin ihm genannt hatte, aber von dieser Seite aus hatte er ihn noch nicht besucht. Er war also mit den Einzelheiten des Weges nicht vertraut, sondern wußte nur die Richtung, und darum kam man bei der Vorsicht, die geboten war, nur langsam weiter.
   Erst als der Morgen zu dämmern begann, konnte man die Pferde besser ausgreifen lassen, und nun dauerte es auch nicht lange, so tauchte die dunkle Masse des El Reparo vor ihnen auf.
   Sie erreichten den Berg von seiner Südseite und ritten an seinem östlichen Abhang hin. Der erste Bach wurde überschritten, und als dann Alfonzo merkte, daß der zweite in der Nähe sei, ließ er halten. Bis an die Höhle wollte er sie nicht mitnehmen. Es galt ja überhaupt zunächst, sich von dem Dasein derselben zu überzeugen.
   »Was nun?« fragte der Anführer. – »Ihr wartet!« – »Ah, Sie werden uns verlassen?« – »Ja, für kurze Zeit.« – »Was ist es denn eigentlich, was wir zu laden haben?« – »Darum habt ihr euch gar nicht zu kümmern; das ist ja so ausbedungen, wie ihr wißt.«
   Graf Alfonzo ritt langsam davon. Der Anführer aber wandte sich zu seinen Leuten:
   »Jetzt haben wir sein Geheimnis in der Nähe. Was tun wir?« – »Ihn belauschen«, antwortete einer. – »Das ist vielleicht das beste. Wartet hier!«
   Der Capitano stieg ab und folgte dem Grafen zu Fuß. Es gab Felsen und Buschwerk genug, das ihm Deckung gewährte, so daß Alfonzo, auch wenn er sich umdrehte, ihn nicht sehen konnte.
   So ging es eine Strecke weiter, bis der Graf den Bach erreichte. Hier stieg er ab, band sein Pferd an den Stamm eines Eichenbäumchens und verschwand hinter den Büschen. Der Anführer wartete eine Weile, da der Graf aber nicht zurückkehrte, so eilte er, seine Leute wieder aufzusuchen. Er fand sie noch an derselben Stelle, wo er sie verlassen hatte.
   »Er ist im Gebüsch verschwunden«, sagte er. »Dort hat er sein Geheimnis. Was will er tun, wenn wir etwas näher reiten! Vorwärts!«
   Sie setzten sich abermals in Bewegung, gegen das Buschwerk zu, das den Bach besäumte, drangen aber nicht weiter vor, sondern blieben hier halten. Nun befanden sie sich zwar am Bach, aber noch nicht am Austritt desselben aus dem Berg. Zwischen diesem und ihnen gab es noch eine von Buschwerk bestandene Windung, so daß sie den Eingang zur Höhle nicht zu sehen vermochten. Ebenso erblickten sie nicht das Pferd des Grafen, da er es seitwärts von ihrem Standort angebunden hatte.
   Alfonzo hatte inzwischen den Austritt des Wassers untersucht und gefunden, daß es möglich sei, hineinzugelangen. Er stieg also in die kalte Flut, bückte sich und kroch vorwärts. Noch aber hatte er nicht ganz den Punkt erreicht, wo die Höhle sich zu wölben begann, so gewahrte er einen hellen Lichtschein vor sich.
   Was war das? War das Fackellicht? Oder war es der Schein des Tages, der durch irgendeine Öffnung der Höhle hereindrang? Es schien das erstere zu sein. An das Zurückweichen dachte der Graf nicht; er schob sich langsam und vorsichtig weiter, jedes Geräusch vermeidend, um nicht bemerkt zu werden.
   Da plötzlich brach ein goldenes und diamantenes Blitzen und Flimmern in sein Auge. Er erschrak förmlich und fuhr empor. Und als er innerhalb der Höhle stand und die Schätze erblickte, die hier eingeschlossen waren, begann er zu zittern. Der Teufel des Goldes packte ihn mit aller Macht. Seine Augen verdunkelten und erweiterten sich abwechselnd; er hätte laut aufschreien mögen vor wonnigem Schreck; aber das ging nicht, denn – dort, kaum fünf Schritt vor ihm, kniete ein Mann am Boden und ordnete eine Partie kostbares Geschmeide, das er auf einer Mosaikplatte aufgehäuft hatte. Wer war dieser Mensch? Ah, jetzt bog er sich seitwärts; sein Profil war zu sehen, und der Graf erkannte ihn.
   »Der Deutsche!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Der Bräutigam, der mich vertrieben hat! Wer hat ihm die Höhle verraten? Ist er allein hier, oder hat er Begleitung mit?«
   Sein Auge irrte suchend durch den Raum; er sah, daß Helmers allein war, er hatte keine Ahnung davon, daß Büffelstirn sich in einer nebenan liegenden Abteilung befand.
   »Ah, es ist niemand hier außer ihm!« dachte er mit grimmiger Freude. »Er soll nicht eine Erbse groß von diesem Gold erhalten. Ich werde Rache nehmen. Er muß sterben!«
   Er stieg leise aus dem Wasser. Nicht weit von ihm lehnte eine Kriegskeule. Sie war vom festesten Eichenholz gefertigt und mit spitz geschliffenen Kristallstücken besetzt, die einen Hieb doppelt gefährlich machten. Er faßte sie an dem mit edlen Steinen geschmückten Griff und schlich sich hinter dem Deutschen heran, der soeben eine köstlich gearbeitete Kette durch seine Finger gleiten und sie im Licht der Fackel funkeln ließ.
   »Prachtvoll!« sagte derselbe. »Lauter Rubinen! Sie allein bildet einen Reichtum!«
   Dann wollte er sie fortlegen, kam aber nicht dazu, denn die Keule sauste auf ihn herab und traf seinen Kopf mit solcher Wucht, daß er sofort zusammenbrach und die Kette der sich öffnenden Hand entglitt.
   Jetzt stieß der Graf einen wilden, unartikulierten Schrei aus und rief:
   »Gesiegt! Alles mein, alles, alles, alles!«
   Ein fast wahnsinniges Entzücken bemächtigte sich seiner. Er sprang vor Freude empor und schlug die Hände zusammen wie ein Sinnloser. Wer ihn so gesehen hätte, der hätte ihn für verrückt gehalten.
   Da, was war das? Er stand plötzlich wie gelähmt; er erbleichte, und seine Augen öffneten sich weit, als ob er Gespenster sehe. Aus der hintersten Ecke löste sich eine Gestalt, die ihre Augen erst erstaunt und dann mit einem grimmigen Leuchten auf ihn richtete. Es war Büffelstirn, der von seinem Gang zurückkehrte und anstatt des Freundes einen anderen erblickte, neben dem der Deutsche regungslos am Boden lag.
   Mit zwei tigergleichen Sprüngen stand der Indianer bei dem Grafen und packte ihn.
   »Hund, was tust du hier?« rief er.
   Der Gefragte vermochte kein Wort hervorzubringen. Diesem entsetzlichen Indianer war er nicht gewachsen; das wußte er. Er war verloren – aus dem höchsten Entzücken herab in den kalten, starren Tod gestürzt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken, und er zitterte.
   »Hast du ihn erschlagen?« schrie Büffelstirn, auf den Deutschen und die am Boden liegende Keule deutend. Er rüttelte ihn dabei mit einer Gewalt, als ob ein Riese ein kleines Kind gepackt habe. – »Ja«, stöhnte der Graf vor Angst. – »Warum?« – »Diese … diese Schätze sind schuld«, stammelte er. – »Pah! Du bist sein Feind. Sein Tod war dir schon vorher erwünscht. Wehe dir, dreifach wehe!«
   Büffelstirn bückte sich, um den Freund zu untersuchen, und der Graf stand dabei wie eine bewegungslose Figur. Wie leicht konnte er die Keule erfassen und einen Kampf wenigstens versuchen. Aber er befand sich unter dem Zauber des Schatzes und unter dem Bann dieses berühmtesten der Ciboleros. Es ging ihm, wie die Sage von dem kleinen Vogel erzählt, der auch nicht flieht, wenn die Klapperschlange ihre Augen auf ihn richtet, sondern sich widerstandslos von ihr verschlingen läßt.
   »Er ist tot!« sagte Büffelstirn, sich wieder erhebend. »Ich werde Gericht halten über dich, und dein Tod soll ein solcher sein, wie ihn noch keiner hier gefunden hat. Du bist der Mörder des edelsten und besten Jägers, den die Erde trug; ich werde dich tausendfach sterben lassen.«
   Der Indianer stellte sich mit vor der Brust verschlungenen Armen dem Missetäter gegenüber. Seine riesige Gestalt reckte sich in ihren Muskeln, und sein Auge richtete sich faszinierend auf den Grafen.
   »Ah, du bebst!« sagte er verächtlich. »Du bist ein Wurm, eine feige Memme. Wer hat dir den Weg zu dieser Höhle verraten?«
   Der Gefragte schwieg. Es war ihm, als sei der jüngste Tag hereingebrochen und als stehe er vor dem ewigen Richter.
   »Antworte!« donnerte der Cibolero. – »Karja«, hauchte der Graf. – »Karja? Meine Schwester?« – »Ja.«
   Die Augen des Indianers funkelten wie glühende Fackeln.
   »Sagst du die Wahrheit? Oder lügst du? Du nennst meine Schwester vielleicht nur, um Gnade zu erlangen und der Strafe zu entgehen!« – »Ich sage die Wahrheit; du kannst es mir glauben!« – »Ah, so mußt du teuflische Verführungskünste angewandt haben, um ihr das Geheimnis des El Reparo zu entlocken. Du hast ihr Liebe geheuchelt?«
   Der Graf schwieg.
   »Rede! Nur die Wahrheit kann dein Schicksal mildern. Weißt du, wie du sterben mußt?« – »Sage es«, bat Alfonzo schaudernd. – »Es gibt da droben am Berg ein Wasserloch; es ist nicht groß, aber es enthält die zehn heiligen Krokodile, in deren Bäuchen die früheren Herrscher dieses Landes die Verbrecher begruben. Die Tiere sind über hundert Jahre alt; sie haben lange Zeit gehungert. Ich werde dich hinaufschaffen und an einen Baum hängen, so daß du lebendig über dem Loch schwebst. Die Krokodile werden emporschnellen nach dir, dich aber nicht ganz erreichen. Sie werden sich um dich zerreißen, du wirst ihren stinkenden Dunst einatmen und lange Tage und Nächte über ihnen hängen, denn der Strick geht dir nicht um den Hals. So wirst du hängen in der Sonnenglut, so wirst du verschmachten, verhungern und verdursten, und dann erst, wenn dein Leichnam zu Aas verfault, wirst du herabstürzen und von den Alligatoren gefressen werden.«
   Alfonzo hörte diese Worte mit unbeschreiblichem Entsetzen; seine Zunge war bewegungslos; sie lag ihm vor Furcht wie Blei im Mund; er konnte keine Bitte um Gnade aussprechen.
   »Nur ein offenes Geständnis kann dieses Schicksal mildern«, fuhr der Indianer fort. »Also rede! Hast du meiner Schwester von Liebe gesprochen?« – »Ja«, stieß der Gefragte hervor. – »Aber du liebtest sie nicht?« – »Nein«, antwortete er. Er gestand und wagte nicht, eine einzige unwahre Silbe auszusprechen. – »Sie aber liebte dich?« forschte der Indianer weiter.
   Auch diese Frage bejahte Alfonzo aufrichtig.
   »Wo hattest du deine Zusammenkünfte mit ihr?« – »Bei den Oliven am Bach, hinter der Hazienda.« – »Nun … du hast sie geküßt, und wenn du auch etwas Weiteres von ihr nicht fordertest, so bist du trotzdem nach der Sitte dieser Gegend ihr Mann. Du hast ihr versprochen, sie zu deiner Frau zu machen?« – »Ja.« – »Wann hat sie dir das Geheimnis verraten?« war die fernere Frage des Indianers. – »Gestern abend«, lautete die Antwort. – »Bist du allein hier?« – »Nein, ich bin von achtzehn Mexikanern begleitet.« – »Ah, sie sollten dir helfen, die Schätze fortzuschaffen, und du hast ihnen das Geheimnis mitgeteilt?« – »Sie wissen nicht, was sie transportieren sollen, und kennen auch die Höhle nicht.« – »Wo sind sie?« – »Sie halten eine Strecke von hier in unbedeutender Entfernung.« – »Gut. Dieser Mann bleibt jetzt liegen, du aber wirst mir folgen. Ich fessle dich nicht, denn du kannst mir nicht entgehen. Du bist ein Wurm, den ich mit einem einzigen Griff zermalme. Komm und folge mir!« – »Was willst du mit mir tun?« fragte Alfonzo voller Angst. – »Das wirst du erfahren.« – »Töte mich lieber gleich hier!« – »Pah! Du hast die Tochter der Mixtekas getäuscht, du wirst das dadurch sühnen müssen, daß du sie zu deinem Weib machst.« – »Oh, das werde ich tun!« rief Alfonzo schnell. – »Ah«, lachte der Indianer grimmig. »Du hältst dich für gerettet! Täusche dich nicht. Du wirst Karja zum Weib nehmen; sie wird Gräfin de Rodriganda y Sevilla werden; aber du wirst sie nicht anrühren dürfen. Komm und folge mir!«
   Der Indianer faßte Alfonzo beim Arm und zog ihn nach dem Ausgang. Dort ging er mit ihm in das Wasser und schob ihn, ohne die Hand von ihm zu lassen, an das Tageslicht.
   Es war, als ob durch das erneute Wasserbad und durch den Eindruck des Morgenlichts der Bann von Alfonzo genommen werde. Er atmete tief und leichter auf und fragte sich im stillen, ob er nicht vielleicht doch noch Hoffnung hegen dürfe.
   »Wo ist dein Pferd?« fragte Büffelstirn. – »Es ist dort rechts an dem Eichenbaum befestigt.« – »Und wo sind die Mexikaner?« – »Hinter jenem Hügel.« – »So komm zu deinem Pferd!«
   Büffelstirn schritt mit seinem Gefangenen dem Ort zu, den dieser angedeutet hatte. Kaum jedoch waren sie zwischen den Büschen hervorgetreten, so erblickten sie die Mexikaner, die etwa dreißig Schritt entfernt von ihnen zu Pferde hielten.
   »Hund, du hast mich belogen!« rief der Indianer, indem er Alfonzo beim Hals packte. – »Zu Hilfe!« schrie da Alfonzo und versuchte sich loszumachen. – »Hier hast du Hilfe!« antwortete der Indianer und schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er zusammenbrach. Im nächsten Augenblick sah er sich bereits von den Mexikanern umringt, die allerdings noch nicht zu den Waffen griffen, weil sie überzeugt waren, daß dieser eine Mann ihnen gar nicht entgehen könne.
   Darin hatten sie sich nun freilich getäuscht, denn obwohl Büffelstirn seine Schußwaffen beim Pferd gelassen hatte, so steckte doch sein gutes Messer im Gürtel. Mit einem blitzschnellen Sprung saß er hinter dem Anführer auf dessen Pferd, zog das Messer und stieß es ihm in die Brust. Im nächsten Moment flog er von dannen, aber nicht nach der Hazienda zu. Er durfte den Berg des Geheimnisses nicht verlassen, um die Höhle nicht preiszugeben. Darum sprengte er geradewegs der kleinen Schlucht zu, in der die beiden Pferde standen. Sie bot ihm eine Festung, in der er vor den Feinden sicher war.
   Die Mexikaner hatten hier einige Augenblicke, über den unvermuteten und so erfolgreichen Angriff auf ihren Anführer ganz perplex, haltgemacht, nun aber erhoben sie ein wildes Geheul und sprengten hinter dem Flüchtigen her. Das war ein unverzeihlicher Fehler von ihnen. Hätten sie in ruhiger Haltung nach ihren Gewehren gegriffen, so konnte er ihren Kugeln nicht entgehen, jetzt aber schossen sie zwar ihre Gewehre ab, konnten aber im Galoppieren nicht sicher zielen, so daß die Schüsse fehlgingen.
   Da sahen sie, daß sich der Indianer plötzlich vom Pferd warf und links in die Büsche eindrang, während er das Tier laufen ließ. Sofort sprangen auch sie von den Pferden und stürmten mit dem Ruf. »Hurra, ihm nach! Rächt den Capitano!« auf die Büsche zu, hinter denen der Cibolero verschwunden war. Kaum aber hatten die vordersten ihren Fuß zwischen die Sträucher gesetzt, so krachte ihnen ein Schuß entgegen, dann noch einer, ein dritter und vierter – und vier Männer lagen tot am Boden. Die anderen wichen schnell zurück.
   »Verdammt!« rief einer. »Er hat Gewehre gehabt!« – »Hinein, ehe er wieder ladet!« rief ein anderer. – »Nein, geht zur Seite!« sagte ein dritter. »Diese Schlucht ist steil, er kann nur hier wieder heraus!«
   Während sie seitwärts hielten und berieten, hatte der Indianer Zeit, seine und des Deutschen Büchse wieder zu laden. Nun kroch er mit den Gewehren so weit vor, bis er ein gutes Ziel bekam, drückte los, und bevor noch die Mexikaner zurückgewichen waren, hatten sie wieder vier der Ihrigen verloren; es waren also von der Hand des kühnen Cibolero neun gefallen.
   Aber es drohte ihnen noch eine andere, ebenso große Gefahr.
   Der Apache mit seinen zehn Vaqueros und Ciboleros hätte nämlich schon längst hier sein sollen, aber die Indianerin hatte sich in der Finsternis geirrt. Auf diese Weise war ein nicht unbedeutender Umweg entstanden, so daß der kleine Trupp erst nach Alfonzo und seinen Mexikanern an seinem Ziel anlangte.
   »Hier ist der Bach«, sagte Karja zu Bärenherz. »Wir werden gleich an der Höhle sein.«
   Der Apache ließ seine Augen aufmerksam umherschweifen.
   »Ugh!« rief er und deutete nach den Spuren, die zu sehen waren.
   Sofort sprang ein Vaquero ab und suchte am Boden.
   »Das waren nicht zwei, sondern das sind viele gewesen«, sagte er. – »Der Graf mit seinen Leuten«, meinte Bärenherz kurz, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte.
   Bald jedoch blieb er abermals halten und deutete vorwärts, wo ein menschlicher Körper lag. Sofort sprangen mehrere der Vaqueros von den Pferden, um denselben zu besichtigen.
   »Der Graf! Graf Alfonzo!« meinten sie überrascht. – »Verwundet?« fragte der Apache. – »Man sieht keine Wunde.« – »Tot?« – »Es scheint so.«
   Der Apache schüttelte geringschätzend den Kopf.
   »Nicht tot«, versetzte er. »Ein Hieb nur. Bindet ihn!«
   Noch waren sie beschäftigt, den Bewußtlosen zu fesseln, als schnell hintereinander vier Schüsse fielen.
   Bärenherz ritt zwischen die Büsche hinein und überblickte das jenseits des Baches liegende Terrain.
   »Ugh!« rief er zum zweiten Mal, während die anderen ihm schnell folgten.
   Plötzlich deutete ein Vaquero auf den Körper des Anführers der Mexikaner und sagte:
   »Ah, hier eine Leiche!« – Und gleich darauf rief ein zweiten »Und dort noch mehrere.«
   Der Apache aber versetzte:
   »Acht, noch neun übrig. Absteigen!«
   Dann warf er sich mit den übrigen vom Pferd, nahm seine nie fehlende Büchse in die Hand und gebot:
   »Alle erschießen!«
   Er zählte mit den Vaqueros und Ciboleros elf Personen. Sie alle legten an und zielten. Zehn Schüsse krachten zu gleicher Zeit; nur er hatte nicht geschossen, und erst, als von den neun Mexikanern sieben gestürzt waren und nur noch zwei übrigblieben, ließ auch Bärenherz seine Büchse reden, und in zwei Sekunden waren auch die beiden letzten tot.
   Nun rannten alle dahin, wo die Gefallenen lagen. Sie hatten den Ort noch nicht erreicht, so trat der Häuptling der Mixtekas aus den Büschen heraus.
   »Büffelstirn!« riefen die Vaqueros. »Wo ist Donnerpfeil?« – »Tot«, antwortete er. – »Wer hat ihn getötet?« fragte Bärenherz in einem Ton, dem man es anhörte, daß das Schicksal des Mörders bereits eine beschlossene Sache sei. – »Graf Alfonzo.« – »Wo?« – »Das kann ich hier nicht sagen«, antwortete Büffelstirn. »Aber schnell zurück! Ich muß den Grafen haben.« – »Wir haben ihn bereits«, sagte Bärenherz einfach.
   Während nun die anderen den gefallenen Mexikanern die Waffen nahmen und sich darin teilten, kehrten Büffelstirn, Bärenherz und Karja an den Ort zurück, wo Alfonzo lag. Dieser wurde genauer untersucht, und es fand sich, daß der Apache recht gehabt hatte. Er war nur betäubt, aber nicht tot.
   Büffelstirn hatte seine Schwester bis jetzt mit keinem Blick beachtet; jetzt wandte er sich an den Apachen:
   »Will mein Bruder dafür sorgen, daß niemand an den Quell des Baches kommt?« – »Ja«, antwortete dieser. – »So werde ich bald zurückkehren.«
   Mit diesen Worten ging Büffelstirn, um die Höhle wieder aufzusuchen. Als er sie erreichte, war die Fackel abgebrannt. Er steckte eine neue an und trat zu dem Deutschen. Er bemerkte sofort, daß dieser anders lag, als wie er ihn verlassen hatte, und beeilte sich infolgedessen, ihn nochmals zu untersuchen. Nun fand er zu seiner unaussprechlichen Freude, daß der Puls wieder ging. Der Deutsche mußte für kurze Zeit zu sich gekommen sein und sich bewegt haben; jetzt aber lag er in vollständiger Lethargie. Der Indianer faßte ihn und schaffte ihn sorgfältig hinaus ins Freie. Als er ihn dort in das Gras legte, waren die Vaqueros soeben wieder erschienen. Sie alle hatten Helmers trotz der kurzen Zeit, die er sich auf der Hazienda befand, liebgewonnen, und klagten laut und aufrichtig um ihn. Der Apache aber schlug mit der Hand auf die emporstehende Mündung seiner Büchse und rief:
   »Wenn mein weißer Bruder stirbt, dann wehe seinem Mörder. Die Vögel des Waldes sollen seinen Leib zerreißen. Shoshinliett, der Häuptling der Apachen, hat es gesagt.«
   Der Apache beugte sich über den Deutschen und untersuchte seinen Kopf.
   »Es ist ein Keulenschlag«, sagte er. »«Die Schale des Gehirns ist zerbrochen. Man mache eine Bahre auf zwei Pferden, damit er nach der Hazienda geschafft werden kann. Ich aber werde gehen, um das Kraut Oregano zu suchen, das jede Wunde heilt und kein Fieber in dieselbe kommen läßt.«
   Während nun die Hirten sich entfernten, um eine Bahre herzustellen, und Bärenherz das Wunderkraut suchte, blieb Büffelstirn mit seiner Schwester allein zurück.
   »Du zürnest mir?« fragte sie leise.
   Büffelstirn blickte sie nicht an, aber er antwortete:
   »Der gute Geist ist von der Tochter der Mixtekas gewichen.« – »Er ging nur kurze Zeit von mir«, sagte sie. – »Aber in dieser kurzen Zeit ist viel Trauriges geschehen. Du liebtest den Grafen?« – »Ja.« – »Du glaubtest, daß er dich wieder liebe?« – »Ja.« – »Er versprach, dich zu seinem Weib zu machen?« – »Ja.« – »Und das glaubtest du ihm?« – »Ja. Er gab mir eine Schrift, in der er es mir versprach.« – »Ugh! Und diese Schrift hast du noch?« – »Sie liegt in meinem Zimmer.« – »Du wirst sie deinem Bruder geben?« – »Nimm sie!« – »Du liebst ihn noch?« – »Nein. Ich hasse ihn.«
   Alfonzo lag neben ihr. Karja trat ihm mit dem Fuß ins Gesicht.
   »Warum liebst du ihn nicht mehr?« – »Er belog mich und liebte eine andere.« – »Wen?« – »Emma, die Tochter des Haziendero.«
   Karja erzählte nunmehr ihrem Bruder, daß Alfonzo in das Zimmer der Haziendera gedrungen war. Während dieses Berichts schlug der Gefesselte die Augen auf. Er hörte jedes Wort, das gesprochen wurde.
   »Wirst du mir verzeihen?« fragte sie endlich zaghaft. – »Ich werde nur dann verzeihen, wenn du mir gehorchst.« – »Ich werde gehorchen. Was soll ich tun?« – »Das wirst du später erfahren. Jetzt besteigst du das Pferd und reitest nach der Hazienda zurück, um mir alle Indianer, die Kinder der Mixtekas sind, hierherzusenden. Du sagst ihnen, daß Tecalto, ihr Fürst, ihrer bedarf. Sie werden alles andere im Stich lassen und kommen.« – »Ich gehe schon.«
   Mit diesen Worten bestieg Karja das Pferd und sprengte davon.
   Als der Häuptling sah, daß dem Grafen die Besinnung zurückgekehrt war, blitzte er ihn mit verächtlichen Augen an und sagte:
   »Das Bleichgesicht wird keine Gnade finden. Es hat gelogen.« – »Welche Lüge meinst du?« fragte der Gefesselte. – »Daß die Mexikaner hinter jenem Hügel seien.« – »Ich sagte die Wahrheit. Aber sie sind mir gefolgt, ohne daß ich es wußte.« – »Du riefst dann um Hilfe. Du hättest vielleicht Gnade gefunden, nun aber nicht.«
   Büffelstirn wandte sich stolz ab und würdigte den Gefangenen keines Blickes mehr. Bald kehrte Bärenherz zurück, legte die ausgedrückten Kräuter auf den Kopf des Deutschen und verband ihn.
   Auch die Hirten waren fertig. Sie hatten aus Ästen und Decken der getöteten Mexikaner eine sehr weiche und bequeme Tragbahre errichtet, die auf zwei nebeneinander hergehenden Pferden befestigt wurde. Darauf wurde Helmers gelegt.
   »Was wird mit dem Grafen?« fragte einer der Vaqueros. – »Der gehört mir!« antwortete Büffelstirn. »Bringt Donnerpfeil nach der Hazienda. Bärenherz wird bei mir bleiben.«
   Der Zug rückte ab. Die beiden Häuptlinge standen einige Zeit schweigend nebeneinander, dann löste Büffelstirn die Beinfesseln des Gefangenen, so daß dieser aufstehen konnte, und band ihn, als dies geschehen war, mit einem Riemen an den Schwanz seines Pferdes. Hierauf sagte er zu dem Apachen:
   »Mein Bruder, folge mir!« worauf beide aufstiegen und davonritten. Es war für den Grafen keine Kleinigkeit, den beiden Reitern zu folgen, vielmehr der qualvollste Weg seines Lebens, den er je gegangen war.
   Büffelstirn hatte die Leitung übernommen. Er lenkte um den steil abfallenden Hang des Berges herum und dann die Anhöhe hinauf. In der Zeit von einer Stunde hatten sie das Plateau des Höhenzugs erreicht, und nun ging es in den dichten Urwald hinein. Mitten in demselben lagen, nach allen Seiten von fast undurchdringlichem Gestrüpp umgeben, die Ruinen eines alten Aztekentempels. Dieser hatte aus einer abgestumpften Pyramide bestanden, die von Vorhöfen rund umgeben gewesen war, um die sich eine hohe Mauer zog. Jetzt lag alles in Schutt und Trümmern.
   In einem dieser alten Vorhöfe hatte sich eine tiefe Lache gebildet, in der sich die Feuchtigkeit des Waldes sammelte. Dorthin führte der Indianer den Freund und den Gefangenen.
   Die Lache war mit der Zeit zu einem Teich, fast zu einem kleinen See geworden, bis zu dessen Ufer sich hohe Bäume heranzogen. Dort stiegen die beiden Häuptlinge ab. Der Mixteka setzte sich in das hohe Gras und winkte dem Apachen, neben ihm Platz zu nehmen. Sie saßen nach Indianerart erst eine Weile schweigsam da, dann fragte Büffelstirn:
   »Mein Bruder hat den Deutschen lieb, der Donnerpfeil genannt wird?« – »Ich liebe ihn!« antwortete der Apache kurz. – »Dieser Weiße wollte ihn töten.« – »Er ist sein Mörder, denn vielleicht stirbt unser Freund.« – »Was verdient ein Mörder?« – »Den Tod.« – »Er soll ihm werden.«
   Wieder verging eine Weile in düsterem Schweigen, dann begann Büffelstirn von neuem:
   »Mein Bruder kennt das Volk der Mixtekas?« – »Er kennt es«, nickte Bärenherz. – »Es war das reichste Volk in Mexiko.« – »Ja, es hatte Schätze, die niemand messen konnte«, stimmte der Apache bei. – »Weiß mein Bruder, wohin die Schätze gekommen sind?« – »Er weiß es nicht.« – »Kann der Häuptling der Apachen schweigen?« – »Sein Mund ist wie die Mauer des Felsens.« – »So soll er wissen, daß Büffelstirn der Hüter dieser Schätze ist.« – »Mein Bruder Büffelstirn mag diese Schätze verbrennen. Im Gold wohnt der böse Geist. Wenn die Erde von Gold wäre, würde Bärenherz lieber sterben als leben.« – »Mein Bruder hat die Weisheit der alten Häuptlinge. Aber andere lieben das Gold. Dieser Graf wollte den Schatz der Mixtekas besitzen.« – »Ugh!« – »Er kam mit achtzehn Dieben, um ihn zu rauben.« – »Wer hat ihm den Weg zum Schatz gezeigt?« – »Karja, die Tochter der Mixtekas.« – »Karja, die Schwester Büffelstirns? Ugh!« – »Ja«, sagte Büffelstirn traurig. »Ihre Seele war finster, denn sie liebte diesen weißen Lügner. Er versprach ihr, sie zu seinem Weib zu machen, aber er wollte sie verlassen, sobald er den Schatz hatte.« – »Er ist ein Verräter.« – »Was verdient ein Verräter?« – »Den Tod.« – »Und was verdient ein Verräter, der zugleich ein Mörder ist?« – »Den doppelten Tod.« – »Mein Bruder hat recht gesprochen.«
   Es entstand wieder eine Pause des Schweigens. Diese beiden Häuptlinge bildeten einen fürchterlichen und unerbittlichen Gerichtshof, gegen dessen Urteil es keine Berufung gab. Büffelstirn wäre auch allein mit Alfonzo fertig geworden, aber er hatte den Apachen mitgenommen, um seiner Rache ein gerechtes Urteil unterzulegen. Die beiden Indianer hielten eines jener sogenannten Präriegerichte, vor denen die Verbrecher der Wildnis so große Angst haben.
   Sie sprachen in dem Idiom der Apachen, das Alfonzo nicht verstand, aber er ahnte, daß man jetzt über ihn entscheide. Er bebte vor Furcht, denn er dachte an die Krokodile, von denen Büffelstirn gesprochen hatte. Hier war der Teich, und gerade an dem Ort, wo sie saßen, ragte ein schief gewachsener Zedernstamm weit hinaus über das Wasser, und seine Zweige senkten sich beinahe bis auf den Spiegel desselben herab. Es schwamm dem Spanier vor den Augen, wenn er seinen Blick dorthin richtete.
   Da begann Büffelstirn wieder:
   »Weiß mein Bruder, wo der doppelte Tod zu finden ist?« – »Der Häuptling der Mixtekas mag es mir sagen.« – »Dort.« Büffelstirn deutete hinaus auf das Wasser. Der Apache warf keinen Blick hinaus, entgegnete aber, als ob sich das von selbst verstehe:
   »Die Krokodile wohnen dort?« – »Ja. Du sollst sie sehen.«
   Er trat an das Wasser, streckte die Arme aus und rief:
   »Yim-eta – kommt!«
   Auf diesen Ruf begann es im Wasser zu rauschen. Neun oder zehn Furchen bildeten sich von verschiedenen Richtungen her, und ebenso viele Krokodile schossen herbei. Sie blieben am Ufer halten und streckten die häßlichen Köpfe heraus. Es waren teils Brillen-, teil Hecht-Kaimans, und keiner hatte eine Länge unter vierzehn Fuß. Ihre Leiber glichen schlammbedeckten Baumstämmen, ihre Köpfe boten den häßlichsten und zugleich furchterweckendsten Anblick, den man sich denken kann, und während sie die langen Schnauzen aufrissen und zuklappten, um ihren Hunger zu zeigen, sah man ganze Reihen fürchterlicher Zähne, die gewiß nichts freiließen, was sie einmal gefaßt hatten.
   Ein Schrei des Entsetzens erscholl. Alfonzo hatte ihn ausgestoßen.
   Die beiden Indianer warfen ihm einen verächtlichen Blick zu. Der Indianer zuckt selbst unter den fürchterlichsten Qualen mit keiner Wimper. Er glaubt, daß einer, der am Marterpfahl einen einzigen Klageton ausstößt, nicht in die ewigen Jagdgründe komme, die den Himmel der Rothäute bilden. Darum werden die Kinder bereits an das Ertragen der Schmerzen gewöhnt, und die Weißen werden meist auch deshalb von ihnen verachtet, weil sie eine feinere Konstitution besitzen und gegen alle Arten des Schmerzes empfindlicher sind als die Indianer.
   »Siehst du sie?« fragte Büffelstirn. »Es sind wackere Tiere, von denen keins unter zehn mal zehn Sommer alt ist. Und siehst du auch die Lassos, die ich mitgebracht habe? Ich nahm sie den Mexikanern ab, die wir erschossen.« – »Ich verstehe meinen Bruder«, erwiderte der Apache kurz. – »Wie hoch denkst du, daß ein Krokodil aus dem Wasserspringen kann?« – »Es kann die Schnauze höchstens vier Fuß weit aus dem Wasser bringen, wenn der Grund tiefer ist als sein Leib.« – »Und wenn es den Grund mit dem Schwanz berühren kann?« – »So schießt es noch einmal so weit hervor.« – »Nun wohl. Der Grund ist tief. Die Füße dieses Mannes sollen also vier Fuß über dem Wasser hängen. Wer soll auf diesen Baum klettern? Du oder ich?« – »Ich will es tun«, sagte der Apache.
   Beide Indianer erhoben sich darauf von ihren Sitzen, traten zu Alfonzo und banden ihm die Hände auf den Rücken, indem sie ihm einen Lasso doppelt unter den Armen hindurchzogen. Dadurch wurde dieser Lasso so stark, daß er unzerreißbar genannt werden konnte. An ihm wurden wieder zwei andere Lassos befestigt, deren Enden der Apache in seine Hände nahm, um an dem Baum emporzuklettern.
   Jetzt endlich merkte der Graf, daß man Ernst machte. Der Angstschweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirn, und vor den Ohren begann es ihm zu rauschen wie im Sturmwind.
   »Gnade, Gnade!« bat er jammernd.
   Die beiden Rächer hörten nicht darauf.
   »Gnade!« wiederholte er. »Ich will alles tun, nur hängt mich nicht für diese Krokodile auf!«
   Auch dieses Flehen fand keine Antwort. Büffelstirn faßte Alfonzo und zog ihn nach dem Baum hin.
   »Tut es nicht! Ich will euch alles geben, meine Grafschaft, meine Besitzungen, ganz Rodriganda. Ich verzichte auf alles, was ich habe, nur schenkt mit das Leben!«
   Jetzt endlich antwortete der Häuptling der Mixtekas:
   »Was ist Rodriganda? Was ist deine Grafschaft, was sind deine Besitzungen! Du hast die Schätze der Mixtekas gesehen, die ich nicht mag, und du bietest mir deine Armut an! Bleibe ein Graf und stirb! Sieh diese Tiere, die noch nie einen weißen Grafen gefressen haben. Du wirst vier oder fünf Tage am Baum hängen und deine Füße emporziehen, wenn sie nach ihnen schnappen, sobald du aber schwach und müde wirst, werden sie dir dieselben abreißen. Dann verblutest du dich und stirbst. Und wenn nachher dein Leib verfault, so stürzt er herab und wird von ihnen verzehrt. Das ist das Ende eines weißen Grafen, der eine verachtete Indianerin betrügen wollte!« – »Gnade! Gnade!« flehte Alfonzo abermals in höchster Todesangst. – »Gnade? Hast du Gnade gehabt, als du den Freund der Häuptlinge mit der Keule erschlugst? Hast du Gnade gehabt, als du das Herz in der Brust der Indianerin tötetest? Und sind dies deine einzigen bösen Taten gewesen? Wahkonta hat dem Menschen versagt, alles zu wissen, ich kenne dein Leben nicht, aber wer so Böses tut wie du, der hat bereits vorher viel Böses getan. Wir rächen es zu gleicher Zeit mit dem, was du an uns getan hast. Die Krokodile werden dich fressen, aber du bist noch schlimmer als eins dieser Tiere. Wahkonta hat sie geschaffen, um Fleisch zu fressen, den Menschen aber hat er geschaffen, damit er gut sein soll. Deine Seele ist böser, als die ihrige.«
   Damit schob Büffelstirn den Unglücklichen näher an das Wasser hin. Alfonzo wehrte sich nach Kräften. Er hatte die Beine frei und stemmte sich mit verzweifelter Anstrengung auf dem Boden fest. Da schlang ihm der Mixteka einen Riemen um die Füße und band dieselben zusammen, so daß er nun völlig wehrlos war.
   »Gnade! Erbarmen!« wimmerte und stöhnte er.
   Es half ihm nichts. Der starke Häuptling trug ihn nach dem Baum, und der Apache kletterte hinauf, die Enden der Lassos zwischen den Zähnen. Oben angekommen, setzte er sich fest und ließ zugleich die zehnfach zusammengeflochtenen Riemen über einen starken Ast laufen. Nun zog er den Grafen mit den Lassos am Stamm empor, während Büffelstirn schob: es ging langsam, aber sicher.
   »Oh, laßt mich los, laßt mich doch los!« rief der zu einem so fürchterlichen Tod Verurteilte. »Ich will euch dienen und gehorchen als der geringste von euren Knechten!« – »Ein Graf hat Knechte, ein freier Indianer aber nicht!« lautete die Antwort.
   Der Anblick der Alligatoren war entsetzlich. Die Lache war zu klein für sie, sie fanden keine Nahrung mehr in derselben. Sie hatten jahrelang gehungert, und nun sahen sie, daß Sie Speise bekommen sollten. Sie hatten aus Mangel an Nahrung bereits sich selber angefressen, dem einen fehlte ein Fuß, dem anderen irgendein Stück seines Leibes. Jetzt drängten sie sich unter dem Baum zu einem Klumpen zusammen. Ihre furchtbaren Schwänze peitschten das Wasser zu Schaum, ihre tückischen Augen schössen giftige, begehrende Blicke, und ihre geöffneten Rachen schlug mit einem Geräusch zusammen, das so klang, als ob man zwei starke Bretter zusammenschlage. Diese zehn Ungeheuer bildeten einen Knäuel, den man für einen einzigen, gräßlichen Drachen mit zehn Rachen und ebenso vielen Schwänzen halten konnte.
   Der Gefangene schauderte.
   »Laßt mich frei, ihr Ungeheuer!« brüllte er. – »Mein Bruder mag kräftiger ziehen!«
   Diese Aufforderung an den Apachen war die einzige Antwort Büffelstirns.
   »So seid verflucht und vermaledeit in alle Ewigkeit.«
   Diese Worte kreischte der Graf, indem seine blutunterlaufenen Augen vergebens nach Rettung suchten.
   »Es ist genug«, sagte der Mixteka, der mit den Augen eines Kenners die Entfernung des Astes vom Wasser mit der jetzigen Länge des Lassos verglich. »Mein Bruder schlinge den Lasso um den Stamm des Baumes und mache einen festen Knoten.«
   Der Apache folgte diesem Gebot. Büffelstirn hatte bis jetzt mit einer Hand sich am Baum gehalten, während er mit der anderen den Gefangenen gepackt hielt. Es gehörte eine riesige Körperstärke dazu. Wäre die Zeder nicht so stark gewesen, so hätte sie bei ihrer schrägen Lage unter der Last der drei Männer brechen müssen. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Alfonzo sah und fühlte das und rief mit beinahe unartikulierten Lauten:
   »Seid ihr denn keine Menschen, seid ihr Teufel?« – »Wir sind Menschen, die einen Teufel richten«, antwortete der Mixteka. »Fahre hin!«
   Ein gräßlicher, weithin tönender Schrei erscholl. Der Sprecher hatte Alfonzo losgelassen und ihm einen kräftigen Stoß gegeben. Dieser Stoß schleuderte den Gefangenen vom Baum herab und über die Wasserfläche hinaus. Er schwang am Lasso hin und her, und allemal, wenn er während dieser Pendelbewegungen dem Wasser nahe kam, schossen die Krokodile empor, um ihn zu packen.
   »Es ist gut. Mein Bruder komme herab!«
   Der Apache folgte dieser Aufforderung Büffelstirns und stieg vom Baum. Sie standen am Ufer und sahen dem grauenhaften Schauspiel zu, bis die Schwingungen immer kleiner wurden und der Verurteilte endlich von dem Ast gerade herniederhing.
   Jetzt zeigte es sich, daß der Mixteka ein sehr gutes Augenmaß gehabt hatte. Alfonzo hing so, daß die aus dem Wasser emporschnellenden Krokodile gerade noch seine Füße packen konnten. Dadurch war er gezwungen, dieselben emporzuziehen, sobald eines der Tiere danach schnappte. Ging ihm die Kraft zu dieser Bewegung aus, so war er verloren. Er hatte viel gesündigt, aber dieser Tod und diese Todesangst wog viele, vielleicht alle seine Sünden auf.
   »Es ist vollbracht! Wir wollen gehen!« sagte der Apache, dem selbst schauderte. – »Ich folge meinem Freund«, stimmte Büffelstirn bei.
   Dann stiegen sie auf und ritten davon, noch lange verfolgt von dem Angstgeheul des Grafen.
   Sie konnten jetzt schneller reiten als bergaufwärts, wo der Gefangene an dem Pferdeschweif gehangen hatte. Als sie unten am Bach ankamen, fanden sie bereits mehrere Indianer vor. Sie alle gehörten zu dem dem Untergang geweihten Stamm der Mixtekas und waren von Karja herbeigeschickt worden. Ihr Häuptling wandte sich jetzt an den Apachen:
   »Ich danke meinem Bruder, daß er mir geholfen hat, das Bleichgesicht zu richten und zu bestrafen. Er kann nun nach der Hazienda zurückkehren und nach der Wunde Donnerpfeils sehen. Ich kann morgen nachkommen, denn ich habe hier vieles zu tun.«
   Bärenherz ritt sofort davon. Der Mixteka aber winkte die Indianer zu sich, die einen Kreis um ihn bildeten, um seine Befehle zu vernehmen. Er blickte ernst umher und begann:
   »Wir sind die Söhne eines Stammes, der sterben muß. Die Bleichgesichter geben uns den Tod. Sie trachten nach unseren Schätzen, aber sie haben sie nicht erhalten. Eure Väter haben den Meinigen geholfen, diese Schätze zu verbergen, und keiner von ihnen hat den Ort verraten, wo sich dieselben befinden. Würdet auch ihr so schweigsam sein?«
   Sie alle senkten bejahend die Köpfe, und der Älteste von ihnen antwortete in aller Namen:
   »Verflucht sei der Mund, der einem Weißen den Ort verraten könnte!« – »Ich glaube euch. Ich habe gewußt, wo sich die Schätze befinden, aber ein Bleichgesicht hat sie entdeckt. Dieses Bleichgesicht hat einen Teil derselben gefunden, und dieser Teil muß nun an einem anderen Ort verborgen werden. Wollt ihr mir helfen?« – »Wir helfen.« – »So schwört bei den Seelen eurer Väter, eurer Brüder und Kinder, daß ihr das neue Versteck nicht verraten und auch den geringsten Teil der Schätze niemals antasten wollt!« – »Wir schwören es«, erklang es im Kreis. – »So sorgt zunächst für eure Pferde, und dann kommt!«
   Nachdem den Pferden gehörige Weide gegeben worden war, verschwanden die roten Gestalten im Eingang der Höhle, in der nun ein geheimnisvolles Regen und Treiben begann. Nur ein einziger blieb im Freien zurück, um über die Sicherheit der Pferde und das Gelingen des Unternehmens zu wachen.
   Diese Arbeit dauerte die ganze Nacht hindurch, und erst als der Tag anbrach, kamen die Mixtekas einer nach dem anderen aus der Höhle gekrochen. Ein jeder brachte eine Last mit, die sie alle auf einen gemeinschaftlichen Haufen legten. Es waren die größten Nuggets und Goldbrocken nebst dem Geschmeide, das Helmers sich ausgewählt hatte.
   »So!« sagte Büffelstirn, indem er den Haufen betrachtete. »Schlagt es in die Decken und ladet es auf das Pferd. Dies ist das Geschenk der Mixtekas an den einzigen Weißen, der die Schätze der Könige gesehen hat, weil ich es ihm erlaubte. Möge er durch dasselbe glücklich werden.«
   Als das Packpferd, das er gestern früh mit dem Deutschen mitgebracht hatte, beladen war, kehrte er noch einmal in das Innere der Höhle zurück. Die vorderste Abteilung derselben, die Helmers und Alfonzo gesehen hatten, war jetzt vollständig leer und ausgeräumt. Büffelstirn blickte sich noch einmal um, dann trat er in eine Ecke, wo eine Zündschnur aus der Erde ragte, brannte sie mit seiner Fackel an und verließ schleunigst die Höhle.
   Draußen zogen sich alle weit zurück und warteten. Es vergingen einige Minuten, dann ließ sich ein dumpfes Krachen vernehmen, die Erde bebte, ein dunkler Qualm stieg aus der vorderen Seite des Berges auf, die Felsen barsten, die Erde senkte sich langsam und brach mit einem rollenden Getöse zusammen. Der Eingang zur Höhle und der vorderste Teil derselben waren verschüttet. Der Bach schäumte über die Trümmer, erst wild und kämpfend, bald aber hatte er sich einen Weg nach seinem Bett gebahnt – der Zugang zu den Schätzen der Könige der Mixtekas war verschlossen.
   »Reicht euch die Hände und schwört noch einmal, daß ihr schweigen wollt bis zum Tod!« gebot Büffelstirn seinen Leuten.
   Die Indianer leisteten den Schwur, und es war jedem einzelnen anzusehen, daß er lieber sterben als seinen Schwur brechen werde. Noch einen langen Blick warfen sie auf die Stätte, die während der letzten vierundzwanzig Stunden so Ungewöhnliches gesehen hatte, dann sprengten sie davon.
   Während dieser Zeit ritt der Apache ernst und trübe gestimmt nach der Hazienda zurück.
   An seinem Geist zogen alle die Ereignisse vorüber, die in den letzten Tagen ihn und seine Freunde betrafen.
   Insbesondere beschäftigte ihn das Schicksal Donnerpfeils, an dessen Aufkommen er zweifelte.
   Die Sonne war über das mexikanische Land bereits hochgestiegen und sandte heiß und brennend ihre Strahlen auf Tiere und Menschen.
   Der Apache aber fühlte die Hitze nicht, denn sein Geist war zu sehr beschäftigt; und fast wie sinnverloren und unempfänglich für das, was ihn umgab, ritt er weiter.
   Sein Pferd, das den Weg genau kannte, führte ihn, ohne daß es sein Reiter lenkte, nach der Hazienda, in der Donnerpfeil bereits untergebracht worden war.


   11. Kapitel

   Als der Apache vom Berg El Reparo, wo er Büffelstirn verlassen hatte, nach der Hazienda zurückkehrte, fand er die Bewohner derselben in tiefer Trauer. Emma befand sich bei ihrem verwundeten Verlobten und ließ sich nicht sehen. Ihr kurzes Glück hatte bald eine sehr schlimme Trübung erlitten. Karja war bei ihr, um ihr in der Pflege des Kranken beizustehen und sie zu trösten. Der Haziendero hatte sofort einen seiner besten Reiter auf dem schnellsten Pferd nach Monclova geschickt, um einen erfahrenen Arzt herbeizurufen. Als er den Häuptling der Apachen vom Pferd steigen sah, kam er herbeigeeilt, um sich zu erkundigen:
   »Du kommst allein?« fragte er. »Wo ist Tecalto?« – »Noch am Berg El Reparo.« – »Was tut er dort?« – »Er sagte es mir nicht.« – »Ich hörte, daß er sich Indianer hat schicken lassen. Wozu?« – »Ich fragte ihn nicht.« – »Und wo ist Graf Alfonzo?« – »Ich sage es nicht.«
   Der Haziendero trat einen Schritt zurück und meinte unmutig: »Er sagte es mir nicht – ich fragte ihn nicht – ich sage es nicht! Solche Antworten wünscht man nicht!«
   Der Apache machte eine abwehrende Handbewegung und erwiderte:
   »Mein Bruder mag mich nicht nach Dingen fragen, über die ich nicht sprechen kann. Der Häuptling der Apachen liebt die Taten, aber nicht die Worte.« – »Aber wissen möchte ich doch, was da draußen am Berg geschehen ist.« – »Die Tochter der Mixtekas wird es ihm sagen.« – »Auch diese schweigt.« – »So wird Büffelstirn kommen und es erzählen. Mein Bruder führe mich an das Lager Donnerpfeils, damit ich dessen Wunde sehe!« – »So komm!«
   Als die Männer das Zimmer des Deutschen betraten, fanden sie die beiden Mädchen an seinem Lager, Emma in Tränen und die Indianerin in schweigende Trauer gehüllt. Der Kranke wälzte sich in seinem Bett hin und her. Er hatte sicher Schmerzen auszustehen, hielt aber die Augen geschlossen und gab keinen Laut von sich. Auch als Bärenherz den Kopf betastete, zog der Patient sein Gesicht in schmerzhafte Falten, blieb aber stumm.
   »Wie steht es?« fragte der Haziendero. – »Er wird nicht sterben«, antwortete der Häuptling. »Man lege immer neues Wundkraut auf.« – »Morgen wird der Arzt kommen.« – »Das Kraut Oregano ist klüger als der Arzt. Hat mein Bruder einen Vaquero, der ein guter Reiter und Jäger ist?« – »Mein bester Jäger und Schütze ist der alte Francesco.« – »Man hole ihn und gebe ihm ein gutes Pferd!« – »Wozu?« – »Er soll mich begleiten.« – Wohin?« – »Zu den Komantschen.« – »Zu den Komantschen? O Gott, was wollt ihr bei denen?« – »Kennt mein Bruder die Komantschen nicht? Wir haben ihnen die Gefangenen abgenommen; wir haben viele ihrer Krieger getötet. Sie werden kommen, um Rache zu nehmen.« – »Nach der Hazienda?« – »Ja.« – »So weit?« – »Der rote Mann kennt keine Entfernung, wenn er sich rächen und den Skalp seines Feindes holen will. Die Komantschen werden sicher kommen.« – »Und warum wollt ihr ihnen entgegenreiten?« – »Um sie zu sehen und zu erfahren, wann und auf welchem Weg sie kommen.« – »Ist es nicht besser, du bleibst hier, und wir stellen Posten aus?« – »Der Häuptling der Apachen sieht lieber mit eigenen Augen als mit den Augen anderer. Donnerpfeil, mein Bruder, wollte den Hunden der Komantschen entgegengehen. Nun ist er krank, und ich tue es an seiner Stelle.« – »So reitet in Gottes Namen. Ich will Francesco rufen lassen.«
   In der Zeit einer Viertelstunde war der Vaquero zur Stelle. Man sah es seinem ganzen Habitus an, daß er die geeignete Persönlichkeit zu einem solchen Ritt sei. Als er hörte, um was es sich handelte, gab er seine Bereitwilligkeit zu erkennen, den Apachen zu begleiten. Sie versahen sich also mit dem, was zu einem Kundschafterritt notwendig ist, und brachen alsbald auf.
   Als die beiden Mädchen sich allein mit dem Kranken befanden, begannen die Tränen Emmas wieder zu fließen. Es war eigentümlich, welchen Eindruck ihre Nähe auf den besinnungslosen Kranken ausübte. Wenn sie ihm ansah, daß er Schmerzen fühlte, ergriff sie seine Hand, und sofort glättete sich sein Angesicht. Drückte sie zuweilen einen leisen Kuß auf seine bleiche Stirn oder seine Lippen, so zog ein freudiges Glänzen über seine Züge, und er schien seine Schmerzen nicht mehr zu empfinden.
   »Siehst du, daß er mich kennt?« sagte Emma zu der Indianerin. – »Er sieht dich ja nicht«, antwortete diese. – »Oh, er fühlt mich. Nicht sein Körper, sondern seine Seele empfindet die Nähe derjenigen, die ihn liebt. Oh, wäre er doch nie nach dem Berg El Reparo gegangen! Wie zürne ich deinem Bruder Tecalto, daß er ihn mitgenommen hat!« – »Tecalto meinte es gut! Er wollte ihm den Schatz der Könige zeigen und ihm davon schenken.« – »Und diesen Schatz wolltest du dem Grafen geben!« sagte Emma bitter. – »Kannst du mir nicht verzeihen?« bat die Indianerin. – »Ich verzeihe dir, denn ich weiß, daß die Liebe mächtiger ist als alles. Oh, wenn er doch nur wieder gesund würde!« – »Das Kraut Oregano wird ihm Hilfe bringen. Aber willst du nicht in die Säcke blicken?« – »Nein. Tue du es. Ich mag nicht sehen, was diesem Alfonzo gehört.«
   Man hatte nämlich bei den Leichen der beiden Diener die Effekten des Grafen gefunden. Sie bestanden in zwei ziemlich gut gefüllten Reisesäcken, die die Indianerin jetzt öffnete. Sie fand nichts Auffälliges, bis sie auf den Boden des letzten Sackes kam. Dort lag ein Brief, der anscheinend aus der Tasche eines der Kleidungsstücke gefallen war, die der Sack enthielt. Sie las die Adresse. Es war diejenige des Grafen Alfonzo, dann las sie auch den Brief. Es war derselbe, den die Estafette gebracht hatte. Nun warf Karja rasch einen Blick auf die Freundin, und als sie bemerkte, daß diese nur acht auf den Kranken gab, steckte sie den Brief schnell zu sich.
   *
   Die mexikanischen Pferde sind von großer Ausdauer und Schnelligkeit. Bärenherz und der Vaquero flogen auf ihren Tieren wie der Wind dem Norden zu. Sie erreichten noch vor Abend die Stelle, wo sie bei der Rückkehr von der Reise mit den beiden Damen ihr letztes Nachtlager gehalten hatten, und rasteten nicht, sondern verfolgten den Weg immer fort, den sie damals gekommen waren.
   Da, der Abend begann bereits heranzubrechen, hielt der Apache plötzlich sein Tier an und blickte zu Boden, und der Vaquero tat dasselbe.
   »Was ist das hier?« fragte letzterer. »Das sind ja Spuren!« – »Von vielen Reitern!« nickte der Apache. – »Sie kommen von Norden her!« – »Und sind nach Westen eingebogen.« – »Sehen wir die Spuren genauer an!«
   Sie stiegen ab und untersuchten die Hufeindrücke sehr sorgfältig.
   »Es sind viele«, sagte der Apache. – »Wohl zweihundert«, fügte der Vaquero hinzu.
   Der andere nickte zustimmend und deutete dann auf einen Hufeindruck, dessen Kanten noch ganz scharf gezeichnet waren.
   »Ja«, meinte der Vaquero mit besorgter Miene. »Wir können von Glück sagen. Sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier gewesen!«
   Der Apache richtete sich rasch vom Boden auf.
   »Vorwärts! Ich muß sie sehen!«
   Nun bestiegen sie ihre Pferde wieder und folgten der Fährte. Diese führte tief in die Sierra hinein, und gerade, als das letzte Licht des Tages verglomm, erblickten sie auf dem Kamm einer vor ihnen liegenden Höhe eine dunkle Schlangenlinie, die aus Reitern bestand.
   »Komantschen!« sagte der Apache. – »Ja, richtig! Donnerwetter, die haben es auf die Hazienda abgesehen!« – »Sie verbergen sich bis morgen in den Bergen«, entgegnete der Häuptling. – »Was tun wir?« – »Mein Bruder kehrt sogleich zurück, um den Haziendero zu melden, daß der Feind kommt.« – »Und du?« – »Bärenherz bleibt auf der Fährte des Feindes. Er muß wissen, was sie tun.«
   Damit drehte der Apache sich um und ritt weiter, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Vaquero seiner Weisung Folge leistete.
   »Per dios!« murmelte dieser. »So ein Indianer ist doch ein eigentümlicher Mensch! Wagt sich an zweihundert Komantschen! Stolz wie ein König. Er sagt, was ich tun soll, und reitet fort, ohne nur Abschied zu nehmen oder zu sehen, ob ich ihm auch gehorsam bin.«
   Dann wandte er sein Pferd wieder dem Süden zu und ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war.
   Es galt, die schlimme Nachricht so schnell wie möglich nach der Hazienda zu bringen. Darum strengte er sein Pferd an, und es war kaum Mitternacht, als er die Hazienda erreichte.
   Hier lag bereits alles im tiefen Schlaf, und nur Emma wachte am Lager des Geliebten. Deshalb wandte sich der Vaquero zunächst an sie. Sie weckte natürlich sogleich ihren Vater, der den alten Francesco sofort zu sich kommen ließ.
   »Ist‘s wahr, was mir Emma sagte?« fragte Arbellez. »Kommen die Komantschen?« – »Ja, das ist wahr, Señor.« – »Wann? Doch nicht etwa noch heute?« – »Nein, heute sind wir noch sicher.« – »Sind es viele?« – »Wohl zweihundert.« – »Heilige Madonna! Welch ein Unglück! Sie werden die Hazienda verwüsten.« – »Das fürchte ich nicht, Señor«, entgegnete der mutige Alte. »Wir haben ja Arme und auch Waffen genug.« – »Aber habt ihr auch richtig gesehen?« – »Das versteht sich.« – »Es scheint mir gar nicht möglich, daß die Kundschafter der Komantschen in so kurzer Zeit eine solche Schar aus ihren Weidegründen können herbeigeholt haben.« – »Das ist auch gar nicht der Fall, Señor. Als Señor Helmers mit dem Apachen die Damen befreite und dabei einen Komantschen erstach, begann die Blutrache. Es ist ganz sicher gleich damals ein Bote nach den Weidegründen abgegangen, die ja gar nicht weit vom Rio Pecos liegen. Während die Señores dann am Rio Grande gegen ihre Verfolger kämpften, waren bereits die zweihundert aufgebrochen. Die späteren Flüchtlinge sind darauf zu ihnen gestoßen und haben ihnen erzählt, daß sie abermals geschlagen worden sind. Das hat den Verfolgungsritt beschleunigt.« – »Wie weit entfernt ist der Punkt, an dem ihr sie sahet?« – »Sechs Stunden bei gewöhnlichem Ritt.« – »Und sie hielten nicht gerade auf die Estanzia zu?« – »Nein. Das fällt ihnen auch gar nicht ein. Sie haben sich in die Berge geschlagen, um nicht entdeckt zu werden, und werden vor morgen nachts sich sicherlich nicht blicken lassen.« – »Wir werden dennoch sofort Vorsichtsmaßregeln treffen. Oh, wenn doch Señor Helmers nicht verwundet wäre!« – »Auf den Häuptling der Apachen und auf Büffelstirn können Sie sich ebenso verlassen.« – »Büffelstirn ist noch am Berg El Reparo. Ich werde ihn sogleich holen lassen.« – »Soll ich reiten?« – »Du bist ermüdet.« – »Ermüdet?« lachte der Alte. »Mein Pferd wohl, aber nicht ich. Ich nehme ein anderes Tier.« – »Weißt du, wo der Häuptling zu finden ist?« – »Nein.« – »Am Auslauf des mittleren Baches.« – »Gut, ich werde ihn ganz sicher finden. Soll ich jetzt die Leute wecken?« – »Ja, wecke sie. Es ist besser, wir sind bereits heute auf der Hut.«
   Der alte Francesco schlug Lärm, dann saß er auf, um nach El Reparo zu reiten, und eine Viertelstunde nach seinem Wegritt brannten rund um die Hazienda mehrere Feuer, die die Umgebung so erleuchteten, daß es sicher kein Indianer gewagt hätte, sich dem Haus zu nahen.
   Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, war eben mit seinen Indianern von El Reparo aufgebrochen, als der alte Vaquero auf ihn stieß. Er dachte sofort, daß etwas geschehen sei.
   »Warum kommst du? Was ist‘s?« erkundigte er sich schnell. – »Rasch zur Hazienda! Die Komantschen kommen!« rief Francesco.
   Die Augen des Indianers leuchteten vor Vergnügen auf.
   »So schnell? Wer sagt es?« fragte er. – »Ich selbst habe sie gesehen.« – »Ah! Wo?«
   Francesco erzählte seinen gestrigen Ritt.
   »Ist es so, da haben wir noch Zeit«, meinte Büffelstirn. »Diese Komantschen werden auf der Hazienda del Erina einige Skalps verlieren. Ist Bärenherz hinter ihnen her?« – »Ja.« – »So brauchen wir keine Sorge zu haben. Sie entgehen uns nicht.«
   Es ging nun im Galopp auf die Hazienda zu, wo sie alles in Eile und Aufregung fanden. Der Haziendero empfing den berühmten Cibolero selbst und fragte ihn nach seiner Meinung. Dieser blickte umher und schüttelte den Kopf, als er die kriegerischen Vorbereitungen erblickte.
   »Halten Sie die Komantschen für Diggerindianer?« fragte er. – »Nein«, antwortete Arbellez. »Die Diggers sind dumm.« – »Aber die Komantschen nicht. Warum also diese Vorkehrungen?« – »Heilige Madonna! Sollen wir uns vielleicht nicht wehren?« – »Wir werden uns wehren, aber anders, Señor!« – »Wie denn?« – »Die Komantschen werden Kundschafter aussenden, um uns zu beobachten.« – »Natürlich.« – »Sie werden uns nicht am Tag überfallen.« – »Das denke ich auch.« – »Wenn wir sie zurückweisen wollen, so dürfen sie nicht ahnen, daß wir wissen, daß sie kommen.« – »Ah, da hast du recht!« – »Wir müssen unsere Vorbereitungen also im stillen treffen. Wie viele Männer haben Sie überhaupt?« – »Vierzig.« – »Das genügt. Jeder hat ein Gewehr?« – »Sie haben alle gute Gewehre.« – »Und Munition ist auch vorhanden?« – »Genug. Ich habe sogar Kanonen.« – »Kanonen?« fragte der Indianer erstaunt. – »Ja, vier Stück.« – »Davon weiß ich nichts. Woher sind sie?« – »Der Schmied hat sie gebaut, als du nicht hier warst.«
   Der Häuptling schüttelte ungläubig den Kopf.
   »Der Schmied hat sie gebaut? Taugen Sie etwas?« – »Ja, wir haben sie probiert. Der Lauf ist von festestem Eichenholz gebohrt, um welches starke, fünffache Bänder geschmiedet worden sind. Vom Zerspringen ist keine Rede.« – »Dann geht es. Wir schießen mit Glas, Nägeln und altem Eisen, das wirkt furchtbar. Sodann brauchen wir mehrere Feuer.« – »Wozu?« – »Der Überfall wird wohl bereits in der nächsten Nacht geschehen. Dabei muß alles dunkel sein, damit die Komantschen uns im tiefsten Schlaf wähnen. Sobald sie nun kommen, brennen wir die Feuer an und erleuchten die ganze Umgebung der Hazienda, damit wir sicheres Zielen haben.« – »So machen wir die Feuer auf dem platten Dach des Hauses.« – »Das ist klug. Es wird an jeder Ecke ein großer Haufen errichtet und mit Öl begossen. Das genügt für den ganzen Platz.« – »Und wohin stellen wir die Kanonen?« – »Wir errichten an jeder Ecke des Hauses, sobald es dunkel geworden ist, eine Verschanzung, hinter welche dieselben kommen. Sie müssen so stehen, daß sie zwei Seiten bestreichen können. Ah!«
   Dieser letzte Ausruf galt einem Reiter, der auf dampfendem Roß durch das Tor kam. Es war – der Apache.
   »Bärenherz!« rief der Haziendero. »Wo kommt Ihr her?« – »Von den Komantschen«, antwortete dieser, vom Pferd springend. – »Wo sind sie?« – »Auf dem Reparo.« – »Auf dem Reparo?« fragte Büffelstirn. »Hatten sie dort ihr Lager?« – »Ja. Ich bin ihnen bis auf den Berg gefolgt. Sie erreichten ihn erst nach Mitternacht.« – »Auf welcher Seite lagerten sie?« – »Auf der Seite nach Mitternacht.« – »Uff! Wenn sie …«, der Indianer unterbrach sich und fügte leise hinzu, so daß ihn nur der Apache hören konnte: »Wenn sie den Grafen finden.« – »Den werden die Krokodile gefunden haben«, entgegnete der Apache ebenso leise.
   Diese Annahme war nun allerdings nicht richtig.


