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Charles Sealsfield
TOKEAH
Einleitung
»Mense Maji 1823 disparuit« – im Mai 1823 verschwunden – heißt es unter »Carolus Postl« im Ordenskatalog des Prager Kreuzherrenstiftes. Ende August desselben Jahres landet er, von seinen Freunden mit Geld und Gut reichlich versehen, in Neuorleans. Als Bürger der Vereinigten Staaten nahm er den Namen Charles Sealsfield an. Seine deutschen Werke ließ er jedoch ohne Verfassernamen erscheinen, die Lesewelt nennt ihn den »großen Unbekannten«, er ist der Verfasser des »Legitimen« usw. und gestattet erst gelegentlich der Herausgabe seiner Gesammelten Werke, Charles Sealsfield als Verfasser zu nennen. »Es war ihm dieses Verborgensein lieb geworden.« Daß dieser Charles Sealsfield jener Priester des Kreuzherrenordens, namens Karl Postl war, hat man erst nach seinem Tode erfahren.
Karl Postl wurde am 3. März 1793 in dem deutsch-mährischen Dorfe Poppitz bei Znaim als Sohn des Bauern, Gemeindevorstehers und Dorfrichters Anton Postl geboren. Der Vater war eine Aristokratennatur, und der Sohn ist es sein Leben lang geblieben, so sehr er auch gesundem Demokratismus huldigte. Die Mutter Juliane wünschte, daß Karl, der älteste der zahlreichen Geschwister, Geistlicher werde. So studierte er von 1802 bis 1807 am Gymnasium der Jesuiten in Znaim und kam dann als Konventstudent in das Kreuzherrenstift zu Prag, um die drei »Klassen der Philosophie« zu machen. Hier widmete er sich auch dem theologischen Universitätsstudium, legte 1814 die Ordensgelübde ab und ward 1816 zum Priester geweiht. Seit dieser Zeit war er auch Ordenssekretär. Einige Jahre scheint er mit seinem Berufe leidlich zufrieden gewesen zu sein – die Prager aristokratische Gesellschaft nahm ihn auf und bot ihm Zerstreuung, er las viel und trieb auch das Studium des Englischen und Französischen – dann brach aber doch der innere Zwiespalt durch, der noch von außen durch Zerwürfnisse mit den Ordensbrüdern und dem General und Großmeister genährt wurde. Allein auch jetzt hielt er noch an dem einmal gewählten Berufe fest, er wollte nur eine freiere Stellung als Geistlicher erringen. Da dann aber seine Hoffnung auf Anstellung als Hofsekretär in geistlichen Angelegenheiten zunichte wurde, flüchtete er nach Amerika. Seit dieser Zeit galt er in seiner Heimat als verschollen und ist nach Mähren, soweit wir unterrichtet sind, nie zurückgekehrt.
Nach längerem Wandern in Louisiana, das ihm von nun an teuer blieb und wo sich viele der von ihm erzählten Begebenheiten zutragen, und durch andere Gebiete machte er sich unter deutschen Farmern in dem pennsylvanischen Kittaning ansässig. Allein bereits im Oktober 1825 verließ er das Städtchen, reiste nach dem Südwesten, suchte wieder Neuorleans auf und blieb längere Zeit in seinem geliebten Louisiana. Im September 1825 nahm er in Frankfurt a. M. Aufenthalt, um Verbindungen mit Verlegern anzuknüpfen. Cotta in Stuttgart kaufte ihm sein erstes Werk ab: »Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, nach ihrem politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse betrachtet. Mit einer Reise durch den westlichen Teil von Pennsylvanien, Ohio, Kentucky, Indiana, Illinois, Missouri, Tennessee, das Gebiet Arkansas, Mississippi und Louisiana. Von Charles Sidons, Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika.« (Stuttgart und Tübingen 1827, 2 Bde.) Seit November 1826 lebte er in London und schrieb hier die englische Ausgabe des eben genannten Reisewerkes (London 1828) und zwei andere englische Schriften, deren eine die »Brandschrift« ist: »Austria as it is or Sketches of Continental Courts by an Eye-Witness« (London 1828) – Österreich, wie es ist, oder Skizzen der Höfe auf dem Kontinent. Von einem Augenzeugen. – Im September 1827 kam er nach Amerika zurück und schrieb unermüdlich in Philadelphia, allein die Hoffnungen, die er auf die europäischen Verleger und Zeitungsbesitzer setzte, trogen ihn, und er ging wieder nach Kittaning, wo er »Canondah« oder »Tokeah« arbeitete, nach dessen Vollendung er 1828 abermals nach dem Südwesten und diesmal auch nach Mexiko kam. Die Vermögensverluste, die er durch den Zusammenbruch seines Bankhauses in Neuorleans erlitt, zwangen ihn, von dem Beruf eines Pflanzers abzusehen und 1829 in Neuyork in die Redaktion des Hauptorgans der französischen amerikanischen Bevölkerung »Le Courrier des Etats-Unis« einzutreten. Im Jahre 1330 kaufte Graf Survilliers, der Exkönig von Spanien Josef Bonaparte, diese Zeitung, wodurch Sealsfield mit ihm und den Bonapartes in Verbindung kam. 1831 ging er im Auftrage des Grafen nach Louisiana, lebte aber dann als Berichterstatter und Mitarbeiter mehrerer Zeitungen in London und Paris, wo ihm die Empfehlungen Josef Bonapartes den Zutritt in die höchsten aristokratischen Kreise eröffneten.
Seit Ende 1831 wohnte er ständig in der Schweiz, kehrte aber noch mehrmals nach Amerika zurück, zu kürzerem Aufenthalt 1837 und 1850, zu längerem und das letztemal 1853, wo er auch Louisiana besuchte. Bis Anfang der vierziger Jahre lebte er in Tegernweilern, dann in Zürich, wo er früher schon längere Zeit ansässig war, und in Feuertalen. Im Jahre 1847 zog er nach Schaffhausen, und hier finden wir ihn seit 1851 im Hause des Kaufmanns Meyer, dessen Tochter Elise mit dem Dichter bis an sein Lebensende in freundschaftlichem Verkehre stand. Als 1853 Sealsfield Amerika besuchte, hatte er vor, sich dauernd dort niederzulassen. Allein er bemerkte hier bereits die Anzeichen einer ungesunden Entwicklung. Enttäuscht kehrte er in die Schweiz zurück und kaufte ein Bauernhaus bei Solothurn »Unter den Tannen«, das das stille Heim seines Lebensabends geworden ist.
In Kittaning vollendete Sealsfield (1827) »Canondah«, womit die Reihe seiner Romane und Erzählungen und sein eigentlich dichterisches Schaffen beginnt. Das Werk erschien (Philadelphia 1828, 2 Bde.) unter dem Titel » Tokeah or the white Rose, an Indian Tale.«
Sobald aber Sealsfield in der Schweiz ständigen Aufenthalt genommen hatte, begann er wieder deutsch zu schreiben. Hier sind alle seine Hauptwerke entstanden. Zuerst erschien ohne Verfassernamen wie die späteren Werke »Der Legitime und die Republikaner. Eine Geschichte aus dem letzten amerikanisch-englischen Kriege« (1812 bis 1815), Zürich 1833, 3 Bde. (Gesammelte Werke, Handausgabe, 1.—3. Bd., Stuttgart 1845.) Dieser Roman ist aus dem »Tokeah« hervorgegangen; Sealsfield übertrug nämlich den ersten Teil der » Indian Tale« einfach ins Deutsche, arbeitete aber den zweiten gänzlich um. Er ist die Geschichte des Untergangs der indianischen Nation. »… Beklagenswert bleiben… die Schicksale dieses unglücklichen Volkes und groß die Leiden, welche die stärkere Seelen unter demselben fühlen müssen, bei der Trennung von dem Lande, in dem sie und ihre Väter geboren wurden. Ich habe neuerlich eine Abteilung dieser Überzügler in der Nähe des Yazoo gesehen, wie sie soeben über den Mississippi gesetzt wurden. Die Ärmern waren durchgängig in ihren gewöhnlichen Stumpfsinn versunken, äußerten weder Freude noch Schmerz, obgleich die Verpflegungsanstalten auf dem Überzuge vortrefflich waren, die Häuptlinge und die bessern Familien schienen unter der Last ihres Jammers zu unterliegen. Es war ein schmerzvoller Anblick, sie hinüberstarren zu sehen auf das östliche Ufer des Mississippi; mehrere streckten ihre Hände darnach aus. Auf dem Zuge aus ihren heimatlichen Wäldern… wandten sie sich jede tausend Schritte und schauten zurück auf die Berge und Fluren, die sie verlassen, und wurden jede Stunde düstrer und trostloser. Einige trugen die Gebeine ihrer Eltern als den köstlichsten Schatz mit sich, um sie der Erde ihrer neuen Wohnsitze zu übergeben.« »Über die beste Art der Darstellung war ich einige Zeit unentschlossen«, schreibt Sealsfield weiter. »Ich schwankte zwischen einer biographischen und romantischen (d. i. Roman-)Darstellung und entschloß mich zu letzterer, die mir um so geeigneter schien, als die seltsame Verkettung des Geschickes dieses merkwürdigen Mannes (Tokeah) mit einer Menge geschichtlicher Personen und besonders der edlen Dame (der weißen Rose) … seinem wirklich großartigen Charakter ein ganz romantisches Gepräge verliehen und mir zugleich einleuchtete, daß diese Darstellungsart zur geschichtlichen erhoben werden könne, wenn … der Autor dem Urbilde seines Helden treugeblieben ist. überhaupt habe ich für den wahrhaft geschichtlichen Roman … eine große Vorliebe … Unberechenbar sind die Wirkungen, die ein gutes geschichtliches, auf Quellen gegründetes, mit Wahrheit und ohne Übertreibung geschriebenes Buch dieser Art auf eine empfängliche und nicht gänzlich übersättigte oder überraffinierte Nation haben muß.«
Sealsfield hat gleich mit seinem ersten Roman die deutsche Leserwelt erobert. Das Fremde, das Exotische, das Amerikanische, die eigene Sehnsucht nach Freiheit – die neue, realistische, Cooper übertreffend Weise der Darstellung, die treffliche, schwungvolle Naturschilderung machten großen Eindruck.
Die günstige Aufnahme des »Legitimen« bewog den Dichter (1833 und 1834), mit zwei Bändchen seine »lebendig und frisch hingeworfenen Genrebilder des amerikanischen Lebens«, genannt »Transatlantische Reiseskizzen« (Zürich 1834) zu beginnen. Sie enthielten »George Howards Esq. Brautfahrt« (später »Lebensbilder aus der westlichen Hemisphäre« 1. Bd., Ges. Werke 9. Bd., Stuttgart 1846) und den humoristischen »Christophorus Bärenhäuter«, der in die Gesamtausgabe nicht aufgenommen wurde. Die »Lebensbilder« hat Sealsfield »der zum Bewußtsein ihrer Kraft und Würde erwachenden deutschen Nation als Spiegel zur Selbstbeschauung« gewidmet. – »Ich halte überhaupt wenig von Nachahmung«, sagt der Verfasser selber. »Nach meiner Ansicht muß die Natur des Gegenstandes, den wir behandeln, auch die Form und Weise der Behandlung bedingen, die Darstellung muß naturgemäß, soviel als möglich natürlich sein. Und nach diesem Grundsatze bin ich meinen eigenen Weg gegangen. So haben die Transatlantischen Reiseskizzen gewissermaßen gar keinen Grundplan; sie sind leicht hingeworfen, oft an Ort und Stelle hingeworfen und durch eine wirkliche Begebenheit zur Einheit verbunden.« Sie sind »nach einem neuen Plane verfaßt«, »als ein Versuch« herausgegeben worden, »der bereits in den Vereinigten Staaten angestellt, da nicht gelungen, in Deutschland zu gelingen versprach. Der Verfasser, der auf seinen mehrmaligen Reisen nach dem Südwesten der Union mit der Entwicklung und den Fortschritten von Osten nach Westen vertraut geworden, hatte nämlich den Gedanken gefaßt, diesen Zivilisationsprozeß in Skizzen und Bildern darzustellen. Ihm war nicht entgangen, daß bei der so unendlich verbreiteten Tagespresse in diesem Lande der bisherige familienhistorische … Roman nicht sehr passe, daß für ein Land mit so öffentlichem Leben auch ein diesem entsprechender Roman ausführbar sein könnte.« Sealsfield hat nun weiter den Gedanken gefaßt, »dieses öffentliche Leben nicht nur in Skizzen und Bildern darzustellen, sondern so darzustellen, daß sie, obwohl lose verbunden, ein Ganzes bildeten, welches die Republik der Vereinigten Staaten, wie sie leibte und lebte, vorführen sollte.« Bei den Deutschen fanden die beiden, 1827/28 in Amerika gearbeiteten Bändchen tatsächlich eine sehr günstige Aufnahme. Allein Sealsfield traute dem Erfolge noch immer nicht recht und wartete lieber mit den Fortsetzungen, bis sich die deutschen Leser an die neue Art Roman oder Novelle gewöhnt hätten.
Inzwischen (1834) erschien eines seiner bedeutendsten Werke, der Roman »Der Virey und die Aristokraten oder Mexiko im Jahr 1812« (Zürich 1835, 2 Bde., in den Ges. Werken 4. – 6. Bd., Stuttgart 1845/46), »nach denselben national-geschichtlichen Tendenzen entworfen und durchgeführt« wie die Reisebilder. »Die Grundzüge des … Buches, das wir Bilder des öffentlichen und häuslichen Lebens in Mexiko in der angegebenen Periode nennen möchten, sind während eines Besuches des … Verfassers in Mexiko [1828] niedergeschrieben worden. Die meisten Skizzen wurden in dem Lande selbst entworfen, so wie die Charaktere größtenteils nach der Natur gezeichnet sind; mehrere lernte der … Verfasser persönlich kennen. Die geschichtlichen Partien sind teils aus mündlichen Überlieferungen bewährter Personen, teils aus dem offiziellen Blatte der damaligen Periode [Revolution von 1810—1825] genommen.« Da »Der Virey« infolge »der Großartigkeit des Gegenstandes, der außerordentlich kräftigen, durchaus mit dem Gegenstande vertrauten Behandlungsweise« Erfolg hatte, gab nun Sealsfield im gleichen Jahre zwei Bände »Lebensbilder aus beiden Hemisphären« (Zürich 1835) heraus, die »Die große Tour« brachten(»Morton oder die große Tour«, Ges. Werke 7. und 8. Bd., Stuttgart 1846). »Morton« ist der Roman von der Macht »der Zehn« oder des Geldes, er könnte heute geschrieben werden. Er fand die Gunst der Leser in hohem Grade und brachte den Dichter endlich zu dem Entschlusse, seinen Lieblingsgedanken auszuführen, die Vereinigten Staaten im »nationalen oder höheren Volksromane« darzustellen. Darin soll das ganze Volk der Held sein, »sein soziales, sein öffentliches, sein Privatleben, seine materiellen, politischen, religiösen Beziehungen treten an die Stelle der Abenteuer, seine Vergangenheit, seine Zukunft werden als historische Gewänder benutzt, Liebesszenen und Abenteuer nur gelegentlich als Folie, um zu beleben, hervorzuheben angewandt. Es ist in diesem Romangenre, dem er die Benennung des nationalen oder höheren Volksromans … geben zu sollen glaubt, dem Roman die bunteste (breiteste) Unterlage gegeben, durch die derselbe zunächst der Geschichte sich anzunehmen, eine wichtige Seitenquelle derselben zu werden, berufen sein dürfte.« Sealsfield war, wie er weiter schreibt, der erste, der dem Roman diese breite geschichtliche, nationale und soziale Unterlage gab.
So erschienen 1835/36 weitere »Transatlantische Reiseskizzen«, 3.—6. Bd., auch »Lebensbilder aus beiden Hemisphären« genannt, die »Ralph Doughbys Esq. Brautfahrt«, »Pflanzerleben«, »Die Farbigen« und »Nathan, der Squatter-Regulator oder der erste Amerikaner in Texas« (Zürich 1836/37) enthielten. Diese Werke samt »George Howards Esq. Brautfahrt« bildeten später die »Lebensbilder aus der westlichen Hemisphäre« (Ges. Werke 9.—13. Bd., Stuttgart 1846).
Im Jahre 1838 beginnen die »Neuen Land– und Seebilder« (»Die deutsch-amerikanischen Wahlverwandtschaften« – 1—4,3 in 2 Teilen Zürich 1839/40) zu erscheinen. Sealsfield hat dann nur noch zwei, freilich sehr bedeutende Werke herausgegeben. »Das Kajütenbuch oder nationale Charakteristiken« – das den Deutschen am meisten und bis heute oft allein bekannt gewordene Werk des Deutschmährers – hätte auch als Fortsetzung der »Transatlantischen Reiseskizzen« erscheinen können. Es wurde 1840 (Zürich 1841, 2 Bde., Ges. Werke 14. und 15. Bd., Stuttgart 1847) veröffentlicht. In dem Vorworte heißt es, daß der Verfasser den Beruf in sich zu fühlen scheine, die Zeitgeschichte und ihre wichtigeren Momente in lebendigen, plastischen Bildern der Welt darzustellen. Im »Kajütenbuche« ist es der »Moment der Gründung eines neuen anglo-amerikanischen Staates auf mexikanischem Grund und Boden [1836], der Moment, wo die germanische Rasse sich abermals auf Unkosten der gemischten romanischen Bahn gebrochen … hat … So wie in den früheren Werken, so scheinen auch in diesem dem Verfasser Quellen zu Gebote gestanden zu sein, die weit mehr Aufschlüsse über die Entstehung des neuen Staates geben, als es bisher erschienene geschichtliche Werke taten.« Die Erzählung Phelims (»Der Fluch Kishogues oder der verschmähte Johannistrunk«) – ein tragisch-humoristisches Prachtstück irländischen Lebens und Sterbens – nahm Sealsfield auf, um die Gegensätze zwischen amerikanischem und irischem und englischem Nationalcharakter mehr hervorzuheben und so den Untertitel »nationale Charakteristiken« zu rechtfertigen.
In ästhetischer Beziehung ist unter den Romanen unseres Dichters das leider vergessene Werk »Süden und Norden« (Stuttgart 1842/43, 3 Bde.) sein bestes Buch – jedenfalls eine gewaltige Schöpfung! Sealsfield selber hat es als sein schönstes und poetischestes Werk bezeichnet; es ist in Augenblicken und Stunden des Dichters entstanden, wo seine rein poetischen Kräfte, sein Temperament die unbeschränkte Herrschaft über ihn hatten und sich in der Gewalt und dem Sturm des dargestellten Lebens, in der Glut der Farben und in der Hast der Schreibweise in voller Deutlichkeit äußerten. »Es war im November 1824, bald nach Beendigung des zweifelhaften Kampfes, der endlich doch noch Mexiko von der spanischen Botmäßigkeit losriß« (die Vorgeschichte gibt ›Der Virey‹) – »daß eine Gesellschaft junger Amerikaner – der ein Deutscher sich anzuschließen die Erlaubnis erhielt – die Hauptstadt der neugeschaffenen Republik verließ, um einen Ausflug nach dem so wenig bekannten Süden des jungen Bundesstaates zu versuchen«. Sie verirrt sich und stößt mit den Bewohnern von Tzapotecan zusammen, der Norden mit dem Süden, was den Inhalt des Romanes ausmacht. »Was die Darstellung selbst betrifft, so ist diese skizziert, fragmentarisch, wie es eine Darstellung erster Eindrücke bedingt. Nicht tiefgehend, berührt sie – nicht ohne triftige Gründe – nur oberflächlich, gleichsam im Durchfluge geselliges Leben und sittliche Zustände, die, sollen sie gründlich geschildert werden, eine längere Beobachtung erfordern. Und der Charakter des einfachsten Völkchens ist für uns häufig um so schwerer zu enträtseln, als wir dessen Zustände in der Regel durch das optisch täuschende Glas unserer mitgebrachten Vorurteile zu beschauen, diesen das Geschaute an– und unterzuordnen pflegen.« An den »Neuen Land– und Seebildern«, am »Kajütenbuch« und an »Süden und Norden« ward, wie Sealsfield selber berichtet, einiges sehr gepriesen, anderes ebensosehr getadelt. Man fand die »Neuen Land– und Seebilder« häufig zu empfindsam, zu faselnd, hatte am »Kajütenbuche« auszusetzen, daß es kein Roman sei, an »Süden und Norden«, daß die Phantasie zu üppig ausschweife.
Seit 1848 ungefähr fand Sealsfield nicht mehr die Gunst des Publikums und er hat sie, strenge genommen, bis heute nicht wieder erlangt. Daß »Das Kajütenbuch«, »Der Virey« und einige Erzählungen auf dem Büchermarkte zu haben sind, widerlegt meine Behauptung nicht. Frage ich mich nach den Gründen dieser Zurücksetzung, so muß ich leider zuerst den tiefen Stand unseres nationalen Empfindens anführen. Unsere Leserwelt findet Genügen, ja Gefallen an der ästhetisierenden, wenn nicht gar ungesunden literarischen Kost. Und Sealsfield gehört zu den starken Persönlichkeiten, die heute, in einer Verfallzeit, unbequem sind; er predigt und räsoniert und man will unbehelligt leben und genießen. Und er ist trotz allem aristokratisch und konservativ gesinnt. Freilich, er, der eminent praktische Kopf, war doch nicht praktisch genug: er hätte weiter englisch, womöglich französisch schreiben müssen, die fremde Zunge hätte Wunder bei den Deutschen gewirkt. Aber es ist doch zu hoffen, daß mit dem Siege des Rassegedankens auch das Werk Sealsfields allgemein Leser und Anerkennung finde.
Bereits die Ausgabe seiner Gesammelten Werke zeigte, daß er nicht mehr wie früher ein Liebling der Leserwelt war. Zwar brachte es die erste Ausgabe (Stuttgart 1842/46) auf 18 Bände, allein die Taschenausgabe (Stuttgart 1845/47) gedieh nur noch auf 15 Bände. »Süden und Norden« fehlt! – »Noch sind zwei Werke … wegen der politischen Stürme ungedruckt. Er konnte sich noch nicht entschließen, sie herauszugeben«, schrieb der Dichter 1854. Diese beiden Werke (»Ein Mann aus dem Volke« und »Osten und Westen«) wie auch die Memoiren aus den dreißiger Jahren über die Familie Bonaparte hat er verbrannt. Alfred Meißner hat noch aus einem vergilbten Hefte »Die Grabesschuld« (Leipzig 1873) entziffert. Die letzten Lebensjahre war Sealsfield von Krankheit heimgesucht. Er war augenleidend, dazu kam ein schweres Unterleibsleiden. Seit dem Ausbruch des nordamerikanischen Bürgerkrieges quälte ihn auch noch die Sorge, das in amerikanischen Eisenbahnaktien angelegte Vermögen ganz zu verlieren. Doch er ertrug Krankheit, Kummer und Einsamkeit standhaft. »Ich fühle, daß meine Laufbahn keine lange mehr sein wird, und ich bin es ganz zufrieden. Ich würde es für kein Glück erachten, noch zehn Jahre zu leben.« Der Tod hat ihn auch bald erlöst. Er starb am 26. Mai 1864. »Nichts Neues von drüben?« war seine letzte Frage, sein letztes Wort an diese Welt.
Es ist die Frage aufgeworfen worden, wie Sealsfield überhaupt zum Schriftsteller geworden sei. Dazu hat ihn wohl die Not des Lebens gemacht und gerade Schriftsteller wurde er, weil er eben ein geborener Dichter war. Man hat nun freilich gemeint, daß er niemals den Dichter in sich entdeckt und gewürdigt hätte. Das ist unrichtig. Gerade das Werk, das am meisten den Dichter verrät, »Süden und Norden«, war ihm das liebste. Und wahrlich hier wirkt die Zauberkraft des echten Dichters: Wie innig-süß, wie traulich– still, wie ganz zart, hingebend, alles vergessend, wie rein aus dem Urquell geschöpft, hat er die Liebe einer Encarnacion dargestellt, wie schicksalsmächtig die einer Mariquita! Wer fühlt nicht die Macht seiner Poesie in »Süden und Norden«! Dann heißt es freilich weiter, daß er so sehr Dichter sei, daß er darüber vergesse, auch Schriftsteller zu sein. Das ist, wie Adolf Bartels treffend schreibt, eine falsche Erklärung; »es müßte etwa heißen: So sehr ist er poetisches Temperament, daß sich künstlerische Eigenschaften bei ihm nicht ausbilden konnten. Es ist … mit ihm ein ähnlicher Fall wie mit Jeremias Gotthelf, bei dem auch immer das Temperament durchschlug.« – Welche Dichter auf ihn eingewirkt haben? Ich glaube, darüber gebe auch das Vorwort zu »Morton« Auskunft. Darnach scheint vor allen Walter Scott auf ihn von Einfluß gewesen zu sein. Daß er aber von jeher kein Nachahmer war, ist unleugbar.
Soll nun Sealsfield als Dichter charakterisiert werden, so ist zuerst zu sagen, daß er zu den bedeutendsten Romandichtern des Realismus gehört. Allein sogar Adolf Stern hat noch die ästhetische Berechtigung der Sealsfieldschen Romane bezweifelt. 1885 schreibt er mit Beziehung auf den »Virey«, dieser litte unter der Tatsache, daß ihm die eigentlich dichterische Grundidee fehle, die durch keine historische oder politische Idee ersetzt werden könne. Ja noch 1905 heißt es bei ihm: »Muß der historische Roman selbst schon als eine Außenprovinz der Dichtkunst gelten, weil es seinen Vertretern in den seltensten Fällen gelingt, die Teilnahme der Leser an die eigentlich dichterische Aufgabe, die poetischen Motive zu fesseln, so fallen Bücher wie … die historischen Romane ›Der Legitime…‹ und ›Der Virey …‹ Sealsfields beinahe aus der Möglichkeit poetischer Wirkung heraus. Sobald das politisch-geschichtliche oder wie in den Sealsfieldschen Werken das völkerschildernde, ethnographisch-psychologische Element überwiegt, sobald das Gewußte, Studierte, künstlich Gemachte an die Stelle des frisch und unmittelbar Vorgestellten tritt und die Motive des Darstellers wie der Anteil des Lesers gleichmäßig aus der Reflexion hervorgehen, kommt die Poesie in Gefahr.« Dem gegenüber sagt Adolf Bartels mit vollem Recht: »Die historischen und politischen Ideen gehören ja wohl auch dem Leben an und können sicher die starken Träger dichterischer Handlung abgeben und die Massen dichterischen Materials um sich gruppieren – nur nackt hervortreten dürfen sie nicht, sie müssen in den Menschen sein. Es ist wohl noch ein Rest unserer deutschen engumschränkten ›Privatexistenz‹, daß wir Privatverhältnisse als die eigentlich dichterischen ansehen, rein individuelle Seelenkonflikte der dichterischen Darstellung würdiger erachten als die großen Zusammenstöße der Völker, Rassen und Parteien. Man darf aber ruhig sagen: Es gibt nichts ›Eigentlich-Dichterisches‹, alles wird dichterisch, wenn›s der richtige Mann anschaut und anfaßt …«
Und neuestens hat ein Berliner Literarhistoriker gefunden, daß die Bücher Sealsfields das Gleichgewicht zwischen der bewegungsarmen Dichtung Stifters und den Forderungen des Durchschnittlesers an die Unterhaltungsliteratur darstellten. Er »kennt alle Wunder der fremdartigen Menschen-, Tier– und Pflanzenwelt, weiß sie mit scharfem Auge anschauend und mit festem Griff zupackend vor uns hinzustellen, und ist ein Meister auch in der Erfindung oder Nacherzählung spannender Begebenheiten«. Das deutet etwa auf den exotischen (transatlantischen, ethnographischen) Roman hin, den ja der Deutsch– Österreicher zum erstenmal in der Weltliteratur meisterhaft behandelt hat, aber das Wesen seines Romans bezeichnet man nur, wenn man vom nationalen Volksroman spricht, wie es Sealsfield selber getan hat.
Seine Kraft, Menschen und Leben darzustellen, ist gewaltig. Er charakterisiert seine Menschen, die Massen, die Völker, die Rassen als Gesamtheit und in ihren hervorragenden Gestalten, die Stände und Berufe mit einer Deutlichkeit und Eindringlichkeit, die volle Plastik und Individualisierung erreicht. Es seien hier nur der Miko Tokeah im »Legitimen«, der Vizekönig Vanega, seine Schwägerin, Graf Jago im »Virey«, der Alkalde und Bob im »Kajütenbuch« und Nathan in den »Lebensbildern« genannt. Die weiblichen Gestalten sind manchmal zu zart, zu wenig Erdenkinder, die Liebesszenen werden oft widerlich sentimental und süß. Doch, seine Charakterisierungsgabe mußte um so größer sein, je mehr er sein Lieblingsvorhaben auszuführen trachtete, die Rassen in außerordentlichen Lebens– und Willensäußerungen, als lebendigen Staat darzustellen, der um Dasein, Gegenwart und Zukunft kämpft. Und wahrlich, seine Darstellungen der bewegten Massen, des in Wallung befindlichen Blutes sind unübertrefflich! Er schreibt poetische Rassengeschichte, Volksgeschichte, Geschichte des Staates, freilich nicht die, wie gesagt, des ruhigen, gefestigten, sondern des in Wandlung begriffenen, des vergehenden und werdenden – wo Rassen und Völker aufstehen, sich durchsetzen oder untergehen. Schon sein erster Roman »Der Legitime« ist dem Unglück der Rasse gewidmet.
Neben der großen Begabung Sealsfields, Massen und einzelne Charaktere klar und lebendig vor uns hinzustellen, ist die große Anschaulichkeit, die unvergleichliche Farbenpracht und Glut seiner Landschaftsschilderung zu erwähnen. Die größte Meisterschaft hierin, in der Darstellung von Naturstimmungen und Naturgewalten hat Sealsfield in »Süden und Norden« erreicht. Hier sind Natur und Menschenkind noch eins, hier herrscht Natur und Blut, und Fremde (wie die Helden aus dem Norden), die in dieses Paradies, herrlich und furchtbar, verschlagen werden, unterliegen den beiden Gewalten. »Lebensvoll, farbenlodernd und keck originell« hat man Sealsfields Werke genannt.
Viel getadelt wurde an seinen Werken der Mangel einer durchgebildeten künstlerischen inneren Form. Es fehlt die gradlinige Fortführung und Entwicklung der Fabel, der Dichter führt mitten hinein in die Ereignisse, hält aber plötzlich still, wendet sich zurück, wieder vorwärts, greift dem augenblicklichen Stand seiner Erzählung vor; auch behandelt er diese Teile nicht mit der entsprechend gleichen Ausführlichkeit, einmal erscheinen sie lang und breit ausgeführt, nichts wird vergessen, ein andermal in hastiger Eile hingeworfen, manches bleibt unerledigt. So kann es geschehen, daß die Ereignisse an uns vorüberstürmen und -fluten, dann tritt aber eine auffallende Stille und Ebbe ein; wir werden in vergangene Jahre und Ereignisse zurückgedrängt. Mag dies hin und wieder noch nicht gar zu sehr die innere Form lockern, mag hie und da in dem Stoffe selber die Notwendigkeit liegen, so zu verfahren: die volle ästhetische Wirkung des Kunstwerkes geht doch verloren. Sealsfield lockert aber das Gefüge noch weiter, indem er seiner vorliegenden Aufgabe fremden Stoff herbeischafft und bei nächstbester Gelegenheit einflicht. Anders verhält es sich nach meiner Meinung mit der Frage, ob der Dichter trotzdem imstande war, in seinen Romanen und Erzählungen eine geschlossene Fabel oder ein abgerundetes Bild zu geben. Man muß, wie ich weiter glaube, bei der Beantwortung dieser Frage die Schwierigkeiten berücksichtigen, die bezüglich der Rundung und Geschlossenheit von vornherein in den von Sealsfield gewählten Stoffen liegen. Ich möchte es daher nicht so unbedingt gelten lassen, daß alle seine Romane nur Bruchstücke, freilich große, gewaltige Bruchstücke sind. Anders wäre es, wenn man meinte, sie seien aus Bruchstücken zusammengefügt. Selbst Adolf Stern sagt z. B. bezüglich der »Transatlantischen Reiseskizzen«, daß freilich zunächst die Kunstlosigkeit und gleichsam Zufälligkeit der Komposition in die Augen falle, aber doch einzelne nur von den eingeschobenen Abschweifungen und manchen überflüssigen Räsonnements befreit zu werden brauchten, um als geschlossene, charakteristische, blut– und lebensvolle Erzählungen zu erscheinen. Ich halte auch noch den »Legitimen«, den »Virey« und »Süden und Norden« für geschlossene Romane, möchte aber keinesfalls leugnen, daß Gleichmäßigkeit und Geschlossenheit gewonnen hätten, wenn es dem Dichter gegönnt gewesen wäre, seine Werke in ruhigerer Stimmung nochmals durchzuarbeiten. Manches Episodische, manche Rück– und Ausblicke, manche Abschweifungen, Alltäglichkeiten und Plattheiten wären verschwunden und hätten die Hauptsache, das Eigenartige, Kühne noch mehr hervortreten lassen. Im besondern auch Sprache und Stil Sealsfields wären besser geworden.
Man hat ihm auch vorgeworfen, daß er sich oft und oft in einem Predigertone gefalle. Nun, alle die vielen Einflechtungen, die Räsonnements und Kritiken politischer, sozialer, religiöser Art, so wenig sie wie bei Gotthelf ästhetisch am Platze sein mögen, gehören geradeso wie bei diesem Großen zu der Aufgabe des Mannes, zu seiner Persönlichkeit, und wir haben sie einfach mit in Kauf zu nehmen. Und schließlich ist noch immer die Frage zu stellen, ob sie nicht auch ihre Berechtigung zur Vervollständigung des Zeitbildes haben, wenn sie auch keine Darstellung sind.
Getadelt wird auch Sealsfields Sprache und oft hat man darüber seinen Stil vergessen. Bekanntlich hat Sealsfield als Romandichter zuerst englisch geschrieben. »Tokeah« und »A night on the banks of the Tennessee« (aus den »Transatlantischen Reiseskizzen«) gehören hierher. Und auch noch später hat er Werke, so z. B. den »Virey« in englischer Sprache entworfen. Kein Wunder, daß das Englisch auf sein Deutsch abgefärbt hat: unleidliche Anglizismen sind zurückgeblieben, selbst noch in »Süden und Norden«. Aus seinen Austriazismen, ja aus den deutsch-mährischen Spracheigentümlichkeiten und Redewendungen könnte man unfehlbar auf die Herkunft des Dichters schließen. Auch englische, spanische und französische Wörter verunzieren seine Sprache, und es entstand auf diese Weise eine widerliche Sprachmengerei: die Donnerkeule Dios, heißt es z. B. im »Virey«. Ganz anders ist es zu beurteilen, daß Sealsfield sehr oft spanische, englische und französische Gespräche in seine Werke aufnimmt. Sie dienen unleugbar der Charakterisierung und dem Kolorit. Aber es ist auch nicht zu bestreiten, daß sie samt der Sprachmengerei die Lesbarkeit seiner Werke beeinträchtigen.
Trotz allem ist Sealsfield doch ein Stilkünstler, in dem Sinne, daß er die Sprache ganz seinem Zwecke anzupassen vermag. Richtig bleibt es freilich, daß auch sein Stil ungleichmäßig ist. Einmal fließt er ruhig dahin, ein andermal hastet er; jetzt hat er geradezu klassische Form, dann ist er gekünstelt, schwulstig. Immer aber hat er eine große Ausdrucksfähigkeit und Anschaulichkeit und erreicht sicher das Ziel. Geradezu bewundernswert ist der oft dramatische Dialog unseres Dichters.
Schließlich bleibt es aber richtig, daß Postl ein genialer Skizzist, kein großer Künstler war.Unsern Dichter hat Adolf Bartels in seiner »Geschichte der Deutschen Literatur« am besten charakterisiert. Ich benütze hier seine Darstellung und verweise noch auf die »Weltliteratur« dieses Gelehrten. Wie Alexis und Gotthelf ist er zuerst Darsteller des Lebens. Alexis weilt in der brandenburgischen Geschichte, ihn fesselt die Staatsidee; Gotthelf vertieft sich in das Volkstum in seinen sozialen Verhältnissen, er kennt die Tiefen der Volksseele; Sealsfield hat von seiner Heimat her die Überzeugung, daß das Blut, die Rasse das Eigenartige, Entscheidende im Völker– und Staatendasein ist. Die neue Welt war ganz geeignet, ihn jeden Tag in seinem Plane zu bestärken, bei Schaffung einer neuen Romangattung Rasse und Nation als Urkraft der politischen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen, nationalen und internationalen Bewegungen zu zeigen. Und in der Tat, er ist dann auch – und das ist sein Hauptverdienst – getreu seinem Programm »mein Held ist das ganze Volk« der Schöpfer des nationalen Volksromanes geworden. Dazu gehörte freilich auch eine Persönlichkeit wie Sealsfield, mit der Tatkraft, dem Scharf– und Weitblick, dem praktischen Sinn, die dieser deutsch-mährische Bauernsohn hatte. Er war auch ein »eminent moderner Geist«, der lange vor Gobineau und Nietzsche in den Bereich ihrer Ideen eindrang, dem, wie einem von heute, die Macht der Hochfinanz kein Geheimnis war. Nicht täuschen sollte man sich über seine »politische Zugehörigkeit« und seine Stellung zum Deutschtum. Sealsfield war kein Demokrat im landläufigen Sinne, die Bedeutung der Aristokratie war ihm durchaus klar (s. »Virey«!). Am richtigsten ist es, wenn man bei ihm von »demokratischem Aristokratismus« spricht. Wenn er die Deutschen tadelt, so geschieht es nie aus Sucht, herabzuwürdigen, sondern in dem schmerzlichen Gefühle, die Deutschen und ihre politischen und sonstigen Verhältnisse nicht so zu finden, wie er sie finden möchte.
Für die bedeutendsten Werke des Dichters halte ich »Süden und Norden« und den »Virey«, die eigenartig unübertrefflich-mächtig wirken. Im »Virey« zeigt sich Sealsfield als unübertrefflicher Meister »in der Herausarbeitung der Gegensätze der Mexiko bewohnenden Rassen. Wir haben kein zweites deutsches Buch, in dem solche ›Massenwirkungen‹ vorkämen – eine Schilderung der Orgien des farbigen Pöbels von Mexiko reißt förmlich mit in den Taumel hinein.« Noch gewaltiger war die Wirkung, die »Süden und Norden« auf mich gehabt hat. »Hier mischt sich in der Darstellung zu dem wunderbaren Farbenzauber der tropischen Landschaft die berückende Phantastik eines seltsamen Volkstums, und fast willenlos erliegt der Leser der ungeheuren Spannung, die das Werk erfüllt.« So ist es wahrlich auch mir ergangen! »Die Prärie am Jacinto« – das erste Stück in der Reihe der Erzählungen, die der Dichter im »Kajütenbuch« zusammengefaßt hat – wird mit Recht als die höchste Leistung Sealsfieldscher Kunst gepriesen. »Hier sind alle Vorzüge Sealsfields vereinigt: Die grandiose Charakteristik, der Schwung der Naturschilderung, die natürliche, aus glaublichen Abenteuern erwachsene Spannung.«
Man hat, besonders mit Beziehung auf »Süden und Norden«, behauptet, daß Sealsfields Werke mit ihrer Farbenschwelgerei, ihrem Farbenzauber und Farbenwirbel, die die Gestalten nicht zu ihrem Rechte kommen ließen, betäubend wirkten. »Das ist wohl richtig, aber selbstverständlich liegt das Narkotische so gut in der dichterischen Natur Sealsfields wie das Dämonische in der E. T. A. Hoffmanns, und im übrigen haben wir Modernen eine Art Selbstrecht der Farbe anerkannt und die durch sie erzielten Wirkungen in den großen Kreis der ästhetischen aufgenommen.«
Sealsfields Bedeutung für unsere Zeit liegt schließlich nicht in den ästhetischen Werten seiner Werke, sondern in den nationalen. Wir sollen seine Romane und Erzählungen lesen, um endlich einzusehen, daß unseres Volkstums Glück und Dauer von der Kraft abhängt, die der nationale Gedanke bei uns Deutschen erringt.
Franz Fiedler.
Erstes Kapitel
Ich zittere für mein Volk, wenn ich der Ungerechtigkeiten gedenke, deren es sich gegen die Ureinwohner schuldig gemacht hat.
Jefferson.
An der Straße, die sich vom Städtchen Coosa nach der Hauptstadt von Georgien, Milledgeville, hinabwindet, und nahe dem Platze, wo gegenwärtig der Gasthof gleichen Namens den ermüdeten Reisenden zur Ruhe einladet, stand vor ungefähr dreißig Jahren unter einem Felsenvorsprung, auf welchem einige Dutzende roter Zedern und Fichtenbäume wurzelten, ein rauh aussehendes, mäßig großes Blockhaus. Vor demselben erhob sich ein Gerüst, das aus zwei mannsdicken Balken bestand, verbunden durch Querpfosten, zwischen welchen ein ungeheures Schild hin und her schwebte, das bei näherer Besichtigung eine groteske Figur im grellsten Farbenschmucke wahrnehmen ließ, deren Diadem von Federn, Tomahawk, Schlachtmesser und Wampum wahrscheinlich einen indianischen Häuptling bezeichnen sollte. Unter dem Schild war mit Buchstaben, ägyptischen Hieroglyphen nicht unähnlich, gekritzelt: Einkehr für Mann und Tier. Zur rechten Seite des Hauses oder vielmehr der Hütte und näher dem Fahrwege waren von Balken gezimmerte Verschläge, vom Wege nur durch eine breite Kotpfütze getrennt, und mit Haufen von Stroh und Heu angefüllt, aus denen hier und da Überreste schmutzigen Bettzeuges hervorschauten und so erraten ließen, daß diese Gemächer nicht nur für das liebe Vieh, sondern auch jene Reisenden bestimmt seien, die ihr Unstern bemüßigte, hier Ruhe und Nachtlager zu suchen. Ein paar Kuh– und Schweineställe bildeten das Ganze dieser Hinterwäldleransiedlung.
Es war eine stürmische Dezembernacht, der Wind heulte furchtbar durch den schwarzen Fichtenwald, an dessen Abhange die Hütte gelegen war, und das schnell aufeinander folgende Krachen der Baumstämme, die der Sturm mit donnerähnlichem Getöse zur Erde brachte, verkündete einen jener wütenden Orkane, die so häufig zwischen den Blue Mountains von Tennessee und dem flachen Mississippilande ihren Zug nehmen, und auf diesem – Wälder, Hütten und Dörfer mit sich führen. Mitten in diesem tobenden Sturme ließ sich ein leises Tappen an dem Fensterladen der oben beschriebenen Hütte vernehmen, dem bald darauf ein starkes Pochen oder vielmehr heftige Schläge folgten, die die Balken, aus welchen die Hütte gezimmert war, in ihren Grundfesten erschütterten. Nicht lange nach dieser Aufforderung öffnete sich die Tür zur Hälfte, ein Kopf streckte sich heraus in die finstere Nacht, als wollte er den Grund rekognoszieren, während in demselben Augenblicke der Schaft eines Karabiners vorrückte, zweifelsohne um dem Inwohner die fernere Mühe des Öffnens zu ersparen. Zu gleicher Zeit trat eine lange Gestalt heran, riß die Türe weit auf und schritt mit starken Schritten in die Stube, wo sie vor dem Feuerplatze ihren Sitz nahm, hinter ihr drein eine Gruppe von Wesen, die halb schreitend, halb trabend ihrem Führer in einer Linie und im tiefsten Schweigen folgten.
Es dauerte ziemlich lange, bis ungefähr zwanzig dieser Nachtgestalten in die Hütte eingedrungen waren. Als der Zug sein Ende erreicht hatte, schloß sich die Türe wieder; ein kolossaler Mann näherte sich dem Feuerplatze, wo ein dicker Klotz noch glimmte, warf einige Scheite darauf und zündete einen der Pechspäne an, die in einem Haufen in der Nähe lagen, dann, auf den Schenktisch gemessenen Schrittes zutretend, ergriff er ganz ruhig ein Talglicht und setzte es angezündet auf den Tisch.
Das kunstlose – beinahe rohe Innere der Hütte, so ganz dem Äußern entsprechend, ließ sich nun deutlicher im düstern Schein des Talglichtes – und des allmählich auflodernden Feuers ersehen. Auf einem Stuhle vor dem Feuerplatze saß der Mann, der zuerst eingetreten war, eine blutbefleckte Wolldecke über den ganzen Leib geworfen, so daß Gesicht und Gestalt verhüllt waren. Hinter ihm auf dem Lehmboden kauerte eine Gruppe von zwanzig Indianern auf ihren Hüften, ihre Schenkel ineinander verschlungen, ihre Gesichter gleichfalls in ihre nassen Wolldecken gehüllt, an denen große Blutflecken anzudeuten schienen, daß der Charakter der Expedition, von der sie kamen, ziemlich blutig gewesen sei.
Gegenüber dem Feuerplatze stand in der Ecke der Schenktisch, hinter dessen Gitterwerk ein Dutzend schmutziger Flaschen und noch schmutzigere Gläser und Krüge aufgestellt waren. Drei blau angestrichene Fäßchen mit der Überschrift French Brandy, Gin, Monongehala standen eine Stufe tiefer. Ein Haufen von Hirsch-, Biber-, Bären– und Fuchsfellen zur linken Seite reichte beinahe bis zum Geländer und zeugte von lebhaftem Verkehr mit der kupferfarbigen Rasse. Zunächst diesem erhob sich ein ungeheures Himmelbett, umringt von drei niedrigern Bettstellen und einer Wiege oder vielmehr einem Troge, einem Fragment von einem hohlen Baume, an dessen Ende Stücke von Brettern genagelt waren. In diesen verschiedenartigen Behältnissen genoß die Familie des Gastgebers, den lauten, ziemlich groben Lungentönen nach zu urteilen, einer unerschütterlichen und vollkommenen Ruhe. Die Wände der Stube zeigten die rohen und unbehauenen Baumstämme, deren einzige Ornamente breite Streifen von Lehm waren, welche die Zwischenräume ausfüllten.
In dieser Stube nun, die, nach ihren mannigfaltigen Bestimmungen zu schließen, der Leser sich ziemlich geräumig vorstellen muß, sah man den Wirt beschäftigt, die Stühle und Bänke, die die Eindringer ohne weiteres über den Haufen geworfen hatten, wieder in Ordnung zu bringen, und dies ganz in der ruhigen, kalten, trotzigen Manier, die einen hätte vermuten lassen sollen, seine Gäste seien eher Nachbarn, als soeben von einer blutigen Expedition zurückgekehrte Wilde, vielleicht gekommen, seinen und der Seinigen Bälge als Zugabe zu ihrer Expedition mit sich zu nehmen. Nachdem er den letzten Stuhl an seinen Ort gestellt, setzte er sich selbst zunächst dem Manne, der als Führer der Bande den Platz im Vordergrunde genommen hatte.
Einige Minuten mochten so beide gesessen sein, als der letztere sich aufrichtete und einen Teil seines Hauptes entblößte, dessen andere Hälfte mit einem Stücke von Kaliko verbunden war, an dem kleine Knoten geronnenen Blutes gleich Fransen hingen. Der Hinterwäldler warf einen Seitenblick auf den Indianer, wandte jedoch sein Auge in der nächsten Sekunde dem knisternden Feuer zu.
»Hat mein weißer Bruder keine Zunge?« nahm endlich der Indianer das Wort, »oder läßt er sie warten, um sie desto besser zu krümmen?«
Die letzten Worte waren in einem tiefen, höhnischen Kehlentone gesprochen.
»Er will anhören, was der Häuptling sagen wird«, erwiderte mürrisch-trocken der Amerikaner.
»Gehe und rufe dein Weib«, sprach der Indianer in demselben tiefen Baßtone.
Der Wirt erhob sich, wandte sich gegen das gewaltige Ehebett und sprach, nachdem er die Vorhänge auseinander getan, mit seiner Frau, die sich im Bette aufgerichtet und wie es schien, eher neugierig als ängstlich, der kommenden Dinge geharrt hatte. Nach einem kurzen Zwiegespräch kam das Weib aus ihrem Hinterhalte. Sie war eine derbe Dame, breitschulterig und vollgewichtig, mit einem Zuge in ihrem eben nicht sehr zart geformten Gesichte, der deutlich aussprach, daß sie nicht leicht außer Fassung gebracht werden könne. Ihr Überrock von Linsey-Woolsey, für täglichen und nächtlichen Gebrauch bestimmt, hob ihre gewaltige Gestalt noch mehr heraus, als sie festen Schrittes und beinahe aufgebracht neben ihrem Ehemanne heranschritt. Die drohende Ruhe ihrer Besucher jedoch, ihre blutigen Köpfe und Wolldecken, nun erhellt durch die hochaufschlagende Flamme, erschienen so üble Vorbedeutungszeichen, daß das gute Weib sichtlich zusammenschrak. Ihre ersten Schritte, die rasch und zuversichtlich auf die Indianer gerichtet waren, begannen zu wanken, und mit einem unwillkürlichen Schauder drehte sie sich nach der Seite, wo ihr Mann wieder seinen Sitz genommen hatte. Eine Minute verging in düsterm Schweigen.
Der Indianer erhob nun sein Haupt, ohne jedoch aufzublicken, und sprach im strengen Tone: »Höre, Weib, was ein großer Krieger dir sagen wird, dessen Hände offen sind und der das Wigwam seines Bruders mit vielen Hirschhäuten füllen wird. Für dieses wird er bloß wenig von seiner Schwester verlangen, und dieses wenige mag sie leicht geben. Hat meine Schwester,« fragte der Indianer mit erhöhter Stimme, einen Blick auf das Weib richtend, »hat sie Milch für eine kleine Tochter?«
Das Weib sah den Indianer verwundert an.
»Will sie«, fuhr dieser fort, »ein weniges von ihrer Milch einer kleinen Tochter geben, die sonst wegen Mangels sterben würde?«
Die Züge des lauschenden Weibes heiterten sich in dem Maße auf, als es ihr klar zu werden anfing, daß der Indianer etwas von ihr wolle und es also in ihrer Gewalt stände, eine Gunst zu gewähren oder auch zu versagen. Sie dehnte sich von der Seite ihres Ehemanns dem Indianer zu und schien mit Sehnsucht nähere Aufschlüsse über eine so sonderbare Zumutung zu erwarten.
