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| Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1
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Karl May
WALDRÖSCHEN VI. DIE ABENTEUER DES SCHWARZEN GERARD 1
1. Kapitel
»Ich zieh‘ ins weite, ferne Land,
Der Zukunft denk‘ ich mit Entzücken,
Des Friedens Zepter in der Hand,
Will ich ein mutig Volk beglücken.
Ich trotz‘ der Franken Trug und List
Und glaub‘ an seines Schwures Treue,
Wie doch mein Herz so selig ist!
Geb‘ Gott, daß ich es nicht bereue!«
Im Westen von Neumexiko liegt eine weite Ebene, die am besten mit der Sahara zu vergleichen ist. Viele Tagereisen weit ist kein Baum, kein Strauch zu finden; kein Quell dringt aus dem Boden, um eine grüne Vegetation zu erzeugen. Nur der Kaktus fristet ein einsames, trockenes Leben; er bildet Felder von ungeheurem Umfang; aber er wird ebenso vom Menschen, wie vom Tier gemieden, denn seine Stacheln sind gefährlich. Tritt sich ein Pferd einen solchen Stachel in den Huf, so ist es unrettbar verloren. Es beginnt zu hinken, der Huf schwillt; es tritt Brand dazu, und der einsame Reiter, seines treuen, schnellen Tieres beraubt, kann zu Fuß das Ende der Wüste nicht erreichen und muß elend verschmachten. Er fällt den Geiern zur Beute, die hoch oben in der glühenden Luft ihre weiten Kreise ziehen, um mit scharfem Auge ihren Fraß zu suchen.
Aber auch noch in anderer Beziehung ist diese Wüste gefährlich. Da nämlich weder Baum noch Strauch als Wegweiser dienen kann, so hat man den Weg, der durch sie führt, mit langen, kahlen Stangen bezeichnet, daher sie den Namen Llano estacado, das ist die abgesteckte Wüste, führt. Nun gibt es dort allerlei Gesindel, deren Anführer diese Pfähle herausreißen und in falscher Richtung stecken lassen. Wer ihnen dann folgt, gerät immer tiefer in die Öde hinein, muß elend verhungern und verdursten, und ist er dann tot, so wird sein Leichnam von den feigen Räubern beraubt.
Diese Wüste geht mit ihrem Westrand fast bis zum Rio Puercos – auch Rio Pecos —, der ein Nebenfluß des Rio Grande del Norte ist. An diesem Rio Puercos liegt das Fort Guadeloupe, das unseren Lesern bereits von früher her bekannt ist. Emma Arbellez war mit ihrer Freundin Karja in Guadeloupe auf Besuch gewesen. Die erstere hatte dort eine befreundete Familie besucht, war auf dem Rückweg von den Komantschen überfallen und gefangengenommen, dann aber von Helmers und Bärenherz befreit worden.
Die erwähnte Familie war diejenige des einzigen Warenhändlers in Fort Guadeloupe. Er war mit dem Haziendero Pedro Arbellez verwandt, hieß Pirnero und galt als der reichste Mann der ganzen Gegend. Er war in das Land gekommen, man wußte nicht recht, woher, hatte sich eine hübsche, wohlhabende Neumexikanerin, eine Cousine von Pedro Arbellez, zur Frau genommen und einen Handel angefangen, der immer größeren Aufschwung nahm, bis Pirnero sich einen gemachten Mann nennen konnte.
Seine Frau war bald gestorben und hatte ihm ein einziges Kind, eine Tochter, hinterlassen. Dieser Todesfall traf ihn nicht tief. Er besaß ein heiteres Gemüt, das nicht zum Gram geschaffen war. Er lebte glücklich und sorglos, das heißt, ohne alle Sorge außer einer einzigen. Seine Tochter, die hübsche Resedilla, machte nämlich keine Anstalt, sich einen Mann zu nehmen. Dies war ihm früher ziemlich gleichgültig gewesen; jetzt aber trat das Alter an ihn heran, und er wünschte sich einen tüchtigen Nachfolger, um die Tochter versorgt zu wissen. Sie hatte Anbeter genug gehabt, das hübsche, blonde Mädchen, auch mit allen gescherzt und gelacht, aber keinen vorgezogen und begünstigt. So war sie zwanzig Jahre geworden, dann fünfundzwanzig, endlich fast dreißig. Sie war noch immer hübsch; es war gar nicht, als ob sie zu den Mexikanerinnen gehöre, die ja bekanntlich in diesen Jahren bereits vollständig verblüht sind. Ihr hellblondes Haar zeigte auch auf eine andere, vielleicht germanische Abstammung, doch war es selten, daß sie oder ihr Vater darüber sprach, denn er wußte, was zu seinem Vorteil diente.
Pirnero besaß ein großes Haus und außerhalb des Forts bedeutende Weiden, auf denen er eine Anzahl Vaqueros beschäftigte. Sein Haus hatte außer dem Erdgeschoß große Kellereien und ein Stockwerk. In den Kellern befand sich seine Niederlage, im Erdgeschoß war ein Verkaufsladen und eine Schenkstube, und das Stockwerk enthielt seine Wohn– und Schlafzimmer.
Heute wehte draußen ein steifer Wind über den Fluß herüber, ein Wind, wie ihn kein Jäger und kein Hirt liebt, und dennoch befand sich kein einziger Gast in dem Schenkzimmer, das doch bei solchem Sturm den besten Aufenthalt bot.
Señor Pirnero war in nicht ganz guter Laune. Er saß am Fenster und blickte schweigend in die Gegend hinaus, über die der Staub in dichten Wolken wirbelte. Resedilla saß am anderen Fenster und nähte an einem roten Busentuch, das eine der Mägde zum Geschenk erhalten sollte.
Da begann der Vater an der Fensterscheibe zu trommeln. Dies war ein sicheres Zeichen seiner schlechten Laune, und wenn er an dieser litt, so bekam Resedilla die bekannten Vorwürfe zu hören, aus denen sie sich aber nicht viel machte. Es gab ihr vielmehr Spaß zu beobachten, mit welchen wunderbaren Einleitungen und Sprüngen er immer wieder auf das Heiratsthema kam.
»Fürchterlicher Wind!« brummte er verdrießlich.
Sie antwortete nicht; darum fügte er nach einer Weile hinzu:
»Fast ein Sturm!«
Sie zog auch jetzt noch vor, zu schweigen; da richtete er die direkte Frage an sie:
»Nicht wahr, Resedilla?« – »Ja«, antwortete sie einsilbig. – »Ja? Was denn?« fragte er, aufgebracht über die Kürze ihrer Antwort. – »Nun, fürchterlicher Sturm.« – »Gut! Und ebenso fürchterlicher Staub!«
Resedilla antwortete abermals nicht; nun wandte er ihr das Gesicht zu und sagte:
»Wenn du dir kein besseres Mundwerk anschaffst, wie willst du denn da mit deinem Mann auskommen, wenn du einmal heiratest?« – »Eine schweigsame Frau ist besser als eine Plaudertasche!« antwortete sie.
Pirnero hustete einige Male. Er fühlte sich geschlagen und war verlegen um die Fortsetzung des Gespräches. Endlich fing er nach einer Weile abermals an:
»Außerordentlicher Wind! Unendlicher Sturm!«
Sie hielte diese geistreiche Bemerkung keiner abermaligen Antwort für wert.
Er schüttelte den Kopf, trommelte an die Scheibe und sagte:
»Und kein einziger Gast da!«
Da sie auch hierauf keine Antwort hatte, drehte er sich ihr wieder zu und fragte:
»Habe ich etwa nicht recht? Oder siehst du etwa einen Gast hier in der Stube?« – »Hältst du mich etwa für blind?« lachte sie jetzt. – »Na also! Kein Gast, gar keiner! Das ist schlimm für ein Mädchen, das sich nach einem Mann umzusehen hat! Oder hast du etwa bereits…« – »Nein«, antwortete sie abweisend. – »Nicht? Warum nicht?« – »Ich mag keinen!« – »Keinen! Hm! Dummheit! Ein Mann ist für ein Mädchen das, was für einen Schuh die Sohle ist.« – »Man muß auf ihn treten, nicht?« lachte sie. – »Dummheit! Ich meine, man kann ohne ihn nicht laufen.«
Aber trotz seiner Rechtfertigung fühlte er doch den Stich, den er erhalten hatte. Das wurmte ihn, und er sann darüber nach, wie er von neuem auf eine unbemerkte Weise auf sein Thema kommen könne, als ein Holzriegel draußen herabfiel, den der Sturm vom Dach gerissen hatte.
»Hast du es gesehen?« fragte er. – »Was?« – »Den Riegel da draußen!« – »Ja.« – »Nun ist ein Loch im Dach. Wer muß es reparieren, he? Ich allein!« – »Wer sonst? Doch wohl nicht ich?« – »Du? Dummheit! Der Schwiegersohn! Denn seine Pflicht ist es, auf Ordnung zu sehen. Wo kein Schwiegersohn ist, da ist keine Ordnung. Verstanden?«
Der gute Papa Pirnero war ein wenig sparsam, und der kleine Schaden, den ihm der Sturm verursacht hatte, ärgerte ihn. Wenn etwas Derartiges vorlag, dann wurde er doppelt redselig und sprach auch von Dingen, über die er sonst gewöhnlich Schweigen zu beobachten pflegte. Darum fuhr er jetzt fort:
»Aber ein ordentlicher Schwiegersohn muß es sein! Nicht so ein abgerissener und zerlumpter wie der lange Kerl, der jetzt zuweilen kommt!«
Pirnero bemerkte gar nicht, daß ein leichtes Rot die Wangen der Tochter überflog. Dieser zerlumpte Kerl schien ihr denn doch nicht so ganz gleichgültig zu sein.
»Du weißt doch, wen ich meine?« fragte der Vater. – »Ja«, antwortete sie. – »Nun also, den nicht, den bringst du mir nicht. Ich bin Ambition gewöhnt, schon von meinen seligen Eltern her. Weißt du, was mein Vater war?« – »Ja. Schornsteinfeger.« – »Gut. Das sind Leute, die hoch hinaus müssen. Und mein Großvater?« – »Meerrettichhändler.« – »Schön! Du siehst also ein, daß schon in ihm das Spekulationstalent gesteckt hat, durch das ich zum reichen Mann geworden bin. Man kann eine Tochter gar nicht genug an eine solche Abstammung erinnern, das Vaterland und die Vaterstadt mit eingerechnet. Oder hast du etwa vergessen, aus welchem Land ich bin?« – »Nein«, sagte sie, das Lachen verbeißend. – »Nun?« – »Aus Sachsen.« – »Ja, aus Sachsen, wo die schönen Mädchen wachsen. So schöne gibt‘s nirgends, aber heiraten müssen sie, sonst werden sie schimmelig. Verstanden? Auch du bist nicht weit vom Stamm gefallen. Ich war ein hübscher Kerl, schon von meiner Mutter und Großmutter her, und darum kannst du dich auch sehen lassen, das liegt so in der Natur der väterlichen Abstammung zur Tochter hinüber. Darum habe ich dich auch Reseda oder Resedilla genannt Und was meine Vaterstadt betrifft, so kennst du ja wohl ihren Namen?« – »Jawohl.« – »Nun?« – »Pirna.« – »Ja, Pirna. Das ist die schönste Stadt in der ganzen Welt. Sie ist berühmt wegen ihrer schönen Sprache, darum habe ich auch das Spanische so leicht gelernt, denn das Pirnsche und Spanische sind einander sehr verwandt; Pirnaisch und Spanisch ist beinahe egal; das siehst du schon aus dem Namen, den ich hier zu Ehren meiner Vaterstadt angenommen habe: Pirna und Pirnero. Darum hat mich deine Mutter sogleich geheiratet. Du aber magst keinen, ich glaube, selbst dann nicht, wenn er aus Pirna wäre. Wer soll mir da die Dachriegel fest machen, die der Wind herunterreißt!«
Der biedere Pirnero hätte in seinem Sermon noch weiter fortgefahren, wenn nicht von draußen Pferdegetrappel zu hören gewesen wäre. Ein Reiter kam herbeigesprengt, sprang aber nicht draußen vor dem Fenster vom Pferd, sondern ritt es in die offene Umzäunung hinein, die sich an der Giebelseite des Hauses befand. Dann erst schritt er an den Fenstern vorüber, um nach der Stube zu kommen. Der Wirt hatte ihn im Vorübergehen bemerkt und sagte jetzt höchst ärgerlich:
»Das ist er, der Lump! Der braucht gar nicht zu kommen, selbst wenn ich keine Gäste habe. So einer soll mir nicht sagen, daß er mein Schwiegersohn werden will!«
Resedilla beugte sich tiefer auf ihre Arbeit hinab, um die Röte ihres Gesichts nicht merken zu lassen, und unterdessen trat der Gast in die Stube.
Er grüßte höflich, setzte sich auf einen der Stühle und verlangte ein Glas Julep, der in den Vereinigten Staaten und deren Grenzgebieten gern getrunken wird.
Der Gast war hoch und stark gebaut, und sein Gesicht war von einem dunklen Vollbart umrahmt. Er mochte bereits ein Stück in die dreißig hinein sein, konnte aber recht gut als bedeutend jünger gelten. Er trug eine sehr fadenscheinige, mexikanische Hose und darüber eine wollene Bluse, die vorn offenstand und die bloße Brust sehen ließ, die er dem Sturmwind geboten hatte. Ein schmaler Ledergürtel ging um seine Hüften. In demselben steckten zwei Revolver und ein Messer. Die Büchse, die er neben sich an den Tisch gelehnt hatte, schien keinen Groschen wert zu sein, wie überhaupt seine ganze Bekleidung einen abgeschabten Eindruck machte. Wer aber in seine kräftigen, etwas melancholischen Züge blickte und sein großes, dunkles Auge sah, der hätte ihn sicher nicht nach diesen Kleidern beurteilt.
Als er jetzt den breitkrempigen Hut auf den Tisch legte, sah man, daß eine tiefe, kaum erst zugeheilte Narbe quer über seine Stirn lief. Doch waren seine Bluse und seine Hose von so frischen Blutflecken beschmutzt, daß man leicht sehen konnte, diese Flecken stammten nicht von der Stirnwunde her.
»Was für Julep wollt Ihr?« fragte der Wirt rauh. »Minze oder Kümmel?« – »Ich bitte, Señor, gebt mir Minze«, lautete die Antwort.
Sie war höflich und bescheiden. Ihr Ton hatte eine eigentümliche Weichheit, fast als ob er irgendeinen Fehler begangen hätte, den er sich verzeihen lassen müsse. Und doch klang diese Stimme so fest wie diejenige eines Mannes, der nicht Lust hat, mehr zu leiden, als er leiden will.
Der Wirt ging hinaus in den Laden und brachte das Verlangte. Dann setzte er sich wieder an das Fenster. Der Gast nippte an dem Branntwein und schien ebenso wie der Wirt seine Aufmerksamkeit durch das Fenster zu konzentrieren; ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerken können, daß sein Blick zuweilen verstohlen hinüber zu dem Mädchen flog, das dann die Augen errötend senkte. Und das war wirklich kein Wunder, denn ein unparteiisches Urteil hätte sicherlich dahin gelautet, daß dieser Mann recht gut geeignet ist, noch selbst das jüngste Mädchenherz zu erobern.
Der Alte fand das lange Schweigen denn doch zu drückend. Er räusperte sich ein wenig und sagte zum dritten Mal, allerdings jetzt zu dem Gast:
»Fürchterlicher Wind!«
Der Fremde antwortete nicht, und erst als der Wirt nach einer weiteren Pause fragte: »Nicht? Was?« lautete die gleichgültige Antwort: »Nicht schlimm.« – »Aber schrecklicher Staub!« – »Pah!« – »Pah? Was meint Ihr? Das soll kein Staub sein?« – »Staub ist es. Aber was tut das?« – »Was das tut? Welche Frage!« rief der Wirt ärgerlich. »Fliegt einem dieser Staub in die Augen, so …« – »So macht man sie zu«, fiel der Fremde ein. – »Zumachen? – Ah, ja, das wird das beste sein.«
Der geistreiche Wirt fühlte sich zum dritten Mal geschlagen, fügte aber hinzu:
»Doch die Kleider, die Kleider werden zu Schanden.« – »So zieht man schlechte an!«
Das war Wasser auf die Mühle des Wirtes. Er machte eine rasche Wendung nach dem verhaßten Gast zu und sagte:
»Ja, die Eurigen sind schlecht genug. Habt Ihr denn keine besseren?« – »Nein.«
Dieses Wort wurde so gleichmütig gesprochen, daß es den Alten empörte. Der Mexikaner hält sehr viel auf sein Äußeres. Er kleidet sich in eine bunte, höchst malerische Tracht, trägt gern schimmernde Waffen und schmückt sein Pferdegeschirr mit goldenen und silbernen Zierraten. Von alledem war bei dem Fremden nichts zu bemerken. Er hatte an seinen groben Stiefeln nicht einmal Sporen, die der Mexikaner stets mit ungeheuren Rädern trägt.
»Warum denn nicht?« fragte der Wirt. – »Sie sind mir zu teuer.« – »Ah, so seid Ihr ein armer Habenichts?« – »Ja«, antwortete der Gefragte gleichmütig. Er bemerkte aber wohl, daß die Tochter unwillig errötete und ihm einen Blick zuwarf, in dem es wie eine Bitte um Verzeihung lag.
Der Wirt bemerkte dies nicht; er fuhr in seinen Fragen fort
»Was seid Ihr denn eigentlich?« – »Jäger.« – »Jäger? Und davon lebt Ihr?« – »Allerdings.«
Der Alte warf ihm einen höchst verächtlichen Blick zu.
»Da sollt Ihr mich dauern«, sagte er stolz. »Wie kann ein Jäger jetzt leben? Es gibt keinen mehr. Ja, früher war es etwas anderes. Da gab es Kerle, vor denen man Respekt haben mußte. Habt Ihr einmal von Bärenherz gehört?« – »Ja, es war ein berühmter Apache.« – »Oder von Büffelstirn?« – »Ja, er war der König der Büffeljäger.« – »Und von Donnerpfeil?« – »Ja, er war ein Deutscher.« – »Mein Landsmann!« sagte der Wirt stolz. »Ich bin nämlich aus Pirna, von woher sie in Dresden die Elbe beziehen. Der größte Jäger aber ist der ›Fürst des Felsens‹ gewesen, der eigentlich auch ein Deutscher war. Er war früher Arzt und hat Sternau geheißen…« – »Sternau«, unterbrach ihn der Fremde schnell. – »Ja, Sternau.« – »Wie lautet sein Vorname?« – »Carlos, Señor Carlos Sternau. Mein Vetter hat mir von ihm erzählt, als ich ihn vor einigen Jahren besuchte.« – »Und wer ist dieser Euer Vetter?« – »Das ist der Señor Pedro Arbellez, Besitzer der Hacienda del Erina.« – »Ist dieser Señor Sternau verheiratet?« – »Ja. Nämlich mit der Gräfin Rosa de Rodriganda.« – »Er ist‘s, er ist‘s; es ist derselbe«, sagte der Jäger für sich, aber so, daß es der Wirt und dessen Tochter hörten. – »Wer ist er? Wer ist ganz derselbe?« fragte der erstere. »Kennt Ihr ihn?« – »Ja, sehr gut.« – »Woher?« – »Er hat meine Schwester aus dem Wasser gezogen.« – »Seht Ihr, was für ein Kerl er ist! Er zieht sogar die Leute aus dem Wasser heraus. Ja, er war ein großer Jäger, wie es keinen wieder gibt. Wir haben jetzt keinen berühmten Wald– oder Prärieläufer mehr, einen höchstens ausgenommen, der soll aber auch ein ganz verteufelter Kerl sein. Habt Ihr von ihm gehört?« – »Wen meint Ihr denn?« – »Den Schwarzen Gerard. Ihr müßt nämlich wissen, daß sich die Waldläufer einander gern beim Vornamen nennen und dann noch irgendeine Bezeichnung dazusetzen. Ich muß Euch das sagen, weil Ihr zwar ein Jäger seid, aber jedenfalls kein solcher, der diese Gebräuche kennt. Dieser Mann heißt Gerard und soll einen schwarzen Bart haben; daher wird er der Schwarze Gerard genannt. Kennt Ihr ihn?« – »Ich habe von ihm gehört.« – »Nun, so werdet Ihr wissen, daß dies der einzig berühmte Kerl ist, den wir jetzt hier an der Grenze haben. Er fürchtet sich vor dem Teufel nicht; sein Schuß geht niemals fehl, und sein Messer trifft stets den richtigen Fleck. Vor so einem Mann muß man Respekt haben. Er hat es besonders auf die Raubbanden in dem Llano estacado abgesehen. Seit er von Norden droben heruntergekommen ist, sind die Wege von ihnen fast gesäubert worden. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken, denn früher fingen sie mir meine Waren zehnmal ab, ehe ich sie einmal bekam. So ein Kerl sollte mein Schwie…« Er besann sich und hielt mitten im Wort inne. In Gegenwart dieses Gastes durfte er unmöglich in seine Lieblingslitanei verfallen. Darum fuhr er fort: »Ich möchte wissen, was für ein Landsmann er ist. Wohl auch ein Deutscher und am Ende gar aus Pirna, denn die Leute dort sind ganz ungeheuer tapfer. Wie hatte denn der Königstein nach Pirna kommen können, wenn sie ihn nicht für sich erobert hätten? Und dies hat ihnen bis jetzt noch niemand nachgemacht. Aus welchem Land seid Ihr denn eigentlich gebürtig?« – »Aus Frankreich«, entgegnete der Jäger. – »O weh! So seid Ihr ein Franzose?« – »Natürlich!« – »So! Hm! Hm! Das ist gut, Señor!«
Pirnero drehte sich schnell um und machte keinen Versuch, das Gespräch fortzusetzen. Es war klar, daß die Franzosen aus irgendeinem Grund bei ihm in Mißkredit standen. Nach einer Pause erhob er sich und verließ das Zimmer, gab aber vorher seiner Tochter einen Wink, ihm zu folgen. Sie gehorchte und fand ihn in der Vorratskammer.
»Du«, sagte er, »hast du gehört, was er ist?« – »Ja, ein Franzose«, antwortete sie. – »So maß ich dich warnen.« – »Warum?« – »Das darf ich dir nicht sagen, aber da das Schweigen gefährlich werden könnte, so muß ich mit dir darüber reden. Weißt du, daß uns die Franzosen einen deutschen oder vielmehr einen österreichischen Prinzen herübergebracht haben, der Kaiser von Mexiko werden soll?« – »Warum sollte ich dies nicht wissen, man spricht doch überall davon.« – »Nun, so will ich dir sagen, daß die Österreicher alle gute Kerle sind. Sie rechnen zwar nach Gulden, die bloß siebzehn Groschen gelten, aber mich gehen die übrigen drei Groschen ja gar nichts an. In Pirna ist man nobel. Ich habe gegen die Österreicher gar nichts, und dieser Prinz Max soll ein guter Mensch sein. Den Mexikanern gefällt es jedoch nicht, daß er sich von den Franzosen bringen läßt, und darum wollen sie von ihm nichts wissen. Sie sagen, der Napoleon sei ein Lügner, er werde seine Versprechungen nicht erfüllen und auch den Prinzen Max später sitzenlassen. Sie wollen keinen Kaiser haben, sie wollen einen Präsidenten, und der soll Juarez sein.« – »Der jetzt in Paso del Norte ist?« – »Ja. Die Franzosen wollen ihn daher gern fangen. Sie haben bereits das ganze Land besetzt und ihn in Chihuahua beinahe ergriffen. Er ist ihnen aber glücklich nach Paso del Norte entkommen. So weit zur Indianergrenze wagen jene sich zwar nicht herauf, aber man spricht davon, daß sie ein Streifkorps absenden wollen, um ihn aufzuheben. Darum muß man vorsichtig sein und sich vor jedem Franzosen hüten.« – »Du doch nicht. Was geht dich Juarez an?« – »Oh, sehr viel«, antwortete er mit wichtiger Miene, »ich habe es dir bisher verschwiegen, daß ich eine außerordentliche Begabung für Politik habe.« – »Du?« unterbrach sie ihn im höchsten Grad erstaunt. – »Ja, ich. Alle Leute in Pirna sind groß in Politik. Das haben wir noch vom Finkenfang bei Maxen her. Ich habe drüben in Präsidio noch einige Ländereien, und weil ich daselbst eine Stimme besitze, so ist es mir nicht gleichgültig, ob wir den Prinzen Max bekommen oder den Juarez. Der Max ist gut, aber er kann sich unmöglich halten. Er hängt von den Franzosen ab. Der Napoleon hat, um ein mexikanisches Kaiserreich zu gründen, zwei Anleihen gemacht; davon ließ er Mexiko lumpige vierzig Millionen zukommen, fünfhundert Millionen aber hat er für Frankreich selbst behalten. Das ist der offenbarste Betrug, und der arme Max weiß sich nun keinen Rat. Juarez hingegen kennt unser Land; er will nichts von den Franzosen wissen, und darum wollen wir ihn. Dazu gehört aber Geld. Darum hat er zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gesandt, um sich mit ihm zu verbinden und eine Anleihe zu machen. Vor einigen Tagen nun ist der Bote zurückgekehrt und hat die Nachricht gebracht, daß die Staaten von einem mexikanischen Kaiser, den der Franzose bringt, nichts wissen wollen und uns dreißig Millionen Dollar bewilligt haben. Einige Millionen sind bereits unterwegs. Sie sollen durch die Llano estacado zu Juarez transportiert werden. Davon aber haben die Franzosen Wind bekommen, und es ist wahrscheinlich, daß sie den Geldtransport überfallen wollen. Er kommt in schleunigen Tagemärschen heran. Im Fall der Not soll er, wenn es unmöglich ist, ihn weiterzubringen, hierher nach Fort Guadeloupe geschafft und in unserem Haus einstweilen versteckt werden. Deshalb wird Juarez eine stärkere Besatzung herlegen, deshalb haben wir aber auch die Franzosen doppelt zu fürchten. Sie werden Kundschafter senden, um uns auszuhorchen, und ich ahne, daß der Kerl, der jetzt drin sitzt, ein solcher Spion ist. Er spricht nur wenig und verwendet keinen Blick vom Fenster, um ja genau zu sehen, was draußen vorgeht. Nicht einmal dich sieht er an.«
Resedilla wußte dies besser; sie hütete sich aber, es zu verraten.
»Ich glaube nicht, daß er das Auge eines Spions hat«, meinte sie. – »Nicht? Da irrst du! Nun muß du aber wissen, daß man es einem Diplomaten gleich ansieht, was für ein großer Mann er ist. Darum will ich mich lieber vor diesem Franzosen gar nicht sehen lassen. Er könnte es meiner Miene ansehen, daß ich zur großen Schule gehöre, und Verdacht schöpfen. Darum sollst du allein ihn bedienen. Aber ich bitte dich um des Himmels willen, laß dir nicht merken, daß ich ein Anhänger von Juarez bin.«
Resedilla unterdrückte ein Lächeln und antwortete:
»Habe keine Sorge! Ich habe von dir eine diplomatische Ader. Er soll mich nicht fangen.« – »Ja, ich glaube selbst, daß du diese Ader hast. Das ist die Erbschaft vom Vater auf die Tochter, ohne daß man weiß, woher es eigentlich kommt. Also kehre in die Schenkstube zurück und mache deine Sache gut. Sei sogar etwas liebenswürdig mit ihm, um ihn kirrezumachen. Ein guter Diplomat muß seine Feinde mit dem Lächeln fangen, ich kenne das von Pirna her!«
2. Kapitel
Resedilla ging in die Schenkstube zurück, wo der Gast während der langen und sonderbaren Unterredung ganz allein gesessen hatte. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck allerliebster Schelmerei. Sie nahm an ihrem Fenster wieder Platz, ohne ein Wort zu sagen, da er aber auch schwieg, so wurde ihr diese Stille denn doch zu drückend, und sie beschloß, eine Unterredung zu beginnen und dabei sofort auf ihr Ziel loszugehen.
»Seid Ihr wirklich ein Franzose, Señor?« fragte sie. – »Ja«, antwortete er. »Sehe ich etwa aus wie ein Mann, der Euch belügen könnte, Señorita?« – »Nein«, gestand sie aufrichtig. »Ich glaubte nur, Ihr hättet Scherz gemacht. Man liebt hier in dieser Gegend nämlich die Franzosen nicht« – »Ich liebe sie auch nicht.« – »Ah!« sagte sie erstaunt. »Und doch seid Ihr selbst ein Franzose?« – »Ja. Ich meine aber damit nur, daß ich zwar in Frankreich geboren bin, daß ich jedoch niemals wieder in mein Vaterland zurückkehren werde.« – »Habt Ihr es denn gezwungen verlassen?« – »Nein, ich bin freiwillig gegangen, aber ich habe mit meinem Vaterland nichts mehr zu schaffen.« – »Das muß traurig sein.« – »Nicht so traurig wie andere Dinge, zum Beispiel Untreue und Verrat.« – »Habt Ihr die erduldet?« – »Leider.«
Bei diesem Wort trat der melancholische Ausdruck seiner Züge und seines Blickes deutlicher hervor. Aber seine Antwort hatte die Wißbegierde des schönen Mädchens in hohem Grad erregt. Es wollte nun auf alle Fälle mehr erfahren und fragte daher:
»So ist Euch vielleicht eine Geliebte untreu geworden?« – »Allerdings.« – »Das muß ein böses, hartes, herzloses Mädchen gewesen sein, Señor.«
Resedilla sagte dies so eifrig, und ihr Gesicht hatte den Ausdruck solcher Aufrichtigkeit, daß der Gast bemerken mußte, sie selbst würde ihm gegebenenfalls wohl nicht untreu werden. Dennoch änderte sich kein Zug seines ernsten Gesichtes, und er erwiderte nur:
»Sie war mehr als das, sie war schlecht.« – »Darf ich ihren Namen wissen?« – »Sie wurde Mignon genannt.« – »Mignon? Erst konnte ich diesen Namen sehr gut leiden, nun aber gewiß nicht mehr. Doch, Señor, Ihr grämt Euch wohl gar noch über sie?« – »Ja, Señorita.« – »So habt Ihr sie sehr liebgehabt?« – »Sehr«, antwortete er kurz und einfach. Aber gerade dies zog das unerfahrene Mädchen am meisten an. Ein anderer hätte einer Dame gegenüber wohl das alles verschwiegen, so wenigstens dachte sie und sagte dann:
»So müßt Ihr sie zu vergessen suchen, Señor!« – »Das geht nicht. Ich habe sie zwar jetzt nicht mehr lieb, doch hat sie mich so unglücklich gemacht, daß ich sie unmöglich vergessen kann.« – »Das begreife ich nicht, Señor. Wie könnt Ihr unglücklich sein, wenn Ihr sie nicht mehr liebt?« – »Weil mein Unglück eigentlich nicht eine Folge ihrer Untreue, sondern ihres Verrates ist.« – »Ah, sie hat Schlimmes von Euch gesagt?« – »Ja.« – »Und es war eine Lüge?« – »Nein, Señorita, es war leider die Wahrheit.«
Resedilla war bei diesen Worten ganz sonderbar und fremd zumute geworden. Sie konnte sich keine Rechenschaft über ihr Verhalten geben, aber sie fragte weiter:
»Nicht wahr, jetzt habt Ihr doch nur im Scherz gesprochen?« – »Warum sollte ich mit Euch scherzen, Señorita? Nein, nein, ich sagte Euch die volle Wahrheit.«
Da senkte sie den Kopf, ein Gefühl der Enttäuschung war auf ihrem Gesicht zu lesen, und ihre Stimme klang kälter als vorher, als sie sagte:
»So verzeiht, daß ich Euch mit meinen Fragen belästigt habe! Aber so oft Ihr jetzt auch zu uns gekommen seid, habt Ihr stets so still und traurig dagesessen, daß es mich gedauert hat. In Eurem Auge ist es ja stets, als ob eine Träne daraus hervorbrechen wollte.« – »Ja, man findet zuweilen Menschen, die eine ganze Flut von Tränen in sich tragen und doch zu stolz sind, dies merken zu lassen.« – »Oh, ich habe es wohl bemerkt. Und da dachte ich mir, daß Euch ein freundliches Wort vielleicht erfreuen würde. Es gibt ja Personen, die einem gar nicht fremd erscheinen können, Señor. Habt Ihr das nicht auch schon erfahren?« – »Ja, doch erst hier bei Euch, Señorita.«
Sie errötete. Er fuhr daher entschuldigend fort:
»Ihr dürft mir diese Worte nicht übelnehmen. Wenn sie Euch weh tun, werde ich gehen und nie wiederkommen.« – »Nein, das dürft Ihr nicht, Señor«, entgegnete sie rasch. »Es würde mir jedoch sehr angenehm sein, Euch etwas weniger traurig zu sehen, als bisher, und wenn Ihr mir von Euch auch gar nichts sagen wollt, so möchte ich doch Euren Namen gern erfahren.« – »Nennt mich Mason, Señorita.« – »Mason? Ja, das ist ein französischer Name. Und Euer Vorname?« – »Ihr wollt ihn auch noch wissen?« – »Ja. Wir Frauen denken uns einen Mann gern bei seinem Vornamen und bringen die Bedeutung desselben mit den Eigenschaften des Trägers in Verbindung.« – »Ich heiße Gerard.« – »Gerard? Ah, gerade wie der ›Schwarze Gerard‹, von dem mein Vater vorhin sprach. Ihr habt auch einen solchen schwarzen Bart, wie er ihn tragen soll. Aber könnt Ihr mir sagen, welche Bedeutung der Name Gerard hat?« – »Er bedeutet der Kraftvolle oder der Verteidiger, so hat mir einst mein Lehrer gesagt.« – »Der Kraftvolle? Ja, das paßt für Euch. Und wer kraftvoll ist, der kann auch gut ein Verteidiger sein.« – »Leider bin ich es nicht gewesen, sondern gerade das Gegenteil.« – »Wie meint Ihr das, Señor?«
Der Gefragte blickte traurig hinaus in das Weite und antwortete:
»Ich war Garotteur.« – »Garotteur? Das verstehe ich nicht. Was bedeutet das?« – »Ja, Eurem unschuldigen Sinn ist es wohl noch nie zu nahe getreten. So wißt denn, Señorita, daß in großen Städten, in denen Millionen beisammenwohnen, viele Tausende des Abends kaum wissen, woher sie des Morgens Brot nehmen sollen. Noch schlimmer daran aber sind die Tausende, die sich des Abends sagen: ›Wenn du dir nicht des Nachts dein Brot stiehlst, so mußt du morgen hungern.‹ Diese sind die Sklaven des Verbrechens. Die meisten sind nicht ganz schuldig, und viele sind sogar unschuldig. Der Vater erzieht den Sohn und die Mutter die Tochter zum Verbrechen, ein Rechtsgefühl wird nicht entwickelt, und so leben diese Leute auf der Stufe des Fuchses oder des Löwen, deren Natur den Raub oder Diebstahl gebietet. Sie sind die Raubtierklasse des Menschengeschlechts.« – »Mein Gott, das muß doch sehr, sehr traurig sein!« – »Trauriger, als Sie denken.« – »Und Ihr, Señor? Ihr wolltet doch wohl von Euch reden?« – »Allerdings. Auch ich war ein solches Raubtier.« – »Unmöglich!« fuhr sie erschrocken auf. – »Doch, leider! Ich klage zwar niemand an, doch gehorchte ich meinem Vater. Wir waren arm und lernten die Arbeit verachten. Mein Vater war schwach und stahl, ich aber war stark und garottierte, das heißt, ich ging des Nachts auf die Straßen, zog den mir Begegnenden mit einer Schlinge den Hals zusammen und leerte ihnen dann, wenn sie die Besinnung verloren hatten, die Taschen. Wir verführten auch meine Schwester. Sie widerstand uns und warf sich in den Fluß, um sich zu ertränken. Doktor Sternau aber, von dem vorhin Euer Vater sprach, sprang ihr nach und rettete sie.« – »O mein Gott, wie ist dies doch so schrecklich!« rief Resedilla erbebend.
Sie war leichenblaß geworden. Da saß der Mann, der einzige, dem sie ihre Liebe hätte schenken mögen, und er erzählte ihr, daß er ein Verbrecher sei. Warum diese fürchterliche Aufrichtigkeit? Sie schauderte an allen Gliedern.
»Ja, schrecklich ist es«, fuhr er mit jener Gleichgültigkeit, welche bereits das Schlimmste hinter sich weiß, fort. »Aber es kam noch schlimmer. Kein ehrliches Mädchen hätte mich geliebt. Ich lernte jene Mignon kennen. Wir liebten einander, und ich gab ihr alles, was ich raubte. Dann lernte ich einst einen schlechten Menschen kennen, vielleicht erfahrt Ihr einmal, wer es gewesen ist. Er bot mir große Summen an, für ihn ein Verbrechen zu begehen. Ich ging scheinbar darauf ein, aber ich schützte den Bedrohten und nahm dem Mörder zur Strafe sein ganzes Geld ab. Nun wollte ich ein ehrlicher Mann werden und gab Mignon alles, sie aber betrog mich, indem sie einen vornehmen Herrn betörte, den sie mir vorzog und mit dem sie den Raub verpraßte. Und als ich ihr drohte, sagte sie, daß sie mich anzeigen werde.« – »Was habt Ihr da getan? Sie getötet?« – »Nein«, antwortete er verächtlich. – »Oder ihren Verführer?« – »Nein, auch das nicht. Ich bin gegangen und habe gearbeitet. Oh, damals habe ich viel gelitten und gestritten und gekämpft, ich selbst war ja mein schlimmster Gegner. Aber ich hatte mir nun einmal vorgenommen, ein ehrlicher Mensch zu werden, und ich bin es geblieben, denn was ich einmal ernstlich will, das pflege ich auch durchzuführen. Aber in der Gesellschaft guter Leute ist mir erst das volle Bewußtsein meiner Sünden gekommen, und es hat mich hinausgetrieben, fort von der Heimat, in die Fremde, wo ich sühnen und dann sterben will.«
Es entstand eine lautlose Stille. In dem Auge des Mädchens perlte eine Träne. War es eine Träne des Schmerzes, der Entsagung, oder lag in dem feuchten Glanz derselben ein Widerschein des Bibelwortes von dem bußfertigen Sünder, über den im Himmel mehr Freude ist, als über neunundneunzig Gerechte? Ein voller, tiefer Atemzug entquoll ihrer Brust, und sie erhob das Auge fest zu ihm, sah ihm ernsthaft in das seinige und fragte:
»Aber, Señor, warum erzähltet Ihr denn mir dies alles?« – »Das will ich Euch sagen«, antwortete er. »Als ich glaubte, jene Mignon zu lieben, und getäuscht wurde, als ich nach Amerika ging, die Berge, die Wüsten und Savannen durchwanderte und während dieser langen Jahre ein Jäger, ein Scout – Pfadfinder – wurde, der einen guten Namen hat, da ließ mich die Einsamkeit mein Herz erkennen, und als ich dann Euch erblickte, da wußte ich, was wahre Liebe sei, und ich konnte ohne Euren Anblick nicht mehr sein, es zog mich zu Euch, wie es den Gläubigen zu den Füßen der Madonna zieht. Nun ich aber bemerkte, daß auch Euer Auge voll Teilnahme auf mir ruhte, da erwachte in mir das Bewußtsein meiner Pflicht. Ihr durftet Euer Herz nicht an einen Unwürdigen verschenken, und darum, darum, Señorita, habe ich Euch erzählt, was ich gewesen bin, damit Ihr mich verabscheuen lernen sollt. Und außerdem ist es mir gewesen, als ob ich jetzt zu meinem Beichtvater oder zu Gott selbst gesprochen hätte: Wer seine Sünden bekennt und bereut, dem werden sie vergeben. Ich werde jetzt gehen und nicht wiederkehren. Ihr aber werdet vor der Verunreinigung mit dem Verdammten bewahrt bleiben! Doch ich bitte Euch, über das, was ich Euch erzählt habe, zu schweigen. Ihr würdet sonst viele in Schande bringen, denen ich jetzt nützlich bin, denn ich müßte ja diese Gegend dann verlassen.«
Gerard erhob sich und ergriff sein Gewehr. Er wollte gehen, ohne sein Glas ausgetrunken zu haben. Da aber stand sie auch auf und trat ihm in den Weg. Ihr Antlitz war noch bleicher geworden als vorher.
»Señor«, sagte sie, »Ihr seid bisher so außerordentlich aufrichtig gegen mich gewesen, seid es nun auch zum letzten Mal und sagt mir, ob Ihr ein Spion der Franzosen seid.« – »Nein, ich bin es nicht.« – »Darf ich dies wirklich glauben?« – »So, als ob Gott es Euch gesagt hätte.« – »Und Ihr haltet Euch nicht zu den Franzosen?« – »Nein. Ich hasse den Kaiser, der nur durch Blut und Lüge regiert. Ich könnte ihn töten, ihn, der jetzt wieder einen wohlgesinnten, ehrlichen Fürsten in das Verderben führt! Aber seine Zeit wird einst kommen. Ich stehe zu den Mexikanern, und ich liebe Juarez. Ist dies Euch genug, Señorita?« – »Ja, vollständig; ich bin beruhigt.« – »So lebt denn wohl!« – »Wollt Ihr wirklich gehen, Señor?« – »Ja.« – »Für immer?« – »Für immer von Euch, aber nicht von Guadeloupe. Man wird mich hier wiedersehen.«
Er senkte seinen Blick tief in den ihrigen; beider Augen standen voller Tränen, und es war, als ob er jetzt seine Arme um sie schlingen dürfe, ohne sie zu beleidigen, und als ob sie bereit sei, ihr Köpfchen an sein Herz zu legen, ohne sich vor ihm zu grauen; aber er beherrschte sich, er durfte ihr Schicksal ja nicht an das seinige ketten und ging.
Als er die Stube verlassen hatte, stand Resedilla noch immer auf demselben Fleck, auf dem sie vor ihm gestanden, verbarg das Gesicht in beide Hände und brach in ein jähes Schluchzen aus, unter dem ihr ganzer Körper erbebte.
»Gerard heißt er«, sagte sie weinend. »Ja, er verdient diesen Namen, er ist wirklich der Kraftvolle, denn er hat sich selbst besiegt, er ist der Beschützer, denn er hat mich vor sich selbst beschützen wollen. Wie schwer muß es ihm geworden sein! Und wie schwer wird es mir werden – vielleicht unmöglich, nun erst recht unmöglich!«
3. Kapitel
Gerard hatte ihr ausbrechendes Schluchzen noch unter der Tür gehört, aber er kehrte nicht um, sondern trat in die Umzäunung, bestieg sein Pferd, befestigte das Sturmband seines Hutes straff unter dem Kinn und warf die Flinte über den Rücken, um sein Pferd darauf vorn emporzuziehen und ihm die unbespornten Fersen zu geben. Mit einem kühnen Sprung setzte es, den Ausgang vermeidend, über die hohen Planken hinweg und flog im Galopp gerade auf das Wasser zu. Dort warf es sich in die tiefen Fluten des Rio Puercos und schwamm an das andere Ufer. Gerard achtete der Nässe nicht, die seine Kleider durchdrang, und auch des Sturmes nicht, der ihm entgegenheulte. Mitten in der Prärie endlich stand das Pferd. Er sprang ab und warf sich zu Boden, um das erschöpfte Tier ruhen und grasen zu lassen, er hatte seiner Liebe entfliehen wollen, ohne gewiß zu sein, ob dies überhaupt möglich sei.
Der freundliche Leser weiß nun wohl, daß dieser Mann kein anderer war als Gerard, der Pariser Garotteur, den Alfonzo de Rodriganda einst mit nach Deutschland genommen hatte, um durch ihn die Gräfin Rosa töten zu lassen. Aus dem einstigen Sünder war ein Bußfertiger geworden, aber nicht ein Büßender in Sack und Asche, der elend seine Tage verjammert, sondern ein Büßer mit der Büchse in der Faust, der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, das Verbrechergesindel der Savanne auszurotten. Er hatte es vorgezogen, Resedilla zu verschweigen, daß er selbst es sei, den man allgemein den Schwarzen Gerard nenne.
So hatte er, ohne zu wissen, lange, lange Zeit, dagelegen. Sein Pferd hatte sich satt gefressen und lag nun still im Gras. Da plötzlich sprang es auf, sträubte die Mähne, spitzte die Ohren und stieß glühenden Auges jenes Schnauben aus, das dem Besitzer ein sicheres Zeichen ist, daß sich ein Mensch oder irgendein feindliches Wesen naht.
Sofort schnellte auch Gerard empor und überflog mit scharfem Auge die weite Prärie. Er bemerkte einen Reiter, der im Galopp gerade auf ihn zugesprengt kam. Seine erst so gespannten Zöge nahmen den Ausdruck der Befriedigung an.
»Beruhige dich!« rief er dem Pferd zu. »Es ist Bärenauge, unser Freund.«
Das Pferd hatte den Mann so gut verstanden, daß es sich augenblicklich niederlegte und kein weiteres Zeichen von Unruhe gab.
Der Nahende war von einem Kenner bereits von weitem als ein Indianer zu rekognoszieren. Er trug zwar nicht indianisches Kostüm und wilden Rabenfederschmuck, sondern die neumexikanische Kleidung; aber seine weit vorn auf dem Hals des Pferdes liegende Gestalt bezeichnete ihn mit Sicherheit als einen Roten. Nur ein langjähriger Savannenmann reitet auf diese Weise.
Er sprang, bei dem Wartenden angekommen, mit einem einzigen Satz und im vollen Galopp vom Pferd. Er wußte, daß sein weiterstürmendes Tier in einem Bogen zu ihm zurückkehren werde. Jedenfalls handelte es sich hier um ein Stelldichein, und es war ein Beweis für den scharf ausgeprägten Ortssinn der beiden Männer, daß sie sich so präzis auf einem freien Punkt der offenen Prärie zu treffen wußten. Weniger erfahrene Jäger hätten dies nicht fertiggebracht.
Der Indianer war noch jung, und jemand, der einst mit Bärenherz bekannt gewesen war, der hätte wohl zwischen beiden eine große Ähnlichkeit konstatieren müssen.
»Mein roter Bruder hat lange auf sich warten lassen«, empfing ihn der Franzose. – »Glaubt mein weißer Bruder, daß Schosheinta nicht reiten kann?« antwortete der Indianer. »Ich bin lange geblieben, weil ich lange lauschen mußte.« – »Lauschen? Wo?« – »Ich war in Paso del Norte bei Juarez, dem Häuptling der Mexikaner, um ihm zu sagen, daß ich ihm fünfhundert tapfere Apachenkrieger bringen werde, um Chihuahua wiederzunehmen. Ich teilte ihm auch mit, daß ich meinen weißen Bruder hier treffen würde, und er bat mich, dir zu sagen, daß du Señorita Emilia besuchen solltest.« – »Ich werde es sogleich tun, denn ich selbst halte es für notwendig.« – »Wie lange wirst du bleiben?« – »Ich weiß es nicht, vielleicht eine Woche.« – »So wirst du mich in Paso del Norte finden. Ich ritt über die Sierra del Diablo – das Teufelsgebirge – und war bereits dem Fluß nahe, als ich die Spuren dreier Männer fand.« – »Indianer?« – »Weiße.« – »Zu Fuß?« – »Zu Pferd.« – »Wie erkanntest du an den Spuren der Pferde, daß die Reiter weiß seien?« – »Sie waren nicht hintereinander geritten, sondern nebeneinander. Das tun nur die dummen Bleichgesichter, wir Indianer aber niemals.« – »Du rittest den Spuren nach?« – »Ja. Ich ritt über eine Stunde und fand, daß die Weißen abgestiegen waren und sich niedergelassen hatten. Sie hatten den Pferden die Sättel abgenommen und wollten also eine lange Ruhe halten. Ich schlich mich heran, um sie zu belauschen. Der eine konnte die Sprache des Landes reden, er war ein Mexikaner und machte den Dolmetscher; die beiden anderen sprachen nur die Sprache der Franzosen.« – »Ah! Was hatten sie für Kleider?« – »Sie hatten sich gekleidet wie Jäger, waren aber keine.« – »Woran erkanntest du dies?« – »Ihre Messer waren neu und schön und ihre Hände weiß wie der Schnee des Gebirges; sie hatten noch nie eine schwere, rauhe Rifle – Büchse – ergriffen.« – »Wahrscheinlich waren es Offiziere!« – »Mein weißer Bruder hat recht. Sie sprachen zu dem dritten, wie nur der Offizier zu den Soldaten redet. Auch hatte der eine Schnur am Hals, an der zwei runde Gläser hingen. Er setzte sie auf die Nase und blickte hindurch wie einer, der vier Augen hat, anstatt zwei.« – »Ah, ein Nasenklemmer! Es ist kein Zweifel, es sind verkleidete Offiziere. Hat mein roter Bruder etwas von ihrem Gespräch verstanden?« – »Nein. Ich lag hart hinter ihnen und konnte alles hören, aber nichts verstehen, denn sie redeten in der schnellen Sprache, der sich die Franzosen bedienen. Ich wartete lange, ob einmal ein spanisches Wort fallen würde, aber vergebens; daher ritt ich schnell zu dir, um dir diese Sache mitzuteilen.« – »Wie weit ist es von hier?« – »Wir reiten den vierten Teil der Zeit, den Ihr eine Stunde nennt.« – »So laß uns aufbrechen, denn ich muß hin.«
Sie bestiegen eiligst ihre Pferde und flogen im schnellsten Galopp der Gegend zu, aus welcher Bärenauge gekommen war. Dieser ritt voran und Gerard so genau hinter ihm, daß sein Pferd stets genau in die Spuren des indianischen Rosses trat.
Nach Verlauf von zehn Minuten erhöhte sich die Prärie zusehends. Es entstanden Hügel und Berge, die ziemlich dicht bewaldet waren und von tiefen Schluchten getrennt wurden. In eine derselben ritt der Indianer hinein. Dort sprang er ab und band sein Pferd an einen Baumstamm. Gerard tat dasselbe.
»Folge mir!« sagte Bärenauge dann leise, indem er an der einen Seite der Schlacht emporklomm and zwischen den Bäumen über den Kamm hinüberschritt, worauf es drüben in eine zweite Schlucht hinabging. Dabei aber bewegten sie sich nicht auf den Füßen, sondern legten sich auf den Boden nieder und glitten, jedes Geräusch vermeidend, den Abhang hinunter.
Fast unten angekommen, erblickten sie durch das Laub der Zweige in einer runden Öffnung des Gesträuchs drei Männer, die unbesorgt ihre Zigaretten rauchten. Nicht weit davon sah man drei Pferde grasen.
Sie sprachen französisch, und zwar so laut, als ob sie sich auf einem Jahrmarkt und nicht mitten in der mexikanischen Wildnis befänden.
»Ja, mit dem Juarez ist es aus«, sagte der eine. »Er hat seine letzte Pfeife geraucht und mag nun sehen, ob die roten Halunken ihn zu ihrem Kaiser machen.« – »Pah, was liegt überhaupt an ihm!« meinte der zweite. »Der ganze Feldzug war ja nur ein Kinderspiel. Es war gerade, als ob man Fliegen mit dem Taschentuch zerstreute. Mehr Mühe hätte ich mir für diesen Erzherzog auch nicht geben mögen.« – »Für den? Was denkst du denn! Für ihn ist nicht das mindeste geschehen. Er wurde als Strohmann mitgenommen, damit die Invasion bei den Mächten nicht als eine französische Eroberung betrachtet werden möchte. Der Strohmann wird der Sache bald müde sein und herzlich gern abdanken. Ja, er wird jedenfalls noch gute Worte geben, nach Hause gehen zu dürfen. Dann wird Bazaine Präsident von Mexiko, und seine Sache ist es, derartige Konflikte herbeizuführen, daß der Kaiser gezwungen ist, einzuschreiten und das Land für eine französische Provinz zu erklären.« – »Und die Mächte?« – »Pah! Die Sache ist dann bereits fertig; niemand kann es ändern. Übrigens ist das Land wunderschön; am besten gefallen mir jedoch die Damen.« – »Ich billige deinen Geschmack!« – »Sie sind wirklich allerliebst!« – »Sogar schön!« – »Voll Geist und Feuer!« – »Nicht sehr penibel.« – »Sage lieber hingebend.« – »Ja, Mexiko ist das Land der Eroberungen auch in Beziehung auf die schöne Welt. Sahst du in Paris jemals eine solche Schönheit wie diese Señorita Emilia?« – »Der Teufel hole sie!« – »Warum? Hat sie dir einen Korb gegeben?« – »Einen förmlichen Tragkorb! Und doch ist sie es, der vor allen der Preis gebührt.« – »Ja, sie ist eine wirkliche Schönheit.« – »Eine Venus!« – »Eine Diana!« – »Eine Juno!« – »Pah, sie hat das Göttliche und Menschliche von allen andern Göttinnen zusammen.« – »Mich berauscht am meisten ihr prickelndes Wesen. Berührt man ihren wunderschönen, herrlich geformten, alabasterweißen Arm, so ist es bei Gott, als ob man die überspringenden elektrischen Funken knistern hörte!« – »Ja. Und dieser Hals!« – »Diese Büste! Es ist gerade zum Verzweifeln, in der Nähe dieses Weibes zu weilen, ohne es anbeten zu dürfen.« – »Alle Teufel, ich wäre froh, wenn sie mir einmal ihre Huld schenkte.« – »Oh, Emilia ist wählerisch, mein Lieber, und du bist nur Leutnant.« – »Und du nur Kapitän; das ist kein großer Unterschied.« – »Den Major hat sie ganz in Händen. Ich habe kürzlich ihre Augen studiert. In diesen dunklen, sprühenden Sternen liegen tausend Himmel und zehntausend Höllen, sie ist ein Engel und ein Teufel zugleich.«
Bei dem Lob dieses wunderbar schönen Wesens glitt ein eigentümlicher Zug über das Gesicht Gerards. Fast schien es, als ob er für die Sprecher Mitleid fühle.
»Laßt diese Sirene sein!« sagte endlich der Leutnant. »Wann brechen wir auf?« – »Wir können es sogleich tun. Du hast einen weiten Weg.« – »Ja, du bist besser dran. Du kannst in anderthalb Stunden an deinem Ziel sein, ich aber habe noch fünf Tage zu reiten, ehe ich Chihuahua erreiche. Also du warst bereits einmal in diesem Fort Guadeloupe?« – »Bereits viermal, um zu rekognoszieren. Jetzt bleibe ich für längere Zeit, um meine Kompanie zu erwarten, die das Nest erstürmen und besetzen soll.« – »Da wirst du dort diese Donna Emilia sehr vermissen. Oder gibt es dort ähnliche Akquisitionen?« – »Ich kenne nur eine einzige.« – »Ah, also doch eine! Wer ist es?« – »Die einzige Tochter eines gewissen Pirnero. Er ist Kaufmann und der reichste Mann des Ortes.« – »Ist sie schön?« – »Ja, aber nicht mehr ganz jung.« – »Liebenswürdig?« – »Mehr freundlich möchte ich es nennen.« – »Leicht zu erobern?« – »Verteufelt schwer!« – »Also gar kein Feuer oder doch ein wenig Koketterie?« – »Nicht die Spur. Sie ist das personifizierte, kalte Pflichtgefühl, aber in verdammt vollendet plastischen Formen. Eine zärtliche, aufrichtig liebevolle Zuneigung von ihr dürfte mehr wert sein, als selbst die von Donna Emilia.« – »Verdammt! Das Mädchen möchte ich sehen!« – »Und ich möchte es küssen!« – »Das wird dir schwer werden, vielleicht gar unmöglich.« – »Oho, da dürfte ich kein Franzose sein. Es wäre dies überhaupt eine ganz treffliche Belohnung für die Anstrengung unserer gegenwärtigen Rekognoszierungsreise.« – »So nimm sie dir. Aber dazu gehört Mut in diesem Land.« – »Glaubst du etwa, daß er mir fehlt?« fragte der Kapitän beleidigt. – »Ein wenig«, lächelte der Leutnant. »Wenn diese mexikanischen Damen nicht wollen, so pflegen sie zu beißen.« – »Pah! Wollen wir wetten?« – »Um was?« – »Tausend Stück der feinsten Puros – Zigarren —.« – »Topp! Auf Ehrenwort?« – »Auf Ehrenwort! Topp!«
Sie schlugen ein, und dann fragte der Leutnant im Ton der Neugierde:
»Aber wie willst du es anfangen?« – »Hm!« brummte der Kapitän. – »Ist‘s ein Geheimnis?« – »Das nun eben nicht.« – »Nun, so schieß los!« – »Also, ich habe dir gesagt, daß ich bereits viermal dort gewesen bin.« – »Und ich habe gnädigst geruht, es anzuhören«, lachte der Neugierige. – »Ich habe dann jedes Mal dort gewohnt.« – »Alle Teufel! Und eine Attacke gemacht?« – »Noch nicht. Doch bin ich so klug gewesen, mir die Türen und Schlösser genau anzusehen.« – »Das nenne ich, seine Vorbereitungen gut treffen! Was sind es für Schlösser?« – »Keine Pariser. Kannst du dich besinnen, daß es in unseren Knabenjahren auf den Dörfern und in kleinen Städten noch Schraubenschlösser gab?« – »Schraubenschlösser? Hole dich der Teufel! Hältst du mich etwa für einen Schlosser oder Hufschmied, daß du mir zumutest, solche Fachausdrücke zu verstehen?« – »Ich meine jene altmodischen Schlösser, zu denen man keinen Schlüssel braucht.« – »Ah, ich beginne nachzudenken!« – »Es wurde ganz einfach mit dem Drücker geöffnet, der zugleich als Schlüssel diente. Im Schloß befindet sich ein großes Schlüsselloch mit Schraube, und im Drücker ist die korrespondierende Schraubenmutter ausgehöhlt Steckt man den Drücker ein und dreht ihn ein paarmal um, so öffnet sich die Tür.« – »Jetzt, jetzt besinne ich mich! Aber die Schlösser sind verteufelt altmodisch!« – »Hier in Mexiko noch nicht. Die Türen des Señor Pirnero haben alle solche Schlösser, und hierauf baue ich meinen Plan.« – »Das wird dich nicht sehr fördern.« – »Sogar ganz außerordentlich. Du vergißt nämlich zweierlei, Kamerad.« – »Ich bin neugierig, es zu hören!« – »Wenn man den Drücker abzieht und mit in die Stube nimmt, hat man sich eingeschlossen; daher sind diese Türen nicht mit einem besonderen Nachtriegel versehen.« – »Alle Teufel! Ich beginne zu ahnen, was nun folgen wird.« – »Ferner sind diese Schlösser und Drücker einander alle ungeheuer ähnlich. Sie sind alle über eine Schraube gemacht Der Drücker der einen Tür schließt also auch alle anderen auf.« – »Dann ist aber das Einschließen ja ganz illusorisch geworden.« – »Allerdings; aber daran scheint man in diesem glücklichen Land gar nicht zu denken. Übrigens weiß ich, wo Señorita Resedilla wohnt.« – »Resedilla? Ein sehr duftiger Name; ganz wie Kresse und Ranunkel!« – »Meinetwegen! Und zweitens weiß ich auch ganz genau, wo ich wohnen werde.« – »Das ist von ungeheurem Vorteil.« – »Und drittens habe ich bereits bei meiner letzten Anwesenheit probiert, ob mein Drücker die Tür der Señorita öffnet.« – »Klug wie ein Kadi des Morgenlandes!« spottete der Leutnant. »Wie fiel diese Probe aus?« – »Sehr gut. Schmiere ich meinen Drücker ein wenig mit Öl oder Talg ein, so gelange ich unbemerkt zu der Señorita. Das übrige ist meine Sache. Ich denke, eine Eroberung kann nicht leichter sein als diese.« – »Sie wird um Hilfe rufen!« – »Pah! Ich bin überzeugt, daß ich nicht das mindeste zu befürchten habe.« – »So stehen dir also Erfahrungen zu Gebote?« – »So viele du willst. Ich weiß sicher, daß ich auch heute siegen werde.« – »Ich wünsche dir Glück dazu! Du wirst mir aber ausführlich berichten?« – »Natürlich!« – »Über Glück oder Unglück!« – »Das versteht sich. Es geht ja auf Ehrenwort. Du sollst alles so ausführlich erfahren, als ob dieser Schuft, den sie den Schwarzen Gerard nennen, zugesehen hätte.« – »Ja, ein Schuft ist dieser Kerl. Ihn hat unser Heer mehr zu fürchten als zehn andere Spione.« – »Zehn? Sage hundert!« – »Zumal er nicht nur listig ist wie ein Wiesel, sondern auch tapfer wie ein Teufel. Ich möchte mir wohl den Preis verdienen, den Bazaine auf ihn gesetzt hat.« – »Wieviel war es?« – Erst drei– und dann fünftausend Franken. Er hat Juarez mehr genützt als eine ganze Armee. Dieser Mensch ist gefährlicher als der Panther des Südens, der doch auch berühmt oder vielmehr berüchtigt ist. Er erfährt fast alle unsere Vorbereitungen; auf welche Weise, das ist ein wahres Rätsel. Und wird ja einmal einer seiner Berichte aufgefunden, so ist er genauer und ausführlicher als unser Original. Es sollte mich wundern, wenn er nicht bereits wüßte, daß wir bei den Komantschen gewesen sind. Unseren Kontrakt, daß uns sechshundert dieser Teufel zur Verfügung stehen werden, wird er allerdings nicht sogleich erfahren, wenigstens nicht vor der Zeit. Und dann ist es für Juarez und ihn ja viel zu spät.«
Wie gern hätte Gerard diesen Männern gesagt, daß er bereits jetzt alles wisse, aber mit diesem Spaß hätte er ja ebenso alles verdorben.
»Also wann wird deine Kompanie Fort Guadeloupe erreichen?«
– »Von heute an in fünf Tagen. Sie wird am Rio Conchas hinuntergehen, unterhalb dessen Einmündung den Rio del Norte überschreiten und dann direkt das Fort anlaufen. Dieser Coup kann gar nicht mißlingen, es weiß kein Mensch davon, nicht einmal der Major, der denkt, daß es sich nur um eine Demonstration handelt.« – »So wirst du vielleicht Kommandant des ganzen Presidio.« – »Das hoffe ich. Jetzt aber laß uns aufbrechen. Draußen auf der Ebene weht ein verdammter Wind, und ich muß noch vor Nacht das Fort erreichen.«
Die beiden Offiziere brachen auf. So lange warteten die Lauscher, dann kehrten sie zu ihren Pferden zurück. Der Apache hatte bis jetzt geschwiegen, nun aber fragte en
»Hat mein Bruder etwas gehört?« – »Ja.« – »War es wichtig?« – »Sehr. Heute über fünf Tage wird eine Kompanie Franzosen das Fort überfallen.« – »Uff! Was wirst du tun?« – »Ich rufe deine Hilfe an.« – »Ich werde kommen.« – »Mit deinen fünfhundert Apachen?« – »Mit den fünfhundert. Aber du mußt mir versprechen, Juarez nicht vorher etwas zu sagen.« – »Warum?« – »Er würde dann seine Leute senden, die uns die Beute nehmen. Meine Krieger erhalten keinen Sold. Ich muß darauf sehen, daß sie Beute bekommen.« – »Beute und Skalpe, gut. Aber ich werde dabeisein.« – »Wo treffen wir uns?« – »Genau um Mittag an der großen Eiche auf den Teufelsbergen.« – »Wirst du um diese Zeit wieder von Chihuahua hier sein können?« – »Ja. Ich werde viele Pferde nehmen und gebe dir jetzt das meinige mit, daß es dann frisch und kräftig ist. Aber noch eins habe ich gehört.« – »Was?« – »Diese Leute sind bei den Komantschen gewesen, von denen sechshundert ihnen beistehen werden, den Präsidenten Juarez zu besiegen.« – »Wann kommen sie?« – »Ich weiß es nicht.« – »Welcher Häuptling ist ihr Anführer?« – »Auch das haben sie nicht gesagt; ich werde es aber sicher noch erfahren.« – »So werde ich jetzt von meinem Bruder scheiden, denn er wird das Fort Guadeloupe allein finden können.« – »Dort wird heute der eine von den beiden Leuten schlafen, die wir belauschten.« – »Uff!« sagte der Häuptling verwundert. – »Er ist der Kapitän der Kompanie, die wir vernichten werden. Er bleibt im Fort, um sie zu erwarten und das Fort vorher kennenzulernen.« – »Was wird mein Bruder mit ihm tun?« – »Ich werde ihn vielleicht töten, um ihn für eine Tat zu bestrafen, die er begehen will.« – »Darf ich meinen Bruder fragen, welche Tat dies sein soll?« – »Er will ein Mädchen überfallen.« – »Dann ist er ein Hund, der geschlagen werden muß, bis er stirbt. Hat mein weißer Bruder mir noch etwas zu sagen?« – »Heute nicht mehr.« – »So möge ihn der große Gott beschützen. Ugh!«
Die Männer trennten sich. Bärenauge ritt, das Pferd Gerards an der Leine führend, nach Westen zurück, der Franzose aber wanderte zu Fuß auf das Fort Guadeloupe zu. Er nahm sich dabei Zeit, denn er durfte sich nicht sehen lassen. Erstens hatte er ja von Resedilla für immer Abschied genommen, und zweitens konnte er, wenn ihn der Kapitän sah, leicht erkannt werden. Es war also Zeit, wenn er das Fort noch vor Schlafenszeit erreichte.
4. Kapitel
Um die Zeit der Dämmerung saß der alte Pirnero abermals am Fenster und seine Tochter an ihrem gewöhnlichen Platz. Der Alte hatte noch immer schlechte Laune, und da der Wind auch noch immer den Staub aufwirbelte, so war es kein Wunder, daß Wind, Laune und Staub in seinem Inneren zu einem trüben Ganzen zusammenschmolzen.
Er trommelte kräftig an die Fensterscheibe und sagte:
»Verdammter Wind!«
Die Tochter achtete auf ihre Arbeit und antwortete nicht; daher brummte er weiter:
»Ganz armseliger Staub!«
Auch für den Staub wollte sich das Mädchen nicht interessieren; darum beschloß der Alte, einen spitzen Pfeil zu versenden, und fuhr fort:
»Den ganzen Tag kein Gast dagewesen; nur der zerlumpte Kerl.«
Als auch jetzt die Tochter nicht antwortete, fuhr er zornig auf und rief:
»Nun, war er es etwa nicht? War es etwa ein anderer?« – »Er war‘s«, antwortete sie kurz. – »Das will ich dir auch geraten haben. Wie hast du ihn denn behandelt?« – »Wie du es wolltest.« – »Wie denn? Hast du ihn diplomatisch angelächelt?« – »Ja.« – »Hast du in ihm einen Spion entdeckt?« – »Nein.« – »So sind deine diplomatischen Blicke keinen Heller wert, und die Vererbung vom Vater auf die Tochter existiert nicht. Nun weiß ich endlich auch, warum du gar nicht daran denkst, einen Mann zu nehmen. Dir fehlt nämlich die Begabung, ihn politisch zu behandeln. Aber das soll sich schon noch finden. Ich selbst werde dir einen Mann suchen, und wenn du den nicht nimmst, schicke ich dich ins Kloster. Da ist der rechte Ort für dich. Es ist freilich ein sonderbarer Schritt, nämlich vom Pirnschen Stammbaum mit Schornsteinen und Meerrettich in das Kloster; aber du willst es ja nicht anders haben! Halt, dort kommt ein Reiter! Wenn er hier einkehrt, so fragst du ihn, ob er ledig ist!« – »Das schickt sich nicht« – »Was? Das schickt sich nicht? Ich muß wissen, wer bei mir verkehrt Ich habe eine heiratsfähige Tochter und leide keinen Gast der verheiratet ist. Ah, Himmel, es ist der reiche Goldsucher, der schon viermal bei uns geblieben ist Kannst du dich besinnen, ob er eine Frau hat oder nicht?« – frage ihn doch selbst«, antwortete sie, ärgerlich über die Launen des Vaters, die sich zu manchen Zeiten fast zur Manie verwandelten. – »Ja, das werde ich auch tun; ich bin es ja, der das richtige Geschick dazu hat, denn ich bin drüben in Pirna drei Jahre lang Kurrendaner gewesen und habe gesungen wie eine Heidelerche.«
Bei diesen Worten ging Pirnero hinaus, um den willkommenen Gast zu empfangen. Er trat bald mit ihm ein. Es war der französische Kapitän, der sich also hier für einen Goldgräber ausgegeben hatte.
»Kann ich diese Nacht abermals hier bleiben, Señorita?« fragte er höflich. – fragt meinen Vater«, antwortete sie. – »Er hat es mir erlaubt« – »So bedarf es meiner Zusage nicht. Vater ist Herr im Hause.«
Sie sagte dies in einem zwar höflichen, aber doch kurzen Ton. Der Mann, der sie immer mit verlangenden Blicken verfolgte, war ihr nicht sympathisch.
Er bestellte sich ein Glas Pulque, das ihm der Alte selbst brachte, dann setzte sich der letztere an das Fenster und überlegte, in welch glanzvoller Weise er dem Fremden entlocken werde, ob er noch ledig sei.
»Starker Wind!« begann er endlich. – »Sehr unangenehm«, meinte der Fremde. – »Entsetzlicher Staub!« – »Nur hier am Ort, draußen aber ist es reine Luft« – »Reine Luft? Ja, das ist die Hauptsache. Da muß man aber verheiratet sein, damit die Frau darauf sieht, daß die Türen und Fenster offen sind. Habt Ihr auch eine Frau, Señor?« – »Nein, ich bin unverheiratet«
Der Alte warf einen triumphierenden Blick auf seine Tochter und fragte weiten
»Aber Vater und Mutter habt Ihr?« – »Nein.« – »Auch keine anderen Verwandten?« – »Nein.« – »O Dios! Was tut Ihr denn da mit dem Gold, was Ihr findet?« – »Ich hebe es für meine Verheiratung auf.« – »Ach so! Da seid Ihr also bereits verlobt?« – »Auch noch nicht.«
Der Blick des Kapitäns fiel dabei auf das Mädchen; der Alte bemerkte dies und wurde dadurch in die beste Laune versetzt.
»Wie heißt Ihr denn eigentlich?« setzte er sein Examen fort. – »Mein Name ist Pedro.« – »Gut. Señor Pedro, sagt einmal, was Ihr heute zum Abendbrot wollt!« – »Was Ihr habt.« – »Wir haben alles!« meinte der Wirt stolz. – »Ich wünsche nur ein Schinkenbrot und Wein.« – »Das ist sicher so Euer Geschmack?« – »Natürlich.« – »Welchen Geschmack habt Ihr denn eigentlich in Beziehung auf Blumen?« – »Ich liebe Reseda am meisten«, antwortete der Kapitän, weil er wußte, daß die Tochter Resedilla hieß.
Abermals warf der Alte einen triumphierenden Blick auf das Mädchen und fragte weiter:
»Und in Beziehung auf die Frauen?« – »Sie müssen blond sein.« – »Und das Gesicht?« – »Schön weiß und die Wangen fein rötlich angehaucht.« – »Der Mund?« – »Klein und so recht zum Küssen, mit kleinen, weißen Zähnen.« – »Die Gestalt?« – »Nicht zu lang, aber doch hoch und voll, ich hasse die mageren Frauen.« – »Die Hand und der Fuß?« – »Nicht gar zu zierlich, aber auch nicht zu plump.«
Der Kapitän beschrieb Resedilla ganz, wie sie war. Der Alte war entzückt.
»Ihr habt ganz meinen Geschmack, Señor«, sagte er erfreut. »Meine selige Frau hatte zwar dunkles Haar, war aber ganz so, wie Ihr jetzt die Beschreibung geliefert habt. So ist nun auch meine Tochter geworden, wozu mein blondes Haar gekommen ist. Das ist nämlich die richtige Vererbung vom Vater auf die Tochter. Pirna ist ja auch berühmt wegen seiner blonden Haare.« – »Pirna? Wer ist das?« – »Pirna ist meine Vaterstadt. Sie ist weit größer als Niederpoyritz oder Schönefeld und hat das beste Klima für blonde Köpfe.«
Der Alte hätte seine Vaterstadt noch mehr gelobt, aber da ertönte draußen die Klingel, zum Zeichen, daß er in dem Laden gebraucht werde. Er ging daher hinaus, warf aber dabei dem Mädchen einen Blick zu, durch den er es aufmerksam machen wollte, wie diplomatisch schlau er seine Sache angefangen habe.
Kaum war der Vater fort, so erhob sich der Kapitän und schritt im Zimmer auf und ab, indem er dabei verschiedene Bemerkungen machte, um ein intimes Gespräche zustande zu bringen. Doch es gelang ihm nicht Resedilla konnte die Unterredung mit Gerard nicht aus dem Gedächtnis tilgen. Am liebsten wäre sie allein gewesen, um sich recht ausweinen zu können. Nun kam dieser Mensch, der den Vater zu allerhand Lächerlichkeiten verleitete und auch ihr zumutete, auf ein leichtfertiges Gespräch mit ihm einzugehen. Sie antwortete kurz und abweisend, und als er es doch wagte, den Arm um ihre Stuhllehne zu legen, erhob sie sich, um ihm zu entfliehen.
»Verzeiht, Señor!« sagte sie. »Ich muß in die Küche, um das Abendbrot zu bereiten.« – »Von so schönen Händen muß es doppelt gut munden«, meinte er, indem er ihre Rechte ergriff.
Sie entzog ihm dieselbe sofort und eilte hastig zur Tür hinaus. Er blickte ihr lächelnd nach und murmelte:
»Aha, schnippisch kann sie also auch sein! Das ist mir lieb, denn das gibt ihr einen neuen Reiz. So ein Vater ist solch schönes Kind gar nicht wert. Ich werde mir die möglichste Mühe geben, meine Wette zu gewinnen.«
Da der Alte im Laden und seine Tochter in der Küche zu tun hatte, so blieb der Gast bis zum Abendbrot allein und begab sich, nachdem er gespeist, in sein Schlafzimmer. Dort zog er, um ganz sicher zu gehen, den Drücker ab und probierte denselben an Resedillas Tür. Er schloß, und so waren alle Vorbereitungen zu dem geplanten Überfall getroffen.
Gerard hatte erst längere Zeit nach dem Dunkelwerden das Fort erreicht und eilte daher sofort nach dem Hause Pirneros, um nicht zu spät zu kommen, denn er wußte, daß man dort sehr zeitig zur Ruhe gehe.
Als er das Haus umschlich, bemerkte er zu seiner Beruhigung, daß die Geliebte noch in der Küche tätig sei. In dem offenen Verschlag, in dem er sein Pferd einzustellen pflegte, lag eine Leiter, die jedenfalls bis zum Fenster der Bedrohten reichte. Sollte er sie holen und anlegen? Sollte er Resedilla von außen beschützen? Nein, denn das gab jedenfalls einen Lärm, der den Ruf des Mädchens in Gefahr bringen konnte. Er beschloß also, es anders anzufangen.
Er schlich in das Haus und stieg die Treppe hinauf. Dort auf dem Boden lag ein Haufen leerer Säcke und alter Decken, der ihm mehr als hinreichenden Schutz bot. Er wühlte sich so tief in ihn hinein, daß von ihm nicht das mindeste zu sehen war, und wartete nun der Dinge, die da kommen sollten.
Zunächst kam der Kapitän, der scheinbar zur Ruhe ging; aber Gerard bemerkte, daß er dann vorsichtig und leise das Schloß versuchte. Darauf kam Resedilla, später ihr Vater, der unten den Eingang verschloß, und endlich auch das Hausgesinde. Die Vaqueros schliefen in einem Nebengebäude. Jetzt war es ruhig und vollkommen finster. Gerard konnte sich denken, daß der Kapitän warten werde, bis das Mädchen eingeschlafen sei; daher fühlte er sich vollkommen sicher. Leise kroch er aus seinem Versteck heraus und schlich sich zur Tür, hinter der die Mägde verschwunden waren, drehte dort den Drücker so leise ab, daß im Innern nichts gehört wurde und ging zur Tür der Geliebten, die ihren Drücker mit in ihr Zimmer genommen hatte, und probierte. Er bemerkte bereits bei der ersten Umdrehung, daß auch dieser Drücker das Schloß schließe; darum kehrte er beruhigt in sein Versteck zurück.
Es verging weit mehr als eine Stunde, bis sich ein knisterndes Geräusch vernehmen ließ, das nur für das scharfe Ohr des Präriejägers hörbar war.
»Jetzt kommt er«, dachte dieser.
Er horchte noch gespannter als vorher und hörte nun von der Seite her, wo die Tür zum Schlafzimmer der Geliebten lag, ein leises, leises Klingen, als wenn Eisen Eisen berührte.
»Jetzt steckt er den Drücker an!«
Bei diesen Gedanken schob Gerard den Kopf unter den Säcken hervor und sah ganz deutlich, was geschah. Der Kapitän öffnete vorsichtig die Tür. In dem Zimmer brannte ein Nachtlicht, und Resedilla lag so, daß der Lauscher sie erblicken konnte.
Sie hatte, in ihrer Kammer angelangt, noch eine lange Zeit mit Weinen und trübem Sinnen zugebracht und sich dann schlafen gelegt, und erst vor wenigen Minuten hatte der Schlummer sie übermannt. Leise zog der Kapitän die Tür hinter sich zu und huschte in das Gemach.
Im Nu war Gerard an der nun wieder verschlossenen Tür, befeuchtete den Drücker mit Speichel, um das verräterische Geräusch zu vermeiden, drehte um und öffnete eine schmale, kleine Lücke, durch die er alles beobachten konnte.
Der Kapitän stand dicht am Lager der Schlummernden, in demselben Augenblick aber erhielt er von Gerard einen Schlag, der ihn betäubt zu Boden warf. Das war alles so blitzschnell geschehen, daß das erwachende Mädchen gar keine Zeit gefunden hatte, einen Laut auszustoßen. Jetzt stieß es mit unterdrückter Stimme hervor:
»Señor Gerard! Mein Gott, was ist das?« – »Fürchtet Euch nicht vor mir, Señorita«, beruhigte sie der Gefragte in bittendem Ton. »Ich bin nicht gekommen, Euch ein Leid zu tun, sondern Euch beizustehen.« – »Ist das wahr?« flüsterte sie, befreit aufatmend. – »Ich schwöre es Euch bei allem, was mir und Euch heilig ist! Ich habe großes Unrecht getan, aber einen Schurkenstreich könnte ich niemals begehen.« – »Ich danke Euch! Welch ein Schreck! Welch eine Angst! Aber wie kamt Ihr dazu?« – »Ich belauschte im Wald zwei französische Offiziere, von denen der eine wettete, daß er heute nach hier eindringen werde. Ich eilte herbei, um Euch zu helfen. Erst hatte ich den Gedanken, ihn durchs Fenster zu erschießen, aber das wäre nicht klug gewesen, denn man hätte geglaubt, er sei als begünstigter Liebhaber bei Euch eingetreten und von einem Eifersüchtigen erschossen worden, darum schlich ich mich in das Haus, um diese Angelegenheit in voller Ruhe abzumachen. Kein Mensch wird davon erfahren, laßt mich nur sorgen, Señorita.« – »O Gott, wie schlimm wird es uns gehen, da jener Mann dort ein Franzose ist und noch dazu ein Offizier. Aber ob er letzteres auch wirklich ist?« – »Ja, er ist Kapitän.« – »Und bei uns gab er sich für einen Goldsucher ans.« – »Er war als Spion bei Euch; weiter darf ich Euch nichts sagen.« – »Aber was geschieht mit ihm? Ihr habt ihn erschlagen?« – »Er ist nicht tot; er wird wieder zu sich kommen.« – »So schafft ihn nach seinem Zimmer, Señor! Ich werde Euch leuchten.«
Er besann sich einen Augenblick; dann ging über sein Gesicht ein Lächeln, welches sie sich nicht zu deuten vermochte; es war das Lächeln eines Richters, der nach dem Gesetz handelte: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
»Gut«, sagte er, »ich werde Eurem Befehl gehorchen und ihn in sein Zimmer bringen. Ihr aber sollt liegenbleiben; Ihr dürft Euch nicht um ihn und mich bemühen.«
Es lag in seinem wenn auch leisen Ton ein Etwas, dem sie nicht zu widersprechen wagte.
»Tut, was Ihr wollt, Señor, nur laßt es niemanden erfahren«, bat sie. »Nehmt ihn auf, dort liegt noch sein Drücker. Gute Nacht, Señor Gerard.«
Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er konnte nicht anders, er nahm sie und drückte sie an das Herz und an die Lippen. Sie ließ es ruhig geschehen und fügte hinzu:
»Ihr habt mich heute vor einer großen Gefahr bewahrt; darf ich Euch um etwas bitten?« – »Sprecht, Señorita!« – »Laßt uns nicht auf immer voneinander scheiden!« – »Ihr sprecht diesen Wunsch nur aus Dankbarkeit aus?« – »Nein«, antwortete sie mit dem Ausdruck der Wahrheit. – »Oder aus Mitleid?« – »Auch nicht!« – »Ist das wahr, Señorita?« – »Ich schwöre es Euch.« – »So danke ich Euch! Ihr werdet mich wiedersehen.«
Seine Augen leuchteten auf wie unter dem ersten Strahl eines unendlichen Glückes. Sie bemerkte es wohl, und eine tiefe Röte ergoß sich über ihr Gesicht. Dann sagte sie:
»Da, nehmt meine Hand! Ihr seid ja mein Retter, und ich habe Vertrauen zu Euch.« – »Vertrauen? Vertrauen? Ist das wahr, Señorita?« – »Ja.« – »Vertrauen! Vertrauen! Oh, mein Gott!« stieß er mit einem tiefen Atemzug hervor. »Ihr wißt alles, alles, Ihr kennt meine Vergangenheit und schenkt mir doch Vertrauen! Das gibt mir neues Leben!«
Gerard sank an ihrem Lager nieder, ergriff ihre Hände und senkte seine Stirn auf dieselben. Sie aber stützte sich auf den Ellbogen, näherte ihr Gesicht seinem Kopf und flüsterte:
»Ja, Señor Gerard, ich vertraue Euch! Ihr habt viel gesündigt, aber auch viel gelitten. Ich bin überzeugt, daß Ihr niemals wieder etwas Böses tun könnt.« – »Nie, nie!« schluchzte er.
Nichts ergreift das Herz eines Weibes tiefer, als die Träne eines starken, charakterfesten Mannes. Auch ihre Augen wurden feucht. Ihre Seele zitterte unter einer heiligen Regung, und sie bat mit leiser Stimme:
»Seht mich einmal an, Señor! Erhebt Euer Angesicht zu mir!«
Er gehorchte. Da senkte sie ihren Kopf, gab ihm einen Kuß auf die Stirn und einen zweiten auf den Mund und fuhr fort:
»Ich habe noch niemals einen Mann geküßt. Denkt, Gott habe Euch diese Küsse gesandt, zum Zeichen, daß er versöhnt sei und Euch vergeben habe! Laßt Euer Leben nicht mehr so trübe und so dunkel sein und faßt Glauben und eine feste, freudige Zuversicht zum Himmel, der mein Gebet erhören und Euch begnadigen wird! Gute Nacht!«
Gerard hatte ihr zugehört, wie man einem Engel zuhört.
»Gute Nacht«, erwiderte er in tiefster Bewegung.
Mehr konnte er nicht hervorbringen. Er neigte noch einmal sein Gesicht hinab zu den weichen Händen, nahm den Kapitän vom Boden auf, um mit ihm das Zimmer zu verlassen und ihn nach der Gaststube zu tragen, wo das Licht noch brannte, und ging dann wieder hinauf, um den geliehenen Drücker an seine Stelle zu bringen.
Als er zu dem Besinnungslosen zurückkehrte, band er diesem die Arme und Beine fest zusammen, schlang sich den Lasso vom Leib und ließ jenen damit durchs Fenster ins Freie hinab; worauf er selbst folgte.
Nun ging er nach dem Stall, und obwohl kein Licht darin brannte, gelang es ihm doch, das Pferd des Kapitäns zu finden und auch den Sattel, den er dem Tier auflegte. Er zog es heraus und band den Gefesselten darauf. Dann holte er ein ungesatteltes Pferd für sich, schwang sich nach echter Vaqueroart hinauf und ritt, das andere Tier an der Leine führend, erst langsam und später in gestrecktem Galopp davon.
Gerard hatte keine Zeit zu verlieren, denn er mußte in fünf Tagen wieder zurück sein. Daß er ein Pferd für sich genommen hatte, war keineswegs ein Diebstahl. Wo die Pferde frei herumlaufen, darf man das erste beste sich einfangen, wenn man es nur wieder frei gibt, damit es zurückkehren kann. Ein jeder Besitzer erkennt seine Tiere an dem eingebrannten Zeichen.
Gerard setzte über den Puercos-Fluß und jagte weiter durch Täler, über Berge und Prärien immer nach Südwesten hin. Dem Kapitän war jedenfalls schon längst die Besinnung zurückgekehrt, doch zog er es vor, sich schweigsam zu verhalten und keinen Laut von sich zu geben.
Während dieses Parforcerittes ging Gerard mit sich über das Schicksal seines Gefangenen zu Rate. Ihm selbst war heute so viel Gnade und Vergebung zuteil geworden, daß er sein Herz zur Milde gestimmt fühlte; aber die Klugheit und das Gerechtigkeitsgefühl geboten ihm das Gegenteil.
Noch während des nächtlichen Dunkels bemerkte er, daß der Kapitän auch ohne seine Fesseln fest im Sattel saß und den Schenkeldruck ausübte, er mußte sich also wieder ganz wohl befinden. Und als der Tag zu grauen begann, da sah er, daß der Gefangene die Augen offenhielt und wohlgemut in die Ferne blickte.
Jetzt sprang Gerard vom Pferd und band den anderen los, ohne ihm jedoch die Fesseln abzunehmen. Dies löste das bisher beobachtete Schweigen.
»Ihr habt bisher Theater mit mir gespielt, Señor«, begann der Kapitän. »Ich hoffe, daß Ihr mich nun endlich freigeben werdet.« – »Täuscht Euch nicht!« lautete die Antwort. »Ich halte nur an, um über Euch zu Gericht zu sitzen.« – »Pah!« lachte der andere. »Macht keinen dummen Spaß!« – »Ich meine es sogar sehr ernst. Ich werde Euch die Beine losbinden, damit Ihr wenigstens sitzen könnt. So, und nun mag es beginnen.« – »Na, wenn es Euch gefällt, so spielt Eure Rolle weiter!« – »Das werde ich sicher. Ich mache Euch jedoch darauf aufmerksam, daß ich nur fünf Minuten für Euch übrig habe.« – »Das ist mir lieb«, lachte der Offizier. – »Und daß Ihr dann eine Leiche sein werdet.« – »Papperlapapp!« – »Scherzt Euch immerhin in den Tod hinein, ich habe nichts dagegen. Doch sagt mir zunächst, ob Ihr mich kennt!« – »Nein, ich habe nicht die Ehre!« – »Nun, so erlaubt, daß ich mich vorstelle! Man nennt mich den Schwarzen Gerard.«
Als der Gefangene diesen Namen hörte, erbleichte er. Der Kläger aber fuhr fort:
»Wenn ein Gefangener in die Hände der Franzosen fällt, wird er ohne Barmherzigkeit erschossen, obgleich Präsident Juarez Eure Kameraden, die er gefangennimmt, gütig behandelt hat. Ich gehöre zu Juarez, und Ihr seid mein Gefangener. Was wartet also Eurer? Der Tod!« – »Señor! Ich bin Offizier!« brauste der Kapitän auf. – »Ihr habt Euch nicht als Offizier betragen, werdet also auch nicht als solcher behandelt. Weiter, der zweite Anklagepunkt: Das Auge, das die Reize von Señorita Resedilla gesehen hat, darf nichts mehr sehen. Also: Tod!« – »Wer gibt diese Gesetze? Ihr seid ein Teufel!« – »Das mag Gott entscheiden. Ferner: Ihr seid als Spion zu den Komantschen gegangen, um sechshundert Krieger zu holen – also: Tod!«
Der Gefangene erbleichte. Er widersprach nicht. Gerard fuhr fort:
»Ihr wolltet in fünf Tagen mit Eurer Kompanie das Fort Guadeloupe überfallen, also: Tod! Diese Gründe sind genug; die anderen, die ich noch habe, will ich fallenlassen. Habt Ihr an jemand etwas auszurichten?«
Gerard griff zu seiner Büchse, und nun erst sah der Gefangene ein, daß es vollständig ernst sei mit dem Urteilsspruch.
»Ihr werdet mich doch nicht töten!« rief er. – »Ich werde unerbittlich sein! Ihr habt meine letzte Frage nicht beantwortet. Ich habe keine Zeit mehr. Betet ein letztes, lautes Vaterunser!« – »Wenn du mich tötest, so bist du nicht ein Richter, sondern mein Mörder!« – »Pah! Ein jeder Franzose, der sich jetzt in Mexiko befindet, ist ein Mörder!« – »Wer gibt dir das Recht, mich zu töten?« – »Das Präriegesetz. Du vergißt, auf welchem Boden wir uns befinden. Du hast gestern die Waffe nach mir gezückt; dein Leben ist also mein Eigentum, auch ohne die Gründe, die ich vorhin nannte. Bete!« – »Ich mag nicht«, erwiderte der Kapitän trotzig. »Du wirst es nicht wagen, mir das Leben zu nehmen.« – »Du wirst sofort das Gegenteil erfahren. Da du nicht beten willst, so mag Gott deiner armen Seele gnädig sein. Eins – zwei – drei!«
Bei »drei« krachte der Schuß; die Kugel fuhr dem Gefangenen mitten durch die Stirn; er, der gestern noch so lebenslustig war, sank als Leiche nieder.
Jetzt untersuchte Gerard die Kleider des Toten. Er fand weder eine Brieftasche, noch sonst Geschriebenes, wohl aber Uhr, Börse und Ringe; das alles ließ er stecken. Nun betete er ein stilles Vaterunser, gab das Pferd des Toten frei, sprang auf das seinige und brauste davon. Sein Gewissen machte ihm nicht den geringsten Vorwurf.
Dieser einstige Schmied war im Laufe der Jahre ein ausgezeichneter Präriemann geworden. Er saß auf seinem Pferd bis gegen Mittag, dann fing er sich von der ersten besten Herde, an der er vorüberkam, ein anderes ein. Und so ging es immer im Galopp fort, bis er am nächsten Tag, kurz vor Anbruch des Abends, Chihuahua vor sich liegen sah.
Er durfte sich weder bei Tag in die Stadt wagen, noch des Abends offen durch die ausgestellten Posten gehen, sondern mußte sich mit Lebensgefahr einschleichen. Darum band er sein Pferd im Wald fest und wartete die Dunkelheit ab. Dann näherte er sich der Stadt, in welcher er jedes Haus und jeden Schlich kannte.
5. Kapitel
Nur einem solchen Mann wie Gerard konnte es gelingen, durch die Postenketten und über die aufgeworfenen Befestigungen hinwegzugelangen. Bald fand er sich an einer Reihe von Gärten, die ihm alle bekannt waren, voltigierte vorsichtig über den Zaun eines derselben, duckte sich zur Erde nieder und stieß dreimal den Ruf des schwarzköpfigen Geiers aus, wenn er aus dem Schlaf erwacht. Dieses Zeichen schien nicht gehört worden zu sein, denn er mußte es wiederholen, ehe er ein Pförtchen gehen hörte und eine dunkle Frauengestalt langsam herbeikam, um in kurzer Entfernung stehenzubleiben und mit unterdrückter Stimme zu fragen:
»Wer ist da?« – »Mexiko«, antwortete er. – »Und wer kommt?« – »Juarez.« – »So warte ein wenig.«
Nach diesen Worten entfernte sich die Gestalt und kehrte erst nach Verlauf von wohl einer Viertelstunde zurück. Jetzt aber kam sie ganz zu Gerard heran und sagte:
»Hier ist das Gewand; den Weg habe ich freigemacht.«
Mit diesen Worten reichte sie ihm eine Mönchskutte, die er über sein Gewand zog, und fuhr dann fort:
»Heute müßt Ihr Euch doppelt in acht nehmen.« – »Warum?« – »Sie hat den Major zu sich bestellt.« – »Das ist mir lieb. Ist er bereits bei ihr?« – »Nein. Er kommt erst nach zwei Stunden.« – »Gut. Hier ist meine Büchse, bewahre sie sorgfältig auf.« – »Wann kehrt Ihr zurück?« – »Das weiß ich noch nicht. Ich werde dich wecken, wenn ich komme.«
Gerard schlug darauf die Kutte um sich zusammen und schritt nach links davon, wo sich in der Mauer eine kleine Tür befand, die bereits offenstand. Er trat in einen Hof, an dessen Seite sich ein Säulengang hinzog. Eine schmale Stiege führte hinauf, nach der Stelle, wo der Hof am dunkelsten war. Er stieg sie empor und fand dort oben in einem Winkel eine Holztür geöffnet. Hier trat er ein, ging im Finstern abermals durch einige bereits geöffnete Türen und stand endlich vor einer, die verschlossen war. Er klopfte an, und ein lautes, von einer Silberstimme gerufenes »Herein!« antwortete. Zugleich wurde ein Riegel zurückgeschoben, und die Tür tat sich auf.
Ein glänzendes, blendendes Lichtmeer flutete ihm entgegen, und mitten in diesem See von Glanz und Licht stand eine Frauengestalt, deren Schönheit ganz unmöglich zu beschreiben war. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sich jeder, der sie in dieser Toilette gesehen, vor ihr niedergeworfen hätte.
Ein beispiellos reiches, schwarzes Lockenhaar war auf einem wahren Feenköpfchen zu einer hohen Krone geordnet und flutete doch noch immer über die Hüften hernieder, und dieses herrlichen Schmuckes wert war jeder einzelne Teil der hohen, königlichen Gestalt. Keine Maria Theresia, Katharina oder Kleopatra, keine Melusina oder Märchenkönigin war mit diesem Weib oder Mädchen zu vergleichen, das eine Toilette trug, so einfach und doch ausgesucht, daß man sie staunend bewundern mußte. Da lag kein Puder auf den Wangen; da war nichts imitiert an der herrlichen Gestalt, und doch hätte man kaum glauben mögen, daß die Natur fähig sei, ein Weib in solch poetischer Vollendung zu schaffen.
Wie arm und gering stand dagegen der Präriejäger vor ihr, der im letzten Zimmer seine Kutte wieder abgeworfen hatte. Und doch hielt er seine Gestalt stolz erhoben, und doch leuchtete ihre Augen vor Glück und Wonne, ihn bei sich zu sehen. Sie trat ihm entgegen und gab ihm beide Hände.
»Endlich, endlich wieder einmal, lieber Gerard«, rief sie. »Ich danke dir, daß du mir diese Freude machst. Komm, laß dich küssen!«
Sie umarmte ihn und küßte seinen Mund mit der Innigkeit einer glücklichen Braut, während er sich nicht veranlaßt fühlte, diesen Kuß zu erwidern. Sie zog ihn dann nach dem Diwan, setzte sich neben ihn, umschlang ihn mit den Armen und legte ihr Köpfchen, dieses von einem Maler gar nicht wiederzugebende Köpfchen, an sein Herz.
So saßen sie da, er in seiner alten, schmutzigen, blutgetränkten Bluse und sie in dem kostbaren Seidenkleid.