   12. Kapitel

   Die Komantschen zählten wirklich zweihundert Mann. Sie wurden angeführt von einem ihrer berühmtesten Häuptlinge, der Tokvitey, Der Schwarze Hirsch, hieß. Ihm zur Seite ritten zwei Kundschafter, von denen der eine die Gegend um die Hazienda genau kannte, während der andere zu denen gehörte, die von den Mexikanern unter Anführung des Deutschen und des Apachen besiegt worden waren. So konnten sie sich in der Richtung nach der Estanzia gar nicht irren.
   Sie ritten, ohne zu ahnen, daß sie von dem berühmten Apachenhäuptling verfolgt wurden, nach indianischer Weise über die Berge, immer einer hinter dem anderen, und gelangten schließlich an den nördlichen Fuß des Reparo, dessen Abhang sie erstiegen, um dann unter dichten Bäumen des Waldes haltzumachen.
   »Weiß mein Sohn hier einen Ort, wo wir uns während des Tages verbergen könnten?« fragte Der Schwarze Hirsch den einen der Führer, der die Gegend kannte.
   Der Gefragte sann nach und antwortete:
   »Ja. Auf der Höhe des Berges.« – »Was ist es für ein Ort?« – »Die Ruine eines Tempels, dessen Vorhöfe Platz für tausend Krieger haben.« – »Kann man da verborgen sein?« – »Ja, wenn kein Auge uns kommen sieht.« – »Weiß mein Sohn den Ort genau?« – »Ich werde nicht irren.« – »Und glaubt mein Sohn, daß wir ihn erst auskundschaften müssen?« – »Es ist besser und sicherer so.« – »So werden wir beide gehen, während die anderen warten.«
   Sie stiegen darauf von ihren Pferden, nahmen die Waffen zur Hand und drangen in den Wald ein.
   Der Indianer besitzt für Örtlichkeitsverhältnisse einen angeborenen Instinkt und einen so gut geübten Scharfsinn, daß er sich fast nie verirren kann. Der Führer strich daher mit einer bewundernswerten Sicherheit durch den nächtlich stockfinsteren Wald auf die Ruine zu. Der Häuptling folgte ihm. Trotz der Schwierigkeiten, welche die Dunkelheit bot, erreichten sie die verfallenen Mauern des Tempelwerks und begannen, dasselbe zu durchsuchen.
   Sie fanden nicht die mindeste Spur von der Anwesenheit eines Menschen und hegten schon die Überzeugung, daß sie sicher seien, als sie plötzlich anhielten und lauschten. Es war ein Schrei erklungen, ein Schrei, der aus keiner menschlichen Kehle zu stammen schien.
   »Was war das?« fragte Der Schwarze Hirsch. – »Ein Schrei, aber von wem?« – »Es klang fast wie der Todesschrei eines Pferdes.« – »Ich habe einen solchen Laut noch nie gehört«, erklärte der Führer.
   Da erklang der Schrei abermals, langgezogen und gräßlich.
   »Ja, ein Mensch«, stimmte der Führer jetzt bei. – »In Todesangst!« – »In tiefster Verzweiflung!« – »Wo war es?« – »Ich weiß es nicht. Das Echo täuscht.« – »Man muß diese Mauern verlassen.«
   Die Indianer kletterten nun über das Trümmerwerk hinaus ins Freie, und als der markerschütternde Ruf dann abermals erscholl, hörten sie, aus welcher Richtung er kam.
   »Gerade vor uns«, sagte der Führer. – »Ja, gerade vor uns. Wir wollen sehen, was es ist!«
   Sie schlichen sich vorsichtig weiter und kamen an den Rand des Teichs, den sie entlanggingen, bis der Schrei gerade vor ihnen ausgestoßen wurde. Die Wilden konnten sich eiserner Nerven rühmen, aber sie erschraken doch, als diese fürchterliche Stimme so in ihrer unmittelbaren Nähe erscholl.
   »Hier ist es«, sagte der Führer, »im Wasser.« – »Nein, über dem Wasser ist es«, verbesserte der Häuptling. »Horch!« – »Das plätschert und klappt, als seien es Krokodile.«
   Ein phosphoreszierender Schein ging von dem Wasser aus, das durch die Tiere bewegt wurde.
   »Sieht mein Sohn diesen Schimmer?« – »Ja.« – »Es sind Krokodile.« – »Und der Mensch unter ihnen? Unmöglich!« – »Nein, der Mensch über ihnen, auf diesem Baum.«
   Der Indianer deutete dabei auf die Zeder, an der sie standen.
   »So muß er angebunden sein!« – »Sicher!«
   Nun erschallte der Schrei abermals, und sie hörten, daß er aus der Luft kam, zwischen dem Wasser und der Krone des Baumes.
   »Wer ruft?« fragte da der Häuptling mit lauter Stimme. – »Oh!« antwortete es im Ton des Entzückens. – »Wer ist es?« – »Hilfe!« – »Wo bist du!« – »Ich hänge am Baum.« – »Ugh! Über dem Wasser?« – »Ja. Kommt schnell.« – »Wer bist du?« – »Ein Spanier.« – »Ein Spanier, ein Bleichgesicht«, flüsterte Der Schwarze Hirsch seinem Begleiter zu. »Er soll hängen bleiben!«
   Dennoch aber fragte er weiter:
   »Wer hat dich aufgehängt?« – »Meine Feinde.« – »Wer sind sie?« – »Zwei Rothäute.« – »Uff!« flüsterte der Häuptling. »Er hängt zur Rache hier.«
   Dann fragte er, welche Rothäute es gewesen seien.
   »Ein Mixteka und ein Apache. O kommt, helft! Ich kann nicht mehr; die Krokodile werden mich zerreißen!« – »Ein Apache und ein Mixteka!« sagte der Häuptling leise. »Das sind unsere Feinde. Dann werden wir ihn vielleicht retten. Zuerst aber muß ihn das Feuer beleuchten.«
   Rasch ging er zu einem Gestrüpp, von dem er vorhin beim Hindurchschlüpfen bemerkt hatte, daß es dürr und trocken sei, riß es aus und trug den Haufen an das Ufer. Dann zog er sein Punks – Präriefeuerzeug – hervor und zündete den Haufen an. Das Feuer loderte hell empor und beleuchtete die ganze Szene: Von dem Baum herab hing ein Bleichgesicht bis nahe über das Wasser und schwang die Füße hoch empor, sobald eines der Krokodile nach ihnen schnappte.
   »Das ist eine große Rache!« sagte Der Schwarze Hirsch. »Er soll uns jetzt antworten, ohne die Alligatoren zu fürchten.«
   Damit kletterte er auf den Baum empor, faßte den Lasso und zog den daran Hängenden weiter hinauf, so daß sich dieser nun vor den Ungeheuern in Sicherheit befand. Alfonzo hatte beim Schein des Feuers sofort die Indianer wahrgenommen und an ihrer Bemalung erkannt, daß es Komantschen seien, die sich auf dem Kriegspfad befanden. Er erriet alles und betrachtete sich bereits als halb gerettet.
   »Warum hingen dich die roten Männer hier auf?« fragte der Häuptling weiter. – »Weil ich mit ihnen kämpfte, um sie zu töten. Wir waren Feinde.« – »Warum hast du die Hunde nicht getötet? Die Apachen und Mixtekas sind Feiglinge.« – »Es war Bärenherz, der Häuptling der Apachen.« – »Bärenherz?« rief der Komantsche. »Er war hier?« – »Ja, er und Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas.« – »Und Büffelstirn!« rief der Komantsche abermals. »Wo sind sie?« – »Befreie mich, so sollst du sie haben!« – »Schwöre es!« – »Ich schwöre es!« – »So sollst du frei sein!«
   Der Schwarze Hirsch zog mit aller Anstrengung an dem Lasso und brachte den Grafen auch glücklich so weit empor, daß dieser sich mit dem Oberkörper auf den Ast legen und stützen konnte. Dadurch bekam der Komantsche die Hand frei. Er zog sein Messer und durchschnitt den Lasso und die Banden des Spaniers, der sich nun trotz aller Schwäche selbst festzuhalten vermochte.
   »Ah!« rief dieser. »Frei! Frei! Frei!« Dann brüllte er in unendlichem Entzücken in die Nacht hinaus: »Aber nun Rache! Rache! Rache!« – »Rache sollst du haben«, sagte da der Komantsche, der in ihm einen brauchbaren Verbündeten ahnte. »Aber warum schreist du so? Der Wald hat Ohren. Ist niemand in der Nähe?« – »Kein Mensch! Es befand sich niemand auf dem Berg als nur ich und diese verdammten Krokodile. Mein Leben lang werde ich diese Nacht nicht vergessen!« – »Vergiß sie nicht und räche dich! Jetzt aber steige mit mir herab!«
   Sie kletterten von dem Baum hernieder, und nun erst, als Alfonzo festen Boden unter sich fühlte, wußte er, daß er gerettet sei.
   »Ich danke euch!« sagte er. »Verlangt, was ihr wollt, ich werde es tun!«
   Der Komantsche entgegnete ruhig:
   »Setze dich zu uns und beantworte uns, was wir dich fragen!«
   Als sie nun im Gras sich niederließen, streckte der Graf seine gepeinigten Glieder mit einer Wonne aus, die er in seinem Leben noch niemals gefühlt hatte, und fragte:
   »Ihr seid vom Volk der Komantschen?« – »Ja.« – »Du bist ein Häuptling derselben?« – »Ich bin Tokvitey, Der schwarze Hirsch.« – »Und ihr befindet euch auf einem Kriegszug?«
   Der Häuptling nickte. Dann fragte er:
   »Kennst du die Hacienda del Erina?« – »Ich kenne sie.« – »Wie heißt der Mann, der dort wohnt?« – »Er heißt Pedro Arbellez.« – »Hat er eine Tochter?« – »Ja.« – »Und ist bei dieser Tochter eine Indianerin vom Stamm der Mixtekas?« – »Ja. Es ist Karja, die Schwester von Tecalto.« – »Die Schwester Büffelstirns?« fragte der Häuptling überrascht. – »Ja.« – »Ugh! Das haben die Söhne der Komantschen nicht gewußt, sonst hätten sie die Tochter der Mixtekas fester gehalten. Die beiden Squaws waren unsere Gefangenen.« – »Ich weiß es.« – »Du weißt es?« fragte Der Schwarze Hirsch. – »Ja, denn sie wohnen bei mir.« – »Bei dir? Deine Stimme spricht in Rätseln! Ich denke, sie wohnen auf der Hazienda?« – »Dies ist auch wahr; denn die Hazienda gehört mir.« – »Dir? So bist du Señor Pedro Arbellez?« – »Nein. Ich bin Graf Alfonzo de Rodriganda y Sevilla. Arbellez ist nur mein Pächter.« – »Ugh!« sagte da der Komantsche kalt, indem er sich erhob. »So wirst du wieder über dem Wasser hängen, damit dich die Alligatoren fressen!«
   Alfonzo war seiner Sache so sicher, daß er lächelnd antwortete: »Warum?« – »Weil du der Beschützer der beiden Squaws bist.« – »Setze dich wieder. Schwarzer Hirsch. Ich bin nicht ihr Beschützer; ich bin ihr Feind und dein Freund. Diese Squaws sind schuld, daß ich hier aufgehängt wurde, du aber hast mich gerettet. Ich werde dir danken, indem ich die drei größten Feinde der Komantschen in deine Hände liefere.« – »Wer ist dies?« – »Shoshinliett.« – »Bärenherz, der Apache?« – »Ja. Ferner Mokaschimotak.« – »Büffelstirn, der Mixteka?« – »Ja.« – »Und der dritte?« – »Der dritte ist ein Bleichgesicht; die roten Männer nennen ihn Itintika.« – »Donnerpfeil, der große Rastreador?« rief der Komantsche. »Sagst du die Wahrheit?« – »Ja.« – »Wo ist Donnerpfeil?« – »Bei den anderen.« – »Wo sind diese?«
   Der Komantsche fragte mit fast leidenschaftlicher Hast. Die Hoffnung, diese drei berühmten Männer in seine Gewalt zu bekommen, brachte ihn um die kalte Ruhe und Selbstbeherrschung, in der der Indianer sonst seine Ehre sucht.
   »Ich werde es dir sagen, wenn du mir vorher etwas versprichst.« – »Was begehrst du?« – »Du bist gekommen, um die Hazienda zu überfallen?« – »Ja«, gestand der Indianer. – »Wird es dir gelingen?« – »Der Schwarze Hirsch wurde noch nie besiegt.« – »Du hast viele Komantschen mit?« – »Zehn mal zehn mal zwei.« – »Zweihundert? Das ist genug. Du sollst die drei berühmten Häuptlinge haben, ferner alle Skalpe der Bewohner der Hazienda, auch alles, was in der Hazienda zu finden ist, wenn du das Haus schonst, da es mein Eigentum ist, und mir die Tochter meines Pächters überantwortest.«
   Der Komantsche sann nach, dann antwortete er:
   »Es sei, wie du begehrst. Wo also sind die drei Häuptlinge?« – »Sie sind«, sagte der Graf, zufrieden lächelnd, »nirgends anders als eben in der Hazienda.« – »Ugh! Du hast mich überlistet!« gestand Der Schwarze Hirsch. – »Aber ich habe dein Wort!« – »Der Häuptling der Komantschen bricht sein Wort niemals. Das Haus ist dein, und du bekommst das Mädchen. Die drei Feinde, die Skalpe und alles, was das Haus enthält, gehört jetzt aber den Söhnen der Komantschen. Ist die Hazienda von Stein erbaut?« – »Von festen Steinen und mit Palisaden umgeben. Aber ich kenne alle Schliche; ich werde euch führen. Ihr werdet euch im Inneren des Hauses befinden, während die Bewohner alle noch fest schlafen. Sie werden nur erwachen, um unter euren Messern und Tomahawks zu sterben.« – »Hat der Haziendero viele Waffen?« – »Er hat genug Waffen, aber sie werden ihm nichts nützen.« – »Wie viele Männer besitzt er?« – »Vielleicht vierzig.« – »Vier mal zehn? Das macht sieben mal zehn, denn jeder der drei Häuptlinge ist zehn wert.« – »Donnerpfeil darf nicht gerechnet werden.« – »Warum?« —»Er ist verwundet, vielleicht tot. Ich traf ihn mit der Keule auf den Kopf.« – »Uff! Du hast mit Donnerpfeil gekämpft?« – »Warum nicht?« – »Wer mit ihm kämpft, der muß ein tapferer Krieger sein.« – »Ich bin kein Feigling, obgleich du mich als Gefangenen getroffen hast.« – »Ich werde es sehen, wenn du uns zur Hazienda führst. Meinst du, daß sie ahnen, daß die Krieger der Komantschen kommen, um Rache zu nehmen?« – »Ich glaube es nicht. Ich habe nicht gehört, daß davon gesprochen worden ist.« – »Ich werde einen Kundschafter senden.« – »Er mag sich nicht sehen lassen!« – »Uff! Er wird gerade in die Hazienda gehen.« – »So ist er verloren!« – »Er ist nicht verloren. Er ist kein Komantsche, sondern ein christlicher Indianer von dem mexikanischen Stamm der Opatos. Man wird ihm nicht mißtrauen, und er wird genau sehen, ob man sich auf einen Kampf mit den Kriegern der Komantschen vorbereitet. Jetzt aber weiß ich alles. Mein Sohn mag gehen, um die Krieger nach den Ruinen zu führen, wohin ich mit diesem Mann gehe, einem Graf der Bleichgesichter.«
   Der Führer eilte davon, und der Häuptling schritt mit Alfonzo den Tempelruinen zu. Vorher aber warf der letztere noch einen Blick auf den kleinen See, über dessen Wassern er die schrecklichsten Stunden seines Lebens zugebracht hatte und an dessen Ufer die Alligatoren lagen und mit weit aus der Flut hervorragenden Köpfen das Opfer anglotzten, das ihnen entgangen war.
   Am anderen Morgen ging der Häuptling mit dem Grafen und dem Führer durch den Wald, um zu rekognoszieren. Sie kamen dabei auch an den Rand des Bergplateaus, von dem aus man in die Ebene hinabblicken konnte. Da ertönte unter ihnen ein dumpfer Knall.
   »Was war das?« fragte Der Schwarze Hirsch. – »Ein Schuß«, meinte der Führer. – »Aber kein Büchsen-, sondern ein Sprengschuß«, erklärte Alfonzo, der sogleich vermutete, was da unten vorgegangen war.
   Sie traten so weit wie möglich an den Felsenabhang heran und blickten zu dem Bach hinab. Da sahen sie Büffelstirn mit seinen Indianern davonreiten. Alfonzo gewahrte das Lastpferd und die Decken, die es trug, und ahnte, daß darinnen ein Teil der Schätze verborgen sei.
   »Was für Männer sind dies?« fragte der Häuptling. – »Es sind Mixtekas«, antwortete der Graf. – »Mixtekas, die sterben und verdorren werden«, sagte der andere verächtlich. – »Oh, sie haben noch Kraft genug. Siehe einmal ihren Anführer!« – »Ist er ein Cibolero?« – »Ja, er ist ein Büffeljäger, und zwar der kühnste von allen. Es ist Büffelstirn, der König der Ciboleros!« – »Ugh! Das – das ist Büffelstirn!« rief der Komantsche, indem er den Mixteka da unten mit finsterem Auge betrachtete. »Es wird nicht lange währen, so stirbt er an dem Marterpfahl im Lager der Komantschen.«
   Als sie nach der Ruine zurückkehrten, wurde der Kundschafter abgesandt. Er trug die Kleidung eines zivilisierten Indianers, erhielt eine alte Flinte und das schlechteste Pferd, das vorhanden war, und hatte den Befehl, einen Umweg zu machen, damit es scheine, daß er nicht von Norden, sondern von Süden komme.
   Er umritt also die hintere Seite und den südlichen Abhang des El Reparo und kam von Mittag her auf die Hazienda zu.
   Büffelstirn stand mit dem Haziendero und Bärenherz am Fenster, als er in den Hof ritt. Kaum hatte der Apache ihn erblickt, so stieß er mit höhnischem Lächeln den Ruf: »Uff!« aus.
   »Wie?« fragte Arbellez verwundert. – »Unser Freund will sagen, daß dies der erwartete Kundschafter ist«, erläuterte Büffelstirn den Ausruf des Apachen. – »Oh, das ist kein Komantsche!« meinte da Arbellez. – »Nein, es ist ein Majo oder Opato, aber jedenfalls ein Überläufer.« – »Wie soll ich ihn behandeln?« – »Freundlich. Er darf nicht ahnen, daß wir an Kampf und Feindseligkeit denken.«
   Der Haziendero ging nun in den Hof hinab. Der Indianer, der gerade im Begriff stand, nach der Gesindestube zu gehen, grüßte höflich.
   »Das ist die Hacienda del Erina?« fragte er. – »Ja.« – »Wo Señor Arbellez gebietet?« – »Ja.« – »Wo ist der Señor?« – »Ich bin es selbst.« – »Oh, Verzeihung, Don Arbellez, daß ich dies nicht wußte. Darf ich bei Euch einkehren?« – »Tut dies in Gottes Namen. Es ist mir ein jeder Gast willkommen. Wo kommt Ihr her?« – »Ich komme von Durango über die Berge herüber.« – »Das ist weit.« – »Ja. Ich war einige Jahre dort, aber das Fieber hat mich vertrieben. Hier scheint es besser zu sein. Braucht Ihr keinen Vaquero, Señor?« – »Nein.« – »Auch keinen Cibolero?« – »Auch nicht.« – »Ist Euch nicht sonst ein Mann nötig?« – »Ich habe jetzt Leute genug, aber Ihr könnt trotzdem bleiben und Euch ausruhen, so lange es Euch gefällt.« – »Ich danke. Da Ihr niemand braucht und Eure Hazienda die beste ist gegen die Grenze hin, so werde ich sehen, wie es sich als Gambusino leben läßt. Wenn nur die Wilden nicht wären!« – »Fürchtet Ihr Euch vor einem Indianer?« – »Vor einem nicht, aber vor fünf oder zehn. Man hört, daß die Komantschen Lust haben, über die Grenze zu kommen.« – »Da hat man Euch falsch berichtet. Sie werden sich hüten, herüberzukommen, denn sie wissen, daß sie eine tüchtige Lehre erhalten würden. Also bleibt, ruht Euch aus und eßt und trinkt in der Leutestube, so viel wie Ihr wollt.«
   Der Haziendero ging weiter und ließ den Indianer mit der festen Gewißheit zurück, daß auf der Hacienda del Erina kein Mensch daran denke, daß Indianer in der Nähe sein könnten. Der Kundschafter schien der Ruhe nicht sehr zu bedürfen, denn er schweifte auf der Hazienda und in ihrer nächsten Umgebung unermüdlich herum und setzte sich am Nachmittag auf sein Pferd, um weiterzureiten.
   Natürlich wandte er sich nicht nach der Grenze hin, sondern kehrte auf einem Umweg zu den Komantschen zurück, wo sein Bericht mit Spannung erwartet wurde. Als er dem Häuptling erzählte, was er gesehen hatte, nickte dieser mit einem blutdürstigen Lächeln und sagte:
   »Die Hazienda wird schrecklich aus dem Schlaf erwachen, die Söhne der Komantschen werden mit Beute und vielen Skalpen heimkehren in ihre Wigwams.«
   Er ließ sich darauf von dem Grafen und dem Kundschafter die Lage und Beschaffenheit des Gebäudes beschreiben, dann wurde großer Kriegsrat gehalten.
   Das Ergebnis desselben war, daß man mit Einbruch der Dunkelheit aufbrechen wolle. Um Mitternacht langte man in der Nähe der Hazienda an. Diese sollte von allen vier Seiten umschlossen werden, dann sollten die Komantschen auf ein Zeichen ihres Häuptlings über die Palisaden steigen und innerhalb des Hofes das Haus umzingelt halten, während fünfzig Mann durch eines der Fenster in dasselbe eindrangen, um sich durch die Gänge zu verbreiten. Dann könne das Morden losgehen.
   Während dies in den Ruinen des Tempels besprochen wurde, hielt man auch auf der Hazienda Kriegsrat.
   »Ist Feuerwerk da?« fragte Büffelstirn. – »Ja, genug. Die Vaqueros können sich keinen Festtag ohne Feuerwerk denken«, entgegnete der Haziendero. »Warum?« – »Die Hauptsache ist, den Komantschen die Pferde zu nehmen, damit sie nicht so schnell entkommen können. Man muß sehen, wo sie ihre Tiere lassen, und im geeigneten Augenblick Feuerwerk unter sie werfen.« – »Das soll besorgt werden.« – »Aber es gehören kühne und vorsichtige Leute dazu.« – »Die habe ich. Wann fangen wir an, die Schanzen zu bauen?« – »Eigentlich war bestimmt, die Dunkelheit abzuwarten, da aber der Kundschafter so sehr befriedigt davongeritten ist, so glaube ich nicht, daß wir noch weiter beobachtet werden. Wir können also anfangen.«
   Nun begann eine rege Geschäftigkeit. Es befand sich bei Anbruch des Abends kein Vaquero auf der Weide, wie zu anderer Zeit, sondern alle waren innerhalb der Palisaden bemüht, die Verteidigung des Hauses vorzubereiten.
   So verging der Abend in lebhafter Erwartung, und eine Stunde vor Mitternacht brach der Apache auf, um auf Kundschaft zu gehen. Er nahm zwei wohlbewaffnete Knechte mit, die genug Feuerwerkskörper trugen, um eine Pferdeherde von tausend Stück in alle Winde zu zersprengen.
   Der Häuptling kam sehr bald zurück, aber allein.
   »Kommen sie?« fragte der Haziendero. – »Ja.« – »Wo sind sie?« – »Abgestiegen. Sie umzingeln die Palisaden, die Pferde stehen draußen am Bach.« – »Sind viele Wächter bei ihnen?« fragte Büffelstirn. – »Nur drei.« – »Uff! Unsere beiden Männer werden ihre Schuldigkeit tun.«
   Jetzt begab sich der Haziendero nach der Krankenstube, wo die beiden Mädchen wie gewöhnlich bei dem Kranken saßen. Sie waren bleich, aber gefaßt.
   »Kommen sie?« fragte Emma. – »Ja. Schläft der Patient?« – »Fest.« – »So könnt ihr auf euren Posten gehen. Nehmt die Lunten.«
   Die Mädchen brannten sich Lunten an und eilten hinauf auf die Plattform des Hauses, wo an jeder Ecke ein großer, mit Öl getränkter Holzhaufen lag. Auch mächtige Steine und einige geladene Gewehre gab es da, um den Frauen Gelegenheit zu geben, bei der Verteidigung mitzuwirken.


   13. Kapitel

   Die Nacht war still. Nur das Murmeln des Baches ließ sich vernehmen, oder das Schnaufen eines Pferdes drang von der Weide herüber. Dennoch gab es viele Herzen, die in der Erwartung des Kampfes jetzt schneller schlugen. Da erklang der volle, grunzende Ton eines Ochsenfroschs. Er war so täuschend nachgemacht, daß er unter anderen Umständen sicherlich gar nicht beachtet worden wäre, jetzt aber wußten sämtliche Bewohner der Hazienda sofort, daß er das Zeichen des Angriffs sei.
   Der alte Vaquero Francesco hatte sich die Bedienung derjenigen Kanonen auserbeten, die die vordere Front des Hauses zu verteidigen hatten. Sie waren mit Glas, Nägeln und gehacktem Eisen geladen, und unter der Serape – Decke —, die er übergeworfen hatte, glimmte die Lunte, mit der der Schuß gelöst werden sollte. So kauerte er hinter der kleinen Verschanzung und lauschte auf das leiseste Geräusch.
   An dem Parterrefenster rechts von dem Portal stand der Apache, und an demjenigen links der Häuptling der Mixtekas. Beide hatten ihre Büchsen in der Hand und durchforschten die Finsternis mit ihren scharfen Augen. Da erschallte, wie schon erwähnt, die Stimme des Ochsenfroschs, und in demselben Augenblick wurde es auf den Palisaden lebendig. Zweihundert Köpfe erschienen über ihnen, und zweihundert dunkle, behende Gestalten sprangen von ihnen in den Hof herab. Eben traten die fünfzig, die durch die Fenster eindringen sollten, eng zusammen, da streckte der Apache seine Doppelbüchse heraus und rief:
   »Shne ko – gebt Feuer!«
   Seine Büchse krachte, und dieses Zeichen hatte eine Wirkung, die ebenso schnell wie wunderbar war. Kaum erscholl nämlich seine Stimme, so steckten die Mädchen oben auf der Plattform ihre Lunten in das Pulver, und im Nu loderten vier hohe Feuer auf, die den ganzen Umkreis mit Tageshelle beleuchteten. Die Indianer standen erschrocken still.
   Beim Schein der Feuer erblickte der alte Francesco die fünfzig beisammenstehenden Komantschen, sie befanden sich kaum fünfzehn Meter von ihnen entfernt. Sein Schuß krachte und war bei dieser Nähe von fürchterlicher Wirkung. Der ganze Haufen schien zusammenzubrechen, es entstand ein wirrer Knäuel von am Boden ringenden Gestalten, dessen Auflösung so lange dauerte, daß Francesco Zeit erhielt, wieder zu laden. Sein zweiter Schuß hatte dieselbe Wirkung. Auch die anderen Kanonen krachten, aus jedem Fenster des Hauses, auch von der Plattform herab blitzten Schüsse, und da – von der Plattform aus konnte man es deutlich sehen —, da prasselte draußen plötzlich ein leuchtendes Feuerwerk empor. Dazwischen hinein erscholl das hundertstimmige Wiehern und Schnauben der erschreckten Pferde, die sich losrissen und davonflohen, daß unter dem Stampfen ihrer Hufe die Erde zitterte.
   Die Wilden stimmten ein furchtbares Wutgeheul an. Sie alle waren hell beleuchtet und boten ein sicheres Ziel, die Zimmer aber waren dunkel, so daß die Komantschen keinen sicheren Schuß bekommen konnten, selbst wenn sie bei der allgemeinen Panik, von der sie überfallen worden waren, sich zu einem ruhigen Schuß Zeit genommen haben würden. Sie hatten einen solchen Empfang nicht erwartet; in den ersten zwei Minuten waren bereits die Hälfte ihrer Leute verloren, und jetzt begannen sie zu fliehen.
   Nur einer stand fest, nämlich Der Schwarze Hirsch. Er feuerte die Seinigen an, auszuhalten; aber es half nichts. Er hatte sich bisher an der Seite des Hauses befunden, jetzt eilte er nach der Vorderfront, um zu sehen, wie der Kampf dort stehe. Doch die Situation war hier eine noch schlimmere; Francesco hatte mit seinen gutgezielten Schüssen den Platz rasiert; Indianerleiche lag an Indianerleiche; der Häuptling erkannte, daß alles verloren sei, und sprang über die Palisade hinaus.
   In dem Augenblick, als er auf der Palisade hing, erblickte ihn der Apache und rief:
   »Tokvitey, Der Schwarze Hirsch!«
   Er hatte den Komantschen sofort erkannt, konnte ihn aber nicht töten, da er seine Büchse abgeschossen hatte.
   »Der Schwarze Hirsch!« rief er abermals, indem er die Büchse fortwarf und den Tomahawk aus dem Gürtel zog. »Wendet Der Schwarze Hirsch dem Feind den Rücken?«
   Dann sprang er aus dem Fenster, stürzte über den Hof hinüber und schwang sich über die Palisaden hinweg.
   »Der Schwarze Hirsch halte an!« rief er dem fliehenden Komantschen nach. »Hier kommt Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Will der Häuptling der Komantschen vor ihm flüchten?«
   Als der Komantsche diesen Namen hörte, stand er still.
   »Du bist Bärenherz?« rief er. »Nun, so komm heran, ich werde deine Eingeweide den Geiern zu fressen geben!«
   Die beiden Häuptlinge gerieten aneinander; sie nahmen nur den Tomahawk zur Waffe, und dies ist die fürchterlichste, die es gibt. Bärenherz war dem Komantschen überlegen; das zeigte sich sofort; aber da schnellte sich, mit der Büchse in der Hand, eine Gestalt heran, Alfonzo!
   Er war klug gewesen und zunächst nicht mit über die Palisaden gestiegen; er hatte ja nicht die geringste Lust, sein Leben und seine Glieder den feindlichen Schüssen preiszugeben. So hockte er hinter den Palisaden und wartete den Erfolg des Angriffs ab. Als nun die Komantschen flohen und er sah, daß Bärenherz dem Komantschen nachsprang, folgte er ihnen, eilte hinzu und schlug mit dem Kolben seines Gewehrs den Apachen von hinten so an den Kopf, daß er niederstürzte. Der Komantsche zog sofort sein Messer, um den Betäubten vollends zu töten und ihm den Skalp zu nehmen; aber Alfonzo wehrte ab.
   »Halt!« sagte er. »Er verdient einen anderen Tod.« – »Du hast recht!« entgegnete Der Schwarze Hirsch. »Schnell mit ihm zu den Pferden!« – »Zu den Pferden? Die sind ja fort!« – »Fort?« fragte der Häuptling erschrocken. – »Ja. Man hat sie mit Feuerwerk erschreckt.« – »Ugh! Komm, komm, sonst wird es zu spät!«
   Sie faßten nun den Apachen an beiden Armen an und sprangen, ihn an der Erde schleifend, davon.
   Es war die höchste Zeit für sie, denn als Büffelstirn aus seinem Fenster bemerkte, daß der Apache dem feindlichen Anführer nacheilte, und erkannte, daß jener sich in die höchste Gefahr begab, holte er so rasch wie möglich die Besatzung des Hauses zusammen, um einen Ausfall zu machen, und stürmte mit ihr, da der Hof bereits von den Feinden verlassen war, durch die geöffneten Tore hinaus ins Freie, wo sich noch an vielen Stellen ein hitziger Einzelkampf entspann, bei dem die Wilden gewöhnlich den kürzeren zogen und Büffelstirn noch manchen niederschlug. Dann eilte er, so weit die Feuer leuchteten, rund um die Hazienda herum, aber er sah von dem Apachen keine Spur.
   Stunden waren vergangen, als der Häuptling Bärenherz aus einer tiefen Ohnmacht erwachte. Er öffnete die Augen, erblickte zunächst ein Feuer und sodann eine Anzahl wilder, roter Gestalten, die um dasselbe saßen. Er selbst war gefesselt; zu seiner Rechten saß Der Schwarze Hirsch und zu seiner Linken Graf Alfonzo.
   Alfonzo hatte bemerkt, daß er die Augen aufschlug.
   »Er erwacht!« sagte er.
   Sofort richteten sich die Blicke sämtlicher Komantschen auf den Gefangenen. Sie alle hatten von ihm gehört; sie alle kannten seinen Ruhm, aber die wenigsten hatten ihn schon einmal gesehen. Er nahm seine Gefangenschaft mit der äußeren Ruhe auf, die dem Indianer eigen ist. Sein Kopf schmerzte von dem Hieb, aber er besann sich doch sofort auf alles, was geschehen war.
   »Der furchtsame Frosch der Apachen ist gefangen«, sagte Der Schwarze Hirsch.
   Bärenherz lachte verächtlich; er sah ein, daß ein stolzes Schweigen hier nicht das Richtige sei.
   »Der Löwe der Komantschen lief doch vor diesem Frosch davon!« sagte er. – »Hund!« – »Schakal!« – »Bärenherz, der Häuptling, ließ sich besiegen von dem Schwarzen Hirsch!« – »Du lügst!« – »Schweig!« – »Nicht du besiegtest mich und auch nicht ein anderer. Dieser Feigling, der ein Graf der Bleichgesichter ist, schlug mich heimtückisch nieder. Das ist es, was ich sage, und weiter hört ihr kein Wort. Bärenherz verachtet die Krieger, die wie Flöhe davonspringen, wenn der Tapfere sich zeigt.« – »Du wirst schon sprechen, wenn die Marter beginnt.«
   Der Apache antwortete nicht. Er hatte seine Meinung ausgesprochen, und nun war er der eisenfeste Mann, der sich nicht beschämen ließ. Das sahen die anderen ein, und darum sagte der Häuptling der Komantschen:
   »Der Tag beginnt. Unseres Bleibens ist hier nicht. Laßt uns zu Gericht sitzen über diesen Mann, der sich einen Häuptling nennt.«
   Es wurde schweigend ein Kreis gebildet, und dann erhob sich Der Schwarze Hirsch, um in einer langen Rede die Verbrechen des Apachen aufzuzählen.
   »Er hat den Tod verdient«, sagte er am Schluß.
   Die anderen stimmten bei.
   »Wollen wir ihn mit in die Wigwams der Komantschen nehmen?« fragte er.
   Auch hierüber wurde beraten, und das Resultat war, daß Bärenherz hier getötet werden solle, da man unterwegs noch mannigfaltigen Zufälligkeiten ausgesetzt sein konnte.
   »Aber welchen Tod soll er sterben?« fragte der Häuptling.
   Auch darüber wurde beraten, aber man kam hier nicht so schnell zu einem Entschluß, daß ein so seltener Gefangener auch ungewöhnliche Martern erleiden sollte. Da erhob sich Graf Alfonzo, der bisher noch nichts dazu gesagt hatte, und fragte:
   »Darf ich mit meinen roten Brüdern sprechen?« – »Ja«, antwortete Der Schwarze Hirsch. – »Habe ich Anteil an diesem Apachen oder nicht?« – »Nein.« – »Warum nicht?« – »Du hast ihn uns versprochen.« – »Wer hat ihn niedergeschlagen?« – »Du.« – »Habt ihr erfüllt, was ihr mir versprochen?« – »Nein. Wir konnten nicht.« – »Nun, so sind also die gegenseitigen Versprechungen aufgehoben, und der Gefangene gehört nur dem, der ihn niedergeschlagen hat. Beratet darüber.«
   Es entspann sich nur eine kurze, aber sehr lebhafte Debatte, deren Ergebnis war, daß der Apache dem Spanier zugeschrieben wurde.
   »Er ist mein?« fragte der letztere. – »Ja.« – »Und ich habe also über sein Schicksal zu bestimmen?« – »Ja.« – »Nun gut, so wird es dasselbe sein, das ich erleiden sollte. Wir binden ihn an diesen Baum und lassen ihn von den Krokodilen fressen. Er soll dieselben Höllenqualen erleiden, die ich durchgekostet habe.«
   Auf diese Worte erhob sich ringsum ein beistimmendes Jubelgeschrei, und aller Augen richteten sich nach dem Apachen, um den Eindruck dieses Entschlusses in seinem Gesicht zu lesen; aber dieses Gesicht war wie aus Erz gegossen; keine Wimper zuckte, und keine Silbe der Bitte kam über seine Lippen.
   »Haben wir Lassos genug?« fragte der Graf. – »Ja. Hier liegen noch dieselben, an denen du hingst, und wer von den Komantschen ein Pferd eingefangen hat, besitzt auch einen Lasso.«
   Es war nämlich den Indianern gelungen, einige ihrer herumirrenden Pferde zu fangen.
   »Gut, so binden wir ihn gerade so, wie er mich gebunden hat«, sagte Alfonzo.
   Dies geschah; dann fragte Der Schwarze Hirsch:
   »Hat der Häuptling der Apachen noch eine Bitte?«
   Bärenherz blickte die Männer der Reihe nach an; es waren nur ihrer sechzehn, die sich hier zusammengefunden hatten. Gleich, als er, aus seiner Betäubung erwachend, bemerkt hatte, daß er an dem Teich auf dem Berg El Reparo liege, hatte er gewußt, welches Schicksal seiner harre; darum war er auch nicht erschrocken, als er sein Urteil vernahm. Jetzt blickte er im Kreis umher, als ob er sich die Züge eines jeden eingraben wolle, und sagte:
   »Der Häuptling der Apachen bittet nicht. Das Messer wird alle fressen, die hier versammelt sind. Bärenherz hat gesprochen; er wird nicht heulen und schreien, wie es der Graf der Bleichgesichter getan hat. Howgh!«
   Das letzte Wort ist bei den Indianern ein Ausruf der Bekräftigung, ungefähr wie unser Amen, Sela oder Basta.
   Jetzt kletterte ein kräftiger Komantsche am Baum empor; der Apache wurde nachgeschoben und schwebte nach zwei Minuten über dem Wasser, wo die Krokodile ganz dasselbe gräßliche Schauspiel boten, wie es bereits beschrieben worden ist.
   Die Komantschen blickten eine Zeitlang zu, wie der Apache mit dem kältesten Gleichmut sich bestrebte, seine Füße vor dem Rachen der Ungeheuer zu bewahren, dann wandten sie sich ihren Angelegenheiten wieder zu.
   »Kehren meine Brüder in ihre Jagdgründe zurück?« fragte Alfonzo. – »Erst müssen sie sich rächen«, antwortete der Häuptling finster. – »Wollen sie mir folgen, wenn ich sie zur Rache führe?« – »Wohin?« – »Das werde ich später sagen, wenn wir gesehen haben, ob wir die einzigen sind, die übriggeblieben.« – »Das müssen wir jetzt bereits wissen«, behauptete der Anführer. »Wir haben mit unserem weißen Bruder kein Glück.« – »Und ich mit meinen roten Brüdern auch nicht. Sie mögen sich zerstreuen und die Ihrigen suchen, die noch umherirren. Dann, wenn sie versammelt sind, werde ich ihnen sagen, wie sie Rache nehmen können.« – Wo versammeln wir uns?« – »Hier, an dieser Stelle.« – »Gut, wir wollen tun, was mein weißer Bruder sagt. Vielleicht bringt uns sein zweites Wort mehr Glück als sein erstes.«
   Die Komantschen gingen fort, um nach den Resten ihrer Truppe zu suchen. Der Graf blieb zurück, weidete sich eine Zeitlang an dem Anblick, den die nach dem Apachen schnappenden Krokodile boten, und ging dann auch. Er wollte vor allen Dingen einmal hinunter nach dem Bach schleichen, um zu sehen, was Büffelstirn gestern mit seinen Indianern dort vorgenommen. Dies war auch der Hauptgrund, weshalb er die Komantschen veranlaßt hatte, sich zu entfernen.
   Kaum war der Schall seiner Schritte verklungen, so zuckte es freudig über das Gesicht des Apachen, und ein leises »Ugh!« ertönte von seinen Lippen. Da nämlich der Lasso ihm unter den Armen hindurchgezogen war, wurde es ihm möglich, einen Aufschwung zu machen, gerade wie beim Turnen am Reck, am Trapez oder an den Schwingen. Dadurch konnte er seine Beine emporbringen, so daß er nun mit dem Kopf nach unten hing und ihn die Krokodile nicht mehr erreichen konnten. Doch damit ließ er es nicht genug sein.
   Es gelang Bärenherz schließlich, den Lasso zu ergreifen und auch, zwei Fuß weiter oben, mit den Knien zu erfassen. Indem er nun den Körper zusammenbog und abwechselnd mit den Händen und Knien weitergriff, wozu allerdings eine ungewöhnliche Stärke gehörte, turnte er sich an dem Lasso empor, bis er, vor Anstrengung schwitzend, oben bei dem Ast anlangte. Nun ruhte er, sich quer über denselben legend, eine Minute lang aus, denn er hatte während der ganzen Prozedur mit dem Kopf nach unten gehangen und war ganz schwindlig geworden.
   Für den Augenblick war er jetzt den Krokodilen entgangen, aber seine Lage war immer noch eine höchst gefährliche. Kam jetzt einer der Komantschen, oder gelang es ihm nicht, die Fesseln zu lösen, so war er trotzdem verloren.
   Er lag mit dem Rücken quer auf dem Ast, gerade so, wie man sich auf das Reck legt, um die Rückenwelle zu machen. Jetzt bog er die Knie so weit wie möglich und brachte es dadurch fertig, mit den herabhängenden Händen hinten den Riemen zu erreichen, der seine Füße zusammenhielt. Endlich fand er auch den Knoten und versuchte darauf, ihn zu lösen. Dies dauerte zwar lange, aber endlich gelang es ihm doch, und nun waren die Beine frei, so daß er das eine seitwärts über den Ast heraufbiegen und den Oberkörper erheben konnte. Dadurch kam er auf den Ast zu sitzen, und zwar so, daß er mit den über dem Rücken gefesselten Händen die Stelle zu erreichen vermochte, an der das obere Lassoende am Ast befestigt war. Nach langer Anstrengung, wobei ihm die Fingerspitzen zu bluten begannen, kam er endlich damit zustande, den Riemen zu lösen, und nun galt es nur noch, mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen am Baum hinabzuklettern. Dies wäre sicher ganz unmöglich gewesen, wenn der Baum gerade emporgestanden hätte, zum Glück aber war er sehr schief über das Wasser gewachsen.
   Der Apache ritt also auf dem Ast hin, bis er den Stamm erreichte. Hier schlang er die Beine um denselben, ließ den Oberkörper fallen und hing nun mit dem Kopf niederwärts am Baum. Darauf lockerte er die Beine, preßte sie dann schnell wieder um den Stamm und rutschte so in einzelnen kurzen Rucken abwärts, bis er glücklich den Boden erreichte. Er war allerdings auf das äußerste abgespannt, aber gerettet!
   »Ugh!«
   Nur diese eine Silbe stieß er hervor, diesen einzigen Jubelton, den er sich erlauben durfte, dann warf er einen Blick auf die Krokodile, die jetzt am Uferrand im Wasser lagen und ihn unter dem Auf– und Zusammenklappen ihrer Kinnbacken begierig betrachteten, und eilte zwischen die Bäume, um im Wald Sicherheit zu finden.
   Nun galt es nur noch, die Hände frei zu bekommen, und endlich hatte er, während sein Auge überall forschend zwischen Busch und Fels dahinglitt, gefunden, was er suchte, ein Felsstück, dessen Kante scharf genug war, um den Riemen zu zerschneiden. Er lehnte sich jetzt mit dem Rücken gegen die Kante und scheuerte an derselben die Fessel so lange auf und nieder, bis das Leder zersägt war. Jetzt war er vollständig frei.


   14. Kapitel

   Der Kampf; der zuerst innerhalb der Verpalisadierung der Hazienda gewütet hatte, war dann außerhalb derselben im freien Feld fortgesetzt worden und hatte sich dort schließlich zum Einzelkampf gestaltet, der sich weit von der Wohnung fortgezogen und über eine Stunde in Anspruch genommen hatte.
   Dann hatte Büffelstirn die Besatzung der Hazienda zusammengerufen. Die getöteten Indianer lagen in weitem Bogen um die Hazienda zerstreut umher, und es war bereits jetzt während der Dunkelheit anzunehmen, daß ihrer weit über hundert gefallen seien.
   »Sie haben eine fürchterliche Lehre erhalten und werden nicht so leicht wiederkommen«, meinte Arbellez, der sich seines Sieges freute, und der alte Francesco, der auf die vor dem Portal hoch übereinanderliegenden Indianer deutete, sagte: »Seht diesen Haufen, Señor, das ist das Werk meiner Kanone. Dieses zerhackte Eisen und Blei und diese Glassplitter wirken schrecklich. Die Körper sind förmlich zerrissen.« – »Trotzdem sind wir noch nicht fertig«, meinte Büffelstirn. – »Was ist noch zu tun?« fragte der Haziendero. – »Wir müssen auch den Rest der Komantschen vertilgen.« – »Wo sind sie denn zu finden?« – »Habt Ihr nicht bemerkt, daß keine der Leichen jenseits des Baches liegt?« – »Ja, sie liegen alle diesseits.« – »Nun, daraus läßt sich schließen, daß sie bei der Flucht eine ganz bestimmte Richtung eingehalten haben. Es ist anzunehmen, daß die Komantschen den Befehl hatten, auf dem El Reparo, wo sie sich vor dem Überfall befunden haben, wieder zusammenzutreffen. Wir müssen sie also dort aufsuchen. Vertraut Ihr mir zwanzig von Euren Vaqueros an, Señor?« – »Gern.« – »Wo aber mag der Apache sein?« fragte Francesco. – »Er ist gefangen«, antwortete der Häuptling der Mixtekas. – »Nicht doch«, rief der Haziendero erschrocken. – »Gewiß«, versicherte der erstere. – »Warum glaubst du das?« – »Weil er nicht da ist.« – »Er wird noch auf der Verfolgung sein.« – »Nein. Er weiß, daß er die Komantschen am Tag sicherer hat als jetzt.« – »So ist er tot oder verwundet.« – »Nein. Wir hätten ihn dann sicher gefunden. Er eilte dem Schwarzen Hirsch nach. Die Komantschen, die ihren Häuptling in Gefahr sahen, werden sich auf den Apachen geworfen haben, und da ihrer zu viele waren, wurde er sicherlich überwältigt.« – »So müssen wir ihn befreien«, rief Francesco.– »Ja, wir werden ihn befreien«, sagte Büffelstirn zuversichtlich. »Ich nehme ihm seine Büchse mit, damit er sogleich Waffen erhält. Steigt zu Pferde.«
   Im nächsten Augenblick saßen zwanzig Männer auf und ritten im Galopp davon. Sie machten, um von keinem der sich auf der Flucht befindlichen Komantschen bemerkt zu werden, einen Umweg, indem sie in einem Bogen den südlichen Abhang des Berges zu erreichen suchten, und kamen dort an, als der Morgen dämmerte.
   »Absteigen!« kommandierte jetzt Büffelstirn. – »Warum?« fragte Francesco. – »Weil uns die Pferde hindern, die Feinde unbemerkt zu beschleichen. Sanchez mag bei ihnen hier zurückbleiben.«
   So geschah es. Der genannte Vaquero blieb als Wache bei den Tieren zurück, während die anderen den Berg unter dem Schutz der Bäume bestiegen. Als sie das Plateau betraten, war es vollständig hell geworden. Sie rückten daher mit möglichster Vorsicht gegen die Ruinen vor, und eben glitten sie über eine kleine, freie Lichtung hinweg, als seitwärts von ihnen ein Ruf erscholl:
   »Ugh!«
   Sie blickten nach dieser Richtung hin und gewahrten einen unbewaffneten Indianer, der auf sie zugeeilt kam.
   »Bärenherz!« rief einer der Vaqueros. – »Ja, er ist‘s! Es ist der Apache!« sagte Büffelstirn mit freudiger Miene. – »So war er also nicht gefangen!« – »Er war es«, behauptete Büffelstirn. »Seht ihr nicht, daß er keine Waffen trägt? Er war gefangen und ist wieder entkommen.«
   Der Apache kam wie ein Pfeil über die Lichtung herübergeglitten und blieb vor ihnen halten.
   »Uff!« begrüßte ihn der Mixteka. »Mein Bruder Bärenherz war gefangen?« – »Ja«, nickte der Gefragte. – »Es waren der Feinde zu viel, die ihn bewältigten?« – »Nein. Ich kämpfte mit dem Schwarzen Hirsch. Da kam das verräterische Bleichgesicht von hinten, ohne daß ich es merkte, und schlug mich mit dem Kolben seiner Flinte nieder.« – »Welches Bleichgesicht?« – »Der Graf.« – »Ah! Er lebt! Die Krokodile haben ihn nicht verzehrt?« fragte der Mixteka erstaunt. – »Er lebt. Die Hunde der Komantschen haben ihn gefunden und errettet.« – »Und er hat sie nach der Hazienda geführt?« – »Ja. Er hat an ihrer Seite gegen uns gekämpft.« – »Gegen seine eigene Besitzung! Gegen seine eigenen Leute! Wir werden seine Kopfhaut nehmen. Wo ist er?« – »Er ist in den Bergen. Er wird wieder zum Teich der Krokodile kommen, um die Komantschen dort zu treffen.« – »Ah, so habe ich recht gedacht! Sie versammeln sich beim Teich?« – »Sie waren bereits dort. Sie sind in die Ebene gegangen, um ihre zerstreuten Krieger zu suchen; aber sie werden wiederkommen.« – »Weiß mein Bruder dies genau?« – »Ich weiß es genau, denn ich habe es gehört, als ich am Baum hing.« – »An welchem Baum?« – »Am Baum der Krokodile.«
   Büffelstirn machte eine Bewegung des Schrecks.
   »Bärenherz hat über den Krokodilen gehangen?« fragte er. – »Ja.« – »Gerade so wie der Graf?« – »Gerade so. Der Graf sprach das Urteil, und ich wurde an die Lassos geknüpft.« – »Aber wie ist mein Bruder wieder freigekommen?«
   Bärenherz antwortete im geringschätzigsten Ton:
   »Der Häuptling der Apachen fürchtet sich nicht vor den Komantschen und nicht vor den Krokodilen. Er wartete, bis die Feinde fort waren und machte sich dann frei.« – »Bärenherz ist ein Liebling des großen Manitou – Gott —«, sagte Büffelstirn. »Er ist ein starker und kluger Krieger; ein anderer hätte sich nicht befreien können. Wann kommen die Komantschen an den Teich zurück?« – »Sie haben es nicht gesagt. Wir werden uns dort verstecken und sie erwarten.« – »So dürfen wir unsere Spuren nicht bemerken lassen. Hier ist das Gewehr meines Bruders; ich habe es ihm mitgebracht.« – »Die anderen Waffen hat der Schwarze Hirsch mitgenommen«, grollte der Apache. »Er wird sie mir wiedergeben und die seinigen dazu. Meine Brüder mögen mir Pulver und Kugeln geben, und dann werde ich sie führen.«
   Er erhielt das Verlangte, und nun glitten die Männer lautlos durch den Wald, immer ihre Spuren sorgfältig hinter sich verbergend, bis sie den Saum des Forstes erreichten, der den Teich umkränzte. Sie sahen nun, daß keiner der Komantschen zurückgekehrt war, und versteckten sich so gut, daß sie den Platz beherrschten, ohne bemerkt zu werden.
   Als ein jeder seine Instruktion erhalten hatte, wie er zu schießen habe, ohne daß zwei Kugeln auf einen Feind kamen, trafen beide Häuptlinge wieder zusammen.
   »Aber was tun wir jetzt?« fragte Büffelstirn. »Die Komantschen werden sehen, daß der Häuptling der Apachen entronnen ist. Sie werden ahnen, daß der Hilfe herbeiholen wird.« – »Sie werden uns nicht sehen«, antwortete der Apache.
   Mit diesen Worten verließ er das Gebüsch, trat hinaus zu der Zeder, an der er gehangen hatte und wo in der Nähe des Stammes noch die Lassos lagen. Nun nahm er einen scharfen Stein und schlitzte mit demselben die unteren Enden der Riemen so auf, daß es ganz den Anschein hatte, als ob sie zerrissen worden seien, kletterte dann empor und schlang die oberen Enden genau so wieder um den Ast wie vorher, so daß es ganz den Anschein hatte, als ob der daran Hängende von den Krokodilen herabgerissen worden sei.
   Als er von dieser kurzen Arbeit zurückkehrte, sagte Büffelstirn:
   »Mein Bruder hat sehr gut gehandelt. Nun werden die Komantschen nicht glauben, daß er den Tieren entkommen ist.«
   Sie lagen darauf still in dem Versteck und warteten, bis sie nach einer geraumen Weile den Hufschlag zweier Pferde vernahmen. Es kamen zwei Komantschen.
   »Ugh!« rief der eine, als er sah, daß der Apache nicht mehr am Baum hing. – »Er ist fort!« rief der andere. »Er ist entflohen!« – »Nein«, sagte der erstere. »Der Lasso ist zerrissen. Die Krokodile haben ihn.« – »Er wird nicht in die ewigen Jagdgründe kommen, denn er wurde von den Tieren gefressen«, stimmte der andere bei. »Seine Seele wird bei den unglücklichen Schatten wandeln, die sich vor Kummer und Unmut verzehren. Der Apache ist verflucht in diesem und im anderen Leben.« – »Wir sind die ersten. Steigen wir ab, um auf die Brüder zu warten.«
   Die Komantschen sprangen darauf von ihren Pferden und machten Anstalt, dieselben anzupflocken.
   »Wollen wir sie nehmen?« fragte der Apache leise. – »Ja. Aber mein Bruder hat kein Messer.« – »Pshaw!« antwortete der Apache. »Ich werde mir das Messer dieses Komantschen holen.«
   Damit lehnte er sein Gewehr an den Baum und glitt vorwärts, Büffelstirn folgte ihm. Als sie den Rand des Gebüschs erreicht hatten, schnellten sie wie zwei Tiger mit wilden Sätzen auf die beiden Wilden zu, die einen Angriff gar nicht vermuteten. Dann ergriff Bärenherz den einen von hinten bei der Kehle, riß ihm das Messer aus dem Gürtel und stieß es ihm in das Herz. Zwei Minuten später hatte er ihm den Skalp genommen. Büffelstirn hatte ganz dasselbe mit dem anderen getan. Die beiden Komantschen waren gar nicht einmal dazu gekommen, den geringsten Laut auszustoßen.
   »Was tun wir mit den Leichen?« fragte der Mixteka. – »Wir geben sie den Krokodilen.«
   Die Tiere hatten das Nahen von Menschen bemerkt. Sie waren aus dem Grund emporgetaucht und lagen nun in der Nähe des Ufers, halb im Wasser und halb auf der Erde. Offenbar warteten sie, ob ihnen etwas zufallen werde, und als jetzt die beiden Häuptlinge die Waffen der Besiegten und ihre Skalpe zu sich nahmen und die Leichen den Alligatoren zuwarfen, hei, wie diese da mit offenem Rachen auf die Beute stürzten! In weniger als einer Minute waren die Erstochenen zerrissen und verschlungen. Nichts blieb von ihnen übrig, als das Stück einer Hand mit zwei Fingern, welches die von den Tieren gepeitschten Wellen an das Ufer geworfen hatten, wo es liegenblieb. Übrigens hatten die Häuptlinge dafür gesorgt, daß kein Blut auf dem Rasen vergossen wurde, und dann auch ihre eigenen Fußtapfen sorgfältig verwischt.
   Jetzt kehrten sie wieder in ihr Versteck zurück.
   Sie hatten da noch nicht lange gewartet, so hörten sie wieder den Hufschlag von Pferden. Es kam ein Trupp von wohl dreißig Komantschen. An ihrer Spitze der Schwarze Hirsch. Es ging genau wieder so wie vorhin. Als letzterer sah, daß der Apache verschwunden war, hegte er zunächst Mißtrauen und rief:
   »Ugh! Der Apache ist fort!«
   Dann ritt er bis hart an das Wasser heran und gewahrte die dort liegende Hälfte der Hand. Im Nu war er abgestiegen, nahm sie empor und betrachtete sie.
   »Ugh! Sie haben ihn gefressen. Das ist ein Stück seiner linken Hand. Betrachtet die Lassos!«
   Man gehorchte seinem Befehl und fand, daß der Apache von den Krokodilen herabgerissen worden sei.
   »Er ist in das Reich der Finsternis gegangen! Es wird ihn keiner seiner erschlagenen Feinde bedienen«, sagte der Häuptling und warf die Hand ins Wasser, wo sie von einem der Alligatoren sofort verschlungen wurde.
   Nun stiegen auf seinen Wink auch die anderen vom Pferd und lagerten am Wasser.
   Es kamen noch mehrere Nachzügler, so daß der Trupp fast auf fünfzig Mann anwuchs. Man gab sich gar nicht die Mühe, den benachbarten Teil des Waldes zu durchsuchen, und das war ein sicheres Zeichen, daß Der Schwarze Hirsch nicht die Absicht hatte, hier lange zu verweilen. Er hatte während dieser Zeit in würdevollem Schweigen dagesessen, jetzt aber hörte man seine Stimme:
   »Wer hat das Bleichgesicht gesehen?« – »Das Bleichgesicht, welches ein Graf ist?« fragte einer. – »Ja.«
   Es stellte sich heraus, daß keiner der Indianer ihn bemerkt hatte.
   »Man suche seine Spur!«
   Sie erhoben sich alle, um zu suchen.
   »Das wird gefährlich!« flüsterte der Apache.
   Büffelstirn nickte zustimmend und entgegnete:
   »Hier haben wir unsere Fährte verwischt, aber wenn sie weiter fortgehen, so werden sie dieselbe finden. Wir müssen beginnen. Ich gebe das Zeichen.«
   Dann hustete er laut. Dies war nicht etwa eine Unvorsichtigkeit, sondern es hatte zwei gute Gründe. Erstens sollten die Vaqueros bemerken, daß es jetzt losgehe, und zweitens sollten die Feinde dadurch in eine Stellung gebracht werden, in der sie ein gutes, sicheres Ziel darboten.
   Es gelang, denn kaum war der scharfe Laut erklungen, so streckten sich die Läufe der zwanzig Büchsen der Vaqueros durch die Büsche, und sämtliche Komantschen richteten sich in eine horchende Stellung empor, wobei sie sich nach den Büschen umdrehten.
   »Feuer!«
   Auf dieses Wort des Mixtekas krachten zweiundzwanzig Schüsse, dann noch zwei aus den Doppelbüchsen der Häuptlinge, und ebenso viele Komantschen, alle zum Tode getroffen, stürzten. Die übrigen sprangen von ihren Sitzen empor und eilten zu ihren Pferden. Es entstand ein Augenblick der größten Verwirrung, währenddessen die Vaqueros rasch wieder luden.
   Als die Komantschen über zwanzig der Ihrigen fallen sahen, mußten sie annehmen, daß eine noch größere Anzahl Weißer in den Büschen stecke, darum versuchten sie gar keinen Angriff, sondern warfen sich auf ihre Pferde und jagten davon. Viele von ihnen hatten in der Eile das erste, beste Pferd besteigen wollen, und dadurch entstand, da der eigentliche Besitzer es ihnen streitig machte, ein Aufenthalt, der ihnen verderblich wurde. Gleich darauf ertönte eine zweite Salve der Vaqueros aus den Büschen, die beinahe den gleichen Erfolg hatte wie die erste.
   Bärenherz hatte sich den Häuptling, den Schwarzen Hirsch, vorbehalten, darum war von den anderen nicht auf ihn gezielt worden. Jetzt sprengte derselbe mit den Übriggebliebenen davon. Da aber trat der Apache aus den Büschen heraus, erhob seine Büchse und zielte, da er den Komantschen lebendig haben wollte, nur auf das Pferd desselben. Der Schuß knallte, und das Tier ward zu Tode getroffen. Es überschlug sich und warf seinen Reiter ab. Sofort schnellte der Apache in weiten Sätzen hinzu und stand bei dem Gestürzten, ehe dieser sich emporgerafft hatte.
   Keiner der Komantschen hatte einen Schuß getan, darum war auch das Gewehr ihres Häuptlings noch geladen. Dieser sprang jetzt vollends auf, riß sein Gewehr von der Schulter und legte auf den Apachen an.
   »Hund!« rief er. »Du lebst? Stirb!«
   Doch Bärenherz schlug ihm den Lauf des Gewehrs zur Seite, so daß der Schuß fehlging.
   »Der Häuptling der Apachen stirbt nicht von der Hand eines feigen Komantschen«, antwortete er, »ich aber werde deine Seele von dir nehmen, daß sie in den ewigen Jagdgründen mich bedienen soll!«
   Mit diesen Worten versetzte er dem Komantschen einen Kolbenschlag, der diesen betäubte, dann faßte er ihn, um ihn zurückzutragen nach dem Ort, wo die Indianer vorher gesessen hatten. Dort wartete er ruhig, bis jenem die Besinnung wiederkehren werde.
   Die Vaqueros, welche die wenigen Komantschen nicht verfolgt hatten, weil sie dieselben nun für unschädlich hielten, machten sich jetzt über die Gefallenen her, um ihnen ihre Waffen und Munition abzunehmen. Die beiden Häuptlinge aber saßen neben dem Schwarzen Hirsch und bekümmerten sich nicht um die Beute.
   Als der Komantsche gefesselt wurde, kehrte ihm die Besinnung wieder.
   »Will Der Schwarze Hirsch seinen Todesgesang anstimmen?« fragte Bärenherz. »Er soll diese Gnade haben, ehe er stirbt.« Der Gefragte antwortete nicht.
   »Die Komantschen singen wie die Krähen und Frösche, darum lassen sie sich nicht gern hören«, spottete Büffelstirn.
   Auch jetzt antwortete der Gefragte nicht.
   »So wird der Häuptling der Komantschen ohne Todesgesang sterben«, erklärte der Apache.
   Jetzt erst sprach der Gefangene:
   »Ihr wollt mich an den Baum hängen?« – »Nein«, antwortete Bärenherz. »Ich will dich nicht martern, aber die Krokodile sollen dich dennoch fressen, weil du mich ihnen zum Fraß vorgehangen hast. Zuvor aber werde ich dir den Skalp nehmen, um den tapferen Söhnen der Apachen bei meiner Rückkehr zu zeigen, welch ein Feigling Der Schwarze Hirsch gewesen ist. Gib mir das Messer und den Tomahawk, den du mir genommen hast!«
   Er nahm die beiden Gegenstände aus dem Gürtel des Gefangenen.
   »Du willst mich wirklich skalpieren?« fragte dieser voller Angst. – »Ja. Deine Haut gehört mir.« – »Bei lebendigem Leib?« – »Wie anders! Soll ich mir den Skalp aus dem Magen eines Krokodils holen, nachdem es dich verschlungen hat?« – »Töte mich erst«, bat der Gefangene. – »Ah, der Komantsche hat Furcht! Nun soll er keine Gnade finden!«
   Bärenherz ergriff sein Messer, faßte mit der Linken den Haarschopf des Gefangenen, tat mit der Rechten die drei kunstgerechten Skalpschnitte und zog dann den Schopf mit einem kräftigen Ruck vom Kopf. Er hatte den Skalp in der Hand.
   Der Schwarze Hirsch stieß ein Gebrüll des Schmerzes aus.
   »Uff! Der Komantsche ist ein Feigling! Er schreit!« sagte Bärenherz. – »Wirf ihn ins Wasser«, meinte Büffelstirn. »Aber nimm den Fuß dazu, denn er ist es nicht wert, daß deine Hand ihn berührt!« – »Mein Bruder hat recht! Ich werde ihn den Krokodilen hinwälzen wie ein verfaultes Aas, das man nicht mit der Hand angreift. Der tapfere Häuptling der Komantschen hat geheult wie ein altes Weib. Er soll kein Grabmal haben, weder auf der Spitze eines Berges noch in der Tiefe eines Tales. Die Seinen sollen nicht zu ihm pilgern können, um seine Taten zu rühmen, sondern er soll begraben sein in dem Magen der Alligatoren, und ich will einen Steinhaufen errichten, auf dem geschrieben stehet: Hier wurde Tokvitey, der Feigling der Komantschen, von den Krokodilen gefressen, gefangen von der Hand Bärenherzens, des Häuptlings der Apachen.«
   Es ist die größte Ehrensache eines Indianers und zumal eines Häuptlings, weder Furcht und Angst zu zeigen, noch selbst beim größten Schmerz einen Laut auszustoßen. Der Komantsche hatte also im höchsten Grad verächtlich gehandelt. Bärenherz stieß ihn jetzt mit dem Fuß in das Wasser, wo die Alligatoren sofort über ihn herfielen.
   Dann mußten die Vaqueros dem Apachen helfen, den Steinhaufen zu errichten, und nachdem Bärenherz in den größten der Steine die Inschrift eingegraben hatte, von der er gesprochen, kehrten sie zu den Pferden zurück, die sie nach der Hazienda tragen sollten. Der Apache hatte sich mit einem der Pferde der Komantschen beritten gemacht.