Der Indianer, ohne sie im mindesten eines Blickes zu würdigen, öffnete die weiten Falten seiner Wolldecke und zog ein wunderschönes Kind, in kostbare Pelze gehüllt, hervor.
Das Weib stand einige Augenblicke wie erstarrt über die liebliche Erscheinung; Verwunderung und Erstaunen schienen ihre Zunge gefesselt zu haben. Neugierde jedoch, dieses liebliche Wesen näher zu besehen und vielleicht Muttergefühl lösten nun auf einmal diese.
»Guter Gott!« rief sie, während sie beide Hände ausstreckte, das Kind zu empfangen. »Guter Gott! Was für ein lieblich, wunderlieblich kleines Ding und guter Eltern Kind muß es auch noch sein. Ihr könnt Euch drauf verlassen. Schwören wollte ich. Schaut nur einmal die Felle und die feinen Spitzen. Habt Ihr in Euerm Leben so etwas gesehen? Wo habt Ihr das Kind her? Armes, kleines Ding! Jawohl will ich›s füttern. Es ist ja kein rotes Kind.«
Die Dame schien guter Lust zu sein, ihrer Verwunderung noch eine Weile freien Lauf zu lassen; ein bedeutsamer Wink ihres Mannes jedoch schloß ihr den Mund. Der Häuptling, ohne sie der geringsten Aufmerksamkeit zu würdigen, entfaltete das blaue Fuchspelzchen, streifte es dem Kinde ab und schickte sich an, es aus dem Überröckchen zu ziehen. Es war ihm nach einiger Mühe gelungen, dem Kinde auch dieses abzuziehen; allein ein drittes, viertes und fünftes erschien, in welche die Kleine gleich wie ein Seidenwurm in seine Kokons eingehüllt war. Der Indianer verlor mit einem Male die Geduld und sein Schlachtmesser ergreifend, schnitt er dem Kinde die drei noch übrigen Kleidchen vom Leibe, es dann nackt der Wirtin hinhaltend.
»Eingefleischter Satan!« kreischte das schaudernde Weib, indem sie das Kind mit Gewalt aus seinen Händen riß.
»Halt!« sprach der Indianer, kalt und unbeweglich auf den Hals des Kindes blickend, von dem ein goldnes Kettchen mit einer kleinen Medaille hing. Das Weib, ohne ein Wort zu sagen, streifte die Kette dem Kinde über das Köpfchen ab, warf sie dem Indianer ins Gesicht und eilte ihrem Bette zu.
»Der Teufel ist in dem Weibe«, brummte der Wirt, nicht wenig, wie es schien, über ihre Heftigkeit beunruhigt.
»Der rote Krieger«, sprach der Indianer in unerschütterlicher Ruhe, »wird mit Biberfellen die Milch seiner kleinen Tochter bezahlen; aber er will behalten, was er aufgelesen hat, und die Türe muß sich öffnen, wenn er um das Kind anruft.«
»Aber,« versetzte der Wirt, dem es nun auf einmal einzuleuchten schien, daß eine nähere Erklärung nicht überflüssig sein dürfte, »aufrichtig gesagt, ich gebe nicht viel darum und behalte das Kind, obwohl ich, Gott sei Dank, deren selbst erklecklich habe. Aber sollten nun die Eltern kommen, oder der weiße Vater von dem Kinde hören, was dann? Der rote Häuptling weiß, seine Hände reichen weit.«
Der Indianer hielt eine Weile inne und sprach dann in einem bedeutsamen Tone: »Des Kindes Mutter wird nie wieder kommen. – Die Nacht ist sehr dunkel. – Der Sturm braust sehr stark. – Morgen wird nichts von den Fußstapfen der roten Krieger zu sehen sein. – Es ist weit zu den Wigwams des weißen Vaters. – Hört er von dem Kinde, dann hat mein weißer Bruder ihm davon gesagt. – Nimmt er es, so wird der rote Häuptling die Kopfhäute der Kinder seines weißen Bruders nehmen.«
»Dann nimm dein Kind wieder zurück, ich will nichts damit zu tun haben«, sprach der Hinterwäldler im entschlossenen Tone.
Der Indianer zog sein blutiges Messer und warf einen erwartenden Blick dem Bette zu, hinter dessen Vorhängen das Kind verschwunden war.
»Wir werden dafür Sorge tragen, niemand soll etwas davon erfahren«; kreischte das erschrockene Weib.
Der Indianer steckte sein Schlachtmesser wieder ruhig in den Gürtel und sprach: »Die Kehlen der roten Männer sind trocken.«
Von dem Bette herüber ließ sich ein Gemurmel hören, das dem christlichen Wunsche nicht unähnlich klang, jeder Tropfen möge den Bluthunden zu Gift werden: der Wirt jedoch, weniger von der rachedürstenden Menschlichkeit seiner Ehehälfte beseelt, eilte ziemlich schnell dem Schenktische zu, um den Forderungen seiner Gäste Genüge zu leisten. Der Häuptling trank sein halbes Gillglas Whisky sitzend und auf einen Zug aus, dann ging es in der Runde herum. Nachdem die sechste Flasche geleert war, erhob ersterer sich plötzlich, warf ein spanisches Goldstück auf die Tafel, öffnete die Vorhänge des Bettes und hing dem Kinde eine Halskette von Korallen um, die er aus seinem Wampumgürtel gezogen hatte.
»Die Muscogees werden die Tochter eines ihrer Krieger erkennen«, sprach er, seinen Blick auf das Kind heftend, das nun ruhig am Busen der Wirtin in seinem neuen Flanellröckchen lag. Noch einen zweiten Blick warf er auf das Kind und das Weib, und dann wandte er sich stillschweigend der Türe zu und verschwand mit seinen Gefährten in der finstern Nacht.
»Der Windstoß ist vorüber«; sprach der Wirt, der den Indianern durch die Türe nachgesehen hatte, als sie sich hinab zu ihren Birkenkanus an dem Coosa stahlen.
»Ums Himmels willen! Wer ist dieser eingefleischte rote Teufel?« unterbrach ihn sein Weib, tiefen Atem holend und unwillkürlich aufschaudernd.
»Hush, Weib! halt dein Maul, bis der Coosa zwischen deiner Zunge und den Notfellen ist. Es ist kein Spaß. Ich versichere dich.«
Mit diesen Worten schloß er die Türe und näherte sich mit dem brennenden Lichte dem Bette, wo sein Weib dem Kinde die Brust gab.
»Armes Ding,« sprach er, »könntest du, du würdest wahrlich eine Geschichte kundtun, vor der einem die Haare zu Berge stehen möchten. Ja, und sie mag uns auch unsere Haut kosten. Es ist nicht alles, wie es sein sollte. Diese roten Teufel waren auf einer Skalpexpedition. Das ist nun so gut als richtig. Aber wo sie waren, das weiß der Himmel. Wohl, wären sie noch dem Spanier über den Hals gekommen,« fuhr der Mann fort, wechselweise den Säugling und das Goldstück betrachtend, »ich scherte mich den Henker drum, aber so —.«
Mit diesen Worten warf er sich wieder ins Bett. Aber es verging eine lange Stunde, ehe der Schlaf über ihn kam. Der Vorfall schien ihm Ruhe und Rast geraubt zu haben.
Kapitän John Copeland, dies war der Name und Charakter des Schenkwirtes zum Indianischen Häuptling, war einer jener befugten Zwischenhändler, die seit zwei Jahren sich in dem Lande der Creeks unter dem Patronate der Zentralregierung und unter dem unmittelbaren Schutze des unter den Indianern residierenden Agenten niedergelassen hatten. Er hatte sich mit Hilfe von fünfzig Dollar die Sammlung obenbenannter Branntweinfässer angeschafft, seine Familie mit zwei neuen Sprößlingen, seine Habe aber bereits um das Zwanzigfache vermehrt und befand sich nun, ein Mann zwischen dreißig und vierzig, so wohl, als es nur immer einer sein konnte, der, um in der Landessprache zu reden, breitschulterig und vierschrötig in seinen eigenen Schuhen stand. Niemanden über sich, jeden, der nicht Bürger war, unter sich achtend, verband er klugermaßen gerade so viel Kneipenwitz mit seiner Kapitänswürde, als seinen ernsten Gästen und scharfen Falkenaugen zuzusagen schien. Obgleich nun aber das ganz gedeihliche Wesen John Copelands und all sein Dichten und Trachten, mehr darauf gerichtet waren, sich die Bälge der Indianer auf gute Art zuzueignen, als seinen eigenen – und die seiner Familie zu erhalten, welche, die Wahrheit zu gestehen, nicht viel besser daran waren, gewiß nicht sicherer, als die der hart zu erlangenden Biber, so war nichtsdestoweniger in ihm ein zwar dunkles, mehr instinktartiges, aber desto richtigeres und festeres Pflichtgefühl, das nicht angestanden haben würde, Biber– und andere Felle aufzuopfern, wenn das Wohl seines Landes oder seiner hinterwäldischen Mitbürger im Spiele stand. Die Verhältnisse dieser Hinterwäldler aber mit ihren kitzligen wilden Nachbarn waren von jeher gespannt gewesen. Zwar hatten die Creeks viele Jahre hindurch mit den Amerikanern oder, eigentlich zu sprechen, mit den Bewohnern des Staates Georgien, in scheinbar gutem Einvernehmen gestanden. Sie hatten nicht nur den Agenten, den die Zentralregierung gesandt, mit allen Zeichen der Achtung aufgenommen und so die Oberherrschaft des großen weißen Vaters, wie sie den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu nennen pflegen, anerkannt; sie hatten sich auch sogar willig gezeigt, jenen Absichten entgegenzukommen, die die Regierung und ihr Agent zur Förderung ihrer bürgerlichen und moralischen Kultur zu verwirklichen angefangen hatten. Aber trotz diesen günstigen Anzeichen wechselseitigen Zutrauens gab es hundert unangenehme Berührungspunkte, die zu Samen künftiger oder naher Zwietracht werden konnten und mußten und die dem scharfen Auge unsers Kapitäns nicht wohl entgehen konnten. Die verschiedenen Friedensschlüsse, die diesen Indianern von den Weißen, wie sie die Amerikaner nannten, abgenötigt worden waren, hatten sie allmählich des größern und bessern Teiles ihres angestammten Besitztums beraubt. Dieses Besitztum hatte sich einst über den größern Teil von Georgien und Florida, die heutigen Staaten von Alabama und Mississippi, erstreckt. Sie hatten sich in diese Abtretungen, obwohl sie Beraubungen nicht unähnlich sahen, mit Gleichmut und in der Hoffnung gefügt, wenigstens dasjenige, was ihnen übriggeblieben, in Frieden zu genießen. Einige Zeit, besonders während des Revolutionskrieges und der ersten zehn darauffolgenden Jahre hatte man sie auch in Ruhe gelassen. Die Bürger Georgiens, kaum imstande, sich der auswärtigen Feinde zu erwehren und ihre eignen Felder zu pflügen, hatten sich weislich gehütet, die schlummernden Wilden zu wecken. Die achtzehn Jahre jedoch, die seit der Beendigung des Freiheitskampfes verflossen waren, hatten allmählich die tiefen Wunden geheilt, die Krieg und Verheerung diesem Staat geschlagen; mit der beinahe verdoppelten Bevölkerung war auch das Bedürfnis gestiegen, sich im üppigen Westen auszubreiten. Die rüstige Jugend begann daher sehnsüchtige Blicke auf die fetten Walnuß– und Ahornniederungen zu werfen, die sich in den herrlichen Talweiten der Coosa– und Oconeeflüsse erstrecken. Nicht lange währte es, und die Überzügler kamen häufiger und häufiger mit Wagen und Pferden, Weibern und Kindern, ihren Rindern und ihrer Habe, um sich die besten Stellen des Landes auszusuchen, ohne sich um Rechtstitel oder Besitztum im mindesten zu kümmern. Dieser rechtlose Zustand hatte nur wenige Monate vor dem nächtlichen Ereignisse Veranlassung zu einer ernsten Streitigkeit wegen des Besitzes der Ländereien am Oconeeflusse gegeben. Zwar wurde diese noch durch Vermittlung der Zentralregierung beigelegt, aber der Vergleich, weit entfernt die Gemüter zu beruhigen, hatte vielmehr einen giftigen Stachel in den Herzen der Indianer zurückgelassen. Derselbe Häuptling der Creeks, der sich hatte verleiten lassen, diesen herrlichen Landstrich abzutreten, war seiner Abstammung nach gemischter Rasse, und seine Mutter eine Amerikanerin. Dieser Umstand würde schon allein hinreichend gewesen sein, das Mißtrauen der Indianer in einem hohen Grade aufzuregen, selbst wenn sich nicht ein bedeutender Stamm dieses Volkes durch den Vertrag beeinträchtigt gefühlt haben würde; letzteres war jedoch wirklich in einem schreienden Grade der Fall gewesen, und gerade der Hauptstamm dieses ausgezeichneten Volkes, mit einem Abkömmlinge der alten Mikos oder Könige der Oconees, war durch diesen Vertrag mit seinem ganzen Stamme land– und heimatlos geworden. Dieser Miko nun stand im Rufe, der bitterste Feind der Weißen zu sein. Seine Unbeugsamkeit und Hartnäckigkeit waren zum Sprichworte geworden. Sein Einfluß, hieß es, sei unbeschränkt in seinem Stamme, und überwiegend im Rate der ganzen Nation, die nun für den Besitz ihres noch übrigen Gebietes mit Recht besorgt wurde.
Gekränkt und gedrückt in seinen Rechten, wie der heimatlose stolze Wilde sich fühlen mußte, bedurfte es nur wenig, um die glimmende Flamme der Unzufriedenheit zum Ausbruche zu bringen. Ein Krieg, so hoffnungslos er für die Unterdrückten am Ende auch sein mußte, war jedoch eine fürchterliche Geißel für die zerstreuten weißen Ansiedler in diesen Hinterwäldern. Der Tod war das Geringste, was sie von Menschen zu erwarten hatten, deren Rache und Blutdurst durch eine lange Folgenreihe von Unterdrückungen so furchtbar aufgeregt waren. Der Kapitän hatte daher ziemlich starke Gründe zum Nachsinnen erhalten, und vertraut mit dem grausamen Charakter des Volkes, unter welchem er lebte, mußte ihm die zweideutige Ruhe, die seit einiger Zeit herrschte, mehr als bedenklich erscheinen. Die Nachtszene erschien ihm wie eine Andeutung und seine Besorgnis war in voller Stärke erwacht. Welches der Entschluß war, den er gefaßt hatte, werden wir bald sehen.
Zweites Kapitel
Die ersten Strahlen der Morgensonne fanden unsern Kapitän mit Zurüstungen zu einer Reise beschäftigt, die darin bestanden, daß er statt der Linsey-Woolsey-Hosen – lederne antat, seine Mokassins hervorsuchte, an den rechten Fuß einen verrosteten Sporn schnallte, über beide ein paar Leggings oder Schenkeltücher warf, die einzeln einem mittelmäßig großen Manne sehr wohl als Mantel gedient haben könnten und schließlich sich zur wohlbesetzten Tafel niederließ, alles in der systematischen Ruhe des Hinterwäldlers: Leute, die bekanntlich langsam zu einem Entschlusse kommen, aber wenn dieser gefaßt ist, ebenso besonnen als unbeugsam ihn verfolgen, weder Hindernisse scheuen, noch Furcht kennen und in der größten Gefahr noch immer ein Mittel sehen, den Witz zu schärfen, anstatt sich dadurch abschrecken zu lassen.
»Sende Tomba hinauf zu den Tscherokesen mit den Bälgen; Ihr Ik-wan Sa geht hinab zum Spanier; er hat mir versprochen, sie mitzunehmen. Und haltet Euch bereit für morgen nacht, sollte ich nicht bis zu dieser Zeit zu Hause sein; hoffe, der Deputyagent ist daheim. Sollte mir nicht lieb sein, wenn ich ihn verfehlte.« – »Wann darf ich dich zurückerwarten, Mann?« fragte sein Weib.
»Das ist mehr gefragt, als ich für jetzt beantworten kann. Vielleicht daß ich auf einige Tage oben bleiben muß; komme ich nicht innerhalb zwei Tagen, dann gehst du zu den Tscherokesen. Du weißt, die in Pennsylvanien sind auf – gegen den alten Adams. Wollte, daß den Tory der Teufel holte! Sollten die Rothäute es verspürt haben, so verlaß dich darauf, daß sie sich die Konfusion zunutze machen und ‹s hier losgeht. Tu auf alle Fälle, wie ich dir gesagt. Sie sind rege, und wir müssen uns sputen, sonst hängen unsre Bälge nächste Woche in ihrem Councilwigwam.«
Mit diesen Worten nahm er seine gewichtige Reitpeitsche, mit der er wirklich einst einen Damhirsch zu Boden geschlagen, von der Wand, steckte eine gewaltige Pistole in seine lange Rocktasche und bestieg seinen Gaul.
Der Pfad, den unser Kapitän nun einschlug und der zur Wohnung des Deputyagenten Kapitän Mc Lellan führte, lief zuvörderst durch einen langen Fichtenwald. Der Grund, eine sanft anschwellende Anhöhe, war bedeckt mit einer leichten Schichte Schnees, der nach dem Hagelsturme gefallen war. Die tiefe Ruhe, die über die ganze weite Landschaft hingebreitet, die schwarzen, schlank sich erhebenden Fichtenstämme, deren dunkelgrüne Zweige, mit prachtvollen Schneegirlanden behangen, in der Morgensonne gleich Millionen von Brillanten blitzten, die kalte scharfe Morgenluft, die durch den Wald blies, alles das begann allmählich auf das Blut unsers Hinterwäldlers zu wirken, der im mäßigen Schritte forttrabte, noch immer über die Nachtszene brütend und sie mit den verschiedenen Äußerungen früherer Besucher zusammenhaltend, – eine Geistesarbeit, die ihn häufig in ein Brummen ausbrechen machte, aus dem die Worte »Hol› sie der Teufel!« zu entnehmen waren.
So mochte er einige Stunden fortgetrabt sein. Das Hochland senkte sich allmählich in eine breite Talweite, überwachsen mit Walnußbäumen, zwischen denen sich hie und da ein lichter Punkt zeigte, aus dem einzelne Hütten, aus Baumstämmen aufgezimmert, hervorschauten. Kleine Welschkornfelder und Tabakspflanzungen schlossen sich im Hintergrunde an die Häuschen und bildeten nicht unangenehme Ruhepunkte. Kapitän Copeland hatte sich dem Oconee genähert, an dessen reizenden Ufern die Wigwams immer häufiger erschienen. Diese Landschaft hatte bereits damals einen ziemlichen Anstrich von Kultur. Die Hütten waren hier geräumiger und nicht unähnlich den Wohnhäusern der westlichen Grundbesitzer. Man sah Ställe für das Vieh und ziemlich große Strecken von Welschkorn– und Tabakspflanzungen. Mehrere waren selbst von Obstgärten umringt. Die Stirn unsers Hinterwäldlers fing an sich zu runzeln, als er seitwärts nach den Pflanzungen und Wohnhäusern schielte, deren mehrere das seinige an Umfang und Wohnlichkeit übertrafen.
»Der Teufel weiß, was Oberst Hawkins im Sinne hat mit seinen Zimmerleuten, Webern, Schmieden und den tausend andern Leuten, die er diesen Rothäuten zuführt. Er wird doch nicht diese roten Teufel für immer in Georgien behalten wollen? Verdammt, wenn sie – und es sieht danach aus«; murmelte er nach einer Pause, während welcher er ziemlich scheelsüchtig auf ein Wohnhaus hinabblickte, das nahe an seinem Wege lag.
»Sie haben ihre komfortabeln Wohnungen und Welschkorn– und Tabakpflanzungen, mehr gleich freien Männern denn verfluchten Rothäuten, selbst Hanf brechen sie«; fuhr er in demselben mürrischen Tone fort, als sein Blick einer Gruppe von Mädchen begegnete, die hinter dem Hause um angezündete Feuer ihren Hanf lustig schwenkten. »Ich vermute, in einigen Jahren werden sie›s auch versuchen, ihren Whisky zu brennen. Immer zu, mein Oberst Hawkins. Es ist noch nicht aller Tage Abend geworden. Rothaut bleibt Rothaut, und ich möchte ebenso wohl versuchen, meine Neger weiß zu waschen, als diese verräterischen Seelen zu ordentlichen Menschen zu machen.«
Diese Ansichten waren es, die bei den westlichen Ansiedlern vorherrschend zu werden anfingen. Bereits in diesen frühern Zeiten begann man mit unfreundlichem Auge auf die natürlichen und wahrhaft legitimen Besitzer dieses Landes zu sehen; man gewöhnte sich, sie als einen Auswurf zu betrachten, dessen man sich nicht früh genug entledigen könne. Man war nichts weniger als geneigt, ihre Fortschritte in den verschiedenen Zweigen der Landwirtschaft und mechanischen Gewerbe günstig anzusehen, da eben diese den festen Entschluß zu beurkunden schienen, im Lande zu verbleiben.
Oberst Hawkins war daher nichts weniger als der Liebling des Kapitäns, der mit vielen guten Eigenschaften auch mehrere zweideutigen Charakters verband und unter den letztern eine angeborne Abneigung gegen die rote Rasse, die er, seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, grimmiger als die Polecats haßte. Diese gute Meinung behielt er jedoch, wie leicht zu erachten, für sich, und selbst gegenwärtig entschlüpfte sie ihm nur in abgebrochenen Flüchen.
So hatte er etwa zwanzig Meilen zurückgelegt und war an den Abhang eines Bergrückens gekommen, von dem er eine weite Aussicht zurück auf die Niederung hatte. Noch einmal warf er einen Blick über die liebliche Gegend, als wollte er seine Erbitterung kräftigen, und gab dann seinem Klepper den Sporn. Ein dichtes Gebüsch von Hundsholz, Hickory und wilden Lorbeeren lag vor ihm, dessen weit um sich greifendes Gezweige seinem Gesichte allmählich beschwerlich zu werden anfing.
Er hatte bereits ein dutzendmal den Schnee, den es in vollem Maße über ihn schüttete, abgeworfen, als sich plötzlich ein leichtes Rauschen im Lorbeergebüsch hören ließ, das ihn stutzen machte. Einen Augenblick hielt er inne, seine grauen Augen auf das verdächtige Gebüsch gerichtet; dann zog er sich behutsam zurück, und mit der einen Hand in seine Tasche nach der Pistole fühlend, mit der andern die gewichtige Reitpeitsche ergreifend, harrte er der Dinge, die da kommen würden.
»Ja sie sind mir auf der Fährte, ich wollte wetten«; brummte er mit einem zweiten Blick auf das Dickicht, das seine buschichten Augenwimpern sträuben machte. »Verdammt, daß ich nicht gestern geritten.«
Bereits war es zu spät. Die letzten Silben des Monologs waren ihm kaum über die Zunge, als das Gebüsch sich öffnete, und eine lange, wirklich abschreckende Gestalt aus dem Gezweige hervortrat und sich vor ihm auf eine Art aufrichtete, die ein besserer Christ als er unfehlbar für ein Gespenst gehalten haben würde. Sein Pferd prallte zurück, und der Reiter war nahe daran, aus dem Sattel geworfen zu werden. Es war der Häuptling von gestern, der vor ihm stand, die Hälfte seines Hauptes noch immer mit dem Stücke Tuch verbunden, so daß nur ein Auge zu sehen war, dessen starrer Blick sich mit dem Ausdrucke der tiefsten Verachtung auf den Kapitän heftete.
»Ein mächtiger Krieger«, so sprach der Indianer nach einer langen Pause im Tone des bittersten Hasses, »hat seine Rede einem Hunde vorgeworfen, der nun geht, Unkraut in den Pfad zu säen, der zwischen den weißen und den roten Männern liegt. Hat er auch die Häupter derjenigen gezählt, die er in seinem Wigwam zurückgelassen? Wenn er zurückkehrt vom weißen Zwischenhändler, dürfte er es leicht geleert und die Kopfhäute seines Weibes und seiner Kinder bereits getrocknet im Rauche der roten Männer finden.«
Ein rauhes Hohngelächter erschallte zugleich aus dem Gebüsche, dessen Zweige sich öffneten, um zwei Reihen von drohenden Gestalten hindurch zu lassen, die sich zu beiden Seiten dem Sprecher anschlossen.
Gegenwart des Geistes war eine Tugend, die zu üben unser Hinterwäldler seit den zwei Jahren seines Verkehrs hinlänglich Gelegenheit gehabt hatte. Mit einem Gesichte, dem der vollendetste Diplomatiker unsrer Zeit kaum deutlicher den Stempel naiverer Verwunderung hätte aufdrücken können, wenn er argerweise auf einem Seitenpfade ertappt wird, erwiderte unser Kapitän:
»Und was ist es weiter? Kann ein ehrlicher Mann nicht einmal um einige Ellen Flanell für ein Nachtröckchen reiten, wenn ein großer Häuptling sein Pflegekind rein ausgezogen, gleich einem Straßen-« – räuber wollte er sagen, verschluckte jedoch das Wort klugerweise.
Des Häuptlings Auge hatte an dem Sprecher gehangen, als wollte er ihn mit seinem Blicke durchbohren. »Braucht die Tochter des Kriegers Kleider?« fragte er endlich.
»Alberne Frage!« erwiderte der Kapitän mit derselben gleichgültigen, beinahe stupid-naiven Miene. »Betsi hat bloß einen Überrock und den braucht sie selbst. Ich gebe eine Gill Whisky, wenn das arme Ding bis zu meiner Heimkehr nicht erfroren ist.«
»Der rote Krieger wird Kleider senden«, erwiderte der Häuptling, der sich sofort zum nächststehenden Indianer wandte, dem er einige Worte in die Ohren flüsterte, worauf dieser mit einem Satze im Gebüsche verschwand.
»Wohl, wenn ihr das Zeug, weshalb ich ausgeritten, zu schicken denkt, so erspare ich Mühe und Geld. Vergeßt aber nicht die Schuhe und Strümpfe oder Mokassins, was euch gut dünkt«, schloß Kapitän Copeland, seinen Gaul wendend, um aus der gefährlichen Nachbarschaft zu kommen.
Der Indianer gab jedoch ein Zeichen, das ihn halten machte.
»Der Pfade,« sprach er, »die von dem Wigwam des weißen Mannes zu seinen Brüdern führen, gibt es viele, und seine Zunge ist sehr gekrümmt; aber die Augen und Ohren des roten Häuptlings sind weit offen. Daß nicht er oder sein Volk auf diesen Pfaden von den roten Männern gefunden werde; sonst nehmen sie seine und seiner Leute Kopfhäute.«
»Aber zum Teufel,« lachte der Kapitän, »ihr werdet mich doch nicht mit Weib und Kindern zum Gefangenen in meinem eigenen Hause machen wollen, wenn so viel auswärts zu tun ist, Rum einzukaufen, Felle abzuliefern und tausend andere Dinge?«
»Der weiße Mann mag Rum holen, um den roten Mann zu betrügen und seine Kraft zu ertöten;« versetzte der Indianer mit bitterm Lachen, »aber er wird seinen weißen Bruder, zu dem er nun wollte, nicht sehen, bis der Mond dreimal gewechselt. Auch dann vergesse er nicht, seine Zunge zu bewahren.«
Der Indianer kehrte ihm nun den Rücken und verschwand im Gebüsche. Unser Kapitän aber blickte dem Wilden einige Sekunden nach, murmelte einige Flüche, und gab, nachdem er aus voller Brust Atem geholt hatte, gleich einem, der einer drohenden Gefahr entgangen, bedächtlich seinem Gaule den Zügel – um unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu kehren.
Auf dem Heimwege hatte er volle Zeit, über den sonderbaren Häuptling nachzudenken.
Daß die Indianer etwas Gräßliches im Schilde führten, schien außer Zweifel. Aber wo der Donnerschlag einfallen sollte und wie ihn zu verhindern, war mehr als er sagen konnte.
Im Verlaufe von einigen Wochen erfuhr er zu seiner größern Beruhigung, daß der Sturm ausgebrochen, aber glücklicherweise nicht den Bälgen seiner Mitbürger, sondern ihrer Bundesgenossen – der Choctaws der sechs Gebiete – gegolten habe, die näher dem Mississippi zu wohnten, und von den vereinigten Stämmen der Creeks überfallen und beinahe vernichtet worden waren. Kapitän Copeland schloß die Zeitungsnachricht mit dem gemütlichen Wunsche: »Mögen die Rothäute sich alle einander den Hals umdrehen und schinden; um so weniger lassen sie uns zu tun übrig!« Ein Wunsch, der, obgleich echt georgisch, zum Leidwesen unsers Wirtes von der Zentralregierung nicht genehmigt wurde, auf deren Befehl und Vermittlung bald darauf der Friede zwischen den beiden Stämmen wieder hergestellt wurde.
Die wiedergekehrte Ruhe gab unserm Hinterwäldler auch seine vorige Freiheit zurück, und mit dieser zugleich die günstige Gelegenheit, von dem sonderbaren Nachtereignisse den Schleier zu lüften. Wirklich versuchte er dieses, obgleich wir uns gedrungen fühlen, beizufügen, daß diese Versuche, nach den Äußerungen des Kapitäns zu schließen, nichts weniger als günstige Resultate herbeiführten, da er nur mit Widerwillen derselben gedachte. Alles, was man von ihm erfuhr, war die Vermutung, daß sein Pflegekind wahrscheinlich einer spanischen oder französischen Pflanzerfamilie am Mississippi angehöre. Mehr konnte oder wollte er nicht sagen, und das mürrische »Verdammt!«, mit dem er jedesmal eine solche Frage beantwortete, schreckte jeden Neugierigen von fernern Versuchen ab, sich für das Schicksal eines Kindes zu interessieren, das ohnehin allem Vermuten nach von einer Rasse abstammte, die zu sehr im Rufe passiven Gehorsams steht, um einer besondern Achtung von einem freiheitsstolzen Hinterwäldler zu genießen, selbst wenn die ewigen Zwistigkeiten mit den spanischen Behörden eine nähere Berührung möglich gemacht hätten. Unser Kapitän schenkte noch ferner Rum und Whisky aus, nahm dafür Hirsch-, Elend– und Biberbälge ein, und einen frischen Familienzuwachs jedes Jahr ausgenommen, ereignete sich nichts, das besondern Aufzeichnens wert gewesen wäre.
So waren beinahe sieben Sommer verstrichen. Die oben beschriebene Hütte hatte sich in dieser Zwischenzeit in ein ziemlich geräumiges Haus verwandelt, von dem man die Aussicht über den sich sanft durch üppige Niederungen dahin schlängelnden Coosa hatte, dessen Ufer bereits, mit aufblühenden Pflanzungen besetzt, der Gegend einen gewissen Anstrich von Sicherheit und Wohlstand gaben. Unser Wirt war allmählich ein gewichtiger Mann geworden.
Es war an einem herrlichen indianischen Sommerabende, als unser Kapitän mit seiner Familie und seinen Nachbarn an der Abendtafel saß, die, der Anzahl der Schüsseln nach zu schließen, eine feierliche Veranlassung hatte. Der Tisch bot eine genußreizende Mannigfaltigkeit hinterwäldischer Delikatessen dar, die auch von feinern Gaumen nicht verschmäht worden sein dürften. Wilde Truthühner, die deliziöse Bärentatze mit Fasanen, Wachteln und Hirschschenkeln, mit Kuchen allerart und Konfitüren namenlos, machten die Auswahl schwer. Obenan saß eine dünne, schmächtige Gestalt, deren jugendlich blasse Gesichtszüge und enthusiastisch frommer Blick einen methodistischen Prediger verrieten, den Eifer für die Verbreitung des Evangeliums in diese Gegend gebracht hatte, und der, nach dem nachahmungswürdigen Beispiele seiner Glaubensgenossen, das Lehramt der Kanzel mit dem der Schule verband. Der fromme Eiferer hatte regelmäßig, während der zwei Jahre seiner Mission, vier Monate hindurch bei den drei Hauptstämmen der Creeks zugebracht. Die Zeit, die er für die Obercreeks bestimmt hatte, war nun verflossen, und er war soeben im Begriffe, seinen Nachbarn und Mitbürgern Lebewohl zu sagen und die nahe indianische Niederlassung Coosa, wo er sich aufgehalten, für immer zu verlassen. An seiner Seite saß das kleine Mädchen, das sechs Winter vorher auf eine so seltsame Weise ein Mitglied dieser Familie geworden war. Es lag etwas ungemein Zartes und zugleich Edles und Verständiges in den kindlichen Zügen dieses Mädchens, dessen klare Augen sinnend und, wie es schien, wehmutsvoll an dem leidend hektischen Gesichte des Predigers hingen. Der Prediger selbst war sichtlich eingenommen von ihrem lieblichen Wesen und hatte sich viel während des Essens mit ihr beschäftigt. Bereits einigemal hatte er zu sprechen versucht, immer aber war Kapitän John Copeland ihm in die Rede gefallen. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. Er winkte endlich dem Mädchen, sich zu entfernen und diese verließ an der Hand ihrer Gespielin die Stube.
»Und so wollt Ihr denn nicht von meinem Vorschlage hören, Kapitän?« begann der Prediger. »Ich kann Euch nicht sagen, wie tief mir das Schicksal des armen Wesens zu Herzen geht. Sie hat sich seit den vier Monaten, die sie meine Schule besucht, in mein Herz ordentlich eingenistet. Die Trennung von ihr wird mir wirklich schwer. Ich will sie gerne in meine Obsorge nehmen. Ohnehin ist sie zu zart gebaut, um jemals eine rüstige Arbeiterin zu werden, und es wäre ja schrecklich, wenn sie den Indianern in die Hände fallen sollte.«
»Alles wahr,« sprach der Kapitän, »aber dann hat der Indianer jedes Jahr regelmäßig seine zehn Biber– oder Bärenfelle für Kost und Wohnung gesandt, nebst der Kleidung, und Ihr seht, ihr Anzug ist nicht der schlechteste. Obwohl bloß ein Roter, so kann ich doch nicht über sein Eigentum verfügen.«
»Und Ihr habt nie wieder von ihm gehört?« fragte der Missionär.
»Ich sah ihn noch zweimal«, erwiderte der Kapitän in einem Tone, dem man es ansah, daß er mit der Sprache nicht recht heraus wolle. – »Beide Male war er in seine blaue Wolldecke gehüllt, und ein drittes Mal sah ich sein Gesicht, jedoch nur in der Ferne. Wollte, ich wäre hundert Meilen weit von ihm gewesen. War just so eine Weiberneugierde«; fuhr er fort, seine Worte mit einem bedeutsamen Blick auf seine Frau begleitend. »Ich wollte hinüber zum Obersten Hawkins, um mit ihm des Mädchens halber zu sprechen und es vielleicht in die Zeitungen zu setzen. Ob ich nun gleich hinab nach New Orleans, hinauf nach Nashville und, wohin ich wollte, frei gehen durfte, und, mein Weib ausgenommen, keine Seele ein Sterbenswörtchen von meinem Vorhaben erfahren, der Rote, obgleich ich, einen bedeutenden Umweg genommen, wußte genau, wo ich hinzielte. Er ließ mich vierzig Meilen auf der Straße nach Milledgeville forttraben und schoß dann meinen Gaul nieder, wie einen Hund. Ja, ich habe Mistreß Copelands Neugierde teuer bezahlen müssen.«
»Und keiner von den Indianern vermochte Euch je Aufschlüsse zu geben? Ihr sagt, er selbst habe dem Kinde die Korallen umgehangen. Ist kein geheimes Zeichen an der Schnur?«
»Die Wahrheit zu gestehen, je weniger davon gesprochen wird, desto besser«; erwiderte der Kapitän. »Das Kind ist eine Französin oder Spanierin, verlaßt Euch darauf. Wenn Ihr aber gerade Lust habt, mehr zu erfahren, so ist soeben Gelegenheit dazu vorhanden. Es liegt einer der Creeks draußen in dem Schoppen.«
»Ich muß ihn sehen«, erwiderte der Prediger, der sogleich, ohne auf das Kopfschütteln des Kapitäns zu achten, seinen Sitz verließ und mit einem Glase Rum vor die Türe trat. Der Indianer lag im tiefen Schlafe auf dem Stroh, neben ihm sein Karabiner. Kaum war der Prediger vor den Wilden hingetreten, als dieser die Augen aufschlug und auf die Beine sprang. Der Prediger winkte, ihm in den Garten zu folgen und nahm das kleine Mädchen, dem er liebevoll einen Kuß auf die Stirne drückte, in seine Arme. Einen Blick warf der Indianer auf das Mädchen, einen zweiten auf die Glaskorallenschnur, und dann begann ein fieberartiges Zittern durch seine Glieder zu beben. Allmählich zog er sich erschrocken vor dem Kinde zurück und flog endlich mit dem Schreckensrufe »Hug!« wie ein Pfeil über die Hecke. In wenigen Sekunden war er im Walde verschwunden.
Der Missionär kehrte betroffen in das Haus zurück.
»Wohlan, Mister Lovering!« sprach der Kapitän mit gerunzelter Stirne. »Habt Ihr noch immer Lust zu dem Kinde?« – »Jawohl«, erwiderte der Prediger. »Und wenn Ihr einverstanden seid, so will ich mit dem Agenten sprechen.«
»Nein, damit bin ich nicht einverstanden«; erwiderte der Kapitän trocken. »Wenigstens nicht, so lange ich hier bin. Mein Wort muß ich halten, solange nämlich, als ich noch am Coosa bin. Aber die Zeit meines Bleibens hier ist die längste gewesen. Ich sehne mich nach einem ruhigem Platze, und wenn mich nicht alles trügt, so sind die Creeks wieder in Bewegung. Es wird stürmisch hergehen, verlaßt Euch darauf. Man sagt, der Häuptling der Oconees sei wieder einmal rege, und daran, sich mit dem schrecklichen Tecumseh zu verbinden. Zwei solche Menschen könnten die Welt in Flammen setzen.«
»Ja, das sind beide gefährliche Männer«; erwiderte der Prediger.
»Wenn ich unten am Mississippi bin, der nun, Gott sei Dank, uns, und nicht dem miserablen Spanier gehört, dann mögen sie tun, was sie wollen.«
»Jawohl!« bekräftigte Mistreß Copeland. »Das arme Ding, sie wird nie zur Arbeit taugen. Sie ist so linkisch, als wenn sie nicht dazu geboren wäre. Sie möchte vielleicht eine gute Hand zum Nähen und dergleichen sein, oder für eine Mädchenschule, denn sie näht artig und schreibt und liest Euch wie ein Schulmeister.«
Die gute Frau war soeben im Begriffe sich eines weitern über die Fähigkeiten ihrer Milchtochter zu verbreiten, als ein durchdringender Angstruf vom Garten her erschallte. Im nächsten Augenblick rannte der Gegenstand der soeben stattgehabten Unterhaltung bleich und zitternd in die Stube, und auf den Prediger zueilend fiel sie vor ihm hin, seine Knie mit jammernden Klagetönen umfassend.
Die unnennbare Angst des Kindes hatte die Anwesenden mit Verwunderung und Bestürzung erfüllt. Sie blickten mit starrem Auge und offenem Munde nach der Tür, als das Kind mit dem Ausrufe: »Da ist er!« zusammensank. Ein langer, hagerer Indianer trat in demselben Augenblicke in die Stube, warf einen durchdringenden Blick auf die Anwesenden und ließ sich dann auf einen Stuhl nieder. Seinem Anzüge nach zu schließen, war er ein Häuptling ersten Ranges. Seine Gestalt, obwohl sichtlich abgemagert, war kolossal und verriet ungemeine Stärke. An seinen Schläfen und nackten Armen lagen Muskeln beinahe fingerdick, die seinem Wesen mehr das Ansehen einer bronzenen Statue, als eines Lebenden gaben. Das merkwürdigste an diesem imposanten Manne war jedoch das, nach der alten Weise der Mikos oder Könige der Oconees, mit einem Diadem von Federn gekrönte Haupt. Seine Stirne war äußerst schmal, endete jedoch zu beiden Seiten in zwei ungeheuren Backenknochen, die zwischen dem dünnen Kinne und den äußerst schmalen Lippen zwei tiefe Höhlen bildeten, die den trockenen, beinahe verwitterten Zügen des fleischlosen Gesichtes einen unnennbaren Ausdruck von Tücke, Starrsinn und Intelligenz gaben. Der Anzug dieses merkwürdigen Mannes bestand in einer Weste von gegerbter Hirschhaut, die seine ungemein breite Brust vollkommen bedeckte, einem Jagdhemde von Kaliko, welches darüber geworfen war, und dem Lendentuche, das in bunten Farben gewirkt vom Wampumgürtel herabhing und die Schenkel und Knie entblößt ließ. Seine Mokassins waren reichlich verziert. In seiner Rechten hielt er einen Karabiner und in seinem Gürtel stak ein Schlachtmesser, reichlich mit Silber eingelegt.
»Tokeah!« rief der Missionär aus, den seine Wanderungen im Gebiete der Indianer mehr mit den verschiedenen Stämmen und ihren Häuptlingen bekannt gemacht hatten, als der stationäre Schenkwirt zum Indianischen König es werden konnte.
Der letztere wollte soeben sein Glas zum Munde bringen; aber seine Trinklust schien plötzlich verschwunden, als ein Name genannt wurde, der mit dem des tödlichsten Feindes seiner Landsleute gleichlautend geworden war. Er setzte das Glas auf den Tisch und überblickte den Häuptling vom Kopf bis zu den Füßen.
»Sechs Sommer und sechs Winter«, sprach dieser nach einer langen Pause, »sind gegangen und wiedergekommen, seit der Miko der Oconees seine Tochter bei seinem weißen Bruder gelassen hat. Er ist nun gekommen, sie in sein Wigwam aufzunehmen.«
»So seid Ihr es denn, der uns in jener bangen Nacht die arme Rosa hinterlassen hat, wie sie unser Prediger hier nennt? Warum habt Ihr mir jedoch Euern Namen nicht wissen lassen, oder das Kind abgeholt? Es hat uns manche bange Stunde verursacht. Wenn es nun abhanden gekommen wäre?«
»Die weißen Männer verlangen bloß nach ben Tierfellen und den Ländereien des roten Mannes; wenig ist ihnen an einem Häuptlinge und seinem Wohlgefallen gelegen«, erwiderte der Indianer mit einem bittern, verachtungsvollen Lachen. »Wenn das Kind verloren gegangen wäre, so würden Eure Kinder mit ihren Schöpfen dafür bezahlt haben. – Und nun will der rote Häuptling nehmen, was ihm gehört.«
»Ihr nennt doch nicht Rosa, deren Eltern Ihr wahrscheinlich gemordet, Euer eigen?« sprach der Prediger mit einem Mute, der selbst den Hinterwäldler staunen machte.
Der Indianer warf einen Blick der tiefsten Verachtung auf den Redner. »Wo würde nun die weiße Rose, wie du sie nennst, sein, wenn die Hand Tokeahs nicht den Arm aufgehalten hätte, der ihren Schädel an einem Baumstamme zerschmettern wollte? Wer hat für sie gejagt, als sie noch auf ihren Händen und Füßen herumkroch? Wer hat für sie die Biberfelle gesandt und hat selbst Wasser getrunken? Geh,« fuhr er mit steigendem Abscheu fort; »Ihr seid Hunde! Eure Zunge spricht von Dingen, von denen Euer Herz nichts weiß. Ihr sagt uns, wir sollen unsere Nächsten lieben, während diese uns unsre Felle, unser Vieh, unser Land nehmen, uns in die Wüste treiben.«
»Der Miko der Oconees«, erwiderte unerschrocken der Missionär, »wird sicherlich eine arme christliche Waise nicht von ihren Pflegeeltern reißen wollen? Der weiße Vater würde böse sein, und er wird gern bezahlen.«
»Nicht nötig,« rief Mistreß Copeland; »wir wollen sie gerne umsonst behalten. Wo zwölf Mäuler essen, wird auch das dreizehnte nicht verhungern.«
»Ja, sicher nicht«, fügte Kapitän Copeland etwas langsamer hinzu; – hielt jedoch inne, als er bemerkte, daß der Indianer ihm stolz ein Zeichen des Stillschweigens gab.
»Der Miko der Oconees,« sprach dieser mit würdevollem Tone, »wird nie wieder den weißen Vater sehen. Sein Pfad ist lang, sein Herz sehnt sich nach Freiheit; er will sie suchen, da wo der Weiße noch nie seinen Fuß hingesetzt hat. Er braucht seine Tochter, sein Wild zu kochen, und sein Jagdhemde und seine Mokassins zu nähen.« Nach diesen Worten öffnete er die Türe und eine Anzahl Indianer mit zwei Mädchen traten in die Stube.
»Canondah!« rief der Missionär, seine Hand dem indianischen Mädchen darreichend. Die Indianerin näherte sich dem Prediger, kreuzte ihre beiden Hände über ihrem Busen und senkte demütig das Haupt.
»Und so willst du uns denn wirklich verlassen?« fuhr der Missionär fort.
Das Mädchen gab keinen Laut von sich. Der Häuptling machte ein Zeichen, worauf das zweite Mädchen die bebende Rosa in ihre Arme hob und ihr einen Teppich umwarf, dessen untere Zipfel sie dem erstern Mädchen in die Hand gab, während sie die obern über ihre Schultern zog und dann verknüpfte. Zugleich wand sie ein breites Band um die Hüften des Kindes, das so, höher gehoben, seine Arme um den Hals seiner Trägerin zu winden genötigt und zum Aufbruche bereit war.
Der Missionär und das Weib des Kapitäns hatten mit tränendem Auge zugesehen, wie die von Schrecken erstarrte Kleine gleich einem Schlachtopfer lautlos sich binden ließ. Ersterer trat nun zur Trägerin heran und sprach im milden, zitternden Tone:
»Canondah, du bist immer ein edles Mädchen gewesen; eine Perle. – So empfehle ich denn deiner schwesterlichen Liebe und Sorgfalt diese zarte Pflanze. – Willst du ihr Mutter sein?«
Die Indianerin nickte.
»Und dieses Buch«, fuhr der Prediger fort, ihr eine Taschenbibel einhändigend, »sei dir und Rosen ein Andenken an euern Lehrer. Trage ihn, der dich erlöset hat, stets in deinem Herzen.« Dann, seine Hände auf beider Mädchen Häupter legend, gab er ihnen den Segen.
Beide verließen mit ihrer Bürde und den Indianern nun die Stube; der Häuptling war allein zurückgeblieben.
»Der Miko der Oconees«, sprach er mit Würde, sich von seinem Sitze erhebend, »hat bezahlt für die Milch, die das weiße Weib seiner Tochter gegeben. Er geht nun. – Sein Pfad ist lang, sein Weg rauh; aber sein Herz ist müde der Weißen. Möge er sie nie wiedersehen.«
Nachdem er diese Worte gesprochen, wandte er den Anwesenden den Rücken und verließ die Stube.
Ein langer Atemzug entfuhr gleichzeitig den Gästen. Kapitän Copeland war der erste, der den Gebrauch seiner Zunge wiederfand und sich von seinem Erstaunen wieder erholte. Es ergab sich aus seinen Äußerungen, daß er, im ganzen genommen, nicht ganz unzufrieden war, sich einer Sorge überhoben zu sehen, die ihm, nach seiner Versicherung, mehr schlaflose Nächte verursacht hatte, als irgend etwas in seinem Leben.
Wir selbst verlassen nun Georgien und die Familie unseres Tauschhändlers, um den Faden unserer Geschichte in einem fernen Lande, und nach Verlauf von mehreren Jahren, wieder anzuknüpfen.
Drittes Kapitel
An, nördlichen Ende des Sabinersees und mitten aus den Rohr– und Zypressensümpfen, die sich von dieser Seite her dem See zusenken, erhebt sich zwischen den beiden Flüssen Sabine und Natchez eine schmale Landzunge, die, in demselben Maße, als die beiden Flüsse sich voneinander entfernen, anschwellend, eine sanft aufsteigende Anhöhe bildet, zu deren beiden Seiten die zwei Flüsse ihre klaren und lieblichen Gewässer dem dunkelgrünen Verstecke der Zypressen und des Palmetto und dann dem oberwähnten See zuführen, der selbst wieder dem Busen von Mexiko sich öffnet.
Beinahe scheint es, als ob die Natur in ihrer Laune den Einfall gehabt hätte, die Grenzscheidung der beiden mächtigen Staaten, die der erstgenannte dieser Flüsse bildet, recht augenscheinlich zu setzen. Ein schwarzer, undurchdringlicher Wald bedeckt das rechte Ufer des Sabine, so dicht verwachsen von ungeheuern Dornen, daß selbst der verfolgte Damhirsch oder Sawannenwolf nur selten tiefer einzudringen vermag. Der Grund ist überzogen mit einem undurchdringlichen Teppiche von Schlingpflanzen, unter deren verräterischer Hülle gefleckte und schwarze Klapperschlangen, Kingsheads und Copperheads sich umherwinden, auf wilde Tauben, Spottvögel, Paroquets oder schwarze Eichhörnchen lauernd. Nur selten ist dieses undurchdringliche Dunkel durch eine Lichtung unterbrochen, und wo eine solche sich findet, ist es ein Chaos modernder Baumstämme, entwurzelt durch einen der häufigen Tornados, und übereinander geschichtet, als ob sie zu einem künstlichen Festungswerke bestimmt wären. Diese wilde Üppigkeit erreicht ihren höchsten Grad in der Nähe der Zypressenniederung, nimmt aber auf der andern Seite des Sumpfes einen sanftern Charakter an, und der verirrte Schiffer sieht sich wie durch einen Zauberschlag in eine der entzückendsten Landschaften Mexikos versetzt, wo die hängende Myrte und der prachtvolle Tulpenbaum und die Palma Christi mit der dunkeln Mangrove wechseln, und auf der schwellenden Anhöhe der Kottonbaum und die Sykomore ihre grünlich silbernen Zweige über einen Wiesengrund des zartesten Grüns ausbreiten. Der ganze Wald ist gleich einem ungeheuern Gezelte, mit dem Jasmin und der wilden Rebe durchwirkt, die aufschießt vom Grunde, sich am Stamme aufhängt und zum Gipfel hinanrankt, wieder herabsteigt, um dem nächsten Stamme sich zuzuwenden und so von der Mangrove zur Myrte, von der Magnesie zum Papaw, vom Papaw zum Tulpenbaum kriechend, eine große, endlose Laube bildet. Der breite Gürtel selbst, auf welchem der Natchez seine Gewässer dem See zusendet, bietet dem Auge ein üppig wallendes Feld säuselnder Palmettos dar, das vom Walde ungefähr eine halbe Meile dem Ufer zuläuft, wo die Mangrove und Zypresse ihre trauernden Zweige tief in die Fluten tauchen. Der Winter nähert sich diesem entzückenden Verstecke nie; aber lang anhaltende schwere Regengüsse füllen während der sogenannten Wintermonate Flüsse und Sümpfe und bereiten so ein furchtbares Tagewerk für die heiße mittägliche Sonne. Dann hört man ein Gebrüll aus dem erstickenden Dunstmeere, dessen grauenerregender Ton Tiere und Menschen ferne hält.