»Du wolltest ausgehen, wie ich sehe?« nahm er endlich kalt das Wort. – »Ja. Ich wollte zwei Stunden zur Tertullia – Gesellschaftsvergnügen—, und dann erwarte ich den Major. Doch verzichte ich herzlich gern auf das Vergnügen, wenn ich nur das Glück habe, dich bei mir zu sehen.« – »Auf welches Vergnügen willst du verzichten?« lächelte er. »Auf die Tertullia oder den Major?« – »Auf das erstere; der Besuch des Majors ist kein Vergnügen.« – »Ich glaube es.« – »Und dieser häßliche Kapitän … ah, weißt du, daß er seit mehreren Tagen nach auswärts ist?« – »Wohin denn?« – »Niemand weiß es.« – »Auch der Major nicht?« – »Nein.« – »Aber der Kommandant muß es doch wissen!« – »Jedenfalls.« – »So ist dies ein böses Zeichen für uns.« – »Ah, für uns? Inwiefern?« – »Der Kapitän ist mit einer geheimen Rekognoszierung betraut worden, und der Kommandant hat dies dem Major verschwiegen; dies ist jedenfalls ein unfehlbarer Beweis, daß er letzterem mißtraut und ihn nicht für verschwiegen hält.« – »Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet. Ich sehe, daß du scharfsinniger bist als ich, lieber Gerard.« – »Ein anderes Mal bist du klüger. Wir müssen uns eben ergänzen.« – »So möchte ich wissen, wohin der Kapitän gegangen ist. Ich muß es auf alle Fälle zu erfahren suchen und werde mich da an den Kommandanten halten und ihm morgen abend eine Unterredung gewähren, bei der du zugegen sein und den Lauscher machen sollst.« – »Das geht nicht, denn ich muß unbedingt diese Nacht noch wieder fort.« – »O weh! Ist deine Eile so dringend geboten?« – »Sehr dringend. Ich habe seit gestern nacht oder vielmehr seit vorgestern abend ohne Unterbrechung auf ungesäuerten Pferden gesessen und wohl gegen fünfzig geographische Meilen zurückgelegt. Daraus magst du sehen, wie dringlich die Sache ist.« – »Du Ärmster!« sagte sie, ihm die Wangen zärtlich streichend und seinen Mund küssend. »Du wirst dich dabei noch aufreiben. Du hast gar nicht geschlafen?« – »Nein.« – »Und mußt diesen Weg in derselben Weise ohne Schlaf zurücklegen?« – »Freilich. Doch ich habe eine eiserne Konstitution; ich werde es aushalten.« – »Aber wenn du heute schon fort mußt, so wirst du morgen nicht erfahren, weshalb der Kapitän vom Kommandanten ausgeschickt worden ist!« – »Oh, das weiß ich bereits, liebes Kind«, sagte er lächelnd. – »Wirklich, wirklich?« fragte sie erstaunt. – »Sogar sehr genau weiß ich es. Ich habe nämlich den Kapitän getroffen und alles gehört und belauscht.« – »Gerard, du bist wirklich ein ganz außerordentlicher Mensch!« – »O nein«, antwortete er bescheiden. »Es lag hier nur ein Glücksumstand vor, sonst hätte ich gar nichts erfahren. Ich wurde von Bärenauge aufmerksam gemacht.« – »Das ist der junge Apachenhäuptling, der seinen Bruder Bärenherz sucht und den Schwur getan hat, wenn er ihn nicht findet, jede Woche, so lange er lebt, einen Weißen zu töten?« – »Ja, derselbe. Er ist mein Freund und hat mir fünfhundert seiner Krieger versprochen.« – »Das ist sehr gut. Denn diese fünfhundert wiegen fünftausend Franzosen auf. Aber was hast du auf deinem Lauscherposten vom Kapitän erfahren?« – »Er war bei den Komantschen, die ihm sechshundert Krieger zugesagt haben.« – »O weh, das ist schlimm!« – »Pah! Ich werde sie aufreiben. Ferner kam er nach Fort Guadeloupe, als Goldsucher verkleidet, um eine Kompanie Franzosen zu erwarten, die sich im Fort festsetzen sollte. Daß der Kommandant es wagt, einen solchen Truppenteil so weit vorzuschieben, läßt mich fast vermuten, daß er den Präsidenten Juarez in Paso del Norte ausheben will und daß er von der Geldsendung gehört hat, die aus den Vereinigten Staaten für uns unterwegs ist.« – »Eine Geldsendung? Ah, käme sie doch an! Ich wünsche es dringend.« – »Warum?« – »Du mußt wissen, daß mir der Präsident seit drei Monaten mein Gehalt schuldig geblieben ist. Ich gelte hier für reich und muß ein großes Haus führen, um Eurer Sache dienen zu können. Und doch ist meine Kasse vollständig erschöpft. Ich weiß, daß Juarez jetzt darben muß, aber ich bin bereits gezwungen gewesen, Anleihen zu machen. Der Nimbus, mit dem ich verstanden habe, mich zu umgeben, wird da nicht mehr lange vorhalten.« – »Ja, der Präsident ist allerdings jetzt fast von allen Mitteln entblößt; wenn er dir trotzdem Geld sendet, so magst da daraus ersehen, daß er die Vorteile, die uns deine Schönheit bringt, zu schätzen weiß.« – »Er schickt Geld?« fragte sie freudig. – »Ja.« – »Wann? Durch wen?« – »Jetzt, heute, durch mich.« – »Herrlich, herrlich!« – »Ich habe das Geld zwei Wochen lang mit mir herumgetragen. Du mußt entschuldigen, ich konnte wahrhaftig nicht eher kommen.« – »Du bist entschuldigt, lieber Gerard, denn ich kenne deine Sorgfalt für mich. Aber sage mir, wieviel es ist?« – »Ein Halbjahresgehalt; drei Monate leider post-, aber dafür nun auch drei Monate pränumerando. Bist zu zufrieden, Kind?« – »Sehr, sehr! Ist‘s in Papieren?« – »Ja. Wie könnte ich so viel in Münze bei mir führen?« – »In welchen Papieren? Die nordamerikanischen könnten mich bloßstellen.« – »Es sind gute Scheine der englischen Bank.« – »Ah, das ist prächtig und sehr vorsichtig!« – »Hier hast du sie.«
Gerard fuhr in den Schaft seines elenledernen Jagdstiefels und zog ein Paket hervor, das er ihr überreichte. Sie öffnete es, zählte nach und sagte:
»Richtig; es stimmt! Nun bin ich wieder reich! Aber, lieber Gerard, du mußt mir den Gefallen tun, eines dieser Papiere von mir anzunehmen.«
Sie hielt ihm mit aufrichtig bittender Miene eine Hundertpfundnote entgegen.
Er aber schüttelte den Kopf, schob ihre Hand zurück und erwiderte:
»Ich danke dir, Emilia; du meinst es herzlich gut mit mir, aber ich darf deine Güte nicht mißbrauchen. Ich hätte keine Verwendung dafür.« – »Aber Gerard, keine Verwendung!« schmollte sie. »Sieh dich nur an!«
Er warf einen belustigten Blick auf sich hinab, sah dann im Boudoir umher und fragte:
»Du meinst, daß ich nicht gut zu dir passe?« – »Ganz und gar nicht!« – »Ja, du hast recht. Aber wenn du zu mir in den Wald kämst, würdest auch du nicht zu mir passen. Ich gehe so, wie ich es nötig habe. Meine Kleidung ist gut genug für meine Zwecke. Und glaubst du, daß ich sie mit dieser Hundertpfundnote bezahlen könnte? Übrigens brauchst du dich nicht um mich zu sorgen, ich bin nicht so arm, wie du denkst« – »Ah, du bist reich!« – »Beinahe. Ich habe nämlich oben in den Bergen ganz zufällig eine Goldader entdeckt. Brauche ich Geld, so gehe ich hinauf und breche mir ein Stück heraus. Sei also bedankt für dein Geschenk! Willst du mich mit etwas erfreuen, so gib mir ein wenig zu essen, ich habe gewaltigen Hunger.«
Sie stieß ein wohltönendes Lachen aus. Er stimmte ein und fragte:
»Du lachst über meinen Hunger? Immerhin! Die Herren, die du kennst, schwärmen allerdings von Schönheit, Glück, Entzücken und Liebe, sie möchten aus den Spitzen deiner Finger Ambrosia saugen und von deinen schönen Lippen Nektar küssen, ich Bär aber mag von alledem nichts und verlange ein kräftiges Essen, weil ich fünfzig Meilen geritten bin und gewaltigen Hunger habe. Das ist natürlich ein Unterschied. Ich werde sofort in deinem Kredit sinken und für einen Barbaren gehalten werden.«
Sie verschloß ihm den Mund mit einem Kuß.
»Still, du Bär! Du weißt, daß du mir tausendmal lieber bist als alle anderen. Die kommen herein, geschniegelt bis zum Ekeln; sie duften, äugeln, sie säuseln und flattern – pah! Wenn du aber kommst, so sehe ich einen Mann. Ich sage dir, Gerard, ich würde sofort den ganzen Plunder vom Leib reißen und den ärmlichsten Rock anziehen, um dir hinaus in den Hinterwald zu folgen und Kartoffeln, Schoten und Mais zu bauen. Aber ich bin dir nicht gut genug, und du hast leider recht. Meine Liebe verschmähst du, aber meine Freundschaft sollst du doch annehmen müssen. Sag, was willst du essen? Auftragen kann ich nicht lassen, da niemand wissen darf, daß du bei mir bist.« – »Hole mir ein großes Stück trockenes Brot und etwas Fleisch dazu.« – »Weiter nichts?« – »Nein.« – »Ist das ein Mensch!« lachte sie. »Er kann alle Delikatessen haben und verlangt trockenes Brot. Doch du sollst deinen Willen haben.«
Sie erhob sich, um das Verlangte zu holen. Als sie durch das Boudoir schritt und zur Tür hinausging, so stolz, so schön wie eine Königin, blickte er ihr nach. Es war fast ein Ausdruck des Mitleids zu nennen, der dabei über seine Züge glitt, aber er schüttelte die Regung ab und murmelte:
»Pah! Sie ist trotz dieser wahrhaft treuen, untertänigen Liebe dennoch nicht unglücklich. Sie liebt den Glanz und den Genuß; beides ist ihr geboten, und so ist sie mit ihrer gegenwärtigen Lage ganz zufrieden. Aber, bei Gott, ich habe gar nicht gedacht, daß ein Kerl wie ich einem so schönen Weib solche Zuneigung einflößen könne! Die Liebe ist wirklich ein launenhaftes Ding!«
Sie kehrte zurück und setzte ihm einen Teller vor, von welchem er rüstig zulangte. Sie beobachtete ihn mit sichtlichem Interesse und sagte:
»So, mein guter Gerard, erscheinst du mir in meinen Träumen. Mitten im Urwald eine kleine Farm. Du der Mann, und ich die Frau.« – »O bitte!« – »Geduld! Es ist ja eben nur im Traum! Du kehrst von der Arbeit oder von der Jagd zurück, setzest dich an den Tisch …« – »Ohne vorherigen Kuß?« lachte er. – »Zehn Küsse vorher, Gerard! Dann setze ich dir eine rauchende Büffellende vor …« – »Nein, kalt muß sie sein! Büffellende darf nicht rauchen.« – »Gut, so bekommst du also kalte, und da beißt du so kräftig hinein, wie eben jetzt. Deine Zähne schimmern; du bist ganz bei der Arbeit und ißt so gut und behaglich, daß man selbst Appetit bekommt« – »Willst du?« fragte er, ihr das trockene Brot anbietend. – »Nein, brrr!« antwortete sie, sich schüttelnd. – »Schöne Farmersfrau, die kein Brot essen kann!« – »Ich würde es wieder lernen.« – »Aber schwer. Du kannst es besser, viel besser haben.« – »Wie?« – »Suche nach einer wirklichen, ernsten Verbindung. Bei deiner Schönheit und deinem Geist bist du imstande, den vornehmsten, den reichsten Mann zu fesseln! Dann hast du einen Halt für dein ganzes Leben.«
Sie blickte zu Boden nieder. Sie fühlte, daß er recht hatte, dennoch antwortete sie im Ton eines nicht zurückzudrängenden Vorwurfs:
»Und das sagst du mir, du, der einzige, den ich lieben kann?« – »Und der auch der einzige ist, der es wirklich aufrichtig gut mit dir meint.« – »Ja, ich glaube es dir, du bist stets gut zu mir gewesen, schon als Knabe.« – »Hm, warum sollte ich nicht? Deine und meine Eltern wohnten im Hinterhaus. Ich war ein starker Bube und du ein so kleines, allerliebstes Ding. Dann kam ich zum Schmied in die Lehre, und du warst reif zur Schule.« – »Und als ich die Schule verließ, warst du Garotteur.« – »Leider! Aber als ich die Garotte verließ, warst du Grisette, ließest dich von einem amerikanischen Schwindler entführen und gingst über die See.« – »Der Mensch verließ mich, und ich sank in das tiefste Elend. Da trafen wir uns des Abends in St. Louis am Fluß. Ich hatte das Leben satt und wollte mich in das Wasser stürzen, du ahntest dies und tratest herzu. Wir erkannten uns, und ich war gerettet. Du arbeitetest für mich, du teiltest den Ertrag der Jagd mit mir, du verschafftest mir endlich die Stelle als Gesellschafterin der Dame, mit der ich dann hierher nach Mexiko kam. Ich schulde dir mein Leben und noch mehr.« – »Ist nicht der Rede wert, mein Kind. Du hast seitdem genug für mich und unsere Sache getan. Ich hätte nie geglaubt, daß aus dem kleinen Kind, das ich einst auf meinen Armen trug, und aus dem verzweifelnden Frauenzimmer am Ufer des Mississippi eine solche Dame werden könnte. Emilia, du bist schön, du bist entzückend, ja berauschend!«
Er schob den leeren Teller von sich, um sie genau zu betrachten. Da flog sie von ihrem Sitz auf ihn zu und sagte:
»Gerard, dies alles nützt mir nichts. Nur dich allein möchte ich erobern und berauschen, dein Weib möchte ich sein, wenn auch nur für ein kurzes Jahr, und dann glücklich sterben. O Gott, warum kann dies nicht sein?«
Sie hielt ihn fest an sich gepreßt und weinte. Er schob sie langsam von sich und erwiderte:
»Wir passen nicht zueinander. Wir beide sind leidenschaftlich, wir beide haben zu viel gelebt, wir können uns nicht ergänzen. Siehst du das nicht ein?«
Sie nahm ihre Arme von seinem Hals und antwortete:
»Leider sehe ich es ein, mein guter Gerard. Wer von uns beiden sich verheiratet, der darf sich nur mit einem ruhigen, versöhnlichen Charakter verbinden. Wir aber würden einander nur unglücklich machen. Aber … aber …!«
Emilia schritt hastig einige Male im Zimmer auf und ab, dann blieb sie vor ihm stehen, zeigte mit den Armen rund umher und fuhr fort:
»Das alles danke ich dir. Blicke mich selbst an! Denkst du, ich wisse nicht, wie schön ich bin? Denkst du, ich wisse nicht, welchen Eindruck ich mache und welche Macht ich ausübe? Oh, ich analysiere mich täglich selbst.«
Sie zog die goldene Nadel heraus, und nun wallte die dunkle, verführerische Flut fast bis zum Boden hinab.
»Sieh mein Auge, meine Nase, meinen Mund, mein Kinn, mein Profil, meinen Kopf! Hast du jemals einen Kopf gesehen, der schöner war als der meinige, und wäre es auch ein Gemäldekopf? Wer will mir widerstehen? Kein anderer als nur du! Und doch möchte ich, daß ich nur dir allein gehörte! Oh, dann wollte ich in Seligkeit und Wonne schwelgen. Und dennoch darf dies nicht sein. Du willst mir nicht gehören. Meine Schönheit war zu schwach, dich zu besiegen. Ist das nicht schrecklich?«
Sie hatte sich in eine Aufregung hineingesprochen, die ihre Schönheit zur verdoppelten Geltung brachte. Ihre Augen leuchteten, ihre Wangen glühten. Gerard wandte sich ab, er fühlte, daß er nahe am Erliegen war. Es trieb ihn mit aller Gewalt, die Arme nach ihr auszustrecken und sie zu sich niederzuziehen.
Sie merkte dies an der Glut seiner Augen, sie fühlte sich dem langersehnten Sieg nahe, und ihr Herz bebte vor Entzücken – aber da wandte er sich ab.
Jetzt wußte sie, daß sie niemals seine Liebe erlangen würde. Sie drehte sich mit einem Ruck von ihm ab, trat an das Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Ihre Arme erhoben sich, ihre Finger erfaßten die Fransen der kostbaren Gardinen und rissen sie herab, ohne daß sie es beachtete. Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte.
Endlich kehrte sie wieder zu ihm zurück und nahm auf einem Stuhl Platz. Ihr Gesicht war bleich, ihre Züge kalt, und ihre Stimme hatte einen heiseren Klang, als sie sagte:
»Das wunderbarste ist, daß ich dich fortliebe, daß keine Spur von Haß, kein Gedanke an Rache in meinem Herzen Platz nimmt. Aber laß uns nicht weiter davon sprechen, reden wir von unseren Geschäften!« – »Ja, das wird besser sein, liebe Emilia«, antwortete er. – »Daß es einen neuen Prätendenten gibt, weißt du?« – »Einen, der Präsident werden will? Ich hörte noch nichts davon. Wer ist es?« – »Ein gewisser Cortejo aus Mexiko. Ich glaube, er heißt Pablo Cortejo.«
Gerard horchte auf. Er kannte den Namen Cortejo nur zu gut. Er hatte ihn in dem Buch gefunden, das er Don Alfonzo abgenommen hatte, nachdem er ihn vorher garottiert hatte, in demselben Buch, das ihm später in Rheinswalden von dem Waldhüter abgenommen worden war.
»Cortejo? Was ist er?« fragte er gespannt – »Er war Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda.« – »Ah!« – »Kennst du den Grafen, oder vielmehr, kanntest du ihn?« – »Ich habe von ihm gehört.« – »Er ist gestorben, schon vor langen Jahren. Kennst du diesen Cortejo auch?« – »Nur dem Namen nach. Aber wenn er in Mexiko ist, wie kann er da prätendieren? Die Hauptstadt befindet sich ja in den Händen der Franzosen!« – »Ich habe gesagt, daß er aus Mexiko sei, nicht aber in Mexiko. Er befindet sich gegenwärtig droben in der Provinz Chiapa.« – »Hat er Anhang?« – »Er war einer der ersten, die sich für die Franzosen erklärten, er und der Panther des Südens. So lange Juarez noch mächtig war, trat dieser Cortejo mit seinen Absichten nicht hervor, jetzt aber scheint er zu denken, daß ihm sowohl die Zeit, als auch die Verhältnisse günstig seien. Er agitiert in den südlichen Provinzen, in denen die Franzosen doch nie große Fortschritte gemacht haben.« – »Ist er denn der Mann dazu?« – »Ich weiß es nicht.« – »Und stehen ihm die nötigen Mittel zu Gebote?« – »Wahrscheinlich.« – »Und die Erfolge, die er bereits erzielt hat?« – »Sie scheinen nicht zu groß zu sein. Aber der Panther des Südens hat sich für ihn erklärt, und du wirst wissen, daß dieser einen großen Anhang besitzt.« – »Dieser Cortejo scheint uns nicht sehr gefährlich werden zu können.« – »Wer weiß es! Vielleicht hat er Geld, und für dieses ist der Mexikaner außerordentlich empfänglich. Das sonderbarste aber ist, daß er selbst weniger agitiert als seine Tochter.« – »Er hat eine Tochter?« – »Ja.« – »So ist sie jung und schön?« – »Warum jung und schön?« – »Weil dies zwei Eigenschaften sind, denen es selten schwerfällt, Propaganda zu machen, sobald sie nämlich geschickt in die Waagschale geworfen werden. Du zum Beispiel wärst ganz wie geschaffen dazu, einen Agitator zu unterstützen.« – »Ich tue dies ja bereits, indem ich für Juarez wirke. Was aber diese Tochter Cortejos betrifft, so ist sie weder jung noch schön. Diese Señorita Josefa …« – »Josefa heißt sie?« fragte er, sie unterbrechend. – »Ja. Sie ist geradezu eine Vogelscheuche.« – »Kennst du sie? Hast du sie gesehen? – »Nein. Ich kenne sie nur im Bild.« – »So hast du ihre Fotografie?« – »Ja. Dieses Weib läßt nämlich Fotografien von sich verteilen.« – »Und ist weder jung noch schön? Welch eine Dummheit!« – »Ah, welches Weib, und wäre es eine Megäre, ist so objektiv, sich aufrichtig für häßlich zu halten? Man sagt, daß Señorita Josefa sich im Gegenteil für schön hält. Und diese Ansicht muß sie auch wirklich von sich haben, sonst würde sie nicht ihre Fotografien zu Tausenden anfertigen lassen und verteilen.« – »Hast du das Bild da?« – »Ja, hier im Album.« – »Bitte, zeige es mir!«
Emilia öffnete das Album, schlug es auf und legte es Gerard vor.
»Da ist es, diese hagere Person!«
Er warf einen neugierigen Blick darauf und lachte laut auf.
»Wie findest du sie?« fragte Emilia, in sein Lachen einstimmend. – »Außerordentlich interessant, aber nur zum Zweck eines Studiums der Häßlichkeit, oder nur um dir als das gerade Gegenstück zu dienen. Ich begreife einfach dieses Frauenzimmer nicht.« – »Gut, lassen wir ihr das Glück, von Tausenden gesehen und ausgelacht zu werden. Welche Neuigkeiten hast du noch?« – »Daß Napoleon endlich beginnt, mit den Vereinigten Staaten über das Schicksal Mexikos zu unterhandeln.« – »So ist der Erzherzog Max am Ende seiner Kaiserlaufbahn.« – »Meinst du?« – »Ja. Die Vereinigten Staaten werden keinen Kaiser von Mexiko dulden.« – »Das ist denn doch die Frage.« – »Nein, es ist gewiß. Das geht ja sehr deutlich aus der Note hervor, die Seward, der Sekretär der Vereinigten Staaten, bereits im Jahre 1864 an Dayton, seinen Gesandten in Paris, übermittelte.« – »Wie lautete sie?« – »Ich sende Ihnen eine Abschrift der Resolution, die am vierten dieses Monats im Repräsentantenhaus einstimmig angenommen wurde. Sie bringt die Opposition dieser Staatskörperschaft gegen die Anerkennung einer Monarchie in Mexiko zum Ausdruck. Nach allem, was ich Ihnen schon früher mit aller Offenheit zur Information Frankreichs geschrieben habe, ist es kaum nötig, noch ausdrücklich zu sagen, daß die in Rede stehende Resolution die allgemeine Ansicht des Volkes in den Vereinigten Staaten bezüglich Mexiko feststellt.« – »Ah, das hast du dir gut gemerkt. Du hast es ja völlig auswendig gelernt.« – »Wer so zu Juarez hält wie ich, der merkt sich solche Noten sehr genau.« – »Nach ihr ist allerdings alle Hoffnung für Max verloren. Was hat denn der Kaiser der Franzosen dazu gesagt?« – »Wollen Sie Krieg oder Frieden?« – »Diese Worte sind von ihm?« – »Ja. In seinem Allmachtsgefühl hat er diese Frage an den amerikanischen Gesandten gestellt. Er dachte, die Vereinigten Staaten hätten wegen des Bürgerkrieges so viel mit sich selbst zu tun, daß sie vor einem Krieg mit Frankreich zurückbeben würden, jetzt aber haben sie ihn eines Besseren belehrt, und er läßt sich, wie du mir eben sagtest, in friedliche Unterhandlungen mit ihnen ein. Das ist ein untrügliches Zeichen, daß er den Erzherzog fallenlassen will. Gibt es sonst noch Neuigkeiten, die ich Juarez bringen kann?« – »Nichts, das ich augenblicklich wüßte. Die geheime Sendung des Kapitäns ist das einzige von Belang, was jetzt geschehen ist, und davon warst du ja besser unterrichtet als ich. Also er ist jetzt auf Fort Guadeloupe?« – »Nein.« – »Du sagtest es doch.« – »Ich sagte, daß er sich dort befunden habe, nicht aber, daß er sich noch dort befinde. Auf diesem Gebiet wird kein französischer Spion geduldet.« – »Wo ist er denn?« – »Im Wald.« – »Ah, also abermals bei den Indianern?« – »Nein, sondern bei seinen Vätern, um mich eines Ausdrucks der Bibel zu bedienen.« – »Tot?« – »Ja.« – »Das ist überraschend! Wenn das der Kommandant erfährt!« – »Er wird es erst dann erfahren, wenn es für ihn nutzlos ist.« – »Ich ahne, welchen Tod er gefunden hat! Ihr habt Gericht über ihn gehalten.« – »Wir? Nein, ich allein.« – »Und hast du das Urteil auch selbst vollstreckt?« – »Ja, er erhielt eine Kugel durch den Kopf.« – »So ist er in seinen Sünden dahingefahren. Er war ein warmer Anbeter von mir, ich sollte eigentlich Mitleid mit ihm haben.« – »Ja, er war dein Anbeter«, lächelte Gerard, »und dennoch zog er eine andere vor, ein Mädchen in Fort Guadeloupe, wo er bereits viermal gewesen war.« – »Und mir schwur er Liebe und ewige Treue! Oh, diese Männer! Aber, lieber Gerard, du wirst dich auf deinen Posten begeben müssen. In zwei Minuten wird der Major erscheinen, er ist außerordentlich pünktlich.« – »So gib mir den Nachschlüssel und die Laterne.« – »Hier. Die Kleidung liegt bereits draußen.«
Sie öffnete ein Fach ihres Schreibtischs, nahm einen Schlüssel und ein elegantes Blendlaternchen hervor und reichte ihm beides. Er nahm es und fragte:
»Wie lange wird dieser Major bei dir sein?« – »Ich möchte ihn am liebsten abweisen, da du hier bist. Es fragt sich, welcher Zeit du bedarfst, um mit seinen Papieren fertig zu werden.« – »Das kann ich vorher nicht wissen. Gib mir eine Stunde.« – »Gut, in einer Stunde, von jetzt an gerechnet, wird mich der Major verlassen. Laß dich nicht von ihm ertappen. Ich werde Migräne vorschützen.«
6. Kapitel
Gerard verließ das Zimmer durch eine Seitentür und befand sich in einem kleinen Raum, der zur Aufbewahrung überflüssiger Gerätschaften diente. Es war kein Licht da; er brannte sich daher die Laterne an, und als er beim Schein derselben die Kleidung eines Dieners auf einem Stuhl liegen sah, zog er die seinige aus und legte diese an. Dann horchte er.
Bald vernahm er Stimmen. Der Major war gekommen. Er hatte ihn von diesem Stübchen aus bereits einige Male belauscht und kannte seine Stimme.
»O Dios, wie schön sind Sie heute, Señorita!« hörte er ihn sagen. – »Sie schmeicheln«, antwortete Emilia, »ich muß im Gegenteil ein recht müdes und angegriffenes Aussehen haben.« – »Inwiefern, meine Gnädige?« – »Ich leide bereits den ganzen Tag an den allerheftigsten Kopfschmerzen.« – »Ah, Migräne!« – »Ja. Ich würde gar nicht zu sprechen sein, wenn ich Ihnen die Erlaubnis, mich zu besuchen, nicht so bestimmt gegeben hätte.« – »Welch ein Unglück! Sie werden mich fortschicken?« – »Nicht sogleich. Ich will sehen, wie lange meine Nerven gutwillig sind. Nehmen Sie Platz!«
Gerard war mit dieser Einleitung sehr zufrieden. Er schob das Laternchen zu und steckte es in die Tasche. Dann verließ er das Stäbchen, trat auf einen erleuchteten Korridor und forschte, ob sich jemand da befinde. Als er niemanden bemerkte, huschte er denselben hinab, zog einen Schlüssel hervor, den er erhalten hatte, steckte ihn in das Schloß einer Tür und öffnete dieselbe. Der Schlüssel war der Hauptschlüssel, er öffnete alle Türen. Rasch trat Gerard ein, und er befand sich nun in den Räumen, die der Major bewohnte und die er kannte, da er bereits heimlich hier gewesen war.
Emilia hatte das ganze Haus gemietet und dem Major diese Wohnung abgetreten.
Gerard zog die Laterne wieder hervor und öffnete sie, nachdem er die Tür von innen verschlossen hatte. Er befand sich in einer Art von Vorzimmer, in dem er sich nicht aufhielt.
Neben demselben lag das Arbeitszimmer des Majors, wenn in Mexiko bei einem französischen Major von Arbeit überhaupt die Rede sein konnte. Es hatte zwei Fenster, deren Läden geschlossen waren, so daß kein Lichtschein hindurchdrang. Gerard brauchte also keine Sorge zu haben, von draußen entdeckt zu werden.
Es standen drei Tische da, auf denen Karten, Pläne, Bücher und Notizen lagen. Mit diesen Dingen begann der Präriejäger sich eingehend zu beschäftigen.
Er durchsuchte alles, er mußte Wichtiges gefunden haben, denn er zog Papier aus einem Schubfach und fing an, sich schriftliche Notizen zu machen und von verschiedenen Skripturen Abschriften zu nehmen.
Dies ging alles in fliegender Eile, denn die Zeit von einer Stunde schien ihm kurz bemessen zu sein für das wichtige Material, das er vorfand. Sie war beinahe verflossen, als er endlich fertig war.
Nun brachte er alles ganz genau in dieselbe Lage, wie er es vorgefunden hatte, und steckte seine Notizen und Abschriften zu sich. Die leeren Bogen, die er dazu verwandt hatte, würde der Major ja wohl schwerlich vermissen, da deren eine ganze Menge vorhanden war.
Nun löschte er die Laterne aus und steckte sie ein, denn er brauchte sie nicht mehr, begab sich im Dunkeln zur Vorzimmertür zurück und öffnete sie leise. Ein Diener kam den Korridor herabgeschritten. Den ließ er erst vorüber, trat dann hinaus, verschloß eilig und huschte nach der Tür des Kämmerchens, von dem seine Rekognoszierung ausgegangen war.
Er kam dort pünktlich an und wechselte die Kleidung. Er pflegte ja, wenn er sich hier befand und nach der Wohnung des Majors ging, stets andere Kleidung anzulegen, um im Fall, daß er gesehen würde, für einen Bediensteten gehalten zu werden.
Erfreut, daß sein Streich gelungen war, trat er endlich an die andere Tür und horchte. Der Major schien aufbrechen zu wollen, denn er hörte ihn sagen:
»Ich bin wirklich ganz unglücklich, nicht länger verweilen zu dürfen.« – »Und ich fühle mich ebenso unglücklich, Sie wegen meines Leidens verabschieden zu müssen«, antwortete Emilia. – »Sie haben mir heute nicht die mindeste Gunst erwiesen, Señorita.« – »Sie wissen, daß Patienten nicht liebenswürdig zu sein pflegen.« – »Ich gebe das zu; eine Bitte aber werden Sie mir doch erfüllen. Sie ist nicht groß, sondern sehr bescheiden.« – »Keine Einleitung. Ich bin zu nervös, um viel sprechen oder viel anhören zu können. Ich bedarf dringend der Stille und Ruhe.« – »Einen Kuß, ein einziges, kleines Küßchen, Señorita.« – »Ich muß verzichten!« – »O bitte, bitte!« – »Es geht nicht. Ich muß es Ihnen versagen. Gute Nacht.« – »Sie sind wirklich grausam. Wann darf ich wiederkommen?« – »In vier Wochen.« – »In vier Wochen?« fragte er erstaunt. »Warum erst nach so langer Zeit?« – »Weil ich hoffe, mich dann erholt zu haben.« – »Ah, sie läßt ihn an der Angelschnur zappeln!« dachte der Lauscher. – »Eher nicht?« fragte der Major. – »Die Migräne ist ein hartnäckiges Übel.« – »Nun, so bestimmen wir lieber gar keine Zeit. Ich komme, sobald Sie genesen sind.« – »Ich stimme gern bei.« – »Sie werden die Güte haben, es mich wissen zu lassen, Señorita?« – »Gewiß.« – »Ich danke! Dann komme ich auf den Flügeln der Liebe herbeigeeilt, um Ihnen zu Ihrer Genesung freudigst zu gratulieren. Gute Nacht, Emilia.«
Der Major ging. Diese Unterredung hatte Gerard sehr viel Spaß gegeben. Er zögerte einzutreten, da der Major ja unter irgendeinem Vorwand oder aus irgendeiner Ursache zurückkehren konnte. Da aber öffnete Emilia selbst die Tür und fragte in das dunkle Zimmer hinein: »Bist du da?« – »Ja.« – »Ah, du hast gelauscht?« – »Natürlich. War es etwa unrecht von mir, boshafte Emilia?« – »Wahrhaftig, dieser Mensch hat gehorcht!« lachte sie. »Denkst du, du bist im Urwald, wo es gilt, verdächtige Leute zu beschleichen?« – »Pah, das war keine Urwaldszene! Aber, mit Respekt gesagt, dieser Major scheint mir ein großer Esel zu sein. Es war dir die Malice ja anzuhören.« – »Die Liebe macht blind und taub, mein Guter.« – »Hat er dir heute etwas erzählt?« – »Nein!« – »O weh! Gerade da ich hier bin, um vieles zu erfahren!« – »Ich sah mich ja zur Einsilbigkeit gezwungen und durfte nicht so viel sprechen, wie nötig gewesen wäre, ihn auszuhorchen. Übrigens dachte ich, daß du selbst finden würdest, was du brauchst« – »Zum Glück ist es gelungen.« – »Ah, du hast etwas entdeckt?« – »Ja, sehr viel.«
Emilia setzte sich neben ihn auf den Diwan und blickte ihn erwartungsvoll an.
»Zunächst mußt du wissen, daß die Kompanie bereits nach Fort Guadeloupe abgegangen ist«, sagte er. – »Davon weiß ich kein Wort. Wann?« – »Heute beim Morgengrauen.« – »So ist das tiefste Geheimnis dabei bewahrt worden. Aber ich denke, daß der Kapitän gesagt hat, der Major soll nichts davon erfahren?« – »Er kennt auch wirklich den Ort nicht, wohin die Leute marschieren sollen.« – »Woraus schließt du das?« – »Ich habe nur eine kurze Bemerkung darüber vorgefunden. Sie lautet: Zweite Kompanie heute früh vor Tag abmarschiert auf Rekognoszierung.« – »Das ist bedenklich. Das ist sogar schlimm!« – »Warum?« – »Die Leute haben nun einen Vorsprung von einem vollen Tag vor dir.« – »Das ficht mich wenig an. Ich werde sie sicher einholen. Sie können die Pferde nicht so wechseln wie ich, und sie können ebensowenig so galoppieren wie ich. Eine Kompanie braucht Platz, sie kann nicht jede beliebige Richtung und jeden beliebigen Weg wählen, ich aber reite geradeaus durch dick und dünn.« – »Wer hätte dies früher in dem schwerfälligen Schmied gesucht!« – »Hm! Man muß etwas lernen, und das Schicksal nimmt den Menschen in die Schule!« – »Aber dennoch kann die Kompanie nur zur Rekognoszierung ausgeritten sein.« – »Inwiefern?« – »Du hättest ihnen begegnen müssen.« – »Dies ist nicht der Fall. Ich hörte von dem Kapitän, daß sie am linken Ufer des Rio Conchas hinabreiten würde; ich bin daher am rechten Ufer heraufgekommen, um nicht von diesen Leuten bemerkt zu werden. Diese Angelegenheit befindet sich ganz in Ordnung.« – »Was hast du noch erfahren?« – »Daß der Kommandant bereits von den dreißig Millionen weiß, die der Präsident der Union unserem Juarez zugesagt hat.« – »Das bringt uns fürs erste doch in keine naheliegende Gefahr!« – »O doch, denn er weiß, daß ein Teil dieses Geldes unterwegs ist. Morgen gehen zwei Kompanien nach der Grenze des Llano estacado ab, um diesen Transport aufzufangen.« – »O weh! Werden sie ihn bekommen?« – »Nein. Ich werde dafür sorgen, daß wir sie bekommen.« – »Wenn ihr sie findet!« – »Keine Sorge! Ich kenne die Marschroute; ich habe sogar Einsicht in ihre Karten und Pläne genommen. Es würde auch gelingen, wenn ich es nicht erfahren hätte.« – »Diese Franzosen vergessen, daß Juarez sich noch lange nicht am Ende seiner Macht befindet, halb Mexiko wartet nur auf seinen Ruf, um aufzustehen.« – »Und das soll in kurzer Zeit geschehen, darauf kannst du dich verlassen. Aber nun bin ich hier fertig, ich muß aufbrechen.« – »Schon?« fragte Emilia erschrocken. Und ihn an sich pressend, fügte sie hinzu. »Warte nur noch eine Stunde. Ich bekomme dich ja so selten zu sehen.« – »Unmöglich, die Pflicht ruft, und du sagst ja selbst, daß der Feind einen Vorsprung von einer Tagereise hat. Ich darf keine Minute versäumen.« – »Gut, ich sehe es ein. Wenn wir die Feinde baldigst vertreiben, wird auch die Zeit kommen, in der ich dich öfter sehe. Aber wenigstens so lange kannst du noch warten, bis ich dir einen Vorrat von Proviant eingepackt habe.« – »Ich danke dir; ich brauche nichts. Ich muß so leicht wie möglich sein und bekomme auf jeder Hazienda, was ich brauche. Ich kann nicht warten.«
Gerard erhob sich und stand auf. Sie standen einander gegenüber, eins so hoch und stolz wie das andere, er ein Bild männlicher Kraft und sie ein Beispiel weiblicher Schönheit.
»O Gerard, warum haben wir uns nicht in Paris geliebt?« klagte sie. – »Es wäre unser Unglück gewesen«, antwortete er, »wir wären elend geworden. Aber meine Zeit ist da. Lebe wohl, Emilia!« – »Lebe wohl!«
Sie umschlang ihn und drückte ihn an sich. Ihre Lippen legten sich so fest auf seinen Mund, als ob sie nicht wieder von ihm lassen könnte. Dann bat sie:
»Denke an mich, Gerard!« – »Gewiß, Emilia.« – »Sehr oft?« – »Sehr!« – »Und schone dich! Ich würde vor Gram sterben, wenn ich erführe, daß du deinen schweren Aufgaben erlegen bist. Wann kommst du wieder?« – »Das weiß ich nicht, denke aber, so bald wie möglich. Also gute Nacht!«
Er verließ das Zimmer auf demselben Weg, den er gekommen war, um sich von der alten Gärtnerin, die ihn zu empfangen pflegte, gegen die Mönchskutte sein Gewehr wieder einzutauschen. Er ahnte nicht, daß er einer schweren Gefahr geradezu in die Hände lief.
7. Kapitel
Vorhin, als Gerard sich durch die Vorpostenkette geschlichen hatte, war er sehr nahe an einem der Posten vorübergekommen. Dieser hatte ein leises Geräusch gehört und dann gelauscht, ohne etwas Weiteres zu vernehmen.
»Fast war es, als ob jemand hier vorübergegangen wäre«, sagte der Posten zu sich. »Es wird wohl irgendein Tier gewesen sein.«
Er schritt leise auf und ab, und nach einiger Zeit kam ihm die Lust, eine Zigarette zu rauchen. Die Franzosen befanden sich ja im Land der Zigaretten; sie selbst sind zudem große Liebhaber dieses Genusses und gaben sich demselben ohne Ausnahme hin. Selbst wenn ein Posten einmal rauchte, wurde gern ein Auge zugedrückt. Der Mann zog also eine Zigarette und Feuerzeug hervor. Da, beim Schein des Hölzchens war es ihm, als ob in dem zu einem Graben aufgeworfenen Land einige tiefe Fußspuren seien. Er bückte sich und leuchtete hin.
»Ah, richtig«, murmelte er. »Diese Spuren sind noch ganz frisch. Der Kerl ist hier vorübergekommen. Wer mag es gewesen sein?«
Er brannte nacheinander mehrere Zündhölzer an und sah nun ganz deutlich die Richtung, die der Mann genommen hatte.
»Dieser Kerl hat sich zwischen uns hindurch und in die Stadt geschlichen«, brummte er. »Er hat also etwas Gefährliches vorgehabt, und ich muß diese Geschichte sogleich melden.«
Er rief den nächsten Posten an und teilte ihm mit, was er bemerkt hatte. Diese Meldung ging von Mann zu Mann bis zu dem Offizier, der sie sofort dem Kommandanten übermittelte. Dieser nahm die Sache ernst, er kommandierte hier auf dem äußersten Posten der französischen Machtentfaltung und begab sich daher sofort unter gehöriger Bedeckung an Ort und Stelle, um seine Maßregeln zu treffen.
»Erzähle!« gebot er dem Soldaten. – »Ich hörte ein Geräusch —« begann dieser. – »Und riefst nicht an?« unterbrach ihn der Kommandant – »Es war nur so leise wie von einer Maus, ich konnte nicht denken, daß es von einem Menschen hergerührt habe«, entschuldigte sich der Mann. – »Und dann?« – »Dann kam mir doch der Gedanke, einmal nachzusehen. Der Boden ist hier weich. War es ein Mensch gewesen, so hatte er sicherlich Spuren hinterlassen. Ich zündete ein Hölzchen an und fand die Fährte!« – »Gut! Deine anfängliche Nachlässigkeit soll dir verziehen sein, weil du sie wiedergutgemacht hast. Brenne die Laternen an.«
Dies geschah, und nun konnte man die ganze Fährte bis dahin verfolgen, wo sie auf festem Boden verlief.
»Der Kerl ist in der Stadt, aber noch nicht wieder heraus«, sagte der Kommandant. »Wo es ihm gelungen ist, hineinzukommen, wird er auch wieder herauszukommen versuchen. Ihr bleibt alle hier. Sobald er kommt, ergreift ihr ihn, ohne ihn vorher anzurufen. Aber legt euch auf die Erde nieder, die Leute dieser Gegend sind erfahrene Kerle. Wenn er kommt und ihr steht, könnte er euch sehen. Ich werde unterdessen den übrigen Außenposten die größte Vorsicht anbefehlen.«
Er ging. Es waren fünfzehn Mann, die er zurückgelassen hatte, alle bewaffnet, also mehr als genug, um einen einzigen zu ergreifen, der noch dazu ahnungslos in die Falle lief.
Die Soldaten lagen lautlos an der Erde und warteten. Stunde um Stunde verging. Schon glaubten sie, daß der, den sie erwarteten, die Stadt gar nicht verlassen werde oder sie bereits an einer anderen Stelle verlassen habe; da ließ sich ein leises Geräusch hören, als ob Erdbrocken von einer Stiefelsohle geschleudert würden.
»Er kommt. Aufgepaßt!« flüsterte der Anführer.
Im nächsten Augenblick sahen sie eine Gestalt, die leise und vorsichtig vorüber wollte; in demselben Moment aber lag diese Gestalt auch bereits an der Erde, und dreißig Fäuste waren bemüht, sie festzuhalten.
»Donnerwetter«, sagte der Mann in französischer Sprache, »was wollt ihr denn von mir?« – »Dich selbst«, antwortete der Anführer. – »Ah, seht zu, ob ihr mich bekommt.«
Er machte eine gewaltige Anstrengung loszukommen, aber es gelang nicht; es waren zu viele, die auf ihm lagen.
Gerard, denn dieser war es natürlich, sah ein, daß er sich fügen müsse. Die Waffen wollte er nicht gebrauchen, da dies seine spätere Lage nur verschlimmern konnte. Ging er freiwillig mit, so war noch alles zu hoffen. Übrigens war es dunkel, er konnte seine Gegner nicht zählen, und es schien ihm die Anzahl weit höher, als sie eigentlich war. Darum sagte er:
»So laßt doch ab, ihr Leute. Ich will ja gar nicht fliehen. Ich habe gar keine Veranlassung, mich vor euch zu verbergen.« – »Oho«, entgegnete der Anführer. »Soeben sagtest du noch, wir sollten zusehen, ob wir dich bekommen würden. Brennt die Laternen an und leuchtet her!«
Es wurde Licht gemacht, und nun besahen die Franzosen sich den Mann.
»Ah, er ist bewaffnet. Nehmt ihm die Waffen ab und bindet ihn.«
Einer der Soldaten nahm Gerards Gürtel ab und schnallte dem Gefangenen damit beide Hände an den Leib, glaubend, daß diese Maßregel genüge.
Aber ein erfahrener Präriejäger weiß jeden Umstand zu benutzen. Als man ihm den Gürtel um den Leib und die Arme legte, preßte er dieselben nicht etwa fest an, sondern er hielt sie möglichst weit ab, so daß die Fessel nicht ganz schloß. Zudem hatte man, um seiner Hände sicher zu sein, den Gürtel nicht um die Brust und die Oberarme, sondern um die Unterarme gelegt so daß es Gerard leichter wurde, die Arme zu bewegen. Bereits als er von der Erde aufstehen mußte, fühlte er, daß es ihm vielleicht mit einem angestrengten Ruck gelingen würde, den rechten Arm aus dem Gürtel zu reißen, und dann ging der linke ja von selbst heraus.
»Wer bist du?« fragte der Anführer ihn verhören. – »Ein Vaquero«, antwortete er. – »Du siehst nicht so aus. Woher?« – »Von Chiricote.«
Chiricote liegt nur wenige Stunden von Chihuahua entfernt
»Was wolltest du in der Stadt?« – »Meine Braut besuchen.« – »Warum kamst du nicht auf dem richtigen Weg?« – »Bist du nicht auch verstohlen zu deinem Mädchen gegangen?« – »Kerl, nenne mich nicht du, sonst bekommst du meinen Kolben zu kosten.« – »Ich nenne einen jeden ganz so, wie er mich nennt« – »Aber ich bin ein Soldat des Kaisers! Übrigens sprichst du ein verteufelt gutes Pariser Französisch. Wie kommt das?« – »Sehr einfach, weil ich Pariser bin.« – »Und Vaquero in Chiricote? Das kommt mir verdächtig vor. Der Herr Kommandant mag sehen, was er aus dir machen kann. Vorwärts!« – »Ja, zum Kommandanten, denn ich glaube selbst, daß du nichts aus mir machen kannst«, antwortete Gerard. – »Hund!«
Der Soldat holte mit dem Kolben aus; da aber trat Gerard einen Schritt auf ihn zu und rief:
»Wage es, zu schlagen oder zu stoßen, so soll dich der Teufel holen!« – »Ah, Mann, du scheinst mir kein gewöhnlicher Vaquero zu sein!« – »Möglich!« – »Gut, wir bringen dich zur Wache, da soll es sich zeigen. Vorwärts!«
Der Marsch begann. Es war dunkel, und wenn es Gerard gelang, einen Arm freizubekommen, so war es möglich, zu entspringen, aber er hätte seine Waffen zurücklassen müssen, und diese waren ihm ans Herz gewachsen. Seine alte Doppelbüchse hatte ihn lange Jahre begleitet, sie hatte ihn ernährt und beschützt. Sollte er sie aufgeben? Nein. Der Präriemann hält auf seine Büchse ebensoviel, wie auf sich selbst. Gerard ließ sich also fortführen, ohne einen Fluchtversuch zu machen. Er hoffte, daß sich schon irgendein Ausweg finden lassen werde.
Man erreichte die Stadt. Das Hauptquartier war in dem Haus aufgeschlagen, das wir in Deutschland Rathaus nennen würden, und dort wohnte auch der Kommandant, der die erste Etage innehatte, deren Fenster hell erleuchtet waren, denn es wurde dort die Tertullia abgehalten, an der auch Emilia hatte teilnehmen wollen.
Gerard wurde zunächst in das Wachlokal geführt, das im Parterre lag. Dort saßen mehrere Unteroffiziere bei der Flasche und bei ihnen eine französische Marketenderin.
Wäre Gerard nicht von der Mannschaft zur Tür hineingestoßen worden, so wäre er auf der Schwelle stehengeblieben, und zwar vor Erstaunen, denn diese Marketenderin war keine andere als Mignon, seine einstige Geliebte!
Also so weit war es mit ihr gekommen. Nicht allein daß sie ihn verraten und betrogen, daß sie ihn um sein Geld gebracht und sich an einen Vornehmen gehängt hatte, jetzt war sie auch nach Mexiko mitgegangen, und zwar als Soldatenliebchen, das ein jeder küssen kann!
»Habt ihr ihn?« fragte der Korporal der Wache. – »Ja, hier!« antwortete der Sergeant. »Er ist ein Vaquero aus Chiricote, wie er sagt, mir aber scheint, daß etwas ganz anderes in dieser Bluse steckt.«
Da stand die Marketenderin von der Seite dessen, bei dem sie saß, auf, faßte den Gefangenen noch einmal scharf ins Auge und rief:
»Ein Vaquero? Ein Vaquero? Laßt euch nicht betrügen! Das ist Gerard, der Schmied aus Paris!« – »Gerard? Der Schmied? Aus Paris?« fragte er rundum. – »Ja, er war Garotteur«, antwortete sie. – »Garotteur?« fragte der Sergeant »Alle Teufel, das soll ihm gefährlich werden. Daß er ein Pariser ist, hat er eingestanden. Nun, wie steht es, Freundchen, he? Ist es wahr, was diese Mademoiselle sagt?«
Diese letztere Frage war an Gerard gerichtet, der, seit er das Mädchen erkannt, keinen Blick wieder auf dasselbe geworfen hatte. Jetzt antwortete er:
»Hat das, was eine Metze sagt, bei euch Gewicht?« – »Eine Metze?« rief die Marketenderin. »Mensch, ich kratze dir die Augen aus!«
Sie wollte auf Gerard eindringen, aber der Sergeant hielt sie davon ab.
»Halt!« sagte er. »Wer dich beleidigt, der beleidigt auch uns. Er soll es büßen. Vor allen Dingen muß ich dem Kommandanten Meldung machen.«
Und schon wollte er gehen, da erschien ein Leutnant unter der Tür. Gerard erkannte in ihm denjenigen, den er im Wald mit dem Kapitän belauscht hatte.
»Was ist das für ein Lärm? Was geht hier vor?« fragte der Offizier.
Die Soldaten salutierten, und der Sergeant antwortete:
»Hier ist ein Gefangener, der sich in die Stadt und dann wieder herausgeschlichen hat.« – »Ah, der, welcher vor drei Stunden gemeldet wurde?« —. »Zu Befehl!«
Der Leutnant faßte den Gefangenen scharf in das Auge.
»Wer ist er?« fragte er. – »Er gibt sich für einen Vaquero aus Chiricote aus, die Marketenderin aber sagt daß er ein Schmied aus Paris sei. Er hat sich sehr renitent gezeigt.« – »Auch noch renitent? Das verschlimmert seine Lage. Wie heißt er?« – »Gerard.«
Da trat der Offizier einen Schritt zurück und rief:
»Gerard? Kerle, wißt ihr, wen ihr vielleicht gefangen habt?«
Und als aller Augen fragend auf ihn gerichtet waren, fuhr er fort:
»Dieser Mann ist vielleicht der Schwarze Gerard, der uns so viel zu schaffen machte.« – »Der Schwarze Gerard!« rief es rundum im Kreis.
Der Offizier aber winkte Ruhe und fragte den Gefangenen:
»Habe ich recht vermutet? Habe ich es richtig getroffen? Antworte!«
Da regte sich ein Gefühl des Stolzes in Gerard. Sollte er eine Lüge sagen und seinen berühmten Namen verleugnen? Nein. Aber sollte er es eingestehen und damit seine Lage verschlimmern? Das ging auch nicht. Er wollte erst sehen, wie ihn der Kommandant empfangen werde; darum zuckte er die Achseln und antwortete:
»Untersuchen Sie es, Leutnant.« – »Man sagt ›Herr‹ Leutnant! Verstanden?« fuhr ihn der Offizier an. »Es ist übrigens egal, ob du eingestehst oder nicht; denn ich werde sogleich wissen, woran ich bin. Man sagt, die berühmte Büchse des Schwarzen Gerard habe einen Kolben, der mit Gold ausgegossen und mit Blei überzogen sei, und daß er mit ihr stets tödliche Hiebe austeilt, da der Kolben sehr schwer ist. Habt ihr ihm diese Waffe abgenommen?« – »Ja. Hier ist sie«, antwortete der Sergeant. – »Nehmt ein Messer. Das Blei ist weich. Seht, ob Gold darunter steckt.«
Jetzt sah sich Gerard verraten. Das, was man sich von seiner Büchse erzählte, war Tatsache. Dieser Kolben diente ihm nicht nur als Waffe, sondern zugleich als Börse. Er hatte sich das Gold von jener Ader geholt und brauchte, wenn er eine plötzliche Ausgabe hatte, nur einen Schnitt in den Kolben zu tun, um bezahlen zu können. Dadurch war dieser bekannt geworden.
»Ah, Teufel, darum also war das Gewehr so schwer«, meinte der Sergeant.
Damit zog er sein Messer hervor und schnitt an einer Stelle das Blei herab. Sofort kam das schimmernde Gold zum Vorschein.
»Hier ist Gold, reines Gold!« rief der Unteroffizier. – »So ist er es!« entgegnete der Leutnant frohlockend. »Ich selbst werde zum Kommandanten gehen, um ihm diese höchst wichtige Meldung zu machen.«
Er ging. Die Zurückbleibenden betrachteten den Gefangenen jetzt mit furchtsamer Scheu. Es herrschte vollständige Stille in dem Wachtlokal, diejenige Stille, die ein bedeutender Charakter so leicht hervorzubringen pflegt.
Selbst die Marketenderin schwieg. Ihr einstiger Geliebter war ein berühmter und gefürchteter Waldläufer geworden, das beschäftigte ihre Gedanken so, daß sie das Reden vergaß, obgleich sie das Wort nicht vergessen konnte, das er gesprochen hatte.
Der Leutnant war mit raschen Schritten zum Kommandanten hinaufgegangen. Droben im Saal war eine große Anzahl Herren und Damen versammelt. Die Damen waren lauter Mexikanerinnen, die Herren aber Mexikaner und französische Offiziere.
Unter den Eingeborenen mochte manches Herz sein, das Juarez treu ergeben war und die fremden Eindringlinge glühend haßte; aber diese Regungen mußten hier verborgen bleiben und durften sich durch keinen Blick verraten.
Gerade, als der Leutnant erschien, war eine Pause in der allgemeinen Unterhaltung eingetreten, daher kam es, daß aller Augen sich auf ihn richteten.
Man sah es ihm ganz deutlich an, daß er irgendeine wichtige Nachricht bringe. Auch der Kommandant bemerkte dies und rief ihm daher fragend entgegen:
»So aufgeregt, Leutnant! Was bringen Sie?« – »Eine höchst wichtige und erfreuliche Meldung«, antwortete der Gefragte. – »Also dienstlich?« – »Zu Befehl.« – »Ist sie unter vier Augen zu geben oder nicht?« – »Ah, ich glaube, daß sämtliche Herrschaften sich darüber freuen werden.« – »Nun, wenn es sich nicht um ein Geheimnis handelt, so reden Sie!«
Da stellte sich der Leutnant in dienstliche Positur, salutierte und sagte dann:
»Gebe mir die Ehre, gehorsamst zu melden, daß wir den Schwarzen Gerard gefangen haben.«
Sofort sprang der Kommandant auf und mit ihm alle anderen ohne Ausnahme.
»Den Schwarzen Gerard! Ist‘s möglich?« rief er erfreut. – »Gewiß, er ist‘s!«
Dieses Wort brachte eine allgemeine Aufregung hervor. Die Franzosen waren entzückt, den gefährlichen Feind in ihre Hand bekommen zu haben, während diese Nachricht die Mexikaner ganz gegenteilig berührte. War dieser berühmte Parteigänger wirklich gefangen, so hatte die Sache des Vaterlandes und des Präsidenten Juarez einen großen Verlust erlitten. Alle aber waren sie einig in der Begierde, den gefürchteten Mann zu sehen; darum lauschten sie aufmerksam auf die Worte, die zwischen dem Kommandanten und dem Leutnant gewechselt wurden.
»Wo ist er?« fragte der erstere. – »Unten im Wachlokal«, antwortete der letztere. – »Wo hat man ihn ergriffen?« – »Draußen bei den Vorposten, er hatte sich in die Stadt geschlichen.« – »Alle Teufel! So war es wohl jener Kerl, der mir gemeldet wurde?« – »Zu Befehl, ganz derselbe.« – »Hat er eingestanden, wer er ist?« – »Nein. Er gab sich für einen Vaquero aus Chiricote aus.« – »Wer hat ihn erkannt?« – »Eigentlich ich. Die Marketenderin erkannte in ihm einen Schmied aus Paris, namens Gerard, dies machte mich aufmerksam, da der Mann einen dichten, schwarzen Vollbart trägt. Ich fragte ihn, und er antwortete ausweichend. Da ließ ich seine Büchse untersuchen, und …« – »Ah, ja! Sie soll ja einen Kolben von gediegenem Gold haben!« – »Das mit Blei überzogen ist. Ich ließ das Blei entfernen, und richtig kam das gediegene Gold zum Vorschein.« – »So ist er es! Lassen Sie ihn sofort in meine Privatwohnung bringen!«
Schon wollte sich der Leutnant entfernen, da blickten sich die Versammelten untereinander an, und eine Dame, die sich der Gunst des Kommandanten rühmen mochte, wandte sich an diesen mit der Bitte:
»Monsieur, das werden Sie uns doch nicht antun! Wir alle brennen vor Begierde, diesen Mann zu sehen. Werden Sie so unritterlich sein, den anwesenden Damen ihre Bitte abzuschlagen?«
Der Kommandant überlegte einen Augenblick. Es schmeichelte ihm, der Gesellschaft einen Gefangenen vorführen zu können, und daher gebot er:
»Gut, bringen Sie ihn hierher, Leutnant. Bringen Sie auch seine Waffe mit. Wir müssen uns diese berühmte Büchse einmal genau ansehen.«
Der Leutnant entfernte sich, und nach einer Pause todesstiller Erwartung trat er mit dem Jäger ein, von einem Piquet bewaffneter Soldaten begleitet. Er hatte geglaubt, diese Vorsicht nicht unterlassen zu dürfen.
Alle Blicke richteten sich auf den Gefangenen. Er war nicht in die mexikanische, theatralische Tracht gekleidet, er trug nur einen alten, blutbefleckten Anzug, aber seine Gestalt machte doch einen bedeutenden Eindruck. Besonders imponierten die furchtlosen Augen, deren Blick ruhig die Gesellschaft musterte.
8. Kapitel
Gerard fühlte sich keineswegs beängstigt. Eben als er die Wachtstube verlassen hatte, waren Reiter angekommen, die ihre Pferde draußen angehängt hatten und dann eingetreten waren, hier oben aber hatte man des lauen Abends wegen alle Fenster geöffnet. Der Leutnant trug die Büchse, die Revolver und das Messer des Gefangenen in den Händen.
»Tritt hierher zu mir!« gebot der Kommandant.
Gerard machte keine Miene, diesem Befehl Gehorsam zu leisten.
»Hierher, habe ich gesagt!«
Der Kommandant zeigte mit dem Finger auf die Stelle, wohin sich der Gefangene zu verfügen habe. Als aber dieser auch jetzt nicht gehorchte, gab ihm der Leutnant einen kräftigen Stoß. Da drehte sich Gerard blitzschnell nach ihm um, erhob das Bein und trat ihn mit dem Fuß so kraftvoll auf die Magengegend, daß er zurücktaumelte, zu Boden stürzte und die Waffen, die er getragen hatte, weit fortflogen.
»Ich werde euch lehren, die Schwarzen Gerard mit Stößen zu traktieren!«
Dieser Vorfall und diese Worte des Gefangenen brachten eine ungeheure Bestürzung hervor. Die Franzosen sahen einen ihrer Kameraden beschimpft, und die Mexikaner hatten nun die Überzeugung, daß der kühne Mann verloren sei. Die Damen aber waren hingerissen von Bewunderung über die Verwegenheit eines Mannes, der in Fesseln und mitten unter seinen Feinden in dieser Weise aufzutreten wagte.
Die Offiziere ließen grimmige Worte hören, und der Leutnant wollte sich auf Gerard werfen, aber der Kommandant gebot Ruhe.
»Übergehen wir diesen Akt der Roheit«, sagte er, »die Strafe wird nicht lange auf sich warten lassen; ich verspreche, daß er dafür blutig gepeitscht werden soll!« Und sich an Gerard wendend, fragte en »Ich gebot dir näher zutreten. Warum gehorchst du nicht?«
Der Gefragte blickte ihn finster und furchtlos an und antwortete:
»Ich bin kein Söldling in Ihren Diensten, sondern ein Savannenmann, dem Achtung gebührt. Man pflegt mich ›Sie‹ zu nennen, und ich werde nicht eher eine Antwort geben, als bis Sie diese Höflichkeit befolgen.«
Der Kommandant lächelte überlegen und antwortete höhnisch:
»Ich pflege Menschen, die Fußtritte austeilen, nur ›du‹ zu nennen.« – »Das ist mir gleichgültig, Monsieur. Man hat die Gepflogenheiten desjenigen Landes zu befolgen, in dem man sich befindet. Die anwesenden Señores und Señoritas werden mir zugeben, daß die Nation der Mexikaner eine höfliche und ritterliche ist. Ein tüchtiger Präriemann steht an Erfahrung, Fertigkeit und Gewandtheit jedenfalls nicht tiefer als ein Offizier; ich habe das bewiesen. Man hat mich bereits vorher mit dem Kolben bedroht, und jetzt geht man zu wirklichen Stößen über; es war meine Pflicht, Ihren Leutnant zu belehren, daß man sich in Gegenwart mexikanischer Damen besser zu benehmen hat.«
Die Blicke dieser Damen richteten sich voll Bewunderung auf den kühnen Sprecher. Die Offiziere aber ließen ein zorniges Gemurmel hören, bis der Kommandant ihnen Schweigen winkte und zu dem Gefangenen sagte:
»Ich könnte mit meinem ›du‹ ruhig fortfahren und das Schweigen auf meine Fragen als Eingeständnis nehmen; aber unsere Damen werden neugierig sein, Sie weiter sprechen zu hören, und darum werde ich Ihnen das ›Sie‹ geben, wonach Sie ein so sehnliches Verlangen tragen. Sie sind der Schwarze Gerard?« – »Ja.« – »Was hatten Sie in der Stadt zu tun?« – »Einen Besuch.« – »Bei wem?« – »Das ist mein Geheimnis.« – »Zu welchem Zweck?« – »Zum Zwecke der Verjagung unserer Feinde.« – »Ah! Wen verstehen Sie unter diesen Feinden?« – »Die Franzosen.« – »Man muß sagen, daß Sie sehr aufrichtig sind; fast möchte ich es frech nennen. Sie nennen die Franzosen Feinde und sind doch selbst Franzose.« – »Ich bin Franzose, aber doch kein Werkzeug des kaiserlichen Blutdurstes. Ich liebe Mexiko und seine Bewohner und wage gern mein Leben, um sie von der gegenwärtigen unrechtmäßigen Regierung zu befreien.«
Der Kommandant war ganz starr über diese Todesverachtung. Endlich sagte er:
»Ich teile Ihnen mit, daß ich Sie für verrückt halte. Sie werden zu dieser sogenannten Befreiung nichts mehr tun können, denn das, was Sie jetzt gesprochen haben, reicht vollständig hin, Ihr Urteil zu fällen. Sie werden diesen Saal nur verlassen, um sofort erschossen zu werden. Vorher aber sollen Sie für den Fußtritt so gepeitscht werden, daß Ihnen das Fleisch von den Knochen fliegt. Haben Sie etwas in betreff Ihres letzten Willens zu sagen?« – »Jetzt nicht. Ich bitte überhaupt, es mir ganz allein zu überlassen, welcher Wille mein letzter sein soll. Ein Präriemann pflegt in dieser Beziehung selbständig zu sein.« – »Sie sind wirklich wahnsinnig! Woher stammen Sie?« – »Aus Paris, woher ja so vieles Verrückte kommt.« – »Höhnen Sie nicht, sonst könnte das Urteil noch schwerer ausfallen! Haben Sie wirklich Verbindungen in dieser Stadt?« – »So viele, daß Ihnen Angst würde, wenn Sie es wüßten.« – »Man sagt, daß Sie mit Juarez befreundet seien?« – »Sehr!« – »Kennen Sie seine Pläne?« – »Seine und die Ihrigen.« – »Schneiden Sie nicht auf! Was wollen Sie von unseren Plänen wissen!« – »Alles; die Folge wird es zeigen!« – »Ich bin es satt, Ihre Großsprechereien anzuhören. Darum zu etwas anderem. Jene Waffen sind die Ihrigen?« – »Ja.« – »Zeigen Sie dieselben her, Leutnant!«
Der Genannte legte das Verlangte vor dem Kommandanten auf die Tafel. Dieser ergriff die Büchse und untersuchte den Kolben.
»Hier ist Gold. Woher haben Sie dasselbe?« – »Ich habe eine Goldader im Gebirge entdeckt.« – »Ah! Wollen Sie die Kenntnis derselben verkaufen?« – »Wozu? Ich denke Sie haben die Absicht, allerdings nur die Absicht, mich erschießen zu lassen?« – »Gewiß! Aber man könnte den Preis an Ihre etwaigen Verwandten zahlen.« – »Ich würde Ihnen den Ort nicht nennen, selbst wenn Sie mir den zehnfachen Wert der Ader böten. Kein braver Mexikaner würde dies tun.« – »Sie sind ein fürchterlicher Kerl! Haben Sie mit diesem Gewehr bereits Menschen getötet?« – »Ja. Jeder Präriemann muß dies tun, um sich der Feinde zu erwehren.« – »Sie nannten vorher auch uns Ihre Feinde. Haben Sie auch Franzosen getötet?« – »Ja.« – »Wie viele?« – »Ich zähle nur Hochwild, Franzosen niemals.« – »Sie antworten wirklich nicht wie ein Sterbender. Bedenken Sie, daß Sie am Rand des Grabes stehen! Wann haben Sie den letzten Franzosen getötet?« – »Gestern früh.« – »Ah! Alle Teufel!« brauste der Kommandant auf. »Sie sind nicht ein– oder zweimal, sondern zehnmal wahnsinnig. Bewiese mir diese Büchse nicht, wer Sie sind, so glaubte ich wirklich, in Ihnen einen unzurechnungsfähigen Menschen zu sehen, dem es eingefallen ist, mit uns ein wenig Komödie zu spielen, ohne zu bedenken, daß er dabei auch mit dem Tode spielt Wer war der Franzose?« – »Das werden Sie bald erfahren.« – »Wo töteten Sie ihn?« – »Das ist ihm nun gleichgültig, wie ich glaube.« – »Donnerwetter! Bedenken Sie, vor wem Sie stehen!« – »Vor einem Mann, den ich nicht fürchte!« – »Gut, ich sehe, Sie suchen aus irgendeinem Grund den Tod. Der soll Ihnen werden, aber anders als Sie denken, und nicht so bald, wie ich vorhin sagte. Es scheint, man kann von Ihnen viel erfahren, aber da ich nach Ihrem gegenwärtigen Verhalten voraussetze, daß Sie nicht gutwillig antworten werden, so werde ich Sie einer kleinen Tortur unterwerfen.« – »Was wollen Sie wissen?« – »Zunächst, wer Ihre hiesigen Bekannten sind.« – »Das werden Sie allerdings nichts erfahren.« – »Wir werden ja sehen!« lachte der Offizier grimmig. »Sodann werden Sie die Güte haben, mich über die Pläne Ihres Freundes Juarez zu unterrichten.« – »Pah, das ist überflüssig!« – »Wieso?« – »Weil Sie die Pläne ganz von selbst erfahren, sobald er sie ausgeführt hat«
Es war unmöglich zu beschreiben, welchen Eindruck das Verhalten des Jägers machte. Die Mexikaner lauschten fast atemlos auf jedes seiner Worte. Die Franzosen knirschten vor Grimm und schämten sich, daß ihr Kommandant sich in ein so unerhörtes Gespräch einließ. Dieser selbst aber fühlte bei der letzten Antwort einen solchen Zorn, daß er aufsprang und ausrief:
»Jetzt ist meine Geduld zu Ende! Ich habe hier mit Ihnen gesprochen, um Sie den anwesenden Herrschaften zu zeigen; nun aber werde ich auch zu zeigen haben, wie man einen solchen Burschen zähmt. Sie werden fünfzig Hiebe erhalten, fünfzig Hiebe bis auf die Knochen, und dann wieder vorgeführt werden!«
Gerard schüttelte verächtlich den Kopf und seine Augen funkelten.
»Ich habe Ihnen bereits vorhin bewiesen«, entgegnete er, »daß ich keine Hiebe oder Stöße dulde, weil ich dadurch entehrt würde!« – »Was geht mich Ihre Ehre an! Führt ihn ab!« – »Und was mich die Ihrige!« rief Gerard. »Ich werde Ihnen zeigen, wer Schläge bekommt und seine Ehre verliert!«
Im nächsten Augenblick fuhren seine Arme aus dem Gürtel, riß er dem Kommandanten die Epauletten von der Schulter und versetzte ihm einen Faustschlag, daß der Getroffene wie ein Klotz zu Boden stürzte. In demselben Moment hatte er aber auch, nach seinen Waffen greifend, bereits das Messer zwischen den Zähnen, die beiden Revolver in der Tasche und seine Büchse mit umgedrehtem Kolben in der Faust. Das alles geschah, ehe man ihn ergreifen konnte.
»Hier, schmeckt einmal mein Gold!«
Mit diesem Ruf stürzte er sich auf das Piquet, warf mit einem einzigen, fürchterlichen Kolbenschlag die Leute auseinander, sprang dann mitten zwischen ihnen hindurch nach dem nächsten der offenstehenden Fenster und verschwand mit dem Ruf: »Gute Nacht, Señoritas!«
Die Soldaten wälzten sich an der Erde; die Offiziere und alle anderen Anwesenden standen noch eine Weile wie erstarrt; dann aber brach ein Getümmel los, das jeder Beschreibung spottet.
»Hinaus! Hinunter! Ihm nach! Schnell!«
Mit diesen Rufen stürzten die Offiziere nach der Tür, und die Soldaten folgten ihnen. Kein einziger aber hatte gewagt, den Sprung durch das Fenster nachzumachen. Nur die Mexikaner blieben zurück, und einige von ihnen traten, während sich unten vor dem Haus ein wüstes Schreien und Rufen erhob, zu dem Kommandanten, um ihn zu untersuchen.
»Das war ein Hieb! Er ist tot!« sagte einer. – »Nein, er ist nur betäubt«, meinte ein zweiter. »Legen wir ihn auf das Sofa!«
Einige der Damen waren in Ohnmacht gefallen; andere standen ihnen bei, sich leise ihre bewundernden Bemerkungen über Gerard mitteilend, und noch andere eilten an das Fenster, um zu sehen, ob der verwegene Mann zu ihrer Freude entkommen oder zu ihrer Trauer wieder festgenommen werde.
Sie brauchten keine Sorge zu haben. Gerard war ein guter Springer; er hatte den Boden glücklich erreicht und den Zügel des nächsten der untenstehenden Pferde losgerissen. Mit einem raschen Satz saß er auf und ritt davon, so schnell, daß er bereits die nächste Straße erreicht hatte, ehe der erste seiner Verfolger nur an der Treppe angelangt war.
Jetzt galt es, aus der Stadt und durch die Vorposten zu entkommen. Mit dem Pferd schien ihm dies nicht schwer zu sein.
Chihuahua ist eine offene Stadt; eine Mauer hemmte ihn also nicht. Er stürmte die Straße dahin. Am Ausgang derselben stand ein Posten. Ehe dieser fragen und das Gewehr vorhalten konnte, war der Reiter bereits an ihm vorbei. Aber der Posten kannte seine Pflicht Er schoß ein Gewehr ab, um das Alarmzeichen zu geben, und bald ertönten draußen auf dem Feld laute Zurufe.
»Halt! Wer da!« rief es Gerard entgegen.
Er antwortete nicht, dann blitzten mehrere Schüsse hart vor ihm auf, und er bemerkte sofort, daß sein Pferd getroffen sei. Er gab ihm also die Fersen und stürmte weiter. Bei jedem Sprung aber wurde es matter. Schreien, Rufen und Schüsse hinter sich, vor sich das freie Feld, legte Gerard noch eine Strecke zurück, dann zügelte er das Pferd, um, wenn es im Galopp zusammenbrach, nicht mit ihm einen unglücklichen Sturz zu tun. Es blieb taumelnd stehen; nun sprang er ab und eilte zu Fuß weiter.
Er kannte die Gegend genau; er konnte daher den Ort, wo er bei seiner Ankunft sein Pferd versteckt hatte, nicht verfehlen. Die Hauptsache war nur, daß man es nicht durch irgendeinen Zufall entdeckt hatte.
So eilte er weiter. Er erreichte den Wald, drang in denselben ein und fand das Tier, das ihn durch freudiges Schnauben begrüßte. Er band es los, führte es unter den Bäumen hervor und stieg auf. Erst nun fühlte er sich vollständig sicher, und erst jetzt holte er tief Atem. Er warf die Büchse über die Schulter, zog die Revolver aus der Tasche, um sie in den Gürtel zu stecken, und lachte:
»Ah, das war ein Hauptstreich! Sie werden an den Schwarzen Gerard denken! Nun mögen sie kommen, um mich zu fangen. Ich möchte nur wissen, was Emilia denkt, wenn sie es hört! Ich, ein zehnmal Verrückter! Ha, ich wußte recht wohl, was ich tat, obgleich ich sehr viel wagte!«
Er wandte sein Pferd nach Norden und ritt davon, erst im Trab, dann im Galopp, links die Orte San Carlos und Principe, rechts den Conchasfluß und vor sich die schmale Grasfläche, die zwischen dem Fluß und dem im Westen davon aufsteigenden Höhenzug liegt.
Sein Pferd hatte sich ausgeruht und trug ihn in unverminderter Eile davon. Man glaubt gar nicht, was ein solches Pferd, im Freien geboren und halb wild stets im Freien lebend, zu leisten vermag. Der Morgen war noch nicht lange hereingebrochen, so hatte er schon eine so große Strecke zurückgelegt, daß der Ort Aquanuova ihm zur Linken lag.
Von jetzt an, nun es hell geworden war, konnte er dem Grasboden, auf dem er ritt, seine Aufmerksamkeit schenken, und so fand er bald die Spur, die die gestern früh von Chihuahua fortgerittene Kompanie hinterlassen hatte. Sie war ganz deutlich zu erkennen.
»Dumme Menschen!« sagte er. »Da reiten sie durch Indianerland und lassen eine wahrhaft straßenbreite Fährte zurück, die noch einen Tag später in dieser Deutlichkeit zu erkennen ist. Der Anführer verdient Ohrfeigen.«
Kurz nach Mittag erblickte er eine Pferdeherde. Er band den Lasso los, machte Jagd auf sie und hatte in Zeit von zehn Minuten ein frisches Pferd unter sich, mit dem er den Weg fortsetzte.
Am späten Abend erblickte er da, wo der Fluß nach rechts umbiegt, eine Menge hellbrennender Wachtfeuer, die die ganze Gegend erleuchteten.
»Echt französische Leichtfertigkeit!« murmelte er. »Und das will es mit uns und den Apachen aufnehmen. Ungefährlichere Feinde können wir uns gar nicht wünschen!«
Er ritt einen weiten Bogen, um nicht bemerkt zu werden, und als der Feuerschein weit hinter ihm lag, bog er wieder nach Osten ein, so daß er ungefähr um Mitternacht die Mündung des Conchas in den Rio Grande erreichte. Nachdem er diesen überschritten, befand er sich auf dem Gebiet der Mescaleros-Apachen.
Dort setzte er sich in das Gras, um sein Pferd ein wenig ruhen zu lassen, und dachte dabei an sein letztes Abenteuer und an sein Zusammensein mit Resedilla.
»Wann war ich doch bei ihr?« fragte er sich. »Ah, es war am Montag. Am fünften Tag darauf sollten die Franzosen eintreffen, also Sonnabend. Morgen, Freitag abend, werde ich Fort Guadeloupe erreichen. Es bleibt mir demnach eine volle Nacht, um mich nach diesem fürchterlichen Ritt auszuruhen. Wo werde ich das tun? Ah, wo sonst wohl als bei Vater Pirnero? Da erhält man ein Bett, und das ist doch etwas anderes als der harte Waldboden, nachdem man volle vier Tage und vier Nächte auf ungesattelten Pferden gesessen hat«
9. Kapitel
Am Spätnachmittag des Freitags saß der alte Pirnero an seinem Fenster und blickte hinaus auf die Gasse. Ein dichter, strömender Regen ging herab, Grund genug, einen Menschen in üble Laune zu versetzen. Und diese hatte der Händler und Schenkwirt in hohem Grade. Um ihr freien Lauf zu lassen, lauerte er nur auf seine Tochter, die hinausgegangen war, um ihm einen Krug Maisbier, das er selbst braute, zu holen.
Da kam sie herein, setzte ihm den Krug hin und begab sich an ihren gewohnten Platz, wo sie sich mit irgendeiner Nadelarbeit zu beschäftigen pflegte.
Der Alte tat einen tüchtigen Zug, setzte den Krug ab und sagte:
»Miserabler Regen!«
Wie gewöhnlich antwortete die Tochter nicht. Darum fuhr er bald fort:
»Gerade wie zum Ertrinken. Nicht wahr?«
Als auch jetzt keine Antwort erfolgte, wandte er sich ihr zu und fragte zornig:
»Wie? Sagtest du etwas? Habe ich etwa nicht recht?« – »O ja«, antwortete sie kurz. – »Gerade wie zum Ertrinken. Nicht wahr?« – »Ja.« – »Wenn ich nun draußen wäre und ertrinken müßte, da würdest du dir wohl nicht viel daraus machen, he?« – »Aber, Vater!« rief sie. – »Was denn? Ist so etwas vielleicht nicht möglich? Ich setze also den Fall, daß ich ertrinke, dann sitzt du da. Was fängst du an, he? Etwa die Wirtschaft fortführen? Ohne Mann? Das kann unmöglich gehen!«
Der Gedankengang des Vaters war ein zu komischer; Resedilla mußte lachen und erwiderte:
»Du wirst doch nicht hinausgehen und ertrinken, eigens nur um mir zu zeigen, daß ich einen Mann brauche?« – »Warum nicht? Ich bin durchaus dazu imstande! Ein guter Vater muß alles tun, um sein Kind zu Verstand zu bringen.« – »Haben das deine Eltern auch getan?« – »Jawohl, freilich. Mein Vater sowohl, als auch mein Großvater.« – »Sie sind ertrunken?« – »Unsinn! Mädchen, ich glaube gar, du willst mich foppen. Sie sind beide in der Ausübung ihres Berufes gestorben.« – »Oh, davon hast du noch gar nicht gesprochen.« – »Weil ich überhaupt nicht gern vom Tode rede, denn wenn ich sterbe, so bist du ein armer, lediger Wurm, der mich noch im Grab jammert. Was meinen Vater betrifft, hm, du weißt doch noch, was er gewesen ist?« – freilich. Schornsteinfeger.« – »Gut; so etwas darf man nicht vergessen, denn ein Stammbaum ist notwendig, um zu wissen, was es für eine Bewandtnis hat mit der Abstammung vom Vater auf die Tochter. Also mein Vater war Schornsteinfeger. Das ist ein durstiges Amt, besonders zur Zeit des Vogelschießens. Er geht also auf die Vogelwiese, denn er war montags beim Exerzieren Schützenfeldwebel, was die Mutter der Kompanie ist. Dort hat er ein wenig das getrunken, was wir hier Julep nennen, und als er spät nach Hause kommt, legt er sich mit der Schützenuniform ins Bett. Hörst du mich?« – »Ja, Vater.« – »Das will ich dir auch geraten haben. So eine Uniform ist eng, und davon kommen schlechte Träume. Es träumt also meinem Vater, daß er geholt wird, eine Esse zu kehren. Er steht auf und geht in die Küche, halb im Traum und halb im Julep. Er steigt auf den Herd und kriecht in die Esse. Wir hatten vorher geschlachtet und die Würste hineingehängt; also er kommt nicht weit hinauf, denn er stößt an die Würste. Er merkt, daß es da oben eng wird, aber er weiß nicht genau, ob ihm die Uniform oder die Esse zu eng wird, denn wer gehörig Julep trinkt, der kann sehr leicht eine Schützenuniform und eine Feueresse miteinander verwechseln, und der Wirt hat auch etwas daran verdient. Hörst du mich noch?« – »Freilich. Ich sitze ja hier.« – »Gut. Also die Esse wird zwar eng wegen der Würste, aber in seinem Pflichtgefühl schiebt mein Vater sich immer höher. Jetzt kommt er mit dem Kopf zwischen die Haken und Stäbe, aber die Schultern können nicht mit. Er will zurück und – spießt sich so einen Haken in die Kehle. Nun will er nach dem Hals greifen, um sich loszumachen, und läßt hüben und drüben los. Dabei verliert er den Halt; der Körper zieht sich hinab, und der Haken spießt sich noch tiefer ein. Am Morgen sehen wir, daß der Vater fehlt. Wir suchen lange vergebens und finden ihn endlich in der Küchenesse. Er hing mitten unter den Würsten. Ist das nicht ehrlich in der Ausübung des Berufes gestorben?«
Die Tochter antwortete nicht. Das, was sie gehört hatte, widerstrebte ihrem Gemüt.
»Nun?« fragte er ärgerlich. – »Ja.« – »Na endlich! Du hast wohl erst darüber nachdenken müssen, ob ein Schornsteinfeger in der Esse sterben darf? Und was den Großvater betrifft, so ist auch dieser in der Ausübung seines Berufes gestorben. Du weißt doch noch, was er war?« – »Gewiß.« – »Nun, was denn?« – »Er handelte mit Meerrettich.« – »Gut, er war also Meerrettichhändler. Das ist nicht etwa was Gewöhnliches! Bei uns in Pirna ist nämlich der Meerrettich der Anfang zu einem Besitztum in Mexiko; das hat meine Familie bewiesen. Hörst du mich?« – Ja.« – »Das will ich wissen! Also mein Großvater baute Meerrettich im Garten, und dabei hatte er ein tiefes Loch in die Erde gegraben. Der Meerrettich schmeckt zu Fleisch und Wurst, gekocht und gerieben, auf alle mögliche Weise; darum gibt es Leute, die ihn gern essen, auch wenn sie ihn nicht zu bezahlen brauchen. So war es auch bei uns. Oft stiegen des Nachts solche Kerle über den Zaun, um sich eine Portion zu holen; darum wachte mein Großvater zuweilen. Das Wachen aber strengt an, und nichts stärkt den Körper wieder, als das, was man hier Julep nennt. Darum trank mein Großvater gern ein Glas oder zwanzig, wenn Kirchweih war. Ich war damals noch ein kleiner Junge und lag noch nicht im Bett, sondern auf dem Kanapee, denn die Eltern waren auf den Kirchweihball gegangen und der Großvater mit. Da kommt am späten Abend der Großvater nach Hause und will wegen des Julep den Stiefelknecht anbrennen, statt der Lampe. Endlich bringt er Licht. Er schießt ein wenig hin und her, denn er hatte das europäische Gleichgewicht verloren; aber plötzlich bleibt er stehen und horcht. Draußen im Garten hatte es nämlich einen Krach gegeben. ›Hast du es gehört, Junge?‹ fragte er mich. – ›Ja‹, sage ich. – ›Das sind meine Meerrettichspitzbuben. Komm mit; die fangen wir!‹ Er zieht mich also vom Kanapee herunter, und ich muß mit. Er hält den Brotschrank draußen für die Hintertür und will hinein; ich bringe ihn aber doch noch auf den richtigen Weg. So kommen wir hinaus in den Garten. Jetzt horcht er, aber es ist niemand zu sehen. ›Warte nur, die kommen wieder‹, sagt er, ›du bist klein, dich sehen sie nicht; ich muß mich verstecken. Wohin denn aber? Oh, da hinein in das Wasserfaß. Paß auf, Junge, wenn sie kommen, rufst du mich!‹ Ich setze mich also neben das Faß, das voll Wasser war, und er steigt hinein. Er hat kaum die Beine dring, so ist er ganz hinunter. Ich habe ganz gewaltige Freude darüber, daß er sich so gut versteckt hat, denn nicht einmal der Kopf war zu sehen, und nun warte ich. Hörst du mich?« – »Ja, leider!« antwortete Resedilla unter einem leichten Husten. – »Gut! Nach längerer Zeit höre ich Leute, die vom Zaun her kommen; ich rufe den Großvater, so laut ich kann. Wer aber ist‘s? Der Vater und die Mutter. Sie hören mich rufen und kommen zur Pforte herein. ›Was machst du denn im Garten da?‹ fragte der Vater. – ›Wir fangen Spitzbuben‹, sagte ich. – ›Wo ist denn der Großvater?‹ – ›Er hat sich versteckt.‹ – ›Wohin denn?‹ – ›Hier ins Wasserfaß.‹ Ich konnte gar nicht begreifen, warum die Eltern so jammerten; als sie ihn aber herausbrachten, habe ich selbst mit geweint, denn er war mitten in seinem Beruf gestorben, und das – ah, wer kommt da?«
Draußen ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen, ein Reiter kam durch den Regen herangesprengt und hielt vor der Tür.
»Ah!« sagte der Alte. »Der Zerlumpte, der Spion. Heute gehe ich seinetwegen nicht hinaus, und wenn er mir zehnmal meine Diplomatie anmerkt. Bei solchem Wetter bleibt man in der Stube.«
Der Neuangekommene war wirklich Gerard. Resedilla war errötet, sobald sie seiner ansichtig geworden. Er schaffte, da es regnete, das Pferd erst in den Stall und trat dann ein. Der alte Pirnero erwiderte kaum seinen Gruß, aber die Tochter nickte ihm freundlich zu. Er bestellte sich ein Glas Julep, das Resedilla ihm holte, und setzte sich nieder.
Längere Zeit blieb es still in der Stube, und nur der Alte trommelte an der Fensterscheibe, denn der Gast war ihm unangenehm, weil er ihn für einen Spion hielt. Endlich trieb ihn die Lust zum Sprechen doch zu einem Anfang, und er begann:
»Fürchterlicher Regen!« – »Allerdings«, antwortete Gerard. – »Ganz zum Ertrinken!« – »So schlimm ist es doch nicht!« – »Was, nicht zum Ertrinken? Ihr seid anderer Meinung als ich?« Pirnero wandte sich, um den Gast zornig anzusehen, denn er dachte heute schon nicht mehr an das diplomatische Lächeln. So sah er, daß das Wasser aus den durchnäßten Kleidern des Jägers auf den Boden lief. »Nicht zum Ertrinken, sagt Ihr? Seht nur! Wenn noch zwei solche Gäste kommen, ertrinken wir!«
Gerard bemerkte jetzt die Wasserlache und entschuldigte sich.
»Verzeiht, Señor Pirnero! Ich konnte doch nicht draußen bleiben!« – »Wer verlangt das? Aber Ihr konntet in trockenen Kleidern kommen. Habt Ihr denn keine Frau, die Euch darauf aufmerksam macht?« – »Nein.« – »Nicht? Ja, das habt Ihr nun davon. Anderen Leuten macht Ihr die Stube naß! Der Mensch muß heiraten! Habe ich recht oder nicht?« – »Ich stimme Euch sehr gern bei.« – »Sehr gern? Da sehe ich, daß Ihr Verstand habt, obgleich Ihr kein so berühmter Jäger seid, wie der Schwarze Gerard. Möchte ihn einmal sehen!«
Der Jäger lächelte leise vor sich hin und sagte:
»Da hättet Ihr kürzlich in Chihuahua sein sollen.« – »Warum?« – »Dort ist er gewesen.« – »Das macht Ihr mich nicht weis.« – »Ihr glaubt es nicht?« – »Nein, denn dort sind jetzt die Franzosen.« – »Gerade wegen der Franzosen ist er dort gewesen, ich habe es gehört.« – »Was wollte er bei ihnen, he?« – »Ihre Pläne entdecken.« – »Also sie ausspionieren? Unsinn! Da glaube ich eher, daß die Franzosen zu uns kommen, um die Spione zu machen; das sieht ihnen ähnlich.«
Pirnero warf dabei einen grimmen Blick auf den Gast; dieser jedoch ließ sich nicht irremachen und fuhr fort:
»Und dennoch war er dort, aber sie haben ihn gefangengenommen.« – »Donnerwetter! Ist‘s wahr?« – »Ja«, antwortete Gerard mit einem leichten, zufriedenen Lächeln.
Es freute ihn ja herzlich, daß der Alte so gut auf den Schwarzen Gerard zu sprechen war. Dieser aber hatte das Lächeln bemerkt und fragte mit finsterem Gesicht:
»Darüber freut Ihr Euch wohl?« – »Ja.« – »Habe mir‘s gedacht. Ihr seid doch wohl auch ein Franzose?« – »Allerdings, obgleich ich es nicht billige, daß der Kaiser sein Militär nach Mexiko schickt.« – »Wie? Was? Ihr billigt es nicht?« – »Nein.«
Bei dieser Antwort vergaß der Alte ganz seine politische Begabung, fuhr vom Stuhl empor, schritt nahe an den Gast heran und rief:
»Und Ihr denkt wirklich, ich soll das glauben?« – »Natürlich.« – »Ich glaube nur eins, nämlich daß Ihr selbst so ein französischer Spion seid, der zu uns kommt, um uns auszuhorchen. Ihr tut, als ob Ihr auf Euren Kaiser nicht gut zu sprechen wärt; aber ich bin nicht so dumm, wie Ihr denkt! Ich kenne den Finkenfang bei Maxen ganz genau; ich durchschaue Euch, denn Ihr habt Euch verraten.«
Resedilla war erbleicht; es wurde ihr angst. Gerard aber fragte ruhig:
»Wodurch habe ich mich denn verraten?« – »Dadurch, daß Ihr Euch drüber freut, daß die Franzosen den Schwarzen Gerard gefangengenommen haben.« – »Aber er hat sich ja selbst darüber gefreut.« – »Er selbst? Seid Ihr toll?« – »Nein, aber ich versichere Euch, daß er sich wirklich gefreut hat.« – »Warum denn?« – »Weil ihm dabei die Gelegenheit geboten wurde, den Franzosen eine Nase zu drehen.« – »Hat er es denn getan?« – »Das versteht sich. Er ist ihnen sofort wieder entflohen.« – »Ah! Wirklich?« – »Wirklich!« – »Das ist mir denn doch zu abenteuerlich. Seid doch so gut und erzählt es!« – »Herzlich gern, Señor Pirnero.«
Gerard erzählte nun sein Abenteuer so, wie er es erlebt hatte, doch ohne sich merken zu lassen, daß er der Held desselben sei. Auch hütete er sich aus naheliegenden Gründen sehr wohl, sein Zusammensein mit Emilia zu erwähnen. Pirnero hörte ihm mit vollem, ungeteiltem Interesse zu.
»Ja«, rief er am Schluß aus, »den Schwarzen Gerard halten sie nicht fest; das ist ein Teufelskerl! Also er hat ihnen die Wahrheit gesagt? Und darüber freut Ihr Euch selber?« – »Gewiß. Ich bin zwar ein geborener Franzose, aber ich liebe Mexiko und werde für immer in Mexiko bleiben. Darum hasse ich Napoleon, der dieses schöne Land mit Blut überschwemmt, und werde mein Möglichstes tun, um ihn hinauszujagen.« – »Ihr?« fragte der Alte mit eigentümlicher Betonung. – »Ja, ich.« – »Das laßt bleiben. Ihr könnt gar nichts tun. Dazu gehören solche Kerle, wie der Schwarze Gerard einer ist. Ich habe ihm viel zu danken, denn er hat die Wege von allerlei Volk gesäubert. Wißt Ihr vielleicht, ob er schon verheiratet ist?« – »Soviel ich weiß, ist er noch ledig.« – »Hm, das ist ein guter Zug von ihm, der mir gefällt. Aber das darf nicht länger so fortgehen. So ein Mann muß eine Frau haben, eine Frau, die ihm ein Besitztum bringt. Dann hat er eine Heimat, und das ist sehr viel wert, wenn einem der Wind auch einmal die Dachhölzer herunterwirft. Wißt Ihr vielleicht, in welcher Gegend er am liebsten jagt?« – »Überall da, wo ein Wild zu treffen ist; ich habe jedoch erfahren, daß er in nächster Zeit am Fluß zu tun haben wird.« – »Hier am Fluß? Donnerwetter! Vielleicht auch in Fort Guadeloupe?« – »Jedenfalls.« – »Das freut mich unendlich. Trinkt er gern Julep?« – »Höchstens ein Gläschen.« – »Ob viel oder wenig. Wer in Fort Guadeloupe Julep trinken will, muß bei mir einkehren, und so denke ich, daß ich ihn zu sehen bekomme.« – »Ich bin überzeugt, daß er zu Euch kommen wird.« – »Wirklich? Hörst du es, Resedilla?«
Pirneros Tochter antwortete nicht. Sie befand sich in großer Verlegenheit. Die Manie ihres Vaters, vom Heiraten zu sprechen, war ihr höchst fatal.
»Nun, hast du es nicht gehört?« fragte der Alte zornig. – »Ja«, antwortete sie. – »Gut. Und was das beste ist, ich werde ihn sofort erkennen.« – »Woran?« fragte Gerard. – »An seiner Büchse. Ihr Kolben ist von gediegenem Gold, von dem er herunterschneidet, wenn er etwas zu bezahlen hat. Das muß eine Büchse sein. Ein ganz anderes Ding als der alte Schießprügel, den Ihr da neben Euch lehnen habt. Aber sagt, wo seid denn eigentlich Ihr zu Hause, he?« – »Überall und nirgends.« – »Das heißt, Ihr habt keinen festen Wohnort!« – »Ja, so meine ich es.« – Aber Ihr müßt doch ein Haus oder wenigstens eine Hütte haben, wo Ihr während des Winters wohnen könnt« – »Die baue ich mir da, wo ich mich gerade befinde, wenn ich eingeschneit werde. Man jagt im Sommer und Herbst; im Winter bereitet man die Felle zu, und im Frühjahr bringt man sie in die Forts oder Städte zu Markte.« – »Das weiß ich wohl; aber ich danke für ein solches Leben. Nehmt Euch eine Frau, daß Ihr einen festen Platz bekommt. Ihr seid zwar Franzose, aber gebt auf Napoleon nichts, dann findet Ihr überall eine Frau, eine Indianerin oder sonst ein armes, fleißiges Mädchen. Nach einem reichen werdet Ihr freilich vergeblich suchen, denn Ihr habt ja selbst nicht einmal eine ordentliche Jacke. Wo werdet Ihr denn heute bei diesem Regenwetter schlafen?« – »Hier.«
Der Alte zog ein langes Gesicht; er sah den Gast mißtrauisch an und fragte:
»Hier bei mir? Hm, hm. An Nachtgästen liegt mir gar nicht mehr viel. Da ist vor vier Tagen einer dageblieben, der sich für einen reichen Goldsucher ausgegeben hat. Dieser Kerl ist mir des Nachts durchs Fenster gesprungen und fortgeritten samt der Bezahlung.« – »Und da denkt Ihr, daß ich es ebenso machen könnte, wie dieser Mann?« – »Das will ich nicht sagen; aber habt Ihr denn Geld? Ihr trinkt stets nur ein Glas Julep. Das ist kein Zeichen von Reichtum!« – »Vater!« wagte die Tochter in bittendem Ton zu sagen. – »Was denn?« fragte dieser. »Ja, du hast ein mitleidiges Herz, ich aber gehe lieber sicher. Wenn dieser Señor das Lager vorher bezahlt, kann er bei mir bleiben.« – »Ich werde es vorher bezahlen. Was kostet es?« fragte Gerard lächelnd. – »Einen Quartillo.«
Ein Quartillo beträgt ungefähr sechzehn Pfennige deutsches Geld.
»Einen Quartillo nur?« fragte der Jäger erstaunt. – »Ja, denn Ihr werdet doch auf Stroh liegen.« – »Warum? Ich kann ja das Bett bezahlen.« – »Das geht nicht. Seht Euch nur einmal an!«
Resedilla errötete bis hinter die Ohren, aber sie wagte keine Bemerkung.
»Gut«, sagte Gerard. »Hier ist der Quartillo für das Lager und hier auch der Tlaco für den Julep. Seid Ihr nun zufrieden, Señor Pirnero?« – »Ja.«
Ein Tlaco ist ungefähr acht Pfennige, also die Hälfte eines Quartillo.
»Da das nun in Ordnung ist«, sagte Gerard, »möchte ich Euch bitten, schlafen gehen zu dürfen.« – »Schlafen gehen? Schon jetzt? Bei hellem Tag? Seid Ihr gescheit oder nicht?« – »Ich halte mich weder für sehr gescheit, noch für sehr dumm, aber ich bin müde. Ihr werdet jedenfalls einsehen, daß dies bei einem Jäger vorkommen kann.« – »Ja, wenigstens bei einem guten. Was aber habt Ihr denn heute geschossen?« – »Noch nichts.« – »Na, da habt Ihr‘s! Aber ich will Euch nicht halten, geht in Gottes Namen und schlaft, so lange Ihr wollt. Resedilla, führe den Señor zu den Vaqueros!«
Zu den Vaqueros! Also im Nebengebäude sollte er schlafen. Das war übrigens dem Jäger sehr gleichgültig, obwohl er sich gefreut hätte, nach langen Monaten einmal in einem guten Bett gehörig auszuruhen.
Resedilla erhob sich und wartete an der Tür, daß Gerard ihr folgen solle.
»Gute Nacht, Señor Pirnero!« sagte dieser jetzt, seine Büchse ergreifend. – »Gute Nacht, Señor!« antwortete der Alte und setzte sich dabei wieder an das Fenster, um seine langweiligen Wetterbeobachtungen fortzusetzen.
Draußen an der Tür blieb Resedilla bei Gerard stehen.
»Verzeiht meinem Vater!« bat sie. »Er ist zuweilen eigentümlich, aber doch sehr gut.« – »Ich habe nichts zu verzeihen, Señorita«, antwortete er. »Er kann seine Gäste hinweisen, wohin es ihm beliebt. Ich werde auch auf dem Stroh gut schlafen, denn ich bin in vier Tagen eine Strecke von zweihundert Leguas geritten.«
Resedilla schlug erstaunt die Hände zusammen.
»Zweihundert Leguas!« rief sie. »Wie ist das möglich?« – »Ich habe acht Pferde dazu gebraucht und bin nicht von deren Rücken gekommen.« – »So habt Ihr während dieser Zeit gar nicht geschlafen?« – »Nein.« – »Oh, da ist es ja ein Wunder, daß Ihr nicht umfallt. Kommt schnell!« – »Bleibt hier, Señorita! Es regnet draußen, und Ihr werdet naß. Ich werde schon die Vaqueros zu finden wissen.« – »Ah, glaubt Ihr wirklich, daß ich Euch auf Stroh schlafen lasse? In diesen nassen Kleidern? Nein, kommt, geht nur mit mir.«
Sie stieg die Treppe empor, und er folgte ihr. Oben schloß sie eine Tür auf, ließ ihn eintreten, und er sah nun ein Zimmer mit einer beinahe vornehmen Einrichtung.