   15. Kapitel

   Als Graf Alfonzo vorhin den Krokodilteich verlassen hatte, war er den Berg hinabgestiegen, um zur Höhle des Königsschatzes zu gelangen. Doch als er den Ort erreichte, fand er nur einen wüsten Trümmerhaufen, in dem er mehrere Stunden lang in fieberhafter Aufregung vergebens umhersuchte. Es war unmöglich, eine Spur der Schätze zu finden, und er nahm zuletzt an, daß sie sämtlich fortgeschafft worden seien.
   Mit einem wilden Fluch auf den Lippen verließ er die Trümmer, um die Komantschen nicht auf sich warten zu lassen, und wollte soeben den nördlichen Abhang des Berges hinansteigen, als er den Hufschlag von Pferden hörte und dann acht Komantschen erblickte, die an dem Ort, wo er sich schnell versteckt hatte, vorüber wollten. Er trat hervor.
   »Wohin wollt ihr?« fragte er. – »Uff! Das Bleichgesicht!« sagte einer. »Wir reiten nach dem Tal.« – »Warum? Die Eurigen sind doch oben!« – »Sie sind tot!« knirschte der Sprecher. – »Tot?« fragte Alfonzo erstaunt. »Wie ist das möglich?« – »Die Bleichgesichter haben uns überfallen.« – »Ah!« – »Es sind vier mal zehn getötet worden.« – »Alle Teufel!« – »Und den Häuptling haben die Krokodile gefressen, nachdem der Apache seinen Skalp genommen hat.« – »Der Apache? Welcher?« – »Bärenherz.« – »Donnerwetter! Der hing ja am Baum!« – »Er ist wieder los.« – »Hol ihn der Teufel! Wie ist er losgekommen?« – »Die Bleichgesichter, die sich Vaqueros nennen, werden ihn befreit haben. Wärest du bei ihm geblieben, so hätte es wohl nicht geschehen können.« – »Habt ihr das alles wirklich gesehen?« – »Wirklich! Wir mußten fliehen; da sie uns aber nicht verfolgten, so kehrten zwei von uns heimlich zurück, um sie zu beobachten.« – »Alle Teufel! Nun ist alles aus.« – »Alles! Nur die Rache nicht!« – »Ja, die Rache«, sagte Alfonzo nachdenklich. »Was werdet ihr jetzt tun?« – »Wir kehren in die Jagdgründe der Komantschen zurück.« – »Um neue Krieger zu holen?« – »Ja.« – »Ohne den Skalp eines Feindes mitzubringen?« – »Der große Geist hat uns gezürnt.« – »Und ohne ein Stück der Beute gefunden zu haben?« – »Wir werden später Skalpe und Beute genug bekommen.« – »Wie nun, wenn ich dafür sorge, daß ihr bereits jetzt viel nützliche und schöne Sachen erhaltet, um sie mitzunehmen?« – »Von wem?« – »Von mir.« – »Von dir? Du hast ja selbst nichts, nicht einmal ein Pferd!« – »Ein Pferd werde ich mir auf den Weideplätzen der Hazienda fangen; dann kehre ich nach Mexiko zurück, und ihr sollt mich begleiten.« – »Nach Mexiko? Warum?« – »Ihr sollt mich beschützen. Es ist für einen einzelnen nicht leicht, eine solche Reise zu machen. Begleitet ihr mich und bringt ihr mich glücklich hin, so sollt ihr große Geschenke erhalten.« – »Welche Geschenke meinst du?« – »Wählt sie euch selbst.« – »Was hast du?« – »Ich bin ein Graf, ein großer Häuptling, und mein Vater hat alles, was ihr begehrt.« – »Hat er Waffen, Pulver und Blei?« – »So viel ihr wollt, könnt ihr haben.« – »Perlen und Schmuck für unsere Squaws?« – »Auch das.«
   Das schien die Indianer zu locken.
   »So begleiten und beschützen wir dich«, sagte einer von ihnen. »Willst du jedem von uns ein Gewehr geben?« – »Ja.« – »Zwei Tomahawks und zwei Messer sowie so viel Kugeln und Blei, als in unsere Tasche geht?« – »Ihr sollt dies alles haben.« – »Und ebensoviel Schmuck?« – »Ihr sollt so viele Ketten, Ringe und Nadeln und Perlen erhalten, daß ihr zufrieden seid.« – »Howgh! Wir gehen mit dir. Aber zwei müssen sich von uns trennen.« – »Warum?« – »Sie müssen nach unseren Weidegründen gehen, um die Rächer der Komantschen zu holen.« – »Dazu ist später Zeit!« – »Nein. Die Rache darf nicht schlafen.« – »So wählt zwei aus. Sechs sind auch genug für mich.« – »Aber werden wir auch wirklich erhalten, was du uns versprochen hast?« – »Ich schwöre es!« – »Wir wollen es glauben. Bedenke, daß du sterben müßtest, wenn du uns belogen hättest.«
   Jetzt wurden zwei ausgewählt, und zwar durch das Los, da sich keiner freiwillig erbot. Es war jedenfalls angenehmer, nach Mexiko zu reiten, um sich reiche Geschenke zu holen, als mit Schande beladen zu den Komantschen zurückzukehren. Die übrigen sechs wählten einen Anführer unter sich; dann trennten sie sich von ihren Gefährten, um zunächst ein Pferd für den Grafen einzufangen.
   Die zwei wollten es recht klug machen. Anstatt direkt nach dem Norden zu reiten, wo sie dem unglücklichen Kampfplatz nahe gekommen wären, beschlossen sie, zu ihrer Sicherheit einen Umweg zu machen. Sie bogen also nach dem südlichen Abhang des Berges El Reparo ein, um denselben zu umreiten und dadurch jene feindliche Begegnung zu vermeiden. Sie erreichten dadurch jedoch gerade das, was sie vermeiden wollten.
   Nachdem die Vaqueros die Leichen der getöteten Komantschen ihrer Waffen beraubt und sie in den Krokodilteich geworfen hatten, so daß die Alligatoren eine so reichliche Beute erhielten, wie schon seit hundert Jahren nicht, hatten die Weißen unter Anführung der beiden Häuptlinge ihre Pferde aufgesucht und machten sich nun auf den Weg nach der Hazienda.
   Eben als sie den Wald verließen und in die Ebene einbiegen wollten, hielt der Apache sein Pferd an.
   »Ugh!« sagte er, nach vorwärts deutend.
   Sie sahen nämlich zwei Indianer auf sich zukommen und kehrten also schnell unter die Bäume wieder zurück.
   »Es sind Komantschen«, sagte Büffelstirn. – »Sie werden unser!« fügte der Apache hinzu. – »Und zwar lebendig. Nehmt eure Lassos zur Hand!«
   Als die Komantschen nahe herangekommen waren, brachen die Vaqueros aus dem Wald hervor. Die Wilden stutzten einen Augenblick, warfen dann aber schnell ihre Pferde herum, um zu fliehen. Es halb ihnen aber nichts. Die Verfolger bildeten einen Halbkreis um sich, der nach und nach zu einem ganzen Kreis wurde, so daß sie vollständig eingeschlossen wurden. Nun griffen sie zu ihren Waffen, um ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Sie verwundeten auch einen der Vaqueros, dann aber schlangen sich die Lassos um ihre Leiber, und sie wurden von den Pferden gerissen. Der Apache trat jetzt vor sie hin und sagte:
   »Die Zahl der Komantschen ist sehr klein geworden. Sie werden von den Krokodilen gefressen. Auch euch werden sie lebendig verschlingen, nachdem wir euch die Skalpe genommen haben, wenn ihr nicht unsere Fragen beantwortet.«
   Sie schauderten vor dem Tod, den ihr Häuptling erlitten hatte, und der eine fragte:
   »Was willst du wissen?« – »Wie viele sind von euch übriggeblieben?« – »Acht.« – »Wo sind die anderen sechs?« – »Bei dem Grafen.« – »Wo befindet sich dieser?« – »Wir wissen es nicht.«
   Da zog der Apache sein Skalpmesser hervor und drohte:
   »Wenn ihr nicht die Wahrheit redet, so nehme ich euch den Skalp bei lebendigem Leibe.« – »Und wenn wir bekennen?« – »So sollt ihr eines schnellen Todes sterben.« – »Wirst du uns den Skalp lassen und uns mit unseren Waffen begraben?« – »Ich werde es tun, obgleich die Hunde der Komantschen es nicht verdienen.« – »So frage weiter!«
   Die Wilden haben den Glauben, daß wer ohne Skalp, ohne Waffen und richtiges Begräbnis aus diesem Leben geht, dort nicht in die ewigen Weidegründe gelangen kann.
   »Also wo ist der Graf?« – »Er ist nach den Weiden der Bleichgesichter, um dort ein Pferd zu stehlen.« – »Und dann?« – »Dann will er nach Mexiko, wohin ihn die sechs Komantschen begleiten sollen, um ihn zu beschützen.« – »Was hat er ihnen dafür geboten?« – »Flinten, Messer, Blei, Pulver und Schmuck für die Squaws.«
   Da schüttelte der Mixteka den Kopf.
   »Er braucht keinen solchen Schutz«, sagte er. »Er könnte Weiße finden, die ihn begleiten. Entweder ist er feiger, als ich dachte, oder er führt noch heimlich etwas im Schilde. Sagt ihr die Wahrheit?« – »Wir lügen nicht.« – »Welche Richtung hat er nach den Weiden eingeschlagen?« – »Gerade nach Osten.« – »Wo habt ihr euch von ihm getrennt?« – »Da, wo im Norden der Berg das Tal berührt.« – »Ihr traft ihn, als ihr vor uns die Flucht ergriff und er vom Tal kam?« – »Ja.« – »So weiß ich, wo er gewesen ist. Ich werde seine Spur finden. Ihr habt uns geantwortet und sollt einen raschen Tod haben.«
   Mit diesen Worten erhob der Cibolero seine Doppelbüchse und schoß die beiden Indianer durch den Kopf; sie hatten nicht mit den Wimpern gezuckt, als sie die todbringenden Mündungen auf sich gerichtet sahen; sie waren aber doch als Verräter gestorben.
   »Sanchez und Juanito bleiben hier, um diese Komantschen mit Steinen zu bedecken, denn wir werden das Wort halten, das wir ihnen gegeben haben«, sagte er. »Wir anderen aber folgen der Spur des Grafen, um ihn vielleicht doch noch zu erwischen.«
   Sie setzten sich unter Zurücklassung der beiden Genannten in Bewegung.


   16. Kapitel

   Es gelang den scharfen Augen Büffelstirns und Bärenherzens sehr leicht, die Spuren des Grafen nebst denen seiner sechs Begleiter aufzufinden und zu verfolgen. Sie führten allerdings auf die Weideplätze zu, die sich jetzt nicht unter Aufsicht befanden, da sämtliche Vaqueros auf der Hazienda waren. Es stellte sich heraus, daß man ein Pferd gefangen und dann eine gerade südliche Richtung eingeschlagen habe. Hier wurde der Fährte noch eine ganze Stunde gefolgt, dann aber gebot Büffelstirn Halt.
   »Jetzt nicht weiter«, sagte er. »Wir werden auf der Hazienda gebraucht, es steht nun wirklich fest, daß der Graf nach Mexiko geht, denn die Spur geht diese Richtung. Er wird uns nicht entgehen, denn wir werden ihn in Mexiko aufsuchen.«
   Sie kehrten darauf nach der Hazienda zurück, die sie im Fluge erreichten, da sie jetzt nicht mehr auf Spuren aufzumerken hatten.
   Sie fanden dort alles noch in demselben Zustand, in dem sie es verlassen hatten. Die Vaqueros, die zum Schutz zurückgeblieben, waren eben dabei, die Leichen der Komantschen und die Verschanzungen mit den Kanonen hinwegzuschaffen. Der Haziendero kam ihnen mit einem freudigen Gesicht entgegen.
   »Gott sei Dank, daß ihr kommt!« sagte er. »Wir befanden uns bereits in großer Sorge um euch. Wie ist es gegangen?« – »Der Schwarze Hirsch ist tot«, antwortete Büffelstirn. – »Tot? Ah, ihr habt ihn besiegt?« – »Mein Bruder Bärenherz hat ihm den Skalp genommen.« – »Und die anderen?« – »Auch sie sind tot. Von allen Komantschen sind nur sechs entkommen.« – »Wohin sind diese?« – »Nach Mexiko.« – »Nach Mexiko? Wilde Indianer nach Mexiko? Was wollen sie dort?« – »Sie begleiten den Grafen.« – »Ah! Ihr habt ihn gesehen?« – »Wir sahen ihn. Er hat die Gegend der Hazienda verlassen, aber er wird uns nicht entrinnen.« – »Laßt ihn! Er ist der Herr dieses Hauses, und ich darf nicht mit ihm rechten.«
   Die beiden Häuptlinge blickten ihn erstaunt an.
   »Er hat die Komantschen nach der Hazienda geführt!« sagte Büffelstirn. – »Ich bin kein Indianer!« antwortete Arbellez. – »Er hat Señorita Emma überfallen!« – »Sein Überfall ist nicht gelungen!« – »Pshaw! Die Weißen haben kein Blut in ihren Adern! Vergebt ihr dem Grafen, so habe ich nichts dagegen, aber ich selbst habe ein Wort mit ihm zu sprechen!« – »So glaubt ihr also, daß wir jetzt sicher sind?« fragte Arbellez. – »Ja.« – »So können wir zu unserem friedlichen Leben zurückkehren. Wo aber begraben wir die Leichen?«
   Über das Angesicht des Mixtekas glitt ein unbeschreiblicher Zug.
   »Nicht in der Erde«, sagte er. – »Wo sonst?« fragte Arbellez erstaunt. – »Im Bauch der Krokodile.« – »Oh! Das ist nicht christlich.« – »Ich bin kein Christ, und die Komantschen sind auch keine Christen. Sie sind Feinde der Mixtekas, und die Alligatoren der Mixtekas haben lange Zeit gehungert. Soll die Hazienda mit diesen Leichen verpestet werden?« – »Hm, das ist richtig! Tut also, was ihr wollt!« – »Kann ich meine zwanzig Vaqueros für heute behalten?« – »Wozu?« – »Sie sollen diese toten Komantschen mit nach dem Teich der Krokodile bringen.« – »Behalte sie, wenn es sicher ist, daß wir nicht überfallen werden.« – »Wie steht es mit unserem Bruder Donnerpfeil?« – »Er liegt noch ohne Besinnung.« – »So werden wir ihn einmal ansehen.«
   Die beiden Häuptlinge traten in das Haus. Der Mixteka führte den Apachen in das Zimmer seiner Schwester, wo er das Gold und Geschmeide untergebracht hatte, das für Helmers bestimmt war. Sie fanden Karja dort. Sie lag in einer Hängematte und stierte still vor sich. Als sie die beiden Eintretenden bemerkte, sprang sie empor und fragte:
   »Ihr kommt! Ihr seid Sieger?« – »Ja.« – »Und er? Haben ihn die Krokodile?« – »Nein«, antwortete Büffelstirn, sie scharf beobachtend. – »Nicht?« Ihr Gesicht verfinsterte sich. »So habt ihr ihn entkommen lassen, ihn, der meiner Rache verfallen ist?« fragte sie.
   Büffelstirn war befriedigt. Er sah, daß sie keine Liebe mehr hegte, sondern nur an Rache dachte. Er antwortete:
   »Die Hunde der Komantschen haben ihn befreit und meinen Bruder, den Häuptling der Apachen, an seine Stelle gebunden, damit er von den Krokodilen gefressen werde.«
   Die Indianerin blickte den Apachen erstaunt an. Sie sah mehrere neue Skalpe an seinem Gürtel, sie hatte jetzt zum ersten Mal ein Auge für die kriegerisch schöne Erscheinung Bärenherzens, und bei dem Gedanken, daß er von den Krokodilen habe zerrissen werden sollen, überkam sie ein Gefühl, wie sie es bisher noch nie empfunden hatte. Sie erbleichte.
   »Den Häuptling der Apachen? Aber er steht doch unversehrt hier!« sagte sie. – »Er hat sich selbst befreit und dann die Komantschen besiegt.«
   Was in diesen Worten lag, das begriff sie als Indianerin nur zu gut.
   »Er ist ein Held!« sagte sie, indem ihr Blick unwillkürlich voll Bewunderung auf den Apachen fiel. »Und dieser Graf ist also entkommen?« – »Er ist nach Mexiko.« – »Zu seinem Vater?« – »Ja. Es sind sechs Komantschen bei ihm, um ihn zu geleiten.«
   Da reckte sie sich empor und fragte:
   »Und du läßt ihn unbelästigt reiten? Gib mir ein Pferd; ich werde ihm folgen und ihn töten!«
   Büffelstirn lächelte. So gefiel ihm die Schwester.
   »Bleibe!« sagte er. »Er entkommt uns nicht Ich werde ihm folgen.« – »Du tötest ihn, wo du ihn triffst?« – »Ja. Er hat die Tochter der Mixtekas beschimpft und soll von meiner Hand fallen.« – »Oder von der meinigen«, sagte der Apache ernst – »Uff! Mein Bruder will mich nach Mexiko begleiten?« fragte der König der Ciboleros.
   Bärenherz blickte in das Gesicht der Indianerin und sah, in welchem Licht der Blick ihres Auges auf ihm ruhte. Er antwortete:
   »Karja ist die Schwester des Apachen; sie soll gerächt werden!«
   Er hielt den beiden zur Beteuerung die Hände entgegen, sie ergriffen dieselben und drückten sie.
   »Bärenherz ist wirklich der Bruder und Freund des Häuptlings der Mixtekas; er mag mit mir gehen, sobald ich hier fertig bin«, sagte Büffelstirn. »Jetzt aber komme er mit zu unserem weißen Freund, den ich besuchen will!«
   Er nahm die Decken, in welche die Kostbarkeiten geschlagen waren, und der Apache half ihm in Gesellschaft der Indianerin dabei. Als sie in das Krankenzimmer eintraten, saß Emma bei dem Leidenden. Ihre Züge waren bleich, und ihre Augen standen voll Tränen.
   »Weint nicht, Señorita«, bat der Mixteka, indem er sein Paket niederlegte. »Ich werde den Freund untersuchen.«
   Dann nahm er Helmers den Verband ab, erneuerte ihn und fuhr fort:
   »Er wird nicht sterben.«
   Da hellte sich das Gesicht des schönen Mädchens auf.
   »Ist‘s wahr?« rief sie. »Wirklich?« – »Gewiß!« nickte er. – »Wie lange wird es währen, bis er gesund ist?«
   Bei dieser Frage machte Büffelstirn ein sehr ernstes Gesicht.
   »Das kann ich nicht sagen, aber sterben wird er nicht.« – »Oh, was an der Pflege liegt, das soll sicher geschehen!« – »Ich glaube es, Señorita. Darf ich Euch um etwas fragen?« – »Frage nur, Büffelstirn!« – »Señor Helmers hat zu Euch von dem Schatz der Mixtekas gesprochen?« – »Ja.« – »Ihr wißt auch, daß ich ihn mit in die Höhle des Schatzes genommen habe?« – »Ja. Der Graf wollte ihn ja dort töten!« – »Der Schatz ist wieder verschwunden; aber die Kinder der Mixtekas haben beschlossen, dem Bruder Donnerpfeil ein Andenken an diesen Schatz zu geben. Er liegt krank. Wollt Ihr es an seiner Stelle nehmen und für ihn aufbewahren?« – »Gern«, antwortete sie. »Was ist es denn, was Ihr bringt?« – »Seht es selbst!«
   Büffelstirn breitete bei diesen Worten die Decken so auseinander, daß die Goldbrocken und das Geschmeide im hellen Strahl der Sonne am Boden lagen. Da vergaß Emma einen Augenblick lang den kranken Verlobten und alle ihre Betrübnis, schlug die Hände zusammen und rief:
   »O Dios, welche Pracht, welcher Reichtum! Und das soll Señor Helmers gehören?« – »Es ist sein«, erwiderte der Mixteka einfach. »Oh, Madonna, so ist er ja reicher als ich und als mein Vater!«
   Der Häuptling warf einen ernsten Blick auf den Kranken.
   »Nicht wahr, Señorita, Donnerpfeil wird Euer Gemahl werden?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie, doch ein wenig errötend. – »Und Ihr werdet ihn nie verlassen?« – »Niemals!« beteuerte sie. »Warum fragst du so?« – »Weil er es vielleicht sehr bedürfen wird, daß Ihr ihn nicht verlaßt. Hat er nicht von seiner Heimat zu Euch gesprochen?« – »Ja.« – »Woher ist er?« – »Aus der Gegend von Mainz, in Deutschland.« – »Hat er Verwandte?« – »Einen Bruder.« – »Was ist dieser?« – »Steuermann.« – »Uff! Wenn Donnerpfeil dieses Geldes nicht bedarf, so wünsche ich, daß sein Bruder es bekommt. Wollt Ihr dies besorgen?« – »Gern. Es ist ein großer Reichtum, aber er blendet mich nicht. Mein Vater ist reich genug, um mich und Señor Helmers glücklich und sorglos zu machen; der Bruder in Deutschland wird das Gold erhalten.« – »Und die Schmucksachen?« – »Alles. Übrigens wird Señor Helmers sich nicht sträuben, diese Sachen nach Deutschland zu schicken; ich glaube mich da nicht zu täuschen.«
   Büffelstirn warf abermals einen Blick auf den Kranken und erwiderte:
   »Nein, er wird sich sicherlich nicht sträuben. Also Ihr versprecht mir, das Gold zu schicken?« – »Ich werde es fortsenden.« – »Und ihn nie verlassen?« – »Nein! Aber was bezweckst du mit diesen Fragen?« – »Ich habe dazu meine guten Gründe, die Ihr sicher noch erfahren werdet. Ist der Arzt noch nicht angekommen, nach dem Ihr gesandt habt?« – »Nein.« – »So bin ich begierig zu wissen, was er sagen wird.«
   Der Indianer trat abermals zu dem Kranken, um ihn zu betrachten. Emma aber bückte sich nieder und ließ die Ketten und Ringe funkelnd durch ihre Finger gleiten. Dadurch entstand ein leiser, golden-metallischer Klang, der einen eigentümlichen Eindruck auf den Kranken hervorbrachte. Sobald dieser Klang sich hören ließ, öffnete nämlich Helmers die Augen und blickte im Kreis umher. Sein Blick hatte nichts Gestörtes oder Stieres an sich; er war nur unendlich traurig; Helmers schien die anwesenden Personen zwar zu sehen, aber nicht zu erkennen.
   »Ich bin erschlagen!« flüsterte er. – »O Dios, er redet«, rief da Emma und eilte mit raschen Schritten zum Bett. »Was sagtest du, mein Lieber?« fragte sie mit zitternder Stimme.
   Der Kranke blickte sie an und antwortete:
   »Ich bin erschlagen worden.« – »Ah, er phantasiert!« rief jetzt das Mädchen ängstlich. »Antonio, kennst du mich denn nicht?« – »Ich kenne dich«, antwortete er. – »So sage meinen Namen!« bat sie. – »Ich weiß ihn nicht.« – »O Madonna, er weiß ihn nicht. Kennst du denn deine Emma nicht?« – »Ich kenne sie; aber ich bin erschlagen worden.«
   Da strömte ihr das Wasser aus den Augen, und sie fragte unter Tränen:
   »Und diese beiden Häuptlinge?« – »Auch sie kenne ich, weiß aber nicht, wer sie sind.« – »Oh, Büffelstirn und Bärenherz sind dir doch bekannt?« – »Ja, ich kenne sie; aber ich bin erschlagen worden.« – »Er redet irre, er hält sich für tot!« jammerte Emma.
   Da trat Büffelstirn zu ihr heran, legte ihr die Hand auf den Arm und fragte:
   »Señorita, wollt Ihr mir eine Frage beantworten, und so wahr, als ob Euch der große Geist selber fragt?« – »Ja.« – »Was werdet Ihr tun, wenn unser Freund Donnerpfeil stets so bleibt, wie er jetzt ist?« – »Oh, ich werde ihn nicht verlassen, nie, nie! Aber er wird zu sich selbst kommen.« – »Es ist möglich, daß er wieder gesund wird, aber sein Gehirn ist erschüttert. Gebt uns die Hand darauf, daß Ihr ihn nicht verlassen wollt!«
   Das schöne Mädchen zerfloß fast in Tränen. Sie reichte den beiden Indianern die Hand und sagte mit energischem Ton:
   »Ich bin seine Verlobte; ich werde sein Weib sein, mag er nun so bleiben oder nicht. Aber ich wünsche, daß er gerächt werde an dem, der ihn erschlagen wollte!« – »Er wird gerächt; ich habe es geschworen«, versicherte der Mixteka, und auch der Apache wiederholte diese Worte.
   Da hörte man das Getrabe von Pferden im Hof. Emma trat an das Fenster.
   »Der Arzt!« sagte sie. »Oh, nun werden wir sogleich hören, was wir zu hoffen und zu befürchten haben.«
   Es dauerte gar nicht lange, so brachte der Haziendero den Arzt in das Zimmer. Dieser ließ sich alles genau erzählen und trat dann an das Bett, um den Kranken zu untersuchen. Letzterer verzog während der Untersuchung das Gesicht zwar außerordentlich schmerzlich, gab aber keinen Laut von sich. Er hielt selbst in der geistigen Gestörtheit den Grundsatz fest, daß man den Schmerz beherrschen müsse. Als der Arzt ihn fragte: »Wer sind Sie, Señor?« antwortete er mit unendlicher Trauer: »Ich weiß es.« – »Und wie heißen Sie?« – »Das ist mir unbekannt.« – »Kennen Sie nicht den Señor Helmers?« – »Ich kenne ihn; aber ich bin erschlagen worden.« – »Wo befindet er sich jetzt?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wer hat Sie denn erschlagen?« – »Ich weiß es nicht.« – »Und wo wurden Sie erschlagen? Wissen Sie auch das nicht?« – »O ja; aber ich bin erschlagen worden.«
   So beantwortete der Kranke jede an ihn gerichtete Frage. Er behauptete, alle zu kennen und alles zu wissen, aber er kannte niemand und wußte nichts weiter, als daß er erschlagen worden sei. Der Arzt schüttelte den Kopf.
   »Es ist ein Schädelbruch vorhanden«, versetzte er, »aber ich kann nichts zu seiner Heilung tun. Das Wundkraut, das Sie aufgelegt haben, ist das einzige, was helfen kann. Wenn der Bruch zuheilt, kommt ihm vielleicht die Erinnerung wieder. Darum darf man nicht denken, daß alles verloren sei.«
   Als er mit den anderen das Zimmer verlassen hatte, warf sich Emma neben dem Kranken auf die Knie, erfaßte seine Hände und fragte:
   »Kennst du mich wirklich nicht, Antonio?« – »Ich kenne dich«, antwortete er. – »So nenne mich beim Namen, oh, nur ein einziges Mal!« – »Ich weiß den Namen nicht.« – »Hast du mich lieb?« – »Ich habe dich lieb!« – »Sehr?« – »Sehr!« beteuerte er mit dem Ausdruck der Trauer im Angesicht. – »Oh, ich werde dich nicht verlassen, auch wenn du immer krank bleibst!« – »Ich bin nicht krank, ich bin erschlagen worden!« sagte er.
   Emma schluchzte laut auf, netzte sein Gesicht mit ihren Tränen und trocknete es wieder mit heißen Küssen, die er geduldig entgegennahm, ohne sie zu erwidern.
   Drunten im Hof und draußen im Feld wurden jetzt die Leichen der Komantschen zusammengetragen, um auf Pferde gebunden und nach dem Teich der Krokodile geschafft zu werden. Alles, was sie bei sich getragen hatten, überließ der Haziendero seinem Gesinde. Als die Transportpferde eingefangen, aneinandergebunden und mit ihrer toten Menschenlast beladen worden waren, bildeten sie einen langen Zug.
   Von der großen Zahl der Komantschen lebten nur noch sechs, und auch diese konnten nicht sagen, ob sie ihre Jagdgründe wiedersehen würden. Die Alligatoren aber hatten nach so langer Fastenzeit einen gräßlichen Überfluß, denn die in den Teich geworfenen Leichen brachten diesen fast zum Überlaufen. Es bedurfte langer Zeit, ehe die Bestien diesen Fraß zu bewältigen vermochten, und es konnten wohl Wochen vergehen, ehe eine menschliche Lunge die Atmosphäre der Tempelruinen wieder einzuatmen vermochte.


   17. Kapitel

   »Trau! nicht dem heit‘ren Sonnenlicht,
   Das mild hernieder leuchtet,
   Und trau der Tauesperle nicht,
   Die hell die Flur befeuchtet!
   Hast du denn nicht des Donners Hall
   Von weitem schon gehöret?
   Bald wird der Tau zum Wogenschwall,
   Der Feld und Fluß zerstöret.
   Trau nicht dem Menschenangesicht,
   In dem du Treu gelesen,
   Und trau auch selbst dem Freunde nicht,
   Der dir stets lieb gewesen!
   Es kann wohl über Nacht schon sein,
   So wird der Freund zum Feinde;
   Es war die Liebe ja nur Schein,
   Die ihn mit dir vereinte.«

   In Mexiko, der Hauptstadt des alten Aztekenreichs, stand in der Nähe des Paseo einer der reichsten Paläste, den die Stadt Montezumas aufzuweisen hatte. Und dieser Palast gehörte einem der bedeutendsten Großgrundbesitzer des Landes, nämlich dem Grafen Ferdinando de Rodriganda y Sevilla.
   Dieser saß in seinem Arbeitskabinett, umgeben von allem Luxus eines exotischen Landes, und ging die Rechnungen durch, die ihm sein Sekretär vorgelegt hatte.
   Wer den Advokaten Gasparino Cortejo in Manresa oder Rodriganda kannte und hier diesen Sekretär in Mexiko erblickte, der würde über die Ähnlichkeit beider erstaunt gewesen sein, und wirklich – der Sekretär hieß Pablo Cortejo und war der Bruder des Advokaten Gasparino Cortejo.
   Er schien sich gegenwärtig in keiner rosigen Laune zu befinden. Seine lange, hagere Gestalt war demütig zusammengeknickt; seine bleichen, schmalen Lippen preßten sich unmutig nach innen, und aus seinen kleinen Augen funkelte zuweilen unbemerkbar, aber desto giftiger ein Blick zu dem Grafen hinüber, der mit gerunzelten Brauen auf die Papiere schaute.
   »Wahrlich, das ist nicht gut«, sagte Don Ferdinando, »das kann ich nicht billigen!« – »Junges Blut hat keine Tugend, Erlaucht!« entgegnete Cortejo entschuldigend.
   Der Graf sah ihn ernst an und antwortete:
   »Oh, ich denke, daß junges Blut zwar rauscht und schäumt, aber doch auch Tugend besitzen muß. Und ist das Tugend, was ich hier sehe?« – »Es ist eine kleine Schwäche!« – »So, Ihr nennt es also eine kleine Schwäche, wenn mein Neffe an einem einzigen Abend zwölftausend Pesos im Spiel verliert?« – »Er hat oft ähnliche Summen gewonnen, Don Ferdinando.« – »Ah, also spielt er oft? Also ist er ein Gewohnheitsspieler?« fragte der Graf in zorniger Verwunderung. »Ich werde ihm die Zügel kürzen lassen.«
   Er blätterte weiter.
   »Was ist das?« fragte er. »Ist diese Angelegenheit nicht geordnet worden?« – »Don Alfonzo hat die Summe, die Sie ihm dazu gewährten, anderweit verwenden müssen.« – »Wozu?« – »Er hat mir das nicht mitgeteilt; er ist mir ja keine Rechenschaft schuldig.« – »Rechenschaft allerdings nicht«, sagte der Graf, »aber ich glaubte, er könnte es Euch so im Vertrauen mitgeteilt haben. Es will mir überhaupt scheinen, als ob mein Neffe Euch mehr Vertrauen schenkte als mir.« – »Oh, Don Ferdinando, das scheint nur so! Ich erfreue mich allerdings einigen Vertrauens von seiten Don Alfonzos, aber …« – »Und als ob Ihr«, fuhr der Graf mit scharfer Stimme fort, »von diesem Vertrauen nicht den rechten Gebrauch machtet!« – »Erlaucht!« – »Schon gut. Wenn mein Neffe in so vielen Stücken nicht mein Wohlgefallen besitzt, so seid Ihr allein es, auf den ich die Schuld zu schieben habe. Wollt Ihr etwa nach so langjähriger Dienstzeit entlassen werden?«
   Die Brauen des Sekretärs zogen sich wie drohend zusammen, nahmen aber im nächsten Augenblick wieder ihren gewöhnlichen Ausdruck ein. Und auch die Antwort erklang im untertänigsten Ton:
   »Darf ich mir vielleicht die Ansicht erlauben, daß Durchlaucht sich irren?« – »Ich irre mich nicht«, sagte der Graf streng. »Warum liegt mein Neffe während des ganzen Tages bei Euch? Warum seid Ihr bei ihm, sobald ich Eurer bedarf? Ihr wißt, daß ich nicht gern und nicht viel spreche, wenn ich aber einmal rede, so weiß ich auch, was ich sage. Warum entschuldigt Ihr seine Leidenschaft für das Spiel?« – »Andere junge Herren tun auch so.« – »Das ist für ihn kein Grund, mein Geld zu vergeuden. Und warum gibt er Wechsel mit meiner Unterschrift?« – »Ein kleiner Zufall, Erlaucht!« – »Was?« brauste der Graf auf. »Das nennt Ihr einen Zufall? Ist der Kredit meines Neffen so gefallen, daß man seine Wechsel nicht mehr honoriert, sondern meinen Namen verlangt? Wer hat meinen Namen auf das Papier gesetzt, er oder Ihr?« – »Er.« – »Er soll es zum letzten Mal getan haben. Und auch Ihr werdet niemals wieder ein Blankett von mir in die Hand bekommen. Hier die letztere Angelegenheit« – der Graf deutete auf einen der Briefe – »war meinerseits mit fünftausend Piaster beigelegt. Wem habe ich diese Summe gegeben?« – »Mir«, antwortete der Sekretär in kleinlautem Ton, aber mit kochendem Blut. – »Wozu?« – »Ich sollte sie dem Mädchen auszahlen.« – »Jetzt sagt Ihr, daß mein Neffe sie anderweit verwenden mußte, so habt Ihr also ihm das Geld gegeben?« – »Er bat mich darum.« – »Ach so! Der Wunsch des leichtsinnigen Neffen gilt mehr als der Befehl des Oheims, in dessen Dienst Ihr steht! Ich werde meine Maßregeln ergreifen müssen, um mir Gehorsam zu verschaffen. Verstanden?«
   Der Graf nahm die anderen Skripturen eine nach der andern auf, um sie durchzulesen. Da plötzlich schoß ihm ein dunkler Blutstrom in das aristokratisch bleiche Angesicht; es war die Röte der Scham und der Entrüstung. Er sprang empor und trat dem Sekretär mit blitzendem Auge entgegen.
   »Wißt Ihr, wo Alfonzo sich jetzt befindet?« fragte er. – »Auf der Hacienda del Erina.« – »Weshalb?« – »Das entzieht sich meiner Kenntnis.« – »Oh, ich wußte es auch nicht, weshalb er auf einmal eine so plötzliche Sehnsucht nach der fernen Hazienda verspürte und warum Ihr die Erfüllung dieser Sehnsucht befürwortetet; jetzt aber sehe ich klar!«
   Der Sekretär war doch bleich geworden. Der Graf aber schritt in höchster Erregung im Zimmer auf und ab, dann wandte er sich plötzlich um und fragte:
   »Was ist es mit dem Duell?« – »Mit welchem Duell?« fragte der Sekretär mit der unschuldigsten Miene. – »Cortejo!« donnerte ihn der Graf an. – »Ich weiß wirklich nichts!« – »Gut! Aber Ihr täuscht mich nicht. Wenn Ihr nicht redet, seid Ihr augenblicklich entlassen. Entschließt Euch kurz!«
   Cortejo sah sich in die Enge getrieben. Er konnte nicht weichen und entgegnete also in bittendem Ton:
   »Verzeihung, Don Ferdinando! Don Alfonzo hat mir das strengste Schweigen anbefohlen.« – »Wer hat Euch zu befehlen, ich oder mein Neffe? Heraus mit der Sprache!« – »Don Alfonzo ging nach der Hazienda, um einem Streit auszuweichen.« – »Erklärt Euch deutlicher. Graf Embarez schreibt mir hier folgendes:
   Don Ferdinando!
   Ich ersuche Euch, Euren Neffen zu veranlassen, heute über acht Tage auf dem Rendezvous zu erscheinen. Die Zeit ist bereits seit drei Wochen um. Eine solche Angelegenheit erlaubt keine Minute Aufschub. Ist Don Alfonzo nicht zur angegebenen Zeit zur Stelle, so werde ich den Fall ohne alle weitere Rücksicht im ›Diario oficial‹ und in ›La Sociedad‹ veröffentlichen. Ich hoffe, daß Euch mehr an der Ehre Eures Hauses, als an einem Fetzen der Haut Eures Neffen gelegen ist.
   Almanzo, Graf Embarez.
   Nun sagt, wie es steht! Liegt etwa eine Forderung zum Duell vor, wie ich nach dem Wortlaut dieser ehrenrührigen Epistel schließen muß?« – »Der Graf hat Don Alfonzo beleidigt.« – »Ah, und mein Neffe hat ihn gefordert?« – »Nein. Der Graf hat Don Alfonzo gefordert.« – »So ist es umgekehrt, mein Neffe hat ihn beleidigt. Gebt Euch um Gottes willen keine Mühe, auch diese Sache zu bemänteln. Hat meine Neffe die Forderung angenommen?« – »Er mußte.« – »Ah! Er mußte! Das heißt, eigentlich wäre er feig genug gewesen, sie nicht anzunehmen! Welch eine Schande! Wo ist das Rendezvous?« – »Am Ufer des Sees von Tescuco.« – »Und Alfonzo ist nicht erschienen?« – »Graf Embarez ist als der gewandteste Fechter und Schütze bekannt und gefürchtet«, entgegnete der Sekretär mit sichtbarer Verlegenheit.
   Da fuhr der Graf mit der Hand nach dem Herzen, es war ihm, als ob er einen Stich in dasselbe bekommen hätte.
   »Barmherziger Gott!« stöhnte er. »Mein Neffe ein solcher Feigling! Meine Ehre ist vernichtet. Er hat eine Forderung akzeptiert und ist aus Angst entflohen! Der Name Rodriganda ist befleckt und geschändet für ewige Zeiten, wenn nichts geschieht, um ihn zu retten.«
   Er wanderte abermals im Zimmer auf und ab, dann blieb er stehen und sagte:
   »Hört, was ich Euch befehle! Es gehen sofort zwei Kuriere nach der Hazienda ab.« – »Zwei?« – »Ja, damit die Botschaft sicherer läuft. Sie haben meinem Neffen zu sagen, daß er sogleich nach Mexiko komme. Hört Dir? Sogleich!« – »Erlaucht wollen bemerken, daß er binnen drei Tagen unmöglich hier sein kann!« – »Ich weiß das. Ich werde nachher zu dem Grafen fahren und ihm mitteilen, daß ich die Angelegenheit in Namen meines Sohnes ausfechten werde. Nach dem Wortlaut des Briefes hat Alfonzo sich für Säbel entschieden?«
   Über das Gesicht des Sekretärs zuckte ein freudiger Blitz.
   »Ja«, antwortete er. – »So feig und doch so unvorsichtig. Hätte er Pistolen auf weite Distanz genommen, so brauchte er nicht auszureißen. Geht jetzt und sendet mir die alte Maria Hermoyes.«
   Der Sekretär ging, es war ihm, als sei er aus der Hölle erlöst worden.
   Nach einiger Zeit trat eine alte Frau von sehr ehrwürdigem Äußeren bei dem Grafen ein. Sie verneigte sich ehrerbietig und blieb an der Tür stehen.
   »Tritt näher, Maria, und setz dich!« empfing sie Don Ferdinando im leutseligen Ton, denn die alte Maria Hermoyes war als die treueste Dienerin des Hauses bekannt und wurde als solche vom Grafen behandelt.
   Er schritt noch immer im Zimmer auf und ab, es kostete ihm Mühe, seinen Zorn zu besiegen oder zu verbergen. Endlich sagte er:
   »Maria, du bist mir treu. Nicht wahr?« – »Don Ferdinando«, beteuerte sie, »Sie wissen, daß mein Leben Ihnen gehört.« – »Ich weiß es. Wirst du mir die Wahrheit sagen?« – »Ich habe Sie noch nie belogen.« – »Ich glaube es, aber es gibt Dinge, bei denen selbst der treueste Diener meint, daß es für seinen Herrn das beste sei, das Richtige und Wahre nicht zu erfahren. Du jedoch wirst mir die Wahrheit sagen?« – »So, als ob ich vor dem Beichtvater oder vor Gott stände.« – »Nun gut! Du hast mir damals meinen Neffen von Spanien herübergebracht. Sage mir aufrichtig, ist er wirklich mein Neffe?«
   Die Dienerin erschrak sichtlich.
   »Mein Gott, welche Frage!« stammelte sie. – »Antworte!« – »Warum sollte er es nicht sein, Don Ferdinando?« – »Du sollst mir nur mit einem einzigen Wort antworten«, gebot er. »Ja oder nein!« – »Das kann ich nicht!« – »Warum?« – »Gnädiger Herr, darf ich wirklich reden?« – »Ja, ich habe es dir sogar befohlen.« – »Das ist ein Punkt, der mir erst wenig Sorge machte, mit der Zeit sich mir aber immer mehr auf das Herz gelegt hat!« – »Ah! Hast du bereits darüber gesprochen?« – »Zu keinem Menschen«, erwiderte die ehrliche Alte. – »Nun, so rede.« – »Es fiel mir auf, daß Don Alfonzo dem Señor Pablo Cortejo so ähnlich sieht …« – »Bei Gott, das ist mir auch aufgefallen, das eben hat mich auf Gedanken gebracht, die ich nicht wieder loswerden kann.« – »Sodann fiel es mir auf, daß er und Cortejo stets beisammen sind und immer Heimlichkeiten haben.« – »Das weiß ich. Es wird aber anders werden.« – »Und sodann …«
   Sie stockte, trotz ihres Alters errötend.
   »Nun?« fragte der Graf. – »Sodann fiel mir noch ein Drittes auf, fuhr sie fort. »Ich muß nämlich sagen, daß der Bruder des Señor Pablo …« Wieder stockte sie.
   »Sprich nur weiter. Was du sagst, ist nur für mich. Du meinst den Advokaten Gasparino Cortejo in Manresa?« – »Ja. Er ging mir in früheren Jahren ein wenig nach, obgleich ich älter war als er, und da schenkte er mir sein Bild, das ich noch besitze.« – »Und dieses Bild?« – »Es ist das leibhaftige Konterfei des Grafen Alfonzo.« – »Ah, darf ich es einmal sehen?« – »Ja, Erlaucht.« – »So bring es mir.«
   Die Dienerin eilte fort und brachte darauf ein Porträt in Kreidemanier. Kaum hatte der Graf einen Blick auf dasselbe geworfen, so rief er erschüttert:
   »Mein Gott, es stimmt! Das ist Alfonzo, wie er leibt und lebt!« – »Ja, das sah ich auch, Don Ferdinando, und das drückt mir fast das Herz ab!« – »Ist jener Gasparino Cortejo verheiratet?« – »Nein.« – »Hat er nie ein ernstes Verhältnis gehabt?« – »Hm! Man spricht nicht davon.« – »Du sollst aber davon sprechen!« gebot er. – »Sie werden mir zürnen!« – »Warum?« – »Weil – weil …« antwortete sie stockend, »weil es eine Verwandte von Ihnen betrifft!« – »Ah! Wer ist es?« – »Señorita Clarissa, die später Schwester Clarissa genannt wurde.«
   Der Graf fuhr mit dem Bild wieder empor zu den Augen und warf einen langen, scharf prüfenden Blick auf dasselbe.
   »Wahrhaftig, es stimmt«, sagte er endlich. »Ich kannte diese Cousine sehr genau. Und jetzt bemerke ich, daß dieser Alfonzo ihr ebenso ähnlich sieht!« – »Das ist auch mir aufgefallen, gnädiger Herr!« – »So? Gut, so laß uns einmal prüfen. Woher weißt du, daß jener Cortejo ein Verhältnis mit dieser frommen Cousine Clarissa hatte?« – »Ich habe sie im Park von Rodriganda überrascht, wo sie miteinander spazierengingen.« – »Weiter weißt du nichts?« – »Oh«, entgegnete die Alte verschämt, »ich war damals eifersüchtig und ging ihnen nach. Ich überraschte sie, als sie sich küßten.« – »Das könnte genügen.« – »Es traf sich stets, daß sie miteinander auf Rodriganda waren. Sie kam aus ihrem Stift und er aus Manresa.« – »Gut. Das wäre also erwiesen. Wie aber nun weiter? Du warst die Amme des kleinen Alfonzo?« – »Ja, sechs Monate, dann entwöhnte ich ihn. Ich sollte auf dem Schloß bleiben, aber es gab da einen Tischler, der mich heiraten wollte, und so wurde ich seine Frau und zog zu ihm.« – »Weiter.« – »Mein Mann war kränklich und starb. Nun stand ich wieder allein. Das war zu der Zeit, in der Sie um den kleinen Alfonzo gebeten hatten. Dir Wunsch wurde erfüllt, da damals noch ein älterer Knabe lebte, und man fragte mich, ob ich nicht Lust habe, das Kind nach Mexiko zu begleiten. Ich sagte zu, denn ich hatte niemand, der mir lieb war.« – »Wer stellte diese Frage an dich?« – »Gasparino Cortejo.« – »Ah, er wollte eine Zeugin seiner Liebschaft entfernen.« – »Jedenfalls, obgleich ich daran erst später gedacht habe.« – »Du kamst also von da an bis zur Abreise nicht wieder auf das Schloß?« – »Nein, denn viel Zeit gab es nicht, da das Schiff segelfertig war. Ich wurde erst am Morgen der Abreise auf das Schloß verlangt und saß dann mit dem Grafen, der Gräfin und Alfonzo im Wagen, der uns nach Barcelona brachte. Dort fanden wir Señor Pedro Arbellez, der jetzt Haziendero ist, damals aber noch Ihr Inspektor war. Ihm wurde ich mit dem Kind übergeben.« – »Wurdet ihr von dem Grafen und der Gräfin auf das Schiff begleitet?« – »Nein. Beide fuhren gegen Abend wieder ab, da der Abschied die liebe, gnädige Frau so sehr anzugreifen schien. Dann bin ich von dem Kind nicht wieder fortgekommen. Aber am Morgen schien es mir, als ob der Kleine ein anderes Gesicht habe.« – »Ah! Weiter nichts?« – »Oh, doch noch etwas, aber nur eine Kleinigkeit. Wenn man arm ist, so ist man neugierig auf die Sachen, die reiche Leute besitzen. Als ich den Knaben zur Ruhe legte und entkleidete, sah ich mir alles, was er trug, genau an. Und am anderen Morgen war es mir, als ob das Hemdchen eine andere Nummer habe, als am Abend vorher.«
   Der Graf horchte auf.
   »Es schien dir nur so?« fragte er gespannt. »Oder war es dir gewiß?« – »Gewiß nicht. Ich hatte die Nummer zwar ganz genau gesehen, aber nicht die Absicht gehabt, sie mir zu merken; dennoch aber möchte ich jetzt behaupten, daß sie eine andere geworden war.« – »Das wäre nun freilich von der allerhöchsten Wichtigkeil. War deine Tür verschlossen?« – »Nein.« – »In welchem Gasthof war es? Ich habe den Namen wieder vergessen.« – »Im Gasthaus ›L‘Hombre grand‹ in Barcelona.« – »Weißt du nicht, wer an diesem Abend noch dort logierte?« – »Ich erkundigte mich am Morgen, aber ganz zufällig und nicht etwa, weil ich an eine Verwechselung des Kindes gedacht hätte. Aber was ich erfuhr, erschien mir in späterer Zeit doch auffällig.« – »Wieso?« – »Es hatte nicht weit von uns ein Mann logiert, zu dem später zwei andere Männer kamen; sie alle drei waren unbekannt und hatten bereits am frühesten Morgen das Haus wieder verlassen. Der eine hatte dabei ein Bündel unter dem Arm getragen.« – »Wer hat dies gesehen?« – »Eine Magd, die Zahnschmerzen hatte und nicht schlafen konnte.« – »Danach könnte also der Knabe samt der Wäsche, wenigstens samt dem Hemd verwechselt worden sein. Hätte Cortejo auf Rodriganda zu der Kinderwäsche gekonnt?« – »Er nicht, aber die Schwester Clarissa.« – »Das ist ganz dasselbe. Gibt es noch etwas, was du über diese Angelegenheit zu sagen hättest?« – »Sicheres nicht, aber Kleinigkeiten, die man erst nicht beachtet, die später aber dennoch auffällig erscheinen.« – »Nenne sie mir getrost. In solchen Fällen sind Kleinigkeiten oft von hohem Wert.« – »Nun, der kleine Knabe sprach nie von seinen Eltern, während er doch der Trennung wegen gerade nach ihnen hätte weinen sollen.« – »Ah!« – »Ja, es war, als sei er gar nicht bei Eltern gewesen.« – »Das ist ein wichtiger Punkt« – »Und wenn ich einmal von dem Grafen und der Gräfin begann, so sagte er selten Papa und Mama, sondern meist nur Vater und Mutter.« – »Auch das ist wertvoll!« – »Er redete überhaupt nicht gern von der Heimat Es war, als sei es ihm verboten, von ihr zu sprechen. Ferner hörte er sehr oft nicht auf den Namen Alfonzo, und es war, als sei er bisher mit einem anderen gerufen worden.« – »Mein Gott, das alles sagst du mir erst jetzt?« – »Oh, das fiel mir alles zuerst gar nicht auf. Ich war ein einfaches, dummes Ding und hatte gar keinen Verdacht. Hier in Ihrem Haus wurde ich ein klein wenig klüger, und als ich dann später die wunderbare Ähnlichkeit bemerkte, von der wir vorhin gesprochen haben, dann erst stellte sich der Verdacht ein, und ich begann nachzudenken, aber zu spät!« – »Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Gottes Wege sind sehr oft wunderbar und unerforschlich.« – »Ferner fiel mir auf, daß der Knabe während der Reise mehr nach Señor Pablo Cortejo als nach Ihnen fragte, und endlich habe ich hier bemerkt, daß beide sich du nennen, wenn sie denken, daß sie allein sind.« – »Wirklich?« fragte der Graf hastig. – »Ja. Ich habe sogar einmal gehört, daß der junge Graf den Sekretär Onkel nannte.« – »Sagst du die Wahrheit?« – »Ja. Es war im Garten, und die beiden hatten keine Ahnung davon, daß ich sie beobachtete.« – »Weiter!« – »Das ist alles, Don Ferdinando. Ich weiß nichts weiter.« – »Oh, es ist genug. Ich habe jetzt die Überzeugung, daß hier ein Schurkenstreich begangen ist Aber wehe ihnen!« – »Ich soll doch schweigen über das, was wir soeben gesprochen haben, nicht wahr, gnädiger Herr?« – »Natürlich! Sie dürfen nicht erfahren, daß wir eine Ahnung haben, sonst würden sie den Faden zerreißen, der uns durch das Geheimnis leiten soll. Aber, wenn es so ist, wie wir denken, wo ist dann der richtige Knabe Alfonzo?« – »Den haben jene drei Männer mit fortgenommen.« – »Und wohl gar getötet?« – »O mein Gott!« – »Ich werde es erfahren, ich muß es erfahren!« sagte der Graf zornig. »Also darum ist dieser Alfonzo so aus der Art geschlagen, und darum konnte in mir kein verwandtschaftliches Gefühl für ihn aufkommen. Aber er ist mein Neffe vor den Augen der Welt, ja, ich habe ihn stets meinen Sohn genannt und nennen lassen; ich muß also auch heute wieder für ihn eintreten. Gehe, meine gute Maria, und sage dem Kutscher, daß er anspannen soll. Wenn ich dich in dieser Angelegenheit wieder brauche, werde ich dich rufen lassen.«
   Die Alte entfernte sich.
   Der Graf aber schloß die Papiere, die ihm so viel Ärger bereitet hatten, wieder in seinen Schreibtisch ein und ging hinab vor das Portal, um in die kostbare Equipage zu steigen.
   »Zum Grafen Embarez!« gebot er dem Kutscher.
   Die Karosse des Grafen Rodriganda hielt bald vor dem Haus des Grafen. Don Ferdinando ließ sich melden und wurde angenommen. Der Graf, ein noch junger Mann, empfing ihn mit ausgesuchter, aber dabei doch kalter Höflichkeit und bot ihm einen Sessel an, während er selbst stehen blieb.
   Dies gab dem Grafen Rodriganda Veranlassung, den Sessel auszuschlagen und auch stehen zu bleiben.
   »Ich erhielt heute eine Zuschrift von Ihnen«, begann er.
   Embarez verbeugte sich zustimmend.
   »Und hatte Veranlassung, mich über den Ton, in dem sie verfaßt ist, zu wundern.« – »Oh, dieser Ton ist sehr natürlich.« – »Ihnen vielleicht, mir aber nicht. Ich pflege höflich zu sein, gegen jedermann.« – »Ich ebenso, wenn er es wert ist.«
   Rodriganda trat einen Schritt zurück.
   »Sie wollen sagen, daß ich den Wert, den Sie meinen, nicht besitze?« fragte er scharf. – »Von Ihnen war keine Rede.« – »Aber der Brief war an mich gerichtet.« – »Und handelte von Ihrem Neffen.« – »Ich bitte um Aufklärung. Was haben Sie mit ihm?« – »Eine Ehrensache, denn er beleidigte meine Schwester, darauf forderte ich ihn auf Degen, und er nahm die Forderung an.« – »Wann sollte das Duell stattfinden?« – »Drei Tage später. Leider erschien er aber nicht, und ich vermute, daß es ihm scheint, als ob seine Ehre nicht einen Degenstoß wert sei. Oder vielleicht ist er auch feig. Ich muß es wenigstens glauben.«
   Rodriganda war bis in die tiefste Seele getroffen, dennoch behauptete er seine Ruhe und erwiderte:
   »Sie irren, Graf, und ich muß Ihnen bemerken, daß es mir nicht sehr edel erscheint, einen Unschuldigen, wie ich doch in dieser Sache bin, zu kränken. Ich teile Ihnen mit, daß mein Neffe gezwungen war, einen Ausflug in einen verrufenen Teil des Landes zu machen. Unter solchen Umständen kann man die ganz feste Absicht haben, sich zur rechten Zeit zu stellen und doch daran verhindert zu sein. Ich an Ihrem Platz hätte höflich bei dem Oheim angefragt, ehe ich gewagt hätte, einen Ehrenmann zu kränken, der Sie niemals beleidigt hat und an dessen Namen nicht der geringste Makel haftet.«
   Diese Worte machten Eindruck auf den Gegner. Er erwiderte:
   »Was ich schrieb, galt dem Neffen!« – »Das ist keine Ausrede. Sie halten mich für den Vertreter des Neffen. Nun wohl, wenn Sie die Worte an mich richten, die ihm gelten, so ersuche ich Sie, auch die Säbelhiebe gegen mich zu richten, die Sie ihm zugedenken.« – »Ah! Sie meinen …?« – »Daß ich anstelle meines Neffen Ihre Forderung akzeptiere.« – »Graf, das war nicht meine Absicht«, sagte Embarez schnell. – »Aber die meinige.« – »Ich bitte Sie, zurückzutreten!« – »Und ich ersuche Sie, anzunehmen!« versetzte Rodriganda ernst, fast drohend. – »Wohl! Wenn Sie darauf beharren, so bin ich ja gezwungen.« – »Wann beliebt es Ihnen?« – »Wann Sie Zeit haben.« – »Morgen?« – »Haben Sie es so eilig, zu sterben, Don Ferdinando?« fragte Embarez sarkastisch. – »Mein Leben steht in Gottes Hand«, antwortete der Gefragte ruhig. – »Welche Waffen wählen Sie?« – »Als Stellvertreter meines Neffen muß ich an seiner Wahl festhalten, also Degen, auch den Ort bestimme ich, den mein Neffe gewählt hat.« – »Der Sekundant?« – »Welcher Herr diente meinem Neffen?« – »Vicomte de Lorrière.« – »Ich werde Ihnen diesen Herrn sofort senden.« – »Und ich werde ihn erwarten.« – »So sind wir zu Ende, und ich bitte Sie, mich zu entlassen.«
   Don Ferdinando ging und fuhr nach der Wohnung des Vicomte de Lorrière. Dieser war fürchterlich darüber aufgebracht, daß Alfonzo nicht erschienen war, doch nahm er Rücksicht auf die Ehrenhaftigkeit Don Ferdinandos und erklärte sich bereit, worauf der Graf Rodriganda nach Hause zurückkehrte.
   Er schrieb noch während des ganzen Nachmittags und ließ am Abend die treue Maria zu sich rufen. Sie glaubte, daß er sie wieder wegen des Kindestauschs sprechen wolle, fand sich aber enttäuscht.
   »Maria«, sagte er, »ich werde dir ein Geheimnis anvertrauen, und du wirst es nicht verraten.« – »Oh, Herr, ich werde gewiß schweigen«, erwiderte sie. – »Du weißt doch, was ein Duell ist?« – »Ja.« – »Ich werde mich morgen früh schlagen.« – »Ist‘s wahr?« fragte sie erschrocken. »O mein lieber Don Ferdinando, das werden Sie nicht tun.« – »Ich muß«, antwortete er. »Dieser Alfonzo hat eine Forderung erhalten und ist feig entflohen. Um nun die Ehre meines Namens zu retten, muß ich für ihn eintreten.« – »Oh mein Gott, er wird der Mörder seines Oheims sein.« – »Nein. Ich verstehe den Degen gut zu führen, wenn ich auch kein Raufbold bin. Ich hoffe, daß ich unverletzt bleibe. Aus Vorsicht aber habe ich mein Testament gemacht …« – »Ich denke, das ist bereits längst fertig?« fragte sie naiv. – »Ja, das, worin ich Alfonzo zum Universalerben einsetzte. Das wird jedoch jetzt anders. Ich habe Mißtrauen gefaßt und andere Bestimmungen getroffen. Hier ist das neue Schriftstück. Du sollst es mir aufbewahren.« – »Ich? Ach, gnädiger Herr, ich armes Weib …!« sagte sie weinend. – »Du bist treu und die einzige, auf die ich mich verlassen kann. Kehre ich morgen zurück, so gibst du es mir wieder. Bleibe ich aber, so übergibst du es dem Gouverneur, der dann die nötigen Schritte tun wird. Gute Nacht.«
   Die Alte wollte Widerspruch erheben, er aber schob sie hinaus, um nicht in eine weiche Stimmung zu geraten, die ihm ja nichts nützen konnte.