Der Herbst jedoch ist eine prachtvolle Jahreszeit in dieser paradiesischen Gegend und besonders jener Spätherbst, der indianische Sommer genannt, der auch im Norden der großen Republik, gleich dem Abschiedslächeln einer holden Schönen, mit Wonne empfangen wird.
Es war einer dieser herrlichen Indianer-Herbstnachmittage. Die Sonne, prachtvoll und golden, so wie sie nur in dieser Gegend und zu dieser Jahreszeit zu sehen, neigte sich bereits hinter die Gipfel der Bäume, welche das westliche Ufer des Natchez umgürten, ihre Strahlen spielten bereits in jene Mannigfaltigkeit von Tinten, die im Westen so sehr bewundert werden, und vom Hellgrünen in die Gold-, von der Purpur– in die Orangefarbe verschmelzen, je nachdem die Strahlen von der Myrte, Magnesie, der Palma Christi ober einem der hundert Prachtgewächse zurückgeworfen werden. Kein Wölkchen war am Himmelszelte zu sehen, balsamische Düfte wehten durch die Luft und füllten die Atmosphäre mit einer zitternd elastischen Wollust, die die Sehnen zum üppigen Leben spannt. Die leise Stille war nur selten durch einen plappernden Paroquet oder einen pfeifenden Spottvogel unterbrochen, oder das Geräusche vom Auffliegen einer Schar Wasservögel, die zu Tausenden am breiten Wasserspiegel des Natchez ihr Wesen trieben und zum Winterzuge ihr Gefieder putzten.
Auf dem schmalen Pfade, den die Natur zwischen dem Walde und dem erwähnten Palmettofelde recht eigentlich selbst gebahnt zu haben schien, sah man eine weibliche Gestalt einem offenen Waldplätzchen zutanzen, das, gebildet durch eine entwurzelte Sykomore, sich am äußersten Ende des Pfades befand. Als sie vor dem Baumstamme angelangt war, lehnte sie sich an einen der Äste, um Atem zu holen. Ihre Hautfarbe verriet indianische Abstammung. Sie war ein gereiftes Mädchen von etwa zwanzig Jahren, mit einem äußerst interessanten, ja edeln Gesichte. Die wohlgeformte Stirn, das schwarze, beinahe schelmische Auge, die fein geschnittenen Lippen, sowie die Umrisse der beweglichen Züge überhaupt, verrieten eine freie, muntere Stimmung, während hinwieder die römische Adlernase ihr einen Anstrich von Entschlossenheit und Selbständigkeit gab, mit denen Haltung und Anzug übereinzustimmen schien.
Dieser Anzug erhob sich weit über das gewöhnliche Kostüm indianischer Mädchen und zeichnete sich ebenso durch Einfachheit als Geschmack aus. Sie trug ein Kleid von Kaliko ohne Ärmel, das ihr bis auf die Knöchel reichte. Ihre Haare, statt lang und straff herabzuhängen, wie es gewöhnlich bei Indianerinnen der Fall ist, waren in einen Knoten geschlungen, den ein eleganter Kamm am Scheitel festhielt. Ein paar goldene Ohrringe und Brasseletts von demselben Metalle, Halbstiefel von Scharlach und der Alligatorhaut vollendeten das zierliche Äußere dieser interessanten Gestalt. Von ihrem Gürtel herab hing ein ziemlich langes Taschenmesser und in ihrer Hand trug sie einen großen, leeren Handkorb. Ihr Gang konnte nicht Gehen, noch Laufen genannt werden; es war ein drolliges Hüpfen oder vielmehr Springen. Immer nach zehn oder zwölf Sätzen hielt sie inne, blickte auf den zurückgelegten Pfad mit Sorglichkeit zurück und hüpfte wieder vorwärts, um wieder auf dieselbe Weise zurückzuschauen.
Keuchend hatte sie nun ihren Standpunkt am Kottonbaume genommen, während ihr Auge spähend auf den Pfad gerichtet war.
»Aber Rosa« – rief sie zuletzt in der indianischen Sprache und mit einem Ausdrucke leichter Ungeduld, während sie wieder zehn oder zwölf Schritte zurücktanzte und sich einem zweiten Mädchen näherte, das die Windungen des erwähnten Pfades nun sichtbar werden ließen.
»Aber Rosa«, wiederholte sie, »wo bleibst du denn?« und mit diesen Worten sprang sie auf das Mädchen zu, sank auf ihre Schenkel, kreuzte sie und umschloß, so sitzend, mit beiden Armen das vor ihr stehende Mädchen mit einer Schnelligkeit und Gelenkigkeit, die den Windungen einer Schlange abgelernt zu sein schienen.
»Ach, die weiße Rose«, klagte sie, »ist nun nicht mehr dieselbe. Sieh, wie das Gras auf dem Pfade wächst, den dein Fuß so oft betreten. Warum ist meine weiße Rose betrübt?«
Die klagende Stimme der Indianerin war so rührend, ihr ganzes Wesen, als sie ihre Arme um ihre Freundin schlang, so flehend, Liebe und Ängstlichkeit waren so unverhohlen in ihrer Miene zu lesen, daß es wirklich zweifelhaft schien, ob das Interesse, das sie an ihr nahm, von näherer Verwandtschaft oder den lieblichen Reizen des Gegenstandes entsprang, den sie nun so rührend liebkoste und der kaum aus dem Kindesalter getreten zu sein schien.
Das herrliche schwarzbraune Auge, das feurig-schmachtend und doch wieder so kindlich zart, von seidenen Augenwimpern beschattet, nun auf der flehenden Indianerin ruhte und wieder aufblickte und in die Ferne schweifte, gleichsam als suche sie etwas Namenloses, das Erbeben des zarten Busens, die Wangen, angehaucht von einer rosigen Tinte, die Form selbst so zart, beinahe Luftgestalt und doch so elastisch, schienen der verjüngten Liebesgöttin anzugehören; wieder jedoch gab der kindlich ruhige Blick, die edel geformte Stirne, der rosige Saum am Munde, der ein paar Korallenlippen eher anzudeuten als zu zeigen schien, und ein gewisses Etwas dieser Gestalt einen Anstrich von so reinem Adel und würdevoller Besonnenheit, der auch den leisesten sinnlichen Gedanken verscheuchte und unwillkürlich mit achtungsvollem Entzücken erfüllte. Ihr dunkelblondes Haar fiel in langen Locken um einen schneeweißen, herrlich geformten Nacken. Ein grünseidenes Kleid umhüllte ihre Glieder und reichte züchtig bis zu einem Paar der kleinsten Füße, die je eine weibliche Gestalt trugen. Sie hatte Scharlachmokassins, wie die Indianerin. Um ihren Hals war ein weißes Seidentuch in einen Knoten geschlungen, und in der Hand trug sie einen Strohhut.
Dieses liebliche Kind war die nämliche Rosa, deren Bekanntschaft wir sieben Jahre zuvor in der Schenke zum Indianischen König gemacht haben. Ihr Blick ruhte liebevoll erwidernd, nun sinnend wehmütig, auf ihrer Freundin; eine Träne drängte sich in ihr Auge, und ihr Haupt neigend, preßte sie einen Kuß auf die Lippen des indianischen Mädchens, indem sie dieses umschlang.
Eine geraume Weile hörte man die beiden Mädchen schluchzen. Endlich sprach die Indianerin in einem klagenden Tone: »Sieh, Canondahs Busen ist offen für Rosas Weh.«
»Meine teure Canondah!« lispelte das schöne Kind, und ein frischer Tränenstrom entstürzte ihrem Auge.
»O, sage deiner Canondah«, bat die Indianerin, »was dein Herz betrübt. Sieh,« sprach sie, und ihre Stimme nahm nun einen melodisch wehmütigen Ton an, »sieh, diese Arme haben die weiße Rosa getragen, als sie noch sehr klein war. Auf diesen Schultern hing sie, als sie über den großen Fluß setzte. Auf diesem Busen ruhte sie gleich einem Wasservogel, der auf dem breiten Spiegel des Natchez sich sonnt. Canondah ist der Spur der weißen Rosa, wie die Hirschmutter ihren Jungen, Tag und Nacht gefolgt, sie vor Schaden zu bewahren; und nun sie groß und zur weißen Rosa der Oconees gewachsen ist, will sie ihr Herz verschließen. O, sage deiner Canondah, was deinen Busen hebt und dich erblassend zittern macht?«
Rosa sah einen Augenblick ihre Freundin an und sprach dann in leisem Tone: »Was mir am Herzen liegt? Weiß es Canondah nicht? Wohl hat die arme Rosa Ursache, bange und ängstlich zu sein!«
»Ist es der große Häuptling der Salzsee, der ihr diesen Schmerz verursacht?«
Rosa erblaßte, sie trat zurück und bedeckte das Gesicht mit ihren beiden Händen, laut schluchzend.
Die Indianerin sprang von der Erde, und ihren Arm um den Leib Rosens geschlungen, zog sie das weinende Mädchen sanft einem Kottonbaume zu, an dessen Stamm eine Rebe sich hinangewunden hatte, die bis zum Gipfel aufsteigend zahlreiche Festons herabsenkte, an denen die Trauben in üppiger Reife hingen.
»Traurig ist der Pfad eines Oconeemädchens«, brach die Indianerin nach einer langen Pause aus, während welcher sie die Trauben einsammelte. »Wenn die Krieger auf die Jagd gehen, verseufzen wir Ärmsten in den Wigwams unsre Tage oder pflügen Korn. O! wäre doch Canondah ein Mann.«
»Und El Sol?« lispelte Rosa mit einem melancholischen Lächeln. »Canondah sollte nicht klagen.«
Die Indianerin hielt ihr mit der einen Hand den Mund und drohte ihr mit der andern. »Ja,« erwiderte sie, »El Sol ist ein großer Häuptling, und Canondah verdankt ihm ihr Leben, und sie will sein Wildbret bereiten und sein Jagdhemde weben und ihm mit leichtem Herzen folgen, und die weiße Rosa wird horchen, was ihre Schwester ihr in das Ohr singen wird. El Sol wird bald im Wigwam der Oconees sein, und dann will ihm Canondah sanft ins Ohr lispeln. Er ist ein großer Häuptling, und der Miko wird seine Rede anhören: er wird die Geschenke, die der Häuptling der Salzsee geschickt, zurücksenden und dann wird die weiße Rosa sein Wigwam nie sehen.«
Die letztere schüttelte den Kopf zweifelhaft. »Kennt Canondah ihren Vater so wenig? Der Sturm mag wohl das schwache Rohr beugen, aber nie den silbernen Stamm des dicken Baumes. Entwurzeln mag er ihn, brechen in seinem Falle, aber nicht beugen. Der Miko«, setzte sie mit einem hoffnungslosen Seufzer hinzu, »sieht den Häuptling der Salzsee mit den Augen eines Kriegers und nicht mit denen eines Mädchens. Er hat ihm Rosa verheißen, und deine arme Schwester« – ein leichter Schauder durchzitterte ihre Gestalt – »wird eher sterben als« —
»Nein, nein,« sprach die Indianerin, »Rosa muß nicht sterben. El Sol liebt Canondah, und der Miko der Oconees weiß wohl, daß er ein größerer Krieger ist, als der Häuptling des Salzsees.«
»Aber horch! was ist das?« rief sie, auf einmal ihr Ohr in der Richtung des Flusses hinhaltend, von dem her ein entferntes Getöse gehört wurde.
»Was ist dieses?« wiederholte Rosa.
»Vielleicht ein Alligator oder ein Bär«; versetzte die Indianerin.
Das Getöse, obgleich schwach, war noch immer zu hören. »Canondah!« rief nun Rosa mit sichtbarer Unruhe; »du willst doch nicht wieder die große Wasserschlange jagen?«
Ihre Worte waren jedoch vergeblich. Die Indianerin brach mit der Schnelligkeit eines Hirsches durch das dichte Rohr und war in wenigen Augenblicken verschwunden. Es blieb Rosa nichts übrig, als ihr durch das krachende Rohr hindurch zu folgen. Während sie sich mühsam durch die zahllosen Stämmchen hindurchwand, hörte sie einen Ruf; es war jedoch nicht die Stimme Canondahs. Ein Fall, wie der eines schweren Körpers ins Wasser, folgte bald darauf, begleitet von einem kurzen heftigen Umherschlagen im Schlamme und dann war alles wieder ruhig.
Rosa hatte sich atemlos durch das dichte Rohr hindurchgedrängt und war nach einem unbeschreiblich mühsamen Laufe endlich am Ufer des Flusses angelangt. Ihr Auge suchte die Indianerin zwischen den Zypressen und Mangroven, die bis in den Fluß hineinstanden.
»Rosa!« rief diese. – »Canondah!« schalt das Mädchen im Tone bitteren Vorwurfs, als erstere auf einen Alligator hinwies, der röchelnd sich noch im Schlamme umherschlug. »Warum tust du mir dies zuleide? Soll Rosa ihre Schwester verlieren, weil sie töricht ein Mann sein und das Jagen nach der Wasserschlange nicht aufgeben will?«
»Sieh doch!« erwiderte die Indianerin, indem sie auf eine tiefe Wunde im Nacken des Alligators wies und das blutige Messer triumphierend schwang, »ich begrub es bis zum Hefte in seinem Halse. Die Tochter des Miko der Oconees weiß die Wasserschlange zu treffen; aber,« fügte sie gleichgültig hinzu, »sie war noch jung und bereits erstarrt, denn das Wasser beginnt kühl zu werden. Canondah ist bloß ein schwaches Mädchen; aber sie könnte den weißen Jüngling lehren, die Wasserschlange zu töten.«
Als sie die letzten Worte sprach, fiel ihr Blick auf einen Zypressenbaum, der wenige Schritte vom Rande des Wassers in der Untiefe stand.
»Der Weiße Jüngling?« fragte Rosa.
Die Indianerin legte ihren Zeigefinger bedeutsam auf den Mund, wusch das Blut von Messer und Händen und trat dann unter den Baum. Mit der linken Hand bog sie die herabhängenden Zweige auseinander, während sie ihre flache Rechte vorstreckte, als Friedens– und Freundschaftszeichen, und dann auf das Ufer hinwies, auf das sie langsam, ihren Blick auf die Zypresse gerichtet, zuschritt. Die Zweige öffneten sich jetzt, und ein junger Mann näherte sich vorsichtig dem Rande des Wassers, während seine Hände nach dem zunächststehenden Rohre langten.
»Wie kam dieser hierher?« fragte leise Rosa die Indianerin, ihre Augen auf den Jüngling gerichtet.
Die Indianerin wies schweigend auf ein Boot, das zwischen dem Rohre steckengeblieben und das der Jüngling offenbar hindurchzuzwängen bemüht gewesen war.
Dieser hatte sich bereits dem Ufer bis auf wenige Schritte genähert, als er zu schwanken und dann zu sinken anfing. Canondah kam noch gerade zu rechter Zeit, um seinen Fall ins Wasser zu verhüten. Sie fing ihn in ihren Armen auf und zog ihn dem Ufer zu, an dessen Bank sie ihn lehnte. Die Ursache der Schwäche des Fremdlings zeigte sich nun in dem Blutstrome, der seinem Schenkel entquoll. Der Alligator hatte ihn in der Mitte desselben mit seinem Rachen angefaßt und ihm eine tiefe Wunde beigebracht. Kaum war die Indianerin derselben ansichtig geworden, als sie auf das Ufer an die Seite Rosas sprang und ihr mit den Worten: »Dein weißer Bruder ist von der Wasserschlange gebissen, und du siehst, Canondah hat bloß ihr Kleid an«, das seidene Tuch vom Halse löste, dann mit eben der Schnelle unter den Kräutern auf der Erde herumsuchte, ein Büschel ausriß, eine junge Palma Christi über ihrem Knie brach, und das zarte Fleisch, das unmittelbar unter der Rinde dieses Baumes liegt, ablöste. Hierauf sprang sie hinab in den Fluß an die Seite des Fremdlings, verstopfte zuerst die Wunde mit den weichen Fasern, belegte sie mit den Kräutern und verband sie dann mit dem Halstuche. Das Ganze war das Werk eines Augenblicks, und so schnell und bestimmt waren alle ihre Bewegungen gewesen, daß Rosa mit Erröten sich ihres Busentuches verlustig fand, nachdem dieses bereits um den Schenkel des Fremdlings gewunden war.
»Und nun deine Hände, liebe Schwester«; sprach die Indianerin zu Rosa, die noch immer auf der Uferbank stand, mit ihren Händen den Busen bedeckend, dessen leichtes Beben eine kleine Bewegung zu verraten schien. Die Indianerin war ein wenig ungeduldig geworden. Sie deutete schweigend auf den jungen Mann, faßte ihn selbst um den Leib herum, und, unterstützt von ihrer Freundin, hoben sie ihn beide auf das Ufer.
So schnell und bestimmt alle Schritte der Indianerin bisher gewesen, so sorgsam und ernst schien sie nun auf einmal zu werden. Sie hatte kaum den Jüngling ans Ufer gebracht, als sie nochmals in den Fluß hinabstieg und das Boot sorgfältig untersuchte, dann kopfschüttelnd zu dem Fremdling trat, einen durchdringenden Blick auf ihn warf und wieder dem Boote zurannte. Plötzlich wandte sie sich zu Rosa und flüsterte dieser einige Worte zu, die eine Totenblässe über die Wangen des Mädchens brachten. Auch diese näherte sich dem Jünglinge. Ihr Blick hing forschend an seinen leidenden Zügen und seinen gebrochenen Augen, die den höchsten Grad von Erschöpfung verrieten. Er schien seiner Auflösung nahe zu sein. Seine erdfahle Gesichtsfarbe, seine eingefallenen Wangen und Augen verrieten vielleicht wochenlange Entbehrungen. Er glich mehr einer von den Wogen ans Meeresufer geworfenen Leiche, als einem Lebenden. Seine Haare waren vom Seewasser gebleicht, hingen in Flechten um Stirne und Nacken, die Farbe seiner Kleider war kaum mehr zu erkennen, übrigens schien er noch sehr jung; seine Züge, so viel sich entnehmen ließ, waren nichts weniger als unangenehm und ungeachtet der äußersten Erschöpfung noch immer anziehend.
Sie hatten sein Haupt an den Stamm einer Zypresse gelehnt, durch deren Zweige die Strahlen der Sonne auf seinem Gesichte spielten, seine leidenden Züge gleichsam verklärend.
»Unser weißer Bruder«, sprach die Indianerin im leisen, beinahe scheuen Tone, »ist im Kanu des Häuptlings der Salzsee angekommen; aber er ist keiner seiner Krieger.«
»Er ist vielleicht, was sie einen Matrosen nennen«, bemerkte Rosa.
»Nein«; sprach die Indianerin im bestimmten Tone. »Sieh nur einmal seine Hände, sie sind kaum stärker als die meinigen, und zart, wie die eines Mädchens; das Salzwasser hat sie bloß gelb gefärbt.«
»Vielleicht ist er ein Bote«, wisperte Rosa, auf eine Weise, die jedoch Zweifel auszudrücken schien.
Die Indianerin schüttelte wieder den Kopf. »Sieh, er kommt von der Salzsee durch den großen See, der das Wasser unsers Stromes trinkt; aber er weiß nicht einmal ein Boot durch das dicke Gras zu bringen. Er wähnte, die große Wasserschlange sei ein fauler Baum, und trat auf sie, und sie begrub ihre Zähne in seinem Fleische. Dein weißer Bruder ist dem Häuptling der Salzsee entflohen.« Sie sprach diese Worte mit einer Bestimmtheit und Zuversicht, als wenn sie den Fremdling auf seinem abenteuerlichen Zug begleitet hätte.
»Und würde Canondah zugeben, daß ihr Bruder in der kalten Nacht erstarre, oder daß das Fieber ihm sein Leben raube, ihm, der ihr und den Ihrigen nie etwas zuleide getan hat?«
»Meine Schwester spricht wie eine Weiße, Canondah ist aber die Tochter des Miko«; entgegnete die Indianerin ein bißchen trotzig; doch erfaßte sie Rosas Hand, ihre Züge hellten sich auf, und sie fügte im leisern Tone hinzu: »Canondah will die Stimme ihrer Schwester zugunsten ihres weißen Bruders hören. Wir müssen ihn aber in den hohlen Baum bringen.«
Beide Mädchen hoben nun den Jüngling, und jede einen seiner Arme erfassend, schleppten sie ihn durch das dichte Rohr. Während die voranschreitende Rosa ihn durch das Palmetto hindurchzuziehen versuchte, bemühte sich die Indianerin, vorzüglich seinen Fall zu verhüten. Es war ein langsamer und mühsamer Zug. Blutverlust und frühere Erschöpfung hatten die Kräfte des jungen Menschen so ganz aufgerieben, daß sie ihn kaum mit Anstrengung aller ihrer Kräfte aufrechterhalten konnten.
»Rosa!« schrie die Indianerin plötzlich, »denke an die Squaws, an den Miko; die Spuren werden noch nach Monden zu sehen sein.«
Rosa hätte wohl mit ihrer ätherischen Gestalt durch die zahllosen dicht aneinandergereihten Stämmchen dringen können; allein der seitwärts nachgeschleppte Fremdling brach mit jedem Schritte einige Rohre. Sie waren noch nicht zur Hälfte des Palmettofeldes gelangt, als seine gänzliche Auflösung nahe schien. Alle Kraft war von ihm gewichen, und beide Mädchen vermochten nur mit äußerster Anstrengung, ihn den Rest des Feldes hindurchzuschleppen.
Keuchend und stöhnend waren sie endlich am Rande angelangt, Rosa war im Innern niedergeschlagen, unfähig sich zu erheben; die Indianerin hatte noch so viel Kraft, ihre Last aus dem Palmetto zu schleppen, und sank dann gleichfalls erschöpft auf den Rasen hin.
Die letzten Strahlen der Sonne vergoldeten noch die Gipfel der höheren Bäume, die untern Zweige schwanden bereits in das mattere Zwielicht, als Rosa zur Indianerin trat und sie mit den Worten: »Die Sonne steht tief«, aus ihrer Bewußtlosigkeit aufregte. Die Indianerin sprang auf, und beide Mädchen trippelten tiefer in den Wald, da wo der Boden sich gegen den Sabine zu senkt. Vor einem ungeheuern Kottonbaume hielten sie. Mehrere riesenstämmige Weinreben, in deren gewaltiger Umarmung dieser kolossale Stamm abgestorben war, umwanden noch immer mit ihren glänzendroten Ranken den herrlichen Koloß, dessen Inneres mit seinen modernden Zacken, ausgehöhlt vom Zahne der Zeit, in tausend phantastischen Gestalten sich darstellte, und, einer gotischen Kapelle nicht unähnlich, so geräumig war, daß zwanzig Menschen darin Platz fanden. Die Sorgfalt, mit der diese Höhle gereinigt war, und eine nachbarliche Salzquelle, verrieten, daß sie den zur Nachtzeit jagenden Indianern als Anstandspunkt diente. Canondah näherte sich vorsichtig der Öffnung, trat behutsam ins Innere und kehrte mit der Nachricht zurück, daß es leer sei. Beide Mädchen eilten nun einer Zypresse zu, von deren Ästen sie ein Bündel spanischen Mooses rissen, und das sie in der Höhle zum weichen Lager bereiteten. Die Indianerin rollte noch mehrere morsche Blöcke vor den Eingang, wahrscheinlich um ihn gegen den nächtlichen Besuch von Bären oder Panthern zu verwahren.
»Gut«, sagte sie, als diese Vorbereitungen beendigt waren, ihren Arm um Rosa schlingend und dem Fremden zueilend. Die Indianerin, ohne auch nur einen Augenblick zu verweilen, schob ihre Linke unter den beiden Schenkeln des Verwundeten hindurch und winkte Rosen, ihre Hand zu fassen, während ihre Rechte dem Verwundeten zur Lehne diente. Rosa errötete.
»Scheut sich die weiße Rose, ihren Bruder zu berühren, um dessen Leben sie ja eben gebeten?« sprach sie mit einem sanften Vorwurfe.
Das Mädchen, statt aller Antwort, faßte die Hand der Indianerin, und die beiden hoben ihre Bürde auf die soeben angezeigte Weise mit verschlungenen Händen und trugen sie der Baumhöhle zu, in welcher sie sie niederließen. Die Indianerin bog sich über ihn herab und wisperte: »Wenn die Erde in Dunkel gehüllt ist, wird Canondah zu ihrem Bruder kommen, und dann wird sie Balsam in seine Wunden gießen.«
Ihre Worte jedoch waren, wie zu erwarten stand, ungehört verschollen, und, ein leises Atmen ausgenommen, gab der Fremdling kaum mehr ein Zeichen des Lebens. Noch waren die Baumgipfel in glänzendem Purpur gerötet, während über die Tiefen das Dunkel heranzog, als die beiden Mädchen wieder an den Ort kamen, wo sie die Trauben eingesammelt hatten. Hastig ihren Vorrat aufraffend, schlugen sie den engen Pfad ein, den sie gekommen waren und auf welchem wir ihnen nun vorzueilen gedenken, um unsere Leser in eine neue Welt einzuführen.
Viertes Kapitel
Nicht fern von dem Schauplatze des soeben erzählten Abenteuers öffnete sich eine weite Lichtung, die etwa drei Meilen längs dem Ufer sich erstreckend, eine halbe Meile vom Flusse gegen den Wald zulief. Diese Lichtung war Palmettofeld gewesen, das, wie bereits erwähnt, sich längs dem rechten Ufer des Flusses ungefähr eine halbe Meile gegen den Wald hinziehend, von den kolossalen Stämmen dieser Urwälder gleich einem Rahmen eingefaßt wird. Augenscheinlich hatte man diese Lichtung durch Verbrennen des Rohres bewirkt, an dessen Stelle ein Teppich des üppigsten Wiesengrundes mit prachtvollen Baumgruppen getreten war, zwischen welchen irreguläre Hecken von Myrten, Mangroven, Palmen und Tulpenbäumen sich hindurchschlängelten, das Ganze einem Parke mit seinen Baumgruppen und Pflanzungen ähnelnd. Hie und da ließen sich Rauchwölkchen sehen, die sich durch die silbergrünlichen Äste der Sykomore und Kottonbäume hinaufschlängelten und auf das Dasein menschlicher Wesen schließen ließen, und bei näherer Besichtigung fand man unter den Baumgruppen eine oder mehrere Hütten friedlich an einen Baum gelehnt und von kleinen Welschkorn– und Tabakpflanzungen eingesäumt. Weiter hinauf nahm ihre Anzahl allmählich zu, so daß ihrer nicht weniger denn fünfzig sein mochten.
Es war keine besondere Ordnung in ihrer Aufstellung oder Bauart bemerklich. Man schien bei ihrer Errichtung weniger den Geschmack als einen gewissen Hang zur Indolenz berücksichtigt und sich beim Aufbau nichts weniger als hart angestrengt zu haben. Man hatte sich die einfachsten Baumaterialien genügen lassen, roh, wie sie die Natur darbietet. Sie waren aus den kleinen Ästen von Kottonbäumen gezimmert und aufgerichtet, die Lücken ausgefüllt mit Tillandsea oder spanischem Moose. Statt der Dachdauben, mit denen westlich von dem Alleghaniegebirge häufig die Wohnungen ärmerer Landleute gedeckt sind, hatte man hier das Palmettorohr genommen: eine Wahl, die dem Ganzen einen ungemein zarten Anstrich von Ländlichkeit und Einfachheit gab. Die Wohnungen selbst waren größtenteils ohne Fenster und erhielten ihr Licht durch die Kaminöffnung oder die Türe, statt welcher eine Wildbüffelhaut vom Türpfosten herabhing, die während des Tages auf das niedrige Dach zurückgeworfen wurde. Der Hauptreiz dieses Dörfchens lag jedoch nicht sowohl in seiner Bauart, als den vielen Baumgruppen, unter welchen die niedlichen Hütten zu nisten schienen: eine Maßregel, die wahrscheinlich die große Hitze während der Sommermonate in einer Gegend nötig machte, die bekanntlich der Scheidepunkt zwischen der nördlichen und südlichen Hälfte der westlichen Welt bildet. Die außerordentliche Reinlichkeit des Dörfchens war nicht weniger bemerkenswert und trug viel dazu bei, den günstigen Eindruck zu vermehren. Es war wirklich ein liebliches Plätzchen, wie noch aus seinen Ruinen zu ersehen ist. Der Wasserspiegel des Natchez, der hier gewaltig der See zuschwillt, der Rahmen von dunkeln Zypressen und Mangroven, mit denen beide Ufer eingefaßt und deren kolossale Schatten sich auf dem Wasser vertausendfachen, die zahlreichen Baumgruppen, unter denen die Wohnungen gleich so vielen Einsiedeleien hingezaubert, und endlich der breite Gürtel selbst, begrenzt auf beiden Seiten durch die prachtvoll wogenden Palmettofelder, auf der dritten durch einen Wall riesiger Urbäume, gaben dem Ganzen einen Anstrich entzückender Abgeschiedenheit.
Die Bewohner dieses abgeschiedenen Fleckchens dürften vielleicht, mit einigen Ausnahmen, weniger reizend, im ganzen genommen jedoch kaum minder interessant gewesen sein. Vor den äußersten Hütten war eine Gruppe glänzend dunkelfarbiger Wesen zu ersehen, die man auf den ersten Anblick ohne Zweifel für eine Herde Affen gehalten haben würde, so drollig waren ihre Bewegungen. Bald hüpften sie über Hecken und Stauden, gleich einer Herde dieser Tiere, wanden sich dann gleich Schlangen und rollten den Abhang zum Flusse hinab, mit einer Behendigkeit und Schwungkraft, der kein menschliches Auge zu folgen schnell genug gewesen wäre. Weiter ins Dörfchen hinein sah man Züge von erwachseneren Jungen in ihren kriegerischen Übungen begriffen. Sie stellten den Spähertanz dar. Während eine Anzahl auf dem Rasen gleich einem Schlangenknäuel fortkroch, hatten sich andere in weiter Ferne in horchender Stellung zur Erde geworfen, die, ihre Köpfe tief in den Boden eingedrückt, lauschend auf die Bewegungen ihrer Gegner, denen sie sich windend zuletzt näherten, plötzlich aufsprangen und über sie herfielen. Als dieses kriegerische und die Sinne äußerst schärfende Spiel einige Male wiederholt worden war, formten sie sich in die sogenannte indianische Reihe und rückten zum wirklichen Kampfe mit drohenden Gebärden aufeinander los. Ihre stumpfen hölzernen Tomahawks schwingend und schreckliche Hiebe einander zumessend, bewegten sie sich, flohen, prallten an, krümmten sich unter den Hieben oder wichen ihnen aus mit den plumpesten, ungeschlachtesten und hinwieder graziösesten Wendungen.
Nicht die mindeste Neugierde oder Teilnahme der übrigen Bewohner des Dörfchens. Die größte Apathie und die größte Kraftäußerung bildeten hier durch ihre Ungezwungenheit nur um so größere Kontraste. Vor den offenen Hütten saßen einige Squaws mit ihren Töchtern, Welschkorn aushülsend, Hanf brechend oder Tabakpflanzen schichtend; die Kinder hingen an den Außenwänden auf einem langen, hohlen, trogartigen Brettchen oder einer Rinde ausgestreckt, ihre Hände und Füße mit Wildbüffelriemen an das hohle Brett geschnallt, mit keiner andern Bekleidung als einem Streifen Kaliko um die Hüften: die gewöhnliche Art dieser Indianer, ihre Kinder das ganze Leben hindurch in der aufrechten Stellung zu erhalten, die sie und ihre Besieger so sehr charakterisiert.
Nicht ferne vom obern Ende der Niederlassung standen zwei größere Hütten, die man auf den ersten Anblick für hölzerne Schulgebäude oder religiöse Versammlungsplätze in unsern Hinterwäldern hätte nehmen können.
Beide waren gleich den übrigen an Sykomorebäume gelehnt, zeichneten sich jedoch sowohl durch ihren großem Umfang, als ihre gesuchtere Bauart aus und waren von Lauben von Palmen und Mangroven umgeben, mit ziemlich großen Rasenplätzen vor den Türen. Vor einem dieser kleineren Häuser und mitten auf dem freien Rasenplätze kauerte eine Gruppe von etwa fünfzig Männern am Boden, in dichte Rauchwolken gehüllt, die Tabakspfeifen von drei bis fünf Fuß Länge entstiegen, mit denen alle versehen waren. Ihre Kleidung bestand in einem Jagdhemde von Kaliko, das, vorn offen, die nackte Brust bis zum Wampumgürtel sehen ließ. Ihre Lendenhemden, am Wampumgürtel befestigt, reichten bis an die Knie und an einem Riemen, der quer über die Schultern hing, war ihr Tabaksbeutel befestigt. Sie trugen ihr volles Haar, und keiner hatte den sogenannten Skalpierzopf. Obgleich die Versammlung bloß zufällig und die Unterhaltung mehr eine vertrauliche schien, so hatten die Männer doch augenscheinlich ihre Plätze nach ihrem Range eingenommen. Der innere Halbzirkel nämlich war von den Ältern besetzt, während die Jüngern einen zweiten und dritten Halbkreis bildeten. In der Mitte dieses Bogens saß ein alter Mann, auf den die Blicke der Versammlung mit einem besondern Ausdruck von Vertrauen und Ehrfurcht gerichtet waren und dessen merkwürdiges Äußere, verbunden mit dieser ausgezeichneten Achtung, das Oberhaupt des Völkchens andeutete.
Es ließ sich nicht leicht etwas Interessanteres denken als diesen Mann, dessen Körper aus nichts als Haut und Knochen zu bestehen schien. Alle fleischigen, gröbern Teile waren aufgetrocknet und nichts war übriggelassen als Sehnen und Adern. Sein offenes Jagdhemde ließ eine Brust erblicken, die, viel breiter als die der übrigen, einem verhackten Brette glich und ein gräßliches Hautrelief von Narben und Wunden darbot. Auf dem Gesichte ruhte finsterer, stoischer Ernst, mit einem Ausdrucke von Resignation, der seinen stolzen vertrockneten Zügen ein seltsames Gepräge schwerer Kämpfe und furchtbarer Seelenleiden gab. Sieben Jahre von Verbannung und der Sturz seines Stammes hatten diese Veränderung im Miko der Oconees hervorgebracht. Sein Haupt war auf die Brust gesunken, und er saß vertieft in Gedanken.
»So hat denn unser Volk abermals eine Hälfte seines Landes verloren«, sprach ein alter Indianer, der im inneren Halbzirkel saß, mit einer Betonung, die zwischen Frage und Bemerkung die Mitte halten sollte.
Der alte Mann, den wir soeben beschrieben, hielt eine Weile inne und sprach dann, ohne seine Stellung zu verändern, im tiefen Kehlentone und mit einer Würde, die jeden Zweifel zu verbieten schien.
»Ein Elk kann dreimal über unseres Volkes Land zwischen Sonnenauf– und Untergang jagen.«
Dem Indianer, der die Frage getan, entfuhr ein tiefes Klaggestöhn; dann griff er in den Tabaksbeutel, nahm einige Blätter zwischen die Finger und den Daumen und schnitt sie in kleine Teilchen, die er in die flache Hand fallen ließ, einigemal mit der andern rieb und dann in seine Pfeife stopfte. Er zündete diese sofort mittelst eines Schwammes an, setzte sie auf die Erde und hüllte sich in eine Rauchwolke.
»Und der heilige Grund wurde gefärbt mit dem Blute der roten Männer?« fragte ein zweiter.
»Der Gräber der Erschlagenen sind zwanzigmal mehr, als der Männer der Oconees, die nun mein Auge sieht«, erwiderte der Miko in demselben Trauertone. »Ihre Leichname lagen auf der Erde gleich den Blättern der Bäume, und die langen Messer und die Gewehre der Weißen waren tief in ihr Blut getaucht. Nie werden die Creeks imstande sein, die Tomahawks aus dem Grunde zu graben. Aber«, fuhr er fort, sein Antlitz erhebend, dessen Züge einen besonderen Ausdruck annahmen, während seine schwarzen, feurigen Augen Blitze schossen, »Tokeah hat es seinen Brüdern vorausgesagt, als er vor sieben und vor siebenmal sieben Sommern zu ihnen gesprochen. Seht, das waren seine Worte: Der weißen Männer sind nur wenige, ihre Stärke ist die der Weinrebe, die sich um unsre Bäume windet. Ein einziger gut treffender Hieb des Tomahawks, und die schwache Ranke ist vom Baume gehauen, und er ist befreit von der wuchernden Schlingpflanze. Laßt sie aber nur zehn Jahre wachsen, so wird sie ihre Sprößlinge um die Bäume winden, mit ihren verräterischen Armen sie umschlingen und sie langsam töten. Seht in diesen Reben den weißen Mann; schwach ist er gekommen, schwach war er noch, als Tokeah zuerst seinen Tomahawk geschwungen; aber er hat sich seitdem gewunden und gekrümmt wie die Rebe, und wie die Rebe hat er sich über unsre Wälder und Täler verbreitet und zahlreich wie die Reben sind die Weißen geworden und werden, so wie diese unsre Bäume, uns ersticken mit ihrem Feuerwasser und uns ertöten mit ihren langen Messern und aufessen mit ihrem nimmersatten Hunger. Und alles Korn unsrer Felder und Wild unsrer Wälder wird nicht zureichen für ihre ewig leeren Magen, und der rote Mann wird weichen müssen vor ihnen. Es ist geschehen«, sprach der alte Mann mit feierlicher Stimme. »Nochmals hat sie der Miko vor sieben Sommern gewarnt. Es war seine letzte Warnung. Damals hat er seine Boten zum großen Tecumseh gesandt, das Band der Einigung zwischen beiden Völkern wieder anzuknüpfen. Seine Boten haben die Pfeife des Friedens mit dem großen Häuptling geraucht, und er hat versprochen loszuschlagen, wenn die Muscogees das Kriegsgeschrei erheben würden. Aber unsre Brüder unter den Muscogees haben ihre Augen und Ohren vor dem Miko verschlossen und Tokeah als einen betrachtet, der damit umging, den Samen der Zwietracht zwischen seinen Brüdern und den Weißen zu säen. Ja!« sprach er mit Würde nach einer kurzen Pause. – »Tokeah hat gesucht, diesen Samen der Zwietracht zu säen, er hat sich bemüht, die verräterische Freundschaftskette zu brechen, welche die Roten mit den Weißen nicht verband, sondern sie fesselte an diese. Ja, er wollte den Samen der Zwietracht säen, auf daß die Saat seine und ihre Feinde vertilge, sie vertilgt für immer von dem Lande unsrer Vorfahren, auf dem wir nun heimatlose Flüchtlinge sind. Aber die Muscogees wähnten im Miko einen Verräter zu sehen, und die falsche Zunge seiner Brüder, die das Feuerwasser der Yankees und Korallen mehr liebt, als die Freiheit, hat seine Reden dem weißen Vater verraten, und Tokeah hatte das Land seiner Vater zu meiden, wollte er nicht den Feinden seines Geschlechtes ausgeliefert werden. Der große Geist hat die roten Männer verblendet, so daß sie ihre wahren Brüder nicht mehr erkennen konnten und im Miko der Oconees ihren Feind sahen. Sie haben zugegeben, daß die Yankees sich über das ganze Land verbreitet, und, nachdem sie zahlreicher geworden als der Büffel auf den Fluren der großen Cumanchees, haben sie, die Toren, das Kriegsgeschrei erhoben, und wurden – geschlagen und vernichtet.«
Ein dumpfes Stöhnen erhob sich in der Versammlung und dauerte eine geraume Weile. Der Sprecher fuhr fort.
»Ihre bleichenden Gebeine sind nun mit Erde bedeckt, und ihr Blut ist vom Regen weggewaschen; aber ihr Land ist von ihnen genommen, auf ihren Flüssen schwimmen nicht mehr ihre Kanus. Die Rosse der Weißen laufen nun auf breiten Pfaden durch ihre Wälder, die angefüllt sind mit Krämern und absterben durch ihre verwüstenden Hände. Was ihre Kugeln und ihre langen Messer übriggelassen, wird ihre gekrümmte Zunge, ihr Feuerwasser vollends aufreiben. Tokeah hat ihn gesehen, den heiligen Grund, er hat sie gesehen, die verbrannten, zerstörten Dörfer seines Volkes, er hat also gesehen seine Brüder, sie gesehen, wie sie vor den Häusern mit gemalten Schildern lagen, Schweinen gleich, ihre Gewehre und Tomahawks mit Kot besudelt, sie selbst die Zielscheibe der Verachtung und Beschimpfung der schwarzen Sklaven.«
Die letzten Worte hatte er mit einer beinahe schmerzlichen Wut mehr herausgestoßen als ausgesprochen. Ein dumpfes Geheul entfuhr der Versammlung. Der alte Mann fuhr fort:
»Durch die Wälder, in denen Tokeah als Häuptling, als ein mächtiger Miko gejagt, hat er gleich einem Diebe im Dunkeln schleichen müssen, wenn die Sonne hinter den Bergen war. Sein Volk, die Blüte des roten Geschlechtes, hat er im Unflate, in Pfützen sich wälzen gesehen.« Als er diese Worte gesprochen, fiel sein Haupt wieder in seine beiden Hände, und eine lange Pause erfolgte.
»Und hat der große Miko nicht zu seinen Brüdern geredet?« fragte der zweite Indianer. Der Häuptling erhob sein Antlitz und betrachtete den Sprecher einige Augenblicke mit einem würdevollen Ausdrucke.
»Hat mein Bruder vergessen,« sprach er endlich, »daß unsre roten Brüder jenseits des großen Flusses selbst das Band zerrissen haben, welches Tokeah und seine Männer an sie knüpfte, und daß sie ihn und die Seinigen verrieten und sie zwangen, dem Lande ihrer Väter den Rücken zu wenden? Nur ein Tor wird zweimal sprechen. Seine Brüder haben ihre Ohren verschlossen vor sieben Sommern, als es noch Zeit war, einen Schlag zu tun; und nun hat der Miko seinen Mund verschlossen. Seine Zunge war gebunden, als er das Grab seiner Väter zum letzten Male sah; denn sein Herz war mit seinen treuen Männern. Aber nicht lange, und die Muscogees werden von den Weißen aus ihrem noch übriggebliebenen Besitze getrieben werden, so wie sie die Hirsche und Elke über den großen Fluß getrieben. Sie werden kommen, um ihre Wigwams auf dieser Seite des großen Flusses aufzuschlagen; dann wird Tokeah seine geöffnete Hand ausstrecken, um sie zu empfangen. Sein Wigwam wird für sie bereitstehen. Seine Männer haben Fülle von Wild und Korn, und ihre Mädchen wissen Jagdhemden zu weben. Er wird teilen mit den Ankommenden, was er besitzt, und dann wird die gebrochene Kette des Verbandes wieder geschlossen werden.«
Der laute achtungsvolle Zuruf, mit dem die Worte des Sprechers aufgenommen wurden, schien eine schmerzliche Wirkung auf ihn hervorzubringen; ohne ein Wort zu erwidern, neigte er sein Haupt auf seine Brust und versank wieder in tiefes Sinnen.
Die Sonne sank nun in einer Flut von Glorie den westlichen Rücken des Natchez hinab, der breite Gürtel des östlichen schimmerte noch in tausend prachtvollen Tinten. Allmählich schmolzen die gold– und purpurfarbenen Gipfel der Bäume in graues Helldunkel, der silberne Wasserspiegel des grauen Natchez dämmerte ins Dunkelblaue – die Natur schien sich zur Rast begeben zu wollen – ruhig, friedlich, prachtvoll. Der Miko warf einen letzten Blick auf die zitternd zaudernden Strahlen, als sie ermattend ineinander verschmolzen; allmählich zogen sich seine Schenkel aus ihrer kreuzweisen Verschlingung voneinander, und die Fersen auf den Boden stemmend, erhob er sich langsam ohne Anstrengung und ohne seine Hände zu gebrauchen. Sein Aufstehen war das Zeichen des allgemeinen Aufbruches. Alle erhoben sich auf dieselbe Weise, und es schien einen Augenblick, als wenn sie aus der Erde gewachsen wären.
Der Häuptling schritt nun auf das hinter der Laube stehende Häuschen zu. Nachdem er eingetreten, schloß er die Tür hinter sich. Das Innere bestand aus zwei Stübchen, die voneinander durch einen Teppichvorhang getrennt waren. Der Fußboden und die Wände waren mit Matten überzogen. Längs den Wänden lief ein niedriger Sitz, einem Diwan nicht unähnlich, und ganz mit spanischem Moose ausgefüllt und gleichfalls mit einer Matte überzogen. Zunächst der einen Wand stand eine längliche Tafel von einfacher, kunstloser Arbeit. Auf derselben Seite hing ein Karabiner von amerikanischer Arbeit und daneben ein zweiter sehr schön gearbeiteter, doppelläufiger Stutzen und eine Jagdflinte. Gegenüber waren indianische Waffen in zierlicher Ordnung gereiht: Köcher von Damhirsch– und Alligatorfellen, Bogen, Schlachtmesser und Tomahawks. In der Mitte war eine ziemlich große, kunstreich verzierte Tasche zu sehen, die, einer Jagdtasche nicht unähnlich und auf Wampumart reichlich gewirkt, wahrscheinlich die mysteriöse Medizin des Häuptlings enthielt, die bekanntlich von Vater auf Sohn übergeht, und welcher der amerikanische Wilde, als Symbol der Gewalt, ebensoviele Ehrfurcht bezeugt, als die europäischen Völker den Zeptern, Tiaren und Kronen ihrer geistlichen und weltlichen Herrscher vor alters erwiesen. Die Dämmerung, kurz in diesen Gegenden, war bereits in Dunkelheit übergegangen, als zwei weibliche Gestalten in die Stube traten.
»Meine Töchter sind lange ausgeblieben«, sprach der alte Mann, der sich auf dem erwähnten Tillandseasitze niedergelassen hatte, seinen Kopf in beiden Händen ruhend.
»Sie haben die Trauben gesammelt, die Vater so sehr liebt«, erwiderte eines der Mädchen.
Canondah, die mit Rosa zurückgekehrt war, nahm nun ein irdenes Geschirr, füllte es mit Trauben und setzte es mit zwei andern, deren eines getrocknete Hirschschinken und das andere geröstete Maiskörner enthielt, vor ihren Vater. Sie goß dann eine Flüssigkeit aus einem irdenen Kruge in einen Becher und reichte diesen gleichfalls dem alten Mann, der, nachdem er einen Zug getan, ihn wieder zurückstellte, hierauf einige Stücke vom Hirschschinken schnitt und eine Handvoll gerösteten Kornes nahm. Sein Mahl war ebenso schnell geendigt, als die Vorbereitungen dazu kurz waren, und in wenigen Minuten räumte Canondah die Tafel.
»Sind meine Kinder nicht hungrig?« fragte er seine mit Wegtragung der Gerichte beschäftigte Tochter.
»Sie haben von den Trauben gegessen.«
»Gut!« versetzte der alte Mann und legte sein Haupt wieder in seine vorige Stellung. Das Mädchen hatte kaum diese Bewegung bemerkt, als sie vorwärts glitt, und, vor dem Häuptling niedersinkend, ihre Hände auf ihrem Busen faltete. Er hatte die seinigen auf ihre Schultern gelegt, gleichsam als segnete er sie. So wie sie die Berührung fühlte, brach sie in eine Art melodischen Sumsens aus, das dem Tone entfernter Blasinstrumente nicht unähnlich war. Allmählich jedoch wurde ihre Stimme lauter und stärker, wirbelnd ging sie in die wilden leidenschaftlichen Töne ihres Volksstammes über und wieder in die sanftern der weiblichen Brust. Als sie eine Weile in ihrem improvisierenden Gesang fortgefahren, schien sich ihre Begeisterung dem alten Manne mitzuteilen. Er beugte sich herab zur Sängerin, und seine Stimme vereinte sich mit der ihrigen in den gewöhnlichen tiefen indianischen Kehlentönen. Plötzlich hielt sie inne und fragte singend in den melodischsten Tönen nach der Ursache der Schwermut ihres Vaters.
»Warum«, sang sie, »ist der Blick des Miko der Oconees trübe, sein Angesicht verfinstert? Er ist ferne von den Gräbern seiner Väter, aber der große Geist ihm nahe; seine Wolken schwimmen beschützend über seinem Haupte, ihn verbergend seinen Feinden, auf daß sie ihn nicht sehen mögen, bis er erstehen wird in seinem gerechten Zorne.« Und sie brach aus in eine melancholische, wild prachtvolle Phantasie, besingend die Großtaten der Mikos der Oconees auf dem Kriegspfade und auf der Jagd; dann sang sie den Ruhm ihres Vaters, seine Wunden und Taten, malte die Schlachten, die er gegen die Tscherokesen und die Weißen geliefert, die Gefahren seines Zugs über den großen Fluß, seine kindliche Frömmigkeit, die ihn nicht ruhen ließ, bis er wieder die Gräber seiner Väter gesehen hatte, und ihren Ton herabstimmend, rief sie den großen Geist an, seinen Pfad von Dornen auf der bevorstehenden Jagd freizuhalten.