»Aber das ist ja kein Schlafzimmer für Fremde!« sagte er erstaunt – »Eigentlich nicht«, lächelte sie vergnügt »Hier wohnen nur die Verwandten von uns, wenn sie uns besuchen. Hier hat auch meine gute Cousine Emma Arbellez von der Hacienda del Erina gewohnt, als sie zum letzten Mal bei uns war. Seitdem ist sie verschwunden. Setzt Euch einstweilen nieder. Habt Ihr Hunger?« – »Nein, aber ich bin sehr müde.«
Resedilla ging noch einmal fort, und er setzte sich. Er, in seinem Anzug, paßte in Wahrheit nicht in diesen hübschen Raum, doch er setzte sich in einen der Polstersessel. Es vergingen einige Minuten. Die Müdigkeit schloß ihm die Augen. Als Resedilla zurückkehrte, war er wirklich eingeschlafen. Sie setzte nun den Leuchter mit dem Licht auf den Tisch, goß Wasser in das Becken und betrachtete ihn mitleidig.
»Der Arme!« lispelte sie. »Wie müde mußte er sein, um so schnell einzuschlafen! Aber da ist seine Büchse, ich muß mich überzeugen.«
Sie ergriff leise das Gewehr, um es emporzuheben. Es war sehr schwer. Sie sah sich den Kolben an, und ihr Blick erreichte auch die Stelle, wo der Sergeant das Blei hinweggeschnitten hatte.
»Gold, wirkliches Gold!« flüsterte sie. »So ist er es also! Meine Ahnung hat mich nicht getäuscht! Oh, wie mich das freut wie mich das freut! Aber da er selbst nicht davon spricht, werde auch ich schweigen und so tun, als ob ich es gar nicht ahnte.«
Sie stellte das Gewehr wieder hin und berührte den Schläfer leise, um ihn zu wecken.
»Resedilla«, lispelte er, ohne zu erwachen.
Sie errötete, berührte ihn dann aber stärker, so daß er erwachen mußte.
»Ah, ich schlief ein! Verzeiht es mir, Señorita!« bat er. – »Ihr habt nicht um Verzeihung zu bitten. Ich wünsche Euch eine recht gute und lange Ruhe. Gute Nacht, Señor Gerard.« – »Gute Nacht, Señorita!«
Damit ging Resedilla, ohne, wie Gerard eigentlich erwartet hatte, ihn zu fragen, was er mit dem französischen Kapitän getan habe. Die Fürsorge, die sie ihm gezeigt hatte, tat ihm unendlich wohl. Obgleich er außerordentlich ermüdet war, lag er noch einige Zeit, zwar mit geschlossenen Augen, aber doch wachend, auf dem Lager. Ihr liebes, freundliches Bild beschäftigte ihn. Er verglich es mit demjenigen der einstigen Geliebten in Paris, die er so unerwartet als Marketenderin in Chihuahua wiedergefunden hatte. Welch ein Unterschied! Die eine tief in Sünde und Schande, die andere so rein, so keusch und heilig! Die eine entblößt von aller wohltuenden Weiblichkeit, herabgesunken auf die tiefste Stufe, die es geben kann, und die andere umgeben und umduftet von jenem Hauch der Unbeflecktheit, der frommen, unberührten Anmut, ohne welche das Eheglück eine Unmöglichkeit ist.
Dieses reine, süße Bild stand jetzt vor seinem geschlossenen Auge und nahm mit unwiderstehlicher Gewalt Platz in seinem Herzen, es dehnte sich aus, es wuchs immer mehr empor, und es war ihm, als ob sein Leib und seine Seele ganz und gar erfüllt seien von diesem Wesen, so daß kein Plätzchen, nicht der kleinste Punkt übrigbliebe für einen anderen Gedanken oder für ein anderes Fühlen. Und als der Schlummer leise über ihn kam, ging dieses Denken und Fühlen mit in seinen Traum über. Er träumte, daß eine tiefe, traurige Nacht ihn umfangen habe, aber im Osten wurde es licht, die Nebel wichen mit der Finsternis, und strahlend wie die Sonne, von welcher Licht, Wärme und Leben ausgehen, erhob sich das Bild der Geliebten über dem bisher so dunklen Horizont. Ein unendliches Entzücken erfaßte ihn, er breitete seine Arme aus, er sank anbetend nieder, und die himmlische Erscheinung schwebte mit mildem Lächeln auf ihn zu und sank an seine Brust. Diese Berührung durchzuckte ihn mit unbeschreiblicher Wonne und Seligkeit, es war ihm, als sei er nun gereinigt von allen Sünden und Fehlern seines früheren Lebens, als sei er gefeit und geschützt gegen alle zukünftige Gefahr. Er fühlte sich im Himmel, mitten unter den Seligen, sein ganzes Wesen war ein Dank, ein Lob, ein einziges großes Preisen und Jubilieren.
10. Kapitel
Während Gerard dieser wonnevolle Traum umfing, saß Resedilla wieder unten bei ihrem Vater, der wie gewöhnlich das Wetter beobachtete.
Sie dachte an den Schläfer da oben, an seine Büchse und an die Entdeckung, die sie mit Hilfe der letzteren gemacht hatte. Ihr Atem ging tief und langsam, ihr Busen schwoll unter einem Gefühl, von dem sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte, sie wußte nur, daß es ein unendlich süßes und verlangendes sei. Aus diesem Denken und Sinnen riß sie plötzlich die Stimme ihres Vaters.
»Verdammtes Wetter!«
Resedilla schwieg, darum fuhr er nach einer kleinen Weile fort: »Hast du es gehört?« – »Ja«, antwortete sie. – »Was denn?« – »Schlechtes Wetter.« – »Gut! Habe ich etwa nicht recht?« – »Sehr, lieber Vater.« – »Na also! Draußen miserabel und hier in der Stube noch miserabler.« – »Wieso?« – »Wieso?« fragte er unmutig. »Das willst du noch extra wissen? Nun hört alles auf! Was sieht man denn, wenn man da hinausblickt, he? Und was sieht man, wenn man im Zimmer umherschaut? Dich, dich, immer wieder nur dich, die Stühle und Bänke, die alten Gläser und Flaschen, sonst aber weiter nichts!« – »Ja, aber was willst du denn sonst noch hier sehen?«
Diese Frage war jedenfalls eine sehr unvorsichtige, sie war sehr unbedachtsam ausgesprochen, denn der Alte lauerte nur, wie er von neuem auf sein Lieblingsthema kommen könne; das sah sie zu spät ein, denn er antwortete sogleich:
»Was ich hier noch sehen will? Donnerwetter, was denn anderes als einen Schwiegersohn? Der fehlt mir, der allein. Siehst du das denn nicht ein?« – »Ist er dir denn gar so sehr notwendig?« fragte sie lächelnd. – »Mir nicht, aber dir.« – »Mir?« rief sie, jetzt laut lachend. – »Ja, dir!« antwortete er zornig. – »Mir? Ein Schwiegersohn? Da müßte ich doch eine Tochter haben!« – »Dummes Zeug! Willst du dich etwa über mich lustig machen, he? Sage mir einmal, ob du überhaupt weißt, wo ich geboren bin.« – »Ja.« – »Nun, wo denn?« – »In Sachsen.« – »Ich meine, in welcher Stadt!« – »In Pirna.« – »Gut. Nun gehe einmal hinüber nach Pirna und erkundige dich! Da drüben gibt es keinen einzigen Mann, der in meinem Alter nicht bereits zwei oder drei Schwiegersöhne hätte. Ich habe noch nicht einmal einen. Muß ich mich da nicht geradezu schämen? Das sieht ja aus, als ob ich ganz und gar aus der Pirn‘schen Art geschlagen wäre. Und ferner gibt es da drüben kein Mädchen deines Alters, das noch keinen Mann, wenigstens einen Bräutigam oder einen Liebsten hätte. Du wirst einsehen, daß du dich da noch viel mehr zu schämen hast als ich selber.« – »Aber, Vater!« – »Was, aber Vater! Mache mich nicht bös! Da sitzt man, starrt hinaus in das armselige Wetter oder herein auf die alten Bänke und Tische, und was hat man davon? Nichts, rein gar nichts! Wäre aber ein Schwiegersohn da, so könnte man sich mit ihm unterhalten, sich mit ihm Anekdoten erzählen oder seine Wut an ihm auslassen, wenn man schlechte Laune hat!« – »Wenn er sich das gefallen läßt!« – »Warum nicht? Wozu ist ein Schwiegersohn da, als um Dachsparren festzumachen und einem bei schlechter Laune als Blitzableiter zu dienen? Wenn du nicht bald einen Mann nimmst, so hole ich dir selbst einen, den du nehmen mußt, du magst wollen oder nicht. Und weißt du, wer dies sein wird?« – »Nun, wer?« fragte sie neugierig. – »Rate einmal!« – »Wer kann da raten! Sage es lieber gleich.« – »Nun, wer anders als der Schwarze Gerard!« – »Der – Schwarze – Gerard?« fragte sie langsam und mit eigentümlicher Betonung. – »Ja, der! Oder ist der dir etwa nicht recht?« – »Weiß ich es? Er ist ja noch gar nicht hier gewesen.« – »Das tut nichts. Er ist ein tüchtiger Kerl, gerade wie mein Schwiegersohn sein soll.« – »Aber wenn er dir nun nicht gefällt?« – »Der? Oh, der gefällt mit sicher. Denke nur an seine echt goldene Büchse!« – »Das ist Nebensache. Wenn er nun so aussieht, wie – wie …« – »Nun, wie …?« – »Wie zum Beispiel der Jäger, den ich soeben schlafen geführt habe?« – »Mädchen, mache mir keine dummen Witze. Der Schwarze Gerard sieht anders aus. Hast du schon einen berühmten Krieger, einen Helden gesehen?« – »Vielleicht.« – »Vielleicht? Pah, noch keinen. Oder hast du etwa den Fürsten des Felsens, diesen Sternau, Bärenherz oder Büffelstirn gesehen? Nein. So ein Held ist groß und stark, hat schwarze Augen, einen Schnurrbart, goldene Sporen, silberne Tressen an den Hosen und eine Stimme wie zehn Posaunen. Gehe mir also mit dem Jäger da oben! Wann hat er etwas geschossen? Was kann er trinken und bezahlen? Jetzt liegt er auf dem Heu und schläft am hellen, lichten Tag. O nein, der Schwarze Gerard sieht sicherlich ganz anders aus. Ich stelle mir ihn … ah – da kommt wieder jemand.«
Es kam in diesem Augenblick ein Reiter vorüber, der an der Haustür hielt, um abzusteigen. Der Wirt beobachtete ihn, ohne sich von seinem Sitz zu erheben, zog die Brauen zusammen und sagte zu seiner Tochter:
»Weißt du, was Psychologie ist?« – »Ja.« – »Was denn?« – »Die Lehre von der Seele.« – »Gut Ich bin Psycholog, ein Menschenkenner. Sieh einmal dieses Pferd an. Wie findest du es?« – »Außerordentlich mager.« – »Und den Reiter?« – »Noch magerer und sehr klein.« – »Und seine Kleidung?« – »Ganz und gar zerfetzt.« – »Und seine Waffen?« – »Alt und nicht blank geputzt.« – »Nun sieh, das ist für einen Psychologen genug. Dieser Kerl hat ein mageres Pferd; er ist geizig, hat zerrissene Kleider, ist also liederlich; er hat schlechte Waffen und ist ein Habenichts. Er wird wohl auch nur einen Julep trinken, wie der Siebenschläfer. An solchen Gästen liegt mir nichts.« – »Er zieht sein Pferd in den Stall. Er wird also hierbleiben wollen.« – »Das mag er sich vergehen lassen. Ich werde vor allen Dingen sehen, ob er bezahlen kann. Wir Leute aus Pirna sind schlau; das soll er gleich sehen.«
Nach einigen Minuten trat der Fremde ein. Er hatte allerdings ein so ganz und gar unscheinbares Aussehen, daß einer, der die Verhältnisse der Savanne nicht kannte, schon ein wenig mißtrauisch werden konnte. Er grüßte sehr höflich in gebrochenem Spanisch, setzte sich auf einen Stuhl, legte die Büchse und das Messer ab und fragte:
»Nicht wahr, dieser Ort hier ist Fort Guadeloupe?« – »Ja«, antwortete der Wirt sehr kurz. – »Seid Ihr vielleicht Señor Pirnero?« – »Ja.« – »Kann man einen Julep bekommen?« – »Ja.« – »So gebt mir einen.« – »Gut, aber nur einen.« – »Warum nicht mehr?« fragte der Gast erstaunt. – »Das ist meine Sache.«
Bei diesen Worten warf der Wirt einen sehr sprechenden, deutlichen Blick auf das Äußere des Gastes und erhob sich langsam, um den Schnaps einzuschenken. Der Fremde bemerkte diesen Blick gar wohl; er unterdrückte ein Lächeln, zuckte die Achseln, sagte aber nichts, sondern tat schweigend einen tüchtigen Schluck, nachdem er das Glas empfangen hatte.
Pirnero setzte sich wieder an das Fenster und blickte hinaus. Da der Gast schwieg und auch die Tochter kein Wort sagte, so wurde ihm diese Stille doch endlich unbehaglich; darum brummte er nach einer Weile vor sich hin:
»Armseliges Wetter!«
Kein Mensch antwortete.
»Kaum auszuhalten!«
Als auch jetzt noch niemand antwortete, drehte er sich um, blickte den Gast herausfordernd an, als ob dieser einen Fehler begangen habe, und sagte:
»Nun?« – »Was?« fragte der Fremde. – »Armseliges Wetter!« – »Oh, ganz hübsch!« lachte dieser.
Der Wirt fuhr auf. Er dachte, daß er gefoppt werden solle.
»Wie meint Ihr das?« fragte er in sehr zornigem Ton. – »So, wie ich es sage«, lautete die Antwort. »Das Wetter ist hübsch.« – »Ah, wollt Ihr mich etwa ärgern?« – »Fällt mir nicht ein!« – »Und dennoch widersprecht Ihr mir!« – »Auch das nicht. Dem einen kann etwas ganz gut gefallen, was dem anderen höchst lästig ist, aber dennoch brauchen diese beiden sich über diese Meinungsverschiedenheit nicht im geringsten zu ärgern.« – »Sehr richtig. Ihr glaubt doch nicht, daß ich mich über Euch ärgere?« – »Das wäre Eure Sache, aber nicht die meinige, Señor.« – »Allerdings. Und Ihr wäret mir auch der letzte, über den ich mich ärgern würde.« – »Warum?« – Aus verschiedenen Gründen!« – »Hm. Darf man diese Gründe erfahren?« – »Warum nicht? Zunächst ist Euer Pferd ein Ziegenbock.« – Gut. Weiter!« – »Sodann habt Ihr keinen gescheiten Fetzen auf dem Leibe.« – »Sehr richtig! Und noch weiter?« – »Und drittens sind Eure Waffen keinen Heller wert.« – »Woher wißt Ihr das?« – »Das sieht man ja auf den ersten Blick. Man braucht da ganz und gar kein Psycholog zu sein oder eine große politische oder diplomatische Begabung zu haben.«
Der Fremde nickte lächelnd mit dem Kopf und entgegnete:
»Ich sehe ganz genau, daß ich bei Señor Pirnero bin.« – »Wieso?« fragte der Wirt stutzend. – »Man hat mir von Euch erzählt, und ich finde, daß man mir die Wahrheit gesagt hat.« – »Welche Wahrheit?« fragte der Wirt gespannt. – »Man hat Euch mir beschrieben, und ich bemerke, daß die Beschreibung genau stimmt.« – »Donnerwetter, was hat man von mir gesagt?« – »Daß Ihr ein guter Kerl seid.« – »Ja, ja, das bin ich allerdings! Weiter!« – »Daß Ihr stets an diesem Fenster sitzt.« – »Auch das stimmt. Weiter!« – »Und das Wetter beobachtet.« – »Wirklich? Hm! Da habe ich selbst noch nicht aufgepaßt. Weiter?« – »Daß Ihr – ah, das habe ich aber noch nicht bemerkt.« – »Was?« – »Daß Ihr sehr gern vom Heiraten und von Schwiegersöhnen redet.«
Der Wirt sah den Sprecher forschend an. Er war im unklaren, ob er sich über ihn freuen oder ärgern solle.
»Wie meint Ihr das?« fragte er. – »Ich meine gar nichts; meine Kameraden haben es mir so gesagt. Aber gebt mir nun noch ein Glas von Eurem Julep, Señor.«
Damit trank der Gast sein Glas leer und hielt es dem Wirt hin. Dieser musterte ihn von neuem, schüttelte langsam den Kopf und sagte:
»Ich schenke nicht mehr ein.« – »Warum?« fragte der Fremde erstaunt. – »Hm. Bezahlt erst den ersten!« – »Ah, Ihr haltet mich für einen Lumpen, der nicht bezahlen kann?« lachte der Gast. – »Beweist zunächst das Gegenteil, dann werde ich wissen, wofür ich Euch zu halten habe.« – »Gut! Ihr sollt sehen.«
Der Fremde griff in seine Tasche, zog einen Lederbeutel hervor, öffnete ihn und griff hinein.
»Da habt Ihr Eure Bezahlung.«
Bei diesen Worten nahm er ein Nugget von der Größe einer Haselnuß heraus und hielt es dem Wirt hin. Dieser griff mit großer Begierde zu, betrachtete es von allen Seiten, wog es in der Hand und sagte erstaunt:
»Gold, wahrhaftig, reines Gold!« – »Ja, vollständig rein«, nickte der andere. – »Donnerwetter! Und das ist Euer?« – »Wem sonst?« – »Habt Ihr noch mehr?« – »Mehrere Beutel voll.« – »Woher?« – »Aus den Minen geholt.« – »Wo?« – »Oh, das ist meine Sache, Señor Pirnero«, lachte der Gast. – »Welch ein Nugget! Es ist unter Brüdern zwanzig Dollar wert.« – »Dreißig.« – »Soll ich es wiegen und wechseln?« – »Versteht sich.«
Der Wirt erhob sich und holte die Waage. Die beiden wurden um den Preis von fünfundzwanzig Dollar einig, den Pirnero gleich auszahlte.
»Also einen Julep wollt Ihr noch?« fragte er dienstfertig.»Den sollt Ihr sogleich bekommen.«
Der Gast war wegen des Nuggets sehr schnell und sehr hoch in Pirneros Achtung gestiegen; darum bediente er ihn mit außerordentlicher Bereitwilligkeit. Er bereute jetzt sein früheres Verhalten und setzte sich an das Fenster, um darüber nachzudenken, auf welche Weise er es wiedergutmachen könne. Da ihm aber nicht sogleich etwas einfiel, begann er mit seiner gewohnten Geistesgegenwart:
»Schlechtes Wetter!« – »Hm!« brummte der Gast. – »Hat aber auch seine gute Seite«, lenkte Pirnero ein. – »Allerdings. Besonders für mich. Ich komme nämlich aus dem Llano estacado.«
Da fuhr der Wirt herum, staunte den Mann an und fragte:
»Wirklich?« – »Ja. Und wenn man wochenlang ohne Wasser die Glut dieser Wüste ausgehalten hat, so könnt Ihr Euch denken, daß so ein Regen eine wahre Erquickung ist.« – »Ja, allerdings«, stimmte der Wirt eifrig bei. »Aber sagt, Señor, seid Ihr da allein herübergekommen?« – »Ja.« – »Unmöglich!« – »Warum unmöglich?« – »Das könnte nur ein kühner Mann wagen.« – »Ich habe es gewagt. Ihr seht ja, daß ich ganz allein bin.« – »Freilich. Aber ich dachte – hm!« – »Was? Was dachtet Ihr, Señor Pirnero?«
Der Gefragte blickte den Frager forschend an und erwiderte dann nachdenklich:
»Wißt Ihr vielleicht, was Politik und Diplomatik ist?« – »Ja.« – »So werdet Ihr auch wissen, daß ein Mann, der politische und diplomatische Begabung besitzt, nicht alles sagen kann.« – »Richtig! Ah, Señor, Ihr besitzt wohl solche Begabung?« – »Das will ich meinen. Wißt Ihr vielleicht, woher ich bin?« – »Nein.« – »Nun, ich bin aus Pirna.« – »Aus Pirna?« fragte da der andere rasch. – »Freilich. Kennt Ihr es?« – »Pirna bei Dresden?« – »Ja.« – »Donnerwetter! Freilich kenne ich es. Ich bin ja auch ein Deutscher.« – »Ein Deutscher!« rief Pirnero erfreut. »Woher denn?« – »Aus Rheinbayern.« – »Heiliger Stern! Ist‘s wahr?« – »Versteht sich. Ich war Bierbrauer und habe drei Jahre in Dresden gearbeitet. Dann wurde ich von einem Amerikaner engagiert, der deutsches Lagerbier in St. Louis brauen wollte; aber er war zu unvorsichtig, er fing es falsch an, und so ging die Geschichte pleite. Dann zog ich nach dem Westen und bin, ich weiß gar nicht wie, Goldsucher und Jäger geworden.« – »Holla, das ist gut, das gefällt mir. Ein Deutscher, mit dem ich von meiner Vaterstadt Pirna plaudern kann. Nun mag es draußen meinetwegen regnen und gießen, soviel es will. Resedilla, hole Wein, denn es gibt ein Fest für mich. Landsmann, Ihr seid mein Gast, ohne mich bezahlen zu müssen. Aber sagt, habt Ihr Eltern oder sonstige Anverwandte?« – »Nur einen Bruder.« – »Und wie ist Euer Name?« – »Straubenberger, Andreas Straubenberger.« – »Und ist Euer Bruder auch in Amerika?« – »Nein.« – »Wo sonst?« – »Ich habe lange Jahre nichts von ihm gehört. Er weiß vielleicht gar nicht, wo ich bin, denn ich bin nie ein Freund vom Schreiben gewesen. Ich wollte als Goldsucher reich werden und ihn dann überraschen. Er lebte bei Mainz.« – »Auch als Brauer?« – »Nein, sondern als Forstgehilfe auf Schloß Rheinswalden bei einem Hauptmann von Rodenstein, der zugleich Oberförster war.« – »Gut, lassen wir ihn förstern! Wir haben es jetzt mit uns zu tun. Aber Ihr müßt mir vor allen Dingen eine Frage aufrichtig beantworten. Ihr scheint trotz Eurer schlechten Kleidung kein übler Kerl zu sein, und das Alter drückt Euch auch noch nicht. Sagt einmal, wie alt seid Ihr?« – »Sechsunddreißig.« – »Hm! Seid Ihr verheiratet?« – »Aha«, schmunzelte der Jäger. »Endlich kommt die berühmte Erkundigung. Ich habe mir, Gott sei Dank, noch keine Squaw angeschafft.« – »Ja, eine indianische Frau! Wie steht es aber mit einer weißen?« – Auch nicht.« – »Donnerwetter! Habt Ihr eine Wohnung?« – »Nein.« – »Könnt Ihr Bier und Schnaps behandeln?« – Als Brauer? Na und ob.« – »Gar Bier brauen?« »Freilich.« – »Dachsparren annageln?« – »Warum nicht?« – »Hol‘s der Teufel! Wenn Ihr das alles könnt, warum lauft Ihr dann so trist in der Welt herum? – »Trist? Gerade das gefällt mir.« – »Aber Ihr habt ja Gold genug, um Euch ansässig zu machen.« – »Fällt mir gar nicht ein.« – »Und es gibt vielleicht manchen Schwiegervater, bei dem Ihr es gut haben könntet« – »Danke.« – Aber warum denn nicht?« – »Ich habe andere Verpflichtungen.«
Straubenberger lachte, zog ein lustiges Gesicht und fragte geheimnisvoll:
»Wißt Ihr, was ein Diplomat, was ein Politiker ist?« – »Natürlich.« – »Nun, so werdet Ihr auch wissen, daß einer, der politische und diplomatische Begabung besitzt, nicht alles sagt. Ich kann Euch nur soviel mitteilen, daß ich zu Euch gekommen bin, um hier jemanden zu suchen.« – »Zu suchen? Wen?« – »Hm! Kennt Ihr den Schwarzen Gerard?« – »Persönlich noch nicht.« – Aber gehört habt Ihr von ihm?« – »Natürlich. Ich werde ihn auch bald persönlich kennenlernen.« – »Wieso?« – »Ich habe gehört, daß er nächstens ganz sicher nach Fort Guadeloupe kommen wird.« – »Ah, das ist gut! Ich dachte, er wäre schon da.« – »So ist er es, den Ihr sucht?« – »Freilich. Ich dachte ganz sicher, ihn bereits bei Euch zu treffen.« – »Sapperment, hat er es denn versprochen?« – »Ja.« – »Nun, so ist es sicher, daß er kommt, und das freut mich. Er ist der berühmteste Jäger, den es in diesem Land gibt. Kennt Ihr ihn persönlich?« – »Nein.« – »Dann will ich Euch sagen, daß er erst dieser Tage wieder eines seiner Stücke ausgeführt hat. Er ist nämlich nach Chihuahua geritten.« – »Alle Teufel! Da sollen ja jetzt die Franzosen sein.« – »Freilich sind sie da. Sie haben ihn erwischt und gefangengenommen.«
Straubenberger machte eine Bewegung des Erschreckens und rief bestürzt:
»Ah, so werde ich ihn also nicht treffen. Ich muß gleich wieder fort und zurück.« – »Wohin?« fragte der Wirt, nicht weniger erschrocken. – »Nach dem Llano estacado. Ich muß melden, daß der Schwarze Gerard von den Franzosen gefangengenommen worden ist.« – »Wem denn?« – »Ah, das ist meine Sache!« – »Donnerwetter, Ihr seid wahrhaftig ein guter Diplomat. Aber ich kann Euch helfen. Ihr braucht nicht zurück, denn der Schwarze Gerard ist ja frei.« – »Aber Ihr sagtet doch, daß …« – »Daß er gefangengenommen worden ist, ja; aber er ist ihnen sofort wieder durchgegangen, er ist gleich wieder entflohen.« – »Wirklich?« fragte der Jäger sichtlich erleichtert. »Wißt Ihr es genau?« – »Ganz genau und sicher, von einem Jäger, der jetzt bei mir auf dem Heu schläft.« – »Was für ein Jäger ist er?« – »Weiß es nicht; aber viel ist nicht an ihm. Er hat kein Geld, schlechtes Zeug auf dem Leib und eine Büchse, für die ich nicht einen Vierteldollar gebe.« – »Danach kann man nicht gehen. Solches Schießzeug ist oft besser als das teuerste Gewehr. Und was die Kleidung und sonstige Ausrüstung betrifft, so seht Ihr es ja an mir, was man davon hat, wenn man einen Westmann nur nach dem Äußeren beurteilt. Die Sonne des Llano estacado hat mir die Kleider und Stiefel verbrannt, so daß sie nur noch in Fetzen am Leib hängen; mein Pferd ist abgemagert wie ein Ziegenbock, das sagtet Ihr ja selber, und meine Büchse sieht eher aus wie ein Nachtwächterknüttel, als wie ein Gewehr. Dennoch habe ich sechs Beutel Nuggets bei mir, und in New York liegen meine Gelder. Ich habe das Gold, welches ich in den Minen fand, verkauft und den Betrag in New York deponiert; dort erhalte ich ihn zu jeder Zeit. Ist der Jäger, von dem Ihr sprecht, jetzt zu treffen?« – »Nein.« – »Warum nicht?« – »Weil er schläft. Ihr könnt ja morgen früh mit ihm reden.« – »Gut, so bleibe ich hier.« – »Ah, das ist schön, Señor. Ihr seid mein Gast. Kosten soll es Euch keinen Pfennig, denn es ist mir eine außerordentliche Freude, mit Euch von Sachsen reden zu können. Also Ihr wäret in Dresden?« – »Ja.« – »Auch in Pirna?« – »Einige Male.« – »So wißt Ihr auch, daß Dresden die Elbe von uns bekommt?« – »Freilich.« – »Gibt es noch Essenkehrer dort in Pirna?« – »Wahrscheinlich.« – »Und Meerrettichhändler?« – »Ich habe mich danach gerade nicht erkundigt.« – »Wie schade!« – »Warum?« – »Weil dies im Zusammenhang mit meinem Stammbaum steht. Ist Euch der Eurige bekannt?« – »Nein.« – »Ah, Ihr kennt Eure Vorfahren nicht?« fragte Pirnero erstaunt. – »O doch. Ich habe meinen Vater gekannt.« – »Und Euren Großvater?« – »Nein.« – »O weh, da bin ich glücklicher! Der Mensch muß auf seinen Stammbaum halten; es ist besonders wegen der Vererbung vom Vater auf die Tochter hinüber. Meine Vorfahren waren sehr bedeutende Leute in Pirna.« – »So? Was waren sie denn?« fragte Straubenberger aus Gefälligkeit. – »Mein Vater war Schornsteinfeger.« – »Ah«, meinte Straubenberger enttäuscht. – »Ja, Ihr staunt, und das mit Recht. Der Essenkehrer ist das Symbol des Strebens nach Höherem, natürlich oben zur Esse hinaus. Er hat den Beruf, das gefährlichste Element zu beaufsichtigen und die Menschheit vor dem Einfluß des Rußes zu schützen. Und mein Großvater – ratet einmal, was dieser war.« – »Wird es nicht besser sein, Ihr sagt es mir gleich?« – »Schön. Er handelte mit Meerrettich.« – »Alle Teufel!« – »Nicht wahr, Ihr staunt. Der Meerrettich ist nämlich das Symbol des Pikanten. Er würzt die Wurst und die Schweinsknöchel, und wenn er gerieben wird, so muß man weinen. Er hat etwas Hochtragisches an sich, was an Schiller, Goethe und Saphir erinnert, und darum ist mein Großvater der Träger des Pikanten und Tragischen gewesen. Ich darf stolz auf meine Ahnen sein und habe mir alle Mühe gegeben, die Vorzüge meines Stammbaumes von mir auf meine Tochter fortzupflanzen. Wenn Ihr ein Freund des Meerrettichs seid, so könnt Ihr bald die Erfolge sehen. Ihr eßt doch zu Abend?« – »Das versteht sich.« – »Gut, so sollt Ihr meine Küche und meine Tochter kennenlernen. Ein Schwiegersohn würde mit beiden ganz außerordentlich zufrieden sein.«
In dieser Weise führten die Herren ihre Unterhaltung fort, und Straubenberger hatte während des Abends genug Zeit, die Eigentümlichkeiten seines Wirtes zu studieren. Resedilla hielt sich von ihnen fern; sie zog es vor, ungestört an den Schläfer denken zu können, der ihr näherstand, als alle Schornsteinfeger und Meerrettichhändler der Welt, und darum hatte sie ihr Zimmer längst aufgesucht, als die beiden Männer noch lange beieinandersaßen, um sich gegenseitig zu unterhalten.
11. Kapitel
Am anderen Morgen war Gerard der erste, der das Zimmer betrat. Resedilla hatte ihn kommen hören und trat herein, um ihm einen guten Morgen zu wünschen.
»Habt Ihr gut geschlafen, Señor?« fragte sie. – »Mehr und besser als gut; ich danke, Señorita«, entgegnete er, sein Gewehr an den Tisch lehnend. »Und wißt Ihr, wem ich dies zu danken habe? Euch!« – »Mir?« fragte sie unter einem leichten Erröten. »Warum?« – »Ich habe während der ganzen Nacht von Euch geträumt.«
Sie errötete noch tiefer und versetzte:
»Ihr scherzt, Señor. Wenn man außerordentlich ermüdet ist, wie Ihr es wart, so pflegt man nicht zu träumen.« – »Nur der Körper war ermüdet«, antwortete er, »aber nicht der Geist. Dieser spann die Gedanken fort, die ihn jetzt allezeit beschäftigen. Wißt Ihr, wem diese Gedanken galten?« – »Gedanken sind Eigentum der Seele, in der sie auch bleiben sollen, Señor. Ihr habt lange nichts genossen. Soll ich Euch eine Schokolade bringen?« – »Ich bitte darum.«
Sie entfernte sich, um in die Küche zu gehen, und er nahm am Tisch Platz. Nach einer kurzen Zeit trat Pirnero herein und grüßte mürrisch:
»Guten Morgen.« – »Guten Morgen«, dankte Gerard. – »Ausgeschlafen?« – »Ja.« – »Das läßt sich denken. Ich habe noch keinen solchen Langschläfer gesehen wie Euch.« – »Möglich.« – »Sagt einmal, schlaft Ihr denn auch in der Savanne so lange?« – »Vielleicht.« – »Und im Urwald?« – »Kann sein.« – »Nun, dann ist es kein Wunder, daß ich noch kein Stück Wild in Eurer Hand gesehen habe. Ein guter Diplomat sieht es Euch auf den ersten Blick an, daß Ihr kein Westmann, sondern ein echtes Murmeltier seid.«
Señor Pirnero besaß, wie so viele andere Leute, die unangenehme Eigenschaft, sich des Morgens nach dem Erwachen in übler Laune zu befinden. Dies hatte Gerard jetzt zu büßen gehabt. Er nahm es jedoch gleichgültig hin.
Der Wirt setzte sich dann auf seinen Stuhl am Fenster und blickte hinaus. Es regnete immer noch, wenn auch nicht so sehr wie gestern; darum sagte er nach einer Weile mißmutig:
»Armseliges Wetter!«
Gerard antwortete nicht. So fuhr jener nach einer kleinen Weile fort:
»Fast noch wie gestern!«
Und als Gerard jetzt noch nichts sagte, wandte er sich zu ihm und rief ihm zu:
»Nun?« – »Was denn?« fragte der Jäger ruhig. – »Armseliges Wetter!« – »Hm, ja!« – »Fast wie gestern.« – »Freilich!« – »Glaube nicht, daß er da kommen wird.« – »Wer?« – »Wer? Welche Frage! Der Schwarze Gerard natürlich. Wen sollte ich sonst meinen?« – »Oh, dem ist das Wetter gleichgültig; der kommt, wenn er überhaupt will.« – »Meint Ihr? Ihr müßt nämlich wissen, daß er hier erwartet wird.« – »Ja, von Euch.« – »Allerdings, aber auch von noch jemandem.« – »Wer könnte das sein? Eure Tochter etwa?« – »Die? Fällt ihr nicht ein! Das ist ja eben mein Leiden. Da könnten tausend Schwiegersöhne gelaufen kommen, die guckte sicher keinen an; am allerwenigsten aber wartet sie auf einen. Nein, ich meine einen anderen, einen Jäger.« – »Ah, einen Jäger, der bei Euch ist?« – »Richtig. Er kam gestern, als Ihr Euch bereits niedergelegt hattet.« – »Und er ist bei Euch geblieben, um den Schwarzen Gerard zu erwarten?« – »Ja.« – »Woher kam er?« – »Aus dem Llano estacado.« – »Ah!« – »Nicht wahr, da staunt Ihr. Ja, Ihr wäret wohl nicht der Mann, durch den Llano zu reiten, obgleich Ihr zehnmal größer und stärker seid als er. Und was ist es für ein Kerl. Er hat die Taschen voll Nuggets.« – »Wirklich? Was ist es für ein Landsmann? Vielleicht ein Yankee?« – »Nein, sondern ein Deutscher.« – »Das sind die besten, zuverlässigsten Leute. Wie heißt er?« – »Andreas Straubenberger.« – »Kenne diesen Namen nicht.« – »Das ist möglich, denn … ah, da kommt er!«
Straubenberger trat ein. Er grüßte, dann ging sein erster Blick hinaus nach dem Wetter, sein zweiter aber galt Gerard. Seine Beobachtung schien ihn zufriedengestellt zu haben, denn er setzte sich neben Gerard und fragte:
»Ihr seid der Señor, der seit gestern nachmittag hier geschlafen hat?« – »Ja«, antwortete der Gefragte. – »Das nenne ich einen Kapitalschlaf. Ihr müßt außerordentlich ermüdet gewesen sein.« – »Allerdings.« – »Von der Jagd?« – »Auch mit.« – »Hm! Gedenkt Ihr, lange hierzubleiben?« – »Vielleicht nur einige Stunden.« – »Wohin geht Ihr dann?« – »Hinüber in die Berge.« – »Alle Wetter! Allein?« – »Ja.« – »So nehmt Euch um Gottes willen in acht. Es sollen sich viele Rote dort befinden.« – »Das geht mich nichts an.« – »Seid nicht leichtsinnig, Señor! Wenn sie Euch beim Schopf haben werden, dann wird es Euch recht wohl etwas angehen. Wollt Ihr aber trotzdem hinüber, so könnt Ihr mir einen Gefallen tun. Kennt Ihr den Schwarzen Gerard?« – »Man hört sehr viel von ihm.« – »Gut! Sucht zu erfragen, wo er sich befindet, und wenn Ihr ihn zufällig trefft, so sagt ihm, daß einer hier sei, der auf ihn wartet.« – »Und wenn er mich fragt, wer dieser eine sei?« – »So sagt ihm, daß es der Kleine André ist.« – »Donnerwetter, Ihr seid der Kleine André?« – »Ja. Eigentlich heiße ich Andreas Straubenberger. Die französischen Jäger haben aber Andreas in André verwandelt, und weil ich von Gestalt kein Riese bin, so werde ich der Kleine André genannt. Das ist mein Savannenname.« – »Ich kenne ihn, Señor, und weiß, daß Ihr ein tüchtiger Jäger seid. Übrigens können wir, wenn es Euch lieb ist, auch deutsch zusammen reden.« – »Deutsch! Versteht Ihr Deutsch, Señor?« – »Ja freilich. Obgleich ich eigentlich Franzose bin.« – »Wie ist Euer Name, Herr?« – »Mason. Und in Paris hatte ich den Beinamen l‘Allemand, weil ich der deutschen Sprache mächtig bin.«
Der Wirt hatte diesem Gespräch schweigend zugehört; jetzt meinte er:
»Wie, Ihr versteht deutsch?« – »Ja.« – »So seid Ihr doch kein so unebener Kerl, wie ich dachte. Aber, was bringst du da?«
Diese Worte galten Pirneros Tochter, die aus der Küche getreten war und jedem der drei Männer eine Tasse Schokolade vorsetzte. Schokolade ist der gewöhnliche Morgentrank in Mexiko und in den angrenzenden Ländern.
Resedilla sah ihren Vater an, und er erklärte ihr in strengem Ton:
»Hat Señor Mason die Schokolade bestellt?« – »Warum fragst du, Vater?« – »Ehe er trinkt, muß er sie bezahlen. Du weißt, daß ich ihm keinen Kredit gebe.«
Resedilla errötete bis hinter die Ohren. Mason aber fragte gleichmütig:
»Was kostet sie?« – »Einen Quartillo. Ich will es billig mit Euch machen.« – »Hier!«
Gerard griff in die Tasche, nahm die Kupfermünze heraus und schob sie dem Alten hin. Der Kleine André hatte diese Szene mit großem Erstaunen beobachtet. Er schüttelte den Kopf und sagte zu dem Franzosen:
»Nichts für ungut, Señor! Seid Ihr wirklich ein Jäger?« – »Ja.« – »Ein wirklicher Westmann?« – »Ich denke es.« – »Ah, das glaube ich nicht.« – »Warum?« – »So kommt nach dem Norden und seht, was ein Trapper in Eurer Lage getan hätte.« – »Ich weiß es. Er hätte Señor Pirnero die Kugel durch den Kopf gejagt oder das Messer in das Herz gestoßen.« – »Ah, Ihr wißt das so gut und tut es nicht?« – »Fällt mir nicht ein.« – »So seid Ihr kein richtiger Westmann!« – »Das ist möglich. Adieu, Señores!«
Gerard sagte dies im gleichgültigsten Ton und erhob sich.
»Adieu!« antworteten die beiden anderen.
Gerard hatte mit einem Mal den Anspruch auf Achtung bei dem Kleinen André verscherzt, trotzdem dieser gestern in ähnlicher Weise von Pirnero behandelt worden war. Als er in den Hausflur trat, stand Resedilla dort. Sie hatte alles gehört und befand sich in der größten Verlegenheit.
»Mein Gott, wie hat der Vater Euch abermals beleidigt!« sagte sie. »Er ist sonst so gut, aber gegen Euch scheint er ein Vorurteil zu haben.« – »Habt keine Sorge, Señorita«, entgegnete er.»Ich hoffe, daß dieses Vorurteil nicht lange Bestand haben wird.« – »Ihr werdet ihm verzeihen?« – »Gern.« – »Oh, Señor, wie danke ich Euch! Werdet Ihr wiederkommen?« – »Erlaubt Ihr mir es denn, Señorita Resedilla?« – »Gern.« – »So werde ich ebensogern wiederkommen.« – »Wann?« – »Heute noch, wie ich denke. Gott behüte Euch!«
Er drückte ihr die Hand und ging. Sie blickte ihm nach. Warum sprach er diesen ernsten Gruß? Lag etwas so Ernstes vor ihm oder vor ihr? Auch sein Gesicht hatte einen so entschlossenen Ausdruck gehabt nicht wie Zorn über die widerfahrene Beleidigung, sondern wie die Erwartung eines Ereignisses, dem man mit Sammlung entgegengehen muß.
Er schaute sich nicht nach ihr um, sondern ging nach dem Stall und zog ein Pferd heraus, das sich sicher ebenso ausgeruht hatte wie er. Dann stieg er auf und ritt davon.
Es war hohe Zeit dazu, denn er hatte ja mit Bärenauge die Verabredung getroffen, heute pünktlich mittags an der großen Eiche bei den Teufelsbergen zu sein.
Die Sierra del Diablo, zu deutsch das Teufelsgebirge, liegt im Nordwesten von Fort Guadeloupe und fällt in steilen, zerklüfteten Wänden nach dem Rio Puercos ab, an dem das Fort liegt und von dem es dann noch durch einen breiten Präriestreifen getrennt ist Diesen Streifen hatte Gerard in Zeit von zwei Stunden durchritten und gelangte nun an den Fuß des Gebirges.
Einer der Vorberge war nicht so sehr steil wie die anderen. An seiner Lehne ritt der Jäger hinauf. Oben angekommen, erblickte er vor sich eine zweite gewaltige Bergesmasse, von ihm nur durch ein tiefes Tal getrennt, und auf der Spitze dieses Berges erhob sich, weithin sichtbar, eine riesige Eiche, deren Zweige einen Umkreis beschatteten, der ganz sicher mehrere hundert Schritt im Durchmesser hatte. Das war die Eiche, unter der die Apachen ihn jetzt erwarteten.
Er ritt zunächst in das Tal hinab und dann drüben wieder empor. Er rechnete, daß er noch über eine Stunde zubringen werde, um das Stelldichein zu erreichen, aber da plötzlich knackte es neben ihm in den Büschen. In demselben Augenblick hatte er auch bereits seine Büchse im Anschlag, ließ sie jedoch sogleich wieder sinken, als er sah, daß es unnötig sei, sich zu verteidigen, denn vor ihm stand Bärenauge, sein Verbündeter.
»Mein weißer Bruder ist sehr pünktlich«, sagte dieser. – »Mein roter Bruder ebenso«, antwortete Gerard, indem er vom Pferd sprang und dem Indianer die Hand entgegenstreckte. – »Bärenauge hat nicht gewartet, bis sein weißer Bruder zur Eiche kam, denn er hat ihm Wichtiges zu sagen.« – »Was ist es?« – »Mein weißer Bruder erwartet Leute, die aus Osten kommen?« – »Ja.« – »Leute, die vom großen Vater der Yankees kommen?« – »Ja.« – »Und dem Präsidenten Juarez viel Geld bringen?« – »So ist es.« – »Bärenauge war bei Juarez, während mein weißer Bruder in Chihuahua war.« – »Ich weiß es. Was sagte Juarez?« – »Er vertraut meinem weißen Bruder, der der Schwarze Gerard genannt wird, und sagte mir, er solle mich und meine Krieger zu den Franzosen führen, die das Fort Guadeloupe überfallen wollen.« – »Wie viele Krieger hast du mit?« – »Fünf mal hundert.« – »Und sechshundert Komantschen wollen den Franzosen zu Hilfe kommen, um Juarez zu vertreiben?« – »Ja, aber sie werden noch nicht gleich ihre Lager verlassen.« – »Warum?« – »Sie haben gehört, daß Juarez viel Geld erwartet, das durch den bösen Llano estacado herbeigebracht werden soll.« – »Ah!« rief Gerard erschrocken. »Woher weißt du das?« – »Ich war im Lager der Komantschen, als sie Beratung hielten, und habe sie belauscht.« – »Bärenauge, das ist so kühn, daß ich selbst mir es nicht getraute.«
Der junge, stolze Indianer machte eine Bewegung der Geringschätzung und fuhr dann fort:
»Sie werden heute zweihundert Krieger aussenden, um die Spuren derer zu suchen, die das Geld bringen. Diese Männer sollen getötet werden; das Geld erhalten die Franzosen, die übrige Beute aber und die Skalpe die Komantschen. Dann erst werden die sechs mal hundert Komantschen ausziehen, um den Präsidenten Juarez zu überfallen.« – »Diese Nachricht ist sehr wichtig. Ich muß sofort wieder nach dem Llano estacado, nachdem wir die Franzosen vertrieben haben.« – »Mein Bruder weiß, wann sie kommen?« – »Ja.« – »Und welchen Weg sie gehen?« – »Ja, ich habe ihre Lagerfeuer gesehen.« – »Wo werden wir sie treffen?« – »Da, wo das Teufelsgebirge mit der Sierra del Chanate zusammenstößt, geht eine Öffnung durch das Gebirge, die von einem Bach gebildet wird. Durch diesen Paß werden sie ganz sicher kommen.« – »Wann?« – »Heute abend oder morgen früh.« – »So ist es gut, daß ich dich hier erwartet habe und nicht droben auf dem Berg bei der Eiche. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn wir müssen den Paß besetzen.« – »Wo sind deine Krieger?« – »Du wirst sie sogleich sehen.«
Bärenauge nahm einen hohlen Geierknochen an den Mund und stieß jenen schrillen Pfiff aus, durch den sich die Indianer zuweilen ihre Zeichen geben. Sofort rauschte es in den Büschen, und aus denselben brachen fünfhundert Reiter hervor, die dahinter verborgen gewesen waren. Einer von ihnen brachte das Pferd Bärenauges mit. Keines von all diesen Pferden hatte geschnaubt oder in irgendeiner anderen Weise seine Anwesenheit verraten, als Gerard sich genaht, so gut waren diese Tiere dressiert.
Der Häuptling gab einen Wink, ritt mit Gerard an die Spitze, und der Zug setzte sich in Bewegung, ohne daß ein Wort des Kommandos oder der Verständigung gesprochen wurde. Nach Indianersitte ritt einer genau hinter dem anderen. Der letzte führte Gerards Pferd am Halfter, das er vor seinem Ritt nach Chihuahua Bärenauge in Verwahrung gegeben hatte.
»Mein weißer Bruder reitet ein fremdes Pferd?« fragte der junge Häuptling jetzt. – »Ich nahm es gestern früh von einer Herde.« – »Wann wird er es gegen das seinige umtauschen?« – »Jetzt noch nicht. Einige Franzosen kennen mein Pferd. Reite ich es, so wissen sie, wer ich bin. Soll ich auf Kundschaft voranreiten?« – »Nein. Die Franzosen sind keine Jäger; sie sind blind und taub, bei ihnen ist es nicht notwendig, solche Vorsicht anzuwenden.«
Aus diesen Worten war zu erkennen, daß der Häuptling die Franzosen nicht hoch schätzte, denn er hielt eine Kompanie von ihnen nicht einmal der Vorsicht für wert, die er einem einzigen Jäger gegenüber angewandt hätte.
So ging der Zug nach Süden, bis dahin, wo die Teufelsberge endeten, die hier an die Sierra del Chanate stießen, von der sie durch jenen Paß getrennt wurden, von dem Gerard gesprochen hatte. Dieser Paß war zwar nicht sehr breit, an seiner schmälsten Stelle höchstens zweihundert Fuß, aber er stieg nicht steil, sondern langsam empor, bot schönen Grasboden und war aus diesem Grund leicht und bequem zu passieren. An beiden Seiten war er von Höhen eingefaßt, deren Bäume genug Holz zur Feuerung boten, und da diese Höhen die Winde abhalten, so wären die schönsten, wenn auch die gefährlichsten Nachtlagerplätze hier gewesen.
Nämlich der Feind konnte, wenn er zahlreich war, die Höhen rechts und links so gut und leicht besetzen, daß kein Mensch zu entkommen vermochte. Selbst ein einzelner Mann, der sich da oben hinter die Bäume und Sträucher versteckte, hätte einer vorüberziehenden Truppe den größten Schaden bereiten können, während ihn keine Kugel gefährdete.
Als die fünfhundert Apachen diesen Paß vor sich sahen, machte ihr Häuptling halt.
»Weiß mein Bruder genau, daß die Franzosen hier durchkommen werden?« wandte er sich an Gerard. Dieser antwortete in bestimmtem Ton: »Ich habe die Richtung gesehen, die sie einschlugen. Sie sind nördlich von Conchas über den Rio gegangen, da, wo die Nordgrenze des Presidio del Norte und de las Yuntas liegt. Wenn sie nach Fort Guadeloupe wollen und keinen großen Umweg einschlagen wollen, müssen sie hier passieren.« – »So mögen meine Leute die Höhen besetzen. Wir beide aber reiten weiter, um zu sehen, ob wir die Feinde bemerken.«
Der Indianer gab nun seine Befehle, und augenblicklich verschwanden die Leute unten zwischen den Bäumen, um die beiden Seiten des Passes zu besetzen; er selbst setzte mit Gerard den Ritt fort, zwar im scharfen Trab, stets aber doch die Stellen aussuchend, wo die Hufe der Pferde die wenigst sichtbare Spur hinterlassen mußten.
So ritten sie mehrere Stunden fort. Die Sonne erreichte den Zenit und begann wieder zu sinken. Längst schon lag die Höhe des Passes hinter ihnen. Es mochte drei Uhr nachmittags sein, als endlich die jenseitige Prärie, die sich nach dem Rio del Norte hinüberzieht, vor ihnen lag. Die Sonne stand tief und beleuchtete die Ebene scharf, so daß es für ein gutes Auge nicht schwer war, bis auf sehr weite Entfernung alles zu überblicken.
Die beiden Männer beschatteten ihre Augen mit den Händen und beobachteten die Prärie genau. Eben wollte Gerard eine Bemerkung machen, als Bärenauge die rechte Hand ausstreckte und nach Westen deutete.
»Ugh!« sagte er. »Mein weißer Bruder blicke da hinüber.« – »Ich habe diese Reiter bereits bemerkt«, antwortete Gerard. – »Wie viele zählt mein Bruder?« – »Hundert und zwanzig.« – »Auch ich zähle zwölf mal zehn. Sind es die Franzosen?« – »Ja.« – »Woran erkennt sie mein Bruder?« – »An dem Glanz ihrer Uniformen.« – »Was funkelt in der Luft?« – »Bajonette.« – »Tragen bei den Franzosen auch Reiter Bajonette?« – »Nein. Diese Kompanie besteht nicht aus Reitern, sondern aus Infanterie. Man hat den Leuten Pferde gegeben, weil hier diese Tiere nichts kosten und doch das Fortkommen erleichtern und beschleunigen.« – »Uff! Es sitzt nicht auf jedem Pferd ein Mann.« – »Sie werden Packpferde mit haben.« – »Ich sehe aber Frauen auf den Pferden sitzen.« – »Sie werden eine Marketenderin mithaben.« – »Was ist das?« – »Ein Weib oder Mädchen, das Getränke und Lebensmittel verkauft« – »Ich sehe mehrere Weiber, vier, fünf, sechs.« – »Ah, die Franzosen lieben die Frauen! Die Offiziere werden sich einige hübsche Mädchen aus Chihuahua mitgenommen haben.« – »Ugh!« rief Bärenauge erstaunt. »Hat der große Geist ihnen das Gehirn genommen, daß sie Mädchen mit auf einen Kriegszug schleppen?« – »Diese Kerle sind zu dumm, um zu wissen, welchen Fehler sie begehen.« – »Sie reiten nebeneinander. Sie machen eine Fährte, so breit wie die Bahn einer Büffelherde. Sie werden untergehen.« – »Sie sind verloren. In einer halben Stunde werden sie den Paß erreichen.« – »Was tun wir? Meint mein weißer Bruder, daß wir zurückkehren?« – »Ja.« – »Warum? Wollen wir sich nicht vorüberlassen und sehen, wo sie sich lagern werden?« – »Nein, in einer halben Stunde sind sie hier, wie ich schon sagte, dann ist nur noch zwei Stunden Tag. Um diese Zeit werden sie jenseits der Paßhöhe einen Ort erreichen, der breit und bewässert ist. Dort haben sie Platz, und ihre Pferde finden Trank und Futter. Sie werden so dumm sein, dort zu lagern, und wir können sie beobachten und jedes Wort hören, was gesprochen wird. Davon soll es abhängen, ob wir sie töten oder gefangen nach Fort Guadeloupe schaffen. Mein roter Bruder möge mir folgen.«
Bärenauge nickte beistimmend; sie wandten sogleich die Pferde um und kehrten zurück, selbst im Gras kaum eine Spur ihres Hierseins zurücklassend.
12. Kapitel
Unterdessen zogen die Franzosen auf die Öffnung des Passes zu. Wer sie so dahinreiten hätte sehen können, dem wäre himmelangst um sie geworden. Gleich beim ersten Blick mußte man sehen, daß die Kompanie aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengesetzt war. Turkos und Zuaven, Jäger und Linieninfanteristen, die nie ein Pferd bestiegen hatten, saßen auf ihren Tieren wie der Affe auf dem Kamel. Auch die Bewaffnung war verschieden. Es war eine jener verlorenen Kompanien, die, aus den verzweifeltsten Menschen zusammengesetzt, an die Grenze geschickt wurde, entweder um sie loszuwerden oder weil gerade solche obstinaten Charaktere am geeignetsten sind, mit Todesverachtung die schwierigsten Aufgaben zu lösen.
Diese eigentümliche Truppe bestand nur aus neunzig militärischen Personen. Außer diesen waren zwei bebrillte Zivilisten zu bemerken, von denen jeder ein bepacktes Handpferd mit sich führte. Die Marketenderin war an ihrer phantastischen Uniform zu erkennen. Außer ihr befanden sich fünf junge Damen dabei, die allerliebst zu Pferde saßen, was nicht zu verwundern war, da jede Mexikanerin das Reiten versteht. Es war klar, daß diese Damen zur mexikanischen Demimonde gehörten. Die übrigen Pferde waren Packpferde, alle zusammen hundertundzwanzig Stück, wie der Apache und sein Freund Gerard ganz richtig gezählt hatten.
Der Kapitän, oder wie wir deutsch zu sagen pflegen, der Hauptmann, ritt an der Spitze. Neben ihm der Premierleutnant. Sie waren in der eifrigsten Unterhaltung begriffen.
»Verflucht, daß uns der Führer davongelaufen ist!« brummte der Leutnant. »Nun können wir sehen, ob wir den rechten Weg auch wirklich treffen.« – »Keine Sorge, Leutnant, wir haben ihn«, antwortete der Kapitän. »Ich bin vor unserem Wegzug vorsichtig gewesen und habe mir von einem Vaquero die ganze Gegend beschreiben lassen. Sehen Sie, daß sich da gerade vor uns das Gebirge öffnet? Das muß der Paß sein, den ich suche.« – »Ein Paß?« fragte der Oberleutnant, das Monokel so nachlässig in das Auge klemmend, als ob er sich im Parkett eines Theaters befände. – »Ja, ein Paß.« – »In welchem Gebirge?« – »Zwischen zwei Gebirgen.« – »Pardon, Kapitän. Ein Paß ist stets nur in einem Gebirge.« – »Oh, er kann auch zwei Gebirge scheiden.« – »Scheiden? Hm! Wahrhaftig, es ist möglich! Also zwei Gebirge. Wie heißen sie?« – »Links die Sierra del Diablo.« – »Links? Ah ja, links! Und rechts?« – »Rechts die Sierra del Chanate.« – »Chanate? Rechts? Ah ja! Hm! Interessant!«
Der Oberleutnant hielt sein Pferd an und betrachtete sich die Berge durch das Augenglas gerade so, als ob er den Schnurrbart eines guten Kameraden nach Motten durchsuchen wolle. Er sowohl, als auch der Hauptmann sprachen in jenem näselnden, weltmüden Ton, der in Offizierskreisen so gern affektiert wird.
»Und diese Öffnung im Gebirge?« fragte der Premier weiter. – »Bildet einen Paß, wie ich bereits sagte«, antwortete der Hauptmann. – »Und diesen Paß?« – »Werden wir durchreiten.« – »Höchst interessant! Ein Paß, ein Defilee! Wird man da jemandem begegnen?« – »Wem sollte man begegnen?« – »Hm! Einer hübschen Indianerin.« – »Ah, Sie verraten einen exotischen Geschmack, Leutnant.« – »Ich habe gehört, die Komantschinnen oder Apachinnen sollen reizend sein!« – »Wirklich?« lächelte der Hauptmann.
Sein Lächeln war das eines Faun, ebenso das des Leutnants.
»Ja, auf Ehre!« antwortete dieser. »Habe gehört, daß besonders die Apachenmädchen wahre Wunder von Schönheit sein sollen.« – »Sie erregen wahrhaftig meine Neugierde.« – »Die meinige ist längst da. Sie sollen noch schöner und verführerischer sein als die allersüßesten Soubretten oder Chansonetten.« – »Oh, doch nicht!« – Auf Ehre! Füßchen und Händchen wie Pepita oder Fanny Elsner.«
Der Kapitän schnalzte mit der Zunge, als ob er eine große Delikatesse vor sich habe, und sagte:
»Und Sie meinen, daß eine dieser Apachinnen reizender wäre, als zum Beispiel Ihre Señorita Pepi?«
Bei dem letzteren Wort warf der Kapitän einen Blick hinter sich, wo die mexikanischen Damen ritten.
»Als Pepi?« fragte der Leutnant. »Ah, doch nicht. Pepi würde schöner sein. Sie ist bei Gott das schönste Mädchen, das ich gesehen habe.« – »Sie und Zilli, ihre Schwester«, nickte der Kapitän plötzlich ernsthaft. – »In die Sie verliebt sind, Kapitän!« meinte der Premier mit einem erzwungenen Lachen. – »Hole Sie der Teufel!« brauste der Kapitän auf. – »Ah, jetzt noch nicht«, meinte der Leutnant »Oh, diese Pepi!«
Er schnalzte dabei mit den Fingern wie ein Austernesser, dem nach langem Fasten endlich wieder einmal ein Dutzend Prima Austern geboten werden.
»Und o diese Zilli!« fügte der Kapitän hinzu. »Wären doch diese beiden verdammten Österreicher nicht!«
Bei diesen Worten warf er einen Blick auf die beiden Brillen tragenden Zivilisten hinter sich. Der Leutnant sekundierte diesen Blick mit einem heimlichen Ballen seiner Faust und meinte halblaut:
»Kapitän, man hat uns betrogen.« – »Ja, mich und Sie.« – »Ich koche vor Rachedurst.« – »Ich ebenso.« – »Ich habe an diese Pepi geglaubt, wie der Russe an seinen Hausheiligen.« – »Und ich an diese Zilli, wie der Türke an seinen Imam.« – »Und dennoch war alles Lüge!« – »Und Heuchelei!« – »Ich nahm Pepi mit, weil ich glaubte, sie liebe mich.« – »Und ich erlaubte Zilli, mich zu begleiten, weil ich dachte, sie sei in mich vernarrt.« – »Und nun läuft diese Pepi diesem Doktor nach.« – »Und Zilli dem anderen Doktor.« – »Der Teufel hole alle Doktoren!« – »Und die Hölle verbrenne alle Gelehrten! Warum hängt man uns denn eigentlich die beiden Österreicher an den Hals!« – »Hm, ich habe einen Gedanken«, meinte der Premier. – »Ah, welch ein Wunder«, meinte sein ergrimmter Nachbar, »daß Sie einmal einen Gedanken haben!« – »Keine Beleidigung, Kapitän! Ich fange nämlich an, zu bezweifeln, daß diese beiden Kerle Gelehrte sind.« – »Ah! Warum?« – »Sie sind mir zu jung und hübsch dazu. Gelehrte sind lang, dürr und steif; diese beiden Menschen aber sind jung, beweglich, rotwangig und – hol‘s der Teufel, ich glaube es ungeschworen, daß sie von den Damen für liebenswürdig gehalten werden.« – »Das ist wahr. Aber was sollen sie denn sein, wenn sie keine Gelehrten sind?« – »Hm, Spione.« – »Unsinn!« – »Jawohl, Spione des österreichischen Max nämlich. Da kommen diese beiden und legitimieren sich als Naturwissenschaftler. Sie bitten, sich uns anschließen zu dürfen, um das Land zu studieren und Werke über die Fauna und Flora herauszugeben. Sie reiten mit uns von Mexiko nach Querétaro, Guanajuato, Zacatecas, Durango und Chihuahua. Wohin wir kommen, schnappen sie uns die schönsten Mädchen weg, sie, die Österreicher, uns den Franzosen! Da, auf einmal sollen wir weiter nach Norden; sofort sind sie wieder da. Sie sind Schmarotzer, deren wir uns entledigen müssen. Habe ich recht?« – »Vollständig!« – »Ich glaube, sie wollen nicht ein Werk über die Fauna und Flora dieses Landes herausgeben, sondern über Pepi und Zilli.« – »Das soll ihnen nicht gelingen. Treffe ich Zilli noch einmal bei ihm, so jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf.« – »Und treffe ich Pepi bei dem anderen, so lasse ich ihn an den ersten besten Baum aufknüpfen. Unsere Jungens können die beiden Deutschen ja auch nicht ausstehen.« – »Ja, bringen wir sie nach Fort Guadeloupe, so ist es zu spät. Wir sind dann in geordneten Verhältnissen, und sie spielen den Hahn im Korb. Man müßte sie unterwegs verlieren.«
»Ah, ganz richtig, Kapitän! Ich wollte nur wissen, wie Sie über diese Sache denken. Also Sie werden meine Patronen nicht nachzählen, wenn Sie heute etwa einen Schuß hören?« – »Fällt mir nicht ein. Wir befinden uns hier in der Wildnis, wo das Gesetz der Savanne gilt. Finde ich meine Geliebte bei einem anderen, so jage ich ihm ebenso eine Kugel durch den Kopf, wie Sie jenem.« – »Das gilt?« – »Auf Ehre!« – »Topp?« – »Topp.«
Sie reichten einander die Hände. Diese beiden leichtsinnigen Franzosen beschlossen den Tod zweier deutscher Ehrenmänner mit derselben Gleichgültigkeit, mit der sie sich auf eine Hasenjagd versprochen hätten.
Während dieser Unterhaltung war der Zug in einen Paß eingebogen, der hier nach Osten aufzusteigen begann. Man ließ den Kapitän und seinen Premier voranreiten, sonst aber wurde nicht die mindeste Ordnung eingehalten. Der Sekondeleutnant ritt mit dem Portepeejunker im dichtesten Gewirr; die beiden hatten den Auftrag erhalten, über das Wohl der Damen zu wachen.
So wurde die Höhe des Passes erreicht, hinter der er sich wieder abwärts senkte. Auch die Sonne sank immer tiefer, bis sie endlich den Horizont erreichte; für die Franzosen aber, die in der Tiefe des Defilees ritten, war sie schon verschwunden.
Da plötzlich erweiterte sich der Paß zu einer Art Rundteil, das wie zu einem Lagerplatz geschaffen zu sein schien. Es war genau die Stelle, von der Gerard zu dem Apachenhäuptling gesprochen hatte. Die beiden voranreitenden Offiziere hielten, auf das freudigste überrascht, ihre Pferde an.
»Donnerwetter, wie bequem!« sagte der Kapitän. »Gerade wie zum Biwak angelegt!« – »Ganz so!« meinte der Premier und quetschte das Monokel in das Auge, um sich den Platz aufmerksam anzusehen. – »Platz genug für uns alle«, fuhr der Kapitän fort. – »Wasser auch«, meinte der Premier. – »Und Gras für die Pferde.« – »Schutz gegen die Winde.« – »Wie gut, daß es bereits seit Mittag aufgehört hat zu regnen. Wir werden hier ziemlich trocken liegen.« – »Ganz und gar trocken. Mein Zelt und meine Decken sind vollständig wasserdicht.« – »Die meinigen auch. Also hier bleiben und lagern?« – »Ja. Wollen das Zeichen geben.«
Der Hornist erhielt den Befehl und blies zum Lagern. Einige Augenblicke später herrschte das tollste Gewirr und ein lautes Schreien, Rufen und Zanken, ganz der französischen Sorglosigkeit und Lebhaftigkeit angemessen. Kein Mensch dachte daran, daß man sich auf dem Kriegspfad bewegte und daß man sich zwischen den Jagdgebieten der einzelnen Apachenstämme befand. Es war der Leichtsinn, der weiß, daß er mit dem Tode spielt, sich aber Mühe gibt, nicht daran zu denken.
Die Soldaten gruppierten sich auseinander, und Lager und Zelte wurden errichtet. Die der Offiziere, der Damen und der beiden Gelehrten kamen in die Mitte; die Pferde durften frei weiden und trinken. Niemand dachte daran, die Umgebung abzusuchen, und nur an den Ein– und Ausgang des Rundteils kam ein Einzelposten zu stehen, jedoch nur, damit sich keines der Pferde verlaufen solle. Kein Präriejäger hätte gewagt, hier zu übernachten, und nun lagerte sich ein Trupp von neunzig Franzosen da, wo ringsum das Verderben ihnen entgegengähnte; es war geradezu unbegreiflich.
Zudem wurden große Feuer gemacht, deren Flammen haushoch emporloderten, so daß selbst der kleinste Zweig hell erleuchtet wurde. Dann holte man die Proviantvorräte herbei, und nun wurde gebraten und gekocht, als ob man sich hier unter den sicheren Hallen von Paris, nicht aber an den Teufelsbergen von Nordamerika befände. Das Tal war in zehn Minuten von Bratenduft erfüllt, der einem Indianer diese Truppe meilenweit hätte verraten müssen. Nur Franzosen verfahren in dieser Manier, obgleich man gerechterweise gestehen muß, daß die französischen Waldläufer und Pelzjäger des Felsengebirges mit die kühnsten, erfahrensten und vorsichtigsten sind.
13. Kapitel
In einem der Zelte, die in der Mitte des Platzes errichtet worden waren, saßen die bereits erwähnten fünf Mexikanerinnen. Vielleicht gehörten sie nicht zu den Verlorenen. Die Mexikanerin ist Südländerin und als solche feurig. Das Blut pulsiert glühend durch ihre Adern und läßt dem Verstand nicht Zeit zu einer kühlen Abschätzung dessen, was der Sitte entsprechend ist oder nicht.
Dazu kommt noch, daß die Gewohnheiten des Landes keine so strengen sind wie bei uns.
Die Damen liebten die Uniformen und die Träger derselben; sie waren ihnen gefolgt, um ihnen die Reise und das öde Lagerleben zu würzen, darin lag nach ihren Begriffen keine Sünde; darum saßen sie jetzt in ihrem Zelt und erzählten sich ganz unbefangen, indem sie auf den Ruf zum Abendmahl warteten, die Erfolge, die sie bisher errungen hatten.
Das Zelt stand offen, und so drang der Schein des Feuers herein, der das Dunkel in ein rötliches Zwielicht verwandelte.
Drei von ihnen saßen so, daß sie von dem Feuer hell beleuchtet wurden. Es war ja ihre Absicht, von draußen gesehen zu werden. Zwei aber hatten sich in den tiefsten Hintergrund zurückgezogen. Dicht aneinandergeschmiegt, flüsterten sie leise. Es waren Pepi und Zilli, die beiden Schwestern; von denen der Kapitän mit dem Premierleutnant gesprochen hatte.
»Also du liebst den Kapitän nicht?« fragte Pepi. – »Ich hasse ihn«, klang es leise, aber in sehr bestimmten Ton zurück. – »Warum?« – »Er ist ein Tyrann. Und du? Liebst du diesen Oberleutnant?« – »Pah, ich verachte ihn!« – »Warum?« – »Er blickt mich nur durch das Monokel an, etwa so, wie man durch das Mikroskop ein gefangenes Insekt beobachtet Er ist ein Ignorant.« – »Und diesen beiden sollen wir unsere Liebe schenken?« – »Ich nicht.« – »Ich auch nicht. Aber sagst du auch die Wahrheit, Zilli?« – »Ich schwöre es dir zu. Diesem Kapitän ist es zwar gelungen, einige Male den Arm um meine Taille zu legen, aber den Mund habe ich ihn nicht berühren lassen. Und du, Pepi? Wie steht es mit deinem Leutnant?« – »Pah! Ich habe ihm erlaubt, die Hand zu küssen, weiter nichts. Gestern war er aber so kühn, mich an sich zu drücken, da gab ich ihm einen Stoß vor die Nase, daß ihm das Monokel zerbrach. Heute hat er ein anderes. Er muß sehr viele dieser Augenklemmer bei sich haben.« – »Hast du die Blicke gesehen, mit denen wir heute beobachtet wurden?« – »Ja.« – »Wie hast du sie gefunden?« – »Sehr zur Vorsicht mahnend.« – »Ich ebenso. Mir ist, als ob mir ein Unheil drohe.« – »Ich habe dasselbe Gefühl. Ich glaube, diese beiden Offiziere haben etwas vor, was uns Unglück bringen kann. Wer wird uns da schützen?« – »Die beiden Deutschen.« – »Glaubst du?« – »Sicher.« – »Oh, sie lieben uns doch nicht!« – »Aber sie sind edel und mutig. Sie werden nicht dulden, daß man uns kränkt.« – »Ich habe diese Zuversicht nicht. Oder ist Doktor Willmann gestern liebenswürdiger gegen dich gewesen?« – »Nein.« – »Aber er hat dir wenigstens erlaubt, wiederzukommen?« – »Ja. Und Doktor Berthold?« – »Auch er ist sich gleich geblieben. Ich habe ihn so unendlich lieb und mußte weinen. Das rührte ihn, so daß er mir sagte, ich dürfte heute abend wieder mit ihm sprechen.« – »Hat er dich noch nicht geküßt?« – »Nein. Und der deinige?« – »Auch nicht. Ach Pepi, was sind wir doch für unglückliche Geschöpfe!« – »Wir lieben so heiß, so innig. Wir würden alles tun, was man von uns verlangt, und doch werden wir mit solcher Kälte zurückgestoßen!« – »Vielleicht sind die Deutschen alle so kalt.« – »Ja, vielleicht. Denke dir nur, was ich gemacht habe, um die Kälte dieses Doktor Berthold zu schmelzen. Dir darf ich es ja sagen, denn wir verstehen uns. Ich habe seine Hand ergriffen. Und diese Hand habe ich dann gedrückt, sehr fest, so daß er hätte Gewalt anwenden müssen, um sie zu befreien, aber ich habe den Doktor nicht besiegt.« – »Nicht?« fragte Zilli ganz verwundert. – »Nein. Er zog die Hand wieder zurück, so ruhig, als ob ihn eine Puppe berührt hätte.« – »Du Arme! Da du aber so aufrichtig bist, will ich es auch sein, denn ich habe mich desselben Manövers bedient wie du.« – »Und welchen Erfolg hattest du?« – »Gar keinen. Er zog die Hand sofort wieder zurück.« – »Gott! Das ist ja geradezu eine Beleidigung!« – »Allerdings«, seufzte das traurige Mädchen. »Einem anderen hätte ich sogleich den Dolch ins Herz gestoßen. Aber ich …!« – »Ihn könntest du nicht töten?« – »Oh, ich liebe ihn ja so sehr!«
Das Mädchen gab sich Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken. Es fühlte, daß auch die Schwester weinte, denn die Tränen derselben fielen ihr auf die Hand.
»Vielleicht sind wir gar nicht so hübsch, wie wir denken«, flüsterte Pepi. – »Ja, vielleicht sind wir häßlich«, entgegnete Zilli, »wenigstens ich.« – »Du? O nein, du bist sehr hübsch. Du weißt ja, daß alle mit dir tanzen wollten, wenn wir zur Tertullia oder Fantasia gingen.« – »O nein, du hast viel, viel mehr getanzt, denn du bist unendlich hübscher als ich. Wäre ich ein Mann, so müßtest du meine Frau werden, und ich würde glücklich sein, eine so schöne, reizende Frau zu besitzen.« – »Das sagst du nur aus Liebe zu mir, denn der Mann, der dich bekommt, müßte geradezu ein Idiot sein, wenn er sich nicht glücklich fühlen wollte.«
Die Mexikanerinnen hätten sich vielleicht in dieser Weise noch länger zu trösten versucht, wenn nicht ein Soldat erschienen wäre, um Zilli zum Hauptmann zu bitten.
Sie erhob sich wortlos, versuchte ihre Tränen zu trocknen und begab sich dann nach dem Zelt des Hauptmanns. Pepi blieb zurück; aber bald hörte sie einen zweiten Soldaten sagen:
»Der Herr Premierleutnant ersucht Señorita Pepi, mit ihm zu speisen!«
Sie mußte diesem in Form einer Bitte gegebenen Befehl, geradeso wie ihre Schwester, Gehorsam leisten. Sie nahm daher eine möglichst unbefangene Miene an und begab sich nach dem Zelt des Premiers, der sich, wie der Hauptmann, allein in demselben befand.
»An, da sind Sie, meine liebe Kleine!« sagte er, indem er sie durch das Monokel betrachtete. »Nehmen Sie Platz!«
Es gab zwei Feldstühle hier, aber sie lagen in der Ecke. Das Essen stand am Boden auf einer Decke, und daneben war ein Teppich ausgebreitet, auf welchem sich der Premier lang ausgestreckt hatte. Es war sehr leicht zu ersehen, daß er es so eingerichtet hatte, daß Pepi sich gerade neben ihn placieren mußte. Dennoch sagte sie:
»Ich danke, Señor, ich würde Sie belästigen. Erlauben Sie, daß ich einen der Feldstühle nehme?«
Ehe er es verhindern konnte, hatte sie den Stuhl ergriffen, schlug ihn auseinander und setzte ihn so, daß das Essen zwischen sie und den Offizier zu liegen kam.
»Wissen Sie, daß Sie ein kleiner Teufel sind?« fragte er. – »Und Sie kein großer Engel«, antwortete sie. – »Engel oder Teufel; wir wollen zunächst essen, denn ich habe Hunger.«
Mit diesen Worten machte sich der Premier über die Speisen her. Es befand sich kein Licht im Zelt, sondern dasselbe wurde durch den Schein des Lagerfeuers erleuchtet, allerdings so spärlich, daß man die verschiedenen Speisen kaum zu unterscheiden vermochte.
Das Mahl war einfach und verlief wortlos. Pepi langte wenig zu. Der Gastgeber war ihr unsympathisch, und so mochte sie auch von seinen Speisen nichts wissen. Der Premier hingegen ließ es sich sehr gut munden, bis nichts mehr vorhanden war, dann schob er schleunigst das Geschirr zur Seite, so daß er Platz fand, an das schöne Mädchen heranzurücken.
»So, mein Schatz«, meinte er. »Jetzt hat der Leib das seinige, und nun können wir für die Bedürfnisse des Herzens sorgen.«
Er wollte sich ihr nähern, sie aber stieß ihn ziemlich energisch zurück.
»Ich danke, Señor«, sagte sie. »Für die Bedürfnisse meines Herzens ist bereits gesorgt.« – »Ah!« meinte er fast perplex, »wie meinen Sie das?« – »Daß ich diese Bedürfnisse am besten kennen muß.« – »Ah, vielleicht weiß ich, wo Sie diese Bedürfnisse empfinden würden.« – »Das ist mir gleichgültig. Ich mag es nicht hören.« – »Ich werde es Ihnen dennoch sagen. Wenn dieser Deutsche, Doktor Berthold, hier an meiner Stelle läge, würden Sie dann auch so spröde sein?« – »Sie haben kein Recht, mich so zu fragen.« – »O doch, Señorita. Sie vergessen Ihre Stellung zu mir ganz und gar.« – »Ich glaube nicht. Es müßte dies wenigstens erst bewiesen werden.« – »Ich werde es Ihnen beweisen, doch nur unter einer Bedingung.« – »Eine Bedingung? Welche?« – »Geben Sie mir Ihr schönes Händchen, daß ich es küsse!« – »Hier!«
Bei diesem sehr gleichgültig gesprochenen Wort gab sie ihm die Hand, die er feurig an seine Lippen drückte. Der gute Leutnant war wirklich ganz und gar in die reizende mexikanische Libelle verliebt.
»Nun?« fragte sie, ungeduldig mit den kleinen Füßchen stampfend. – »Wir ließen bekanntmachen, daß wir zu unserer persönlichen Bedienung einige junge Damen suchten, welche Mut genug hätten, uns zu begleiten.« – »Ist das Ihr ganzer Beweis?« – »Nein. Sie meldeten sich mit Ihrer Schwester und wurden engagiert.« – »Von wem?« – »Vom Kapitän.« – »Ich bin weder zur Bedienung des Hauptmanns, noch zu der Ihrigen engagiert worden. Wir haben gefragt, ob die beiden Doktoren auch der Bedienung bedürften, dies wurde bejaht. Für sie haben wir uns gemeldet.« – »Da liegt ein Irrtum vor. Um die Angelegenheiten dieser deutschen Zivilisten kümmern wir uns nicht so weit, daß wir ihnen zur Unterhaltung junge Damen engagieren.« – »Sie bedienen sich sehr starker Ausdrücke, Señor. Sie kennen uns Mexikanerinnen schlecht!« – »Oder Sie uns Franzosen nicht!« – »Möglich. Vielleicht ist es in Frankreich gebräuchlich, sich Liebe durch rohe Gewalt zu erzwingen. Aber selbst diese Roheit würde in Mexiko zu keinem Ziel führen.« – Alle Teufel, Sie werden giftig«, fuhr er auf. – »Nur zuweilen.« – »Ich werde Sie zähmen.« – »Sparen Sie die Mühe! Ich sehe gar wohl ein, daß ich mich aufrichtig und ohne alle Scheu erklären muß, Ihnen Ihren Standpunkt klarzumachen.« – »Tun Sie es! Ich bin neugierig und werde ein eifriger Zuhörer sein.«
Diese Worte wurden in einem impertinenten Ton gesprochen. Das Mädchen beachtete dies aber nicht im geringsten, sondern fuhr in belehrendem Ton fort:
»Wir Mexikanerinnen sind anders, als die Damen Frankreichs. Wenn wir lieben, so lieben wir mit Leib und Seele; dies wird bei Ihnen ebenso sein, nur daß Ihre Damen vielleicht nicht aufrichtig genug sind, dies einzugestehen. Wenn wir aber nicht lieben, so kann uns keine Macht der Erde dazu zwingen. Versucht man diesen Zwang, so sind wir imstande, zum Dolch zu greifen, und ich geben Ihnen mein Wort, daß wir ihn zu führen verstehen.« – »Ah, Sie sind wirklich ein Teufel.« – »Weiter! Unsere Verhältnisse sind andere als die Ihrigen. Bei Ihnen wird eine Dame sich vielleicht scheuen, einem Offizier offen in das Feld zu folgen. Bei uns ist das eine Heldentat Mit einem Schritt wie diesem ist nicht die mindeste Unehre verknüpft. Man liebt den Mann, man schließt sich ihm an, man nimmt Teil an seinen Entbehrungen, an seinen Taten, und später wird man seine Frau.« – »Ah, wirklich?« – »Sicher. Kein Mexikaner ist ehrlos genug, eine solche Aufopferung, ein solches Vertrauen zu mißbrauchen. Fühlt er, daß er die Dame nicht lieben kann, so weist er sie zurück. Sie aber, Señor, kommandieren die Dame tyrannisch mit sich fort und glauben, Liebe befehlen zu können, wo keine vorhanden ist. Sie begehen den Fehler, uns nach Ihnen zu beurteilen, und das kann sehr leicht verhängnisvoll werden.« – »Sie sprechen wie ein Pfarrer!« – »Spotten Sie immerhin, ich spreche dennoch weiter. Bin ich dann mit meiner Rede fertig, so bin ich zugleich fertig mit Ihnen. Sie rechnen mich und meine Schwester zu einer gewissen Kategorie von Mädchen, aber Sie irren sich. Glauben Sie es oder nicht, das ist mir sehr gleichgültig, aber ich sage Ihnen, daß es noch kein Mann gewagt hat, sich mir zu nähern, wie Sie es beabsichtigen. Ich hatte noch nie geliebt, bis ich Señor Berthold sah. Er stand mir fern, und ich konnte mich ihm nicht nahen. Da hörte ich von Ihrer Offerte und meldete mich. Jetzt erst erhielt er die Gelegenheit, mich kennenzulernen. Ist es nun auch ihm möglich, mich zu lieben, so werde ich ein glückliches Weib sein, liebt er mich aber nicht, so kehre ich zurück und werde in einem Kloster meine unglückliche Neigung zu besiegen versuchen.«
Dieses offene Geständnis war so bestimmt, so fest und sicher ausgesprochen, daß der Offizier an die Wahrheit desselben glauben mußte; sein Leichtsinn bekam aber sofort wieder die Oberhand, und er fragte:
»Ah, Sie lieben also diesen Monsieur Berthold, und er Sie ebenfalls?« – »Ich weiß es nicht.« – »Ihm würden Sie also die Bitte erfüllen, die ich vergebens an Sie stelle?« – »Ja.« – »Und wenn er Sie dann verließe?« – »Dies würde er nicht tun, er ist ein Ehrenmann. Ein Deutscher ist kein Franzose.« – »Danke, Señorita, für dieses Kompliment! Aber wenn er Sie doch verließe? Wenn es sich doch herausstellte, daß er kein Ehrenmann ist und daß Sie sich geirrt hätten?« – »So würde ich vor Gram sterben, ihm aber vorher den Dolch ins Herz stoßen. Glauben Sie wirklich, daß eine Mexikanerin sich einem Mann anvertraut, ohne einen Dolch zu besitzen?« – »Das klingt sehr romantisch! Wie viele Leihbibliotheken haben Sie durchgelesen?« – »Keine einzige. Aber um Sie zu überzeugen, so fühlen Sie!«
Der Offizier verspürte plötzlich ein kaltes, scharfes Eisen an seiner Wange, er fuhr erschrocken zurück.
»Donnerwetter, seien Sie vorsichtig!« warnte er. – »Ich gebe Ihnen diesen Ruf zurück. Eine Mexikanerin pflegt nur zweimal abzuwehren. Das erste Mal zerbricht sie das Monokel und das zweite Mal …« – »Sticht sie zu, wollen Sie doch nicht etwa sagen?« – »O doch, gerade das will ich sagen.« – »Sie scherzen! Eine so gefährliche Waffe gehört nicht in Frauenhände. Man wird sie Ihnen zu entreißen wissen.« – »Versuchen Sie es um Gottes willen nicht! Die Spitze ist mit Kurare vergiftet. Selbst wenn Sie Ihre ganze Kompanie aufböten, mir den Dolch zu nehmen, würden Sie nicht zum Ziel kommen, denn der kleinste Riß tötet augenblicklich.« – »Bei Gott, Sie sind eine Furie!« meinte da der Offizier mit hörbarem Entsetzen, während er sich schleunigst so weit als möglich zurückzog. »Wie alt sind Sie, Señorita?« – »Achtzehn.« – »Und Ihre Schwester?« – »Siebzehn.« – »Alle Teufel! Achtzehn und siebzehn und bereits so giftig und entschlossen! Sagen Sie mir, ob Señorita Zilli auch einen Dolch besitzt.« – »Natürlich.« – »Und sie hat ihn bei sich?« – »Das versteht sich!« – »Auch dann, wenn sie sich beim Kapitän befindet?« – »Dann erst recht und ganz sicher.« – »Mon dieu! Es wird doch nichts passieren!« – »Vielleicht nicht. Es kommt auf das Verhalten des Hauptmanns an.« – »So muß ich ihn schleunigst warnen.« – »Ah, das ist unnötig. Zilli wird ihn schon selbst warnen.« – »Das ist nicht genug. Es ist meine Pflicht, sofort selbst zu ihm zu gehen.« – »So gehen Sie.« – »Und Sie? Was werden Sie einstweilen tun?« – »Ich gehe auch, oder denken Sie, daß ich mich in Ihrem Zelt so übermäßig glücklich fühle, daß ich es nie verlassen möchte? Gute Nacht, Señor.« – »Gute Nacht, Señorita.« – Auf Wiedersehen morgen.« – »Aber nicht in meinem Zelt, hoffe ich.«
Sie ließ abermals ihr halblautes, metallisches Lachen hören und ging. Er aber stand an der hintersten Wand des Zeltes, wartete, bis sie verschwunden war, und sagte zu sich:
»Alle Teufel, war das ein Schreck! Ich habe da wirklich tagelang nur mit dem Tode gespielt Eine ganz verteufelte Katze! Dieses Kuraregift ist fürchterlich, ich danke ergebenst. Aber nun bin ich noch viel toller in sie verliebt als vorher. Ein Mädchen von diesem Kaliber kann einen ganz verrückt vor Liebe machen. Man muß warten, bis sie einmal ihren Dolch zufälligerweise nicht bei sich hat. Oder man überfällt sie unerwartet, hält sie fest, so daß sie sich nicht rühren kann, und läßt ihr das Werkzeug entreißen. Jener Berthold aber soll es mir entgelten. Wehe ihm, wenn sie heute noch zu ihm geht! Ich werde sofort den Kapitän aufsuchen, um ihn zu warnen und das Nötige mit ihm zu besprechen. Vorwärts!«
Der Offizier verließ sein Zelt und trat hinaus ins Freie.
Die Mehrzahl der Soldaten schlief bereits, die Pferde weideten ringsum und stießen zuweilen jenes Schnaufen aus, das den Eingeweihten die Nähe feindlicher Menschen verkündet. Sie witterten die Apachen. Die Franzosen aber hatten kein Verständnis für dieses Zeichen. Die Feuer waren ziemlich niedergebrannt, so daß ringsum ein eigentümliches Halbdunkel herrschte, in dem jede Bewegung eines Tieres oder eines Zweiges ein gespenstisches Aussehen erhielt. Daher zogen die Soldaten es vor, sich diesem Eindruck zu entziehen und, in ihre Decken gewickelt, den Schlaf herbeizugähnen.
Der Oberleutnant trat an das Zelt des Hauptmanns. Er konnte dies ungehört tun, da das Gras seine Schritte dämpfte. Er lauschte und hörte Stimmen, die sich halblaut miteinander unterhielten. Da die Wand des Zeltes nur aus dünnem Gummi bestand, konnte er jedes Wort verstehen.
»Also Sie wollen mir nicht angehören?« fragte soeben der Hauptmann. – »Nie.« – »Ah, das ist aufrichtig! Ihr Herz gehört einem andern?« – »Ja.« – »Und der andere ist dieser verdammte Doktor Willmann?« – »Ja.« – »Merken Sie denn nicht, daß Ihr Widerstand eine Lächerlichkeit ist?« – »Oh, ich weiß mir eine gründliche Hilfe. Hier, fühlen Sie, Señor!«
Es entstand eine kurze Pause, worauf der Hauptmann erschrocken ausrief:
»Alle Wetter, was war das? Das war ja ein Stahl, ein Dolch! Geben Sie her!« – »Um Gottes willen, Señor, greifen Sie nicht zu! Die Spitze ist vergiftet!«
In demselben Augenblick stand auch schon der Oberleutnant am Eingang und bestätigte:
»Ja, vergiftet mit dem fürchterlichen Kurare. Um aller Heiligen willen, befehlen Sie, daß dieses Mädchen sich entfernt!«
Der Hauptmann war aufgesprungen, vor Schreck und auch vor Überraschung, daß der Premierleutnant so plötzlich vor ihm stand.
»Donnerwetter, Sie haben uns belauscht?« fragte er zornig. – »Ich habe nur die letzten Worte gehört. Ich kam, Sie vor dem Kuraredolch zu warnen. Die andere hat einen ebensolchen Dolch. Sie drohte mir mit demselben.« – »Ah, gerade wie diese hier!« – »Darum habe ich sie fortgeschickt. Ich rate Ihnen, dasselbe zu tun. Der kleinste Hautritz wirkt augenblicklich tödlich.« – »Wetter! So muß ich Ihrem Rat folgen. Señorita, gehen Sie!« – »Ich gehe«, sagte das Mädchen. »Und ich hoffe, nicht wieder in die Lage zu kommen, mit meiner Waffe drohen zu müssen. Merken Sie sich das, Señores! Gute Nacht!«
Zilli ging. Der Kapitän blickte ihr wortlos nach, bis sie in ihrem Zelt verschwunden war, dann wandte er sich an den Leutnant mit der Frage:
»Dies war jedenfalls nur ein Theatercoup?« – »Gott bewahre! Die Dolche sind wirklich vergiftet. Diese Mexikanerinnen sind eine höchst gefährliche Sorte.« – »Das war ein ganz verteufeltes Intermezzo. Ich glaubte, dem Sieg schon nahe zu sein.« – »Hol‘s der Teufel! Auch ich koche vor Grimm. Die meine ist in diesen Doktor Berthold bis über die Ohren verliebt.« – »Hat sie es Ihnen gestanden?« – »Versteht sich! Frank und frei!« – »Und die meinige in Doktor Willmann. Es ist zum Zerplatzen! Was tut man da? Ich bin, glaube ich, in diese Hexe nun erst recht verliebt!« – »Gerade so geht mir‘s ja auch. Wenn nur die vermaledeiten Dolche nicht wären.« – »Hm, man könnte sie ihnen abnehmen.« – »Mit Gewalt nicht. Diese Pepi hat mich schüchtern gemacht. Man müßte sie höchstens überraschen. Und da weiß man nicht, ob man den Zweck erreicht.« – »So wendet man List an! Die Mädchen sind in die beiden Deutschen vernarrt, man tut, als ob man den beiden Kerlen an das Leben wolle und sie nur durch Übergabe der Dolche loskaufen lasse.« – »Dieser Gedanke ist sehr gut. Wann führen wir ihn aus?« – »Natürlich heute noch. Morgen abend sind wir ja bereits in Fort Guadeloupe, dann ist es zu spät.« – »Einverstanden!«
Die Offiziere traten hinter das Zelt zurück. Dort blieb der Kapitän für einen Augenblick stehen und lauschte.
»Was ist‘s?« fragte der Leutnant. – »Es war mir, als hätte ich gesehen, daß sich dort das Gras bewegte.« – »Ich sah nichts.« – »Und als hörte ich ein leises Knacken, als ob es von Handgelenken herrührte.« – »Pah, die Luft hat mit einem dürren Ast gespielt.« – »Jedenfalls. Die Wachtfeuer bringen eigentümliche Schatten hervor. Man möchte zuweilen denken, daß jeder Grashalm Leben habe. Legen wir uns nieder.«
Der Kapitän hatte jedenfalls sehr recht gesehen. Das ganze Rondell war von Apachen besetzt. Sie hatten die Franzosen kommen sehen und alles beobachtet. Der Schwarze Gerard aber fühlte bei dem Gedanken, daß so viele Menschen getötet und skalpiert werden sollten, ein inniges Mitleid. Er sprach Bärenauge zu; dieser aber forderte unbedingt die Skalpe. Daher nahm Gerard sich vor, erst einmal zu lauschen, ob er nicht etwas entdecken könne, was geeignet sei, als Grund zur Gnade zu dienen. Er glitt daher nieder und huschte unbemerkt bis an das Zelt des Leutnants, wo er jedes Wort hörte, das zwischen diesem und Pepi gesprochen wurde. Als das Mädchen das Zelt verlassen hatte und der Premier nach demjenigen des Kapitäns ging, huschte der Jäger hinter ihm her und war nun auch Zeuge der jetzt folgenden Unterredung. Endlich, als er genug gehört hatte, schlich er zurück und zwar gerade noch zur rechten Zeit; denn hätte er nur einen Augenblick länger gewartet, so wäre er von dem Kapitän gesehen worden. So aber gewann er glücklich den Rand des Tales und stieg hinter den Sträuchern bis dahin empor, wo der Apachenhäuptling stand.
»Mein Bruder hat viel gewagt«, bemerkte dieser. – »Nicht sehr viel«, antwortete Gerard. »Diese Leute kennen die Savanne nicht.« – »Aber es brannten viele Feuer!« – »Ich verstehe das Anschleichen wohl zur Genüge!« – »Mein Bruder ist ein guter Jäger. Er war sicher. Wenn er entdeckt worden wäre, so würden wir sofort über diese dummen Leute hergefallen sein. Was hat er da unten gesehen und gehört?« – »Nicht viel Gutes. Ich bat vorhin meinen roten Bruder, mir das Leben aller dieser Männer zu schenken; sie sollten nur gefangen sein und nach Fort Guadeloupe transportiert werden.« – »Ich muß nein sagen. Meine Apachen ziehen auf den Pfad des Krieges, um sich die Skalpe ihrer Feinde zu holen.« – »Mein Bruder hat recht. Diese Männer kommen nach Mexiko, um die Einwohner zu töten, das Land zu verwüsten und einen guten Mann, der ein deutscher Prinz ist, in das Verderben zu stürzen, aber einige Leben sollte mir mein Bruder dennoch schenken. Ich nehme dafür nichts von der Beute weg.« – »Wie viele Leben forderst du?« – »Das Leben der Frauen.« – »Die tapferen Krieger der Apachen führen nicht mit Frauen Krieg«, antwortete Bärenauge stolz. »Der Skalp eines Weibes gilt so wenig, wie das Fell einer Maus. Das Leben der Frauen sei dir geschenkt.« – »Ich danke dir. Aber es sind noch zwei Männer dabei, die ich schonen möchte, weil sie nicht Feinde dieses Landes, sondern gute Menschen sind.« – »Sind es Krieger?« – »Nein; es sind kluge Medizinmänner, die nur kommen, um die heilsamen Kräuter dieser Gegend kennenzulernen.« – »So müssen auch sie sterben, denn wenn sie in ihrem Land erzählen, welche Kräuter es hier gibt, so werden bald Tausende von Bleichgesichtern kommen, um uns diese Kräuter zu nehmen und das Land mit unseren Jagdgründen dazu. Die Bleichgesichter tun es stets so.« – »Und dennoch weiß ich einen Grund, daß du mir ihre Leben schenkst.« – »Sage mir ihn! Bärenauge ist gerecht und gütig; er tötet nicht gern einen Menschen, wenn es einen guten Grund gibt, ihm das Leben zu schenken.« – »Du kennst den Namen Sternau?« – »Ja. Er war der größte Jäger der Weißen und wurde der ›Fürst des Felsens‹ genannt. Er liebte die Kinder der Apachen und hat nie einen ihrer Krieger getötet.« – »Und du kennst auch den Namen Helmers?« – »Ja. Er wurde Donnerpfeil genannt und war ein Freund meines großen Bruders Bärenherz, dem ich alle sieben Tage das Leben eines Bleichgesichtes opfere. Sternau und Helmers zogen fort mit Bärenherz, und nun sind sie verschollen.« – »Weißt du, aus welchem Land die beiden großen Jäger waren?« – »Ich habe es auf der Hacienda del Erina erfahren. Sie waren aus dem fernen Land Germania, dessen Bewohner alle Freunde der Apachen sind.« – »Nun wohl! Die beiden Männer, deren Leben ich von dir erbitte, sind aus demselben Land Germania.« – »Weiß mein Bruder dies genau?« – »Ja.«
Der Apache schwieg eine ganze Weile, dann sagte er:
»Um meines Bruders Bärenherz willen sei dir das Leben dieser beiden geschenkt. In welchem Zelt befinden sie sich?« – »Sie haben jeder ein eigenes Zelt. Die beiden Wigwams stehen hart nebeneinander dort, wohin der Schein des hellsten Feuers fällt.« – »So werde ich jetzt meinen Kriegern befehlen, das Leben dieser beiden und das der Frauen zu schonen, da sie das Eigentum meines Bruders sind.« – »Und ich werde wieder hinuntergehen, um sie zu schützen.« – »Befinden sie sich in Gefahr?« – »Ja. Sie sollen vielleicht gar von den Franzosen getötet werden.« – »Diese neunmal zehn Franzosen werden sterben, bevor es ihnen gelungen ist, die Schützlinge meines Bruders anzurühren. Ich werde meine Krieger jetzt vorrücken lassen, und mein Bruder mag mir ein Zeichen geben, wann wir beginnen sollen.« – »Gut. Sobald ich den ersten Schuß abfeure, kann es losgehen.«
Gerard schlich sich ebenso leise und vorsichtig wieder hinab, wie er heraufgekommen war.
14. Kapitel
Unterdessen saßen die beiden Schwestern allein im Frauenzelt und erzählten sich ihre Unterredungen mit den Offizieren.