   18. Kapitel

   Als Pablo Cortejo vorher den Grafen verließ, fertigte er zunächst die beiden Kuriere ab, dann begab er sich nach seiner Wohnung.
   Er war verheiratet gewesen, und sein längst verstorbenes Weib hatte ihm ein einziges Kind, eine Tochter, hinterlassen. Diese war sein Abgott, obgleich sie gar nichts Göttliches an sich hatte.
   Sie war lang und hager wie ihr Vater, starkknochig, mit scharfen Gesichtszügen und eckigen Bewegungen. Ihr Teint war wachsgelb, die Zähne fehlten ihr bereits zur Hälfte, und ihre Augen glichen den Augen der Eule, wenn sie im Sonnenlicht sitzt und gezwungen ist, sie zu öffnen.
   Pablo Cortejo ging nicht in seine Arbeitsstube, sondern suchte seine Tochter auf, die auf dem Hofgang des Hauses, wo eine erquickende Kühle herrschte, in einer Hängematte lag und Zigaretten rauchte.
   »Ah, Papa, was wollte der Graf zu so ungewöhnlicher Stunde?« fragte sie. – »Mir die Faust in das Auge schlagen«, antwortete er grimmig. – »Worum handelte es sich denn?« – »Um nichts anderes, als um Alfonzo!« – »Hm! Er ist doch sein Neffe!« – »Wie es scheint. Oh, wüßte der Alte, wie es steht. Ich möchte ihn sehen. Zunächst kam die Spielschuld aufs Tapet, dann diese verdammte Abfindungssumme für die damalige Liebelei und endlich gar die Duellgeschichte, an der nur du allein die Schuld trägst.« – »Ich?« fragte das Mädchen verwundert. »Habe ich etwa zu der Forderung Veranlassung gegeben?« – »Nein, aber du gabst nicht zu, daß Alfonzo sich stellte, dir war um sein teures Leben bange, und ihm selbst wohl noch mehr.« – »Was hat dies mit der heutigen Affäre zu tun?« – »Graf Embarez hat Don Ferdinando geschrieben.« – »Donnerwetter!«
   Dem Sekretär fiel dieser unweibliche Fluch seiner Tochter nicht auf, er fuhr fort:
   »Ja, das Donnerwetter habe ich bekommen. Er sprach vom Absetzen, Fortjagen und allem möglichen.« – »Das wagt er nicht!« sagte sie geringschätzig. »Alfonzo würde es nicht zugeben.« – »Pah! Der Graf will ihm die Zügel kürzer ziehen. Er behauptet geradezu, daß ich ihm seinen Neffen verderbe.« – »Du nicht, aber ich«, meinte die Dame mit Selbstbewußtsein. – »Da hast du vollständig recht. Übrigens hat der Brief des Grafen Embarez eine Wirkung gehabt, an die ich nie gedacht hätte. Es kann zu unserem Glück sein: Don Ferdinando wird sich an Alfonzos Stelle duellieren.«
   Das Mädchen war mit einem Sprung aus der Hängematte heraus.
   »Wann?« fragte sie. – »Ich weiß es nicht, jedenfalls aber baldigst, denn der Graf ist nicht gewöhnt, solche Sachen aufzuschieben.« – »Viktoria, wenn er erschossen würde, Vater!« – »Erstochen.« – »Ah, es ist ein Säbelduell? Das ist unter Umständen noch gefährlicher.« – »Wir hätten dann sofort gewonnen. Das Testament ist ja gemacht, und Alfonzo ist der Erbe.« – »Und ich mit!« lachte das Mädchen. – »Ja, du mit. Oh, es ist ein schlauer Plan, den sich mein guter Bruder Gasparino da drüben in Rodriganda ausgedacht hat. Er will für sich und seinen Sohn alles haben, und für uns soll nur so ein Gnadenteilchen abfallen, aber wir sind ihm an Schlauheit gewachsen. Du erbst mit, dabei bleibt es.« – »Ich bin neugierig, was Alfonzo zu unserem Vorschlag sagen wird.« – »Ja sagt er sicherlich nicht.« – »Warum nicht? Meinst du vielleicht, daß ich ihm nicht schön genug bin?« fragte sie pikiert. – »Das meine ich nicht«, erwiderte er. »Aber wer ein Graf wird, der heiratet eine Gräfin!« – »Will ich denn etwas anderes? Wenn er mich nimmt, so bin ich ja eine Gräfin.« – »Hm, deine Schlüsse sind nicht ganz so dumm, dennoch aber wird es Kampf geben, ehe er einwilligt.« – »Er muß sich ergeben, entweder der Liebe oder dem Zwang.« – »Aber wenn nun Don Ferdinando im Duell nicht fällt?«
   Cortejos Tochter blickte lange zu Boden und erwiderte:
   »O ihr Männer, was seid ihr doch für Schwächlinge!«
   Das Auge ihres Vaters blickte einen Moment forschend in ihr Gesicht, dann sagte er:
   »Du meinst, er muß fallen?« – »Ja.« – »Wenn nicht durch den Säbel …« – »Dann durch etwas anderes. Wie lange soll man warten?«
   Es zuckte ein Zug grausamer, diabolischer Habgier über ihr häßliches Gesicht.
   »Ja, warten«, meinte ihr Vater. »Wer länger wartet, der wird vielleicht gar fortgejagt.« – »So handle!« – »Meinst du?« – »Jawohl! Soll ich dir helfen?« – »Vielleicht«, antwortete er geheimnisvoll. – »Ah! Du hast bereits einen Entschluß gefaßt?« fragte sie. »Welchen?« – »Ich wollte schon, ehe ich zum Grafen gerufen wurde, mit dir darüber sprechen. Hier, lies einmal diesen Brief meines Bruders Gasparino.«
   Sie riß ihm den Brief, den er aus der Tasche gezogen hatte, förmlich aus der Hand. Ihre Augen flogen über das Papier hinweg und glühten bei jeder weiteren Zeile immer unheimlicher. Endlich legte sie das Papier zusammen, gab es dem Vater zurück und sagte:
   »Also sterben soll er. Gut.« – »Der Plan hat deinen Beifall?« – »Nicht ganz, mir gefällt nicht, daß er wieder aufwachen soll. Weg mit ihm, für immer.« – »Aber er wird ja fortgeschafft.« – »Das ist nicht so sicher wie der Tod.« – »Oh, wer einmal dem Seeräuberkapitän Henrico Landola in die Hände fällt, der ist noch schlimmer als tot. Wer weiß, was Gasparino noch nebenbei bezweckt, aber auch ich scheue mich, zum Mörder, gerade zum Mörder an einem Mann zu werden, dem wir doch so viel zu verdanken haben.« – »Zu verdanken? Wo denkst du hin? Du arbeitest doch für ihn! Aber ich will hier nichts weiter dagegen sagen, als daß überhaupt nichts daraus werden kann, auch wenn wir wollen. Wer gibt uns denn ein solches Gift?« – »Der Apotheker allerdings nicht.« – »Gibt es denn überhaupt ein Gift, das so tötet, daß der Tote nach einer bestimmten Zeit wieder erwacht?« – »Es tötet nicht, sondern es versetzt nur in Scheintod. Ich kenne einen, dem alle Gifte bekannt sind und der einen geheimen, einträglichen Handel damit treibt.« – »Wer ist es?« – »Ein alter Indianer draußen in Sant‘ Anita. Ich werde mit ihm sprechen.« – »Aber erst nachdem das Duell entscheiden ist! Wie steht es mit Alfonzo?« – »Ich habe ihn bereits vor zwei Tagen durch einen Boten von dem Nötigen benachrichtigt. Heute befahl der Graf, gleich zwei Kuriere nach ihm zu senden, diese werden ihn bereits unterwegs treffen. Er kommt also wieder, und zwar in einigen Tagen.« – »Gott sei Dank, so habe ich ihn wieder.«
   Ihre Augen glühten freudig auf. Man sah, dieses Mädchen hatte Alfonzo wirklich lieb, aber in ihrer Seele steckte ein Vulkan von Leidenschaften verborgen. Wehe ihm, wenn er diese Liebe von sich wies.
   Am anderen Morgen hatte die Sonne den Tau noch nicht von der Erde geküßt, als Graf Ferdinando de Rodriganda mit seinem Sekundanten, dem Vicomte, die Stadt Mexiko verließ, um nach dem See von Tescuco zu reiten. Die beiden Señores trugen ihre mexikanische Nationaltracht, den großen, lichten Sombrero, den Hut mit steifer, breiter Krempe, der, mit Goldschnüren verziert, die Schultern überragte, die dunkle Jacke mit den vielen kleinen Silberknöpfen, die reich in Gold und Silber gestickten Zapateros, die über das gewöhnliche Beinkleid von unten her über das Knie gezogen und mit einem Gurt um den Leib befestigt werden.
   Auch der Sattel war mit Gold und Silber verziert, der große Sattelknopf aber und die Rückenlehne waren mit Silber beschlagen und Mundstück und Kopfzeug ebenso geschmückt. Die Zügel bestanden aus einer bunten, seidenen Schnur und die großen Radsporen aus Silber. Hinter der Sattellehne war die bunte Serape – Decke – festgeschnallt, und hinter derselben fiel zu beiden Seiten des Pferdes ein Bocksfell tief herab, das den Pistolen zum Schutz diente. Auch der Lasso hing am Sattel.
   Die beiden Señores sprachen kein Wort miteinander. Was zu sprechen gewesen war, das hatte man gesprochen, und der Vicomte ahnte nur zu wohl, was in der Seele des Grafen vorgehen müsse, als daß er ihm durch seine leichte Unterhaltung hätte beschwerlich fallen mögen.
   Als sie die bestimmte Stelle des Sees erreichten, war der Gegner bereits da. Er hatte den Arzt, seinen Sekundanten und einen Unparteiischen mitgebracht. Beide Gegner verbaten sich jeden Versuch der Aussöhnung und standen sich bald mit den blanken Waffen gegenüber. Das Zeichen wurde gegeben, und der Kampf begann.
   Wenn Graf Embarez geglaubt hatte, mit Rodriganda schnell fertig zu werden, so hatte er sich geirrt. Don Ferdinando war ein geschickter Fechter, es gelang ihm bereits im ersten Gang, den Gegner zu verwunden, was diesen aber nur mutiger machte, so daß er im zweiten Gang alle Geschicklichkeit und Kraft anwandte, um Revanche zu nehmen. Er war geübter als Rodriganda, es gelang ihm eine Finte, und sein Degen fuhr Don Ferdinando in die Brust.
   »Ich bin verwundet!« rief dieser und sank zur Erde.
   Der Arzt, der rasch hinzusprang und die Wunde untersuchte, erklärte sie für nicht lebensgefährlich, aber doch bedeutend genug, um den Kampf zu beenden. Graf Embarez erklärte sich nun mit dieser Satisfaktion zufrieden und ritt davon. Don Ferdinando wurde darauf sorgfältig verbunden und in den Wagen des Unparteiischen gesetzt, in dem man ihn nach Hause fuhr.
   Als er dort ankam, wollte Cortejo mit seiner Tochter ein Klagegeschrei anstimmen, doch wurden sie auf einen Wink des Grafen vom Arzt hinausgewiesen. Der Graf wünschte bloß die alte Marie bei sich zu sehen. Diese erschien und wurde mit seiner Pflege betraut. Als der Arzt ihr die nötigen Instruktionen gegeben und sich entfernt hatte, sagte sie:
   »Ich habe das Testament mit, gnädiger Herr.« – »Es war unnötig«, lächelte er. »Hier hast du den Schlüssel. Schließe es ein.« – »Wo?« – »Dort im mittleren Fach des Schreibtischs.«
   Maria tat es mit einer Sorgfalt und Umständlichkeit, die ebenso groß war wie das Vertrauen, das sie genoß.
   Anders war es in der Wohnung des Sekretärs. Dort saßen Vater und Tochter in düsterem Groll beisammen.
   »Was haben wir ihm getan!« zürnte Josefa, die Tochter. – »Nichts, gar nichts!« antwortete der Vater. »Diese alte Amme hat es verstanden, sich einzuschmeicheln, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte.« – »Und dieser Graf Embarez, der ein so guter Fechter sein soll, ist ein ausgezeichneter Tölpel. Konnte er seinen Stich nicht etwas tiefer richten!« – »Ich werde jetzt gleich hinaus nach Sant‘ Anita reiten.« – »Ja, man braucht uns ja nicht.« – »Und die Wunde gibt uns die beste Sicherheit gegen Entdeckung.« – »Ja, reite hinaus! Es ist jede Stunde für uns verloren.« – »Ich wollte eigentlich erst die Rückkehr Alfonzos abwarten.« – »Das Gift kannst du doch bestellen?« – »Das ist richtig. Also fort, hinaus!«
   Pablo Cortejo ließ satteln und ritt die lange Straße des Paseo de Bucareli hinab und immer weiter, bis er im Süden der Stadt den Paseo de la Viga erreichte, auf dem man zu den beiden Dörfern Sant‘ Anita und Ixtacalco gelangt, die ausschließlich von Indianern bevölkert sind.
   Diese roten Leute führen auf flachen Kähnen, mit denen sie den Kanal von Chalco befahren, Früchte und Blumen, Mais und Heu nach der Stadt. Frauen in grellroten Röcken liegen nebst Kindern und Hunden neben der reichen Ladung. Eine Decke, an zwei Stöcke befestigt, schützt sie gegen die glühenden Strahlen der Sonne.
   Links davon dehnen sich die berühmten Chinampas, die schwimmenden Gärten der Indianer. Der Spiegel des Sees von Chalco war ursprünglich hell und klar; die Indianer aber bedeckten ihn mit Flößen und Strohmatten, auf die sie Erde legten, um sie mit Gemüse und Blumen zu bepflanzen. Diese Pflanzen haben vermöge ihrer Wurzeln festen Fuß gefaßt, so daß die Flöße nicht mehr von den Wellen getrieben werden können und nun kleine, von Rosenhecken umgebene Inseln bilden, auf denen die schönsten Gemüse und Früchte erbaut werden.
   Diese Indianer sind nicht wild, sondern eifrige Katholiken und werden Indios fideles genannt, im Gegensatz zu den Indios bravos, den freien, wilden Indianern. Sie haben aus ihrem früheren Glauben manche Anschauung und manchen Brauch mit herüber in ihr Christentum gebracht, es gibt welche unter ihnen, die mehr zu fürchten sind als ein freier Komantsche oder Apache.
   Ein solcher war Benito, der Giftdoktor, der eigentlich Malito hätte genannt werden sollen, denn er hatte die Kenntnis aller inländischen Gifte, ihrer Zubereitung, Anwendung und Wirkung von seinen Vätern ererbt, war gewissenlos genug, einen ausgedehnten Handel damit zu treiben, und hatte vielleicht mehr Menschen ermordet, als unter den Waffen Büffelstirns und Bärenherzens im ehrlichen Kampf gefallen waren.
   Seine Hütte war jedermann bekannt; auch Cortejo kannte sie. Er lenkte jetzt sein Pferd in den kleinen Hof, der neben ihr lag, damit die Besucher hier unbeachtet absteigen konnten, und klopfte an.
   Es wurde ihm erst nach wiederholtem Klopfen geöffnet. Das häßliche Gesicht eines alten Weibes grinste ihm entgegen und fragte:
   »Was wollt Ihr?« – »Ist Benito, der Arzt, zu Hause?« – »Nein. Ich weiß auch nicht, wo er ist und wann er zurückkommt.«
   Da griff Cortejo in die Tasche, zog einen blanken Peso hervor, zeigte ihn der Alten und fragte zum zweiten Mal:
   »Ist Benito zu Hause?« – »Vielleicht. Ich will einmal nachsehen. Gebt das Geld her!« – »Das bekommst du nur dann, wenn er zu Hause ist.« – »Er ist da«, sagte sie nun rasch. »Her damit!« – »Kann ich zu ihm?« – »Ja. Kommt!«
   Cortejo reichte der Alten das Silberstück und trat ein. Sie schloß hinter ihm wieder zu und führte ihn in einen kleinen Raum, der einem Ziegenstall ähnlicher sah als einer menschlichen Wohnung.
   »Setzt Euch nieder«, sagte sie. »Ich werde ihn holen.«
   Als sie verschwunden war, sah er sich in dem Loch nach einem Ding um, auf das er sich der erhaltenen Aufforderung nach setzen konnte, fand aber nichts als einen Haufen weicher Pflanzen, auf den er sich nun niederließ.
   Er mußte wieder einige Zeit warten, bis der Indianer erschien. Er war ein kleiner, hagerer Kerl mit scharfen Zügen und einer fürchterlichen Habichtsnase, auf der eine riesige Brille saß.
   »Was wollt Ihr?« fragte er. – »Kann man offen mit Euch sprechen?« antwortete der Sekretär. – »Ja, aber auch heimlich.« – »Ihr verkauft Arzneien?« – »Ja.« – »Gute und böse?« – »Sie sind alle gut.« – »Ich meine giftige und nicht giftige.« – »Ja. Wollt Ihr etwa über die giftigen mit mir reden?« – »Allerdings.« – »Da muß man vorsichtig sein. Wer seid Ihr?« – »Das zu wissen, ist nicht nötig; aber, daß ich kein Alguazil – Polizist – bin, das kann ich Euch beschwören.« – »Gut! Habt Ihr Geld? Wer mit mir über die Gifte reden will, hat zehn Pesos – 45 Mark – zu geben. Wollt Ihr sie bezahlen?« – »Ja.« – »Her damit!«
   Cortejo griff in die Tasche, nahm die Summe aus dem Beutel und gab sie ihm. Der Indianer steckte die Summe mit einem freundlichen Grinsen in seine weiten Hosen und sagte dann:
   »Nun könnt Ihr fragen!« – »Gibt es ein Gift, das nur scheintot macht?« fragte Cortejo. – »Ja, es gibt sogar mehrere. Wer soll es erhalten?« – »Ein Mann, der ungefähr fünfzig Jahre alt und sehr reich ist.« – »Soll er wieder erwachen?« – »Ja, nach einer Woche.« – »Wann wollt Ihr es haben?« – »Gleich heute, jetzt; ich gebe, was Ihr verlangt.« – »Es kostet hundert Pesos.« – »Ich gebe sie.« – »Gut; das ist ein kurzer, schöner Handel. Wartet ein wenig, bis ich es hole und bringe.«
   Benito entfernte sich und war dieses Mal über eine Stunde fort. Als er wiederkam, hatte er ein kleines Tütchen in der Hand, das er dem Sekretär entgegenstreckte.
   »Hier ist es!« sagte er.
   Cortejo nahm das Tütchen, das kaum den vierten Teil eines Fingerhuts faßte, und fragte:
   »Das ist es wirklich? Darf ich es öffnen?« – »Meinetwegen!«
   Cortejo machte das Papier auf. Es enthielt eine geruch– und farblose Masse, die fast aussah wie zu Mehl zerstoßenes Glas.
   »Darf man es ohne Schaden berühren?« – »Es wirkt nur im Magen«, lautete die Antwort. – »Und wie habe ich es zu geben?« – »Ihr löst es in Wasser auf und tut dieses Wasser in das Essen oder Getränk; es kann sein, was es wolle; es wirkt bereits in einer Nacht.« – »Gibt es ein Mittel dagegen?« – »Nein. Auch ist der Genuß anderer Arzneien der Wirkung nicht hinderlich.« – »So werde ich es behalten und bezahlen. Ihr aber haftet mir für die Wirkung. Versteht Ihr?« – »Ich schwöre nicht, aber Dir werdet sehen, daß dieses Pulver hält, was ich verspreche!« – »Wäre dies nicht der Fall, so würde ich mir mein Geld wiederholen und Euch außerdem noch als Giftmischer anzeigen. Dir wißt, daß darauf die Todesstrafe steht!«
   Der Giftmischer lächelte überlegen und entgegnete:
   »Wer ist schuldig, Señor? Derjenige, der das Gift macht, oder der, welcher es den Menschen eingibt? Ich denke, der zweite noch mehr als der erste. Gebt mir das Geld und geht!«
   Cortejo zog nun hundert Pesos hervor, die etwa 450 Mark betragen, und gab sie ihm; dann steckte er das Gift sorgfältig zu sich, verließ das Haus und bestieg draußen sein Pferd, um eiligst davonzureiten, denn wen man aus Benitos Wohnung kommen sah, den hatte man sofort im Verdacht, ein unheimliches Geschäft abgeschlossen zu haben.


   19. Kapitel

   Als Cortejo den Paseo de la Viga zurückritt, kam ihm ein Reiter entgegen, der den Sitz auf dem Pferd nicht gewöhnt zu sein schien. Er hielt überrascht sein Pferd an. Diesen Mann kannte er und hatte ihn hier nicht vermutet. Er trug eine leichte Sommerkleidung und auf dem Kopf einen wahrhaft riesenhaften Sombrero.
   »Ist es möglich! Seid Ihr es, oder seid Ihr es nicht, Señor Henrico Landola?« fragte er. – »Ja, ich bin es«, antwortete der Gefragte. – »Aber, was tut Ihr hier auf dem Paseo?« – »Ich reite Euch entgegen.« – »Mir?« fragte Cortejo erstaunt. – »Ja. Wißt Ihr denn nicht, daß ich in Verakruz gelandet bin? Habt Ihr den Brief Eures Bruders nicht erhalten?« – »Ich habe ihn erhalten.« – »Nun, so ist ja alles richtig. Ich bin durch das verdammte Räuber– und Fieberland geritten, um das Geschäft mündlich mit Euch zu besprechen. Ich suchte Euch auf, fand aber nur Eure Tochter, die mir sagte, daß ich Euch auf dem Paseo sicher begegnen würde. Das ist auch geschehen.« – »Wie unvorsichtig!« – »Unvorsichtig? Inwiefern?« – »Insofern, als Euch niemand sehen darf. Es kennt Euch hier zwar niemand, aber der Teufel treibt sein Spiel oft wunderbar. Zwei Männer, die ein Geschäft wie das unsrige abzumachen haben, die dürfen von keinem Menschen beisammen gesehen werden.« – »Gut! Mir auch recht!« – »Reitet jetzt spazieren, wohin es Euch beliebt, und kommt heute abend um zehn Uhr an dieselbe Stelle, an der wir uns hier getroffen haben!« – »Schön; ich werde mich einfinden!«
   Landola ritt weiter, und der Sekretär trabte seiner Wohnung zu. Als er zu Hause ankam, erwartete ihn seine Tochter mit Spannung und fragte:
   »Hast du ihn getroffen und das Mittel erhalten?« – »Allerdings. Aber verteufelt teuer ist es!« – »Erzähle!«
   Der Sekretär berichtete Josefa nun in kurzen Worten von seinem Besuch bei Benito, dem Giftdoktor, und sagte dann:
   »Aber wie kannst du den Fehler machen, mir den Kapitän entgegenzuschicken!« – »Einen Fehler? Inwiefern?« – »Es darf mich kein Mensch hier mit ihm sehen!« – »Ein größerer Fehler wäre es gewesen, wenn ich ihm erlaubt hätte, hier auf dich zu warten.« – »Wollte er das?« – »Ja freilich!« – »Unvorsichtiger Mensch!« – »Oh, nicht unvorsichtig, sondern dreist!« sagte sie sehr indigniert. – »Dreist? Weshalb?« – »Der Kerl wollte mich küssen!« – »Küssen?« Der Sekretär machte nicht etwa ein zorniges, sondern ein ganz erstauntes, sogar ein geradezu verdutztes Gesicht, denn er hatte noch nie einen Menschen gekannt, der den sonderbaren Appetit gehabt hatte, seine Tochter zu küssen. »Was fällt ihm ein!« – »Ja, was fällt ihm ein!« rief diese. »Mich, eine spätere Gräfin, küssen zu wollen!« – »Na, na«, beschwichtigte er, »ein Kuß ist doch nichts gar so Schlimmes!« – »Wie? Ich glaube gar, du hilfst ihm!« – »Laß gut sein!« lachte er. »Ich meine, der Kapitän hat nur Spaß gemacht.« – »Spaß? Er streckte bereits die Arme nach mir aus!« – »Hättest du es doch darauf ankommen lassen. Ich wette, er hätte dich nicht geküßt!« – »Nicht?« fragte sie. »Meinst du etwa, daß ich nicht hübsch genug zum Küssen bin?« – »Wer sagt denn, daß ich dieses meine?« entschuldigte er sich. »Diese Seeleute sind Spaßvögel. Man darf ihnen nichts übel nehmen. War er allein?« – »Ja.« – »Sprach er von unserem Geschäft?« – »Nein, kein Wort.« – »Und auch du nicht?«
   Josefa wurde ein wenig verlegen und antwortete:
   »Ich fing davon an, aber er ging nicht darauf ein.« – »Das glaube ich. Ein Mann wie Henrico Landola spricht über solche Dinge nicht mit Frauen. Ich glaube, daß er eher sein Schiff mit Mann und Maus auf den Grund treiben läßt, ehe es ihm einfällt, ein Weib zur Mitwisserin eines Geheimnisses zu machen. Sagtest du ihm, wo ich war?« – »Das fällt mir gar nicht ein. Ich sagte ihm nur, daß er dich auf dem Paseo treffen könne. Ihr habt euch also wirklich gesehen?« – »Ja, und er teilte mir mit, daß er bei dir gewesen sei. Ich habe übrigens nur einige Worte mit ihm gewechselt und ihn für heute abend auf dem Paseo wieder bestellt.« – »Das ist recht«, sagte sie, und stolz setzte sie hinzu: »Ich müßte gewärtig sein, er böte mir abermals einen Kuß an. Mein Mann soll mich einst vollständig ungeküßt bekommen!« – »Da bist du eine außerordentliche Seltenheit«, lachte ihr Vater ironisch. Sie wünschte dieses Thema abzubrechen und fragte daher
   »Also, du hast das Mittel? Was ist es? Ein Pulver oder eine Tinktur?« – »Ein Pulver.« – »Zeige es.«
   Der Sekretär öffnete das Tütchen und zeigte seiner Tochter den Inhalt.
   »Ah! Was kostet es?« – »Hundertundzehn Pesos in summa.« – »Wie! Das ist ja viel zu viel! Dieser Benito ist ein Schelm!« – »Wenn es wirkt, so mag es sein!« – »Wann wirst du es anwenden? Noch heute?« – »Ich muß warten. Alfonzo ist noch nicht da.« – »Der braucht nicht notwendigerweise dabeizusein!« – So muß ich wenigstens vorher mit Kapitän Landola sprechen.« – »Dann kann Don Ferdinando das Pulver also morgen bekommen?« – »Möglicherweise!« – »Aber wie?« – »Ich habe auch bereits drüber nachgedacht, doch vergebens.« – »Diese alte Marie läßt keinen Menschen zu ihm. Sie wacht über ihn wie ein Drache.« – »Es muß sich aber irgendein Weg finden lassen. Wir wollen darüber nachdenken.« – »Wie wirkt das Mittel?« – »Es wirkt innerhalb einer Nacht, und die Wirkung hält eine volle Woche an.« – »So wird er vielleicht sterben.« – »Warum?« – »Weil er verwundet ist.« – »Das ist dann meine Schuld nicht. Ich will ihn scheintot machen, stirbt er, so ist mein Gewissen frei von einem Vorwurf. Nur ein Bedenken habe ich. Daß der Arzt es merkt, wenn der Graf bloß scheintot, aber nicht völlig tot ist.« – »Das ist allerdings bedenklich. Er wird ihn nicht begraben lassen wollen.« – »In diesem Klima treten die Kennzeichen des wirklichen Todes schnell ein. Man sieht sie bereits am nächsten Tag.« – »Sind diese nicht künstlich hervorzubringen? Wirkt keine Säure oder ein scharfes Kraut?« – »Vielleicht der Saft des Schöllkrauts oder der Wolfsmilch. Aber unsereiner muß vorsichtig sein. Man ist kein Chemiker, man kennt das nicht und kann sehr leicht einen Fehler begehen.« – »Ah, du bist dumm gewesen!« erwiderte Josefa. »Benito hätte vielleicht ein Mittel gehabt.« – »Wahrhaftig! Daran habe ich gar nicht gedacht!« – »Du mußt noch einmal hinaus zu ihm, und zwar heute noch.« – »Du hast recht. Ich kann zu ihm gehen, bevor ich mich mit dem Kapitän treffe. Es ist dann bereits dunkel, und man wird mich in Sant‘ Anita nicht zum zweiten Mal sehen.«
   Es blieb bei diesem Entschluß. Eine gehörige Zeit vor dem Stelldichein machte Cortejo sich auf und ging hinaus nach dem Dorf. Reiten wollte er nicht, weil dies bei einer Unterredung mit Landola zu unbequem gewesen wäre. Als er bei Benito anklopfte, erschien die Alte wieder und fragte in die Dunkelheit hinein:
   »Wer ist da?« – »Ein Bekannter«, antwortete Cortejo, »und zwar der Señor, der heute hiergewesen ist.«
   Jetzt erkannte sie den Sekretär an der Stimme.
   »Ah, der mir einen Peso gab! Oh, ein Peso ist gut! Was wollt Ihr?« – »Ist Señor Benito zu Hause?« – »Nein, er ist ausgegangen.« – »Wann kommt er wieder?« – »Ich weiß es nicht.« – »Sagt nur die Wahrheit, Señora. Ich habe wirklich sehr notwendig mit ihm zu sprechen.« – »Sehr notwendig?« fragte sie mit schlauer Betonung. »Das merke ich nun eben nicht.« – »Ah, Ihr wollt abermals einen Peso? Wenn ich ihn Euch nun gebe, ist Benito dann zu Hause?« – »Ja.« – »Nun, da habt Ihr ihn.«
   Er zog das Silberstück aus der Tasche und gab es ihr.
   »So kommt!« sagte sie jetzt.
   Dann schloß sie die Tür auf, ließ Cortejo eintreten und führte ihn in dasselbe Loch, wo er bereits einmal gewartet hatte. Es dauerte nicht lange, bis der Giftmischer erschien.
   »Was wollt Ihr?« fragte er. – »Ich habe heute etwas vergessen, und zwar die Frage an Euch zu richten: Bekommt ein Scheintoter Verwesungsflecke?« – »Nein.« – »Aber diese müssen doch in meinem Fall vorhanden sein; es ist notwendig.« – »Hm, das ist schlimm!« entgegnete Benito mit schlauem Lächeln. »Wollt Dir nicht lieber den Mann gleich töten? Dann werden die Flecken sicher zu sehen sein.« – »Nein, sterben soll er nicht.« – »So müßt Ihr sehen, wie Ihr ohne die Flecke auskommt.« – »Der Arzt wird ohne sie die Leiche nicht begraben lassen.« – »Das ist seine und Eure Sache, aber nicht die meinige.« – »Kann man diese Flecke denn nicht künstlich hervorbringen?« – »Hm, vielleicht.« – »Vielleicht? Ich denke, Dir müßt so etwas genau wissen?« – »Ich weiß es auch gewiß. Es geht schon, wenn man das rechte Mittel hat, und ich besitze auch dieses Mittel.« – »Kann ich es bekommen?« – »Ich weiß nicht, ob es Euch nicht zu teuer ist.« – »Benito, Ihr seid ein Schelm. Ihr wollt nur Geld von mir erpressen. Was kostet das Mittel?« – »Zehn Pesos.« – »Das ist zu teuer. Ich fürchte, Ihr werdet mir ein paar Tropfen Säure oder Pflanzensaft geben, der kaum einige Tlacos wert ist.« – »Nun, dann geht und macht Euch das Mittel selbst, wenn es Euch bei mir zu teuer ist.« – »Hole Euch der Teufel! Dir wißt, daß ich nichts davon verstehe. Fünf Pesos will ich geben.« – »Gebt zehn oder geht fort. Anders nicht.«
   Benito tat, als wolle er sich entfernen.
   »Halt, ich gebe dir zehn!« sagte jetzt Cortejo eilig. – »So wartet. Ich werde das Mittel holen.«
   Der Indianer ging und kehrte bereits nach einigen Minuten mit einem Fläschchen zurück, in dem sich eine gelbliche Flüssigkeit befand.
   »Wißt Ihr die Stellen, an denen sich bei einem Verstorbenen die Verwesungsflecke zeigen?« fragte er. – »Ja.« – »So tränkt ein Läppchen mit dieser Flüssigkeit und reibt die Stellen damit ein. Je mehr Dir nehmt, desto dunkler werden sie.« – »Ihr meint, ich müsse in der Mitte mehr nehmen als am Rand?« – »Das versteht sich.« – »So gebt her. Hier habt Ihr das Geld.«
   Cortejo gab die zehn Pesos hin, die der Indianer mit einem vergnügten Schmunzeln in seine Tasche versenkte, denn er hatte heute eine Einnahme gehabt, wie selten bisher.
   Als der Sekretär ging, stand die Alte bereits an der Tür, um sie zu öffnen. An dieser Höflichkeit waren nicht nur die beiden Pesos schuld, sondern sicher auch der Umstand, daß er sie jetzt bei seinem zweiten Besuch nicht du, sondern Ihr genannt hatte.
   Er schritt nun langsam dem Paseo zu, denn er hatte noch Zeit bis zur Stunde des Rendezvous. Dennoch traf er den Kapitän bereits an.
   »Ah, pünktlich!« sagte dieser, als er ihn erkannte. »Das ist recht; ich liebe das!« – »Ich ebenso. Wo habt Ihre Eure Zeit hingebracht, Señor Landola?« – »Ah, es gibt verschiedene Spelunken, in denen man sich Wohlbefinden kann; man spricht aber nicht davon«, lautete die Antwort. »Gebt mir Euren Arm, wir wollen zur Sache kommen!«
   Sie schritten, Arm in Arm, dabei leise flüsternd, weiter.
   »Also Ihr habt den Brief Eures Bruders Gasparino erhalten?« begann der Seekapitän. – »Ja. Und Ihr Eure Instruktion, Señor?« – »Nein.« – »Ah, ich dachte doch.« – »Hm, Ihr drücktet Euch nur falsch aus, Señor«, sagte Landola mit einem kurzen Lachen. – »Wieso?« – »Weil Kapitän Henrico Landola sein eigener Herr und Meister ist. Er läßt sich von keinem anderen einen Befehl oder eine Instruktion erteilen.« – »So verzeiht! Ich hatte das Wort nicht im Sinne einer Subordination gemeint.« – »Dann ist es gut. So will ich Euch also sagen, daß Euer Bruder mich gebeten hat, eine Fracht aufzunehmen, die Ihr mir abliefern werdet.« – »Welche Fracht ist es?« – »Hm, vielleicht ein Mensch!« entgegnete der Kapitän leichthin. – »Tot oder lebendig?« – »Mir egal. Ich weiß nur, daß er später wieder lebendig sein wird.« – »Was sollt Ihr mit ihm tun?« – »Ihn verschwinden lassen.« – »Wo?« – »Das steht in meinem Belieben.« – »Wer bezahlt Euch die Kosten?« – »Euer Bruder.« – »Sind sie bereits entrichtet?« – »Ich rechne später mit ihm ab.« – »So habe ich Euch nichts zu bezahlen?« – »Nein. Wann kann ich diese Fracht erhalten?« – »Wie lange liegt Ihr im Hafen?« – »Bis die Sache in Ordnung ist. Doch hoffe ich, daß Ihr mich in dem verdammten Fiebernest nicht auf die Folter spannen werdet, sonst segle ich auf und davon. Ich habe keine Lust, zu sterben.« – »Ich werde mich beeilen. Wißt Ihr, um wen es sich handelt?« – »Nein. Ich nehme meine Fracht auf und bekümmere mich den Teufel darum, wer es ist.«
   Wenn es hell gewesen wäre, so hätte Cortejo an der Miene des Kapitäns sehen können, daß er log. Landola durchschaute sämtliche Pläne der beiden Brüder Cortejo und hatte sich bereits längst im stillen vorgenommen, seinen Vorteil dabei zu wahren.
   »Aber er wird Euch seinen Namen sagen«, bemerkte der Sekretär. – »Ich werde es ihm nicht glauben.« – »Eure Matrosen werden es hören.« – »Es wird kein einziger ihn zu sehen bekommen.« – »Werden wir später erfahren, wohin Ihr ihn schafft?« – »Vielleicht. Das kann ich jetzt noch nicht wissen.« – »Gut. Ich nehme an, der Mann stirbt morgen …« – »Wann wird er da begraben?« – »In zwei Tagen eigentlich, aber sein Sohn ist nicht da …« – »So begräbt man ihn in dessen Abwesenheit.« – »Das geht nicht gut an.« – »Ah, dann ist es ein vornehmer Mann! Alle Teufel, so wird am Ende gar ein solcher Doktor sagen, daß er ihn konservieren und einbalsamieren wolle.« – »Das werde ich nicht zugeben. Man kann ja vorschützen, daß dies in der Familie nie gebräuchlich gewesen sei oder daß der Verstorbene irgendein Vorurteil gegen dergleichen Manipulationen gehabt habe.« – »Richtig. Wie aber bringen wir ihn nach dem Hafen?« – »Ihr selbst wollt ihn holen?« fragte Cortejo schnell. – »Nein. Dieses ›wir‹ galt Euch, aber nicht mir.« – »Hm. Im Sarg doch nicht.« – »Nein. Das wäre zu auffällig.« – »In einem Kasten?« – »Da erstickt er.« – »Man bohrt Löcher.« – »Ist erst recht auffällig.« – »So wird ein leichter Korb das beste sein.« – Jedenfalls. Aber wie bringt Ihr diesen zur Küste?« – »Auf Maultieren.« – »Und auf das Schiff?« – »Das Einschiffen des Korbes wird Eure Sache sein, Señor Landola.« – »Hm, das ist mir nicht lieb! Aber meinetwegen, ich werde Euch den Gefallen tun. Seht nur zu, daß Euch der Korb unterwegs nicht abhanden kommt.« – »Das macht mir allerdings Sorge. Der Weg von hier zur Küste ist keineswegs sicher. Es treiben da allerhand rote und weiße Kerle ihr Wesen, denen nicht zu trauen ist.« – »Ihr müßt für eine gute Bedeckung sorgen.« – »Das ist schwierig. Man müßte die Leute einweihen.« – »Nicht nötig. Geht doch selbst mit.« – »Ich kann nicht.« – »So habt Ihr ja einen Sohn.« – »Hm! Auch dieser kann eigentlich nicht. Aber ich werde es mir überlegen. Wie aber merkt Ihr, daß wir angekommen sind, Señor Capitano?« – »Sehr einfach; Ihr sendet mir einen Boten auf das Schiff.« – »Ihr kommt dann selbst?« – »Das weiß ich noch nicht! Ihr schafft den Korb doch nicht etwa bis in die Stadt hinein?« – »Fällt mir nicht ein!« – »So sucht Euch einen recht einsamen Platz an der Küste aus, wo ein Boot gut landen kann. Sobald ich höre, daß Dir dort seid, komme ich des Nachts und hole den Korb ab.« – »Recht so.« – »Auch ich will mich bewaffnen. Nun aber sind wir wohl zu Ende. Oder habt Ihr noch etwas?« – »Ich wüßte nichts.« – »So wollen wir uns verabschieden.« – »Habt Ihr solche Eile?« – »Sagtet Ihr heute nicht selbst, daß man vorsichtig sein müsse?« – »Heute abend sieht uns kein Mensch.« – »Aber ich habe noch eine kleine Zerstreuung vor, Señor Cortejo. Ihr wißt, das Leben zur See ist verdammt langweilig; kommt man dann einmal an Land, so wird man doch kein Esel sein.« – »Ich verstehe. Also gute Nacht, Señor.« – »Gute Nacht. Beeilt Euch also mit dem Begräbnis.« – »Es soll rasch genug gehen.«
   Die beiden Biedermänner gingen auseinander.
   Graf Ferdinando, der verwundet auf seinem Ruhebett lag, hatte keine Ahnung davon, daß bereits über sein Begräbnis verfügt war.
   Das Glück, oder vielmehr der Teufel, war Cortejo günstig gesinnt. Nämlich als er den Palast seines Herrn erreichte und nach seiner Wohnung gehen wollte, traf er auf die alte Marie Hermoyes, die vom Brunnen kam und ein volles Wasserglas in der Hand trug.
   »Wie geht es Don Ferdinando?« fragte er. – »Er klagt nicht«, entgegnete sie. – »Hat sich das Wundfieber bereits eingestellt?« – »Nein; aber einen schrecklichen Durst hat er. Ich muß ihm fast viertelstündlich ein Glas Wasser holen.« – »Gleich vom Brunnen, wie ich sehe?« – »Ja. Es muß kalt sein.« – »War der Arzt wieder hier?« – »Zweimal.« – »Was sagt er?« – »Daß keine edlen Teile verletzt sind; es ist daher nichts zu befürchten, wenn nicht etwas Unerwartetes dazwischenkommt.« – »Wünschen wir, daß der Graf bald gesund sei. In so heißen Gegenden kann die kleinste Verletzung lebensgefährlich werden.« – »Das ist wahr. Aber ich habe keine Zeit, Señor. Gute Nacht!« – »Gute Nacht.«
   Sie hatten vor der Tür zu der Wohnung Maries gestanden. Jedenfalls hatte die Alte in der letzteren schnell zu tun oder etwas zu holen. Sie setzte deshalb das Glas einstweilen in eine nahe Mauernische und trat in das Zimmer.
   Cortejo hatte sich kaum von der Stelle gerührt. Das Pulver steckte in seiner Tasche. Ein rascher Blick überzeugte ihn, daß er allein und unbemerkt sei. In fieberhafter, zitternder Eile zog er das Tütchen hervor, öffnete es und schüttete den Inhalt in das Glas; dann entfernte er sich mit schnellen Schritten.


   20. Kapitel

   Cortejos Tochter Josefa war noch nicht zur Ruhe gegangen, sondern erwartete ihren Vater. Sie war seine Vertraute, in gewissen Dingen noch raffinierter und entschlossener als er, und er wußte, daß er ihr vertrauen könne. Darum hatte er selten ein Geheimnis vor ihr.
   »Hast du ihn getroffen?« fragte sie. – »Ja.«
   Der Ton dieses Wortes war ein eigentümlich rauher und heiserer. Josefa blickte ihn daher verwundert an und sagte:
   »Ah, du bist ja ganz erregt, du wechselst die Farbe.« – »Das denkst du nur.« – »Nein, ich sehe es. Was ist‘s?« – »Nichts, als das rasche Gehen.« – »Ja, ich hörte deine schnellen Schritte. Seid ihr klar miteinander?« – »Ja.« – »Wann soll es geschehen?« – »Sobald wie möglich.« – »Und dann?« – »Dann wird er begraben. Wir nehmen die Leiche aus dem Sarg und schaffen sie in einem Korb nach der Küste, wo sie von dem Kapitän in Empfang genommen wird.« – »Das klingt leicht und gut. Aber hast du von dem Indianer das Mittel erhalten?« – »Ja; es besteht in einem Saft, für den ich zehn Pesos habe bezahlen müssen.« – »Dieser Benito ist ein Schuft!« – »Oh, er hält auch mich für nichts anderes«, lachte der Sekretär. – »Ich habe nachgedacht, wie wir dem Grafen das Pulver beibringen werden«, sagte sie, »aber nichts Sicheres gefunden.« – »So bin ich glücklicher gewesen, und zwar durch Zufall.«
   Josefa sah ihren Vater an, und als sie den unheimlichen Glanz seines Auges und die Röte seiner sonst so bleichen Wangen bemerkte, sagte sie:
   »Du hast etwas, gestehe es mir!« – »Nun«, lächelte er, »ich gestehe, daß du vorhin mit der Behauptung, daß ich erregt sei, recht hattest.« – »Worüber warst du es?« – »Über das Gelingen unseres Anschlags.« – »Ah«, sagte sie, freudig erstaunt, »er ist bereits gelungen?« – »Ja, ich glaube, daß Don Ferdinando in diesem Augenblick das Gift bereits in seinen Adern hat!« – »Nicht möglich!« rief Josefa, indem ihre Eulenaugen unheimlich erglühten. – »Nicht nur möglich, sondern sogar gewiß!« – »Wie hast du es ihm beigebracht?« – »Durch ein Glas Wasser.«
   Cortejo erzählte seiner Tochter, wie ihm sein verbrecherischer Streich geglückt war. Sie hörte ihm staunend zu und schlug, als er geendet hatte, in wortlosem Entzücken die Hände zusammen.
   »Gott sei Danke«, sagte sie. »Nun haben wir gewonnen; nun ist alle Ungewißheit vorüber; nun weiß ich gewiß, daß ich Gräfin werde! Wann kann Alfonzo hiersein?« – »In einigen Tagen. Hat er sich aber gesputet, so könnte er bereits am morgenden Tag eintreffen.« – »So werde ich diese Nacht vor Freude und Erwartung nicht schlafen.« – »Du wirst aber dennoch wohltun, dein Schlafzimmer aufzusuchen. Wenn mit dem Grafen etwas Ungewöhnliches passiert, wird man natürlich alle wecken. Jedermann wird im Negligé erscheinen, und dann könnte es auffallen, wenn du vollständig angekleidet bist. Wir müssen auch im kleinsten vorsichtig sein.« – »Du hast recht. Ich setze nun den Fall, der Graf verfällt in Starrkrampf. Wirst du dann dieser Marie die Herrschaft im Krankenzimmer überlassen?« – »Das fällt mir gar nicht ein!« – »Ich wollte es dir auch raten und dich zugleich warnen.« – »Weshalb?« – »Der Graf scheint ein anderes Testament gemacht zu haben.« – »Donnerwetter!« fluchte Cortejo überrascht. – »Ja, ich vermute es wenigstens.« – »Aus welchem Grund?« – »Nicht wahr, man pflegt vor einem Duell stets erst seine Angelegenheit in Ordnung zu bringen?« – »Allerdings. Jedenfalls hat dies Don Ferdinando auch nicht versäumt.« – »Er hat sehr lange geschrieben, wie der Diener sagte.« – »Das ist aber noch kein Grund zu der Vermutung, daß er ein neues Testament angefertigt habe.« – »Ich habe noch andere Gründe. Warum hält er das, was er schrieb, so geheim? Warum verschließt er es nicht in seinem Schreibtisch, wo er doch Ähnliches aufzubewahren pflegt?« – »Er hat es anderswo aufbewahrt?« – »Ja. In den Händen dieser alten Marie Hermoyes.« – »Alle Teufel!« rief Cortejo bestürzt. »Weißt du das genau?« – »Ja. Sie ist mit einem großen, fünffach versiegelten Kuvert aus seinen Gemächern gekommen, und als sie nach dem Duell zu ihm gerufen wurde, hat sie dieses Kuvert wieder mitgebracht.« – »Wer sagte dieses?« – »Der Kammerdiener.« – »Das ist allerdings auffällig! Mir hat er gestern ein so großes Mißtrauen gezeigt und ihr ein ebenso großes Vertrauen. Er hat sicherlich eine Änderung seines Testaments vorgenommen.« – »Ich zweifle nicht daran.« – »Aber was sollte er verändern? Alfonzo bleibt doch der Erbe.« – »Oder auch nicht«, meinte Josefa. »Don Ferdinando ist mit ihm nicht zufrieden, er kann ihn enterben, da Alfonzo nur der Neffe ist.« – »Das ist richtig. Und dabei ist auffällig, daß er gerade dieser Amme sein Vertrauen schenkt.« – »Ja, sie hat Alfonzo einst herübergebracht und kann vielleicht etwas ahnen.« – »Sollte sie diese Ahnung dem Grafen mitgeteilt haben?« – »Wir müssen sie unschädlich machen, Vater!« – »Wenn sie uns zwingt, ja.« – »Wo denkst du, daß der Graf das Kuvert aufbewahrt hat?« – »Jedenfalls im mittelsten Fach des Schreibtischs, wo alles Wichtige zu liegen kommt.« – »So ist das erste, was du tun mußt, dieses Fach zu öffnen, wenn das Pulver wirkt.« – »Ich werde es möglich zu machen suchen. Jetzt aber gute Nacht!« – »Schlafe wohl! Ich werde nicht schlafen können.«
   Cortejo ging zur Ruhe. Auch seine Tochter suchte ihr Schlafzimmer auf, doch fand sie, wie sie vorausgesagt hatte, den Schlummer nicht, sondern sie lag mit wachen Augen auf dem Bett und träumte von zukünftiger Herrlichkeit und von einem üppigen, glänzenden Leben. Daß dieses Leben nur mit schweren Verbrechen erkauft worden sei, das machte ihr nicht das mindeste Bedenken.
   So verging eine Stunde nach der anderen, und Cortejo lag bereits im tiefsten Schlaf, da klopfte es hastig an seine Tür. Er erwachte und fragte, wer draußen sei.
   »Arnoldo, der Diener«, antwortete es. – »Was willst du?« – »Oh, bitte, Señor, öffnet mir!« – »Warum?« – »Öffnet schnell! Es muß mit Don Ferdinando etwas passiert sein!« – »Gleich!«
   Cortejo sprang jäh aus dem Bett, fuhr in den Schlafrock und brannte schnell ein Licht an; dann öffnete er die Tür, und der Diener trat ein.
   »Was ist denn mit ihm passiert?« fragte der Sekretär. – »Ich weiß es nicht. Ich hatte heute die Wache. Ich saß auf dem Stuhl im Vorzimmer und schlummerte ein wenig; da hörte ich einen Schrei. Er kam aus der Krankenstube, die von innen verschlossen ist. Ich fragte, was es gebe, erhielt aber keine Antwort. Die alte Marie klagte und jammerte darauf zum Erbarmen, öffnete aber nicht. Da bin ich denn fortgelaufen, um es Euch zu melden, Señor.« – »Daran hast du recht getan. Wir müssen die Sache sofort untersuchen.«
   Cortejo folgte dem Diener nach dem Vorzimmer, wo sie allerdings die Amme klagen hörten. Sie klopften, aber es erfolgte keine Antwort.
   »Aufgemacht!« rief da Cortejo gebieterisch und stieß mit dem Fuß gegen die Tür.
   Dies brachte die fast sinnlose Alte zu sich. Sie kam herbei und öffnete.
   »Was ist geschehen?« fragte der Sekretär. – »Oh, der liebe, gute, gnädige Herr!« jammerte sie weinend. – »Was ist mit ihm?« – »Er ist tot – tot – tot!«
   Cortejo trat an das Lager des Grafen und blickte diesen an. Don Ferdinando lag in der Tat bleich und mit eingefallenem Gesicht da wie eine Leiche.
   »Wann ist es geschehen?« fragte er die Amme. – »Ich weiß es nicht«, antwortete sie. – »Du mußt es wissen, du hast ja bei ihm gewacht!« – »Ich schlummerte, und als ich aufwachte, da war er tot. Ich weiß nicht, wie lange ich nachher geweint habe!« – »Unglückliche, du bist vielleicht schuld an seinem Tod!« donnerte er sie an. »Warum hast du nicht geöffnet, als der Diener herein wollte? Es wäre wohl noch Rettung möglich gewesen!« – »Nein; er war bereits tot!« entschuldigte die Alte sich.
   Der Blick Cortejos war gleich beim Eintreten nach dem Schreibtisch geglitten, er sah, daß der Schlüssel im Schloß steckte.
   »Geht, weckt die Leute und holt den Arzt herbei. Schnell, schnell!« gebot er.
   Auf diesen Befehl eilte der Diener fort, und auch die Amme verließ händeringend das Zimmer. Mit raschen Schritten stand Cortejo nun am Schreibtisch, öffnete das Fach und sah das Kuvert, nahm dieses, steckte es in seine Tasche und verschloß das Fach wieder. Dann eilte er den beiden nach.
   Dies war so schnell gegangen, daß die Amme eben erst die Tür des Vorzimmers erreicht hatte. Hier faßte Cortejo ihren Arm und sagte:
   »Halt, Marie! Nicht wahr, Don Ferdinando hatte Vertrauen zur dir?« – »Oh, mehr als zu jedem andern«, antwortete sie schluchzend. – »Gut, du sollst auch jetzt bei ihm bleiben, bis das Gericht kommt. Du sollst darüber wachen, daß nichts abhanden kommt. Gehe wieder hinein; ich werde die Leute selbst wecken.«
   Das war der Alten recht. Sie kehrte in das Krankenzimmer zurück und begann ihr Wehklagen von neuem.
   Auf Cortejos Ruf erwachten alle Bewohner des Palastes und eilten herbei, um sich von dem unerwarteten Tod ihres Gebieters zu überzeugen. Es erhob sich ein großes Klagen, das erst endete, als der Arzt erschien.
   Dieser war im höchsten Grade bestürzt über das unerwartete Ereignis und jagte zunächst die heulenden Weiber und Diener fort. Nur Cortejo nebst dem Kammerdiener und der Amme erlaubte er zu bleiben.
   Darauf untersuchte der die Leiche, schüttelte den Kopf und sagte: »Tetanus, Starrkrampf. Er ist noch warm. Wir müssen noch warten.«
   Cortejo fürchtete, daß er auf den Gedanken kommen werde, eine Ader zu schlagen; das war aber nicht der Fall. Der Arzt erklärte nur, bis zum Morgen selbst bei der Leiche bleiben zu wollen, und so zog sich denn der Sekretär mit dem Diener zurück. Nur Marie, die Amme, blieb bei dem Doktor.
   Als Cortejo in sein Zimmer zurückkehrte, fand er Josefa seiner wartend. Sie war, wie auch die andern, vorhin im tiefsten Negligé zu der Leiche geeilt, hatte sich aber jetzt wieder angekleidet.
   »Hast du den Brief?« war ihre erste Frage. – »Ja, ich fand ihn im mittleren Fach.« – »Was enthielt er?« – »Es steht keine Adresse darauf. Laß uns sehen!«
   Cortejo erbrach die Siegel, zog die Bogen aus dem Kuvert, entfaltete sie und las. Er wurde blaß.
   »Was ist‘s?« fragte Josefa besorgt. – »Da, lies selbst!« entgegnete er, als er fertig war.
   Seine Tochter folgte der Aufforderung: auch sie entfärbte sich. Als sie zu Ende war, warf sie die Bogen zur Erde.
   »Dachte ich es mir doch!« rief sie. – »Ich auch!« sagte er. – »Enterbt!« – »Keinen Heller hätten wir bekommen!« – »Dieser Marie hat er einen förmlichen Reichtum ausgesetzt«, zürnte das ergrimmte Mädchen. – »Und wir sollten in eine Untersuchung verwickelt werden. Es sollte nachgewiesen werden, daß Alfonzo wirklich Graf von Rodriganda sei.« – »Wie gut, daß wir diesen Wisch haben!« – »Verbrenne ihn!« – »Es ist doch nicht bemerkt worden, daß du beim Schreibtisch warst?« – »Nein.« – »Auch die Amme hat nichts gesehen?« – »Nein. Es ist so schnell gegangen, daß sie ganz sicher glaubt, ich habe hinter ihr sogleich das Zimmer verlassen.« – »So steht nichts zu befürchten?« – »Nicht das mindeste.« – »Gut. Der Brief wird verbrannt, und damit ist alle Besorgnis verschwunden. Nun fehlt nur noch Alfonzo.« – »Ich werde in seinem Interesse handeln. Die Behörde wird sich zunächst in allem an mich, als den Sekretär des Verstorbenen, wenden müssen.« – »Wie steht es mit den Verwesungsflecken?« – »Es wird sich eine Gelegenheit finden, sie anzubringen.« – »Für dich oder für mich?« – »Für mich. Ich verstehe das besser.« – »Bleibt der Graf im Zimmer liegen?« – »Nein, das wird gerichtlich verschlossen, bis das Testament eröffnet ist.« – »Wann wird dies geschehen?« – »Nach hiesigen Gesetzen noch heute, um zu sehen, wer der Erbe ist und hier zu gebieten hat.« – »Aber wohin kommt die Leiche?« – »Auf ein Paradebett im großen Salon. Bereite alles Nötige dazu vor. Er wird schwarz ausgeschlagen.« – »Mein Gott, gibt es da zu tun!« – »Für mich ebenso. Ich habe für den Sarg zu sorgen und alles übrige zu leiten. Der Tag graut bereits. Ich werde die Arbeit sogleich beginnen.« – »Ich ebenso, und zwar mit diesem Papier.«
   Damit warf Josefa das Kuvert samt Inhalt in den Kamin und verbrannte es.
   Nach einigen Stunden wurde Cortejo zu dem Arzt gerufen.
   »Sie sind der Sekretär von Don Ferdinando?« fragte dieser. – »Ja.« – »Sie haben alle seine Angelegenheiten geleitet?« – »Allerdings.« – »So erkläre ich Ihnen, daß der Graf wirklich tot ist.«
   Cortejo machte ein sehr erschüttertes Gesicht.
   »Ist das möglich!« klagte er. – »Auch ich hielt es für unmöglich, mußte aber doch endlich daran glauben.« – »Sie sagten, es sei Tetanus?« – »Ja. In unserem südlichen Klima kann die kleinste Verletzung zum Tod durch Starrkrampf führen.« – »Oh, Señor, es ist nicht allein das Klima schuld«, bemerkte Cortejo. – »Was sonst?« – »Die Familie de Rodriganda ist zu Tetanus geneigt.« – »Ah, der Starrkrampf ist erblich in der Familie?« fragte der Arzt überrascht. – »Allerdings. Der Vater sowohl als auch der Großvater des Grafen starben daran. Dieser traurige Fall ist bereits seit vier Jahrhunderten bei den Rodriganda erblich, wie ich ganz genau weiß.« – »Oh, so bin ich beruhigt, so habe ich mir keine Vorwürfe zu machen.« – »Gewiß nicht, Señor. Aber, werden Sie mir gestatten, die Leiche von hier zu entfernen? In einer halben Stunde werden die Vertreter der Behörde erscheinen, um die Nachlaßangelegenheit zu ordnen.« – »Wollen wir die Leiche nicht öffnen?« – »Ich möchte diese Frage verneinen.« – »Warum?« – »Kein Rodriganda ist geöffnet worden, eben des Starrkrampfs wegen. Es ist das so eine Art von Familientradition.« – »Das müßte man allerdings respektieren.« – »Ich bitte darum, Señor. Ich weiß genau, daß Don Ferdinando, so oft vom Tod die Rede war, stets sehr energisch gegen das Messer protestiert hat. Übrigens frage ich, ob ich mir eine geschäftliche Bemerkung gestatten darf?« – »Sprechen Sie, Señor.« – »Sie erhielten als Hausarzt des Grafen ein Gehalt von vierhundert Pesos?« – »Ja.« – »Es ist Gebrauch der Familie Rodriganda, beim Todesfall dem Hausarzt ein fünffaches Gehalt auszuzahlen. Sollten Sie im Testament nicht erwähnt sein, so werde ich den Erben veranlassen, sich dieses Gebrauchs zu erinnern.«
   Der Arzt verbeugte sich sehr dankbar. Mit dieser Bemerkung hatte der schlaue Sekretär den Widerstand von vornherein gebrochen. Der Doktor fragte nur noch:
   »Wer wird der Erbe sein?« – »Don Alfonzo, wie ich vermute.« – »Sie waren als Zeuge zugegen, als der jetzt verstorbene Graf sein Testament abfaßte?« – »Ja.« – »So kann ich Ihre Vermutung als Gewißheit nehmen. Wollen Sie die Gewogenheit haben, mich Don Alfonzo zu empfehlen? Ich habe stets das Vertrauen Don Ferdinandos besessen.« – »Ich werde mein Möglichstes tun, Señor!« antwortete Cortejo bejahend. – »So werde ich Ihnen für die Herren von der Behörde den Totenschein ausstellen, behalte mir aber eine nochmalige Untersuchung der Leiche vor, ehe sie beerdigt wird.« – »Ich bitte sogar darum, Señor.«
   Somit war die Hauptsache in Ordnung gebracht.
   Man hatte den Toten noch nicht fortgeschafft, als die Gerichte erschienen. Die alte Amme mußte sich entfernen, und nur Cortejo durfte bleiben als derjenige, der zu Lebzeiten des Grafen diesen zu vertreten gehabt hatte.
   Don Ferdinando hatte sein erstes Testament bei der Behörde deponiert; dieses wurde jetzt geöffnet. Es stellte sich heraus, daß Alfonzo der einzige Erbe sei. Ferner war hervorzuheben, daß dem Erben anempfohlen wurde, den Sekretär, dem überdies ein höchst beträchtliches Legat zufiel, in seinem Dienst zu behalten. Auch sämtliche Bedienstete waren bedacht, doch sollten sie dies erst nach dem Begräbnis erfahren.
   »Und wo befindet sich Graf Alfonzo?« fragte der Testamenteröffner. – »Auf einer fernen Hazienda.« – »Wann kehrt er zurück?« – »Vielleicht heute, spätestens in einigen Tagen.« – »Lassen Sie mich sein Eintreffen sofort erfahren, Señor. Ich werde ihn besuchen, um das Nötige mit ihm zu bereden. Für jetzt aber erteile ich Ihnen Vollmacht, im Sinne des Testaments für die Beerdigung zu sorgen und das übrige zu leiten. Wo befinden sich die Papiere des Verstorbenen?« – »In der Bibliothek und hier.« – »Und die Gelder. Wertsachen und dergleichen?« – »In diesem Schreibtisch.« – »So sehe ich mich genötigt, die ganze Wohnung Don Ferdinandos bis auf weiteres unter Siegel zu legen. Sie haften dafür, daß die Siegel respektiert werden!«
   Cortejo nickte und erwiderte:
   »Ich ersuche Sie, mir zuvor eine Summe zum Zweck der Beerdigung auszuhändigen. Ich werde darüber Rechnung ablegen.« – »Die sollen Sie haben.«
   Somit war alles geordnet, und die Zimmer des Grafen wurden versiegelt, nachdem die Leiche nach dem Salon geschafft worden war.