Es war nicht ein eigentlicher Gesang, sondern vielmehr eine Improvisation; aber die reiche Melodie und die außerordentliche Biegsamkeit ihrer Stimme, die von den tiefsten Tönen zu den höchsten hinaufwirbelte und wieder das seufzende Lüftchen oder den heulenden Sturm nachahmte, und zuletzt gleich einer begeisterten Seherin Trost wie aus höheren Sphären sprach – alles dies gab ihrem Gesange eine unbeschreibliche Wirkung.
»Meine Tochter«, sprach der alte Mann, »hat vergessest, zum Lobe des großen Häuptlings der Cumanchees zu singen.«
»Sie will ihre Töne in sein Ohr wispern, wenn er im Wigwam ihres Vaters sein wird«, erwiderte sie. »Gut!« war die Antwort.
»Und hat die weiße Rosa keine Zunge, den Gesang der Oconees zu singen?« fuhr er nach einer kleinen Pause fort. Canondah wandte sich und fühlte mit ihrer Hand. Keine Rosa war da. Sie stand auf, suchte herum in der dunkeln Stube, die weiße Rosa war nicht zugegen.
»Sie ist unter dem großen Baume«, sagte sie, indem sie sich langsam, und wie es schien, mit einem schweren Herzen anschickte, sie aufzusuchen.
Als Rosa mit Canondah ins Zimmer getreten war, zog sie sich zum Vorhange zurück, der beide Stübchen voneinander trennte. Da blieb sie ängstlich harrend eine Weile stehen, wahrscheinlich in der Hoffnung, der Häuptling würde sogleich nach seinem Mahle sich zur Ruhe begeben.
Als Canondah jedoch sich vor ihm niederließ und in die wohlbekannten Töne des Nachtgesanges ausbrach, schien sie ihre ganze Besonnenheit zu verlieren. Sie schwankte vorwärts, rannte zurück – sie zitterte und bebte. Endlich eilte sie rasch durch die Türe in das zweite Stübchen, legte ihr Seidenkleid ab und warf sich in ein leichtes Kalikoröckchen, nahm dann eine Wolldecke, warf sie über einen Korb und stahl sich ins erste Gemach. Zitternd war sie an der Schwelle angelangt, bebend hatte sie diese überschritten. Ihre Brust schlug laut, ihre Knie schlotterten, als sie sich der Wand näherte und die mysteriöse Tasche berührte und endlich durch die Dunkelheit bis zur Türe forttappte.
Die Bewohner des Dörfchens waren bereits in tiefen Schlaf begraben, die Gipfel der Bäume glänzten im silbernen Mondlichte gleich Riesengestalten, während die Nachtdünste von dem nahen Wasserspiegel, ähnlich den Geistern der Vorwelt, in ungeheure Leichentücher gehüllt, über die Hütten wellenförmig sich fortbewegten. Nicht eine menschliche Gestalt war zu sehen. Das Mädchen hielt eine Weile inne und eilte dann rasch, gleich einem erschrockenen Damhirsche vorwärts, dem Pfade zu, der längs der Niederlassung dem Walde zuführte. Keuchend und erschöpft war sie mit ihrer Bürde vor der Baumhöhle angekommen. Da hielt sie inne für einen Augenblick, sah sich furchtsam um, ob sie gesehen würde, näherte sich der Öffnung und zog sich wieder zurück. Der Fremde ist kalt und krank und hungrig, wisperte sie sinnend. Und mit einem Satze war sie über einen der Blöcke. Der Verwundete schlief. Sie kauerte sich zu ihm herab und streifte das Moos ab, mit dem er bedeckt war. Das Blut floß noch immer in großen Tropfen und hing in geronnenen Klümpchen am seidenen Tuche. Sie löste es behutsam ab, befühlte die Wunde und goß eine flüssige Substanz hinein. Ein Schmerzensschrei entfuhr dem Fremden.
»Stille, ums Himmels willen stille!« bat das Mädchen. »Es ist Balsam, und Balsam aus der Medizintasche des großen Miko. Er wird deine Wunde heilen. Aber die Bäume haben Ohren und der Wind bläst von unten herauf. Ich bin es, Canondah ist es«, wisperte sie mit einer Stimme, deren Zittern sie Lügen strafte.
»Es ist Canondah«, wiederholte sie, indem sie noch einige Tropfen Balsams in seine Wunden goß, sie dann mit Bandagen umwand und endlich verband. »Hier«, flüsterte sie, »ist der Saft von Trauben. Hier ist gebratenes Fleisch von unsern Wasservögeln und Wildbret. Und dies wird dich warm halten«, fuhr sie fort, ihn in die Wolldecke hüllend. Noch einmal wandte sie sich, als sie am Ausgange stand und dann kletterte sie wieder zurück über den Stamm und floh ihrer Wohnung zu. Je näher sie der Hütte kam, desto langsamer, schwankender wurden ihre Schritte. Als sie in die Laube trat, suchte ihr Auge die Gestalt Canondahs.
»Rosa«, murmelte die Indianerin. »Was hast du getan? Der Miko hat nach dir gefragt?«
»Hier«, erwiderte das Mädchen, ihr atemlos die Phiole reichend.
»Komm!« sagte die erstere, und sie bei der Hand fassend, traten beide in die Stube.
»Die weiße Rosa hat das Blut von ihren Wangen verloren; seit den letzten zwei Monden sind ihre Augen mit Wasser gefüllt. Der Häuptling der Salzsee wird sie trocknen«, sprach der alte Mann.
Ein tiefer Seufzer entstieg der Brust des Mädchens. Sie begann zu schluchzen und laut zu weinen.
»Die weiße Rosa«, fuhr der Miko kalt und ruhig fort, »wird das Weib eines großen Kriegers sein, der ihr Wigwam mit der Beute seiner Feinde füllen wird. Ihre Hände werden nie arbeiten dürfen, und sie wird von allen Squaws beneidet sein.« Und mit diesen Worten streckte er seine Schenkel auf die Bank, hüllte sich in seine Wolldecke und legte sich zur Ruhe. Canondah ergriff Rosas Hand, und sie sanft mit sich in das zweite Gemach ziehend, führte sie sie gleichfalls ihrem ländlichen Diwan zu und drückte sie sanft auf diesen nieder.
Rosa legte sich schweigend, aber vergeblich bemühte sie sich, ihre Augen zu schließen. Die blasse, sterbende Gestalt des Fremden stand vor ihrem Blicke und raubte ihr Ruhe und Rast. Eine Stunde verging nach der andern, und sie war noch immer wach. Endlich ließ sich ein Geräusch in der Vorderstube hören, das andeutete, daß der Miko bereits aufgestanden war.
Canondah sprang vom Lager, näherte sich Rosen, bog sich über das Mädchen, legte ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und eilte in ihres Vaters Stube. Der Häuptling war mit Anstalten zu einem weiten Ausfluge beschäftigt, der großen Herbstjagd nämlich, die bei diesen Stämmen mehrere Wochen und selbst Monate dauert und sich über Landstrecken von Hunderten von Meilen ausdehnt. Seine Vorbereitungen waren bald getroffen. Er nahm einen großen Beutel, mit Tabak gefüllt, einen andern mit Blei, legte beide sorgfältig in seine Jagdtasche und hing diese über seine Schulter. Hierauf steckte er sein Schlachtmesser in seinen Gürtel und nahm den doppelläufigen Stutzen. Ein junger Indianer trat herein, dem er Bogen, Pfeile und einen Sack, mit Lebensmitteln gefüllt, übergeben ließ. Seine Tochter hatte dies schweigend getan. Sie stand nun mit gefalteten Händen und erwartete die Befehle ihres Vaters. Dieser legte seine flache Rechte auf ihre Stirne, blickte ihr eine Weile teilnehmend ruhig ins Gesicht – dann schienen seine Züge sich zu mildern, die Augen von Vater und Tochter begegneten sich, und gleichsam als ob sie sich verständigt hätten, wandte sich ersterer der Türe zu.
An fünfzig Männer waren bereits vor der Hütte versammelt, vollkommen gerüstet und bewaffnet. Still und schweigend waren sie gekommen; kein Laut, kein Fußtritt war zu vernehmen gewesen. Kaum war ihr Häuptling in ihrer Mitte, als sie eben so still sich ihm anschlossen und mit einer Heimlichkeit der Uferbank zueilten, die im Zwielichte beinahe Grauen erregte.
Die Tochter hatte ihren Vater nicht weiter als bis zur Türe begleitet, wo der Wink des letztern sie stillstehen hieß. Horchend stand sie eine Weile, bis der leise Wasserschlag der Ruderer gehört wurde; dann schloß sie die Türe und eilte ins innere Gemach.
»Sie sind gegangen«, sagte sie.
»Dann laß uns zum Fremden eilen«, erwiderte Rosa.
»Die weiße Rosa«, sprach die Indianerin im milden, aber ernsten Tone, »muß schlafen, sonst wird ihr blasses Gesicht verraten, was in ihrem Busen begraben ist. Meine roten Schwestern sind fein und verschlagen, ihre Augen weit offen. Sie würden die Spuren leicht finden, die wir gestern im Rohrfelde gelassen haben. Ein Mädchen könnte nun den Miko einholen. Canondah will nach dem Fremden sehen; aber ihre Schwester muß ausruhen.« Sie preßte ihre Freundin sanft auf das Lager und verschwand hinter dem Vorhange.
War es die ruhige, milde Sprache der Indianerin, deren Treue und schwesterliche Liebe ihr wohl bekannt sein mochte, oder Müdigkeit? Rosa fiel nach wenigen Minuten in einen tiefen Schlaf.
Fünftes Kapitel
Der Indianer hat neben vielen edlen und großartigen Zügen, die zusammengenommen feinen Nationalcharakter bilden, und zwar einen Nationalcharakter, dessen moralische Höhen und Tiefen bei weitem noch nicht gehörig gewürdigt sind, einen, der ihn minder vorteilhaft kleidet und den der Sittenmaler seiner Nation gerne vermissen würde. Es ist dies die auffallend rohe, selbstische Gleichgültigkeit oder vielmehr Fühllosigkeit, mit der sie ihre Weiber behandeln: eine Fühllosigkeit, die zwischen den unglücklichen Geschöpfen und einem Haustier nur wenig Unterschied kennt. Vielleicht sind dieser Fühllosigkeit einzig und allein jene schwarzen Flecken zuzuschreiben, die ihrem häuslichen und öffentlichen Leben den so widerlichen Stempel tierischer Grausamkeit und Unempfindlichkeit und hinwieder der stupidesten Indolenz aufdrücken: ein Stempel, der aus einem indianischen Sittengemälde bloß eine fortgesetzte Szene von Grausamkeiten oder ekelhaftem Faulleben bildet, nur selten durch eines jener sanftem Reliefe aufgehellt, die ein höherer Grad von Achtung gegen das weibliche Geschlecht notwendig erzeugen müßte. Die indianischen Völkergeschichten haben auffallend bewiesen, daß Nationen, wo bloß die eine Hälfte Menschenrechte genießt, immer nur Wilde oder Barbaren sein werden, und daß jene Reibung im gesellschaftlichen Leben, wo das Weib dem Manne mit gleichem Rechte gegenüber steht, zur Veredlung des Geschlechtes unumgänglich nötig sei.
Ein Volk, bei dem das Weib auf einer, ihrer ursprünglichen Würde nicht angemessenen Stufe steht, wird jederzeit mehr oder weniger barbarisch sein, und der richtigste Maßstab der Aufklärung eines Volkes wäre wohl das Verhältnis, in welchem die zweite Hälfte zur erstern in ihren Privat– und öffentlichen Verhältnissen steht. Des Weibes Bestimmung ist weder die des Lasttieres, noch der Sklavin der sinnlichen Begierden des Mannes – sie soll weder das frivole Spielwerk müßiger Stunden, noch die Abgöttin seiner törichten Leidenschaften sein. Sie soll sein die Teilnehmerin an dem Wohl und Wehe ihres Mannes – seiner drückenden sowie erhebenden Gefühle innigste Vertraute, die Freundin seines Herzens, der Leuchtturm seines Verstandes, der ihn auf seinem Lebenspfade leitet, der schützende Genius seiner Kinder, der künftigen Generation. Des Mannes ertötender Sinn soll sie aufregen, und so wie sie die beschützende Gottheit des häuslichen Heiligtums ist, soll sie wehren helfen durch Mut und Festigkeit, daß keine verruchte Hand sich an diesem vergreife. Nur die Nation, wo das Weib dieses errungen, sich so hoch emporgeschwungen, – nur sie ist zur Freiheit geboren. Und nie wird diese Göttin einkehren, wo sie nicht ihren häuslichen Herd unbeschränkt besitzen und dem Tyrannenknecht das Eindringen in ihr Heiligtum wehren darf und kann.
Es ist merkwürdig und unsern Satz ganz bestätigend, wie bei jenen wilden Stämmen und Völkerschaften, die allmählich eine gewisse Kulturstufe erreicht, auch der Zustand des weiblichen Geschlechtes sich verbessert hat. Die Weiber der Tscherokesen sind bereits mehr Ehehälften ihrer Männer als die der Creeks, und so richtig und bestimmt ist dieser Maßstab, daß die Grenzlinie der Weiberrechte bei den verschiedenen Nationen auch die der größern individuellen Freiheit und nationalen Kultur sind.
Das Völkchen, von dessen Niederlassung wir im vorhergehenden Kapitel eine Schilderung gegeben, war gewissermaßen auf der ersten Stufe gesellschaftlicher Kultur. Die Morgenröte war herangebrochen, es hatte bereits einen Vorgeschmack von den Vorteilen, die Ackerbau und die verschiedenen Künste des Lebens diesem gewähren, und obwohl dies bloße Anfänge waren, so hatten sie doch bereits einen bedeutenden Einfluß auf das Wohl und Wehe ihrer Weiber geäußert. Diese Weiber waren zwar noch immer ihren Männern dienstpflichtig, sie hatten mit ihren Töchtern Korn zu säen, zu pflügen, umzugraben, zu ernten, den Tabak zu bauen, die Hirsch– und Alligatorhäute zu gerben und ihren Kotton zu spinnen; aber eben die gesteigerten Bedürfnisse ihrer Männer und ein gewisses Behagen, das im friedfertigen ununterbrochenen Genusse derselben sich mit eingeschlichen hatte, konnte nicht verfehlen, ihren Weibern in ihren Augen eine größere Wichtigkeit zu geben, die allmählich auch größere Achtung zur Folge hatte.
Vielleicht trug der Umstand, daß Canondah an der Spitze der zweiten Hälfte dieses Völkchens stand, das Seinige dazu bei. Das unbegrenzte Vertrauen der Männer zu ihrem Vater und ihre tiefe Ehrfurcht konnte sich natürlicherweise nicht roh gegen seine Tochter äußern. Abgesehen von diesem Umstande war auch Canondah ganz dazu geschaffen, ihr Geschlecht im Wigwam in eine höhere Stellung zu bringen, und alle ihre Handlungen schienen zu beweisen, daß sie das unrichtige Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern nicht nur erkannt, sondern auch darauf ausging, es in ein weniger beleidigendes umzuwandeln. Das Mädchen hatte einen Scharfsinn, einen Mutterwitz, der unter den roten Naturkindern nicht selten zu finden ist und einen richtigen Takt zur Grundlage hat, der sie gewöhnlich sicherer leitet, als unsere durch Pensionsanstalten verschraubten Figürchen. Mit unerreichbarer Gewandtheit hatte sie gewußt, jeden Umstand zu benutzen, der sie auf eine nähere oder entferntere Weise ihrem Ziele zuführen konnte, eine gewisse wohltätige Herrschaft, die sie gleich einem Netze über die Männer auszubreiten und mit unverrücktem Blicke zum Besten ihrer Schwestern zu verfolgen wußte. Sie hatte ihre Erziehung in einer jener vortrefflichen Anstalten erhalten, die der philanthropische Oberst Hawkins unter den Creeks zum Behuf ihrer sittlichen und bürgerlichen Bildung errichtet, und hatte sich in vielen Zweigen der weiblichen Haushaltung auf eine Weise vervollkommnet, die sie zu einer trefflichen Hausfrau auch unter zivilisierten Völkern gemacht haben würde. Sie strickte und wob vortrefflich, ihre Röcke und Jagdhemden saßen am besten, ihr Wein war wohlschmeckender und feuriger, als der von andern Weibern oder Mädchen gekelterte: ja sie hatte während ihres Wohnens unter den Amerikanern sogar das Geheimnis, das unschätzbare Feuerwasser zu ziehen, glücklich ihren Wirten abgelauscht: ein Vorteil, dessen Bedeutung sie vollkommen zu würdigen verstand, und den sie, als unverbrüchliches Geheimnis, nur mit Rosa teilte. Sie hatte hinlängliche Zeit, sich unter den Amerikanern aufzuhalten, um den ungeheuren Abstand zwischen den Frauen der Weißen und den Squaws ihres Volkes zu erkennen, und ihr zartfühlender Scharfsinn hatte sie auch richtig auf den Weg geleitet, diesem schreienden Mißverhältnisse nach Möglichkeit Einhalt zu tun. – In jeder Hütte war sie zu Hause, und wenn sie vorbeieilte an einer Türe, so wich sie auch nicht, bis der Mann sein pflügendes oder grabendes Weib abgelöst hatte. Sie belohnte die Willigen mit einer Kürbisflasche des deliziösen Feuerwassers, während sie sie dem Mürrischen oder Widerspenstigen mit demselben schlauen Lächeln mit reinem Quellwasser füllte. So hatte sie allmählich die Männer gewöhnt, die Lasten ihrer Weiber zu teilen. Sie hatte Mittel, allen zu gefallen und jeden zu lenken.
Die Morgenröte hatte kaum durch den Wald zu schimmern angefangen, als die dunkeln Gestalten der Squaws und ihrer Töchter dem Landungsplatze zueilten, wo einige Stunden zuvor ihre Männer und Väter sich eingeschifft hatten.
Der Fluß bildet da eine kleine Bucht, in welcher die Marine des Stammes, fünf Palmrindekanus, an Strängen von Wattap ruhig vor Anker lagen. Zu beiden Seiten des kleinen Hafens erhob sich das Ufer etwa zwanzig Fuß hoch; dieser Gürtel war mit Myrte und Mangrovgesträuch überwachsen, durch die ein Pfad sich schlängelte.
Die ältesten unter den Weibern hatten graue Haare, die in langen Flechten roßhaarartig über ihre Schultern hingen, ihre mumienartigen Gesichter waren runzlig und beinahe vertrocknet, und wenn ihre Züge einen gewissen Stumpfsinn verrieten, so deuteten hinwieder die schwarzfunkelnden, tiefliegenden Augen auf eine Wildheit, die zu schlummern und nur auf eine Gelegenheit zu lauern schien, um in ihrer ganzen ungezähmten Wut hervorzubrechen. Die Mütter zeigten bereits mehr Milde in ihren Gesichtszügen; auf sie hatte der Verkehr und das gesellschaftliche Leben mit den Amerikanern offenbar eine humanisierende Wirkung geäußert; die Mädchen jedoch waren durchgängig wohlgewachsen, viele grazienartig, ihre Kupferfarbe nicht viel dunkler als die sonnverbrannten Gesichter südlich europäischer Landschönen, obgleich ihre Züge ungleich mehr Ruhe und Besonnenheit ausdrückten, und wären es nicht die hervorragenden Backenknochen gewesen, welche die meisten entstellten, so könnten sie als Muster für den Bildhauer gedient haben. Sie trugen kurze Kalikoröckchen, die ihnen bis über die Knie gingen, um den Nacken jedoch hatten bloß wenige eine Bekleidung, alle hatten Mokassins und silberne Ohrringe. Nachdem die weibliche Partie sich versammelt hatte, teilte sie die älteste Squaw in drei Gruppen, deren jede einen bestimmten Anteil an der Arbeit erhielt, von welcher wir nun eine nähere Beschreibung geben wollen. Es war der Bau eines Palmenrindekanus.
Die erste Abteilung hatte kurze Pfähle abzuschneiden und in der Entfernung von einem und einem halben Fuße in die Erde zu treiben, so daß ihre Anzahl ungefähr vierzig wurde.
Die zweite nähte Stücke der Palmenrinde mit Wattap zusammen, hing sie dann auf die Pfähle und befestigte sie daran so, daß die Rinde lose hing und den beiden aufrecht gehaltenen Deckeln eines Buches ähnelte, dessen Rücken abwärts gekehrt ist. Die dritte Abteilung hatte Querhölzer zu setzen, um so den Rand auszupressen und dem obern Rahmen die Form zu geben, welche das Kanu erhalten sollte. Dieselbe Abteilung setzte dann die Rippen und legte die Bekleidung in breiten Streifen zwischen diese und die Rinde, während eine Anzahl von Mädchen Rippen und Rinde herauspreßten und so dem Boote Tiefe und den Seitenwänden Gestaltung gaben. Nachdem das Werk so weit vorgerückt war, legten sie Gewichte und Steine auf den Boden der Rippen, die früher im Wasser erweicht worden waren, und dann ließen sie das Ganze trocknen. Während der Arbeit, die eine Stunde gedauert haben mochte, war das tiefste Stillschweigen beobachtet worden. Es war kein Lachen, kein Schäkern zu hören, kein Umhertreiben zu sehen. Jede verrichtete die ihr angewiesene Arbeit, ohne einen Laut von sich zu geben, und die einzige, die etwas mehr Freiheit sich herauszunehmen schien, war Canondah. Das unruhige Mädchen schlüpfte unter den düstern Wesen mit der Miene eines verdorbenen Kindes umher, wisperte hier einem Lieblinge einen Scherz ins Ohr, zischelte dort einer andern zu und half einer dritten oder zwang einer vierten ein ruhiges Lächeln ab. Als die Weiber ihre Arbeit verrichtet hatten, trennten sie sich auf dieselbe stille düstre Weise.
Canondah trippelte auf ihres Vaters Hütte zu. Sie fand Rosen noch immer schlafend. Ein liebliches Lächeln spielte um den Mund des reizenden Kindes, und ihre zarten Lippen bewegten sich. Die Indianerin bog sich herab auf das entzückende Wesen und konnte nicht widerstehen, einen Kuß auf ihren Mund zu drücken. Rosa öffnete die Augen. »Canondah,« sprach sie, dieselben reibend, »ich hatte einen bösen, bösen Traum. Wir beide standen in einem tiefen, tiefen Tale, der Fremdling auf dem Berge – er kehrte uns den Rücken. Hast du ihn gesehen? Und ist er nicht mehr krank? Und sieht er nicht mehr so bleich aus, und zittert er nicht mehr fieberisch? Und bat er von den Früchten gegessen und von dem Weine getrunken?«
»Rosa«, versetzte die Indianerin mit einem schlauen Lächeln, »hat nicht so viel diese letzten zwanzig Sonnen gefragt. Der Fremde ist unter dem großen gefallenen Baume.«
»Aber wie kam er dahin?«
»Die Schultern Canondahs trugen ihn.«
»Und die Spur, die wir zurückgelassen, und die große Schlange und das gebrochene Rohr«, sprach das liebreizende Kind, in mädchenhafter Verwirrung errötend über die unschuldige Verstellung, mit der sie ihre Freundin zu täuschen suchte.
Die Indianerin, die ein Überschuß von sechs Jahren vor Rosa ohne Zweifel ein wenig mit den Künsten bekannt gemacht hatte, deren eines ihre Freundin soeben auf sie anzuwenden willig schien, brach in ein lautes Gelächter aus. »Seht einmal,« rief sie, »wie die weiße Rosa zu lügen gelernt hat in einer Nacht. Sie spricht zu ihrer Schwester von der Fährte und dem gebrochenen Rohre, um das sie sich gerade so viel kümmert wie der Miko um Glaskorallen, während ihr Herz bei dem Fremdlinge ist. Canondah wird die weiße Rosa dafür züchtigen.«
»Und wundert sich Canondah,« fragte die letztere im sanften Tone, »daß ihrer Schwester Herz bei dem Anblick eines weißen Bruders höher schlägt? Würde Canondahs Herz nicht auch klopfen, wenn sie, unter den Weißen lebend, plötzlich einen Bruder ihres Stammes, ihrer Farbe sähe?«
Die Indianerin starrte sie mit offenen Augen an. »Und sehnt sich meine Schwester zu den Weißen?« fragte sie gespannt.
Des Mädchens Haupt war auf ihr Kissen gesunken, sie weinte. Die Indianerin sprang an sie heran und schloß sie in ihre Arme. »Canondah will ihrer Rosa viele, viele Freude machen; aber sie darf nicht betrübt sein, sie darf nicht zu den Weißen, Canondah könnte nicht ohne sie leben. Aber komm,« fuhr sie fort, indem sie ihr ein Kalikokleid hinhielt, »Rosa muß heute dieses nehmen und die Squaws betrügen helfen.«
Das Mädchen schlüpfte seufzend in das Überröckchen, warf ein Tuch um ihren Busen, trippelte vor die Hütte, vor der ein klarer Quell sprudelte, und kehrte lieblich wie die Morgenröte in das Stübchen zurück, um mit der Freundin ihr Frühstück zu verzehren. Zwei Körbchen mit Trauben gefüllt, Kuchen von indianischem Korn und eine Schale Milch. Rosa schien mit Ungeduld in der Hütte zu verweilen; aber die Indianerin schwieg hartnäckig still, und kaum hatte sie ein paar Bissen gegessen, so schlüpfte sie allein zur Türe hinaus.
Rosa setzte sich seufzend zu einem kleinen Tischchen, auf dem ihr Arbeitszeug lag: ein Stück Seidenzeug, dessen Hiersein wohl Befremden erregen konnte.
Es war ein Stück ausgesuchten Gros de Naples, das bereits zu einem Kleide zugeschnitten war. Drei Stunden mochten verflossen sein, als die Indianerin zurückkehrte; ein zufriedenes Lächeln spielte um ihren Mund.
»Wir haben ein Kanu gebaut, während Rosa schlief,« sprach sie, »und sie muß mitgehen und unsre erste Fahrt sehen.«
Beide Mädchen gingen sofort dem Flusse zu, wo sich die Squaws und Mädchen neuerdings versammelt hatten und bloß auf die Tochter des Häuptlings warteten, um ihre Arbeit zu vollenden. Sobald die beiden Mädchen am Ufer angekommen waren, rissen die Squaws die Pfähle, an welche das bereits fertige Kanu befestigt war, los, und alle Hände waren beschäftigt, die Öffnungen mit Gummi auszufüllen. In einer halben Stunde war dieses getan. Die Alte, die das Ganze geleitet hatte, übersah nun noch einmal die einzelnen Teile, und als sie ihr »Gut« ausgesprochen hatte, winkte Canondah vier Mädchen, die sogleich das leichte Fahrzeug ergriffen und es dem Wasser zutrugen. Sie selbst, mit drei Gespielinnen, hatten sich mit Rudern versehen, und sie sprangen, als der Kahn ins Wasser gesetzt wurde, in denselben.
»Rosa«, rief die Indianerin, »ist ein wenig furchtsam, und muß deshalb zurückbleiben; aber das nächstemal, wenn das Kanu nicht bricht, wird sie mit uns kommen.«
Das Fahrzeug hatte sich inzwischen, einer leichten Feder gleich, in schaukelnde Bewegung gesetzt. Ein einziger Ruderschlag war hinlänglich, es weit in den Strom hinauszutreiben. Die Indianerin ergriff nun mit ihren Gespielinnen die Ruder.
Nichts konnte der Geschicklichkeit und Grazie gleichkommen, mit der die Mädchen ihre Ruder handhabten. Sie saßen im Hinterteile des Kahnes, und, das Ruder ins Wasser senkend und ihre Körper vorwärts biegend, brachten sie es schnell in eine parallele Linie mit ihrer Schulter, wandten die Schneide der Strömung zu und gewannen so die nötige Richtung. Die Art des Ruderns der Eingeborenen in diesen Gegenden unterscheidet sich von dem gemessenen Ruderschlage der Amerikaner und ist der Bewegung der Wasservögel nicht unähnlich. So wie die Ente ihren Fuß mit einem kurzen Stoß vorwärts wirft und dann zurückzwingt, mit ebenso vieler natürlichen Behendigkeit behandelten die Mädchen ihre Ruder. Zuerst fuhren sie eine kurze Strecke stromaufwärts, wandten sich dann und flogen mit Blitzesschnelle abwärts, wandten sich wieder und trieben so eine geraume Zeit ihr Spiel. Die andern Kähne hatten sich mittlerweile gleichfalls mit Mädchen gefüllt, und die sechs Schiffchen schienen nun ernstlich willens, sich in ein Wettrudern einlassen zu wollen. Zuerst stellten sie sich in eine Linie, und als mit lautem Rufe von dem Truppe der Squaws am Ufer das Zeichen gegeben wurde, setzten sie ihre Hände in Bewegung. Es war jedoch bald zu ersehen, daß das neue Kanu die Überhand gewann. Ehe die übrigen den ziemlich großen Bogen, den hier der Fluß bildet, verlassen hatten, war es bereits weit in der Strömung vorangeeilt, die unmittelbar darunter anfängt. Plötzlich wurde ein scharf durchdringender Schrei gehört. Noch einen Augenblick wurde das Kanu von den andern gesehen, und dann verschwand es zwischen dem Rohre. Von allen fünf stieg nun ein gleich durchdringender Schrei aus, der für die Mädchen und Weiber am Ufer das Signal zu einem um so schnellern Wettlaufe wurde, als Ängstlichkeit und Neugierde die spornende Veranlassung waren.
Rosa war sinnend dagestanden. Sie hatte wohl einen Schrei gehört, aber sie wußte nicht, woher er kam. Nun hatte sie sich vom Strudel mit fortreißen lassen und war so viel als möglich geeilt, mit den vordersten gleichen Schritt zu halten. Auch war es ihr eine Zeitlang gelungen, so lange nämlich als die Richtung, die die laufenden Weiber nahmen, nicht ganz deutlich war. Als aber die vordersten die Lichtung bereits überschritten und den bekannten Pfad einschlugen, begann ihr Herz zu pochen. Immer langsamer wurden ihre Schritte, ihre Füße schienen ihr den Dienst zu versagen, und sie mußte einige Zeit innehalten. Daß es dem Fremdlinge galt, dessen war sie gewiß. Aber warum hatte Canondah die Squaws selbst auf die Spur gebracht? Sie keuchte zitternd dem Pfade entlang, wo sie endlich, am Kottonbaume angelangt, Weiber, Mädchen, Jünglinge und Knaben versammelt fand, die Jüngern voll Verwunderung, die Alten mit finstrer Miene den Fremdling anstarrend.
Ein dumpfes Gemurmel, das sich erhob und stärker und stärker wurde, schien eben kein sehr günstiges Vorbedeutungszeichen der Gastfreundschaft der roten Weiber für den Jüngling, der, auf den Baumstamm gelehnt, seine Augen noch immer geschlossen hatte, allem Anschein nach sich dessen unbewußt, was um ihn herum vorging. Der Teppich und das Halstuch waren jedoch verschwunden, und seine Wunde lag den Blicken der Menge offen.
»Seht,« sprach Canondah, die mitten im Kreise der Squaws und Mädchen stand, »der Häuptling der Salzsee hat einen Boten in seinem Kanu gesandt, und die große Wasserschlange hat ihn gebissen.«
Sie warf diese Worte mit einer Zuversicht hin, die allem, was sie sprach und tat, jenes bestimmte Gepräge gab, dem man nicht leicht widersprechen konnte. Mit der nämlichen Offenherzigkeit erzählte sie, daß sie in ihrem Wettrennen bis zur Stelle gekommen, wo der Fremde es versucht hatte, sich dem Ufer zu nähern. Ob jedoch sie selbst ihre Gefährtinnen auf die zurückgelassenen Merkmale seines Versuches aufmerksam gemacht, oder ob die drei Mädchen mit der den Indianern eigenen Scharfsichtigkeit die Entdeckung gemacht, war noch immer zweifelhaft. Diese erzählten jedoch ganz unbefangen die gemachte Entdeckung, wie der Jüngling sich mühsam durch die Palmettofelder gezwungen und erschöpft am Baume niedergesunken sein müsse. Einige der alten Squaws hatten den Bericht schweigend, aber mit einer Miene angehört, die nichts weniger als Überzeugung auszusprechen schien. Sie hatten ihre Blicke auf die Erde gerichtet, und mehrere waren selbst in den Bruch eingedrungen. Canondah, ohne sie der geringsten Aufmerksamkeit zu würdigen, winkte einigen Mädchen eine Handbahre zu bereiten, und ihre Worte hatten sogleich die gewünschte Wirkung. Die alten Squaws, ferneres Nachspüren aufgebend, beeilten sich den Mädchen zuvorzukommen. Sie schnitten zwei Stämme mit ihren langen Taschenmessern ab, legten über diese Palmettostangen und belegten sie mit spanischem Moose. Canondah lächelte freundlich den alten Squaws zu, sie bedeutete ihnen, den Fremdling auf diese Bahre zu legen: ein Wink, der unverzüglich und mit einer Schonung ausgeführt wurde, die dem Leidenden auch nicht die geringsten Schmerzen zu verursachen schien. Ehe sich der Zug in Bewegung setzte, hatte sie Rosa zugeflüstert: »Mein Bruder ist krank und wund, ich empfehle ihn der Sorgfalt seiner Schwester«, und dann verschwand sie mit ihren Gefährtinnen im Palmettofelde, dem Flusse und ihren Kanus zueilend.
Rosa, noch immer halb träumend, näherte sich nun der Bahre, die, von den Trägerinnen gehoben, sich in Bewegung setzte. Der Zug ging schweigend und ohne Gefährde dem Dörfchen zu. Vor einer Hütte, die etwas zurück von den übrigen dem Waldesabhange näher lag und deren herabgelassene, sorgfältig befestigte Büffelhaut ihr Leersein bedeutete, wurde haltgemacht. Canondah stand bereits vor der Türe; auf ihr Geheiß ließen die Trägerinnen ihre Bürde nieder.
»Rosa«, sprach die Indianerin, »muß hier warten, bis Canondah mit den Squaws gesprochen; und abwärts tretend, versammelte sie die Weiber in einen Kreis und eröffnete eine kurze Beratschlagung in Hinsicht des Fremdlings. Man hatte sie schweigend angehört und ihr überlassen, nach Gutbefinden zu handeln. Sie dankte den Squaws mit würdevollem Anstande für ihr Vertrauen und befahl dann zweien der ältesten Weiber die Türe oder vielmehr die Büffelhaut zu öffnen, die in das Innere der Stube führte. Als dieses geschehen war, trugen sie den Verwundeten hinein und legten ihn auf ein dem oben beschriebenen Tillandseadiwan ähnliches Lager. Er zitterte am ganzen Leibe. Ein heftiges Wundfieber hatte ihn ergriffen, zu dem wahrscheinlich in der letzten kühlen und nassen Nacht das kalte hinzugekommen war.
Nach Verlauf einer halben Stunde trat endlich Canondah wieder in die Hütte, begleitet von einer grauen Squaw, die mühsam und mit langsamen Schritten sich dem Lager des Verwundeten näherte. Sie besah ihn einige Augenblicke vom Kopfe bis zu den Füßen, ließ sich dann auf das Moos nieder, hob seine Hände, untersuchte seinen Puls und faßte dann das verwundete Knie, an dem sie die Wunde mit der Aufmerksamkeit eines praktizierenden Arztes untersuchte.
»Morgen wird das Fieber verschwunden sein; aber«, setzte sie hinzu, und ihr hohles, düstres Auge ruhte forschend auf Canondah – »wie ist der Saft der großen Medizin in seine Wunden gekommen?«
»Der Häuptling der Salzsee«, versetzte Canondah bedeutsam.
»Hat seinem Boten doch nicht von seiner Medizin mitgegeben?« Sie besah mit diesen Worten neuerdings die Wunde und schüttelte stärker ihr greises, runzliges Haupt. »Der Balsam ist der des Mikos,« sprach sie bedenklich; »aber es war weder der Miko noch seine Tochter, die ihn in die Wunde gegossen. Es ist die verruchte, ungläubige Hand einer Weißen. Winondah sieht, daß der große Zauber nicht ausgesprochen, und daß die große Medizin zum Gifte geworden.« Ihr Blick fiel durchbohrend auf Rosa.
Canondah hatte betroffen die letzten Worte angehört. »Und warum sollte der Häuptling der Salzsee nicht vom Balsam haben, den der große Geist den Vätern des Miko gegeben? Er ist ein großer Häuptling und vor ihm zittern die Weißen.«
Die Alte schüttelte ihr Haupt. »Der Häuptling der Salzsee ist ein Weißer; der große Geist hat zweierlei Gaben. Den Weißen hat er die geringern gegeben, den auserwählten roten Männern die bessern; die Medizin des Miko«, sprach sie zuversichtlich, »ist die eines sehr großen Häuptlings.«
»Canondah«, sprach das Mädchen, »hat die Spur des Boten des Freundes ihres Volkes gesehen und ist ihr gefolgt. Sie hat den Fremdling gefunden und hat ihn auf den Rat ihrer klugen Schwestern in die leere Hütte ihres Wigwams geführt. Soll er verschmachten, weil eine Medizin in seinen Adern ist, die eine unbekannte Hand hineingoß? Was würde der Miko, was der Häuptling der Salzsee sagen?«
»Canondah hat recht,« sprach die Alte; »sie ist die kluge Tochter des großen Miko und sieht mit hellen Augen.«
»Und ihre Hand«, setzte das Mädchen bedeutsam hinzu, »ist nicht geballt, und ihre Kürbisflaschen mit Feuerwasser sind nicht geschlossen.«
Ein schlaues, beifälliges Lächeln grinste, als sie diese Worte hörte, um den Mund der Alten. Sie nickte mit dem Kopfe und entfernte sich.
Die beiden Mädchen waren allein mit dem Verwundeten in der Hütte geblieben und saßen nun in tiefes Sinnen versunken. Wirklich hatte das rasche Mitleid Rosa zu einer Tat verleitet, die, obwohl sie ihrem Herzen zur Ehre gereichte und einer Weißen ganz natürlich vorkommen mochte, in den Augen einer Indianerin Hochverrat war. Sie hatte, im Drange ihrer Angst um den Verwundeten, Hand an das Heiligtum des Stammes, die mysteriöse Medizin, gelegt, hatte von dem Heiligtume, das selbst der Miko nie ohne religiöse Vorbereitung in die Hand nahm, frevelhafterweise Gebrauch gemacht. Eine solche Entheiligung hatte selbst Canondah in Schrecken versetzt. Die Folgen davon konnten fürchterlich sein.
Es waren peinliche Minuten für die arme Rosa. Dem düstern Schweigen machte die Ankunft der Alten ein Ende, die, eine dampfende Kürbisflasche in ihrer Rechten und einen irdenen Becher in ihrer Linken, sich dem Verwundeten näherte, und ihm, den beide Mädchen aufgerichtet hatten, ein heißes braunes Getränk in den Mund goß. Zweimal füllte sie den Becher und leerte ihn. Dann hüllte sie ihn in die Wolldecken und zog sich zurück, die Wirkung ihrer Medizin zu beobachten. Es dauerte nicht lange, so zeigten sich große Schweißtropfen an seiner Stirne, auf die sie Canondah mit einem schlauen Winke aufmerksam machte. Diese nickte, entfernte sich mit der geleerten Kürbisflasche und kam in wenigen Minuten mit ihr zurück.
»Von den Augen zur Zunge ist es nicht weit«, sprach das Mädchen, der Alten die volle Kürbisflasche entgegenhaltend. »Will meine Mutter den Weg verlängern, so daß die letzte vergißt, was die erstern gesehen?« Die Alte grinste die Sprecherin mit einem zweifelhaften Blicke an.
»Canondah«, fuhr das Mädchen fort, »ist die Tochter des Miko, sie bewacht seinen Wigwam. Kann das Auge Winondahs wissen, was in diesem vorgefallen ist?« Die Alte schwieg noch immer.
»Canondah will selbst mit dem Miko sprechen.«
»Die Augen Winondahs haben gesehen, ihre Nasenlöcher haben gerochen, aber ihre Zunge ist nicht die eines geschwätzigen Mädchens. Sie weiß zu ruhen. Sie liebt die Tochter des Miko sehr.«
»Und Canondah wird die Kürbisflasche noch zweimal füllen«, schloß das Mädchen. Ein freudiges Grinsen bezeugt? die Zufriedenheit der Alten, die sofort die Stube verließ.
Die Unterhaltung hatte auf dem Gesichte der Indianerin einen Ausdruck von Ernst zurückgelassen, der sich durch ein tiefes, beinahe finsteres Schweigen beurkundete. Nach einer langen Weile ergriff sie die Hand ihrer Freundin, und beide verließen nun die Hütte, um nach der ihres Vaters zu gehen.
»Rosa!« sprach die erstere, als sie auf der Moosbank in ihrem Stübchen wieder Platz genommen hatten, »Canondah, hat die Augen der Squaws geblendet, um ihrer Schwester ein Freudelächeln abzugewinnen. Sie hat den Feind ihres Volkes und des Häuptlings der Salzsee in das Wigwam ihres Vaters aufgenommen, den Späher.«
»O meine Canondah,« rief Rosa, »sieh doch, wie das Auge meines Bruders offen ist. Ist sein Auge treu, kann seine Zunge wohl falsch sein? Sieht er einem Feinde unsers Volkes wohl ähnlich?«
»Meine Schwester ist sehr jung, und sie kennt nur sehr wenig unsre Feinde, die Yankees. Sie senden ihre jungen Männer in die Wigwams der roten Männer, um ihre Herden, ihr Korn, ihre Büffelfelle zu zählen, und wenn sie wieder zu den Ihrigen kommen, dann zeigen sie ihnen die Pfade, die zu der Roten Dörfer führen, und dann kommen sie und nehmen unser Vieh und Korn und lachen der roten Männer.«
»Und denkt meine Schwester,« erwiderte Rosa schüchtern, »daß der Fremdling einer dieser Spione ist?« Die Indianerin schüttelte ihr Haupt bedenklich. »Hat er nicht die Augen und Haare eines Yankee? – Sieh, Schwester!« fuhr sie nach einer Weile fort, »Canondah hat ihre Hand in Freundschaft dem Fremden entgegengestreckt, als sie sah, daß das Herz der weißen Rosa sich nach ihm sehnte, aber die Tochter des Miko hat nicht gehandelt, wie sie sollte. Sie hat die Nacht zwischen den Miko und den Fremdling gestellt, und nun nimmt sie ihn in ihres Vaters Wigwam, nachdem dieser den Rücken gekehrt?«
»Aber er würde im Walde gestorben sein«, versetzte die andere. »Sieh, wie der Fieberfrost seine Glieder schüttelt. Die Morgen– und Nachtluft ist sehr kühl und der Nebel sehr feucht.«
»Und der Miko?« versetzte die Indianerin gespannt.
»Wird seine Faust nicht gegen einen Bruder ballen, dem seine Tochter ihre Hand entgegenstreckt.«
»Wenn aber seine Tochter eine Törin gewesen, und ihre Hand einem Feinde ihres Volkes gereicht, wird das Auge des Miko nicht finster auf seine Tochter fallen?«
»Und muß er von dem Fremdlinge wissen?« lispelte Rosa stammelnd, als fürchtete sie das Wort auszusprechen.
Ein flüchtiges Hohnlächeln flog über die Lippen und verzog für einen Augenblick das edle Gesicht der Indianerin. »Der Miko der Oconees«, sprach sie mit einer leichten Anwandlung von Stolz, »riecht den Atem eines weißen Mannes zehn Tage, nachdem er ihn ausgeatmet, und erkennt die Spuren seiner Fußstapfen zwanzig Tage, nachdem sie dem Grase eingedrückt sind. Canondah mag die Squaws täuschen, aber nicht den Miko. Und hat Rosa«, fuhr sie fort, ihren Blick auf die Freundin richtend, »hat die weiße Rosa nicht gesehen und gehört, was der alten Winondah Zunge und Augen sprachen? Sie sollte nicht dort ihre Hände gehabt haben, wo das Heiligtum des Miko verwahrt ist«, sprach sie mit ernstem Tadel. »Die Zunge Winondahs ist besänftigt, aber die der Squaws gleichen den Eichhörnchen, die in ewig törichter Bewegung umherspielen. Und wenn sie ihren Männern sagen, was ihre Augen gesehen, werden die Krieger nicht ins Ohr des Miko wispern? Und soll die Tochter Tokeahs vor ihrem Vater als eine Lügnerin dastehen? Nein, nimmer!« sprach sie entschlossen. »Canondah liebt die weiße Rosa sehr, aber ihren Vater muß sie nicht betrügen. Ist der junge Mann ein Späher, abgesandt von Yankees, so wird ihr Vater es gewahr werden.«
»Und mein Bruder?« unterbrach sie Rosa mit zitternder Stimme. »Wird zu sterben wissen«, beschloß die Indianerin fest und bestimmt. »Aber der Fremdling wird hungrig sein, und Canondah muß für ihn sorgen.« Mit diesen Worten erhob sie sich von ihrem Sitze und eilte aus der Hütte.
Canondah war eine Indianerin im vollen und edelsten Sinne des Wortes. Sie lebte und webte in ihrem Vater und ihrem Volke; aber zugleich hatten ihre angebornen sanftern Gefühle durch den Verkehr mit den Weißen eine bestimmte Richtung erhalten, und ihre indianische Natur trat gewissermaßen verschönert hervor und ganz mit jener Geistesstärke, die wir an ihr bereits zu bemerken Gelegenheit gefunden, und die allem ihrem Tun und Lassen das Gepräge einer seltenen Verstandsschärfe gab. Rosa im Gegenteile war noch mehr Kind, eine schöne, dem Anschein nach passive Seele, die sich ohne Murren der Leitung ihrer altem Freundin überließ, gewiß nicht aus Geistesschwäche oder Indolenz, sondern vielmehr angetrieben von jenem lieblichen Zartsinn, der andern das schmeichelhafte Gefühl von Überlegenheit so gerne gönnt. Die Überlegenheit Canondahs, weit entfernt, sie zu verwunden, erfüllte sie mit Wonne; es war ein Tribut der Dankbarkeit, den sie der Indianerin wahrscheinlich auf diese Weise zollte. Und vielleicht hatte eben diese zarte und in ihrer Lage notwendige Ergebung, mit der sie sich in die bestimmt ausgesprochene Leitung der Tochter des Miko fügte, mehr als selbst ihre ausgezeichnete Schönheit beigetragen, daß sie nicht bloß das Entzücken der Tochter, sondern auch die Freude des kalten Vaters geworden war.
Der Mond stand bereits hoch, als eine leichte Bewegung des Verwundeten anzeigte, daß er erwacht sei; zu seinem Haupte saßen die beiden Mädchen und die Alte. Ein brennender Zederspan verbreitete ein zitterndes Helldunkel über das Stübchen. Die letztere hatte kaum die Bewegung am Kranken wahrgenommen, als sie auf diesen zueilte, und, sein Haupt erfassend, ihm in die Augen starrte. Dann fühlte sie seinen Puls, und den Schweiß von seiner Stirne wischend, beobachtete sie sorgfältig die etwas hellere Farbe seines Gesichtes.
»Das Fieber ist gewichen, die Wunde weiß Canondah zu heilen«, und mit diesen Worten verließ sie die Stube. Auf den jungen Mann, der nun zum ersten Male seit sechsunddreißig Stunden wieder die Augen aufschlug, schien das triumphierende Grinsen der verdorrten, düstern Alten nicht den günstigsten Eindruck hervorzubringen. Canondah jedoch, als hätte sie dies vermutet, trat schnell an ihre Stelle und rückte einen Stuhl an sein Lager, auf dem einige Erfrischungen standen. Eine junge wilde Ente, auf indianische Weise unter dem Rasen geröstet, mit frischem Welschkornkuchen. Rosa hatte einen Becher mit Wein gefüllt, den ihm die Indianerin gleichfalls reichte, nachdem sie sich auf ihre Knie niedergekauert und ihn dann in eine sitzende Stellung gebracht hatte. Seine Lippen verzogen sich krampfartig beim ersten Versuche, und er stieß den Becher beinahe mit Gewalt zurück; aber es währte nicht lange, so überzog eine leichte Röte sein Gesicht, und seine Hand griff wieder nach dem Becher. Hierauf nahm er ein Stück von der Ente und dem Kuchen.
Die Indianerin verwandte kein Auge von ihm, ihr Blick folgte jedem Bissen, den er zum Munde führte. Beinahe schien es, als ob das Mädchen etwas Näheres vom Charakter des jungen Mannes aus dieser tierischen Verrichtung ersehen wollte; sie winkte von Zeit zu Zeit Rosen, die in der Ecke des Stübchens stand, und gleichfalls ihre Augen auf den Essenden gerichtet hatte. Es schien, als ob die beiden Mädchen mit Vergnügen ihm zusähen. Wirklich aß der junge Mann mit so viel Anstand und Ungezwungenheit, die wahrscheinlich von der rohen Gier ihrer Stammesgenossen, den einzigen Vorbildern, die sie vor sich hatten, zu sehr abstechen mochte, um sie nicht etwas Höheres in ihrem Gaste vermuten zu lassen. Obwohl wir in den beiden Mädchen keineswegs eine feinere Bildung voraussetzen können, so ist doch in der weiblichen Natur jener sichere Takt, der, wenn nicht verdorben oder irregeleitet, nur selten trügt. Es schien, als ob die Mädchen einen tiefem Blick in die Seele ihres Gastes getan hätten. Rosas Herz schlug sichtbar leichter, und selbst Canondah fing an, ihn mit einem ruhigern, vertrauensvollern Auge zu betrachten.
Als er sein Mahl geendigt hatte, legte sie ihn wieder auf sein Lager zurück; dann öffnete sie den Verband, den sie um seine Wunden geschlagen. Ihre Finger berührten kaum die tiefe Fleischwunde, und mit so vieler Geschicklichkeit und Schonung verrichtete sie ihre Aufgabe, daß ihr Patient unter ihren Händen wieder entschlief.
»Der Balsam wird die Wunde in acht Sonnen heilen«, sprach sie mit Zuversicht, blies dann das Fackellicht aus und warf ihren Arm um Rosa. Die beiden Mädchen eilten ihrer Hütte zu.