»Also du glaubst, daß sie uns jetzt fürchten und in Ruhe lassen werden?« fragte Zilli. – »Ich glaube, daß sie uns fürchten, aber ich glaube nicht, daß sie uns aufgeben.« – »Was sollen sie denn sonst tun?« – »Sie werden versuchen, uns unsere Waffen abzunehmen.« – »Das soll ihnen nicht gelingen und würde ihnen auch gar nichts helfen, wir sind ja bereits morgen in Fort Guadeloupe.« – »Daher werden sie sich Mühe geben, uns noch heute zu entwaffnen.« – »Ich werde mich wehren.« – »Ich auch.« – »Doktor Willmann wird mir beistehen. Er ist ein Caballero, der nicht dulden wird, daß man mich beleidigt.« – »So ist Señor Berthold auch.« – »Gehen wir jetzt zu ihnen? Sollen wir ihnen nicht lieber sagen, wer und was wir sind?« – »Nein, sie mögen uns immer Pepi und Zilli nennen und denken, daß wir ganz arme und gewöhnliche Mexikanerinnen sind.« – »Aber wenn sie die Wahrheit erfahren, werden sie uns vielleicht lieben!« – »Ich will geliebt sein um meiner selbst willen, nicht aber meines Standes wegen. Komm, laß uns gehen; aber vorsichtig, damit wir nicht bemerkt werden!«
Sie traten aus dem Zelt heraus und huschten über den von Schatten und Reflexen überzuckten Grasboden hin. Pepi erreichte das Zelt Bertholds, bog sich nieder, öffnete die verhängte Tür ein wenig und fragte leise:
»Schlaft Ihr bereits, Señor?« – »Nein«, antwortete es von innen. – »Darf ich eintreten?« – »Ja, ich bitte!«
Bei diesen Worten wurde von innen der Eingang so geöffnet, daß Pepi eintreten konnte. Es war vollständig finster; daher blieb sie stehen. Bald aber flackerte ein Zündholz auf, wurde ein Wachsstock angebrannt und nun war alles zu erkennen.
Das Zelt bestand aus einem einzigen Stück starken, wasserdicht gemachten Kirgisenfilzes, und selbst der Eingang legte sich so fest vor, daß, wenn im Innern Licht gebrannt wurde, kein Strahl desselben nach außen dringen konnte. Der Boden war mit einem dicken Teppich belegt, auf dem zwei gestickte Rollen lagen, die als Sitz oder Kopfkissen dienen konnten.
Der Inhaber des Zeltes war jung, schön und höchstens achtundzwanzig Jahre. Seine Kleidung, sein ganzes Äußere, seine goldene Brille, nichts von alledem wollte in die Savanne oder in die Teufelsberge hineinpassen, wo er sich befand.
»Setzt Euch, Señorita«, sagte er mit klangvoller Stimme, indem er auf die zweite Rolle deutete. »Ich versprach, Euer Kommen zu erwarten. Ihr bliebt aber sehr lange aus.« – »Ich mußte mit dem Oberleutnant speisen«, entschuldigte Pepi sich.
Bei diesen Worten zogen sich seine Brauen zusammen, und er entgegnete:
»Wieder bei ihm! Señorita, ich habe recht herzliches Mitleid mit Euch!«
Sie schwieg, als ob sie von einer schweren Schuld bedrückt werde, und er sah, daß sie sich alle Mühe geben mußte, aufsteigende Tränen zurückzudrängen.
»Ich sah in Mexiko, der Hauptstadt, ein Mädchen, dem Ihr außerordentlich ähnlich seid«, fuhr er fort. »Es war in der Kathedrale. Ich kniete dort und betete; da intonierte die Orgel leise; der Chor der Sänger hauchte leise Akkorde auf die Beter herab, und da plötzlich erklang eine herrliche, entzückende Altstimme laut und voll durch den weiten Raum, so rein und entzückend, daß sich aller Augen emporrichteten. Ich sah nur den Kopf der Sängerin. Es war ein wunderbar schöner Kopf, er mußte einem Mädchen in Eurem Alter gehören. Ich sah nur ihn, und ich hörte nur die Altstimme, die das Benedictus qui venit in einer Klangfarbe sang, wie ich sie so entzückend noch nie gehört hatte. Ich erkundigte mich nach der Sängerin, und seit jenem Tage sind mir der herrliche Kopf und dieses Benedictus nie wieder aus dem Sinn gekommen.«
Während Berthold sprach, leuchtete sein Auge in heller Begeisterung, jetzt aber senkte er betrübt den Blick zur Erde. Er bemerkte nicht, daß auf ihrem Gesicht die Farbe wechselte, daß ihr Busen wogte. Doch sie beherrschte sich und fragte mit gedämpfter Stimme, wie um den Klang derselben nicht zu verraten:
»Ihr habt Euch also nach ihr erkundigt? Habt Ihr erfahren, wer sie war?« – »Ja. Sie war eine reiche Grafentochter.« – »Ah, und Ihr liebtet sie?« – »Hoffnungslos. Ich habe sie ja nicht wiedergesehen und erfuhr außerdem, daß sie Braut sei, Braut zugleich mit ihrer Schwester, und Mexiko verlassen habe.« – »Oh, warum bliebt Ihr nicht! Vielleicht hat sie auch Euch bemerkt.« – »Es war mir allerdings, als ob Ihr Auge auf mir ruhte. Aber selbst wenn dies keine Täuschung gewesen wäre, was hätte es mir genützt? Ich kämpfte mit mir, ich glaubte, dieser Liebe Herr geworden zu sein. Da erblickte ich Euch in Chihuahua, Señorita, als Ihr mit Eurer Schwester Euch unserem Zug anschloß, und da erwachte diese Liebe mächtiger wieder, als sie vorher gewesen war.«
Ihr Blick leuchtete für einen Augenblick wonnig auf, doch drückte sie die Hand auf das Herz, wie um dasselbe zu beruhigen, und fragte:
»So sehe ich ihr also wirklich ein wenig ähnlich?« – »Sehr, Señorita. Wenn ich Euch so vor mir sitzen sehe, so ist es mir, als ob ich vor Euch niederfallen müsse, um Euch anzubeten, oder als ob ich Euch an mein Herz drücken solle, als das Schönste, Reinste und Herrlichste, was es auf Erden gibt; aber dann … muß ich mich fragen, was Ihr seid!« – »Ein armes, verlassenes Mädchen«, hauchte sie. – »Oh, wollte Gott im Himmel, daß Ihr arm und verlassen wäret, aber Ihr seid auch noch mehr. Oh, mein Gott, das ist traurig.«
Berthold beschattete sein Auge mit der Hand und lehnte den Kopf an die Zeltwand. Pepi sah das. Sein Weheruf drang ihr in die tiefste Seele. Sie glitt von der Rolle herab, so daß sie auf dem Boden kniete, erfaßte seine Hand, zog sie zu sich herab und bat mit bebender Stimme:
»Señor, um Gottes Barmherzigkeit willen, seht mich an! Ich schwöre Euch bei allen Heiligen, bei Gott und meiner Seligkeit, daß ich nichts bin als nur arm und verlassen. Ihr irrt Euch. Ich bin ganz so rein, ganz so schuldlos, wie die Sängerin des Benedictus. Glaubt es mir! Glaubt es mir!« – »Und geht mit französischen Soldaten in die Welt hinaus?«
Im Ton seiner Stimme lag ein förmlich niederschmetternder Vorwurf. Sie bebte zusammen. Sie ergriff auch seine andere Hand und legte sie auf ihr stürmisch klopfendes Herz. Sie wollte sprechen; sie wollte bitten und flehen, aber sie konnte nicht, denn in diesem Augenblick wurde die Tür gewaltig aufgestoßen, und der Kapitän stand vor den beiden, überflog die Szene mit einem in diesem Moment unbeschreiblichen Blick und sagte:
»Ah, Entschuldigung! Ich wollte wirklich nicht stören. Aber Señor, habt Ihr vielleicht einen Augenblick Zeit?« – »Gewiß«, antwortete Berthold schnell gefaßt. – »So habt die Güte, Euch einmal in mein Zelt zu bemühen. Es ist etwas geschehen, weswegen man sehr schnell Eurer bedarf.« – »Was ist es?« – »Es ist nichts für Damenohren. Übrigens wird es für die Señorita geraten sein, sich nach ihrem Zelt zu verfügen.«
Pepi war beim Anblick des Kapitäns ganz erschrocken vom Teppich emporgefahren und stand jetzt da, wie mit Blut übergossen. Der Doktor reichte ihr die Hand und sagte in ungewöhnlich sanftem Ton:
»Ja, es ist wahr, wir haben uns sehr verspätet. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Señorita!«
Damit folgte er dem Kapitän, während Pepi nach ihrem Zelt eilte.
»Was ist geschehen?« fragte Berthold unterwegs den Hauptmann. – »Ihr werdet es gleich sehen. Kommt nur mit«, antwortete dieser.
Bei seinem Zelt angekommen, öffnete er dieses und schob den Deutschen hinein.
»Hier ist er; fest, Jungens.«
Diesen Befehl des Kapitäns hörte Berthold noch, dann fühlte er sich von mehreren Händen gepackt, gleich darauf preßten zwei Fäuste ihm die Kehle zusammen, so daß er keinen Laut von sich geben konnte; dann wurde er gebunden, geknebelt und zu Boden geworfen, wo er vollständig hilflos liegenblieb.
Zilli, die jüngere Schwester, war unterdessen in das Zelt Willmanns getreten, das ganz denselben Stoff und Bau wie dasjenige seines Freundes hatte. Willmann stand wohl in dem gleichen Alter wie dieser, doch war er nicht schwarz, sondern blond. Sein blaues Auge schien einen harten, scharfen Glanz zu haben; wer ihn aber genau kannte, der wußte, daß er ein zartes, weiches Gemüt und ein tieffühlendes Herz besaß.
»Guten Abend, Señor!« grüßte sie leise und verlegen.
Er saß auf einer Rolle, wie sein Freund, hatte einen Wachsstock brennen und las in einem Buch. Er blickte von demselben auf und antwortete:
»Guten Abend, Señorita. Was wollt Ihr?«
Das klang so scharf, so abweisend. Sie erbleichte und antwortete:
»Ich meinte, Ihr hättet mir gestern für heute den Zutritt erlaubt, Señor.«
Da besann er sich und sagte schnell:
»Ach ja! Setzt Euch.«
Zilli nahm nun auf der zweiten Rolle ihm gegenüber Platz, während er wieder in das Buch sah und weiterlas, ohne die geringste Notiz von ihr zu nehmen. Sie saß so demütig, so ergeben vor ihm; er bemerkte es nicht. Ihr Auge wurde feucht. So vergingen fünf Minuten und abermals fünf; da war es ihm, als wenn er einen eigentümlichen Laut höre, gerade so, als wenn man ein schweres Schluchzen mit aller Gewalt niederkämpft. Er blickte auf und auf Zilli hin. Sie saß leichenblaß vor ihm, so schön, so wunderschön, als ob ein Bildhauer eine Statue geschaffen und mit der malerischen mexikanischen Tracht verhüllt habe. Aber diese Statue hatte Leben. Der Busen hob und senkte sich in schneller Bewegung, die Mundwinkel zuckten krampfhaft, und über die marmornen Wangen tropfte eine schwere Träne nach der anderen.
»Warum weint Ihr?« fragte er kurz. – »Ich bin so traurig«, antwortete sie in leise, verzagtem Ton, indem sie einen langen, unbeschreiblichen Blick in sein scheinbar kaltes Angesicht warf und schwieg. Da sprach auch er nicht und begann wiederum weiter und weiter zu lesen. Aber immer öfter kehrte sein Auge zu ihr zurück, die es nicht wagte, zu ihm aufzublicken. Endlich drang ein warmer, weicher Laut an ihr Ohr:
»Zilli!«
Sie blickte schnell und fragend zu ihm empor.
»Gerade solche weinenden Augen habe ich bereits einmal gesehen.« – »Wo, Señor?« fragte sie bebend. – »In Mexiko. Ich wurde zu einer Schwerkranken gerufen, bei der ich fast stets eine junge Dame traf, die die Alte aus Mitgefühl besuchte. Ich habe ihr Gesicht nur einmal flüchtig gesehen, denn so oft ich eintrat und sie zugegen war, verschleierte sie sich augenblicklich. Dies Gesicht war schön, so schön und rein, aber ich sah mehr die Augen als dieses Gesicht, denn sie standen voller Tränen. Diese Dame besaß ein reiches, tiefes Gemüt; sie war ein Engel, den ich nicht vergessen habe und zu dem ich auch noch jetzt bete. Und ihre Augen waren ganz genau diejenigen, die ich jetzt bei Euch hier sehe.« – »Ihr liebtet sie, Señor?«
Willmann zögerte zu antworten, entgegnete dann aber mit einem tiefen Seufzer:
»Leider, ja! Auch wir Männer sind ja schwach. Sie war ein reiches Grafenkind und noch dazu Braut, ebenso wie ihre Schwester. Ich wollte meinem Leiden entfliehen und verließ Mexiko, habe es aber ich Chihuahua doppelt wiedergefunden, denn Ihr seid ganz das Ebenbild jenes herrlichen Wesens, ganz so jung, so schön und scheinbar ebenso reich und tief an … scheinbar, oh, warum nur scheinbar?«
Er wandte sich ab. Sein Gesicht hatte plötzlich einen ganz anderen Ausdruck angenommen. Es war, als ob er alle Kraft zusammennehmen müsse, um ein schweres Leid hinabzukämpfen; ja, als ob er gar mit Tränen ringe.
Da sprang sie von ihrem Sitz empor, ergriff mit einer jähen Bewegung seine Hände, zog sie an sich und sagte mit flehender Stimme:
»Señor, nicht weinen, nicht weinen! Ich kann Euch nicht traurig sehen! Ihr zweifelt an mir, doch Ihr irrt, denn ich versichere Euch, daß …«
Sie hielt erschrocken inne, denn die Tür war geöffnet worden, und der Hauptmann stand vor ihnen, überflog die Gruppe mit einem grimmigen Blick, beherrschte sich aber doch und sagte in einem möglichst freundlichen Ton:
»Verzeihung, Señor, Doktor Berthold läßt Euch schleunigst bitten!« – »Wozu? Wo ist er?« – »In meinem Zelt.« – »Was wünscht er von mir?« – »Er hat einen meiner Leute in Behandlung. Der Mann ist ganz plötzlich krank geworden und leidet die fürchterlichsten Schmerzen. Ich glaube, er ist von einer Klapperschlange gebissen worden.« – »Klapperschlange? Hier in dieser Gegend und so kurz nach einem solchen Regenwetter? Das ist sehr unwahrscheinlich. Wenn es hier wirklich Klapperschlangen gibt, so haben sie sich jedenfalls vor der Feuchtigkeit verkrochen. Aber wenn der Mann gebissen worden ist, so muß man ihm so viel Spirituosen zu trinken geben, daß er besinnungslos wird. Ich werde sogleich kommen.« – »Ich soll Euch mitbringen.« – »Gut, ich gehe ja schon.« Und sich zu dem Mädchen wendend, fügte Willmann hinzu: »Verzeihung, Señorita! Ihr seht, daß ich in Anspruch genommen werde. Vielleicht sprechen wir dieser Tage weiter über das Thema, das jetzt unterbrochen wird. Gute Nacht!« – »Ja, gute Nacht«, meinte auch der Hauptmann zu Zilli. »Für junge Damen ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen Zurückgezogenheit außerordentlich rätlich.«
Die Señorita tat, als ob sie die in diesen Worten liegende Beleidigung gar nicht herausgefühlt habe, und ging, ohne ein Wort zu erwidern. Den Deutschen aber verdroß die Taktlosigkeit des Kapitäns, obgleich er es für unter seiner Würde hielt, ein Wort darüber zu verlieren. Er folgte dem Kapitän lautlos bis an dessen Zelt, wo der Hauptmann den Eingang öffnete und sagte:
»Tretet ein, Señor!«
Der Arzt folgte der Aufforderung, fühlte sich aber sofort von mehreren Fäusten gepackt und niedergerissen. Er wollte um Hilfe rufen, kaum aber öffnete er den Mund, so wurde ihm ein zusammengeballtes Tuch in denselben geschoben. Dann band man ihn so, daß er sich nicht regen konnte.
Hierauf wurde ein Licht angebrannt, bei dessen Schein er sah, daß sein Kollege, gerade so gefesselt wie er, neben ihm lag. Vor ihnen standen der Kapitän mit dem Oberleutnant und einige Soldaten, die bei dem hinterlistigen Überfall mit tätig gewesen waren, soeben im Begriff, sich vor das Zelt zurückzuziehen.
Der Kapitän verschränkte die Arme über die Brust, warf einen höhnisch befriedigten Blick auf seine beiden Opfer und sagte:
»So, es ist gelungen! Euch werden wir schon unschädlich machen, für uns unschädlich und für die Mädchen.«
Und der Oberleutnant legte ihm die Hand auf den Arm und sprach:
»Herr Kapitän, überlegen wir uns, wie dies am sichersten und schnellsten geschehen kann. Ich habe eine Idee. Untersuchen wir die Habseligkeiten dieser beiden Herren. Sie sind Deutsche. Man weiß, daß die Herren Österreicher jetzt gegen uns Franzosen konspirieren. Dieser Erzherzog Max, den wir erst zum Kaiser gemacht haben, scheint dies vergessen zu wollen. Man muß vorsichtig sein und alle Maßregeln ergreifen, um sich gegen geheime Gefahren zu sichern.« – »Wie meinen Sie dies? Was hat dies mit dem gegenwärtigen Fall zu tun?« – »Sehr viel. Wenn wir unter den Effekten dieser Leute nun etwas fänden, was uns Veranlassung gäbe … hm!«
Da nickte der Kapitän zustimmend mit dem Kopf und erwiderte:
»Sie haben recht, Oberleutnant. Ich gebe diese Angelegenheit in Ihre Hände; aber beeilen Sie sich gefälligst; wir haben keine Zeit zu verlieren, da wir bereits morgen nach Fort Guadeloupe kommen werden. Untersuchen Sie die beiden Zelte genau; ich werde einstweilen hierbleiben, um unsere geehrten Gefangenen zu beaufsichtigen. Gehen Sie!«
Der Oberleutnant ging, und der Hauptmann blieb bei den Gefangenen. Da er nicht sprach und die zwei ihrer Knebel wegen nicht reden konnten, so herrschte im Zelt eine tiefe Stille, bis nach einer halben Stunde der Premierleutnant mit befriedigter Miene zurückkehrte.
»Nun, haben Sie gefunden?« fragte ihn der Kapitän. – »Oh, genug«, antwortete der Gefragte triumphierend. »Zwei Briefe. Bei jedem einen. Diese Herren hatten allerdings eine Unzahl von Korrespondenz bei sich; ich habe jedoch nur diejenigen beiden Schreiben fortgenommen, deren Inhalt hinreichend ist, sie um den Kopf zu bringen.« – »So geben Sie schnell her!« rief der Kapitän erfreut, zog dem Oberleutnant das eine Schreiben aus der Hand, öffnete es, trat damit zum Licht und las:
»Mein lieber Doktor!
Schicken Sie mir das Opiat; es wird hoffentlich den gewünschten Erfolg haben. – Übrigens haben Sie hinsichtlich unserer letzten Unterredung vollständig recht. Bazaine spielt falsche Karten. Man muß ihm auf die Finger klopfen.
Baron d‘ Huart.«
Der Kapitän sah die Zeilen nochmals durch, schüttelte leise den Kopf und fragte:
»Nun, Oberleutnant, inwiefern meinen Sie, daß dieses Schreiben kompromittierend sei?« – »Ah, das ahnen Sie nicht? Kennen Sie denn diesen Baron d‘Huart nicht? Er ist Hauptmann und Ordonnanzoffizier Seiner Königlichen Hoheit des Grafen von Flandern.« – »Was geht das uns an? Was hat Flandern mit Mexiko zu tun?« – »Oh, sehr viel, Herr Kapitän!« erwiderte der Oberleutnant im Ton der Überlegenheit. – »So erklären Sie dies.« – »Nun, Graf von Flandern ist der jedesmalige Nachfolger des Kronprinzen von Belgien. Es ist jetzt eine außerordentliche belgische Gesandtschaft bei dem Kaiser Max. Kaiserin Charlotte, die frühere Erzherzogin, ist ja eine belgische Prinzessin. Nun wird Ihnen ja wohl alles klar sein.« – »Allerdings«, nickte der Kapitän. »Dieser Hauptmann Baron d‘Huart ist also in nächster Nähe des Kaiserpaares in Mexiko?« – »Das versteht sich.« – »Er sagt, daß der Marschall falsche Karten spiele.« – »Wie Sie gelesen haben!« – »Und daß man ihm auf die Finger klopfen müsse.« – »Was jedenfalls so viel heißt, daß man Bazaine unschädlich machen solle.« – »Natürlich!« – »Und dabei spricht der Baron von einem Opiat!« – »Donnerwetter, Leutnant, jetzt erst wird mir klar, was Sie meinen!« rief der Kapitän, sich die Hände reibend. »Ja, das ist wahr! Bei wem fanden Sie den Brief?« – »Bei Doktor Berthold.« – »Er soll also ein Opiat liefern, um den Marschall Bazaine zu vergiften.« – »Jedenfalls!« – »Ja, das ist doch so deutlich, daß es gar keines weiteren Beweises und auch keines Verhöres bedarf. Meinen Sie nicht auch, Herr Oberleutnant!« – »Ich bin ganz dieser Ansicht.« – »Nun gut, so geben Sie mir den anderen Brief!«
Der Leutnant reichte dem Kapitän das Schreiben. Es war auf sehr abgegriffenes Papier geschrieben und in spanischer Sprache abgefaßt Dabei war die Schrift so eigentümlich, daß der Offizier sich alle Mühe geben mußte, sie zu entziffern. Die Zeilen lauteten in deutscher Übersetzung:
»Ich benachrichtige Sie, daß ich mit den Österreichern Frieden geschlossen habe, aber jeden Franzosen niederschießen werde.
Juan Franzisko,
Herrscher der freien Kuato-Komantschen.«
»Das klingt allerdings gefährlich«, sagte der Kapitän. »Dieser Juan Franzisko ist unser grimmigster Feind.« – »Sein Brief zeigt«, entgegnete der Oberleutnant, »daß wir von ihm und den Deutschen verraten werden.« – »Bei wem fanden Sie die Zeilen?« – »Bei Doktor Willmann.« – »Ohne allen Zweifel.« – »Ein todwürdiges Verbrechen!« – »Und zwei so gefährliche Menschen haben wir in unserer Mitte. Man muß sie sofort unschädlich machen.« – »Hm! Ja! Doch wie?« fragte der Kapitän im Tone des Bedenkens, obgleich er seinem Untergebenen vollständig beistimmte. – »Wir füsilieren sie.« – »Das sind wir allerdings unserer eigenen Sicherheit und dem Marschall schuldig. Aber sie sollen, obgleich sie den augenblicklichen Tod verdient haben, ein rechtmäßiges Urteil empfangen. Gehen Sie, Oberleutnant, und rufen Sie die Chargierten zusammen. Wir werden augenblicklich ein Kriegsgericht konstituieren.«
Der Leutnant ging und holte in aller Stille die Leute herbei. Der Kapitän hielt an dieselben eine kurze Ansprache, verlas die Briefe und erklärte, daß solche Verbrechen mit dem sofortigen Tode zu bestrafen seien.
»Wir befinden uns auf dem Marsch in Feindesland«, sagte er. »Formalitäten sind überflüssig, ja, vielleicht gefährlich. Im Kriege handelt man schneller als in Zeiten des Friedens. Ich fordere unbedingt sofortige Vollziehung des Urteils, das die Herren aussprechen wollen. Wie lautet es?«
Die Untergebenen errieten den Wunsch ihres Vorgesetzten und stimmten alle für den Tod der beiden Deutschen, zu vollziehen durch das Gewehr.
Nur ein Unteroffizier wagte zu fragen, ob es nicht geraten sei, die Angeklagten vorher reden zu lassen.
»Pah, was sollen sie reden!« erwiderte der Kapitän. »Ihre Schuld ist erwiesen. Nehmen wir ihnen die Knebel fort, so heulen sie uns die Ohren voll. Das können wir vermeiden. Schlagt zwei Pfähle in die Erde und bindet sie daran, so, wie sie jetzt sind, und ruft die Kompanie zusammen. Wir verkünden das Urteil, und sechs Mann sind genug, es zu vollziehen, für jeden drei.« – »Dann müssen wir die Feuer heller machen«, meinte der Oberleutnant. – »Besorgen Sie das«, stimmte der Kapitän zu.
In kürzester Zeit flammten die Feuer auf. Am Rand des Waldes wurden zwei Stämme abgeschnitten und zwischen den Lagerfeuern in die Erde geschlagen. Dann befestigte man die Gefangenen daran, und nun ertönte das laute Kommando: »In Reih und Glied mit den Offizieren vor der Front!«
Hierdurch war natürlich ein Lärm erregt worden, der die beiden Schwestern in ihrem Zelt aufmerksam machte. Sie traten aus demselben hervor.
»Was ist das?« fragte Pepi erstaunt. – »Die ganze Kompanie versammelt, mitten in der Nacht?« fügte Zilli hinzu. – »Und dort – oh, Zilli, siehst du?« – »Wo?« – »Zwischen den beiden Feuern!« – »Heiliger Gott, Doktor Willmann an einen Pfahl gebunden!« – »Und Doktor Berthold neben ihm! Was ist das?«
Die beiden Mädchen waren im ersten Augenblick mehr erstaunt als erschrocken. Da erhob der Hauptmann seine Stimme, um Achtung zu rufen.
»Sie sind gefangen!« sagte Pepi. – »Man hat sie von uns fortgelockt!« meinte Zilli. – »Oh, man will sie töten, töten aus Eifersucht unsertwegen! Ich leide es nicht, nein, ich leide es nicht! Komm, Zilli!«
Die beiden Mädchen eilten auf die Reihe Soldaten zu. Sie hörten, was der Kapitän mit lauter Stimme sprach; sie erfuhren, daß die beiden geliebten Männer wegen Einvernehmens mit dem Feind und wegen Mordanschlags gegen den Marschall sofort erschossen werden sollten. Sie waren heißblütige, mutige Mexikanerinnen. Sie flogen mit webenden Gewändern um den Flügelmann herum und auf die Offiziere zu.
»Das ist falsch! Sie sind unschuldig! Sie sind keine Verräter!« rief Pepi. – »Zurück mit euch!« gebot der Kapitän. »Hier ist kein Platz für euch.« – »So gehen wir dahin, wo unser Platz ist!« entgegnete das mutige Mädchen. »Eure Kugeln sollen erst uns durchbohren, ehe sie die Unschuldigen treffen.«
Damit schritt Pepi auf die Gefangenen zu und stellte sich vor Berthold hin, während ihre Schwester Willmann mit ihrem Leib deckte.
»Unsinn!« rief der Kapitän. »Korporal Gradon, nehmen Sie drei Mann und schaffen Sie die Mädchen fort!«
Der Korporal wollte gehorchen, doch als er in die Nähe der kühnen Mexikanerinnen kam, zogen diese ihre Dolche, und Pepi drohte:
»Halt, bleibt stehen! Wer uns anrührt, muß sterben. Diese Klingen sind mit Kurare vergiftet!«
Da machte der Korporal mit seinen drei Mann halt und blickte den Hauptmann an, um dessen neuen Befehl zu erwarten.
Dieser befand sich in augenscheinlicher Verlegenheit. Er wollte Zilli nicht gewaltsam behandeln, aber auch keinen seiner Leute verlieren. Endlich riß ihn der Oberleutnant aus der schwierigen Lage, indem er sagte:
»Das sind ganz verteufelte Mädchen. Man darf ihnen nicht zu nahe kommen, und doch will man ihnen nicht wehetun. Soll ich sie unschädlich machen, Kapitän?« – »Ja. Aber wie?« – »Hm, wissen Sie nicht, daß ich mich in letzter Zeit geübt habe, Lasso zu werfen?« – »Ah, gut, schön, das ist prächtig! Haben Sie einen Lasso?« – »Ja, im Zelt.« – »Holen Sie ihn sogleich.«
Das tat nun der Leutnant nicht; er gab vielmehr seinem Diener einen Wink, der das Verlangte sogleich brachte. Der Leutnant nahm darauf den Riemen, wickelte ihn kunstgerecht auf und schritt dann auf die Pfähle zu.
Es war ein eigentümlicher Augenblick. Zwei Mädchen hielten eine ganze Kompanie Soldaten in Schach. Sie wußten, welche Furcht man vor dem Kurare hatte. Ungefähr zwölf Schritt von ihnen entfernt blieb der Leutnant stehen und gebot:
»Geht fort, sonst werfe ich!« – »Versuchen Sie es!« antwortete Pepi trotzig.
Der Leutnant machte Miene, zum Wurf auszuholen, wurde aber durch eine fremde Stimme davon abgehalten, die in kräftigem Baß Halt gebot. Er drehte sich langsam um, und mit ihm sah die Kompanie einen Mann vom Rand des Gebüsches her auf die Stelle zuschreiten, wo die Offiziere standen.
15. Kapitel
Der Mann, der sich den Offizieren näherte, war hoch und breit gebaut, und die flackernden Reflexe der Feuer schienen seine Gestalt in das Gigantische verlängern zu wollen. Er blieb gerade vor der Front bei dem Hauptmann stehen und grüßte:
»Guten Abend, meine Herren. Ich verbiete Ihnen, diese Damen zu beleidigen.«
Die Franzosen waren ganz erstaunt ob dieses Zwischenfalls. Die Gestalt und das gebieterische Verhalten dieses Mannes machten einen so verblüffenden Eindruck auf sie, daß erst nach einer Pause der Kapitän fragte:
»Mensch, was wagen Sie? Wer sind Sie?«
Der Mann stützte den Kolben seiner Büchse auf die Erde und antwortete ruhig:
»Ein Jäger bin ich, Monsieur.« – »Ein Jäger? Und Sie treten hier als Gebieter auf?« – »Wie Sie sehen und hören! Die Damen stehen unter meinem Schutz.« – »Ah, woher kommen Sie?« – »Aus Fort Guadeloupe.« – »Donnerwetter! Und wohin wollen Sie?« – »Nur hierher zu Ihnen!«
Der Kapitän war über diese Antwort ganz betreten. Er fragte:
»Hierher? Zu mir? Kennen Sie mich?« – »Ja.« – »Und wußten Sie, daß ich hier zu treffen bin?« – »Sehr genau.« – »Woher?« – »Ich habe von Chihuahua aus Ihre Spur verfolgt und Sie seit dem Nachmittag hier beobachtet.«
Der Offizier befand sich beinahe in Verlegenheit, was er von dem Mann zu halten habe. Die Sicherheit und Ruhe desselben imponierten ihm, und die ganze Szenerie war vollständig dazu angetan, den Eindruck dieser plötzlichen Erscheinung zu verzehnfachen. Als der Oberleutnant die Bestürzung seines Vorgesetzten sah, trat er, den Lasso in der Hand, näher, musterte den Fremden aufmerksam und fragte:
»Sie wußten, daß wir hier zu finden seien?« – »Ja«, nickte der Gefragte. – »Sie haben uns also gesucht?« – »Gewiß.« – »So sind Sie ein Bote?« – »Nein.« – »Aber, zum Teufel, was wollen Sie denn da hier?« – »Ihnen sagen, daß die vier Personen, die dort an den Pfählen stehen, sich unter meinem Schutz befinden.« – »Sie sind einfach verrückt! Ich werde Sie festnehmen lassen, um zu sehen, was wir von Ihnen zu halten haben. Geben Sie Ihre Büchse ab.«
Der Leutnant streckte die Hand nach dem Gewehr aus, der Fremde aber trat einen Schritt zurück und antwortete:
»Sie erklären mich für wahnsinnig, weil ich, ein einzelner Jäger, es wage, der Vollstreckung eines ungerechten Urteilsspruchs mich zu widersetzen? Ah, wissen Sie, was hier im wilden Gebirge ein Jäger zu bedeuten hat? Sie haben zwei Unschuldige zum Tode verurteilt; dafür werde ich mich als Richter auf werfen und Sie selbst zum Tode verurteilen. In fünf Minuten lebt von Ihnen allen kein einziger mehr. Blut um Blut, das fordert das Gesetz der Savanne.«
Da erhielt der Kapitän die Sprache wieder. Er zog seinen Degen, trat hart an den Fremden heran und sagte:
»Mensch, aus Ihnen spricht entweder der Wahnsinn oder Verrat. Geben Sie Ihre Waffen ab und sagen Sie, wer Sie sind und wie Sie heißen.« – »Die Waffen abgeben? Pah, das wollen Sie doch nicht von mir verlangen! Die Kugeln werden Sie bekommen, aber die Büchse nicht. Ich brauche Ihnen nur meinen Namen zu nennen, so werden Sie es glauben.«
Der Fremde stand so ruhig und stolz vor dem Kapitän, als ob er mit einem Schulknaben spräche. Dies entflammte den Offizier zur Wut, und er gebot:
»Nun, so lassen Sie hören! Wie heißen Sie?« – »Man nennt mich den Schwarzen Gerard.«
Diese Antwort brachte allerdings eine nicht geringe Wirkung hervor. Im ersten Augenblick herrschte das tiefste Schweigen, im zweiten ging der Name die ganze Front hinab von Mund zu Mund, im dritten aber faßte der Kapitän den Sprecher bei der Brust und rief:
»Der Schwarze Gerard? Ah! Herbei, Ihr Leute, er muß unser werden!«
Sofort löste sich die militärische Linie auf, und man sprang herbei, um den berühmten und gefürchteten Jäger zu umzingeln. Dieser jedoch schüttelte den Kapitän leicht von sich ab und rief:
»Ich? Euer werden? Nein, nein, Ihr werdet unser!«
Damit erhob er die Büchse, und zwei Schüsse krachten. Der erste traf den Kapitän und der zweite den Oberleutnant durch den Kopf. Und in demselben Augenblick erscholl ein Geheul, von dem die Erde zu erzittern schien. Der ganze Talkessel wurde lebendig. Hunderte von wilden Gestalten warfen sich von allen Seiten auf die Franzosen, die vor Schreck gar nicht an Gegenwehr dachten. Schüsse wurden fast nicht gewechselt. Der fürchterlich Tomahawk und das heimtückische Bowiemesser wüteten. Es war eine entsetzliche Szene, bei der den Zuschauern die Haare zu Berge steigen konnten.
Gerard war nach seinen beiden Schüssen an die Pfähle gesprungen. Während er sich um die blutige Arbeit der Apachen nicht im geringsten kümmerte, schnitt er die beiden Gefangenen los, nahm ihnen die Fesseln und Knebel ab und beruhigte sie, als dies geschehen war, durch die Worte:
»Haben Sie keine Angst, meine Herren! Die Rothäute werden Ihnen nichts zuleide tun, denn Sie stehen unter meinem Schutz.« – »Auch wir?« fragte Zilli beim Anblick der dunklen Gestalten, die Skalpe erntend über den Platz huschten. – »Auch Sie, Mademoiselle. Bleiben Sie ruhig stehen, bis es zu Ende ist.« – »Mein Gott, welch ein Abend!« rief Berthold. »Aber woher kommen diese Indianer?« – »Wir halten den Platz bereits seit der Dämmerung eingeschlossen.« – »Und ist es wahr, was Sie sagten? Sie sind der Schwarze Gerard?« – »Ich bin es!« – »Aber warum lassen Sie dieses Morden zu?« —»Es ist Krieg, mein Herr, und meine Freunde wollen Skalpe haben.« – »So gibt es kein Erbarmen?« – »Nein.« – »Entsetzlich! Getrauen Sie sich, dies zu verantworten?« – »Ja.«
Gerard sagte dies so ruhig und in einem so bestimmten Ton, daß der andere schwieg. Die beiden Geretteten und die Mädchen mußten nun dem Morden zusehen, ohne Einhalt tun zu können, und das Grauen lief ihnen eiskalt am Körper herab, als die Todesschreie der Sterbenden die Luft erfüllten.
»Es ist mir unmöglich, länger zuzusehen«, sagte endlich Zilli. »Ich falle um.« – »So kommen Sie«, bat Gerard. »Ich werde Sie in Ihre Zelte bringen und Sie dort bewachen, denn auch Ihr Eigentum wird unverletzlich sein.« – »Sie meinen auch das unsrige?« fragte Doktor Willmann. – »Natürlich!« – »So sage ich Ihnen großen Dank. Wir haben wertvolle Manuskripte und Instrumente bei uns, die jetzt unersetzlich sein würden. Doch ja, die Mädchen haben recht. Dieses Blutvergießen ist geradezu fürchterlich. Lassen Sie uns die Zelte aufsuchen!«
Man sah noch beim Schein des Lagerfeuers die Apachen in ihrer gräßlichen Beschäftigung. Die Franzosen waren überrumpelt worden und hatten sich widerstandslos hinschlachten lassen. Einer von ihnen kam auf fünf Indianer, so lag es klar auf der Hand, daß sie in Zeit von wenigen Minuten überwältigt werden mußten. Sie fielen massenhaft, wie die Sperlinge vom Schrot. Die Apachen stritten sich um die Skalpe, und wenn einer von ihnen eine Kopfhaut erobert hatte, so schwang er sie triumphierend in der Luft und stieß dabei ein schrilles Siegesgeheul aus, das Mark und Bein durchschnitt.
Durch diesen wilden Tumult hindurch führte Gerard seine Schützlinge, die von den Roten respektiert wurden, denn der Indianer hält sein Wort auf jeden Fall.
Mitten in der wüsten Szene stand hochaufgerichtet Bärenauge. Er hatte nicht gekämpft, sondern die Feinde und deren Skalpe den Seinigen überlassen. Sein dunkles Auge überflog den Platz, nichts entging seinem Blick, und wenn sich einer der zum Tode verwundeten und bereits skalpierten Franzosen noch leise regte, so genügte ein einfacher Fingerzeig des Häuptlings, um über den Sterbenden das Beil des nächsten Apachen zu bringen.
Da erblickte er Gerard, der, auf seine Büchse gestützt, als Schutzwache bei den Zelten stand. Langsam schritt er auf ihn zu und sagte:
»Diese weißen Hunde sterben wie die Ratten. Das Herz eines Kriegers der Apachen hat mehr Mut, als sie alle.« – »Sie hätten sich gewehrt, aber sie sind ganz unvermutet überfallen worden«, antwortete Gerard in gerechter Würdigung der Umstände. »Ich habe die beiden Anführer erschossen. Will mein Bruder ihre Skalpe haben?«
Da machte Bärenauge eine unbeschreiblich geringschätzige und abwehrende Armbewegung und erwiderte mit einem stolzen Kopfschütteln:
»Bärenauge nimmt nur die Skalpe derer, die er selbst erlegt hat.« – »Aber warum kämpft mein Bruder heute nicht? Warum holt er sich keinen Skalp?« – »Weil der Feinde zu wenige sind. Ich habe so viele Skalpe, daß ich sie nicht in meine Hütte bringe. Meine Krieger sollen auch welche haben.«
Das war eine Selbstlosigkeit, eine Rücksicht für die Seinen, die man bei einem Indianer höchst selten treffen wird. Es war jedenfalls das beste Mittel, die Begeisterung für sich zu erwecken und zu erhöhen.
»Ein Weißer nimmt keine Skalpe«, meinte Gerard. »Was tue ich mit den beiden? Ich werde sie deinen Leuten überlassen.«
Da schüttelte Bärenauge abermals den Kopf und antwortete:
»Ein Apache nimmt niemals einen Skalp geschenkt; er würde verachtet werden von allen tapferen Kriegern. Die beiden Anführer der Bleichgesichter mögen gefressen werden von den Geiern mit Haut und Haar. Ihre Kopfhaut ist wie das Fell des Präriehundes. Kein Händler gibt einen Abschnitt seines Fingernagels dafür.«
Die Apachen waren jetzt mit den Leichen fertig und machten sich über die Beute her, die beim Schein der Feuer herbeigetragen und zur Verteilung geordnet wurde.
Bärenauge aber sagte:
»Sie mögen alles unter sich teilen; Bärenauge mag nichts davon. Er nimmt alle sieben Tage einem Weißen den Skalp, um den Tod seines Bruders Bärenherz zu rächen, der ein großer Mann war unter den Häuptlingen der Indianer. Das ist ihm genug.«
Dann schritt er davon, um die Beuteverteilung zu überwachen, die so ruhig ihren Verlauf nahm, als ob es sich um eine Preisverteilung für irgendeine europäische Konkurrenzarbeit handle.
Nach kurzer Zeit öffnete Doktor Berthold vorsichtig sein Zelt und trat zu Gerard. Er war kein furchtsamer Charakter, aber das Blutbad hatte ihm die Haare auf dem Kopf emporgesträubt, obgleich ihm die Ermordeten nach dem Leben getrachtet hatten.
»Ist das Morden vorüber, Señor?« erkundigte er sich bei dem Jäger. – »Ja.« – »So bin ich mit meinem Freund vollständig sicher?« – »Ja. Ihr waret es schon vorher, denn ich hatte Euch mir ausgebeten.« – »Sie stehen mit diesen Wilden auf dem Fuß der Freundschaft?« – »Pah, nennen Sie diese Leute nicht wild. Sie verteidigen ihr rechtmäßiges Vaterland, ihr Eigentum mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Da nennt man sie wild und Barbaren. Ich bin kein Gelehrter und auch kein Politikus, aber ich habe vielleicht mehr gesehen und erfahren als alle die Herren, die aus den roten Männern Barbaren machen. Es ist nichts Neues, daß Gewalt vor Recht geht.« – »Leider. Und der Fluch unserer Zeit ist, daß wir unser Unrecht in ein heuchlerisches Gewebe von Recht zu kleiden suchen. Wir rühmen uns, die Werkzeuge des göttlichen Willens und höherer Zwecke zu sein, aber mit Unrecht.« – »Ich ahne, was Sie sagen wollen. Ein sogenannter ›Halbwilder‹ charakterisierte die Eroberungsseuche sehr treffend mit dem Satz: ›Erst sendet Ihr einen Missionar, um zu sehen, was wir machen; dann schickt Ihr einen Konsul, um zu sehen, was der Missionar macht, und endlich sendet Ihr eine Armee, um zu sehen, was der Konsul macht.‹« – »Vielleicht hatte der Mann recht.« – »Vielleicht? Nein, jedenfalls. Diese Indianer waren Besitzer des Landes. Man hat es ihnen gestohlen und geraubt. Jetzt verteidigen sie das letzte Stück. Es handelt sich um Sein oder Nichtsein. Jeder von ihnen ist der beste Kerl, den ich kenne, aber selbst der schlägt zu, wenn man ihm eine Ohrfeige gibt oder ihm die Uhr aus der Tasche zieht.« – »Zu welchem Stamm gehören sie?« – »Es sind Apachen.« – »Und ihr Häuptling, den ich dort so stolz stehen sehe?« – »Es ist Bärenauge, ein junger Krieger, aber ebenso geachtet wie berühmt wie der älteste, weiseste und erfahrenste Indianerhäuptling. Sie stehen, wie ich Ihnen bereits versicherte, unter meinem Schutz, und er wird infolgedessen Ihr Freund sein und sie nach besten Kräften beschützen.« – »Aber, Señor, wie kommt es, daß Sie sich gerade unserer so nachhaltig annehmen?« – »Das ist sehr einfach. Ich habe heute abend das Lager belauscht. Ich lag unter den Franzosen hinter den Zelten und habe da die Unterredungen in denselben gehört Ich erfuhr, daß man sich Ihrer entledigen wollte und daß Sie Deutsche sind. Ich liebe die Deutschen, und so beschloß ich, Sie zu retten.« – »Ich danke Ihnen! Was werden die Apachen über uns bestimmen?« – »Nichts. Sie sind frei und können tun, was Ihnen beliebt.« – »So möchte ich am liebsten zurückkehren.« – »Allein? Durch die Berge und die Prärie?« – »Was bleibt uns anderes übrig? Ist die Gegend so unsicher?« – »Jetzt jedenfalls. Ich darf Ihnen vielleicht sagen, daß es in nächster Zeit hierherum viele Kämpfe gegen wird, und kann Ihnen darum nur eins raten: Wir werden morgen früh nach Fort Guadeloupe reiten. Schließen Sie sich uns an. Dort sind Sie sicher und können warten, bis der Weg wieder offen und sicher ist.« – »Wir sind in der Nähe des Forts?« – »Ganz nahe.« – »So werden wir Ihren Rat jedenfalls befolgen.« – »Daran tun Sie recht Aber erlauben Sie mir eine Erkundigung.« – »Sehr gem.« – »War der Kapitän, den ich erschoß, als Sie am Pfahl standen, wirklich der Hauptmann der vernichteten Kompanie?« – »Nein. Der eigentliche Kommandeur befindet sich bereite in Fort Guadeloupe. Er wird erschrecken, wenn er hört, daß seine Leute tot sind.« – »Er wird nicht erschrecken, denn auch er ist tot.« – »Ah! Er wurde getötet? Von wem?« – »Von mir. Eine Kugel aus dieser Büchse streckte ihn nieder.«
Der Doktor sah in Gerard einen Helden, dennoch schreckte er zurück.
»Señor«, sagte er, »man hat mir nicht zu viel gesagt. Sie sind wirklich ein furchtbarer Gegner.« – »Aber meinen Freunden ein aufopfernder Freund. Doch sehen Sie, wie es sich die Roten jetzt bequem machen! Sie dämpfen die Lagerfeuer und stellen Wachen aus. Sie werden hier unter Skalpierten ebenso ruhig schlafen wie daheim in ihren Wigwams. Auch Sie können ohne Sorgen der Ruhe pflegen, denn es wird kein Haar Ihres Hauptes gekrümmt werden.« – »So werde ich diese beruhigende Botschaft den beiden Damen bringen.« – »Tun Sie das. Aber sagen Sie, waren nicht noch mehrere Damen im Lager?« – »Noch drei.« – »Wo sind sie?« – »Ich weiß es nicht. Vielleicht wurden sie getötet.« – »Möglich, vielleicht aber sind sie auch entflohen. Ich werde nachsehen. Gute Nacht.« – »Gute Nacht!«
Nach diesem Gruß ging Berthold zu dem Frauenzelt. Als er den Eingang desselben öffnete, wurde er von Pepi erkannt. Sie trat zu ihm.
Er ergriff ihre Hand, drückte dieselbe freundlich und sagte:
»Señorita, ich habe Sie verkannt.«
Sie schwieg; aber seine Worte taten ihr unendlich wohl.
»Ich habe Ihnen sehr viel zu danken«, fuhr er fort. – »Das sagen Sie ja nur«, flüsterte sie zagend. – »O nein; denn hätten Sie sich nicht unserer so mutig angenommen, so hätten die Indianer wohl nicht Zeit gehabt, noch im rechten Augenblick heranzukommen.« – »Sie täuschen sich, Señor! Die Indianer haben uns jedenfalls bereits seit Anfang des Abends umzingelt und nur den passenden Augenblick abgewartet. Was aber wird nun mit uns geschehen?« – »Wir sind frei.« – »Wirklich?« fragte sie in ungläubigem Ton. – »Ja. Der Schwarze Gerard hat mir die Versicherung gegeben. Morgen reiten wir nach Fort Guadeloupe, um dortzubleiben, bis der Rückweg sicher ist.« – »Sie?« – »Ja, und Sie natürlich mit. Aber sagen Sie, was Sie getan hätten, wenn der Lasso dieses Oberleutnants Sie wirklich getroffen hätte? Sie wären von demselben ja umschlungen und niedergerissen worden.«
Da stieß sie ein kurzes, metallisches Lachen aus und erwiderte:
»Sie sind kein Mexikaner, Señor, sonst wüßten Sie, daß man keinen Lasso zu fürchten braucht, wenn man darauf vorbereitet ist und einen Dolch oder ein Messer in der Hand hält Der Riemen ist durchschnitten, ehe er sich zusammenziehen kann. Übrigens stand ja meine Schwester bei mit. Wäre die eine getroffen worden, so hätte die andere den Lasso durchschnitten. Und wehe dem, der sich in unsere Nähe gewagt hätte!« – »Sie hätten sich wirklich mit dem Dolch verteidigt?« – »Das versteht sich!« – »Und er ist faktisch mit Kurare vergiftet?« – »Ja. Der kleinste Hautritz ist tödlich, und zwar binnen einer Minute.« – »Alle Wetter, was seid Ihr Mexikanerinnen für gefährliche Frauen! Muß man nicht eine junge Dame lieben, die sich so furchtlos bereit erklärt, einen gegen eine ganze Kompanie Soldaten zu verteidigen?«
Er bog sich nieder, um den Arm um sie zu legen. Sie aber entschlüpfte ihm.
»Wartet, bis Ihr an mich glaubt, Señor.«
Mit diesen Worten zog sie ihre Hand aus der seinigen und verschwand hinter dem Türvorhang ihres Zeltes. Er blieb in Gedanken versunken stehen.
»Ein unbegreifliches Wesen!« dachte er. »Oh, diese Mexikanerinnen, wer kann aus ihnen klug werden!«
Er kehrte nach seinem Zelt zurück. Da mußte er bei demjenigen seines Kollegen vorüber. Dieser stand im Begriff, dasselbe zu verlassen und erkannte ihn.
»Ah, Berthold, du? Wie steht es?« fragte er. – »Gut. Diese Apachen sind unsere Freunde, und morgen reiten wir mit ihnen nach Fort Guadeloupe, um abzuwarten, wann wir zurückkehren können.« – »Welch ein Glück! Dem Tode so nahe und doch gerettet!« – »Das haben wir nur diesem Schwarzen Gerard zu verdanken.« – »Ich weiß es; aber es ist mir völlig unbegreiflich, weshalb er sich gerade für uns so interessiert.«
Berthold erklärte es ihm, soweit er selbst es soeben erfahren hatte. Dann fragte er:
»Hast du eine Ahnung von der eigentlichen Ursache, aus der man uns töten wollte?« – »Das versteht sich, der Kapitän war in Zilli verliebt.« – »Und der Oberleutnant in Pepi. Diese beiden Mexikanerinnen wären schuld gewesen an unserem Tode, aber sie haben uns dafür desto energischer verteidigt Hattest du jenes Schreiben wirklich von Juan Franzisko?« – »Nein. Ich ließ es mir vom Grafen La Tour schenken, um ein Autograph des berühmten Parteigängers zu besitzen. Aber dein Brief?« – »War auch ein ganz ungefährliches Schriftstück. Ich sollte d‘Huart eine Dosis Opium gegen ein Magenleiden schicken. Die Bemerkung, die er über Bazaine machte, war eine ganz zufällige und stand mit dem Marschall nicht in der geringsten Beziehung.« – »So hätten wir beide unschuldig sterben müssen, wenn wir die beiden Mädchen nicht gehabt hätten. Ich werde trotz der späten Stunde die kleine Zilli aufsuchen, um mich bei ihr zu bedanken.« – »Ich habe dies bei Pepi bereits getan.« – »Ah! Und wie hat sie es aufgenommen?« – »Sehr spröde.« – »So werde ich sehen, ob ich mehr Glück habe!«
16. Kapitel
Am anderen Morgen stand Señor Pirnero auf, kleidete sich verdrossen an und ging dann, wie gewöhnlich, sofort nach der Gaststube, um seine Morgenschokolade zu schlürfen, trat an sein Fenster, um die alltägliche Wetterbeobachtung zu machen, und bildete da eine höchst eigentümliche Figur.
Sein Mund hatte sich ganz erstaunt geöffnet, seine Brauen zogen sich bis zur oberen Stirnhälfte empor, seine Ohren fuhren nach hinten, und seine Hände streckten sich aus. So stand er da, ein Bild der höchsten Überraschung.
In diesem Augenblick trat Resedilla ein, um ihm den Morgentrank zu bringen. Als sie ihn erblickte, erschrak sie förmlich und fragte voll Angst:
»Mein Gott, Vater, was hast du?«
Da drehte er sich langsam um. Der Mund klappte zu, die Brauen fielen herab, die Ohren kehrten an ihren eigentlichen Platz zurück, und die Hände krochen langsam in die Hosentaschen. Er blickte die Tochter überlegen an und antwortete:
»Was ich habe? Nun, was soll ich haben? Freude habe ich über das Wetter!«
Jetzt mußte sie lächeln. Sie setzte die Tasse hin und begab sich an ihren gewöhnlichen Platz.
Der Vater tat einen langen, vergnügten Schluck, blickte freundlich zum Fenster hinaus, räusperte sich und sagte mit tiefster Betonung:
»Schönes Wetter!«
Er hatte recht, denn draußen schien die Sonne, und nach dem anhaltenden Regen sah die Natur aus, als ob sie neu geschaffen worden sei. Auch Resedilla freute sich über diese Änderung, aber sie vergaß, dem Vater zu antworten, darum drehte dieser sich zu ihr hin und brummte:
»Nun?« – »Was denn?« – »Schönes Wetter! Ausgezeichnetes Wetter!« – »Herrlich, Vater.« – »Gewiß. So einen Tag haben wir hier lange Zeit nicht gehabt Fast gerade so wie in Pirna.« – »Ist das Wetter dort so schön, Vater?« – »Ausgezeichnet!« – »Niemals Regen?« fragte sie zweifelnd. – »Nie! Wozu denn Regen? Wir haben ja die Elbe da, wenn wir Wasser brauchen! In Pirna sind sie nicht so dumm, die Elbe zu haben und es auch noch regnen zu lassen. Höchstens gießt es einmal vierzehn Tage lang, was nur so vom Himmel herunter will, denn die Wolken wollen doch auch einmal ihren Willen haben, dann tritt wieder gutes Wetter ein!« – »Also regnet es in Pirna doch?« fragte Resedilla lächelnd.
Das ärgerte ihn.
»Nein, sondern es gießt!« antwortete er ergrimmt »Dann läuft das Wasser auf den Gassen, daß keine Frau hinauskann. Nur lange Stiefel kommen da durch. Wehe also der, die keinen Mann hat, sondern ledig ist!«
Jetzt schwieg Resedilla, und sie wußte sehr wohl, warum.
Es war höchst eigentümlich, auf welchen Wegen der Alte immer wieder auf sein Lieblingsthema zu kommen wußte. Jetzt war er glücklich dabei. Darum fuhr er fort
»Genaugenommen, muß man bei Sonnenschein ebenso verheiratet sein wie bei Regen. Ich setze den Fall, wir behalten dieses Wetter, so werden alle Jäger und Umwohner das Fort besuchen, und dann haben wir einen Zuspruch, den ich ohne Schwiegersohn gar nicht bewältigen kann.«
Die Tochter ließ ihn reden. Das schöne Wetter hatte ihn in gute Laune versetzt, und sie wollte ihm dieselbe nicht verderben, als er fortfuhr:
»Bei dir redet man allerdings nur in den Wind. Wie viele sind dagewesen, die die besten Anlagen zum Schwiegersohn gehabt hätten! Jetzt kommt sogar der Schwarze Gerard, der sicherlich ein Schwiegersohn ist, wie er im Buche steht Bei dem heutigen Wetter bleibt er sicherlich nicht aus. Da ist ferner unser gestriger Gast Er ist zwar ein bißchen klein, aber er hat einen berühmten Jägernamen und außerdem ganze Beutel voll Nuggets. Ah, ist er schon aufgestanden?« – »Schon längst.« – »Wo steckt er denn?« – »Er wollte sehen, ob er uns für den Mittagstisch etwas schießen könne.« – »So ist er fort?« – »Ja, schon sehr früh.« – »Auf die Jagd?« – »Ja.« – »Siehst du, was für ein Schwiegersohn der sein würde. Der brächte uns Hirsche und Wildbret die schwere Menge geschleppt, denn von dem Kleinen André hat man schon längst gehört. Er ist ein ganz anderer Kerl als jener Mason, der nie ein Wild sieht oder gar schießt, keine Kleider auf dem Leibe hat und nur einen einzigen Julep trinkt. Dieser Kerl könnte mir gestohlen werden, obgleich ich mich gestern freute, daß er so gut deutsch sprechen kann. Aber zu einem tüchtigen Schwiegersohn braucht man mehr als Deutsch. Der Mason ist mir nicht …«
Er hielt mitten in der Rede inne und fuhr vom Stuhl empor, denn draußen war ein Reiter vorübergekommen, der sein Pferd nach dem offenen Stall zu ritt.
»Da!« sagte der Wirt ärgerlich. »Man darf den Teufel nur an die Wand malen, so ist er auch sogleich da. Hast du gesehen, wer dieser Reiter war, Resedilla?« – »Ja.« – »Und wer?« – »Mason«, antwortete sie errötend. – »Dachte ich es doch, obgleich er mir zu rasch am Fenster vorüber war. Jetzt wird er hereinkommen und drei Stunden an einem Gläschen Julep herumlutschen. In Pirna sagen wir nämlich lutschen. Ja, da kommt er auch wirklich schon!«
Die Tür ging auf, und Gerard trat ein.
»Guten Morgen«, grüßte er freundlich.
Resedilla nickte ihm lächelnd zu, der Alte aber tat, als ob er den Gruß nicht gehört und auch den Eintretenden nicht bemerkt habe.
Letzterer bestellte sich wirklich einen Julep und nippte daran, nachdem er ihn von der Tochter empfangen hatte. Nun trat eine mehrere Minuten lange Stille ein. Da aber Pirnero kein Freund von solchen langen Pausen war, so sagte er schließlich:
»Schönes Wetter!«
Niemand antwortete. Deshalb drehte er sich zu Gerard herum und sagte:
»Nun, Señor! Schönes Wetter!« – »Allerdings. Ich habe Euch nur nicht geantwortet, weil ich Euch nicht erschrecken wollte!« – »Erschrecken? Warum sollte ich über Euch erschrecken?« – »Weil ich dachte, Ihr hättet es gar nicht bemerkt, daß ich bei Euch eingetreten bin.« – »Glaubt Ihr etwa, daß ich einen jeden bemerken soll, der nur einen Julep trinkt?« – »Ich denke.« – »Das fällt mir gar nicht ein. Aber sagt, trinkt der Schwarze Gerard auch nur einen einzigen?« – »Ja, wie ich gehört habe.« – »Hm! So einem Jäger sollte man doch zwanzig oder dreißig zutrauen. Aber Señor, was habt Ihr denn da für frische Blutflecke auf Eurer Jacke?«
Resedilla erbleichte, als sie diese Frage vernahm. Die Jacke Gerards war allerdings über und über mit Blut bespritzt. Es war das Blut des Kapitäns und des Oberleutnants, die er gestern erschossen hatte. Er antwortete ganz unbefangen:
»Das? Das ist das Blut von einer Rehgeiß.« – »Von einer Rehgeiß? Ah, da habt Ihr also doch endlich einmal etwas geschossen?« – »Nein.« – »Nicht? Aber das Blut?« – »Ein Kamerad hat sie geschossen. Ich habe sie nur getragen, und da bin ich ein wenig rot geworden.«
Da warf ihm der Alte einen Blick tiefster Verachtung zu.
»Nicht einmal eine Rehgeiß also«, sagte er. »Ihr seid wohl nur darum Jäger geworden, um für andere die Beute zu tragen?« – »Hm, man ist doch gern gefällig.« – »Donnerwetter, Señor, so seid doch einmal gegen Euch gefällig und schießt etwas. Wenn ich da an andere denke! Da ist zum Beispiel der Kleine André, der bei mir wohnt und ganze Beutel voll Nuggets besitzt, heute auf die Jagd gegangen, um mir einen Braten zu liefern, und ich setze meinen Kopf zum Pfand, daß er – ah, da kommt einmal her, Señor!«
Pirnero streckte bei der Unterbrechung seiner Rede die Hand nach Gerard aus und fuhr dann fort
»Ich will Euch etwas zeigen.«
Gerard trat zum Fenster und blickte hinaus.
»Seht Dir, wer da drüben kommt? Wer ist es?« – »Euer Gast, der Kleine André.« – »Nun, was trägt er, he?« – »Einen Bock, wie es scheint« – »Ja, einen Bock, einen großen, feisten Bock. Und glaubt Ihr etwa, daß er ihn für einen anderen trägt, so wie Ihr es macht?« – »Das weiß ich nicht Man muß ihn fragen.« – »Das ist nicht notwendig, Señor. Was der André trägt, das hat er jedenfalls selbst geschossen. Er hält sein Wort und liefert mir einen Braten. Übrigens hat er es außerordentlich eilig. Er kommt ja gelaufen, als ob ihm irgend jemand auf dem Nacken säße. Was muß er haben?«
Der kleine Jäger, den der Rehbock nicht im mindesten zu belästigen schien, kam allerdings mit sehr eiligen Schritten daher. Draußen im Flur warf er, wie man hörte, das Wild auf die Erde und trat dann ein.
»Aufgestanden, Señor Pirnero? Guten Morgen!« sagte er. – »Guten Morgen, Señor André!« antwortete der Alte sehr freundlich. »Was bringt Ihr denn da für ein Wild in das Haus?« – »Ich habe es für Eure Küche geschossen.« – »Als Geschenk?« – »Natürlich. Aber ich bringe Euch noch etwas Besseres! Eine Nachricht von außerordentlicher Wichtigkeit.« – »Ihr macht mich neugierig. Welche Nachricht wäre das?« – »Gebt mir erst einen Julep, dann sollt Ihr es hören.«
Während Resedilla den Schnaps einschenkte, begrüßte Andre Gerard mit einem Kopfnicken, und nachdem er das Glas empfangen und ausgetrunken hatte, sagte er:
»Señor Pirnero, endlich kommt Euer längst erwarteter Gast!« – »Ah, wer? Etwa der Schwarze Gerard?« – »Ja.« – »Alle Wetter. Woher wißt Ihr das?« – »Von dem Apachenhäuptling Bärenauge.«
Da fuhr der Wirt ganz erschrocken einige Schritte zurück.
»Bärenauge, der Apache?« fragte er. »Der alle Wochen einen Weißen tötet?« – »Derselbe«, nickte Andre. – »Mit dem habt Ihr gesprochen? Und der hat Euch nichts getan?« – »Gar nichts«, lachte der Kleine. – »So seid Ihr wohl ein Freund der Apachen?« – »Das kann ich eigentlich nicht sagen, aber da sie jetzt mit uns verbündet sind, so brauchte ich mich vor ihnen nicht zu fürchten.« – »Aber wo war es denn? Wo traft Ihr ihn?« – »Am Rand des Waldes. Er hatte fünfhundert Apachen bei sich.«
Da schlug der Alte die Hände über dem Kopf zusammen und jammerte:
»So sei Gott uns allen gnädig! Fünfhundert Apachen! Sie werden das Fort überfallen; sie werden sengen und brennen und keinen Stein auf dem anderen lassen.« – »Da irrt Ihr Euch gewaltig«, entgegnete der Kleine. »Sie kommen nicht als Feinde, sondern als Freunde der Bewohner von Guadeloupe.« – »Das glaubt Euch niemand.« – »So sage ich Euch, daß sie sogar das Fort gerettet haben.« – »Gerettet?« fragte Pirnero ganz perplex. »Wann, wo und vor wem?« – »Gestern abend im Teufelspaß, vor einem Überfall der Franzosen.«
Das war dem Alten denn doch zu viel. Er drehte sich unwillig ab und sagte:
»Señor, glaubt Ihr etwa, wenn Ihr mir einen Braten in die Küche liefert, so ist es Euch als Lohn dafür erlaubt, Euch über mich lustig zu machen?« – »Das fällt mir gar nicht ein! Señorita, gebt mir noch einen Julep, und dann werde ich Euch erzählen, ganz richtig der Reihe nach.«
Er empfing den Branntwein, nippte daran und berichtete nun:
»Also ich hatte für Euch den Bock geschossen, Señor Pirnero, einen Kapitalbock, sage ich, und lief nun mit ihm durch den Wald, um nach dem Fort zu gehen. Da hörte ich, fast am Ende des Waldes angekommen, ein Pferd schnaufen. Man muß hier stets auf der Hut sein; darum blieb ich stehen und lauschte. Aber indem ich horchte, richteten sich plötzlich fünf Gestalten vor mir auf. Es waren Apachen, und zwar auf einem Kriegszug; das sah ich gleich an der Bemalung ihrer Gesichter.« – »Heilige Maria, so ist es also wirklich wahr?« fragte Pirnero. – »Natürlich«, antwortete der Kleine. »Ich griff sofort zur Büchse, aber sie wurde mir im Nu entrissen, und so ging es auch mit dem Bowiemesser.« – »Ihr waret gefangen?« – »Ja, wir alle beide, nämlich ich und der Bock«, lachte der Kleine. »Das ist allerdings fatal. Ein Jäger gefangen, ohne Gelegenheit zu finden, einen Schuß oder Stich zu tun, das ist eigentlich sehr ehrenkränkend. Aber in der offenen Prärie oder im Urwald wäre mir dies sicherlich nicht passiert.« – »Ich glaube es Euch, Señor!« versicherte Pirnero. – »Wer denkt auch, daß hier in unmittelbarer Nähe des Forts fünfhundert Apachen stecken können! Also ich war festgenommen und wurde vor den Anführer transportiert. Dieser lag inmitten eines Kreises, den seine Leute bildeten. Er war ein noch junger Kerl, schien aber Haare auf den Zähnen zu haben. Er blitzte mich mit seinen Augen an, daß mir angst und bange wurde, und fragte, was ich hier zu tun habe. – ›Ich habe dieses Wild geschossen‹, antwortete ich. – ›So bist du ein Jäger?‹ fragte er. – ›Ja‹, antwortete ich. – ›Wie ist dein Name?‹ – ›Man nennt mich den Kleinen André.‹ – Der Apache dachte nun eine Weile nach, nickte langsam mit dem Kopf und sagte darauf: ›Ich habe deinen Namen gehört, du bist kein Franzose. Wohin willst du jetzt dieses Tier tragen?‹ – ›Nach dem Fort‹ – ›Was tust du im Fort?‹ – ›Ich warte auf einen anderen Jäger, auf den Schwarzen Gerard.‹ – Da sah mich der Apache an, als ob er mich mit seinen Augen anbrennen wollte und erwiderte: ›Was willst du von ihm?‹ – ›Ich habe ihm eine Botschaft zu sagen.‹ – Jetzt nickte er wieder, lächelte ein wenig, winkte, und nachdem mir auf diesen Wink mein Gewehr und mein Messer wiedergegeben worden waren, meinte er: ›Gehe nach dem Fort. Du bist frei. Du wirst dort Gerard finden.‹ – Das war mir natürlich sehr überraschend; darum wagte ich die Frage: ›Weißt du genau, daß er sich dort befindet?‹ – ›Ich bin heute mit ihm geritten‹, antwortete er. ›Er ist in das Fort gegangen vor der Hälfte der Zeit, die die Bleichgesichter eine Stunde nennen.‹ – ›So ist der Schwarze Gerard ein Freund von dir?‹ fragte ich. – ›Ich bin Bärenauge, der Häuptling der Apachen‹, antwortete er, ›und Gerard ist mein Bruder.‹ – Diese Worte überzeugten mich, daß wir von den Apachen nichts zu befürchten hätten, und ich erlaubte mir daher die Frage: ›Was tut Bärenauge hier am Fort mit seinen Kriegern?‹ – ›Er hat mit Gerard das Fort beschützt‹, antwortete er. ›Gestern kam eine Kompanie Soldaten, um das Fort zu überfallen. Wir haben sie in der Schlucht des Teufels geschlagen und nur zwei Männer und zwei Frauen übriggelassen, die du dort am Baum sitzen siehst.‹ Das war wahr. Unter einem Baum saßen in der Tat zwei weiße Señores und zwei weiße Damen. Ich redete sie an, und denkt Euch mein Erstaunen, als ich hörte, daß die zwei Männer Deutsche seien.« – »Deutsche?« rief da Pirnero. »Ist das wahr?« – Natürlich.« – »Wo waren sie her? Aus Sachsen?« – »Nein.« – »Aus Pirna?« – »Nein. Wenn sie nicht aus Sachsen sind, so können sie doch auch nicht aus Pirna sein! Es waren zwei Ärzte aus Wien. Sie erzählten mir alles.« – »So hat der Häuptling nicht gelogen?« – »Nein. Die Franzosen haben wirklich das Fort überfallen wollen, und die beiden Ärzte sind mit ihnen ausgezogen. Der Schwarze Gerard aber hat sie abgelauert und mit den Apachen überfallen. Es ist kein einziger übriggeblieben.« – »Heilige Madonna, in welcher Gefahr haben wir geschwebt!« rief jetzt Pirnero. – »Ich hörte«, fuhr der Kleine fort, »daß ein Kapitän der Franzosen verkleidet sich bereits im Fort befunden habe. Er hat sogar bei Euch geschlafen, Señor. Da er aber ein Spion war, so hat ihn der Schwarze Gerard des Nachts aus Eurem Haus geschafft und jenseits des Presido unschädlich gemacht.«
Der Alte hatte vor Erstaunen den Mund weit offen.
»Ein Kapitän, verkleidet bei mir?« fragte er ganz entsetzt. – »Ja.« – »So ist es jener Goldsucher gewesen, der am Morgen verschwunden war.« – »Möglich.« – »Und Gerard hat ihn fortgeschafft?« – »Ja.« – »So muß er doch des Nachts in meinem Haus gewesen sein?« – »Es ist nicht gut anders möglich.« – »Hätte ich das gewußt! Ja, dieser Gerard ist der berühmteste und größte Jäger weit und breit. Kein Mensch ist vor ihm sicher, und überall, wo er gebraucht wird, da ist er auch. Also er befindet sich bereits im Fort? Nun, so hoffe ich, daß er auch zu mir kommen wird.« – »Natürlich! Ich erwarte ihn ja bei Euch. Er ist, wie ich hörte, zum Annunciamento – Bürgermeisteramt – gegangen, um den Apachen die Erlaubnis auszuwirken, ins Fort zu kommen und sich verschiedenes kaufen zu dürfen.« – »Heilige Maria! Dann kommen die Wilden auch zu mir?« – »Jedenfalls.« – »Welches Unglück! Ich habe keinen Schwiegersohn, der mir beisteht.«
Der kleine Jäger konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Ihr braucht gar keine Sorge zu haben, Señor«, meinte er. »Die Apachen werden Euch nicht das geringste tun. Ihr werdet sogar großen Profit von ihnen haben, denn sie haben natürlich den Franzosen das ganze Geld abgenommen, und da Ihr den einzigen Laden des Forts besitzt, so steht zu erwarten, daß sie sehr viel kaufen.« – »Aber nicht bezahlen.« – »Da müßt Ihr Euch an Gerard wenden, dem gehorchen sie auf alle Fälle.« – »O Mater dolorosa, wenn er doch bereits hier wäre! Fünfhundert Apachen wollen kaufen, und ich allein soll alles bewältigen! Ich habe niemanden, der mir helfen kann, zwar eine Tochter, aber keinen Schwiegersohn!« – »Übrigens«, fuhr der Kleine fort, »wollen die beiden deutschen Doktoren bei Euch wohnen und die zwei Señoritas auch.« – »Die Deutschen? Ist das wahr?« – »Ja. Sie bleiben hier, bis die Wege wieder sicher sind.« – »Gott sei Dank! Das ist ein Trost in diesem Jammer. Sie werden Pirna kennen und die Elbe und mir beistehen, die Apachen zu befriedigen. Aber was wird mit den toten Franzosen geschehen?« – »Der Schwarze Gerard wird auf dem Annunciamento erwirken, daß Bewohner des Forts nach der Schlucht gesandt werden, um sie zu beerdigen.«
17. Kapitel
Die beiden Sprecher hatten gar nicht bemerkt, mit welchen Blicken die schöne Resedilla den anderen Jäger beobachtete, der ruhig auf seinem Stuhl saß und gar nicht tat, als ob ihn das Gespräch interessiere. Jetzt aber erhob er sich und ging hinaus, um nach seinem Pferd zu sehen. Als er wieder in den Flur trat, um in die Gaststube zurückzukehren, stand Resedilla in demselben.
»Verzeiht, Señor«, sagte sie in ängstlichem Ton, »dieses Blut an Eurer Jacke ist nicht von einem Reh.«
Er blickte ihr lächelnd in die Augen, die voller Besorgnis auf ihn gerichtet waren, und fragte:
»Wovon soll es sonst sein, Señorita?« – »Ihr seid verwundet?« – »Verwundet?« fragte er erstaunt. »Wer sollte mich verwundet haben?« – »Gestern abend die Franzosen.« – »Ah, wie bringt Ihr mich mit den Franzosen zusammen?«
Da faßte sie Mut und antwortete:
»Entsinnt ihr Euch noch, daß Ihr droben im Zimmer auf dem Stuhl eingeschlafen waret?« – »Ja«, antwortete er. – »Nun, da habe ich unterdessen Euer Gewehr aufmerksam betrachtet.« – »Wirklich? Weshalb?« – »Um zu sehen, ob der Kolben von Gold ist.« – »Sapristi!« sagte er überrascht. »Welchen Grund hattet Ihr dazu?« – »Ich ahnte bereits, wer Ihr seid.« – »Ah, Señorita, das war sehr vorwitzig von Euch!«
Er wollte seiner Stimme den Ausdruck des Vorwurfs geben, allein es gelang ihm nicht. Er freute sich ja über den Scharfsinn, den die Geliebte entwickelt hatte.
»Werdet Ihr mir das verzeihen, Señor?« fragte sie. – »Gern, Señorita. Aber was denkt Ihr nun von mir?« – »Ihr seid der Schwarze Gerard.« – »Ja, Resedilla, ich bin es. Ich hatte Gründe, es verschwiegen zu halten. Euer Vater plaudert gern, obgleich er ein großer Politikus und Diplomat ist. Laßt ihn noch jetzt bei seinem Irrtum; es wird mir Spaß machen.« – »Also Ihr seid wirklich nicht verwundet?« – »Nein.«
Gerard sah, mit welcher Besorgnis sie ihn betrachtete, und das machte ihn glücklich. Wäre sie so voller Angst gewesen, wenn sie ihn nicht geliebt hätte?
»Werden die Apachen in das Fort kommen?« fragte sie. – »Ja. Ich war, ehe ich hierherkam, bereits auf dem Annunciamento und habe von da aus einen Boten gesandt, der sie aber nicht gleich getroffen hat, sonst wären sie bereits hier.« – »Und die Deutschen werden wirklich bei uns bleiben?« – »Ja, Señorita. Es sind zwei sehr gute Señores.« – »Und Ihr? Was werdet Ihr tun?« – »Ich reite mit den Apachen fort.« —»In den Kampf?« – »Vielleicht.« – »Oh, Señor, könntet Ihr das denn nicht umgehen?« – »Warum, Señorita?«
Sie antwortete nicht. Er aber ergriff ihre Hände und sagte:
»Resedilla, ich danke Euch! Ich sehe, daß Ihr Euch um mich sorgt, und dies gibt mir den Mut, zu hoffen, daß Ihr mir meine Vergangenheit verziehen habt.«
Sie richtete den Blick voll und warm auf ihn und antwortete:
»Ihr habt ja so aufrichtig gebeichtet, daß es eine Sünde wäre, Euch zu zürnen, Gerard. Ich sehe nur, was Ihr seid, aber nicht, was Ihr wäret.«
Da drückte er eine Hand von ihr an sein Herz und die andere an seine Lippen und wollte sprechen; aber jetzt öffnete sich die Tür, und Pirnero trat heraus. Er hatte hinüber nach dem Laden gehen wollen und blieb ganz erschrocken stehen, als er die Gruppe erblickte.
»Was – was – was ist denn das?« fragte er. – »Ich spreche mit der Señorita«, antwortete Gerard. – »Das sehe ich; aber Ihr küßt auch ihre Finger! Was soll das?« – »Das soll ein Beweis meiner Hochachtung sein, Señor.« – »Hochachtung? Der Teufel hole eine solche Hochachtung! Tretet einmal in die Stube herein, Señor! Resedilla aber mag in die Küche gehen.«
Gerard folgte dem Alten. Dort stemmte dieser die beiden Fäuste in die Hüften und sagte mit zornbebender Stimme zu dem Kleinen André:
»Wißt Dur, Señor, was ich da soeben gesehen habe?« – »Nun?« fragte der Kleine gespannt. – »Ein Liebesabenteuer, ein ganz regelrechtes Liebesabenteuer zwischen meiner Tochter und diesem Menschen! Denkt Euch nur!« – »Unsinn!« – »Unsinn? Señor, ich sage Euch, er hatte ihre rechte Hand an seinen Rippen und ihre linke an seinen Lippen. Ist das kein Liebesabenteuer?«
Der Kleine lachte.
»Nun, so habt Ihr auf einmal einen Schwiegersohn!« meinte er. Das fuhr dem Wirt in den Kopf.
»Schwiegersohn? Der?« zürnte er. »Mit einem einzigen Julep? Der die Rede für andere schleppt und keine ganze Jacke besitzt? Der sollte mir nur kommen! Dieser Kerl ist weder bei Regen, noch bei Sonnenschein als Schwiegersohn zu gebrauchen. Seht ihn an, wie jammervoll er dasteht! Wenn ich ihm einen Puff gebe, so fällt er um! Nein, daraus wird nichts!«
Er lief einmal in der Stube hin und her, blieb dann vor Gerard stehen und sagte:
»Señor, habt Ihr etwa ein Auge auf meine Tochter?« – »Alle beide«, antwortete Gerard ruhig. – »So nehmt Euern Schießprügel und macht, daß Ihr fortkommt! Und wenn Ihr Euch noch einmal bei mir sehen laßt, so schlage ich Euch tot und skalpiere Euch bei lebendigem Leibe! Verstanden?« – »Gut!« antwortete Gerard. »Ich werde Euch gehorchen, Señor Pirnero. Aber so, wie ich dastehe, werdet Ihr mich doch nicht fortjagen!«
Gerard strich sich mit den Händen an den Seiten herab.
»Wie meint Ihr das?« fragte der Alte erstaunt – »Ich meine, in diesen Sachen. Bei schlechtem Wetter geht es, da achten die Leute nicht darauf. Bei gutem Wetter bemerkt man aber, wie schlecht diese Jacke ist. Habt Ihr in Eurem Laden keine Kleidung für mich?«
Da runzelte der Alte die Stirn und fragte:
»Señor, wollt Ihr mich vielleicht foppen?« – »Fällt mir gar nicht ein!« – »Oder mich anbetteln?« – »Auch nicht.« – »Oder anpumpen? Denn Geld habt Ihr doch nicht!« – »Wer sagt Euch das? Ich habe mir einiges gespart, und zu einem Anzug langt das allemal.« – »Ja, zu baumwollenen Hosen und zu einer baumwollenen Jacke, da mag es wohl langen. Aber für Eure Größe habe ich nur einen einzigen Anzug, und der ist teuer.« – »Woraus besteht er?« – »Aus echt indianischen Mokassins, Hosen von Hirschleder, einem ebensolchen Jagdhemd, schön weiß gegerbt, und einem Jagdrock aus Elenleder. Dazu ein Hut von kurzgeschorenem Biberfell, nebst Gürtel und allem Zubehör.« – »Sapperlot, Ihr macht mir den Mund wäßrig!« – »So laßt ihn wässern, meinetwegen zehn Jahre lang; den Anzug aber erhaltet Ihr auf keinen Fall, da Ihr ihn ja doch nicht bezahlen könnt.« – »Hm! Aber ansehen darf man ihn wohl einmal?«
Welcher Handelsmann zeigt nicht gern seine Ware? Pirnero war überzeugt, daß Gerard kein Geld habe; aber der Anzug war das beste Stück seines Ladens, und die Gelegenheit, mit demselben zu prahlen, wollte er sich doch nicht gern entgehen lassen, zumal noch ein Jäger zugegen war.
»Ansehen?« fragte er daher. »Schaden kann es nichts. Vielleicht trefft Ihr einen, den Ihr zu mir weisen könnt. Ich will ihn Euch zeigen.« – »Gut, so gehen wir nach dem Laden.« – »Nach dem Laden? O nein«, antwortete der Alte rasch. »Wer nur einen Julep trinkt und mit meiner Tochter liebäugelt, darf nicht in den Laden. Ich werde den Anzug holen. Wartet hier, ehe ich Euch hinauswerfe.«
Damit ging er. Da räusperte sich der Kleine André und sagte:
»Wißt Ihr noch, was ich gestern zu Euch sagte?« – »Daß ich kein Jäger sei?« antwortete Gerard. – »Ja.« – »Und daß ich keine Ehre habe, weil ich mir alles gefallen lasse?« – »Ja. Ihr seid wirklich ein ganz und gar unbegreiflicher Kerl!« – »So wartet, bis Ihr mich begreifen werdet. Der Mensch will seinen Spaß haben, und ein jeder hat ihn auf seine eigene Weise.«
Nach einiger Zeit kehrte Pirnero mit dem Gewand zurück und breitete es auf der langen Tafel aus. Die beiden Jäger betrachteten die Sachen und fanden sie ganz ausgezeichnet und allen Anforderungen entsprechend.
»Donnerwetter!« sagte schließlich der Kleine. »Dergleichen Arbeit ist sehr selten. Hätte ich Eure Gestalt, Señor, sofort kaufte ich mir den Anzug!«
Er meinte damit Gerard. Pirnero aber rief:
»Der und kaufen! Das soll er wohl bleibenlassen!« – »Aber anziehen darf er die Sachen doch einmal, damit man sieht, wie sie sitzen«, bat der Kleine. – »Hm, ich habe nichts dagegen«, entgegnete der Alte. »Ich bin selbst neugierig, wie der Schnitt ist. Und eine Gelegenheit wie heute kommt nicht gleich wieder. Dieser Mann ist ja ein Riese, und da er mir das Haus nicht wieder betreten darf, so habe ich später keine Gelegenheit, die Sachen anzumessen. Er mag also dort hinter den alten Schrank treten und das Zeug anlegen, aber nur für zwei Minuten.«
Gerard nahm nun lächelnd die Kleidungsstücke und trat hinter den Schrank, der so tief war, daß er ihn vollständig verbarg. Als er fertig war und sogar den breitkrempigen Hut aufgesetzt hatte, kehrte er zurück. Die beiden Männer staunten ihn an, als ob sie ihn noch gar nicht gesehen hätten.
»Alle Teufel«, meinte der Kleine, »ist das eine Verwandlung!« – »Oh, hier sieht man erst, was der Rock aus dem Mann macht!« rief Pirnero. »Sieht der Kerl nicht gerade aus wie ein echter, richtiger Felsenmann? Steht diese Tracht ihm nicht wie angegossen, wie gerade für ihn gemacht?«
Bei diesen Worten drehte er Gerard hin und her, besah ihn von allen Seiten und sagte:
»So, jetzt mag‘s gut sein. Zieht Euch wieder um und macht, daß Ihr verschwindet. Man hat nun wenigstens gesehen, wozu Ihr zu gebrauchen seid.« – »Wozu?« fragte Gerard. – »Als Hauben– und Kleiderstock.« – »Danke, Señor! Also Ihr meint, daß mir die Sachen passen?« – »Ganz vortrefflich. Aber Euch kann das ja gar nichts nützen!« – »Aber hören darf man doch, wie hoch der Preis ist?« – »Warum nicht? Es ist mein bester und teuerster Anzug. Er kostet achtzig Dollar.« – »Nicht mehr?« – »Seid Ihr gescheit? Ich dächte achtzig Dollar wäre Geld genug.« – »Hm, für Euch wohl, aber für mich nicht« – »Unsinn! Zieht Euch aus!« – »Das fällt mir gar nicht ein, Señor Pirnero. Dieses Zeug gefällt mir sehr gut, und ich behalte es.« – »Ah, pfeift Ihr so?« rief der Alte drohend. »Herunter damit! Ohne Geld verkauft der alte Pirnero nichts!« – »Wer sagt denn, daß ich nicht bezahlen will?« – »Ihr? Woher wollt Ihr eine solche Summe nehmen, Ihr Geißträger?« – »Das werdet Ihr wohl abwarten müssen. Also achtzig Dollar?« – »Ja, keinen Cent weniger. Aber macht keinen Unsinn!« – »Das fällt mir nicht ein. Habt Ihr Eure Goldwaage bei der Hand?« – »Die brauche ich nicht zu holen. Habt Ihr etwa auch Nuggets?« – »Wartet es ab!« – »Nun wohl, so will ich mit Theater spielen. Ich hole die Waage. Aber, Señor André, ich mache Euch dafür verantwortlich, daß dieser Mann mir nicht etwa unterdessen entspringt!« – »Geht ruhig, Señor«, entgegnete der Kleine allen Ernstes. »Wenn er Miene macht, die Stube zu verlassen, ehe Ihr zurück seid, jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf.«
Dies gab dem Alten Mut, die Waage zu holen. Als er fort war, trat Resedilla herein. Sie hatte von der Küche aus das ganze Gespräch hören können und kam nun, Zeuge von dem Sieg Gerards zu sein. Als sie ihn jetzt dastehen sah, schlug ihr das Herz doch lauter als vorher. Welch einen Eindruck machte er jetzt gegen früher!
Da trat ihr Vater wieder herein. Er schien befriedigt zu sein, Gerard noch zu sehen. Jedenfalls hatte er wirklich den Verdacht gehabt, daß derselbe sich aus dem Staub machen werde.
»Nun, wo habt Ihr Eure Nuggets?« – »Nuggets sind es nicht.« – »Was denn?« – »Sollt es gleich sehen!«
Gerard nahm sein Messer und griff nach seiner Büchse, legte letztere auf die Tafel und tat mit dem Messer ein paar kräftige Hiebe in den schweren Kolben. Beim dritten Hieb bereits sprang ein großes Stück gediegenen Goldes ab.
»Alle Wetter!« rief der Alte. – »Donner und Doria!« rief der Kleine. »Señor, wer seid Ihr?« – »Der Käufer dieses Anzuges«, antwortete der Gefragte ruhig und hieb noch mehrere Stücke los.
Pirnero stand ganz erstarrt.
»Nun, Señor«, fragte Gerard, »ist diese Büchse wirklich ein so altes, schlechtes Schießeisen, wie Ihr sagtet?«
Da faßte ihn der Kleine am Arm und rief:
»Herr, Sie sind der Schwarze Gerard, oder mich soll der Teufel holen!« – »Könntet es erraten haben«, nickte der gewaltige Jäger. – »Aber warum sagtet Ihr dies nicht eher?« – »Hatte meinen Spaß daran.«
Da schlug sich Pirnero mit der Hand vor den Kopf und rief:
»O ich Esel, ich dreifacher Esel!« – »Ich denke, Ihr seid ein großer Diplomat?« fragte Gerard lachend. – »Ein Heupferd bin ich, aber kein Politikus«, antwortete der Alte. »Aber ich werde diesen Fehler sofort gutmachen.«
Damit faßte er seine Tochter am Arm und wollte sie herbeiziehen; sie aber sträubte sich dagegen.
»Hier ist sie, Señor!« rief er. »Ihr sollt mein Schwiegersohn sein.«
Das Gesicht Resedillas erglühte im tiefsten Rot. Gerard bemerkte es. Er schüttelte den Kopf und antwortete:
»Señor Pirnero, macht keinen zweiten Fehler! Die Señorita hat das Recht, sich einen Mann zu nehmen, der ihr gefällt.« – »Aber wenn nachher die Apachen kommen?« fragte der komische Alte. – »So braucht Ihr dennoch keinen Schwiegersohn, der Euch beisteht. Sie werden keinen Brandy trinken, denn das leidet ihr Häuptling nicht. Sie werden sich nur Blei, Pulver und Messer kaufen und dabei nicht einmal den Laden betreten. Bärenauge wird das en gros von Euch nehmen, es bezahlen und dann an seine Leute verteilen.« – »Ist das wahr?« – »Ja, denn so habe ich es mit ihm ausgemacht« – »Aber, so sagt, Señor, warum habt Ihr mir nicht längst gestanden, wer Ihr seid?« fragte der Alte in seiner großen Verlegenheit. – »Es sollte niemand wissen, daß der Schwarze Gerard hier auf jemanden wartet.« – »Dieser Jemand bin ich?« fragte der Kleine. – »Wahrscheinlich!« – »Nun, so will ich Euch sagen, daß …« – »Halt!« gebot Gerard mit einem warnenden Seitenblick auf Pirnero. »Wir sprechen nachher davon. Soll ich nun gehen, Señor Pirnero?« – »Beileibe nicht, Señor!« antwortete der Gefragte schnell. – »Ich darf auch später wiederkommen?« – »Natürlich.« – »Aber Ihr wollt mich ja lebendig skalpieren, wenn ich wiederkomme?« – »Oh, Señor, das war nur ein Spaß. Wir Leute aus Pirna sind alle gern spaßhaft« – »Nun, so wiegt dieses Gold und gebt mir heraus, es ist mehr als für achtzig Dollar.«
Dies geschah, und dann trug der Alte die Waage wieder fort. Während er im Haus umherlief, um dem Gesinde zu sagen, daß der fremde Lump der berühmte Gerard, die rechte Hand des Präsidenten Juarez sei, fragte der Kleine André Gerard:
»Warum winktet Ihr mir zu schweigen, Señor?«
Gerard setzte sich ihm gegenüber und antwortete:
»Vor allen Dingen hier meine Hand. Wir sind Jäger und haben bereits voneinander gehört. Wir haben nicht nötig, uns Komplimente zu sagen und werden uns einfach du und beim Namen nennen. Topp?« – »Topp!« rief der andere, freudig einschlagend. – »Gut. Ferner mußt du wissen, daß es besser ist, vor Pirnero zu schweigen, denn er spricht zu gern, als daß ich ihm ein Geheimnis anvertrauen möchte.« – »Das ist mir unlieb, sehr unlieb.« – »Warum?« – »Du weißt, weshalb ich hier bin?« – »Ich erwarte einen Boten vom General Hannert. Bist du dieser Mann?« – »Ja.« – »Ihr bringt Juarez Geld?« – »Ja, und zwar gleich millionenweise.« – »Ich weiß es von Juarez, und er hat mir den Auftrag gegeben, dich hier abzulauern, um mich zur Verfügung zu stellen.« – »Dasselbe sagte mir der General, nämlich, daß ich dich hier treffen würde. Wir haben jedoch gehört, daß unsere Sendung verraten ist.« – »Das ist wahr.« – »Daß die Franzosen von dem Geld wissen, das wir bringen?« – »Sie wissen es allerdings. Sie sandten ja aus diesem Grund die Kompanie aus, die wir in dieser Nacht vernichtet haben.« – »Ah, so sind wir nach dieser Seite sichergestellt?« – »Vielleicht.« – »Aber auch die Komantschen wissen von uns.« – »Ah! Ich habe die Boten belauscht, die es ihnen mitteilen mußten.« – »Sie haben Vedetten – Feldwachen – längs des Llano estacado aufgestellt, die unseren Zug beobachten sollen.« – »Seid ihr von ihnen bemerkt worden?« – »Seit bereits fünf Tagen.« – »Alle Teufel, so ist es die höchste Zeit! Die Vedetten werden euer Erscheinen den Häuptlingen mitgeteilt haben, und diese brechen sicherlich sofort auf, um euch zu überfallen und das Geld abzunehmen. Wir stark seid ihr?« – »Sechzig Mann. Vierzig Mann US-Truppen und zwanzig tüchtige Westmänner.« – »Wie transportiert ihr das Geld?« – »Auf Maultieren.« – »Hm! Was habt ihr getan, als ihr euch von den Komantschen bemerkt sahet?« – »Wir hatten den Llano estacado bereits hinter uns und zogen uns an einem Arm des Saladoflusses hinauf, wo wir ein festes Lager errichtet und uns verschanzt haben, so daß die Komantschen sich hüten werden, uns anzugreifen. Mich aber sandte der General zu dir, um Hilfe zu holen.« – »Ich habe bereits dafür gesorgt. Die fünfhundert Apachen, die du heute gesehen hast, werden uns begleiten.« – »Ah, prächtig, das hilft uns aus aller Not!« – »Noch nicht. Um vom Saladofluß zu Juarez zu kommen, müssen wir quer durch das Gebiet der Komantschen hindurch.« – »Schlagen wir einen Umweg nach Süden ein!« – »Das geht nicht. Wir müssen den geradesten Weg wählen, da Juarez das Geld notwendig braucht, wenn er die Franzosen vertreiben will. Bei einem so gefährlichen Ritt sind frische Pferde die Hauptsache. Wie steht es mit den eurigen?« – »Leidlich.« – »Bloß? Und die Maultiere?« – »Sind sehr abgetrieben.« – »O weh! So müssen wir vor allen Dingen für frische Tiere sorgen. Wie viele werden wir brauchen?« – »Achtzig Pferde und fünfzig Maultiere.« – »Die bringe ich heute zusammen. Wenigstens werde ich mit den Besitzern akkordieren. Bärenauge mag einen Boten nach seinem Lager senden, der zuverlässige Leute holt, um die Tiere heimlich nach der südlichen Coloradoquelle zu bringen. Dort treffen wir sie, und dann geht es im Galopp durch das Gebiet der Komantschen.« – »Der General meint, daß es am besten sei, das Geld nach Fort Guadeloupe zu bringen, von wo Juarez es abholen lassen kann.« – »Dies dachte ich auch; aber seit unsere Absicht den Franzosen verraten wurde, bin ich davon abgekommen. Es bleibt bei meinem Vorschlag, der den Beifall des Präsidenten hat, und ich werde sofort an die Ausführung gehen.« – »Woher bekommst du Tiere?« – »Von einer großen Hazienda, eine Stunde von hier. Doch darf kein Mensch etwas davon ahnen. Es wird das tiefste Geheimnis bleiben. Ah, da kommen sie schon.«
Draußen ertönte lauter Hufschlag. Die Apachen waren in das Fort eingeritten. Die Tür ging auf, und Bärenauge trat ein. Er sah sehr wohl seinen Freund am Tisch sitzen, aber kein Blick verriet, daß er bemerkte, daß dieser andere Kleider trug. Langsam und würdevoll kam er näher.
Resedilla hatte auf ihrem Stuhl gesessen. Jetzt erhob sie sich. Ihr Auge war voll bewundernder Angst auf den berühmten Indianer gerichtet, der vor ihr stehenblieb, sie einen kurzen Augenblick lang betrachtete und dann sagte:
»Die Töchter der Bleichgesichter sind schön. Ihr Antlitz glänzt wie die Sonne, und ihre Augen sind wie der Himmel. Meine weiße Schwester möge glücklich sein.«
Nach dieser Höflichkeitsphrase trat er auf die beiden Jäger zu, setzte sich bei ihnen nieder und sagte zu Gerard:
»Mein weißer Bruder kennt den Mann, der im Wald Böcke schießt?« – »Er ist mein Freund«, antwortete Gerard lächelnd. – »Die Gestalt berühmter Jäger ist oft klein; aber wenn sie sich auch zuweilen von den Kriegern ergreifen lassen, so sind sie doch tapfer im Krieg und treu im Frieden. Dieses Bleichgesicht ist der Bote, den du erwartest?« – »Ja.« – »So werde ich die Botschaft erfahren, die er bringt«
Gerard erklärte ihm das, was er soeben mit André besprochen hatte, und erhielt die volle Zustimmung des Apachen, der sofort zwei reitende Boten in das Lager seines Stammes nach Kriegern sandte, die die Pferde und Maultiere nach den Quellen des Colorado bringen sollten.
Er suchte sich darauf aus, was an Munition bei Pirnero zu haben war, bezahlte alles und ließ es verteilen. Die Apachen waren kaum eine halbe Stunde im Fort gewesen, so ritten sie wieder davon.
18. Kapitel
Gerard war mit André nach der erwähnten Hazienda geritten, und der alte Pirnero hatte nun wieder Ruhe im Haus, denn die beiden deutschen Doktoren waren in den Fremdenzimmern untergebracht, während die mexikanischen Schwestern das Zimmer bewohnten, wo Gerard vor kurzem so gut und lange geschlafen hatte.
Jetzt nun saß Pirnero an seinem Fenster und Resedilla an dem ihrigen. Er trommelte emsig an den Scheiben. Tat er das aus Mißmut über das schöne Wetter? Das war abzuwarten, denn eben jetzt begann er:
»Prachtvolles Wetter!«
Die Tochter antwortete nicht wie gewöhnlich, und darum wandte er sich nach ihrer Seite hin und sagte in strengem Ton:
»Nun? Schönes Wetter!« – »Sehr schön«, stimmte sie bei. – »Aber doch ärgerlich!« meinte er. »Weil er sich sonst eher den Anzug gekauft hätte.«
Die Tochter wußte genau, wen er meinte, fragte aber dennoch: »Wer?« – »Nun, das kannst du dir wohl nicht denken? Der Schwarze Gerard natürlich!« – »Du meinst, er hätte den Anzug eher gekauft?« – »Ja; er sagte es ja selbst! Dann hätte ich auch eher erfahren, wer er war.« – »Aber, Vater, ich denke, du bist Diplomat!« lächelte sie. – »Das will ich meinen. Aber weißt du, mit wem Diplomaten sich beschäftigen?« – »Nun, mit wem denn?« – »Mit Präsidenten, Ministern und Generälen, aber nicht mit liederlichen Jägern. Darum habe ich ihn gar nicht beachtet.« – »Aber dich doch stets mit ihm gezankt!« – »Alle Wetter, ärgere mich nicht, Mädchen! Du weißt, woher ich bin!« – »Aus Pirna!« – »Nun also! Wir aus Pirna ärgern uns nicht gern. Ich möchte wissen, wie es gekommen ist, daß ich ihn sogar für einen französischen Spion gehalten habe! So etwas kann eigentlich nicht einmal dem schlechtesten Diplomaten passieren. Seine schmutzige Jacke hat mich ganz und gar irregemacht.« – »Mich nicht!« – »Ja, du warst dieses Mal klüger als ich, brauchst dir aber darauf nicht etwa viel einzubilden, denn diese Klugheit hast du nur durch die Vererbung vom Vater auf die Tochter. Was sagte er denn, als du mit ihm da draußen im Hausflur standest?« – »Nichts.« – »Er hatte doch deine Hand gefaßt!« – »Ja. Aber muß er denn dazu etwas gesagt haben?« – »Das versteht sich. Wenn ich jemanden bei den Händen, bei den Ohren oder überhaupt bei der Parabel nehme, muß ich doch etwas zu ihm sagen, sonst weiß er ja gar nicht, weshalb ich ihn anfasse. Hat er dir etwa einen Antrag gemacht?« – »Nein.« – »Auch nicht von Liebe gesprochen?« – »Nein.« – »Auch nicht so leise vom Schwiegersohn gemunkelt?« – »Aber, Vater!« – »Oder gesagt, daß du hübsch bist?« – »Auch nicht.« – »Hm! Er ist ein berühmter Jäger, aber ein dummer Kerl! Weißt du nicht, ob die beiden Mexikanerinnen droben Frauen oder Mädchen sind?« – »Jedenfalls Mädchen.« – »Warum denkst du dies?« – »Das sieht man doch sofort.« – »Ja, du hast heute deinen gescheiten Tag. Aber könntest du nicht wenigstens den Kleinen André leiden?« – »Vater, ich bitte dich!« – »Unsinn! Er hat Nuggets!« – »Ich bin größer als er!« – »Er hat Depositen in New York!« – »Er ist sechsunddreißig Jahre alt!« – Aber er kann Bier brauen!« – »So laß dir welches brauen; ich aber brauche keins von ihm!«
Resedilla stand auf und verließ das Zimmer. Er sah ihr mürrisch nach.