   21. Kapitel

   Im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht vom Tod des allgemein beliebten Grafen Ferdinando durch die ganze Stadt. Man erfuhr, daß er die Wunde im Duell erhalten habe, und es wurden ausnahmslos von jeder vornehmen Familie Kondolenzkarten abgegeben.
   Bereits am Nachmittag gelang es Cortejo, längere Zeit bei dem Toten zu sein, und das benutzte er, die Flecken anzubringen. Sie gelangen so gut, daß selbst ein Kenner getäuscht werden konnte, und als des anderen Tages der Arzt kam, um die Leiche einer nochmaligen Untersuchung zu unterwerfen, erteilte er beim Anblick der Flecken sofort die Erlaubnis zur Beerdigung.
   Aber dieser zweite Tag brachte noch etwas anderes.
   Am Nachmittag saß Cortejo gerade bei der Schreiberei, als er den Hufschlag eines Pferdes hörte, dessen Reiter vor dem Portal anhielt. Er bekümmerte sich nicht um denselben, sondern überließ dies der Dienerschaft, bald aber vernahm er rasche, sporenklirrende Schritte vor seiner Tür: diese wurde geöffnet, und vor ihm stand – Alfonzo.
   Er fuhr vom Schreibtisch empor.
   »Alfonzo!« rief er. – »Oheim!« antwortete der andere. – »Oh, ich habe auf dich gewartet.« – »Und ich habe mich nach Mexiko und euch gesehnt.« – »Weißt du schon, daß der Graf tot ist?« – »Ja«, lachte Alfonzo. – »Du lachst! Worüber?« – »Über deine Allwissenheit.« – »Wieso?« – »Du schriebst, daß Graf Ferdinando sterben werde; ich komme, steige vom Pferd und – erfahre, daß er tot ist. Das nenne ich prompt!« – »Und du fragst nicht, wer der Erbe ist?« – »Nein. Der bin ja ich.« – »Oho!«
   Alfonzo erbleichte, als er diesen Ausruf hörte.
   »Oder etwa nicht?« – »Na, habe keine Sorge«, beruhigte ihn sein Oheim. »Du bist der Erbe, aber es fehlte nicht viel, so warst du es doch nicht.« – »Wer sonst?« – »Graf Emanuel de Rodriganda.« – »Der Teufel hole ihn! Wie kam das?« – »Du wirst es sofort erfahren. Vor allen Dingen sage mir, wie du aussiehst!«
   Der Angekommene warf einen lachenden Blick auf seinen zerfetzten Anzug und entgegnete: »Ja, ich komme direkt aus der Wildnis. Doch läßt sich da leicht helfen; ich darf nur nach meinem Zimmer gehen und mich umkleiden.«
   Da öffnete sich die Tür, und Josefa trat ein. Als sie den Cousin erblickte, erbleichte sie vor freudigem Schreck, dann trat eine tiefe Glut in ihre Wangen und sie rief, die Arme ausbreitend:
   »Alfonzo! Mein Alfonzo! Komm in meine Arme, teurer Cousin!«
   Und da er keine Anstalt machte, ihr in die Arme zu fallen, so flog sie auf ihn zu, drückte ihn an ihre busenlose Brust und küßte ihn heiß und stürmisch auf den Mund. Er wollte sie von sich abwehren, da ihm dies aber nicht gelang, so wurde er zornig.
   »Laß mich!« gebot er. »Ich verbitte mir dieses Spektakel! Wie kannst du mich so laut Cousin nennen! Wenn es jemand hört, so sind wir verraten!« – »Oh, ich bin so unendlich glücklich, dich wiederzuhaben!« rief sie. – »Das ist aber noch kein Grund, mir mit deinem einzigen Zahn die Lippen abzubeißen!«
   Das half. Ihre Eulenaugen sprühten plötzlich ein zorniges Feuer, und sie sagte, sich stolz von ihm abwendend:
   »Diese Beleidigung wirst du mir abbitten!« – »Heute nicht!« lachte er. – »Aber morgen!« – »Nie!« – »Warte es ab. Ich lasse mich nicht ungestraft beleidigen.« – »Verschone mich mit deinen Tiraden. Wo sind die Schlüssel zu meiner Wohnung, Cortejo?«
   Der Gefragte hatte dieser Empfangsszene mit Spannung zugesehen. Jetzt deutete er mit finsterer Miene auf ein schwarzes Brett, das an der Wand befestigt war und woran an vielen messingnen Haken eine Menge von Schlüsseln hingen.
   »Dort sind sie!« sagte er finster.
   Alfonzo blickte ihn überrascht an.
   »Was hast du?« fragte er. – »Nichts!« – »Nun, so kann der Sekretär sich schon die Mühe machen, seinem Herrn die Schlüssel zu reichen.«
   Das Gesicht Cortejos wurde noch finsterer, und er antwortete:
   »Oder der Neffe kann so rücksichtsvoll sein, seinem Onkel eine solche Handreichung zu erlassen.«
   Alfonzo lachte.
   »Onkel«, sagte er, »spiele nicht Komödie; ich tauge weder als Mitspieler noch als Publikum!« – »Bis jetzt bist du nur Statist gewesen, es ist allerdings möglich, daß du gezwungen wirst, von der Bühne abzutreten. Nimm deine Schlüssel, gehe auf dein Zimmer und kleide dich um, dann sendest du den Diener und läßt mich zu dir rufen.«
   Das war in einem so festen Ton gesprochen, daß der leichtsinnige junge Mann doch den Mut zu einer Entgegnung nicht hatte. Er gehorchte und ging.
   Cortejo aber wandte sich an seine Tochter und sagte:
   »Josefa, wir haben eine große Dummheit begangen, daß du gestern das zweite Testament verbrannt hast. Dort im Kamin liegt noch die Asche.«
   Ihre Augen leuchteten triumphierend auf, aber dennoch erwiderte sie in bedauerndem Ton:
   »Ja. Aber warum war es eine Torheit?« – »Weil wir ihn in der Hand hätten, wenn das Testament noch da wäre.« – »Haben wir ihn nicht auch so in der Hand?« – »Sicher nicht.« – »Wir wollen es versuchen.«
   Cortejo setzte seine Arbeit fort, und Josefa ging nach ihrem Zimmer. Dort öffnete sie das verborgene Fach eines Schranks und zog einige Bogen Papier hervor. Es war – das gestrige Testament.
   »Oh, wie gut und klug war es«, murmelte sie, »daß ich gestern das kleine Taschenspielerstückchen machte und eine Zeitung anstatt des Testaments verbrannte. Er ist in meiner Hand und soll mir sicherlich nicht entrinnen.«
   Als Alfonzo sich umgekleidet hatte, klingelte er dem Diener und befahl diesem, den Sekretär zu rufen.
   Dieser kam sofort, nahm ungeniert auf einem Stuhl Platz und begann die Unterredung:
   »Wie ist es dir gegangen, Alfonzo? Du siehst wirklich recht abenteuerlich aus!« – »Miserabel ist es mir gegangen, ganz miserabel! Ich werde es dir erzählen, zuvor aber möchte ich erfahren, was hier geschehen ist, das ist die Hauptsache. Rede also, Onkel.«
   Cortejo nickte mit dem Kopf und fragte:
   »Meinen Brief hast du erhalten?« – »Ja.« – »Und die beiden Kuriere sind dir auch begegnet?« – »Welche Kuriere?« – »Ah, also du hast sie nicht getroffen?« – »Nein. Ich war zu Umwegen gezwungen.« – »Ich sandte im Auftrag Don Ferdinandos zwei reitende Boten an dich ab, um dich holen zu lassen.« – »Gleich zwei? Da muß die Veranlassung sehr wichtig gewesen sein.« – »Allerdings!« – »Wohl die Krankheit des Grafen?« – »Nein, sondern dein Duell.« – »Donnerwetter. Das mit dem Grafen Embarez?« – »Ja. Embarez schrieb dem Grafen und gab drei Tage Zeit, nach welcher Frist er die Angelegenheit in den Blättern veröffentlichen wollte.« – »Der Teufel soll ihn holen. Ich hätte das Gesicht des Grafen sehen mögen.« – »Ich habe es gesehen, es war nicht vergnüglich.« – »Das glaube ich. Was tat er?« – »Er sandte zunächst die Kuriere ab, die dich holen sollten, und ging dann zu Embarez, um …« – »Um vielleicht eine Frist für mich zu erbitten?« fiel ihm Alfonzo in die Rede. – »Das fiel ihm nicht ein«, antwortete Cortejo. »Don Ferdinando war ein Ehrenmann und kein Feigling, er hielt auf seinen Namen. Daher ging er zu Embarez, um die Ehrensache für dich auszufechten.« – »Donnerwetter! Ist dies wahr, so ist ja die Angelegenheit beendet!« – »Ganz und gar.« – »So sage ich, daß dieser gute Don Ferdinando in seinem ganzen Leben keinen besseren Gedanken gehabt hat, als sich an meiner Stelle erstechen zu lassen! Denn ich vermute, daß sein Tod die Folge des Duells ist.« – »Dies ist die allgemeine Meinung.« – »So starb er aus einem anderen Grund?« – »Allerdings.« – »Du machst mich neugierig. Dein Brief enthielt bereits eine Andeutung. Woran ist er gestorben?«
   Cortejo zog den Brief seines Bruders aus der Tasche, den er bereits Josefa gezeigt hatte, und gab denselben dem Neffen.
   »Lies diesen Brief«, sagte er.
   Alfonzo durchflog das Schreiben und fragte dann gespannt.
   »So ist also dieser Brief die Ursache von dem Tod Don Ferdinandos?« – »Ja, aber nicht von seinem Tod. Er lebt.«
   Alfonzo sprang auf.
   »Er lebt?« rief er. »Bist du nicht gescheit?« – »Ich hoffe, wenigstens ebenso gescheit zu sein wie du!« antwortete der Sekretär. – »Aber es ist ja eine Dummheit, ihn leben zu lassen.« – »Ich folge der Weisung meines Bruders, der dein Vater ist.« – »Aber wie stimmt das? Alle sagen, er sei tot, und du behauptest, daß er noch lebe.« – »Das ist sehr einfach, er ist scheintot.«
   Alfonzo erbleichte.
   »Scheintot! Donnerwetter. Das muß fürchterlich sein!« – »Er liegt im Starrkrampf.« – »So weiß er, was mit und um ihn vorgeht?« – »Vielleicht.« – »Aber wie hast du das fertiggebracht, Onkel?« – »Ich gab ihm ein Gift, das den Starrkrampf hervorbringt. Diese Wirkung dauert eine Woche, dann lebt er wieder auf.« – »Und was geschieht dann mit ihm?« – »Er wird auf dem Schiff unseres guten Henrico Landola erwachen.« – »Der ihn verschwinden läßt?« – »Ja. Ich werde ihn, eingepackt in einem Korb, nach der Küste schaffen.« – »Das ist schwer. Zwischen hier und dem Meer gibt es viel Gesindel.« – »Das ist wahr, denn ich muß eine Bedeckung haben und darf diese Leute doch nicht einweihen. Ich befinde mich wirklich in Verlegenheit, woher ich solche Männer nehmen soll.«
   Da antwortete Alfonzo rasch:
   »Oh, da kann ich dir helfen.« – »Du?« fragte Cortejo verwundert. – »Ja.« – »Kennst du zuverlässige Leute, die tapfer, verschwiegen und nicht neugierig sind?« – »Ich kenne welche, die diese Eigenschaften in hohem Grad besitzen. Es sind meine Begleiter von der Hazienda her.« – »Ah, Vaqueros! Die taugen nichts.« – »Nicht Vaqueros, sondern Indianer.« – »Das ginge eher. Sind es christliche?« – »Nein, heidnische.« – »Also Indios bravos! Von welchem Stamm?« – »Es sind Komantschen.« – »Komantschen?« fragte der Sekretär erschrocken. »Du scherzt.« – »Es ist mein Ernst.« – »Aber die Komantschen sind ja fürchterliche Kerle. Sie wohnen gar nicht in Mexiko, sondern an der Grenze und kommen nur herein, um zu morden, zu rauben und zu plündern. Ich habe noch keinen gesehen.« – »Auch mir waren sie bisher unbekannt. Sie sind allerdings hundertmal fürchterlicher als unsere wilden Indianer, aber trotzdem meine Freunde und werden dir treu dienen.« – »Deine Freunde? Sie haben dich nach Mexiko begleitet?« – »Ja. Sie sind in den Bergen vor der Stadt in einem Versteck.« – »Aber das klingt ja wie ein Abenteuer, wie ein Roman.« – »Es ist auch ein ganzer Roman, den ich erlebt habe. Ich sehe schon, daß ich ihn dir erzählen muß.«
   Alfonzo begann nun seine Erlebnisse auf der Hazienda zu erzählen. Er berichtete von den Komantschen, den Apachen, von der Höhle des Königsschatzes, von den Kämpfen, von seiner fürchterlichen Lage am Baum des Alligatorenteichs. Er erzählte sogar ganz aufrichtig von seinem Angriff auf die Tochter des Hazienderos und sagte dann auch, was er den sechs Komantschen für ihre Begleitung versprochen hatte.
   Cortejo hörte mit offenem Mund und starren Gesichtszügen zu, bis Alfonzo geendet hatte. Dann rief er:
   »Mein Gott, das ist ja kaum zu glauben! Du hast also diese ungeheuren Schätze wirklich gesehen?« – »Ja.« – »Und sie sind fort?« – »Fort!« – »Wohin?« – »Das weiß nur dieser verdammte Büffelstirn und vielleicht noch seine armseligen Mixtekas.« – »Man muß suchen, nötigenfalls jahrelang suchen!« rief Cortejo begeistert. – »Das werde ich auch tun, nun ich der Besitzer der Hazienda bin.« – »Und an dem Baum hast du wirklich gehangen?« – »Wirklich! Es waren die fürchterlichsten Stunden meines Lebens. Diese beiden Häuptlinge werden sie mir entgelten müssen.« – »Und diesen Donnerpfeil, diesen Deutschen hast du erschlagen?« – »Ich hoffe, daß er an dem Hieb zugrunde gegangen ist oder noch zugrunde geht.« – »Er muß jedenfalls sterben, denn er ist der einzige Weiße, der den Schatz gesehen hat.« – »Ich werde mit einer Schwadron Lanzenreiter nach der Hazienda gehen.« – »Du wirst die Schwadron bekommen, dem Grafen de Rodriganda wird man sie nicht abschlagen.« – »Dann nehme ich Rache an dem ganzen Gelichter, darauf kannst du dich verlassen.« – »Also du denkst, daß deine Komantschen mich begleiten werden?« – »Ja, denn wir werden sie bezahlen.« – »Wann?« – »Am Abend. Sie erwarten, daß ich ihnen da ihre Belohnung bringe.« – »Ich reite mit.« – »So sorge für alles, was ich ihnen versprochen habe.« – »Wieviel ist es?« – »Ich werde es dir aufschreiben. Aber, vor allen Dingen, wie steht es hier mit der Erbschaft?« – »Du bist der Universalerbe.« – »Ist das Testament eröffnet?« – »Ja. Ich soll den Präsidenten benachrichtigen. Wenn du da bist, will er kommen und die Sache ordnen.« – »So sende gleich zu ihm.« – »Fast wäre uns das Erbe entgangen. Don Ferdinando hatte ein zweites Testament gemacht.« – »Hole ihn der Teufel! Wie kam dies?«
   Cortejo erzählte es. Als er geendet hatte, sagte Alfonzo:
   »Diese Amme muß man zum Teufel jagen!« – »Das wäre dumm, denn sie würde reden. Man muß sie vollständig unschädlich machen.« – »Das soll heißen?« – »Man stopft ihr den Mund durch Geschenke, oder man läßt sie auf irgendeine Weise verschwinden.« – »Ich habe keine Lust, ein solches Weib noch zu beschenken.« – »So tun wir also das zweite. Jetzt aber hast du zunächst eine heilige Pflicht zu erfüllen.« – »Welche wäre das?« – »Da fragt dieser Mensch, welche Pflicht er hat!« lachte Cortejo. »Bedenke doch, daß du der Neffe des verstorbenen Grafen bist. Was sollen die Diener sagen, wenn du dich um den Toten nicht bekümmerst.« – »Du meinst, ich solle mir die Leiche ansehen?« – »Ja.« – »Ein wenig weinen?« – »Natürlich!« – »Wohl gar am Sarg beten?« – »Das versteht sich.« – »Und große Trauer anlegen?« – »Wie es sich schickt!« – »Gut, ich werde diese saure Arbeit auf mich nehmen. Zuvor aber werde ich dir eins sagen. Es betrifft Josefa.« – »So sprich!« versetzte Cortejo erwartungsvoll. – »Was hat dieser überschwengliche Empfang heute zu bedeuten?« – »Überschwenglich? Das habe ich nicht gefunden. Soll die Cousine sich nicht freuen, wenn der Cousin zurückkehrt?« – »Das war nicht cousinenhaft. Ich glaube, das Madchen ist verliebt in mich!« – »Ich glaube es auch«, sagte Cortejo kalt. – »Ah! Und du verbietest es ihr nicht?« – »Ich kann es ihr nicht verbieten, weil sich die Liebe aus keinem Verbot etwas macht!« – »Aber du siehst doch ein, daß sie hier nicht am Platz ist!« – »Nein, das sehe ich nicht ein.« – »Nicht? Ah! Du meinst also vielleicht gar, Josefa und ich könnten ein Paar werden?« – »Ich halte es für möglich.« – »Aber ich nicht!« rief Alfonzo zornig, »denn sie ist bürgerlich!« – »Du auch!« erklang es scharf. – »Oh, ich bin von heute an Graf Rodriganda.« – »Und sie kann am Hochzeitstag ebenso sagen wie du: Ich bin von heute an Gräfin von Rodriganda.« – »Das wird niemals geschehen.« – »Ihr seid euch ebenbürtig. Dein Grafentum ist kein Grund zu einer Abweisung.« – »Aber sie ist älter als ich, auch nicht schön, ja nicht einmal hübsch.« – »So wird sie keine Anfechtung zur Untreue zu erdulden haben, das ist viel wert, lieber Alfonzo.« – »Sie hat ferner kein Herz und kein Gewissen.« – »Du auch nicht.« – »Nicht einmal Zähne.« – »Sie läßt sich welche einsetzen.« – »Ich halte sie jeden Verbrechens für fähig.« – »Wir dich auch.« – »Hole euch der Teufel!« rief Alfonzo grimmig. – »Wenn er uns holt, so nimmt er dich auch mit«, entgegnete Cortejo ruhig. »Wir gehören zusammen. Ja, wir sind vor dem Gesetz alle drei verschiedener Verbrechen schuldig, und Verbrechen bindet mehr als Tugend. Du wirst nie in deinem Leben dich von uns lossagen können, das merke dir.« – »Und wenn ich es dennoch tue?« – »So bist du verloren.« – »Und ihr mit.« – »Ich glaube das nicht. Es kommt sehr auf die Art und Weise an, wie man solche Dinge angreift.« – »Ich kenne diese Art und Weise.« – »Wir auch. Wenn du vernünftig nachdenkst, so wirst du finden, daß wir dir überlegen sind. Was du bist, das bist du durch uns. Du stehst und stürzt mit uns. Übrigens wollen wir dies Thema fallenlassen.« – »Und zwar für immer, hoffe ich.« – »Wenigstens für jetzt. Gehe zu deinem Oheim und versuche, deine Rolle gut zu spielen.«
   Das erste Wort in Beziehung auf Josefa war gesprochen. Alfonzo war nun vorbereitet, er wußte, was man von ihm wollte, und nun stand es bei ihm, sich für oder gegen sie zu entscheiden.
   Er spielte am Sarg des Grafen den über alle Maßen Betrübten, und seine Tränen flossen so reichlich, daß die Diener Mitleid mit ihm fühlten. Übrigens wurde er bald gestört, denn es kamen Leute, die sich den Toten ansehen wollten. Es ist in Mexiko Sitte, daß in solchen Fallen jedermann Zutritt hat. Man treibt ein förmliches Schaugepränge mit der Leiche, und so kamen Vornehme und Geringe, um die Pracht der Ausstattung sich anzusehen.
   Cortejo stand nach einiger Zeit eben im Begriff, einmal sich in dieses Gewühl der Neugierigen zu mischen, um irgend etwas im Saal zu besorgen, als ein Mann aus demselben trat, bei dessen Anblick er bis in das Innerste erschrak. Es war ein Indianer mit einer scharfen Habichtsnase, auf der eine monströse Brille saß – Benito, der Giftdoktor.
   Auch er sah Cortejo und trat sofort auf ihn zu.
   »Nun«, sagte er, »habe ich Euch betrogen, Señor?«
   Der Sekretär zog ihn sofort in ein leeres Zimmer.
   »Unglückseliger«, erwiderte er, »was habt Ihr hier zu suchen?« – »Nichts. Ich sehe gern Leichen an«, antwortete der Indianer sehr ruhig. – »Aber wie kommt Ihr hierher?« – »Hm, ich kannte Euch schon längst. Ich ahnte, wer das Gift bekommen sollte, und kam nun, um zu sehen, ob die Gabe gut war.« – »Nun?« – »Sie war richtig.« – »Wann wird er erwachen?« – »In sechs Tagen, er hat jedoch schon jetzt sein volles Bewußtsein.« – »Mein Gott, so hört er, was um ihn vorgeht?« – »Ja, er kann selbst mit dem einen Auge, das Ihr nicht ganz zugemacht habt, sehen.« – »Aber das ist ja gefährlich!« – »Das ist Eure Sache, Señor. Ich sehe Euch nicht in die Karte, aber wenn es Euch einmal gutgehen sollte, so vergeßt den armen Benito nicht!«
   Der Indianer sprach diese Worte mit einem Augenwink, der nicht beredter sein konnte, und schlüpfte dann zur Tür hinaus. Cortejo folgte ihm. Draußen ging gerade Alfonzo vorüber.
   »Wer war der Kerl? Was hattest du mit ihm?« fragte er, da gerade niemand zugegen war. – »Alle Wetter, hatte ich jetzt einen Schreck!« antwortete Cortejo. – »Worüber?« – »Eben über diesen Menschen. Es war Benito.« – »Benito? Welcher Benito?«
   Der Sekretär war noch immer ziemlich fassungslos. Er antwortete, nachdem er sich umgeblickt hatte:
   »Der Giftdoktor.« – »Donnerwetter! Von dem das Mittel war? Hast du ihm denn gesagt, wer du bist?« – »Nein, er hat mich gekannt.« – »Ahnt er, wer das Gift bekommen hat?« – »Er weiß es nun sogar.« – »Das ist schlimm. Ist er verschwiegen?« – »Wer kann auf die Verschwiegenheit solcher Leute rechnen!« – »Er wird sich wie ein Blutegel an dich hängen.« – »Ich werde ihn abschütteln.« – »Abschütteln und zertreten, das ist das beste.« – »Übrigens habe ich etwas von ihm erfahren, was mir große Sorgen machen wird.« – »Was?« – »Der Graf ist bei Besinnung.« – »Nicht möglich.« – »Er hört und sieht alles.« – »Das ist schrecklich«, sagte Alfonzo. Dann aber flog ein höhnisches Lächeln über sein Gesicht, und er fuhr fort: »So möchte ich wissen, was er gedacht hat, als er mich weinen und jammern hörte!«
   Da kam ein Diener herbeigeeilt und meldete, daß der Präsident den Grafen zu sprechen wünsche. Alfonzo ließ den Beamten zu sich bescheiden und nahm Cortejo mit. Die Erbschaftsangelegenheit wurde zur größten Zufriedenheit geordnet. Er war nun der Besitzer von Millionen.
   Am Abend, als alles zur Ruhe gegangen war und nur die Klagefrauen bei dem Toten wachten, öffnete sich eine Hinterpforte des Palastes, und es wurden drei Pferde herausgeführt. Zwei trugen Reitsättel, und das dritte war mit Waffen und anderen Dingen hoch bepackt. Alfonzo und Cortejo stiegen auf und verließen auf finsteren, unbelebten Straßen die Stadt.
   Sie wandten sich nach den Bergen, die im Norden der Stadt liegen, und kamen nach einem Ritt, der über eine Stunde währte, in ein enges Tal, in dem ein kleines Feuer brannte, aber niemand zu bemerken war.
   Die Indianer hatten sich vorsichtigerweise zurückgezogen, um zu sehen, wer die Nahenden seien. Als sie Alfonzo erkannten, kamen sie herbei.
   »Mein weißer Bruder hält Wort«, sagte der Anführer. – »Was ich verspreche, das gilt«, antwortete Alfonzo stolz. – »Wer ist der andere weiße Mann?« – »Mein Freund.« – »So mag er die Pfeife des Friedens mit uns rauchen.« – »Ist das nicht zu umgehen? Wir haben keine Zeit.« – »Zur Pfeife des Friedens ist stets Zeit. Wer sie nicht mit uns rauchen will, ist unser Feind. Und was der Mann tut, das muß er mit dem Nachdenken des Geistes tun.«
   Es blieb den beiden nichts anderes übrig, sie mußten sich in die indianische Sitte fügen.
   Man setzte sich also auf die Erde, brannte die Pfeife an und ließ sie von Hand zu Hand gehen. Dann erst fragte der Anführer:
   »Meine Brüder haben uns alles mitgebracht, und zwar Gewehre, Messer, Blei und Pulver?« – »Alles, auch Perlen und Schmuck für die Squaws.« – »So.«
   Der Komantsche hatte nach der vorsichtigen Sitte der Wilden alles einzeln aufgeführt. Jetzt fragte er:
   »Und auch genug?« – »So viel, wie wir ausgemacht haben.« – »Wir werden abladen. Haben meine weißen Brüder noch etwas zu sagen?« – »Ja«, antwortete Alfonzo. – »So mag der weiße Graf sprechen.« – »Wollen meine roten Brüder gleich wieder zurückkehren?« fragte Alfonzo. – »Ja.« – »Wollen sie sich nicht noch mehr Waffen und Schmuck verdienen?« – »Was sollen wir für diese Sachen tun?« – »Den Mann beschützen, mit dem ihr die Pfeife des Friedens geraucht.«
   »Ist er in Gefahr, daß er des Schutzes seiner roten Freunde bedarf?« – »Nein. Er will von den Bergen hinabreiten bis ans Meer.« – »Wo das große Wasser ist?« – »Ja. Auf dem Weg dorthin gibt es viele böse Menschen, und darum sollen meine Brüder mit ihm gehen, um ihn zu beschützen.« – »Wie viele Tag muß man reiten, um das große Wasser zu sehen, auf dem die Schiffe gehen?« – »Fünf Tage.« – »Wollen meine weißen Brüder jedem von uns geben noch zwei Messer, sowie auch zwei Spiegel, in denen man das Gesicht sehen kann?« – »Ja.« – »Eine hölzerne Pfeife, um Tabak zu rauchen, und dazu ein Pack Tabak, so groß wie der Kopf eines Mannes?« – »Auch das.« – »So werden wir den weißen Bruder bis an das Wasser begleiten. Wann reitet er fort?« – »In zwei oder drei Tagen.« – »So sollen wir hier warten?« – »Ja.« – »Dann müssen uns die weißen Brüder noch geben etwas rundes Silber, das die Weißen Geld nennen, damit wir nicht zu hungern brauchen, sondern uns in den Häusern der Weißen kaufen können, was wir essen wollen.« – »Auch das sollt ihr haben.« – »Wieviel?« – »Zehn Pesos.« – »Kann man davon sechs Männern zu essen geben?« – »Ja.« – »So gebe, mein Bruder, das Silber.«
   Die Komantschen erhielten das Geld und auch alles, was das Lastpferd herbeigeschleppt hatte. Sie äußerten eine große Freude, und als sie noch einen Pack Zigarren erblickten, der zugegeben worden war, so kannte diese Freude keine Grenzen.
   Nach einem nur noch kurzen Aufenthalt ritten Onkel und Neffe wieder davon, der Stadt entgegen.
   Als sie nach Hause kamen und sich zur Ruhe begeben wollten, blickte Cortejo noch einmal in den Saal, in dem die Leiche lag. Dort saß die Amme bei den Klageweibern. Als sie den Sekretär sah, erhob sie sich und kam auf ihn zu.
   »Verzeiht, Señor! Es ist nicht die rechte Zeit dazu, aber darf ich dennoch eine Frage wagen?« – »Welche?« – »Das Testament ist eröffnet worden, und zwar gestern gleich nach dem Tod des Grafen. War es das Testament, das im mittleren Fach des Schreibtischs lag?« – »Es wird dasselbe wohl gewesen sein. Der Präsident hat alles übernommen und versiegelt.« – »Ich höre, daß Don Alfonzo Haupterbe ist und daß viele ein Geschenk erhalten haben.« – »Allerdings.« – »Habe auch ich etwas erhalten?« – »Ja. Du bekommst tausend Pesos und freie Pflege bis zu deinem Tod.«
   Sie machte ein sehr erstauntes Gesicht.
   »So stand es im Testament?« – »Ja.« – »Oh, dann ist es nicht das richtige Testament gewesen.« – »Warum denkst du das?« – »Weil Don Ferdinando mir etwas anderes versprochen und auch im Testament hinzugeschrieben hat.« – »Was war das?« – »Ich sollte in meine Heimat nach Spanien zurückkehren dürfen und so viel erhalten, daß ich bis zu meinem Tod ohne Sorgen leben kann.« – »Und er hat dies auch zum Testament hinzugeschrieben? Wann?« – »Am Abend vor seinem Tod.« – »Da konnte er ja gar nicht schreiben; er war verwundet.« – »Oh, er konnte schreiben. Ich mußte ihn emporsetzen und die Feder eintauchen, es ging ganz gut.« – »Und wohin ist dann das Testament gekommen?« – »In das mittlere Fach des Schreibtischs.« – »So muß ich einmal mit dem Präsidenten sprechen, ob das darinsteht, wovon du redest.« – »Ja, sprecht mit ihm, Señor! Nun der gnädige Herr tot ist, mag ich nicht länger hierbleiben.« – »Wenn sich aber das Geschriebene nicht im Testament befindet?« – »So ist ein falsches Testament eröffnet worden.« – »Waren denn zwei da?« – »Ja.« – »Woher weißt du das?« – »Don Ferdinando sagte es, als er das zweite schrieb.« – »Ah, warum machte er ein zweites?« – »Das kann ich nicht sagen, aber ich müßte dann mit dem Präsidenten sprechen, damit er das richtige suchte« – »Laß mich zuvor selbst mit ihm reden, Marie. Du sollst erfahren, was er gesagt hat.« – »Ja?« – »Gewiß.«
   Cortejo ging, indem er einen leisen Fluch zwischen den Zähnen murmelte. Dieses Weib konnte ihm noch viel zu schaffen machen.


   22. Kapitel

   Am anderen Morgen wurde Graf de Rodriganda beerdigt. Die ganze Hautevolee beteiligte sich dabei. Don Ferdinando wurde auf dem Friedhof in seiner Begräbnisstätte beigesetzt, die er für sich hatte erbauen lassen. Graf Alfonzo wurde trotz seiner zur Schau getragenen Betrübnis viel beneidet, und nur die reinen Ehrenmänner hätten nicht mit ihm getauscht.
   Nach der Beerdigung herrschte tiefe Ruhe im Haus. Alfonzo saß auf dem Diwan und dachte darüber nach, wie er seinen Reichtum nun am besten genießen könne, da wurde die Tür leise geöffnet, und – Josefa trat ein.
   Er erhob sich in höchster Überraschung; ein solches Wagnis schien ihm unbegreiflich.
   »Du?« fragt er. »Was willst du?« – »Dich sprechen«, antwortete sie kurz. – »Konntest du dich nicht anmelden lassen?« – »Läßt du dich anmelden, wenn du zu uns kommst?« – »Das ist ein anderer Fall! Was soll die Dienerschaft sagen, wenn sie sieht, daß du zu mir schleichst!« – »Daß wir verwandt sind«, erwiderte sie höhnisch. – »Du! Bist du toll?« – »Still! Ereifere dich nicht. Es weiß noch niemand, aber es ist sehr leicht möglich, daß sie es erfahren, und zwar von mir.« – »Du beliebst zu scherzen!« – »Ich spreche im Ernst, wenn ich auch bei schlechter Laune bin.« – »Willst du wohl die Güte haben, mir zu sagen, wer oder was dich in diese Laune versetzt hat?«
   Josefa blickte den Frager zornig an und antwortete:
   »Erstens der Umstand, daß du nicht die Höflichkeit hast, mir einen Sessel anzubieten.« – »Setze dich! Und zweitens?« – »Zweitens hast du mich fürchterlich beleidigt!« – »Beleidigt? Und sogar fürchterlich? Das ist schlimm, leider aber bin ich mir nichts davon bewußt.« – »Hast du nicht gesagt, ich sei häßlich und alt, hätte kein Herz und wäre zu jedem Verbrechen fähig?« – »Alles dies habe ich allerdings gesagt.«
   Alfonzo sprach diese einsilbigen Antworten in einem kurzen, beinahe lustigen Ton. Josefa aber wurde immer bleicher vor Grimm, und ihre Eulenaugen bohrten sich drohend in die seinigen, als sie ihn zornig fragte:
   »Darf ich annehmen, daß du dies im Scherz sagst?« – »Nein.« – »So war es Ernst, wirklicher Ernst?« – »Gewiß! Dein Vater, die alte Plaudertasche, kann es mir bezeugen.« – »Ah, welch eine neue Beleidigung!« rief sie, indem sie die dürren Hände zur Faust ballte. – »Willst du mich fordern?« lachte er. – »Nein, denn du wärst so feig, nicht zu kommen. Soll ich dir beweisen, daß ich ein Herz habe?« – »Ja.« – »Hat man ein Herz, wenn man liebt?« – »Natürlich, vorausgesetzt jedoch, daß man mit dem Herzen liebt.« – »Nun wohlan, ich liebe mit dem Herzen und zwar dich selbst.«
   Es war nicht etwa ein inniger, warmer Blick, den Josefa ihrem Vetter bei diesen Worten zuwarf, sondern ein funkelnder Katzenblick, etwa wie der eines Panthers, der im Käfig steckt und sich doch auf jemand werfen möchte.
   »Mich?« fragte er, laut lachend. »Das ist amüsant. Ich habe übrigens ganz und gar nichts dagegen.« – »Das ist deine einzige Antwort?« – »Willst du noch mehr Antworten? Zwei oder gar drei?«
   Als Josefa hörte und sah, daß Alfonzo sich über sie lustig machte, zuckten ihre Finger und krallten sich zusammen, als ob sie ihm das Gesicht zerreißen und zerkratzen wolle. Vor Zorn zischend, entgegnete sie:
   »Hast du einmal etwas von Gegenliebe gehört?« – »Freilich«, erwiderte er. »Ich habe sogar Gegenliebe gefühlt und gefunden, viele, viele Male!« – »So weißt du, daß zur Liebe Gegenliebe gehört?« – »Ja.« – »Nun wohl, ich verlange Gegenliebe von dir!« – »Pah, du bist toll!« – »Oh, ich bin sehr bei Sinnen, aber es ist möglich, daß ich noch toll werde!« sagte sie. – »Probier es doch einmal.« – »Wünsche das ja nicht, denn ich würde dich zerreißen.« – »Hm, die Krallen hättest du in der Tat dazu«, meinte er mit schneidendem Hohn. – »Alfonzo!« knirschte sie da auf. »Also du liebst mich nicht?« – »Nein, Cousinchen. Du wirst auch nie im Leben einen finden, der sich in dich verlieben möchte.«
   Ein jedes seiner Worte war ein spitzer, barbarischer Dolchstoß für sie; sie bezwang sich aber.
   »Warum?« fragte sie. »Hast du bereits einmal gehört, daß man sich Liebe erzwingen kann?« – »Etwa mit einem Liebestrank? Pah!« – »Nein, sondern durch wirkliche Gewalt, wirklichen Zwang.« – »Das träumst du nur.« – »Und doch ist es Wahrheit, das werde ich dir beweisen.« – »Du machst mich neugierig.«
   Alfonzo spielte mit Josefa wie die Katze mit der Maus, aber es war nur der Leichtsinn, der ihn dazu verführte, denn er vermochte sich nicht zu denken, welche Folgen eine solche Grausamkeit haben mußte.
   »Ich werde dich durch eine Grafenkrone zwingen«, sagte sie. – »Du sprichst in Rätseln.« – »So will ich deutlicher sein: Wenn du mich nicht zur Gräfin machst, so ist es um deine Grafenkrone geschehen.«
   Alfonzo erbleichte jetzt doch. Er dachte daran, daß sie eines jeden Verbrechens fähig sei, und antwortete:
   »Sei verständig, Josefa! Die Liebe läßt sich nicht geben und nicht nehmen: ich kann ja nichts dafür, daß ich für dich nicht das empfinde, was du für mich fühlst.« – »Du sollst es aber empfinden, ich will es so!«
   Dabei stampfte sie den Boden mit ihrem Fuß.
   »Bitte, beherrsche dich!« sagte er ernst. – »Ich habe mich beherrscht, jahrelang. Ich habe meine Liebe versteckt, tief in der Brust, bis sie mir das ganze Herz zerrissen hat. Ich habe mich beherrscht auch heute und jetzt, wo du mich mit Ironie zerfleischst. Und ich beherrsche mich noch einmal, indem ich dich bitte, doch nur den Versuch zu machen, mich zu lieben. Alfonzo, ich beschwöre dich, versuche es!«
   Josefa trat auf ihn zu, um seine Hand zu erfassen, er aber entzog ihr dieselbe und entgegnete:
   »Spiele nicht Komödie, Cousine, und gehe in dein Zimmer, ich kann dir nicht helfen!«
   Josefa blickte ihn mit einem tiefen, unbeschreiblichen Blick an. Hätte er jetzt die Hand nach ihr ausgestreckt, sie wäre unendlich glücklich geworden, sie wäre ein gutes, braves Weib geworden, alles Böse in ihr wäre gewichen vor der einen, unwiderstehlichen Macht der Liebe. Er aber tat es nicht.
   »Nun wohlan«, sagte sie, »da du mir nicht helfen kannst, so muß ich mir selber helfen. Nicht wahr, mein Vater geht nach Verakruz?« – »Ja; er schafft die Leiche fort.« – »Wann kommt er wieder?« – »Es wird über eine Woche dauern.« – »Gut, so gebe ich dir Zeit bis dahin. Nach der Rückkehr des Vaters werde ich dich fragen. Weist du mich dann auch noch zurück …« – »Ich weise dich sicher zurück!« unterbrach er sie. »Ich werde dich zurückweisen, selbst wenn du mir fünfzig Jahre Bedenkzeit gibst.« – »So haßt und verachtest du mich?« – »Weder das eine noch das andere. Ich scheue dich: das ist alles, was ich für dich fühle. Gib dich damit zufrieden!« – »Er scheut mich!« sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich bin ihm nichts als eine Vogelscheuche!« – »Ja, Cousine, dies ist das richtige Wort!« lachte er.
   Josefa kniff die schmalen Lippen zusammen und ballte abermals die Fäuste.
   »Nimm dich in acht, Alfonzo!« zischte sie drohend. »Du hast mich nun genug beleidigt!« – »So gehe doch!« – »Ja, ich gehe! Du weißt, wie lange ich dir Frist gegeben habe. Adieu.« – »Adieu! Und merke dir, daß du dich anmelden zu lassen hast, wenn du wieder mit mir sprechen willst.«
   Josefa ging, und Alfonzo sank lachend in seinen Diwan. Er hatte nach seiner Meinung eine Art Lustspiel durchlebt und dachte gar nicht daran, wie bald dasselbe zum Trauerspiel werden könne.


   23. Kapitel

   Am Abend machten sich zwei Männer auf dem hinteren Hof des Palastes zu schaffen. Es waren Graf Alfonzo und der Sekretär. Dieser Hof stieß mit einer seiner Seiten an den Blumengarten, in dessen Ecke eine Laube stand, der Lieblingsaufenthalt der alten Amme, die hier ihre Schlummerstunde hielt. Seit dem Tod Don Ferdinandos war sie öfters hier. Dieser Tod hatte ihr mehr als den äußeren, er hatte ihr auch den inneren Halt geraubt, den sie durch einsames Sinnen wiederzugewinnen dachte. Auch heute abend saß sie hier, ganz einsam und allein. Sie hörte, daß die beiden Männer Pferde aus dem Stall zogen und sattelten, ferner, was sie sprachen, ehe sie das Haus verließen, und erkannte sie an ihrer Stimme.
   »Also wie lange wirst du wegbleiben?« fragte der erstere. – »Acht bis neun Tage.« – »In die Stadt Verakruz kommst du nicht?« – »Nicht eher, als bis ich das Paket losgeworden bin. Ich hoffe, daß ich mich auf die sechs Komantschen verlassen kann!« – »Vollständig. Sei nur vorsichtig, daß man dich nicht erwischt!«
   Es waren vier Pferde, die durch das hintere Tor den Palast verließen, zwei Reitpferde und zwei Packpferde. Eins der letzteren trug Lebensmittel, und auf das andere hatte man einen wohl sechs Fuß langen Korb befestigt.
   Der kleine Zug ging nach dem Gottesacker. Dort wurden die Pferde angebunden, während die Männer durch das stets offene Tor nach der Begräbnisstätte der Rodrigandas schritten. Alfonzo öffnete dasselbe. Sie stiegen hinab und öffneten im Finstern den Sarg. Kein Wort wurde dabei gesprochen. Dann hoben sie den Toten heraus, trugen ihn empor und schlossen Sarg und Mausoleum wieder fest zu. Hierauf schafften sie die Leiche aus dem Friedhof fort, legten sie mit großer Anstrengung in den Korb, dessen Deckel mit mehreren Schlössern befestigt wurde, und trabten fort.
   Es war erst gegen Morgen, als Alfonzo durch das hintere Tor zurückkehrte.
   Am anderen Abend, fast um dieselbe Zeit, saß Marie Hermoyes wieder im Garten und dachte an den Toten, an das Testament, an das jetzige Leben hier, und wie es doch ganz anders gewesen war, als der wackere Pedro Arbellez noch hier gewohnt hatte. Ja, wenn der noch hier wäre, so könnte sie sich bei ihm wohl Rat holen!
   Da wurde sie aus ihrem Sinnen durch ein leichtes Geräusch aufgeschreckt. Sie blickte empor und erschrak. Es schwang sich jemand über die Mauer herüber. Ihr Schreck war so groß, daß sie nicht einmal um Hilfe rufen konnte. Nur einen leisen, ganz, ganz leisen Laut brachte sie hervor.
   Aber dieser Laut, auf den kein anderer geachtet hätte, genügte, um sie zu verraten. Der Mann sprang nämlich sofort auf sie zu und faßte sie so bei der Gurgel, daß sie nicht schreien konnte.
   »Still«, sagte er, »sonst steche ich dich nieder. Wer bist du?«
   Er ließ ihre Kehle ein wenig locker, so daß sie antworten konnte.
   »Ich war die Amme des jungen Herrn.« – »Ugh! Wie heißt du?« – »Marie Hermoyes.« – »Hermoyes – Hermoyes – den Namen habe ich gehört!« Der Mann sann nach und sagte dann. »Ugh! Kennst du Pedro Arbellez und Señorita Emma?« – »Ja.« – »Sie haben von dir gesprochen. Du bist ein gutes Weib. Du wirst mich nicht verraten, und ich brauche dir kein Leid zu tun.«
   Hierauf nahm er die Hand von ihrer Kehle und ließ sie frei.
   Jetzt erst getraute die Alte sich, den Mann genauer zu betrachten. Er war hoch und stark gebaut und ganz in festes, unverwüstliches Büffelleder gekleidet. Er trug eine schwere Doppelbüchse in der Hand und mehrere Waffen, die sie aber bei der Dunkelheit nicht zu unterscheiden vermochte, im Gürtel. Nun setzte er sich auf die Bank neben sie und sagte:
   »Fürchte dich nicht, ich bin dein Freund!« – »Wer seid Ihr?« fragte sie. – »Ich bin Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas.« – »So seid Ihr ein Indianer?« – »Ja.«
   Er hatte von ihrem Freund Arbellez und von dessen Tochter gesprochen, seine Stimme klang jetzt mild und weich, sie fürchtete sich nicht mehr.
   »Was wollt Ihr hier?« fragte sie. – »Gib mir erst Antwort auf meine Fragen!« sagte er. »Wem gehört dieses Haus?« – »Dem Grafen de Rodriganda.« – »Welcher Ferdinando heißt?« – »Nein. Dieser ist vor einigen Tagen gestorben.« – »Wie heißt der jetzige Graf?« – »Alfonzo, der auf der Hazienda war.« – »Ist er ein guter Mann?«
   Die Alte schwieg.
   »Sage mir die Wahrheit. Ich bin dein Freund. Emma Arbellez sendet mich.« – »Warum fragt Ihr so?« erkundigte sie sich. – »Weil er auf der Hazienda viel Schlimmes verübt hat. Er ist ein Lügner, ein Betrüger, ein Mörder, ein Feigling.« – »Ja, er ist nicht gut«, entgegnete sie. – »Du liebst ihn nicht?« – »Nein. Niemand liebt ihn.« – »Wer ist noch in diesem großen Haus?« – »Die ganzen Beamten und Diener. Der oberste ist Señor Pablo Cortejo.« – »Cortejo – Cortejo – den Namen habe ich auch gehört. Ich habe mich bei Señor Arbellez nach allen erkundigt. Cortejo ist ein Spanier?« – »Ja, derselbe ist verreist, und zwar nach Verakruz.« – »Allein?« – »Nein, mit sechs Komantschen.« – »Ugh!« stieß der Indianer zwischen den Zähnen hervor. »Hast du die Komantschen gesehen?« – »Nein.« – »Wird auch dieser Graf Alfonzo verreisen?« – »Nein.« – »So ist er mir sicher. Wann ist Cortejo mit den Komantschen fort von hier?« – »Gestern abend um diese Zeit. Oh, Señor, habt Ihr etwas Böses im Schilde?« – »Nein. Ich liebe die Guten und hasse die Bösen.« – »Wie geht es Señor Arbellez?« – »Er ist reich und gut. Er ist gesund und stark und hat ein Kind, das ihn sehr liebt.« – »Ja, er ist glücklich. Ach, könnte ich doch bei ihm sein! Könnte ich hier fort!« – »Es gefällt dir hier nicht?« – »Nein. Sie alle sind bös. Nur Don Ferdinando war gut.« – »Würdest du dich freuen, wenn sie ihre Strafe erhielten?« – »Ja, oh, wie wollte ich es ihnen gönnen.« – »Hat dieser Alfonzo auch hier Böses getan?« – »Genug.«
   Jetzt endlich war Büffelstirn seiner Sache sicher, und nun sagte er aufrichtig zu ihr:
   »Ich bin als Rächer gekommen.« – »An dem Grafen?« – »Ja.« – »Straft ihn, Señor, straft ihn! Er hat die schlimmsten Strafen verdient!«
   Die gute Frau war mit den Indianergebräuchen zu wenig bekannt. Sie dachte nicht an den Tod und das Skalpieren, sie dachte nur im allgemeinen an Strafe.
   »Du möchtest gern bei Señor Arbellez sein?« fragte Büffelstirn. – »Oh, wie gern! Ich sehne mich nach ihm und Señorita Emma von ganzem Herzen«, antwortete sie. – »Willst du mit uns zu ihm gehen?« – »Mit Euch? Seid Ihr mehrere?« – »Wir sind zwei.« – »Wer ist der andere?« – »Es ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen.« – »Ihr geht nach der Hazienda?« – »In einer Woche.« – »Oh, ich ginge so gern mit, aber ich kenne Euch nicht. Ihr seid wilde Indianer.«
   Die gute Alte war naiv genug, sich zu fürchten, und doch den Ausdruck »wild« zu gebrauchen, der ihn beleidigen mußte, wenn er wirklich »wild« war. Er schien es aber gar nicht gehört zu haben, sondern ergriff ihre Hand und sagte im herzlichsten Ton:
   »Du bist eine gute Squaw. Darf ich dir erzählen, was Graf Alfonzo getan hat?« – »Erzählt es, Señor.«
   Büffelstirn setzte sich nun neben die alte Dienerin hin und berichtete ihr das auf der Hazienda Geschehene soweit, daß er ihr ein Urteil ermöglichte, wie schlecht der Graf gewesen war und wie sie im Gegensatz hierzu ihm, dem Sprecher, vertrauen könne. Er erreichte diesen Zweck, denn als er geendet hatte, sagte sie zu ihm:
   »Señor, Ihr seid ein Roter, aber Ihr seid ein guter Mensch. Ich gehe mit Euch.« – »Uff! Du bist alt; du sollst eine Sänfte haben.« – »Wo ist Euer Gefährte?« – »Draußen vor der Stadt. Er wartet auf mich.« – »Warum kam er nicht mit?« – »Einer ist genug, um auf Kundschaft zu gehen. Er redet die Sprache der Weißen nicht so wie ich. Aber du wirst ihn sehen, wenn wir wiederkommen.« – »Wohin wollt Ihr gehen?« – »An das Meer.« – »Und Ihr kommt wirklich wieder?« – »Ja, wenn du schweigen kannst.« – »Oh, Señor, von mir wird kein Mensch etwas erfahren.« – »Auch nicht, daß Büffelstirn hiergewesen ist?« – »Nein.« – »Halte dein Wort, so werde ich auch das meinige halten. Gute Nacht, du gutes Weib der Bleichgesichter!«
   Der Indianer gab der Alten die Hand und war im nächsten Augenblick wieder über die Mauer hinüber.
   Sie blieb sitzen, als hätte sie nur geträumt, daß der erst so feindselig auftretende Mann gekommen sei, sie aus diesem Haus zu erlösen. Er aber schritt durch die stille, dunkle Stadt, bis er dieselbe im Rücken hatte.
   Dann stieß er einen Pfiff aus, ein zweiter antwortete, und bald tauchte die Gestalt des Apachen vor ihm in der Finsternis auf. »Wo hat mein Bruder die Pferde?« fragte er. – »Sie grasen nicht weit von hier«, antwortete Bärenherz. »Hat mein Bruder etwas entdeckt?« – »Ich habe das Haus gefunden.« – »Ist es groß?« – »Es gehört zu den größten Häusern der Stadt.« – »Werden wir darin gleich den antreffen, den wir suchen?« – »Wir werden es, denn ich habe eine Führerin, die seine Feindin ist, sie haßt ihn. Sie ist die Freundin von Señor Arbellez und von Señorita Emma. Ich habe ihr versprochen, sie mit nach der Hazienda zu nehmen.« – »Ugh!« sagte der Apache unmutig. »Ein Weib ist wie der Bach, der stets murmelt!« – »Diese weiße Squaw plaudert nicht«, entgegnete der wackere Cibolero. »Señorita Emma hat mir ihren Namen genannt, als ich ging. Ich kenne sie.« – »So hat mein Bruder weiter nichts erforscht als dieses Weib?« – »Noch viel mehr. Sie hat mir gesagt, wo die Komantschen sind.« – »Ugh! Wo sind sie?« – »Fort, nach Verakruz.« – »Und wo ist der weiße Graf?« – »In seinem Haus, wo er bleiben wird.« – »So ist er uns sicher, diese Hunde von Komantschen aber können uns entgehen. Mein Bruder Büffelstirn beeile sich daher, ihnen mit mir nachzufolgen! Wann sind sie fort?« – Gestern abend. Den Weg, den sie kommen, kenne ich.« – »So wollen wir jetzt, in diesem Augenblick, aufbrechen.« – »Ugh! Ich bin einverstanden.«
   Eine Minute später saßen die beiden Helden bereits zu Pferde und ritten dem Osten zu.
   Die Komantschen ahnten nicht, daß sie zwei so unversöhnliche Verfolger hinter sich hatten. Sie erreichten die Gegend von Verakruz und wandten sich dann nordwärts von der Stadt der Küste zu, wo sie endlich nach längerem Suchen eine kleine, versteckte Bucht fanden, in der ein Boot bequem landen konnte.
   Cortejo begab sich dann nach dem Hafen, um zu Landola an Bord zu gehen. Er fand ihn auf dem Schiff anwesend.
   »Endlich!« sagte der Kapitän. »Ich habe auf Euch gewartet wie der Teufel auf die Seele. Ich durfte, um von Euch sogleich getroffen zu werden, das Schiff nicht verlassen, und diese Zeit ist mir verdammt langweilig vorgekommen. Habt Ihr die Fracht?« – »Ja, in einem Korb.« – »Wo befindet sie sich?« – »Nordwärts in einer Bucht.« – »Könnt Ihr uns führen?« – »Ich denke, daß ich den Ort treffen werde.« – »So werde ich sogleich das große Boot in See gehen lassen. Was habt Ihr für Leute zur Bedeckung mit?« – »Sechs wilde Indianer.« – »Donnerwetter, Ihr seid klug! Diese Leute werden schweigen, das ist sicher und gewiß.«
   Das große Boot wurde herabgelassen und bemannt. Die Matrosen waren mit Waffen versehen, denn der Kapitän war entschlossen, es mit dem Zollkutter aufzunehmen, wenn dieser ihn stören sollte. Er schlug jedoch vorsichtshalber einen weiten Bogen in die See hinaus und näherte sich erst dann dem Land, als er glaubte, nicht mehr gesehen zu werden.
   Cortejo zeigte, daß er ein gutes Ortsgedächtnis besaß. Er fand die Bucht sehr leicht. Sie landeten und nahmen den Korb, von dessen Inhalt weder die Indianer noch die Matrosen eine Ahnung hatten, in das Boot herein. Dann ruderte man zurück, und Cortejo begleitete den Kapitän wieder auf das Schiff, um eine Flasche Wein mit ihm auszustechen, nachdem er den Komantschen die Weisung erteilt hatte, an der Bucht auf ihn zu warten.
   An Bord angekommen, wurde der Korb zunächst in die Kajüte des Kapitäns gebracht.
   »Was wollt Ihr hier mit ihm?« fragte Cortejo, als sie dort allein waren. – »Ich muß beobachten, was ein Scheintoter für ein Gesicht macht, wenn er lebendig wird.« – »Aber hier kann er von Euren Leuten entdeckt werden!« – »Tragt keine Sorge. Sobald er lebendig ist, kommt er hinunter in den Raum, wo ihn kein Mensch sehen und hören kann. Kommt und helft mir!«
   Neben der Kapitänskajüte befand sich ein enger Raum, der notdürftig von einem kleinen Fensterchen erleuchtet war, das sich an der Seite des Schiffes befand. Hier herein schafften sie den Korb. Da der Raum zu kurz und schmal war, als daß der Korb hätte stehen können, so lehnten sie denselben aufrecht in die von dem Fensterchen beleuchtete Ecke und öffneten ihn.
   Der Graf stand in dem schräg anliegenden Korb. Er sah wie eine Leiche aus, und doch hätte man schwören mögen, daß es nur ein Schlafender sei.
   »Donnerwetter!« rief Cortejo, als er ihn erblickte. »Was ist das? Sein Haar ist ergraut!« – »Hat er das Bewußtsein?« fragte der Kapitän. – »Ja.« – »Dann ist es bei der fürchterlichen Angst, die er auszustehen hatte, kein Wunder, daß das Haar ergraute. Wenn er uns reden hört, so wird er wissen, daß sein Leben nun gerettet ist. Kommt wieder herein, Señor, unser Wein wartet.«
   Sie traten in die Kajüte zurück. Während sie dort zechten, lag oder stand der Scheintote in seinem Korb in tiefster Verzweiflung. Sein Herz schlug fast nicht mehr, aber welche Gefühle mußten es trotzdem durchwühlen! Welche Fragen mußten diesen Mann beschäftigen, der nicht wußte, was man mit ihm vorgenommen hatte, und der nun, ohne sich rühren zu können, aus dem Mund des Räuberkapitäns erfuhr, daß es sich wenigstens nicht um sein Leben handle. Welcher dunklen, vielleicht fürchterlichen Zukunft führte man ihn entgegen!
   Als Cortejo sich einige Zeit später von dem Kapitän verabschiedete, wurde er von zwei Matrosen an Land gerudert. Am Steuer saß ein Mann, der als zweiter Steuermann auf dem Schiff diente; es war jener Jacques Garbilot, der, wie wir bereits gesehen haben, im Gefängnis zu Barcelona starb und vor seinem Tod dem Pater Dominikaner in Gegenwart Doktor Sternaus beichtete.