Sechstes Kapitel
Die außerordentliche Geschicklichkeit der Indianer, Wunden und Fieber zu heilen, denen sie schon wegen ihres ewigen Kriegs– und Waldlebens häufig ausgesetzt sind, offenbarte sich auf eine erstaunenswürdige Weise an dem Jünglinge, den sein glückliches oder unglückliches Gestirn zu einem dieser Völkchen geführt hatte. Das Wund– und kalte Fieber war bereits nach sechsunddreißig Stunden verschwunden, und es waren noch nicht acht Tage seit seinem Hiersein verflossen, als auch die Wunde bereits zu heilen anfing. Seine leichenartig gelbe Gesichtsfarbe hatte sich in ein frisches Rot verwandelt, das eine leichte Blässe angenehm hervorhob, seine matt und kraftlos eingefallenen Augen waren munter geworden und schienen eher zum Lachen als zur Traurigkeit aufgelegt zu sein. Ein Zug um den Mund verriet eine fröhliche, harmlose Natur, und voll aufblühende Backen einen kräftig lebendigen Frohsinn. Er hätte bereits versucht, aus der Hütte zu treten und sich im Freien umzusehen, wäre ihm dies nicht von seiner Wärterin mit der Drohung untersagt worden, daß das Fieber wieder kommen werde, wenn er sich der feuchten Luft aussetze. So hütete er noch immer sein Stübchen. Dieses war von mäßiger Ausdehnung und zeigte dem Auge die kunstlos zusammengefügten Stämme des Kottonbaumes, mit Tillandsea und Gummi ausgestopft, und mit keiner andern Verzierung als einem Tomahawk und Schlachtmesser, die an der Wand hingen. Eine etwa anderthalb Fuß hohe Bank, mit Tillandsea bedeckt, lief an den Wänden der Stube hin und diente ihm zum Sitz und Lager. Ein ebenso einfacher Tisch war mit Palmblättern und Früchten besetzt, die mit einer zarten Rücksicht für seinen Genesungszustand gesammelt schienen: Weintrauben und in Zucker eingelegte wilde Pflaumen und Bananen. Während sein Auge auf diesen Gaben ruhte, trat Canondah ein, in ihren Händen einen Teller mit frisch gebratenen Wachteln haltend. Sie setzte das Gericht auf den Tisch und eilte dann zur Türe zurück, um die Büffelhaut herabzulassen, so daß die Strahlen der Morgensonne, die durch die Öffnungen einfielen, die Gegenstände im dunkeln Stübchen mehr erraten als sehen ließen.
»Guten Morgen!« sprach der junge Mann, der mit Verwunderung der Indianerin einen Augenblick zugesehen hatte. Die Begrüßung wurde mit Stillschweigen aufgenommen. Die Indianerin deutete auf die Wachteln und ließ sich dann auf dem entgegenstehenden Sitze nieder, auf dem sie ruhig abwarten zu wollen schien, bis der junge Mann gegessen haben würde.
»Mein junger Bruder,« hob sie endlich an, als sie gewahrte, daß dieser keine Miene machte, das Mahl zu versuchen, »ist im Kanu des großen Häuptlings der Salzsee angekommen. Hat er in seinem Wigwam gelebt und die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht?« Sie sprach diese Worte in ziemlich geläufigem Englisch, obwohl in dem tiefen und stark hervorstoßenden Kehltone ihrer Nation.
»Kanu! Wigwam! Pfeife des Friedens!« wiederholte der junge Mann, der, wie es schien, keine Silbe von dem Ganzen verstand. »Ja, in einem Kanu bin ich gewesen,« fuhr er halbfröhlich fort, »und das mag der Henker holen! Ich will mein ganzes Leben daran denken. Brr!« murmelte er, »das war kein Spaß, wenn man seine acht Tage, oder Gott weiß wie lange, auf der Salzwelle herumtanzt und an seinen Schuhsohlen Mittagsmahl halten muß. Hole der Teufel unsere Schildkrötenjagd und Austernliebhaberei. Will in meinem Leben auf keine mehr gehen. Sag› mir nur einmal, liebes Mädchen, wo ich eigentlich bin. Die letzten zwei Tage erinnere ich mich zwischen Sümpfen und Morästen gewesen zu sein, in denen nichts Eßbareres zu sehen war, als Alligatoren und wilde Gänse, die leider Flügel hatten. Wo ich aber gegenwärtig zu sein die Ehre habe, weiß ich wahrlich nicht.«
Die Indianerin stutzte ein wenig über den fröhlich-humoristischen Wortschwall, der ihm entfahren, und sie schien eine Weile das Gesagte in ihrem Gedächtnisse zu ordnen. Endlich mochte sie damit zu Ende gekommen sein; ihre Miene jedoch, weit entfernt, im nämlichen Tone zu erwidern, drückte eher Mißfallen aus.
»Mein Bruder hat nicht auf die Frage seiner Schwester geantwortet. – Hat er bei dem Häuptling der Salzsee gelebt und die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht?«
»Das habe ich«, erwiderte er, der sie nun zu begreifen wähnte. »Ich habe bei dem Häuptling der Salzsee gelebt, wenn du, was natürlich, darunter unsere Nation verstehst; aber was das Rauchen aus der Pfeife betrifft, das habe ich nicht getan. Wir rauchen nie aus Pfeifen, das ist nicht Mode bei uns; bloß die Franzosen und Neger tun es. Schmutzige Tiere!« fügte er hinzu.
»Mein Bruder«, versetzte die Indianerin ebenso gelassen, »hat eine gekrümmte Zunge, und er will seine Schwester zum Narren machen. Canondah ist die Tochter des Miko«, sprach sie mit Würde.
»Canondah, Tochter des Miko«; wiederholte der junge Mann. »Englische Worte, aber wenn ich sogleich mit der Kanonenbraut kopuliert werden sollte, ich weiß wahrlich keine Antwort zu geben.«
»Wie ist mein Bruder zum Kanu gekommen, in welchem ihn seine Schwester gefunden hat?«
»Wie kann ein ehrlicher englischer Midshipman, der während seines Austernsuchens von einem französischen Hunde von Seeräuber überfallen und gefangen in seine Räuberhöhle geschleppt wird, zu einem Boote kommen? Ich nahm es während der Nachtzeit und machte mich aus dem Staube. Wollte Gott, Tom und Bill hätten mitgekonnt; aber der Spitzbube hat uns einzeln eingesperrt.«
Der junge Mann, in fröhlicher, munterer Laune, schien die rhapsodische Skizze mehr zu seiner eigenen Unterhaltung, als der Aufklärung der Indianerin zu geben.
»Mein Bruder«, sprach wieder die Indianerin, die aufmerksam zugehört hatte, »hat also das Kanu dem Häuptling der Salzsee genommen und ist in der Nachtzeit aus seinem Wigwam gewichen?«
»Das Kanu gehört einem Hunde von Piraten; – den wirst du doch unter dem Häuptling der Salzsee nicht meinen?« fragte der Brite etwas aufmerksamer.
Die Indianerin schüttelte den Kopf und maß ihn mit einem Blicke, der den Humor des jungen Seemannes ein wenig herabstimmte.
»Mein Bruder ist sehr jung«, sprach sie, »um auf den Kriegspfad des großen Häuptlings der Salzsee zu gehen. Er sollte zuvor lernen, den Hirsch und den Büffel zu jagen und die große Wasserschlange zu töten, ehe er in den Krieg zieht; oder die Töchter seines Volkes werden über der Leiche meines gefallenen Bruders weinen.«
Sie sprach diese Worte mit einem Ausdrucke, der Mitleiden und Hohn ziemlich deutlich zu verstehen gab, und schien auf eine Antwort zu warten.
»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ein englischer Offizier oder vielmehr Quasioffizier, verflucht unsere Offizierschaft, mit einem Piraten Krieg führen wird? – Solche Hunde fängt man und knüpft sie auf.« Die Indianerin maß ihn mit einem verächtlichen Blicke.
»Sieh!« erwiderte sie kalt und verächtlich, »wenn die roten Männer auf den Kriegspfad gegen ihre Feinde ziehen, so schlagen sie die Krieger und Häuptlinge ihrer Feinde entweder auf dem Schlachtfelde tot, oder sie führen sie gefangen heim, um sie ihren jungen Männern zu zeigen, daß diese ebenso brav werden mögen, wie sie. Aber dann bewachen sie dieselben, daß sie nicht entfliehen können. Mein junger Bruder jedoch ist keiner ihrer Häuptlinge oder Krieger. Seine Hände sind klein wie die eines Mädchens und haben nie einen Tomahawk gehoben. Der große Häuptling hat ihn gefangen mit andern Knaben und Mädchen seines Volkes und ihn in sein Wigwam gesandt. Der Häuptling der Salzsee ist groß, und er tötet Männer, aber er bekümmert sich nicht um Weiber und Kinder. Mein junger Bruder hat eine starke Zunge, aber sein Arm ist schwach.«
»Beinahe sollte ich glauben, daß du von dem Häuptling der Salzsee, wie du den Seeräuber nennst, mehr weißt, als mir und dir gut sein dürfte«, erwiderte der junge Mann, der nun gespannt zu werden schien. »Der Häuptling der Salzsee ist ein großer Krieger, und seine Name ist weit bekannt«; sprach das Mädchen trocken.
»Und wie weit ist es von hier zu seinem Wigwam?« fragte er, den Ausdruck gebrauchend, der von der Indianerin am leichtesten verstanden werden konnte.
»Mein Bruder«, erwiderte die Indianerin spöttisch, »ist ja von seinem Wigwam in seinem Kanu angekommen. Wenn die roten Männer ihre Späher und Spione aussenden, dann wählen sie solche, die wissen, wie lang der Pfad ist, der zum Feinde führt. Tun es die Weißen anders? Canondah ist ein schwaches Mädchen, aber sie ist die Tochter des Miko.« Sie hatte die letzten Worte mit einer Würde und Bestimmtheit ausgesprochen, die zugleich zu sagen schienen, daß seine bisherige Vertraulichkeit nicht am rechten Orte angewandt sei.
»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ich ein Spion bin, der ausgegangen, um den Freibeuter auszuspähen?«
»Mein weißer Bruder spricht mit der Zunge unserer Feinde, oder spricht er mit einer doppelten Zunge?«
»Wirklich,« sprach der Jüngling, »ich weiß nicht, träume oder wache ich mit dir, liebes Mädchen. Vielleicht bist du es, der ich mein Leben schulde. Wenn dem so, dann nimm meinen aufrichtigen innigen Dank. Ich bitte um Vergebung, wenn meine Ausdrücke, die du mißzuverstehen scheinst, dich beleidigen. Sage mir nur, wo ich bin. Ich erinnere mich dunkel eines kupferfarbigen, artigen Mädchens, die zu meinem Beistande kam, als ich soeben vom Alligator gepackt wurde, auf den ich, ihn für einen Baumstamm ansehend, meinen Fuß setzte; und dann schwimmt vor meiner trüben Phantasie eine liebliche Göttergestalt, mehr Kind als Mädchen, die gleich einem Engel nur im Traume mir erschien. Wo ist das Mädchen? Sie ist eine Weiße, sie wird mich, ich sie eher verstehen. Aber die Wahrheit zu sagen – obwohl ich die Verhältnisse nicht kenne, in denen du zum Seeräuber stehen magst – ich habe Ursache, gegen ihn aufgebracht zu sein. Wir waren von unserer Station in Jamaika abgegangen, um die Mündungen des Mississippi zu sondieren. Ich mit einigen meiner Kameraden hatte von unserem alten Brummbär, ich meine unsern Kapitän, Erlaubnis erhalten, nach Schildkröten und Austern zu jagen. Wir hatten uns ziemlich weit von der Fregatte entfernt und waren in eine tiefe Bucht eingelaufen, wo wir treffliche Austernbänke fanden. Als wir am besten mit unseren Rechen beschäftigt waren, sahen wir plötzlich eine bewaffnete Jacht vor uns. Was zu tun? Unsere Kutlasse und Pistolen hatten wir natürlich zurückgelassen, und so mußten wir uns samt und sonders ergeben, wurden dann fortgeschifft und gelangten in der Nacht in eine Art Blockhaus, wo wir dann abgesondert und eingesperrt wurden, und woher ich nun stehenden Fußes komme.« Die Indianerin hatte natürlich von der Erklärung des jungen Briten nur die Hälfte begriffen, und sie schüttelte noch immer den Kopf.
»Mein Bruder spricht mit einer sehr gekrümmten Zunge. Will er sagen, daß er und die Seinigen nicht auf dem Kriegspfad gegen den Häuptling der Salzsee gewesen? Der Häuptling stiehlt nicht junge Männer. Warum sollte er ihn gefangen haben?«
»Wahrscheinlich weil er befürchtete, und zwar mit Recht, daß, wenn wir seinen Schlupfwinkel ausfindig machen, wir ihm auch das Nest zusammenschießen und ihn auf den Trümmern aufhängen.«
»Hab› ich nicht gesagt, daß mein weißer Bruder mit einer Doppelzunge spricht«, fuhr die Indianerin heraus. »Meines Bruders Volk ist auf dem Kriegspfad mit dem Häuptling begriffen, und er hat ihn mit den Seinigen in den Hinterhalt gelockt. Ist es nicht so?«
»Mein liebes Mädchen«, erwiderte der Brite, der müde zu werden schien, sich nicht verstanden zu sehen. »Wir sind nicht mit den Piraten im Kriege, obwohl wir ihn, wenn er in unsere Hände gerät, als solchen aufknüpfen, und das zwar in Ketten; aber wir haben diese Ehre des Krieges unserem widerspenstigen Bruder Jonathan angetan, den Yankees. Mit diesem sind wir im Kriege, das heißt nicht eben im Kriege, aber wir haben einige Schiffe und Truppenkorps abgesandt, sie zu züchtigen.«
»Meines Bruders Volk ist nicht auf dem Kriegspfade gegen den Häuptling der Salzsee begriffen, und doch würde ihn sein Volk beim Halse aufhängen. Meines Bruders Volk verdient wie die Hunde totgeschlagen zu werden.« Des Briten Miene zuckte unwillkürlich. »Mein Bruder sprach von den Yankees«, fuhr das Mädchen fort. »Hat er nicht gesagt, daß sein Volk, mit ihnen im Kriege begriffen, sie züchtigen will? Mein Bruder ist doch ein Yankee, seine Zunge ist die eines Yankee?«
»Ich habe die Ehre ein Engländer zu sein«, erwiderte der junge Mann mit jenem selbstgefälligen Schmunzeln eines verwöhnten Kindes, das seine Lippen wie die Schnauze eines gewissen Tieres streckte und zusammenzog und ihm jenen albernen Ausdruck gab, den wir so oft an unsern Verwandten zu belächeln Gelegenheit gefunden haben, wenn ihre Eigenliebe sich auf recht komfortable Weise gekitzelt fühlt.
»Ein Engländer«, wiederholte das Mädchen sinnend. »Der Häuptling unserer Schule hat uns vieles von einem Volke gesagt, das auf einer Insel weit gegen die aufgehende Sonne wohnt. Sie haben einen Häuptling, der ein alter, unschuldiger Mann ist«; bei diesen Worten deutete sie auf die Stirne. »Die Köpfe der Männer sind voll Nebel, und sie sind vielfräßig und hungrig immer. Sie haben ehemals Häuptlinge in das Land der Yankees gesandt, bis diese sie vertrieben haben. Gehört mein Bruder zu diesem Volke?«
Der Brite, der hier einen Katechismus hörte, wie ihn häufig westliche Schulmeister ihren Zöglingen auf eine seinen Landsleuten eben nicht sehr schmeichelhafte Weise einprägen, antwortete mit einem verlegenen Gesichte: »Ich bin allerdings aus einer Insel, und unser Häuptling, wie du unsern König taufst, hat wirklich so eine Art Spleen gehabt, und unser Oberhaus für Pfauen angesehen; aber ich habe nicht die Ehre«, fuhr er lachend fort, »meine Landsleute in der Beschreibung zu erkennen.«
»Meines Bruders Zunge hat sich wieder gekrümmt«, fuhr das Mädchen spöttisch fort. »Gehört er zu dem Volk, das viele Schiffe hat, und gegen welches der große weiße Vater den Tomahawk erhoben?«
»Ich denke, ich gehöre ihm an«, erwiderte der junge Mann ein wenig verdrießlich.
»Und sein Volk«, sprach sie mit einem mitleidsvollen Lächeln, »will die Yankees züchtigen?«
»Ja, das wollen wir«, fuhr der Brite mutig heraus.
»Arme Narren!« erwiderte die Indianerin. »Meines Bruders Volk wird sich derbe Schläge holen. Haben die Yankees ihm sein Land weggenommen?« fragte sie weiter.
»Der Teufel sollte sie holen, wenn sie sich so etwas in den Sinn kommen lassen wollten. Sie haben sich aber angemaßt, uns die Herrschaft der Salzsee, um indianisch zu sprechen, streitig machen zu wollen, und im Grunde auch das nicht; die Wichte haben sich nur geweigert, ihre elenden Schiffe von uns visitieren zu lassen, wozu sich doch alle übrigen, Franzosen und Russen, verstehen müssen. Dann wollen sie uns auch wehren, ihre Seeleute allenfalls der Ehre des britischen Rechtes auf den neunten Mann zu würdigen.«
Der Brite hatte in guter, gedrängt seemännischer Sprache und ziemlich genau die Ursachen des zweiten Krieges der Vereinigten Staaten mit England angegeben. Das Recht oder vielmehr die Anmaßung der Briten, amerikanische Schiffe zu visitieren, und die größere Anmaßung, solche Seeleute, die ihnen annehmlich schienen, von den amerikanischen Schiffen zu nehmen, hatte wirklich die amerikanische Nation veranlaßt, den Fehdehandschuh dem übermütigen England hinzuwerfen.
Die Indianerin hatte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dem jungen Briten zugehört, und obgleich sie vermutlich das Ganze seiner Rede nicht begriff, so ließ sie ihr durchdringender Verstand ziemlich den Sinn erraten.
»Weil also die Yankees mit ihren großen Kanus auf der Salzsee fahren wollten, hat das Volk meines Bruders den Tomahawk gegen sie gehoben?« fragte sie.
»Ja, so etwas dergleichen!« war die Antwort.
»Und werden sie den Tomahawk auf der Salzsee, in den Wäldern oder in ihren Wigwams erheben?«
»Das ist eben die Frage. Wir waren abgesandt, die Mündungen des Mississippi zu sondieren, das heißt, ihre Tiefe zu untersuchen, ob sie nämlich größere Schiffe zulassen. Das Resultat war ziemlich genügend. Nur ist eine verwünschte Sandbank, die, gerade vor der Mündung hingepflanzt, uns den Eingang verwehren wird. Wäre das nicht, so gingen wir gerade nach New Orleans hinauf und schössen ihnen das Nest, wie ihr Washington, über den Köpfen zusammen; das heißt, wenn sie sich nicht gutwillig ergäben.«
»Meines Bruders Volk wird also seine großen Kanus verlassen, um die Tomahawk im Lande der Yankees zu erheben und es einzunehmen?« »Ja«, versicherte der Brite.
»Und mein Bruder, während er mit seinem Volke den großen Fluß hinauf ging, ist vom Häuptling der Salzsee gefangengenommen worden?«
»Wenn du mit dieser ehrenvollen Benennung den Piraten bezeichnest, ja.«
»Und was möchte nun mein Bruder weiter tun?«
»Sobald als möglich wieder zu den Meinigen zurückkehren; sonst sind sie imstande und streichen mich aus der Midshipmansliste, und ich bin nahe am Avancement. Ich kann nicht weit vom Mississippi sein. Unsre Armee muß um diese Zeit gelandet sein.«
»Und wenn mein Bruder den Yankees in die Hände fällt?«
»Ich werde mich hüten.«
»Die Yankees haben alles Land inne, das zwischen dem großen Strome und der zweiten großen Salzsee liegt. Ihre Augen sind die des Adlers. Mein Bruder kann nicht durch ihre Niederlassungen. Seine Fußstapfen werden ihn verraten. Sie werden meinen Bruder ergreifen und ihn töten.«
»Einen Mann ohne Waffen? Sie sind nicht zu gut dazu, aber doch traue ich ihnen diese Schlechtigkeit nicht zu; es ist britisches Blut in ihnen.«
»Sie werden meinen Bruder als Späher fangen und ihn beim Halse an einen Baum hängen.«
Die letzten Worte schienen auf den jungen Mann einigen Eindruck zu machen. Nach einer kurzen Pause erwiderte er: »Sie können, dürfen nicht. Auf alle Fälle muß ich es versuchen.«
»Mein Bruder«, brach die Indianerin plötzlich aus, »hat seine Zunge viel gekrümmt, um der Tochter des Miko große Lügen aufzubinden. Glaubt mein Bruder, die Tochter des Miko sei eine Närrin? Er sagt, sein Volk ist nicht mit dem Häuptling der Salzsee auf dem Kriegspfade, und doch würde es ihn an den Baum beim Halse aufhängen. Und wieder sagt er, sein Volk ist mit den Yankees im Kriege, und er will durch ihr Land und ihre Wigwams. – Mein Bruder«, sprach sie im bestimmten, beinahe drohenden Tone, »hat sich in das Wigwam des Häuptlings der Salzsee gestohlen und ist von da in das des Miko gekommen, um den Pfad seinem Volke, den Yankees, zu zeigen. Mein Bruder ist ein Späher der Yankees.« – Sie begleitete ihre letzten Worte mit einem Blicke, der dem jungen Manne eben nicht sehr schmeichelhaft war, und stand im Begriffe, das Stübchen zu verlassen.
Der Brite hatte ihr mit einer Spannung zugehört, die seinen jugendlichen, seemännisch launigen Zügen einen Ausdruck von Bitterkeit gab. Bei den letzten Worten schien er besonders beleidigt zu sein, und bittrer Hohn spielte um seinen Mund. Er versuchte zu antworten, stockte aber und brachte bloß ein »Aber ich muß dir sagen —« heraus. Die Indianerin machte ihm trocken ein Zeichen, zu schweigen.
»Mein Bruder ist noch krank und wund. Er hat bereits zu viel gesprochen. Er muß essen, um gesund zu werden. Der Miko ist groß und weise; er wird sehen.« Mit diesen Worten trat sie aus her Türe, vor der sie Rosa fand. Beide Mädchen wandelten Arm in Arm durch die Hecken und Pflanzungen ihrem Häuschen zu, ohne ein Wort zu sprechen. Die Indianerin war augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken. Plötzlich stand sie stille.
»Mein junger Bruder ist sehr jung, und seine Zunge faselt wie die eines albernen Mädchens; aber unter dieser Narrheit ist die Schlange verborgen.« Sie sah, während sie sprach, Rosen an, als ob sie von ihr Bestätigung des Gesagten erwartete. Diese schwieg.
»Seine Augen«, fuhr die Indianerin fort, »sind die der Taube, aber seine Zunge ist die der Rasselschlange.« Dasselbe Stillschweigen. »Haben die Ohren der weißen Rosa die vielen Lügen aufgefangen, die ihr weißer Bruder gesagt hat?«
»Sie hat die Worte ihres weißen Bruders gehört«, erwiderte diese; »aber sie hat nicht in sein Herz geblickt. Wie kann meine Canondah sagen, daß unser weißer Bruder Lügen gesagt hat?«
»Die weiße Rosa ist gut, sehr gut, Canondah liebt sie mehr als ihr Leben, und sie ist ihres Vaters Freude; aber sie sieht nicht mit den Augen Canondahs, noch des Mikos.« Ein tiefer Seufzer entquoll dem Busen Rosas. »Sie ist unglücklich, wie ihr weißer Bruder«; lispelte sie vor sich hin.
»Rosa ist die Taube, mein weißer Bruder ist die Schlange. Er ist ein Späher«; sprach die Indianerin mit Unwillen. Rosa schüttelte ihr Köpfchen. »Wer hat Canondah dies gesagt?«
»Rosas Augen«, erwiderte die Indianerin, »haben nur auf die weiße Haut und die zarten Hände meines Bruders gesehen, aber die Tochter des Miko hat seine Lügen gehört. Ist er nicht im Kanu des Häuptlings der Salzsee heraufgekommen? Hat seine Zunge nicht gesagt, daß er in seinem Wigwam gewesen, ohne die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht zu haben? Ist nicht sein Volk auf dem Kriegspfade gegen den Häuptling? Sagte er nicht selbst, daß es den Häuptling an einen Baum hängen wollte, wenn es ihn hätte? und doch sagt die weiße Schlange, daß es nicht den Tomahawk aufgehoben. Wie kann er anders in das Wigwam des Häuptlings gelangt sein, denn als ein Späher? Und spricht er nicht mit der Zunge eines Yankee, und doch sagt dieselbe Doppelzunge, daß sein Volk auf dem Kriegspfade gegen die Yankees begriffen? Und mit der nämlichen Zunge widerspricht er und sagt, daß die Yankees ihn nicht töten würden, und deshalb«, schloß sie höhnisch, »will er durch ihre Wigwams. Glaubt er, Canondah sei eine Törin?«
Die Erzählung des Briten hatte allerdings etwas an sich, das dem ungekünstelten, mit den Grundsätzen des Völkerrechts gänzlich unbekannten Naturkinde ziemlich unwahrscheinlich vorkommen mußte. Sie dachte sich die Verhältnisse großer Nationen im winzigen Maßstabe ihres eigenen Völkchens, oder höchstens des Stammes der Creeks, und schloß ebenso natürlich den Häuptling der Salzsee oder, besser zu sagen, den Seeräuber in diese Parallele mit ein. So mußte sie notwendig die Sprache des jungen Mannes sonderbar finden, der in seiner seemännischen Offenheit ganz unumwunden zu verstehen gab, daß der Pirate aufgeknüpft werden würde, während er zur selben Zeit die Zumutung, daß seine Nation im Kriege mit ihm stehe, mit Verachtung von sich wies. Ebensowenig war seine Erklärung in bezug auf die Amerikaner für die Indianerin befriedigend. Daß seine Nation im Kriege gegen die Yankees begriffen sei, war an sich schon der gegen Weiße mißtrauischen Tochter des Mikos auffallend, die bemerkte, daß er die nämliche Sprache mit diesen rede; aber daß er ungeachtet des obwaltenden Krieges noch eine Art Großmut von seinen Feinden erwarte, und, von ihnen aufgefangen, nicht getötet zu werden fürchte, ging so weit über die Begriffe der indianischen Kriegsgesetze, daß ihn dies allein in ihren Augen zum Betrüger stempeln mußte.
Auf der andern Seite mochte unser Brite nicht weniger an der Indianerin irre geworden sein.
Wer war diese junge Wilde, die sich herausnahm, ihn wie einen aufgefangenen Spion auszufragen, und zwar auf eine Weise, die ihn unwillkürlich gezwungen hatte, ihren Fragen Rede zu stehen? Woher dieser Herrscherton, der, bei aller Einfalt, Würde und Selbstbewußtsein aussprach? Was hatte sie nach dem Seeräuber zu fragen? Gehörte sie zu seiner Bande? Ihr Wesen widersprach einem so herabwürdigenden Gedanken. »Pshaw! Mädchenneugier!« rief er sich zu, »die da gerne etwas zu plappern haben möchte.« Und mit diesem Troste entließ er für diesmal seine weitern Gedanken über die sonderbare Besucherin.
Siebentes Kapitel
So waren wieder zwei Tage verflossen. Der junge Mann fühlte seine Gesundheit allmählich hergestellt, des Balsams wunderbare Kraft hatte sich nun vollkommen bewährt, und er konnte bereits ohne Schmerz umherwandeln. Immer war ihm dies jedoch von der Indianerin strenge untersagt worden. Er hatte sich einigemal ins Dörfchen hinausgewagt; aber die Squaws waren ihm stets mit so unzweideutigen Beweisen feindlicher Gesinnung entgegengekommen, daß er immer umzukehren genötigt gewesen. Die Indianerin hatte ihm seine Mahle regelmäßig jeden Morgen und Abend gebracht, hatte jedoch kein Wort weiter gesprochen, und ein ruhig forschender Blick, während sie seinen Puls untersuchte, war alles gewesen, was einigermaßen nähere Teilnahme beurkundete.
Es war in der Nacht des zehnten Tages seit seiner Anwesenheit. Er hatte sich bereits auf sein Lager hingestreckt und soeben zu schlummern angefangen, als plötzlich der Widerschein heller Flammen durch die Öffnungen der Büffelhaut drang. Er sprang mit dem Ausrufe auf: »Das Dorf ist in Feuer!« stürzte zur Türe hinaus, durch die Hecken und Gebüsche der Flamme zu. Der Widerschein der Fackeln fiel auf eine ziemlich große, dem Anscheine nach niedliche Hütte. Es war die Wohnung des Miko. Soeben trat eine weibliche Gestalt aus der Türe und blieb vor derselben stehen. Sie horchte eine Weile und schien sich dann der Gegend zuwenden zu wollen, wo er sich im Gebüsche verborgen hatte. Langsam wandte sie sich jedoch der Ecke zu, von der sie eine Aussicht auf den von mehreren hundert Pechfackeln erglänzenden Wasserspiegel des Flusses hatte. Er hatte nun Gelegenheit, sie ins Auge zu fassen. Langsam und leise, Schritt für Schritt, als fürchtete er, die liebliche Erscheinung möchte zur Luftgestalt werden, näherte er sich ihr. Bloß eine Acacia Mimosa trennte ihn noch von ihr. Es war Rosa. Eine Weile stand er in Anschauung versunken, und dann trat er näher.
Der leise Fußtritt war von ihr gehört worden, sie wandte sich und schwebte auf ihn zu. »Fürchte dich nicht, Fremdling,« sprach sie in wohlklingendem Englisch, »unsere Weiber und Mädchen führen den Nachttanz auf.«
»Miß! ich bitte tausendmal um Vergebung wegen meiner Zudringlichkeit. – Sie werden vergeben, aber wirklich alles, was mir begegnet ist, ist so wunderbar.«
Das Mädchen sah ihn mit ihren klaren Augen forschend an. Ihr ängstlich werdender Blick schien beinahe fragen zu wollen, ob es auch in seinem Gehirn richtig sei, so befremdete sie die sonderbare, echt englische Anrede. Sie faßte seine Hand. »Vergeben meinem Bruder? Was soll ich dir vergeben, du hast mir nie etwas zuleide getan?«
»So täuscht mich denn meine Phantasie nicht, und was ich Traum wähnte, hat sich verwirklicht?« erwiderte er. Sie sah ihn betroffen an. »Hat mein Bruder einen Traum gehabt?«
Hatte des Mädchens ideale Schönheit und ihre leichte Feengestalt den jungen Mann in Verlegenheit gesetzt, die ihm in der Verwirrung die eben erwähnte Londoner Formel auf die Zunge brachte, so war ihre Antwort und nächste Frage eben nicht geeignet, diese Verwirrung zu mindern. Die melancholischen Töne eines Instrumentes, die sich nun hören ließen, brachen unterdessen die Unterhaltung ab. Er hörte befremdet den seltsamen, tiefen, grausen Tönen zu.
»Die Nacht ist kühl und feucht. Die Dünste ziehen mehr und mehr vom Flusse über das Wigwam. Mein Bruder darf nicht im Freien bleiben, sonst kommt das Fieber wieder; aber er kann«, fügte sie nach einer Pause hinzu, »die Mädchen in unserer Stube tanzen sehen.«
Mit diesen Worten reichte sie ihm ihre Hand, führte ihn in die Hütte und durch den Vorhang in ihr Stübchen, das ein kleines Fenster, welches auf das Ufer des Flusses sah, vollkommen erhellte. Es erfolgte nun eine Szene, die Salvator Rosas Pinsel eines der ergreifendsten Nachtstücke geliefert haben würde. – Rings um die Bucht herum, wo acht Tage zuvor das Birkenkanu gebaut worden, war eine Schar von nahe an zweihundert Mädchen, Weibern und jungen Wilden in einem weiten Ringe versammelt. Jeder und jede hielten in der einen Hand eine lange brennende Pechfackel, in der andern eine Schelle. Vier erwachsene Jungfrauen hatten ihren Platz unmittelbar auf dem erwähnten Uferkamme und spielten auf indianischen Trommeln und Flöten.
Das erste dieser Instrumente glich einem mit Klappern versehenen Tamburin. Die jungen Wilden hielten dieses Instrument hoch empor und schlugen mit kurzen, dicken Stäben darauf. Das zweite war eine Flöte mit drei Löchern, die einen ungemein tiefen, melancholischen Ton von sich gab.
Die Musik war anfangs schwach und gedämpft; obgleich kunstlos und ungeordnet, waren doch die Töne der Flöte nicht ohne Melodie und den Tönen eines Schweizer Alphorns zu vergleichen. Allmählich wurden sie in dem Maße stärker, als die Bewegungen der jüngern Squaws und Mädchen das Erwachen der Tanzleidenschaft verkündigten. Als nun die Tamburins einfielen, gab das Ganze eine zwar wilde, regellose, aber nicht unangenehme Musik. Es erhob sich jetzt eines der Mädchen, das mit den lieblichsten Gebärden sich in den Kreis wand und drehte, während aus dem gegenüberstehenden Bogen ein anderes ihr entgegenkam. Beide hatten Tamburins. Anfangs wirbelten sie im Kreise herum, sich zu den Mädchen herabbückend, und dann mit schlangenartiger Gewandtheit sich kreisend und wendend, tanzten sie in die Mitte, wandten sich einige Male im Kreise und fingen dann den eigentlichen Tanz an. Ihre Füße schienen sich nicht zu bewegen, während sie pfeilschnell nach den Schlägen des Tamburins im Kreise herumflogen, und ihre Fersen hebend sich immer und immer und immer fortbewegten, mit ihren Tamburins die graziösesten Pantomimen ausdrückend. Nichts konnte der Zartheit und dem Anmute dieser Tänzerinnen verglichen werden, die die natürlichen Leidenschaften der Wilden in so veredelter und reizender Mimik darzustellen wußten. Nachdem sie vielleicht zehn Minuten getanzt hatten, nahmen sie wieder ihre Sitze ein.
Zwei andere Mädchen folgten und führten denselben Tanz aus, doch war ihr Gebärdenspiel bei weitem nicht so sprechend, einfach und graziös, wie das der ersten. Als sie geendet hatten, trat ein Knabe mit einer Federkrone auf seinem Haupte ein. Sein Gesicht war mit den gewöhnlichen Kriegerfarben bemalt; den Schreck, den sie einzuflößen bestimmt waren, suchte er noch durch die wildesten Verzerrungen zu steigern, deren seine jugendlichen Züge fähig waren.
Ein zweiter, auf dieselbe wild phantastische Weise herausgeputzt, folgte ihm, und nun fingen beide den Kriegertanz an. Zu verschiedenen Malen warfen sie sich der ganzen Länge nach auf die Erde hin, daß man hätte glauben sollen, jeder ihrer Knochen sei aus dem Gelenke gerissen; dann krochen sie unglaublich schnell herum, krümmten ihre Schenkel, sprangen auf und fielen mit wütenden Gebärden aufeinander. Plötzlich wandten sie sich dem Halbkreise zu, wo ihre Gespielen saßen, rissen den beiden Trommelschlägern ihre Trommeln aus den Händen und waren kaum in die Mitte des Kreises zurückgesprungen, als dieser sich in zwei Hälften teilte, von denen die eine gegen die andere zu traben anfing. Squaw gegen Squaw, Mädchen gegen Mädchen, trabten einige Male vorwärts, dann rückwärts, schwenkten dann zuletzt ihre Fackeln, schüttelten ihre Schellen und rannten und trabten schneller und schneller, bis das Ganze zuletzt ein Knäuel der wildesten Verwirrung wurde.
Der grelle Widerschein von mehreren hundert Fackeln, unter dem Nebelsaume des Flusses hinabflackernd, gab diesem das Ansehen eines glühenden Höllenflusses; die alten Squaws, die mit aufgelösten Haaren und welken knochigen Gesichtern in ungeschlachten Kreuz– und Quersprüngen sich umhertrieben und mit ihren Feuerbränden mehr Kobolden als menschlichen Wesen glichen; das durchdringend gellende Geheul, das die Luft zittern machte und wieder plötzlich innehielt, um die melancholischen Töne der Flöte und die dumpfen Schläge der Trommel hervorbrechen zu lassen, gaben dem Ganzen mehr den Charakter eines Hexentanzes, als den weiblicher Wesen. Plötzlich wurde noch ein wütender Schrei, wie aus tausend Kehlen, gehört; die Fackeln versammelten sich in einen Klumpen, verloschen, und tiefe Finsternis herrschte. Und nach dem langen, schweigsamen Dahinstarren zu schließen, in welches unsern Briten dieser Auftritt versetzt hatte, schien es wirklich zweifelhaft, ob er nicht etwas Höllisches im Hintergrunde sehe. Die plötzlich eintretende Finsternis mochte nicht wenig dazu beitragen, die Sinne des jungen Menschen zu verwirren.
»Das sind ja verdammte – Bitte um Vergebung, Miß – das sind wirklich furchtbare Gestalten«, rief er aus. »Wo sind wir nur, ums Himmels willen?«
»Im Wigwam des Miko«; versetzte das Mädchen.
»Miko? Miko? Was ist dieser Miko?«
»Der Häuptling der Oconees«; lispelte sie mit bebender Stimme.
»Der Miko ist ferne,« sprach eine Stimme hinter ihnen, die die Gegenwart der Indianerin verriet, »aber wird sein Geruch nicht die Spur des Fremdlings wittern? Meine Schwester sollte nie vergessen, daß sie zugleich die Tochter des Miko und sein Gast ist.«
»Um Gottes willen!« rief diese, »mein Bruder muß gehen, er darf nicht länger in der Hütte des Miko verweilen. Wenn der Miko —.«
»Nur ein Wort, dieser Miko?«
»Mein Bruder«, sprach das Mädchen dringender, »muß wirklich gehen. Meine roten Schwestern sind sehr mißtrauisch, und ihre Augen würden sich verfinstern, wenn sie ihn mit Rosa in dem Wigwam fänden.«
»Wohl! Wohl! Ja, ja gewiß«; erwiderte der junge Mann, ihre Hand plötzlich fahren lassend. »Gute Nacht, Gott segne dich, du lieblichstes aller Wesen!«
»Gute Nacht, mein Bruder!« lispelte sie ihm nach.
Er fing den Ton ihrer Stimme auf, als er durch den Vorhang eilte. Er rannte durch die äußere Stube, durch die Türe und beinahe über die Indianerin. Himmel und Erde tanzten vor seinen Augen. Er suchte seine Hütte, sie war unsichtbar. Der silberartige Flor hatte sich über den ganzen Uferkamm hingelagert. Kein Dach, kein Haus, kein Licht war zu ersehen. Alles war in tiefe Nacht begraben. Die Dünste, die kalt und feucht von dem Strome herüberkamen, fingen an, seine Hitze zu kühlen, eine Fieberkälte begann seinen Rücken herabzurieseln.
»Mein Bruder«, sprach eine sanft melodische Stimme, während eine Hand die seinige ergriff, »ist zu viel gerannt. Will er nicht in seine Hütte zurückkehren?«
Er blickte auf und sah die Indianerin vor sich.
»Meine Schwester scheint mich sehr im Auge zu behalten«; erwiderte er nicht ohne Mißmut. Sie blickte ihn an, ohne den Sinn seiner Worte zu begreifen. »Meine Schritte zu bewachen«, fuhr er in demselben Tone fort.
»Unsere jungen Männer sind mit dem Miko auf der Jagd, Canondah ist die Tochter des großen Häuptlings«; sprach sie ernsthaft.
»Du bist also die Tochter des Indianerhäuptlings?« fragte er mit etwas mehr Interesse. Sie nickte und sprach: »Canondah hat es bereits ihrem Bruder gesagt; die Nacht ist kühl, mein Bruder muß in das Wigwam, oder mit der frischen Sonne wird er das Fieber haben.« Mit diesen Worten deutete sie vorwärts und schlüpfte voran. »Hier«, sprach sie auf die Hütte deutend, »wird mein Bruder Rast und Ruhe finden; und die Büffelhaut aufhebend, ließ sie ihn hindurch und entfernte sich eilends.
»Sie ist die Tochter des Miko, des großen Häuptlings der Oconees«; rief der Brite, den die kühle Nachtluft und die drohende Gestalt der Indianerin plötzlich aus seiner Phantasmagorie zurückgebracht hatte. »Fürwahr! würde nicht geglaubt haben, daß unsere Schildkröten– und Austernexkursion uns die Ehre so hoher Bekanntschaften zuwege bringen würde«, fuhr er lachend fort. »Wenn nur der Tom da wäre. Was würde der zu dem herrlichen Engel sagen? Wohl, wohl, Hodges, da könntest du so eine Art Roman spielen, und wenn es gut geht, von der Liste weggestrichen werden oder wenigstens für vierzehn Tage alle Sterne am Himmel abzählen. Ich möchte nur wissen, was unser alter Brummbär sagen wird?«
Der Morgen, der auf die etwas unruhige Nacht folgte, war schön und hell. Die Strahlen der Dezembersonne gossen über Dorf und Flur eine milde Wärme, die Fluß– und Hüttenbewohner neu belebte. Tausend wilde Enten, Gänse und Schwäne trieben ihr Wesen auf dem prachtvollen Strome, während Spottvögel, Paroquets und Bluebirds ihre harmonischen Töne aus den Gebüschen hören ließen. Herüber von dem Waldende hörte man den Gesang einer Schar Mädchen, die um eine kleine Herde gezähmter Büffelkühe beschäftigt waren; und etwas näher dem Strome zu war ein großes Feuer zu sehen, um das ein großer Haufe von Jungen und Mädchen sich herumtrieb. Sie verbrannten jauchzend eine lange, dicke, mit Stroh ausgefüllte Figur, deren weißes Gesicht einen Yankee vorstellen sollte und in dessen Wamse zahllose Pfeile steckten.
Aus der Hütte, in der unser Midshipman der indianischen Gastfreundschaft genoß, kam Canondah, ein Körbchen am Arme. Sie hatte sich bereits der Wohnung ihres Vaters genähert und schien eilig zu sein, als die Büffelhaut der Hütte sich öffnete und der junge Mann ihr nachgelaufen kam. Sein schneller, fester Schritt bezeugte, daß er sich beinahe gänzlich erholt habe. Das Äußere des jungen Mannes verriet jenes humoristisch waghalsige und derbe Wesen, das einen jungen Seekadetten so wohl kleidet, in dem der spaßhafte Geist des Matrosen mit dem ernsten, herrischen Wesen des Offiziers und den halb geschliffenen Manieren des Landjunkers noch immer um die Oberhand streiten. Die bleiche Jammergestalt war zum kräftigen, rotbackigen Sprossen John Bulls geworden, in dessen muntern blauen Augen sich ein gewisses behagliches Gefühl, mit viel gesundem Menschenverstand, abspiegelten, während der um sein Kinn aufgesprossene ziemlich lange Flaum und die Adlernase dem noch immer wettergebräunten Gesichte einen Ausdruck von Kraft und Männlichkeit gaben. Mit diesem anziehenden Äußern jedoch stach seine Garderobe nur zu sehr ab, die, die Wahrheit zu sagen, nichts weniger als einladend war. Zu geschweigen des Halskragens, der seit mehreren Wochen der Seife entbehrt haben mochte, war seine Jacke stellenweise durchlöchert, und ein Stück Kottontuches verbarg nur kümmerlich den Schaden, den die Zähne des Alligators an seinen Beinkleidern angerichtet hatten.
Die Indianerin hatte kaum die Fußtritte des Nahenden gehört, als sie sich umwandte und ihm freundlich entgegenging. In ihrer Miene lag nichts von jener kalten Härte, die früher an ihr sichtbar gewesen; im Gegenteil, sie war heiter und fröhlich.
»Mein Bruder«, rief sie ihm von weitem lachend zu, »hat den Schlaf eines Bären, den weder die Wasservögel, noch die schreienden Squaws aufwecken können. Die Sonne ist bereits hoch, und doch hat er seine Schwester nicht gehört.«
»Ja doch,« versicherte er, »und der beste Beweis davon ist, daß ich mich sogleich aufmachte, um den Besuch zu erwidern.«
Das Kompliment schien von dem Mädchen wieder nicht verstanden zu werden, und sie drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Mein Bruder spricht wieder mit einer Doppelzunge.«
»Ich bin gekommen, meiner freundlichen, guten Schwester meinen Morgengruß anzubieten,« erwiderte er, sich die Lippen beißend, »aber was die Doppelzunge betrifft, so muß ich zu meinem Leidwesen gestehen, daß ich nur die schlichte, ehrliche Zunge von meinem Altengland spreche. Mein weniges Französisch habe ich seit meinem achtzehnmonatigen Schiffsleben so ziemlich wieder vergessen.« Die unbekümmert behagliche Weise, mit der er diese Worte sprach, und das ganze Wesen des vollen, blühenden Jünglings, in dem kein Arges zu sein schien, brachten sichtlich einen günstigen Eindruck auf die Indianerin hervor. Ihre Augen hingen mit Wohlgefallen an ihm; sie sann einige Augenblicke nach, ergriff plötzlich seine Hand, und auf seine Hütte deutend, sprach sie: »Mein Bruder wird da seine Schwester erwarten.«
Sie flog dann zur Türe ihres Häuschens, stellte das Körbchen nieder und eilte zur zweiten größern Hütte, aus der sie nach einer Weile mit einem ziemlich großen Bündel kam. Mit diesem flog sie der Hütte des Briten zu.
»Meines Bruders Gürtel und Hemd sind sehr schmutzig und zerrissen«; sprach sie. »Hier wird er finden, was ihn besser kleiden wird.«
»Was ist das, liebe Schwester?« versetzte er, der sich allmählich an ihre Phraseologie gewöhnte.
»Meines Bruders Schwester wird wieder kommen, wenn er dieses mit seinen unsaubern, häßlichen Kleidern vertauscht hat«; sprach sie, durch die Türe schlüpfend.
Neugierig untersuchte er nun das Päckchen. Es war ein vollkommener Anzug mit frischer Wäsche. Ein Überrock von blauem Tuche, ganz im Schnitte britischer Seeoffiziere, Pantalons, Weste und Stiefel. Das sonderbare Geschenk war nicht geeignet, die Zweifel zu beschwichtigen oder ihn über seine Lage aufzuklären. Woher hatte die Indianerin diese Kleidung? Der Seeräuber fiel ihm von neuem ein. Durfte er, ein britischer Offizier, von dieser Kleidung Gebrauch machen? Sein Auge fiel auf seine abgetragene Garderobe, die, nur mühsam zusammenhaltend, jeden Augenblick eine furchtbare Blöße androhte. Not kennt kein Gebot. »Es ist nicht die erste Kriegslist, durch die ein ehrlicher britischer Midshipman in eines andern Stelle schlüpfte«; rief er lachend, seine Fragmente abwerfend und sein neues Kostüm mit den Kenneraugen eines Newbondstreet-Costumers prüfend.
Die Umwandlung war wirklich zu seinem Vorteile ausgefallen. Der knapp anliegende blaue Rock, die eleganten Pantalons, die lichtgelbe, echt britische Weste kleideten ihn trefflich. Mit einer Art komischen Abscheus stieß er die Reste seines vormaligen äußern Menschen zur Türe oder vielmehr zur Büffelhaut hinaus, um sie im nahe gelegenen Gebüsche jedem menschlichen Auge zu entziehen.
Mitten in dieser Beschäftigung überraschte ihn Canondah. Einen Augenblick hing ihr Auge an dem wohlgebildeten, nun wirklich schönen Jünglinge, und dann ergriff sie lächelnd seine Hand, ihn rasch mit sich fortziehend. Vor der Türe ihrer Hütte angelangt, winkte sie ihm bedeutsam, schlüpfte dann in die Stube und kehrte Hand in Hand mit Rosen zurück und flog hernach dem brennenden Scheiterhaufen zu.
Achtes Kapitel
Die betroffen staunende und halb verlegene Miene, mit der er sich ihr näherte und die erst allmählich in den freien Anstand überging, die einer guten Erziehung und gutem Umgang eigentümlich sind, hatte seinem ganzen Wesen einen so zarten Anstrich von Aufmerksamkeit und Überraschung gegeben, daß das Mädchen bis zur Nagelspitze errötete. Es war das erstemal, daß sie auf eine so zarte Weise den Triumph ihrer idealen Schönheit genoß und das wohltuende Gefühl fremder Anerkennung schien ihren Busen zu heben und ihrem ganzen Wesen eine veredelte Gestalt zu geben.
»Ein herrliches Bild«, sprach er endlich mit Feuer und Rührung, »schwebt meinem trüben Blicke vor. Es ist ein Engelsbild, das mich liebend umschlang, als mich das Ungetüm in seinen Rachen faßte. Es kam, als mich die Nacht des Todes umfing, und wärmte mich, als Fieberfrost meine Glieder schüttelte. Es hat mich gepflegt und heilenden Balsam auf meine Wunde gegossen. Wahrlich Miß, wäre es nicht heller Tag, ich glaubte zu träumen.« Sie hatte schweigend ihr Auge auf die Erde geheftet. »Sie sind es denn,« fuhr der Jüngling fort, »der ich mein Leben, meine Gesundheit danke, die mich gepflegt, die mich liebreich gewartet?«
»Der Arm Rosas ist schwach, mein Bruder,« fiel sie ein, ihm mild und vertrauensvoll ins Äuge blickend, »sie würde ihren Bruder nicht aufrechterhalten haben können. Es ist Canondah, die dich aus dem Rachen der Wasserschlange gerettet. Es ist sie, die dich in die Baumhöhle, in dieses Wigwam getragen. Sie ist es, die Winondah vermochte, das Fieber zu vertreiben.«
»Die Indianerin!« rief der Jüngling. »Dieselbe, die mich so unbarmherzig auf die Folter spannt, jeden meiner Schritte belauert?«
Der Blick des Mädchens ruhte beinahe wehmütig auf ihm. »Canondah ist die Tochter des Miko, sie ist die Mutter der Oconees, sie ist der Trost und die Hoffnung aller; aber der Miko und sein Volk sind rot«; sprach das Mädchen bedeutsam und unwillkürlich schaudernd.
»Ich verstehe«; sprach der Brite.