»Da hat man es!« murmelte er. »Jetzt habe ich es wieder mit ihr verdorben! Denkt sie denn etwa, der heilige Christ kommt, um sie zu heiraten? Zuletzt muß sie froh sein, wenn ein alter Vaquero anlangt und sie wegnimmt!«
Pirnero hatte trotz des schönen Wetters wieder schlechte Laune bekommen, denn er trommelte so laut an die Fensterscheibe, daß er es gar nicht hörte, wie die Tür sich öffnete und wieder schloß. Doktor Berthold war eingetreten. Er kam, um seinen Wirt kennenzulernen, und setzte sich in dessen Nähe nieder.
Jetzt erst bemerkte Pirnero die Anwesenheit seines Gastes, nickte ihm grüßend zu und fragte:
»Wollt Ihr etwas trinken, Señor?« – »Was habt Ihr?« – »Alles, am meisten aber Julep.« – »So gebt mir ein Gläschen.«
Pirnero holte das Getränk und nahm dann seinen Platz wieder ein. Daß er dabei dem Gast den Rücken zukehrte, nahm dieser als ein Zeichen, daß der Wirt keine Lust habe, mit ihm zu sprechen. Er schwieg daher. Dies war aber keineswegs Pirneros Absicht, denn nach einer Weile sagte er:
»Ausgezeichnetes Wetter!« – »Sehr schön«, antwortete Berthold lächelnd. – »Seit heute morgen!« – »Ja, gestern regnete es.« – »Und wie! Fast wie in Pirna, wenn es gießt.« – »Was, Ihr nennt den Namen Pirna?« fragte der Doktor. – »Ja.« – »Kennt Ihr diese Stadt?« – »Das will ich meinen. Und Ihr?« – »Ich war öfters dort.« – »Von Wien aus?« – »Ah, Ihr wißt, daß ich ein Wiener bin?« – »Freilich!« – »Wer hat es Euch gesagt?« – »Der Kleine André.« – »Ah, der kleine Jäger, den wir heute fingen! Ja, ich war einige Male in Pirna, um ärztliche Studien auf dem Sonnenstein zu machen.« – »Sapperlot, Señor, wolltet Ihr etwa verrückt werden?« – »Nein; das war meine Absicht nicht. Aber woher kennt Ihr Pirna?« – »Es ist ja meine Vaterstadt!« – »Zum Teufel, warum sprecht Ihr denn da nicht deutsch, wenn Ihr aus Pirna seid?« – »Kennen denn die Wiener unser Pirnsches Deutsch?« – »Verstehen können sie es auf alle Fälle. Aber wie kommen Sie aus Sachsen hierher in dieses Land, Señor?« – »Das will ich Ihnen erklären. Wissen Sie vielleicht, was ein Diplomat ist?« – »Ich denke.« – »Und ein Politikus?« – »Ja.« – »Nun sehen Sie, ich hatte dazu die größten Anlagen; aber in Pirna fehlte dazu das Feld, die Gelegenheit, meine Politesse an den Mann zu bringen. Ich wollte mein Licht leuchten lassen, und darum bin ich nach Mexiko gegangen.« – »Leuchtet es denn hier?« – »Das will ich meinen. Wenn Sie es jetzt noch nicht sehen sollten, so werden Sie es doch jedenfalls bald merken. Kennen Sie den Kaiser Max?« – »Ja.« – »Den Marschall Bazaine?« – »Ja.« – »Den Präsidenten Juarez?« – »Ja.« – »Nun sehen Sie, mit diesen Leuten beschäftige ich mich. Wäre ich aber in Pirna, so würden sie mich gar nichts angehen; ich wäre ein Spießbürger geblieben und schnupfte aus einer Birkendose und äße Pflaumenmus mit Kartoffeln. Für welchen nehmen Sie Partei?« – »Für keinen.« – »Sapperlot, ist das möglich?« – »Wie Sie sehen!« – »So sind Sie also kein Diplomatikus?« – »Nein.« – »Und kein Politikus?« – »Auch nicht.« – »Aber hören Sie, was soll denn da im ganzen Leben aus Ihnen werden? Sogar Nudelmüller und Breetenborn politisieren im Dorfbarbier, und Sie als Wiener wollen die Weltgeschichte mit Verachtung strafen? Aber halt, jetzt fällt mir ein, was der Grund sein kann! Sind Sie verheiratet?« – »Nein.« – »Da hat man es! Habe ich es mir nicht gleich gedacht? Wer nicht heiratet, aus dem wird nichts Gescheites, nicht einmal ein Diplomat. Sie sind Doktor, wie ich höre?« – »Ja.« – »Was denn für einer? Doktor der Zahnzieherei oder der Medizin?« – »Der Medizin.« – »Da sollten Sie doch eigentlich wissen, daß es Bestimmung der Menschen ist, sich erstens zu verlieben und zweitens zu verheiraten.« – »Das weiß ich allerdings.« – »Warum befolgen Sie es nicht selbst?« – »Bisher habe ich keine Zeit dazu gehabt.« – »Keine Zeit? Mein Gott, wie man nur so reden kann. Zum Verlieben gehört eine einzige Stunde und zum Verheiraten eine halbe, wenn der Pfarrer es kurz genug macht. Anderthalb Stunden werden Sie doch sicherlich erübrigen können!«
Berthold wußte wirklich nicht, was er denken und sagen sollte; darum meinte er, indem er seine Heiterkeit zu verbergen suchte:
»Ist es bei Ihnen denn so schnell gegangen?« – »Das versteht sich! Verlieben Sie sich in Mexiko; da geht alles sehr schnell. Werden Sie in diesem Land bleiben?« – »Wohl nicht.« – »Das ist schade! Sie würden hier eine sehr gute Praxis finden. Wir haben nämlich hier keinen Arzt im Fort und ebensowenig in der Umgebung.« – »Gibt es hier häufig Krankheiten?« – »Freilich. Vor sechs Jahren hatte ich einen Schwären, vor elf Jahren litt meine selige Frau an Fußaderknoten, und vor zwei Jahren hatte sich meine Tochter in den Finger gebrannt Es ist noch gar nicht lange her, da schnitt sich einer meiner Vaquero in die Hand. Er hat wohl ein Viertelpfund Schwamm auflegen müssen, ehe es heilte.« – »Solche Krankheitsfälle, zumal sie so häufig auftreten, sind nun freilich imstande, einen Arzt Veranlassung zu geben, sich hier niederzulassen.« – »Sehen Sie!« – »Ich ziehe mir aber doch die Heimat vor!« – »Nun, ich will Sie nicht bereden, denn wenn Sie sich hier zu sehr anstrengen würden, daß Sie selbst erkrankten, so bekäme ich Vorwürfe. Aber Ihr Freund, ist der nicht auch Doktor?« – »Ja.« – »Der Theologie?« – »Nein, auch der Medizin.« – »Aber wenigstens er ist verheiratet!« – »Nein.« – »Will er etwa ledig bleiben?« – »Ich habe über diesen Punkt noch nicht mit ihm gesprochen.« – »Herrgott, das ist ja der Hauptpunkt im Leben, über den man mit jedem Menschen reden soll! War er noch nie verliebt?« – »Ich habe ihn noch nicht gefragt.« – »So fragen Sie ihn so bald wie möglich, und sagen Sie es ihm, daß es nichts Besseres gibt, als Schwiegersohn zu sein. Ist man Arzt, und der Schwiegervater hat einen Kramladen, so kann man sehr leicht eine Apotheke errichten. Tee wächst im Wald genug, und das Pflaster kann man sich von den Vaqueros sieden lassen.« – »Ich danke, Señor! Sobald ich Zeit finde, werde ich mit ihm sprechen. Adieu.«
Der Arzt kehrte kopfschüttelnd in sein Zimmer zurück, der Wirt aber war ebenso mit ihm unzufrieden. Er hatte überhaupt heute trotz des guten Wetters eine sehr üble Stimmung.
Am Nachmittag kehrte Gerard mit dem Kleinen André von der Hazienda zurück. Er fand die Apachen noch auf derselben Stelle lagernd, wo sie am Vormittag sich versteckt gehalten hatten. Da der Häuptling der Ansicht war, daß sofort aufgebrochen werden sollte, so fand Gerard kaum Zeit, noch einmal nach dem Fort zu reiten, um von Resedilla Abschied zu nehmen. Er traf sie nicht unten im Zimmer und auch nicht daneben in der Küche. Er stieg daher die Treppe empor und klopfte an der Tür ihres Zimmers. Sie öffnete, und als sie bemerkte, daß er es war, überflog ein tiefes Rot ihr schönes Gesicht.
»Verzeihung, Señorita, daß ich es wage, Euch hier aufzusuchen!« sagte er. »Ich muß augenblicklich aufbrechen, wollte dies doch nicht tun, ohne Euch Lebewohl gesagt zu haben.« – »Tretet ein, Señor.«
Er tat dies, und da stand er nun in demselben Raum, wo er sie an jenem Abend gesehen hatte. Auch sie schien daran zu denken, denn ihr Gesicht drückte eine reizende Verlegenheit aus. Aber dabei ruhte ihr Auge mit sichtlichem Wohlgefallen auf seiner hohen Gestalt, die sich in dem neuen Gewand ganz anders ausnahm als in dem alten.
»Ich dachte nicht, daß Ihr das Fort so bald verlassen würdet, Señor«, sagte sie. – »Ich ebensowenig, bis morgen wenigstens glaube ich noch bleiben zu dürfen.« – »Und ich darf wissen, wohin Ihr geht?« – »Ja, denn ich weiß, Ihr werdet mich nicht verraten. Wir gehen nach dem Saladofluß, um einen Transport gegen die Komantschen zu verteidigen.« – »Ihr seid der Anführer?« – »Bärenauge und ich.« – »Oh, so wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen. Setzt Euch nicht unnötigerweise den Gefahren aus, die Euch da entgegentreten.« – »Ich werde vorsichtig sein, Señorita. Aber warum wünscht Ihr dies?«
Sie blickte zu Boden und antwortete nicht. Da ergriff er ihre Hand und fragte:
»Zürnt Ihr mir, daß Euer Vater uns heute überraschte?« – »Nein«, antwortete sie leise. – »Und auch nicht, daß ich ihn zurückwies, als er Euch mir zuführen wollte?« – »O nein, Señor. Wenn Vater doch anders sein wollte!« – »Ich verstehe Euch. Ihr habt da manche Kränkung zu erdulden. Jetzt aber muß ich scheiden, Señorita. Darf ich wiederkommen?« – »Ich bitte Euch darum.« – »Und bald?« – »Ja.«
Gerard blickte ihr in die Augen, die sich mit Tränen zu füllen begannen. Er zog die geliebte Maid eng an sich, und sie widerstrebte nicht. Ihr Busen ruhte warm an seinem Herzen; ihre Hand lag auf seiner Schulter. Er aber führte die andere Hand an seine Lippen und flüsterte:
»Darf ich an Euch denken, Resedilla?« – »Oh, bitte, tut es, und recht oft!« antwortete sie. – »Und Ihr?« – »Ich werde Euch keinen Augenblick vergessen!« – »Ist dies wahr?« – »Oh, Ihr dürft es mir schon glauben, Señor!« versicherte sie leise.
Da zog er sie noch inniger an sich, küßte ganz leicht ihr Haar und sagte:
»Gott segne Euch für dieses Wort, Señorita! Ihr macht mich unendlich glücklich damit. Nun gehe ich getrost den Komantschen entgegen, denn ich kenne einen Mund, der vielleicht für mich beten wird.«
Er hörte, daß sie ein Schluchzen unterdrückte; sie antwortete:
»Ja, ich werde für Euch beten, Señor, darauf könnt Ihr Euch verlassen!« – »So lebt wohl, Señorita!« – »Lebt wohl!«
Gerard ging. Sie sah durch das Fenster, wie er zu Pferde stieg. Wie sah er heute doch so ganz anders aus! Ihr Herz klopfte vor Stolz und Freude, und dennoch mußte sie weinen. Worüber? Daß er von ihr gegangen war? Ja. Aber es gab noch einen anderen Grund. Es trägt ein jedes Mädchen ein Ideal in seinem Herzen. So war es auch mit Resedilla gewesen. Sie hatte an demselben treu festgehalten und alle Bewerber abgewiesen. Und nun endlich derjenige kam, in dem ihr Ideal sich verkörpert zu haben schien, da riß er sie aus ihrem Entzücken durch das offene, aber unvorsichtige Bekenntnis, daß er ein Verbrecher gewesen sei.
Sollte sie da nicht weinen? Hatte ihr Ideal nicht den Glanz, den Nimbus, die Reinheit verloren? Oh, sie hatte diesen Gerard lieb, unendlich lieb, und dennoch mußte sie weinen, weinen, weinen!
19. Kapitel
Drei Tage später ritt ein sehr langer Reiterzug von den Bergen des Puercosflusses nach Osten, den Höhen entgegen, zwischen denen ein Arm des Saladoflusses dahinströmte. Der Trupp bestand aus den fünfhundert Apachen, an deren Spitze sich Bärenauge, Gerard und der Kleine André befanden, der letztere als Führer.
Die Leute ritten einer hinter dem anderen; darum glich der Zug einer riesigen, fünfhundertgliedrigen Schlange, die sich durch das Terrain dahinwand.
Die Gegend war teils bewaldet, teils von offenen Präriestellen durchzogen. Gelangten die Vordersten des Zuges an eine solche Stelle, so machten sie stets halt, um sie genau zu überblicken.
So eben auch jetzt, als Bärenauge sein Pferd anhielt, um den Blick über eine weite Grasebene streifen zu lassen, die sich vor ihnen öffnete.
»Der Häuptling der Apachen sieht keinen Feind«, sagte er. – »Wir können getrost weiter!« stimmte André bei.
Da schüttelte Gerard den Kopf.
»Wie lange reiten wir noch zum Lager?« fragte er den Kleinen. – »Bei Sonnenuntergang werden wir es erreichen«, lautete die Antwort. – »Und jetzt ist es Mittag? Hm! Sagtest du nicht, daß die Komantschen Späher ausgesandt hätten?« – »Ich habe sie selbst gesehen.« – »So steht zu erwarten, daß dies Lager auch jetzt beobachtet wird.« – »Jedenfalls.« – »Vielleicht ist bereits ein Komantschentrupp eingetroffen, um es zu belagern und zu erstürmen. Was meinst du, André?« – »Das ist sehr leicht möglich.« – »Nun, in diesen beiden Fällen wird der Feind die Augen offenhalten und uns nahen sehen, wenn wir durch die offene Prärie reiten.« – »So meinst du, daß wir sie längs des Waldes umreiten sollen?« – »Ja.« – »Das ist ein großer Umweg.« – »Er führt uns aber sicherer zum Ziel. Übrigens können wir ja schärfer reiten.« – »Mein weißer Bruder hat ganz recht«, entgegnete Bärenauge.
Bei diesen Worten lenkte er mit der ihm eigenen Entschlossenheit nach links ein, anstatt hinaus auf die offene Prärie zu reiten. Die anderen folgten.
Auf dieser linken Seite zog sich der Urwald in einer beinahe geraden Linie dem Osten entgegen. Die Apachen lenkten unter die Bäume hinein und ritten nun längs des Randes so rasch wie möglich vorwärts. Kein Mensch sprach ein Wort, kein Pferd ließ einen Laut hören. Nur das dumpfe Stampfen der Hufe auf dem weichen Boden war zu vernehmen.
So mochte man bis gegen vier Uhr geritten sein, als Bärenauge plötzlich sein Pferd anhielt und den Boden scharf betrachtete.
»Was erblickt mein roter Bruder?« fragte Gerard. – »Die Spur eines Fußes«, antwortete der Apache.
Bärenauge sprang vom Pferd und bückte sich nieder. Gerard tat dasselbe.
»Sieht mein weißer Bruder die Halme des Grases, die sich noch nicht wieder aufgerichtet haben?« fragte der Häuptling. – »Ich sehe sie. Hier ist ein Mensch gegangen.« – »Vor ungefähr zwei Stunden«, fügte André hinzu, der auch abgestiegen war. »Wohin führt die Spur?« – »Hier am Rand des Waldes entlang. Meine Brüder mögen mir folgen.«
Mit diesen Worten ergriff der Häuptling die Zügel seines Pferdes und schritt zu Fuß der Fährte nach.
Nach einiger Zeit fanden sich eine zweite, eine dritte und endlich noch mehrere dazu. Zuletzt hob Bärenauge die Spitze eines Pfeiles auf, die er aufmerksam betrachtete.
»Uff!« sagte er. »Die Komantschen sind in der Nähe. Sie sind auf die Jagd gegangen, denn dies ist die Spitze eines Jagdpfeiles. Es sind mehr als zehn Fährten; diese Jäger hatten also für viele Leute Fleisch zu schaffen. Meine Brüder müssen vorsichtig sein.«
Jetzt konnte man beinahe mit Gewißheit sagen, daß man einige hundert Komantschen vor sich habe. Darum wurde der Weg mit außerordentlicher Vorsicht fortgesetzt.
Man durfte sich ganz auf die gefundene Spur verlassen. Sie führte deutlich genug nach der Richtung, wo der Feind zu finden war.
So mochte es noch eine halbe Stunde vor Untergang der Sonne sein, als der Zug wieder stockte. Die drei Anführer hatten ihre Pferde pariert.
Sie befanden sich jetzt am Ausgang des Waldes. Vor ihnen breitete sich eine Art kleiner Hochebene aus, von deren Mitte ein Bach herniederfloß. Da droben sah man Zelte stehen und angepflockte Tiere.
»Das Lager!« sagte André. – »Aber eingeschlossen«, fügte Gerard hinzu.
Und er hatte recht. Unten nämlich weideten mehrere hundert Mustangs im saftigen Gras, und ringsum waren bewaffnete Indianer zu erblicken, die die Hochebene umgaben. Letztere hatte ein schwarzes, verbranntes Aussehen, es stand da kein Grashalm mehr.
»Die Komantschen!« sagte Gerard. – »Sie haben das Gras angebrannt«, fügte Bärenauge hinzu, »damit die Pferde unserer Brüder kein Futter finden können und zugrunde gehen!«
Es war klar, daß die Geldkarawane von den Wilden belagert wurde. Mehrere Leichen, die man liegen sah, bewiesen, daß bereits Kämpfe stattgefunden hatten. Die Zahl der Belagerer konnte derjenigen der Apachen gleichen, nämlich fünfhundert, vielleicht auch noch mehr.
Jetzt galt es, sich zu beraten. Bärenauge zog seine Leute in den Wald zurück, wo sie nicht bemerkt und überrascht werden konnten. Dort setzte man sich nieder, um das Kalumet anzustecken, ohne das der Indianer keine wichtige Besprechung unternimmt. Einige kluge Apachen waren fortgeschickt worden. Bis zu ihrer Rückkehr war man zu warten gezwungen.
Endlich, nach Verlauf von über einer Stunde, kamen sie wieder.
»Was habt ihr gesehen?« fragte der Häuptling. – »Zehnmal sechsmal zehn Komantschen mit ihren Pferden.« – »Uff! Und wieviel Weiße?« – »Es waren hier viermal zehn und acht.« – Donnerwetter«, meinte André, »so sind bereits zwölf gefallen.« – »Es werden ihrer in dieser Nacht noch mehr fallen«, sagte einer der Kundschafter. – »Weshalb?« fragte Gerard. – »Weil die Söhne der Komantschen gegen Morgen das Lager stürmen wollen.« – »Woher weißt du das?« – »Ich habe es gehört.« – »Von wem?« – »Von zwei Kriegern, die unter den Bäumen standen, mich aber nicht sahen.« – »Es ist gut! Man wird ihnen den Sturm versalzen.« – »Es scheint, die Kameraden sind bereits sechs Tage belagert«, meinte André. – »Hatten sie Vorräte?« – »Nicht viel.« – »So ist schleunige Hilfe höchst nötig. Was sagt mein roter Bruder?« – »Sobald die Komantschen unsere weißen Brüder überfallen, werden die Apachen jene Hunde von hinten anfassen und töten.« – »Sollte das klug sein?« – »Kennt mein weißer Bruder etwas Besseres?« – »Ich denke, daß man sie gar nicht zum Angriff kommen lassen darf. Wenn wir sie in diesem Fall auch besiegen, so werden doch viele unserer Brüder fallen.« – »Was denkt mein Bruder sonst?« – »Wir warten, bis es völlig dunkel ist. Dann geben wir unsere Pferde in Obhut und umzingeln den Feind. Auf ein Zeichen machen wir uns dann über ihn her, ohne Flinten, ohne Geschrei, ganz still, nur mit Tomahawk und Messer. Auf diese Weise ist die eine Hälfte getötet, ehe die andere es merkt.«
Bärenauge dachte einige Augenblicke lang nach und erwiderte:
»Mein weißer Bruder hat das beste geraten. Was soll das Zeichen sein?« – »Ein Feuerbrand, der im Lager unserer Freunde emporgeworfen wird.« – »Wie können sie dieses Zeichen geben, da sie doch nicht wissen, daß wir hier sind?« – »Sie werden es von mir erfahren.« – »Uff! Mein Bruder will sich zu ihnen hindurchschleichen?« – »Ja«, antwortete Gerard. – »Das ist zu gefährlich!« warnte André. – »Pah! Für mich nicht!« entgegnete Gerard. – »Mein weißer Bruder ist wie die Schlange, die des Nachts kein Mensch sieht und hört, bis sie sticht«, stimmte der Apachenhäuptling bei.
Der Kleine André versuchte, noch einige Einwände zu erheben, doch vergebens. Gerard dachte zwar an Resedillas Bitte, sich in keine unnötige Gefahr zu begeben, aber er war so gewandt im Anschleichen, daß er fast gar keine Gefahr bei diesem Unternehmen sah.
Als es vollständig dunkel geworden war, ging er ans Werk, gebot jedoch vorher, daß man versuchen solle, sich der Pferde der Feinde zu bemächtigen.
Droben auf der kleinen Anhöhe lagen die Belagerten um ein Feuer.
Der Anführer, General Hannert, stocherte mit einem Ast in der Glut herum, halblaute Flüche in den Bart murmelnd. Einige Offiziere saßen bei ihm, aber schweigend. Sie sahen aus, als wenn der Hunger ihnen den Mund verschließe.
Weiter seitwärts saßen Soldaten und Westmänner beisammen, und noch weiter entfernt sah man die Posten stehen, die das Lager vor einem Überfall zu bewahren hatten. Unweit des Feuers lagen viele Packsättel, und dabei standen Körbe, in denen man, wenn man sie geöffnet, kleine Beutel gefunden hätte, die mit klingender Münze gefüllt waren.
Der übrige noch freie Raum war mit angepflockten Tieren angefüllt, die vergebens der den Boden deckenden Grasasche einen Halm zu entreißen versuchten. Es herrschte eine traurige Stille über diesem Lager.
Da endlich hörte man eine Unterbrechung:
»Goddam!« sagte der General laut. »Was ist nur mit diesem André geschehen?« – »Ob man ihn unterwegs weggefangen hat?« – »Möglich! Dann aber sind wir verloren!« – »Wir noch nicht, General.« – »Aber unsere Fracht, unser Geld.« – »Warten wir noch bis morgen!« – »Bis morgen? Pah, da fallen unsere Tiere um, wenn sie uns tragen sollen!« – »Aber was sonst, General?« – »Ich kenne nur ein Mittel: Morgen früh werden die roten Schufte uns einen abermaligen Besuch machen wollen. Wir aber kommen ihnen zuvor.« – »Wir besuchen sie?« – »Ja.« – »Und schlagen uns durch?« – »Ja.« – »Ohne das anvertraute Geld?« – »Nein, sondern mit demselben.« – »Aber unsere Tiere sind zu schwach.« – »Wir holen uns da unten bei den Komantschen andere. Mein Plan ist nämlich der: Es nimmt jeder einen Teil des Geldes an sich. Wir bilden eine Phalanx und schlagen uns bis zu den Pferden der Komantschen durch. Erreichen wir diese, so sind wir gerettet.« – »Ein verzweifelter Plan.« – »Wer weiß einen besseren?« – »Ich!«
Aller Augen wandten sich nach der Seite, von der diese Antwort erschollen war. Dort stand ein hoher, starker Mann mit dichtem Vollbart, beide Hände auf die Büchse gestützt. Niemand kannte ihn. Es war ein Weißer. Wie war er hergekommen? Durch die Posten der Komantschen und ihre eigenen?
Die Männer alle waren förmlich erschrocken, als sie ihn erblickten. Der General faßte sich am schnellsten. Er musterte den Fremden und fragte ihn:
»Herr, wer sind Sie? Wie kommen Sie hierher?« – »Der Kleine André schickt mich«, antwortete der Gefragte. »Ich habe mich durch alle Posten geschlichen, bis hierher.« – »Donnerwetter, das bringt nur ein echter, tüchtiger Jäger fertig!« sagte der General im Ton der Bewunderung. »Sie sind nicht bemerkt worden?« – »Weder von den Komantschen, noch von Ihren Leuten«, entgegnete der Mann. – »Dann haben Sie ein Meisterstück gemacht. Wer sind Sie?« – »Der, den Sie erwarten.« – »Der, den ich erwarte? Ah, ich erwarte allerdings einen, der ganz und gar der Kerl ist, sich durch alle Vorposten der Welt hindurchzuschleichen!« – »Wie heißt der Mann?« – »Es ist der Schwarze Gerard.« – »Der bin ich, General.«
Diese Worte wurden in einem höchst einfachen, bescheidenen Ton gesprochen, aber sie hatten doch eine ganz besondere Wirkung. Der General sprang auf, und auch die anderen schnellten, freudig überrascht, vom Boden empor und traten näher.
»Wie? Was? Sie sind Gerard?« fragte der erstere. – »Ja, ich bin es.« – »Gott sei Dank. Willkommen, Master! Wir befinden uns in einer nichts weniger als angenehmen Lage; aber Ihr Erscheinen bringt mir die Hoffnung, daß wir gerettet werden. Der Kleine André hat sie getroffen?« – »Gewiß.« – »Im Fort Guadeloupe?« – »Ja.« – »Er ist in der Nähe?« – »Ja. Wir stecken seit einigen Stunden da unten im Wald.« – »Warum ist er nicht mitgekommen?« – »Hm, General, das Schleichen durch sechshundert Komantschen, die sich auf dem Kriegspfad befinden, ist nicht jedermanns Sache. Übrigens war es auf alle Fälle besser, er blieb bei den Apachen zurück.« – »Bei den Apachen? Sie haben Apachen bei sich?« – »Ja. Volle fünfhundert.«
Da blickte der General mit freudeglänzenden Augen im Kreis umher und sagte:
»Kinder, Gott sei Dank; jetzt sind wir gerettet!« – »Ich hoffe es«, meinte Gerard. »Ich habe bereits mit Bärenauge die geeigneten Maßregeln getroffen, Sie von den Komantschen zu befreien.« – »Wer führt die Apachen an? Bärenauge selbst?« – »Ja.« – »Oh, da ist das Gelingen sicher! Wo Bärenauge seine Hand im Spiel hat, da kann von einem Mißerfolg gar keine Rede sein. Aber wie sind Sie zu ihm gekommen?« – »Wir sind schon längst Freunde. Übrigens hat er mit Juarez einen Vertrag abgeschlossen, infolgedessen er die Komantschen und Franzosen als Feinde betrachtet.« – »Also er lauert mit fünfhundert Mann unten im Wald? Was für Maßregeln haben Sie mit ihm verabredet?« – »Er wird sich bereits jetzt nicht mehr im Wald befinden, sondern mit seinen Leuten aufgebrochen sein, um die Komantschen zu umzingeln.« – »Ah, jetzt bereits? Wäre der Anbruch des Morgens nicht eine passendere Zeit gewesen?« – »Nein. Das Morgengrauen wollen jedenfalls die Komantschen benützen, um Sie zu überfallen. Das würde Ihrerseits dann doch einige Opfer kosten, denn wir würden den Feind zwar überraschen, aber ihn auch kampfbereit finden. Jetzt sitzen sie ahnungslos bei ihren Feuern und erwarten von außen her keine Störung. Als ich ihre Linie durchschlich, bemerkte ich, daß sie zwar nach dieser Höhe hin, also nach innen, Wachen aufgestellt haben, nicht aber jenseits nach dem Wald und der Prärie zu. Die Apachen schleichen sich an sie heran und fallen, sobald ich mit einem Feuerbrand das Zeichen gebe, über sie her. Ein jeder wählt seinen Mann. Es genügt eine einzige Minute, um fünfhundert Komantschen das Leben zu nehmen, und für die übrigen werden zwei weitere Minuten hinreichen.« – »Ah, das ist gut! Wir werden helfen!« – »Ich bitte Sie, dies zu unterlassen, da es für unsere Verbündeten gefährlich werden könnte. Ich weiß nicht, ob Sie und Ihre Soldaten imstande sein werden, im Dunkel der Nacht einen Apachen von einem Komantschen zu unterscheiden. Ein Irrtum könnte hier sehr verhängnisvoll werden.«
Da nahm ein alter Jäger, der in der Nähe stand, das Wort:
»Oho! Man wird doch einen Komantschen erkennen! Sollten wir etwa ruhig zusehen, daß diese Kerle von anderen den Lohn empfangen, den sie an uns verdient haben? Mir juckt es in allen Fingern, gehörig mitzutun!«
Gerard nickte und antwortete:
»Ich habe nur von den Soldaten, nicht aber von den Jägern gesprochen. Diese letzteren mögen mithelfen, denn sie werden genau wissen, was ein Apache oder Komantsche ist. Darüber brauche ich mir keine Sorge zu machen.« – »Gut! Wann soll die Geschichte losgehen?« fragte der Alte. – »Vor Ablauf einer Stunde nicht. Der Kreis, den der Feind um die Höhe bildet, ist sehr ausgedehnt, und Ihr werdet nur zu gut wissen, welche Geduld und Sorgfalt erforderlich sind, um unbemerkt so nahe an den Mann zu kommen, daß man ihn beim ersten Zeichen sofort erreichen kann. Eine Übereilung könnte uns doch nur Schaden bringen. Ich mache den Vorschlag, nur erfahrene Jäger gegen die Komantschen als Posten aufzustellen. Sie mögen mit losbrechen, sobald unten der Kampf beginnt.« – »So mag es sein«, entschied der General. »Ich werde sogleich die nötigen Befehle geben, und dann wollen wir über das andere sprechen.«
Er zog diejenigen Posten, die Soldaten waren, ein und stellte erfahrene Jäger an ihre Stelle. Dann wurde wieder am Lagerfeuer Platz genommen.
Die Ankunft Gerards hatte das ganze Lager mit neuem Mut erfüllt, und als er jetzt neben dem General saß, um ihm Rede und Antwort zu stehen, kamen die Männer alle herbei, um zu hören, was er diesem letzteren zu berichten hatte.
»Was haben«, sagte dieser, »die Apachen zu tun beschlossen, wenn sie die Komantschen besiegt haben?« – »Sie werden Ihren Transport begleiten«, antwortete Gerard. – »Das ist mir natürlich sehr erwünscht; aber sie werden Geduld haben müssen, denn wir können diesen Ort nicht eher verlassen, als bis sich unsere Tiere wieder erholt haben. Sie haben mehrere Tage lang zwar Wasser, aber kein Futter gehabt.« – »Lassen Sie sich das nicht anfechten. Wir müssen sofort aufbrechen, vielleicht noch heute nacht, aber es ist…« – »Heute nacht! Unmöglich!« unterbrach ihn der General. – »Die Schwachheit Ihrer Pferde und Maultiere ist kein Hindernis. Ich habe dafür gesorgt, daß uns die Pferde der Komantschen in die Hände fallen; das ist mehr als hinreichend. Sie lassen einfach Ihre Tiere in der Prärie zurück. Wir müssen aus Vorsicht immer annehmen, daß unsere Spuren bemerkt worden sind. Fünfhundert lassen auch bei der größten Sorgfalt eine Fährte zurück. Wir können sehr leicht bereits Verfolger hinter uns haben; wir dürfen sie hier nicht erwarten.« – »Wir gehen nach Fort Guadeloupe, um das Geld dort niederzulegen?« – »Nein. Dieser ursprüngliche Plan hat nicht Stich gehalten. Wir werden das Geld direkt zu Juarez bringen.« – »Das ist außerordentlich gefährlich. Welchen Weg wir da auch einzuschlagen haben, er wird immer ein bedeutender Umweg sein oder geradezu durch das Gebiet der Komantschen führen. Dies aber könnten wir nur mit sehr guten und frischen Pferden wagen.« – »Für letztere ist gesorgt. Es werden uns verbündete Apachen am südlichen Arm des roten Flusses mit frischen Tieren erwarten.« – »Das ist sehr vorteilhaft. Wir könnten dann das feindliche Gebiet im Galopp durcheilen und das Land der Mescalero-Apachen erreichen, ehe sich die Komantschen entschlossen hätten, einen Angriff auf uns zu machen.«
Der Plan wurde besprochen und einstimmig angenommen. Unterdessen verging die Zeit. Es war mehr als eine Stunde verflossen, und so forderte Gerard die Leute auf, sich bereitzuhalten. Gleich darauf ergriff er einen harzigen Ast, hielt denselben in das Feuer und warf ihn, als er in Flammen stand, so hoch wie möglich in die Luft. Der Ast schien dabei verlöschen zu wollen, als er aber die Wurfhöhe erreicht hatte und einige Augenblicke bewegungslos in der Luft zu schweben schien, prasselten die Flammen auf, weithin sichtbar durch die Nacht, so daß dieses Zeichen nicht unbemerkt bleiben konnte.
Der Erfolg war allerdings ein augenblicklicher; denn kaum hatte der emporgeworfene Ast den Boden wieder berührt, so erschallte unten ringsum ein Geheul, wie es in dieser fürchterlichen, haarsträubenden Weise nur von Indianerkehlen ausgestoßen werden kann.
Gerard sprang vom Feuer hinweg und nach der Postenlinie hin. Dort standen die Jäger im Anschlag, die Büchsen schußbereit in der Hand und die Bowiemesser zwischen den Zähnen.
»Jetzt drauf!« rief er. »Wenn Ihr mir helfen wollt, so ist jetzt der richtige Augenblick dazu!«
Im Nu huschten die Leute, die vor Begier brannten, sich mit den Komantschen zu messen, die Höhe hinab. Gerard aber kehrte zum Feuer zurück, wo der General stand. Hier sollte der Sammelplatz der Krieger sein, und hier konnte er am leichtesten gefunden werden.
Während des Geheules hörte man einzelne Schüsse krachen. Todesschreie erschollen. Gerard horchte mit größter Spannung in die Nacht hinaus. Der General bemerkte dies.
»Sie haben Sorge, daß die Komantschen siegen werden?« fragte er. – »Nicht im geringsten«, antwortete der Gefragte. »Es ist ganz unmöglich, daß sie einen Vorteil erkämpfen werden; ich hege im Gegenteil die Überzeugung, daß sie vollständig vernichtet werden. Wenn ich so angestrengt lausche, so ist es nur, um zu hören, ob es eine Stampede gibt.« – »Ah, was ist eine Stampede?« – »Man versteht unter diesem Wort das Durchbrechen, Durchgehen oder Vorüberstampfen einer Pferdeherde. Es ist mir wichtig, zu hören, ob die Pferde der Komantschen an den Lassos hängenbleiben oder nicht.« – »Ah, diese Lassos sind fest?« – »Ja, aber dennoch kommt es vor, daß Pferde, vom Geschrei des Kampfes erschreckt, sich losreißen. Überdies könnte ja ein Trupp der Feinde sich bis zu den Pferden durchschlagen und mit diesen zu entfliehen suchen. Glücklicherweise habe ich bis jetzt noch keinen einzigen Huftritt gehört.« – »Haben Sie nicht eine Anzahl der Apachen angewiesen, sich der Pferde der Komantschen zu bemächtigen?« – »Allerdings. Und wie es scheint, ist ihnen dies auch gelungen. Denn fände das Gegenteil statt, so wäre … ah!«
Dieser letzte Ausdruck galt einer Gestalt, die soeben am Feuer erschien. Es war Bärenauge. Den blutigen Tomahawk im Gürtel, das Messer in der Rechten und mehrere frische Skalpe in der Linken, sah er im Schein der flackernden Flamme aus wie die Verkörperung des Geistes der Prärie, der der Indianersage nach mit bluttriefenden Waffen und rauchenden Kopfhäuten über die wilde Savanne jagt.
Er warf einen kurzen Blick auf den General und wandte sich dann an Gerard.
»Mein weißer Bruder hatte einen sehr guten Plan entworfen.« – »Ihr habt gesiegt?« fragte Gerard. – »Uff!« antwortete der Häuptling verächtlich. »Es ist für die Krieger der Apachen eine Unmöglichkeit, nicht zu siegen. Aber sie hatten den Feind so gut umstellt, daß ihnen kein einziger entkommen ist.« – »So sind sie alle tot?« – »Alle!« – »Und die Pferde?« – »Sie stehen noch da, wie wir sie gefunden haben.« – »Das ist ein Glück! Wir können sie gegen die herabgekommenen Packpferde umtauschen und noch in dieser Nacht den Rückweg antreten.« – »Wer ist das Bleichgesicht an deiner Seite?« – »General Hannert. Und hier liegt das Geld, das er unserem Freund, dem Präsidenten Juarez bringt.« – »Er ist ein tapferer Mann; er hat den Komantschen widerstanden, bis wir kamen. Ich werde die Pfeife des Friedens mit ihm rauchen und sein Bruder sein.«
Jetzt kamen die Apachen herbei, mit Skalpen und Beute behangen. Es ist besser, diese Szene nicht auszumalen. Der wahre Christ muß unbedingt die Politik verdammen, die eine ganze Nation dadurch zum Untergang zu bringen trachtet, daß sie die einzelnen Stämme gegeneinander aufhetzt und unter Waffen bringt. Es genügt, zu sagen, daß der Sieg ein vollständiger war. Die vorher so bedrängten Amerikaner waren mit ihren Schätzen gerettet und zogen, von den Apachen begleitet, weiter.
20. Kapitel
Für den Geschichtsschreiber gibt es keine Zeiträume und Ortsentfernungen. Er überspringt sie spielend, ohne sich von seinem Schreibtisch zu erheben. Von diesem Recht machen auch wir Gebrauch, indem wir uns aus der Savanne in Neumexiko nach Norden versetzen, um Personen zu sehen, die uns im höchsten Grad interessieren müssen.
Als Ferdinand Cortez Mexiko erobert hatte, ließ ihm der König von Spanien sagen, er solle sich etwas erbitten, was ihm sofort gewährt werden würde. Da dachte der schlaue Spanier an Dido, die Karthago gegründet hatte. Er tat dasselbe, was diese berühmte Königin getan hatte, und erbat sich so viel Land, als er mit einer Kuhhaut umspannen könne. Diese Bitte wurde ihm, da sie sehr bescheiden klang, gewährt. Da ließ er eine große Haut in haardünne Streifen schneiden und umspannte auf diese Weise ein Areal, das natürlich weit größer war, als der König geahnt hatte.
Diese Besitzung und die in ihr gegründete Stadt besteht noch. Sie wird zum Andenken an jenen Streich Cuernavaca genannt, zu deutsch »Kuhhaut«.
Das alte Schloß ist ein großes Viereck, das in architektonischer Beziehung keine Bedeutung hat. Jetzt in eine Kaserne verwandelt, besitzt es nichts, was an die vergangene Pracht und Herrlichkeit erinnern könnte.
Die Stadt ist klein und, wie alle mexikanischen Städte, sehr regelmäßig gebaut, jedoch teils schlecht, teils gar nicht gepflastert. Von Trottoirs und Gas ist keine Rede, nicht einmal Öllampen gibt es in den Straßen.
Und dennoch befand sich in dem kleinen, unscheinbaren Ort das Hoflager des Kaisers Max von Mexiko, der hier ganz in der Weise eines Privatmannes lebte.
Dies hatte seinen Grund in der prächtigen Lage des Städtchens.
Es liegt kaum dreizehn Legua – altes spanisches Wegemaß, in Mexiko 1 Legua 4190 m – von Mexiko entfernt im Tal, von allen Seiten gegen Winde geschützt. Bezaubert durch die Schönheit und den Reichtum der tropischen Natur, hatte der poetische Sinn des Kaisers sich dieses Eldorado als Erholungsort erkoren. Es war sein Lieblingsaufenthalt. Wenn die Staatsgeschäfte ihm und der Kaiserin gestatteten, den Staub der Hauptstadt auf einige Tage abzuschütteln, so eilten die Majestäten nach Cuernavaca, um Ruhe für den Geist und Körper zu finden. Bisweilen zog sich Max allein dahin zurück, um fern von französischen Machinationen und Einflüssen sich mit einigen Vertrauten ernsten Reformplänen zu widmen.
Es ist schwer, sich etwas weniger Kaiserliches zu denken, als die bescheidene Villa, die der Kaiser dort gemietet hatte. Aber welche Umgebung!
Der Garten machte den Eindruck einer Zauberlandschaft; der Beschauer wähnte sich in ein Feenreich versetzt. Dennoch war alles Natur und nichts Kunst! Keines Gärtners Hand hatte die wilde Jungfräulichkeit des die Villa umgebenden Rosenwaldes entweiht. Haushohe Kaktus– und Alongpflanzen, mächtige Palmen verschiedenster Gattung, wilde Zitronen– und Orangenbäume und vereinzelte majestätische Zypressen überragten ein Gefilde hochstämmiger Rosen, die in allen Farben prangten.
Und als ob die Königin der Blumen eifersüchtig gewesen sei auf diese stolzen Repräsentanten eines dunkel– und hellgrünen Blätterreichtums, so schlangen sich um Stämme und Äste die verschiedenartigsten Lianen und Schlingpflanzen, hier schneeweiß, dort dunkelrot, purpurn erglühend, violett und rosa, alle himmelwärts strebend und mit ihren Düften wetteifernd mit den Wohlgerüchen, die den Millionen und Abermillionen von Rosen entströmten.
Durch diese duftende Wildnis schlängelten sich ländliche Fußwege, deren Stille durch das Halleluja der buntgefiederten Vögel unterbrochen wurde. Es war ein Paradies im kleinen, ein Eden, für das sich selbst Hafis, der persische Dichter, der Sänger der Liebe und der Rosen, hätte begeistern müssen.
Auf einem dieser Wege wandelte Kaiser Max, an seiner Seite ein Mann in reicher, goldstrotzender Nationaltracht. Dieser Mann, dunkelhaarig und dunkeläugig, war von nicht hoher, aber sehniger Gestalt. Sein gelb angehauchtes Gesicht zeigte eine große Beweglichkeit der Mienen, und in seinen Augen brannte eine Glut, wie sie nur dem Südländer eigen sein kann. Es war General Mejia, jener treue Freund des Kaisers, der später mit ihm am 19. Juni 1867 auf dem Berro von Querétaro erschossen wurde.
Die beiden Spaziergänger waren augenscheinlich in ein sehr ernstes Gespräch vertieft.
»Sie malen jedenfalls zu schwarz, lieber General«, sagte der Kaiser in seiner sanften Weise, indem er eine der Rosen vom Zweig brach und ihren Duft einsog. – »Wollte Gott, Majestät hätten recht!« antwortete Mejia. »Und wollte Gott, ich dürfte so sprechen, wie ich reden möchte!«
Da hielt der Kaiser seinen Schritt an, sah dem General forschend in das Auge und fragte in beinahe erstauntem Ton:
»Warum sprechen Sie nicht so?«
Der Gefragte ließ seinen Blick über die Rosenflut gleiten, schwieg eine ganze Weile und antwortete langsam:
»Dies verbietet mir die Majestät des Kaisers.«
Max blickte zu Boden und meinte halb scherzend und halb traurig:
»Ist meine Majestät so glänzend, so blendend? Ich dächte nicht, daß der Anblick meines Thrones einen so niederschmetternden Eindruck macht!« – »Und doch muß ich bei meinem Ausspruch beharren.« – »Aber ich bin hier in Cuernavaca nicht Kaiser, sondern Privatmann!« – »Das ist eine Huld, die die Anhänger Eurer Majestät dankbar anerkennen; aber man darf dem Privatmann trotzdem nicht sagen, was den Kaiser kränken oder beleidigen könnte.«
Da legte Max seine Hand hastig auf den Arm des Generals und bat:
»Sprechen Sie in Gottes Namen, lieber General! Der Kaiser wird Ihnen nicht zürnen.« – »O doch, Majestät!« – »Nun, so befehle ich es Ihnen!«
Diese wenigen Worte wurden in einem Ton gesprochen, der jeden Widerspruch ausschloß. Darum meinte der treue General:
»So werde ich gehorchen, selbst auf die Gefahr hin, mir die allerhöchste Gunst zu verscherzen.« – »Meine Gunst bleibt Ihnen treu. Denken Sie, daß Sie mit einem Freund, einem Vertrauten sprechen, der auch Unangenehmes vertragen kann. Wir waren bei meinen Reformplänen. Sie stimmten nicht zu!« – »Ich kann leider nicht!« – »Warum?« – »Majestät haben einen hocherlauchten Ahnen, der von gleichem Eifer durchdrungen war.« – Ah, Sie meinen Josef den Zweiten?« – »Ja. Der Lohn seines Strebens war Undank und Enttäuschung.« – »Nicht durchaus!« – »Aber doch zumeist!« – »Er ging zu rasch vor. Er war den Verhältnissen vorausgeschritten.« – »Und doch war er in diesen Verhältnissen geboren und aufgewachsen. Sie waren ihm nicht fremd, er kannte sie genau; aber seine Begeisterung für das Glück seines Volkes ließ ihn die Macht dieser Verhältnisse verkennen.« – »Sie urteilen scharf, aber doch vielleicht nicht ganz unrichtig, General.« – »Ich danke für diese Zustimmung und erlaube mir einen Vergleich.« – »Zwischen ihm und mir?« – »Ja.« – »So wird dieser Vergleich wohl schwerlich zu meinen Gunsten ausfallen!« sagte der Kaiser mit mildem Lächeln. – »Oh, Majestät teilen die Begeisterung Ihres edlen Vorgängers, aber Majestät befinden sich auf völlig unbekanntem Boden.« – »Sie wollen sagen, daß ich noch viel mehr Grund habe als Josef, langsam vorzugehen, daß ich mich vor jeder Übereilung hüten solle?« – »So ähnlich. Ich denke an das Beispiel eines neuen Lehrers, der gleich am Tag seines Amtsantritts reformieren will, ohne seine Schüler zu kennen.« – »Ich danke für diesen Vergleich!« lächelte der Kaiser. – »Verzeihung!« bat Mejia. »Aber sagten Majestät vorhin nicht selbst, daß es die heiligste Pflicht und die größte Wonne eines Herrschers sein müsse, der Lehrer, der Schulmeister seines Volkes sein zu können? Wir befinden uns in einem Land, dessen Boden vom Blut raucht; wir sind umgeben von einem Volk, das gewalttätiger ist als jedes andere; wir stehen gesetzlos da, indem wir ja erst im Begriff sind, Gesetze zu schaffen. Christus zog in Jerusalem ein, und alles Volk schrie Hosianna; drei oder mehrere Tage später schlug man ihn an das Kreuz!«
Das war viel gewagt und gesagt von dem General. Es traf den Kaiser tief in das Herz. Dieser schritt langsam und schweigend weiter und sagte erst nach einer längeren Pause:
»Sie denken an das Hosianna meines Einzuges?« – »Ja, Majestät.« – »Nun zweifeln Sie an der Wahrheit der damaligen Begeisterung?« – »Mit vollem Recht, Majestät.« – »Ah!« – »Wer hat Sie empfangen, Majestät? Die Bevölkerung? Nein. Die Franzosen? Ja, sie und ihre Geschöpfe. Die Rufe der Begeisterung waren gemacht, waren künstlich, ich weiß es genau. Glauben die Franzosen etwa, daß sie festen Fuß in Mexiko gefaßt haben? Da irren sie sich!« – »Das sagen Sie bei dem Militär, über das Sie hier gebieten?« – »Gelang es Napoleon dem Ersten, Spanien zu erobern? Ebensowenig wird es seinem Neffen gelingen, Mexiko zu halten. Die Franzosen stehen nicht auf festem Boden, sondern auf einem sehr schlecht zusammengefügten Floß, welches jeden Augenblick zerschellen kann. Mexiko zählt hunderte von Kratern, auch das Volk ist ein Vulkan. Es gären unterirdische Kräfte in ihm; seine Eruptionen sind furchtbare. Und wenn Napoleon eine Million Zuaven und Turkos sendet, sie werden doch eines Tages in die Luft geschleudert werden!« – »Welch eine Perspektive!« rief der Kaiser. – »Ich wage, an diese Perspektive zu denken, um Eure Majestät zu warnen, sich dem Mann an der Seine anzuvertrauen. Ein Herrscher von Mexiko darf nicht das Geschöpf eines anderen sein; er muß seine Kraft und Macht aus Mexiko selbst ziehen, er darf weder vertrauen, noch dichten und träumen, nicht das Land betreten mit liebevollen Plänen, sondern mit dem Säbel in der Faust. Der Mexikaner ist ein Feind der Ordnung: er spielt mit dem Widerstand und der Empörung, er gleicht dem halbwilden Tier, das man nicht mit einem Zuckerbrot lockt, sondern mit dem Lasso niederreißt.«
Der General hatte sich in Eifer gesprochen; er sagte die reine, volle Wahrheit, von welcher er selbst durchdrungen war; und dabei vergaß er, seiner Ansicht jene Gewandung zu geben, die man für notwendig hält, wenn man zu einem gekrönten Haupt spricht.
Der Kaiser schritt sinnend neben ihm her. Seine Miene war sehr ernst geworden, aber er sagte kein Wort, das angedeutet hätte, daß er beleidigt sei. Mejia fuhr fort:
»Der Mexikaner haßt den Franzosen, es wird ihm unmöglich sein, den zu lieben, den der Franzose ihm zum Herrscher gibt.« – »General!« sagte jetzt endlich Max in mahnendem Ton. – »Ah, Majestät, ich sollte die Wahrheit sagen.« – »Gut. Aber Sie sprachen vorhin von dem Geschöpf eines anderen!« – »Ich gebe zu, daß dieser Ausdruck nicht hoffähig ist, aber ich mußte mich seiner bedienen, um zu beweisen, daß er von anderen gebraucht wird.«
Da runzelte der Kaiser die Stirn und fragte:
»Wer sind diese anderen?« – »Erstens die Mexikaner …« – »Ah, erstens! Aber zweitens?« – »Die Herren Franzosen selbst.« – »Unmöglich!«
Der Kaiser sprach dieses Wort im Ton des ehrlichsten Zweifels aus. Mejia aber antwortete:
»Unmöglich? Majestät, ich habe dieses Wort gehört, zehnmal, hundertmal; ich garantiere mit meinem Ehrenwort dafür.« – »Auch von den Franzosen?« – »Ja, von hohen Offizieren!« – »Mein Gott!«
Max legte die Hände zusammen und sah nach oben. Mejia bemerkte dies. Seine Lippen preßten sich zusammen, seine Stirn wurde finster. Er sagte:
»Ich wollte, ich wäre Kaiser!« – »Ah, warum?« – »Dann würde ich Mejia bitten, mir zu sagen, was ich tun soll.« – »Nun, ich bitte Sie.« – »Oh, ich würde zunächst zum Degen greifen und diese Franzmänner zum Land hinausjagen, sie haben dies genugsam verdient.« – »General, Sie als Soldat wissen am besten, daß dies unmöglich ist.« – »Unmöglich? Leicht ist es, Majestät, sogar sehr leicht.« – »Sie bringen mich in das größte Erstaunen.« – »Rufen Sie die Mexikaner auf. Sie werden wie ein einziger Mann aufstehen und Ihnen helfen. Dann sind Sie der Anführer, der Kaiser des Volkes. Dann haben Sie gezeigt, daß Sie Herrscher sind aus eigener Kraft und Majestät. Man wird Sie anerkennen, man wird Ihnen gehorchen, ja, man wird Ihnen zujubeln!«
Max schüttelte den Kopf und entgegnete:
»Ich kann Ihre Begeisterung nicht teilen. Denken Sie an Juarez, an den Panther des Südens, an die vielen anderen Bandenführer, die gern selbst Kaiser spielen möchten. Denken Sie ferner an England, an die Vereinigten Staaten, an Spanien – von anderen gar nicht zu sprechen. Denken Sie an meine Verpflichtungen Frankreich gegenüber …« – »Oh«, unterbrach ihn der General, »ich glaube nicht, daß der Franzose sich seiner Verpflichtungen Ihnen gegenüber zur geeigneten Stunde erinnern wird. Über Mexiko kann nur das Schwert herrschen. Wer die Parteien einigen und ihnen befehlen will, der muß eine starke, rücksichtslose Faust haben und sich vor aller Weichheit hüten. Erst seine späteren Nachfolger dürfen daran denken, das Schwert mit der Palme zu vertauschen.« – »Sie verlangen also einen Attila, einen Tamerlan?« – »Nein, sondern einen Karl den Großen, der zu siegen und zu einigen weiß, ohne zu verwüsten.« – »Jetzt hat man mit der Politik zu rechnen.« – »Was können die Diplomaten tun, vollendeten Tatsachen gegenüber?« – »Und Juarez, mein kräftiger Gegner?« – »Wird unschädlich gemacht. Ich denke mit Grimm an die kleinen Kerle, die sich General schimpfen und nur den Zweck haben, der Herde die Wolle zu nehmen. Da ist zum Beispiel dieser Cortejo …« – »Ah«, unterbrach ihn der Kaiser, »der jetzt mit dem Panther des Südens gleiche Sache macht?« – »Ja, jener Pablo Cortejo, dessen Tochter ihre Fotografien versendet, um vermöge ihrer Schönheit Anhänger zu werben.« – »Haben Sie ihr Bild gesehen?« – »Hundertmal.« – »Ich leider noch nicht«, lächelte der Kaiser. – »Nicht? Ah, diesen Hochgenuß dürfen Majestät nicht länger entbehren.«
Der General griff in seine rotseidene Schärpe und zog ein Visitenkartenetui hervor.
»Sie besitzen das Porträt?« fragte der Kaiser. – »Ja. Ich gestatte mir, es Eurer Majestät zur Ansicht zu überreichen!«
Damit gab er dem Kaiser das Bild. Dieser betrachtete es einige Augenblicke lang, gab es darauf dem General wieder und sagte im Ton des Bedauerns:
»Armes Mädchen!«
Mejia runzelte abermals die Stirn. Er liebte den Kaiser, aber er war ein Mann der Tat und haßte alles Weichliche. Er sagte mit Nachdruck:
»Arm? Oh, Majestät, ich bedaure und bemitleide diese Dame nicht. Ja, sie macht sich lächerlich, ungeheuer lächerlich, aber sie ist eine gefährliche Intrigantin, die ich für alle Fälle unschädlich machen würde.« – »So halten Sie auch ihren Vater für gefährlich?« – »Allerdings.« – Als Kronprätendenten?« – »O nein«, lachte Mejia. »Aber gefährlich ist mir jeder Mensch, ob Mann oder Frau, der nicht mit mir, sondern wider mich ist.«
Er wollte fortfahren, konnte aber nicht, denn es ertönten Schritte hinter ihnen, und als sie sich umdrehten, gewahrten sie den Kammerdiener des Kaisers. Er hieß Grill, spielte in Cuernavaca den Haushofmeister und ist seit jener Zeit eine vielgenannte Persönlichkeit gewesen. Man sah es dem Kaiser an, daß ihm diese Störung nicht ganz unlieb sei. Mejia hatte denn doch ein wenig zu aufrichtig gesprochen.
»Was gibt‘s?« fragte Max. – »Entschuldigung, Majestät, der Herr Marschall ist hier«, antwortete Grill. – »Bazaine?« – »Ja. Er wünscht Eure Majestät zu sprechen.« – »Ich komme sogleich.« – »Oh, der Marschall folgt mir auf dem Fuß.« – »So kehren wir um.«
Sie drehten sich um. Mejia zog ein finsteres Gesicht Max sah es.
»Soll ich Sie entlassen, General?« fragte er.
Der Kaiser wußte sehr wohl, daß diese beiden einander ganz und gar nicht leiden konnten.
»Ich bitte Eure Majestät, bleiben zu dürfen, um nicht den Anschein zu erregen, als ob ich einen Franzosen fürchte. Voraussetzung ist natürlich, daß es sich nicht um eine diskrete Angelegenheit handelt.« – »So bleiben Sie«, nickte der Kaiser. »Übrigens muß es doch etwas Wichtiges sein, was den Marschall veranlaßt, nach Cuernavaca zu kommen. Er liebt diesen Ort nicht sehr.«
Jetzt sah man Bazaine kommen. Er war nicht in großer Uniform und verbeugte sich, als er den Kaiser erreichte, zwar tief, aber doch nicht in jener Weise, die auf eine aufrichtige Ergebenheit schließen ließ. Es lag in seinem Blick und seiner Miene eine Sicherheit, ein Selbstbewußtsein, das er in der Nähe des Kaisers besser hätte beherrschen sollen.
»Verzeihung, Majestät«, sagte er, »daß ich es wage, das wohltuende Stilleben dieses Ortes zu unterbrechen.« – »Oh, Sie sind mir stets willkommen, lieber Marschall«, erwiderte Max höflich. – »Dann bedaure ich umsomehr, Unangenehmes zu bringen.« – »Ich habe allerdings seit einiger Zeit nicht viel Angenehmes von Ihrer Seite notieren dürfen; darum wird mich das Gegenwärtige nicht sehr überraschen!«
Es lag in diesen Worten wohl eine kleine Malice; aber Max blickte dabei so freundlich und heiter, daß Bazaine keine Zeit fand, sich zu erzürnen. Er sagte:
»Befehlen Majestät sofortigen Vortrag der Angelegenheit?« – »Ich ersuche allerdings darum.« – »In Gegenwart des Generals?«
Bazaine warf dabei einen nicht übermäßig freundlichen Blick auf Mejia und machte diesem dabei eine sehr förmliche Verbeugung. Es war diese Frage eigentlich eine Rücksichtslosigkeit gegen den Kaiser und eine Beleidigung für den Mexikaner; aber beide nahmen keine Notiz davon. Max antwortete:
»Handelt es sich um wichtige Geheimnisse?« – »O nein, im Gegenteil um eine sehr öffentliche Angelegenheit.« – »Nun, Monsieur, dann sprechen Sie sofort!« – »Die Angelegenheit betrifft nämlich jenen Pablo Cortejo, von dem ich bereits mehrere Male zu Majestät gesprochen habe.« – »Es ist mir erinnerlich«, nickte Max. – »Dieser Mann war bisher einfach nur lächerlich, jetzt aber hat es allen Anschein, als ob er gefährlich werden wolle.« – »Ah, inwiefern?« – »Er wirbt an.« – »Das wäre!« sagte der Kaiser überrascht. – »Sogar in der Hauptstadt selbst. Es sind gestern einige seiner Werber arretiert worden. Auch im Hauptquartier scheint er Agenten zu besitzen.« – »So muß man ihm allerdings auf die Finger sehen!« – »Er ist mit dem Panther des Südens verbündet, Majestät.« – »Ich weiß dies bereits.« – »Ich habe nun erfahren, daß mit Hilfe einer amerikanischen Brigg dem Panther mehrere tausend Gewehre nebst einer großen Quantität Blei und Pulver übermittelt worden sind.« – »Wo ist dies geschehen?« – »In Guazacoalco. Man hat Jagd auf die Brigg gemacht; sie aber war ein ausgezeichneter Segler und ist entkommen.« – »Dies ist ein unangenehmes Lebenszeichen des Präsidenten der Vereinigten Staaten.« – »Ich werde dem Kaiser darüber nach Paris berichten.«
Max zuckte die Achsel und antwortete:
»Der Kaiser wird sich mit dieser Angelegenheit wohl kaum erfolgreich befassen.«
Der Marschall ging über diese Bemerkung leicht hinweg, indem er entgegnete:
»Ich bin überzeugt, daß diese Waffenlieferung mit dem neuesten Auftreten dieses Cortejo im Zusammenhang steht, zumal er so dreist ist, während der Nacht Plakate an die Straßenecken kleben zu lassen.« – »Das wäre allerdings sehr kühn!« sagte der Kaiser. »Wo geschah das?« – »In der Hauptstadt selbst.« – »Ah!« – »Ich habe sofort die geeigneten Maßregeln getroffen und bin persönlich zu Euer Majestät geeilt, um Höchstdieselbe um Berücksichtigung des Vorschlages zu ersuchen, den ich die Ehre hatte, bereits einige Male zu machen.« – »Welchen Vorschlag meinen Sie?« – »In betreff dieses Cortejo. Er selbst befindet sich im Süden, aber seine Tochter wohnt in Mexiko. Sie bleibt völlig unbehelligt, obgleich sie es wagt, öffentlich gegen die Regierung Eurer Majestät zu konspirieren.« – »Ich möchte nicht mit Weibern Krieg führen!« – »Ich auch nicht!« meinte der Marschall stolz. »Aber ich möchte auch nicht dazu raten, eine Hochverräterin unbestraft zu lassen. Darf ich Eurer Majestät ein Exemplar jenes Plakates zur Durchsicht reichen?« – »Sie haben es mit?« – »Ja.« – »So geben Sie her.«
Der Marschall zog das Erwähnte aus der Tasche und übergab es dem Kaiser. Dieser las es und wurde dabei von Bazaine scharf beobachtet. Als bei einer gewissen Stelle sich das Antlitz des Kaisers plötzlich verfinsterte, zuckte ein Blitz der Befriedigung über das Gesicht des Franzosen. Er hätte das Plakat durch einen anderen senden können; aber er war selbst gekommen, um sich diese Befriedigung zu verschaffen.
Als der Kaiser fertig war, übergab er das Plakat an Mejia.
»Hier, General, lesen auch Sie!«
Der Angeredete ergriff das Blatt und las folgendes:
»An alle braven Mexikaner und freien Indianer. Der Feind ist eingedrungen in unser Land; er befindet sich bereits seit längerer Zeit in demselben. Er verwüstet unsere Ernten, zerstört die Früchte unserer Arbeit, verführt unsere Frauen und Töchter und tötet unsere Männer, Brüder und Söhne. Der Mann in Paris, einst selbst ein verachteter Flüchtling, hat es gewagt, uns einen Regenten zu senden, der sich Kaiser von Mexiko nennt. Dieser Mann ist ein Geschöpf Napoleons, dessen Speichel er untertänig leckt. Mexikaner, dürfen wir das dulden? Nein! Wir wollen uns erheben wie ein Mann und diese Fremdlinge aus dem Land jagen! Bereits schärft der Panther der Südens seine Krallen, er ist zum Sprung bereit. Auch wir wollen zu den Waffen greifen. Es ist für alles gesorgt, was notwendig ist, den Feind zu besiegen. Wir besitzen Waffen, Munition und Proviant, aber es fehlen die Männer, die zeigen wollen, daß sie brave Mexikaner und freie Indianer sind. Darum soll an allen Orten geworben werden. Wir werden in kurzer Zeit ein Heer bilden, vor dem die Franzosen die Flucht ergreifen werden. Die Werber sind ausgesandt. Ihr werdet ihre Stimmen hören und sie daran erkennen, daß sie Euch meinen Namen nennen. Schließt Euch ihnen an; folgt ihnen zu den Versammlungsplätzen, zu denen sie Euch führen werden. Dann wird die Sonne der Freiheit aufgehen über Mexiko, und wir werden die Bedrücker unseres Vaterlandes von den Bergen hinabjagen in die Fluten des Meeres, das sie verschlingen wird, wie es einst mit Pharao geschah.
Pablo Cortejo.«
Als Mejia das Schriftstück gelesen hatte, fragte ihn der Kaiser:
»Nun, General, was sagen Sie dazu?«
Der Gefragte zuckte mitleidig die Achsel und antwortete:
»Ein elendes Machwerk!« – »Aber doch im hohen Grad gefährlich!« fügte Bazaine hinzu. »Es wird der öffentliche Aufruhr gepredigt. Man muß hier mehr tun, als nur die Achsel zucken.«
Mit diesen Worten war natürlich Mejia gemeint. Um eine scharfe Entgegnung desselben zu verhüten, fiel der Kaiser schnell ein:
»Ich bin ganz einverstanden. Aber was meinen Sie, was geschehen soll?« – »Zunächst muß man die Tochter dieses Mannes verhaften«, antwortete Bazaine.
Max schüttelte den Kopf.
»Sie ist ungefährlich«, sagte er. – »Sie hat bereits das Gegenteil bewiesen, Majestät!« warnte Bazaine. – »Sie war nur lächerlich; ich sagte dies schon dem General.« – »Ferner muß man in dem Haus dieses Cortejo aussuchen.« – »Das mag geschehen.« – »Sodann muß man seine Besitzungen einziehen.« – »Hat er welche?« – »Ganz bedeutende.« – »Verzeihung!« fiel da Mejia ein. »Soviel ich weiß, gehören diese Besitzungen dem Grafen Rodriganda, dessen Sekretär Cortejo nur war.« – »Ich meine, Rodriganda ist verantwortlich, wenn er einen Hochverräter anstellt«, erwiderte der Marschall.
Der Kaiser machte eine abwehrende Handbewegung.
»Keine Gewalttätigkeit, lieber Marschall!« rief er. »Sie sind Höchstkommandierender und dürfen militärische Maßregeln ergreifen; diese Angelegenheit gehört vor mein Forum. Ich werde aussuchen lassen; aber das Mädchen soll nicht verhaftet werden. Man soll es verbannen. Es mag aus dem Land gehen und dort seine Verführungskünste betreiben.«
Bazaine sprach dagegen, drang aber nicht durch, so daß er sich schließlich mit unterdrücktem Zorn entfernte. Als er fort war, sagte der Kaiser zu Mejia:
»Sie haben das Plakat aufmerksam gelesen?« – »Ja, Majestät.« – »Auch jene Stelle?« – »Welche Stelle meinen Eure Majestät?« – »In welcher es heißt, ich sei das Geschöpf Napoleons, dessen Speichel ich lecke?« – »Leider mußte ich auch diesen Passus lesen!« – »Ich habe da gesehen, daß Sie vorhin recht hatten. Aber ich werde diesen Herren beweisen, daß ich keineswegs eine Kreatur Napoleons bin. Haben Sie Bazaine beobachtet, als ich las?« – »Sehr scharf, Majestät.« – »Bemerkten Sie etwas?« – »Ah, Majestät meinen jenen Blick der Genugtuung?« – »Den er auf mich warf, als ich jene Stelle las? Ich blickte ihn ganz unwillkürlich an. Was sagen Sie dazu?« – »Ich meine, daß ein Marschall nicht der richtige Mann sei, ein konfisziertes Plakat zu überbringen; dazu gibt es subalterne Leute genug.« – »Sie haben recht. Er tat dies aus Schadenfreude. Gehen wir in das Haus, lieber Mejia! Ich bin doch ein wenig alterniert und will die Kaiserin sprechen. Ihre Nähe hat stets eine beruhigende Wirkung auf mein Gemüt.«
Sie verließen den Garten und schritten der Villa zu.
21. Kapitel
Dies war am Vormittag gewesen. Am Nachmittag stand in der Hauptstadt in ihrem Zimmer, das der geneigte Leser bereits von früher genau kennt, Josefa Cortejo vor dem Spiegel. Sie befand sich im tiefsten Negligé, stand aber im Begriff, große Toilette zu machen.
Hierbei war ihr Amaika, die alte Indianerin, behilflich, deren Tochter die Duenja von Amy Lindsay gewesen war und da die Verräterin gespielt hatte.
Josefa hatte ihr Haar aufgelöst. Es war so dünn, daß die Kopfhaut unangenehm weiß hindurchschimmerte. Sie beliebäugelte mit ihren runden Eulenaugen ihr Spiegelbild und fragte die Dienerin:
»Scheint dir nicht, daß ich etwas hager werde, Amaika?« – »O nein, Señorita.« – »Wirklich? Aber ich denke, daß ich früher voller und üppiger gewesen bin!« – »Keine Spur, Señorita!« – »Sieh diese Arme! Sie waren früher so voll und rund!« – »Sie sind es auch jetzt noch. Und so weiß und glänzend, wie Alabaster.« – »Wirklich?« – »Wirklich!«
Es war dies eine ganze schmähliche Lüge, denn die Arme waren dürr und fleischlos und sahen dunkel aus wie Zigeunerhaut.
»Du meinst also, daß ich noch schön bin?« – »Ganz gewiß!« – »Aber doch nicht so schön wie – wie – wie zum Beispiel diese Amy Lindsay, die mit ihrem Vater so plötzlich verschwunden ist?« – »Noch viel schöner. Es gibt überhaupt Personen, die mit den Jahren immer schöner werden, und zu diesen gehört Ihr, Señorita!« – »Du schmeichelst doch nur!« – »Ganz und gar nicht.« – »So meinst du also wirklich, daß ich nicht verloren habe?« – »Nicht eine Spur, nicht einen Hauch, nicht einen Gedanken!« – »So kleide mich an, aber recht verführerisch, liebe Amaika.« – »Erwartet Ihr Besuch, Señorita?« – »Nein, sondern ich will zum Fotografen gehen. Ich habe wieder zehn Dutzend Bilder bestellt. Er hat heute zu retuschieren, und da möchte ich doch gern selbst dabeisein.« – »Das werden wieder Geschenke an die Anhänger Eures Vaters?« – »Ja. Meinst du nicht, daß es ein glücklicher Gedanke war, jedem Anhänger meine Fotografie zu geben?« – »O gewiß! Sogar ein erhabener Gedanke war es. Ich habe einmal etwas gelesen, an das ich da immer denken muß. Es war eine so schöne Liebesgeschichte, daß ich weinen mußte. Sie hatte ihm ihr Bild geschenkt, und er hatte es sich auf das Herz gehängt oder geknüpft oder geschnallt. Und dabei stand, daß es ein ganz sicheres Mittel sei, die Liebe zu gewinnen, wenn man nämlich dem Betreffenden sein Bild schenkt, und er schnallt es auf das Herz.« – »Ah, das hast du gelesen?« – »Ja.« – »Und es ist wahr?« – »Gewiß und wahrhaftig wahr!« – »Mein Gott, was soll dann daraus werden?«
Josefa schlug die dürren Hände über dem Kopf zusammen. »Ich habe so viele Bilder verschenkt.« – »Ja, so viele Hunderte!« – »Und wo denkst du, daß man sie tragen wird?« – »Ihr meint wohl auf dem Herzen?« – »Natürlich, Amaika! Wohin soll man ein Bild sonst tun? Und du sagst, daß dies Liebe erweckt?« – »Ganz gewiß. Ich kann es beschwören.« – »Nun, so werde ich von vielen Hunderten geliebt!«
Da schlug auch die schlaue Dienerin ihre Hände zusammen und rief:
»Heilige Madonna, es ist wahr! Aber was soll denn daraus werden? Die vielen Señores werden einander totschlagen, so daß nur ein einziger übrig bleibt.« – »Und dieser einzige – weißt du, was ich mit ihm tun werde?« – »Oh, ich würde ihn belohnen, ich würde ihn heiraten.« – »Meinst du?« – »Ja, ganz gewiß!« – »Aber du mußt bedenken, daß ich dann vielleicht die Tochter des Präsidenten oder gar eine Königstochter sein werde.« – »Dürfen diese denn nicht heiraten?« – »Sie müssen sogar. Aber das werden politische Heiraten, Konvenienz-Ehen, bei denen man unglücklich wird. Ach, Amaika, es muß so schön sein, eine Präsidententochter zu sein mit einer unglücklichen Konvenienzheirat!«
Josefa schlug die Hände abermals zusammen, und die Indianerin stand dabei und verdrehte die Augen zum Erbarmen. Sie hätten dieses Thema wohl noch weiter fortgesponnen, wenn nicht draußen Schritte zu hören gewesen wären. Es erschien eine Dienerin, und hinter ihr erblickte man mehrere Herren. Es war der Alkalde mit mehreren Polizisten.
Als die Herren so unangemeldet eintraten, erhob sich Josefa vom Stuhl, auf den sie sich niedergesetzt hatte, und rief in gebieterischem Ton:
»Was soll das, Señores? Wißt Ihr noch nicht, was man einer Dame schuldig ist?« – »Wir wissen das sehr genau«, antwortete der Alkalde, »und werden Euch auch genau so behandeln, wie Ihr es verdient. Kennt Ihr mich?« – »Ja«, antwortete sie. – »Nun, ich komme im Namen des Kaisers …« – »Des Kaisers?« unterbrach sie ihn erschrocken. – »Ja. Wo befindet sich Euer Vater?« – »Er ist verreist.« – »Wohin?« – »Wohin? Nach Oaxaca, wie er mir sagte. Genau weiß ich es allerdings nicht.« – »Wann wollte er wiederkommen?« – »Das war unbestimmt.« – »Hat er Euch geschrieben?« – »Nein.« – »Kennt Ihr den Panther des Südens?«
Josefa war eine Mexikanerin und als solche voller List und Verschlagenheit. Sie antwortete:
»Nein.« – »Er war nie hier?« – »Niemals.« – »Aber Euer Vater kennt ihn?« – »Das weiß ich nicht.« – »Hm, Ihr scheint also doch unschuldig zu sein, Señorita. Habt Ihr vielleicht eines der Plakate gesehen, welche heute morgen an den Häusern klebten?« – »Nein.« – »Aber der Name Eures Vaters stand ja darauf.« – »Ich weiß ganz und gar nichts davon, Señor. Wenn mein Vater abwesend ist, so leben wir ziemlich vereinsamt hier. Stammen denn die Plakate von meinem Vater?« – »Jedenfalls, da sein Name unterzeichnet ist.« – »Kann denn nicht auch ein anderer unterzeichnet haben, Señor Alkalde?«
Der Mann sah sie verdutzt an. Der Gedanke, den sie da ausgesprochen hatte, war ihm zwar noch nicht gekommen, schien ihm aber plausibel zu sein.
»Hm, ja, das ist allerdings eine Möglichkeit«, antwortete er. – »Was steht denn auf dem Plakat, Señor?« fragte sie ihn. – »Aufruhr und Hochverrat.« – »Oh, dann hat mein Vater ganz und gar nichts damit zu tun. Er ist kein Hochverräter.« – »Aber er steht doch im Bund mit dem Panther des Südens, Señorita!« – »Davon weiß ich nichts. Das ist jedenfalls eine Verleumdung.« – »Das wird sich finden. Zunächst habe ich bei Euch nachzusuchen.« – »O Santa Madonna! Hier in meinem Zimmer?« – »Ja, und überhaupt im ganzen Haus.« – »Nach Aufruhr und Hochverrat?« – »Nach Beweisen dafür.« – »So sucht in Gottes Namen! Ihr werdet nichts finden, denn wir sind unschuldig.«
Der Beamte begann nun, seine Pflicht zu erfüllen in echt mexikanischer Weise, das heißt, saumselig und höchst oberflächlich, trotzdem er damit einige Stunden zubrachte. Als er zu Ende war, brach der Abend bereits herein.
»Señorita, ich habe nichts gefunden«, sagte er naiv. »Ich wußte es«, antwortete sie stolz. – »Ich denke also, daß Ihr unschuldig seid, Señorita.« – »Ich bin es ganz gewiß, Señor.« – »So tut es mir leid, Euch etwas Unangenehmes sagen zu müssen.« – »Wollt Ihr mir bange machen, Señor?« – »Das liegt mir fern, aber ich habe den Befehl des Kaisers zu erfüllen.« – »Des Kaisers? O Dios! Jetzt wird mir wirklich angst, Señor!« – »Angst braucht Euch nicht zu werden. Eurer Person geschieht ja nichts. Ihr habt nur den Aufenthaltsort zu wechseln.« – »Den Aufenthaltsort? Wie soll ich das verstehen?« – »Nun, Ihr werdet aus dem Land verwiesen.«
Bei diesen Worten erbleichte Josefa. Das hatte sie nun allerdings nicht erwartet.
»Aus dem Land verwiesen?« fragte sie. »Aus welchem Grund, Señor?« – »Wegen Aufruhrs und Hochverrats.« – »Aber Ihr sagt ja selbst daß ich unschuldig sei.« – »Ihr, aber Euer Vater nicht. Übrigens habt Ihr Fotografien verschenkt.« – »Nur an Freunde.« – »Diese Freunde aber sind unglücklicherweise alle Hochverräter.« – »Davon weiß ich nichts.« – »Das ist Eure Sache, Señorita. Also ich habe Euch zu melden, daß Ihr die Stadt und das Land verlassen müßt.« – »Wann?« – »Die Stadt binnen vierundzwanzig Stunden und das Land innerhalb einer Woche.«
Das kam Josefa so unerwartet, daß sie beinahe umgesunken wäre.
»Aber ich kann ja nicht gehen. Mein Vater ist nicht da!« rief sie. – »So geht zu ihm!« – »Ist auch er mit verwiesen?« – »Nein. Wenn wir ihn bekommen, so wird er gehenkt.« – »Oh, Madonna, welch ein Unglück! Was wird mit unserem Eigentum?« – »Das könnt Ihr mitnehmen.« – »Und unsere Dienerschaft?« – »Die kann mitgehen oder hierbleiben, ganz nach Belieben. Nehmt die Sache nicht so schlimm, Señorita! Es ist schon mancher aus dem Land gewiesen worden und doch wieder hereingekommen.«
Hierauf entfernte sich der Beamte mit seinen Polizisten. Die Indianerin hatte alles mit angehört. Als er fort war, sagte sie mit listigem Augenblinzeln:
»Oh, Señorita, wie klug Ihr seid!« – »Nicht wahr, Amaika? Er hält mich wirklich für unschuldig!« – »Ja, diese Männer sind oft sehr dumm! Aber müßt Ihr denn nun wirklich aus dem Land fort?« – »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Vater wird es heute abend entscheiden.« – »Ah, der fremde Bote gestern war von ihm?« – »Ja. Vater wird heute abend verkleidet nach Hause kommen. Du wirst jede Störung fernhalten. Ich bin für niemanden zu Hause, Amaika!«
Der ihr vom Alkalden erteilte Befehl hatte sie doch aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie fühlte sich ratlos und sehnte sich nach der Ankunft ihres Vaters.
Es war bereits spät am Abend, als sie wartend ganz allein in ihrem Zimmer saß. Sie hatte die Indianerin hinunter an den Eingang postiert, um sofort zu öffnen, wenn Cortejo kommen werde.
Da plötzlich wurde die Tür sehr leise geöffnet, und ein fremder Mann trat ein, ein Mann, den sie gar nicht kannte. Sie erschrak heftig, faßte sich aber sogleich wieder und fragte:
»Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr hier?«
Der Fremde machte eine kurze Verbeugung und fragte dann mit dumpfer Stimme:
»Wohnt hier Señor Cortejo?« – »Ja. Wollt Ihr zu ihm?« – »Nein, sondern zu Euch.« – »Ah, was wollt Ihr von mir? Wie seid Ihr hereingekommen?« – »Über die Hofmauer.«
Diese Antwort verursachte Josefa einen Schreck. Über die Hofmauer konnte ja doch nur ein Dieb oder ein sonstwie Verdächtiger Zutritt nehmen.
»Warum seid Ihr nicht durch den Eingang gekommen?« fragte sie. – »Weil ich mich nicht sehen lassen wollte«, antwortete er. »Jetzt aber sehe ich ein, daß diese Vorsicht überflüssig war, denn man hätte mich doch nicht erkannt, da selbst du mich für einen Fremden ansiehst.«
Mit diesen Worten nahm er die Perücke und den falschen Bart ab, und nun erkannte Josefa ihren Vater.
Sie flog auf ihn zu. Er nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuß, den sie erwiderte. Diese Zärtlichkeit war bei ihnen eine seltene.
»Du bist es?« rief sie. »Wahrhaftig, ich habe dich nicht erkannt!« – »Ja, meine Vermummung ist ausgezeichnet«, antwortete er. Aber es ist das auch sehr notwendig, denn wenn man mich hier sieht, so ist mir das Brot auf alle Fälle gebacken.« – »Du kommst vom Panther?« – »Ja. Wie ist es dir gegangen?« – »Gut, bis heute. Aber am Nachmittag kam der Alkalde haussuchen.« – »Haussuchen? Hältst du mich denn wirklich für so dumm, daß ich zum Panther halte und Mexiko verlasse, ohne meine Angelegenheiten so in Ordnung zu bringen, daß mir nichts geschehen kann? Man hat doch nichts gefunden?« – »Gar nichts. Die Sachen sind ja sämtlich vergraben.« – »Nun, so steht alles gut, Josefa.« – »Doch nicht. Ich bin nämlich landesverwiesen.« – »Ah, wirklich?« fragte er, ohne Schreck zu zeigen. – »Ja, der Alkalde tat es mir zu wissen.« – »Wohl auf Befehl des Kaisers?« – »Ja.« – »Das ist eine Folge meiner heutigen Plakate. Wann sollst du die Stadt verlassen?« – »Binnen vierundzwanzig Stunden.« – »Und das Land?« – »Binnen einer Woche.« – »Lächerlich! Wie weit reicht denn die Macht dieses Kaisers Max? Da brauchst nur so weit zu gehen, daß er dich nicht mehr erreicht; dann bist du vollständig sicher. Übrigens wirst du die Stadt noch heute verlassen.« – »Noch heute? Warum?« fragte sie. – »Du wirst mich nach der Hacienda del Erina begleiten.«
Cortejo sagte dies im gleichgültigsten Ton, doch mit einem leisen, neugierigen Lächeln. Josefa aber sprang auf, als ob der Blitz vor ihr niedergefahren sei, und rief:
»Nach der Hacienda del Erina? Ist es wahr? Zum alten Pedro Arbellez?« – »Ja.« – »Aber was willst du dort? Arbellez ist ja unser grimmigster Feind.« – »Eben deshalb freue ich mich, ihn zu besuchen.« – »Ich begreife das nicht.« – »So werde ich es dir erklären. Vorher aber hole mir zu essen und zu trinken, verrate aber niemandem meine Anwesenheit!« – »Amaika weiß es.« – »Diese mag es immerhin wissen; sie ist sicher; die anderen aber nicht.«
Die Tochter ging, dem Vater den Imbiß zu besorgen; dann saßen sie in ihrem Zimmer beisammen und setzten die Unterredung fort.
»Mein Bote ist glücklich bei dir angekommen?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie. »Er sagte mir, daß du heute kommen würdest.« – »Nun, so höre, was mich veranlaßt hat, nach Mexiko zu kommen, um dich zu holen. Es sind nämlich Waffen für uns angelangt; der Panther ist bereit, loszuschlagen. Der Erfolg ist aber leider zweifelhaft, da der Franzosen zu viele sind. Man muß sie von zwei Seiten angreifen, von Norden und von Süden. Deshalb lasse ich werben, und deshalb gehe ich nach Norden hinauf, um eine tüchtige Schar zusammenzubringen.« – »Aber warum soll ich mit?« – »Weil ich dich brauche und du die Stadt doch verlassen mußt.« – »Und warum nach der Hacienda del Erina?« – »Weil sie mir außerordentlich passend liegt. Weißt du, wo sich jetzt Juarez befindet?« – »Man sagt, er sei in Paso del Norte.« – »Gut. Ich muß zu ihm, um eine Vereinigung zustande zu bringen. Ich muß ihn uns zum Freund machen, weil wir vereint den Franzosen gewachsen sind.« – »Aber, Vater, ich denke, du willst Präsident werden?« – »Natürlich!« – »Der wirst du doch nicht, wenn du dich zu Juarez hältst!« – »Närrchen, das läßt sich alles machen. Wenn ich mich seiner Hilfsquellen bemächtigt habe, dann … hm!« – »Ah, ich verstehe; dann kann er abkommen.« – »Ja. Ferner habe ich erfahren, daß ein englischer Unterhändler auf dem Weg zu Juarez ist. Er bringt ihm Waffen, Munition und Geld. Ihm muß ich auflauern, um ihm alles abzunehmen. Im Besitz solcher Mittel muß ich Juarez hoch willkommen sein.« – »Aber wenn er nun erfährt, daß du nur besitzt, was eigentlich für ihn bestimmt war?« – »Wer soll es ihm sagen? Ich nicht. Ich bin der einzige, der es weiß.« – »Wo befindet sich der Unterhändler?« – »Er wird sich in El Refugio einschiffen, um den Rio Grande hinaufzugehen. Da fasse ich ihn ab. Rate, wie der Mann heißt.« – »Wie soll ich raten. Sage es!« – »Sir Lindsay.«
Da sprang Josefa empor.
»Lindsay?« rief sie.»Derselbe? Derselbe?« – »Ja; derselbe, dem wir die Millionen abnahmen.« – »Und den Juarez aus der Hand des Panthers befreite?« – »Ja«, nickte Cortejo mit vor Freude verklärtem Angesicht. – »Welch ein Glück, welch ein Zufall! Oh, ich wollte, daß …«
Sie hielt inne. Das, was sie aussprechen wollte, schien ihr zu viel gewagt zu sein.
»Nun, was wolltest du?« fragte er. – »Daß seine Tochter, diese Amy, dabei wäre, der damals Señor Mariano nachlief.« – »Nun, so freue dich, Josefa! Sie ist mit dabei.« – »Wirklich? Weißt du es genau?« – »Sehr genau. Der Panther wird durch seine Spione außerordentlich gut bedient.« – »So kommt also Lindsay wieder in deine Hand?« – »Jedenfalls.« – »Und seine Tochter in die meinige! Welch eine Wonne! Oh, sie soll mir alles entgelten, alles, sie, die sich für schöner, besser und vornehmer hielt als ich. Ich soll also mit nach dem Rio Grande gehen?« – »O nein, Josefa. Du bleibst in der Hacienda del Erina.« – »Wird mich Arbellez dortbehalten?«
Cortejo stieß ein rauhes, höhnisches Lachen aus.
»Er wird müssen. Denkst du, daß ich ihm die Hazienda lasse?« – »Sie ist ja sein Eigentum!« – »Jetzt. Aber sie wird das meinige. Sie soll der Stützpunkt für meine Unternehmungen werden. Dort werde ich werben und meine Leute sammeln; von dort werde ich hervorbrechen und dort – weißt du das Wichtigste? Dort in der Nähe befindet sich die Höhle des Königsschatzes.« – »Ah, willst du ihn heben?« fragte sie wie elektrisiert. – »Ja, aber erst suchen.« – »So findest du ihn nie.« – »Das werden wir sehen! So viel ich von Alfonzo erfahren habe, ist der Ort ein Geheimnis der Mixtekas. Ich werde von diesem Indianerstamm so viele zusammenfangen, als mir möglich ist; ich werde sie martern und peinigen, bis sie mir das Geheimnis verraten haben. Dann bin ich reich, unendlich reich, reicher als hundert Könige, und dann wird es mir leicht sein, König von Mexiko zu werden.« – »Wirst du Arbellez die Hazienda abkaufen?« – »Das fällt mir nicht ein. Ich werde sie ihm einfach wegnehmen.« – »Er wird sich wehren!« – »Er mag es versuchen! Ich sage dir nämlich, daß draußen vor der Stadt zweihundert feste, mutige Männer auf mich warten. Ich habe sie angeworben; sie sollen den Kern der Macht bilden, die ich um mich versammeln werde. Mit ihnen nehme ich die Hazienda weg. Wehrt sich Arbellez, so wird er niedergestochen.« – »So ist es recht. Also mit diesen Leuten soll ich reiten?« – »Ja.« – »Noch heute abend?« – »Ja. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« – »Aber was wird aus dem Haus, den Möbeln und allem anderen?« – »Das bleibt stehen und liegen, wie es ist. Ich habe gesorgt, daß alles in bester Ordnung gehalten wird.« – »Aber Amaika muß ich mitnehmen, Vater!« – »Das geht nicht. Die Alte würde uns im Weg sein.« – »Ich brauche sie als Zofe.« – »Du wirst dich unterwegs selbst bedienen.« – »Aber das ist ja gar nicht möglich, Vater! Die Tochter eines – Königs!« – »Pah! Du bist es jetzt noch nicht.« – »Aber wenn zweihundert Señores mitreiten, muß ich doch interessant sein. Ich brauche wirklich eine Zofe zum Ankleiden und zur Toilette.« – »So mußt du hierbleiben. Ich kann die Alte nicht gebrauchen. Packe jetzt zusammen, was du mitnehmen willst; ich will bis dahin ausruhen. Punkt Mitternacht wird aufgebrochen.«
Cortejo sprach dies in einem so bestimmten Ton, daß Josefa nicht zu widersprechen wagte. Sie gehorchte seinem Befehl, und kurz nach Mitternacht galoppierte ein zweihundert Mann starker Reitertrupp, bei dem sich eine einzige Dame befand, dem Norden zu.
22. Kapitel
Es ist zuweilen höchst eigentümlich, zu beobachten, wie ein Ereignis sich von ganz verschiedenen Punkten aus vorbereitet, und, konzentrisch verlaufend, seinen Abschluß im Mittelpunkt sucht und findet.
So auch hier. Wir müssen aber einen Sprung tun, um das Spätere vollständig verstehen zu können. Doch hoffen wir, daß dieser Sprung uns zu Personen führt, die das volle Interesse des geneigten Lesers besitzen.
Wir wissen, daß Sternau mit seinen Begleitern in Guyamas gelandet war und mit ihnen beschlossen hatte, sich nach der Hacienda del Erina zu begeben. Kapitän Wagner, der biedere Deutsche, erhielt den Auftrag, den Dampfer um Kap Hoorn zu führen und in Verakruz zu landen, wo ihn neue Ordres erwarten sollten. Dann machten die anderen sich auf den Weg.
Sie hatten in Guyamas gehört, daß Mexiko von Franzosen besetzt sei, daß der Bürgerkrieg wüte und man Gefahr laufe, auf eine der Banden zu stoßen, die raubend und mordend das Land durchzogen. Darum hatten sie vor allen Dingen für eine gute Bewaffnung Sorge getragen, und darum wählten sie auf Sternaus Vorschlag nicht den Weg nach Osten über die Sierra de los Alamos, sondern sie wandten sich längs des Yaquiflusses nach Nordosten, um Chihuahua zu erreichen. Dieser Punkt lag so weit im Norden von der Hauptstadt entfernt, daß sich vermuten ließ, er sei von der politischen und kriegerischen Verwirrung noch nicht ergriffen worden. Sie ahnten nicht, daß Chihuahua bereits von den Franzosen besetzt sei.
In La Junta, wo der Fluß sich in zwei Arme teilt, wollten sie nach Osten biegen. Aber hier erfuhren sie, daß Chihuahua bereits mit in die Konflikte gezogen sei und daß der Präsident Juarez sich nach Paso del Norte zurückgezogen habe, um Kräfte zu einem neuen Schlag zu sammeln.
»Was nun tun?« fragte Don Ferdinando. »Wir haben bereits zu viel gelitten, um uns ernstlich in Gefahr zu begeben.« – »Ich bin überzeugt, daß wir von den Franzosen nichts zu befürchten haben«, antwortete Sternau. – »Aber von den Guerillas, die die Franzosen umschwärmen werden.«
Da nahm Bärenherz das Wort:
»Meine Brüder sollen nicht sogleich nach Chihuahua gehen, sondern mit mir nach den Weidegründen der Apachen kommen. Dort wird große Freude sein über Bärenherz, der zurückkehrt, und er wird dann so viele Krieger der Apachen sammeln, daß meine weißen Brüder sicher nach der Hazienda gelangen können.« – »Sind die Weideplätze der Apachen weit von Chihuahua?« fragte Graf Ferdinando. – »Der Apache reitet an einem Tag nach der Stadt«, lautete die Antwort.
Sternau nickte zustimmend.
»Ich kenne jene Gegenden genau«, sagte er, »und halte es für das beste, dem Rat unseres roten Freundes zu folgen. Wir sind ja sicher, von den Apachen freundlich aufgenommen zu werden, und bei ihnen werden wir dann ganz genau erfahren, in welcher Weise unser Weg fortzusetzen ist.« – »Ja, gehen wir zu den Apachen!« bat auch Emma Arbellez. »Dort in der Nähe liegt Fort Guadeloupe, wo ich Verwandte habe, die sich freuen werden, mich zu sehen. Bei ihnen bin ich damals gewesen, als Bärenherz und Anton mich aus der Gefangenschaft der Komantschen erretteten.« – »Wer sind diese Verwandten?« fragte Sternau. – »Es ist die Familie Pirnero. Er ist ein Deutscher, und seine Frau war meine Tante, die Schwester meines Vaters.« – »Ich bin in der Nähe von Fort Guadeloupe gewesen, aber nicht hineingekommen; darum kenne ich den Namen Pirnero nicht Es wird allerdings von großem Nutzen sein, wenn Sie dort Verwandte haben. Sind wir zu einem Aufenthalt gezwungen, so haben Sie nicht nötig, bei den Apachen zu bleiben. Ich schlage also vor, unsere jetzige Richtung beizubehalten und zu den Apachen zu gehen.«
Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man folgte dem linken Arm des Flusses und bog dann rechts nach der Sierra Carmen hinüber. Dieses Gebirge wurde glücklich überstiegen, und nun hielten die Reisenden auf den Rio de Conchas zu, jenem Fluß, an dem die französische Kompanie nach Norden gezogen war, um Fort Guadeloupe zu überfallen.
Die Karawane bot einen kriegerischen Anblick. Sie war mit guten Pferden und mit kräftigen, ausdauernden Packtieren versehen. Die Männer sowohl als auch die beiden Damen waren sehr gut bewaffnet, und da sich unter jenen Leute befanden, die zu den berühmtesten Jägern gehörten, so brauchten sie vor dem Kommenden eigentlich keine Sorge zu haben.
So waren sie ganz in die Nähe des Rio Conchas gekommen und erreichten die Straße, die von Chihuahua nach El Paso del Norte geht.
Unter dieser Straße darf man sich aber nicht einen wohlchaussierten Verkehrsweg vorstellen. Es war ja nicht einmal die Spur eines Weges oder Pfades zu sehen, aber über dieses ebene Grasland mußte ein jeder reiten, der von einer der beiden Städte nach der anderen wollte.
Eigentlich hatte man die Absicht, diese Straße quer zu durchschneiden, aber da man sich in der Nähe der indianischen Weideplätze befand, so war Vorsicht notwendig. Daher war Sternau mit Bärenherz vorangeritten, um sich keine Spur entgehen zu lassen. Es gab hier zwar offene Prärie, aber hier und da war doch ein Gebüsch zu sehen, das die Aussicht verdeckte.
Ein solches Buschwerk gab es auch jetzt zu umreiten. Sie bogen also um dasselbe herum und hielten augenblicklich, denn fast wären sie mit einem Reiter zusammengestoßen, der von jenseits an den Sträuchern vorüber wollte. Auch er parierte sein Pferd, augenscheinlich ganz ebenso überrascht wie sie.
Es war ein kleiner Kerl in einem Trapperanzug. Seine Waffen waren alt und der Lauf seiner Büchse verrostet, aber er machte ganz und gar den Eindruck eines Mannes, der in diese wilde Gegend gehört, zumal er außerordentlich gut beritten war. Sein Pferd war ein feiner Mustang, der eine sehr gute indianische Dressur besaß, was man deutlich bemerken konnte, als er ihn parierte und rasch zur Seite riß, um augenblicklich zum Kampf gerüstet zu sein.
»Thounds, Donnerwetter!« rief er englisch. »Wer seid Ihr?«
Sternau hatte sich in Guyamas neu gekleidet, und da dort nichts anderes zu finden gewesen war, so trug er, wie alle seine Begleiter, auch Bärenherz und Büffelstirn, die in Mexiko gebräuchliche Tracht.
Deshalb mußte der Mann die beiden für Mexikaner halten. Er hatte im Nu die Büchse erhoben und hielt sie zum Schuß bereit.