   24. Kapitel

   Die sechs Komantschen hatten unterdessen am Ufer der Bucht gesessen und die Rückkehr des Sekretärs erwartet. Die Küste bildete hier einen zwanzig Schritt breiten Sandstrich, an den der Wald stieß, gebildet von fieberatmenden Wurzelbäumen, die von einem dichten Lianennetz umschlungen waren.
   Am Rand des Waldes weideten die Pferde, während die Komantschen hart am Wasser saßen. Ihr Anführer hatte sein neues Gewehr, das er von Alfonzo erhalten, vorgenommen und betrachtete es mit den Augen eines Mannes, der sich freut, ein solches Eigentum zu besitzen.
   Da schnaubte eines der Pferde, und er wandte den Kopf.
   »Ugh!« rief er erschrocken.
   Dieses Wort war sein letztes gewesen, denn soeben blitzten vom Wald her zwei Schüsse auf, und er sank tot nieder. Der, der neben ihm gesessen hatte, streckte den Arm aus und legte sich langsam in den Sand; auch er hatte eine Kugel in den Kopf erhalten.
   Die Komantschen sprangen empor. Da krachten abermals zwei Schüsse, und zwei andere stürzten nieder. Nun waren nur noch zwei übrig. Diese hatten ihre Büchsen schnell gefaßt und strengten nun ihre Augen an, um dort, wo der Pulverrauch sich kräuselte, den Feind zu erkennen, und kaum hatte der eine von ihnen bemerkt, daß sich hinter einem Baum etwas bewegte, so hob er das Gewehr empor, zielte und drückte ab. – Er hatte getroffen, denn sogleich rief es hinter dem Baum, nach dem der Komantsche gezielt hatte: »Ugh!«
   Es war Büffelstirn, der dort stand. Er fuhr sich mit der Hand nach der Hüfte.
   »Ist mein Bruder verwundet?« fragte ihn Bärenherz, der sich hinter dem nächsten Baum postiert hatte. – »Ja«, antwortete der Mixteka. – »Wo?« – »Hier an der Hüfte.« – »So mögen diese beiden Hunde der Komantschen schnell sterben!«
   Im nächsten Augenblick schossen Büffelstirn und Bärenherz wieder, und die beiden Komantschen fielen.
   »Ugh!« sagte der Apache. »Nun lebt von diesen keiner mehr, um die Kunde nach ihren Weideplätzen zu bringen. Mein Bruder zeige mir seine Wunde!«
   Es war ein Streifschuß, den Büffelstirn erhalten hatte, der zwar nicht gefährlich, aber doch sehr schmerzhaft war.
   »Wir müssen schnell weiterreiten«, rief der Apache. – »Warum?« fragte der Mixteka. – »Weil hier am Salzwasser nicht das Wundkraut wächst!« – »Wir werden morgen wohl welches finden. Jetzt aber wollen wir uns die Toten betrachten.«
   Damit traten sie aus dem Wald hervor und nahmen den Komantschen die Skalpe.
   »Jeder hat zwei Büchsen!« versetzte der Apache verwundert. »Eine alte und eine neue!« – »Von wem mögen sie die gestohlen haben?« – »Die Gewehre sind nicht gestohlen. Sie haben sie von dem Grafen dafür erhalten, daß sie ihn begleiteten.« – »Wir nehmen sie ihnen.« – »Oh«, rief Büffelstirn. »Sie haben auch noch anderes erhalten, was wir gebrauchen können. Wir nehmen ihnen alles. Mein Bruder hole unsere Pferde herbei.«
   Der Apache ging und brachte nach einiger Zeit ihre Pferde, die sie versteckt hatten.
   »Was tun wir mit ihren Tieren?« fragte Bärenherz. – »Eins nehmen wir.« – »Wozu?« – »Es soll alles tragen, was wir diesen Komantschen wegnehmen. Aber wo ist der Weiße, der bei ihnen war?«
   Büffelstirn betrachtete den Rand der Küste und antwortete, auf die weiche Erde deutend:
   »Erblickt mein Bruder nicht die Spur eines Bootes, das hier gewesen ist?« – »Ja, es war kein Kanu, sondern ein Boot, wie es die Schiffe der Bleichgesichter haben«, antwortete der Apache, nachdem er den Eindruck untersucht hatte, den das Boot zurückgelassen hatte. – »Der Weiße ist nach einem der Schiffe gefahren, die im Hafen liegen.« – »Er hat den Korb mitgenommen, den wir gesehen haben.« – »Wird er zurückkehren?« – »Danach brauchen wir nicht zu fragen«, sagte der Apache. »Es ist der Schreiber des Grafen; er hat uns nichts getan, wir haben keine Blutrache mit ihm und werden ihm nichts tun.« – »Mein Bruder hat recht«, antwortete der Mixteka. »Wir werden ihm nur die Pferde nehmen, damit wir vor ihm nach Mexiko kommen und er den Grafen nicht warnen kann.«
   Damit zog er das Messer und stieß es einem der Pferde nach dem anderen in das Herz. Es war dies eine Grausamkeit, die aber einen triftigen Grund in seiner indianischen Vorsichtigkeit hatte.
   Sie bepackten nun dasjenige der Pferde, dem sie das Leben geschenkt hatten, mit den vorgefundenen Waffen und anderen Gegenständen, stiegen dann auf ihre Tiere und ritten davon, indem sie sich gar keine Mühe gaben, die skalpierten Leichen der Komantschen zu verbergen.
   Gerade um dieselbe Zeit war es, da Pablo Cortejo vom Schiff zurückkehrte. Er war durch die Stadt gegangen und schlenderte längs des Waldes am Strand dahin, als er nahenden Hufschlag vernahm. Rasch versteckte er sich in den Büschen und erblickte die beiden Häuptlinge, die an seinem Versteck vorbeiritten.
   Sie waren noch nicht zehn Schritte vorbei, so hielt der Apache sein Pferd an.
   »Uff!« rief er, auf den Boden deutend.
   Auch Büffelstirn bückte sich von seinem Pferd herab und erblickte die frische Fußspur Cortejos. Ein anderer hätte sie unmöglich sehen können, aber die Augen der beiden Häuptlinge waren so scharf geübt, daß kein solcher Fußdruck ihnen entgehen konnte.
   »Ein Weißer!« sagte der Mixteka, indem er zur Büchse griff.
   Der Apache blickte umher und war mit einem raschen Sprung vom Pferd. Er hatte nur einen Zweig sich leise bewegen sehen, stand aber bereits im nächsten Augenblick vor Cortejo, der vor Schreck völlig erstarrt war und keinen Versuch zur Flucht machte. Bärenherz zog ihn hervor.
   Sie erkannten ihn sofort, denn sie waren ihm von Mexiko bis hierher unablässig gefolgt und konnten sich also gar nicht täuschen. Dennoch fragte Büffelstirn:
   »Wer bist du?« – »Ich bin aus Mexiko«, antwortete der Gefragte angstvoll. – »Ich habe gefragt, wer du bist!« – »Ich bin der Sekretär des Grafen de Rodriganda.« – »Und wie heißt du?« – »Pablo Cortejo.« – »Wir kennen dich. Wenn du nicht besser bist, als dein Graf, so werden wir uns einst deinen Skalp holen. Kennst du uns?« – »Nein.« – »Ich bin Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, und dieser ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Wenn du nach Mexiko kommst, haben wir bereits mit deinem Grafen gesprochen. Er soll uns Rede stehen über die Hacienda del Erina. Warum versteckst du dich?« – »Ich wußte nicht, wer kam.« – »Uff! So hast du ein böses Gewissen. Du suchst deine Freunde, die Komantschen?« – »Ja.« – »Du wirst sie finden. Es waren die letzten der Hunde, die die Hazienda überfielen. Sie werden die ewigen Jagdgründe der tapferen Toten niemals sehen. Ugh!«
   Hierauf ritten die Indianer weiter und ließen den Sekretär unbeschädigt stehen. Dieser blickte ihnen nach, bis er sie nicht mehr zu sehen vermochte, und nun erst verlor sich sein Schreck.
   »Sie haben ein Pferd von uns und die Waffen der Komantschen. Was ist geschehen?« sprach er zu sich. »Es sind die beiden berühmten Häuptlinge, von denen Alfonzo mir erzählt hat. Alle Wetter, sie sind den Komantschen gefolgt, um sich an ihnen zu rächen, und sie wollen auch nach Mexiko zu Alfonzo. Ich muß ihnen zuvorkommen. Dieser Büffelstirn war verwundet. Vielleicht macht ihm seine Verletzung Beschwerde, und dann steche ich sie aus.«
   Er eilte nach dem Ort, wo er die Komantschen gelassen hatte. Dort fand er ihre Leichen und auch die toten Pferde. Nun hielt er sich keinen Augenblick hier auf, sondern begab sich schleunigst nach Verakruz, um sich mit einem guten Pferd zu versehen und die Rückkehr sofort anzutreten.
   Es gelang ihm, zwei tüchtige Renner zu bekommen, einen bestieg der Führer, den er sich vorsichtigerweise mietete. Der Ritt ging in höchster Eile über Solodad, Lomalto, Paso del Macho, Cordova, Orizaba, Puebla nach Mexiko.
   Cortejo hatte während des ganzen Ritts stets die Befürchtung gehegt, daß er den beiden Indianern begegnen werde, doch war dies nicht der Fall. Die Häuptlinge hatten eine weniger bewohnte Richtung eingeschlagen, und dabei stellte sich heraus, daß die fieberschwangere Niederung des Meeres in der Gegend von Verakruz der Wunde des Mixteka schädlich gewesen war. Er fühlte sich so ermattet, daß sie zwei Tage ruhen mußten, und erst, als sie in höher liegender Gegend das berühmte Wundkraut fanden und auflegten, konnte er das Pferd wieder besteigen.
   So kam es, daß sie volle zwei Tage nach Cortejo in Mexiko anlangten.


   25. Kapitel

   Cortejo wurde von dem Grafen Alfonzo natürlich mit der allergrößten Spannung erwartet. Sobald er ihn kommen sah, ließ er ihn zu sich rufen.
   »Nun, wie ist es gegangen?« fragte er. – »Gut, sehr gut«, lautete die Antwort. – »Ah, da fällt mir ein Stein vom Heizen. Es ist keine Kleinigkeit, einen scheintoten Menschen von hier bis an die Küste zu transportieren. Habt ihr ihn unbemerkt bis auf das Schiff gebracht?« – »Ja.« – »Und die Indianer? Sie sollen ihren Lohn erhalten. Wo sind sie?« – »Tot.« – »Tot?« fragte Alfonzo überrascht. »Wieso?« – »Das ist es eben, weshalb ich sagte, daß es sehr gut gegangen sei. Wir haben keine Zeugen mehr zu fürchten, denn diese Komantschen sind alle erschossen worden.« – »Erschossen! Von wem?« – »Von Büffelstirn und Bärenherz.« – »Ah!« rief Alfonzo. »Von diesen beiden verdammten Kerlen? Wo ist es geschehen?« – »In unserem Versteck an der Küste bei Verakruz.« – »Donnerwetter, so sind sie ihnen gefolgt!« – »Ja, ihnen und dir.« – »Das steht zu erwarten, sie sind uns von der Hazienda aus auf dem Fuß nachgeritten.« – »Und haben zunächst die Komantschen genommen, da du ihnen sicherer bist. Jetzt, da sie mit ihnen fertig sind, wirst du an die Reihe kommen.« – »Das ist verdammt! Erzähle!«
   Cortejo erzählte darauf den ganzen Verlauf seiner Reise und auch das Zusammentreffen mit den beiden Häuptlingen und fügte hinzu:
   »Dieser Büffelstirn sagte, daß sie mit dir bereits gesprochen haben würden, wenn ich nach Mexiko käme. Du siehst also, daß sie die Absicht haben, dich aufzusuchen. Ich habe mir zwei schnelle Pferde gekauft und bin ihnen zuvorgekommen. Die Wunde des Mixteka wird sie aufgehalten haben.« – »So gilt es, ihnen schleunigst aus dem Weg zu gehen, denn gegen solche Menschen gibt es selbst hier in unseren doch ziemlich geordneten Verhältnissen keinen genügenden Schutz.« – »Du mußt ja nach Spanien hinüber!« – »Allerdings. Ich habe vom ›Vater‹ einen Brief erhalten.« – »Ah! Kann ich ihn lesen?« – »Ja. Er ist sehr kurz. Hier ist er.«
   Alfonzo nahm das nur einige Zeilen lange Schreiben von seinem Schreibtisch und reichte es Cortejo hin. Dieser las:
   »Mein lieber Alfonzo!
   Ich ließ Dir bereits durch Señor Cortejo sagen, daß ich Dich hier in Rodriganda mit großer Sehnsucht erwarte. Seitdem stellt sich fast die Hoffnungslosigkeit meiner Augenkrankheit heraus, und ich bitte Dich, daran zu denken, daß ich in Dir als meinem Sohn meine einzige verläßliche, männliche Stütze sehen muß und Dich also sehr bald hier erwarte.
   Dein Vater
   Emanuel, Graf de Rodriganda y Sevilla.«
   »Das klingt allerdings sehr dringend«, sagte der Sekretär. »Was gedenkst du zu tun?« – »Ich reise natürlich!« – »Auch ich rate dir dazu. Unsere Angelegenheit läßt sich jeden Augenblick vorteilhafter an. Hier bist du bereits der Erbe, und drüben wirst du nach deiner Ankunft auch die ganze Leitung der Grafschaft in die Hand bekommen. Diese Erblindung Don Emanuels ist ein Glück für uns.« – »Ich habe oft schon Sorge getragen, daß er meine Ähnlichkeit mit deinem Bruder erkennen werde«, erwiderte Alfonzo. »Nun aber bin ich von dieser Angst befreit.« – »Hm, man müßte freilich Vorkehrungen treffen, daß er nicht wiederhergestellt werden kann.« – »Das werde ich natürlich mit allen Kräften tun.« – »Und Rosa? Sie wird natürlich die Ähnlichkeit bemerken.« – »Pah, diese fürchte ich nicht.« – »So schlage ich vor, daß du sofort abreisest. Deine Angelegenheiten sind bei mir ja gut aufgehoben.« – »Zuvor werde ich nach der Hazienda reiten.« – »Ah! Diesen Plan hast du wirklich noch?« – »Ja. Ich muß Rache nehmen für alles, was uns dort angetan ist.« – »Die beiden Häuptlinge werden dir aber folgen.« – »Sie können mir nichts tun, denn ich befinde mich unter einem sehr guten Schutz.« – »Du meinst die Lanzenreiter?« – »Ja.« – »Du müßtest, um eine solche Begleitung zu erhalten, zuvor mit dem Präsidenten sprechen.« – »Das habe ich während deiner Abwesenheit bereits getan.« – »Und er hat dir die Erfüllung dieses Wunsches zugesagt?« – »Ja. Ein Graf de Rodriganda ist natürlich ein Mann, dessen Wünsche man berücksichtigen muß.« – »Welche Gründe hast du angegeben?« – »Ich erzählte von dem Überfall der Komantschen, ohne natürlich zu erwähnen, daß ich dieselben selbst nach der Hazienda führte, und sprach die Vermutung aus, daß nun eine bedeutendere Truppe der Wilden kommen werde, um den Tod der Ihrigen zu rächen.« – »Und was wurde dir versprochen?« – »Ich habe bereits zwei Befehle in den Händen, den einen an den Gouverneur und den anderen an den Divisionär von Durango, mir eine Schwadron Lanzenreiter sofort zu verabfolgen.« – »Oh, das ist gut! Ich habe diesen alten Pedro Arbellez nie geliebt!« – »Er wird Augen machen, wenn ich komme. Er hatte die Frechheit, mir zu sagen, daß ich nur sein Gast, nicht aber sein Gebieter sei, da er die Pacht der Hazienda auf Lebenszeit besitze.« – »Davon weiß ich nichts.« – »Ich auch nicht. Don Ferdinando hat nie davon gesprochen, und in den beiden Testamenten wurde die Hazienda mit Stillschweigen übergangen.« – »Ich habe nicht einmal einen Pachtkontrakt auf die Zeit nur eines Jahres in den Händen gehabt. Don Ferdinando hat sein Verhältnis zu Arbellez niemals klar darlegen wollen.« – »So brauche ich mich also nach gar nichts zu richten und kann tun, was mir beliebt.« – »Wann wirst du abreisen?« – »Sogleich.« – »In welcher Begleitung?« – »Ich erhalte einige Mann Militär.«
   Jetzt warf Cortejo dem Neffen einen scharfen, forschenden Blick zu und fragte:
   »Wie steht es mit Josefa? Habt ihr miteinander gesprochen und euch geeinigt?« – »Geeinigt?« fragte Alfonzo, indem er tat, als wisse er gar nicht, was Cortejo meinte. »Sind wir entzweit oder uneinig gewesen?« – »Hm! Du nimmst doch Abschied von uns, ehe du gehst?« – »Das versteht sich!« antwortete der Gefragte zögernd. – »Gut, so will ich Josefa begrüßen, denn ich habe sie noch gar nicht gesehen, seit ich angekommen bin.«
   Cortejo ging und suchte seine Tochter in ihrem Zimmer auf. Sie freute sich seiner glücklichen Rückkehr, schien aber nicht gut bei Laune zu sein.
   »Ich sah dich kommen«, sagte sie. »Du warst bei Alfonzo?« – »Ja.« – »Sprach er von mir?« – »Nur nebenbei. Ihr habt euch in diesen Tagen gemieden?« – »Er mich, nicht aber ich ihn. Weißt du, daß er nach Rodriganda gehen will?« – »Ich weiß es. Zuvor aber will er nach der Hacienda del Erina.« – »Auch das habe ich gehört. Ich glaube, daß er von der Hazienda gar nicht wiederkommen wird, sondern von da gleich direkt nach Spanien geht, um mir auszuweichen.« – »So müssen wir die Sache jetzt sofort in Richtigkeit bringen.« – »Wann geht er?« – »Sogleich; er sagte aber, daß er sich verabschieden würde.« – »Ich glaube es ihm nicht. Ich werde zu ihm gehen.« – »Wird er sich zwingen lassen?« – »Ja«, sagte sie in einem sehr bestimmten und selbstbewußten Ton. – »Ich zweifle!« – »Laß mich nur machen. Du gehst doch mit?« – »Das versteht sich!« – »So komm.«
   Vater und Tochter gingen nun miteinander nach der Wohnung Alfonzos, den sie mit dem Einpacken beschäftigt fanden. Er machte ein sehr unangenehm überraschtes Gesicht, als er sie erblickte, und schien Lust zu haben, sie fortzuweisen. Josefa aber kam ihm zuvor, indem sie fragte:
   »Du wirst verreisen, Alfonzo?« – »Allerdings.«
   Seine Miene war bei dieser Antwort eine zornige. Das Mädchen aber kümmerte sich nicht darum.
   »Ohne an das zu denken, was ich dir sagte, als der Vater nach Verakruz ging?« – »Hm, ich besinne mich wirklich nicht«, heuchelte er. – »So muß ich deinem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Ich sagte dir offen und ehrlich, daß ich dich liebe und daß ich deshalb erwarte, Gräfin de Rodriganda zu werden.«
   Jetzt legte sich ein sichtbarer Hohn über sein Gesicht, und er antwortete:
   »Donnerwetter, ja, jetzt besinne ich mich, daß du dir diesen unsinnigen Spaß erlaubtest. Ich hoffe jedoch, daß er abgetan ist!« – »Abgetan? Das fällt mir gar nicht ein! Ich erklärte dir ja schon, daß ich dir bis zur Rückkehr des Vaters Zeit geben würde, mir meine Frage zu beantworten. Jetzt ist diese Frist verstrichen. Wie steht es?« – »Ah, du redest also wirklich im Ernst?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie mit blitzenden Augen. – »Und willst eine Antwort?« – »Ich verlange sie!« – »Nun, so sollst du sie hören: Ich heirate, wen ich will, dich aber niemals, nie, nie nie!«
   Alfonzo hatte erwartet, daß Josefa aufbrausen werde, dies war aber keineswegs der Fall. Sie war sich ihrer Sache so gewiß, daß sie ruhig blieb und ihm nur mit einem scharfen Lächeln antwortete:
   »Und dennoch wirst du mich heiraten!« – »Pah! Wer will mich zwingen?« – »Ich.« – »Du?« fragte er mit verächtlichem Ton. »Mach dich nicht lächerlich! Ich errate deine Absichten und auch deine Gründe, die du gegen mich loslassen willst. Sie taugen aber nichts.« – »Du irrst; sie sind die besten, die es geben kann.«
   Alfonzo blickte ihr überlegen in das scharfe Gesicht mit den Eulenaugen und antwortete:
   »Du willst mich zwingen, dich zur Gräfin de Rodriganda zu machen, indem du mir drohst, zu verraten, daß ich gar nicht ein Rodriganda bin?« – »Ja«, antwortete sie gelassen. – »So bitte ich dich abermals, dich nicht lächerlich zu machen! Über diese Waffe lache ich, denn du kehrst sie gegen dich selbst und gegen deinen Vater. Ihr seid ja meine Mitschuldigen.« – »Das müßte erst bewiesen werden. Dir wenigstens dürfte es schwer werden, es zu beweisen. Du irrst dich übrigens, wenn du glaubst, daß ich eine Lächerlichkeit begehe. Wie nun, wenn das zweite Testament noch vorhanden wäre?«
   Alfonzo lächelte höhnisch.
   »Das ist verbrannt«, sagte er. – »Nein, es ist noch da«, entgegnete sie, und ihre Miene war bei diesen Worten so ernst, und ihre Stimme klang so siegesgewiß, daß er sich doch unsicher und betreten zu fühlen begann. Auch der Sekretär war überrascht.
   »Was, du hättest es nicht verbrannt, Josefa?« fragte er. – »Nein.« – »Aber ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen.« – »Ein Zeitungsblatt hast du brennen sehen«, lachte sie. »Oh, ihr klugen Männer! Vater, du wolltest das Testament vernichten, ohne daran zu denken, welch vortreffliche Waffe es gegen diesen sogenannten Grafen de Rodriganda ist.« – »Ah, das ist schlau! Das ist allerdings ein Meisterzug!« rief Cortejo. – »Sie lügt!« behauptete Alfonzo. – »Ich rede die Wahrheit!« antwortete sie. – »Wo ist es?« – »Hier in meiner Tasche!«
   Josefa klopfte mit der Hand triumphierend an die Stelle ihres Kleides, an der sich die Tasche befand. Die Augen Alfonzos leuchteten heimtückisch auf. Er sagte:
   »Zeige es her, sonst glaube ich es nicht!« – »Da, siehe es!« rief Josefa und griff nicht nur in eine, sondern in alle beide Taschen. Als Alfonzo das Dokument in ihrer linken Hand erblickte, faßte er schnell zu, um es ihr zu entreißen, aber er hatte nicht den Dolch gesehen, den sie mit der Rechten aus der Tasche gezogen hatte und jetzt gegen ihn zückte, darum fuhr er erschrocken zurück und rief:
   »Donnerwetter, du willst mich stechen?« – »Nein«, lachte sie, »aber du wirst es mir nicht übelnehmen, wenn ich mein Eigentum verteidige.« – »Dein Eigentum?« zürnte er. »Dieses Testament gehört mir!« – »Nein. Es gehört in die Hand des Präsidenten. Und ich schwöre es dir bei allen Heiligen, daß er es bekommt, wenn du dich vor deiner Abreise nicht schriftlich mit mir verlobst.« – »Das ist unverschämt!« erklärte er wütend. – »War es etwa nicht unverschämt, als du mich alt, häßlich und verbrecherisch nanntest?« – »Du wirst es nicht auf das äußerste treiben!« – »Das werde ich sicher, darauf kannst du dich verlassen, und ich hoffe, daß ich die Unterstützung meines Vaters dabei finde.« – »Das versteht sich«, antwortete dieser. »Das Testament ist in unserer Hand eine Waffe, gegen die du nicht aufkommen kannst. Du wurdest uns als der kleine Graf Rodriganda herübergeschickt, und ich habe den Teufel gewußt, daß du verwechselt worden bist. Die in meiner Hand befindlichen Briefe werde ich verbrennen, und so will ich sehen, wie du es anfangen willst, die Waffe auch gegen mich zu kehren!«
   »Ihr seid beide schlecht!« rief Alfonzo. – »Möglich. Aber ich habe keine Lust, mit einem Undankbaren zu arbeiten. Was wir getan haben, muß belohnt werden. Du erhältst aus meiner Hand die unermeßliche Herrschaft der Rodrigandas in Mexiko. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir teil daran nehmen, indem du Josefa heiratest.« – »Den Teufel werde ich tun!«
   Da trat Josefa hart an ihn heran und fragte mit zornig blitzenden Augen:
   »Ist das dein wirklicher Entschluß?« – »Ja«, antwortete er. – »Gut!«
   Nur dieses eine Wort sagte sie, dann wandte sie sich um und schritt nach der Tür. Er sah es ihr an, daß sie im Begriff stand, einen ernsten Vorsatz auszuführen. Es wurde ihm nun doch angst, und er rief sie zurück:
   »Halt, wohin willst du?« – »Zum Präsidenten«, sagte sie, stehenbleibend. – »Bist du denn des Teufels! Bildest du dir denn wirklich ein, daß du als meine Frau glücklich sein wirst?« – »Ja. Du sollst freie Hand haben in allem, aber Gräfin de Rodriganda will ich sein.« – »Das geht ja nicht! Was wird Graf Emanuel sagen, wenn ich mich ohne seinen Willen mit der Tochter des Sekretärs seines Bruders verheirate!« – »Das verlange ich noch gar nicht. Du kannst mit der Hochzeit bis nach seinem Tod warten, aber jetzt gibst du mir eine schriftliche Erklärung, daß ich deine Verlobte bin.«
   Alfonzo besann sich.
   »Wirst du mir gegen diese Erklärung das Testament aushändigen?« fragte er. – »Nein. Das Testament gebe ich dir erst am Tag unserer Hochzeit. Aber gegen diese Erklärung erhältst du deine Freiheit und kannst reisen, wohin es dir beliebt.«
   Alfonzo nickte mit verschlagener Miene und antwortete:
   »Gut, du sollst die Schrift haben.« – »Sofort?« – »Sofort!« – »So wirst du endlich klug, aber denke ja nicht, daß nun alles gut ist und daß du dein Wort nicht zu halten brauchst, wenn du fort bist von uns. Ich würde mich zu rächen wissen, wenn du es brichst.«
   Alfonzo warf den Kopf trotzig zurück und unterschrieb. Kurze Zeit später ritt er mit einigen Soldaten zur Stadt hinaus, um sich nach Durango zu begeben. Es war zwischen der Ankunft Cortejos und der Abreise Alfonzos nur einige Stunden vergangen, so groß war die Furcht des letzteren vor den beiden Indianerhäuptlingen.


   26. Kapitel

   Erst zwei Tage später erreichten die Indianer die Mauern der Hauptstadt. Dort warteten sie den Abend ab, und dann begab sich Büffelstirn nach dem Palast Rodriganda. Er schwang sich, wie vorher, über die Mauer und fand die alte Marie Hermoyes, bereits seiner wartend.
   »Uff, du hältst Wort!« sagte er zu ihr.
   Und sie in ihrer Freude, ihn wiederzusehen, nannte ihn auch gleich du.
   »Ja, ich habe alle Tage auf dich gewartet, jedoch vergeblich.« – »Ist dieser Cortejo zurück vom Meer?« – »Bereits seit zwei Tagen.« – »Uff! Ich war krank und konnte nicht schnell folgen. Wo ist der Graf der Bleichgesichter?« – »Du meinst Graf Alfonzo? Der ist fort!« – »Uff! Wohin?« – »Es sollte niemand wissen, aber ich habe es erlauscht. Er ist nach der Hacienda del Erina.«
   Der Indianer machte eine Bewegung der Überraschung.
   »Wann ist er fort?« fragte er. – »Seit vorgestern. Er will Señor Pedro Arbellez aus der Hazienda vertreiben.« – »Weißt du dieses gewiß?« – »Ja, ich habe Señor Cortejo mit seiner Tochter belauscht, die davon sprachen.« – »Das wird ihm aber nicht allein gelingen.« – »Oh, er nimmt eine ganze Schwadron Lanzenreiter mit, um sich bei den Ciboleros und Vaqueros Respekt zu verschaffen. Er ist nun der Erbe, da Graf Ferdinando gestorben ist.« – »Uff! Weißt du nicht, was dieser Cortejo jetzt in einem Korb nach der Küste geschafft hat?« – »Nein.« – »So haben wir hier nichts mehr zu tun. Wir müssen sofort nach der Hazienda reiten.« – »Ihr wolltet mich doch mitnehmen!« – »Willst du denn noch zu Pedro Arbellez?« – »Oh, wie gern!« – »So sollst du mit. Habt ihr Pferde im Palast?« – »Wir haben nur zwölf der besten hier, die anderen sind stets auf der Weide.« – »Werden diese zwölf Tiere bewacht?« – »Ein Knecht ist stets im Stall.« – »Du wirst nicht viel Sachen mitnehmen dürfen. Kannst du reiten?« – »Ja. Es sind Damensättel im Stall.« – »Wie lange brauchst du, um das Notwendigste einzupacken?« – »Keine Stunde.« – »So gehe und tue es. In einer Stunde sind wir hier.«
   Büffelstirn sprang wieder über die Mauer, und Marie kehrte in den Palast zurück, hoch erfreut darüber, daß sie ein Haus verlassen konnte, das ihr seit dem Tod Don Ferdinandos verhaßt geworden war. Rasch packte sie ihre Ersparnisse und das Allernotwendigste an Kleidern und Wäsche zusammen und war damit in der angegebenen Zeit fertig. Als sie mit diesem Paket die Laube wieder betrat, fand sie die beiden Indianer ihrer wartend.
   Der Apache ließ kein Wort hören, Büffelstirn aber sagte:
   »Unsere Pferde sind müde, die eurigen aber sind frisch. Wir werden die eurigen nehmen. Wo ist der Stall?« – »Aber der Stallknecht ist darin«, warnte sie.
   Der Mixteka machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand und antwortete nur:
   »Komm!«
   Die Alte führte ihn nun nach dem Stall, der nicht verschlossen war. Es brannte dort ein Licht, und im Schein desselben erblickten sie den Knecht, der auf einer Decke lag und schlief.
   Im nächsten Augenblick kniete der Apache bei ihm, um ihn zu knebeln und zu binden, was mit einer solchen Schnelligkeit und Sicherheit gelang, daß der Mann gefesselt war, ehe er nur ganz erwachte. Nun wählten sich die beiden Indianer fünf der vortrefflichsten Pferde aus, zwei für sich, eins für die Amme und zwei für das Gepäck und zum Umwechseln.
   Trotzdem sie mit dieser Auswahl sehr bedächtig vorgegangen, waren doch kaum fünf Minuten verflossen, als sie bereits im Galopp durch die Straßen sprengten, um zu ihren vor der Stadt gelassenen Tieren zu kommen. Von diesen luden sie alles auf die frischen Pferde über und ließen sie frei.
   Als am anderen Morgen dem Sekretär Pablo Cortejo die Meldung gemacht wurde, daß die alte Marie Hermoyes in Begleitung von zwei Indianern mit fünf Pferden verschwunden sei, hätte niemand es vermocht, die drei Flüchtigen einzuholen.

 //-- * * * --// 
   Unterdessen hatte sich auf der Hazienda nichts wesentlich geändert. Die Spuren des Kampfes waren längst verwischt, und es ging alles nach seinem gewöhnlichen Gang.
   Der Zustand des Deutschen war nur insofern ein anderer geworden, als der Patient das Lager verlassen hatte. Er lebte still und tiefsinnig vor sich hin, und wenn er ja einmal etwas sagte, so waren es nur die Worte. »Ich bin erschlagen worden!«
   Eines Tages saß er auch so dumpf vor sich hinbrütend am offenen Fenster, und Emma lehnte an ihm, den Blick in träumerischer Trauer nach Süden gerichtet, da erblickte sie fünf dunkle Punkte, die sich in großer Eile näherten, und bald sah sie, daß es zwei Reiter und eine Reiterin mit zwei Packpferden waren. Endlich erkannte sie die beiden Häuptlinge mit ihrer alten Freundin Marie Hermoyes, und mit einem Jubelruf sprang sie auf, um ihnen entgegenzueilen.
   Ihr Ruf war auch von anderen gehört worden, und als sich die Angekommenen vom Pferd schwangen, waren bereits sämtliche Bewohner des Hauses bei ihnen versammelt. Sie wurden mit Freuden empfangen, und besonders Emma führte ihre treue Marie förmlich im Triumph nach dem Salon, wohin auch die Häuptlinge kamen, um dort Rede und Antwort zu stehen.
   »Nun, wie ist es gegangen?« fragte Pedro Arbellez. – »Wir haben die Skalpe der Komantschen«, entgegnete Büffelstirn. – »Und der Graf?« – »Graf Ferdinando ist gestorben.«
   Pedro und seiner Tochter entfuhr ein Ruf des Schrecks.
   »Tot! Ist‘s wahr?« fragte der erstere. – »Ja«, antwortete die Amme.
   Und dann erzählte sie den ganzen Verlauf der Sache, so weit sie ihn kannte.
   »So ist also Alfonzo Nachfolger?« fragte Emma. – »Ja. War er noch nicht hier?« – »Will er denn nach der Hazienda kommen?« erkundigte sich Arbellez. – »Ja«, antwortete die Amme in dringendem Ton. »Wenn er noch nicht hier war, so ist er doch bereits unterwegs, und zwar mit einer ganzen Schwadron Lanzenreiter.« – »Was sollen diese?« – »Ihr sollt sofort vertrieben werden.« – »Ich? Ah!« sagte Arbellez mit stolzem Lächeln. »Das soll ihnen schwer werden.« – »Wir beschützen unsere weißen Brüder«, erklärte der Apache. – »Wir holen die Ciboleros und Vaqueros zusammen«, meinte Büffelstirn. – »Ich danke euch«, entgegnete der Haziendero. »Ich werde eure Hilfe vielleicht brauchen, aber ich habe noch eine andere Waffe.« – »Welche?« – »Das werdet ihr später genauer erfahren. Können die Soldaten bald kommen?« – »Sehr bald!« erklärte die besorgte Amme. »Alfonzo hat Mexiko zwei Tage vor uns verlassen. Er will die Lanzenreiter in Durango holen.« – »So will ich meine Leute schnell zusammenrufen!«
   Der Haziendero verließ rasch das Zimmer, und gleich darauf hörte man ein Signal weithin über die Felder und Weiden erschallen. In nicht ganz einer Viertelstunde waren gegen vierzig Ciboleros und Vaqueros zusammen, und es war, als hätte es nicht anders sein sollen, denn kaum hatte sich das starke Hoftor hinter ihnen geschlossen, so sah man eine dunkle Wolke von Reitern angesprengt kommen, über der ein Wald spitzer Lanzen emporstarrte.
   »Da sind sie schon!« rief Arbellez. »Verhaltet euch still, ich werde sie empfangen.«
   Die Schwadron kam herangebraust und hielt draußen vor dem Tor. Der Graf war mit den Offizieren an der Spitze geritten. Er klopfte an das Tor. Arbellez trat hinzu und fragte von innen, was man begehre.
   »Öffnet!« gebot Alfonzo. – »Wem?« – »Mir, dem Besitzer der Hazienda.« – »Wer seid Ihr?« fragte Arbellez, der mit Absicht den Guckschieber nicht geöffnet hatte. – »Graf Alfonzo de Rodriganda.« – »Der die Damen überfällt? Ah, ich kenne keinen Grafen de Rodriganda, der Herr dieser Hazienda ist. Ich werde es Euch beweisen. Wartet einen Augenblick.«
   Arbellez schritt über den Hof zurück und trat in das Haus, um bald darauf mit einem großen Pergament zurückzukehren.
   »Legt die Gewehre an«, gebot er, »aber schießt nicht eher, als bis ich es euch befehle!«
   Sofort bildeten die halb wilden Rinderhirten zu beiden Seiten des Tors ein dichtes Spalier, mit ihren Büchsen nach dem Eingang gerichtet. Diesem gegenüber stand der Haziendero und hinter ihm die beiden Indianerhäuptlinge, das Gewehr bei Fuß.
   »Öffnet!« gebot Arbellez.
   Der tapfere Francesco, der dem Tor am nächsten stand, öffnete nun dasselbe, und sofort wollten die Lanciers in den Hof reiten, wichen aber erschrocken zurück, als sie vierzig geladene Gewehre auf sich gerichtet sahen. Den größten Schreck hatte Graf Alfonzo. Er hatte die beiden Indianer, denen er entgehen wollte, nicht hier vermutet, und als er sie erblickte, riß er sein Pferd aus der Nähe des Tors und hinter die Mauer zurück, wo ihn keine Kugel treffen konnte.
   »Was soll das?« fragte der Rittmeister streng. – »Daß ein freier Mexikaner auf der ihm gehörigen Hazienda nur solchen Besuch empfängt, der ihm angenehm und willkommen ist.« – »Diese Hazienda gehört Euch nicht. Der Besitzer ist bei uns, und wir werden uns den Zutritt erzwingen, wenn er uns verweigert wird.« – »So nehmt Euch in acht! Die Hazienda gehört mir. Dieser Graf hat Euch belogen und wird sterben, sobald er meinen Hof betritt. Die beiden Señores hinter mir sind Häuptlinge der Apachen und Mixtekas und haben eine Blutrache mit ihm. Gegen Euch aber habe ich nichts, Señor. Ich bin Pedro Arbellez, der Herr dieser Besitzung. Darf ich Euren Namen erfahren?« – »Ich bin Haro de la Vega, Rittmeister dieser Schwadron.« – »Haro de la Vega? Ah, seid Ihr vielleicht verwandt mit dem Präsidenten General Diaz de la Vega?« – »Ja. Er ist mein Vater.« – »Oh, dann seid Ihr der Rechte! Reitet näher und seht Euch dieses Pergament an! Es ist von Don Diaz, Eurem Vater, und dem General Carrera unterzeichnet. – »Ah, zeigt her!«
   Der Rittmeister drängte sein Pferd näher, ergriff das Schriftstück und las es.
   Während er die Urkunde durchsah, nahmen seine Gesichtsmienen einen immer ernsteren Ausdruck an, und als er das Schriftstück gelesen, wandte er sich an die hinter ihm wartenden Chargierten seiner Schwadron zurück und bat auch seine Offiziere: »Señores, kommt näher. Dieser brave Señor Pedro Arbellez hat die Hacienda del Erina als Pacht erhalten mit der Bedingung, daß er sofort und vollständig Eigentümer wird, sobald Graf Ferdinando de Rodriganda stirbt. Graf Alfonzo scheint gar nichts davon gewußt zu haben. Señor Arbellez, darf ich ihm das Pergament zeigen?« – »Nur unter der Bedingung, daß ich es sogleich und unbeschädigt zurückerhalte.« – »Verlaßt Euch darauf!« – »Gewiß, da Ihr mir für die Zurückgabe der Urkunde Bürgschaft leistet, denn einem Grafen Alfonzo würde ich sie in keinem Fall in die Hand geben, selbst dann nicht, wenn er sein Ehrenwort verpfändete.« – »Oho! Habt Ihr so wenig Vertrauen zu ihm? Nun denn, die von mir verlangte Bürgschaft sollt Ihr haben.«
   Señor Pedro Arbellez gab hierauf seine Zustimmung durch eine bejahende Handbewegung, und der Rittmeister wandte sein Pferd und ritt aus dem Tor hinaus zu Alfonzo. Nach einer Weile hörte man einige kräftige Flüche von Alfonzos Stimme. Dann kehrte der Rittmeister in den Hof zurück und gab Arbellez sein Pergament.
   »Señor, Ihr seid unbestrittener Besitzer dieser Hazienda, und da Graf Alfonzo unter diesen Umständen keinen Augenblick länger hier verweilen wird, so sage ich Euch Lebewohl!«
   In der nächsten Minute donnerte die Schwadron über die weite Ebene dahin. Kaum aber war sie verschwunden, so trabten ihr zwei Reiter nach, Bärenherz und Büffelstirn, die jetzt nur an das strenge indianische Gesetz der Rache dachten.
   Señor Arbellez kehrte mit den Seinen in das Haus der Hazienda zurück, deren Eigentümer er durch den Tod des Grafen Ferdinando de Rodriganda geworden war.


   27. Kapitel

   Hat der freundliche Leser bisher zwei so verschiedene Brüderpaare kennengelernt, wie die Grafenbrüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda und die Beamtenbrüder Gasparino und Pablo Cortejo, so wird es ihm sicher ein sehr großes Rätsel sein, warum die beiden Grafen trotz ihrer freundlichen und hochherzigen Eigenschaften von den beiden Cortejos auf eine Weise und mit einer Grausamkeit verfolgt und betrogen wurden, die selbst vor dem ärgsten und unmenschlichsten Verbrechen nicht zurückbebte. Dieses Rätsel soll jetzt gelöst und der bisher so dunkle Schleier gelüftet werden.

 //-- * * * --// 
   Es war zu Saragossa, kurze Zeit nachdem die schöne Zigeunerin Zarba sich mit Gasparino Cortejo entzweit und der Hauslehrer Sternau seine Señorita Wilhelmi den Händen des Herzogs von Olsunna entrissen hatte. Da traten dort zwei Persönlichkeiten auf, die beide, eine jede auf ihre Weise und in ihrem Kreis, ein gerechtes Aufsehen erregten.
   Die eine dieser beiden Persönlichkeiten war der alte Graf Manfredo de Rodriganda, der Vater der damals noch jungen Brüder Emanuel und Ferdinando.
   Er hatte lange Zeit als Vizekönig der spanischen Besitzungen in Ostindien gelebt, und man sagte sich, daß er aus diesen Ländern geradezu ungeheure Schätze mitgebracht habe. Jetzt hatte er sich in den Ruhestand versetzen lassen und war nach Madrid gekommen, um die letzten Studien seiner beiden Söhne zu überwachen. Da er in der Nähe von Saragossa reiche Güter besaß, so verweilte er nur vorübergehend in dieser Stadt, um die Administration dieser Besitzung einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen.
   Einer seiner hervorragendsten Administratoren war Henrico Cortejo, der Vater der beiden Brüder Gasparino und Pablo Cortejo. Überhaupt waren die Cortejos seit Menschengedenken bei den Rodriganda bedienstet gewesen, und man sagte sich, daß dieser Henrico ein ganz besonderer Liebling des alten Vizekönigs Don Manfredo sei.
   Don Manfredo trat mit einem ungewöhnlichen Glanz auf. Er war eine hohe, volle, imponierende Erscheinung. Zwar war sein Haupt– und Barthaar weiß gebleicht und sein Gesicht von der Sonne Indiens dunkel gebräunt, aber dies gab ihm ein schönes, frisches und ehrwürdiges Aussehen.
   Ein noch schönerer Mann freilich war der erwähnte Administrator Henrico Cortejo. Er war in den kräftigsten Mannesjahren und stand, obgleich er zwei ziemlich erwachsene Söhne hatte, in dem Ruf, daß er der Löwe der Damenwelt von Saragossa sei. Gasparino, der eine seiner Söhne, der sich mit ihm in Saragossa befand, konnte ihm hierin keine Konkurrenz machen.
   Die andere Person, die ein solches Aufsehen erregte, war die Primaballerina, die erste Tänzerin des dortigen Theaters.
   Wie ein Komet, wie ein leuchtender Meteor war sie plötzlich und unerwartet am Himmel von Saragossa erschienen, und so schnell, wie sie gekommen war, so schnell hatte sie alle Welt erobert und sie sich zu ihren Füßen gelegt.
   Sie hieß Hanetta Valdez und sollte, der Sage nach, von ganz armen, obskuren Eltern abstammen, hatte also ihre Erfolge allein nur ihrer Schönheit und Geschicklichkeit zu verdanken. Zu ihren Bewunderern gehörte bald auch der Herzog von Olsunna, doch sagte man sich, daß es ihm nicht gelänge, in ihrer Gunst große Fortschritte zu machen.
   Ihr erklärter Liebling, so flüsterte man sich zu, solle Henrico Cortejo, der Vater der zwei Söhne, sein.
   Graf Manfredo de Rodriganda war von seinen Geschäften zu sehr in Anspruch genommen, um während der ersten Zeit viel an Zerstreuung und Vergnügungen zu denken, sobald er jedoch die notwendigsten derselben erledigt hatte, mußte er auch seine hohe Stellung berücksichtigen und seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Rechnung tragen.
   Er machte und empfing Visiten, veranstaltete Soireen, besuchte das Theater, war aber noch nicht dahin zu bringen gewesen, das Ballett zu sehen. Seine echt spanische ernste Lebensanschauung sträubte sich dagegen. Je mehr er aber über die berühmte Ballerina hörte, desto weniger energisch wurde sein Widerstand, und als er einst in einem Kunstladen die Fotografie der Tänzerin erblickte, folgte er einer unwillkürlichen Eingebung, kaufte sie und nahm sie mit nach Hause.
   Dort saß er nun oft allein, in die Betrachtung der herrlichen Gestalt und der reizenden Züge ganz versunken, und es war ihm, als ob er von den faszinierenden Augen des Bildes förmlich bezaubert werde.
   Einige Zeit später hatte sein Kammerdiener im Zimmer zu tun. Es war der kleine, dürre Juan Alimpo, den wir später als Kastellan auf Rodriganda gesehen haben. Als dieser das Porträt erblickte, blieb er ganz erstaunt stehen, und da er der erklärte Günstling seines Herrn war und sich schon eine Freiheit gestatten durfte, nahm er die Fotografie in die Hand, um sie zu betrachten, und fragte erstaunt:
   »Donnerwetter, Exzellenz, wer ist das?« – »Die Valdez«, antwortete sein Herr leutselig. – »Die Valdez? Wer ist denn die?« – »Sie ist die Primaballerina hier, die erste Ballettänzerin am Theater.« – »Hm!«
   Der kleine Kammerdiener stieß die Silbe mit einer so eigentümlichen Betonung hervor, daß sein Herr ihn ansah und fragte:
   »Was meinst du?«
   Abermals erfolgte ein »hm«.
   »Nun?« – »Schade, daß eine solche Schönheit eine Tänzerin ist.« – »Eine Tänzerin muß ja schön sein!« – »Ja, aber diese ist so schön, daß sie eine Gräfin sein könnte. Ist es dieselbe, von der die Leute so viel sprechen?« – »Ja.« – »Ich habe längst gewünscht, sie einmal zu sehen.« – »So gehe, ich gebe dir frei.« – »Danke, Exzellenz! Ein braver Diener geht einer Tänzerin wegen nicht von seinem Herrn fort. Etwas anderes freilich wäre es – hm!« – »Nun?« – »Wenn – wenn Sie selbst einmal das Ballett besuchen wollten.« Jetzt endlich waren die Worte heraus, und Alimpo blickte seinen Herrn forschend von der Seite an, um den Eindruck derselben zu beobachten. Dieser schien kein so schlimmer zu sein, als er erwartet hatte, denn der Graf hielt den Blick zum Fenster hinaus gerichtet und fragte nur, freilich mit sehr gleichgültiger Stimme:
   »Meinst du wirklich, Alimpo?« – »Ja«, antwortete dieser schnell. – »Nun, wir werden ja einmal sehen!«
   Mit diesen Worten schien der Graf das Gespräch als beendet zu betrachten, aber Alimpo war damit nicht zufrieden, sondern räusperte sich ein klein wenig und sagte:
   »Man müßte warten, bis ein recht schönes Stück gegeben wird, wie zum Beispiel ›Die Königin der Sonne‹, das mit einem Ballett ausgestattet ist.« – »Du hast es wohl einmal gesehen?« – »Nein.« – »Wie kommst du denn darauf?« – »Hm, es wird heute gegeben.«
   Jetzt drehte sich der Graf rasch zu dem Kammerdiener herum und sagte:
   »Caramba, du bist ein Schlaukopf. Erst tust du, als ob du die Tänzerin nicht kennst, und nun weißt du auf einmal, welches Stück heute gegeben wird.« – »Es steht ja in allen drei Blättern der Stadt.« – »So! Und du willst das Stück gern sehen?« – »Oh, sehr gern, Exzellenz! Ich habe gehört, daß es ganz außerordentlich schön sein soll. Es kommen darin Engel und Teufel, Geister, Elfen, Feen und lauter Königinnen vor.« – »So kannst du also gehen!« – »Und Sie, gnädiger Herr?« – »Ist es dir wirklich unmöglich, allein zu gehen?« – »Ganz unmöglich!« – »Nun gut! Welcher Besuch ist für heute abend bei uns angesagt, oder sind wir irgendwo eingeladen?« – »Weder das eine, noch das andere.« – »Gut, so werden wir in die Oper fahren.«
   Das Gesicht des kleinen Alimpo glänzte vor Freude, und er küßte seinem gütigen Herrn vor lauter Dankbarkeit die Hand.
   Es war jetzt dem Grafen sehr willkommen, daß Juan Alimpo die Initiative ergriffen hatte. Das Bild der Tänzerin hatte ja einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er die Stunde der Vorstellung kaum erwarten konnte.
   Und wie so ganz anders war es doch dann, als er sie endlich sah, als die Musik eine rauschende Einleitung beendet hatte, der Vorhang sich hob und die Ballerina erschien. Ja, sie strahlte in Wahrheit, als sie auf die Bühne trat, wie eine Sonne! Ihre Formen, ihre schöne Gestalt waren von unwiderstehlichem Reiz, sie schienen einer Juno, einer Venus anzugehören, und ihr prachtvoller Kopf, die feine Rundung des Profils und das Feuer ihrer Augen waren geradezu sinnbetörend.
   Graf Manfredos Blicke hingen nur an ihr. Er sah sie nicht tanzen; er sah auch die anderen nicht. Er achtete nicht der Szene und der Verwandlungen, der befand sich wie im Traum, und als am Schluß der Vorstellung der Vorhang fiel, wäre er noch lange wie bezaubert stehengeblieben, wenn nicht Alimpo ihm den Hut gebracht und ihn dadurch an das Gehen erinnert hätte.
   Da erst holte er tief Atem und sagte:
   »Schicke den Wagen nach Hause!« – »Wir fahren nicht, Exzellenz?« fragte der kleine Diener, ganz erstaunt über eine so ungewöhnliche Extravaganz. – »Nein. Wir gehen, und sobald die Läden noch offen sind, führst du mich zum ersten Juwelier!«
   Alimpo wußte sich den Befehl seines Herrn gar nicht zu deuten, aber er mußte ihn erfüllen. Beim Juwelier angekommen, kaufte der Graf einen kostbaren Brillantenschmuck, den er draußen auf der Straße dem Diener gab.
   »Weißt du, was du sollst?« fragte er ihn. – »Nein, Exzellenz«, antwortete Alimpo ebenso wahr wie naiv. – »Weißt du die Wohnung dieser Valdez?« – »Nein, ich weiß sie nicht, ich kann sie aber erfahren, und zwar jetzt gleich, wenn es sein muß.« – »Es muß sein! Du gehst in ihre Wohnung, zu ihr selbst. Verstanden?« – »Sehr wohl!« nickte Alimpo. – »Und gibst ihr selbst den Schmuck und sagst, ein Bewunderer der Sonnenkönigin sende ihn, obgleich er viel zu arm für eine solche Herrscherin sei.« – »Donnerwetter, Exzellenz! Er kostet ja fünfzehntausend Duros!« – »Das geht dich nichts an! Wirst du bei ihr nicht vorgelassen, so bringst du den Schmuck wieder mit.« – »Das wird klüger sein, gnädiger Herr! Was aber soll ich sagen, wenn man mich nach dem Namen des Gebers fragt?« – »Nichts. Du verschweigst ihn.« – »Soll ich auf Antwort warten?« – »Nein. So bald du den Schmuck abgegeben hast, kommst du nach Hause, denn ich bin begierig zu erfahren, was sie gesagt hat. Jetzt gehe!«
   Der Graf ging zu Fuß nach seiner Wohnung zurück, der Diener aber schritt noch ein Stück in die Straße hinein und erkundigte sich bei einem ihm Begegnenden nach der Wohnung der Tänzerin, die zufälligerweise nicht sehr weit entfernt lag, was auch der Grund war, daß er sogleich bei der ersten Frage Auskunft erhielt.