»Sie sind sehr gut, aber sie haben vieles von unsern weißen Brüdern gelitten.«
»Den Yankees?« versetzte der Jüngling. »Aber wie kommen Sie, Miß, hierher; darf ich bitten, mir hierüber Aufklärung zu geben?«
»Der Miko nahm Rosa aus der Hütte des weißen Zwischenhändlers.«
»Aber wer ist dieser Miko, dieses Dörfchen hat doch gar keinen wilden Anstrich. Beinahe alles, was man bei uns sieht. – Wo sind denn die Männer?«
»Sie sind mit dem Häuptlinge auf die Herbstjagd ausgezogen.«
Die Augen des Briten zuckten, seine Miene heiterte sich auf. »Können Sie mir sagen, teure Miß, wo wir sind?« fuhr er zutraulich fort, ihre Hand ergreifend. Es schien beinahe, als ob das Zartgefühl des Mädchens das Selbstische, das in seiner Frage lag, geahnt hätte. – Sie sah ihn mit ihren klaren Augen forschend an und sprach: »Wir sind weit von den Weißen. Weit vom großen Flusse gegen die untergehende Sonne. Wir hatten vierzig Tage diesen überschritten und noch immer waren wir nicht am Ziele.«
Der junge Mann schüttelte sein Haupt. »Verzeihen Sie, das kann nicht sein. Ich war bloß acht Tage von dem Blockhause des Piraten weg, und die Golfströmung konnte mich unmöglich so weit vom Mississippi weggetrieben haben. – Wissen Sie nicht den Namen dieses Flusses?«
Sie verneinte es. »Am jenseitigen Flusse oberhalb wohnen die Coshattaes und weiter oben die Sabineindianer.«
»Sabine? dann sind wir am Sabine.«
»Der andere Fluß mag so heißen. Hier«, fuhr sie fort, »sind wir ringsum eingeschlossen. Nur auf dem Strome oder von jenseits gelangt man zu uns. Auf dieser Seite würde auch der Wolf vergebens zu uns zu dringen versuchen. Mein Bruder muß nicht auf Flucht denken.«
Der junge Mann war in tiefes Nachdenken versunken. »Sabine,« murmelte er, »das ist die Grenze der Vereinigten Staaten gegen Mexiko. Zu Lande höchstens vierhundert Meilen, nicht unmöglich —.«
»Mein Bruder«, wiederholte sie, »muß nicht auf Flucht denken. Der Miko ist gut, wenn du«, fuhr sie zögernd fort, »ein Feind der Yankees bist. – Er wird dir mit Freuden die Hand reichen, wenn —«
»Wenn?« fragte der Jüngling gespannt.
»Wenn du nicht als Späher gekommen bist«; fuhr sie zögernd heraus.
»Späher, Spion? Pfui! – Wie können Sie, Miß, so Arges von mir denken?«
Das jungfräuliche Kind hatte ihn mit den klaren, ruhigen Augen kindlicher, aber tief dringender Unschuld angesehen.
»Mein Bruder,« sprach sie mit naiver Einfalt und einer Miene, die um Aufklärung zu bitten schien, »mein Bruder sagt, daß sein Volk nicht im Kriege gegen den Häuptling der Salzsee begriffen, und es ihn doch an einen Baum hängen würde, im Fall es ihn in seine Hände bekäme.«
Ein unwillkürlich ironisches Lächeln überflog den Mund des Briten bei Anhörung dieser sonderbaren Rede; aber ein Blick auf das Mädchen, das in edler Einfalt und natürlicher Würde vor ihm stand, machte ihn über seine Gemeinheit erröten. »Wir sind, und wir sind nicht im Kriege mit dem Seeräuber, liebe Miß«, sprach er. »Nicht im Kriege, weil der eigentliche Krieg bloß zwischen zwei Nationen, die legitime Regierungen haben, geführt werden kann; was Sie aber den Häuptling nennen, ist bloß ein Seeräuber, ein Seedieb, ein Elender, der mit dem Auswurfe des menschlichen Geschlechtes Schiffe plündert, Weiber, Kinder und Männer ermordet. Gegen solche Räuber ziehen wir nicht in den Krieg; wir senden aber Schiffe aus, sie aufzusuchen und einzufangen, und dann werden sie zum Lohne ihrer Verbrechen gehängt.«
Der junge Mann hatte nicht bemerkt, wie das Mädchen während seiner Erklärung leichenblaß geworden war. »Der Häuptling der Salzsee ein Dieb?« fuhr sie erschrocken heraus.
»Wissen Sie dies nicht?« erwiderte er. »Er ist schlechter als ein Dieb. Er ist ein Räuber, ein Mörder, mit einem Worte ein Seeräuber.«
Erst jetzt bemerkte er mit Verwunderung den Eindruck, den seine Worte auf sie gemacht hatten. Sie war totenblaß geworden. Zitternd bedeckte sie mit beiden Händen das Gesicht, sie schwankte und eilte der Türe der Hütte zu. Ehe sie jedoch diese erreicht hatte, sank sie bewußtlos auf der Schwelle nieder. Er war herzugerannt, um die liebliche Gestalt vom Sinken zu bewahren, als ein Schrei des Entsetzens sich hören ließ und die Indianerin mit einem Sprunge an seiner Seite stand. Ohne ihn nur eines Blickes zu würdigen, umfaßte sie ihre Freundin mit beiden Armen, drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Lippen und trug sie in ihre Wohnung.
Der junge Brite hatte den beiden Mädchen mit der Miene eines Mannes nachgesehen, der einer fürchterlichen Entdeckung auf die Spur gekommen. Sein Auge hing mit Scheu an der Türe, als ob sie ein schauderhaftes Geheimnis verschlösse. Unwillkürlich wandten sich seine Schritte zuerst langsam und dann schneller und schneller, als ob er der furchtbaren Entwicklung entfliehen wollte, die der befremdenden Szene folgen müsse. Verstört eilte er in seine Hütte und warf sich auf das Lager. Es lag etwas Gräßliches in dem namenlosen Schmerze, der in dem Busen des Mädchens bei seiner Erklärung rege geworden. Ein erschütterndes Geheimnis! Diese Teilnahme in einem solchen Wesen für einen solchen Menschen – war grauenhaft.
Dem Selbstgespräch machte die eintretende Indianerin ein Ende. Ernst und prüfend schritt sie auf ihn zu. Ihr Blick war beinahe feierlich. Sie hob ihre Hand auf und winkte ihm, als sie bemerkte, daß die Speisen noch unberührt standen. Er war aufgestanden, um ihr entgegenzukommen.
»Mein Bruder muß essen,« sprach sie; »wenn er es getan hat, dann will ihm seine Schwester etwas in das Ohr wispern.« Mit diesen Worten ließ sie sich am entgegengesetzten Ende des Ruhelagers nieder.
»Ich habe keinen Hunger, meine Schwester,« erwiderte der junge Mann, »und bin bereit, dich anzuhören. Wie ist›s der weißen Rosa?« fragte er in sichtbarer Verlegenheit.
»Meine Schwester«, erwiderte die Indianerin, »ist krank; aber sie ist nicht krank wie mein Bruder, sie ist krank im Herzen. Mein Bruder kann die weiße Rosa gesund machen. Sie ist Canondah sehr lieb, mehr als ihr Leben.«
Sie zitterte, sie suchte augenscheinlich nach Worten, allein sie konnte keines hervorbringen. Sie war sichtlich sehr angegriffen. Ihr Busen hob sich, ihr ganzes Wesen drückte die innigste Teilnahme für ihre Freundin aus. Der Jüngling sah sie mit Verwunderung an.
»Will mein Bruder sie gesund machen?« fragte sie leise.
»Und meine Schwester fragt?« erwiderte er. »Was in meinen Kräften steht, will ich gerne tun.«
»Mein Bruder hat etwas in das Ohr der weißen Rosa geflüstert, das sie krank gemacht hat.«
»Das tut mir leid; hätte ich auch nur entfernt ahnen können, daß dieses liebliche Wesen an dem Ungeheuer den leisesten Anteil nimmt, nie würde ein Wort über meine Zunge gekommen sein.«
Die Indianerin sah ihn kopfschüttelnd an. Sie trat einige Schritte zurück und sprach forschend: »Würde mein Bruder es gerne sehen, wenn der Häuptling der Salzsee die weiße Rosa in sein Wigwam führte?«
»Gott bewahre!« rief der junge Mann. »Dieses wüste Ungeheuer das engelreine Wesen.« Er sprach die Worte mit Heftigkeit, mit Abscheu.
Das Mädchen fuhr freudig auf, seine Hand ergreifend. »Mein Bruder hat wohl gesprochen. Mein Bruder hat etwas in das Ohr der weißen Rosa geflüstert. Hat er keine Lüge gesagt?«
»Lüge?« entgegnete er rasch. »Nein, liebes Mädchen, kein Gentleman sagt eine Lüge.«
»Und der Häuptling der Salzsee ist ein Dieb, ein Räuber?« fragte sie. Sie blickte ihn an und nickte. »Er ist ein Panther der Salzsee, der rote Hund, die Mokassinschlange?« Ihre Augen blitzten vor Wut und Verachtung.
»Er ist wirklich ein Dieb, mit allen den Seinigen, der Auswurf des Menschengeschlechtes, der raubt, stiehlt, mordet. Er ist vogelfrei, und wenn wir ihn heute erwischen, so hängt er morgen in Ketten«, sprach der junge Mann.
»Und mein Bruder ist kein Yankee?« fragte sie.
»Nein«, sprach er, sich stolz in die Brust werfend. »Gott sei Dank, ich habe die Ehre, ein Engländer zu sein; von der Nation, die den Ozean beherrscht und alle Könige und Kaiser in ihrem Felde hält und tausend Schiffe auf allen Meeren hat.«
Der Ausdruck des jungen Mannes, der Indianerin gegenüber, hatte jene hier ziemlich alberne Prahlerei angenommen, der sich jedoch auch der sonst vernünftige Brite so gerne und nie mehr als dann überläßt, wenn es sein Vorteil zu erheischen scheint, Fremden eine recht große Idee von seinem Lande und so gelegentlich von sich selbst beizubringen.
Diesmal schien die Indianerin nicht ohne Vergnügen die Lobpreisungen seines Landes anzuhören.
»Mein Bruder«, sagte sie, »ist kein Späher, dies ist nicht die Zunge eines Spähers. Nein, mein Bruder ist ein junger Krieger. Und will er dem Miko sagen, daß der Häuptling der Salzsee ein Dieb ist?«
»Und der Miko weiß dies nicht?« fragte er.
Die Indianerin verneinte es. »Wenn der Miko es mir erlaubt, dann will ich ihm bald Beweise liefern. Der Seeräuber wird es nicht lange mehr treiben. Sein letzter Streich hat das Maß gefüllt. Wahrscheinlich ist er bereits eingefangen.«
»Mein Bruder«, erwiderte sie, »wird den Miko sehen, der Miko wird die Palme seiner Hand öffnen, und ihm ein Wigwam geben und Rosa zur Squaw schenken. Er wird meinen Bruder lehren, die Wasserschlange töten und den schlafenden Bären und den schnell springenden Panther schießen. Mein Bruder wird ein großer Krieger werden. Und Rosa«, flüsterte sie ihm zu, »wird einst sein Wildbret kochen und sein Jagdhemde nähen, und der Dieb soll sie nicht haben.« Mit diesen Worten eilte sie von dannen.
»Verfluchte Robinsonade!« schrie der Brite, als die Indianerin den Rücken gekehrt hatte, und ein lautes Hohngelächter entfuhr ihm. »Glaubt sie mich zum Ersatze für den abscheulichen französischen Hund zu nehmen? Wahrlich, James, du müßtest dich trefflich in den Mokassins und Wampums, rot bemalt, ausnehmen. Ins Wigwam ziehen! Wildbret kochen! Nein, es ist zum Tollwerden!«
Und wahrlich für einen jungen, kaum zwanzigjährigen Midshipman, der die Liebe höchstens aus Romanen kannte, mußte der Vorschlag, sein Leben in einem indianischen Wigwam zwischen Wilden zuzubringen, eben nicht sehr erfreulich klingen.
Seine Lage war wirklich nicht beneidenswert. Sie war, wenn gleich nicht so ganz unerhört unter seinen abenteuerlichen Landsleuten, doch von allem, was er gesehen oder gehört, so gänzlich verschieden, die Geschöpfe, mit denen er umringt, so sonderbar, daß er immer mit sichtbarer Angst seinen Mund auftat, aus Furcht, mißverstanden zu werden. Er hatte sich gewissermaßen einen ganz neuen Ideenkreis zu bilden, um sich mit ihnen verständigen zu können, aber in dieser Bemühung das Ziel schrecklich verfehlt. Je tiefer er sich mit ihnen eingelassen, desto mehr hatte er sich verwickelt, und alle seine Mühe, den Faden aus diesem Labyrinthe herauszufinden, war gescheitert. Was er zudem während der letzten Tage gesehen und gehört, war wahrlich nicht berechnet, seine Lage besonders erfreulich zu machen. Die Wildheit der Weiber bei ihrem Tanze, das höhnend Giftige der Jungen, die mißtrauisch durchbohrenden Blicke der alten Squaws, mit dem furchtbaren Erbeben Rosas bei dem bloßen Namen des Miko, waren eben keine guten Vorbedeutungszeichen für den guten Empfang des Häuptlings. Es war allmählich, daß diese Umstände und Bilder sich seinem Gedächtnisse und seiner Phantasie vordrängten und eine Verwirrung in seinem Kopfe anrichteten, die ihn die ganze Nacht wie wahnsinnig im Dörfchen umhertrieb. Erst gegen Morgen wurde er ruhiger; seine Verstandeskräfte traten allmählich in ihre Verrichtungen, und, die wilden Phantasiestücke absondernd, gelangte er, wenn nicht zu einem klaren, doch ruhigen Anschauen seiner Lage. Erst als dieses Geschäft in seiner Seele so weit gediehen, entschlief er.
Die kurze Ruhe hatte ihm zu einiger Besonnenheit verholfen; der junge Mann schritt am Morgen festern Schrittes der Hütte der Mädchen zu. Seine Miene schien anzukündigen, daß er einen Entschluß gefaßt habe.
Neuntes Kapitel
Die beiden Mädchen kamen ihm auf der Türschwelle entgegen. Die Indianerin war ungemein heiter, in Rosa war keine Veränderung vorgefallen. In ihrem Gesichte spielte ein milder, kindlicher Ernst mit ruhiger Ergebung und sanfter Würde. Sie blickte den jungen Mann freundlich an.
»Mein Bruder«, lachte ihm die Indianerin entgegen, »ist ernst wie Wineachi, wenn er sich die siebente Pfeife vollgestopft hat, und bleich. Hat mein Bruder einen bösen Traum gehabt?«
»Viele, meine Schwester«, erwiderte er.
»Die weiße Rosa wird sie deuten«, sprach die Indianerin mit einem vielsagenden Lächeln, indem sie zugleich die Türe öffnete und beide in die Stube schob, die sie verschloß. Und dann trippelte sie schnell ins Gebüsch fort.
»Unsere Schwester scheint sehr gut aufgelegt zu sein«, sprach der junge Mann, der in ziemlicher Verlegenheit dem Manöver der Indianerin zugesehen hatte.
»Sie weiß es,« erwiderte das Mädchen, »daß Rosa es liebt, ihren Bruder zu sehen.«
Der junge Mann blickte sie an, als wäre er aus den Wolken gefallen. Es hatte sich jedoch kein Zug in ihrem Wesen verändert. – Derselbe unschuldig klare Blick, eine Art natürliche Hoheit, die unverhohlen die leisesten Regungen des Herzens gestand. Sie hatte ihn durch den Vorhang ihrem Stübchen zugeführt, und sein flüchtiger Blick fiel nun auf die Einrichtung. Das Ganze war so freundlich, so niedlich und bei der kunstlosesten Einfachheit so geschmackvoll und reinlich, daß seine Verwunderung mit jedem Augenblicke stieg. Wie in der äußern Stube, so befanden sich auch hier zwei an den Wänden hinlaufende Sitze oder vielmehr Ruhelager, auf deren einem sie sich mit unendlicher Grazie niederließ, ihn bittend, dasselbe auf dem entgegengesetzten zu tun. An den Wänden hingen die Kleider der Mädchen, unter denen einige sehr elegante und selbst kostbare Anzüge. Ein Arbeitskästchen stand am Fenster. Beinahe glaubte er sich in eine Devonshire-Cottage Altenglands versetzt.
»Aber ums Himmels willen, Miß,« sprach er, »wo haben Sie, ich bitte tausendmal um Vergebung, diese prachtvollen Anzüge, diese kostbaren Geschmeide in dieser Wildnis her?« Sie sah ihn betroffen an. Die Frage war wirklich echt seemännisch.
»Vom Häuptlinge der Salzsee«, erwiderte sie mit leiser stockender Stimme.
»Vom Häuptlinge der Salzsee? Und kommt der hieher?«
»Er kommt, wenn seine Leute Welschkorn, Wildbret oder Tabak brauchen, und dann bleibt er mit ihnen oft viele Tage im Wigwam.«
»Und die schöne Rosa hat auch einen Tauschhandel mit dem Seeräuber?« fragte er in gleicher seemännischer Weise und nicht ohne Spott.
Sie warf einen furchtsamen Blick auf ihn und erwiderte dann bittend, beinahe demütig: »Der Pfeil des Schmerzes sitzt tief im Herzen deiner Schwester, mein Bruder. Du mußt ihn nicht noch tiefer drücken. Sie muß die Geschenke des Häuptlings der Salzsee – des Diebes«, sprach sie mit Abscheu, »annehmen. Der Miko hat es geheißen.« Sie brach in einen Tränenstrom aus, begleitet von einem lauten Schluchzen.
»Mein Bruder«, sprach die Indianerin hinter der Tapete, »muß sanft ins Ohr der weißen Rosa sprechen. Sie ist sehr zart. Siehe, sie hat ihm Wein und eine Wolldecke in den hohlen Baum gebracht und hat bei ihm gewacht, als er schlief; die Rosen sind beinahe von ihrem Gesichte gewichen.«
»Rosa!« stammelte der Jüngling, auf sie zustürzend; »das haben Sie für mich getan?« Seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er faßte ihre beiden Hände.
»Aber Canondah!« bat Rosa mit unterdrücktem Vorwurfe.
»Mein edles Mädchen, Vergebung«, rief der Jüngling, sich vor ihr niederlassend und ihre Hand ergreifend. »Wie habe ich so viele Güte um Sie verdient?« Es zuckte fieberisch durch seine Glieder. Er zitterte, der Angstschweiß brach auf seiner Stirne aus. Plötzlich fuhr er mit seiner Hand über diese hin, sprang auf und stürzte durch die Türe.
Ein Tornado tobte in ihm, der das Schifflein seines Verstandes in den Abgrund zu senken drohte. Er rannte durch das Dörfchen wie ein Rasender.
Die Indianerin unterbrach abermals seine wilden Träume, als er am Waldesrande halb rasend auf und ab tobte. Beinahe hätte er sie wegen dieser abermaligen Zudringlichkeit rauh angefahren; aber in ihrer Miene lag etwas so Gebieterisches, ihr Blick ruhte so finster, beinahe feindselig auf ihm, daß ihm dies für jetzt seine Zunge band.
»Unsere Krieger«, sprach das Mädchen, »lassen ihre Squaws Felder pflügen und Korn säen und die Tabakspflanze bauen; aber sie stoßen ihnen nicht den Stachel ihrer gekrümmten Zunge in die Herzen. Mein Bruder ist kein Krieger, aber er liebt gleich der Schlange mit seiner Zunge zu vergiften und den Giftzahn in meiner armen Schwester Busen zu stoßen, die ihm das Leben gerettet hat. Mein Bruder ist eine alte, boshafte Squaw, ein Yankee«, sprach sie mit Abscheu, ihm den Rücken kehrend.
»Halt!« rief der Jüngling; »ich bitte dich, vergib meiner unvorsichtigen Zunge. Ich will —«
»Mein Bruder mag die Tränen trocknen, die er ins Auge der weißen Rosa gebracht hat. Sie ist Canondah teurer, denn ihr Leben.« – So sprechend, deutete sie auf die Hütte ihres Vaters, während sie selbst einen andern Weg einschlug.
Mechanisch folgte er ihrem Winke. Es war nicht Roheit oder Bosheit gewesen, die dem jungen Seemann die unbesonnene Frage auf die Zunge gebracht hatte. Es war vielmehr ein Ausbruch seiner jungen seemännischen, etwas tollen Natur, verbunden mit einem gewissen Spleen, einer üblen Laune, die einem jungen, selbst gebildeten Seeoffizier, der seit einiger Zeit bloß den Umgang roher Schiffsgesellen oder kurz befehlender Oberer genossen, nicht selten entwischt. Die Symptome von tiefer Scham waren deutlich hervorgetreten. – Er eilte der Wohnung Rosas zu.
Mit dem lieblichen Kinde war eine bedeutende Veränderung vorgefallen. Das elegante Seidenkleid, das seidene Halstuch waren durch ein einfaches Kalikokleid ersetzt. Selbst ihren Kamm hatte sie abgelegt, und ihre Haare hingen in natürlichen Locken um ihren glänzend weißen Nacken. Ihre Brasseletts lagen neben ihr auf dem Sofa.
»Können Sie, Miß, meiner Unart verzeihen?« bat er herzlich.
»Mein Bruder hat recht,« erwiderte sie, »und Rosa hatte unrecht, die Geschenke des Diebs zu nehmen.«
»Vergebung, nochmals Vergebung«, bat er, der den Sinn ihrer Rede nicht verstand und in seiner Verwirrung die Veränderung in ihrem Anzuge nicht bemerkt hatte.
»O, Rosa hat keinen Groll in ihrem Herzen, aber mein Bruder wird sie nicht mehr bitter ansehen, sie will auch nie wieder vom Diebe etwas annehmen.«
»Und gibt es kein Mittel, Sie von dem Piraten zu befreien?« fragte er teilnehmend. »Sprechen Sie aufrichtig; was in meinen Kräften steht, will ich gerne tun.« Ihr Auge flammte freudig auf.
»Der Miko ist sehr gut gegen die Freunde der roten Männer«, sprach sie. »Sieh, er hat dem Seediebe eine Hütte gegeben und Fülle von Welschkorn und Wildbret; aber er liebt den Seeräuber sehr, und sein Auge heitert sich auf, wenn er im Wigwam ist; der Seedieb«, setzte sie leiser hinzu, »führt jedoch auch Krieg gegen die Yankees, die Todfeinde des Miko. Mein Bruder sagt, daß die Schiffe seines Volkes vor dem großen Flusse liegen, daß seine Brüder gegen die Yankees in den Krieg ziehen. Der Miko wird dich freundlich dafür aufnehmen.«
»Der Miko ist also im Kriege gegen die Yankees begriffen?« fragte der Brite rasch.
»Sie haben ihm viel Böses zugefügt, sie haben ihm das Erbteil seiner Väter genommen, ihn vertrieben.«
»Und er rächt sich auf indianische Weise und skalpiert sie, wo er sie findet?«
Sie schüttelte das Haupt. »Der Miko ist schrecklich und furchtbar, aber er ist auch gerecht und gut«, sprach sie gerührt. »Er ist weit gegen die untergehende Sonne gezogen, um nie wieder die Weißen zu sehen.«
»Und wie ist er mit dem Seeräuber bekannt geworden?« fragte er immer gespannter. »Die Indianer sind doch sonst nicht große Freunde vom Salzwasser.«
»Vierundzwanzigmal hat sich der Vollmond erneuert,« sprach das Mädchen geheimnisvoll, »als der Seedieb auf dem Flusse in einem großen Boote heraufkam«, sie wies auf den Natchez. »Er hatte viele wilde Männer bei sich, häßliche Menschen, schwarz, braun und gelb. Sie stürzten, gleich bösen Wesen, aufs Ufer. Als sie aber das Dorf und die Hütten gesehen, zogen sie sich auf einmal zurück und sammelten sich in einen großen Haufen, der, sowie die laute Stimme des großen Diebes gehört wurde, sich in mehrere kleinere teilte, die das Wigwam von allen Seiten, die des Waldes ausgenommen, umringten. Einer dieser Haufen war vor die Hütte des Miko gezogen. Der Häuptling jedoch war bereits mit allen den Unsrigen in jenem Walde, wo er sich im Hinterhalt gelagert. Es vergingen uns viele Stunden in banger Angst, als der Seeräuber ohne Waffen auf den Wald zukam, die flache Hand ausstreckend, und um Frieden und Freundschaft bittend. Sonderbar!« sprach sie, »der Miko, der jeden Weißen mehr als die Wasserschlange haßt, empfing den Dieb, führte ihn in sein Wigwam und schloß Freundschaft mit ihm. Auch die Weiber kamen aus dem Walde, um für die wilden Menschen Speise zu bereiten; aber die Krieger und jungen Männer blieben mit uns zurück.«
Sie beschrieb den Besuch oder vielmehr den Überfall des Seeräubers auf eine so kunstlos lebendige Weise, der Schauder und Schrecken malte sich so wahr in ihrem schönen Gesichte, daß der junge Mann ihr in der höchsten Spannung zugehört hatte.
»Die Sonne«, fuhr sie bewegt fort, »hatte sich bereits hinter die Baumgipfel versteckt, als von der Hütte Mi-li-machs her ein ängstliches Geschrei ertönte. Es kam von seiner Tochter, die zwei Diebe mißhandelt hatten. Der große Dieb war sehr aufgebracht. Alle seine Männer mußten in einen Haufen zusammentreten, wo sie eine kurze Beratschlagung hielten. Als sie sich trennten, faßten sechs Männer die zwei, die an unserem Mädchen Böses getan hatten, und banden ihre Hände und verbanden ihre Augen. Dann führten sie diese einige Schritte an das Ufer des Flusses, wo er sich gegen die Wigwams zu biegen anfängt. Dort« – sie hielt inne, und fuhr nach einer Weile fort – »mußten die zwei Unglücklichen niederknien, und die sechs fürchterlichen Männer schossen auf sie, bis sie tot zur Erde sanken. Der Seeräuber nannte es Exekution. Des Morgens war er mit den Seinigen verschwunden. Nach zwei Wochen kam er wieder. Er brachte viele Feuergewehre für die Männer, Wolldecken und Anzüge für die Weiber; und diese Kleider und noch andere«, sie deutete auf die an der Wand hängenden Anzüge, »schenkte er Canondah und deiner Schwester. Der Miko liebte ihn sehr, und die Unsrigen fürchteten sich anfangs, aber bald liebten sie ihn auch.«
Sie war im Begriff, mehr zu sagen, hielt jedoch inne, als sie bemerkte, daß ihr Zuhörer in tiefes Nachdenken gesunken. Die kunstlose Erzählung hatte ihn das Verhältnis seiner neuen Umgebungen so ziemlich deutlich erkennen lassen. Er befand sich wirklich im Wigwam eines Freundes des berüchtigten Seeräubers Lafitte, dessen Kühnheit den westlichen Archipel und besonders den Seebusen von Mexiko schon so lange zittern gemacht. Er hatte sich seine Schlupfwinkel in der Insel von Barataria zwischen unzugänglichen Morästen und Untiefen so gewählt, daß ihm, im Falle eines Angriffes von der See, noch immer der Rückzug durch die Sümpfe übrig blieb, in denen er verborgene Pfade und Auswege angelegt hatte. So war er wenigstens für die Zeit des Krieges gegen die Justiz des Staates Louisiana gesichert, der ohnedies vollauf zu tun hatte, um den Briten die Spitze zu einer Zeit zu bieten, wo ihre ungeteilte Kraft sich gegen die Amerikaner wenden konnte. Die Wahl gereichte seinem militärisch– seemännischen Scharfblicke wirklich zur Ehre, und ungestört hatte er bereits eine geraume Zeit sein Wesen getrieben.
Es war auf einem seiner Ausflüge nach Louisiana und dem angrenzenden Mexiko, daß er die entzückend schönen Ufergürtel des Natchez und die Niederlassung der Indianer aufgefunden. Die reizende Lage des Dörfchens, die lieblichen Hütten, wie in einen prachtvollen Garten hingezaubert, hatten ihn mit Verwunderung und Verlangen erfüllt, die Bewohner näher kennen zu lernen. Gesetzlos und grausam, wie er war, konnten seiner Klugheit die Vorteile nicht entgehen, die er aus einer nähern Verbindung mit diesen Bewohnern wahrscheinlich ziehen würde, und diesen Gründen hatten die Wilden die Schonung und strenge Mannszucht zu verdanken, die er zugleich zum Tagsbefehl werden ließ.
Als er mit dem Miko bekannt geworden war, hatten sich seine Vermutungen begründet, und er trat mit diesem und seinen Indianern allmählich in einen Verkehr, der für beide Parteien äußerst vorteilhaft geworden war. Das Mißtrauen, das den Wilden gegen jeden Weißen angeboren ist, hatte er schnell durch die Exekution zweier seiner ruchlosen Gesellen beschwichtigt, so daß jene ihm anfangs zwar scheu, doch immer noch mit mehr Zuvorkommenheit, als er erwarten konnte, entgegenkamen. Allmählich waren jedoch die Verhältnisse freundschaftlicher geworden. Die Indianer versorgten ihre Gäste mit auf Handmühlen geriebenem Maismehl, Wildbret, Buffalofleisch und Geflügel, wofür die Seeräuber ihnen Feuergewehre, Kleidungsstücke und selbst Luxusartikel brachten. Die zwei geräumigem Hütten waren durch ihre Beihilfe erbaut, und mehrere Handwerker unter ihnen hatten sich wochenlang hier aufgehalten und sie in wohnlichen Zustand versetzt. Überhaupt war der blühende Wohlstand der Indianerkolonie größtenteils diesem Verkehre zuzuschreiben, bei dem sich der Franzose leichtsinnig-freigebig betrug. Diese Uneigennützigkeit, verbunden mit dem lebhaft muntern französischen Wesen, das den Indianer besonders anspricht, hatten ihm den Miko ganz gewonnen, der mit Sehnsucht der jedesmaligen Ankunft des Piraten entgegensah.
Für den jungen Mann war natürlich dieses freundschaftliche Verhältnis weniger beruhigend. Es war ihm klar, daß der Seeräuber ihn mit seinen Gefährten aufgehoben, um der Entdeckung seines Schlupfwinkels zu entgehen. Er hatte seine Forts, seine Verteidigungsanstalten, seine Schwäche und Stärke gesehen. War es einem solchen Menschen nicht natürlich, ihn in der Stille aus dem Wege zu räumen, und ließ es sich erwarten, daß der von bitterm Hasse gegen die Weißen beseelte Indianer, der ihn noch dazu für einen Yankee halten mußte, zu seinen Gunsten Einsprache tun würde? Die bloße Möglichkeit, unter den Würgerhänden eines Seeräubers sein junges Leben zu beschließen, war schon empörend.
»Und pflegt der Seeräuber häufig zum Miko zu kommen?« fragte er.
»Wenn dieser von der Jagd zurückgekehrt ist, wird er mit den Seinigen kommen, Wildbret einzutauschen«, versetzte sie halb schaudernd.
Die beiden wurden durch die Indianerin unterbrochen, die durch den Vorhang schlüpfte, bald Rosen, bald ihren Gast ansah, und sich nachdenkend vor die erstere hinstellte. Der flehende Blick dieser schien sie einen Augenblick unschlüssig zu machen. Endlich konnte sie sich jedoch nicht enthalten und brach in die Worte aus: »Bald möchte Canondah zum Narren werden. Warum dies, meine Schwester?« fragte sie auf das Kalikokleid deutend. »Canondah will gerne arbeiten und Feuerwasser und Kornmehl bereiten, ihr Vater eine Sonne länger im Busche bleiben, um die weiße Rosa der Oconees schön geschmückt zu sehen. Warum wirft meine Schwester die Geschenke des Miko von sich?« Ihre Stimme war halb Klage, halb Vorwurf.
»Will der Miko, will meine Schwester Rosen im Gewand des Diebes sehen?«
»Im Gewande des Diebes?« versetzte die Indianerin. »Hat nicht der Miko und Canondah dem Diebe Wildbret und Feuerwasser dafür gegeben? Haben nicht die Yankees unsere Rinder und Kühe gestohlen, und haben ihre Brüder sie nicht von ihnen eingetauscht?«
»Aber«, versetzte Rosa.
»Wenn El Sol in das Wigwam des Miko kommt«, setzte sie leiser hinzu, »dann schmückt sich Canondah zu seinem Empfange, und sein Auge verweilt gerne auf ihr. Meine Rosa muß den häßlichen Rock abwerfen, sonst wird sie der weiße Jüngling nicht in sein Wigwam aufnehmen.«
»Aber Rosa will ja nicht in sein Wigwam«, erwiderte diese, sich ein wenig stolz und unbewußt erhebend. »Sie liebt ihn als ihren Bruder.«
Die Indianerin, ohne jedoch auf ihre Worte zu hören, wandte sich zum Jüngling, der einige Schritte seitwärts in Gedanken versunken war.
»Nicht wahr, mein Bruder liebt, die weiße Rosa geschmückt zu sehen?«
Die plötzliche Frage machte ihn weit aufstarren.
»Meine Schwester hat ihr häßliches Kleid angelegt, weil es nicht vom Diebe der Salzsee kommt; sie glaubt so meinem Bruder besser zu gefallen.«
Des Briten plötzlich auf sie gerichteter Blick überzeugte die arme Rosa, daß er erst jetzt das ihm gebrachte Opfer bemerke.
»Aber Canondah!« rief das verletzte Mädchen in peinlicher Verlegenheit; »wie kannst du doch so grausam sein?«
»Grausam!« versetzte die Indianerin kopfschüttelnd. »Meine Schwester spricht nicht, wie ihr Herz denkt. War es nicht sie, auf deren Bitte Canondah den weißen Fremdling durch das Rohr trug und in den hohlen Baum legte? War es nicht für sie, daß sie ihn in das Wigwam ihres Vaters brachte und die alte Winondah bestach, und«, setzte sie leiser hinzu, »sich dem Zorne des Miko aussetzte? Und nun sie die Türe zum Wigwam —«
»Um Gottes willen halte ein!« rief Rosa.
»Canondah«, sprach die Indianerin ernst, »hat dem Fremdling ein Wigwam gegeben. Ihr Vater liebt sie sehr! er hört ihre Stimme gern, wenn sie ihm die Taten seiner Vorfahren ins Ohr lispelt. Er wird seine Tochter nicht tadeln, er wird dem Diebe der Salzsee den Rücken kehren und Rosa in die Hütte ihres weißen Bruders führen. Nicht wahr, mein Bruder wird die weiße Rosa in sein Wigwam nehmen?« fragte sie, sich zum Briten wendend.
Ein unwillkürlich höhnisch-spottendes, bitteres Lächeln verzog den Mund des letztern bei dieser sonderbaren Aufforderung; rasch suchte er sich jedoch zusammenzunehmen. Allein es war zu spät.
Der Blick des Naturkindes ist scharf und richtig, und er hatte den beiden Mädchen bereits sein Innerstes aufgeschlossen. Eine peinliche Stille herrschte während einiger Augenblicke. Die Indianerin, die in ihren Bemerkungen zugunsten ihres Lieblings so unzart weit gegangen, schlang beide Arme um das beschämte, beinahe vernichtete Mädchen, das, bleich wie eine Statue, keines Lautes, keiner Bewegung fähig war. Der junge Mann war im schweigenden Kampfe vor den beiden Mädchen dagestanden. Er hatte einige Male gesucht Worte zu finden. Endlich brach er aus.
»Canondah! Rosa!« begann er mit stockender Stimme; doch die Indianerin schien bloß mit dem Schmerze ihrer Geliebten beschäftigt. Sie winkte ihm, sich zu entfernen.
»Ich muß euch verlassen, liebe Mädchen. – Die Stimme der Pflicht, mein Eid, meine Ehre fordert es. Alles ist verloren, wenn ich hier bleibe.«
Die Indianerin hielt noch immer Rosen mit beiden Armen umschlungen, das Gesicht der letztern an ihrem Busen verborgen. Nun jedoch legte sie diese sanft auf das Lager hin, und rasch aufstehend sprach sie:
»Glaubt die weiße Schlange, eine Törin vor sich zu sehen, weil Canondah ihre Hand einem Verräter ausgestreckt hat? Er mag wissen, daß sie ihm diese nicht auf seinem Pfade reichen wird.«
»Dann muß ich ihn allein, ohne Wegweiser suchen«, versetzte dieser rasch.
»Hat die weiße Schlange die Läufe des Hirsches, die Geschwindigkeit des Eichhörnchens, die Schwimmfüße des Alligators, daß sie aus dem Wigwam des Miko zu entfliehen gedenkt?« rief sie hohnlachend. »Die weiße Schlange ist gefangen«, setzte sie triumphierend hinzu.
»Hat es Canondah ihrer Schwester nicht immer gesagt?« fuhr sie zu Rosen gekehrt fort, »daß er ein Späher ist, der wie ein Dieb zur Nachtzeit sich eingeschlichen, als der Miko den Rücken wenden wollte.«
»Noch einmal, Canondah,« versetzte der Jüngling, »ich bin ein Brite, ein Offizier, vom Seeräuber überfallen und seiner Mordhöhle entronnen. Mein Entschluß steht fest, ich muß euch verlassen.«
Er wollte Rosen bei der Hand fassen; doch die Indianerin prallte zurück, als ob sich ihr ein Verpesteter genähert hätte, und heftig auf den Vorhang deutend, umschlang sie das Mädchen wieder. Er entfernte sich schweigend und betroffen.
Zehntes Kapitel
Es war etwas in dem Benehmen des jungen Mannes während der letzten Auftritte gewesen, das rasch, vorschnell, ja herzlos genannt werden dürfte. Selbst beim reinsten Pflichtgefühl mochte es immerhin nicht vonnöten gewesen sein, die Eigenliebe der edlen Naturkinder so plötzlich, so tief zu verletzen. Der in seinem Gesichte ausgesprochene und dem Briten so eigentümliche Zug von schneidendem Hohne war im hohen Grade unedel, selbst wenn wir die ungestüme Zudringlichkeit der Indianerin zu seiner Entschuldigung gelten lassen wollen. Nichtsdestoweniger dürfte es schwer sein, den Jüngling leichthin zu verdammen oder rücksichtsloser Roheit zu beschuldigen. Es liegt nun einmal im britischen Charakter jener abstoßende starre Zug, der sich so gern isoliert, und scharf in sich selbst einzwängt, jener schroffe, unbeugsame, aristokratische Sinn, der sich selbst, und nur sich selbst im Auge hat. Wir würden ihn verdammen, diesen selbstsüchtigen Kaufmanns– und Aristokraten-Zwittersinn, der im ersten Augenblicke gewissermaßen aus dem Gesichte des Angeschauten herausmißt, ob er wohl näherer Berührung würdig sei, wenn er nicht eine so achtbare Grundlage und so große Dinge bewirkt hätte. Es liegt dieser Gefühllosigkeit eine Verstandesreife zum Grunde, die nur durch vielfältig überstandene Kämpfe und Gefahren, durch lange Anschauung, durch vielfältig angestellte Vergleiche zwischen Wirklichkeit und Täuschung, durch kräftig bewirktes Gelingen und erkämpften Genuß von positiven Rechten und Freiheiten erwuchs; ein Gefühl, das zur Selbstachtung geworden, ein bereits höherer, edlerer Nationalstolz, der sich nicht töricht sklavischer Weise auf gewonnene Schlachten und den Ruhm eines sogenannten Kriegshelden, sondern auf positives, selbst erworbenes Recht gründet, der bereits in die Klassen des Volkes gedrungen, und, ungeachtet des aristokratisch-kastischen Beigeschmacks, der sicherste Bürge fortschreitender Freiheit ist. Dieser positive Sinn ist es, dieses Festhalten der Stufe der gesellschaftlichen Leiter, sie mag nun hoch oder niedrig sein, welcher allein wahre Volksfreiheit möglich macht.
Der unangenehme Auftritt hatte übrigens die Verhältnisse, die sich seit den letzten Tagen zwischen den dreien angesponnen hatten, plötzlich zerrissen. Zwar fand er noch immer sein Mahl jeden Morgen hinter der Büffelhaut in seinem Stübchen; aber von der bereitwilligen Hand, die es hingesetzt, war keine Spur mehr zu sehen gewesen. Obgleich er diese Kälte selbst herbeigeführt, so hatte er doch nichts weniger als Ruhe gewonnen; im Gegenteil, er war nun rastlos und unstet, seine Hütte, das Dörfchen waren ihm zu enge geworden. Er war in dem Walde, in den Palmettofeldern umhergerannt, aber mit jedem Schritte, mit jeder Stunde war seine Miene düsterer, seine Unruhe größer geworden.
Es war in der letzten Nacht der zweiten Woche, die er bereits hier verlebt hatte. Seine trübe Phantasie hatte ihn aufgejagt von seinem Lager und in den Wald getrieben, wo er umhergeschweift war, bis die naßkalte Nachtluft und das gedehnte, gellende Gelächter der Eulen ihn zurückjagte. Eben kam er auf seine Hütte zugerannt, als eine weiße Gestalt hinter der Ecke hervortrat und hastig auf ihn zuschritt. Es war Rosa.
»Mein Bruder!« sprach sie, und ihre Stimme zitterte, »Canondah ist mit unsern Schwestern gegangen, den Wasservögeln Schlingen zu legen. Rosa ist zu ihrem Bruder geeilt.«
»Meine teuerste Schwester, dieser Besuch«, erwiderte der Jüngling stockend.
»Rosa weiß es von der Hütte des weißen Zwischenhändlers, daß sie ihren Bruder zur Nachtzeit nicht sehen sollte, aber sie liebt ihn sehr und muß ihm etwas sagen.«
»Doch, meine teure Rosa«, stockte er in immer steigender Verlegenheit.
»Die Nachtluft ist kalt«, sprach sie. »Komm und laß uns in die Hütte treten, die Winde sind verräterische Boten unsrer Worte.« Sie schlüpfte durch die Büffelhaut, schloß diese sorgfältig an den Türbalken, zog dann ein Gefäß mit Kohlen aus einem Körbchen und zündete eine Kienfackel an, die sie zwischen die Balken steckte; dann trat sie zur Türe und winkte ihm, sich auf seinem Ruhebette niederzulassen.
»Mein Bruder ist seiner Schwester böse,« sprach sie, »Canondah hat ihm Kummer gemacht.«
»Nein, meine Teure; ich bin dir nicht böse. Wäre es möglich, das mir angebotene Glück sollte —« er stockte. Sie ließ ihn nicht ausreden.
»Canondah«, sprach sie mit sanfter Stimme, »ist gut, sehr gut, sie ist die Mutter der roten Töchter, aber sie hat nicht in den Busen der weißen Rosa gesehen, sie hat auch ihren Bruder nicht verstanden.«
»Ja, wohl nicht«, versetzte er.
»Sie hat die Wangen Rosas mit Schamröte überzogen, mein Bruder! Deine Schwester!« fuhr sie mit erhöhter, etwas festerer Stimme fort, »liebt dich sehr, aber sie liebt dich nicht, wie Canondah es meint, sie liebt dich wie einen weißen Bruder.« Das Auge des jungen Mannes zuckte ein wenig; er sah sie gespannt an.
»Mein Bruder,« fuhr sie in wehmutsvollem Tone fort, »Rosa würde die Hälfte ihrer Tage gerne dahin geben, wenn sie eine weiße Schwester, einen weißen Bruder hätte. Sie wollte gerne seine Magd sein und seine Jagdtasche füllen und sein Jagdhemde nähen und seine Kornfelder besäen, obwohl die Squaws ihrer zarten Hände spotten. Mein Bruder! Rosa hat keine Schwester, der sie ihren Busen öffnen könnte. Rosa muß mit sich selbst reden oder den Vögeln des Himmels ihre Freude und ihren Schmerz mitteilen.« »Und du bist dann auch, unglückliches Mädchen, eine Gefangene?« fragte er mit bebender Stimme.
»Nein, mein Bruder,« erwiderte sie, »Rosa ist keine Gefangene. Die Squaws lieben sie. Canondah ist ihr eine Mutter. Aber, mein Bruder,« und sie brach in einen Tränenstrom aus, »sie sind rot und Rosas Farbe ist weiß. In ihrem Herzen spricht es anders als in dem meinigen. Sie verstehen die arme Rosa nicht, die verlassen, einsam steht.«
Der Blick, die Worte, die klopfende Brust, das trostlose Wesen des Mädchens, das nun so sichtlich ihm, dem weißen Bruder, ihren Jammer zu eröffnen sich gedrungen fühlte, hatten ihm durch die Seele gebohrt. Er starrte sie eine Weile mit bekümmerten Blicken an und sprang dann auf sie zu.
»Unglückliches, verlassenes Mädchen, du arme Rosa in der Wildnis!«
»Mein Bruder«, sprach sie mit tränenschweren Augen, »ist also der armen Rosa nicht böse?«
»Böse, teures Mädchen! Wer könnte einem solchen Engel böse sein? Gebiete, befehle, mein Leben steht dir zu Diensten. Komm, fliehe mit mir.«
»Fliehen«, sprach sie, das Köpfchen schüttelnd, »und Canondah verlassen, die ihr eine Mutter war? Es würde ihr das Herz brechen. Nein, Rosa darf nicht, kann nicht fliehen. Es hat ja der alte Miko für sie gejagt, sie ist sein Eigentum. Aber kann mein Bruder nicht bleiben? Muß er von hinnen?«
»Ich muß, oder ich bin verloren«, sprach er mit dumpfer Stimme. Sie blickte mit tränendem Auge zum Himmel, – »Rosa«, flüsterte sie, »weiß es – ja, sie weiß es«, sprach sie zu sich selbst. »Und sie ist nun hierhergeeilt zu ihrem Bruder, es hätte ihr sonst das Herz zerrissen. Sie hat es nicht mehr aushalten können. Sie mußte zu ihm, damit er nicht glaube, daß sie es ist, die ihn gefangen hält. Sie hat«, flüsterte sie leise, »gebeten, sie hat geweint, sie hat sich auf die Knie vor Canondah geworfen; Canondah will nicht. O sie ist gut, sehr gut, sie ist der Trost Rosas; aber sie fürchtet sich vor dem Miko und den Ihrigen.« Das Mädchen schauerte sichtlich zusammen, als sie diese Worte sprach. »Der Miko«, fuhr sie geheimnisvoll fort, »hat geschworen, jeden Yankee zu töten, der ihm in seinem Wigwam nachspäht.«
»Aber ich bin kein Yankee«, erwiderte der Jüngling mit einiger Heftigkeit.
Sie schüttelte das Köpfchen. »Rosa würde dir gern glauben; aber sie kennt dich weniger als Canondah, und meine Schwester ist klug und hat nie eine Lüge gesagt. Rosa muß auch ihr glauben.«
»Unseliger Irrtum!« rief er.
»Nicht alle Yankees sind Späher,« versetzte sie, »und du sollst nicht für das Böse büßen, das deine Brüder dem Miko getan.«
»Ich bin aber kein Yankee,« versetzte er unwillig, »so wahr ich lebe. Glaube mir doch, teure Schwester.«
»Warum will mein Bruder denn nicht den Miko erwarten?«
»Weil dieser mich gewiß dem Seeräuber aufopfern würde. Doch an meinem Leben liegt wenig; aber mein Eid gebietet, meine Ehre fordert, daß ich so bald als möglich von euch scheide.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Mein Bruder«, sprach sie, »muß sich selbst und sein Volk kennen. Wenn er die arme Rosa täuscht – so hat er ihrem Weh vielleicht früher ein Ende gemacht«, setzte sie leiser hinzu. »Lebe wohl!« Sie verlöschte die Fackel und verschwand zwischen der Öffnung. Das Mädchen war wie ein Traumbild gekommen und wieder verschwunden. Die ganze Nacht stand das edle Gesicht vor seiner Phantasie und noch den Morgen konnte er es nicht aus dem Sinne bringen. Was hatte ihr geheimnisvoller Besuch zu bedeuten?
Es war ein schwacher Hoffnungsstrahl; aber was vermochte sie, die selbst Gefangene war und mit dem Mißtrauen der Indianer so gut wie er zu kämpfen hatte? Von diesem Mißtrauen hatte er während der letzten vier Tage nur zu deutliche Beweise erhalten. Die Squaws waren beinahe jedem seiner Schritte gefolgt, und sie und die jungen Wilden hatten es an Ausbrüchen ihres gehässigen, feindseligen Wesens nicht fehlen lassen. Von mehreren Seiten her war ihm das drohende Wort Yankee zugerufen worden. Die Kanus waren von ihrem Ankerplatze verschwunden, und auf seinen Irrfahrten im Walde hatte ihn die junge Brut nie aus den Augen gelassen, und ein gellendes höhnendes Gelächter erschallte jedesmal, sobald er unverrichteter Sache aus dem Dickicht herauskam, in das er kaum fünfzig Schritte einzudringen vermocht hatte. Die letzten Worte der Indianerin waren ihm nun deutlich geworden. Er hatte wirklich während der letzten vier Tage Versuche gemacht, aus dem Walde zu entkommen. Nun war ihm die Gewißheit, daß er Gefangener sei.
Eine andere schlaflose Nacht war hereingebrochen. Er lag auf seinem Lager mit Unruhe und schweren Träumen kämpfend, als abermals Rosa in sein Stübchen trat, eine Kienfackel, in deren Spalte eine Kohle steckte, in der Hand. Sie blies sie rasch zur lodernden Flamme an und trat schnell zu ihm.
»Erwache, erwache, mein Bruder!« rief sie freudig und froh, und eine fieberische Röte leuchtete auf ihren Wangen. »Erwache, Canondah wird sogleich hier sein.«
»Was ist›s, teures Mädchen?« rief er, von seinem Lager aufspringend.
»Canondah wird es dir sagen«, rief sie, und die Tränen drangen ihr in die Augen.
Ihre Stimme, ihr ganzes Wesen zeugte von einer Aufregung, einer Leidenschaftlichkeit, die etwas Wahnsinnartiges hatte.