»Good day!« antwortete Sternau, ebenso in englischer Sprache. »Ihr fragt uns, wer wir sind. Wir aber sind ihrer zwei und haben also wohl das Recht, diese Frage auszusprechen. Also, wer seid Ihr, Señor?«
Der Kleine mußte an der hohen Gestalt Sternaus emporblicken, aber es zeigte sich nicht die leiseste Spur von Furcht in seinem Gesicht. Er antwortete aber bereitwillig:
»Ihr habt recht, Señor. In der Prärie haben zwei gegen einen die Vorhand, obgleich ich mir den Teufel daraus mache, ob ich einen oder fünf gegen mich habe. Übrigens brauche ich mich meines Namens nicht zu schämen. Habt Ihr vielleicht einmal von einem Jäger gehört, den man den Kleinen André nennt?« – »Nein.« – »Hm, so seid Ihr wohl nicht aus dieser schönen Gegend hier?« – »Allerdings nicht.« – »Dann läßt sich das Ding erklären. Dieser Kleine André bin ich, heiße aber eigentlich Andreas Straubenberger.« – »Straubenberger?« fragte Sternau überrascht. »Das ist ja ein deutscher Name!« – »Ja, ich bin ein Deutscher.« – »Gut, so nehmen Sie in Gottes Namen Ihre Büchse herunter«, meinte Sternau in deutscher Sprache. »Auch ich bin ein Deutscher.«
Da machte der Kleine eine Bewegung des freudigsten Erstaunens, ließ das Gewehr sinken und rief:
»Sie auch ein Deutscher? Ah, welche Freude! Aus welcher Gegend?« – »Aus der Gegend von Mainz.« – »Von Mainz? Dort ist mein Bruder.«
Das fiel Sternau sofort auf.
»Wo ist er da?« – »In einem Nest, das Rheinswalden heißt.« – »Ah, der brave Ludwig Straubenberger?«
Bei dieser schnellen Frage Sternaus sprang der Kleine beinahe im Sattel empor.
»Was? Wie? Sie kennen meinen Ludwig?« fragte er. – »Sehr gut!« – »Donnerwetter! Und ich wollte Sie erschießen!« – »Das wäre Ihnen denn doch ein wenig schwer geworden«, meinte Sternau lachend. – »Oh, Sie sind lang und breit genug«, meinte der Kleine lustig. »Einen Fehlschuß hätte ich also gar nicht tun können. Aber, woher kommen Sie und wohin wollen Sie?« – »Wir kommen von der See herüber und wollen entweder nach Paso del Norte oder nach Fort Guadeloupe, ganz, wie wir es finden.« – »Zu wem, in Paso del Norte?« – »Zu Juarez.« – »Und zu wem in Fort Guadeloupe?« – »Zu einem, der Pirnero heißt.« – »Ah, den kenne ich gut! Er ist ein Deutscher aus Pirna in Sachsen. Aber, Herr, den Juarez werden Sie in Paso del Norte nicht mehr finden.« – »Nicht? Wo sonst?« – »Hier oder da im Wald oder in der Prärie.«
Sternau blickte den Sprecher scharf an und sagte:
»Sie kennen den Ort und wollen mir ihn verschweigen!« – »Das ist richtig, denn ich kenne Sie noch nicht.« – »Mein Name ist Sternau.« – »Sternau?« fragte der Kleine nachdenklich. »Hm, ist mir doch, als ob ich diesen Namen bereits gehört hätte. Ah, ja! Señorita Resedilla hat ihn genannt. Ein Sternau ist auf der Hacienda del Erina gewesen und dann verschwunden.« – »Der bin ich.«
Da machte der Kleine den Mund weit auf, starrte dem Sprecher in das Gesicht und sagte:
»Der? Der wären Sie?« – »Jawohl!« – »Unmöglich!« – »Warum unmöglich?« – »Da wären Sie ja der berühmteste Kerl, den man in der Savanne kennt« – »Inwiefern?« fragte Sternau, leise lächelnd. – »Inwiefern? Weil jener Sternau der famose Jäger war, der von allen Westmännern und Rothäuten der Fürst des Felsens genannt wurde.« – »Sie meinen Matavase? Der bin ich.«
Das war dem Kleinen denn doch zu viel.
»Aber Sie sind ja verschwunden!« rief er, ganz perplex geworden. – »Richtig! Doch jetzt komme ich wieder.« – »Kaum glaublich! Wissen Sie, mit wem Sie verschwunden sind?« – »Natürlich! Ich muß dies ja am besten wissen.« – »Nun, mit wem?« – »Ah, Sie wollen mich examinieren, um zu sehen, ob ich wirklich die Wahrheit rede?« – »Ja«, entgegnete André aufrichtig. »Es wäre ja ein wahres Wunder, wenn der Fürst des Felsens so unerwartet wiedererschiene, und sogar hier bei uns. Oh, wir könnten ihn sehr gut gebrauchen. Ah, wer ist das? Wer sind die?«
Jetzt waren nämlich die anderen nahe gekommen. Bisher von dem Buschwerk verdeckt, hatte André sie nicht sehen können.
»Das sind eben die, mit denen ich verschwunden war. Der hier neben mir ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen.« – »Donnerwetter!« rief der Kleine, den Häuptling mit weitaufgerissenen Augen betrachtend. – »Der, der voran reitet, ist Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas.« – »Kreuzmillion!« – »Hinter ihm reiten zwei Brüder. Der eine ist der Schwiegersohn des Haciendero del Erina, wenn Sie von ihm gehört haben.« – »Donnerpfeil?« – »Ja.« – »Halten Sie ein! Sonst bleibt mir der Verstand stillestehen! Welch ein Zusammentreffen! Welch eine Begegnung! Das hätte ich mir nicht träumen lassen!« – »Glauben Sie nun, daß ich der richtige Sternau bin?« – »Ja, gern und gewiß. Diese verteufelte mexikanische Tracht hat mich irregemacht. Verzeihen Sie! Hier meine Hand. Lassen Sie uns absteigen, ich habe Ihnen einiges zu sagen, was von Interesse für Sie ist.«
André sprang vom Pferd, und Sternau und Bärenherz folgten ihm.
Jetzt waren auch die anderen herbeigekommen.
»Ah, eine Begegnung! Mit wem?« fragte Graf Ferdinando. – »Mit einem Deutschen, einem Landsmann von mir«, antwortete Sternau. »Er wird als Jäger der Kleine André genannt und hat, wie mir scheint, Wichtiges mitzuteilen. Lassen Sie uns daher eine kleine Rast halten.«
Sie alle stiegen ab und lagerten sich in das Gras, während die Pferde frei weiden durften. André sah sich nun zu seinem Erstaunen auch zwei Damen gegenüber. Sein Auge wurde jedoch besonders von dem Äußeren des alten Grafen angezogen, dessen schneeweißes Haar auf die Schultern herabwallte, während sein Bart bis zum Gürtel ging.
»Reden Sie vielleicht spanisch?« fragte Sternau den kleinen Jäger. – »Ja, so weit es nötig ist«, antwortete dieser. – »So bedienen Sie sich dieser Sprache; dann werden Sie von allen verstanden. Also, welche Nachricht bringen Sie uns?« – »Zunächst die, daß Juarez sich nicht mehr in Paso del Norte befindet« – »Das sagten Sie bereits.« – »Aber Sie wollten wissen, wo er ist« – »Ja.« – »Er ist nicht weit von hier. Aber da muß ich Sie erst fragen: Mit wem halten Sie es, mit den Franzosen oder mit den Mexikanern?« – »Mit jenen ebensowenig wie mit diesen. Wenn Sie von mir gehört haben, so wird es Ihnen bekannt sein, daß ich nie Partei ergriffen habe.« – »Ja, es ist wahr, und das genügt. Sie müssen nämlich wissen, daß die Franzosen Chihuahua besetzt hatten. Sie sandten eine Kompanie aus, um Fort Guadeloupe zu erobern; aber diese Kompanie wurde von den Apachen vollständig aufgerieben.« – »Ugh!« rief Bärenherz, als er von den Apachen hörte. – »Der Anführer der Apachen war Bärenauge.« – »Bärenauge? Wer ist das?« fragte der Häuptling.
Der Indianer empfängt nämlich seinen eigentlichen Namen erst, wenn er Krieger wird. Als Bärenherz seinen Bruder zum letzten Mal gesehen hatte, war dieser noch ein Knabe ohne Namen und Berühmtheit gewesen. Dies ahnte der Kleine André; darum erklärte er in der Ausdrucksweise der Indianer
»Als Bärenherz so schnell verschwunden war, hatte er einen jungen Bruder. Dieser wurde ein berühmter Krieger. Weil er seinen Bruder Bärenherz suchte, nannte er sich Bärenauge. Er fand jenen nicht und glaubte, er sei von den Weißen getötet worden, darum nahm er sich in jeder Woche den Skalp eines Bleichgesichtes. Jetzt ist er der tapferste und berühmteste Häuptling der Apachen.« – »Ugh!«
Nur diese eine Silbe sagte Bärenherz, aber es sprach sich in derselben die ganze Fülle seiner brüderlichen Liebe, Dankbarkeit und Befriedigung aus. Keiner versteht es ja so wie der Indianer, eine Welt voll Gefühl in einen einzigen Laut zu legen.
»Bärenauge führte die Apachen, die die Franzosen vernichteten«, fuhr André fort. – »Er ist mein Bruder!« antwortete Bärenherz einfach, aber mit sichtlichem Stolz.
Der kleine Jäger fuhr in seinem Bericht fort:
»Dann zog er mit seinen Apachen nach Osten zu General Hannert, der mehrere Millionen Dollar bei sich hatte, die er Juarez bringen sollte. Er wurde von sechshundert Komantschen eingeschlossen. Bärenauge befreite ihn, indem er die Komantschen tötete, so daß nicht ein einziger entkommen ist« – »Ugh!« rief der Indianer. »War der kleine, weiße Mann selbst dabei?« – »Ja, ich war dabei. Ich habe Bärenauge als Führer gedient.« – »So bist du der Freund meines Bruders?« – »Ja.« – »Ugh! So sollst du auch der meinige sein!«
Der Indianer streckte André die Hand entgegen, die dieser ergriff und drückte, stolz darauf, der Freund dieses berühmten Apachen zu sein.
»Wir brachten das Geld zu Juarez«, begann dann der Kleine wiederum. »Kaum angekommen, erhielten wir die Nachricht, daß die Franzosen den Verlust ihrer Kompanie erfahren hatten. Sie hatten schleunigst Verstärkung an sich gezogen und marschieren nun, dreihundert Mann stark, abermals auf Fort Guadeloupe zu, um dasselbe zu überrumpeln. Juarez brach mit allen seinen verfügbaren Leuten und den Apachen auf, um ihnen entgegenzugehen. Er wird sie vernichten, wo er sie trifft, dann aber direkt auf Chihuahua marschieren, um es zu nehmen. Diese Stadt ist, da die dreihundert Mann fort sind, verhältnismäßig von Truppen entblößt und wird sich also ergeben müssen.« – »Warum sind Sie aber nicht bei Juarez?« fragte Sternau. – »Ich wurde von ihm abgeschickt, um in der Nähe von Chihuahua auszuforschen, wie dieser Platz am besten genommen werden kann. Eigentlich war der Schwarze Gerard dazu ausersehen. Dieser aber hat sich erbeten, nach Fort Guadeloupe gehen zu dürfen. Er hat Bekannte dort, die er beschützen will.« – »Der Schwarze Gerard? Wer ist das?« fragte Sternau. – »Ein berühmter Jäger.« – »Ich kenne ihn nicht.«
Da besann sich der Kleine André und antwortete:
»Oh, Sie kennen ihn sehr gut.« – »Ich habe diesen Namen noch niemals gehört. Wenigstens kann ich mich seiner nicht erinnern.« – »Er hat mir von Ihnen erzählt. Er weiß sehr viel von Ihren Erlebnissen.« – »Ah, woher?« – »Zunächst von früher her, und dann hat er auch von Señorita Resedilla viel über Sie gehört.« – »Resedilla?« fiel Emma Arbellez ein. »Welche Resedilla meinen Sie?« – »Die Tochter des alten Pirnero in Fort Guadeloupe.« – »Ah, meine Cousine! Wie geht es ihr? Wie sieht sie aus? Hat sie von mir gesprochen?« – »Ja, Señorita, ich kann nicht antworten, da ich nicht weiß, wer Sie sind.« – »Ich bin Emma Arbellez, das Schwesterkind Pirneros.« – »Von der Hacienda del Erina?« – »Ja.« – »Alle tausend Teufel! Da ist ja eine ganze, regelrechte Christbescherung beisammen! Müßte ich nicht nach Chihuahua, ich ritte sofort nach Fort Guadeloupe, um die frohe Botschaft zuerst zu überbringen. Señorita Resedilla ist ein sehr schönes Mädchen geworden.« – »Ist sie verheiratet?« – »Nein, obgleich ihr Vater ihr durchaus einen Mann geben will.« – »So lebt er noch, der Onkel Pirnero?« – »Freilich! Der stirbt noch lange nicht Ich war jüngst einige Tage bei ihm und habe mich viel mit ihm unterhalten. Er fängt stets vom Wetter an und hört beim Schwiegersohn auf. Ich wartete dort auf den Schwarzen Gerard, der … ah, Señor Sternau, da fällt mir ein, daß ich Ihre Fragen gar nicht beantwortet habe. Waren Sie nicht einmal in Paris?« – »Ja, öfters.« – »Haben Sie ein Mädchen aus der Seine gezogen?« – »Allerdings.« – »Kannten Sie den Bruder dieses Mädchens?« – »Ja.« – »Können Sie sich auf seinen Namen besinnen?« – »Er hieß, glaube ich, Gerard Mason, und seine Schwester nannte sich Annette.« – »Richtig! Dies ist der Schwarze Gerard.« – »Ah! So ist er nach Amerika gegangen und Jäger geworden?« – »Und was für ein Jäger! Er ist berühmt soweit die Savanne reicht«
Sternau erinnerte sich, daß Annette ihm ihre Familienverhältnisse mitgeteilt hatte. Er besann sich darauf, daß Mason Garotteur gewesen war, aber er verschwieg dies hier, um dem Ruf dieses Mannes nicht zu schaden.
»Und dieser Gerard ist jetzt in Fort Guadeloupe?« – »Ja«, antwortete André. – »Wie weit ist es bis dahin? Einen Tagesritt?« – »Fast genau. Sie können recht gut morgen um dieselbe Zeit dort sein.« – »Und wo ist Juarez zu finden?« – »Irgendwo südlich vom Fort. Er ist den Franzosen entgegen.« – »So müßten wir ganz sicher auf seine Fährte treffen, wenn wir von hier aus in gerader Richtung auf Fort Guadeloupe reiten.« – »Unbedingt« – »Gut, wir werden das tun. Wir werden Sie hoffentlich wiedersehen, wenn wir bei Juarez sind?« – »Ich muß ihn ja wieder aufsuchen, um ihm Bericht zu erstatten. Aber ich rate Ihnen, nach dem Fort zu gehen und dort die Damen unterzubringen, ehe Sie dem Präsidenten folgen. Man weiß nicht, welchen Gefahren man entgegengeht.« – »Sie haben recht, und vielleicht folgen wir Ihrem Rat. Aber sagen Sie mir, wie Sie nach Amerika gekommen sind. Ihr Bruder hat niemals von Ihnen gesprochen.« – »Das glaube ich. Wir sind zerfallen.« – »Ah! Wie schade! Weshalb?« – »Eines Mädchens wegen. Ich hatte es lieb und er auch; es zog mich vor, und da ging er in die Fremde. Wir haben einander einige Male geschrieben, aber ganz kurz, das Allernötigste; dabei ist es denn auch geblieben.« – »So waren Sie verheiratet?« – »Nein. Sie wurde mir untreu. Der Teufel hole die Liebe! Nun ging ich auch in die Fremde. Schließlich kam ich als Brauer nach Amerika; aber es klappte nicht Da nahm ich den Schießprügel und wurde Jäger. Das ist mein ganzer Lebenslauf. Jetzt habe ich Ihnen alles gesagt, und ich muß fort, denn ich darf keine Zeit verlieren.«
André stand auf und ging zu seinem Pferd. Auch die anderen erhoben sich, es wurde Abschied genommen. Das Zusammentreffen mit dem kleinen, einfachen Jäger hatte Sternau verschiedenen Nutzen gebracht, darunter auch die Hoffnung, über gewisse Dunkelheiten bereits recht bald einige Aufklärung zu erhalten.
In der Prärie wird man schneller bekannt und vertraut, als in den Salons der Großstädte. Als André den anderen die Hand reichte, war es allen, als ob ein alter Bekannter Abschied nähme, und sie sahen ihm nach, bis er am Horizont verschwunden war.
Bald stiegen die Reiter und Reiterinnen wieder zu Pferde.
»Es wird gut sein, unsere Tiere jetzt anzustrengen«, sagte Sternau. »Wenn wir die Fährte der Apachen finden wollen, so gilt es, sie noch bei Tageslicht zu erreichen; dann können wir ausruhen. Also Galopp, bitte ich!«
Da setzte sich Bärenherz an die Spitze. Obgleich er kein Wort sagte, wußten nun doch alle, daß diese Gegend ihm bekannt sei und er daher die Führung übernehmen wolle.
So ging es im raschesten Tempo bis zur Mündung des Rio Conchas. Dort wurde über den Rio Grande del Norte gesetzt, und dann ging es in unverminderter Eile weiter.
Eine Stunde nach Mittag wurde den Tieren einige Ruhe gegönnt. Sobald sie sich aber einigermaßen erholt hatten, nahm man den Weg mit gleicher Schnelligkeit wieder auf.
Die Pferde jener Gegenden leisten beinahe Unglaubliches. So kam es, daß sie fast bis gegen Abend aushielten, bis man die Sierra del Chanate erreicht hatte.
Da, wo diese Sierra mit den Teufelsbergen zusammenstößt, liegt jener Paß, in dem die französische Kompanie vernichtet worden war. Noch war dieser Paß nicht erreicht, sondern man sah nur die Öffnung, die er im Westen nach der Prärie bildet, da hielt Bärenherz sein Pferd an und beugte sich beobachtend zum Boden herab.
»Uff!« sagte er.
Sternau ritt heran und beobachtete das Gras. Es war niedergetreten. Es gab hier eine Fährte, so schmal, als ob nur ein einziger Reiter geritten sei, aber erfahrene Westmänner konnten sich dadurch nicht täuschen lassen.
»Der Weg der Apachen«, sagte Sternau. – »Hier sind meine Krieger geritten«, bestätigte Bärenherz, indem sein Auge aufleuchtete.
»Was wird mein Bruder tun?« fragte Sternau. – »Er wird der Stimme seines Herzens folgen«, sprach der Apachenhäuptling.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zog er sein Pferd herum und sprengte im Galopp davon, nach Süden zu, der Fährte nach, die sich hart am Fuß der Sierra hinzog.
»Wohin will er?« fragte Graf Ferdinando besorgt. – »Er folgt seinen Apachen«, antwortete Sternau. – »Ah, sie sind hier geritten?« – »Ja.« – »Aber wir werden ihn verlieren!« – »Ihn? Bärenherz? Unmöglich!« – »Sie meinen, daß wir ihm nachreiten?« – »Nein. Wir werden uns nach dem Fort Guadeloupe begeben, zuvor aber an irgendeinem Platz übernachten.« – »Und Bärenherz?« – »Lassen Sie ihn! Er ist ein Indianer und kennt unsere Lage. Er wird sich ganz sicher auf irgendeine Weise wieder zu uns finden.«
Diese Worte beruhigten die anderen, und so ritt man weiter.
Als sie sich der Öffnung des Passes näherten, hielt Sternau an und sagte:
»Hier ist jedenfalls der Übergang über die Sierra. Dies gibt gewiß einen Paß, der vielleicht länger ist, als wir denken. In einem solchen aber soll man niemals das Nachtlager aufschlagen, da ein Überfall da stets doppelt gefährlich ist. Ich schlage vor, unseren Ruheplatz diesseits zu suchen und nicht jenseits.« – »Aber es ist noch nicht Nacht«, bemerkte der alte Graf. – »Die Nacht würde uns vielleicht im Paß überraschen.« – »Was schadet das? Wer wird uns überfallen?« – »Wir haben gehört, daß die Apachen den Mexikanern, die Komantschen aber den Franzosen helfen. Beide stehen sich als Feinde gegenüber; ihre Gebiete stoßen hier in der Nähe zusammen, und an den Grenzen hat man sich stets am meisten vorzusehen. Ich bleibe bei dem Rat, den ich gegeben habe. Was sagt Büffelstirn dazu?« – »Mein weißer Bruder hat recht!« antwortete der Gefragte ruhig.
Bei diesen Worten wandte er sein Pferd zur Seite und sprengte davon.
»Wohin reitet er?« fragte Emma ängstlich. – »Keine Sorge, Señorita«, entgegnete Sternau. »Der Häuptling der Mixtekas beweist mir seine Zustimmung durch die Tat. Er geht einfach fort, um einen Platz zu suchen, der sich zum Nachtlager eignet.« – »Aber konnte er das nicht vorher sagen?« – »Der Präriemann ist gewöhnt, viel zu tun und wenig zu sagen. Warten wir einfach, bis er wiederkommt.«
Sie hielten an und warteten. Bald kehrte Büffelstirn zurück und winkte den übrigen. Sie ritten auf ihn zu, und nun geleitete er sie an eine Einbuchtung der Savanne, die rings von Büschen so umgeben war, daß man recht gut ein helles Feuer brennen konnte, ohne daß es von weitem bemerkt wurde.
Hier stieg der Häuptling der Mixtekas, ohne ein Wort zu sagen, vom Pferd, ließ sein Tier grasen und schickte sich an, dürre Äste zur Feuerung zu suchen. Dieses wortlose, bestimmte Wesen ist einem jeden guten Jäger eigen. Es macht stets einen tiefen Eindruck auf den Neuling und Unerfahrenen und hat ein unwillkürliches, rückhaltloses Vertrauen zur sicheren Folge.
Als die Flamme zu lodern begann, machten es sich die Reisenden im Kreis bequem. Sternau patrouillierte der Sicherheit halber die Umgebung ab und bestimmte dann die Reihenfolge der Wachen, von der die Damen natürlich ausgeschlossen waren.
Hier an diesem wohlverwahrten Ort wäre es den Apachen jedenfalls nicht so leicht geworden, die Franzosen zu überfallen und zu vernichten, wie drinnen in der Schlucht des Passes.
23. Kapitel
Am anderen Morgen gab es wunderschönes Wetter. Als die Sonne aufging, blitzten die Tautropfen an den Halmen und Blättern wie aber Millionen Karfunkel. Der Himmel war rein, und die Blumen dufteten ein herrliches Morgengebet zu ihrem Schöpfer empor.
Señor Pirnero hatte sich vom Lager erhoben und wurde von dem schönen Wetter, was bei ihm selten geschah, hinaus vor seine Wohnung gelockt.
Er schritt langsam die kurze Straße hinab, trat durch das Palisadentor und sah nun die Fluten des Puercosflusses vor sich, an dem Fort Guadeloupe liegt.
Er blickte erst abwärts und dann aufwärts des Wasserlaufes. Während er sich in seiner Weise an der Herrlichkeit des Morgens erfreute, bemerkte er auf dem Wasser unterhalb des Forts einen Punkt, der sich langsam näherte. Dieser Punkt war dunkel; er warf auf beiden Seiten glitzernde Strahlen von sich.
»Ah, ein Boot!« brummte Pirnero verwundert. »Was rechts und links so glitzert und flimmert, das ist das Wasser, das von den Rudern lauft«
Er wartete, bis es näher kam. Da nahm sein Gesicht den Ausdruck doppelten Erstaunens an. Er räusperte sich, als ob er vor einem großen Ereignis stehe, und brummte weiter:
»Ein Rindenkanu, wie es die Indianer und Trapper haben! Das ist hier eine ungeheure Seltenheit Es sitzt nur ein Mann darin. Wer mag es sein?«
Jetzt, als das Kanu in größere Nähe kam, bemerkte man erst, daß es eine große Schnelligkeit entwickelte. Der Mann, der darin saß, mußte nicht nur eine außerordentliche Körperkraft, sondern eine noch viel größere Geschicklichkeit in der Führung eines solchen Fahrzeugs besitzen.
Jetzt war er ganz nahe. Er erblickte Pirnero und lenkte sein Kanu dem Ufer zu. Dort sprang er heraus und zog es mit einem Ruck aus dem Wasser an das Ufer hinauf. Er trug nur eine alte, halbzerrissene Hose und eine Weste, an der sich keine Knöpfe befanden. Da er ohne Hemd war, so blieben seine Brust und die braunen, sehnigen Arme vollständig bloß.
Nun aber nahm er einen ledernen Jagdrock und zog ihn an. Dieses Kleidungsstück war allerdings früher ein Rock gewesen, jetzt aber hatte es das Aussehen eines ledernen Schlauches, der jahrelang in einem Teich gelegen hat und jetzt halb faul geworden ist. Dazu langte er sich noch ein Ding heraus, das früher einmal ein Hut gewesen zu sein schien; jetzt aber glich es einem alten, zerfetzten Tabaksbeutel, den er auf den Schädel stülpte.
Im Gürtel trug der Mann zwei Revolver, ein Messer und einen Tomahawk, den Tabaksack, den Kugelbeutel und mehrere andere Kleinigkeiten. Und aus dem Boot nahm er zuletzt noch eine Büchse, die er sorgsam, man müßte sagen mit einer Art Verehrung ergriff, daß man sah, er müsse das alte Schießinstrument außerordentlich liebhaben.
Als er sich jetzt umwandte, bot er einen eigentümlichen Anblick dar. Das hagere Gesicht war von Wind, Sonne und Wetter hart wie Leder gegerbt; das kleine, graue Auge hatte einen Blick, scharf und stechend; die lange, große Nase glich einem Geierschnabel, und doch hatte diese ungewöhnliche Physiognomie etwas an sich, was sofort Vertrauen einflößte.
»Good morning!« grüßte er. – »Guten Morgen«, antwortete Pirnero. – »Das ist Fort Guadeloupe, kalkuliere ich?« – »Ja.« – »Ein kleines Nest?« – »Nicht groß.« – »Viel Militär da?« – »Gar keins.« – »Pfui Teufel! Gibt es ein Store– und Boardinghaus hier?« – »Ja.« – »Wo?« – »Zum Tor hinein das dritte Gebäude.« – »Danke, Sir.«
Der Fremde schritt an Pirnero, der ihn allerdings zu sich selbst gewiesen hatte, vorüber und zum Tor hinein. Seine Schritte waren zwar langsam, aber so weit und ausgiebig, wie sie bei guten Westläufern zu sein pflegen. Ein Ungeübter muß Trab laufen, um mit einem solchen Mann, wenn derselbe Schritt geht, vorwärtszukommen. Darum halten solche Jäger meist die weitesten Fußtouren aus.
»Ein Yankee«, brummte Pirnero.
Er hatte recht. Hätte nicht der Gruß und die Frage nach einem Store– und Boardinghaus vermuten lassen, daß der Frager ein Yankee sei, so wäre doch der Ausdruck »kalkuliere ich« der sicherste Beweis dafür gewesen.
Während wir sagen »ich meine«, »ich vermute«, »mir scheint«, sagt der Nordamerikaner »ich kalkuliere«, »ich rechne«. Dies ist ein Zeichen, daß er in seinen Ansichten und Meinungen sorgfältiger zu sein pflegt als wir.
Als Pirnero zurückkehrte, fand er den Fremden bei einem Glas in der Stube sitzen. Er nahm an seinem Fenster Platz und blickte hinaus. Es herrschte tiefe Stille im Zimmer, die nur durch das laute, ungenierte Ausspucken des Fremden unterbrochen wurde. Diese Art Leute pflegen stets zu den leidenschaftlichen Tabakskauern zu gehören, und ein Yankee macht sich den Teufel daraus, ob sein Räuspern und Spucken einem anderen unbequem wird.
Pirnero war außerordentlich begierig, zu erfahren, wer der Fremde sei. Da dieser aber kein Wort von sich gab, so fing er endlich selbst an:
»Herrliches Wetter!«
Der Fremde gab einen grunzenden Ton von sich, dessen Bedeutung man unmöglich erraten konnte. Darum wiederholte Pirnero nach einer Weile:
»Unvergleichliches Wetter!« – »Hrrrmmmrrruhm!« hustete der Fremde wieder.
Da drehte sich Pirnero um und fragte:
»Sagtet Ihr etwas, Señor?« – »Nein, aber Ihr!«
Diese Antwort nahm dem guten Pirnero die ganze Möglichkeit weg, in dieser Weise fortzufahren. Er trommelte sehr unbefriedigt an die Fensterscheibe, versuchte aber dann doch sein Heil in einer weiteren Bemerkung:
»Heute viel schöner als gestern!« – »Pchtichch!« spuckte der Fremde aus.
Nun drehte sich Pirnero um und sagte:
»Ich habe Euch nicht verstanden, Señor!«
Der Fremde wälzte sein Tabakspriemchen aus der rechten Backe in die linke, spitzte den Mund und spuckte mit einer solchen Sicherheit aus, daß die braune Brühe wie aus einer Spritze geschossen vom Tisch her an Pirneros Nase vorüber und an die Fensterscheibe flog.
Der Wirt zog ganz erschrocken den Kopf zurück.
»Señor«, rief er, »dort am Schrank steht der Spucknapf!« – »Brauche keinen!« lautete die Antwort. – »Das glaube ich! Wer an die Fenster spuckt, braucht keinen Napf. Aber diese Mode ist bei mir und in Pirna ganz und gar nicht Sitte!« – »So macht das Fenster auf!«
Das klang so kaltblütig, daß dem Wirt vor Zorn das Blut zu wallen begann. Er beherrschte sich aber und fragte:
»Kommt Ihr weit her, Señor?« – »Ja.« – »So müßt Ihr ein tüchtiger Ruderer sein.« – »Warum?« – »Nun, stromauf!« – »Pah!« – »Wo seid Ihr abgefahren, Señor?« – »Müßt Ihr das wissen?« – »Nun«, meinte Pirnero einigermaßen verlegen, »man will doch gern wissen, wer bei einem einkehrt. Oder habe ich etwa nicht recht?« – »Pchtsichchchchchch!« spuckte der Fremde abermals, daß der dünne, braune Strahl an Pirneros Gesicht vorüber an das Fenster flog. – »Alle Teufel, nehmt Euch in acht!« rief der Wirt. – »Geht hübsch weg.«
Da öffnete Pirnero die beiden Flügel des Fensters und rückte seinen Stuhl weit davon hinweg an die Wand, an der ein alter Kupferstich hing. Nur auf diese Weise glaubte er, sich vor dem Tabakssprühenbombardement retten zu können.
Es verging abermals eine Weile. Der Fremde kaute und trank. Da er fortgesetzt schwieg, so begann Pirnero endlich:
»Ihr wolltet nach Fort Guadeloupe?« – »Vielleicht.« – »Bleibt Ihr hier?« – »Wohl schwerlich, kalkuliere ich.« – »Ich meine für heute.« – »Ja.« – »Wollt Ihr jemanden besuchen?« – »Hm.« – »Oder habt Ihr ein besonderes Geschäft hier zu besorgen?« – »Pchtsichchchchchch!« spuckte der Gefragte wieder, und zwar so genau, daß der Strahl gerade über Pirneros Kopf den Kupferstich traf.
Das war dem Wirt zu viel. Er sprang auf und rief erbost:
»Was fällt Euch denn ein, Señor? Ihr verderbt mir ja den schönen Kupferstich!« – »Nehmt ihn hinweg.« – »Spuckt Euch doch lieber in die Tasche.« – »Kommt her und macht sie auf.« – »Ist das eine verständige Antwort auf meine Fragen, he?« – »Ja. Wer zudringlich ist, wird angespuckt. Merkt Euch das.« – »Wißt Ihr, daß Ihr ein Grobian seid?« – »Nein.« – »Nun, so will ich es Euch sagen!« – »Gebt Euch keine Mühe, es hilft Euch doch nichts. Ich komme nicht zu Euch, um mich aushorchen zu lassen. Wenn ich etwas wissen will, werde ich Euch schon selber fragen. Schenkt mir lieber noch einen ein.«
Der Wirt gehorchte ihm. Als er das volle Glas auf den Tisch setzte, sagte er:
»Wollt Ihr diesen Tag und diese Nacht bei mir bleiben? Das wenigstens werde ich wohl fragen dürfen?« – »Will es mir überlegen! Ist man bei Euch hier sicher?« – »Vor wem?« – »Hm, vor den Indianern zum Beispiel.« – »Vollständig.« – »Vor den Mexikanern?« – »Oh, die tun uns gar nichts. Wir halten es ja doch mit ihnen.« – »Vor den Franzosen?« – »Vor denen erst recht. Sie wollten Fort Guadeloupe überrumpeln, sind aber höllisch abgewiesen worden.« – »Von wem? Von Euch etwa?«
Bei dieser Frage nahm das Gesicht des Fremden einen höchst lustigen Ausdruck an.
»Nein, sondern von den Apachen. Sie haben alle Franzosen umgebracht.« – »Alle Wetter! So halten die Apachen es wohl mit dem Präsidenten Juarez?« – »Ja.« – »Was sagen aber die Herren Komantschen dazu?« – »Diese halten es mit den Franzosen.« – »Der Teufel soll sie holen!« – »Ah, Señor, so seid Ihr wohl auch ein Feind und Gegner der Franzosen?« – »Das geht Euch den Teufel an. Aber sagt, wo befindet sich der Juarez eigentlich?« – »In Paso del Norte, glaube ich.« – »Glaubt Ihr? So wißt Ihr es sicher?« – »Sicher allerdings nicht.« – »Wie weit rechnet Ihr von hier bis nach Paso del Norte hinüber?« – »Fünfundzwanzig gute Reitstunden. Wollt Ihr etwa hinüberreiten?« – »Möglich.« – »Ah, Señor, so habt Ihr wohl gar ein geheimes Geschäft mit dem Präsidenten? – »Pchtsichchchchchch!«
Aus dem schnell zugespitzten Mund des Fremden schoß die braune Brühe gerade an Pirneros Gesicht vorüber, und zwar so dicht, daß dieser erschrocken zurücksprang.
»Himmeldonnerwetter, nun habe ich es aber satt!« fluchte er. »Das bin ich nicht gewöhnt; dazu ist meine Abstammung viel zu gut. Wißt Ihr, woher ich bin?« – »Nun?« fragte der Fremde gleichmütig. – »Aus Pirna.« – Aus Pirna? Kenne das Ding nicht. Liegt wohl hinter dem Nordpol?« – »Nein, aber in Sachsen.« – »Geht mich gar nichts an, dieses Sachsen. Werde aber heute bei Euch bleiben.« – »Señor, das geht nicht.«
Der Fremde sah den Wirt erstaunt an und fragte dann:
»Warum nicht?« – »Ihr gefallt mir nicht.« – Aber Ihr gefallt mir; das hebt sich auf.« – »So einen Spucker brauche ich nicht.« – »Wünscht Ihr Euch einen besseren? Ich kann dienen, kalkuliere ich.« – »Nein, nein! Ich mag Euch nicht haben. Geht woandershin, wo Ihr spucken könnt! Seht mein Fenster an und mein Bild. Wißt Ihr, was es für ein Bild ist?« – »Nein.« – »Soll ich es Euch sagen?« – »Tut Euch immerhin den Gefallen.« – »Es ist ein Heiratsbüro um die Zeit der Dämmerstunde.«
Der Fremde warf einen scharfen Blick nach dem Kupferstich und antwortete:
»So irrt man sich. Ich dachte, es sei eine Zündhölzerfabrik um die Morgenstunde.«
Das brachte Pirnero noch mehr in Harnisch. Er trat einen Schritt zurück und fragte:
»Ist das Euer Ernst, Señor?« – »Natürlich.« – »So macht auf der Stelle, daß Ihr fortkommt! Ich will Euch lehren, ein Heiratsbüro um die Dämmerstunde für eine Streichhölzerfabrik um die Morgenstunde anzusehen. Das Bild ist ein altes Erbstück. Eine solche Ehrwürdigkeit lasse ich mir nicht anspucken und verzündholzen. Versteht Ihr mich?« – »Nein.« – »Nun, so will ich es deutlicher sagen: Wenn Ihr nicht sofort dieses Zimmer verlaßt, so werfe ich Euch hinaus, daß Euch alle sechsundachtzig Rippen krachen.«
Pirnero hatte sich in vollständige Wut hineingesprochen. Er stand mit geballten Fäusten vor dem Fremden, so daß es aussah, als ob er ihn fassen wolle.
»Pstchichchchchchch!« schoß ihm der Tabakssaft abermals entgegen, daß er in größter Eile zurücksprang. – »Was? Auch das noch?« rief er. »Nun trollt Euch aber auf der Stelle fort, sonst sollt Ihr erfahren, daß der Pastor den Bürgermeister erschossen hat!« – »Pah!« sagte der Fremde ganz ruhig. »Macht keinen solchen Lärm, sonst spucke ich Euch so an, daß Euch der Saft durch die Mauer hinaus auf die Gasse treibt. Ob ich dableiben will oder nicht, das ist meine Sache. Ich habe die ganze Nacht gerudert und bin nun müde. Ich werde eine Stunde schlafen.«
Damit lehnte er seine Büchse an die Wand und legte sich auf die Bank, die sich lang an der Wand hinzog. Das aber wollte Pirnero nicht dulden.
»Halt, das geht nicht«, sagte er. »Schlaft, wo Ihr wollt, aber nicht bei mir. Ich werde mich allerdings nicht an Euch vergreifen, aber ich werde meine Leute holen, die sollen Euch zeigen, wer der Besitzer des Kaninchens ist.«
Da zog der Fremde seinen Revolver aus dem Gürtel und sagte:
»Tut, was Ihr wollt, ich aber sage Euch, daß ich einen jeden, der mir näher kommt, als ich es wünsche, totschießen werde.«
Das imponierte dem Wirt. Er stand eine Weile überlegend da und entgegnete endlich:
»Hm! Ihr seid ein ganz desperater Kerl. So schlaft denn meinetwegen eine Stunde; aber ich hoffe, daß Ihr nicht auch noch im Schlaf spuckt!« – »Nein, wenn mir nämlich nicht von neugierigen Fragen träumt.«
Der Fremde steckte den Revolver zu sich und legte sich auf die Seite. Bereits nach kurzer Zeit merkte man es seinem Atem an, daß er eingeschlafen war. Dieser Mann mußte allerdings sehr ermüdet sein.
Pinero hatte sich echauffiert. Er nahm ein Gläschen Julep zu sich und wollte sich eben wieder an sein Fenster setzen, als draußen das Getrappel eines Pferdes hörbar wurde. Ein Reiter sprang vom Pferd, band dasselbe an und kam herein.
Er war schon bei Jahren, aber noch kraftvoll und rüstig, und trug die schwere, kleidsame Tracht eines Vaquero.
Er setzte sich, ließ sich ein Glas Pulque geben und betrachtete den Wirt aufmerksam. Dieser bemerkte das nicht, denn er saß bereits wieder an seinem Fenster und blickte hinaus. Er schien mit sich zu Rate zu gehe, ob vielleicht der Vaquero auch ein Tabakspucker sei. Bald aber faßte er sich ein Herz und bemerkte:
»Ausgezeichnetes Wetter!« – »Ja«, antwortete der Vaquero.
Das erfreute den Wirt ungemein. Seine Mienen erheiterten sich; er drehte sich herum, nickte dem Mann freundlich zu und fuhr fort:
»Besonders ausgezeichnet zum Reiten.« – »Ja, bin aber auch die ganze Nacht geritten.« – »Die ganze Nacht? Das klingt ja, als ob Ihr ein Kurier wäret!« – »Es ist auch fast so.« – »Wohin wollt Ihr denn?« – »Nach Fort Guadeloupe.« – »Da seid Ihr ja. Habt Ihr hier Geschäfte?« – »Nein; ich habe etwas abzugeben. Seid Ihr vielleicht Señor Pirnero?« – »Ja, freilich, der bin ich.« – »Lebt Señorita Resedilla noch?« – »Natürlich! Kennt Ihr sie?« – »Nein; aber ihretwegen bin ich hier. Euch ist doch die Hacienda del Erina bekannt?« – »Das versteht sich, Pedro Arbellez ist ja mein Schwager.« – »Nun, Señor Arbellez sendet mich zu Euch. Ich stehe in seinem Dienst.« – »Zu mir? Ah, das freut mich, das freut mich ungeheuer. Ich werde Euch Essen und Trinken geben lassen und meine Tochter holen!« – »Ja, holt sie, damit ich gleich beiden meine Botschaft ausrichten kann.«
Pirnero hatte seinen Ärger ganz vergessen; er eilte in die Küche, brachte Resedilla herbei und führte sie zu dem Tisch, an dem der Vaquero saß.
»Hier, Resedilla«, sagte er, »ist ein Vaquero des guten Oheims Pedro. Er hat uns eine Botschaft auszurichten. Er ist die ganze Nacht geritten; sorge für ihn!«
Das Mädchen gab dem Gast die Hand und fragte nach seiner Sendung.
»Nun«, antwortete er. »Ihr wißt, daß mein Herr alt ist …« – »Ja, älter als ich«, meinte Pirnero. – »Er hat keine Kinder …« – »Denkt Ihr nicht an Señorita Emma?« – »Oh, die ist verschwunden; die ist jedenfalls längst tot und kehrt nicht wieder zurück. Das hat meinem Herrn am Leben genagt und ihn älter gemacht, als er ist. Nun wißt Ihr doch, daß die Hazienda nicht mehr dem Grafen Rodriganda gehört?« – »Ich weiß es, der Graf hat sie meinem Schwager geschenkt« – »Mein Herr wird ohne Kinder sterben …«
Jetzt horchte Pirnero auf.
»Ich hoffe, daß er noch lange leben wird!« sagte er. – »Bei einem solchen Alter und in den Zeiten, wie die gegenwärtigen sind, ist es gar kein Wunder, wenn man an den Tod denkt. Also Kinder hat Señor Arbellez nicht, aber Erben, oder vielmehr eine Erbin …« – »Wen meint Ihr?« – »Señorita Resedilla. Sie soll die Hazienda erben.«
Resedilla wandte sich halb ab. Sie liebte ihren Oheim wirklich, darum taten ihr die Worte des Vaqueros weh, und sie sagte:
»Geben wir die Hoffnung, daß Emma sich wiederfinden läßt, doch noch nicht auf.« – »Mein Gebieter hat sie aufgegeben«, entgegnete der Vaquero. »Darum hat er Euch zur Erbin eingesetzt und läßt Euch sagen, daß er Euch vor seinem Ende gern noch einmal zu sehen wünscht.« – »Das ist der Auftrag, den Ihr auszurichten habt?« fragte der Wirt. – »Ja. Ich soll die Señorita bitten, meinen Herrn recht bald einmal zu besuchen. Übrigens habe ich Euch diesen Brief abzugeben.«
Er griff in sein Wams und zog ein viereckig zusammengelegtes Leder heraus, in dem sich der Brief befand. Pirnero nahm ihn und wollte ihn öffnen.
»Nein, hier nicht, Vater«, bat Resedilla. – »Wo denn sonst?« – »Komm mit mir! Solche Briefe liest man allein.«
Resedilla zog den Vater mit sich fort. Als sie nach einer Weile zurückkehrten, hatte das gefühlvolle Mädchen rotgeweinte Augen, und auch Pirnero schien tief ergriffen zu sein.
»Wir haben den Brief gelesen«, sagte er. – »Und wie entschließt Ihr Euch, Señor?« fragte der Vaquero. – »Das läßt sich augenblicklich nicht sagen. Ihr kennt die Verhältnisse.« – »Ah, Ihr könnt Eure Tochter nicht gut auf einige Wochen vermissen?« – »Das ließe sich wohl überwinden; aber der Krieg, der Krieg!« – »So meint Ihr, daß es für die Señorita gefährlich sei, die Reise nach der Hacienda del Erina zu unternehmen?« – »Ja.« – »Was das betrifft, so braucht Ihr Euch keine Sorge zu machen. Mein Herr wird sich ein Begleitschreiben auswirken, das die Franzosen gewiß respektieren werden.« – »Aber die anderen, die Indianer?« – »Auch sie haben wir nicht zu fürchten, denn Señor Arbellez will Euch eine Anzahl erfahrener Vaqueros und Büffeljäger senden, die die Señorita sicher zu ihm bringen werden.« – »Hm, auf diese Weise könnte man es wagen, aber gefährlich bleibt es dennoch. Wie lange habt Ihr Zeit, hierzubleiben?« – »Den heutigen Tag.« – »Nun, so werde ich es mir überlegen. Morgen sollt Ihr meine Antwort und einen Brief an den Schwager bekommen. Jetzt aber versorgt Euer Pferd und geht in die Küche, um Euch etwas vorsetzen zu lassen.«
Dies tat der Vaquero. Resedilla aber ging auch in die Küche, und Pirnero setzte sich an sein Fenster, um über die soeben empfangene Botschaft nachzudenken. Ein so bedeutendes Erbe wie die Hacienda del Erina, war nicht zu verachten; aber er hatte seinen Schwager wirklich lieb, und der Verlust Emmas hatte auch ihn ergriffen. Er besaß, trotz seines eigentümlichen Charakters, ein tiefes Gemüt, das auch zarteren Gefühlen zugänglich war.
Er konnte sich seinem Sinnen nicht lange hingeben, überhaupt hatte es allen Anschein, als ob der heutige Tag ein sehr bewegter werden solle, denn es kam jetzt ein zweiter Reiter, der draußen vom Pferd sprang und dann eintrat. Der Schwarze Gerard war es.
Als Pirnero ihn erblickte, begrüßte er ihn ganz anders als früher.
»Ah, Señor Gerard!« rief er, sich erhebend und auf den Jäger zueilend. »Ihr seid es? Gott sei Dank! Wir haben rechte Angst gehabt!« – »Wir? Wen meint Ihr damit?« – »Nun mich und Resedilla.« – »Euch auch?« fragte Gerard lächelnd. – Natürlich!« – »Wie kommt das? Ich trinke doch nur einen Julep und gebe mich dazu her, Rehgeißen für andere Leute zu tragen.« – »Macht doch keine dummen Witze. Damals wußte ich doch nicht, wer Ihr seid. Jetzt aber seid Ihr mir willkommen, selbst wenn Ihr gar keinen Julep trinken wollt. Ich werde Resedilla gleich rufen.«
Aber das war nicht nötig, denn diese hatte die Stimme Gerards erkannt, trat mit freudeglänzendem Gesicht herein und reichte ihm die Hand.
»Willkommen!« sagte sie. »So ist der Kriegszug glücklich abgelaufen?« – »Sehr glücklich!« – »Ohne Verwundung?«
Ihr Blick streifte dabei mit Besorgnis Gerards Gestalt.
»Es ist mir kein Haar gekrümmt worden«, antwortete er im Ton der Beruhigung. – »Gott sei Dank!« – »Ja, Gott sei Dank! Aber ich wünsche, daß wir auch morgen oder übermorgen so sagen können.« – »Warum?« fragte Pirnero. – »Ich komme, um Euch auf eine große Gefahr aufmerksam zu machen.« – »Auf eine Gefahr? Auf eine große?« fragte Pirnero. »Sprecht Ihr im Ernst, Señor Gerard?« – »Leider im vollen Ernst. Die Franzosen haben erfahren, daß jene Kompanie vernichtet worden ist. Nun sind sie mit dreifacher Stärke aufgebrochen, um sich zu rächen. Sie sind bereits nach Fort Guadeloupe unterwegs.«
Resedilla erbleichte. Ihr Vater aber schlug die Hände zusammen und rief:
»Mein Gott, ist das wahr?« – »Ja, wir wissen es ganz sicher.« – »Wann werden sie kommen?« – »Das weiß ich noch nicht.« – »Oh, dann werde ich sogleich packen und alles, was ich habe, auf die Pferde geben. Wir fliehen zu Juarez hinüber.«
Er wollte in furchtsamer Eile das Zimmer verlassen, doch Gerard hielt ihn zurück.
»Halt! Wartet noch!« sagte er. »So weit ist es noch nicht. Selbst wenn die Franzosen das Fort nehmen, würden sie das Privateigentum möglichst respektieren müssen, um auf diesem gefährlichen, so weit vorgeschobenen Posten nicht auch noch die Bevölkerung gegen sich zu erbittern. Aber die Hilfe ist bereits unterwegs.« – »Welche Hilfe?« – »Juarez selbst.« – »Juarez selbst? Hat er die Apachen bei sich?« – »Ja.« – »Ah, da sind wir gerettet!« – »Jubeln wir nicht zu früh! Juarez weiß nicht genau, welchen Weg der Feind eingeschlagen hat. Es ist leicht möglich, daß er ihn verfehlt. Er wird die Fährte der Franzosen sicher finden, aber vielleicht nicht zur rechten Zeit, um sie noch vor dem Ziel zu erreichen. Da gilt es nun, den Feind nicht in das Fort zu lassen, damit Juarez und die Apachen herankommen und ihn aufreiben können.« – »Ihr meint, daß das Fort verteidigt werden soll?« – »Ja.« – »Aber wer, um Gottes willen, soll dies tun? Wir haben kein Militär!« – »Wir werden es tun, wir alle, und auch Ihr mit, Señor Pirnero.«
Da wurde das Gesicht des braven Wirtes noch einmal so lang.
»Ich auch mit?« fragte er erschrocken. – »Natürlich!« – »Ich soll schießen?« – »Freilich!« – »Und stechen?« – »Das versteht sich.« – »Ich soll Menschen totmachen?« – »So viele als möglich!« – »O nein; das tue ich nicht! Das sind wir in Pirna nicht gewöhnt! Wer dort einen Franzosen erschießt, der wird umgebracht oder zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Es kommt sogar vor, daß ein solcher Mensch zum Tode verurteilt wird, nebst zehn Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust und Polizeiaufsicht.« – »Das kommt an anderen Orten auch vor«, lachte Gerard, »obgleich es mehr ist, als ein Mensch billigerweise aushalten kann.« – »Nun also! Ich schieße nicht.« – »So werdet Ihr erschossen.«
Pirnero erbleichte.
»Inwiefern?« – »Ich komme als Bote von Juarez. Ich war auf dem Annunciamento. Ich soll die Verteidigung leiten. Juarez befiehlt, daß ein jeder Einwohner sich bewaffne, um den Feind abzuweisen. Der Alkalde geht von Haus zu Haus, um diesen Befehl zu überbringen; Euch aber wollte ich es selbst sagen.« – Aber, Señor, ich habe ja noch nicht einmal einen Hasen geschossen!« – »Ein Mann ist leichter zu treffen, Señor.«
Dieses Argument half keineswegs, den Alten zu beruhigen.
»Aber ich bin dann doch ein Mörder!« sagte er. Da aber klärte sich sein Gesicht plötzlich auf, und er rief: »Ah, da fällt mir ein Ausweg ein!« – »Es sollte mich freuen, wenn Ihr einen fändet!« – »Wollt Ihr mir einen Gefallen tun, Señor Gerard?« – »Sehr gern, wenn ich kann.« – »Nun gut, Ihr könnt es. Es ist sehr leicht; Ihr nehmt nämlich zwei Flinten.« – »Ah! Wozu?« – »Ihr schießt einmalmit der einen für Euch und dann mit der anderen für mich. Auf diese Weise steht Ihr für zwei Mann, und ich brauche nicht zu wüten wie ein rasender Roland.« – »Solche Leute braucht man überhaupt nicht!« klang es aus der Ecke.
Gerard drehte sich um. Er hatte den Schlafenden noch nicht bemerkt Dieser war während des Gesprächs erwacht und hatte alles vernommen. Jetzt saß er aufgerichtet auf seiner Bank und kaute gleichmütig an seinen Fingernägeln. Gerard betrachtete ihn aufmerksam, trat auf ihn zu und sagte:
»Verzeiht Señor! Darf ich fragen, wer Ihr seid?« – »Ja.«
Der Gefragte sagte nur dies eine Wort. Dann spuckte er sein Priemchen, das er auch im Schlaf im Mund behalten hatte, über den Tisch hinüber, griff in die Tasche, zog einen gewaltigen Ring Kautabak hervor und biß sich ein Stück ab.
»Nun, also Euer Name?« fragte Gerard. – »Hm! Ihr habt mich gefragt ob Ihr mich fragen dürft, wer ich bin. Ich habe Euch das erlaubt aber ich habe nicht versprochen; daß ich Euch antworten werde.« – »Gut! So behaltet Euren Namen für Euch und mischt Euch nicht in unser Gespräch!« – »Aber wenn es mich nun interessiert?« – »So dürft Ihr Euch auch nicht wundern, wenn ich mich für Euch interessiere.«
Der Fremde nickte bedächtig, schob das Priemchen von einer Seite seines Mundes zur anderen und antwortete:
»Ich kalkuliere, daß Ihr nicht ganz unrecht habt, aber ich habe Gründe, meinen Namen nicht eher zu nennen, als bis ich den Eurigen weiß. Wie sagtet Ihr doch gleich? Juarez hat Euch geschickt?« – »Ja.« – »So kennt Ihr ihn? Seid bei ihm gewesen? Wißt, wo er zu finden ist?« – »Ja.« – »Ihr haltet es mit ihm und nicht mit diesen verdammten Franzosen?« – »Ja. Ihr habt es ja gehört.« – »Nun, dann seid so gut und sagt mir doch einmal, wer Ihr seid!« – »Das könnt Ihr erfahren. Man nennt mich den Schwarzen Gerard.«
Da fuhr der Fremde von der Bank empor, als ob er auf einer großen Spannfeder gesessen hätte, kniff die Augen zusammen und rief:
»Donnerwetter! Ist das wahr?« – »Ich habe keine Veranlassung, Euch zu belügen.« – »Na, dann ist alles gut. Ich kenne Euren Namen. Ich habe schon längst gewünscht, Euch einmal zu sehen. Ihr seid ein Kerl, vor dem man Respekt haben muß und mit dem man sich nicht zu schämen braucht. Hier habt Ihr meinen Vorderfuß, gebt mir den Eurigen. Wir wollen sie uns drücken!«
Er streckte Gerard seine Hand entgegen. Dieser zögerte aber, einzuschlagen.
»Ihr scheint im Bekanntschaft-Anknüpfen wählerisch zu sein«, entgegnete er. »Ich bin es auch. Ihr kennt jetzt meinen Namen. Wie ist der Eurige?« – »Ah, das hätte ich bald vergessen«, lachte der andere. »Mein eigentlicher Name ist Euch nicht bekannt; ich selbst habe ihn bereits so halb und halb vergessen. Aber da haben mir die Rothäute einen Namen gegeben, den Ihr wohl schon gehört haben werdet. Er klingt freilich nicht gar zu schön, aber ich hoffe, ihn zu Ehren gebracht zu haben. Ich will mir einmal den Spaß machen und ihn nicht nennen, sondern Euch raten lassen. Seht mich einmal an, Master Gerard.« – »Das wird nicht viel helfen, Señor«, antwortete Gerard. »Bis jetzt bemerke ich nur, daß Ihr jedenfalls ein Amerikaner seid.« – »Ein Yankee, wollt Ihr sagen? Ja, das bin ich. Ihr guckt Euch den ganzen Kerl an, und das ist falsch. Seht nur in meine Physiognomie!«
Der Hagere deutete mit den beiden Zeigefingern auf sein Gesicht. Gerard konnte nicht raten. Er schüttelte den Kopf.
»Noch immer nicht?« sagte der Fremde. »Nun, so will ich es Euch leichter und deutlicher machen. Seht Euch einmal nichts weiter an als meine Nase. Wie gefällt Sie Euch?« – »Hm, das Wachstum ist nicht übel.« – »Meint Ihr?« – »Ja.« – »Aber zu welcher Sorte von Nasen gehört sie?« – »Adlernase wäre zu wenig gesagt«, lachte Gerard. – »Richtig.« – »Geiernase vielleicht dürfte … ah, alle Wetter, ich errate!« – »Nun, heraus damit.« – »Oh, Señor, ich könnte Euch beleidigen«, meinte Gerard. – »Mich beleidigen? Dummheit! Diese verfluchten Rothäute haben mir meiner Nase wegen diesen Namen gegeben, und ich werde ihn behalten in alle Ewigkeit. Ihr braucht Euch also nicht zu genieren. Wer bin ich?« – »Wenn ich richtig rate, so seid Ihr allerdings einer der bekanntesten Fallensteller und Pfadfinder der Union, und ich werde mich herzlich freuen, Euch die Hand drücken zu dürfen, Señor.« – »Geht mir mit Eurem Señor! Sagt meinen Namen!« – »Man hat Euch ›Geierschnabel‹ genannt?« – »Na, endlich! Ja, ich bin der Kerl, der diesen Namen mit sich herumschleppt. Wollt Ihr nun noch meinen Vorderfuß zurückweisen?« – »O nein!« rief Gerard erfreut. »Hier meine Hand. So finden sich Jäger persönlich zusammen, die sich bereits dem Namen nach kannten und achteten. Ich wünsche, daß wir uns öfters zusammenfinden!«
Geierschnabel war bekannt als einer der besten, aber auch originellsten Jäger des Westens. Gerard empfand eine aufrichtige Freude, ihn hier persönlich zu treffen, und drückte ihm den Vorderfuß mit ungeheuchelter Herzlichkeit.
»Aber was führt Euch eigentlich nach Fort Guadeloupe?« – »Davon sprechen wir vielleicht später. Für jetzt mag die Bemerkung genügen, daß ich Juarez suche. Vor allen Dingen ist es notwendig, über die Gegenwart zu reden, ich bin jetzt hier im Fort und fühle daher die Verpflichtung, es mit zu verteidigen. Sind die Franzosen wirklich im Anzuge?« – »Ja.« – »Und Juarez ist hinter ihnen her?« – »Oder ihnen entgegen; wie man es nimmt.« – »Euch hat er die Verteidigung anvertraut?« – »Ja. Sein Befehl liegt schriftlich beim Alkalden.« – »Nun gut, so muß man Euch gehorchen.« Und sich an Pirnero wendend, fragte er diesen: »Ihr wollt also keinen Franzosen totschießen?« – »Nein, nein! Ich bringe dies nicht fertig!« antwortete der Gefragte. – »Aber den Mut, Gäste hinauszuwerfen, habt Ihr! Na, ich will Euch das nicht nachtragen. Bleibt ruhig auf Eurer Matratze liegen und kaut Lorbeerkränze; ich werde an Eurer Stelle eintreten.«
»Señor, ich danke Euch! Wollt Ihr das wirklich tun? An meiner Stelle kämpfen?« – »Ja.« – »Oh, dann gebe ich Euch die Erlaubnis, so viel zu spucken, wie Ihr wollt!« – »In Eurer Stube hier?« lachte Geierschnabel. – »Ja«, antwortete Pirnero. – »Auch auf das Heiratsbüro in der Dämmerung?« – »Hm! Lieber wäre es mir, wenn Ihr Euch einen anderen Ort suchtet, Señor.« – »Na, ich werde mir Mühe geben, Eure Gemäldegalerie zu schonen; nur dürft Ihr mir nicht mit unnötigen Fragen kommen, das kann ich nicht vertragen.«
Resedilla hatte bisher schweigend zugehört. Ihr war herzlich Angst vor den Franzosen, und so wollte sie die gerade jetzt eingetretene Gesprächspause benutzen, Gerard ihre Unruhe auszusprechen, als sie unterbrochen wurde.
Draußen erscholl nämlich vielfacher Hufschlag, und die niedrigen Fenster wurden fast verdunkelt von Pferden, die vor denselben halten blieben.
»Was ist das?« rief Pirnero erschrocken. »Doch nicht die Franzosen?«
Gerard trat an das Fenster, blickte hinaus und antwortete: »Nein. Der Kleidung nach sind es Mexikaner.« – »Aber so viele. Resedilla, da gibt es Arbeit!«
24. Kapitel
Die Tür wurde geöffnet, und die Gäste traten ein. Es war Sternau mit seinen Begleitern. Die Augen der Anwesenden hingen mit Bewunderung an seiner Gestalt. Auf der Insel war ihm der dichte Bart bis weit über die Brust herabgewachsen, und so trug er ihn noch jetzt. Hinter ihm kam der Graf, der ebenso die Blicke auf sich zog. Die beiden Damen waren verschleiert. Emma hatte dies so haben wollen, um Resedilla zu überraschen.
Die Eintretenden hatten ein so vornehmes Aussehen, daß sich der Wirt tief verneigte. Gerard zog sich mit Geierschnabel bis in die hinterste Ecke zurück.
»Ihr seid der Wirt?« fragte Sternau Pirnero. – »Ja, Señor.« – »Habt Ihr Raum genug für uns alle?« – »Ihr wollt hier bei mir wohnen, Señor?« fragte der Wirt erfreut. – »Ja.« – »Wie lange?« – »Das ist unbestimmt.« – »Oh, Zimmer sind genug vorhanden, Señor, auch ein großes, das als Salon benutzt werden könnte.« – »Und die Pferde?« – »Sie werden gute Stallung und Pflege haben«, versprach Pirnero. »Wenn ich nur gewiß wäre, daß die Herrschaften wirklich bleiben werden.« – »Warum sollten wir nicht?« – »O Señor, die Pflicht gebietet es mir, Euch auf eine große Gefahr aufmerksam zu machen, die Euch droht.« – »Welche ist es?« – »Die Franzosen stehen im Begriff, das Fort zu überfallen.« – »Woher wißt Ihr das?« – »Juarez hat uns jenen Señor gesandt, der das Fort verteidigen soll, bis die Apachen kommen.«
Sternau sah die beiden Männer an. Über sein Gesicht zuckte ein leises Lächeln.
»Wie heißt der Señor, den Ihr meint?« fragte er den Wirt. – »Es ist der Schwarze Gerard.«
Da schritt Sternau auf die beiden zu, grüßte leicht und sagte:
»Wenn ich mich nicht irre, sehe ich hier Leute, die sich nicht vor den Franzosen fürchten, sondern das Fort verteidigen helfen werden.« – »Woraus schließt Ihr das, Señor?« fragte Gerard. – »Ich denke, daß Geierschnabel keinem Franzosen den Rücken kehren wird.« – »Was, Ihr kennt mich, Sir?« fragte der Genannte ganz erstaunt. – »Ja.« – »Woher?« – »Aus früherer Zeit, als Ihr Eure ersten Trappergänge machtet. Ein Gesicht wie das Eure kann man nicht vergessen. Und Euer Kamerad nennt sich Gerard Mason aus Paris. Nicht?« – »Ah, auch mich kennt Ihr?« – »Ja. Lebt Eure Schwester Annette noch?«
Da sprang Gerard auf. Das war ihm zu wunderbar.
»Señor, habt Ihr uns in Paris gekannt?« fragte er. – »Ja.«
Da erbleichte der Jäger. Er war ja damals Garotteur gewesen. Sternau sah und verstand diesen Farbenwechsel, er fügte deshalb hinzu:
»Ich sah Eure Schwester bei Professor Letourbier. Sie war ein sehr gutes, braves Mädchen, und es freut mich, Euch zu sehen. Wir werden wohl noch von ihr sprechen. Jetzt aber ist es notwendig, unsere Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu lenken. Welche Anstalten sind bereits zur Verteidigung des Forts getroffen?« – »Oh, fast noch gar keine«, antwortete Gerard. – »So ist Eile dringend notwendig. Wollt Ihr etwa den Feind im freien Feld erwarten?« – »Dazu sind wir zu schwach.« – »Also hinter den Palisaden?« – »Ja.« – »Wer sind die Verteidiger?« – »Die wenigen Hausbesitzer. Ich werde aber sofort nach den Vaqueros der Umgegend senden.« – »Daran tut Ihr recht, Señor. Übrigens könnt Ihr auch auf uns rechnen.« – »Ah, Ihr wollt auch mitkämpfen?« – »Wenn es nötig wird, ja.«
Gerard wollte seiner Verwunderung Ausdruck geben, da erscholl von der Küche her ein lauter Ruf. Der Vaquero von der Hacienda del Erina hatte aus Neugierde die Küchentür geöffnet, um die Gäste zu sehen. Jetzt stand er mit weit offenen Augen dort und starrte den Häuptling der Mixtekas an.
Die Indianer haben sehr spärlichen Bartwuchs, daher kam es, daß sich der Häuptling wenig verändert hatte und von einem alten Bekannten leicht erkannt werden konnte.
»Büffelstirn!« rief der Vaquero.
Bei der Nennung dieses Namens sprangen Gerard und der Yankee auf, um zu sehen, was da geschehen werde. Der Häuptling aber warf einen forschenden Blick auf den Vaquero. Er erkannte ihn trotz der langen Zeit
»Antonio!« rief er. – »Santa Madonna! Ist es wahr? Seid Ihr es wirklich, Büffelstirn?«
Mit diesem Ausruf stürzte sich der Vaquero auf den Häuptling und ergriff dessen beide Hände.
»Ja, ich bin es«, antwortete der Gefragte ernst. – »Aber man sagte doch, Ihr wäret tot!« – »Büffelstirn lebt« – »Aber die anderen, die anderen?« – »Auch sie leben.«
Da stieß Resedilla einen Schrei aus, faßte den Arm des Häuptlings und sagte:
»Was sagt der Mann? Ihr wärt Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas?« – »Ich bin es«, antwortete er mit der unverwüstlichen Ruhe des Indianers. – »Mein Gott, so geschehen noch Zeichen und Wunder! Vater, das ist Büffelstirn, der mit Emma und den anderen verschwunden war. Häuptling, habe ich recht gehört? Ihr sagtet, daß sie leben!« – »Sie leben.« – »Alle?« – »Alle!« – »Auch Emma Arbellez und Karja, ihre Dienerin?« – »Auch sie.«
Ehe das Mädchen, das in fliegender Eile redete, eine neue Frage aussprechen konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt. Der Vaquero hatte seine Augen auf der Gestalt Sternaus ruhen lassen. Irrte er sich oder nicht? Das war ja der deutsche Arzt, der auf der Hazienda so Großes geleistet hatte!
»Señor Sternau, oh, Señor Sternau!«
Mit diesem Ruf sprang der brave Mann auf den Genannten zu. Dieser streckte ihm die Hand entgegen und sagte:
»Du erkennst mich wirklich, Antonio?« – »Oh, wer soll Euch nicht erkennen, Euch, den Retter und Wohltäter der ganzen Hacienda del Erina!«
Da aber stand auch Resedilla bereits bei ihm und fragte:
»Ist‘s wahr? Sie sind Señor Sternau?«
Ihr vor Aufregung gerötetes Gesicht richtete sich mit dem Ausdruck der Verklärung zu ihm empor. Er nickte mit mildem Lächeln und antwortete:
»Ja, ich bin es, Señorita.« – »Donnerwetter, Sternau, der Fürst des Felsens!« klang es da vom Tisch hervor. »Darum hat er mich erkannt!«
Diese Worte sprach Geierschnabel, und dann spuckte er einen langen Strahl von Tabakssaft über Tische und Bänke hinweg.
»Sternau! Doktor Sternau!« rief auch Gerard, sprang dann herbei und fragte: »Monsieur, sind Sie wirklich Doktor Sternau, oder ist‘s ein Irrtum?« – »Sie hören, daß ich es bin.« – »Oh, ich danke Ihnen das Leben meiner Schwester und noch vieles mehr. Ich kann Ihnen dankbar sein. Ich kann Ihnen vieles, vieles erzählen.« – »Wovon?« – »Von Rodriganda, vom Grafen Alfonzo, von Rosa, Ihrer Frau Gemahlin und noch weiteres!« – »Gut; Sie werden mir das später erzählen. Jetzt hält mich die Señorita fest, ich muß ihr antworten.«
Resedilla hatte seine Hand ergriffen und nicht wieder losgelassen.
»Señor«, sagte sie, »da Sie wieder erscheinen, so glaube ich auch, daß die anderen noch leben. Aber wo? Sagen Sie mir es um Gottes willen recht schnell!«
Da zeigte er mit der Hand im Kreis herum und antwortete:
»Liebes Kind, hier sind sie alle, alle. Es fehlt keine einzige Person.«
Emma nahm den Schleier in die Höhe. Sie war voller und üppiger geworden und nicht sehr gealtert. Resedilla erkannte sie auf der Stelle.
»Emma, meine Emma!« – »Meine Resedilla!«
Laut aufschluchzend fielen die Frauen einander in die Arme. Es herrschte Kirchenstille im Zimmer. Niemand hätte ein Wort gefunden, um die Heiligkeit dieses Augenblicks zu entweihen. Sie hielten sich minutenlang umschlungen, bis endlich Emma halblaut fragte:
»O sage, lebt mein Vater noch?« – »Er lebt noch«, antwortete Resedilla.
Da ließ Emma die Arme von ihrer Freundin, sank langsam zur Erde nieder, erhob wie betend die Hände und sagte unter strömenden Tränen:
»Oh, du lieber Gott, wie danke ich dir, wie danke ich dir!«
Kein einziges Auge blieb trocken. Alle schluchzten, selbst Geierschnabel weinte wie ein Kind, obgleich die Personen ihm so fernstanden. Niemand hätte diesem Yankee ein solches Gefühl zugetraut.
»Wir haben eben vorhin einen Brief vom Onkel erhalten«, bemerkte endlich Resedilla. »Du sollst ihn nachher lesen, liebe Emma.«
Dabei bog sie sich zu der Cousine nieder und hob sie von der Erde auf.
»Willst du nicht auch meinen Vater begrüßen?« fragte sie.
Nun blickten sich alle nach Pirnero um. Er war verschwunden, wenigstens zur Hälfte. Im Zimmer befand sich nur der untere Teil seines Körpers nebst den Beinen; der obere Teil hing auf die Gasse hinaus. Er hatte vor Rührung nicht gewußt wohin, er hatte weinen müssen und es doch nicht sehen lassen wollen. Darum war er an sein geliebtes Fensters getreten und hatte Kopf und Schultern hinausgesteckt, damit man sein Schluchzen nicht höre.
Als ihn die Tochter jetzt mit Gewalt hereinzog, weinte er laut wie ein Kind, legte die Arme um Emma und sagte:
»Laßt mich hinaus, ihr Leute, sonst ersticke ich vor Freude!«
Darauf drückte er die Wiedergefundene an sich und eilte zur Tür hinaus.
»Aber Emma, stelle mir auch die anderen Señores vor«, bat seine Tochter.
Jetzt trocknete die Angeredete ihre Tränen und fragte:
»Welchen willst du zuerst sehen, Resedilla?« – »Señor Helmers, deinen Bräutigam.«
Emma lächelte noch unter Tränen schelmisch und entgegnete:
»Suche ihn! Ich will einmal sehen, ob du ihn findest!«
Resedilla blickte die Herren forschend an, deutete auf Mariano und sagte:
»Dieser ist es.« – falsch geraten! Dieser Señor ist – oh, ich will doch diesen Namen nennen – der Herr Leutnant von Lautreville.« – »Von Lautreville? Mariano?« fragte da eine Stimme vom hinteren Tisch her.
Geierschnabel war der Sprecher.
»Ja«, antwortete Mariano. »Kennen Sie meinen Namen?«
Nun kam der Yankee eilig herbei und antwortete:
»Gut, sehr gut kenne ich ihn.« – »Woher?« – »Eine Dame, eine Engländerin hat ihn mir genannt.« – »Eine Engländerin?« fragte Mariano rasch. »Wie heißt sie?« – »Amy Lindsay.«
Da faßte Mariano den Sprecher beim Arm, als ob er ihm denselben zerdrücken wolle, und rief, fast zitternd vor Aufregung:
»Nennen Sie diesen Namen noch einmal! Sofort! Schnell, schnell!« – »Amy Lindsay.« – »Das heißt, so war ihr Name früher.« – »Ich verstehe Sie nicht«, meinte der Yankee. – »Jetzt heißt sie anders?« – »Warum sollte sie anders heißen?« – »Weil eine Dame bei ihrer Verheiratung den Namen zu wechseln pflegt.« – »Sie ist ja unverheiratet!« – »Mensch, Mensch, was sagen Sie! Ist das wahr?« – »Ja.« – »Und Sie kennen sie?« – »Sie und ihren Vater, den Lord.«
Es hatte sich eine ungeheure Aufregung Marianos bemächtigt. Er hielt den Yankee noch immer fest, und seine Fragen überstürzten sich förmlich.
»Wo haben Sie die beiden gesehen? In England?« – »Nein, sondern hier in Amerika.« – »Ah! Wo da?« – »Drunten an der See, in El Refugio.« – »Das wäre ja am Ausfluß des Rio Grande del Norte.« – »Ja.« – »Wann?« – »Noch vor wenigen Tagen.« – »Mein Gott, sie sind hier in Mexiko! Was taten sie in El Refugio?« – »Das ist eigentlich ein Geheimnis; aber wie die Sachen hier stehen, so kann oder vielmehr, so muß ich davon sprechen.« – »Sprechen Sie getrost, Sir, es wird Ihnen keinen Schaden bringen.« – »Ich wurde dem Lord als Führer empfohlen«, erklärte Geierschnabel. »Er ist als englischer Bevollmächtigter in Mexiko erschienen. Er hatte große Vorräte von Waffen und Munition gelandet, ohne daß die Franzosen es bemerkt haben. Er bringt auch viel Geld mit sich. Das alles soll den Rio Grande del Norte heraufgeschifft werden …« – »Für wen?« unterbrach ihn Sternau. – »Für Juarez«, antwortete der Amerikaner. »Ich bin vorausgeschickt worden, um dem Präsidenten die Ankunft dieser Sachen zu melden und dabei zu fragen, an welchem Ort er sie abzuholen wünscht« – »Ah, und der Lord ist selbst mit dabei?« fragte Mariano. – »Ja; er leitet alles selbst« – »Aber seine Tochter?« – »Ist bei ihm.« – »Unmöglich! Eine Dame in den Wildnissen des Rio Grande!« – »Sie verläßt ihren Vater nicht« – »Oh, die Traute! Ich muß zu ihnen, bald, bald! Wann werden sie ankommen?« – »Das läßt sich jetzt nicht genau sagen. Ich muß erst zu Juarez und dann zurück. Nach dessen Willen wird sich der Lord richten.« – »Ich danke Ihnen für diese Nachricht! Sie haben mir mehr als Millionen geschenkt, und ich werde jede Gelegenheit ergreifen, Urnen erkenntlich zu sein.« – »Also dieser war es nicht!« flüsterte Resedilla der Cousine zu. »Welcher denn?«
Emma deutete auf Anton Helmers und antwortete:
»Dieser hier. Und der andere ist sein Bruder.«
Da ging Resedilla auf die beiden zu und reichte ihnen die Hände.
»Und dieser Señor?« fragte sie, auf Don Ferdinando deutend. – »Oh, das mußt du raten!« – »Ich kann es nicht!« – »Ja, ich glaube das selbst; es ist ja unmöglich. Kennst du denn alles, was damals auf der Hacienda del Erina geschehen ist?« – »Alles.« – »Hast du auch gehört, daß Don Ferdinando de Rodriganda gestorben ist?« – »Ja.« – »Nun, hier steht Don Ferdinando. Er lebt«
Das Erstaunen Resedillas ist gar nicht zu beschrieben. Der alte Graf aber nickte ihr lächelnd zu und streichelte ihr liebkosend über das schöne, volle Haar.
»Ich werde dir das alles noch erzählen«, sagte Emma zu ihr. »Und dieser letzte Herr ist Señor Mendosa, der mit Don Ferdinando gefangen war.« – »Aber es fehlt ja noch einer, liebe Emma!« – »Wer?« – »Bärenherz. Ist er tot?« – »Nein, er lebt auch; aber er hat sich gestern einstweilen von uns getrennt, um der Fährte der Apachen zu folgen, die sein Bruder kommandiert«
Als ob diese Worte geeignet gewesen wären, den Besprochenen herbeizuführen, wurde jetzt die Tür geöffnet, und Bärenherz trat ein. Niemand hatte den Tritt seines Pferdes vernommen. Er begriff die Szene nach einem einzigen Blick und trat auf Sternau zu.
»Was wird mein weißer Bruder tun?« fragte er. »Wird er am Kampf dieses Landes mit teilnehmen?« – »Ich bin dein Freund«, entgegnete Sternau. »Dein Feind ist mein Feind.« – »So mag mein weißer Bruder die Waffen ergreifen, denn die Franzosen kommen bald.« – »Hast du Bärenauge gesehen?« – »Nein. Ich habe keinen Sohn der Apachen gesehen.« – »Warum?« – »Ich bin ihren Spuren nach, gestern abend und heute morgen, als der Tag zu grauen begann. Da traf ich ihre Fährte mit derjenigen der Franzosen zusammen, die nach Osten gezogen waren. Die eine Fährte war nur den vierten Teil eines Tages alt, und die andere war um eine Stunde jünger. Die Söhne der Apachen sind also hart hinter den Franzosen. Aber der Feind ist nicht gerade auf das Fort zugeritten, sondern hat sich nach den Bergen des Puercos gewandt.« – »Ah, wie klug. Weil eine Kompanie vernichtet wurde, haben sie einen anderen Weg eingeschlagen, um von der entgegengesetzten Seite an das Fort zu kommen. Mein roter Bruder hat dann ihre Spur nicht weiter verfolgt?« – »Nein. Ich mußte schnell nach dem Fort reiten, um zu melden, daß sie kommen.« – »Waren es lauter Reiter?« – »Ja.« – »Hatten sie Kanonen mit?« – »Sie hatten keine Schießwagen bei sich.« – »So wollen wir sehen, was sich tun läßt. Wann werden sie das Fort erreichen?« – »Es wird mehr als eine Stunde vergehen.«
Da winkte Sternau Gerard herbei.
»Ich habe mich Ihnen zur Verfügung gestellt«, sprach er zu ihm. »Jetzt werde ich Ihnen sagen, welche Señores mit Ihnen kämpfen werden. Büffelstirn, den Häuptling der Mixtekas, haben Sie schon nennen hören?« – »Ja.« – »Nun, dieser Indianer ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen, und der nächste Herr ist Donnerpfeil, von dem Sie wohl auch gehört haben. Auch die anderen Señores beteiligen sich am Kampf. Nur Don Ferdinando werde ich ersuchen, zum Schutz der Damen zurückzubleiben.«
Trotz seines hohen Alters wollte der Graf nicht darauf eingehen, aber endlich mußte er sich den allgemeinen Bitten fügen.
»Wer aber soll kommandieren?« fragte Gerard Sternau. – »Natürlich Sie«, antwortete dieser. »Juarez hat Sie dazu bestimmt.« – »O nein, Monsieur«, entgegnete Gerard. »Tun Sie mir dies nicht an!« – »Warum sollte ich nicht?« – »Was bin ich, wenn der Fürst des Felsens da ist, und Büffelstirn, Bärenherz und Donnerpfeil! Ich bitte Sie, die Führung zu übernehmen!« – »Dann hätte ich auch die Verantwortung.« – »Ich bin überzeugt, daß Sie diese nicht scheuen werden.« – »Nun, wir wollen die kostbare Zeit nicht auf diesen Streit verwenden. Ich will Ihren Wunsch erfüllen, muß aber vorher das Fort besichtigen.« – »Ich werde Sie führen.«
Die beiden Männer begaben sich hinweg, um die Verteidigungsmittel in Augenschein zu nehmen. Das Fort war klein und stand am Ufer des Flusses auf einer schmalen, steil abfallenden, felsigen Anhöhe, zu der nur der gewöhnliche Reitweg emporführte. Es besaß nur einen Palisadengürtel, war aber seiner Lage wegen leicht zu verteidigen, sobald es nicht mit Kanonen oder einer gar zu großen Übermacht angegriffen ward.
Versammelt hatten sich kaum zwanzig bewaffnete Männer, doch war dies genug, diese dreihundert Franzosen für einige Zeit im Zaum zu halten.
Während Sternau mit Gerard sich wegbegeben hatte, war auch Bärenherz aus dem Schenkzimmer gegangen. Er fand sehr bald den, den er suchte, nämlich Pirnero, der sich in den Laden zurückbegeben hatte, um in der Stille seine Rührung zu bemeistern.
»Der weiße Mann hat viele Sachen hier«, sagte der Apache zu ihm. – »Ich habe alles, was gebraucht wird«, antwortete Pirnero. – »Und alles kann man kaufen?« – »Ja.« – »Welches Geld nimmt der weiße Mann am liebsten?« – »Alles, was hier gilt.« – »Hat mein Bruder auch Farben?« – »Ja, von allen Sorten.« – »Hat er Raben– und auch Adlerfedern?« – »Sie sind da.« – »Hat er Anzüge für die roten Männer?« – »Ich habe schöne, indianische Anzüge, gefertigt von fleißigen Squaws.« – »Hat er auch einen Mantel, aus Fellen gemacht?« – »Nein; aber ich habe das Fell eines grauen Bären hier.« – »Hat mein Bruder auch Feuerwerk zu verkaufen?« – »Ich habe Frösche, Schwärmer und Kanonenschläge.« – »So mag er mir erlauben, auszusuchen, was ich brauche; ich werde sogleich bezahlen.«
Bärenherz schloß sehr sorgfältig die Tür von innen zu und begann dann, sich verschiedenes auszuwählen, was er auch sofort bezahlte.
Indessen hatte sich die Aufregung des Wiedersehens einigermaßen gelegt. Emma stand in der Küche bei dem Vaquero, der ihr nicht genug von dem Vater und der Hazienda erzählen konnte. Resedilla brachte den Brief.
»So fest also hat er an meinen Tod geglaubt!« seufzte sie.
Die Tränen begannen ihr von neuem aus den Augen zu brechen. Um sie zu zerstreuen, meinte Resedilla:
»Und ihr alle bleibt heute bei uns?« – »Ja.« – »So muß ich für Trank und Speise sorgen. Willst du mir ein wenig helfen?« – »Gern.« – »Ich danke dir! Aber vorher will ich dir die Zimmer zeigen, ob sie euch genügen.«
Auf diese Weise lenkte sie die Gedanken Emmas auf weniger ergreifende Gegenstände, die deren Gemüt beruhigten.
25. Kapitel
Nachdem Sternau das Fort besichtigt hatte, wollte er zurückkehren; aber Gerard hielt ihn noch draußen fest.
»Warten Sie noch einige Augenblicke«, bat er, »bis ich Ihnen eine sehr wichtige Mitteilung gemacht habe! So viel Zeit erübrigen wir noch.« – »So sprechen Sie.« – »Der alte Herr ist Graf Ferdinando de Rodriganda?« – »Ja.« – »Der junge Herr, den man Mariano nennt, ist der eigentliche Erbfolger des Grafen de Rodriganda?« – »Wir vermuten es. Woher aber wissen Sie von dieser Vermutung?« – »Davon später. Jetzt will ich Ihnen nur sagen, daß ich in Rheinswalden war.« – »Ah! Das wäre ein sehr sonderbarer Zufall!« – »Oh, es war leider kein Zufall, Monsieur!« – »Was sonst?« – »Ist es Ihnen bekannt, wovon ich mich in Paris nährte?« – »Ja.« – »Daß ich garottierte?« – »Ja.« – »Ich entschuldige mich nicht, sondern ich verdamme mich selbst, Monsieur. Einst garottierte ich den Grafen Alfonzo …« – »Alfonzo de Rodriganda?« fiel Sternau schnell ein. – »Ja.« – »In Paris?« – »Ja. Er befand sich unter falschem Namen da. Ich nahm ihm sein Geld und sein Notizbuch. In dem letzteren waren alle seine Streiche notiert.« – »Unmöglich! Das wäre ja die wahnsinnigste Unvorsichtigkeit von ihm!« – »Wissen Sie nicht, Monsieur, daß der klügste Verbrecher stets da am dümmsten handelt, wo man ihn erfassen wird?« – »Das ist allerdings wahr!« – »Nun gut. Später geschah es, daß er mich kennenlernte.« – »Ohne zu wissen, daß Sie ihn garottiert hatten?« – »Ja. Er bemerkte, daß ich bereit sei, Geld zu verdienen, und machte mir nun einen Vorschlag, der Ihre Frau Gemahlin betrifft.« – »Mein Gott! Jedenfalls eine Niederträchtigkeit!« – »Allerdings, sogar noch mehr als das!« – »Was war es?« – »Ich sollte mit nach Rheinswalden gehen und dort Ihre Frau ermorden!«
Sternau erbleichte.
»Was taten Sie?« fragte er, vor Angst stockend. – »Ich ging auf diesen Vorschlag ein.« – »Um des Himmels willen!« – »Nur scheinbar.« – »Dem Himmel sei Dank!« – »Wäre ich nicht scheinbar auf seine Intentionen eingegangen, so hätte er sich einen anderen engagiert, und Gräfin Rosa wäre verloren gewesen.« – »Das ist wahr. Sie reisten also mit ihm nach Deutschland?« – »Ja, und zwar als sein Diener.« – »Was taten Sie dort?« – »Ich ging zu Ihrer Frau Gemahlin. Ihre Mutter und Ihre Schwester befanden sich bei ihr. Ich erzählte ihnen alles; ich erzählte ihnen auch, weshalb ich den Mord nicht ausführen wollte, sondern sie im Gegenteil warnte.« – »Welcher Grund war dies?« – »Weil Sie meine Schwester gerettet haben.« – »Ah, so bringt eine gute Tat stets von selbst ihre Früchte!« – »Von den Damen weg ging ich durch den Wald. Dort traf ich einen Waldhüter.« – »Gewiß Tombi?« – »Ja. Ich gab ihm jene Notizen, die ich Alfonzo abgenommen hatte.« – »Wie unvorsichtig!« – »Er sollte sie mir übersetzen. Er aber las sie durch und gab sie mir nicht wieder.« – »Warum gaben Sie das zu?« – »Er ist der Sohn von Zarba.« – »Ah! Kennen Sie Zarba, die Zigeunerin?« – »Ja. Sie war meine Gebieterin.« – »Ihre Gebieterin? Inwiefern? Sie setzen mich in Erstaunen.« – »Es besteht eine geheime Gesellschaft, deren Zweck ich nicht verraten darf.« – »Es bindet Sie ein Schwur?« – »Ja. Zarba ist das Oberhaupt dieser Gesellschaft, und ihr muß jeder unbedingt gehorchen, sie mag von ihm verlangen, was sie will.« – »Selbst ein Verbrechen?« – »Selbst das schwerste Verbrechen. Als Tombi, Zarbas Sohn, mir die Notizen nicht gab, konnte ich nichts machen; ich war ihm gegenüber machtlos.« – »Warum tat Zarba ihren Sohn als Waldhüter nach Rheinswalden?« – »Ich weiß es nicht; aber irgendeinen Zweck verfolgt sie damit. Das ist sicher.« – »Hat Tombi diese Notizen noch?« – »Ich vermute, daß er sie Zarba gegeben hat.« – »Gut. Sie wird sie herausgeben müssen. Was geschah weiter?« – »Nachdem ich die Absicht Alfonzos verraten hatte, wurde er polizeilich verfolgt; aber er entkam nach Spanien. Mir ging es in Paris dann nicht gut. Ich bereute mein Leben und fuhr nach Amerika. Ich wurde Jäger.« – »Ah! Vielleicht zur Sühne?« – »Ja. Ich machte es mir zur Aufgabe, die Savanne von ihren Bösewichtern zu befreien. Dadurch wurde ich berühmt. Aber die Reue nagte fort.« – »Gerard, Gott zürnt nicht ewig!« – »Aber die Menschen!« – »Was haben Sie mit den Menschen zu schaffen?« – »Oh, sehr viel! Ich lernte hier ein Mädchen kennen, einen Engel an Reinheit und Güte. Es liebte mich wieder, ich aber war ehrlich und gestand ihm, daß ich Garotteur gewesen sei, also ein geschäftsmäßiger Mörder.« – »Ich will hier nicht urteilen; aber war dieses Geständnis notwendig?« – »Ja. Mein Gewissen trieb mich dazu. Sie entsagte. Aber ich sehe, daß sie vergebens mit ihrer Liebe kämpft. Sie wird dem einstigen Garotteur doch noch die Hand reichen und daran innerlich zugrunde gehen.«
Sternau bewunderte diesen einstigen Verbrecher, der jetzt ein so feines, moralisches Zartgefühl zeigte, doch sagte er nichts dazu.
»Aber sie soll nicht zugrunde gehen!« fuhr Gerard fort. »Ich bin Jäger; tausend Gefahren umdrohen mein Leben. Wie leicht, wie bald kann ich tot sein; dann ist sie frei. Wollen Sie mir dann eine Gnade erweisen, für die ich noch jenseits für Sie beten werde, Monsieur Sternau?« – »Sehr gern, wenn ich kann.« – »Wenn Sie hören, daß ich tot bin, so sagen Sie ihr, daß sie mein letzter Gedanke gewesen ist, und daß ich am Tag des Gerichts Vergebung zu finden hoffe, weil die Liebe zu ihr, der Reinen, mich auch rein gemacht hat!«
Es wurde Sternau bei dieser Bitte ganz eigentümlich zumute.
»Sie denken an den Tod? Ah pah!« sagte er. »Übrigens bezweifle ich sehr, daß ich zugegen sein werde, wenn Sie sterben.« – »Ich habe ja auch nur von diesem Fall gesprochen, Monsieur!« – »Dann müßte ich doch wissen, wer diese Dame ist.« – »Sie erraten es nicht?« – »Nein.« – »Resedilla Pirnero ist es.« – »Ah! Ich begreife, daß Sie dieses Mädchen lieben. Und Sie vermuten wirklich, daß Ihre Liebe erwidert wird?« – »Ich vermute es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon.« – »So würde ich an Ihrer Stelle die Liebe walten lassen. Pflanzte Gott diese in das Herz jenes Mädchens, so ist dies ein Zeichen, daß er Ihnen vergeben hat.« – »So habe ich mir auch gesagt; aber ich bin seit einigen Minuten anderer Ansicht geworden.« – »Wieso?« – »Resedilla ist die Freundin von Emma Arbellez, die Bekannte von dem Grafen und anderen hochehrbaren Personen; sie soll nicht zu mir heruntersteigen.« – »Sie haben unrecht. Dieses Zartgefühl täuscht Sie. Fühlen Sie sich jetzt ein wenig eingeschüchtert, so werden Sie dies sehr bald überwinden.« – »Ich bezweifle es. Also, Herr Doktor, wollen Sie mir jene Gnade erweisen?« – »Aber Sie werden ja nicht sterben!« – »Wer weiß dies? Gehen wir nicht jetzt einem Kampf entgegen?« – »Nun gut. Ich will Ihnen das Versprechen geben!« – »Ich danke! Und noch eins. Sollte ich heute fallen, so kommen Sie vielleicht nach Chihuahua. Dort gibt es eine Dame, die Señorita Emilia genannt wird. Sie werden von ihr hören. Sagen Sie ihr, daß ich gestorben bin. Ich bäte sie vom Jenseits herüber, das Leben ernst zu nehmen.« – »Ist sie eine frühere Geliebte von Ihnen?« – »Nein. Aber sie liebt mich so, wie vielleicht noch kein Weib geliebt hat.« – »Ich werde auch dies ausrichten.« – »So können wir jetzt zurückkehren.«
Sie traten den Rückweg an.
Resedilla hatte unterdessen mit Emmas Hilfe die Zimmer in Bereitschaft gesetzt. Sie stieg eben noch mit einem Wasserbecken die Treppe empor, als die beiden Männer unten eintraten. Sie bemerkte sie nicht; Gerard aber stieg ihr nach, um sie oben zu treffen und zu sprechen.
Der Zwiespalt zwischen seiner Vergangenheit und Gegenwart hatte ihm in letzter Zeit tief in die Seele geschnitten. Er fühlte sich verwundet und hatte keine Hoffnung mehr, von den inneren Kämpfen und Vorwürfen erlöst zu werden. Das sollte heute einen Abschluß finden.
Als er bemerkte, daß die Geliebte sich in einem Zimmer ganz allein befand, folge er ihr dorthin nach. Sie ordnete eben einen Blumenstrauß.
»Ah, Señor, habt Ihr Euch nicht auch gefreut?« rief sie ihm entgegen. – »Worüber, Señorita?« fragte er. – »Über das Glück, meine Cousine wiederzuhaben.« – »Ich bin entzückt davon.« – »Und denkt! Eben heute schrieb mir ihr Vater einen Brief, in dem er meldete, daß ich seine Hazienda erben sollte. Ich sollte ihn besuchen.« – »In dieser gefährlichen Zeit?« – »Ich hatte auf Euren Schutz gerechnet.« – »Oh, wie gern hätte ich Euch denselben gewidmet, Señorita!« – »Ich weiß das, mein guter Señor Gerard. Ich bin Euch auch recht herzlich gut dafür.«
Resedilla blickte ihm dabei so offen und freundlich in die Augen, daß er sich zu schwach diesem Blick gegenüber fühlte und seine Augen niederschlug.
»Sagt das nicht, Señorita!« entgegnete er. – »Warum nicht?« – »Das darf nicht sein. Ihr dürft mir nicht freundlich gesinnt bleiben.« – »So sagt mir den Grund!« – »Den habe ich erst heute so richtig und deutlich empfunden. Als sie vorhin unten standen, die Grafen und Señores, und aller Augen so freundlich auf Euch leuchteten, stand ich von fern und fühlte, daß ich immer und ewig so fern stehen müsse. Ihr seid so hoch, und ich bin so tief und niedrig. Euer Kommen zu mir würde ein Fall sein, nichts als ein Fall.«
Da wurde sie plötzlich blaß; er sah, daß sie erschrak.
»Mein Gott, wer hat Euch das gesagt? Wer hat Euch auf diese Gedanken gebracht?«
Während sie diese Frage aussprach, trat sie einige Schritte zurück, als wolle sie sich ihn erst einmal genauer ansehen.
»Sie sind ganz von selbst gekommen, diese Gedanken«, antwortete er. – »Gebt ihnen nicht Raum, Señor! Wißt Ihr denn nicht mehr, was Ihr gebeichtet habt, und habe ich Euch nicht alles vergeben?« – »Ich weiß es noch. Ihr wäret so mild und gut. Darum denke ich, Ihr werdet auch heute so sein und mir eine große Bitte erfüllen.« – »Ich erfülle sie; sagt nur, welche!« – »So schließt einmal Eure Augen, Señorita!« – »Ah«, lächelte sie, »Ihr wollt es machen, wie Kinder es tun? Ihr wollt mich überraschen?« – »Ja; aber ich denke, daß Euch diese Überraschung nicht gefallen wird.« – »Nun, wir wollen es versuchen. Also seht her! Die Augen sind zu.«
Resedilla schloß wirklich die Augen. Da trat Gerard schnell näher, legte die Arme um sie und drückte sie an sich, und ehe sie noch Zeit fand, die Augen zu öffnen, fühlte sie seine Lippen auf den ihrigen, einmal, zwei-, drei-, viermal; dann flüsterte er ihr ins Ohr:
»Ich danke dir, du liebe, liebe, liebe Resedilla! Vergiß mich nicht ganz, wenn du einmal so recht glücklich bist!«
Sie fühlte darauf, daß seine Arme sich von ihr lösten, und als sie die Augen öffnete, stand sie wieder ganz allein in dem Zimmer.
Gerard aber eilte die Treppe hinab und nach der Gaststube, in der er sein Gewehr liegen hatte. Als er dieses ergriff und schnell wieder fort wollte, fragte Geierschnabel:
»Was ist‘s? Kommen sie schon?« – »Ich weiß es nicht; aber es ist besser, wachsam zu sein. Ich werde hinausgehen, um aufzupassen.« – »So gehe ich mit.«
Auch der Yankee griff nach seiner Büchse, und beide gingen, um draußen, wo man die Gegend besser überblicken konnte, Wache zu halten. Dies aber war nicht nötig, denn in ebendemselben Augenblick erhob sich draußen ein lautes Rufen.
»Sie kommen, sie kommen!« ertönte es.
Sofort ergriffen alle die Waffen und eilten davon.
26. Kapitel
Graf Ferdinando war nach dem oberen Stockwerk gegangen, um das ihm angewiesene Zimmer zu besichtigen. Er hörte die Rufe und trat aus seiner Stube heraus, um wieder nach unten zu eilen. Da öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und im Rahmen derselben erschien ein junges Mädchen, von der Schönheit und dem Glanz der Jugend umflossen. Es war Pepi.
Der Graf blieb bei ihrem Anblick wie versteinert stehen.
»Amilla!« entfuhr es unwillkürlich, aber laut und deutlich seinen Lippen, indem er die Arme erhob, als ob er das Mädchen umfassen wolle.
Sie trat überrascht zurück, aber ohne die Tür zu schließen. Diese Bewegung weckte ihn aus seiner Täuschung, er trat auf sie zu und sagte:
»Verzeihung, Señorita! Gehören Sie zur Familie des Wirtes?« – »Nein«, entgegnete sie, kein Auge von seiner ehrwürdigen Gestalt abwendend. – »So sind Sie fremd wie ich?« – »Ja.« – »Würden Sie die Güte haben, mir Ihren Namen zu nennen?« – »Ich heiße Pepita; man pflegt mich aber Pepi zu rufen.« – »Ich meine Ihren Familiennamen.« – »Ich habe keinen.« – »Ah, das ist doch nicht möglich.« – »Ich habe keine Eltern; ich wurde mit meiner Schwester im Kloster erzogen.« – »Sie haben eine Schwester?« – »Ja.« – »Wie alt ist sie?« – »Sie zählt siebzehn, ich achtzehn Jahre.« – »In welchem Kloster wurden Sie erzogen?« – »Im Kloster della Barbara zu Santa Jaga.«
Graf Ferdinando wollte weiter fragen; da aber kamen zwei Herren den Korridor entlang. Es waren Berthold und Willmann, die beiden Wiener Doktoren.