   28. Kapitel

   Alimpo schritt auf ein hohes Haus zu, durch dessen Tor er trat, stieg eine hell erleuchtete Treppe hinan und gelangte an eine Tür, an der eine Karte mit dem Namen »Hanetta Valdez« befestigt war. Auf sein Klingeln wurde geöffnet, und das freundliche Gesicht einer Dienerin erschien.
   »Was wünscht Ihr?« fragte sie. – »Ist Señorita Valdez schon daheim?« – »Nein.« – »So muß ich warten, denn ich habe einen Auftrag.« – »Noch so spät? Kann ich es nicht besorgen?« – »Nein. Ich habe etwas abzugeben.« – »Von wem?« – »Das ist Geheimnis. Darf ich eintreten, Señorita?« – »Eigentlich nicht. Aber wenn Ihr hübsch ruhig warten wollt, so mögt Ihr immerhin kommen.«
   Die Dienerin öffnete nun die Tür vollends und ließ Alimpo in ein Vorzimmer treten, wo sie Gelegenheit hatte, ihn zu betrachten. Dem guten Alimpo war es unter dem Blick dieser hübschen Augen ganz so, wie es vorhin im Ballett seinem Herrn bei den zündenden Blicken der Tänzerin zumute gewesen war; er fühlte sein Herz klopfen, aber nicht ängstlich, sondern wohltuend und selig.
   »Aber«, sagte sie im Ton der Überraschung. »Was ist denn das! Ich glaube, ich täusche mich. Heißt Ihr nicht Juan Alimpo, Señor?« – »Ja, der bin ich.« – »So seid Ihr wohl gar der kleine, gute Juan Alimpo aus Rodriganda?« – »Klein?« fragte er ein wenig unzufrieden. »Nun, so ganz klein bin ich doch wohl nicht. Ihr seid noch einen ganzen Fingerbreit kürzer als ich.« – »Das ist möglich«, lachte sie. »Aber, Señor, seht mich doch einmal genauer an. Erkennt Ihr mich denn nicht wieder?« – »Nein«, sagte er verlegen. »Habe ich Euch etwa einmal gekannt, Señorita?« – »Na, und ob.« – »Wer seid Ihr denn?«
   Ihre hellen, schelmischen Augen lachten ganz glücklich, als sie erwiderte:
   »Ich bin vier Jahre jünger als Ihr …« – »Ah! Auch aus Rodriganda?« – »Ja. Kennt Ihr das kleine unartige Nachbarkind nicht mehr, das so oft auf Eurem Rücken geritten ist?« – »Verdammt! So seid Ihr am Ende gar …«
   Alimpo hielt mit offenem Mund inne. Nein, das unartige, kleine Nachbarkind, diese kleine, böse, abscheuliche Hummel, konnte doch unmöglich ein so hübsches, dralles Mädchen geworden sein!
   »Nun, so redet doch nur weiter, Señor!« lachte sie, indem sie ihm zwischen den purpurnen Lippen hindurch zwei prachtvolle Reihen allerliebster, kleiner Zähnchen zeigte.
   »Hm«, brummte er, halb froh und halb verlegen. »Ihr seid doch nicht etwa Nachbars Elvirita?« – »Freilich bin ich die, die Elvirita, wie Ihr mich immer nanntet, oder die Elvira, wie ich jetzt heiße.« – »Donnerwetter!« fluchte er bewundernd. »Ihr seid verdammt hübsch geworden!« – »Geht, Señor Alimpo!« sagte sie verschämt. – »Bei der heiligen Madonna, es ist wahr!« beteuerte er. – »Oh, auch Ihr seid anders geworden, und zwar noch ein bißchen hübscher!« lächelte sie. – »Nur ein bißchen? Donnerwetter, das ist nicht genug! Ich wollte, daß ich unendlich hübscher geworden wäre, damit ich Euch vielleicht ein bißchen gefiele.«
   Es war auf einmal ein ungewöhnlicher Mut über den wackeren Alimpo gekommen. Er faßte das Mädchen bei der Hand und blickte ihm in die Augen.
   »Geht, Señor«, sagte sie da erglühend. »Was kann Euch daran liegen, ob Ihr mir gefallt!« – »Oh, sehr, sehr viel, Elvira. Aber wollen wir nicht wieder ›du‹ zueinander sagen, wie früher?« – »Nein, denn Ihr seid ja jetzt ein so vornehmer Herr geworden.« – »Ich? Ah! Inwiefern?« – »Ihr tragt doch die Livree des Grafen de Rodriganda!«
   Da blickte Alimpo an sich herab, schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rief:
   »O heilige Madonna, bin ich dumm!« – »Warum?« fragte Elvira, erstaunt über diese unerwartete Aufrichtigkeit. – »Ja. Und mein Herr, der Graf, ist noch dümmer!« – »Ah!« lachte jetzt das Mädchen auf. »Das sollte er hören!« – »Oh, er würde mir ganz gewiß recht geben. So dumm wie heute sind wir beide seit langer Zeit nicht gewesen.« – »Inwiefern denn, Alimpo?« – »Weil ich nicht wissen lassen soll, wer ich bin und von wem die Diamanten kommen, und trage doch diese Livree.« – »Diamanten?« rief das Mädchen erstaunt. – »Ja, für fünfzehntausend Silberduros.« – »O mein Gott, mir wird ganz – ganz dumm im Kopf!« rief Elvira, indem sie die Hände zusammenschlug. Für wen sind sie denn?« – »Für die Ballerina.« – »Für meine Herrin? Und von wem kommen sie?« – »Das darf ich ja eben nicht sagen.« – »Und trägst doch seine Livree? Also vom Vizekönig?« – »Ich sage es nun gerade nicht!« meinte er trotzig. – »Das hast du auch nicht nötig«, lachte sie. »Das ist wohl ein Geschenk?« – »Freilich.« – »O du heilige Mutter Gottes! Ein Geschenk von Diamanten für fünfzehntausend Duros! Wofür denn?« – »Hm, für das Tanzen jedenfalls. Ich weiß es nicht.« – »Hat er sie denn tanzen sehen?« – »Heute. Dann rannte er zum Juwelier, kaufte die Steine und schickte mich her, um sie ihr persönlich zu überreichen. Aber ich soll nicht sagen, von wem sie sind.« – »Höre, Alimpo, er ist verliebt in sie!«
   Der Diener machte ein ganz perplexes Gesicht.
   »Ver-liebt! Du bist nicht gescheit!« – »Nicht? Oh, ich sage dir, daß wir Frauenzimmer in solchen Sachen sehr gescheit sind!« – »So?« fragte er, einigermaßen unruhig. »Warum denkst du, daß er verliebt ist?« – »Weil er ihr ein solches Geschenk gibt. Einen solchen Reichtum gibt man nur, wenn man ganz und gar verliebt ist.« – »Donnerwetter!« – »Ja!« sagte sie triumphierend. – »Ich dachte, ein Geschenk gäbe man nur, wenn man geradezu verrückt ist«, meinte Alimpo. – »Geh, du bist wenig höflich!« schmollte sie. – »O doch, gegen dich zum Beispiel vorzugsweise gern.« – »Also, wenn du nun zum Beispiel in mich verliebt wärest?« – »Hm, das wäre sehr leicht möglich«, schaltete er schnell ein. – »Würdest du mir Diamanten geben?« – »Ich habe ja keine!« – »Aber wenn du reich wärest?« – »Ah! Oh! Hm! Ja, ich würde dir vielleicht welche geben! Ganz gewiß!« – »Na siehst du, daß es nur auf die Liebe ankommt? Er ist verliebt in sie, das ist gewiß!« – »Alle Teufel! Was soll daraus werden?« – »Ja, das ist nun allerdings eine schlimme Sache! Kann ich die Brillanten einmal sehen?« – »Nein. Wenn die Ballerina käme!« – »Oh, die kommt noch lange nicht. – »Ah! So muß ich also diese lange Zeit hier warten?« meinte er. – »Freilich. Das ist dir wohl nicht lieb?«
   Alimpo warf einen verräterischen Seitenblick auf Elvira und entgegnete:
   »O doch, sehr lieb!« – »Nun, so siehst du also, daß wir Zeit haben, uns die Steine zu betrachten. Bitte, zeige sie mir!« – »Umsonst? Da zeige ich sie nicht her!« versetzte er entschieden. – »Ja, was willst du denn haben?« – »Hm«, schmunzelte er mutig, »einen Kuß wenigstens!« – »Geh, du Böser«, sagte sie errötend. – »Gut, so packe ich nie aus, und nun verlange ich sogar drei.« – »Das ist zu viel, ganz entschieden zu viel!« rief sie empört. – »Zu viel, für Diamanten im Wert von fünfzehntausend Duros?« – »Hm«, besann sie sich. Sein Argument schien Eindruck zu machen. »Gut«, erwiderte sie, »aber du bekommst die Küsse erst, wenn ich die Steine gesehen habe.« – »Nein, darauf gehe ich nicht ein. Ich will es jedoch gnädig machen; einen zuvor, einen beim Angucken und einen hinterher. Basta!« – »Gut! Hier hast du den ersten. Aber nun setze dich auch hier neben mich auf das Sofa. So etwas muß man sich in aller Ruhe und Bequemlichkeit betrachten können.«
   Damit reichte sie ihm ihre frischen, roten Lippen hin, und er gab ihr einen langen, herzhaften Kuß auf dieselben. Dann nahmen sie nebeneinander Platz, und er öffnete das sorgfältig verschnürte Paket, entnahm demselben das Etui und ließ die Brillanten im Strahl des Lichtes funkeln.
   »Ah!« rief sie, vor Entzücken so weg, daß sie den Kuß gar nicht bemerkte, den er ihr abermals gab. »Welch eine Pracht und Herrlichkeit! Diese Diamanten!« – »Fast so hell wie deine Augen!« fuhr er fort und gab ihr dabei den dritten Kuß. – »Diese Rubinen!« – »Gerade so schön wie deine Lippen!« Dabei gab er ihr den vierten Kuß. – »Hier auch Perlen!« rief sie entzückt. – »Schöner nicht als deine Zähne!« Nun erhielt sie den fünften Kuß, und jetzt erst merkte sie, daß er sich gar nicht mehr an ihren Kontrakt hielt. Sie schob ihn also fort und sagte: »Hier ein Saphir, und hier zwei Smaragde! Geh, du Böser, das haben wir nicht ausgemacht.« – »Allerdings nicht«, entschuldigte er sich. »Aber ich habe auch nicht gedacht, daß der Schmuck gar so schön ist. Ich bin viel zu billig gewesen. Ich verlange jetzt für jeden Stein einen Kuß!« – »Pack dich!«
   Elvira wollte den Ungestümen abwehren, aber es gelang ihr nicht. Er drückte sie herzhaft an sich und küßte sie nach Herzenslust. Endlich erhielt sie ein wenig Atem und rief:
   »Aber du störst mich ja! Wann soll ich da die Steine betrachten!« – »Ach was, Steine! Ein Kuß von dir ist mir lieber als alle Steine der Welt.« – »Ist das wahr?« fragte sie. – »Ja. Höre, Elvira, lege einmal den Schmuck weg und gib mir deine beiden Hände.« – »Warum?« – »Das wirst du gleich hören.«
   Sie erglühte und erwiderte abwehrend:
   »Aber so vergeht die Zeit, und ich habe mir den Schmuck nicht ansehen können.« – »Tue mir nur eine kurze Minute den Willen, dann sollst du ihn betrachten können, so lange es dir beliebt!« – »Nun gut. Hier hast du meine Hände!«
   Das Mädchen legte nun den Schmuck neben sich auf das Sofa und reichte ihm die Hände. Er aber ergriff dieselben, blickte ihr treu in die Augen und fragte:
   »Weißt du noch, Elvira, daß wir als Kinder immer gute Freunde waren und uns lieb hatten?« – »Ach ja!« – »Dann mußten wir auseinander, aber ich habe stets an dich gedacht.« – »Ich auch an dich.« – »Bist du mir noch so gut wie früher, Elvira? Ich bitte dich darum!« – »Nun, so will ich dir noch gut sein. Und du?« – »Oh, ich habe dich so lieb, daß – daß – daß ich dir gleich diese Steine schenken würde, wenn sie mir gehörten!«
   Da lachte sie in glücklicher Lust hell auf und sagte: »Da wärest du ja sinnlos verrückt, Alimpo!« – »Nein, meine Elvira. Ich war sehr dumm, als ich das vorhin sagte.« – »Und nun willst du gescheiter sein?« – »Gewiß. Aber nur unter der Bedingung, daß du meine Braut, meine Frau werden willst.« – »Heilige Lauretta, bist du rasch, Alimpo!« – »Ja. In so wichtigen Dingen darf man keine Zeit versäumen. Antworte mir, Elvira.« – »Hm. Wirst du mir aber auch gehorchen?« – »Ja. Und du mir?« – »Gewiß!« – »So sind wir also einig?« – »Einig!« lachte sie glücklich. – »Hurra! So ist‘s recht! Nun ist‘s gut! Nun gibst du mir noch einen tüchtigen Kuß, und dann kannst du dir die Steine vollends betrachten.«
   Der Kuß wurde gegeben und die Steine wieder vorgenommen, aber das Beschauen derselben ging doch nicht ohne die verschiedensten Zärtlichkeiten ab, und als Elvira ganz zufälligerweise nach der Uhr blickte, bemerkte sie zu ihrem Schreck, wie weit der Zeiger bereits vorgeschritten war.
   »Mein Gott, eine Viertelstunde vor Mitternacht!« rief sie. – »Verdammt!« – »Packe schnell wieder ein! Meine Herrin kann jeden Augenblick kommen.« – »Wird sie meine Uniform, meine Livree kennen?« – »Wohl kaum.« – »Nun, das ist gut, denn sie soll nicht wissen, von wem das Geschenk ist. Oder wirst vielleicht du es ihr sagen? Ich bitte, es nicht zu tun.« – »Gut, so werde ich schweigen.« – »Auch wenn sie dich fragt?« – »Ja. Heute wird sie mich überhaupt gar nicht fragen, da sie jedenfalls nach dem Theater noch Besuch empfängt. – »Wer sind die Herrschaften, die vielleicht noch kommen?« fragte er. – »Der Herzog von Olsunna oder Señor Henrico Cortejo. – »Wenn nämlich Henrico Cortejo kommt, so darf ich nicht hier bleiben. Er kennt nicht nur meine Livree, sondern auch mich selbst und würde der Ballerina sogleich sagen können, von wem das Geschenk kommt. Weißt du keinen Ausweg?« – »Hm! Es steht drüben ein kleines, unbewohntes Zimmer; aber es ist finster.« – »Das schadet nichts.« – »Gut, so führe ich dich hinüber; wenn die Herrin kommt, hole ich dich!« – »Oder noch besser, bring sie hinüber. Er könnte mich doch sehen oder hören.« – »So gebe ich dir auch eine Lampe. Komm!«
   Elvira brannte eine der vorrätigen Lampen an und geleitete Alimpo in ein kleines, einfach ausgestattetes Gemach, zu dem sie den Schlüssel bei sich trug.
   »Wer ist der Besitzer dieses Raumes?« fragte er.
   »Augenblicklich niemand. Es hat ein armer Maler hier gewohnt, der vor zwei Wochen ausgezogen ist. Ich habe den Schlüssel behalten, um immer abzustäuben.« – »Abzustäuben? Hm! – Oh! – Hm!« machte er mit einem sehr listigen Gesicht. – »Was hast du?« fragte sie. – »Einen Gedanken, einen sehr, sehr schönen, guten und auch einen außerordentlich praktischen Gedanken. Du wünschst doch, daß wir uns zuweilen wiedersehen, meine Elvira?« – »Ja, das wünsche ich allerdings.« – »Aber wo soll das geschehen?« – »Vielleicht in der Kirche?« – »Geht nicht, da können wir nicht miteinander sprechen.« – »Oder auf dem Markt, wenn ich einkaufen gehe.« – »Da beobachten uns die Leute, und die Zeit ist zu kurz.« – »Oder des Abends auf der Promenade?« – »Das ginge eher, aber ich weiß nie, wenn ich dem Herrn Grafen entbehrlich bin.« – »Ja, so weiß ich wirklich weiter keinen Ort.« – Aber ich weiß einen, und eben dieses Stübchen ist es, das ich meine.« – »Ah! Wie sollte das wohl gemacht werden?« – »Ich kann nur des Abends kommen, da läßt du die Stube auf, daß ich sofort eintreten kann. Ist von innen verriegelt, so ist dies ein Zeichen, das ich drinnen stecke. Du darfst dann nur zuweilen nachsehen und ganz leise drei langsame Schläge mit dem Finger tun, so mache ich auf.« – »Aber wenn du entdeckt wirst?« – »Das wird nicht so leicht geschehen!« – »Nun gut, so wollen wir es einmal probieren. Ah, horch! Ich glaube, sie kommen! Ich muß hinüber.«
   Man hörte in der Tat Schritte auf der Treppe; es waren eine männliche und eine weibliche Person deutlich zu unterscheiden.
   »Das ist sie, und Cortejo ist bei ihr«, flüsterte Elvira. »Sie kommen aus dem Theater.«
   Im nächsten Augenblick war Elvira aus dem Gemach verschwunden. Als sie das Vorzimmer betrat, war die Künstlerin mit ihrem Begleiter bereits in das andere Zimmer getreten, wohin Elvira ihr nachging, wie sie es zu tun gewöhnt war, um den Herrschaften beim Ablegen behilflich zu sein.
   Die Tänzerin zeigte sich jetzt als eine mittelhohe, volle Gestalt von geradezu unbeschreiblicher Schönheit der Gesichtszüge; aber über dieses Gesicht zuckte es zuweilen wie über das eines unbekannten Dämons, der in ihrem Herzen wohnen mußte.
   Als Elvira ihr einen Wink gegeben hatte, wies die Ballerina ihren Besucher nach dem Boudoir und sagte zu ihm:
   »Treten Sie ein, Señor. Ich habe noch eine Kleinigkeit mit dem Mädchen. Was sollte der Wink?« fragte sie dann, als sie sich unbelauscht wußte. – »Es will Sie jemand sprechen, Señorita, und zwar ein fremder Diener.« – »Wer ist sein Herr?« – »Ich weiß es nicht.« – »Ah, ein Geheimnis! Ist er ein Saragossaner oder ein Fremder?« – »Der Sprache nach ist er ein Spanier; er hat mir aber nicht gesagt, was er mit der Señorita zu sprechen hat. Er wartet bereits seit zwei Stunden und behauptete, er habe etwas direkt an Señorita abzugeben und dürfe nicht eher fortgehen.« – »Ah, jedenfalls ein Geschenk! Wo ist er?« – »Drüben im kleinen Kabinett. Er läßt Señorita bitten, sich zu ihm zu bemühen, weil er von Señor Cortejo nicht gesehen oder gehört sein will.« – »Ah, so ist er von diesem gekannt! Nun, ich werde ihm den Willen tun. Warte!«
   Die Ballerina ging hinüber in das kleine Zimmer. Alimpo saß erwartungsvoll auf seinem Stuhl, als sie eintrat.
   »Wer sind Sie?« fragte sie ihn mit einer Stimme, die mild wie der Ton einer silbernen Glocke klang. – »Señorita, ich bitte, dies verschweigen zu dürfen«, bat er mit einer tiefen Verbeugung. – »Warum?« – »Es ist mein Auftrag so!« – »So sprechen Sie weiter!« – »Ich habe den Befehl, der Königin der Sonne diesen Tribut zu überreichen, und zwar mit der Bitte um Entschuldigung, da jede irdische Gabe für eine solche Herrscherin unbedeutend sein muß.«
   Der wackere Alimpo hatte seine poetische Ader noch mehr angestrengt als es in der Weisung des Grafen gelegen hatte. Er gab ihr das Paket und wollte sich mit einer Verbeugung entfernen. Sie aber hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
   »Warten Sie!« gebot sie ihm, dann löste sie die Hüllen, die Alimpo sorgfältig wieder befestigt hatte, öffnete das Etui und rief: »Ah!«
   Es war nur dieser eine Laut, den sie ausstieß, aber es lag eine ganze Welt von Glück, Überraschung und stolzer Genugtuung darin. Ihre Augen leuchteten; ihre Lippen öffneten sich, so daß die Zähne wie farblose Tautropfen zwischen ihnen erschienen; ihr Busen wogte, und als sie jetzt das Collier ergriff und den Arm hoch emporhob, um es im Schein des Lichtes brillieren zu lassen, da war durch die verschobene Mantille ein Reichtum von Schönheit zu erblicken, im Vergleich zu welcher der Wert dieses Colliers eine Bagatelle war
   »Herrlich!« rief sie. »Und das soll mein sein?«
   Ihre erregten Augen glühten wie Feuerbrände auf das Angesicht des Dieners.
   »Ja, wenn Señorita es annehmen wollen«, antwortete er. – »Und ich darf nicht wissen, von wem es kommt?« – »Nein.«
   Da warf die Tänzerin den Kopf stolz in den Nacken und sagte:
   »Dies Geschenk ist kostbar, sehr kostbar, aber ich weise es dennoch zurück, wenn Sie mir nicht einige Fragen beantworten.« – »Ich darf nicht, Señorita!« – »Sie haben die Weisung, den Namen des Gebers zu verschweigen?« – »Hm!« sagte er langsam. »Es ist allerdings kein weiterer Zusatz gemacht worden.« – »So werde ich einige Fragen aussprechen, die Sie mir mit gutem Gewissen beantworten können.« – »Ich werde es tun, wenn ich kann.« – »Nun wohl. Ist Ihr Herr ein Spanier, von Adel und reich?« – »Alles dies. Er ist im übrigen Witwer, nicht mehr jung und hat zwei Söhne.« – »In welchem Alter stehen diese?« – »Ich bitte, diese Antwort zurückhalten zu dürfen, weil in ihr eine Andeutung liegt, die es Ihnen leicht macht, den Geber zu erraten.« – »Gut. Wohnt der Geber in Saragossa?« – »Für jetzt, ja.« – »Hat er mich öfters gesehen?« – »Nein, heute zum ersten Mal im Theater, und er ist sofort nach der Vorstellung zum Juwelier gegangen, um diesen Schmuck einzukaufen.« – »Auf welchem Platz war er im Theater?« – »Auch dies, bitte ich, verschweigen zu dürfen.«
   Ihr Gesicht glänzte und glühte förmlich von Triumph und Genugtuung, und jetzt trat jener dämonische Zug, der schon vorhin auf ihrem Gesicht bemerkbar gewesen war, noch mehr hervor. In ihren Augen und um ihre Lippen lag nämlich eine Härte, die erraten ließ, daß dieses wunderherrliche Weib imstande sei, alles niederzutreten und zu vernichten, ohne Gnade und Barmherzigkeit, was sich der Befriedigung ihrer Leidenschaften und Begierden in den Weg stelle.
   »Sie sind sehr verschwiegen«, sagte sie. »Verschwiegener als ich gewöhnt bin; aber ich will nicht weiter in Sie dringen. Hier ist ein Douceur – Trinkgeld —!«
   Damit griff die Tänzerin in die Tasche der Mantille und streckte Alimpo eine wohlgespickte Börse entgegen. Er aber verbeugte sich dankend und erwiderte:
   »Ich bitte um Entschuldigung, Señorita; aber ich würde meine Stellung sofort verlieren, wenn ich nur einen einzigen Maraved – alte spanische Goldmünze – annähme.«
   »Ihr Herr sieht es ja nicht!« – »Ich tue nie etwas, was er nicht sehen darf!« – »So ist er besser und treuer bedient, als mancher andere! Nehmen Sie also anstatt des Geldes meine Hand als Dank.«
   Sie streckte ihm den schönen, vollen, bloßen Arm mit dem kleinen, verführerischen Händchen entgegen. Alimpo wagte es, die Spitzen ihrer Finger mit einem Kuß zu berühren.
   »Diese Güte, Señorita«, sagte er. »ist mir werter als alles Gold. Ich werde von ihr meinem Herrn berichten.« – »Ja, sagen Sie Ihrem Herrn, daß ich gewöhnt bin, gütig und dankbar zu sein!« erwiderte sie zweideutig. »Ich nehme das Geschenk an, erwarte aber, daß er aus seinem geheimnisvollen Dunkel heraustritt. Beim nächsten Ballettabend werde ich den Schmuck anlegen, und ich ersuche Ihren Herrn, sich zu überzeugen, ob ich ihn zu tragen weiß.«
   Mit diesen Worten rauschte sie hinaus.
   Alimpo blieb zurück in der Hoffnung, Elvira noch einmal zu sehen. Er hatte sich auch nicht getäuscht, denn da sie drüben nicht weiter gebraucht wurde, trat sie bald ein.
   »Nun?« fragte sie. – »Donnerwetter!« fluchte er. »Ein schönes Weib!« – »Schöner als ich?« erkundigte sie sich ein wenig spitz. – »Ja, viel, viel schöner!« entgegnete der aufrichtig. – »Du, du, Alimpo!« drohte sie. – »Ach was! Schön ist schön, aber gut ist gut, und beides ist zweierlei. Ich lobe mir meine Elvira.« – »Wirklich?« fragte sie lächelnd und den Arm um ihn legend. »Wird es aber auch so bleiben?« – »Sicher! Schöner als die Tänzerin kann zwar keine sein, aber dennoch möchte ich sie nicht zur Frau, denn sie kommt mir vor, als hätte sie die Hölle hinuntergeschluckt mit Millionen von Teufeln. Ist Cortejo wirklich bei ihr?« – »Ja. Er wartet im Boudoir auf sie.« – »So wollte ich, er wartete in alle Ewigkeit und auch noch etwas länger! Nun aber, gute Nacht, meine gute Elvira!« – »Du mußt fort?« – »Freilich! Mein Herr hat über zwei Stunden warten müssen; das ist er nicht gewöhnt.« – »So gehe! Aber morgen kommst du wieder?« – »Sicher. Gute Nacht!« – »Gute Nacht, mein Alimpo!«
   Sie umarmten und küßten sich noch einige Male, endlich riß Alimpo sich los, um seinen Herrn aus der ihn verzehrenden Ungeduld zu reißen.
   Die Ballerina aber war inzwischen zu Cortejo in ihr Boudoir eingetreten, hatte die Mantille abgeworfen und neben ihrem Gast Platz genommen. Sie wußte, daß der Sender dieses Schmuckes ihm bekannt sein müsse, aber sie konnte warten. Endlich, als er von der neuen Livree eines Genueser Edelmanns, die ihm sehr gefallen hatte, sprach, ergriff sie die Gelegenheit und bemerkte:
   »Auch mir fiel heute während des Tages eine Livree auf, die ich im Theater noch nicht gesehen hatte. Der Besitzer muß kein Freund des Theaters oder wenigstens des Balletts sein.« – »Ich kenne alle hiesigen Livreen, vielleicht kann ich dich orientieren. Beschreibe sie mir.« – »Sie war einfach. Grau mit amarantfarbenen Aufschlägen und Kragen.« – »Ah, weiße Binde, amarantfarbene Gamaschen, die mit silbernen Knöpfen besetzt sind?« – »Ja.« – »Hast du die Knöpfe erkennen können?« – »Ja. Sie zeigten eine Grafenkrone und ein verschlungenes R und S.« – »Und diese Livree hast du noch nicht gesehen?« fragte er erstaunt. – »Nein.« – Aber meine Liebe, das ist ja die unsrige!« – »Die eurige?« rief sie im höchsten Grad überrascht.
   Sie wußte nun sofort, wer der Geber war, denn sie hatte von Cortejo bereits gehört, daß Graf Manfredo in Saragossa weile.
   »Es wird einer der Diener im Theater gewesen sein«, sagte er. »Der Graf kommt sicherlich nicht in das Ballett, denn seine Anschauungen sind zu streng.«
   Sie wußte es allerdings besser. Sie wußte, daß sie diesen strengen Mann bezaubert hatte und daß es vielleicht nur auf sie ankam, ihn festzuhalten und seine Reichtümer zu teilen. Darum erkundigte sie sich:
   »Du sprachst einst davon, daß er Söhne habe?« – »Ja, zwei, sie sind jetzt in Madrid.« – »Er ist ein Witwer?« – »Ja. Er führte ein sehr glückliches Leben mit seiner Frau und ließ sich nach ihrem Tod, um seinem Schmerz zu entgehen, nach Indien versetzen.« – »Hat er dort prosperiert?« – »Als Vizekönig?« lachte er. »Reichtümer, ungeheure Reichtümer hat er sich erworben.« – »Die er nun hier im Mutterland verzehren wird?« – »Jedenfalls.« – »Vielleicht verbindet er sich zum zweiten Mal?« – »Ah, du hättest vielleicht Lust, Gräfin Rodriganda zu sein?« lachte er. »So versuche doch, ihn zu erobern!« – »Hältst du dies für etwas so Unmögliches?« – »Beinahe, mein Kind, denn dieser Mann ist für Frauen vollständig unzugänglich.«


   29. Kapitel

   Unterdessen war der Graf ruhelos in seinem Zimmer auf– und abgeschritten. Er wollte es sich nicht gestehen, daß eine gefährliche, ja unwiderstehliche Zauberin ihre Banden bereits um ihn geschlungen habe. Er glaubte, oder vielmehr er redete es sich ein, unter einem vorübergehenden Eindruck zu stehen, dennoch erwartete er die Rückkehr seines Dieners mit beinahe fieberhafter Ungeduld.
   Als Stunden vergingen und die Mitternacht nahte, wollte er fast zornig werden, aber er kannte seinen treuen Alimpo zu gut, um zu wissen, daß dieser ihn nicht unnötigerweise warten lasse, und darum war auch die Sorge des Dieners, seinen Herrn unmutig zu finden, überflüssig gewesen.
   »Du bist sehr lange fort«, das war alles, was der Graf bemerkte. – »Ich konnte nicht eher, Exzellenz«, entschuldigte sich Alimpo. – »Willst du damit sagen, daß du warten mußtest?« – »Ja, und zwar über zwei Stunden.« – »Dann erst kam sie?« – »Ja. Als ich ihr das Geschenk überreichte, wollte sie es zuerst nicht annehmen, ohne zu wissen, wer der Geber ist, ich habe mich aber nicht verraten, und sie gab sich schließlich zufrieden und bot mir eine Börse mit Gold, die ich aber nicht annahm.« – »Das ist recht, ich werde dich entschädigen.« – »Sie reichte mir aber ihre Hand. Und als ich diese Güte lobte, sagte sie, ich solle meinem Herrn sagen, daß sie gewohnt sei, gütig und dankbar zu sein.«
   Bei diesen Worten zogen sich die Brauen des Grafen finster zusammen.
   »Weiter sagte sie nichts?« – »Sie läßt Sie bitten, den Schleier des Geheimnisses bald fallen zu lassen, und wird am nächsten Ballettabend den Schmuck anlegen, damit Exzellenz sehen sollen, ob sie ihn zu tragen verstehe.« – »Gut, ich werde das Ballett besuchen. Sonst sagte sie nichts?« – »Nein.«
   Der wackere Alimpo hielt es nicht für nötig, die Fragen und Antworten aufzuzählen, die er mit ihr gewechselt hatte. Doch der Graf erkundigte sich weiter:
   »Wo hast du auf sie gewartet?« – »In einem kleinen Zimmer, in das mich ein Dienstmädchen brachte, denn ich wollte in dem eigentlichen Vorzimmer nicht bleiben, weil mich dort Señor Henrico Cortejo gesehen hätte.«
   Der Graf war während dieses Gesprächs auf und nieder geschritten, jetzt hielt er plötzlich an.
   »Cortejo?« fragte er. »Wieso?« – »Er war dort.« – »Ah! Bereits als du kamst?« – »Nein. Er kam mit ihr zusammen.« – »So ist er gar wohl jetzt noch dort?« – »Allerdings.«
   Der Graf legte seine Faust schwer auf den Tisch und blickte finster vor sich hin.
   »Er ist sehr oft dort«, bemerkte Alimpo weiter. »Das Dienstmädchen sagte es, die ich ausgehorcht habe.« – »Was sagte sie denn sonst noch?«
   Es mußte mit dem Herzen des Grafen eigentümlich stehen, da er bereits nach der Plauderei eines Dienstboten forschte. Das merkte Alimpo recht gut. Er antwortete:
   »Sie sagte; daß auch der Herzog von Olsunna sehr oft kommt, ebenso noch mehrere, deren Namen ich nicht weiß.«
   Der Tisch krachte jetzt unter dem Druck, den die Faust des Grafen auf ihn ausübte, und als er nicht weiter fragte, machte Alimpo die Bemerkung:
   »Schön ist sie, schön wie ein Engel, aber hundert Teufel hat sie im Leib, Exzellenz!«
   Da fuhr des Grafen Kopf rasch empor, und sein Auge blitzte zornig auf.
   »Wer sagt das?« fragte er streng. – »Ich habe es gesehen, und meine Elvira sagte es auch!« – »Deine Elvira? Ah, wer ist das?« fragte der Graf verwundert.
   Alimpo stockte verlegen. Er hatte in diesem Augenblick ein Wort zum allerersten Mal gesprochen, das ihn nachher, ganz ohne seine Absicht, durch das ganze Leben begleitete und von seiner Elvira getreulich erwidert wurde. Er antwortete:
   »Meine Elvira? Exzellenz, das ist Nachbars Elvirita aus Rodriganda.« – »Ich kenne sie nicht. Aber sie kennt die Tänzerin?« – »Ja, sehr gut! Sie ist ja das Dienstmädchen, die sie bedient und mir das Stübchen angewiesen hat.«
   Des Grafen Gesicht wurde milder und milder, endlich lächelte er freundlich und sagte:
   »Und die nennst du deine Elvira?« – »Ja«, antwortete Alimpo stockend. – »Ah, so ist sie deine Geliebte?« – »Ja, seit heute sogar meine Braut, wenn Exzellenz uns gnädige Erlaubnis erteilen. Wir haben uns versprochen.« – »So hast du gewußt, wo die Tänzerin wohnt?« – »Nein.« – »Aber du hast dein Mädchen doch besucht.« – »Auch das nicht. Wir beide haben uns nicht gesehen, seit ich die Schule verlassen habe.« – »Das wäre ja wunderbar! Ihr habt euch erst heute wiedergesehen, und zum ersten Mal, und euch auch gleich verlobt?« – »Ja. Ich habe es gar nicht geglaubt, daß es möglich ist, Exzellenz, daß man einem Mädchen gleich so gut ist, daß man weiß, diese muß deine Frau werden und sonst keine.« – »So war es bei dir?« – »Gerade so, bei mir und bei meiner Elvira auch.«
   Der Graf blickte sinnend vor sich hin. Es bewegte sich kein Zug seines Gesichts, aber sein Herz ging mit wichtigen Gedanken schwer. Dachte er vielleicht, daß es ihm heute ganz ebenso gegangen sei wie Alimpo? Endlich holte er tief Atem und fragte:
   »Kannst du dich auf diese Elvira verlassen?« – »Ganz gewiß, Exzellenz.« – »Gut, so suche morgen früh zu erfahren, wann Henrico Cortejo fortgegangen ist.« – »Darf ich denn morgen früh schon hingehen?« – »Ja, aber in Zivil, damit man dich nicht kennt. Hier hast du meine Börse. Du kaufst das seltenste und teuerste Bukett und bringst es der Tänzerin, sagst jedoch abermals nicht, von wem es ist. Wirst du dabei mit deiner Elvira zusammenkommen können?« – »Ich hoffe es.« – »So ist es gut. Wenn ich mit dir zufrieden bin und deine Elvira ein gutes Mädchen ist, werde ich für euch sorgen. Jetzt gute Nacht.«
   Alimpo steckte die volle Börse mit einer tiefen Verbeugung des Dankes ein und ging. Er konnte in dieser Nacht vor Seligkeit nicht schlafen, während der Graf auch nicht schlief, allerdings nicht aus ganz demselben Grund. Auch er trug zwar eine Art von Seligkeit in der Brust, aber daneben auch eine Hölle, nur daß er sich dies nicht eingestehen wollte.
   Am Vormittag, als kaum die schickliche Stunde zum Besuch angebrochen war, machte Alimpo sich mit einem Bukett auf. Er hatte Zivilkleider angezogen.
   Als er das Haus erreichte, stand Elvira unter der Tür. Sie kam ihm heute am Tag so sauber und schmuck vor, daß er sie am liebsten gleich hier hätte umarmen mögen.
   »Guten Morgen, meine Elvira!« grüßte er sie. – »Ah, guten Morgen, mein Alimpo«, antwortete sie ganz erstaunt. »Was tust du hier?« – »Ich muß zur Tänzerin, um ihr ein Bukett zu bringen.« – »Ist‘s wahr? Das muß ich sehen. Komm.«
   Elvira führte ihren Schatz hinauf in das Stübchen, wo er das Bukett enthüllte.
   »Oh, wie herrlich!« rief sie. – »Das habe ich selbst ausgelesen«, sagte er stolz. – »Du? Da muß ich deinen Geschmack loben.« – »Ja, meine Elvira, der ist von jeher fein gewesen«, versetzte er anzüglich. – »Wieso?« fragte sie verschämt. – »Nun, an der Liebsten erkennt man den Geschmack am sichersten.« – »Und du denkst wirklich, daß der deinige fein ist?« – »Ganz gewiß, besonders, wenn ich einen Kuß bekommen.« – »Den sollst du haben, du appetitlicher Mensch. Hier! Aber, hatte ich gestern nicht recht?« – »Womit?« fragte er, nachdem er sich den Kuß genommen hatte. – »Mit deinem Grafen, daß er in die Tänzerin verliebt ist?«
   Da machte der gute Alimpo ein ernstes Gesicht und sagte beinahe traurig:
   »Höre, meine Elvira, das ist eine schlimme Sache, die mir gar nicht recht ist, denn er ist nicht verliebt, sondern er liebt wirklich.« – »Wo liegt der Unterschied?« – »Das Verlieben liegt in den Sinnen, die Liebe aber im Herzen.« – »Und dies ist bei ihm der Fall?« – »Ja. Ich glaube, er könnte sterben, wenn er Unglück hat in der Liebe. Und ich bleibe dabei, sie hat den Teufel im Leib.« – »Sie ist nicht gut!« stimmte auch Elvira bei. »Aber er wird sie ja nicht heiraten.« – »Nicht – und was denn?« – »Er wird sie besuchen, mit ihr speisen und spazierenfahren wie die anderen, weiter nichts.« – »Nein, das wird er nicht tun, denn er ist nicht wie die anderen. Wenn er ein Weib liebt, so wird es seine Frau.« – »Ah, so dauert er mich.« – »Mich auch. Aber wir können nichts tun, wir müssen es gehen lassen. Übrigens habe ich mit dem Grafen von dir gesprochen.« – »Du bist nicht klug.« – »Nicht? So hast du einen schlechteren Geschmack als ich«, lachte er. »Ich habe ihm gesagt, daß ich dir gut bin und daß ich dich heiraten werde.« – »Und weiter?« – »Und er hat gesagt, daß er für uns sorgen will, wenn du ihm gefällst.« – »Oh, so brauchen wir ja gar keine Sorge zu tragen!« rief sie glücklich. – »Ja. Nun aber sage mir, wie lange der Sachwalter hiergeblieben ist.« – »Nur kurze Zeit. Bis zwei Uhr. Ich war noch wach, als er ging, denn ich dachte an dich, und da hörte ich, daß sie keinen sehr freundlichen Abschied nahmen.« – »So haben sie sich vielleicht entzweit?« – »Nein, so schlimm war es nicht. Übrigens mußte ich heute zum Herzog von Olsunna gehen, um ihm zu sagen, daß Señorita heute Migräne habe und also nicht zu sprechen sei.«
   Alimpo lachte in sich hinein.
   »Weißt du, wer schuld ist an dieser Migräne?« – »Nun‘?« – »Der Graf. Der hat mit seinem Schmuck Eindruck gemacht. Sie wittert einen reichen, vornehmen Anbeter und will sich keine Blöße geben. Ist sie wirklich krank?« – »Nicht im geringsten.« – »So kann ich zu ihr?« – »Ja. Ich werde dich sogleich anmelden. – Kommst du heute abend?« – »Das versteht sich, aber jetzt kann ich nicht länger plaudern.«
   Elvira führte Alimpo in das Vorzimmer, in dem sie gestern sich getroffen hatten, und öffnete ihm bald darauf eine zweite Tür. Dort lag die Tänzerin auf einer Ottomane und blickte ihm erwartungsvoll entgegen.
   »Ah, Sie sind es«, sagte sie, als sie ihn erkannte. »Was bringen Sie?« – »Diesen Morgengruß, Señorita.« – »Von demselben Unbekannten? Will er mir auch heute seinen Namen nicht nennen und sich mir nicht zeigen?« – »Er wird das nächste Ballett besuchen.« – »So sagen Sie ihm, daß mein Herz ihn zu finden wissen wird, die Stimme des Herzens ist untrüglich.«
   Die Tänzerin erkannte sehr wohl, daß sie einem großen Sieg entgegengehe, und entließ den Diener mit einem huldvollen Nicken ihres schönen Kopfes.
   Alimpo berichtete dem Grafen den Erfolg seiner Sendung, und dieser schien mit demselben zufrieden zu sein. Dann ging der Diener wieder eines Tages mit einem Bukett zu der Ballerina und des Abends zu Elvira, und was er nun erfuhr, schien durchaus des Grafen Wohlgefallen zu erregen. Die Tänzerin ging nämlich nicht mehr aus, sie empfing Cortejo nur noch einmal des Nachmittags auf wenige Minuten und den Herzog von Olsunna gar nicht.


   30. Kapitel

   »Ich sah dich, hingegossen
   Auf üppig weichem Samt,
   Von gold‘nem Licht umflossen,
   Von Liebesglut entflammt.
   Die heißen Blicke lockten
   Mich hin zur süßen Ruh‘
   Und meine Pulse stockten,
   So schön, so schön warst du.
   Ich sah Granaten blühen
   In deines Haares Pracht,
   Sah deine Augen glühen
   Wie Sterne in der Nacht.
   An deinen Busen sank ich,
   Vor Glück bald bleich, bald rot;
   Von deinen Lippen trank ich
   Das Leben und … den Tod!«

   Endlich nahte der Tag, wo die Tänzerin wieder aufzutreten hatte. Das Haus war ausverkauft; Cortejo und der Herzog wollten, wie gewöhnlich, sie hinter der Szene aufsuchen, wurden aber abgewiesen. Graf Manfredo de Rodriganda war an seinem Platz.
   Der Vorhang hob sich, und die Ballerina erschien. Gleich bei der ersten Verbeugung, mit der sie das Publikum begrüßte, warf sie einen hellen, zündenden Blick nach dem Platz hinüber, an dem der Graf saß. Dieser fühlte den Blick, der ihm das Blut aufwühlte, er fühlte auch, daß er bereits erkannt und durchschaut sei.
   Er hatte abermals nur Augen für diese Künstlerin. Die Bewegungen ihrer sinnberückenden Gestalt gruben sich wie Schlangen in seine Seele ein; er wäre am liebsten hinabgesprungen zu ihr auf die Bühne, um sie vor aller Welt zu umarmen und diesen tausend Augen zu entreißen, die trunken an ihrer Schönheit hingen.
   Endlich sollte der letzte Aufzug zu Ende gehen. Die Tänzerin sollte in den Wolken verschwinden. Schon hob sie die Schwingen, die sie als Engel trug, schon schwebte sie einige Fuß über der Erde da – war es etwas an der Mechanik, oder trug sie selbst die Schuld – wankte sie und stürzte herb, zwar nicht hoch, aber scheinbar so unglücklich, daß sie sich nicht erheben konnte.
   Ein fürchterlicher Tumult erhob sich im Zuschauerraum. Der Vorhang fiel sofort, die Ballerina wurde nach ihrer Garderobe getragen, und der Theaterarzt beeilte sich, ihre Verletzung zu untersuchen. Eben eilte auch der Direktor herbei, als sich die Treppentür öffnete und ein ihm unbekannter Herr hereingestürzt kam.
   »Wo ist Señorita Valdez?« fragte derselbe kurz und gebieterisch. – »Jedenfalls in guten Händen. Was wollen Sie?« – »Ich muß zu ihr!« – »Das geht nicht!«
   Da richtete sich der Fremde stolz empor und fragte:
   »Wer will es mir verbieten?« – »Ich bin der Direktor.« – »Gut, und ich bin Graf de Rodriganda, Vizekönig von Indien.«
   Da riß es die Gestalt des Direktors zur tiefsten Referenz zusammen.
   »Ah, Exzellenz, das ist etwas anderes«, rief er. »Folgen Sie mir!«
   Er führte den Grafen darauf bis zur Garderobentür, warf einen Blick durch dieselbe und sagte:
   »Die Señorita ist wieder bei Besinnung. Treten Sie ein.«
   Als der Graf den kleinen, aber luxuriös eingerichteten Raum betrat, zuckte ein Blitz der Genugtuung über das Gesicht der Ballerina. Niemand ahnte, daß sie mit Fleiß gestürzt sei, um durch diesen Fall den reichen Anbeter in Aufregung zu versetzen und dadurch zu einem Schritt zu verleiten, der nicht wieder zurückgetan werden konnte.
   »Mein Gott«, rief sie, »wer ist der Fremde? Man lasse mich doch allein!«
   Der Arzt wandte sich um und sah den Grafen.
   »Mein Herr«, sagte er streng. »Hier gibt es zunächst nur Zutritt für mich.« – »Ich bin Graf Manfredo de Rodriganda und bleibe!« erwiderte der Abgewiesene kurz. »Hat Señorita Valdez sich gefährlich verletzt?«
   Der Arzt schlug, da er den Namen gehört hatte, einen anderen Ton an:
   »Eine äußere Verletzung hat nicht stattgefunden; ob eine innere vorliegt, muß sich erst noch zeigen.« – »So bitte ich, die Señorita mir zu überlassen!«
   Der Arzt warf einen fragenden Blick auf die Tänzerin, und da diese durch einen leichten Niederschlag ihrer Wimpern ihre Zustimmung gab, so sagte er:
   »Ich stimme bei, da ich überzeugt bin, sie in guten Händen zu wissen.«
   Er ging, und nun war der Graf mit der Tänzerin allein.
   »Señorita, Sie kennen mich?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie mit einem verschämten, aber unendlich reizenden Aufschlag ihrer Lider. – »Warum wollten Sie mich hinausweisen?« – »Exzellenz, das galt nicht Ihnen, sondern dem Direktor, der hinter Ihnen eintreten wollte«, entschuldigte sie sich. – »Werden Sie sich erheben können?« – »Wohl schwerlich.« – »So gestatten Sie mir, Sorge zu tragen, daß Sie schmerzlos nach Ihrer Wohnung gebracht werden, Señorita.« – »Ich gebe mich gern unter Ihre Obhut.«
   Der Graf eilte hinaus, und bald wurde die Tänzerin von einigen Theaterdienern in des Grafen eigene Equipage gehoben, die mit ihr im Schritt davonfuhr. Die Diener folgten, um sie vor der Tür ihrer Wohnung wieder auf die Arme zu nehmen und nach ihrem Schlafzimmer zu tragen. Der Graf war auf das zärtlichste besorgt für sie. Er saß, als die Fremden fort waren, bei ihr, um auf seinen eigenen Arzt zu warten, nach dem er gesandt hatte.
   Im Vorzimmer aber wachte Alimpo mit seiner Elvira.
   »Hat sie etwas gebrochen?« fragte das Mädchen leise. – »Leider nein«, antwortete er. – »Alimpo, du bist recht grausam und gefühllos.« – »Nein, aber ich sehe, was Wahrheit und was Komödie ist.« – »Was, du denkst, sie spielt Komödie mit solchen Schmerzen?« – »Schmerzen? Pah!« – »Ich habe es ja gesehen.« – »Aber nicht gefühlt, meine gute Elvira.« – »Hast du nicht die Gesichter gesehen, die sie vor Schmerzen schnitt?« – »Das kann ein jeder, ich auch. Sie ist gar nicht gestürzt.« – »Was denn sonst? Alle sagen, daß sie aus der Luft herabgestürzt sei!« – »Nein, sie ist nicht gestürzt, sondern sie hat sich gestürzt, sie hat sich recht sanft und behutsam drei Fuß hoch herabgleiten lassen. Ich habe es deutlich gesehen. Sie brachte das sehr täuschend fertig, denn sie ist eine Schauspielerin.« – »Denkst du das wirklich, Alimpo?« – »Ich bin überzeugt davon, daß sie damit den Grafen fangen wollte. Nun hat sie ihn und wird Gräfin de Rodriganda.« – »Mein Gott, eine Tänzerin!« – »So etwas soll öfters vorkommen.« – »Was werden die beiden jungen Herren sagen?« – »Das ist es ja, was mich so erzürnt. Ich habe beide herzlich lieb, ich habe mit ihnen Unterricht genossen, ich weiß, was sie in dieser Sache denken und fühlen werden. Ich sage dir, meine gute Elvira, die tausend Teufel, die diese Tänzerin im Leib hat, wird sie nun bald auf Rodriganda auslassen.« – »Da möchte ich nicht dabeisein.« – »Warum nicht? Der Graf will für uns sorgen. Jetzt ist er vor Liebe ganz selig, und wenn er mir eine Stellung bietet, über die ich mich freuen kann, so nehme ich sie an, ohne nach den tausend Teufeln zu fragen, die mich nichts kümmern.«
   In diesem Augenblick hatte es da drinnen im Schlafzimmer allerdings nicht das Aussehen, als ob die Ballerina tausend Teufel im Leib habe. Sie lag vielmehr so ergeben und geduldig auf ihrem weichen Bett, als wolle sie einem Maler zum Bild der personifizierten Sanftmut sitzen oder liegen. Elvira hatte sie vorhin umkleiden müssen, und nun ruhte sie, nur in das feine, weiße Negligé gehüllt, mit müde geschlossenen Augen.
   Der Graf hielt eine ihrer Hände in der seinigen und verwandte keinen Blick von ihr. Er hatte noch kein anderes, als nur notwendiges Wort mit ihr gesprochen und horchte nur zuweilen nach der Tür hin, ob sich nichts vernehmen lasse.
   Da endlich erklangen halblaute, schnelle Schritte, und sein Hausarzt trat ein. Er wußte bereits von der Anwesenheit des Grafen und zeigte sich also nicht verwundert darüber. Er hatte in kurzer Zeit die Kranke untersucht und riet schulterzuckend zur möglichsten Ruhe und Schonung, verschrieb auch ein Medikament, das nichts schadete, er erkannte wohl, daß die Patientin vollständig rüstig sei, hielt es aber nicht für seine Aufgabe, dies zu äußern.
   Als er sich entfernt hatte, bog der Graf sich zu der Ballerina nieder und fragte:
   »Macht Ihnen das Hören Schmerzen, Señorita?« – »Nein«, lispelte sie. – »So darf ich sprechen?«
   Sie nickte müde und fuhr sich mit der feinen Hand nach der Stirn.
   Seine Hand bebte leise in der ihrigen; sie fühlte es und freute sich darüber.
   »Sie wissen«, fragte er, »von wem die Buketts waren, die Sie jetzt täglich des Morgens erhielten?« – »Ja.« – »Sie wußten auch, wer Ihnen den Schmuck sandte?« – »Ich ahnte es.« – »Woher, Señorita?« – »Ich hatte Sie in der Vorstellung gesehen und mich nach der Farbe Ihrer Livree erkundigt.« – »Ah«, sagte er glücklich, »da mußten Sie also meinen guten Alimpo sofort erkennen. Zürnten Sie mir?«
   Sie versuchte ein leises, mildes Lächeln und antwortete:
   »Im Gegenteil, Don Manfredo.« – »Sie freuten sich also?« – »Ja.« – »Ich höre, daß Sie sogar meinen Rufnamen wissen.«
   Ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen.
   »Sind Sie mir bös«, fragte er weiter, »daß der Schreck und die Angst meines Herzens mich heute zu Ihnen hinter die Szene trieben?«
   Sie schüttelte den Kopf und erwiderte:
   »Nein, das war nur ritterlich.« – »Ja, Ihr Ritter möchte ich sein, jetzt, stets, allezeit, für das ganze Leben.«
   Die Tänzerin schloß die Augen, als müsse die Seligkeit, die sie über seine Worte empfand, vor jeder profanen Berührung mit der äußeren Sinneswelt bewahrt werden.
   »Und darf ich heute bei Ihnen wachen, Señorita?« – »O nein«, hauchte sie, aber ein schneller Augenaufschlag bat ihn gerade um das Gegenteil. »Was würde man dazu sagen?« – »Oh, man sollte nur ein einziges Wort wagen!« drohte er. – »Ich bin müde«, lispelte sie, ihre Hand aus der seinigen ziehend und nun beide Hände wie zum Nachtgebet faltend.
   »Schlafen Sie! Ich bleibe!«
   Der Sturz schien sie ganz widerstandslos gemacht zu haben. Sie sprach nicht mehr, und bald verkündigten ihre leisen, ruhigen Atemzüge, daß sie eingeschlafen sei.
   Und nun saß der Graf während der ganzen langen, einsamen Nacht neben ihr, während die Ampel ihren purpurnen, verklärenden Schein über das Lager warf.
   Nur mit Mühe vermochte sich der Graf endlich von dem bezaubernden Anblick der Ballerina loszureißen, um sich leise zu erheben und in das Vorzimmer zu treten. Er hatte gar nicht wieder daran gedacht, daß er Alimpo befohlen, dort zu wachen, und daß der Arzt auch Elvira gebeten, in der Nähe ihrer Herrin zu bleiben.
   Da saßen nun beide auf dem Sofa, im tiefen Schlaf aneinandergeschmiegt. Ihre ehrlichen, treuen Gesichter machten einen guten, vertrauenerweckenden Eindruck, und der Graf murmelte vor sich hin:
   »Sie lieben sich, sie sollen glücklich sein, so wie ich glücklich bin.«
   Dann ließ er sich wieder neben dem Lager der Tänzerin nieder und wachte bis zum Morgen, wo eine Bewegung der Ballerina andeutete, daß sie ausgeschlafen habe.
   Der Graf hatte freilich nicht bemerkt, daß sie ihn bereits seit einiger Zeit unter den Wimpern hervor beobachtete.
   Endlich öffnete sie langsam die Augen.
   Es hatte den Anschein, als besinne sie sich zunächst gar nicht auf das Geschehene, bis ihr Blick den seinen traf und sie nun mit einem leisen Schrei zusammenfuhr.
   »Mein Gott, Graf, Sie noch hier?« fragte sie erstaunt. – »Ich hielt es für meine Pflicht, bei Ihnen zu wachen«, antwortete er lächelnd. – »Oh, mein Leben und meine Gesundheit sind doch nicht so kostbar!« – »Versündigen Sie sich nicht an der Gottheit, Señorita!« warnte er. »Sie haben Gaben erhalten, die eine jede zur Fürstin, zur Königin machen.«
   Da legte sie sich auf die Seite, stemmte den Kopf in die Hand, blickte ihn fest und fast finster an und entgegnete:
   »Pah, eine Tänzerin!« – »Aber dennoch wert, eine Königin zu sein!« behauptete er. – »Wagt es ein Herr, bei einer Königin zu wachen, Don Manfredo?« fragte sie. »Er wagt es nur bei der Ballerina!«
   Ihr Auge leuchtete dabei in einem eigentümlich drohenden Feuer.
   »Tat ich Ihnen unrecht, Señorita?« fragte er leise. – »Ja. Ich bat Sie, mich zu verlassen.« – »Ich konnte unmöglich gehorchen.« – »Warum nicht?« – »Fragen Sie einen Seligen, warum er nicht aus dem Himmel will!« – »Und dennoch werden Sie diesen Himmel verlassen!« – »Niemals!« – »Sind Sie denn dieses Himmels würdig?«
   Bei dieser Frage richtete die Tänzerin einen Blick auf ihn, dessen Hingebung ihn trunken machte.
   »Prüfen Sie mich!« bat er.
   Jetzt lagerte sich ein tiefer Ernst über ihr morgen frisches Gesicht.
   »Prüfen?« fragte sie. »Ich Sie? Das Weib ist schwach, es lebt nur für die Liebe, aber der Mann ist stark. Prüfen Sie sich selbst, ob Sie würdig sind.«
   Da kniete er vor ihr nieder, faßte ihre beiden Hände und erwiderte:
   »Ich bin es, Señorita.« – »Beweisen Sie es!« – »Ich will diesen Himmel nicht geschenkt haben; ich will mir ihn nicht erbetteln, sondern erringen und erkaufen.« – »Wodurch?« – »Dadurch, daß ich Ihnen alles zu Füßen lege, was ich bin und was ich habe.« – »Auch die Grafenkrone?« fragte sie mit ungläubiger Miene, indem ihr Herz im geheimen vor Erwartung bebte. – »Auch die Grafenkrone!«
   Da entzog sie ihm ihre Hände und machte eine Bewegung, als ob sie ihn von sich stoßen wolle.
   »Gehen Sie, Graf!« – »Wie, Sie glauben mir nicht?« fragte er erregt. – »Nein. Ich glaube keinem Mann.« – »So lernten Sie noch niemals einen Mann kennen, Señorita!«
   Nun erhob sie sich aus der liegenden in die sitzende Stellung, und ihre Augen blickten ihn blitzend an, um aber nach und nach einen schwärmerischen, ja begeisterten Ausdruck anzunehmen.
   »Ja«, sagte sie, »Sie haben recht, Graf; ich lernte noch nie einen Mann kennen. Und warum? Weil es keinen gibt! Oh, auch ich habe geträumt und geschwärmt von dem alten Bild des Efeus um die Eiche; auch ich habe mich nach einem Starken, Treuen gesehnt, an dessen Brust mein Herz seine Pulse klopfen lassen dürfe, und ich habe nicht nach Reichtum, Schönheit und Stellung geblickt; ich wollte nur einen Mann, nichts als einen Mann, dessen Haupt ich bewahren könnte vor Sorge und Kummer. Pah, was habe ich gefunden!« – »Señorita, suchen Sie noch! Sie werden einen Mann finden!« – »Sie meinen sich?« – »Ja.« – »Wie wollen Sie beweisen, daß Sie wirklich derjenige sind, den ich suche?« – »Indem ich Sie an mein Herz nehme und nimmer davon lasse; indem ich Sie im Triumph nach Rodriganda führe und meinen Vorfahren anreihe; indem ich Sie von der Bühne hinweg bis hinauf zu den höchsten Stufen des Thrones geleite, indem ich für Sie wage, opfere und vollbringe, alles, was ein Großer der Erde für das Weib seiner Wahl und Liebe nur zu tun vermag.« – »Weib sagen Sie?« – »Ja.« – »Und Ihre beiden Söhne?« – »Diese werden Sie anbeten, ganz so wie ich.« – »Fast möchte ich Vertrauen fassen. In meinem Herzen wohnt ein ganzes Meer von Glück und Liebe, fast möchte ich es wagen für das, was Sie mir versprachen.« – »Tun Sie es, Señorita!« bat er. – »Nun wohl, Sie sind kein Knabe mehr, sondern ein Mann, der mit dem Leben gerungen hat. Ich will mich prüfen, ob ich Ihnen vertrauen kann. Gehen Sie jetzt und kommen Sie heute abend wieder.«
   Die Tänzerin erhob sich und schob ihn nach der Tür zu; dabei aber kam es, daß sie einen Augenblick an seiner Brust ruhte. Schnell legte er die Arme um sie, und als er die weichen Formen in seinen Armen erbeben fühlte, drückte er seine Lippen auf ihren Mund mit einer Wonne, um derentwillen er für dieses herrliche Wesen sofort hätte in den Tod gehen mögen. Dann aber schob sie ihn sanft zur Tür hinaus.


   31. Kapitel

   Hatte schon der Sturz der Ballerina gestern bedeutendes Aufsehen erregt, so wurde dieses Aufsehen geradezu verzehnfacht durch die Nachricht, daß Graf Manfredo Rodriganda, der Vizekönig von Indien, die Tänzerin in seiner eigenen Equipage habe nach Hause fahren lassen. Heute früh nun verbreitete sich gar die Kunde, daß er die ganze Nacht bei ihr zugebracht habe, und so war es gar nicht zu verwundern, daß bereits vor der gewöhnlichen Visitenstunde ein Mann vor ihrer Wohnung aus dem Wagen sprang, dem diese Gerüchte nicht gleichgültig sein konnten – der Herzog von Olsunna.
   Er eilte in förmlicher Hast die Treppe hinan, und als Elvira hineinging, um ihn anzumelden, wartete er gar nicht, bis das Mädchen wieder zurückkehrte, sondern trat sofort ein.
   Er fand die Ballerina angekleidet auf der Ottomane sitzen.
   »Hanetta!« rief er, die Arme ausbreitend. – »Eusebio!« antwortete sie, ziemlich kalt, beinahe ironisch. – »Was, du fliegst mir nicht entgegen?« fragte er. – »Nein«, antwortete sie sehr ernsthaft. – »Nicht? Was habe ich dir getan?« – »Nichts, mein Lieber.« – »Aber einen Grund muß es doch haben!« – »Allerdings!« – »Darf man ihn erfahren?« – »Gewiß. Ich fliege dir heute nicht entgegen, weil ich gestern während der Vorstellung erfahren habe, wie gefährlich das Fliegen ist.« – »Gut, so werde ich mir erlauben, an dein Herz zu fliegen!« – »O bitte, lassen wir lieber alles Fliegen!« wehrte sie ihn ab. – »Aber weshalb auf einmal so kalt, Hanetta? Tod und Teufel, so ist es wirklich wahr, was die Leute reden?« – »Was reden sie?« – »Daß du nach dem Grafen Rodriganda angelst!« – »Hm! Oder er nach mir. Du weißt, mein lieber Eusebio, daß ich nie nötig habe, die Angel auszuwerfen!« – »Ja, eine verdammte Hexe bist du«, lachte er gepreßt. »Also du gibst zu, daß etwas Wahres an dem Gerücht ist?« – »Ja, ich gebe es zu.« – »Donnerwetter! So hole der Teufel den Rodriganda!« – »Ich wünsche ihm im Gegenteil alles Gute, weil er es ehrlich mit mir meint.« – »So! Meine ich es etwa nicht ehrlich und gut mit dir? Ich liebe dich zum Rasendwerden und bin zu jedem Opfer bereit.« – »Nun gut, so heirate mich!«
   Der Herzog blickte sie groß an und rief:
   »Dummheit!« – »Ah, du hältst also eine Heirat zwischen uns für eine Dummheit?« – »Natürlich! Verlange, was du willst von mir, nur das nicht! Übrigens weißt du ja selbst ebensogut wie ich, daß eine Tänzerin in unseren Kreisen eine Unmöglichkeit ist.« – »Ich werde dir das Gegenteil beweisen. Graf Rodriganda würde mich heiraten.« – »Unsinn!« – »Ich versichere es dir! Er, der Vizekönig!« – »Abermals Unsinn!« – »Und wenn ich dir nun sage, daß er mir bereits den Antrag gemacht hat?« – »Ich glaube es nicht!« – »Er hat sich für heute abend meine Antwort erbeten.« – »So ist er einfach ein Tor!« – »Nein, er ist sehr bei Sinnen. Er trägt eine große, wirkliche Liebe im Herzen, deren Gegenstand ich bin. Leider aber möchte ich um seinetwillen wünschen, daß ich einer solchen Liebe würdiger wäre.« – »Na, siehst du!« – »Ich will aufrichtig sein: Er ist ein alter Mann, keiner kommt aus Indien zurück, ohne durch Beulen und dergleichen Schaden an seinem Körper gelitten zu haben; er ist kein Mann für ein schönes, junges Weib. Wolltest auch du mich heiraten, so hätte ich die Wahl zwischen euch beiden, und ich würde dich wählen.« – »Sehr schmeichelhaft«, nickte der Herzog zornig. »So aber wählst du ihn?« – »Höchstwahrscheinlich. Kannst du es mir verdenken, Eusebio?« – »Hm, eigentlich nicht, wenn ich gerecht sein will. Aber was wird aus mir?«
   Sie lachte und meinte: »Was aus dir wird? Du bleibst natürlich Herzog von Olsunna.« – »Das ist ein schlechter Witz, an dem mir nichts liegt. Du bist das schönste Weib, das ich je gesehen habe; wir sind gute Kameraden gewesen bisher, und das soll nun auf einmal aufhören?« – »Wer sagt denn, daß es aufhören soll?« – »Na, wenn du den Rodriganda nimmst!« – »So kommst du nach Rodriganda, wenn du dich einmal nach mir sehnst.«
   Der Herzog sprang auf und holte tief Atem.
   »Ah, ist das dein Ernst, Hanetta?« fragte er. – »Das versteht sich!« – »Gib mir einen Kuß darauf!« – »Zehn anstatt nur einen!« – »Hurra, nun ist alles wieder gut«, jubelte er. – »Also sind wir einig, nun, so geh jetzt, Eusebio!« – »Gehen? Donnerwetter! Warum?« – »Weil ich jetzt sehr ehrbar sein muß. Verstehst du?« – »Hm, ja. Ich will dir gehorchen. Lebe wohl, Hanetta!« – »Lebe wohl, mein Eusebio!«
   Auch Henrico Cortejo wäre gern am Vormittag zu der Ballerina gekommen, um sie zur Rede zu stellen. Er hatte gestern nicht zu ihr hinter die Szene gedurft. War es da ein Wunder, daß in ihm bei der Erinnerung an seine Unterredung mit ihr, deren Gegenstand der Graf gewesen war, die Eifersucht in ihrer ganzen Gewalt erwachte, als er erfuhr, daß Graf Rodriganda mit ihr gefahren und während der ganzen Nacht bei ihr gewesen sei?
   Aber er hatte heute eine sehr dringende Konferenz mit Manfredo, und so mußte er warten, bis diese vorüber war, zumal es unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Vorsicht gebot, sich sehr in acht zu nehmen, daß er nicht mit dem Grafen bei ihr zusammentraf.
   Endlich war er frei, aber erst als er sich genau überzeugt hatte, daß der Graf noch für einige Stunden beschäftigt sei, machte er sich zu der Ballerina auf den Weg.
   Hanetta empfing ihn mit großer Zärtlichkeit. Wie schon angegeben, war er zwar kein Jüngling mehr, aber ein sehr schöner Mann, und die Ballerina liebte ihn wirklich.
   »Ich habe dich erwartet«, sagte sie, indem sie sich innig an ihn schmiegte. – »Wie kommt das?« fragte er ernst, beinahe finster. – »Weil ich dich liebe. Welchen anderen Grund sollte es sonst wohl haben?« – »Und gestern wiesest du mich fort!« – »Ich mußte, weil mich die Klugheit dazu zwang.« – »So habe ich also recht gehört? So ist es also aus mit der Treue, die du mir tausendmal zugeschworen hast?« – »Nein, Henrico, auf meine Treue kannst du stets bauen«, sagte sie, indem sie ihn wiederholt küßte. – »Das reime sich der Teufel zusammen. Mir schwörst du Treue, und diesem alten Rodriganda gewährst du sogar in der Nacht Audienz.« – »Ah, du bist eifersüchtig?« lachte sie. – »Ja, allerdings.« – »Wirklich? Ah, das ist köstlich!«
   Jetzt lachte sie so herzlich und ausgelassen, daß er fast Miene machte, mit einzustimmen, aber er beherrschte sich und zürnte:
   »Ich denke doch nicht, daß ich es bin, über den du dich lustig machst, Hanetta?« – »Das fällt mir gar nicht ein.« – »Über wen sonst?« – »Über keinen Menschen. Aber ich sage dir, daß dieser Rodriganda während der ganzen Nacht an meinem Lager gesessen wie eine barmherzige Schwester und keinen Blick von mir verwandt hat, denn er hielt mich für todkrank. Heute morgen allerdings hat er mich doch noch umarmt und geküßt.« – »Der Schurke!« brauste Cortejo auf. – »Warum Schurke?« – »Weil du mein bist!« – »Beweise es!« – »Hast du es mir nicht viele hundert Mal geschworen?« – »Ja, und ich werde mein Wort auch halten. Aber wer sagt denn, daß ich ganz ausschließlich dein sein kann?« – »Ah, das heißt, du liebst andere neben mir?« – »So meine ich das nicht. Aber erlaube mir eine Frage: Willst du etwa mich zur Frau nehmen?« – »O verdammt, wenn ich nur könnte!« knirschte er. »So ein entzückendes Wesen und solche Einkünfte als Ballerina. Ich würfe mein Amt sofort unter die Lumpen.« – »Nun, so sei also ruhig und unparteiisch, Henrico.« – »Der Teufel mag das sein«, zürnte er. – »Aber anhören mußt du mich doch! Du hast ein Weib, eine kranke, elende Frau, die vielleicht nicht lange mehr leben wird, aber du hast sie doch. Es ist also ungerecht, mich an dich zu binden.« – »So willst du wohl gar los von mir?« – »Nein. Ich liebe dich wie vorher; aber ich denke, wenn ich mir einen alten, schwächlichen Mann nehmen würde, so könntest du nichts sagen, denn dann wären unsere Chancen gleich. Rechne dazu noch, daß dieser alte Mann der Graf de Rodriganda ist, so wirst du sofort erkennen, wie viele und große Vorteile für dich daraus entspringen müssen.« – »Ah, es soll also aus dem damaligen Spaß wirklich Ernst werden?« – »Wahrscheinlich!« – »Hattest du denn damals bereits eine Ahnung?« – »Er schickte mir an jenem Abend einen kostbaren Schmuck.« – »Donner und Doria, ist das möglich?« – »Ja. Er war zum ersten Mal im Ballett gewesen, und ich hatte ihn da gleich so hingerissen, daß er direkt vom Theater zum Juwelier gegangen ist, um mir den Schmuck zu kaufen.« – »Ist das Geschenk bedeutend?« – »Es hat einen Wert von fünfzehntausend Duros; ich habe es taxieren lassen.« – »Alle Wetter! So ist es ihm Ernst?« – »Gewiß.« – »Und dir?« – »Henrico, könntest du mich zum Weib nehmen, oh, wie gern würde ich die Deine! Da dies aber nicht der Fall ist, so wäre ich die größte Törin, wollte ich den Mann abweisen, der Graf, Vizekönig, hundertfacher Millionär und – ein alter Mann ist, der wohl nicht mehr lange zu leben hat.« – »Ah, du rechnest gut.« – »Je leidenschaftlicher du bist, desto nüchterner muß ich handeln.«
   Henrico Cortejo schritt einige Mal in dem Zimmer hin und her, dann blieb er vor ihr stehen und fragte:
   »Du liebst mich also wirklich. Hanetta?« – »Von ganzem Herzen«, versicherte sie, ihn küssend. »Wahr und treu.« – »Diesen Grafen aber liebst du nicht?« – »Nicht im mindesten.« – »Es ist nur der Reichtum und die Machtstellung, die dich veranlaßt, ihm deine Hand zu geben?« – »Nur das allein.« – »Du wirst auch als Gräfin mich lieben und mir treu sein?« – »Gerade so wie jetzt.« – »Gut, so will ich dich nicht halten. Nimm ihn! Ich weiß, daß von deiner Macht und von deinem Besitz auch einige Körner auf mich herabfallen werden. Wann gedenkst du ihm dein Jawort zu geben?« – »Heute abend.« – »So nimm ihn fest, daß er nicht weichen kann.« – »Sorge dich nicht um mich! Aber dich muß ich warnen. Der Graf weiß, daß du bei mir verkehrtest. Sein Diener verriet es mir.« – »Alimpo?« – »Ja. Rodriganda ahnt natürlich, daß uns ein inniges Verhältnis verbindet; diese Meinung müssen wir ihm nehmen.« – »Auf welche Weise?« – »Indem wir ihn wissen lassen, daß du nur zweimal, und zwar in Gesellschaft, bei mir gewesen bist, als man bei mir wie gewöhnlich eine kleine Bank legte.« – »Gut.« – »Übrigens versteht es sich ganz von selbst, daß wir uns weiter nicht kennen.« – »Einverstanden.« – »Später werden wir uns in den neuen Verhältnissen orientiert haben, und dann kann es nicht schwer sein, Zeit und Ort zu finden, wo und wann wir sicher sind. Jetzt aber geh, Henrico, man könnte uns beobachten.«
   Auch Cortejo gehorchte. Sie nahmen einen innigen Abschied, und dann ging er, um dieses Zimmer nicht wieder zu betreten.
   Jetzt war das schöne Weib entschlossen, für seine Reize eine Grafschaft einzutauschen.