»Um Gottes willen, Rosa, was ist›s, das dich so außer Fassung gebracht hat?«
»Canondah,« sprach das Mädchen, »o, mein Bruder darf nun nicht mehr fürchten, er wird —«
»Höre, mein Bruder!« sprach die Indianerin, die rasch zur Türe hereingetreten war, ihre starren, leblosen Augen auf ihn richtend. »Höre,« sprach sie mit zagend stockender Stimme und einer Feierlichkeit, die ihr etwas Schreckhaftes gab, »Canondah will tun für ihren Bruder, was das Auge ihres Vaters und ihres Volkes trüben wird; denn sie liebt die weiße Rose sehr, und sie kann ihre Tränen nicht länger mehr anschauen. Sie will ihrem Bruder den Pfad zeigen, der über den Sumpf führt und will ihn über den Fluß rudern. Will mein Bruder bei dem großen Geiste, den sein und ihr Volk anruft, versprechen, daß er nie seinem Volke, unsern weißen Feinden, den Yankees, verraten will, wo er gewesen und was seine Augen gesehen? Will er versprechen, daß er ihnen nicht den Pfad zeigen will, der zu den Wigwams der roten Männer führt?«
»Gewiß!« rief der Brite, »ich verspreche es auf das heiligste.«
»Dann nimm diese Kleider«, sprach sie, ihm einen indianischen Anzug reichend. »Diese«, auf die seinigen deutend, »würden bald von Dornen zerrissen sein. Der Fußtritt, den die Mokassins einprägen, ist sehr sanft, und in wenig Sonnen, wenn unser Volk zurückkehrt, werden sie es nicht mehr sehen. Hier ist rote Farbe,« fuhr sie fort, »unsere Männer werden dir nachsetzen, und vielleicht mag es sie auf eine falsche Spur leiten. Sei schnell.« Der junge Mann stand noch immer seiner selbst unbewußt.
»Ums Himmels willen sei schnell«, flüsterte ihm Rosa in der Türe zu. »Die Wasservögel fangen an zu schreien, es ist hohe Zeit.«
Beide Mädchen traten vor die Türe. Er schlüpfte mechanisch in das Hirschfellwams, warf das Jagdhemde über sich und war eben mit dem Gürtelhemde beschäftigt, als die Indianerin eintrat. Sie half ihm, band die Mokassins an seine Füße und schlang den Wampumgürtel um seinen Leib.
»Hier ist eine Wolldecke«, sprach sie, eine solche über ihn werfend. »Hier eine Jagdtasche mit Pulver und Blei, hier eine andere mit Kuchen und Wildbret, und dieses Gewehr wird Wasservögel töten und mit diesen«, ihm Stein, Stahl und Schwamm reichend, »wird mein Bruder Feuer machen, um die Vögel zu rösten.« Sie hing jedes Stück um ihn mit einer Sorgfalt, die sonderbar mit ihrem beinahe leblosen Erstarren abstach.
»Mein Bruder,« sprach Rosa, deren Wesen sich nun plötzlich in Würde und feierlichen Ernst verwandelt hatte, »lebe wohl, und wenn du einst eine glücklichere Schwester siehst, dann sage ihr von Rosen, und sie wird eine Träne ihrer Schwester weinen.«
Der Jüngling stand noch immer seiner selbst unbewußt. Plötzlich rannte er zur Türe und umschlang das schöne Mädchen. Sie wand sich aus seinen Armen und sank hilflos ohnmächtig auf die Erde nieder. Die Indianerin sprang hinzu, hob sie vom Boden und, sie zum Lager tragend, drückte sie einen Kuß auf ihre Wangen; dann faßte sie den Jüngling bei der Hand und eilte mit ihm aus der Hütte. Sie glitt durch die Laube, stahl sich durch Hecken und Gebüsche und eilte an den Hütten vorbei, so schnell, so leise, daß ihm der Atem und das Sehen verging. Gleich einer dunstigen Nachtgestalt schwebte sie vor ihm im dunkeln Sternenglanze und durch den düstern Nebel ohne Ruhe, ohne Rast, bis sie den dunkeln Wald betreten hatte. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihrer Brust. Sie sprach jedoch kein Wort und eilte schnell ins Innere. Es war finstre Nacht im tiefen Walde. Kein Laut war zu hören, kein Lichtstrahl zu sehen. Immer tiefer in den Wald rannte sie. Nun ertönte ein lautes Getöse, wie das entfernte Gemurmel eines herannahenden drohenden Haufens.
»Wir sind entdeckt,« rief der Jüngling, »die Eurigen sind uns auf der Spur.«
»Nein,« sprach die Indianerin im tiefen Tone, »es sind die Bullfrösche.« Das Gebrüll wurde schauerlicher und schauerlicher. Sie näherte sich dem Sumpfe, der unter ihren Füßen zu beben schien im fürchterlichen Gebrülle dieser Tiere, zwischen welchem dann und wann das dumpfe Stöhnen eines noch nicht ganz erstarrten Alligators sich hören ließ.
»Nun halte dich dicht an mich«, sprach die Indianerin, nachdem sie beinahe eine Stunde gerannt waren.
Ihre Schritte wurden nun äußerst behutsam. Sie streckte einen Fuß vorwärts, zog ihn wieder zurück, trippelte eine Strecke weiter und versuchte den Grund auf dieselbe Weise. Wieder kam sie zurück und kauerte sich dann auf die Erde nieder, von der sie Haufen von Gras und Lehm weghob.
»Wir sind auf den Stämmen, die die Unsrigen über den Sumpf gelegt haben. Halte dich nun am Zipfel meines Kleides.« Er faßte den Zipfel und beide schritten weiter.
»Fasse mich mehr«, rief die Indianerin, »und habe acht, ein falscher Schritt begräbt dich für immer im Schlamme.«
Sie waren endlich über den Sumpf.
»Wirf deine Wolldecke über den Kopf«, sprach sie, als sie am jenseitigen Rande des Sumpfes angekommen waren. »Der Wald auf dieser Seite ist voll von Dornen. Tritt in meine Fußstapfen; der Schlangen sind hier viele, und ihr Stachel ist tödlich. Bücke dein Haupt, oder die Dornen werden dir dein Gehirn aufreißen.«
»Was ist das?« schrie der Jüngling, der fortschreitend plötzlich fühlte, daß ihm seine Wolldecke vom Leibe gerissen wurde.
Seine Führerin trat zurück. »Es ist der große Dorn; mein Bruder muß sein Haupt neigen und seine Jagdtasche über Brust und Kopf halten, sonst werden ihn die Dornen durchbohren.«
Sie löste seine Decke vom Dorne und schritt weiter. Sie waren nun am Ufer des Sabine angelangt. Ohne einen Augenblick zu verlieren, sprang die Indianerin auf eine hohle Eiche zu.
»Mein Bruder«, sprach sie, »muß mir helfen das Kanu ins Wasser schieben.«
Beide nahmen das leichte Schiffchen und trugen es ohne Mühe ans Ufer hinab. Ein Stoß brachte es auf das Wasser. Sie nahm nun die Ruder und bat den Briten, still zu sitzen. Der Ruderschlag störte Hunderte von Schwänen, wilden Gänsen, Kranichen und Enten auf, die der ungewohnte Lärm in alle Richtungen über ihre Köpfe hinschwirren machte. Das Kanu glitt jedoch durch die Fluten, leicht wie eine Feder, dem Floßtiere nicht unähnlich. In wenigen Minuten hatten sie das östliche Ufer erreicht. Als sie ans Land gestiegen, nahm die Indianerin die Hand des Briten.
»Mein Bruder muß nun seine Ohren öffnen, er darf kein Wort seiner Schwester auf den Boden fallen lassen. Sieh, die Wiesen auf dieser Seite des Wassers sind leer, und der Bäume sind nur wenige. Mein Bruder muß zuerst dem Ufer dieses Flusses entlang aufwärts gehen, bis die Sonne sich neigt, und bis die Nacht vorüber ist, dann mag er sein Antlitz der aufgehenden Sonne zuwenden und dem Winde, der rauh und kalt ihm ins Gesicht bläst. Weiß mein Bruder, von welcher Himmelsgegend der Wind heult? Die Bäume werden es ihm sagen; sie sind rauh auf der Seite, wo sie angeblasen werden. Der Sümpfe sind nicht viele. Wenn mein Bruder aber zu einem kommt, muß er wissen, die zu täuschen, die vielleicht ihm folgen werden.« Sie hielt inne, als ob sie eine Antwort erwartete. Der junge Mann schien jedoch in Gedanken verloren.
»Meines Bruders Pfad«, sprach sie, »muß gekrümmt sein.« Wieder hielt sie inne, und dann sprach sie mit einer Stimme, deren sanft melodischer Ton das Innerste durchbebte. »Mein Bruder ist nun frei, und sein Pfad liegt offen vor ihm. Wenn er in die Wigwams seines Volkes kommt, dann mag er den weißen Mädchen zulispeln, daß die Töchter der roten Männer nicht weniger großmütig sind, als die der weißen. Möge mein Bruder nie vergessen, was die weiße Rose und ein rotes Mädchen getan haben, um seinen Pfad zu öffnen. Es wird vielleicht den Tomahawk ihres Vaters in ihrem Gehirne begraben«, flüsterte sie mit hohler, beinahe geisterartiger Stimme.
»Canondah!« rief der Jüngling in starrem Entsetzen. »Um Gottes willen, Canondah! was ist dies? Was meinst du damit? Droht meine Flucht dir mit Gefahr? Nein, nimmer soll es das – ich will zurück. Ich will den Miko erwarten und den Seeräuber.«
Aber das Mädchen hatte seine Hand fahren lassen und war das Ufer hinabgeflohen. Er rannte ihr nach, aber sie war bereits im Kanu, das leicht und schnell über den Wasserspiegel hinflog. Ein dumpfes Lebewohl tönte noch herüber durch den Nebelschleier, und dann waren nur noch einzelne Ruderschläge zu hören. Er rief sie bei ihrem Namen; sie gab keine Antwort. Er beschwor sie, ihn mitzunehmen; aber auch der letzte Wellenschlag war nun verklungen. Nichts als die gellenden Töne der Wasservögel waren noch zu hören.
Elftes Kapitel
Jener abenteuerliche Geist, der die anglo-normännische Nation vor allen übrigen Völkern so sehr auszeichnet und sie seit Jahrhunderten in die entferntesten Zonen getrieben, rastlos und nimmer ruhend, trotzig und geschmeidig, habsüchtig und großmütig, die ganze Erde mit ihrem kaufmännisch erobernden Netze überspannend; dieser abenteuerlich kühne und verschlagene Geist hat sich in mehr als vollem Maße auf die Abkömmlinge dieser Nation vererbt, die die ausgedehnten Strecken zwischen dem Mississippi und dem atlantischen Meere bewohnen. Beinahe scheint es, als ob die Vorsehung den sinnvollen Yankee zugleich dazu bestimmt hätte, den Samen der Freiheit gleich Zugvögeln über die ganze Erde zu verbreiten und so die Habsucht zu veredeln, die seinem waghalsigen Spiele zum Grunde liegt.
Es ist leicht zu erachten, daß ein so rastloser Unternehmungsgeist eine so herrliche Gelegenheit, als ihm die Erwerbung von Louisiana so ganz in der Nähe darbot, nicht unbenutzt lassen werde. Und wirklich war die Umwälzung, die dieser Erwerb im Innern der Staaten zur Folge hatte, von einer zweiten Revolution wenig oder nicht verschieden, und die Züge der tausend Abenteurer, die zu Fuß und zu Pferd, zu Wagen und in Fahrzeugen aller Art, auf allen Pfaden und Strömen dem neuen Kanaan zueilten, kamen mit der Auswanderung der Israeliten auch darin überein, daß beide ihren zeitlichen Vorteil hinter höhern Tendenzen geschickt zu verbergen wußten.
Es waren nun bereits mehr als zehn Jahre verflossen, seitdem dieser ungeheure Landstrich mit den Staaten vereinigt worden war. Dieser Zeitraum ungestörten und vollen Besitzes, sollte man gedacht haben, würde allmählich den Wanderungen ein Ziel gesetzt, und die genauere Kenntnis des Landes jene sanguinischen Erwartungen enttäuscht haben, denen sich Tausende überlassen hatten, ihre liegende Habe aufgebend und mit ihrer fahrenden dem neuen Lande zueilend.
Allein so tief ist das unruhige Wanderleben ins Wesen der Yankee verwoben, daß die tausend gescheiterten Versuche nur dazu dienten, es desto mehr anzufachen. Der nach der Vereinigung plötzlich, gleich einem reißenden Strome dem Mississippi zugeeilte Schwarm von Müßiggängern und mittellosen Abenteurern war nun zwar verstoben; aber die Nachzügler hörten deshalb nicht auf, nur mit dem Unterschiede, daß sie, durch Erfahrung gewitzigt, das in der Tiefe des Bodens suchten, was jene auf der Oberfläche zu finden glaubten, und, weniger sanguinisch, sich mit der nördlichen Hälfte des Staates begnügten, während jene den Süden gewählt und da großenteils den Fiebertod gefunden. Es war ein kräftiger Schlag, der nun nachgefolgt war, um das in Besitz zu nehmen, was, nach ihrer Meinung, mit ihrem Gelde gekauft worden war. Hunderte, ja Tausende wanderten jährlich aus dem fernen Osten in langen Zügen von Männern, Weibern, Kindern und Sklaven, um sich einen kräftigern Boden und eine offenere Handelsstraße zu suchen; die Wälder ertönten von den Schlägen der Äxte und der Donnerstimme des Hinterwäldlers, und Städtchen und Pflanzungen entsproßten dem üppigen Boden, so schnell und so zahlreich, als wenn sie wie die Pilze über Nacht aus demselben geschossen wären. In die wildesten und entferntesten Gegenden, die noch nie ein menschlicher Fußtritt, den des indianischen Jägers ausgenommen, betreten, und Hunderte von Meilen von jeder Wohnung entfernt, waren sie gedrungen, ihre Familien und Habe auf bedeckten Booten nachschleppend, die sie mit unsäglicher Mühe die Ströme hinaufzogen, welche sich auf der westlichen Seite in den Mississippi ergießen. So war bereits zu dieser Zeit der Grund zu vielen gegenwärtig bedeutenden Städten Louisianas gelegt, und wenn man den Scharfblick bewundert, mit denen diese großenteils schlichten Landbewohner die Lagen ihrer Städte gewählt hatten, so kann man dem wahrhaft ungeheuern Unternehmungsgeist und der Standhaftigkeit, die sich jahrelang in eine Wildnis verbannen konnte, um sich durch eigene Kraft eine bessere Existenz zu gründen, nicht zu viele Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Wir haben den Miko mit seinen Kriegern und Männern am Ufer des Natchez in dem Augenblicke verlassen, wo sie in ihre Kanus eingestiegen waren. In diesen waren sie eine geraume Strecke den Fluß aufwärts gefahren. Da wo der Natchez, sich gegen Westen wendend, beinahe einen Winkel bildet, hatten sie ihre Fahrzeuge verlassen und sich, nachdem sie nochmals eine ernste Beratschlagung gehalten, in drei Haufen abgeteilt und in verschiedenen Richtungen getrennt. Die Beratschlagung war durch eine ernstliche Einschärfung des Miko an seine jungen Männer beschlossen worden, die darauf hinausging, sie strenge vor jeder Jagdgebietsverletzung zu warnen. Diese Warnung war um so weniger überflüssig, als der wilde Sinn der Jüngeren häufig eine Art Ehre darin fand, jene fingierten Grenzlinien zu überschreiten, welche die verschiedenen Stämme sich zu ihren Jagdrevieren festgesetzt hatten, und die so jene immerwährenden Kriege veranlaßten, die beinahe stets wegen solcher Jagdgebietsverletzungen ausgebrochen waren. Im gegenwärtigen Falle war Vorsicht um so nötiger, als das Völkchen, erst vor wenigen Jahren angekommen, auf eigenes Jagdrevier weder durch innere Stärke, noch verjährten Besitz Anspruch machen konnte und auf jeder Seite an mächtige Nachbarn stieß. Die büffelreichen Hochebenen von Texas, Sonora und Santa Fé waren nämlich von den Cumanchees seit undenklichen Zeiten angesprochen; in den zwischen den Ozarkgebirgen und dem Arkansas gelegenen großen Landstrich teilten sich die Osagen und die Pawneese des Toyaskstammes; die jenseits des Sabine gelegenen Hochebenen waren von den schwächern Stämmen der Sabiner und Coshattaes besessen, die zwar keinen kräftigen Einspruch wagen durften, die aber, eben weil sie hilflos ganz von der Jagd abhingen, geschont werden mußten. So blieb unsern Indianern bloß der lange und sich allmählich erweiternde Gürtel zwischen dem Sabine und Natchez und dem Ouachitta und Redriver übrig und ein schmälerer, der von dem letztern Flusse ins Innere Louisianas führt: ein Landstrich, der, obwohl er ganz füglich die Bevölkerung eines der kleinern europäischen Königreiche hatte fassen können, den Indianern selbst sehr beschränkt vorkommen mochte.
Der Häuptling hatte mit etwa zwanzig der bewährtesten Krieger den schmalen Strich gewählt, der sich zwischen dem Arkansas und Redriver herabzieht. Bereits waren zwei Wochen seit der Trennung verstrichen, während welcher er auf seinem Zuge die Wälder und Ebenen durchzogen, die sich oberhalb dem Natchitoches gegen den letzterwähnten Fluß herabsenken. Er saß nun soeben im Kreise der Seinigen am Abhange eines Felsens, nahe bei einer Salzquelle, an der er den Morgen auf dem Anstand gelauert und allem Anschein nach eine treffliche Beute erjagt hatte. Fünf alte Krieger lagen neben ihm vor einem Feuer, über dem ein Kessel hing, der ihr Mahl enthielt. Um ein zweites waren Pfähle in die Erde getrieben, über denen Querhölzer sich kreuzten, auf denen Hirschkeulen und Vorderschenkel zum Trocknen hingen. Fünf bis sechs jüngere Wilde waren mit dem Ausweiden der Tiere beschäftigt, denen sie die Haut abzogen, die Vorderschenkel und Keulen abschnitten, welche sie nacheinander an die Hölzer hingen. Zahllose Raubvögel, vom Geruche angezogen, schossen jeden Augenblick aus der Höhe herab, so wie einer der übrigen Teile von ihnen auf die Seite geworfen wurde.
Das gewöhnliche tiefe Stillschweigen war auch hier bemerklich: nur zuweilen waren einige kurze Sätze zu hören. Der Miko, in tiefes Nachdenken versunken, schien an dieser Unterhaltung, die zeitweilig zwischen seinen Männern stattfand, keinen Anteil zu nehmen oder höchstens den eines uninteressierten Zuhörers. Diese Unterhaltung bestand in abgerissenen Ausrufungen oder kurzen Sentenzen, die ebenso schnell ausgestoßen, als wegen Mangels an Ideenverbindung wieder abgebrochen wurden.
»Wineachi«, sprach der dem Miko zunächstliegende Wilde, »ist schon lange auf dem Späherpfade.«
»Sein Auge ist das der Nachteule geworden«; erwiderte der Nächstliegende nach einer Weile.
»Die Elente haben sich nach den obern Salzquellen gezogen«; sprach ein dritter. Wieder eine lange Pause.
»Mi-li-mach muß an der untern Quelle die Hirsche getroffen haben«; sprach ein vierter.
»Hugh, Yankee!« ertönte es von den Lippen der Jüngern, die soeben eines der getöteten Tiere anfaßten, um es auszuweiden. Sämtliche Indianer wandten sich gegen die zwei Wilden, deren Augen durch die Geweihe eines Hirsches dringen zu wollen schienen. Der alte Mann erwachte plötzlich; er richtete seinen kühn durchdringenden Blick auf die jungen Männer, die, so wie sie das bemerkten, ihm das Tier zuschleppten und es vor ihn hinlegten. Sorgfältig untersuchte er den Kopf des Tieres. Es war allem Anschein nach keine Spur einer Verletzung vorhanden; aber dicht am Stocke des einen Geweihes war eine leichte Reibung zu sehen, die von einer Kugel herrühren konnte. »Die Yankees«, sprach er, »haben hier gejagt; sie sind keine halbe Sonne von dem Orte, wo die Männer der Oconees ruhen.«
Ein zweites »Hugh!« ertönte von aller Munde.
»Meine jungen Männer müssen warten, bis Mi-li-mach kommt«, sprach er, auf das Tier deutend, und legte sich wieder, ohne ein Wort weiter zu sagen, in seine vorige Stellung. Auf einmal ballte er seine Faust, und seinen Daumen vor die Lippen haltend, stieß er einen langen durchdringenden Pfiff aus.
Wieder erfolgte eine lange Pause.
»Das ist die Kugel eines Yankee«; nahm der erste Wilde wieder das Wort.
»Das Auge war gut, aber das Feuergewehr war kurz«; sprach der zweite. Eine geraume Zeit war wieder verflossen, ohne daß eine Bemerkung weiter gehört worden war. Durch das Gebüsch kam trottend ein Wilder auf die Gruppe zu und lagerte sich, ohne ein Wort zu sprechen, neben seinen Gefährten.
»Haben die Männer der Oconees an der untern Salzquelle Hirsche gefunden?« fragte nach einiger Zeit der Miko.
»Sie haben«; war die Antwort.
»Gut«; erwiderte der Miko.
»Will mein Sohn«, sprach er nach einer Pause, auf den getöteten Hirsch deutend, »dem Miko sagen, wo der Yankee ihn gefehlt.« Der Indianer sprang auf, kauerte sich vor dem Tiere nieder und betrachtete aufmerksam das leicht verletzte Geweih.
»Es ist nicht zwei Sonnen, daß die Kugel geschossen,« sprach der Miko, »die Läufe sind nicht geschwollen, und der Schweiß ist noch im Rücken.«
»Vielleicht die Kugeln der Krieger mit den langen Messern«; sprach der ihm Zunächstliegende.
»Kennt mein Bruder das Blei der Yankees so wenig?« sprach der Häuptling; »es ist die kleine Kugel eines Yankee, der in die Wälder gezogen. Mi-li-mach wird seine Spur finden.«
Der Indianer hieb nun mit seinem Messer die Gelenke des Tieres ab, und einen Vorder– und Hinterlauf in seine Tasche steckend, fragte er: »Welcher unsrer Brüder hat seinen Pfeil verloren?« Einer der Jüngern sprang herbei, und die beiden trabten nun tiefer in den Wald. Zwei Stunden mochten auf diese Weise verlaufen sein. Die Wilden hielten soeben ihr Mahl, als ein durchdringendes Pfeifen gehört wurde. Sie horchten hoch auf. Nicht lange, so wurde dieses Pfeifen wiederholt, doch in einer von der vorigen ganz verschiedenen Tonleiter. »Es ist Mi-li-mach,« sprach der Miko; »er hat die Spur vieler Weißen.«
Ein drittes Mal wurde dieses Pfeifen gehört, und wieder war der Ton verschieden. »Es sind die Yankees mit Äxten, die mit ihren Squaws und Kindern in die Wälder gekommen; die Männer der Oconees werden auch diese meiden müssen«; sprach er bitter und dann seine Hand zum Munde führend, stieß er ein langes, durchdringendes Pfeifen aus.
Nach wenigen Minuten wurden von mehreren Seiten her diese pfeifenden Töne vernommen, und bald darauf kamen die übrigen Wilden rasch auf das Feuer zugesprungen. Unter diesen der abgesandte Späher.
»Hat mein Bruder die Spur gefunden?« fragte der Miko.
»Es sind Yankees, die gekommen, um das Jagdgebiet der Oconees für sich zu nehmen.«
Ein bitteres Lächeln verzog den Mund des alten Mannes. »Ihre Hand«, sprach er, »reicht vom großen Flusse bis zur großen Salzsee und von der eingeschlossenen Salzsee, die das Land der Mexikos bespült, bis zum Lande, das eisig ist und dem Vater der Kanadas gehorcht, aber sie haben nimmer genug.« Und somit erhob er sich.
Alle waren aufgestanden, und einen Halbkreis um ihn bildend, erfolgte eine kurze Beratung. Als diese vorüber war, winkte der alte Mann dem zurückgekehrten Späher, und beide gingen denselben Weg, den dieser soeben gekommen war.
Die beiden waren mehrere Stunden durch den Wald fortgeschritten, als sie auf einer Anhöhe ankamen, von der sie eine ausgedehnte Aussicht über eine zu ihren Füßen liegende weite Niederung hatten, durch die ein breiter Strom sich hinwälzte. Beinahe am Ende derselben stiegen die Rauchwolken auf, und die Lüfte brachten die scharf knallenden Schläge von Äxten herüber. Der alte Mann hatte eine geraume Weile in finsterem Dahinstarren gestanden; endlich schritt er die Anhöhe hinab. Als er näher kam, schlugen menschliche Stimmen an sein Ohr, die Schläge der Äxte wurden dumpfer und voller; endlich erblickte er die Lichtung selbst. Der unglückliche Geizhals, der den heimlichen Versteck seines mühsam zusammengescharrten Schatzes bei seinem Erwachen plötzlich aufgewühlt erblickt, kann kaum so heftig vor dem seine Existenz vernichtenden Anblicke zurückprallen, als der Miko bei dem Anblicke dieser Lichtung. Sie dehnte sich etwa über drei Acker aus. Das erste, was seinem Auge auffiel, waren vier Hütten, roh aus Gestrüpp und Ästen aufgeführt, in denen mehrere Kinder lagen. Nicht weit von diesen weideten Pferde. Einige vom Rauche geschwärzte Weiber standen und saßen um zwei Feuer, über welchen Stangenpyramiden aufgerichtet waren, von denen Kessel hingen; andere saßen auf ihren Schaukelstühlen, ihre Säuglinge am Arme ganz gemächlich wiegend; wieder andere waren bei den Kesseln beschäftigt. Eine Schar Buben trieb sich durch das rauchende Feld, dürre Zweige und Gestrüppe sammelnd, das sie unter Klötze und Stämme schichteten und dann anzündeten. Die ganze Lichtung war eine Rauchwolke, durch die der Indianer hingeschritten. Er war bereits mitten unter die Amerikaner gekommen, ohne daß er gesehen worden wäre. Eben jedoch, wie er sich einem Hause zuwandte, dessen Balkengerüste bereits aufgezimmert und unter Dach war, bemerkten ihn die Weiber. Sie starrten ihn einige Augenblicke, wie es schien, ängstlich an und riefen dann: »Ihr Männer, kommt doch her! – Kommt geschwinde!« riefen sie immer ängstlicher.
»Was gibt›s?« fragte ein gewaltig breitschultriger Mann, der aus dem Hause heraus unter den Dachvorsprung getreten war. »Ah! eine Rothaut! Hat die euch in Schrecken gesetzt? Wohl, sie wird nicht die erste und nicht die letzte sein.« Und mit diesen Worten näherte sich der Hinterwäldler den Weibern und dem Indianer. Diese, durch die Gegenwart des Mannes etwas beruhigt, kamen nun an den letztern heran und begafften ihn mit einer Neugierde von Menschen, denen, in ihrer tiefen Abgeschiedenheit, alles erwünscht kommt, was irgendeine Unterhaltung zu gewähren verspricht. Das wirklich ausgezeichnete Äußere des Indianers jedoch, seine kolossale, obgleich verdorrte Gestalt und das Ernst gebietende Wesen, das in seiner Haltung lag, verbunden mit der gewählteren Kleidung, schienen die vorige Ängstlichkeit zu verbreiten. Sie entfernten sich schnell nach verschiedenen Seiten. Auch der Mann hatte unsern Häuptling scharf ins Auge gefaßt, ohne jedoch die mindeste Furcht blicken zu lassen.
»Du bist keiner der Osagen, Rothaut?« fragte er endlich diesen.
Der Häuptling, der seinerseits die verschiedenen Arbeiten, oder, wie es ihm erscheinen mochte, den Greuel der Verwüstung aufmerksam betrachtete, gab keine Antwort.
»Auch nicht von den Pawnees?« fuhr der Mann fort. Noch immer keine Antwort.
»Höre! wenn du in unsere vier Pfähle kommst, Rothaut, so mußt du wenigstens so höflich sein, Antwort zu geben, wenn man dich fragt«; sprach der Hinterwäldler.
»Und wer hat die Yankees gerufen?« sprach der Indianer.
»Yankees! – Nimmst du uns für Yankees? – Holla, Joe und John!«
»Hat die Weishaut«, fragte nun der Indianer, seinerseits den Ausdruck gebrauchend, der verspottend sein sollte, »vom großen Vater Erlaubnis erhalten, sich hier sein Wigwam aufzurichten?«
Der Hinterwäldler sah ihn mit großen Augen an. »Ob wir Erlaubnis erhalten, uns hier niederzulassen? Fürwahr für einen Wilden eine kuriose Frage. Das muß wahr sein«, sprach der Mann, »und zu einem freien Bürger – nein, das ist zu rund! Hört doch einmal, Männer,« fuhr er fort, zu Joe und John gewandt, die nun herbeigeschritten kamen, »diese Rothaut da fragt alles Ernstes, ob wir auch vom großen Vater Erlaubnis erhalten haben, hierher zu kommen?« Alle drei schlugen ein lautes Gelächter auf. »Das ist unser Land, bar bezahlt mit unsern Dollars und dem Boni abgekauft. Verstehst du›s?«
Der Indianer hatte, während sein Auge forschend von einem Gegenstande zum andern wanderte, keines der Worte verloren. Ohne einen der Hinterwäldler eines Blickes zu würdigen, schritt er nun dem Hause zu. Ein paar Blöcke, die vor dem Dachvorsprunge lagen, dienten zu Stufen. Er trat über diese unter den Dachvorsprung.
»Die Rothaut ist verflucht keck«; sprach der erste der Männer.
»Er scheint ein Häuptling zu sein,« meinte ein zweiter, »und zwar ein großer.«
»Häuptling hin, Häuptling her, groß oder klein. Wer gibt ihm das Recht, hier in unserm Lande uns auszufragen? Rothaut,« fuhr er fort, »du möchtest gern einen Schnaps. Wenn du nicht so unverschämt wärest, so hätte ich ihn dir bereits angeboten; nun aber mußt du ihn bezahlen, so du ihn haben willst.«
Der Hinterwäldler stieg die zwei Blöcke hinan zur Öffnung, die zur künftigen Türe bestimmt, bis jetzt aber noch mit einer Wolldecke verhängt war, und verschwand dahinter.
Die Männer und Weiber hatten sich in eine Gruppe zusammengezogen und lebhaft miteinander gesprochen, dann entfernten sie sich in verschiedenen Richtungen. Nur einige Buben waren zurückgeblieben, die neugierig den Indianer begafften. Die Stämme des Hauses waren mit einer Anzahl von Scherifsverkäufen, öffentlichen Versteigerungen und Anzeigen beklebt, die beinahe die ganze Breite des Hauses einnahmen. Eine dieser Anzeigen war mit großen Lettern und in großem Formate gedruckt. Des Häuptlings Blick fiel auf dieses Blatt und schien lange daran zu haften. Seine Pfeife aus der Tasche ziehend, riß er das Papier mit noch einem andern vom Stamme und löste den Rand ab, um damit die Pfeife anzuzünden. Der Hinterwäldler war zurückgekommen, ein Glas Whisky in seiner Hand.
»Wohl denn, Rothaut!« sprach er barsch. »Wärest du ein wenig höflicher gewesen, so hättest du es umsonst; so mußt du aber bezahlen.«
Der Indianer zog ein Geldstück aus seiner Tasche und warf es dem Hinterwäldler zu.
»Ei, das ist der Stoff«; versetzte dieser. »Das ist aber mehr. Willst du für den ganzen Dollar?«
Der Indianer schüttelte den Kopf und schnitt den Finger zur Hälfte. »Wohl«; sprach der Hinterwäldler.
Unterdessen waren die Joes und Johns mit noch drei Hinterwäldlern wieder gekommen. Ganz unbefangen traten sie die Stufen hinan und betrachteten den Indianer aufmerksam. »Verdammt! dieses Gewehr ist beinahe zu modisch für eine Rothaut; es ist nicht aus einer amerikanischen Fabrik«; rief einer, indem er dem alten Manne den Doppelstutzen halb mit Gewalt aus der Hand wand.
Die fünf Hinterwäldler betrachteten das Stück aufmerksam, und ihre Miene nahm allmählich den Ausdruck von Mißtrauen an. Der Wirt war mit zwei gefüllten Bouteillen, einer Axt und einem Tragamboß zurückgekommen; die Bouteillen dem Indianer überreichend, nahm er den Dollar und hieb ihn auf dem Amboß in zwei Stücke, von denen er eines dem Indianer gab und das andere in die Tasche steckte.
»Ich bürg› euch dafür,« sprach Joe, »dieser Doppellauf dürfte die Soldaten im Fort drüben stutzen machen. Ei, und mit Gold eingelegt. Schau doch einmal her, Bill«; den Stutzen dem Wirte reichend. Dieser hatte ihn seinerseits mit Kopfschütteln betrachtet. »Wohl, wohl«; sprach er endlich mit hämischem Lächeln. »Rothaut, just recht, daß du gekommen bist. Schau einmal her, der Name auf dem Gewehre ist um keinen Buchstaben länger noch kürzer, als der auf der Proklamation.« Er wandte sich zu den auf dem Stamme angeklebten Papieren. »Wo ist sie aber? Sie ist verschwunden. Wo ist sie hingekommen, die Proklamation?«
»Die Rothaut hat sie eingesteckt!« rief ein Bube, der vor dem Hause stand.
»Verdammt! da habt ihr›s«; rief der Wirt. »Wohl, Rothaut, dein Stutzen muß hier bleiben und du auch, und einer von uns muß hinüber auf das Fort und dem Kapitän melden, welchen Vogel wir gefangen.«
Der Wirt hatte kaum diese Worte gesprochen, als sämtliche Hinterwäldler sich verloren. Der Indianer hatte sein Glas ausgetrunken und stellte dieses nun dem Wirte zurück und, mit der Hand nach seinem Stutzen langend, wollte er diesen wieder in seinen Gewahrsam nehmen.
»Nichts dergleichen,« sprach der Wirt; »dieser Stutzen bleibt hier, und du auch.«
Kaum waren diese Worte gesprochen, als der Indianer einen gellenden Pfiff tat. Die Hinterwäldler waren wiedergekommen, jeder mit einem langen Stutzen im Arme.
»Du siehst,« sprach der Wirt, »es hilft kein Widerstand; und das beste ist, du ergibst dich gutwillig.« Er erhielt ein so fürchterlich gellendes Geheul aus dem Walde zur Antwort, daß die Weiber und Kinder schaudernd aneinander krochen.
»Was soll das bedeuten?« fragte der Hinterwäldler.
»Yankees!« ertönte es aus zehn Kehlen und zu gleicher Zeit stürzten die Oconees gleich Tigern durch den dichten Rauch und sprangen in gewaltigen Sätzen dem Hause zu. Die Hinterwäldler hoben, nichts weniger als entmutigt, ihre Gewehre; doch während sie so auf den Häuptling und die Indianer anschlugen, hatte sich ein zweiter Haufe von Wilden um das Haus herumgewunden und sich zwischen die Männer und Weiber gedrängt, welche letztere so ganz in ihrer Gewalt waren. Der Häuptling war, ohne sich zu regen, wie ehern da gestanden; nun fiel sein stolzer Blick auf den Hinterwäldler, und zugleich streckte er seine Hand ein zweites Mal nach seinem Stutzen aus. Noch immer zögerte dieser; sein trotziger Blick fiel fragend auf seine gewaltigen Gefährten, die fest dastanden, ihre Gewehre schußfertig haltend; dann schweifte sein Auge auf die düstre Schar der Wilden, die, Hunden gleich, nur das Zeichen zum Angriff zu erwarten schienen. Die schreienden und händeringenden Weiber und Kinder jedoch entschieden.
»Gib ihm sein Gewehr zurück, Mann«; rief die eine.
»Um Gottes willen, denkt an eure Weiber und Kinder!« eine zweite.
»Laß den Mann gehen!« eine dritte.
»Rothaut!« sprach der Wirt, »schau zu, hier ist unterdessen dein Gewehr; aber wir werden dich zu finden wissen.« Als der alte Mann sich wieder im Besitze seiner Waffe fand, winkte er stolz den Hinterwäldlern, und durch sie über die Blöcke auf festen Grund schreitend, trat er in die Mitte seiner Getreuen. Diese trabten schnell um ihn herum und, einen Kreis bildend, sprangen sie mit einem zweiten Geheul dem Walde zu. Die verblüfften Hinterwäldler mit ihren zitternden Weibern und Kindern starrten ihnen mit offenen Mäulern nach.
Es gibt Seelen, die, gleich gewissen Schaltieren, das, was sie einmal in sich aufgenommen, nie wieder von sich geben, bis der Tod es ihnen entreißt; Seelen, die Riesenleidenschaften in sich aufgenommen haben, die sie, so wie der Schwärmer seine Göttin, so als Idol in ihren Herzen herumtragen; in der tiefsten Erniedrigung und auf der höchsten Stufe des Ansehens, im bodenlosen Abgrunde des Jammers und der glänzenden Höhe der Gewalt, tragen sie diese Leidenschaft mit sich umher, und sie erstarrt gleichsam mit ihren mürbe werdenden Knochen und wird alt und zähe mit ihren verdorrenden Sehnen und lebt und stirbt mit ihnen. Ein solcher Charakter war Tokeah, und eine solche Riesenleidenschaft sein Haß gegen die Weißen. Er war der letzte Sprosse, der letzte der Mikos oder Könige der Oconees, des Hauptstammes der Nation der Creeks. Seine Vorfahren waren Beherrscher der weiten Strecken gewesen, die sich vom Oconeeflusse gegen den Coosa herabziehen. Von dem weiten Gebiete seiner Ahnen war nur wenig auf ihn gekommen, von ihrer Freiheitsliebe, ihrem Stolze alles. Von seiner frühesten Jugend hatte er die Weißen als die Räuber seines Erbteiles, als die Unterdrücker seiner Nation bitter gehaßt; jeder neue Eingriff in die Rechte seines Volkes hatte diesen Haß tiefer gewurzelt, so daß er zuletzt gewissermaßen sein Sein ausmachte. Es hatte dieser Haß einen seltsamen Charakter aus dem Manne gebildet. Die tiefsten Demütigungen, der schneidendste Hohn dieser Weißen war ebenso spurlos an seinem Gesichte abgeprallt, wie ihre zuvorkommendste Güte, ihre edelmütigsten Aufopferungen ihm kaum ein Lächeln abzwangen. Gleich gefühllos gegen beide, war er sich ihnen gegenüber stets gleich geblieben. Kalt, ruhig, ehern dem Anschein nach, brütete sein starker Geist in scheinbar indolenter Ruhe das Verderben seiner Feinde.
Von frühester Jugend war er im steten Kriege mit ihnen begriffen gewesen. Zahllose Schlachtopfer waren von seinem Tomahawk niedergeschmettert worden. Als er sah, daß seine wilde Kraft und seine barbarischen Tücken nur wenig gegen ihre überlegenen Kenntnisse vermochten, so benützte er die Schulanstalten, die der menschenfreundliche Oberst Hawkins unter seinen Landsleuten eingeführt hatte, und lernte, bereits zum Manne gereift, noch lesen und schreiben, um so, wie er sich äußerte, »einen klaren Pfad zu den abwesenden und toten Ratgebern seiner Feinde – ihren Büchern – zu haben«; und als auch diese Anstrengung, so ungeheure Selbstüberwindung ihm auch das Ausharren gekostet, ihn in nichts weiter gebracht hatte, machte er einen letzten Versuch, sich mit dem kühnen und gewaltigen Te-cum-seh zur gemeinsamen Feindesvertilgung zu verbinden. Auch dieser scheiterte; seine Pläne wurden entdeckt und vereitelt durch die überlegene Macht und Geschicklichkeit seiner Feinde, die ihn selbst seinem eigenen Volke verdächtig zu machen gewußt hatten, und Tokeah, ohne den Schlag abzuwarten, der ihn vernichtet haben müßte, verließ mit etwa sechzig ihm treu gebliebenen Oconees und ihren Familien das Land seiner Väter, um einen Zufluchtsort in den Wäldern jenseits des Mississippi zu suchen. Auch dahin begleitete ihn sein unbezwingbarer Haß und sein Durst nach Rache. Er hatte zuerst die Pawneese des Toyaskstammes am obern Redriver angerufen. Als diese ihm kein Gehör gaben und seine weitaussehenden Pläne verspotteten, wandte er sich an die Osagen, wo er gleiches Schicksal fand. An seiner eigenen Nation verzweifelnd, war er den Sabine herabgewandert, und da er diesen Fluß von den Indianern gleichen Namens besetzt fand, so ging er noch tiefer. Das schwache Völkchen der Coshattaes wies ihn auf die Landstrecke zwischen dem Natchez und Sabine hin, und da war es, wo er wirklich Ruhe fand, und wo ihn etwa fünf Jahre nachher der Seeräuber traf.
Der Indianer hatte das Bild seiner Feinde zu lebhaft vor Augen, um nicht beim ersten Anblicke zu sehen, daß der Fremdling keiner der gehaßten Yankees sei. Er nahm daher willig die ausgestreckte Rechte. Dem Seeräuber war es seinerseits nicht schwer geworden, die schwache Seite des Indianers herauszufinden, und die rasche Erklärung, daß auch er ein geschworner Feind der Yankees sei, besiegelte das neue Freundschaftsband.
Obgleich jedoch der Miko die angebotene Allianz des Piraten mit der Gier eines rachedürstenden Gemütes erfaßte, innerlich triumphierend, daß ihm das Schicksal einen neuen Bruder zugeführt, der ihm helfen würde, die Unbilden, die er von den Weißen erlitten, zu rächen: so waren doch andrerseits mehrere Punkte, die ihn wieder zweifelhaft machten.
Der Indianer hatte auch nicht die entfernteste Idee von dem eigentlichen Charakter des Seeräubers oder den Verhältnissen, in denen er zur übrigen Welt stand. Er wähnte ihn das Oberhaupt eines Volksstammes, wie er selbst war, der aus Kriegern, Weibern und Kindern bestand. Von dem desperaten Leben seines Alliierten hatte er selbst nicht einmal einen Begriff. Es waren ihm zwar, im Verlaufe der zwei Jahre und bei näherer Bekanntschaft, gewisse Umstände verdächtig vorgekommen; die verschiedenen Hautfarben seiner neuen Alliierten, die aus allen Nationen der Welt zusammengesetzt waren, ihr rohes Wesen und besonders ihr viehisches Verlangen nach den Indianerinnen, das häufig mit blutigen Messerstichen abgewiesen worden war, hatten ihn allmählich mehr und mehr von ihnen entfernt, immer jedoch war er noch über die Hauptsache im dunkeln.
Schroff und unzugänglich, wie er jedem Gefühle war, dem der Rache und des Hasses gegen seine Feinde ausgenommen, so lebte er doch dem Wohle und für den Ruhm seines Volkes; für jeden einzelnen dieses Volkes, das er als die Blüte der Creeks ansah, würde er gern sein Leben aufgeopfert haben. Er war wirklich der zärtlichste, sorgfältigste Vater der ihm übriggebliebenen Getreuen, und diese selbst hingen mit jener blinden Liebe an ihm, die nur durch lange Beweise von Aufopferung, Güte und Milde erzeugt wird. Achtung für seine hohe Geburt, Gewohnheit, ihm zu gehorchen, mit Ehrfurcht gepaart, die sein Wesen Wilden notwendig einflößen mußte, waren die Bande, die die Seinigen an ihn fesselten; durch rastloses Wachen und Schaffen für ihr Bestes hatte er seinerseits vergolten. Der bloße Gedanke, mit Dieben, Räubern, Mördern in nähere Verbindung zu treten, sein Volk in eine große Familie mit solchen Menschen zu vereinen, würde ihn empört, der stolze Miko jede solche Zumutung mit der tiefsten Verachtung von sich gewiesen haben.
Auf dem vorletzten Jagdzuge, den er, geraume Zeit nach seiner Bekanntschaft mit dem Seeräuber, gegen den Norden zu unternommen, hatte ihn auch seine Tochter mit mehreren ihrer Gespielinnen begleitet. Das rasche Mädchen hatte sich mit den Kriegern zu weit vorgewagt und war tief in das Jagdgebiet der Pawnees des Toyaskstammes eingedrungen. Da wurden sie entdeckt, von einer überlegenen Anzahl dieser Wilden angefallen und nach einigem Widerstände in die Flucht gejagt. Canondah jedoch war gefangengenommen worden, wurde in das Wigwam der Wilden gebracht und verurteilt, den Feuertod zu sterben.
Bereits waren die Kienfackeln angezündet, ihre Kleider ihr vom Leibe gerissen, die blutigen Hände der Wilden faßten sie bereits an, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, als plötzlich der erste Häuptling dieses Volkes auf einem Rosse herbeigeflogen kam, sich durch die heulende Menge hindurchdrängte, das Opfer vom Scheiterhaufen riß, sie in seine Arme hob, aufs Pferd warf, auf das er selbst nachsprang, und mit ihr durch die staunende Menge dem Walde zuflog. Da war ein zweites Roß in Bereitschaft gehalten. Dieses mußte das Mädchen besteigen und ihrem Retter zum Natchez herab folgen.
Keiner der Pawnees hatte es gewagt, Einsprache zu tun oder dem Häuptling nachzusetzen; seine Tat war als eine Art von Inspiration des großen Geistes angesehen worden. Er selbst, der unlängst von dem großen, mächtigen Stamme der Cumanchees zurückgekehrt, ward als ein Wesen höherer Gattung betrachtet. Er übergab die schöne Canondah unverletzt in die Hände des tiefbekümmerten Vaters, der den Befreier seiner Tochter mit Entzücken umarmte.
Canondah war noch die einzige Freude des allen irdischen Freuden abgestorbenen Miko. Mit Wonne sah er nun die wechselseitige Neigung zwischen seiner Tochter und dem mächtigen Häuptlinge der Cumanchees aufkeimen. Er hoffte, durch sie sein Völkchen mit den großen Cumanchees zu vereinen. Dieses auf eine eines Miko würdige Art zu tun und zugleich den Cumanchees den Häuptling der Salzsee mit seinen Kriegern zuzuführen, würde sein höchster Triumph gewesen sein. Aber ob auch seine Alliierten einer solchen Ehre würdig waren, wurde ihm allmählich mehr und mehr zweifelhaft. Schon lange hatte er auf alle mögliche Weise getrachtet, das in ihm aufgestiegene Mißtrauen durch Tatsachen zu begründen oder zu entkräften und den eigentlichen Charakter seines Freundes näher kennen zu lernen. Diese Gelegenheit war ihm nun zuteil geworden.
Der große Anschlagzettel, den er von den Stämmen des Hauses in der neuen Niederlassung gerissen, enthielt die Proklamation des Gouverneurs von Louisiana, in welchen die Verbrechen und Greueltaten des Seeräubers von Barataria umständlich aufgezählt waren und ein Preis von fünfhundert Dollar auf seinen Kopf gesetzt war.
Die Indianer hatten kaum ihr voriges Lager an der Salzquelle wieder betreten, als der Miko das Papier aus seiner Tasche nahm und eifrig den Inhalt desselben zu entziffern begann. Dann erfolgte eine kurze ernste Beratschlagung, worauf, das Wildbret und die Häute auf den Rücken gepackt, der Weg gegen den Natchez zu eingeschlagen wurde. Nachdem sie diesen und ihre Boote erreicht, trennten sich zwei Läufer von der Schar und nahmen eine nordwestliche Richtung; die übrigen kehrten in das Wigwam am untern Natchez zurück.
Zwölftes Kapitel
Der Morgen nach der Entweichung des Briten fand die beiden Mädchen in einer trostlos bangen Stimmung.
Beinahe schien es jedoch, als ob sie ihre Rollen vertauscht hätten. Rosa, die sanfte, milde und kindliche Rosa, sie, die wie eine schwankende Ranke sich bisher an die stärkere Canondah gelehnt hatte, war nun die Stütze dieser letztern – sie, die vorher furchtsam kaum ihren zitternden Blick aufzuschlagen gewagt hatte, war stärker, mutiger, auf sich selbst vertrauender geworden. In ihren Zügen lag etwas Festes, Erhabenes; eine gewisse Würde leuchtete aus ihrem edeln, verklärten Antlitze hervor. Sie schien einem furchtbaren Verhängnisse mutig entgegensehen zu wollen. Sie hatte ihre Arme um die Indianerin geschlungen, ihr die süßesten, schmelzendsten Worte zugelispelt. Sie war selbst hinausgerannt zu den Wilden und Squaws, sie zu bitten, zu Canondah zu gehen; sie hatte gesehen und mit Festigkeit ertragen, wie ihr diese den Rücken gewendet, mit Abscheu vor ihr ausgespien und drohend ihr »falsche Yankee« zugerufen. Und sie hatte nicht ihren Mut verloren. Es schien, als ob eine übernatürliche Festigkeit sie beseelte. Nur zuweilen, wenn ihr verklärter Blick auf die leidende Canondah fiel, dann hob sich ihr Busen konvulsivisch, dann zuckten ihre Glieder, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie warf sich schluchzend über ihre Freundin und, ihre Knie umfassend, bat sie, beschwor sie dieselbe, ihr zu vergeben.
Das erstarrte Auge der Indianerin blickte sie an, sie sah sie aber nicht, ihre wirren Sinne schienen umherzuschweifen in der Irre. Sie regte sich nicht, sie bewegte sich nicht. Sie saß und starrte wie eine schöne Bronzestatue. Aber bei dem geringsten Geräusch, das von draußen gehört wurde, schrak sie zusammen; jeder Fußtritt der Squaws, der an ihr Ohr schlug, machte sie am ganzen Körper erzittern, und die Stimmen schienen ihr, wie das wilde Fieber, durch Mark und Bein zu bohren. Alle Kraft schien von der edlen, sonst so festen Tochter des Miko gewichen zu sein.
So war der Tag und eine zweite Nacht vergangen. Sie war die ganze Zeit hindurch nicht aus ihrem Stübchen gewichen. Auch von den Squaws war keine gekommen, sie zu sehen.