»Was ist los? Warum schießt man?« fragte Berthold. – »Franzosen kommen, um das Fort zu überfallen«, antwortete der Graf. – »Das ist ja im höchsten Grade überraschend. Komm, Willmann, da ist unsere Hilfe nötig!«
Sie eilten miteinander die Treppe hinab. Pepi war über Don Ferdinandos Worte so erschrocken, daß sie in ihr Zimmer zurücktrat und die Tür schloß.
»Pepita heißt sie!« murmelte der Graf. »Eine Schwester hat sie, und beide wurden im Kloster erzogen, in jenem Kloster della Barbara!«
Er ging wie träumend weiter in das Erdgeschoß hinab.
Als die beiden Ärzte das Palisadentor erreichten, sahen sie die Verteidiger dort versammelt. Sternaus Gestalt überragte alle in der Weise, daß der erste Blick auf ihn fallen mußte. Berthold blieb stehen und faßte seinen Kollegen am Arm.
»Willmann, kennst du den Mexikaner dort?« – »Den?« antwortete der Gefragte. »Ah! Wäre dieser gewaltige Bart nicht, so hielte ich ihn auf der Stelle für …«
Er hielt inne; der Gedanke war ihm zu abenteuerlich.
»Nun, für wen?« drängte Berthold. – »Für jenen Doktor Sternau, der im Salon deiner Eltern solches Aufsehen erregte, damals, als wir noch Knaben waren.« – »Du hast recht. Er sieht ihm außerordentlich ähnlich, daß ich sofort zu ihm gehen werde. Es wäre doch hochinteressant, wenn … komm!«
Sie traten beide vor Sternau hin. Berthold grüßte und fragte deutsch:
»Verzeihung, mein Herr! Sind Sie vielleicht ein Deutscher?« – »Ja«, antwortete der Gefragte, indem er den Gruß erwiderte. – »Sie haben eine geradezu frappante Ähnlichkeit mit einem Herrn, der vor längerer Zeit sehr viel bei meinem Vater war.« – »Wer war Ihr Herr Vater?« – »Professor Berthold in Wien.«
Da machte Sternau eine Bewegung der Überraschung und sagte:
»Professor Berthold? Freilich ja; er war mein Freund und Gönner.« – »So täusche ich mich nicht! Sie sind Herr Doktor Sternau?« – »Allerdings.« – »Welch ein Abenteuer! Welch ein Wiedersehen. Wer konnte das denken?« – »So sind Sie wohl der kleine Johannes, der bereits so gut Latein verstand?« – »Ja. Ich wurde Arzt und schloß mich mit meinem Freund, Doktor Willmann hier, der mexikanischen Expedition an, um eine wissenschaftliche Bereicherung zu finden. Wir kamen mit nach Chihuahua und zogen mit gegen das Fort. Die Kompanie wurde aufgerieben, uns aber verschonte man.« – »Das ist interessant, höchst interessant. Wir werden später davon sprechen. Jetzt müssen wir unsere Aufmerksamkeit anderweitig konzentrieren.« – »Man sagt, daß die Franzosen von neuem anrücken!« – »Ja. Blicken Sie da nach Osten hinüber! Sie defilieren da eben zwischen den Bergen hervor, wie man ganz deutlich sehen kann.« – »Wird das Fort verteidigt werden?« – »Das versteht sich! Ich selbst werde die Verteidigung leiten.« – »Aber wo sind Ihre Truppen?« fragte Willmann nicht wenig erstaunt darüber, daß ein deutscher Arzt die Verteidigung eines mexikanischen Forts zu kommandieren hatte. – »Hier!« antwortete Sternau, auf die anwesenden Männer deutend. – »Ah! Wie stark sind die Franzosen?« – »Dreihundert Mann.« – »Und da wollen Sie mit diesem Häuflein Widerstand leisten?« – »Gewiß!« – »Herr Doktor, Sie werden geradezu erdrückt werden!« – »Das werden wir abwarten. Übrigens bitte ich Sie, mit Ihrer ärztlichen Hilfe bei der Hand zu sein.«
Jetzt sandte Sternau einige Eingeborene zu Pirnero, um genügenden Vorrat von Munition herbeizuschaffen, und verteilte die Leute hinter den Palisaden, die sich hart am Rand des Felsens hinzogen. Vom Wasser aus schien man keinen Angriff befürchten zu müssen, da der Feind von der Landseite nahte.
Die Franzosen waren zu Pferde; selbst ihre Fußtruppen waren beritten gemacht. Sie kamen im Galopp herbei und hielten dann in der Nähe des Forts. Ungefähr fünfzig Mann aber trennten sich augenblicklich ab und setzten den Weg im Trab fort, auf das offenstehende Palisadentor zu.
Sie schienen zu glauben, das kleine Fort im Ritt überrumpeln zu können. Sie waren aber kaum noch zwanzig Schritt vom Tor entfernt, da trat ihnen Sternau entgegen, ganz allein, ohne alle Begleitung.
Ein Kapitän führte die Abteilung an. Er parierte unwillkürlich sein Pferd, als er die hohe, stolze Gestalt in reicher, mexikanischer Tracht erblickte.
»Was wünschen Sie hier, Messieurs?« fragte Sternau höflich, aber ernst. – »Wir wünschen in das Fort zu gehen«, antwortete der Kapitän. – »In welcher Absicht?« – »Ah, wollen Sie uns vielleicht examinieren?« – »Ein wenig. Kommen Sie in friedlicher Absicht?« – »Natürlich!« – »So dürfen Sie eintreten. Ich bitte aber, vorher Ihre Waffen abzugeben.« – »Tausend Donner, wer sind Sie denn, daß Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?« – »Ich bin der Kommandant des Forts.«
Der Kapitän salutierte höhnisch lächelnd und entgegnete:
»Sehr viel Ehre, Herr Kamerad. Über wieviel Mann gebieten Sie? Über fünf oder sechs?« – »Meine sechs Mann genügen vollständig!« – »Und welchen Rang bekleiden Sie?« – »Untersuchen Sie das mit dem Degen!« – »Ah, gut! Ich fordere Sie hiermit in aller Form auf, mir das Fort zu übergeben.« – »Und ich fordere Sie auf, diesen Platz zu verlassen.« – »Ich gebe Ihnen zehn Minuten Zeit, sich die Sache zu überlegen.« – »Und ich gebe Ihnen zwei Minuten Zeit, sich zurückzuziehen!« – »Donnerwetter, wenn Sie den geringsten Widerstand wagen, muß alles über die Klinge springen.« – »Ich bin begierig, diese fürchterliche Klinge kennenzulernen.« – »Hier ist sie! Drauf, Leute, und hinein!«
Der Kapitän zog den Degen und gab seinem Pferd die Sporen. Er sprang an, und die anderen machten Miene, ihm zu folgen. Da aber griff Sternau in seinen Gürtel und riß die Revolver heraus. Beim ersten Schuß stürzte der Kapitän vom Pferd, und jeder weitere Schuß kostete einen Mann. Dann sprang Sternau rasch zurück, und hinter ihm wurde das Tor zugeworfen. Zu gleicher Zeit blitzte es überall durch die Lücken der Palisaden heraus. Es standen hier ja Leute, die mit einem Gewehr umzugehen verstanden. Ihre Kugeln waren nur auf die Reiter gerichtet. Sie stürzten von den Pferden. Die reiterlosen und durch Schüsse erschreckten Tiere bäumten und überwarfen sich. Es entstand ein fürchterlicher Wirrwarr, in den hinein immer neue Schüsse krachten. Und das alles war so schnell gegangen, daß die Franzosen, die noch unverletzt waren, nicht hatten daran denken können, umzukehren und sich durch die Flucht zu retten. Als die letzten daran dachten und davonsprengten, zählten sie nur noch neun Mann.
Gerard stand neben Sternau. Sein Gewehr rauchte noch von dem letzten Schuß.
»Das war eine Lehre«, sagte er. »Wenn sie klug sind, kommen sie nicht wieder.« – »Sie werden leider nicht so klug sein«, meinte Sternau. »Sehen Sie, daß die Offiziere beisammenstehen, um sich zu beraten?« – »Ja, und sehen Sie da draußen am Rand des Gebirges sich etwas vollziehen?«
Bei diesen Worten deutete Gerard hinaus nach dem östlichen Horizont. Ein aufmerksamer Beobachter konnte dort, wenn er ein scharfes Auge besaß, eine dunkle Linie bemerken, die sich langsam nach rechts und links ausdehnte.
»Ah, die Apachen!« meinte Sternau. – »Sie werden einen Halbkreis bilden, um den Feind zu umfangen.« – »Dazu brauchen Sie immerhin eine Viertelstunde, wenn sie den Feind nicht vor der Zeit auf sich aufmerksam machen wollen.« – »Oh, die Franzosen bemerken nichts; sie stehen zu tief, meinte Gerard. »Sie scheinen übrigens jetzt einen Entschluß gefaßt zu haben.« – »Sie wollen stürmen«, sagte Mariano, der in der Nähe stand.
Er hatte recht. Die Franzosen stiegen ab, führten die Pferde zurück und griffen zu den Bajonetten, die sie aufsteckten. Sie bildeten dann einen Halbkreis, um das Fort gegen den Strom hin zu erfassen. Da wandte sich Sternau an zwei der Eingeborenen und befahl ihnen, die Wasserseite zu beobachten und sofort zu melden, wenn der Feind etwa versuchen sollte, von dort aus einzudringen.
Ein Offizier zu Pferde kam jetzt herbeigesprengt; er hielt ein weißes Taschentuch an der Spitze seines Degens, blieb aber doch so weit entfernt, daß man gerade noch seine Stimme hören konnte. Es war der Kommandierende, und zwar jener Major, der Señorita Emilia so stürmisch anbetete.
»Ah, der Major selbst!« sagte Gerard, als er ihn kommen sah. – »Kennen Sie ihn?« fragte Sternau. – »Ja. Wollen Sie mir erlauben, mit ihm zu sprechen?« – »Gern.« – »Ich werde hinunter zu ihm gehen.« – »Das ist zu gefährlich.« – »Für mich durchaus nicht Ich stehe ja unter dem sicheren Schutz Ihrer Gewehre!« – »So gehen Sie und antworten Sie so, wie ich selbst es tun würde!«
Sternau ließ das Tor öffnen. Gerard nahm seine Büchse und schritt hinaus. Er kletterte ruhig am Felsen hinunter und stand bald gerade am Pferd des Offiziers, der sich über diese Kühnheit nicht wenig wunderte. Als er sich aber den Mann betrachtete, zog er unwillkürlich die Zügel an.
»Bei Gott, der Schwarze Gerard!« rief er. – »Ja, der ist es«, erwiderte der Genannte ruhig. »Meine Gegenwart wird Ihnen sagen, was Sie zu erwarten haben.« – »Was anders als den Besitz dieses Platzes!« – »Pah, lassen Sie sich das nicht träumen! Sie schmachten zwar nach dem Fort wie nach Señorita Emilia, aber wir werden ja sehen, mit welcher Eroberung Sie mehr Erfolg haben.« – »Was geht Sie Señorita Emilia an!« rief der Major. – »Was geht Sie das Fort an! Aber ereifern wir uns nicht. Der Kommandant sendet mich, um zu fragen, was Sie uns mitteilen wollen.« – »Ich verlange die sofortige Übergabe dieses Platzes, und zwar auf Gnade oder Ungnade, da mir vierzig Mann getötet worden sind.« – »Mehr ist es nicht, was Sie verlangen? Sie sind außerordentlich bescheiden! Diese vierzig Mann wurden getötet, weil der sie befehligende Kapitän den Degen gegen unseren Kommandanten zog. Sie sind in nicht ganz zwei Minuten gefallen, und Sie mögen daraus ersehen, was Ihrer wartet. Von einer Übergabe zu sprechen, ist Unsinn, und von der Gnade und Ungnade zu reden, ist gar der reine Wahnsinn!« – »Herr, vergessen Sie nicht, mit wem Sie sprechen!« – »Pah! Ein kleiner Major redet mit dem berühmten Gerard; weiter ist es nichts. Übrigens bin ich es gewesen, der Ihre vernichtete Kompanie in die Hände der Apachen geführt hat. Gebärden Sie sich nicht so stolz, denn auch Ihre Truppe wird vernichtet werden. Kein Mann entkommt.« – »Das ist die Sprache eines Verrückten! Bringen Sie meinen Auftrag Ihrem Befehlshaber.« – »Das ist nicht notwendig. Sie haben ja die Antwort bereits erhalten.« – »Als eine endgültige?« – »Ja.« – »Nun, so sage ich Ihnen, daß wir keinen Pardon erteilen werden!« – »Das wäre ja auch lächerlich, denn Sie werden gar nicht in die Lage kommen, Gnade erteilen zu können.« – »So mag es augenblicklich beginnen!«
Der Major hielt den Degen ohne Taschentusch empor, und sofort setzten die Franzosen sich in Bewegung. Das war eine Treulosigkeit, da Gerard doch als Parlamentär sich noch gar nicht hatte zurückziehen können. Der Major zog seinen Degen und drang auf ihn ein.
»Hier Bursche, hast du deinen Lohn für alles!« rief er und holte zum Hieb aus, aber er kannte Gerard nicht. Dieser parierte den Hieb mit dem Lauf seines Gewehres, riß mit einem gewaltigen Ruck den Reiter vom Pferd und entwand ihm den Degen. – »Stirb an deinem eigenen Verrat und sieh an die Erde genagelt zu, wie ihr vollständig vernichtet werdet.«
Mit diesen Worten warf Gerard den Major zu Boden und stieß ihm den Degen in den Leib, bis an den Griff, so daß die Klinge tief in den Boden drang. Dann kletterte er, von den Kugeln der heranrückenden Feinde umschwirrt, den Felsen empor.
»Herein durchs Tor! Schnell!« rief es drüben auf der anderen Seite. – »Zu spät«, antwortete Gerard. »Ich stehe hier gut.«
Damit suchte er hinter dem einzigen Baum, der da oben bei den Palisaden stand, Deckung. Dort legte er sich nieder und sandte Kugel um Kugel in die im Sturmschritt nahenden Franzosen.
»Dieser Mann sucht den Tod«, sagte Sternau zu Mariano. – »Fast scheint es so!« erwiderte dieser. »Kennst du den Grund?« – »Ja. Wir müssen ihn unterstützen! Er darf nicht fallen. Komm!«
Die Besatzung des Forts war nur ein Häuflein, aber Männer wie Sternau, Gerard, Geierschnabel, Büffelstirn und andere zählen ja mehr als fünf– oder zehnfach. Noch hatte der Feind nicht den Fuß des Felsens erreicht, da begannen sich seine Reihen zu lichten. Aber er drang unaufhaltsam vor.
Als die Franzosen den Felsen zu erklimmen versuchten, zeigte es sich, welch eines mörderischen Feuers die berühmten Jäger fähig waren. Tat einer der Franzosen einen Schritt, so hatte er eine Leiche vor sich, und kaum war er über diese hinweggestiegen, so sank er selbst als Leiche nieder.
Da, wo Gerard stand, tobte der Kampf am heftigsten. Einer der Offiziere hatte ihn erkannt und seine Leute aufmerksam auf ihn gemacht Sie wollten den gefürchteten Jäger zum Gefangenen haben und kletterten am Felsen empor. Aber seine sichere Büchse riß einen nach dem anderen nieder. Und gelang es ja einmal einem, bis an den Rand des Felsens zu kommen, so zerschmetterte Gerard ihm mit dem goldenen Büchsenkolben den Kopf.
An dieser Stelle stand Sternau mit Mariano hinter den Palisaden und nicht weit von ihnen Geierschnabel. Diese drei gaben sich alle Mühe, die Stürmenden von Gerard abzuhalten. Besonders interessant war es, dem Yankee zuzusehen. Er lud und schoß mit einer zauberhaften Geschwindigkeit und sprach dabei so laut, als ob die Feinde ihn hörten.
»Ah, dort will wieder einer dem Gerard ein Blei geben!« sagte er eben. »Schade um die Mühe, denn ich kalkuliere, daß ihn meine Kugel vorher treffen wird.«
Er legte an und drückte ab – der zielende Franzose war eine Leiche.
»Hier kriecht einer herauf. Er denkt, es sieht ihn niemand; ich rechne, daß er eher unten sein wird, als oben«, fuhr er darauf fort und drückte den zweiten Lauf ab, so daß, durch den Kopf geschossen, der Franzose wieder hinabrutschte.
Gerard war so fleißig gewesen, daß er seine Patronen verschossen hatte. Er blutete bereits aus mehreren Wunden, da die meisten Schüsse auf ihn gerichtet waren. Da ertönte die helle, kräftige Stimme Sternaus:
»Aufgeschaut! Hilfe kommt!«
Noch war es trotz ihrer Überzahl nicht einem Franzosen gelungen, bis an die Palisaden vorzudringen, da ertönten ihre Hornsignale, um sie zurückzurufen zur Bildung von Karrees. Sie hatten nicht gemerkt, was hinter ihnen vorging. Und als sie sich jetzt umwandten, sahen sie zu ihrem Entsetzen einen weiten Halbkreis wilder Reiter in rasendem Galopp auf sich zugesprengt kommen.
Es gelang einigen Haufen von ihnen, Vierecks zu bilden, und das war ein großes Glück für sie, denn sonst wären sie auf den ersten Ansturm niedergeritten worden.
Droben beobachtete Sternau die ganze Sache. Durch das Nahen der Apachen und der Jäger Juarez‘ bekam er Luft.
»Wollen wir nun einen Ausfall machen?« fragte Mariano. – »Es ist das beste.«
Da erscholl Hufschlag die Gasse herauf. Ein Indianerhäuptling kam dahergesprengt, drei Adler– und drei Rabenfedern im wallenden Schopf und das Gesicht mit den Farben der Apachen bemalt. Er hatte eine neue, indianische Kleidung angelegt, und von seinen Schultern fiel der schwere Pelz eines grauen Bären herab. Er bot einen imposanten, kriegerischen Anblick.
»Bärenherz!« rief Mariano. »Woher hat er die Kleidung?« – »Jedenfalls von Pirnero. Er wird sich den Apachen zeigen wollen.«
Diese Ansicht bestätigte sich auf der Stelle, denn der Häuptling deutete wortlos auf das Tor, das ihm sofort geöffnet wurde, und stürmte im Galopp den Weg hinunter und auf den dichtesten Haufen der Feinde ein. »Warum wollen wir da warten?« rief Mariano. »Ihm nach!« – »Ja, ihm nach!« rief auch Geierschnabel. – »Ihm nach!« auch Büffelstirn.
Sie sprangen dem Apachen nach. Sternau war nicht imstande, sie zu halten. Als Kommandant blieb er zurück, nebst den Bewohnern des Forts, denen es nicht einfiel, sich einer so direkten Lebensgefahr auszusetzen.
Wie bereits gesagt, hatten die andringenden Apachen an einigen Haufen Widerstand gefunden. Dies löste ihre geordnete Reihe auf. Während sie an der einen Stelle, alles über den Haufen stürmend, vorwärtsdrangen, wurden sie an anderen Orten von kleinen Vierecks, die sich gebildet hatten, aufgehalten. Diese Vierecks wurden umzingelt, aber der Kampf kam zum Stehen.
Da die Indianer für ein Fechten, Mann gegen Mann in geschlossener Reihe, nicht geeignet sind, so schien es bald, als ob sie hier und da gegen die Franzosen im Nachteil seien. Sie konnten nichts gegen die Karrees ausrichten, und es schien, als ob es den Franzosen doch gelingen werde, sich teilweise durchzuschlagen.
Hinter der Kampfeslinie hielt, hoch zu Roß, mit einem Reitertrupp, der Präsident Juarez. Seine Augen ruhten glühend auf den Kämpfenden. Noch etwas weiter rückwärts standen etwa sechzig weiße Jäger. Es waren wilde, kräftige Gestalten, die er aus den Vereinigten Staaten angeworben hatte. Sie waren bisher noch nicht am Kampf beteiligt, da Bärenauge das Recht, die Skalpe der Franzosen zu erwerben, für sich und seine Apachen in Anspruch genommen hatte. Juarez winkte ihren Anführer zu sich und fragte:
»Sie sehen, daß der Kampf zum Stillstand kommt?« – »Leider«, antwortete der Gefragte. – »Glauben Sie, daß die Apachen siegen werden?« – »Ganz gewiß. Aber sie werden nicht imstande sein, einen Durchbruch des Feindes zu verhüten. Die Absicht der Franzosen auf das Fort ist vereitelt worden; aber es wird vielen von ihnen gelingen, zu entkommen.«
Juarez nickte. Seine Lippen preßten sich zusammen, und er entgegnete:
»Das soll und darf nicht geschehen. Welchen Rat geben Sie mir?« – »Lassen Sie mich mit den Meinigen vorgehen. Unsere Kugeln werden diese gefährlichen Vierecks bald auseinanderreißen.« – »Gut, so greifen Sie an.«
Der Jäger kehrte nun zu seinen Leuten zurück. Um dem Feind kein Ziel zu bieten, zerstreuten sie sich und schritten in dieser Kampfesweise vor, jede Deckung nach Art der echten Westmänner sorgfältig benützend.
Bärenauge hatte sich im Mittelpunkt des Halbkreises befunden, den die Angreifenden bildeten. Er war siegreich durch die Reihen der Franzosen gedrungen und hatte sich dann wieder umgedreht, mit dem Tomahawk einen nach dem anderen vor sich niederschlagend. Hoch auf seinem Roß sah er einem Kriegsgott ähnlich, gegen den es keinen Widerstand gab. Er verfolgte die fliehenden Feinde und entfernte sich dabei, vom Eifer des Kampfes getrieben, vom eigentlichen Herd desselben.
Er nahm sich gar nicht die Zeit und Mühe, nach dem Gefecht sich umzusehen. Daher kam es, daß er nicht bemerkte, daß der Feind an gewissen Stellen im Vorteil war.
Eben schlug er einem der vor ihm fliehenden Feinde die Schärfe des Schlachtbeils so in den Nacken, daß der Wirbel getrennt wurde und der Kopf nach vorn herunterhing, da hörte er vor sich den lauten Tritt eines herbeigaloppierenden Pferdes.
Er blickte auf und sah einen Indianer, einen Apachen, aber ihm vollständig unbekannt, der mit dem Abzeichen eines hohen Häuptlings versehen, vom Fort her angaloppiert kam. Er zügelte erstaunt sein Pferd, und im nächsten Augenblick hielt der andere vor ihm. Sie konnten die gegenseitigen Gesichtszüge nicht erkennen, da die Gesichter mit den Farben des Krieges bemalt waren; aber der andere fragte:
»Du bist Bärenauge, der Häuptling?« – »Ja«, nickte der Gefragte. – »Du bist ein tapferer Krieger. Aber siehst du nicht, daß deine Krieger umsonst kämpfen?«
Der Sprecher deutete mit diesen Worten nach den Vierecks hin. Das Auge Bärenauges folgte diesem Wink.
»Uff!« rief er. »Die Hunde von Franzosen müssen dennoch sterben. Aber wer bist du?« – »Ich bin Bärenherz, dem du alle sieben Tage einen Weißen geopfert hast. Vorwärts.«
Dabei warf er sein Pferd herum und ritt weiter. Er handelte ganz als Indianer. Der Kampf ging vor. Er verzichtete auf jede Wiedererkennungs– und Freudenszene, um seine Pflicht als Häuptling und Krieger zu erfüllen.
Bärenauge war, trotz der Selbstbeherrschung, die den Indianern eigen ist, für einen Augenblick fast starr vor Erstaunen, dann aber sprengte er seinem Bruder nach.
»Arku Shoshinliett! Gutesnonselki Franza!« rief er mit Donnerstimme über den Kampfplatz hin, so daß Freund und Feind es hören konnten.
Dieser Ruf in der Sprache der Apachen heißt zu deutsch:»Hier ist Bärenherz! Zehnfachen Tod den Franzosen!«
Alle Roten wandten nun ihre Blicke der Gegend zu, in der dieser Ruf erschollen war. Sie sahen Bärenauge hart hinter seinem Bruder. Beide flogen in rasendstem Lauf auf das eine Viereck zu.
»Arku Shoshinliett! Fastsa Franza! Hier ist Bärenherz! Tod den Franzosen!« erscholl es aus aller Munde.
Sie griffen von neuem an, und zwar in dem Augenblick, in dem die Franzosen eine Salve abgegeben hatten und im Begriff standen, wieder zu laden. Aus diesem Grund waren nur einige Gewehre mit Kugeln versehen.
»Prenez les crosses! Nehmt die Kolben!« gebot der Anführer.
Sie drehten die Gewehre um. In diesem Augenblick aber waren die Häuptlinge nahe gekommen. Bärenherz spornte sein Pferd und riß es empor. Es flog in einem hohen, weiten Bogen mitten in das Viereck, und Bärenauge folgte mit einem ebenso kühnen Satz. Zu gleicher Zeit die Tomahawks gebrauchend und ihre Pferde zum Stampfen zwingend, schlugen und stampften sie alles nieder, was in ihre Nähe kam. Dadurch entstanden Lücken, durch die die Apachen in das Viereck eindrangen, das verloren war.
Bärenherz hatte den Seinigen Bahn gebrochen. Er durchbrach, von seinem Bruder gefolgt, die entmutigten Feinde, um in ein anderes Karree einzudringen. Da sah er die Pferde der Franzosen, die, von einigen Chasseurs bewacht, nicht weit vom Kampfplatz hielten. Er deutete nach ihnen hin.
»Telki Franza ineh! Natan sesteh. Die Pferde der Franzosen wegnehmen und die Wachen niederschlagen!« rief er seinem Bruder zu.
Dieser gehorchte dem Gebot sofort. Er rief eine Schar der Apachen zu sich und eilte mit diesen zu den Pferden. Die Chasseurs wurden nach kurzer Gegenwehr geschlagen, und nun, da die Tiere sich in den Händen der Apachen befanden, war den Franzosen das Entkommen unmöglich.
Unterdessen hatten die weißen Jäger die Reihen der Franzosen mit ihren sicher treffenden Büchsen gelichtet. Ein jeder ihrer Schüsse kostete einen Mann. Als Bärenherz das zweite Viereck erreichte, war es bereits so dezimiert, daß er sein Pferd gar nicht zum Sprung ausholen ließ, sondern geraden Laufes in den Feind hineinstürmte, so daß die erschrockenen Franzosen auseinanderstoben.
Die Apachen waren durch das Erscheinen ihres vor so langen Jahren verschwundenen Häuptlings förmlich elektrisiert worden. Sie sahen nicht die Waffen der Feinde, sie achteten nicht auf den Widerstand, der ihnen entgegengesetzt wurde. Sie mußten das Wiedererscheinen des großen Häuptlings durch einen vollständigen Sieg und durch die Eroberung aller Skalpe feiern. Darum war ihr erneuter Angriff geradezu unwiderstehlich.
Die Franzosen wurden wie Halme niedergemäht, und die Fliehenden sicher von den ihnen nachjagenden roten Reitern erreicht und niedergehauen. Es war vorauszusehen, daß kein einziger entkommen werde.
Kein einziger? Das war denn doch noch die Frage.
27. Kapitel
Vorhin, als die Franzosen im Halbkreis heranrückten, hatten ihre beiden Flügelpunkte, sowohl ober– als auch unterhalb des Forts, das Ufer des Flusses berührt.
Oberhalb gab es eine Strömung, und da hier der unterwaschene Felsen steil emporstieg, so war es schwer, wenn nicht unmöglich, von hier aus das Fort zu überrumpeln.
Unterhalb aber gab es ruhiges Wasser, und große Fels– und Steinbrocken lagen in demselben. Schwamm oder watete man von dem einen zum andern, so fand man genug Deckung, um nicht sofort bemerkt zu werden. Überdies war die Böschung des Felsens, auf dem das Fort stand, nicht so steil, wie auf der anderen Seite. Sie konnte ohne große Anstrengung erstiegen werden.
An dem Ende des rechten Flügels, der hier das Wasser erreichte, stand ein Sergeant, der gern ein wenig den Offizier gespielt hätte. Er befand sich später an der Stelle, die Gerard so wacker verteidigte, und als die Apachen ihren Angriff machten, ahnte ihm, was da kommen könne.
»Kommt, folgt mir!« gebot er seinen Leuten. »Wir werden umzingelt und niedergemacht, aber ich weiß ein Mittel dagegen.« – »Welches?« fragte einer, indem er sich den Schweiß von der Stirn wischte. – »Jetzt kommt dem Feind Hilfe, er wird also einen Ausfall machen. Unterdessen dringen wir von der Wasserseite an das Fort und öffnen das Tor.« – »Bei Gott, das ist wahr. Wir folgen dir.«
Es waren etwa zehn Mann, die mit dem Sergeanten sich rechts hin nach dem Fluß zogen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Sie stiegen in das Wasser und gelangten von Stein zu Stein an die Böschung der Wasserseite des Forts.
Diese war von Bäumen und Sträuchern besetzt. Droben stand der Mann, den Sternau als Wache beordert hatte. Er war leider mit keinem großen Scharfsinn begabt. Anstatt sich hinunter an das Ufer zu stellen, wo er alles, selbst das Geringste hätte bemerken müssen, war er oben stehengeblieben, wo ihm die Bäume alle Aussicht raubten. Darum hatte er den Sergeanten nicht gesehen.
Dieser kroch mit seinen Leuten an der Böschung empor. Fast bei den obersten Bäumen angekommen, blieb einer seiner Leute stehen, zeigte nach vorwärts und flüsterte:
»Halt! Seht!« – »Was?« – »Ein Mann.« – »Wo?« – »Dort hinter der Glanzeiche.«
Das Auge des Sergeanten folgte der angedeuteten Richtung.
»Wahrhaftig!« sagte er. »Er hat ein Gewehr, er ist jedenfalls ein Wachtposten.« – »Soll ich ihn niederschießen?« fragte einer. – »Nein. Wir müssen alles Geräusch vermeiden. Der Schuß würde andere aufmerksam machen. Ich werde ihn erstechen.«
Damit pirschte er sich leise und vorsichtig von Baum zu Baum, bis er nur noch wenige Schritte vor dem Mann stand, zog sein Seitengewehr und holte aus. Ein Sprung, ein Stich, ein Schrei – und der Posten war eine Leiche.
»Jetzt vorwärts!« gebot der Sergeant seinen Leuten.
Sie kamen herbei und erreichten bald die Palisaden. Der Sergeant maß die Höhe derselben mit seinem Blick.
»Hier können wir nicht hinüber«, sagte er. »Es ist unmöglich. Gehen wir weiter.«
Sie schritten nun längst der Palisaden hin und gelangten fast an die Ostseite des Forts, ehe sie eine Lücke fanden, die zum Passieren der Verteidiger offengelassen worden war.
Als sie durch diese Lücke geschlüpft waren, befanden sie sich, wie sie bemerkten, im Innern des Forts und wunderten sich nicht wenig, keinen einzigen Menschen zu sehen. Die bewaffneten Bewohner desselben standen ja auf der anderen Seite, und die Frauen und Kinder hatten sich nicht getraut, ihre Wohnungen zu verlassen.
»Das Fort ist unser!« frohlockte der Sergeant. »Hört ihr es unten brüllen? Der Ausfall hat stattgefunden, ganz wie ich es gesagt habe.« – »Was tun wir aber jetzt?« – »Wir öffnen den Unsrigen das Tor.« – »Denkst du wirklich, daß sie nötig haben werden, sich zurückzuziehen?« – »Hm, wer kann das wissen. Es waren der Indianer gar zu viele.« – »Indianer? Pah! Ein Franzose flieht vor keiner Rothaut!« – »Und«, meinte ein anderer, »was haben wir davon, wenn wir sofort öffnen? Dann kommen alle und teilen die Beute!« – »Recht hast du!« meinte der Sergeant. »Wir könnten uns einiges vorher wegnehmen. Aber verraten dürfte es nicht werden.« – »Wer soll es verraten?« – »Nun, irgendeiner von Euch vielleicht gar. Es ist nicht jedermanns Sache, reinen Mund zu halten.« – »Oh, es wird sich doch nicht jemand selbst verraten. Ich wenigstens nicht.« – »Ich auch nicht – ich auch nicht«, stimmten ihm die übrigen bei. – »Nun, so will ich es einmal wagen«, meinte der Sergeant. »Aber zerstreuen dürfen wir uns nicht, da wir nicht zahlreich sind und doch nicht wissen können, wie viele Feinde sich noch im Fort befinden.« – »So gehen wir von Haus zu Haus.« – »Das nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Am besten ist es, das reichste Haus aufzusuchen.« – »Aber wie wollen wir dies erfahren?« – »Hm! In den Kneipen und Läden gibt es immer das meiste bare Geld.« – »Das ist wahr. Wir müßten also ein solches Haus suchen, wenn es eins hier gibt.« – »Es gibt in jedem Fort ein Kaufhaus, also jedenfalls auch hier.« – »Venta glaube ich, nennen die Spanier ein Haus, wo gezecht und verkauft wird.« – »Venta? Vielleicht steht dieses Wort über der Tür. Laßt uns suchen.«
Der Mann hatte richtig geraten. Das Wort Venta stand über der Tür des alten Señor Pirnero, der Geierschnabel, seinen Stellvertreter, für sich kämpfen ließ. Da dieses Haus ein Stockwerk besaß und hoch gebaut war, konnte man von seinem Bodenraum aus, über die Palisaden hinweg, den Kampfplatz beobachten.
Aus diesem Grund hatte sich Graf Ferdinando dort hinaufbegeben. Emma, Karja und Resedilla waren bei ihm. Pepi und Zilli hatten sich in ihr Zimmer eingeschlossen. Pirnero saß unten an seinem gewohnten Fenster und blickte hinaus, hielt sich aber mit beiden Händen die Ohren zu. Jeder Schuß drang ihm in die Seele. Er forderte es von jedem anderen, tapfer zu sein, sich selbst hielt er natürlich für den tapfersten, doch hütete er sich sehr, diesen großen Vorzug in Anwendung zu bringen.
So allein im Zimmer zu sitzen, das wurde ihm denn doch zu unheimlich. Er faßte den Entschluß, sich Resedilla zu rufen, doch erwies sich dies nicht als notwendig, denn soeben trat der alte Vaquero ein, der als Bote von der Hacienda del Elina gekommen war und sich ganz wacker am ersten Akt des Kampfes beteiligt hatte.
Er machte Miene, sich nach der Küche zu begeben, aber Pirnero hielt ihn zurück.
»Halt! Dableiben!« sagte er. »Ihr kommt von der Schlacht?«
Obgleich die Vaqueros gewöhnlich mit du angeredet werden, bediente Pirnero sich jetzt des höflichen Ihr. Der Mann mußte nicht nur als Bote des Schwagers berücksichtigt, sondern auch als Kämpfer geehrt werden.
»Von der Schlacht?« fragte der Rinderhirt. »Es ist ja nur ein Gefecht.« – »Hm! Welcher Unterschied ist denn da eigentlich zwischen Schlacht und Gefecht?« – »Bei einer Schlacht sind größere Truppenmengen tätig, Señor Pirnero.« – »Richtig! Aber die Hauptsache habt Ihr vergessen.« – »Welche?« – »Ich will es Euch erklären. Wißt Ihr, was Politik ist?« – »Ja.« – »Nun, was denn?« – »Wenn einer kein Esel ist, sondern ein kluger Kopf, ein pfiffiger Kerl.«
Pirnero sah den Mann erstaunt an.
»Das ist sehr richtig!« sagte er. »Darum treiben die Esel niemals Politik. Aber wißt Ihr denn auch, was Diplomatie ist?« – »Ja.« – »Was denn?« – »Wenn die großen Herren, die Präsidenten und Minister, einander an der Nase führen.« – »Donnerwetter, Ihr seid kein unebener Kerl! Ja, diese Nasenführerei und Nasendreherei ist Politik und Diplomatie. Die hat nicht ein jeder, die bekommt man nur durch die sogenannte Vererbung vom Vater auf die Tochter hinüber.« – »Aber wer nun keine Tochter ist?« – »Schadet nichts, wenn er nur eine hat! Mit einem Gefecht hat die Diplomatie gar nichts zu tun, aber sie spielt Schach, und die letzten Züge werden in der Schlacht getan. Darum muß ein guter Diplomat auch ein guter Feldherr sein. Ich zum Beispiel kenne die Politik sehr genau.« – »Das glaube ich.«
Der Vaquero sagte diese Worte, um nicht für einen unhöflichen Mann gehalten zu werden.
»Und ich bin auch ein sehr guter Diplomat. Meint Ihr nicht?« – »Ich bestreite dies keineswegs, Señor Pirnero.« – »Folglich muß ich auch ein guter Feldherr sein. Habt Ihr das verstanden?« – »Ja. Aber warum beteiligt Ihr Euch da nicht mit am Kampf?« – »An einer Schlacht würde ich mich sogleich beteiligen. Ich habe den Prinzen Eugen und auch den alten Derfflinger gelesen. Auch Kyaw war ein tüchtiger General. Aber an einem kleinen Gefecht teilzunehmen, das ist einem Diplomaten zu despektierlich.« – »Weil da die Nase nicht in den letzten Zügen liegt?« – »Ja. Aber sagt doch einmal, wie es draußen steht« – »Gut, sehr gut« – »Ihr hattet Eure Büchse mit, da habt Ihr wohl auch mit geschossen?« – »Freilich!« – »Wie viele habt Ihr ausgeblasen?« – »Sechs oder sieben.« – »Das ist nicht übermäßig viel«, meinte Pirnero sehr tapfer. »Wehren sich die Franzosen noch?« – »Ja. Aber die Apachen sind gekommen.« – »Alle Teufel! Da ist es mit den Franzosen aus!« – »Auch Jäger waren bei ihnen, Juarez führte das Heer persönlich an.« – »Der Juarez? Ah ja, der Jäger sagte ja gleich, daß Juarez mitkommen werde. Habt Ihr ihn bereits einmal gesehen?« – »Ja.« – »Wann und wo?« – »Auf unserer Hazienda. Er kam und übergab dem Herrn auch die nebenan liegende Hacienda Vandaqua.« – »Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber hoffentlich kommt er nach vollendetem Sieg, um bei mir ein Glas Pulque oder Julep zu trinken. Ich bin nämlich … ah, ah!«
Pirnero hielt erschrocken inne, denn soeben öffnete sich die Tür, und der Sergeant trat ein, gefolgt von seinen elf Leuten, stieß den Kolben auf die Erde und fragte:
»Hier ist eine Venta?« – »Ja«, antwortete der erbleichende Wirt, an allen Gliedern zitternd. – »Wie heißt Ihr?« – »Pirnero. Aber Señor, ist denn der Feind bereits im Fort?« – »Allerdings! Ihr seht es ja!« – »Aber, ich denke, wir siegen!«
Der Franzose lachte höhnisch und meinte:
»Der Teufel wird euch den Sieg geben. Welche Leute sind in dem Haus hier?« – »Ich!« – »Weiter!« – »Dieser Señor.« – »Was ist er?« – »Er ist ein Vaquero.« – »Ah, so mag er uns seine Flinte abgeben.«
Der alte Vaquero umfaßte seine Büchse fester und machte ein finsteres Gesicht. Er konnte nicht begreifen, wie es den schon halb besiegten Franzosen möglich gewesen war, in das Fort zu gelangen. Er hätte sich am liebsten verteidigt; da aber trat Pirnero zu ihm heran und flüsterte ihm zu:
»Um Gottes willen, macht keine Dummheiten! Ihr bringt uns ins Verderben!«
Bei diesen Worten entriß er ihm die Büchse und gab sie dem Sergeanten.
»Hier, Señor, habt Ihr das Gewehr«, sagte er. »Ihr mögt es als ein Zeichen nehmen, daß Euch Fort Guadeloupe mit Freuden empfangen hat!« – »Mit Freuden?« fragte der Sergeant. »Mit Kugeln sind wir empfangen worden. Wer befindet sich noch in diesem Haus?« – »Zunächst zwei junge Señoritas.« – »Wo?« – »Eine Treppe hoch. Sie werden sich eingeschlossen haben.« – »Sie werden uns öffnen müssen! Wer noch?« – »Oben im Bodenraum sind noch drei Señoritas mit einem Señor.« – »Wer ist dieser Señor?« – »Ein Graf Rodriganda.« – »Ein Graf? Donnerwetter! Ist er reich?« – »Sehr.« – »Gut, wir werden sehen, was er besitzt. Bindet den Vaquero dort!«
Die Chasseurs zogen ihre Fangschnuren hervor und näherten sich dem Vaquero. Dieser erhob sich von seinem Stuhl und zog sein Messer.
»Ich lasse mich nicht fesseln!« erklärte er. – »Heilige Madonna! Was fällt Euch ein!« rief Pirnero. »Einer gegen zehn!«
Der Mann erkannte die Unmöglichkeit, mit heiler Haut davonzukommen. Er gab also seine Hände hin und wurde gebunden.
»Nun auch den Wirt«, gebot der Sergeant. – »Auch mich?« fragte Pirnero erschrocken. »Ihr irrt, Señores! Ich bin ja der treueste Untertan seiner Majestät des Kaisers der Franzosen!« – »Wenn Ihr das wirklich seid, so werdet Ihr Euch nicht weigern, uns Gehorsam zu leisten«, lachte der Soldat. »Her also mit den Händen.« – »Hier sind sie«, sagte der Wirt kleinlaut. »Aber ich bitte zu bemerken, daß ich kein Feind der Franzosen bin. Ich bin kein Mexikaner.« – »Was denn?« – »Ich bin aus Pirna.« – »Was ist das? Wo liegt das?« – »In Sachsen« – »In Sachsen, also in Deutschland? So soll Euch der Teufel erst recht holen! Rasch also! Gebt die Hände her!«
So wurde also auch der Wirt gefesselt. Er gab sich ohne Widerrede darein.
»Jetzt werdet Ihr uns zu den anderen führen!« gebot der Sergeant.
Er ließ zwei Mann Wache bei dem Vaquero zurück. Die Eingangstür zum Haus wurde von innen verschlossen, und dann stiegen sie die Treppe empor.
»Hier sind die jungen Señoritas!« sagte Pirnero, auf eine Tür zeigend. – »Klopft an!« gebot der Sergeant.
Als auf das Klopfen nicht geöffnet wurde, stieß er die Tür mit dem Kolben ein.
»O heiliger Himmel!« rief der Wirt. »Wer soll mir meine Türen reparieren, wenn Ihr sie mir kaputtschlagt! Das bin ich von Pirna aus nicht gewöhnt.« – »So werdet Ihr es gewöhnt werden!«
Der Sergeant trat ein. Die beiden Mädchen standen nebeneinander am Fenster und blickten den Eintretenden erwartungsvoll entgegen.
»Alle Teufel, wie nett!« meinte der Sergeant. »Da wird man wohl um einen Kuß bitten dürfen.«
Er schritt auf Pepi zu und breitete die Arme aus. Sie richtete sich hoch empor und steckte die rechte Hand unter die kurze, mexikanische Jacke.
»Was wollt Ihr?« fragte sie in einem Ton und in einer Haltung, daß der Franzose sich verblüfft fühlte. Doch faßte er sich schnell und antwortete:
»Was ich will? Pah! Ein ganz kleines Küßchen.« – »Wagt es nicht, mich anzurühren!« drohte sie. – »Ah, seht, das Kätzchen setzt sich zur Wehr. Aber das hilft dir nichts, mein Engel. Geküßt wirst du doch.«
Dabei trat er noch einen Schritt auf sie zu; da aber zog sie die Hand aus der Jacke zurück, und die blanke Klinge ihres Dolches blitzte ihm entgegen.
»Donnerwetter, sie macht Ernst!« rief er, halb bestürzt und halb belustigt.
Er war natürlich überzeugt, ihr den Dolch mit einem einzigen Griff entwinden zu können. Auch Zilli hatte ihre Waffe gezogen. Die beiden Mädchen waren wirklich entschlossen, sich ernsthaft zu verteidigen.
Einer der Soldaten trat jetzt zu der jüngeren Schwester und sagte:
»Gib den Dolch her, mein Püppchen. So etwas ist nichts für Frauen.«
Er wollte zugreifen; sie aber trat ein wenig zurück, zückte die Waffe und antwortete:
»Nehmt Euch in acht! Der Dolch ist vergiftet!« – »Das mache einem anderen weis! Ich werde davor nicht bange.«
Er griff scheinbar zu, und während sie nun dahin stieß, wohin er hatte greifen wollen, zog er plötzlich die Hand zurück und faßte sie beim Arm.
»So, jetzt habe ich dich! Jetzt bist du mein!« rief er. »Nun einen Kuß!«
Und mit der einen Hand ihren rechten Arm haltend, so daß sie nicht stechen konnte, versuchte er, sie mit dem anderen Arm um die Taille zu fassen und an sich zu ziehen.
»Pepi, hilf!« bat sie da, sich vergeblich wehrend. – »Gleich!« lautete die Antwort der Schwester.
Und in demselben Augenblick zuckte ihr Dolch in den Arm, mit dem er den der Schwester hielt. Der Stich war nur leicht und nicht tief.
»Donnerwetter, die hat wirklich Krallen!« rief der Soldat, seinen Arm zurückziehend. »Aber wir werden euch die scharfen Nägel verschneiden.«
Er wollte abermals zufassen und streckte die Hand vor, aber er blieb starr stehen. Es war, als ob er plötzlich durch alle seine Nervenstränge einen Schlag erhalten hätte. Sein Auge war nach der Wand gerichtet; seine Finger ballten sich zusammen; ein Gurgeln ließ sich hören, und Schaum trat auf seine Lippen; dann fiel er um, oder vielmehr er schlug um, steif und hölzern wie ein lebloser Klotz. Er war tot.
»Alle Teufel!« rief jetzt der Sergeant. »Was ist mit ihm?« – »Er ist tot!« erklärte Pepi. »So wird es einem jeden gehen, der uns anzurühren wagt.« – »So ist der Dolch wirklich vergiftet?« – »Ja, der meinige und der ihrige.« – »Das sollst du entgelten, du gefährliche Katze! Ergreift beide und nehmt ihnen die Dolche!«
Der Sergeant selbst trat sehr vorsichtig zurück, um die gefährliche Arbeit von den Seinigen verrichten zu lassen. Aber keiner hatte Lust zu gehorchen.
»Nun! Habt ihr‘s gehört?« zürnte er. – »Fällt uns nicht ein!« antwortete einer. »Wer sie küssen will, mag sie entwaffnen.« – Aber ich bin euer Vorgesetzter. Ich befehle es euch!« – »In solchen Sachen brauchen wir niemandem zu gehorchen.«
Als der Sergeant sah, daß es ihm unmöglich war, durchzudringen, und da er selbst zu viel Angst hatte, die Mädchen anzufassen, sagte er:
»Sie haben den Tod verdient, denn sie haben einen Franzosen ermordet. Wir werden sie bewachen, bis wir fertig sind, und dann an ihre Bestrafung denken.«
Er postierte darauf einen Mann vor die Tür und ließ sich von Pirnero weitergeleiten, hinauf nach dem Dachboden, wo sich der Graf befand.
»Ob die Franzosen gesiegt haben?« fragte Zilli ihre Schwester. – »Ich glaube es nicht. Pirnero hat uns, als er vorhin bei uns war, doch gesagt, daß die berühmtesten Jäger das Fort verteidigen werden und daß Juarez mit den Indianern kommt.« – »So sind diese Leute nur eine eingeschlichene Truppe?« – Jedenfalls.« – »Sie werden uns töten.« – »Wir wehren uns.« – »Kannst du dich mit dem Dolch gegen Kugeln wehren?« – »Leider nein.«
Da vernahmen sie vom Kampfplatz her ein wildes Triumphgeheul.
»Das sind die Apachen. Sie haben gesiegt«, sagte Pepi. – »Und wir wollen uns erschießen lassen? Nein. Fliehen wir!« – »Ich gehe mit.« – »Aber wohin?« – »Das werden wir sehen, wenn wir unten sind.« – »Wie kommen wir hinaus und an dem Mann vorüber?« – »Mit Hilfe des Dolches. Laß nur mich machen. Komm!«
Sie schritten der Tür zu.
»Halt!« gebot der Posten, der ihre leisen Worte nicht gehört hatte. – »Wir gehen!« sagte Pepi in bestimmtem Ton. – »Ich darf Euch nicht passieren lassen.« – »Wir gehen dennoch!« – »So muß ich schießen!«
Der Soldat tat wirklich einen Griff, als ob er das Gewehr anlegen wollte, doch die gewandte Pepi kam ihm zuvor.
»Versuch es doch!«
Damit stand sie schon vor ihm und bohrte ihm den Dolch in die Hand, die den Lauf des Gewehres umfaßt hielt. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Gewehr fallen. Das war keineswegs die Wirkung des Giftes, sondern die des Schrecks; aber gerade der Schreck trieb ihm das Gift um so rascher durch den Körper, und kaum hatte er das Gewehr fallen lassen, so schlug er auch schon um. Es war fürchterlich, zu sehen, mit welcher Schnelligkeit das Kuraregift wirkte.
Die beiden Mädchen aber eilten die Treppe hinab. Die Straßentür war zu; darum gingen sie nach der hinteren Tür. An diese hatten die Franzosen nicht gedacht. Durch eine hohe, schmale Pforte traten sie hinaus nach dem offenen, viereckigen Platz, wo gewöhnlich die Pferde angebunden wurden. Und von diesem aus gelangten sie auf die Gasse, die nach den Palisaden führt.
»Wohin nun?« fragte Zilli. – »Wir müssen erst sehen, wer Sieger ist«, antwortete Pepi.
Da sie bereits einige Tage im Fort wohnten und in demselben herumgegangen waren, so kannten sie die Lücke in den Palisaden. Sie eilten auf dieselbe zu, und kaum hatten sie einen Blick hindurchgeworfen, so wußten sie, woran sie waren.
Ganz draußen hielt Juarez noch immer mit seinem Stab. Von ihm an, bis herein zur Böschung des Felsens, lag Leiche fast neben Leiche. Rechts hielten einige Indianer bei den eroberten Pferden der Franzosen, und im Vordergrund schwärmten die Apachen noch hin und her, um die letzten noch lebenden Franzosen zu töten.
»Juarez hat gesiegt!« sagte Zilli. – »Wer mag es sein?« – »Gewiß einer von den beiden Roten, die da unten mit den Adlerfedern auf dem Kopf noch auf die sechs Franzosen einhauen.« – »Wo denkst du hin!« meinte Pepi. »Das sind Indianerhäuptlinge.« – »Juarez ist doch Indianer!« – »Ja. Aber er war Oberrichter und ist Präsident. Er wird doch nicht in der Tracht der Wilden gehen. Siehst du ganz draußen den Reiter inmitten der kleinen Truppe, die dort regungslos hält?« – »Ja.« – »Das ist er jedenfalls. Aber wir müssen unserer Venta Hilfe bringen.« – »Wen holen wir? Indianer etwa?« – »Wen wir zunächst treffen.« – »So komm!«
Die Mädchen krochen durch die Lücke hinaus und nach rechts. Sie waren noch nicht weit gekommen, da sahen sie eine lange, breite Gestalt an der Erde liegen, den Kopf in die Hand gestützt, während der Arm mit dem Ellenbogen auf der Erde ruhte.
»Wer ist das?« fragte Zilli. – »Mein Gott, das ist der Schwarze Gerard!« antwortete Pepi. – »Wahrhaftig! Er liegt in einer Blutlache.« – »Gott! Er stirbt! Er hat die Augen zu, und aus der Schulter läuft ihm das Blut!«
Sie eilten zu ihm hin. Als er sie kommen hörte, schlug er langsam die Augen auf, aber er regte kein Glied.
»Ihr seid verwundet, Señor?« – »Ja.« – »Wir werden Euch verbinden« – »Es ist zu spät!« sagte er leise. »Ich wollte hier sterben. Grüßt sie von mir, Señoritas!« – »Wen?« – »Resedilla.« – »Resedilla? Ah! Sie befindet sich in großer Gefahr. Wir wollten Hilfe holen.« – »Gefahr?« fragte er rasch, während sein bleiches Gesicht sich leicht rötete. – »Ja. Es ist einigen Franzosen gelungen, in das Fort zu dringen. Sie kamen in die Venta. Wir haben zwei getötet, die uns küssen wollten. Jetzt sind die anderen hinauf auf den Boden, wo Resedilla sich befindet.«
Er blickte sie einen Augenblick lang an, als müsse er erst seine Gedanken sammeln. Dann belebte sich sein Auge immer mehr. »Hinauf auf den Boden – wo Resedilla sich befindet!« wiederholte er. »Ah, noch ist der Schwarze Gerard nicht tot!«
Er versuchte sich zu erheben, sank aber in sein Blut wieder zurück.
»Bleibt liegen, Señor!« bat Zilli. »Wir werden andere Hilfe holen für Resedilla und für Euch!«
Sie eilten weiter.
»Andere Hilfe?« sagte Gerard. »Ein anderer soll ihr helfen? Ah, pah!«
Damit stemmte er beide Arme auf die Erde und richtete sich auf. Er taumelte; aber er brachte es doch fertig, sich an die Palisaden zu lehnen und sein Gewehr nebst den Revolvern zu laden.
Er war vorher, als die Franzosen sich zurückgezogen hatten, um sich gegen die Apachen zu wenden, ihnen auf dem Fuß gefolgt und hatte sich in das dickste Kampfgewühl gestürzt. Ein Bajonettstich und ein Schuß, zu den vorherigen Verwundungen kommend, hatten ihn niedergestürzt. Er dachte, sterben zu müssen; aber er wollte sein Leben nicht hier unten aushauchen, sondern droben am Baum, wo er sich so kühn und nachdrücklich verteidigt hatte.
Dorthinauf schleppte er sich und legte sich nieder, während unten der Kampf noch hin– und herwogte. Wie gern wäre er noch nach der Venta gegangen, um unter den Augen der Geliebten zu sterben! Aber nein, er wollte ihr den häßlichen Anblick des Todes ersparen. Darum blieb er liegen. Er sah sein Blut fließen, ohne dem Lauf desselben Einhalt zu tun. Er fühlte mit dem roten Wallen des Lebens seine Kräfte schwinden; er schloß die Augen; er glaubte, der Tod sei nahe, um ihn von allen Zweifeln und Selbstvorwürfen zu erlösen. Er flüsterte leisen den Namen der Heißgeliebten. Da hörte er leichte Schritte, und als er die Augen öffnete, erblickte er die beiden Schwestern, die ihm sagten, daß Resedilla sich in Gefahr befinde.
Jetzt waren sie wieder fort, und er lehnte an den starken, hölzernen Pfosten.
Es war ihm, als ob die kriegerische Beschäftigung des Ladens ihm seine Kräfte zurückbringe. Er konnte stehen, ohne zu lehnen. Er versuchte zu gehen. Es gelang; erst langsam und wankend, dann immer schneller und sicherer. Er kam an die Lücke und kroch hindurch. Er achtete nicht darauf, daß alle seine Wunden bluteten.
»Resedilla, o Resedilla!«
Diese Worte wirkten wie ein Wunder, und er nahm die schwere Büchse fester in seine Hand und ging, nein, trabte weiter der Venta zu.
Er wußte nicht, daß die vordere Tür verschlossen war. Er fand sie zu. Ohne sich zu besinnen, schlug er das Fenster ein, nicht einen Flügel allein, nein, sein Stoß war so gewaltig, daß das ganze Fenster in das Zimmer stürzte.
Im nächsten Augenblick stand auch er in demselben, vor ihm der Soldat, den der Sergeant als Wache bei dem Vaquero zurückgelassen hatte.
»Halt!« rief dieser und fällte das Gewehr gegen ihn. – »Bube!«
Nur dieses Wort rief Gerard und schlug den Mann mit dem Kolben nieder.
»Macht mich los, Señor!« bat der Vaquero. – »Später!«
Er hatte keine Zeit, sich mit anderen Dingen abzugeben. Er mußte, so lange seine Kräfte noch vorhielten, der Geliebten Hilfe bringen. Er trat also hinaus in den Flur und stieg die Treppe empor. Dort lag vor einer zertrümmerten Tür der tote Posten. Gerard warf einen Blick hinter diese Tür und erblickte den zweiten Franzosen, der im Zimmer lag.
»Das ist Kurare«, murmelte er. »Das waren die Dolche der beiden Mädchen. Aber weiter! Hinauf auf den Boden! Hinauf zu Resedilla!«
28. Kapitel
Als der Sergeant vorhin, von Pirnero geführt, mit seinen acht Mann den Bodenraum erreicht hatte, sah er den alten Grafen mit den drei Damen am Giebelfenster stehen, wo sie den Lauf des Gefechtes beobachteten, und hörte ihn sagen:
»Die Franzosen werden vernichtet bis auf den letzten Mann!« – »Oho! So weit ist es jetzt noch nicht!« antwortete er.
Die vier blickten sich um und erschraken, als sie die Soldaten sahen, die den gefesselten Wirt mit sich führten.
»Vater, mein Vater!« rief Resedilla, auf Pirnero zueilend und ihn umschlingend. – »Halt! Zurück!« gebot der Sergeant. »Hier gibt es keine Szene.«
Da trat der Graf auf ihn zu und sagte:
»Sergeant, was wollen Sie?« – »Das haben Sie mich nicht zu fragen!« lachte dieser. »Wer sind Sie?« – »Ich bin Graf Ferdinando de Rodriganda.« – »Den suchen wir!« – »Mich? Warum?« fragte der Graf erstaunt. – »Ja! Sie! Sie sind mein Gefangener!« – »Sie irren. Ich bin kein Feind der Franzosen.« – »Das wird sich finden. Bindet ihn!« – »Mich binden?« fragte Don Ferdinando entrüstet. »Ein Sergeant befiehlt, mich, den Grafen Rodriganda, zu binden! Wer hat Ihnen den Befehl dazu gegeben?« – »Das geht Sie nichts an!« – »Ich würde Sie mit dieser meiner Faust niederschlagen, wenn Sie ein Offizier wären, einen Sergeanten aber rühre ich nicht an. Da ich leider unbewaffnet bin, so kann ich mich gegen so viele nicht verteidigen. Hier sind meine Hände!« Er wurde gebunden.
»Nun auch diese Frauen oder Mädchen!« gebot der Sergeant. – »Ist es möglich!« rief Resedilla. »Wir haben ja nichts getan!« – »Ergib dich drein!« warnte ihr Vater. »Gegenwehr hilft hier nichts.«
Sie ließ sich binden, Emma desgleichen. Ein Soldat trat auch zu Karja, die Schnur in der Hand. Die Augen der Indianerin funkelten. Sie war die echte Schwester Büffelstirns. Mit einem raschen Griff hatte sie das Seitengewehr des Soldaten erfaßt und aus der Scheide gerissen.
»Wagt es!« rief sie, die Klinge zückend. – »Donnerwetter, sind hier die Weiber giftig!« rief der Sergeant. »Schlagt sie nieder!«
Der Soldat wollte Karja fassen. Sie rannte ihm aber die Klinge in den Leib. Gleich darauf erhielt sie von einem anderen einen Kolbenschlag auf den Kopf, daß sie zusammenbrach.
»Widerstand gegen die Sieger!« rief der Sergeant »Das sollt Ihr entgelten.« Und zu dem Grafen gewandt, fuhr er fort: »Ich höre, Sie sind reich, Graf? Ich bin bereit Sie gegen ein Lösegeld freizugeben.« – »Wieviel verlangen Sie?« – »Wieviel haben Sie bei sich?« – »Sie haben meine Frage gehört. Antworten Sie!« – »Oho! Das klingt ja ganz, als ob Sie es wären, der hier zu befehlen hätte! Wo haben Sie Ihre Besitzung, Ihre Wohnung?« – »In der Stadt Mexiko.« – »So sind Sie hier fremd?« – Ja.« – »Aber Reisegeld haben Sie doch mit?« – Ja.« – »Wieviel?« – Es wird zureichen, mich loszukaufen, wenn ein Sohn der großen Nation wirklich den Banditen spielen will.« – »Zügeln Sie Ihre Zunge. Es ist Krieg, und wir sind die Meister. Wenn Sie meinen, daß Ihr Geld zureicht, so müssen Sie eine bedeutende Summe besitzen, und ich wäre ein Tor, eine bestimmte Zahl anzugeben. Wo ist Ihr Geld?« – »Ah! Sie wollen wirklich, im Ernst, den Räuber spielen?« – »Räuber oder nicht! Ich will wissen, wo sich Ihr Geld befindet!« – »Ich bin nicht verpflichtet, es Ihnen zu sagen. Wollen Sie ein Dieb sein, wollen Sie es stehlen, so suchen Sie es sich!« – »Ich befehle Ihnen, mir Auskunft zu geben!«
Bei diesen Worten trat der Sergeant drohend auf den Grafen zu. Dieser zuckte die Achseln und sagte im Ton tiefster Verachtung:
»Sie mir befehlen? Sie sind verrückt! Sie sind unheilbar wahnsinnig!« – »Ah, eine Beleidigung! Ich werde Sie zwingen, mir Antwort zu geben. Legt ihn nieder und zählt ihm so viel auf, bis er redet!«
Der Graf wurde von den Soldaten gepackt. Einer derselben aber meinte mit dem Lächelns eines Fauns:
»Sergeant, ich habe eine hübsche Idee. Wie wäre es, wenn wir die Weiber prügelten?« – »Warum diese?« – »Hm! Erstens ist das interessanter, und zweitens wird der Graf dann aus Galanterie eher gezwungen sein, Antwort zu geben.« – »Du bist ein unbezahlbarer Kerl; du hast recht. Haut sie! Alle beide. Zuerst aber diese da. Eine nach der anderen.«
Er deutete auf Resedilla.
»Mein Gott, es ist unmöglich!« rief Resedilla, im höchsten Grade erschrocken. – »Señor, seid vernünftig, seid menschlich«, bat Pirnero. – »Faßt sie«, gebot der Sergeant als Antwort.
Vier seiner Leute griffen zu. Resedillas Hände waren gebunden, aber sie wehrte sich dennoch mit allen Kräften gegen die rohe Gewalttätigkeit.
»Halt!« rief da der Graf, »ich werde sagen, wo sich das Geld befindet.«
Da nickte ihm der Sergeant grinsend zu und antwortete:
»Sehen Sie, wie gefügig Sie werden! Aber um Ihr Geld ist mir nun nicht mehr bange. Ich habe meinen Leuten einmal eine kleine, interessante Unterhaltung gewährt, und so sollen sie diese auch haben. Gebt der Mademoiselle zehn Hiebe und der anderen Dame ebenso viele!«
Ein lautes Gelächter erscholl von den Lippen der Franzosen. Sie packten Resedilla, die sie bei den Worten des Grafen losgelassen hatten, von neuem und bemühten sich, sie zu Boden zu zerren. Resedilla wehrte sich wie eine Verzweifelte, aber ohne Erfolg, wie sich denken läßt.
»Teuflische Buben!« rief jetzt der Graf und warf sich trotz seines Alters und seiner gebundenen Hände auf die vier Soldaten, erhielt aber von dem Sergeanten einen Kolbenschlag, der so kräftig war, daß er ihn besinnungslos machte. – »Vorwärts! Macht ein Ende«, befahl der Sergeant.
Diese Menschen waren so sehr auf die Ausführung ihres niederträchtigen Vorhabens bedacht, daß sie gar nicht an ihre Lage dachten. Ein Blick durch das Fenster hätte sie belehren müssen, daß sie unrettbar verloren seien, wenn sie nicht sofort den einzigen Weg benutzten, schwimmend über das Wasser hinüber die Flucht zu ergreifen.
Auf den letzten Zuruf des Sergeanten machten die vier Soldaten eine vereinte und doppelte Anstrengung, und Resedilla wurde zu Boden gerissen. Sie stieß vor Angst einen lauten Schrei um Hilfe aus, mit welchem sich ein Wehruf ihres Vaters vereinigte.
»Endlich!« rief einer der Soldaten, der auf der sich Sträubenden kniete, um sie am Boden festzuhalten. – »Ja, endlich!« ertönte eine tiefe Stimme von der Tür her.
Zu gleicher Zeit erkrachte ein Schuß, und der Soldat, der das Endlich ausgerufen hatte, stürzte mit zerschmettertem Schädel nieder.
»Halt, was ist das?« rief der Sergeant – »Der Schwarze Gerard ist es!«
Mit diesen Worten schoß der Jäger, der selbst halb tot war und kaum stehen konnte, den nächsten der drei Soldaten nieder, die Resedilla noch hielten.
Dann ließ er das schwere Gewehr krachend zu Boden fallen und ergriff die Revolver. Zwei Schüsse, rasch hintereinander abgefeuert, streckten auch noch die beiden übrigen nieder, so daß Resedilla sich frei fühlte und wieder aufspringen konnte.
Der Sergeant hatte mit seinen vier noch übrigen Leuten im ersten Augenblick ganz erschrocken dagestanden. Jetzt aber faßte er sich und brüllte:
»Der Schwarze Gerard! Drauf!«
Er schwang seine Büchse, um den Feind niederzuschlagen. Aber das Dach war zu niedrig, der Kolben blieb hängen. Dadurch irregemacht, blickte der Sergeant, der sich mitten im Sprung befand, in die Höhe. Er stolperte dabei über einen der tot daliegenden Franzosen und stürzte zur Erde.
Dies gab Gerard noch einmal Raum. Er schoß noch einen der vier, die ihn packten, nieder; dann wurde er umgerissen. Er versuchte sich loszumachen, um zu schießen; aber zwei Kugeln gingen fehl, und dann wurden ihm die Revolver entrissen.
Es gelang ihm zwar noch, mit der letzten, verschwindenden Kraft, das Messer aus dem Gürtel zu ziehen und damit um sich zu stechen, aber in der nächsten Sekunde mußte er verloren sein, denn der Sergeant hatte sich erhoben und sein Gewehr wieder aufgerafft. Er wollte nicht mehr zuschlagen, ein Schuß war ja sicherer, darum legte er die Büchse an und gebot seinen Leuten, die von Gerards Messer mehrfach verwundet waren:
»Zur Seite mit euch, daß ich euch nicht treffe!«
Sie gehorchten, und schon legte er den Finger an den Drücker, da schrie Resedilla laut auf und faßte mit ihren gefesselten Händen den Lauf seines Gewehres. Der Schuß krachte, aber er ging fehl.
»Zum Teufel! Schafft mir das Frauenzimmer vom Leib!«
Bei diesen Worten ergriff der Sergeant das Gewehr eines seiner Untergebenen, das noch geladen war. Zwei warfen sich auf Resedilla, um sie zurückzuziehen, und der dritte kniete auf dem am ganzen Körper blutenden Gerard, der sich noch einmal emporzurichten versuchte, aber kraftlos niedersank.
»Gerard, mein guter Gerard!« rief Resedilla unter der vergeblichen Anstrengung, sich loszureißen. – »Lebe wohl, Resedilla!« hauchte er kaum hörbar.
Die Mündung des Gewehrs gähnte gerade vor seiner Stirn. Er schloß die Augen.
29. Kapitel
Als Pepi und Zilli vorhin Gerard verlassen hatten und in ihrer Herzensangst noch eine Strecke gelaufen waren, sahen sie einen dunkelhaarigen Mann die Felsen emporklimmen. Er hatte die Büchse über die Schulter geworfen und trug mexikanische Kleidung. Pepi blieb stehen und fragte:
»Wollen wir ihn rufen, liebe Zilli?« – »Ja, er ist Mexikaner.«
Sie erhoben ihre Stimmen und riefen. Der Mann hörte es, hielt an und blickte empor.
»Kommt schnell herauf, Señor!« rief Pepi. – »Warum?« fragte er. – »Die Franzosen sind in der Venta.«
Die Kletterbewegungen des Mannes waren erst mit langsamer Sicherheit vor sich gegangen, jetzt aber war es, als ob er Flügel erhalten habe. Er schnellte sich mehr, als er stieg, herauf, und stand nun vor den Mädchen.
Als sie ihn so nahe sahen, wollten sie sich fast fürchten. Diese untersetzte, breitschultrige Gestalt! Diese Stirn, diese Augen, diese ernsten Züge!
»Wer seid Ihr, Señor?« entfuhr es Pepi unwillkürlich. – »Ich bin Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas«, antwortete er. – »Seid Ihr ein Freund des Schwarzen Gerard?« – »Ja.« – »Und des Señors Pirnero?« – »Ja.« – »Da oben liegt Gerard im Sterben, und in der Venta sind Franzosen.«
Da leuchtete das dunkle Auge Büffelstirns grimmig auf.
»Wie viele?« fragte er. – »Wir haben neun gesehen. Sie sind oben unter dem Dach.« – »Was tun sie da?« – »Der Graf ist oben.« – »Der Graf Rodriganda?« – »Ja.« – »Wer noch?« – »Señorita Resedilla mit noch zwei anderen Damen. Wir sahen sie mit dem Grafen nach oben steigen, ehe wir uns einschlossen.« – »Ah! Gibt es einen schnellen Weg nach der Venta?« – »Ja, dort rechts durch die Lücke. Aber die vordere Tür ist zu, Ihr müßt durch die hintere in das Haus.« – »Ich kenne das nicht und könnte zu spät kommen. Führt mich, Señorita! Diese andere Señorita mag hier an den Palisaden weitergehen, bis sie an das Tor kommt. Dort ruft sie nach dem Señor Sternau, dem sie alles erzählen muß.« – »Mein Gott, ich allein, ich fürchte mich!« sagte Zilli. – »Es ist keine Gefahr, wir haben ja gesiegt. Rasch!« sagte Büffelstirn. – »Ich werde an das Tor gehen«, entschied die entschlossene Pepi. »Führe du den Señor, liebe Zilli!«
Sie eilte fort.
»Kommt, Señorita, aber schnell, sehr schnell!« sagte Büffelstirn.
Er ergriff die Hand des Mädchens und eilte mit ihr davon, so daß sie fast springen mußte, um mit ihm fortzukommen. Als sie die Stelle erreichten, wo Gerard gelegen hatte, blieb das Mädchen erstaunt vor der Blutlache stehen.
»Hier lag der Schwarze Gerard«, sagte sie. »Er ist fort!« – »Habt Ihr es ihm gesagt, daß die Franzosen in der Venta sind?« – »Ja.« – »So ist er dort. Weiter.«
Sie kamen durch die Palisadenlücke. Zilli führte den Häuptling auf dem Weg, den sie selbst gegangen waren, zurück. Als sie den Hausflur betraten, ertönte oben ein Schuß. Es war derselbe, dessen Kugel Resedilla so glücklich abgeleitet hatte.
»Gott, sie werden ermordet!« rief Zilli. – »Bleibt unten, Señorita«, gebot jetzt Büffelstirn, riß sein Doppelgewehr vom Rücken und sprang die Treppe empor. Er kam gerade in dem Augenblick an, als der Sergeant dem Schwarzen Gerard die Mündung des Gewehres vor die Stirn brachte.
»Hund!«
Mit diesem Worte rannte ihm der Häuptling den Kolben so in die Seite, daß der Franzose mehrere Ellen weit fortgeschleudert wurde. Ein zweiter Kolbenstoß traf den, der auf Gerard kniete, so an den Kopf, daß er die Besinnung verlor. Im Nu hatte sich der Häuptling herumgedreht. Er sah die zwei, die Resedilla hielten. Seine Büchse fuhr empor, zwei Schüsse krachten, und die beiden Franzosen stürzten zur Erde.
Der nächste Schritt des Mixtekas war zu Karja, seiner Schwester. Sie lag von dem Schlag, der sie getroffen hatte, noch besinnungslos am Boden. Ihre Stirn war bereits blutig unterlaufen.
»Das haben diese Franzosen getan?« fragte der Häuptling grimmig. – »Ja«, antwortete Resedilla. – »Warum?« – »Sie hat sich verteidigt, sie hat den Soldaten da mit dem Seitengewehr erstochen.« – »Ah, sie ist eine Mixteka!« sagte er stolz. »Büffelstirn wird sie rächen. Wer ist der Anführer dieser Hunde?« – »Jener Sergeant.«
Resedilla zeigte nach dem Genannten, der sich vor Schmerzen krümmte.
»Was wollte er von Euch?« – »Er wollte das Geld des Grafen, und die Damen wollte er schlagen lassen. Señorita Karja erhielt einen Hieb, daß sie stürzte. Señorita Emma fiel in Ohnmacht, und ich wurde zu Boden geworfen, um Schläge zu empfangen.«
Büffelstirn knirschte mit den Zähnen.
»Der Tod wäre zu wenig; der Hund soll es büßen!«
Er schritt auf den Sergeanten zu, der sich halb wieder erhoben hatte, stieß ihn mit einem kräftigen Tritt zu Boden, kniete auf ihm nieder und zog das Messer.
»Himmel, was wollt Ihr machen?« rief der Sergeant. – »Du bist kein Mensch, sondern ein Tier«, antwortete der Häuptling. »Du hast die Tochter der Mixtekas geschlagen, ich werde dich lebendig skalpieren.« – »Gott, o Gott, nur das nicht!« rief der Franzose. – »Rufe deinen Gott nicht an, denn du bist ein Teufel.« – »Tötet mich lieber.« – »Du selbst hattest kein Erbarmen. Ich werde dir zeigen, wie man skalpiert. Nicht rasch, mit drei Schnitten und einem Ruck, sondern fein langsam, wie man sich die Skalplocke des Feindes auf die Haut des Büffels malt.« – »Gnade! Gnade!« – »Du bist eine Memme. Wimmere fort.«
Damit faßte der Mixteka das Haar des Franzosen mit der Linken und setzte ihm das Messer an die Stirn. Dieser machte einen Versuch, sich aufzurichten, aber das Knie des Mixteka drückte sich so fest an seine Brust, und das andere legte sich nun über seinen Hals weg, daß sein Oberkörper wie angenagelt am Boden lag.
Jetzt schnitt das Messer des Häuptlings die Stirnhaut durch. Der Franzose stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Ein zweiter ertönte von seitwärts her, Resedilla hatte ihn ausgestoßen. Ihr Vater stand zitternd neben ihr und betrachtete, während ihm die Haare zu Berge stiegen, die wilde, fürchterliche Szene.
»Oh, tut es nicht, Señor!« bat sie schaudernd. – »Er hat noch mehr verdient«, antwortete der Indianer kalt, »er wird auch Nase und Ohren verlieren. Büffelstirn ist kein Henker, aber die Tochter der Mixtekas muß gerächt werden!«
Er zog dabei sein Messer langsam um den Haarschopf des Franzosen herum. Dieser stieß ein Geheul aus, das nicht mehr menschlich genannt werden konnte. Resedilla legte die Hände vor die Augen und glitt an ihrem Vater zu Boden nieder. Sie wurde ohnmächtig. Nun lagen alle drei Damen besinnungslos da. Die Franzosen waren, zwei ausgenommen, tot, und auch Gerard lag ohne Regung da. Der ganze Boden schwamm von Blut. Inmitten dieser grauenhaften Szene stand der alte Pirnero und heftete mit Entsetzen seine Augen auf Büffelstirn. Er konnte den Blick nicht von ihm wenden, soviel Mühe er sich auch gab, von ihm loszukommen.
»Schreie nicht, Hund!« sagte der Häuptling. »Dieser Schnitt macht keine Schmerzen. Sie beginnen erst jetzt, wenn ich dir das Fell samt den Ohren herabziehe.«
Er schob den Kopf des Franzosen erst auf die linke und dann auf die rechte Seite, um ihm erst das rechte und dann das linke Ohr abzuschneiden, wobei die beiden abgelösten Ohrmuscheln jedoch an der oberen Kopfhaut hängenblieben.
Der Franzose brüllte wie ein Stier.
»Schweig, Feigling!« rief Büffelstirn.»Erst jetzt wirst du singen; denn nun ziehe ich dir das Fell herunter. Paß auf.«
Er faßte die Haare und zog die Kopfhaut los, nicht schnell, sondern langsam und allmählich, wie er gesagt hatte.
Der Sergeant konnte den Kopf und den Oberkörper nebst den Armen nicht bewegen, weil der Mixteka auf denselben kniete, aber die Beine waren ihm freigelassen. Er warf sie in die Luft, er schlug mit ihnen die Dielen vor Schmerzen. Er brüllte nicht mehr, denn das, was er tat, die Töne, die er ausstieß, waren kein Brüllen mehr zu nennen. Es gibt sogar kein Tier, das imstande wäre, so fürchterliche, entsetzliche, grauenhafte Laute auszustoßen.
Der Häuptling blieb kalt. Als er die Haut abgezogen hatte, sagte er:
»Dies ist die Haut eines Feiglings, der schreit, wenn er skalpiert wird. Büffelstirn wird sie nicht tragen, sondern er schenkt sie dir als Andenken an diese schöne Stunde. Und dazu wird er dir noch die Nase geben, die bisher in deinem Gesicht gewesen ist.«
Dabei faßte er mit zwei Fingern der Linken die Nase und trennte sie mit einem raschen Schnitt von ihrer Stelle. Der Franzose stieß dabei einen Schrei aus, in dem sich seine ganze körperliche und geistige Qual gipfelte, dann ließ er nur noch ein anhaltendes Stöhnen und Wimmern hören.
Jetzt zog Büffelstirn einen Riemen hervor, zerschnitt ihn in zwei Teile und band damit dem Skalpierten Hände und Beine zusammen. Dann schleifte er ihn in eine Ecke, wickelte die Nase in den Skalp und legte dann beides neben ihm hin.
»Dein Leben wäre zu wenig gewesen«, sagte er zu ihm. »Büffelstirn mochte es nicht haben. Nun hat er dir gezeigt, einen Lebenden zu skalpieren, ohne ihn zu fesseln. Das ist ein Meisterstück, das unter tausend Männern kaum einer fertigbringt. Du kannst davon erzählen, wenn du in das Land zurückkehrst, in dem die Hunde, deine Brüder, wohnen.«
Pirnero lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand. Büffelstirn trat zu ihm, schüttelte ihn und sagte:
»Mein weißer Bruder kann die Augen öffnen, denn es ist vorbei. Ich werde dir die Fesseln lösen und den anderen auch.«
Er zerschnitt die Schnüre, mit denen die Franzosen ihre Opfer gefesselt hatten. Dabei bemerkte er, daß der Soldat, der Gerard zuletzt gehalten und dann einen Stoß vor den Kopf bekommen hatte, wieder erwachte.
»Er soll das Leben nicht wiedersehen«, sagte er.
Mit diesen Worten stieß er ihm das Messer in das Herz.
In diesem Augenblick hörte man eilige Schritte, die zur Treppe heraufkamen. Sternau trat ein mit Donnerpfeil und Mariano, alle drei die Waffen in der Hand. Mit einem Blick erkannte Sternau die ganze Szene.
»Ah, Büffelstirn hat aufgeräumt!« sagte er. – »Der Schwarze Gerard vorher«, antwortete der Angeredete bescheiden.
Donnerpfeil sah Emma am Boden liegen und eilte auf sie zu.
»Herrgott, sie ist tot?« fragte er.
Sternau kniete neben ihr nieder und untersuchte sie.
»Nur eine Ohnmacht«, sagte er beruhigend. – »Und die Tochter der Mixtekas?« fragte Büffelstirn.
Sternau untersuchte auch diese.
»Eine Kontusion. Wir müssen es abwarten«, entgegnete er. – »Wenn sie stirbt, wird Büffelstirn ihr tausend Skalpe der Franzosen auf das Grab legen«, meinte der Häuptling drohend. – »Wer hat dem Mann dort den Skalp genommen?« fragte Sternau, auf den wimmernden Franzosen deutend. – »Er war der Anführer der Feinde. Er hat alles verschuldet Er hat die Tochter der Mixtekas geschlagen. Ich habe ihm die Haut samt Ohren und Nase genommen.«
Sternau wandte sich ab. Der Anblick dieses Menschen war zu gräßlich.
»Señor, blickt auch nach meinem Kind«, bat Pirnero. Sternau erfüllte ihm den Wunsch.
»Auch nur eine Ohnmacht«, entschied er, als er es untersucht hatte.
Dann trat er zu dem Grafen und untersuchte dessen Kopf, der von einem wuchtigen Kolbenschlag getroffen worden war. Er machte ein sehr ernsthaftes Gesicht
»Wie steht es?« fragte Mariano, im höchsten Grad besorgt. – »Es ist gefährlich«, antwortete Sternau. – »Mein Gott. Welch ein Herzeleid!« – »Die Gefahr liegt in den beiden Umständen, daß der Graf alt ist und schon so vieles erlitten hat. Es werden Stunden vergehen, ehe er aufwacht. Aber wer liegt da? Das ist der Schwarze Gerard.«
Er kniete nun auch bei diesem nieder, um ihn zu untersuchen.
»Gott, so zerschossen und zerstochen sah ich noch keinen Menschen!« sagte er. »Er muß zunächst verbunden werden, um fernere Blutungen zu vermeiden.« – »So ist er nicht tot?« fragte Pirnero. – »Jetzt noch nicht. Ich kann erst später sehen, ob seine Wunden tödlich sind oder nicht. Vor allen Dingen schafft Leute herbei, um die Patienten zu transportieren. Señor Pirnero, Euer Haus wird ein förmliches Lazarett werden. Gerard ist der erste, der in ein Bett muß. Faßt an, Freunde. Wir wollen ihn vorsichtig fortschaffen.«
Da auf dem Schlachtfeld nichts mehr zu tun war, so waren sehr bald Hände gefunden, die Ohnmächtigen in separate Zimmer zu schaffen. Jetzt erst begann Sternaus Haupttätigkeit, da die beiden Wiener Ärzte sich noch auf dem Kampfplatz befanden, um den verwundeten Apachen beizustehen.
Die toten Franzosen wurden vom Boden herabgeschafft und einfach in den Fluß geworfen. Ebenso erging es auch den auf dem Kampfplatz Gefallenen, nachdem ihnen die Skalpe und alles Brauchbare abgenommen worden war.
Dort hatte es überhaupt noch einige Szenen gegeben, die unmöglich übergangen werden dürfen.
30. Kapitel
Als der letzte Franzose gefallen war und es keine kriegerische Pflicht mehr zu erfüllen gab, ritt Bärenauge links nach dem Fluß hinab, wo über einem Wipfel einige Bäume hervorragten.
Einige Minuten später hatte auch Bärenherz sich die von ihm Erlegten herausgesucht und ihnen sein Zeichen eingeschnitten. Dann ritt er, ganz wie ohne alle Absicht, auf dasselbe Gebüsch zu.
Hinter demselben weidete das Pferd Bärenauges; er selbst aber stand am Ufer und blickte dem Lauf des Wassers nach, ohne sich umzudrehen, als er das Geräusch des Herannahenden vernahm, der abstieg und sein Pferd freigab.
Ein berühmter Häuptling darf keinen dritten sehen lassen, welche zarte Regungen er seinen Familienangehörigen widmet. Die beiden Brüder konnten unmöglich vor den Augen anderer ihre Freude über das Wiedersehen kundgeben. Darum zog Bärenauge sich nach diesem verborgenen Ort zurück, und darum folgte ihm Bärenherz mit einer Genauigkeit, als ob diese Zusammenkunft vorher verabredet worden sei.
Dazu kam, daß der jüngere Bruder noch nicht wußte, wie der ältere ihm entgegenkommen werde.
Bei den Apachen hat der ältere große Vorrechte vor dem jüngeren. Bärenauge war jetzt Häuptling seines Stammes. Dem Gebrauch nach war er gezwungen, diese Würde seinem Bruder abzutreten. Darum war er höchst neugierig, ob Bärenherz sich beim ersten Wort als Bruder oder Häuptling zeigen werde. Darauf kam es nach Indianersitte an.
Während er so dastand, von Zweifeln und Befürchtungen durchzogen, legten sich zwei Arme um seinen Nacken, und sein Kopf wurde nach hinten zurückgezogen. Dann fühlte er zwei Lippen auf seinem Mund, und Bärenherz sagte mit überströmender Liebe:
»Schi tische – mein Bruder!« – »Schi nta-ya – mein Bruder!« antwortete Bärenauge, nun auch seinerseits die Arme um ihn schlingend.
Eigentlich heißen diese Worte nicht bloß »Bruder«. Die Indianer haben nämlich besondere Bezeichnungen für den älteren und jüngeren Bruder. Ebenso ist dies auch bei Schwestern und sonstigen Verwandten der Fall. »Schi tische« heißt »mein jüngerer Bruder«, und »schi nta-ye« heißt »mein älterer Bruder«. Brüder untereinander werden sich niemals einfach mit dem Wort »Bruder« anreden, sondern stets die Bezeichnung »älterer« oder jüngerer« hinzufügen. Die erstere Bezeichnung soll einen gewissen freiwilligen Respekt ausdrücken, während in der letzteren eine aufrichtige Zärtlichkeit liegen soll.
Dieses Willkommen des älteren Bruders sagte Bärenauge, daß er von seiten desselben für seine Würde als Häuptling nichts zu befürchten habe, darum quoll ihm sein Herz von Liebe und Dankbarkeit über. Er nahm den Tomahawk in die Linke, streckte die Rechte vor und sagte, indem ihm die Tränen über die Wangen liefen:
»Soll ich mir die rechte Hand abhauen, mein Bruder?« – »Weshalb?« – »Aus Freude, dich wiederzusehen.«
Bärenherz nahm ihm den Tomahawk aus der Hand, steckte ihn sich in den Gürtel und gab Bärenauge den seinigen dafür.
»Wir tauschen unsere Schlachtbeile«, sagte er. »Mein Beil ist dein, und dein Beil ist mein. So sind auch unsere Hände. Du sollst die deinige behalten, denn sie ist auch die meinige. Sie soll noch tausend Feinde der Apachen töten.«
Er setzte sich am Uferrand nieder, und sein Bruder tat dasselbe. Sie schlangen die Hände ineinander, blickten sich in die Augen und konnten sich nicht sattsehen aneinander.
Dann endlich drückte Bärenherz seinen jungen Bruder fest an sich und sagte:
»Du trägst die Farben des Krieges.« – »Du auch«, entgegnete Bärenauge, der die Absicht des älteren Bruders sogleich erriet und sich herzlich darüber freute. – »Die Farbe des Krieges verdeckt dein Angesicht«, fuhr Bärenherz fort – »Man kann es nicht sehen«, stimmte Bärenauge bei. – »Hier fließt Wasser zu unseren Füßen.« – »Die Farbe weicht dem Wasser.« – »Willst du mir dein Angesicht zeigen?« – »Und du mir das deinige?« – »Ich wasche mich.« – »Ich auch.«
Sie sprangen zum Wasser und entfernten das gräßliche Blau, Rot und Schwarz, das ihre Gesichter so sehr entstellte. Dann kehrten sie an das Ufer zurück und blickten sich an. Sie sahen sich so ähnlich! Bärenauge war das ganz genaue, wenn auch jüngere Ebenbild von Bärenherz.
»Dein Angesicht ist schön!« sagte Bärenherz. – »Und das deinige das Angesicht eines großen Häuptlings.« – »Ich bin nicht Häuptling, ich bin dein Bruder!« – »Und ich bin dein Bruder und dein Diener. Ich habe dich sehr lieb!«
Darauf umarmten sie sich, drückten einander an das Herz und küßten sich.
Sie waren so glücklich, so froh, wie zwei Kinder, zwei Knaben, die noch nicht Männer sind und also die Stimme des Herzens sprechen lassen dürfen.
Man sage nicht, daß die Indianer Wilde sind. Man hat sie zu dem gemacht, was sie scheinen. Sie sind ebenso gute, treue, liebe und ehrliche Menschen wie alle anderen Leute. Wer sie kennengelernt hat, der weiß das.
Die beiden setzten sich wieder nieder. Sie hatten sich wiedergefunden, und so ging sie für jetzt alles andere ganz und gar nichts an.
»Du warst sechzehn Sommer fort«, sagte Bärenauge. – »Du warst ein Knabe, als ich ging.« – »Und du ein großer Häuptling. Warum kehrtest du nicht zurück?« – »Ich werde es dir später erzählen. Als ich ging, lebte mein Vater noch.« – »Er ist tot.« – »Wie starb er?« – »Im Kampf, nachdem er elf Komantschen getötet hatte.« – »So ist er in die ewigen Jagdgründe gegangen, wo ihn die Komantschen bedienen werden in alle Ewigkeit. Sie werden seine Sklaven sein. Warst du bei ihm, als seine Seele den Körper verließ?« – »Sein Haupt lag in meinem Schoß, als er verschied.« – »Welches war sein letztes Wort?« – »Sein letztes Wort war dein Name.«
In das Auge Bärenherz‘ traten Tränen.
»Hast du ihm ein Grabmal errichtet?« fragte er. – »Ja. Es ist das größte Grabmal im ganzen Gebiet der Apachen. Er sitzt in seinem Grab auf seinem Schlachtroß, behängt mit allen Skalpen und Totems und trägt seine Waffen in den Händen.« – »Ich werde sein Grabmal besuchen und dort zum großen Geist beten. Als er starb, verloren die Kinder der Apachen einen guten Vater und einen großen Häuptling.« – »Sie baten mich, sein Nachfolger zu sein.« – »Du wurdest es?« – »Nicht gleich, denn du warst würdiger als ich. Die Kinder unseres Stammes waren fünf Sommer und fünf Winter ohne Häuptling. Als du da noch nicht zurückkehrtest, konnte ich den Bitten nicht länger widerstehen, aber ich opferte deiner Seele in jeder Woche das Leben eines Weißen.« – »Warum eines Weißen?« – »Ich folgte deiner Spur, bis ich sie verlor; aber ich erfuhr, daß deine letzten Feinde Bleichgesichter gewesen waren.« – »Du hast recht gehört; ich werde dir mehr erzählen.« – »Von heute an wirst du Häuptling sein!« – »Nein!« – »Du bist der Ältere!« – »Du bist so tapfer wie ich!« – »Aber nicht so weise und erfahren!« – »Das sagst nur du, mein Bruder!« – »Hast du es nicht selbst gesehen und gesagt, heute, als ich, um zwei oder drei einzelne Feinde zu töten, nicht sah, in welcher Gefahr sich meine Krieger befanden?« – »Du warst tapfer und unwiderstehlich; das reißt den Krieger fort. In Zukunft wird meine Lehre dir stets vor Augen sein.« – »Ich habe jetzt noch viel zu tun. Ich muß meine Freunde begleiten und mit ihnen kämpfen. Wenn ich zurückkehre, werde ich einen anderen Stamm finden, der mich bittet, sein Häuptling zu sein.« – »Mein Bruder, du bist nicht nur tapfer und weise, sondern dein Herz ist das Herz eines guten Bruders. Du willst mich nicht kränken; dafür wird mein Leben dir gehören bis zum letzten Hauch desselben.«
Sie umarmten sich abermals innig und aufrichtig.
Das waren zwei sogenannte Wilde. Würde wohl in unseren »zivilisierten« Staaten ein älterer Bruder sich so frisch und frei, so selbstlos dazu verstehen, dem Nachgeborenen seine Rechte abzutreten?
Es entstand eine Pause, während welcher die beiden »Rothäute« sich ihren stillen Gefühlen hingaben. Dann sagte Bärenherz:
»Als ich fortging, lebte auch meine Mutter. Sie war die beste Mutter, so weit die Dörfer und Jagdgründe der roten Männer reichen.« – »Du redest die Wahrheit. Ich habe viele Mütter gesehen, aber keine wie sie.« – »Auch sie ist zum großen Geist zurückgekehrt?« – »Nein.«
Da schlug Bärenherz, der große Apachenhäuptling, in kindlichem Jubel und überquellender Freude die Hände zusammen und rief fragend:
»Sie lebt noch?« – »Sie lebt« – »Ist‘s wahr?« – »So wahr wie mein Schwur!«
Nun sprang Bärenherz empor, breitete seine Arme gegen Westen aus und rief:
»O Mutter, o Mutter, meine Mutter!«
Dann kniete er neben dem Bruder nieder, küßte ihn auf Stirn, Mund, Wangen und Augen und sagte:
»Diese Nachricht ist mehr wert als alles, was du mir geben könntest.« – »Und als die Häuptlingswürde?« – »Ja, viel, viel mehr wert!«
Seine Augen quollen über von einer Flut von Tränen. Er faltete die Hände, hob sie empor und rief, noch immer auf den Knien liegend:
»O Gott, du guter Manitou, du gnädiger, großer Geist, ich danke dir, daß du mir die erhalten hast, die mir mein Herz und mein Leben gab.«
Das war das Gebet eines Indianers. Wie manches sogenannte christliche Kind könnte sich ein Beispiel an diesen rothäutigen »Barbaren« nehmen!
»Als ich von ihr fortging, zählte sie fünfmal zehn Winter«, sagte er. – »Sie zählt jetzt sechsmal zehn und sechs Winter«, fügte Bärenauge hinzu. – »Wie ist die Kraft ihres Körpers?« – »Ihr Körper ist stark und ihre Seele licht, aber ihre Augen sind dunkel!« – »Sie kann nicht mehr gut sehen?« – »Sie kann das Licht der Sonne gar nicht mehr sehen.« – »O Manitou! Sie ist blind?« fragte Bärenherz erschrocken. – »Ja.« – »Seit welcher Zeit?« – »Seit zwei Wintern und einem Sommer.« – »Wer trägt die Schuld, daß ihr das Licht genommen ist?« – »Der böse Geist hat sie angeblasen und eine Haut über das Auge gemacht.« – »Was sagt der Zauberer dazu?« – »Der Medizinmann hat ihr viele Mittel gegeben. Er hat ihr süße und bittere Tränke bereitet; er hat ihr Kräuter und Wurzeln aufgelegt, aber der böse Geist hat sich nicht erweichen lassen.« – »Habt ihr keine Opfer gebracht?« – »Viele, aber es hat nichts geholfen.« – »Ich weiß ein Mittel, das ihr vielleicht helfen wird.« – »Welches, mein Bruder?« – »Ich habe einen weißen Freund, der ein großer Medizinmann und auch Zauberer ist.« – »Ein Bleichgesicht? Der böse Geist flieht vor keinem Bleichgesicht.« – »Uff! Aber dieses Bleichgesicht ist so viel wert wie zehn rote Häuptlinge.«
Bärenauge sah ihn staunend an. Das war doch ganz und gar nicht gesprochen wie ein Häuptling der Apachen.
»Will mein Bruder mit mir scherzen?« fragte er. – »O nein. Dieses Bleichgesicht hat schon vielen Blinden die Sonne wiedergegeben.« – »Wie heißt der Mann?« – »Sternau.« – »Das ist ein fremder, unbekannter Name. Der Mann wird sein wie der Halm des Grases in der Savanne; es sind ihrer Millionen.« – »Kennst du den Namen Matavase?« – »Den Fürsten des Felsens? Wer sollte ihn nicht kennen! Er ist das größte Bleichgesicht in den Bergen und in der Savanne.« – »Der Fürst des Felsens wird von seinem Volk Sternau genannt« – »Ugh! Der Fürst des Felsens ist dein Freund?« fragte Bärenauge im Ton des freudigsten Erstaunens. – »Ja.« – »Wo ist er?« – »Hier!« – »Hier? Beim Fort Guadeloupe?« – »Ja.« – »Was tut er da?« – »Er hat das Fort kommandiert und den Angriff der Franza abgeschlagen.« – »So werde ich ihn sehen?« – »Ja.« – »Wann kam er nach dem Fort?« »Heute beim vierten Teil der Sonne.« – »Hat er viele Krieger bei sich?« – »Nein, aber die bei ihm sind, sind sehr berühmt« – »Wie heißen sie?«
Ein leises Lächeln ging über das Gesicht Bärenherzens, als er antwortete:
»Sie heißen Shoshinliett …« – »Shoshinliett? Bärenherz? Du selbst bist mit ihm gekommen?« – »Ja. Ich bin diese sechzehn Winter mit ihm zusammengewesen.« – »Wo?« – »Auf einer Insel mitten im großen Wasser. Ich werde es dir noch erzählen. Ferner sind bei ihm Donnerpfeil und Büffelstirn.« – »Das sind sehr berühmte Krieger.« – »Auch noch andere sind bei ihm, welche du sehen wirst. Er ist ein Häuptling aller Krankheiten. Er hat ein kleines Messer, mit dem er in ein blindes Auge ein Loch schneidet, daß das Licht der Sonne wieder eindringen kann.«
Bärenauge streckte die Hände von sich und sagte:
»Ein Bruder soll dem anderen nur die Wahrheit sagen.« – »Ich sage sie.« – »Hast du es selbst gesehen?« – »Nein, aber ich habe es gehört« – »Man hat nicht die Wahrheit gesagt« – »Der Mann, der es sagte, hat es mit eigenen Augen gesehen oder es von einem gehört, der es mit eigenem Auge gesehen hat« – »Ich glaube es dennoch nicht!« – »Du wirst es glauben, wenn du es gesehen hast!« – »Aber ich werde es nicht sehen!« – »Du wirst es!« – »Wann?« – »Sehr bald, denn ich werde den Fürsten des Felsens bitten, mit in den Wigwam der Apachen zu reiten, um meiner Mutter die Sonne wiederzugeben.« – »So laß uns aufbrechen und sogleich zu ihm gehen.« – »Ja, komm! Die Mutter soll sich freuen, wenn Bärenherz zurückkehrt, denn er wird ihr den Medizinmann mitbringen, der ihr Auge gesund macht!«
Das Gesicht des Indianers glänzte vor Glück und Freude, seine Mutter wiedersehen zu können. Fast wäre er aufgestiegen, ohne an das Notwendigste zu denken.