   32. Kapitel

   Als Don Manfredo des Abends kam, lag Hanetta zwar nicht mehr nieder, doch sie sah noch immer sehr angegriffen von dem gestrigen Sturz aus; aber diese feine, leidende Blässe, durch die doch das Rot des Lebens schimmerte, machte sie so reizend, daß der Graf fast seine vorgenommene Zurückhaltung vergessen und sie geküßt hätte.
   Sie begrüßte ihn mit einem matten, aber freundlichen Lächeln und bot ihm einen Sitz ganz in ihrer Nähe an.
   »Sie haben sich noch nicht völlig erholt?« fragte er. – »Nicht ganz. Ich werde einige Zeit der Zurückgezogenheit bedürfen.« – »So säumen Sie nicht, Señorita. Die Gesundheit ist ein köstliches Gut, und es gibt Leute, denen die Ihrige doppelt teuer ist.«
   Da richtete sie einen ihrer unbeschreiblichen Blicke auf ihn und fragte:
   »Welchen Ort halten Sie für vorteilhaft zur körperlichen Erholung für eine einfache und einsame Dame, mein lieber Don Manfredo?«
   Bei diesen in einem liebevollen Ton gesprochenen Worten zog es wie heller Sonnenschein über sein Gesicht, und er antwortete:
   »Oh, meine teure Señorita, welcher Ort könnte da wohl besser gelegen sein, als mein Stammschloß Rodriganda.« – »Ich kenne es nicht.« – »Es liegt bei Manresa, am Wald, und doch wieder in solcher Nähe von mehreren Städten, daß man Stadt– und Landleben zu gleicher Zeit genießt.« – »Und diesen schönen Ort stellen Sie mir zur Verfügung?« – »Oh, wenn Sie dieses Anerbieten annehmen wollten!« – »Ich will!« sagte sie mit strahlendem Lächeln und streckte ihm die Hand entgegen, die er ergriff und feurig an seine Lippen führte. – »Ist das genug?« fragte sie. – »Señorita, mit der Erhörung steigt der Mut. Soll ich Sie nur als Gast nach Rodriganda bringen, oder …«
   Er stockte doch; dieses Glück schien ihm zu groß zu sein.
   »Nun, oder …?« fragte sie in ermunterndem Ton. – »Oder als meine Braut, die dann mein angebetetes Weib werden will?«
   Er blickte ihr erwartungsvoll in die Augen; sie hielt diesen Blick aus und entgegnete:
   »Manfredo, ich will dir vertrauen. Nimm mich hin, aber mache mich nicht unglücklich!« – »Unglücklich?« rief er. »Lieber will ich tausend Tode sterben, ehe ich dir das geringste Weh bereite, du Herrliche! Aber ist es wahr, ist es wirklich wahr?« – »Ja«, flüsterte sie verschämt, indem sie ihren Kopf an seiner Schulter barg. – »So habe Dank, viel tausend, tausendmal. Du sollst diese Stunde nie bereuen, sondern den Himmel auf Erden haben, so weit Menschenhände ihn bereiten können. Aber ich fühle mich durch dich so unendlich glücklich, daß ich auch andere glücklich machen muß. Erlaubst du mir, meine Hanetta?« – »Gern«, lächelt sie. »Aber wen?« – »Meinen Diener und dein Mädchen.« – »Ah«, fragte sie verwundert, »diese kennen einander?« – »Sie sind beide in Rodriganda geboren und haben sich zufälligerweise hier wiedergefunden. Darf ich sie holen?« – »Sind sie da?« – »Ich wette, sie stecken miteinander in dem kleinen Zimmerchen da drüben.« – »Ich sehe, daß du hier bei mir ebensogut Bescheid weißt als ich. Komm, laß uns einmal nachsehen.« – »Leise!« bat der glückliche Mann. »Vielleicht überraschen wir sie.«
   Sie schlichen sich hinaus auf den Korridor und öffneten dann plötzlich die Tür zu dem Stübchen. Richtig, da saß Alimpo mit seiner Elvira eng umschlungen, Seite an Seite, und es schien, als seien sie gerade bei einem herzhaften Kuß gestört worden. Sie erschraken fürchterlich und sprangen empor.
   »Hallo, was treibt ihr denn hier für Allotria!« sagte der Graf in einem scheinbar ernsten Ton. – »Oh, Exzellenz, Sie wissen ja…!« stotterte Juan Alimpo. – »Was weiß ich denn?« – »Nun, daß diese hier – daß sie …« – »Na, was denn?« – »Daß sie die Elvira ist.« – Aber was geht denn dich das an?« – »Exzellenz, ich meine, daß – daß dies – daß dies meine Elvira ist!« – »Aber was sagt denn nun die Elvira dazu?«
   Diese war schnell entschlossen. Sie machte einen sehr resoluten Knicks und erwiderte:
   »Exzellenz, Herr Graf, dieser hier ist mein Juan Alimpo.« – »So seid ihr also einig?« – »Ganz und gar.« – »Und eure Eltern?« – »Wir haben keine, ich nicht und er nicht.« – »So habt ihr also niemand zu fragen. Aber, was werdet ihr denn nun miteinander beginnen?«
   Das brave Mädchen lachte im ganzen Gesicht und entgegnete: »Das überlassen wir dem Herrn Grafen.« – »Mir?« fragte er verwundert. – »Ja. Weil Exzellenz meinem Alimpo versprochen haben, für uns zu sorgen, wenn – wenn – wenn – ich Ihnen gefalle.« – »Ach so! Und du meinst nun, daß du mir gefällst?«
   Elvira blickte verschämt zu Boden und antwortete nicht.
   »Nun, so antworte doch!« drängte der jetzt zu einem Scherz aufgelegte Graf.
   Sie bemerkte, daß er guter Laune sei und faßte sich ein Herz.
   »Meinem Alimpo gefalle ich«, sagte sie, »und da denke ich, daß ich … hm!« – »Nur weiter, weiter!« – »Daß ich Exzellenz auch gefalle!« – »Endlich! Und weil du dies so hübsch sagst, so will ich dir gestehen, daß du auch mir gefällst.« – »Nicht wahr, sie ist nicht übel, Exzellenz?« rief da der glückliche Alimpo. – »Ja, sie ist gut, und darum will ich für euch sorgen. Was meinst du denn Alimpo, was dir lieber ist: Feldhüter mit fünfzig Duros Gehalt oder Kastellan auf Schloß Rodriganda mit freier Station und dreihundert Duros Gehalt?« – »Exzellenz, der Kastellan ist mir lieber!« rief da Alimpo rasch. – »So nimm ihn!« – »Tausend Dank, Exzellenz. Komm, meine gute Elvira, mach einen Knicks und bedanke dich bei dem Herrn Grafen.« – »Das kann ich schon ganz von selber.«
   Mit diesen ernstgemeinten Worten produzierte sie ihre schönste Verbeugung.
   »Und bei der zukünftigen gnädigen Frau Gräfin auch«, bemerkte Alimpo. – »Was?« fragte der Graf. »Wer hat dir denn davon gesagt?« – »Exzellenz, das habe ich gleich das erste Mal im Theater gedacht. Sie machten es gerade so wie ich: Sie guckten immer nur die eine an. Nun haben wir beide die Unsrige.«
   Der Graf lachte und ging mit der Ballerina wieder hinaus. Die beiden jungen Leute standen da und sahen einander an.
   »Nun, da hast du es!« sagte Alimpo. »Unser Hochzeitsgeschenk! Freut es dich?« – »Das versteht sich. Herr Kastellan kann nicht jeder sein.« – »Und Frau Kastellanin auch nicht eine jede. Nur eines freut mich dabei nicht.« – »Was?« – »Die Schloßherrin.« – »Ja. Sahst du, daß sie nur gezwungen freundlich war? Sie wird uns niemals liebhaben. Er nimmt sie ihres Gesichts und ihrer schönen Glieder wegen, und doch, wie bald kann das alles vergangen sein! So ein vornehmer Mann ist zuweilen viel weniger klug als man denken sollte.«
   Während dieser kurzen Unterhaltung zwischen den Dienern saß das Brautpaar wieder drüben, scheinbar in der innigsten Liebe beieinander. Der Graf war so glücklich, daß er seiner Verlobten die höchsten Wünsche erfüllt hatte, und da er auch bei ihr dieselbe Stimmung voraussetzte, sagte er:
   »Glaubst du, daß ich eine Bitte an dich habe?« – »Sprich sie aus, Manfredo«, entgegnete sie freundlich. – »Sie betrifft meinen Sachwalter.«
   Manfredo blickte die Tänzerin dabei scharf an; sie aber ließ sich nicht das mindeste merken und fragte nun:
   »Deinen Sachwalter? Wer ist das?« – »Es ist Henrico Cortejo.« – »Cortejo? Hm, diesen Namen muß ich bereits gehört haben.« – »Ich denke«, lächelte er. – »Ah, es ist ein Mann in mittleren Jahren; ich besinne mich auf ihn.«
   Er wurde wirklich irre an ihr; sie hatte die Unschuldsmienen meisterhaft einstudiert.
   »Nicht wahr, du kennst ihn?« fragte er. – »Nicht so, was man eigentlich kennen nennt. Er war drei– oder viermal bei mir, und das war an den Abenden, an denen ich Kollegen bei mir sah. Diese pflegen gewöhnlich eine kleine Bank aufzulegen, und da schienen sie diesen Cortejo gern dabei zu sehen. Er wurde mir zu diesem Zweck mitgebracht und vorgestellt.«
   Der Graf war beruhigt, konnte aber, wenn er sich nicht verraten wollte, von dem Thema nicht gut abbrechen; darum sagte er:
   »Ich hörte das, und da ich es nicht liebe, daß meine Beamten Spieler sind, so wollte ich mich bei dir nach der Höhe seiner Verluste erkundigen.« – »Das ist nicht bedeutend, mein Lieber«, sagte sie mit ruhigem Lächeln, während sie im Innern den Liebhaber verachtete, daß er sich von ihr hatte täuschen lassen. »Man spielte nicht hoch, und so konnte Verlust oder Gewinn nur wenige Duros betragen.« – »Sahst du den Herzog von Olsunna auch in diesen Kreisen?« – »Ja. Zweimal nur. Dieser Señor schien sich bald unheimlich zu fühlen, weil die Künstler selten oder nie gewillt sind, Standesvorurteilen Weihrauch zu streuen.« – »Sie mögen in mancher Beziehung recht haben. Auch die Kunst adelt, allerdings nur den einzelnen, nicht aber ganze Geschlechter.«
   Auch in diesem Punkt war der Graf von der gewandten Fechterin geschlagen worden. Er ging nun zu dem Näheren über:
   »Du wirst zweifelsohne nicht mehr auftreten?« – »Nein.« – »Wann gedenkst du nach Rodriganda zu gehen, meine Hanetta? Ich bin leider noch einige Zeit hier gebunden.« – »Das läßt sich arrangieren, mein Lieber.« – »Ganz nach deinem Willen.« – »Ich muß für einige Tage nach Madrid, und während dieser Zeit kannst du deine Arbeiten hier beenden.« – »Ah, du willst allein in die Hauptstadt?« fragte er, mehr besorgt als verwundert. – »Allerdings.« – »Trotz deiner gegenwärtigen Schwäche?« – »Diese hat nicht viel zu bedeuten. Das ruhige Sitzen im Kupee oder in der Diligence kann mir nicht schaden, wohl aber das Tanzen auf der Bühne.« – »Möchtest du nicht lieber warten, bis ich dich begleiten kann?« – »Dies geht nicht, mein Lieber. Erstens ginge eine kostbare Zeit verloren, und zweitens müßtest du dich da mit einem Gegenstand beschäftigen, den ich gern so fern wie möglich von dir halten möchte.« – »Welcher ist es?« – »Das Theater. Ich konnte natürlich nicht ahnen, daß mein Schicksal eine so plötzliche und ungeahnte Änderung erfahren würde, und so habe ich einen Kontrakt mit einer Bühne in Madrid unterzeichnet und auch bereits abgesandt. Dieser muß gelöst werden, und deshalb will ich nach der Hauptstadt reisen.« – »Und doch wäre es vielleicht vorteilhafter, wenn ich diese Sache in die Hand nähme, mein liebes Kind. Man wird dir Schwierigkeiten machen, während mich die Lösung des Kontrakts wohl nur ein Wort kostet.« – »Ich sagte dir bereits, daß es mir geradezu eine Ehrensache ist, dich nicht mit Bühnenverhältnissen zu belästigen. Du sollst mich erst dann bekommen, wenn ich frei von diesem Staub bin, mein lieber Manfredo.« – »Eigentlich muß ich dir für diese zarte Rücksichtnahme dankbar sein«, gestand er zu. »Aber wirst du die Reise auch wirklich aushalten können?« – »Ohne Zweifel!« – »So wirst du mir erlauben, für das Pekuniäre Sorge zu tragen.« – »Nur, um dir ein Vergnügen zu machen, mein Lieber. Ich bin nicht arm.« – »So nimmst du eine Anweisung an meinen Bankier an?« – »Ja.« – »Und wann reist du?« – »Morgen. Je eher ich aufbreche, desto eher kehre ich zu dir zurück, mein Geliebter.«
   Die Ballerina umschlang den Grafen zärtlich und küßte ihn auf den ergrauten Bart. Er war so glücklich und hatte keine Ahnung davon, daß sie gar keinen Kontrakt mit dem Theater in Madrid abgeschlossen hatte, sondern nur deshalb die Residenz besuchte, um vor ihrer Vermählung noch eine kurze Zeit mit ihren früheren Freundinnen in Lust und Schwelgerei zu verbringen. Gerade in Madrid hatte sie ja die wildeste Zeit ihres Lebens verbracht. In den dunklen und verrufenen Gäßchen dieser Hauptstadt hatte sie auch Henrico Cortejo und den Herzog von Olsunna kennengelernt.
   »Soll ich dich in der Hauptstadt abholen?« fragte der Graf. – »Nein, mein Lieber. Ich werde nur kurze Zeit dort verweilen.« – »Ich möchte dich bitten, meine Söhne mit zu besuchen.« – »O nein, das möchte ich nicht tun. Jetzt bin ich noch im Engagement. Sie sollen mich erst dann sehen, sobald ich nichts anderes mehr bin, als nur die Eurige.« – »So wirst du mich hier abholen?« – »Ja.« – »Dann verweile nicht gar zu lange, meine Geliebte, denn ich werde dich mit großer Sehnsucht erwarten. In einer Woche sind meine Arbeiten beendet.« – »Dann bin ich wieder bei dir.«

 //-- * * * --// 
   Fast zu derselben Zeit wurde im Palais des Herzogs von Olsunna auch von Madrid gesprochen. Der Herzog saß in seinem Sessel, und vor ihm stand Gasparino Cortejo, sein Haushofmeister.
   »Ja«, sagte der erstere. »Wir haben jetzt verdammtes Pech.« – »Es muß ertragen werden!« – »Da letzthin der Skandal wegen der deutschen Hauslehrerin und wegen deiner Zarba, oder wie diese kleine Zigeunerin hieß.« – »Ich denke nicht mehr an sie!« – »Das glaube ich dir! Und jetzt wird mir wieder diese grandiose Ballerina weggekapert.« – »Das ist freilich unangenehm. Dieser Rodriganda konnte Besseres tun, als sich auf diese Weise an seinem grauen Haar zu versündigen!« – »Na, für Hirschgeweihe wird man wohl sorgen! Und dein Adonis-Vater auch mit.« – »Fällt ihm nicht ein!« – »Leugne nicht! Ich habe mir sagen lassen, daß er um die Ballerina herumgelaufen ist, leider aber, ohne erhört zu werden. Hahahaha! Ein Sachwalter, der mit dem Herzog von Olsunna in die Schranken tritt. Ich hätte ihn für gescheiter gehalten.« – »Ich nicht«, sagte der Sohn, der recht wohl wußte, daß sein Vater dem Herzog den Rang abgelaufen hatte.
   Der letztere fuhr fort:
   »Nun ist eine tote Zeit eingetreten. Wie bringt man diese am besten hin? Willst du nicht einiges vorschlagen?« – »Wenn es auf mich ankäme, ich reiste nach Madrid. Der König von Portugal kommt auf Besuch, da gibt es Festlichkeiten und manches Schaugepränge, mit dem man sich die Zeit vertreibt.« – »Nicht übel. Wann kommt der König?« – »Sonnabend.« – »So reisen wir, und zwar zusammen schon morgen.«
   So war mit leichtem Sinn eine Disposition getroffen worden, die für die Betreffenden nur verhängnisvoll werden sollte.
   Als die Ballerina Madrid erreicht hatte, stieg sie in einem der ersten Hotels ab, denn sie besaß die Mittel dazu, vertiefte sich aber gar bald in die engen Gäßchen des südwestlichen Stadtteils, in denen man des Abends kein ehrbares Frauenzimmer zu treffen vermag. Hier suchte sie sich frühere Bekannte zusammen, um die Dispositionen zu ihren zweifelhaften Belustigungen zu entwerfen.


   33. Kapitel

   Am Tag des Königsempfangs blickten aus einem Palast der herrlichen Straße de la Amudema Platerias zwei hübsche, frische Jünglingsgesichter auf das Menschengewühl herab. Es waren die beiden Brüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda, die nicht die geringste Ahnung davon hatten, daß ihr Vater im Begriff stehe, ihnen eine Tänzerin als Stiefmutter zu geben und daß diese Tänzerin heute im Lorettenviertel von Madrid umherschweife.
   »Was tun wir? Werfen wir uns auch in das Gewühl?« fragte Emanuel. – »Ja«, antwortete sein Bruder Ferdinando, »aber jetzt noch nicht.« – »Warum?« – »Ich will meine Karte von Mexiko vollends fertig machen.« – »Wie du dich für Mexiko nur so begeistern kannst!« – »Zürne nicht, mein Bruder! Es ist das mehr als eine bloße Schrulle. Ich fühle eine ganz besondere Zuneigung für dieses ebenso eigenartige wie reiche Land, und da ich der zweitgeborene Sohn bin, so ist es sehr leicht möglich, daß ich den Fuß einmal in das alte Land der Inkas und der Tolteken setze.« – »Wann wird die Karte fertig sein?« – »Beim Sonnenuntergang.« – »Ah, noch zwei volle Stunden! Dies dauert mir viel zu lange.« – »So gehe einstweilen und hole mich zur Dämmerung ab, wenn man die Larven hervorzusuchen beginnt.« – »Vielleicht hätte ich da zu weit zu gehen. Willst du nicht lieber zur angegebenen Zeit an den Palast Panadaria kommen?« – »Gut.« – »Aber vergiß nicht, dein Messer oder deinen Revolver einzustecken; du weißt, daß bei solchen Gelegenheiten ein jeder selbst Polizist sein muß.« – »Keine Sorge, Emanuel!« – »Also Adieu, Ferdinando!« – »Adieu!«
   Der fleißige Jüngling trat vom Fenster zurück und bückte sich über seine Arbeit. Das bunte Festgetriebe existierte nicht mehr für ihn, und er legte Stift und Pinsel nicht eher wieder weg, als bis er die Karte gefertigt hatte.
   Nun kleidete auch er sich an, und da er bemerkte, daß nach der eigentümlichen spanischen Sitte das Publikum bereits mit Halbmasken versehen war, so steckte auch er eine solche vor und trat darauf zum Waffenschrank.
   »Was wähle ich? Eine Kugel tötet leicht, ein Messer ebenso. Ich nehme meine Boxringe, die sind Schutz genug für einen Boxer von meiner Übung.«
   Damit steckte er die mit eisernen Stacheln versehenen Ringe zu sich und begab sich der Verabredung gemäß zunächst nach dem Palast Panadaria, um den Bruder zu finden. Er suchte vergebens und stand schon im Begriff, den Ort zu verlassen, als Emanuel, den er sofort an den Kleidern erkannte, sich durch die Menge Bahn brach.
   »Gut, daß ich dich finde«, sagte dieser. »Um eines Abenteuers willen konnte ich dich nicht hier erwarten. Komm schnell mit, ich erzähle dir unterdessen.«
   Emanuel zog den Bruder mit sich fort, bis das Gewühl ein wenig lichter geworden war, dann begann er
   »Ich stand dort am Palazzo und wartete auf dich. Da schwebten vier Sylphiden vorüber, eine immer reizender als die andere. Ich folgte ihnen mit den Augen, sie bemerkten es und blieben stehen. Nach einer kurzen Rücksprache untereinander kam eine von ihnen auf mich zu und fragte: ›Señor, erwarten Sie hier jemand? Vielleicht ein Liebchen?‹ – ›Nein, vielmehr einen Freund.‹ – ›Lassen Sie den Freund und kommen Sie lieber mit uns, wohin es Ihnen beliebt.‹ – ›Sie suchen sich also Caballeros? Von welchem Rang?‹ – ›Vom höchsten.‹ – ›Ah, dann schließe ich mich Ihnen an, mache aber die Bedingung, daß wir uns zunächst in der Nähe halten, bis mein Freund kommt.‹ – Darauf wurde sogleich eingegangen, und so promenierte ich mit den vier Damen, bis nach und nach weitere zwei Herren dazukamen. Nun ist nur noch eine der Damen übrig, nämlich die am meisten wählerische, wie mir scheint. Sie wollte bei keinem anbeißen. Versuche nun auch du dein Heil. Du bist ja ein hübscher Junge.« – »Vielleicht sind es Grisetten!« – »Nein, sie sind von Familie und machen sich unter der Halbmaske einen Scherz. Komm! Dort an der improvisierten Pulqueschenke stehen sie.« – »Du hast doch keinen Namen genannt? Auch nicht gesagt, daß wir Brüder sind?« – »Nein. Ich habe nur von einem Freund gesprochen.« – »So werden wir ›Sie‹ zueinander sagen, um auch den letzten Faden zu durchschneiden.«
   Da, wo die Straße breiter wurde, hatte sich eine imitierte Pulqueschenke etabliert. An derselben standen vier Damen und zwei Herren, die den beiden Brüdern entgegensahen.
   »Señoritas und Señores, dies ist mein Freund, den ich erwartete«, sprach Emanuel sie an. »Er verspätete sich, weil er beim russischen Gesandten aufgehalten wurde.«
   Diese wohlberechneten Worte gaben dem Angekommenen einen Nimbus, der nicht ohne Wirkung blieb. Man verbeugte sich ungewöhnlich tief vor ihm.
   Ferdinando hatte inzwischen die Gestalt der vierten Dame mit Kenneraugen überflogen. Sie trug einen langen, fledermausartigen Mantel, der von ihrer Gestalt nichts sehen ließ, aber das Haar war prachtvoll, das Ohr klein, die Lippen zum Küssen schön und das Kinn von jener schönen Rundung, die auf einen vollen Körperbau schließen läßt, und eben jetzt, als sie sich verbeugte und ihre Lippen sich ein wenig öffneten, erblickte Ferdinando zwei Reihen kleiner Zähne, die gar nicht prächtiger gedacht werden konnten. Sein Entschluß war gefaßt; er wandte sich ausschließlich nur an sie:
   »Señorita, bitte, Ihren Arm!«
   Er sprach nur die vier Worte, ohne alle Phrase, aber es lag in seiner Stimme ein eigenartiger Wohlklang, dem man nicht gut widerstehen konnte.
   »Sie sollen ihn haben, Señor.«
   Auch ihre Stimme hatte etwas unendlich Weiches und Sympathisches an sich. Sie legte ihren Arm in den seinigen, und nun brachen die vier Paare auf.
   Es wurde zunächst wacker herumgetollt, zuweilen eine Tasse Schokolade und ein Glas Wein getrunken. Die vier Paare hielten sich einzeln, aber doch immer in einer Gruppe, so daß man sie sah, aber gegenseitig keines der Zwiegespräche verstehen konnte.
   Ferdinando hatte längst erkannt, daß er es mit einer ausgezeichneten Schönheit zu tun habe. Schon als sie ihm den Arm gab und er die elektrisierende Fülle und Rundung desselben fühlte, war es wie eine glückliche Ahnung über ihn gekommen. Sodann war ihm der unendlich leichte, schwebende Gang sehr bald aufgefallen, und endlich hatte er an dem Faltenwurf des Mantels bemerkt, daß dieser eine Venus verhüllen müsse.
   Jetzt schritten sie hinter den anderen drei Paaren langsam dahin, leise, trauliche, abgebrochene Worte flüsternd.
   »Werden Sie mir sagen, wer Sie sind?« bat sie. – »Jetzt nicht, erst dann, wenn Sie mir auch Ihren Namen nennen.« – »Vielleicht werde ich es tun, darf ich raten?« – »Ja, bitte, Señorita!« – »Sie sind adlig. Dies vermute ich an Ihrem Benehmen. Ferner sind Sie sehr reich.« – »Hm! Woraus ziehen Sie diesen Schluß?« – »Aus dem Brillantring, den ich hier fühle und immer funkeln sehe.«
   Ferdinando hatte seinen rechten und ihren linken Handschuh ausgezogen, so daß sie sich jetzt barhändig führten. Dabei hatte er das kleine und doch so kräftige Händchen bewundert, das sie ihm so widerstandslos überlassen hatte.
   »Wollen Sie nicht auch raten, was ich bin?« fragte sie. – »Nein.« – »Ah! So bin ich also ganz ohne Interesse für sie?« – »Nicht so, Señorita! Es ist mir, als wandle eine Fee, ein lichter Engel neben mir; das will ich glauben und diesen Traum nicht durch triviale Fragen zerstören.« – »So träumen Sie also?« fragte sie in einem Ton, der beinahe innig genannt werden konnte. – »Ja.« – »Ich hätte Sie eher für einen Mann der Tat gehalten.« – »Das bin ich auch ganz gewiß; aber sobald ein sympathisches Wesen sich an meiner Seite befindet, dann spreche ich nicht viel, dann fühle und empfinde, dann denke und träume ich lieber.« – »Gut, auch ich bin so. Kommen Sie also, und lassen Sie uns träumen.«
   Damit gab sie sich und ihm eine plötzliche Schwenkung, so daß sie, ungesehen von den anderen, in ein Seitengäßchen einbogen.
   »Aber, Señorita, wir verlieren die Freunde.« – »Freunde? Pah! Kommen Sie nur!«
   Ihre Stimme klang halb traurig und halb hart; es lag etwas Magisches in dem Klang derselben. Sie führte ihn durch viele Straßen und Gassen langsam auf den Manzanares zu, dessen Wellen im Mondstrahl wie Silber funkelten. Dort blieb sie stehen.
   »Wir wollten träumen«, sagte sie. »Das geht auf dem Wasser am besten. Können Sie rudern?« – »Ja, aber wir nehmen uns trotzdem einen Schiffer.« – »Warum?« – »Ich will heute nur Ihnen gehören, nicht aber meine Zeit dem Fahrzeug widmen.« – »Dann werden wir aber nicht allein sein.« – »Diese Leute sind aus Gewohnheit taub. Kommen Sie!«
   Ferdinando führte seine schöne Begleiterin zu einem der Kähne und half ihr hinein. Sofort kam der Bootsmann herbei und griff nach den Rudern.
   »Wohin?« fragte er. – »Spazieren.«
   Nun wußte er, daß er nach eigenem Belieben rudern und fahren konnte. Er kannte diese Art von Leuten, die mit jeder Richtung zufrieden sind, sobald man nur nicht sieht und nicht hört, was sie tun und sprechen.
   Ferdinando setzte sich neben seine Dame, und sie sagte nichts dagegen, daß er noch näher an sie heranrückte, als es eigentlich notwendig war. Gleich darauf stieß der Kahn vom Ufer.
   Ja, nun träumten sie! Sie sprachen kein Wort. Ferdinando hatte ihre Hände ergriffen und bedeckte sie mit Küssen. Dann lehnte er den Kopf an ihre Schulter und träumte hinaus in die stille, helle Nacht.
   Als er wieder zu ihr aufblickte, erschrak er beinahe, und doch war es eine große Seligkeit, die ihn durchzuckte, denn sie hatte die Maske abgenommen, und nun blickten ihm aus einem zauberisch schönen Angesicht zwei herrliche, beinahe phosphoreszierende Augen entgegen. Er holte ein-, zwei-, dreimal tief Atem.
   »Wie schön, o wie schön!« flüsterte er. – »Bin ich wirklich so schön?« fragte sie ihn leise. – »Ja, sinnbetörend schön.« – »Und Ihr Antlitz, darf ich es nicht auch sehen?« – »Was sind meine Züge gegen Ihr Bild! Aber dennoch will ich es Ihnen zeigen.«
   Auch er nahm jetzt die Maske ab, und nun schauten sie sich einander in die Augen, und diese Blicke drangen in ihre Herzen.
   Er zog sie an sich, ohne zu fragen. Er drückte sie an sein Herz, sie ließ es sich gefallen; ihr Busen wogte stürmisch an seiner Brust, ihre weichen Glieder schmiegten sich zärtlich an die seinigen, ihre Blicke senkten sich in seine Augen, und ihre Lippen schwellten ihm halb geöffnet und feucht entgegen, um die Küsse zu empfangen und zu vergelten, die jetzt zwischen ihnen die einzige Sprache bildeten.
   »Du bist herrlich, du bist unvergleichlich«, gestand er endlich im Liebesrausch. – »Auch du bist schön«, flüsterte sie. – »Laß uns nicht zum letzten Mal beisammen sein.« – »Und doch müssen wir scheiden«, klagte sie, »denn ich bin die Braut eines anderen.« – »Ich kämpfe mit ihm, ich töte ihn!« – »Nein.«
   Dieses Nein klang so fest, so schroff und bestimmt, daß er aufblickte.
   »Du liebst ihn?« fragte er. – »Nein, ich liebe ihn nicht.« – »So opferst du dich.« – »Auch nicht.« – »So weiß ich nicht, was ich denken soll.« – »Denke, wie du vorhin sagtest, daß ich eine Fee bin, die heute herniedergestiegen ist, um dir die Seligkeit aller Himmel zu zeigen und dann wieder gehen muß.« – »So wollte ich, ich verschwände mit dir.« – »Du würdest dich auf einem einsamen Schloß wiederfinden, wo weder Glück noch Liebe wohnen. Suche nie, niemals nach mir.«
   Damit befahl sie dem Ruderer, wieder umzulenken und stromaufwärts zu fahren, und als er es getan, da saßen sie abermals nebeneinander, innig umschlungen und süße Worte und süße Küsse tauschend. Da kam ihnen ein Boot entgegen, in dem sich außer den Bootsführern zwei Herren und zwei Damen befanden.
   Der Mond schien Ferdinando und seiner Dame hell und voll ins Gesicht.
   »Lege die Maske vor«, bat er sie und tat dasselbe, sie aber schüttelte verächtlich mit dem Kopf. Sie dachte nur der süßen Regungen, die sie jetzt durchfluteten, sie dachte nicht daran, daß ihr ein Bekannter hier in diesem Boot begegnen könne.
   Die anderen kamen näher, jetzt waren sie da, und eine Stimme rief:
   »Donnerwetter, Hanetta, ist‘s wahr?«
   Und eine zweite fiel sogleich ein:
   »Ja, sie ist‘s! Sie ist in Madrid!« – »Halt, halt!« riefen dann beide Stimmen zu gleicher Zeit.
   Und in demselben Augenblick ließen sie auch den Kahm umlenken.
   »Um Gottes willen, fort!« bat die Ballerina. – »Es ist der Herzog Olsunna und sein Wicht! Kennst du sie?« fragte Ferdinando. – Ja. Sie haben mich gesucht, um mich zu belästigen.« – »Sie sollen es nicht tun«, sagte er. – »Heilige Madonna, nur keinen Kampf!« – »Nein, eine Zurechtweisung. Hab keine Angst. Nimm die Maske vor.«
   Ferdinando stand aufrecht im Boot und gebot, direkt an das Ufer zu steuern. Es geschah, und währenddessen schlug die Ballerina die Mantille um und legte die Maske vor.
   Aber das andere Boot hatte zwei Ruderer, es erreichte das Ufer eher, wo der Herzog und Gasparino Cortejo auf die Nahenden warteten. Ferdinando bewehrte seine Faust mit dem Schlageisen.
   »Halt!« rief jetzt der Herzog. »Ausgestiegen!«
   Ferdinando bezahlte seinen Bootsmann und stieg mit Hanetta aus. Der Herzog und Gasparino taten desgleichen.
   »Ich bitte, die Masken abzunehmen!« rief Olsunna. – »Mit welchem Recht?« fragte Ferdinando. – »Mit dem Recht der Freundschaft.« – »Mit Zudringlichen hege ich keine Freundschaft. Geht, Señores!« – »Ah! Wir verlangen diese Dame!«
   Da stellte sich Ferdinando vor die Ballerina und rief:
   »Holt sie Euch!« – »Gut!«
   Olsunna streckte seine Rechte aus, erhielt aber sogleich einen so kräftigen Hieb auf den Kopf, daß er zusammenbrach.
   »Der eine ist abgetan«, sagte der mutige Jüngling. »Und nun der andere.«
   Im nächsten Augenblick hatte Gasparino Cortejo, ehe er es sich versah, einen ähnlichen Hieb, und auch er stürzte zu Boden.
   »Nun kommt, Señorita, die Bahn ist frei.«
   Ferdinando gab Hanetta seinen Arm und führte sie davon. Keiner der Zurückbleibenden wagte es, ihn zu belästigen.
   Zunächst beeilten sie ihre Schritte, als sie aber einige Gassen hinter sich hatten, gingen sie langsamer.
   »O heilige Madonna«, sagte Hanetta aufatmend, »welche Angst hatte ich!« – »Um wen?« fragte er.
   Da schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn heiß und fest an sich.
   »Um dich! Aber du warst ein Held!« – »An deiner Seite wird ein jeder zum Helden!« – »Aber, Geliebter, die zwei hast du erschlagen.« – »Nein, sie sind nur ohne Besinnung. Ich kenne meinen Hieb.« – »Laß uns nach meinem Hotel eilen; obwohl ich nicht fremd hier bin, so wohne ich doch jetzt in einem solchen.« – »So komm!«
   Arm in Arm erreichten sie in so kurzer Zeit das Hotel, daß Ferdinando wünschte, der Weg wäre länger gewesen.
   »Wirst du nun befehlen, daß ich mich verabschiede?« fragte er, als sie vor dem Portal standen. – »Willst du denn fort?« erwiderte sie leise. – »Fort? Ich? Ich möchte jede Viertelstunde bei dir mit meinem Leben erkaufen!« – »So komm!«
   Hanetta führte Ferdinando nunmehr eine breite Treppe empor, sodann einen Korridor entlang bis an eine Tür, die sie öffnete, und bat:
   »Tritt ein! Hier wohne ich!«
   Ferdinando sah ein fein ausgestattetes Zimmer, neben dem ein Kabinett lag.
   »Geh einstweilen in das Kabinett, ich werde klingeln. Bis jetzt hat dich niemand gesehen.«
   Er gehorchte. Als er nach einiger Zeit von ihr geholt wurde, fand er ein lukullisches Souper aufgetragen.
   »Du hast mich deine Fee genannt«, lächelte sie. »ich muß dich also speisen und tränken, wie es Pflicht und Sitte guter Feen ist. Setz dich.« – »Welchen Platz weist du mir an?« fragte er. – »Hm! Soll ich die Wirtin sein oder die Hausfrau?«
   Er erglühte vor Glück bei dieser Frage und antwortete:
   »Bitte, die Hausfrau!« – »Gut, so bedienen wir einander.«
   Sein Auge hing ganz trunken an ihr, und je länger das Nachtmahl währte, desto fester fühlte er sich gefangen im Bann dieser Zauberin. Der Wein goß ganze Feuerströme in seine Adern, ihre Blicke, die unwillkürliche Berührung ihrer Hände und Füße, der leise, süße Flüsterton ihrer Stimme, das Geheimnisvolle zwischen ihnen, das alles wirkte zusammen, dem jungen Grafen die Selbstbeherrschung zu rauben.
   Nach dem Mahl nahm er auf dem Sofa Platz, und benommen von den reichlich genossenen schweren Weinen schlief er bald ein. Und als er am Morgen erwachte, da wußte er nicht, ob die Wirklichkeit Traum oder der Traum Wirklichkeit gewesen sei.
   »Und nun bist du mein und wirst mir sagen, wer du bist!« bat er. – »Jetzt noch nicht«, entgegnete sie lächelnd. – »Wann denn?« – »Heute abend.« – »Darf ich da wiederkommen?« – »Ja, du darfst, jetzt aber geh, du lieber, lieber Herzensschatz!«
   Sie umarmten sich noch heiß und innig und schieden. Ferdinando ging.
   Er sah nicht, daß sie am Fenster stand und ihn so lange wie möglich mit trüben, verzehrenden Blicken verfolgte. Er sah auch nicht, daß gegenüber dem Hotel ein alter Vagabundo – Bummler – lag, den Eingang mit scharfen Blicken überwachend, und, als Ferdinando heraustrat, sich erhob und ihm folgte, um seine Wohnung und seinen Namen zu erkunden.
   Emanuel hatte inzwischen seinen Bruder mit Schmerzen erwartet und bat ihn jetzt, ihm sein Abenteuer zu erzählen. Beide Brüder hatten keine Geheimnisse voreinander, und so erfuhr Emanuel alles, was Ferdinando erlebt hatte.
   Der erstere schüttelte sehr ernst den Kopf.
   »Mein Bruder, du hast ein sehr großes Unrecht begangen«, sagte er. – »Ich weiß es, aber siehe sie erst, und dann verurteile mich.« – »Ich verurteile dich nicht. Aber ich bitte dich, sie nicht wieder aufzusuchen!« – »Nicht? Oh, ich würde sie aufsuchen mitten unter dem Lavaregen des Vesuvs.« – »Du bist krank!« – »Ja, aber im Herzen.« – »Und du weißt wirklich noch nicht, wer sie ist?« – »Nein.« – »Du konntest im Hotel fragen.« – »Das tut kein Kavalier. Heute abend wird sie es mir freiwillig sagen.«
   Emanuel gab sich alle Mühe, den Bruder anderen Sinnes zu machen, es gelang ihm jedoch nicht. Sie waren noch über diesem Thema, als der Diener den Herzog von Olsunna meldete.
   Beide Brüder blickten einander auf das höchste überrascht an, hatten aber noch kein Wort sprechen können, so trat der Genannte bereits ein, verbeugte sich freundlich, reichte jedem die Hand, die auch angenommen wurde, und meinte dann, als er Platz genommen und die Brüder einen Moment forschend angeblickt hatte, in leichtem Ton:
   »Ich konnte meine kurze Anwesenheit in Madrid nicht vorübergehen lassen, ohne Sie aufzusuchen, Señores, zumal ich mich nach einem ganz eigentümlichen Vorkommnis bei Ihnen erkundigen möchte. Darf ich Ihnen einige Fragen vorlegen, Don Ferdinando?«
   »Immerhin«, antwortete dieser. »Natürlich aber behalte ich mir vor, ob ich zu antworten habe oder nicht.«
   Der Herzog verbeugte sich zustimmend und begann:
   »Sie unternahmen gestern abend eine Kahnfahrt auf dem Manzanares mit einer Dame?« – »Ja.« – »Kannten Sie diese Dame?« – »Nein.« – »Aber heute kennen Sie dieselbe?« – »Nein. So weit es sich mit der Ehre und der Diskretion eines Edelmanns verträgt, bin ich jedoch bereit, einem jeden Kavalier Auskunft zu erteilen. Ich sage Ihnen daher, daß ich erst heute abend erfahren werde, wer die Señorita ist.«
   Der Herzog lächelte überlegen.
   »Sie werden es heute nicht erfahren, weil sie eine Viertelstunde nach Ihrem Fortgang Madrid verlassen hat.« – »Alle Teufel!« brauste Ferdinando auf. »Ich hoffe nicht, daß Sie lügen!« – »Lügen? Pah! Einer Dirne wegen!« – »Herr! Durchlaucht!« – »Gemach, gemach! Ich kenne sie besser, als Sie sie kennen. Sie waren es, der mir gestern den Boxring an den Kopf schlug?« – »Ja.« – »Das war sehr tapfer von Ihnen. Ich werde später mit Ihnen weiter darüber sprechen. Also Sie werden Ihre Schönheit hier nicht wiederfinden; aber einen sehr großen Trost kann ich Ihnen geben, sie wird Ihnen sehr bald und in sehr intimer Weise wiederbegegnen.« – »Durchlaucht, welchen Zweck hat denn eigentlich Ihr Besuch? Den Zweck der Beleidigung?« – »Nicht im mindesten. Ich wollte nur wissen, wer mich gestern niedergeschlagen hat.« – »Und wie kamen Sie da auf mich?« – »Weil einer unserer Schiffer Ihnen heimlich bis zum Hotel folgte; ich ließ es bewachen und hörte, daß Sie herausgetreten seien. Das ist alles. Adieu, Señores!«
   Der Herzog ging, und die Brüder gaben sich keine Mühe, ihn zurückzuhalten.
   »Was war das? Was wollte er?« fragte Emanuel. – »Darüber zerbreche ich mir den Kopf nicht, das werden wir schon erfahren. Jetzt muß ich vor allen Dingen nach dem Hotel.« – »Sei nicht zu schnell, nimm mich mit.« – »So komm!«
   Die Brüder fanden die Worte des Herzogs bald bestätigt. Die Ballerina war abgereist, ohne eine Spur zu hinterlassen. Papiere hatte sie gar nicht besessen, es fehlte also jeder Nachweis, da es Fremdenbücher nicht gab. Unverrichteter Sache kehrten sie wieder nach ihrer Wohnung zurück.
   Ferdinando aber dachte an die fremde Señorita wie an einen Stern, der ihm in dunkler Nacht erschienen war, und träumte von ihr und hoffte von Tag zu Tag fester, daß er sie wiedersehen werde.


   34. Kapitel

   In Rodriganda war mittlerweile ein sehr reges Leben eingezogen. Der gute Alimpo war mit seiner braven Elvira gekommen, um das Schloß zu dem Empfang des Grafen Manfredo einzurichten. Da sich dort stets alles in der musterhaftesten Ordnung befand, so verursachte diese Einrichtung nicht sehr viel Arbeit, und bereits am dritten Tag kam der Graf angefahren.
   An seiner Seite saß im Wagen eine Dame von wahrhaft wunderbarer Schönheit, von der aber niemand wußte, wer sie sei. Und die es wußten, hatten den strengsten Befehl, es niemand zu sagen.
   Gleich am Tag der Ankunft führte der Graf diese Dame durch das ganze Schloß, den Park und das Dorf. Man sah, daß sie sehr freundlich und beinahe zärtlich miteinander waren, aber weiter erfuhr man nichts.
   Dann wurde der Pfarrer in das Schloß bestellt. Er fand den Grafen mit der Dame ganz allein.
   »Herr Pfarrer«, sagte derselbe, »ich stelle Ihnen hiermit meine Braut vor.«
   Der Pfarrer war zunächst vor Überraschung ganz perplex, dann gratulierte er untertänigst. Der Graf nickte sehr gnädig und fuhr fort:
   »Sehen Sie die Dokumente durch, die dort auf dem Tisch liegen! Sind sie zur Trauung genügend?« – »Vollständig!« sagte der Geistliche, als er sie geprüft hatte. – »So halten Sie sich jeden Augenblick bereit, die Trauung zu vollziehen.« – »Und das Aufgebot, Exzellenz?« – »Sie haben ja dort gelesen, daß ich dispensiert bin. Übrigens verbiete ich Ihnen, jetzt von der Sache zu sprechen. Ich will die Welt mit der vollendeten Tatsache überraschen. Beiwohnen werden der Trauung nur meine beiden Söhne mit einigen Freunden. Adieu!«
   Der Pfarrer ging.
   Mehrere Tage später kamen des Nachmittags einige Herren angeritten, unter ihnen auch der Herzog von Olsunna. Dieser letztere kam nicht allein, an seiner Seite befand sich Gasparino Cortejo, sein Spießgeselle.
   Als beide ihre Pferde abgegeben hatten und langsam durch das Portal traten, fragte der Herzog den Gefährten:
   »Du hast doch die Pistolen nicht vergessen?« – »Nein, sie sind in meiner Tasche.« – »Recht so! Ich weiß, daß es ein Duell oder etwas dem Ähnliches geben wird, sobald ich mit meiner Rache beginne. Dieser kleine Graf Ferdinando soll mich nicht umsonst niedergeschlagen haben.« – »Und mich ebensowenig!« brummte Gasparino Cortejo und begab sich zunächst zu seinem Vater. Henrico Cortejo war nämlich auch mit auf Rodriganda, denn die Trauung gab viel Veranlassung zu allerhand Schreibereien, die er anzufertigen hatte. Er wohnte neben dem Grafen, dessen Zimmer wieder an diejenigen der Ballerina stießen. Diese letztere hielt sich heute recht einsam und ließ sich gar nicht sehen.
   Am Abend waren alle zur Tafel versammelt; da trat der Graf mit der Ballerina ein. Das hatte man allgemein erwartet, denn weshalb man nach Rodriganda geladen war, das war ja ein öffentliches Geheimnis.
   Der Graf teilte den Versammelten in kurzen Worten mit, daß er beabsichtige, jetzt seine Verlobung mit Doña Hanetta Valdez zu begehen. Er erwarte am späten Abend seine Söhne aus Madrid, und dann solle sofort morgen die Vermählung gefeiert werden.
   Man war nach Kräften lustig und guter Dinge, man erging sich in Toasten und Wünschen, aber man konnte sich nicht erwärmen, denn es lag wie ein fühlbarer Druck auf der Gesellschaft, und es war ganz so, als ob sich heute noch irgend etwas Schlimmes ereignen müsse.
   Nach der Tafel zog sich die Braut zurück, und die Herren blieben beim Wein. Später hörte man das Rollen eines Wagens, und der Graf ging hinab, die Gäste zu empfangen. Es waren seine beiden Söhne. Er führte sie in sein Kabinett.
   Sie hatten nur die kurze Weisung erhalten, wegen einer dringenden Familienangelegenheit nach Rodriganda zu kommen, und wußten nicht, um was es sich handele. Sie saßen daher jetzt dem Vater mit Spannung gegenüber.
   »Ihr wißt«, begann dieser, »daß ich nie ein Freund von vielen Worten gewesen bin, und so will ich auch jetzt keine Einleitung vorausschicken. Vernehmt, daß ich im Begriff stehe, mich zum zweiten Mal zu vermählen!«
   Wäre ein Blitzschlag in die Erde gefahren, so hätten die beiden Söhne kaum mehr erschrecken können als jetzt.
   »Vermählen?« fragte Emanuel. – »Eine zweite Frau?« rief Ferdinando. »Jetzt noch!« – »Ja, jetzt noch!« antwortete der Graf mit schwerer Betonung. »Es ist augenblicklich nicht die Zeit zu langen Auseinandersetzungen. Darum wollen wir uns rasch klarwerden. Beantwortet mir einige Fragen. Zunächst: Könnt ihr mir es verwehren, mich nochmals zu verheiraten?« – »Nein«, antwortete Emanuel. – »Oder wollt ihr es mir verwehren?« – »Nein«, sagte auch Ferdinando. – »Nun, so könnt ihr sicher sein, daß von euch beiden keiner in seinen wohlberechtigten Interessen geschädigt werden wird. Ich hoffe jedoch, daß meine Gemahlin bei euch die Achtung und Liebe, die Rücksicht und das Entgegenkommen finden wird, die das Kind der Mutter schuldet!« – »Wer ist sie, Vater?« fragte Emanuel. – »Sie ist nicht von Adel.« – »Ah!« rief Emanuel. – »Nicht?« rief Ferdinando. – »Nein«, sagte der Graf. »Ich habe nicht notwendig, nach neuem Glanz zu sehen. Übrigens ist sie allerdings von einer Art Adel. Ich meine den Geistesadel. Sie ist Künstlerin.«
   Die beiden Brüder sahen einander ganz erschrocken an.
   »Was für eine?« fragte endlich Emanuel. – »Eine Ballerina.« – »Donnerwetter!« rief Ferdinando. – »Paßt das nicht?« fragte der Graf ihn scharf. – »Nein.« – »Was sagst du?« fuhr da der Vater empor. – »Nein, sage ich aufrichtig. Paßt eine Balletteuse etwa in das bisher unentweihte Schloß unserer Väter?« – »Schweige, Knabe!« gebot Graf Manfredo. »Ihr folgt mir jetzt zu ihr. Ich werde euch vorstellen.« – »Eigentlich müßte eine Balletteuse uns vorgestellt werden, und nicht wir ihr, aber du bist der Vater, und so gehorchen wir«, sagte Ferdinando. »Wir werden uns dir nicht im geringsten in den Weg stellen, aber wir machen dich für alles verantwortlich.« – »Die Verantwortung werde ich tragen«, sagte der Graf. »Übrigens bist du der jüngere von euch beiden. Emanuel hätte eher das Recht zu sprechen.« – »Ich werde jetzt nicht sprechen«, erklärte der Genannte. »Zeige uns die Dame, Vater, dann werden wir ja ein Urteil finden.« – »Recht so, mein Sohn! Ich bin überzeugt, sobald ihr sie seht, ist euer Vorurteil sofort besiegt. Kommt!«
   Mit diesen Worten führte er beide bis zur Tür, hinter der Hanetta wohnte, öffnete rasch und sagte:
   »Meine beiden Söhne, liebe Hanetta!«
   Die Ballerina hatte auf einem Fauteuil gesessen und erhob sich. Ihr Blick fiel zunächst auf Emanuel, und ihr Gesicht nahm einen überaus herzlichen Ausdruck an. Dann aber erblickte sie Ferdinando – und eine leichenhafte Blässe bedeckte ihr Gesicht, sie griff mit den Händen konvulsivisch in die Luft und sank ohnmächtig zu Boden.
   »Was ist das?« rief der Graf, indem er ihr zu Hilfe sprang.
   Auch Ferdinando war erbleicht, fürchterlich erbleicht, aber er raffte sich sofort wieder auf.
   »Vater«, fragte er, »wann hat dir diese Person ihr Wort gegeben?« – »Gestern waren es drei Wochen.«
   Da streckte der Sohn die Hand zur Abwehr aus.
   »So rühre sie nicht an, sie ist eine Dirne! Olsunna hat recht!« – »Wie?« fragte Emanuel. Dieses Weib ist die Fremde vom Manzanares, Ferdinando?« – »Ja.«
   Da faßten die beiden Söhne den Vater fest und zwangen ihn, das Zimmer zu verlassen.
   Erst nach längerer Zeit erschien ein Diener im Speisesaal und meldete, daß sein Herr verhindert sei zu kommen.
   »Und die jungen Herren?« fragte der Herzog von Olsunna. – »Sind beim Gnädigen.« – »Ah, ich ahne, was geschehen ist! Heda, Diener, sagen Sie einmal den drei Herren, daß ich sie augenblicklich zu sprechen verlange, wenn ich sie nicht öffentlich für ehrlose Wichte erklären soll.«
   Der Diener verschwand augenblicklich. Alle Gäste waren erbleicht.
   »Olsunna!« rief einer warnend. – »Schon gut. Ich weiß genau, was ich tue.«
   Schon nach kurzer Zeit trat der Graf mit seinen Söhnen ein. Sie schritten bis an die Tafel vor, und dann fragte Graf Manfredo mit hohler Stimme:
   »Weshalb läßt uns Durchlaucht rufen?« – »Erlaucht«, antwortete der Gefragte, »wir sind hier, um eine Verlobung zu begehen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein.« – »Haben Sie darüber eine Frage zu stellen?« – »Allerdings. Man führt uns eine Dirne als Braut vor; man verschwindet dann; man läßt sagen, daß man nicht wiederkommt. Ich will wissen, ob hier ein Scherz, eine Mystifikation oder etwas anderes vorliegt.« – »Hier liegt weder ein Scherz noch eine Mystifikation vor, aber eine unerhörte und freche Beleidigung von Ihrer Seite!« rief Graf Manfredo. »Ich fordere Sie!« – »Ich schlage mich mit Ihnen nicht«, entgegnete der Herzog. – »Warum nicht?« – »Der Verlobte einer Tänzerin ist nicht satisfaktionsfähig!«
   Graf Manfredo wollte sich auf ihn werfen, aber seine beiden Söhne hielten ihn zurück.
   »Halt, Vater!« sagte Ferdinando. »Du hast zwei Söhne, die diese Schmach nicht sitzen lassen werden. Hinaus mit dir, Bube!«
   Der mutige Jüngling trat auf den Herzog zu und erhob die Faust.
   »Schön, ich gehe«, sagte dieser mit wüstem Lachen. »Vorher aber werde ich die schöne Ballerina noch einmal besuchen, um zärtlichen Abschied zu nehmen.«
   Dann verließ er den Saal.
   Graf Manfredo stieß einen Schrei der Wut aus. Er stürzte zur entgegengesetzten Tür hinaus nach seinen Gemächern. Dort riß er den Waffenschrank auf und nahm einen Revolver, der geladen war. Mit diesem schritt er durch mehrere Räume, bis er an dasjenige Zimmer kam, das an die Gemächer der Ballerina stieß. Hier gab es eine Tapetenwand, von der Hanetta nichts wußte. Er glaubte wirklich, daß Olsunna so frech sein werde, die Zimmer der Tänzerin in roher Weise zu betreten. Er öffnete also geräuschlos die Tapetentür und trat leise ein.
   Unterdessen hatte sich die Ballerina von ihrer Ohnmacht erholt.
   »Oh mein Gott«, seufzte sie. »Er, er, mein Stiefsohn! Welch eine Strafe! Hin ist die Grafschaft, hin sind die Millionen! Was tue ich?«
   Sie war ganz außer sich, sie rang die Hände; sie konnte keinen Gedanken fassen. Endlich kam ihr doch ein Einfall.
   »Nur Cortejo kann hier helfen!«
   Rasch klingelte sie und befahl dem Mädchen, Señor Henrico Cortejo sofort zu ihr zu senden. Als dieser eintrat, hatte er noch keine Ahnung, was geschehen war, aber er sah es ihr an, daß sie sich in einer ungewöhnlichen Stimmung befinde.
   »Mein Gott, was hast du, was ist mit dir?« fragte er, sie besorgt bei der Hand nehmend. – »Ich bin verloren!« rief sie in verzweifeltem Ton. »Es ist aus mit dieser Heirat, denn der Graf tritt zurück, und daran ist Graf Ferdinando schuld. Ich traf in Madrid einen jungen Señor oder Don, mit dem ich einige Stunden beisammen war. Oh, ich hatte ihn wirklich lieb! Wir mußten uns trennen. Jetzt komme ich hier; heute wurden mir die beiden Söhne des Grafen vorgestellt, und da ist – er dabei!« – »Verdammt! Welcher ist es?« – »Ferdinando. Er erkannte mich!« – »Wann war das interessante Zusammentreffen in Madrid? Vor einigen Jahren?« – »Nein, vor vierzehn Tagen.« – »Da ist es allerdings aus. Da ist alles verloren. Hm, eigentlich sollte ich mich gar nicht um dich kümmern, weil du es nicht wert bist; dennoch setze dich her, wir wollen die Angelegenheit besprechen.«
   Cortejo zog die Ballerina auf das Sofa nieder, hielt sie fest an sich gedrückt und preßte einen Kuß auf ihre Lippen, den sie erwiderte. Da stießen beide einen Schrei aus, denn vor ihnen stand, den Revolver in der Hand, Graf Manfredo!
   »Ah!« knirschte er. »Den einen suche ich, den andern finde ich. Fahrt hin!«
   Damit zielte er auf Cortejo und schoß ihn direkt in die Schläfe, so daß dieser augenblicklich tot niederstürzte; dann wollte er die Mündung auch auf die Ballerina richten; diese aber war ihm in den Arm gefallen, ergriff den Revolver und hielt ihn mit der Kraft der Todesangst fest. Sie wollte ihm die Waffe aus der Hand winden, da ging der Schuß los, und der Graf sank, mitten in die Brust getroffen, leblos zusammen.
   Als der erste Schuß erklang, war der junge Cortejo eben zur Treppe heraufgekommen. Er erschrak und trat sofort ein. Im Vorzimmer war niemand; er eilte in das Nebenzimmer. Dort stand die Ballerina, den Revolver in der Hand, zwischen zwei Leichen.
   »O Gott, mein Vater!« rief er. – »Ja, Ihr Vater«, wiederholte sie tonlos. – »Das ist fürchterlich, das ist …« er wollte niederknien, aber er faßte sich in die Haare und beherrschte sich mit fast dämonischer Gewalt, »Nein, nein, nur die Besinnung nicht verlieren, sie ist hier notwendig.« – »Der Graf kam durch die Tapetentür und schoß ihn nieder«, jammerte sie.
   Gasparino Cortejo fragte hastig:
   »Mein Vater kam zu Ihnen?« – »Ich ließ ihn holen.« – »Sie saßen mit ihm auf dem Sofa?« – »Ja.« – »Er hat ihn aus Eifersucht erschossen?« – »Ja.« – »Oh, ein Gedanke, ein Gedanke! Lassen Sie mich machen! Man kommt schon.«
   Rasch drückte er dem am Boden liegenden Grafen den Revolver in die Hand und bückte sich zur Erde, um sich auch mit seinem Vater zu beschäftigen.
   »Was geht hier vor? Wer schießt hier?« ließen sich jetzt Stimmen vernehmen. – »Hierher«, rief Cortejo.
   In der Zeit von einer Minute war das ganze Zimmer mit Menschen gefüllt. Auch die beiden Grafen kamen und waren zunächst ganz untröstlich beim Anblick des toten Vaters, doch faßten sie sich und begannen mit Cortejo ein Verhör anzustellen, da die Ballerina unter Krämpfen sich auf dem Sofa wand und gar nicht sprechen konnte.
   »Wer ist es, der zuerst geschossen hat?« fragte Graf Emanuel. – »Graf Manfredo, Ihr Vater«, antwortete Cortejo. – »Ah, das klingt unwahrscheinlich.« – »Ist aber wahr. Señorita Valdez hatte das Mädchen nach meinem Vater geschickt, um sich in der heutigen Angelegenheit Rat zu holen. Der Graf hingegen dachte, der Herzog von Olsunna werde wirklich die Zimmer der Ballerina aufsuchen. Er nahm den Revolver und drang durch diese Tapetentür herein. In der Aufregung und Wut unterscheidet er nicht genau und schießt meinen unschuldigen Vater nieder. Nun erst merkte der den Irrtum und richtet in der Verzweiflung, in der gewaltigen Revolution seiner Gefühle die Waffe auf sein eigenes Herz.«
   Dies war die Aussage des schlauen Gasparino Cortejo. Auch die Ballerine mußte endlich sprechen, und sie bestätigte die Kombinationen Cortejos.
   Es ist nicht viel hinzuzufügen:
   Die Tänzerin Hanetta Valdez verschwand. Graf Emanuel trat die Regierung in Rodriganda an; Graf Ferdinando aber litt es in Europa nicht, er ging nach Mexiko.
   Die beiden Grafenbrüder, die immerfort glaubten, daß Henrico Cortejo von ihrem Vater unschuldig erschossen worden sei, hielten sich für verpflichtet, diese Tat quitt zu machen, und so teilten sich Graf Emanuel und Graf Ferdinando in die beiden Brüder Gasparino und Pablo Cortejo.
   Und diese beiden Cortejos wieder konnten nicht vergessen, daß ihr Vater durch die Hand eines Rodriganda gefallen, und zwar absichtlich erschossen worden war, und beschlossen, sich zu rächen. Sie betrieben die Rache wie echte Teufel, wie wir bereits gesehen haben, und der fernere Verlauf wird uns zeigen, ob diese Teufel den Sieg davontrugen.