»Halt!« sagte jedoch Bärenauge. »Wir haben uns gewaschen!« – »Uff!« rief jetzt Bärenherz und griff unter seine Satteldecke, um die Farbennäpfchen hervorzubringen, die jeder Indianer im Krieg bei sich führt, und da sein Bruder auch die seinigen herbeiholte und sie somit zu zweien waren, konnten sie einander Hilfe leisten.
Es wäre für einen Genre-Maler ganz gewiß von größtem Interesse gewesen, dieser Szene beizuwohnen. Da standen die berühmten Häuptlingssöhne hinter dem Gesträuch am Fluß, beide sich so ähnlich an Gestalt, Gesicht und Charakter, bewaffnet bis an die Zähne, und malten sich gegenseitig die Gesichter an, und das mit einem so hohen Ernst und mit einer Emsigkeit, als ob es sich um ein bedeutendes Kunstwerk handle.
Nachdem sie fertig waren, betrachteten sie sich gegenseitig mit kritischen Blicken, ob das große Werk auch gelungen sei, und da beide aus brüderlicher Liebe das Vorzüglichste geleistet hatten, so steckten sie die Farbennäpfchen wieder in die Satteltaschen zurück und bestiegen die Pferde.
Als sie hinter den Büschen hervorkamen und in strenger Haltung so ernst und gemessen nach dem Kampfplatz zurückkehrten, hätten wohl die wenigsten vermutet, daß sich kurz vorher eine so herzliche, tiefsinnige Szene in den Fluten des Puercosflusses abgespielt hatte.
Natürlich galt ihr erster Ritt dem Präsidenten Juarez, der soeben das Schlachtfeld betrat. Die Indianer hatten ihre Toten zusammengetragen, um heute am Abend die Totenklage über sie anzustimmen. Die Franzosen waren bereits in den Fluß geworfen worden.
Ist der Indianer mit seinen Familiengenossen zusammen, so nennt er sich »sich«, er spricht also in der ersten Person. Anderen gegenüber aber nennt er sich fast stets bei seinem Namen, so daß es für einen Uneingeweihten leicht ist, zu denken, er rede von einer dritten Person, die gar nicht zugegen ist.
Die Brüder hatten sich während ihrer Unterredung des Ausdruckes »ich« bedient. Von jetzt an aber hatten sie meist wieder in der dritten Person zu sprechen.
Als Juarez die beiden Indianer kommen sah, hielt er sein Pferd an, um sie zu erwarten, deutete auf die ringsum sichtbaren Blutlachen und sagte:
»Der Tomahawk der Apachen hat eine reiche Ernte gehalten.« – »Ugh!« antwortete Bärenauge einfach. – »Meine roten Brüder sind tapfere Krieger. Wem gehören die beiden Leichenhaufen, die dort noch am Felsen liegen?«
An der bezeichneten Steile hatte man nämlich während der Abwesenheit der Häuptlinge zwei Haufen Franzosenleichen zusammengetragen. Bärenauge antwortete:
»Sie gehören Bärenherz und Bärenauge. Diese Feinde wurden von ihnen erlegt und mit ihrem Zeichen versehen. Der Apache nimmt nur die Skalpe der Feinde, die er selbst getötet hat.«
Der Blick des Präsidenten musterte Bärenherz.
»Ah«, fragte er, »dieser Krieger ist Shoshinliett, der berühmte Häuptling der Apachen?« – »Ja«, antwortete sein Bruder. – »Ich hörte, er sei verschwunden.« – »Du hast recht gehört, heute aber ist der Häuptling wiedergekommen.«
Da nahm das Gesicht des Präsidenten den Ausdruck des Nachsinnens an, und er sagte:
»Ah, jetzt weiß ich es, jetzt besinne ich mich. Kennt mein Bruder Bärenherz die Hacienda del Erina?« – »Er kennt sie«, antwortete der Gefragte. – »Der Besitzer war einst bei mir, als ich noch Oberrichter war, und erzählte mir von verschwundenen Leuten, unter denen auch Bärenherz war.« Und wieder abbrechend, fragte: »Haben die Apachen heute viele Skalpe und Beute gewonnen?«
Juarez ging deshalb sogleich zu einem anderen Gegenstand über, weil er aus Erfahrung wußte, daß Indianer, und zumal Häuptlinge, sich nicht gern ausfragen lassen.
»Bärenauge hat die Beute seinen Kriegern geschenkt, er weiß nicht, ob sie groß ist«, lautete die stolze Antwort. – »Es sind jedenfalls dreihundert Gewehre?«
Bärenauge nickte.
»Und ebensoviel Pferde.« – »Ja.« – »Nebst vieler Munition?«
Ein abermaliges Nicken.
»Will mein Bruder mir das verkaufen?«
Der Häuptling schüttelte mit dem Kopf.
»Die Krieger der Apachen brauchen Flinten, Blei und Patronen«, entgegnete er. – »Du hast recht Aber die Pferde kann ich kaufen?« – »Sie gehören meinen Kriegern. Frage sie.« – »Ich muß nach Chihuahua. Wird mein Bruder Bärenauge mich begleiten?« – »Ja, denn er hat dir sein Wort gegeben.« – »So werden wir die Franzosen dort vertreiben. Vorher aber wollen wir uns ausruhen. Ich höre, daß im Fort eine Venta ist?« – »So ist es.« – »Wie heißt der Wirt?« – »Pirnero.« – »Ah! Dieser! Ich werde bei ihm wohnen. Wollen meine Brüder mich begleiten?«
Die Indianer lenkten anstatt der Antwort ihre Pferde an seine Seite und ritten so, Juarez in der Mitte, nach dem Fort. Seitwärts desselben, hart am Fluß, hatten die Apachen ihr Lager aufgeschlagen, wo sie beschäftigt waren, die Beute zu verteilen.
31. Kapitel
Als die Reiter die Venta erreichten, herrschte vor und in derselben ein außerordentlich reges Leben. Die meisten Jäger saßen in der Gaststube und tranken und rauchten. Indianer gingen ab und zu ins Haus, nicht um zu trinken, denn das war ihnen von Bärenauge untersagt worden, sondern um in dem Laden des Wirtes ihre Beute zu verwerten.
Aus diesem Grund hatte Pirnero ganz außerordentlich viel zu tun. Einige seiner Vaqueros halfen ihm, und zum Glück hatte sich Resedilla von ihrer Ohnmacht wieder erholt, so daß sie imstande war, ihn nach Kräften zu unterstützen.
Eben als Juarez abstieg, kam Pirnero aus dem Laden und wollte in die Gaststube hinüber, trat aber beim Anblick der drei Reiter hinaus vor die Tür. Juarez hatte ein scharfes Auge, er taxierte Pirnero sofort als Wirt.
»Seid Ihr Señor Pirnero?« fragte er. – »Ja«, antwortete der Alte. – »Kennt Ihr mich?« – »Nein.« – »Ich heiße Juarez.«
Da riß der Wirt den Mund und die Augen weit auf und fragte:
»Señor Juarez, der Präsident?« – »Ja.« – »Oh, welch ein Heil widerfährt da meinem Haus! Tretet ein, tretet ein, Señor!« – »Das Heil, das Eurem Haus widerfährt, rührt mich wenig«, lächelte Juarez. »Lieber wäre mir, wenn in Eurem Hause mir Heil widerfahren könnte. Habt Ihr ein Zimmer für mich?« – »Oh, einen Salon!« – »Kann ich essen und schlafen?« – »So gut, wie in der Hauptstadt selbst.« – »So führt mich in das Zimmer und sorgt für mein Pferd.«
Mit diesen Worten stieg Juarez ab, übergab sein Pferd einem der Vaqueros und folgte dem Wirt nach oben, während die beiden Häuptlinge in die Gaststube traten.
Als Juarez die Treppe hinaufgestiegen war, bemerkte er die eingeschlagene Tür. Ihm fiel alles leicht auf. Er trat hinein und – stand Pepi und Zilli gegenüber. Man konnte sehen, daß er betroffen war, und auf den Gesichtern der beiden Mädchen spiegelte sich auch eine Art von Überraschung ab, die man sogar vielleicht Verlegenheit nennen konnte.
»Ah, sehe ich recht oder täusche ich mich?« – »Señor Juarez!« entgegnete Pepi. – »Also Sie kennen mich, Señorita? So täusche ich mich nicht? Haben wir uns nicht bereits gesehen?« – »Ja, Señor, im Kloster.« – »Della Barbara zu Santa Jaga?« – »Ja.« – »Sie waren als Zöglinge dort?« – »Ja.« – »Aber um Gottes willen, wie kommen Sie nach Fort Guadeloupe?« – »Von Chihuahua.« – »Da waren Sie?« – »Kurze Zeit« – »Bei den Franzosen?« – »Bei den Franzosen. Aber keineswegs als Ihre Feindinnen.« – »Das will ich hoffen«, lächelte er, »denn so schöne Feindinnen werden selbst einem Präsidenten gefährlich. Aber weshalb gingen Sie nach dem Fort?« – »Wir schlossen uns einer Kompanie Soldaten an.« – »Ah, derjenigen, welche vernichtet wurde?« – »Ja.« – »Wie sind Sie denn entkommen, Señoritas?« – »Der Schwarze Gerard rettete uns.« – »Der Schwarze Gerard! Aber weshalb schlossen sie sich den französischen Soldaten an, Señoritas?« – »Señor«, entgegnete Pepi verlegen und bittend. – »Ah! Ist das ein Geheimnis?« – »Allerdings«, antwortete sie munter. – »Da will ich nicht eindringen. Wie lange gedenken Sie, hierzubleiben?« – »Das ist noch unbestimmt« – »Haben Sie Freund und Bekannte hier?« – »Ja.« – »Nun, ich werde jedenfalls bis morgen dableiben. Kann ich mit der Erfüllung eines Wunsches dienen, so kommen Sie nur immer getrost zu mir.«
Juarez ging. Draußen hatte der Wirt auf ihn gewartet und führte ihn jetzt in ein größeres Zimmer, das er seinen »Salon« nannte. Es war dasselbe, das er dem Grafen Ferdinando eingeräumt hatte.
Als sie eintraten, lag der Graf noch ohne Besinnung auf dem Bett. Daneben saß Mariano, und vor demselben stand Sternau, um den Puls des Grafen zu fühlen.
»Dies, Señor, wird Euer Zimmer sein«, sagte Pirnero.
Juarez blickte den Sprecher erstaunt an.
»Es ist ja bereits bewohnt«, erwiderte er. – »Man wird diesem Kranken ein anderes Zimmer geben.« – »Wer ist er?«
Da trat Sternau näher und verbeugte sich.
»Mein Name ist Sternau, Señor«, sagte er. »Ich bin der Arzt dieses Kranken. Darf ich fragen, wer der Herr ist, dem wir weichen sollen?« – »Ich heiße Juarez.«
Sternaus Augen leuchtete freudig auf.
»Ich danke, Señor, und ich bin hoch erfreut, den Mann zu sehen, der das Unglück seines Vaterlandes so stark und mutig auf den Schultern trägt. Mein Patient ist der Graf Ferdinando de Rodriganda.«
Der Präsident trat einen Schritt zurück. Er hatte ganz das Aussehen, als ob ihm etwas Unbegreifliches widerfahren sei.
»Ferdinando de Rodriganda?« fragte er langsam. – »Ja, Señor.« – »Aus der Stadt Mexiko?« – »Ja.« – »Dem die Hacienda del Erina einst gehörte?« – »Derselbe.« – »Señor Sternau, das muß ein gewaltiger Irrtum sein.« – »Es ist die Wahrheit.« – »Aber der Graf ist ja gestorben und begraben! Er ist ja seit vielen Jahren tot.« – »Er wurde zwar begraben, aber er war nicht gestorben.« – »Ich verstehe diese Worte nicht!« – »Sie werden sie heute noch verstehen, Señor. Ich danke dem Himmel, daß er uns mit Ihnen zusammengeführt hat, und bitte Sie, unserer Angelegenheit heute eine Stunde zu schenken. Es ist eine Angelegenheit von der größten Wichtigkeit.« – »Ah, Sie überraschen mich immer mehr! Sagten Sie nicht, daß Ihr Name Sternau sei?« – »Allerdings.« – »Ich muß diesen Namen bereits einmal gehört haben«, meinte Juarez, der ein ungeheures Gedächtnis besaß. »Sie sind Arzt. Ah, ich habe es! Kennen Sie einen Herrn, der Pedro Arbellez hieß?« – »Den Haciendero auf del Erina?« – »Ja, den meine ich.« – »Ich kenne ihn, ich war bei ihm.« – »Er erzählte mir einst eine eigentümliche Geschichte. Ich nahm von ihm alte, indianische Schmucksachen in Empfang, die ich nach Deutschland senden mußte.« – »Oh, vielleicht nach Rheinswalden?« – »Ja, ich glaube, so hieß der Ort. An einen Knaben, dessen Vater Steuermann war.« – »Helmers?« – »Möglich! Der Knabe war bei einem Hauptmann, der zugleich Oberförster war.« – »Das stimmt, das stimmt! Also hat der brave Arbellez diese Sachen hinübergesandt?« – »Ja, durch mich. Dabei hat er mir auch Ihren Namen genannt. Ich kann mich nicht genau besinnen, aber ich glaube, daß es sich um die Heilung eines Wahnsinnigen handelte, der sein Schwiegersohn werden sollte.« – »Sie besinnen sich ganz richtig, Señor.« – »Er hat mir noch mehr von Ihnen erzählt. Also Sie sind wirklich jener Doktor Sternau?« – »Ja.« – »Nun, dann ist es um so auffallender, daß Sie sagen, der Graf sei noch nicht tot.« – »Er wurde lebendig begraben.« – »Teufel!« – »Und wieder ausgegraben.« – »Señor, das ist ein Roman.« – »Es ist die Wahrheit! Er wurde ausgegraben und, lebendig geworden, als Sklave verkauft. Erst vor kurzer Zeit ist es ihm gelungen, seine Freiheit wiederzuerlangen.«
Juarez schüttelte den Kopf.
»Wissen Sie, Señor, daß ich den Grafen sehr gut gekannt habe?« – »Um so besser! Wollen Sie ihn sehen?« – »Natürlich.« – »So bitte ich, näherzutreten.«
Der Präsident Juarez tat dies. Er betrachtete den Ohnmächtigen sehr scharf und fuhr dann zurück. Er war zwar bleich geworden, aber seine Augen funkelten.
»Nun, Señor, was sagen Sie jetzt?« – »Er ist es, bei Gott, er ist es!« – »Es ist demnach kein Roman.« – »Nein, es ist keiner. Es ist sein Gesicht, ganz unverkennbar sein Gesicht, nur um so viele Jahre älter. Und wissen Sie, woran ich ihn ganz genau erkenne?« – »Jedenfalls an der nicht verheilten Narbe auf seiner rechten Wange.« – »Ja, richtig. Es ist eine Lanzennarbe. Aber, um Gottes willen, mir ist da ganz, als ob ich träumte. So muß hier ja ein ganz fürchterliches Verbrechen vorliegen!« – »Nicht ein Verbrechen, sondern eine ganze unendlich lange Reihe von Verbrechen.« – »Und deshalb wollen Sie mich sprechen?« – »Ja.« – »So stehe ich zu Diensten, heute abend, so lange Sie mich brauchen.« – »Befehlen Sie, daß wir umziehen, Señor?« – »Nein, nein! Ich nehme jedes andere Zimmer. Aber was ist mit dem Grafen? Warum liegt er ohne Besinnung?« – »Er erhielt von einem Franzosen einen Kolbenschlag auf den Kopf.« – »Hat denn der alte Herr gar mitgekämpft?« – »Nein. Ah, Sie wissen am Ende noch nicht, daß es elf Franzosen gelungen war, in das Fort zu dringen und hier in die Venta zu kommen.« – »Kein Wort weiß ich!« erwiderte Juarez erstaunt. – »Sie sind allein von der Flußseite hereingekommen. Ich stellte dort zwei Posten …« – »Sie? Sie stellten Posten auf?« unterbrach ihn der Präsident. »Kommandierten Sie denn im Fort? Warum nicht Gerard, dem ich das Fort übergeben hatte?« – »Er übertrug mit das Kommando, obgleich ich nicht zustimmen wollte.« – »Wunderbar! Er ist doch ein Mann, der stets weiß, was er tut. Aber Sie nehmen es mir nicht übel, Señor, ein Arzt und ein Kommando, das ist doch ein wenig sonderbar. Was hatte er denn für einen Grund?«
Sternau zuckte lächelnd die Achseln und antwortete:
»Er meinte vielleicht, kein so berühmter Jäger zu sein wie ich.« – »Wie Sie? Sind Sie ein Jäger, ein Westmann?« – »Ein wenig.« – »Ein Arzt und ein Westmann? Ich erstaune immer mehr!« – »Haben Sie einmal den Namen Matavase gehört?« – »Ja, er bedeutet ›der Fürst des Felsens‹, und sein Träger ist der größte Jäger und Pfadfinder!« – »Hm, so wurde ich einst genannt.« – »Sie?« fragte Juarez langgedehnt. – »Scheint Ihnen das so unmöglich?«
Juarez betrachtete die hohe, gigantische Gestalt seines Gegenübers mit bewundernden Blicken und antwortete:
»Wenn ich Sie so vor mir stehen sehe, kann ich mir denken, wie gut Sie ein Trapperanzug kleiden müßte. Deshalb übergab Gerard Ihnen das Kommando. Er hat recht gehandelt. Und Sie gewinnen dadurch an hohem Interesse bei mir. Also weiter!«
Sternau erzählte nun den ganzen Vorgang, wie er ihm selbst bekannt geworden war.
»Welch eine Gefahr für uns! So sind es nur diese elf gewesen?« – »Ja.« – »Und alle sind tot?« – »Alle, außer dem Anführer, einem Sergeanten.« – »Der lebt noch?« – »Ja.« – »Warum? Ich werde ihn erschießen lassen!« – »Er ist schwer genug bestraft, Señor. Er liegt skalpiert oben auf dem Boden.« – »Skalpiert? So ist er ja doch tot!« – »Nein. Büffelstirn hat ihn lebendig skalpiert und ihm auch noch Nase und Ohren abgeschnitten, weil er seine Schwester mit dem Kolben niedergeschlagen hat.« – »Welche Roheit! Aber auch welche Strafe!« – »Infolge des Keulenschlages liegt die Indianerin auch schwer darnieder.« – »Kann ich Gerard sehen?« – »Eigentlich sollte ich es nicht zulassen.« – »Ich werde äußerst vorsichtig sein.« – »So folgen Sie mir. Ich glaube nicht, daß der Graf jetzt erwachen wird.«
Der Wirt mußte warten. Sternau aber ging mit dem Präsidenten weiter und öffnete ganz leise die Tür jenes schönen Zimmers, in dem Gerard bereits einmal geschlafen hatte. Dort im Bett lag Gerard. Vor demselben saß eine Frauengestalt. Als die beiden eintraten, drehte sie sich um.
»Emma Arbellez«, flüsterte der Präsident erstaunt. – »Señor Juarez!« antwortete sie.
Sternau winkte, vorsichtig zu sein, und fragte mit leiser Stimme:
»Hat sich etwas verändert?« – »Nein«, antwortete Emma. – »Er hat die Augen nicht geöffnet?« – »Nein.« – »Kein Wort gesprochen oder geflüstert?«
Emma wurde verlegen.
»Bitte sagen Sie die Wahrheit!« – »Ein Wort glaubte ich allerdings verstehen zu können, das er flüsterte«, entgegnete sie. »Aber ich weiß nicht, ob eine Krankenwärterin indiskret sein darf!« – »Dem Arzt gegenüber gibt es keine Indiskretion. Übrigens glaube ich, das Wort erraten zu können.« – »Das wäre ein Wunder, Señor!« flüsterte Emma lächelnd. – »Oh«, sagte Juarez ganz leise, »Señor Sternau hat mir heute noch ganz andere Wunder erzählt. Wollen wir ihn auf die Probe stellen?« – »Ich darf es wagen«, entgegnete sie. »Es ratet doch kein Mensch.« – »Kein Mensch weiter als ich!« meinte Sternau. »Das Wort ist – Resedilla.«
Emma blickte Sternau ganz erstaunt an.
»Sind Sie allwissend?« fragte sie. – »Nein, aber aufmerksam.« – »Wer ist denn Resedilla?« fragte Juarez neugierig. – »Des Wirtes Tochter!« – »Ach! Er liebt sie?« – »Wahr und aufrichtig«, antwortete Sternau. »Jetzt aber, Señor, kommen Sie, ihn anzusehen!«
Sie traten an das Bett. Gerard, der kräftige Jäger, der einstige Garotteur, lag da wie eine Leiche, nein, wie eine Wachsfigur. Man dachte, es könnte kein Tropfen Blut durch seine Adern fließen.
Juarez stand dabei und faltete die Hände. Seine Augen wurden feucht. Er reichte Sternau die Rechte und sagte flüsternd:
»Wenn Sie den retten, dann sind Sie ein großer Mann und können auf meine Dankbarkeit rechnen. Jetzt gehe ich wieder, um nicht zu stören.«
32. Kapitel
Draußen wartete Pirnero, um Juarez ein anderes Zimmer anzuweisen.
Als die beiden jetzt voreinanderstanden, sagte der Präsident zu dem alten Wirt:
»Pirnero, habt Ihr Familie?« – »Eine Tochter.« – »Keine Frau?« – »Nein.« – »Keinen Sohn?« – »Nein.« – »Wie alt seid Ihr?« – »Hm! Das weiß ich nicht genau; das steht in alten Kalendern, und die habe ich nicht mehr. Etwas über vierzig oder fünfzig oder sechzig; aber nicht viel!« – »Was soll denn einmal aus Eurem Geschäft werden, wenn Ihr sterbt?« – »Das bekommt Resedilla.« – »Und die versorgt es allein?«
Das war Wasser auf die Mühle des Alten. Er antwortete rasch:
»Das ist ja eben mein Leiden!« – »Was?« – »Die Geschichte mit dem Schwiegersohn.« – »Ah, gibt es denn da bereits eine Geschichte?« – »Leider nicht! Aber ich wollte, es gäbe eine. Aber das Mädchen will einmal nicht!« – »Nicht heiraten?« – »Erraten!« nickte Pirnero. – »So zwingt man sie.« – »Die zwingen? Sicher nicht! Was die einmal will, das setzt sie durch. Sie ist da ganz und gar wie ihr Vater, und das kommt von der Vererbung auf die Tochter, Señor, nämlich vom Vater aus, wohlverstanden!«
Der Präsident sah Pirnero pfiffig lachend an und entgegnete:
»Keine Faxen, Alter! Eure Tochter ist jedenfalls gescheiter als Ihr. Sagt einmal, habt Ihr nicht bemerkt, ob sie eine kleine Bekanntschaft hat?« – »Gar keine. Es müßte denn in neuer Zeit sein; aber der Bekannte paßt mir denn doch nicht, denn er spuckt zu viel. Der Geierschnabel spuckt ja wie ein Wollteufel!« – »Geierschnabel? Der berühmte Führer? Woher kennt Ihr den?« – »Er ist ja da!« – »Da? Hier bei Euch? Jetzt?« – »Ja. Heute ist er da. Er hat sogar mit gekämpft.« – »Den muß ich mir einmal ansehen. Er soll ein ganz närrischer Kauz sein.« – »Das ist er auch. Er spuckt nur Fenster und Bilder an. Zu sehen werdet Ihr ihn sehr bald bekommen, Señor, denn er will zu Euch.« – »Wer sagt das?« – »Er selbst.« – »So!« – »Wer weiß, was er hat.« – Also ihn liebt Eure Tochter?« – »Hm! Ich kann es eben nicht sagen. Mir gefällt er jedenfalls nicht. Aber ob ihr seine Spuckerei zusagt? Es ist alles möglich, denn die Frauen haben oft unbegreifliche Marotten. Ich werde ihr einmal auf den Zahn fühlen.« – »Das laßt fein bleiben! Also Ihr wäret nicht abgeneigt, einen Schwiegersohn zu haben?« – »Einen Schwiegersohn! Herrgott, Señor, das wäre mir ja ein Gaudium. Ein Schwiegersohn ist ja gerade meine Passion. In Pirna darf sich eine achtbare Familie ohne Schwiegersohn gar nicht sehen lassen!« – »Wo ist das?« – »Pirna? Das liegt in Sachsen, wo die vier Kreisdirektionen sind.« – »Dort scheint es vernünftige Menschen zu geben, besonders was die Schwiegersöhne betrifft. Aber ich will ein ernstes Wort mit Euch reden!« – »Immer redet ernsthaft, Señor; ich werde nicht lachen. Ein guter Diplomat weiß Scherz und Ernst voneinander zu unterscheiden.« – »Nun gut. Also, wenn Ihr einen Schwiegersohn hättet, so wäre das ein ganz anderes Ding. Ich könnte da … hm! Ja!« – »Was könntet Ihr, Señor? Bitte sagt es immer heraus! Als guter Politikus bin ich immer verschwiegen.« – »Nein, sagen kann ich es erst, wenn Ihr einen Schwiegersohn habt!« – »Alle Teufel! Wenn ich ihn doch nur schon hätte!« – »So schafft Euch schnell einen an!«
Es lag klar auf der Hand, daß der Präsident nur scherzte. Pirnero aber war ganz Feuer und Flamme geworden. Er antwortete:
»Wenn man nur vorher erfahren könnte, was Ihr mit dem Schwiegersohn anfangen wollt, den ich meiner Tochter zum Mann gebe.«
Juarez machte ein geheimnisvolles Gesicht und erwiderte in wichtigem Ton:
»Nun, Ihr wißt, daß ich die Franzosen schlage …« – »Gewiß.« – »Dann muß auch dieser Schattenkaiser fort; er kann sich nicht halten.« – »Ganz sicher.« – »Dann herrsche ich über das ganze Land. In diesem Fall liegt mir nur viel daran, einen guten Diplomaten hier in dieser Gegend zu haben, der einen Schwiegersohn besitzt, auf den … hm, nein, ich darf mich doch nicht verraten! Ich kann nur so viel sagen, daß ich es sehr gut mit Euch meine!« – »Aber wo zum Teufel auch sofort einen Schwiegersohn hernehmen? Fatal! Höchst fatal! Muß es denn gleich sein, Señor?« – »Viel Zeit hat es allerdings nicht, das könnt Ihr Euch denken.« – »Aber – hm! Könntet Ihr mir nicht einen oder zwei vorschlagen?« – »Das ist eine schwierige Sache.« – »Nun, ich habe ja doch die Wahl!« – »Also der Geierschnabel spuckt zu viel?« – »Fürchterlich! Nicht zum Aushalten! Den mag ich nicht!« – »Nun, wer verkehrt denn noch hier?« – »Hm! Da wäre der Schwarze Gerard!« – »Spuckt der auch?« – »Ganz und gar nicht.« – »Hat er sonst einen Fehler?« – »Nein. Er ist ein tüchtiger Kerl.« – »Nun?« – »Ich habe ihn schlecht behandelt. Er wohnte hier bei mir, ohne daß ich wußte, wer er war. Da habe ich ihn dumm und liederlich geheißen, ihn blamiert und darüber gezankt, daß er nur einen Julep trinkt. Trotzdem hat er mich bewacht und den französischen Kapitän fortgeschafft, der als Spion zu uns gekommen war.« – »Das beweist eben, daß Ihr kein großer Politikus seid.« – »Oh, in der Politik und als Diplomat bin ich groß; da stelle ich meinen Mann; aber die verfluchten Heiratsgeschichten machen einem zu schaffen, obgleich man in Pirna geboren ist Ich will doch lieber zehn Republiken und zwanzig Kaisertümer verwalten, als ein einziges Mädchen verheiraten. Ein Kaisertum oder eine Republik nimmt einem jeder ab, eine Tochter aber wird zum Ladenhüter, ehe man es sich versieht, und dann ist es nichts mit dem Schwiegersohn. Weshalb ist man von Pirna nach Mexiko gezogen, als um auch einmal Großvater zu werden.«
Juarez, der sonst so wortkarge, ernste Mann, liebte doch zuweilen einen kleinen Scherz. Diese Unterredung gab ihm Spaß. Er fragte daher:
»Also denkt Ihr nicht, daß der Schwarze Gerard Euch den Gefallen tun wird?« – »Der sicherlich nicht. Mit dem habe ich es leider verdorben. Oh, Señor, wenn Ihr doch ein gutes Wort für mich einlegen wolltet.« – »Hm! Das ist eine heikle Sache. Was gebt Ihr Eurer Tochter mit?« – »Sie bekommt alles, alles!« – »Glaubt Ihr denn, daß er sie leiden kann?« – »Erst dachte ich es, sie standen einmal im Flur, und er hatte ihre Hand in der seinigen. Es sah so aus, als ob sie miteinander geredet hätten.« – »Das ist doch kein sicheres Merkzeichen!« – »Ja. Aber dennoch fuhr ich in die Höhe und spektakelte sie an. Seit dieser Zeit ist es aus. Sie können einander nicht mehr ersehen. Sie gucken einander gar nicht mehr an. Heute hat er uns aber doch alle gerettet, obgleich er selbst den Tod schon auf den Lippen hatte. Ich habe ihm darum mein bestes Zimmer gegeben. Aber denkt Ihr, daß das Mädchen ein einziges Mal nach ihm gesehen hat?« – »Das ist allerdings sehr schlimm, doch will ich versuchen, ob vielleicht etwas zu machen ist.« – »Ja, Señor, tut mir den Gefallen!« bat Pirnero. »Ich bin sehr gern zu jedem Gegendienst bereit. Solltet Ihr einmal einen guten, zuverlässigen Diplomaten brauchen, so schickt zu mir. Ich werde Euch die schwierigsten Sachen auseinanderfitzen.« – »Gut! Aber sagt einmal, alter Pirnero, warum habt Ihr Euch denn von diesen Franzosen so überrumpeln lassen? Habt Ihr denn gar nicht an Gegenwehr gedacht?« – »Gegenwehr? Natürlich! Erst wollte ich in die Gewehrniederlage gehen, wo ich die Büchsen liegen habe, die zum Verkauf da sind. Aber dann überlegte ich mir, daß es wegen der paar Mann doch schade ist, ein neues Gewehr anzuschießen. Darauf wollte ich in meine Schlafkammer, wo ich meinen Stutzen hängen habe; aber an dem einen Lauf fehlt der Hahn, und am anderen Hahn der Lauf. Ich dachte nun, ein Speisemesser zu holen, die meinigen sind aber vorn rund, und da muß man ewig quetschen und drücken, ehe man sie jemanden in den Leib bringt. Eine Lanze habe ich zwar auch, spitz und scharf wie Gift, aber die wird als Wäschestange benützt, und ehe ich alle Hemden und Strümpfe heruntergebracht hätte, wären die Franzosen längst ausgekniffen gewesen, denn Angst hatten sie alle; das sah man ihnen an.« – »Ja, Ihr seid ein Mordskerl!« lachte Juarez. – »Aber den Grund habe ich noch nicht gesagt, Señor Juarez!« – »So sagt ihn mir also jetzt.« – »Nun, ich überlegte mir in der Geschwindigkeit diplomatisch, daß Hilfe kommen werde. Darum brauchte ich mich mit diesen Kerlen auch nicht herumzuärgern, und ich habe das anderen überlassen. Einem guten Diplomaten fällt es aber nicht ein, sich auf dem Schlachtfeld töten zu lassen. Er macht den Krieg, and das andere Volk führt ihn. Das ist diplomatisches Herkommen.«
Juarez war plötzlich ernst geworden.
»Ihr habt recht, Pirnero. Der ›Neffe des Onkels‹ in Paris hat uns den Krieg gemacht! Er ist der Diplomat. Und unser Volk muß sich infolgedessen hinschlachten lassen. Ich hatte Mexiko den Frieden gegeben und hätte ihm denselben erhalten. Man gehorchte mir, weil man mich liebte, achtete und fürchtete. Da kamen diese Landfriedensbrecher mit ihrer Macht. Jedes Volk hat das Recht sich selbst zu regieren. Dieses stand auf meiner Fahne geschrieben, und ich habe mit dieser Fahne fliehen müssen bis nach Paso del Norte, dem äußersten Winkel des Landes. Ein anderer hätte abgedankt. Ich nicht denn mein Recht ist stark genug, es mit dem französischen Usurpator aufzunehmen. Ich lasse daher meine Fahne wehen und werde wiederkommen, schneller, als ich gegangen bin, um sie in Mexiko, der Hauptstadt, aufzupflanzen, zum Zeichen, das jede Nation sich ihre Geschichte selbst machen darf und daß hier auf dem westlichen Kontinent es noch offene Augen gibt, die durch französisches Flitterwerk nicht geblendet werden können.«
Warum sprach der berühmte, charakterfeste Mann solche Worte zu dem einfachen Mann, der doch nur ein Ignorant genannt werden mußte?
Nun einfach, weil wes das Herz voll ist, des geht der Mund über, auch an einem nicht dazu geeigneten Ort. Juarez hatte die Last des Unglücks getragen, des unverschuldeten Unglücks. Er muß, will man unparteiisch sein, der bedeutendste Mann genannt werden, den bisher die rote Rasse hervorgebracht hat. Er hatte es treu und gut mit seinem Volk gemeint. War es ein Wunder, daß während seines unverschuldeten Exils sich Gedanken in ihm angesammelt hatten, die nun das Bestreben zeigten, nach außen hin zu explodieren?
Er reichte dem Wirt die Hand und sagte mit einer scherzhaften Wendung:
»Ihr seht, Señor Pirnero, daß nicht alle Diplomaten glücklich sind. Laßt Euch aber davon nicht abhalten, ein guter Politikus zu sein, denn wenn man es wirklich ehrlich meint trägt man doch stets noch den Sieg davon.« – »Ja, wir werden siegen!« rief der Wirt. »Ihr in Mexiko und ich mit meiner Heiratsgeschichte! Wir werden siegen, denn Ihr nehmt Euch meiner und ich nehme mich Eurer an; darauf könnt Ihr Euch verlassen!« – »Gut so! Nun geht. Sendet mir Essen und Trinken, und wenn meine Beamten nach mir fragen, so sagt ihnen, in welchem Zimmer ich bin.«
33. Kapitel
Der Wirt eilte hinab, als ob er Flügel hätte. Resedilla mußte in die Küche, um für den Präsidenten zu sorgen, während ihr Vater das Äußere übernahm. Erst gegen Abend wurde ihnen beiden freie Zeit geboten, da alle hinauseilten, um die Trauerfeierlichkeiten der Apachen mit anzusehen, die in dieser Weise noch niemals beobachtet worden waren.
Da saß der Alte an seinem Fenster und trank einen Julep als Herzstärkung. Resedilla ging ab und zu, um das Trinkgeschirr zu ordnen.
Eben stand sie wieder in seiner Nähe, um einige Gläser fortzunehmen; da sagte er:
»Resedilla!« – »Vater?« antwortete sie. – »Weißt du vielleicht, was ein Gouverneur ist?« – »Ja.« – »Nun, was?« – »Der oberste Regent eines mexikanischen Staates.« – »Das hast du gut gesagt, meine Tochter! Aber weißt du auch, daß ein Gouverneur ein sehr feiner Diplomat und gewiegter Politikus sein muß?« – »Das läßt sich denken!« – »Und daß nur die Männer solche Ämter erhalten, die als tüchtige Diplomaten gelten?« – »Natürlich!« – »Nun also; sieh mich einmal an!«
Pirnero machte dabei eine sehr ernste, feierliche Miene, und Resedilla blickte ihn sehr neugierig an.
»Nun?« fragte er. »Wie sehe ich aus? Wie komme ich dir in diesem wichtigen Augenblick vor?«
Resedilla kannte seine Schwäche sehr genau, darum antwortete sie, das Richtige ahnend:
»Wie ein großer Diplomat, Vater.« – »Wirklich? Ja? Nun siehst du, Resedilla, du hast dich jetzt als eine Diplomatin erwiesen. Diesen diplomatischen Scharfblick hast du von mir, infolge der Vererbung vom Vater auf die Tochter. Aber höre weiter! Was würdest du zum Beispiel zu dem Staat Chihuahua sagen?« – »Hm!« brummte sie mit einem möglichst wichtigen Gesicht, da sie doch unmöglich wissen konnte, auf welches Ziel im Monde er loszusteuern im Begriff stand. – »Oder zu dem Staat Coahuila?« – »Hm!« – »Diese beiden Staaten liegen mir natürlich am bequemsten, da ich meine Besitzungen im Norden des Landes habe. Einer von beiden ist mir gewiß!« – »Gewiß? Als was?« – »Als was? Nun, als untertäniges Gebiet. Kannst du noch dein Französisch?« – »Ja.« – »Das ist gut. Du wirst mir von jetzt an täglich einige Stunden Unterricht geben.«
Jetzt ahnte sie beinahe, welche Ungeheuerlichkeit zum Vorschein kommen werde.
»Französischen Unterricht? Wozu?« – »Hast du denn noch nicht gehört, daß die hohen Diplomaten in französischer Sprache miteinander verkehren?« – »Freilich!« – »Nun, der Gouverneur eines Staates gehört unter diese hohen Leute!« – »Willst du damit sagen, daß du Gouverneur werden willst?« – Ja«, antwortete er mit ungeheurer Würde.
Das war Resedilla doch zu viel. Sie sah dem Vater mit unbegrenztem Erstaunen in das Gesicht; er hielt das für den Ausdruck der Bewunderung.
»Ja, ich bin aus Pirna«, sagte er mit Emphase. »Man wird mir dort nach meinem Tode ein Denkmal setzen, unten von Erz und darauf einen riesigen Adler von Sandstein. Und darunter wird stehen: ›Dieser Vogel ist Elias Pirnero‹, weiter nichts. Denn bei großen Männern ist kein großer Sermon nötig.« – »Wer sagte dir denn, daß du Gouverneur werden sollst?« – »Der Präsident Juarez.« – »Wann?« – »Vorhin vor kurzer Zeit«
Dies mußte natürlich auf einem riesigen Mißverständnis beruhen; darum fragte Resedilla:
»Hat er es deutlich und genau gesagt?« – »Wo denkst du hin! Ein Diplomat sagt niemals etwas deutlich. Er sagte nur immer. Hm! Wenn … Ja … Und ob! Ja, das sagte er.« – »Und daraus hast du entnommen, daß du Gouverneur wirst?« – »Natürlich. Ein Diplomat versteht den anderen auf alle Fälle.« – »Das möchte ich doch bezweifeln.« – »Bezweifle es bei anderen, aber nur bei mir nicht; das bitte ich mir aus. Die Bedingung hat er mir sogar ganz von der Leber weg und geradeheraus gesagt. Es war eine sehr vorteilhafte: Ich soll mir schleunigst einen Schwiegersohn anschaffen.«
Resedilla konnte kaum das Lachen unterdrücken, aber sie bezwang sich und fragte:
»So muß also ein Gouverneur unbedingt einen Schwiegersohn haben?« – »Natürlich. Dumme Frage. Als Stellvertreter natürlich. Wenn der Gouverneur nach Paris, Petersburg oder Rom reist, um sich einen Orden zu holen, muß ein Stellvertreter im Land bleiben, der die Schreibstube besorgt. Und dazu hat ein Schwiegersohn jedenfalls das beste Talent.«
Jetzt konnte Resedilla sich nicht mehr halten.
»Ich denke, er soll Dachsparren annageln?« lachte sie. – »Oh, in einem Staat wird zuweilen auch ein Sparren locker, oft auch mehrere. Übrigens hat mir der Präsident die Sache außerordentlich leichtgemacht, indem er mir ganz offen gesagt hat, wen er sich als Schwiegersohn wünscht, als meinen Schwiegersohn natürlich.«
Resedilla errötete. Die Sache lag jedenfalls auch hier anders, als sie von ihrem Vater dargestellt wurde, doch war sie wirklich neugierig, den Namen des Glücklichen zu erfahren. Sie hütete sich jedoch sehr, eine darauf bezügliche Frage auszusprechen.
»Nun, willst du es nicht wissen?« fragte er. – »Es würde doch nichts nützen«, antwortete sie. – »Nichts nützen? Ah, sieh einmal an! Du willst ihn wohl nicht nehmen?« – »Hm!« – »Was denn hm? Ich habe lange genug Geduld mit dir gehabt, jetzt aber geht meine Güte zu Ende. In Pirna nehmen alle Mädchen Schwiegersöhne, die dem Vater gefallen. Dies befördert die Forterbung auf die Tochter hinüber. Ich werde es als Gouverneur hier auch so einführen. Von heute an hast du deinen Bräutigam. Weigerst du dich, ihn zu nehmen, so adoptiere ich mir ein anderes Mädchen als eheliches Kind und erkläre dich für meine Stieftochter. Bin ich dann als Gouverneur Großvater, so bist du die Stieftante meiner leiblichen Enkel. Das wird deine Strafe sein!«
Resedilla schüttelte so zuversichtlich den Kopf, als glaube sie ganz und gar nicht an die Ausführung dieses Planes, und fragte in weiblicher Schlauheit:
»Ob ich ihn will, ist am Ende nicht die Hauptsache. Aber, will er mich denn?«
Der Alte fuhr sich langsam in die Haare, räusperte sich ein wenig und sagte:
»Ja, das ist allerdings die Hauptsache. Wie denkst du darüber?« – »Oh, mich hat noch keiner gewollt, Vater!« – »Wirklich nicht?« fragte er forschend. – »Kein einziger.« – »So! Hast du denn schon den einen oder den anderen gefragt?« – »Das nicht. Aber wenn mich einer hätte haben wollen, so hätte er mir es gesagt.« – »Unsinn! Du hast keinen nahekommen lassen. Übrigens habe ich eine Sorge bei dieser Geschichte, eine große, sehr große Sorge.« – »Darf ich sie erfahren, Vater?« – »Natürlich. Du mußt sie sogar erfahren. Sage mir einmal, Resedilla, hast du etwa ein Auge auf den Geierschnabel geworfen, he?« – »Auf den Geierschnabel?« fragte sie fast erschrocken. – »Ja, der die ganze Welt für einen Spucknapf hält und einem nur immer gerade neben der Nase vorüberschießt?« – »Wie kommst du denn auf diesen Gedanken?« – »Hm! Du weißt ja, daß ich ein Diplomat bin.«
Da lachte Resedilla hell und fröhlich auf und entgegnete:
»Da mache dir nur keine Sorge. Dieser Mensch ist mir unausstehlich.« – »Das erleichtert mir das Herz gewaltig. Ein Mensch, der ein Heiratsbüro in der Dämmerstunde für eine Zündhölzerfabrik in der Morgenstunde ansieht, hat nicht das geringste Talent zum Schwiegersohn eines Diplomaten. Der hingegen, den ich meine, und den auch Juarez will, ist ein tüchtiger Kerl. Rate, wer es ist!« – »Das läßt sich schwer erraten. Sage lieber gleich, wen du meinst« – »Hm! Wenn ich nur die vielen Dummheiten nicht gemacht hätte! Ich habe ihn ja ganz und gar nicht als Schwiegersohn behandelt. Denke dir nur! Ist es denn eigentlich möglich, so einem Kerl vorzuwerfen, daß er Rehgeißen für andere trägt?«
Jetzt war es Resedilla mit einem Male klar, wen der Vater meinte. Sie erglühte bis in den Nacken und wandte sich ab, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
»Errätst du es nun?« fragte er. »Ich meine den Schwarzen Gerard.«
Resedilla klirrte ganz verdächtig mit den Gläsern und zögerte, zu antworten.
»Nun?« sagte er. »Kannst du ihn etwa nicht leiden?«
Da nahm sie sich zusammen und antwortete:
»Ich habe dir ja gesagt, was in dieser Angelegenheit die Hauptsache ist.« – »Ob er dich haben mag? Ja, das wohl! Aber es hat mir geschienen, als ob du nichts von ihm wissen magst. Du hast ihn in letzter Zeit ja gar nicht angesehen, und heute, da er uns so beigestanden hat, hast du dich noch nicht ein einziges Mal um ihn bekümmert.«
Resedilla stand an dem anderen Tisch, kehrte dem Vater den Rücken zu und antwortete nicht.
»Nun, verteidige dich!« mahnte er.
Da erklang ein eigentümlicher, tiefer Ton durch das Zimmer, ein Ton, als wenn jemand etwas aus dem Herzen gewaltsam Emporsteigendes mit aller Anstrengung hinunterdrücken wolle. Dieser Laut kam aus Resedillas Brust, und dann brach sie plötzlich in ein heftiges, lautes Schluchzen aus, das sie nun nicht mehr zu beherrschen vermochte. Sie hielt die Hände an die Augen und verließ unter lautem Weinen das Zimmer.
Pirnero blickte ihr erschrocken nach, bis sie hinter der Tür verschwand.
»Sapperlot, was war denn das!« sagte er sich. »Das war ja ein Jammer und Elend, wie es in Pirna gar nicht Mode ist. Sie will nichts von ihm wissen, das steht nun bombenfest. Das arme Kind! Soll ich sie denn wirklich an einen hängen, dem sie nicht gut ist? Nein! Lieber mag die Gouverneursgeschichte zum Teufel gehen! Kind bleibt Kind. Mein Mädchen steht mir näher als der Staat, und wegen eines Ordens aus Rom oder Konstantinopel opfere ich mein Kind nicht. Der Teufel hole die Politik. Man ist zum Genie geboren und richtet doch Unheil an. Ich werde es ihr sagen, daß sie den Kerl, den Schwarzen Gerard, gar nicht anzusehen braucht.«
Er erhob sich wirklich, um nach der Küche zu gehen, kam aber nicht weit, so mußte er diesen Gang unterbrechen, denn es trat einer ein, von dem vorhin die Rede war: Geierschnabel, der Yankeejäger. Sein Gewand war mit Blut befleckt, ein deutliches Zeichen, daß er sich wacker an dem Kampf beteiligt hatte. Er hatte ganz das Aussehen eines Mannes, der die Gefahr nicht gescheut, sondern sich tüchtig mit den Feinden herumgebalgt hat. Pirnero blieb stehen und betrachtete ihn vom Kopf bis zum Fuß.
»Herrgott, wie sehr Ihr aus!« rief er.
Der Amerikaner warf ihm einen nicht sehr höflichen Blick zu und antwortete:
»Ich kalkuliere, daß ich anders aussehe, als wie einer, der in der Stube blieb, während um unsere Köpfe die Kugeln pfiffen. Ihr versteht mich doch, Master?«
Da warf sich Pirnero in die Brust, stellte sich stolz vor ihn hin und sagte:
»Ah, Ihr meint mich? Habe ich etwa nicht auch gekämpft?« – »Man hat nichts gesehen.« – »Da irrt Ihr Euch bedeutend. Der blutigste Teil der Schlacht wurde in meinem Haus gekämpft. Da flogen die Kugeln wie die Mücken umher.« – »Habt Ihr etwa mit zugeschlagen?« – »Ich? Als Feldherr?« fragte Pirnero erstaunt. – »Alle Teufel! Ihr wart der Feldherr?« lachte der Jäger. – »Natürlich. Das versteht sich.« – »Oh, das ist allerdings etwas anderes, Master. Verzeiht, daß ich dies nicht gewußt habe. Gebt einen Julep, damit ich meine Hochachtung für Euer Feldherrntalent gehörig bespülen und beträufeln kann.« – »Den Julep sollt Ihr haben, aber Eure Hochachtung brauche ich nicht. Ich bin als Diplomatist und kriegerischer Schlachtenkenner bekannt genug, als daß ich noch extra auf Eure Bewunderung angewiesen wäre. Das mögt Ihr Euch nur merken.«
Dabei schritt Pirnero mit stolz erhobenem Haupt nach dem Schenktisch, um den Schnaps zu holen, und fragte dann, als er denselben vor den Gast hingesetzt hatte:
»Wie kommt es überhaupt, daß Ihr bei mir seid?«
Der Gefragte blickte den Wirt verwundert an und antwortete:
»Ich komme des Julep wegen, rechne ich.« – »Aber gerade jetzt.«
Der Amerikaner spitzte die Lippen, wandte sich ihm zu, spuckte ihm so nahe an der Nase vorüber, daß Pirnero erschrocken zurückwich, und fragte:
»Warum gerade jetzt nicht?« – »Ich denke, jetzt befindet sich alles draußen bei den Indianern.« – »Pah! Ich habe Indianer genug gesehen, so lange ich lebe.« – »Aber diese Zeremonie nicht wie heute.« – »Mit Zeremonie oder ohne Zeremonie, ich schätze, der Indianer bleibt auf alle Fälle ein Indianer. Warum geht Ihr nicht selbst hinaus, um Euch die Sache anzusehen?« – »Darf ein guter Feldherr den Mittelpunkt des Kampfplatzes verlassen?« – »Hm«, brummte der Amerikaner vergnügt. »Wen meint Ihr denn eigentlich mit dem ›Feldherrn‹? Euch oder den Präsidenten Juarez?« – »Uns alle beide. Auch Präsident Juarez tut seine Pflicht, indem es ihm ganz und gar nicht eingefallen ist, hinaus zu den Indianern zu gehen.« – »So ist er da?« – »Ja, droben in seinem Zimmer.« – »Ich habe mit ihm zu sprechen. Wollt Ihr mir sagen, wo das Zimmer ist?« – »Ich werde Euch führen. Folgt mir, Señor Geierschnabel.«
Pirnero war wirklich so höflich, den Jäger hinaufzuführen.
Droben klopfte er an die Tür, hinter der er den Präsidenten gelassen hatte; aber es ließ sich keine Antwort hören, und als er vorsichtig öffnete, fand er das Zimmer leer. Er schüttelte mißbilligend den Kopf.
»Sollte er doch zu den Indianern gegangen sein?« sagte er. »Dann wäre ich ja der einzige, der seinen Posten nicht verlassen hat. Da drüben höre ich Stimmen. Ich glaube, diejenige des Präsidenten ist mit dabei.« – »Wer ist da drüben?« – »Da liegt der Graf Rodriganda, der fast erschlagen worden ist Ich werde klopfen.« – »Dürft Ihr denn stören?« – »O gewiß. Ich stehe mit Juarez auf einem so vertrauten Fuß, daß wir beide aufeinander gar keine Rücksicht zu nehmen brauchen.«
Pirnero trat wirklich an die betreffende Tür und klopfte an. Nun wurde dieselbe von Mariano geöffnet, der nach dem Begehr der beiden fragte.
34. Kapitel
Juarez war einmal aus seinem Zimmer getreten und hatte da Sternau getroffen, der für kurze Zeit noch draußen bei den Apachen gewesen war und nun zurückkam, um für seine Patienten zu sorgen. Einige kurze Bemerkungen, die sie austauschten, führten den Präsidenten zu dem Wunsch, den Grafen noch einmal zu sehen. Beide traten also bei ihm ein.
An dem Bett saß Mariano, der den Grafen nicht verlassen wollte. Letzterer war noch nicht erwacht, und so nahmen die beiden bei Mariano Platz, um ein halblautes Gespräch zu beginnen, das sich bald um die vergangenen Erlebnisse und die Verhältnisse der Familie Rodriganda drehte.
Sternau und Mariano erzählten abwechselnd alles, was Juarez noch nicht wußte, und dieser hörte mit der allergrößten Spannung zu. Da regte sich der Graf leise, sofort verstummte das Gespräch, und die Erzähler blickten auf den Kranken, dessen starre Züge sich zu beleben begannen. Aber noch kam er zu keinem vollständigen Bewußtsein. Die Falten seiner Stirn zogen sich aber leise und langsam empor, und seine Lippen öffneten sich.
»Amilla«, flüsterte er vernehmlich.
Dann fiel er in Bewußtlosigkeit zurück. Sternau befühlte im Hand und Schläfen.
»Der Puls geht schwach, aber regelmäßig«, sagte er in beruhigendem Ton. »Ich hoffe, daß wir eine große Gefahr nicht zu befürchten brauchen.« – »Hast du den Namen gehört, den er aussprach?« fragte Mariano. – »Ja. Es war Amilla.« – »Was mag er meinen?« – »Kennst du diesen Namen?« – »Nein, ich habe ihn noch nicht gehört.« – »Ich auch nicht, weder von ihm, noch aus dem Mund eines anderen.« – »Vielleicht träumt er.« – »Man pflegt auch im Traum nur die Namen solcher Personen auszusprechen, die man kennt, die wirklich vorhanden sind oder waren. Überdies glaube ich nicht, daß es sich hier um einen Traum handelt. Der Graf war vollständig bewußtlos. In einem solchen Zustand träumt man nicht; aber der zurückkehrende Geist pflegt gern bei irgendeiner Vorstellung anzuknüpfen, die ihn vor der Bewußtlosigkeit beschäftigte. Der Name Amilla und die Person, der er gehört, sind keine Traumgebilde, sondern Wirklichkeiten.« – »Ob es sich um irgendein Geheimnis handelt?« – »Wenigstens handelt es sich um eine uns noch unbekannte Person, die der Graf gekannt hat, das ist meine feste Überzeugung.« – »Jetzt ist er wieder bewußtlos?« – »Ich möchte eher annehmen, daß seine Seele nicht ohne Tätigkeit ist. Sieh her. Die Züge bewegen sich leise und haben einen beinahe bestimmten Ausdruck gewonnen. Das kommt bei voller Bewußtlosigkeit niemals vor.«
Die Wahrheit dieser Ansicht sollte sich sofort bestätigen, denn der Graf öffnete abermals die Lippen und flüsterte langsam und genügend vernehmlich:
»Frederico, o Frederico!«
Die drei Männer lauschten gespannt. Als sich jedoch nichts weiter hören ließ, sagte Mariano:
»Frederico! Wen mag er meinen?« – »Ich habe keine Ahnung davon. Er hat diesen Namen nie genannt, so lange ich ihn kenne. Warten wir also das Weitere ab.«
Es verging eine kleine Weile, dann breitete es sich wie ein Zug tiefer Betrübnis über das Gesicht des Grafen, und seine Lippen zuckten und lispelten:
»Ich verzeihe. Deine Mutter war schuld.«
Hierauf legte er sich auf die Seite und begann in tiefen, regelmäßigen Zügen zu atmen.
»Jetzt schläft er, er wird nicht wieder sprechen«, sagte Sternau. – »Was hältst du von seinem Befinden?« fragte Mariano. – »Ich bin mit demselben zufrieden. Der Hieb, den er erhielt, hat ihn schwer betäubt, wird aber hoffentlich keine bleibende Wirkung zurücklassen.« – »Ich befürchtete schon ein Gehirnfieber oder gar eine geistige Störung.« – »Ein kleines Fieber, noch wahrscheinlicher eine momentane Geistesschwäche ist allerdings zu erwarten, wird aber bei aufmerksamer Pflege nicht schwer zu überwinden sein. Sein Schlaf ist jetzt tief, er wird ihn stärken. Er hört nicht, was wir sprechen; wir können also in unserer Unterredung fortfahren.«
Die Herren setzten nun das vorhin unterbrochene Gespräch fort, in dessen Verlauf Juarez jedes, auch das kleinste Ereignis erfuhr, das sich auf die Familie Rodriganda bezog.
»Man sollte das alles, alles für geradezu unmöglich halten«, sagte er. »Man fragt sich mit Abscheu, ob es denn wirklich so entsetzliche Menschen geben kann, wie diesen Landola und die beiden Cortejos. Señor Mariano, Sie sind also überzeugt, der Neffe des Grafen Ferdinando zu sein?« – »Ich kann nicht gut daran zweifeln«, antwortete der Gefragte. – »Ist Don Ferdinando auch dieser Ansicht?« – »Ganz und gar.« – »So gilt es, Licht in diejenigen Punkte zu bringen, die jetzt noch im Dunkeln liegen. Was ich dazu beitragen kann, das wird gern und sicher geschehen.« – »Es ist uns vom allergrößten Vorteil, auf Ihren Beistand rechnen zu dürfen«, versetzte Sternau. – »Oh«, meinte Juarez bescheiden, »mein Beistand ist jetzt noch gleich Null zu rechnen; aber ich hoffe, daß ich Ihnen recht bald beweisen kann, welche Teilnahme ich für Sie hege. Die Herrschaft der Franzosen kann nicht ewig dauern, allem Anschein nach ist ihr nur noch eine kurze Frist bemessen. Mit ihr wird der schwankende Thron des Erzherzogs zusammenbrechen. Dann bin ich wieder Herr des Landes, und sobald ich in die Hauptstadt gelange, wird mein erster Befehl der sein, die Gruft der Rodrigandas zu öffnen. Hoffentlich fällt mir dann dieser Pablo Cortejo in die Hände, mit dem auch ich eine bedeutende Rechnung auszugleichen habe.« – »Es kann nicht schwerfallen, ihn zu arretieren«, meinte Sternau. – »Es wird doch vielleicht seine Schwierigkeiten haben«, antwortete Juarez. »Man wird ihn vielleicht erst lange suchen müssen.« – »Ah, er ist versteckt?« – »Er ist bereits jetzt nicht mehr in der Hauptstadt.« – »Darf ich fragen, warum?« – »Ah, Sie wissen das noch nicht, Señor Sternau?« – »Ich habe allerdings eine Bemerkung gehört, an deren Wahrheit ich aber fast nicht glauben konnte. Es wurde der Name Cortejo in Verbindung mit politischen Ereignissen genannt.« – »So haben Sie dennoch die Wahrheit gehört.« – »Sie erwecken mein größtes Erstaunen.« – »Ja, dieser Cortejo ist als Prätendent aufgetreten.« – »Wirklich? Das ist ja geradezu lächerlich; das ist eine Komödie.« – »Allerdings ist es ganz und gar lächerlich. Sie kennen seine Tochter?« – »Diese Señorita Josefa Cortejo? Ja.« – »Eine Schönheit ersten Ranges natürlich.«
Sternau lachte.
»Ich möchte den Mann sehen, dem diese Schönheit gefährlich werden könnte!« antwortete er. – »Nun sehen Sie einmal dieses Bild!«
Juarez zog aus seiner Tasche eine Fotografie, die er den beiden Herren vorhielt.
»Ah, Sie haben ihr Porträt!« rief Sternau. – »Ja, das ist diese schöne Josefa«, bestätigte Mariano. »Sie scheint noch reizender geworden zu sein, als sie schon früher war.« – »Sie werden sich wundern, wie ich zu dieser Fotografie komme?« fragte Juarez. – Jedenfalls ist sie ein geheimes Angebinde«, antwortete Sternau lächelnd.
Juarez schüttelte belustigt den Kopf und meinte:
»Oh, dann müßte diese Donna Josefa im Besitz von tausend zarten Geheimnissen sein. Nein, nein, sie schickt ihr Bild im ganzen Land umher.« – »Zu welchem Zweck denn?« – »Um Proselyten zu machen, um Anhänger anzulocken. Diese Dame gebärdet sich bereits jetzt als Tochter des Präsidenten oder Königs von Mexiko.« – »Mein Gott, das ist ja entsetzlich albern! Hat dieser Cortejo denn wirklich einigen Anhang gefunden?« – »Mehr als man denken sollte. Der Panther des Südens agitiert für ihn.« – »Das müßte einen besonderen Grund haben.« – »Gewiß, obgleich ich diesen Grund nicht finden kann. Außerdem läuft ihm allerhand Gesindel zu, das sich bei ihm wohl sein läßt.« – »Er wird diese Menschen von dem Geld bezahlen, das ihm die mexikanischen Besitzungen der Familie Rodriganda einbringen.« – »Das ist allerdings eine unumstößliche Gewißheit. Dieser Mensch wird den Schaden, den er verursacht, nie wieder gutmachen können; aber ich gebe Ihnen die heilige Versicherung, daß, falls er in meine Hände fällt, die Strafe ihm im verdienten Maß zufallen wird.« – »Hat man keine Ahnung, wo er sich gegenwärtig befindet?« – »Er ist von der Hauptstadt aus nach den südlichen Distrikten gegangen, wo der Panther des Südens leider eine fast unbeschränkte Gewalt besitzt. Ob er sich noch dort befindet, ist nicht zu sagen, aber so viel ist gewiß, daß er in den mittleren und nördlichen Staaten des Landes bald verloren sein würde, gleichviel, ob er den Franzosen oder mir in die Hände fiele.«
In diesem Augenblick wurde die Unterhaltung durch Pirnero unterbrochen, der die Tür öffnete. Wie bereits erwähnt, fragte Mariano nach seinem Begehr.
»Dieser Señor Geierschnabel wünscht den Señor Präsidenten zu sprechen«, antwortete der Wirt, indem er sich zurückzog.
Juarez trat einige Schritte vor und fragte:
»Geierschnabel, der Wegweiser? Kommt Ihr in geheimer Angelegenheit?« – »O nein«, antwortete der Gefragte. »Diese Herren wissen ja bereits, was ich Ihnen zu sagen habe, Sir.« – »So tretet ein. Ich glaube nicht, daß wir den Kranken wecken.« – »Er schläft fest«, meinte Sternau. »Wir können ohne Sorge sein.«
So durfte also der Amerikaner in das Zimmer treten. Juarez betrachtete ihn genau.
»Setzt Euch, Señor«, sagte er, auf einen Stuhl deutend. »Ich vermute, daß Ihr eine Botschaft an mich habt.«
Der Jäger musterte den Präsidenten ebenso genau, wie er von diesem betrachtet worden war, und spitzte den Mund, um einen Strahl Tabaksbrühe von sich zu spritzen; da aber fiel ihm ein, daß es doch vielleicht nicht ganz fein sei, in Gegenwart eines Präsidenten von Mexiko sich des Überflusses auf so ungenierte Weise zu entledigen. Er gab also seinem Mund die gewöhnliche Lage wieder und antwortete:
»Ich schätze, daß Sie richtig geraten haben, Sir. Es ist wirklich eine Botschaft, die ich an Sie auszurichten habe.« – »Von wem?« fragte Juarez. – »Von einem Englishman.« – »Ah, von einem Engländer?« fragte Juarez erstaunt. »Ich erwarte allerdings von einem solchen sehr wichtige Botschaft!« – »Ich kalkuliere, daß es diejenige ist, die ich bringe.« – »Wie heißt dieser Engländer, Señor?« – »Es ist Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell.«
Da machte Juarez ein außerordentlich überraschtes Gesicht und sagte:
»Sir Henry Lindsay? Ah, da habe ich mich geirrt. Das ist die Botschaft leider nicht, die ich erwartet habe.« – »Warum soll es diese denn nicht sein, Sir?« – »Es gelang mir vor einiger Zeit, Sir Henry einen Dienst zu erweisen. Wenn er mir jetzt eine Botschaft sendet, wird es eine private sein, aber nicht eine solche, wie ich sie erwarte.« – »Vielleicht irren Sie sich doch. Darf ich fragen, welcher Natur die Botschaft ist, die Sie erwarten?« – »Sie ist diplomatischer Natur.« – »Das lassen sie um Gottes willen den alten Pirnero nicht hören, sonst hält er Ihnen eine Rede von der diplomatischen Vererbung vom Vater auf die Tochter. Übrigens muß ich sagen, daß ich Ihnen allen allerdings einen privaten Gruß von Sir Henry zu bringen habe. Ich soll Ihnen sagen, daß er Ihnen von Herzen ergeben und zu jedem Dienst bereit sei. Daß dies aber nicht eine leere Redensart ist, beweist er durch die Tat, indem er im Begriff steht, Ihnen einen Besuch abzustatten.« – »Seinen Besuch? Das wäre überraschend. Wo befindet er sich?« – »In El Refugio an der Mündung des Rio Grande del Norte!«
Da erhob sich der Präsident schnell von dem Stuhl und sagte:
»In El Refugio? Oh, von dorther soll ja die erwartete Botschaft kommen!« – »Richtig! Und ich bin es, der sie bringt.« – »Ihr? Von Sir Henry?« – »Ja.« – »So ist er …?« – »Ja, er ist der geheime Bevollmächtigte Englands, den Sie erwarten.« – »Ah, wer hätte das gedacht! Sir Henry der Gesandte Altenglands. Er soll willkommen sein! Aber sagt, was bringt er? Glück oder Unglück?«
In dem sonst so ruhigen Gesicht des Präsidenten drückte sich die größte Spannung aus.
»Glück«, antwortete der Amerikaner. – »Gott sei Dank!« rief, von einer großen Sorge befreit, Juarez. – »Ja, danken Sie Gott, aber auch dem wackeren Sir Henry!« sagte Geierschnabel. »Ich habe eine Unterhaltung belauscht, aus der ich hörte, daß er sich in London die größte Mühe gegeben hat, für Sie zu wirken. Er ist auch in Paris, Berlin und Wien gewesen, um in Ihrem Interesse tätig zu sein. Er hat viel dazu beigetragen, daß England seine Drohung mit derjenigen der Vereinigten Staaten gegen Frankreich vereint. Jetzt ist er des Erfolges so gewiß, daß er behauptet, die Zeit sei nahe, in der Frankreich gezwungen werde, seine Truppen aus Mexiko zu entfernen.«
Da schlug Juarez die Hände zusammen und sagte tief aufatmend:
»Wenn dies der Fall wäre!« – »Tragen Sie keine Sorge!« entgegnete der Jäger in bestimmtem Ton. »Sir Henry gab mir den Auftrag, Ihnen, da er jetzt selbst noch nicht zugegen ist, an seiner Stelle die tröstliche Versicherung zu geben, daß England und Amerika sich, falls die Franzosen nicht freiwillig gehen, vereinigen werden, sie mit Gewalt fortzutreiben und dem Präsidenten Juarez Gerechtigkeit und Anerkennung zu verschaffen.«
Da streckte der Präsident dem Boten die Hand entgegen und sagte:
»Hier, nehmt meine Hand, Señor! Diese Botschaft ist mir lieber als viele Millionen in klingender Münze, obgleich mir das Geld sehr notwendig ist.«
Geierschnabel drückte die dargebotene Hand und erwiderte:
»Keine Sorge, Sir! Für Geld wird auch gesorgt!« – »Ja. Ich habe vor kurzer Zeit von den Vereinigten Staaten eine beträchtliche Summe erhalten, die zu rechter Zeit in meine Hände kam.«
Der Jäger lächelte verheißungsvoll.
»So?« meinte er. »Denken Sie etwa, daß England zurückbleiben werde?« – »Was könnte ich billigerweise von ihm erwarten, außer dem, was Ihr mir soeben sagtet, Señor?« – »Oh, haben die Vereinigten Staaten Geld, so hat England gewiß auch welches!« – »Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß …?« – »Daß England Geld schickt?« – »Ja, das meine ich.« – »Wie nun, wenn ich gerade das sagen wollte?« – »Dann wären meine Erwartungen allerdings auf das glänzendste übertroffen.« – »Nun, so will ich Ihnen mitteilen, daß Sir Henry einige Fässer voll blanker Sovereigns für Sie mitgebracht hat, lauter schöne Goldstücke, Sir.« – »Ist es möglich?« rief Juarez. – »Möglich? Wirklich ist es. Ich habe die Fässer selbst gesehen, und da rechne ich, daß es wahr sein muß. Das Geld kommt direkt aus der englischen Münze.« – »Welch ein großes Glück! Nun kann ich zahlen und neue Kräfte werben!« – »Ja, das können Sie. Übrigens weiß ich ganz genau, daß der Präsident der Union Ihnen von Kalifornien aus eine ganze Schar tüchtiger Kerle sendet, die sich nicht vor dem Teufel, noch viel weniger aber vor den Franzosen fürchten.« – »Sie kommen mir gelegen. Es soll ihnen an nichts fehlen. Ich werde sie gut ausrüsten, denn nun habe ich Geld, um Waffen und Munition kaufen zu können.« – »Was das betrifft, so nehmen Sie sich nur immer Zeit! Es fällt dem Präsidenten nicht im Traum ein, Ihnen Leute zu schicken, die unbewaffnet sind. Übrigens ist Sir Henry Lindsay mit einem Schiff gekommen, das ganz mit Waffen und Munition für Sie beladen ist. Ich habe alles selbst gesehen.« – »Das geht weit, weit über meine Erwartungen hinaus. Welche Art von Waffen sind es?« – »Zwölf Kanonen mit Zubehör, einige tausend Revolver nebst Patronen, ebenso viele Degen, zehnmal so viel Messer, und, was die Hauptsache ist, achttausend gute Gewehre, die Ihnen prächtige Dienste leisten werden.«
Das Gesicht des Präsidenten glänzte vor Freude, und in seinen dunklen Augen stand ein großer, heller Tropfen.
»Ich habe gelitten und geduldet, denn ich dachte, meine Zeit werde kommen«, sagte er bewegt. »Ich sah das Land verwüsten und den Wohlstand meines Volkes zerrütten, aber ich zagte nicht, denn es gibt eine Gerechtigkeit, die höher ist als der Thron Frankreichs. Ich stehe an der äußersten Grenze des Landes, für dessen Wohl ich mein Leben geben würde, und nur wenige Getreue sind es, die sich bei mir befinden. Gott aber gibt mir jetzt ein Zeichen, daß meine Gebete erhört sind. Ich werde meine Fahne wieder entfalten, und sobald meine Stimme erschallt, werden alle wahren Patrioten sich um mich versammeln, um den Feind hinauszuwerfen. Der Anfang ist gemacht, die ersten vier Kompanien des Feindes sind vernichtet, und nichts soll mich hindern, den begonnenen Lauf fortzusetzen. Ich werde von hier aus direkt nach Chihuahua marschieren, um diese Stadt und dadurch die ganze Provinz von der Gewaltherrschaft der Franzosen zu befreien. Vorher aber muß ich wissen, wann und wo ich den Lord zu erwarten habe. Welchen Auftrag hat er Euch gegeben?« – »In dieser Beziehung gar keinen. Ich soll Ihre Wünsche hören und sie ihm bringen.« – »So wartet er auf Eure Rückkehr?« – Ja.« – »Wie lange braucht Ihr, um nach El Refugio zu gelangen?«
Der Yankee streckte seine sehnigen Arme aus, betrachtete seine Fäuste und antwortete:
»Ich rudere gut. In sechs Tagen werde ich unten sein.« – »Ah, dann seid Ihr ein Tausendkünstler!« – »Pah! Man hat gelernt, ein kleines, leichtes Kanu über das Wasser zu bringen.« – »Aber wie lange Zeit braucht man denn, um stromaufwärts nach hier zu kommen?« – »Donnerwetter, es kommt da eben ganz darauf an, welch ein Fahrzeug man hat, Sir!« – »Nun, welches Fahrzeuges wird sich der Lord bedienen?« – »Er hat an Deck zwei kleine, seicht gehende und schnell fahrende Dampfboote. Er ist jetzt beschäftigt, sie zusammenzusetzen. Sie sind bestimmt, die Fracht des Schiffes auf dem Strom zu tragen, und werden ihre Schuldigkeit schon tun.« – »Welchen Weg legen sie in einem Tag zurück?« – »Ich glaube, daß sie in neun bis zehn Tagen hier sein können.« – »Das würde also zusammen mit den sechs Tagen, die Ihr abwärts braucht, sechzehn Tage machen. Das dauert mir allerdings zu lange. Sechzehn Tage darf ich nicht vergehen lassen, ehe ich Chihuahua nehme.« – »Wer sagt, daß Sie lange warten sollen? Sie haben wackere Jäger und fünfhundert Apachen bei sich. Diese Leute genügen vollständig, um die Stadt zu nehmen. Wie steht es aber mit Coahuila?« – Auch diese Stadt muß mit der gleichnamigen Provinz mein werden.« – »Liegen viele Franzosen dort?« – »Einige Kompanien.« – »Nun, so kalkuliere ich, daß es Ihnen nicht schwerfallen wird, auch diese Stadt in Ihre Hände zu bringen. In welcher Zeit von heute an können Sie in Chihuahua sein?« – »In drei Tagen.« – »Und wieviel Tage braucht ein Reitertrupp, um von da nach Coahuila zu kommen?« – »Fünf Tage.« – »Nun gut. In drei Tagen in Chihuahua, zwei Tage dort bleiben, fünf Tage nach Coahuila, sind zehn Tage. Vier Tage vorher komme ich nach El Refugio, wir brechen dann sofort auf, dampfen den Fluß herauf bis nach Belleville und Revilla und biegen in den Sabinafluß ein, der auf Coahuila zuläuft. Da, wo er sich in zwei Arme teilt, warten wir auf Sie. Das ist ungefähr zwölf Meilen von Coahuila entfernt Ich glaube, diese Berechnung klappt so gut, daß wir für unserer Zusammentreffen gar keinen passenderen Ort finden könnten.«
Der Präsident überlegte und erwiderte:
»Ihr habt recht, Señor. Da sieht man wieder, daß Geierschnabel einer der besten Führer ist. Wir wollen es bei dieser Bestimmung bewenden lassen. Aber wie steht es mit der Sicherheit Eures Transportes?« – »Oh, da machen Sie sich keine Gedanken, Sir! Ich habe einige wackere Jungens zusammengebracht, die für diese Sicherheit zu sorgen wissen. Übrigens ist ja auf der ganzen Route nichts zu fürchten. Indianer gibt es dort nicht, und die Herren Franzosen werden uns wohl auch nicht im Weg herumlaufen.« – »Das ist auch meine Ansicht. Also der Lord kommt selbst mit?« – »Ja, er und seine Tochter.« – »Seine Tochter?« fragte Juarez erstaunt. »Was? Miß Amy Lindsay ist bei ihm?« – »Ja.« – »Welch eine Kühnheit! Haben Sie es gehört, Señor?«
Mit dieser Frage wandte sich Juarez an Mariano. Dieser antwortete:
»Ich wußte es bereits. Señor Geierschnabel hat es uns heute vormittag erzählt.« – »Und was haben Sie bei dieser Botschaft gedacht?« – »Ich nahm mir vor, mit Geierschnabel den Fluß hinabzuschiffen.« – »Sie werden dies auch tun?« – »Es wird leider unmöglich sein.«
Bei diesen Worten zeigte Mariano auf den schlafenden Grafen. Dieser war sein Oheim. Durfte er ihn in diesem Zustand verlassen?
Da wandte sich der Präsident an Sternau:
»Señor, Sie haben mir alle Ihre Schicksale erzählt, aber Sie haben vergessen, mir zu sagen, was Sie zu tun gedenken.«
Sternau antwortete:
»Wir gedachten, nach der Hacienda del Erina zu reiten und diesen Cortejo beim Schopf zu nehmen. Zugleich aber wollten wir eine Gelegenheit suchen, die Nachricht, daß wir noch leben und wieder frei sind, nach der Heimat gelangen zu lassen.« – »Und dies ist noch jetzt Ihr Vorsatz?« – »Ja.« – »So ersuche ich Sie, sich mir anzuschließen. Ihr Weg führt ja über Chihuahua. Folgen Sie mir noch bis Coahuila, so teilen wir uns in den Vorteil. Ich habe eine Anzahl tüchtiger Männer bei mir, und Sie reisen in meiner Gesellschaft sicherer als allein. Übrigens brauchte Señor Mariano die beschwerliche Stromfahrt nicht zu unternehmen, sondern er könnte seine Braut mit uns von Coahuila aus erreichen.« – »Dieser Plan ist gut«, meinte Geierschnabel. »Was übrigens die Stromfahrt betrifft, so könnte ich den Herrn gar nicht mitnehmen.« – »Warum nicht?« fragte Mariano. – »Mein Kanu ist zu leicht, es trägt nur einen Mann, mich allein.« – »Man könnte ein größeres nehmen.« – »Dann würde die Fahrt langsamer vonstatten gehen. Nein, Sir, gehen Sie auf den Plan des Herrn Präsidenten ein. Ich kalkuliere, daß es das beste ist, was ich Ihnen raten kann.« – »Aber wird unser Kranker mit nach Chihuahua können?« fragte Mariano Sternau. – »Es fragt sich, wann wir aufbrechen«, antwortete dieser. – »Ich breche bereits morgen früh auf«, sagte der Präsident. – »Das ist für den Grafen zu früh.« – »So müssen wir leider bleiben«, klagte Mariano. – »Das ist auch mir unlieb. Ich hätte Sie gern bei mir gehabt«, sagte Juarez.
Da meinte Sternau nach einigem Nachdenken:
»Vielleicht gibt es einen Ausweg, Señor Juarez. Glauben Sie nicht, daß sich das Fort Guadeloupe in vollständiger Sicherheit befindet?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »So können wir den Grafen einstweilen zurücklassen?« – »Wo denkst du hin!« rief Mariano. »Wer soll ihn pflegen?« – »Die beiden deutschen Ärzte, die hier wohnen. Sie sind tüchtige Mediziner und werden gewiß nichts unterlassen, was zu seiner Genesung beitragen kann.« – »Aber wenn die Franzosen dennoch …« – »Die Franzosen?« fiel Juarez ein. »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß kein bewaffneter Franzose wieder nach Fort Guadeloupe kommen wird. Und wenn dennoch das Gegenteil geschähe, so wäre auch in diesem Fall nicht die mindeste Gefahr zu befürchten. Ein Graf Rodriganda kann von den Franzosen nie als Feind betrachtet werden, denn er ist ihnen ja niemals als Feind entgegengetreten.« – »Aber die Indianer, die Komantschen!« sagte Mariano vorsichtig. – »Oh, die haben eine solche Schlappe erhalten, daß sie jahrelang nicht versuchen werden, wiederzukommen, mein lieber Señor.« – »Sie könnten sich gerade dadurch zur Rache veranlaßt fühlen.« – »So werde ich Sie auch für diesen Fall beruhigen. Es kostet mich bei den beiden Häuptlingen der Apachen nur ein Wort, und sie legen eine genügende Anzahl von Kriegern in die Nähe des Forts, um dasselbe zu beschützen und zu bewachen.« – »Wollen Sie dieses Wort aussprechen?« – »Gewiß, ich werde es tun.« – »So bin ich befriedigt, Señor. Es handelt sich nur noch um die Frage, wie mein Oheim uns nachkommen und wiedertreffen soll.« – »Die Apachen werden ihn nach Coahuila bringen, wo wir ihn erwarten. Habe ich nicht recht, Señor? Stimmen Sie bei?«
Die letzten Fragen waren an Sternau gerichtet Dieser nickte und antwortete:
»Ich stimme bei. Wir haben die Verpflichtung, den Lord in Coahuila zu erwarten, wir müssen uns Ihnen anschließen. Der Graf liegt hier sicher und wird sich in ausgezeichneter Pflege befinden. In einigen Tagen hat er sich erholt und wird uns unter der Begleitung der Apachen sicher nachkommen, Du hast gar nichts zu befürchten, mein lieber Mariano.« – »Nun gut, so mag es geschehen«, meinte dieser. »Es ist nicht zu verwundern, daß man nach allem, was wir erlebt und erfahren haben, vorsichtig wird.« – »So sind wir also einig«, nahm Juarez wieder das Wort. »Wann werdet Ihr aufbrechen, Señor Geierschnabel?« – »Sobald als möglich«, antwortete dieser. – »Doch nicht vor morgen?« – »Warum nicht, Sir? Am liebsten stiege ich sofort in mein Kanu.« – »Jetzt, bei Nacht?« – »Ja. Ich habe keine Zeit zu verlieren.« – »Ah, Ihr seid ein wackerer Mann. Ihr nehmt Eure Pflichten ernst, und ich will Euch da nicht hinderlich sein. Ich werde nach meinem Zimmer gehen, um Euch einige Worte aufzuschreiben, die Ihr dem Lord übergeben sollt. Kommt mit!«
Die beiden gingen.
»Und ich«, sagte Sternau, »werde einmal nach dem anderen Patienten sehen. Don Ferdinando schläft; er bedarf jetzt meiner nicht; der Schwarze Gerard aber liegt so schwer, daß ich ihn nicht vernachlässigen darf.«
35. Kapitel
Während dieses Gespräch oben bei dem Grafen geführt wurde, war Pirnero in die Küche und auch nach dem Verkaufsladen gegangen, um seine Tochter zu suchen, hatte sie aber nicht gefunden. Er kehrte daher mißmutig zurück und setzte sich an das geöffnete Fenster, blickte hinaus in die dunkle Nacht und dachte, er wußte selbst nicht, an was.
Es war still und menschenleer im Ort; aber von fernher erscholl zuweilen ein wildes, hundertstimmiges Heulen. Es war das Klagegeschrei der Apachen über ihre Gefallenen oder ihr Siegesjubel über die skalpierten Franzosen. Auch durch das Innere des Hauses zitterte zuweilen ein wilder, tierischer Ton, der Schmerzenslaut des französischen Sergeanten, der in der Bodenkammer eingeschlossen lag und sich in unendlicher Pein auf der Diele hin– und herwälzte. Die Glut des Wundfiebers hatte ihn ergriffen und ihm mitleidig das Bewußtsein geraubt.
Da ging die Tür auf, und Resedilla trat ein. Ihr Vater bemerkte dies, tat aber so, als ob er es nicht gesehen habe. Sie machte sich leise im Zimmer zu schaffen, während er immer noch zum Fenster hinausblickte, obgleich er im Dunkeln gar nichts sehen konnte. Es ärgerte ihn gewaltig, etwas zu sagen, was gegen seine früheren Worte war. Er hustete einige Male verlegen vor sich hin, begann aber dann doch das Gespräch:
»Dichte Finsternis!«
Resedilla antwortete nicht; darum wiederholte er mit erhöhter Stimme:
»Schauderhafte Finsternis!«
Als sie auch jetzt noch nichts sagte, drehte er sich um und sagte:
»Nun?« – »Was?« antwortete sie jetzt endlich. – »Ganz und gar dicke Finsternis!« – »Ja. Man sieht nicht die Hand vor den Augen.« – »Das ist wahr. Aber man hört desto mehr.« – »Was hört man denn? Es ist ja überall so still da draußen.« – »Still? Horch nur einmal. Hörst du jetzt das Geheul?« – »Ja, jetzt höre ich es.« – »So etwas kommt bei uns in Pirna ganz und gar nicht vor.« – »Dort gibt es ja auch keine Indianer.« – »Nein. Dort wird kein Mensch skalpiert. Höchstens hauen sie sich da einmal mit den Stuhlbeinen über den Kopf, daß der Schädel brummt, besonders bei Hochzeiten, Kindtaufen und Leichenschmäusen. Weißt du, welches von diesen drei Festen das schönste ist?« – »Ich kann es mir denken. Das Begräbnis.«
Fast wäre Pirnero vor Schreck vom Stuhl in die Höhe gefahren. Er sah seine Tochter an, als ob er an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifle, und fragte erstaunt:
»Ein Begräbnis? Ein Begräbnis soll das schönste Fest sein? Warum?« – »Weil es dem Menschen am wohlsten ist, wenn er tot ist.«
Resedilla war sehr ernst gestimmt; darum sprach sie in dieser Weise. Ihr Vater aber konnte sie nicht begreifen. Er fixierte sie forschend und sagte:
»Am wohlsten, wenn er tot ist? Du bist nicht recht gescheit Warst du denn schon einmal tot, daß du so genau weißt, wie wohl es einem da ist? Mädchen, ich sage dir, wenn man im Sarg liegt oder im Grab, so ist es einem ganz verteufelt unwohl zumute. Ich mag um alle Schätze der Welt nicht in der Haut einer solchen Leiche stecken. Hast du einmal einen sterben sehen?« – »Ja doch.« – »Ah? Wo denn, wenn ich fragen darf?« – »Heute, droben auf dem Boden.« – »Ach, das ist nichts. Die sind ja nicht gestorben; die sind ja erstochen und totgeschlagen worden. Ich meine, wenn einer so langsam in seinem Bett stirbt. Hast du das schon einmal gesehen?« – »Nein.« – »Da darfst du auch nicht sagen, daß es einem Toten so wohl sein soll. So ein armer Kerl liegt da und weiß, daß er fort muß. Da hilft kein Jammern und Klagen, kein Strampeln mit Händen und Füßen, er muß fort, hinaus aus dem Leben, er mag sein, wer er will, Minister oder Weichensteller. Er verdreht die Augen, er knirscht mit den Zähnen; das Herz schläft ein, der Atem wird alle, und der Verstand hört auf. Nun liegt er da, wird in den Sarg gesteckt und in die Erde gescharrt. Und wenn so ein armer Teufel zehn oder zwanzig Jahre ausgehalten hat, und er wird ausgegraben, so ist er zum Gerippe abgemagert und wird in die Knochenmühle geschafft. Und da sagst du, daß es ihm wohl gewesen wäre? Du bist verrückt! Nein, das schönste dieser drei Feste ist das Hochzeitsfest. Warst du bei einem solchen einmal?« – »Ja.« – »Na also. Das ist ein Essen und Trinken, ein Springen und Tanzen, ein Herzen und Küssen, besonders zwischen Braut und Bräutigam. Als ich deine Mutter heiratete, war ich vor Glück ganz dumm im Kopf; später bin ich wieder gescheiter geworden. So eine Braut ist zu beneiden, denn ihr Bräutigam wird Schwiegersohn. Ich möchte eigentlich wissen, ob du nicht auch Anlagen besitzest, eine Braut zu sein. Was meinst du?«
Resedilla schwieg. Darum fuhr er fort:
»Bis jetzt bin ich darüber noch nicht ins reine gekommen. Ich habe immer gehofft, daß du mir einen Schwiegersohn bringen würdest. Dann wäre es ganz so geworden, wie sie bei uns in Pirna bei Hochzeiten singen. Hast du den Vers schon einmal gehört?« – »Nein.« – »Das ist schade, jammerschade. Er hatte eine wunderschöne Melodie und wird sogar im Theater gesungen und heißt:
Wir winden dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Freude;
Wir führen dich zu Spiel und Tanz
In lauter Samt und Seide!
So wäre es geworden. Aber du willst nicht. Nicht wahr?« – »Nein«, erwiderte Resedilla leise.
Da ermannte Pirnero sich, nahm seinen ernstesten Ton an und fuhr fort:
»Ich habe mir es überlegt, daß du recht hast. Ich brauche keinen Schwiegersohn, und wenn du mir ja einen brächtest, so würfe ich ihn zur Tür hinaus. Merke dir das, es ist mein völliger Ernst.«
Damit erhob Pirnero sich vom Stuhl, trat auf Resedilla zu und fügte mit erhobener Stimme hinzu:
»Vor allen Dingen verbiete ich dir, den Schwarzen Gerard zu heiraten. Ich kann den Kerl nicht leiden. Verstanden? Jetzt kennst du meinen festen Willen. Dabei bleibt‘s.«
Mit stolzen Schritten ging er zur Tür hinaus.
Resedilla blickte ihm verblüfft nach; sie konnte sich diesen plötzlichen Wechsel in der Gesinnung nicht erklären. Sein Verhalten war fast lächerlich zu nennen, aber sie vermochte nicht darüber zu lachen. Es war ihr so ernst zumute, und wenn sie sich nach dem eigentlichen Grund gefragt hätte, so wäre sie sich die Antwort sicher schuldig geblieben.
Sie trag eine große Liebe im Herzen, aber dieser Liebe gegenüber stand ein böses, schlimmes Wort, das ihr immer in den Ohren klang, das Wort Garotteur. Auf ihrem Leben haftete kein Flecken, kein Makel; sie hatte sich den, der ihr Herz besitzen sollte, ebenso rein und vorwurfsfrei gedacht und nun lag es doch so ganz anders. Sie hatte dem Geliebten vergeben; sie wußte, daß er schwer gebüßt hatte, daß er nie imstande sein werde, sich je wieder eines Verbrechens schuldig zu machen, aber sie hatte doch über das Wort Garotteur noch nicht vollständig hinwegkommen können.
Heute nun hatte er ihr bewiesen, wie lieb er sie habe. Seine Liebe war so stark, so mächtig, daß sie das entschwindende Leben festgehalten und ihm Kraft gegeben hatte, sie aus den Händen ihrer Feinde zu retten. Nun lag er oben, zerschossen und zerstochen, kaum noch eine Spur des Lebens in sich tragend. Jetzt, jetzt endlich war der Klang des bösen Wortes in ihr verstummt, und sie fühlte, sie wußte, daß sie sein Eigen sein müsse, ohne Fragen, ohne Zagen, mit unerschütterlichem, felsenfestem Vertrauen.
Und doch war sie nicht zu ihm gegangen. Warum?
Die Seele des Weibes ist ein ewiges Rätsel, hier lag die Lösung desselben jedoch nicht im verborgenen. Resedilla fühlte diese Liebe über sich zusammenschlagen, wie eine unendliche, unwiderstehliche Flut Sie fühlte und glaubte, daß sie sich über den Geliebten werfen müsse, um mit lauten Klagetönen sein schwaches Leben festzuhalten, und gerade das konnte ihn, der vielleicht noch zu retten war, unwiderbringlich in den Tod treiben. Sie fürchtete die Macht ihrer Liebe, und darum lag er oben, als ob es kein Herz gäbe, das von einem einzigen großen Gebet um sein Leben erfüllt war.
So saß Resedilla da und drückte die Hand fest auf den Busen, um das Wogen desselben zu dämpfen. Da ging die Tür auf. Sie dachte, der Vater kehre zurück, aber als sie das Auge erhob, fiel es auf Sternau.
»Verzeihung, Señorita!« sagte er. »Ich komme als Bittender.«
Sie erhob sich und blickte ihn fragend an. Sternau war Menschenkenner. Warum antwortete sie nicht? Sein großes, schönes Auge ruhte forschend auf ihr; es ging ein leises Lächeln über sein Gesicht.
»Haben Sie ein wenig Leinwand zum Verbinden?« fragte er. – »Ja, gleich!«
Mit diesen Worten eilte Resedilla nach der Küche, und als sie dann zurückkehrte und ihm das Gewünschte überreichte, fragte sie:
»Waren nicht bereits alle verbunden? Wer nimmt Sie noch in Anspruch, Señor?« – »Gerard!«
Sie erbleichte.
»Steht es so gar schlimm mit ihm?« erkundigte sie sich mit bebender Stimme. – »Sehr schlimm«, antwortete er. – »O Gott, gibt es denn gar keine Rettung?«
Diese Worte hauchte sie nur, und ihre Augen füllten sie mich Tränen der Angst und des Schmerzes.
»Gott ist gnädig«, erwiderte der schöne, ernste Mann. »Hier aber ist außer von ihm nur noch von einem einzigen Arzt Rettung zu erwarten.« – »Und wer ist dieser?« – »Die Liebe.«
Resedilla wurde noch bleicher als vorher; dann aber flog eine dunkle Röte über ihr Gesicht, und zugleich floß ein Strom von Tränen über ihre Wangen.
Da ergriff Sternau ihre Hand und sagte mit milder, eindringlicher Stimme:
»Resedilla, er wollte sterben!« – »Gerard?« fragte sie schluchzend. – »Ja.« – »Er wollte?« – »Ja. Er ging mit Fleiß und Vorbedacht in den Tod. Wir anderen kämpften hinter den Palisaden, er aber blieb draußen vor denselben.« – »O Gott, warum?« – »Ich weiß es nicht. Sie aber werden es wissen oder wenigstens ahnen. Er gab sich den Kugeln der Feinde preis. Er lag in einem förmlichen See von Blut, nachdem er Wunder der Tapferkeit getan hatte. Da hörte er, daß Sie in Gefahr seien, und dieser Gedanke war hinreichend, seine Seele festzuhalten. Warum hassen Sie ihn?« – »Hassen? Ich ihn hassen?«
Bei diesen Worten legte Resedilla beide Hände vor das Gesicht, und das Schluchzen erstickte beinahe ihre Stimme.
»Kennen Sie ihn seit längerer Zeit?« begann er wieder zu fragen. – »Seit kurzer Zeit, aber lange genug.« – »Wissen Sie, wo er früher lebte?« – »In Paris.« – »Und was er dort war?« – »Ja, Señor.« – »Er hat es Ihnen gesagt?« – »Ja, er war aufrichtig. Nicht wahr, auch Sie wissen es?« – »Auch ich weiß es, Señorita, warum wollen Sie ihm nicht vergeben?« – »Oh, ich habe ihm ja längst vergeben!« – »Und doch meiden Sie ihn, da er der Hilfe so sehr bedarf!« – »Ich darf nicht zu ihm! Ich – ich darf – ich kann es nicht sagen«, antwortete sie. – »Das begreife ich nicht. Als heute der Kampf begann, bat er mich, Ihnen seinen Gruß zu bringen, wenn er gefallen sei. Er lebt noch, aber dennoch bringe ich Ihnen diesen Gruß, es ist der eines Sterbenden.«
Mit diesen Worten wandte Sternau sich um und schritt der Tür zu. Da eilte Resedilla ihm nach und bat in herzzerreißendem Ton:
»Señor Sternau!« – »Was wünschen Sie noch?« – »Ich kann, ich darf ja nicht zu ihm, ich würde ihn ja ganz sicher töten.«
Da ging ein stilles Lächeln abermals über Sternaus Gesicht, und er legte dem schönen Mädchen die Hand aufs Haupt und fragte:
»Sie trauen sich nicht die Kraft der Selbstbeherrschung zu?« – »Mein Jammer würde ihm den Rest des Lebens rauben.« – »Mein Kind, Sie kennen sich nicht, das Weib ist stark im Leid. Kommen Sie! Sie werden ihn nicht töten, sondern ihm das Leben geben.«
Damit nahm Sternau sie bei der Hand und verließ mit ihr das Zimmer. Resedilla konnte nicht zurück, sie folgte ihm willenlos bis vor die Tür, hinter der der Geliebte lag. Dort aber blieb sie zaudernd und angstvoll stehen und sagte fast bittend:
»Señor Sternau, ich wage es nicht!« – »Warten Sie, ich werde zuvor nachsehen«, antwortet er.
Er trat hinein, und sie blieb außen zurück mit unaussprechlichen Gefühlen im Herzen. Nach einer kleinen Weile öffnete Sternau die Tür.
»Treten Sie ein, Señorita«, bat er leise.
Resedilla trat ein. Sie sah das Bett und neben demselben eine weibliche Gestalt in der Stellung einer Wärterin sitzen. Es war Zilli.
Also diese Fremde saß bei ihm, während sie, die ihn doch so unendlich liebte, fern von ihm geblieben war! Es ging ein Stich durch ihre Seele.
Endlich wagte sie es, das Auge auf das Bett zu richten.
Da lag Gerard, eingehüllt in Binden und Bandagen! Auch sein Kopf war in weißes Linnen gebunden. Nur sein Gesicht war ganz frei, aber es hatte die Blässe des Todes, gegen welche die Schwärze des schönen, vollen Bartes zum Erschrecken abstach. Die Wangen waren tief eingefallen und seine Augen geschlossen.
Es überlief Resedilla eiskalt. Ja, Sternau hatte recht gehabt. Sie hatte geglaubt, daß sie sich beim ersten Anblick auf ihn stürzen werde; aber jetzt fühlte sie, daß dies unmöglich sei, denn ihr Körper schien aus Eis zu bestehen, und ihre Füße waren zentnerschwer. Es kostete sie die furchtbarste Anstrengung, sich zu bewegen, und es dünkte ihr, als vergehe eine Ewigkeit, ehe sie das Bett erreichte. Dort stand sie nun neben Zilli, die sich vom Stuhl erhoben hatte, und versuchte, ob sie sprechen könne.
»Sie waren bisher bei ihm?« fragte sie das junge Mädchen leise. – »Ja, Señorita«, antwortete Zilli in derselben Weise. »Wir haben ihn verbunden.« – »Ich danke Ihnen.«
Bei diesen Worten nahm Resedilla auf dem Stuhl Platz, von dem sich die andere erhoben hatte, die nun fragte:
»Sie wollen bei ihm bleiben?« – »Ja«, antwortete Resedilla. – »Das geht ja nicht. Sie werden doch unten gebraucht.«
Resedilla schüttelte langsam den Kopf.
»Mein Platz ist hier, bis er genesen ist«, antwortete sie. »Wollen Sie mir eine Wohltat erzeigen, so fragen Sie den Vater, ob Sie ihm etwas helfen können.« – »Ich werde es gern tun«, entgegnete Zilli und ging.
Sternau nahm jetzt den Verband vom Kopf des Verwundeten und legte einen neuen an, und Resedilla war ihm dabei behilflich.
Dabei streifte ihre Hand leicht über die bleiche Wange Gerards. Da flüsterte er leise, als habe er an dieser Berührung die Geliebte erkannt.
»Resedilla!« – »Antworten Sie«, bat Sternau. »Er hat, seit er hier liegt, die Augen noch nicht geöffnet.«
Sie bog sich zu seinem Ohr nieder.
»Mein guter, lieber Gerard!« sagte sie mit leiser Stimme.
Da hoben sich seine Lider langsam empor, und sein todesmatter Blick fiel auf sie.
»Oh, nun sterbe ich nicht!« klang es dann fast hörbar von seinen Lippen.
Jetzt kümmerte Resedilla sich nicht mehr um die Gegenwart Sternaus. Sanft legte sie ihren Mund auf die blutleeren Lippen des Kranken und sagte:
»Nein, du darfst nicht sterben, mein Gerard, denn ohne dich würde auch ich nicht leben können. Du sollst genesen und sehen, daß du mir lieber bist, als alles auf der Erde.« – »O Gott, das ist der Himmel, das ist die Seligkeit«, stammelte Gerard, dann schloß er die Augen wieder.
Dieses plötzliche Glück war zu groß für seine schwachen Kräfte gewesen, eine Ohnmacht hatte ihm wieder das Bewußtsein genommen.
»Señor, Señor, er stirbt!« rief Resedilla voller Angst.
Sternau jedoch lächelte ihr gütig zu und antwortete:
»Erschrecken Sie nicht, Señorita. Es ist nur eine Ohnmacht. Sie schadet ihm nicht, sie wird ihn im Gegenteil stärken. Bleiben Sie bei diesem Kranken, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß er genesen wird.«