Endlich gegen Morgen ließen sich Männerstimmen vom Ufer her vernehmen. Es war der Miko mit seiner Abteilung von Kriegern und Jägern. Seine Tochter stand auf, ihre Knie schlotterten und schlugen zusammen. Sie hielt sich am Fenster; der Häuptling sprach mit den Kriegern, denen die Squaws grinsend ins Ohr wisperten, indem sie mit ihren knöchernen Armen auf die Hütte deuteten, wo der Brite gewohnt hatte. Endlich nahte der Miko und trat in die Hütte ein; ihm folgten seine Männer. Seine Tochter war hinter dem Teppiche hervorgetreten, ihn zu begrüßen. Ihr Busen hob sich zuckend; ihre Hände auf der Brust faltend, erwartete sie schweigend die Befehle des Vaters.
»Die Männer der Oconees«, begann er nach einer Pause, während welcher sein scharf blitzendes Auge die Tochter durchbohren zu wollen schien, »haben ihrem Miko gesagt, daß der Bote des Häuptlings der Salzsee in das Wigwam der Oconees der Muscogees gekommen ist. Warum sieht ihn mein Auge nicht?« Das zitternde Mädchen gab keine Antwort; ihr Blick war auf den Boden geheftet. »Hat Canondah so sehr das Blut ihres Vaters vergessen, daß sie einen weißen Mann, einen Yankee in sein Wigwam geführt, ihm den Pfad gezeigt hat, der von den Dörfern der Weißen zu ihm führt? Der Miko dachte, er habe eine Tochter,« sprach der alte Mann mit dem schneidendsten Hohne, »aber Canondah ist nicht die Tochter des Miko der Oconees. – Geh!« sprach er mit unaussprechlichem Abscheu, »ein elender Seminole hat ihre Mutter betrogen und so Leben einer Betrügerin gegeben.« Das Mädchen sank bei dieser schrecklichen Beschuldigung ihrer Mutter zusammen, als ob sie vom Blitze niedergeschmettert worden wäre. Sie wand sich, sie krümmte sich wie ein Wurm, sie kroch hin zu des Vaters Füßen, um sein Kleid zu berühren; er stieß sie mit unendlichem Abscheu von sich. »Geh!« sprach er. »Sie hat gesungen in die Ohren des Miko und den großen Geist angerufen, seinen Jagdpfad rein zu halten, während sie den Feind seines Geschlechtes in ihrem Busen, in der Höhle pflegte.« Auch keine Silbe von Entschuldigung war dem armen, sich am Boden krümmenden Mädchen entfahren. »Und deshalb,« fuhr der Häuptling fort, »deshalb konnte die weiße Rose nicht den Nachtgesang singen, weil der weiße Späher ihrer im Walde wartete? Der Miko hat eine Schlange an seinem Busen genährt, er hat seine Biberfelle weggeworfen, und die weiße Rose hat einen Spion in sein Wigwam gebracht, der ihn an seine Feinde verraten wird. In wenigen Sonnen wird er mit den Seinigen wie die wilden Panther von ihren Feinden gejagt werden.«
Ein tückisch-boshaftes, dumpfes Geheul ertönte im Kreise der Wilden. Zwei der Grimmigsten schlichen sich dem Vorhange zu. Canondah war besinnungslos, sprachlos am Boden gelegen; aber kaum hatten die Wilden einen Schritt getan, als sie wie eine Schlange am Fußboden sich hinwand, und vor dem Vorhang sich aufrichtend und ihre Hände faltend, ausrief: »Ich bin es, Canondah ist es, die dem weißen Mann den Pfad gezeigt, die ihn über den Sumpf geführt; die weiße Rose kennt ihn nicht.«
Nun tat sich der Vorhang auf, und Rosa erschien; die Indianerin richtete sich auf, und sie schützend in ihre Arme schließend, blieben beide Mädchen gesenkten Hauptes vor dem erzürnten Miko stehen. Das Auge des Miko war der schnellen Bewegung seiner Tochter gefolgt; er schien erstaunt über die Verwegenheit, die zwischen ihm und dem Opfer seiner Wut einzuschreiten wagte. Als er Rosen ansah, zuckte ein grimmiges Grinsen durch seine erstarrten Züge. Seine Hand fuhr nach dem Schlachtmesser; er trat einen Schritt näher und erhob dasselbe.
»Ich bin es«; rief Canondah entsetzt.
»Nein, ich bin es, die den weißen Jüngling ins Wigwam gebracht«; rief Rosa mit bebender Stimme.
Der Miko war erstarrt dagestanden. Allmählich jedoch hatte der edle Wettstreit um den Tod auf seine wilde Natur seine Wirkung nicht verfehlt. Seine Züge milderten sich. »Geh!« sprach er endlich mit dem Tone des bittersten Hohnes, »glaubt Canondah, daß der Miko ein Narr ist, und daß sein Auge nicht sieht, wer den weißen Späher ins Wigwam geführt. Es war der Fuß Canondahs, der den Weg bahnte; aber es war die betrügerische Zunge der weißen Rose, die sie dazu vermochte.«
»Will mein Vater,« so bat das Mädchen, indem sie in der demütigsten Stellung ihre Hände auf ihrem Busen kreuzte, »will mein Vater die Zunge seiner Tochter lösen?« Eine lange Pause erfolgte. Wut und Vatergefühl kämpften sichtbar in dem tiefbewegten alten Manne. Letzteres trug jedoch den Sieg davon.
»Canondah mag reden.«
»Mein Vater! der weiße Jüngling hat geschworen auf seine Ehre, daß er kein Späher ist; er hat auch beteuert, daß er keiner der Yankees ist. Er ist von der Insel, wo sie den törichten Häuptling haben, dem das Land gehört, von dem du gesagt hast, daß es kalt und eisig ist. Sein Volk ist auf dem Kriegspfade gegen unsere Feinde, die Yankees. Er ist noch nicht viele Sonnen über die große Salzsee mit den Seinigen gekommen, sie wollen den Vater der Flüsse hinaufgehen und die Wigwams unserer Feinde verbrennen. Der Häuptling der Salzsee, sagte er, ist ein Dieb, der ihn, wie er Austern und Schildkröten gesucht, mit seinen Brüdern aufgefangen und in sein Wigwam geführt hat. Er ist aus diesem geflohen und hat acht Sonnen Hunger gelitten. Sein Volk wird den Häuptling der Salzsee bei dem Halse an den Baum aufhängen. Sieh, Vater, deine Tochter hat ihn aus dem Rachen der großen Wasserschlange befreit, und er war schon beinahe ganz tot. Die Squaws werden es dir sagen, Winondah hat ihn erst ins Leben zurückgerufen. Er wollte sich mit seinen Brüdern vereinigen, um deine Feinde zu züchtigen. Er ist kein Späher, seine Hände sind zart, und er war schwach.«
»Hat Canondah noch mehr Lügen für ihren Vater bereit?« sprach dieser, doch in einem mildern Tone. »Ihre Zunge ist sehr geläufig geworden.«
Das Mädchen schlug verschämt ihre Augen wieder zur Erde. Ihre Worte hatten jedoch augenscheinlich einen tiefen Eindruck auf ihren Vater gemacht. Was er in der Proklamation gelesen, stimmte vollkommen mit der Aussage seiner Tochter überein. Er sann gedankenvoll nach. Er war Wilder von Geburt, Gewohnheit und Erziehung; aber er war nicht blutgierig, nicht grausam. Es war übel verstandene Selbsthilfe, die ihn aufgeregt hatte gegen seine Feinde. Unter andern Verhältnissen, in einer zivilisierten Sphäre, würde er ein Held, ein Wohltäter von Tausenden, von Millionen geworden sein; aber in seinem wilden Zustande, gestachelt, verhöhnt, vergällt, wie er sich fühlte, erstorben, wie sein edleres Selbst sein mußte, und zerfallen mit sich durch wirkliche oder eingebildete Unbilden – war es ein Wunder, wenn er das Todesmesser gegen seine eigene Tochter aufgehoben hatte; er, der in die Hütte mit der festen Überzeugung getreten war, daß der junge Mann ein Emissär, ein Spion seiner Feinde gewesen? Abgeschieden von aller Außenwelt, eine Beute seines angebornen Mißtrauens, von den trüben Bildern verfolgender Feinde bei Tag und Nacht gequält, hatte er, der von den Seinigen hochverehrte, beinahe angebetete Miko, auch wahrscheinlich seine Wichtigkeit, in der er bei den Weißen zu stehen gedachte, weit höher angeschlagen, als sie es wirklich war.
Die Tochter, obwohl von verschiedenen Empfindungen bestürmt, kannte ihren Vater zu wohl, um nicht die plötzliche Veränderung zu gewahren, die in ihm vorgegangen war. Rosen umschlingend, sprach sie: »Sieh, Vater, der weiße Jüngling hat Rosen geschworen, daß er keiner der Yankees ist. Er ist ein Engländer. Er ist von den großen Kanus seines Volkes. Er war beinahe tot, als ihn deine Tochter aufnahm. Würde wohl ein Späher so in das Wigwam des großen Miko kommen?«
»Canondah hat genug gesprochen«, bedeutete ihr der Miko. Das Mädchen schrak furchtsam zurück. Erst jetzt fiel dem Häuptling sein zweites Papier ein. Er zog es aus der Tasche, las es aufmerksam und besprach sich mit den Seinigen. Das Blatt enthielt einen Aufruf an die Bürger Louisianas, zur Verteidigung ihres Landes zu eilen.
»Spricht die Zunge meiner Tochter keine Lügen?« hob er wieder an, ihr mit der Hand winkend, zum Zeichen, daß ihr gestattet war, zu reden. »Warum ist der Mann, wenn er vom englischen Volke ist, den Wigwams seiner und unserer Feinde zugegangen?«
»Canondah hat ihm so gesagt,« sprach das Mädchen, »aber er hat erwidert, daß die Seinigen bereits vor dem großen Strom wären, wo er sie mit ihren großen Kanus finden würde.«
»Wann verließ er das Wigwam der Oconees?« fragte der Vater.
»Lange nachdem die Sonne hinter den Rücken des Natchez sich verborgen, und nachdem die Wasservögel bereits zu schreien angefangen. Mein Vater wird seine Fußtapfen finden, und daß seine Tochter wahr gesprochen; denn sie hat noch nie gelogen.«
»Gut,« erwiderte der alte Mann, ihr wieder ein Zeichen gebend, daß die Erlaubnis, die ihre Zunge gelöst, zurückgenommen sei.
Die Krieger schlossen nun nochmals um den Häuptling einen Kreis, und eine kurze ernste Beratung erfolgte, nach welcher er schweigend auf seine Jagdtaschen deutete. Canondah füllte diese schnell und sorgfältig, und der Häuptling verließ sogleich mit dem größten Teile seiner Krieger das Wigwam.
Canondah hatte nichts Geringeres als plötzlichen Tod wegen einer Tat erwartet, die als Verrat angesehen werden würde. Da sie mit den Vorfällen unbekannt war, die eine so plötzliche Sinnesänderung in bezug auf den Häuptling der Salzsee hervorgebracht hatten, so stand sie keinen Augenblick an, diese Milde einem übernatürlichen Einflusse zuzuschreiben. Die Gefühle Rosas waren nicht minder die der grenzenlosesten Dankbarkeit für die überstandene Gefahr einer Schwester, die, für sie und einen weißen Bruder ihr Leben aufopfernd, plötzlich wie durch ein Wunder dem Todesstreich entgangen war. Sie war ihrer Freundin mit einem sprachlosen, zum Himmel gerichteten Blicke in die Arme gefallen, und die beiden armen Mädchen hielten sich umschlungen, als ob nichts auf der Erde sie wieder trennen sollte. Eines beunruhigte sie allein: der Miko war mit seinen Kriegern dem jungen Briten nachgesetzt. Es war unmöglich, daß er ihm entwischen konnte. Wird der Miko auch den armen Jüngling schonen? Ihn nicht als Gefangenen zurückbringen und vor ihren Augen den Tod des Tomahawks sterben lassen?
Es dauerte geraume Zeit, ehe sie ihren Gefühlen Worte gab; zuletzt entfuhr ihr ein Seufzer: »Armer Bruder!«
Die Indianerin hatte ihre Arme um sie geschlungen, und sie heftig an sich gepreßt umwunden gehalten, gleichsam als hätte sie nun ein doppeltes Recht auf sie, die sie vom beinahe unvermeidlichen Tobe gerettet. Kaum hatte jedoch Rosa die Worte über ihre Zunge gebracht, als sie, einen unwilligen Blick auf sie werfend, sie plötzlich fahren ließ. »Die weiße Rosa ist nicht gütig«; sprach sie mit Bitterkeit. »Ihr Herz ist so ganz und gar von ihrem weißen Bruder eingenommen, daß sie keinen Platz mehr für ihre Schwester hat. Canondah fürchtet nicht den Tod, sie hat von ihrem Vater zu sterben gelernt, sie war gebunden an den Pfahl, die Fackeln waren angezündet, ihr Auge aber war heiter wie das blaue Gezelt des Himmels. Nein,« sprach sie, und ihr Blick wurde feuriger, und ihre Miene stolzer, »die Tochter des großen Oconee würde den Mädchen der Pawnees gezeigt haben, wie sie sterben und ihrer Feinde lachen müssen. Aber« – setzte sie hinzu und ihr ganzes Wesen nahm den Ausdruck von Abscheu an – »Canondah wollte nicht wie ein verräterischer Hund sterben, wollte nicht, daß ihr Name, ein Fluch in dem Munde ihrer Schwestern als der einer Verräterin, die den Späher ins Wigwam geführt und zu seiner Flucht den Pfad gewiesen, mit Abscheu ausgestoßen würde. Nein,« sprach sie, »Canondah fiel in die Schlinge der Pawnees, sie warfen sie auf ihre Pferde, und das Fleisch aller ihrer Glieder war wund, und die Büffelsehnen, die sie auf den Rücken des Rosses schnürten, schnitten tief ein; aber sie ließ auch nicht den leisesten Seufzer hören. Ihre Seele war bei ihrem Vater und bei ihren Vätern, die von ihren Wiesen herabsahen und über den Mut ihrer Tochter frohlockten. Zwei Tage war Canondah in der dunkeln Höhle der Pawnees gelegen, und als das Licht der Sonne endlich in ihr Gesicht schien, zeigte es ihr auch den Holzstoß, der aufgehäuft war, ihren Leib zu Asche zu verbrennen. Ja, sie haben Canondah zum Pfahle geführt, sie haben ihr die Kleider vom Leibe gerissen, die Squaws haben ihr ins Gesicht gespien. Viele Messer und Tomahawks schwebten über ihrem Haupte; – aber du horchest ja nicht, Rosa?« sprach sie, sanft das Mädchen rüttelnd.
»O ja, ich höre ja alles«, versetzte diese.
»Und als so«, fuhr die Indianerin fort, »alle ihre Kleider von ihr gerissen waren, und die Squaws sie ergriffen, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, da stürzte der große Häuptling von seinem Rosse und drang durch die Krieger und die Menge und hob Canondah an seine Seite, »Sieh,« sprach sie, »Canondah ist sehr stark, sie konnte die Qualen der Mädchen und Squaws erdulden, sie sah dem Tode ins Gesicht; aber sie war zu schwach für die Güte des Häuptlings, sie sank in seine Arme, und ihre Sinne waren von ihr gewichen, und sie wußte nicht, was mit ihr geschehen war, bis die Sonne hinter den Bergen war und deine Schwester sich noch immer an der Seite ihres Befreiers sah.
»Die weiße Rose hat den großen Häuptling gesehen, und Canondah würde jetzt nicht gern sterben. Sie hat nicht wohl getan, den jungen Mann den Blicken ihres Vaters zu entziehen; aber sie hat die Tränen der weißen Rose gesehen, und der große Geist hat sein Gesicht vor ihr nicht in Wolken verhüllt. »Ja,« sprach sie, »es ist der große Geist, der den Arm des Miko zurückgehalten, als sein Fuß seine Tochter hinwegstieß wie einen Hund und seine Hand das Messer aus der Scheide riß, um es im Busen seiner Tochter und der weißen Rose zu begraben. Canondah hat böse getan, aber sie will es nicht wieder tun.«
»Und unser armer Bruder?« fragte Rosa.
»Der Miko ist ein großer und weiser Häuptling. Sein Auge wird die Spur des weißen Jünglings sehen und tief in seine Seele blicken. Wenn er ein Freund des roten Volkes ist, so wird er seinen Skalp nicht nehmen; wenn er die armen Mädchen betrogen, so muß Rosa nicht wegen eines Spähers weinen.«
Als sie diese Worte gesprochen, verließ sie die Hütte.
Dreizehntes Kapitel
Es schien – wir sprechen vom Gemütszustand, in welchem wir unfern Briten verlassen haben —, als ob der edlere Mensch mit dem gemeinern in ihm in Streit geraten, als wenn diese zwei Prinzipe ihn wechselseitig fortzögen und wieder zurückriefen. Er war eine Stunde an dem Ufer hinaufgerannt und ebenso wieder zurückgekehrt, und in diesem Hin– und Herrennen hatten ihn die ersten Strahlen der Morgensonne überrascht, die, indem sie ihm eine neue Szene aufdeckte, seinen Ideen auch eine veränderte Richtung gab.
So wie Canondah ihm gesagt, so hatte er das jenseitige Ufer des Sabine von Bäumen entblößt gefunden. Nur einige Föhren und Zedern krochen kümmerlich am hohen Uferrande hin. Doch vor ihm breitete sich eine Landschaft aus, die der stärkste Pinsel nur in mattem Umrisse geben, die gewaltigste Phantasie kaum zu fassen vermögen würde. Es war ein endloser Raum, in dessen wellenartige, sanfte Vertiefungen er hinabsehen, und dessen sanftem Ansteigen er mit den Augen folgen konnte. Der schönste, üppigste Wiesengrund, auf dem das zartgrüne Gras, von der Morgenluft angeweht, in sanften endlosen Wellen hinfloß, und auf dem die in weiter Ferne zerstreuten einzelnen Baumgruppen wie Schiffe auf der unübersehbaren See zu schwanken schienen. Nirgends war ein fester Punkt zu sehen, und die ganze ungeheure Landschaft schwamm buchstäblich vor seinem Auge, sich wiegend und wogend, gleich dem vom sanften Ostwinde angesäuselten Meeresspiegel. Gegen Norden schwoll die Ebene allmählich in das Hochland, dessen malerische vor– und zurückstehende Baumgruppen ihm einen Blick in das Innerste des prachtvollen Panoramas gaben, wo die ätherischen Tinten mit denen des Horizonts verschmolzen. Gegen Osten sank die ungeheure Wiese in Niederungen, aus denen Baumgruppen mit Rohr– und Palmettofeldern hinüberwallten und, so wie sie von der Luft bewegt in Wellen schlugen, im Sonnenglanze gleich Segeln aufzutauchen schienen. Die tiefe Ruhe, die in der grenzenlosen, in dem blauen, fernen Horizonte sich verlierenden Ebene herrschte, nur durch das Plätschern der Wasservögel oder das ferne Geheul der Savannenwölfe unterbrochen, und die nun prachtvoll aus dem Osten gerade herübersteigende Sonne gaben der Landschaft einen unbeschreiblich großartigen Charakter. Weiter am Flusse hinab standen einzelne Baumgruppen, in denen Hirsche weideten, die ihn mit einer Art Verwunderung anschauten und zu fragen schienen, wie er hierhergekommen, ihn noch eine Weile starr anblickten und dann, ihre Geweihe stolz aufwerfend und gleichsam unwillig, ihr Gebiet betreten zu sehen, langsam ins Dickicht zurückkehrten.
Erst allmählich bemerkte er mit Verwunderung, daß die ganze Landschaft mit winzigen, zuckerhutähnlichen Hügelchen von Muscheln und Fossilien übersäet, allem Anschein nach auch bewohnt war. Bräunliche Tiere saßen am Fuße derselben der Sonne zugekehrt, und ihr Frühstück im zart aufsprossenden Grase haltend.
Die Gegend, die wir soeben beschrieben haben, ist das westliche Louisiana, das vom Alluviallande des Mississippi, Redriver, Atchafalaya und den unzähligen kleinern, aber tiefen Strömen allmählich gegen Westen anschwillt und in den besagten prachtvollen, ungeheuern Savannen endet, woselbst, vielleicht die Reisehütte des Jägers ausgenommen, bis auf den heutigen Tag noch keine Spur einer menschlichen Wohnung zu finden ist. Die Bilder waren dem Jüngling auf einmal in den erhellenden Strahlen der Morgensonne vor den Gesichtskreis getreten und hatten so, während sie seine Anschauung ins Unendliche erweiterten, ihn in eine Stimmung versetzt, die der des Seemannes zu vergleichen sein dürfte, der nachts sein Schiff in einem zerbrechlichen Boote verlassen und des Morgens bloß die ungeheure See vor sich erblickend, unschlüssig schwankt, ob er nicht durch einen raschen Sturz allem kommenden Elend entgehen solle. Es war vielleicht dieses Gefühl seines Nichts und seiner Verlassenheit in der ungeheuern Gotteswelt, die vor ihm lag, und von deren Endlosigkeit er nie und nirgends einen so anschaulichen Begriff hätte erhalten können, das ihn plötzlich zu einem Schritte drängte, der in der Wegwerfung seiner Existenz, die er zu beurkunden schien, zugleich den Sieg des edlern Prinzips wahrnehmen ließ. Rasch seine Kleider von sich werfend und sie in ein Bündel sammelnd, stürzte er sich in den kalten Strom, über den er in einer Viertelstunde glücklich setzte. Die dumpfen Abschiedsworte der edlen Indianerin hatten ihn wirklich zu dem festen Entschlüsse bewogen, in ihr Wigwam zurückzukehren und sich dem Grimme des fürchterlichen Miko bloßzustellen. Alles übrige war ihm nun Nebenrücksicht geworden und als solche in den Hintergrund getreten. Er hatte sich wieder in seine Kleider geworfen und begann nun nach dem Pfade durch das Dickicht zu suchen. War, da er noch im Wigwam als eine Art Gefangener sich in Ungeduld verzehrte, seine Sehnsucht, den Ausweg zu erspähen, groß gewesen, so wurde sie nun zehnmal größer, wieder dahin zurückzukehren.
Dies war jedoch eine Aufgabe, die auch den Beherztesten zurückgeschreckt haben müßte. Das jenseitige Ufer des Sabine ist, gleich dem des Natchez, ein sanft ansteigender Kamm, der sich unmerklich wieder dem Sumpfe zusenkt. Die schwarz ihm entgegenstarrenden Zypressen und Zedern ließen ihn einige hundert Schritte ins Innere und bis zur Kammeshöhe eindringen; aber wo dieser Gürtel sich zu senken anfängt, da wurde jeder weitere Schritt eine Unmöglichkeit. Die Abdachung war mit einer Baumart übersäet, von der er nie gehört. Die Stämme, zwar nur mannsdick, standen aber dicht aneinander und starrten von armlangen braunen Dornen, die, beinahe einen Schuh lang aneinandergesetzt, dem Auge wie Millionen braun angelaufene Bajonette erschienen. Dieses Gewirre von zahllosen Stacheln ließ buchstäblich kein Eichhörnchen an einem dieser Baumstämme fußen. Er erinnerte sich des Pfades, den die Indianerin ihn geführt, und beschloß, diesen aufzusuchen. Er suchte an jedem Stamme, jedem Gestrüppe; allein er hatte Stunden gesucht und nichts gefunden. Wo er einen Fußtritt zu finden glaubte, war es sein eigener gewesen. Die Sonne wandte sich bereits gegen Westen, und noch immer war er keinen Schritt weiter. Endlich schien ihm das Glück zu lächeln, er hatte das Versteck gefunden, wo das Kanu verborgen war. Doch hatte er noch lange zu suchen, bis er endlich eine Spur in den Wald hinein fand. Diese Spur war so verworren, sie fühlte ihn in Zickzacklinien nun den Kamm aufwärts, nun wieder abwärts, daß bereits das Dunkel hereinzubrechen anfing, ohne daß er noch bis zu dem Sumpf gekommen war. Der Hunger mahnte ihn ernstlich an seine Rückkehr. Mit dem festen Entschlüsse, am folgenden Tage sein besseres Glück zu versuchen, lud er das Kanu auf seine Schultern und trug es ins Wasser, auf dem es beinahe ohne Ruderschlag sanft ans jenseitige Ufer hinglitt, wo er die ihm von der Indianerin mitgegebenen Vorräte zurückgelassen hatte. Rasch diese aufraffend, schiffte er nochmals über den Fluß und fing, nachdem er sein kurzes Mahl gehalten, an, sich seine Lagerstätte zu bereiten. Die Natur hat dem Menschen in dieser Himmelsgegend einen kunstlosen, doch herrlichen Lagerstoff im Tillandsea oder spanischen Moose gegeben, dessen lange, zarte, roßhaarige Fäden das weichste, üppigste Lager darbieten, und das, aus der Ferne betrachtet, die Millionen der Stämme, an denen es herabflackert, wie kolossale Greisesgestalten dem Auge erscheinen läßt, deren ungeheure Barte im Winde hin und her bewegt werden. Mit diesem zarten Fadenmoose füllte er nun sein Kanu, trug es dem Verstecke zu, das zwischen den Ästen zweier Zedern so gewählt war, daß ihm diese gleichsam als Walzen dienten, auf die er es nur zu heben brauchte, um vor allen Nachstellungen und Blicken gesichert zu sein. Sein Gewehr zur Seite und in seine Wolldecke gehüllt, entschlief er.
Er hatte ein sonderbares Traumgesicht. Er stand auf einem endlosen Raum, aus dem ihm in blauer Ferne die Wimpel des heiligen Georg entgegenschimmerten. Diesen gegenüber, hoch vom Genius der Freiheit emporgetragen, flatterte das sternbesäete Banner der Staaten, das mächtig heranflog gegen den Drachenbekämpfer. Da erfaßte es ihn mit unendlichem Sehnen und Grauen, und mit Riesengewalt warf er sich mitten unter die Seinen, riß das Banner des heiligen Georg an sich und flog mit seinen Gefährten dem Kampfe mit dem Sternengenius entgegen. Als er aber hinüberblickte auf den jauchzenden Feind, da tauchten aus den Wellen zwei Gestalten auf, die ihm das Blut in den Adern erstarren machten. Hinter ihnen, die mit durchbohrten Busen und zerschmetterten Häuptern auf ihn zuschwebten, kam der stolze Feind angeflogen. Da ermannte er sich wieder und stürzte sich auf diesen los, als er sich von einer eiskalten Hand ergriffen fühlte, die ihn mit wahnsinnig gellendem Gelächter den zwei Todesgestalten zuwarf.
Der Traum hatte ihn heftig ergriffen. Er sprang auf aus seinem Kanu, rieb sich die Augen und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Es war ein Traum. Draußen war es kalte, finstre Nacht. Neben ihm blitzten zwei gräßlich feurige Augen. Es war eine Nachteule, die ihn verwundert ansah und dann in ein schallendes, lang ertönendes Gelächter ausbrach. Er trieb den Unglücksboten von sich und entschlief wieder. Es faßte ihn mit Tigerklauen. Ein wildes Ungetüm schritt über die Leichen Rosas und Canondahs auf ihn zu, das Schlachtmesser in den gewaltigen Klauen und auf sein Herz zielend. Da wandte er sich, da rang und kämpfte er, da faßte er mit Riesenkraft sein Gewehr, um es auf das blutige Ungeheuer abzudrücken. Er lag unter dem Wilden, er kämpfte mit ihm den Kampf der Verzweiflung. Er raffte sich auf. Was Traum gewesen war, hatte sich in Wirklichkeit verwandelt.
Ein gräßlicher Wilder stand wirklich mit seinem Fuße auf seinem Kanu und schwang die Todesaxt mit einem grinsenden Lachen über seinem Haupte. Ein Hieb, und es war um ihn geschehen. Da erfaßte er konvulsivisch sein Gewehr, und, es rasch auf des Indianers Brust richtend, prallte dieser auf die Seite.
Die ungeheure Anstrengung hatte ihn, der noch im Kanu lag, mit demselben in dem Augenblicke überrollt, als das Schlachtbeil auf ihn niederfallen sollte. Dies hatte sein Leben gerettet. Die Knie des Indianers mit der Kraft der Verzweiflung erfassend, warf er diesen auf die Erde und sich schnell über ihn.
Das Schlachtmesser zuckte in der Hand des giftigen Wilden nach seinem Herzen, aber mit der letzten Anstrengung der Verzweiflung die Rechte seines Feindes ergreifend, hielt er mit der Linken seine Kehle. Noch einen Blick des tödlichsten Hasses schoß dieser, dann verging ihm der Atem, und Ermattung zwang ihn, den Mordstahl fahren zu lassen. Der Brite hatte sich nun, das Knie auf den Indianer gestemmt, über diesen hingebogen; das Messer funkelte in seiner Rechten über der Brust des Wilden, der knirschend den Tod erwartete. Einen Augenblick schien der Jüngling in Zweifel zu schweben; dann sprang er auf, trat rasch einen Schritt zurück und sprach: »Geh, ich will mich nicht mit deinem Blute besudeln.«
»Mein junger Bruder ist wirklich ein Freund der roten Männer«, sprach eine Stimme hinter seinem Rücken.
Er wandte sich und erblickte einen zweiten Indianer, das Skalpiermesser in seiner Rechten, und bereit, es in seinen Rücken zu stoßen. Auf die Seite springend, bot er dem zweiten Feinde die Stirne.
»Mein Bruder hat nichts zu fürchten«, sprach der zweite Indianer, hinter welchen sich der erste, nicht unähnlich dem Hunde zog, der, sich einer Untat bewußt, mit eingezogenem Schwanze den Rücken seines Herrn sucht.
»Mi-li-mach«, sprach der Indianer mit einem strafenden Blick auf diesen, »hat sich einen Skalp an einem schlafenden Weißen gewinnen wollen; allein er hat es diesem zu verdanken, daß der seinige noch auf dem Schädel sitzt. Der Miko hat das nicht gewollt.«
»Ihr der Miko?« rief der Jüngling, »der Miko der Oconees?«
Der alte Mann blickte den Fragenden ruhig und forschend an und sprach mit Würde: »Mein junger Bruder hat es gesagt. Er hat nichts zu fürchten, der Miko hat ihn gesehen, und er streckt ihm seine Hand zum Friedens– und Freundschaftszeichen entgegen.«
»Ihr der Miko der Oconees?« rief der Jüngling nochmals, die Hand des Indianers rasch ergreifend und sie freundlich drückend. »Ich bin herzlich froh, Euch zu sehen, und, die Wahrheit zu gestehen, ich bin soeben auf dem Wege zu Euch.«
»Die Mädchen«, sprach der Häuptling, »haben dem Miko gesagt, daß der Sohn des großen Vaters, der die beiden Kanadas besitzt, den Schlingen des Häuptlings der Salzsee entwischt ist und Zuflucht in seinem Wigwam gesucht hat. Meine Augen haben gesehen, und meine Seele glaubt, was wahr ist. Aber mein Bruder hat noch wenig von dem Pfade zurückgelegt, der zu den Seinigen führt.«
»Die Ursache davon will ich Euch gerne sagen«, sprach der junge Mann. »Ihr habt ein herrliches Mädchen zur Tochter. Möge der Himmel sie segnen! Sie und der Engel Rosa haben mich wie Schwestern gepflegt. Gerne würde ich länger geblieben sein; allein eine höhere Stimme ruft, und der muß ich gehorchen. Als mich aber Eure Tochter jenseits des Flusses verließ, da entschlüpften ihr Worte, die es mir zur Pflicht machten, wieder umzukehren.«
Der Häuptling hatte aufmerksam zugehört. »Was hat meine Tochter meinem jungen Bruder in die Ohren gelispelt?« fragte er.
»Es waren wenige Worte,« erwiderte dieser, »aber es waren schwere, inhaltsvolle Worte; sie machten mir es klar, daß die armen Mädchen für ihre Engelsgüte sich Euerm Zorne aussetzen würden, daß Ihr in dem Wahne, sie hätten einen Späher, einen Yankee, in Euer Wigwam eingeführt, sie vielleicht töten würdet.«
»Und mein Bruder?« fragte der Miko.
»Hielt es für Schuldigkeit umzukehren, um womöglich diese Gefahr von ihren edlen Häuptern zu lenken.« Der Indianer war nachdenkend eine lange Weile gestanden. Seine Züge heiterten sich auf. Er streckte nochmals seine flache Hand aus.
Dieses Freundschaftszeichen schien dem jungen Manne nicht ganz unwillkommen zu sein, der verlegen einer Schar Wilder zugesehen hatte, wie sie maschinenmäßig hinter ihren Führer traten und sich in einen Kreis schlossen. Eine Weile musterte er die grimmig dunkeln Gestalten, mit ihren blitzend schwarzen Augen und ihren stark hervortretenden Zügen, aus denen angeborne Wildheit und Grausamkeit unverkennbar leuchtete.
Des Häuptlings Auge hatte forschend auf dem jungen Manne geruht und den Eindruck gewahrend, den die plötzlich aus dem Gebüsche hervortretenden Gestalten auf ihn machten, hatte er geschwiegen, um so, wie es schien, dem jungen Manne Zeit zu geben, sich zu fassen.
»Und wünscht mein Bruder in die Dörfer der Weißen zu gehen?«
»Ich wünsche«, erwiderte dieser, »so bald als möglich zu den Meinigen zu gelangen. Ich bin britischer Offizier und muß deshalb so schnell als möglich auf meinen Posten.«
Der Indianer schüttelte sein Haupt. »Der Miko«, sprach er, »kennt die Söhne des großen Vaters der Kanadas. Er hat mit ihnen die Streitaxt gegen die Yankees erhoben. Sie sind große Krieger; aber sie sind blinde Nachteulen in unsern Wäldern. Mein Bruder würde nie zu den Seinigen gelangen und verhungern in der weiten Wildnis.«
Sein Auge fiel auf die Landschaft. »Sieh!« sprach er, gegen eine Baumgruppe zu deutend, die am äußersten Horizont zu schimmern schien. »Mein Bruder wird auf diese zugehen; aber wenn er dahin gelangt ist, wird sein Kopf mit ihm herumtanzen. Mein Bruder wird sich im Kreise herumdrehen, wie der Hund, der seinen Schweif fangen will. Er wird in hundert Sonnen nicht seinen Weg aus den Wiesen finden.«
Das Gleichnis war nicht sehr artig; aber ein bloßer Blick in die weite Ferne überzeugte den jungen Mann, daß der Indianer nicht so ganz unrecht haben dürfte.
»Eine Frage bitte ich mir zu beantworten«, sprach er. »Eure beiden Kinder haben also nichts zu fürchten, und der Miko vergibt ihnen großmütig, daß sie ohne sein Wissen einen Fremdling in seinem Wigwam gepflegt und entlassen haben?«
»Der Miko wird seine Tochter mit einem freudigen Auge dafür ansehen«, sprach dieser.
»Und Rosa?« fragte der Jüngling.
»Auch diese«, erwiderte der Miko.
»So bleibt mir nichts übrig, als schleunig meinen Weg anzutreten. Wenn ich nur an den Mississippi gelange. Auf diesem sind bereits unsre Schiffe.«
»Meines jungen Bruders großer Vater hat den Tomahawk gegen die Yankees erhoben?« fragte der Miko plötzlich.
»Zu Lande und zur See. Wir hoffen, diese Yankees tüchtig mitzunehmen«, sprach er.
»Und wie viele Männer hat er ausgesandt?« fragte der Indianer wieder.
»Von Landtruppen ungefähr zwanzigtausend, die hier gelandet; im Norden sind jedoch noch mehr.«
»Und mein Bruder?« fragte der Miko.
»Ich gehöre zur Flotte.«
Der Indianer wurde nachdenklich. »Der Weg,« sprach er, »den mein Bruder vor sich hat, ist sehr lang, und die Kanus seines Volkes sind sehr weit entfernt. Sein großer Vater hat viele Krieger, aber die Yankees haben deren noch mehrere. Höre! Will mein Bruder die Rede eines alten Mannes anhören, der viele Sommer gesehen und dessen Haare grau vor Sorgen und Alter geworden sind?«
Der Jüngling verbeugte sich, selbst etwas tiefer, als er es vielleicht wollte.
»Dann mag mein junger Bruder mit dem Miko in sein Wigwam zurückkehren. Seine Krieger werden mit ihm rauchen, und seine Mädchen werden ihm ins Ohr singen. In zwei Sonnen wird der Häuptling der Salzsee kommen. Der Miko will ihm dann sanft ins Ohr lispeln, und er wird ihn in seinem großen Kanu zu den Seinigen bringen.«
»Der Häuptling der Salzsee? Der Seeräuber mich zu den Meinigen bringen?« erwiderte dieser kopfschüttelnd. »Mein lieber Miko, da irrt Ihr Euch sehr. Das wird er wohl um so mehr bleiben lassen, als ihn dieses an den Galgen bringen würde.«
»Ist der Häuptling der Salzsee auch mit seinem Volke im Kriege begriffen?« fragte der Miko.
»Nicht im Kriege; aber er raubt und plündert, wo er etwas findet. Er ist ein Seeräuber, der, so wie er eingefangen, natürlich auch gehängt wird.«
Des Indianers Blick hatte sich zusehends verfinstert. Der Brite sah ihn betroffen an, ungewiß, ob er nicht eine unangenehme, verborgene Saite berührt habe.
»Mein Bruder«, sprach dieser, »hat recht. Er muß gehen; wenn er aber bleiben will, so ist das Wigwam des Miko ihm offen; die weiße Rose wird sein Wildbret kochen, wenn Canondah die Tochter des großen Cumanchee geworden, und er wird des Miko Sohn sein.«
Diesmal brachte der Antrag kein höhnisches Lächeln auf seinem Gesichte hervor; im Gegenteile, er faßte gerührt die Hand des alten Miko und schüttelte sie herzlich.
»Wenn dem Miko der Oconees seine Männer bei dem großen Geiste geschworen, daß sie für ihn die Streitaxt aufheben wollen, dann müssen sie ihr Wort halten, oder sie sind Hunde«, sprach der Brite, die Phraseologie des Indianers gebrauchend. »Ebenso muß der Sohn des großen Vaters der Kanadas halten, was er geschworen. Er muß zu seinen Brüdern eilen, sonst würde er wie ein feiger Hund von ihnen ausgestoßen, sein Name immerdar mit Verachtung ausgesprochen werden.«
Diese Worte, mit Nachdruck ausgesprochen, entschieden. Der Häuptling nickte beifällig, dann die Hand des jungen Mannes fassend, sprach er: »Halt! mein junger Bruder kam dem Wigwam des Miko nahe, als die Sonne hinter der Erde und der Häuptling im Schlafe lag. Er ist in sein Wigwam eingegangen, als er auf den Jagdgründen war. Er hat es verlassen ungesehen von ihm, ehe er noch in das Wigwam zurückkehrte. Seine Fußstapfen dürfen nicht vom weißen Volke gesehen werden. Will mein junger Bruder bei ihm, den die Oconees der Muscogees den großen Geist und die weißen Völker ihren Gott nennen, will er bei diesem versprechen, daß er, wenn er seine Feinde sieht, ihn diesen nicht verraten wird?«
»Ich habe dies bereits Eurer Tochter versprochen«, erwiderte der junge Mann.
»Will mein junger Bruder es auch dem Miko versprechen?« fragte dieser mit Nachdruck.
»Ich verspreche es feierlich.«
»Will er versprechen, daß er nie seinen Mund öffnen will, um zu sagen, daß der Miko und der Häuptling der Salzsee Freunde gewesen sind?«
»Ich verspreche auch dieses«, versetzte der junge Mann nach einer kurzen Pause.
»So mögen denn«, sprach der alte Mann, seine beiden Hände auf die Schultern des jungen Mannes legend, »die Gebeine seiner Väter in Ruhe modern. Der Miko wird den Pfad seines Bruders von Dornen reinigen, und sein Läufer wird ihm den Weg der Coshattaes zeigen. Doch mein Bruder wird hungrig sein,« fuhr er nach einer Weile fort, »und sein Weg ist lang.« Er gab den Seinigen ein Zeichen, und einer der jungen Männer leerte seine Jagdtasche auf dem Ufer. Der Miko mit dem Jünglinge setzten sich nebeneinander, und ersterer reichte diesem einige Schnitte kalten Wildbrets, während er selbst ein weniges versuchte. Eine Hand voll gerösteten Welschkorns folgte, und auf dieses eine Kürbisflasche mit wirklich recht gutem Weine. Das kurze Mahl war bald vorüber; der alte Mann stand plötzlich von der Erde auf, nickte freundlich und verlor sich im Walde. Ihm folgten die übrigen Indianer, mit Ausnahme des Renners, der vor ihm stand.
Nochmals warf der junge Mann einen Blick nach den dunkeln Gestalten, als sie zwischen den Bäumen allmählich verschwanden, und dann faßte er rasch das Kanu, um es ins Wasser zu tragen.
Als sie am jenseitigen Ufer gelandet waren, trug der Indianer dieses eine ziemliche Strecke abwärts, wo er es im Gebüsche verbarg; dann kam er trottend auf den jungen Mann zu, und, ohne sich aufzuhalten, glitt er vor diesem mit einer Schnelligkeit und Behendigkeit über die Wiesengründe hin, mit welcher Schritt zu halten der Jüngling Mühe hatte.
Vierzehntes Kapitel
Das Wigwam am Natchez bot die folgenden Tage allem Anscheine nach wieder denselben Anblick düstrer und melancholischer Ruhe oder vielmehr Indolenz dar, in welcher der Indianer, wenn er zu Hause ist, seine Stunden gewöhnlich hinzubringen pflegt. Das ganze Dörfchen war im tiefsten Stillschweigen wie begraben, und selbst die jüngern Wilden schienen die Ermüdung ihrer Väter zu teilen und sich einem dumpfen Dahinbrüten zu überlassen. So schien es beim ersten Anblick; allein es bedurfte einer nicht sehr großen Aufmerksamkeit, um zu gewahren, daß diese scheinbare Ruhe einen Charakter von Ängstlichkeit und Spannung hatte, die das ganze Völkchen ergriffen und die auf irgendeine Veränderung im Schicksale desselben hinwies.
Die langen Schritte, mit denen die Erwachsenen auf das Councilhaus sich zustahlen und je zu zweien oder dreien, ohne eine Silbe zu sprechen, ihre langen braunen Hälse ängstlich der Türe zustreckten; die scheuen Haufen von Weibern und Mädchen, die minder keck in größerer Entfernung sich hielten und stieren Blicks die Jungen aushorchten oder auf die Hütte des Miko herüberstarrten: diese verschiedenen Symptome schienen anzuzeigen, daß irgend etwas Wichtiges der Gemeinde bevorstehe.
Es war, wie bereits bemerkt, auch nicht ein Laut auf der ganzen weiten Fläche zu vernehmen. Keine Silbe war aus dem Councilhause zu hören, kein Wortwechsel oder Streit. Selbst die jüngern, bereits zu Männern heranreifenden Wilden wagten es nicht einmal, sich der Türe der Ratsversammlung bis zur Gehörweite zu nähern, von der sie, der herkömmlichen Sitte zufolge, bis nach Ablegung ihrer ersten Waffentat ausgeschlossen waren. Seit der Miko zurückgekehrt, war er, nur sehr kurze Unterbrechungen ausgenommen, mit seinen Kriegern und Männern im vollen Rate versammelt gewesen. Diese Beratungen hatten bereits zwei Tage hindurch gedauert. Zu seiner Tochter hatte er noch nicht gesprochen; er hatte ihr bloß stillschweigend bedeutet, sich in ihrem Stübchen zu halten, dessen Vorhang er selbst befestigt. Das arme Mädchen schien seit dem letzten Auftritte all ihren leichten, frischen, fröhlichen Sinn verloren zu haben. – War sie mit ihrer Schwester Gefangene? Was war aus Mi-li-mach geworden, der nicht wieder zurückgekehrt, und den seine Schnelligkeit zum Liebling ihres Vaters gemacht hatte? War er vielleicht durch die Hand des Weißen in dem Kampf gefallen, den dieser gewagt, ehe er getötet wurde? Aber hinwieder hatte sie keine Trophäe, keinen Skalp, keine Trauer im Wigwam bemerkt. – Rosa ihrerseits war um vieles gefaßter gewesen – sie hatte Trost im Buche gefunden, das der Methodistenprediger Canondah gegeben. – Und häufig hatte sie ihrer Freundin Stellen daraus vorgelesen, so sehr diese auch den Kopf geschüttelt. – »Canondah«, brach sie plötzlich aus, als Rosa ihr eine lange Stelle von der einstigen Seligkeit der Auserwählten gelesen hatte, »hat den guten Häuptling der Schule sehr geliebt; nie aber hat sie ihn leiden mögen, wenn er aus dem Buche vorgelesen oder ihr sanft ins Ohr geflüstert, sich mit Wasser besprengen zu lassen. Sie ist sehr froh, daß sie ihm nicht gefolgt hat.«
»Der Häuptling hat es wohl gemeint,« versetzte Rosa, »Canondah sollte dies getan haben.«
»Wie!« sprach die Indianerin ungeduldig – »Und wenn der Miko Canondahs Haupt mit dem Tomahawk gespalten hatte, so würde sie in die Hölle unter die bösen Weißen gekommen sein, die ihre Brüder getötet und dafür heulen und zähneklappern.« – Sie schauderte. »Nein, nimmermehr!«
Rosa schüttelte den Kopf. »Der gute Gott würde Canondah unter seine Engel aufgenommen und sie ewig selig gemacht haben, weil sie einen Bruder gerettet.« —
»Engel!« wiederholte die Indianerin. – »Canondah will kein weißer Engel dafür sein, daß sie den Späher in ihr Wigwam gelassen hat. Sie will gar kein weißer Engel sein. Canondah würde nimmer froh unter den weißen Engeln sein, die ihre Brüder morden und von ihrem Lande vertreiben.«
»Aber im ewigen Leben werden sich ja die Weißen und Roten nicht mehr morden, sie werden sich freuen und ewig selig sein.«
»Ach siehst du,« sprach die Indianerin, »daß Canondah recht und der bleiche Häuptling unrecht hat. – Die weißen und roten Männer werden sich freuen ihrer Taten, die sie hier ausgeübt haben, und wegen welcher der große Geist sie in die Wiesen versetzen wird. – Aber sie werden sich nicht miteinander erfreuen.« – Sie hielt eine Weile inne und schien nachzudenken. »Nein, Canondah glaubt es nimmermehr!« sprach sie lebhaft. »Wie! der große Geist, der dem Yankee eine weiße Haut gegeben und dem Oconee eine rote, der jenen ins Land über die Salzsee gesetzt und diesen an den großen Fluß, der sie voneinander durch das Salzwasser und hohe Berge getrennt, sollte sie, wenn sie sich am Kriegspfade begegnen und töten, auf die nämliche Wiese zusammenbringen? – Es sollte keine abgesonderte Wiesen für die Weißen und Roten haben? – Nimmermehr! – Die Weißen und Roten würden nimmer vergessen, mit ihren Augen würden sie sich durchbohren, wie die wilde Katze und der Wiesenwolf. – »Nein!« frohlockte sie, »Canondah ist froh, daß sie nicht das Einflüstern gehört. Sie kann nur glücklich sein, wenn sie in die grünenden Wiesen des großen Geistes kommt, wo ewige Sonne herrscht, und ihre Voreltern wandeln und Canondah wie eine gute Tochter empfangen werden.« Sie schritt rasch und ungeduldig im Stübchen hin und her.
Auch in diesem Punkte war sie ganz Indianerin, die mit ihrem lebhaft natürlichen Geiste und kindlichen Gemüte die traditionellen Sagen ihres Stammes festhielt. – Rosa hinwieder, obwohl in der nämlichen Schule auferzogen, war ganz die gläubige fromme Seele geworden, die sich durch die Lehren des Evangeliums veredelt. Sie hatte nun das Buch auf die Seite gelegt und schien über das, was ihre Freundin gesagt, nachzudenken, als sie durch ein gellendes Pfeifen aufgestört wurde. Beide Mädchen stürzten zugleich zum Fenster, von dem jedoch Rosa eben so schnell und bleich wieder ihrem Sitze zueilte, – während die Indianerin hastig den Vorhang an der Türe von innen befestigte.
Es war ein ziemlich großes Boot, ähnlich dem, in welchem der Brite gekommen war, das, durch die gewaltigen Ruderschläge von sechs Männern getrieben, den Fluß heraufglitt. Nebst diesen saßen noch zwei Männer darinnen. Das Fahrzeug war in der Bucht angekommen, wo die Kanus mit dem Boote des Briten lagen. Das letztere schien besonders einem der zwei Männer aufzufallen, der es flüchtig besah und dann seinem Nachbar einige Bemerkungen mitteilte, die dieser kopfnickend bekräftigte. Derselbe stieg auch als erster ans Land. – Er war mittlerer Größe, von nichts weniger als starkem oder üppigem Gliederbau, mit einem sonnverbrannten, braunen Gesichte, hohlen Wangen, in denen die Blattern schwarze, unangenehm auffallende Narben zurückgelassen hatten – und spitziger, etwas geröteter Nase. Aus diesem schmalen Gesicht und den ziemlich tiefliegenden Augenhöhlen funkelten ein Paar dunkelgraue Augen, die mit dem gewaltigen Schnurr– und Knebelbart dem Manne kein eben sehr anziehendes Gepräge gaben. Es schien jedoch ein gewisses Bestreben in ihm hervorzuleuchten, so anspruchslos und natürlich wie möglich zu erscheinen. Nur entglitten dem Auge zuweilen falsche Seitenblicke, und ein hämisches Lächeln spielte unwillkürlich über das zurückstoßende Gesicht hin, das er bei aller augenscheinlichen Bemühung nicht ganz unterdrücken konnte und ihm so einen widerlichen Ausdruck gab. Er trug einen kurzen blauen Rock, bis an den Hals zugeknöpft, ebensolche Pantalons und eine Kappe. Er war ganz unbewaffnet. Einige Worte sprach er noch zu den Ruderern und seinem Begleiter, der mit ihm an das Ufer gestiegen war, und dann eilte er in kurzem militärischem Schritte der Wohnung des Miko zu.
Die Ratsversammlung ging soeben auseinander; der alte Häuptling schritt ernst und langsam seiner Wohnung zu, während die Indianer in verschiedenen Richtungen ihren Wigwams zutrabten. – Es schien, als ob sie den neuen Ankömmling vermieden. – Auch nicht einer war in seinen Weg getreten, obwohl er dieses zu erwarten schien. – Er hatte schweigend dem auseinanderstiebenden Haufen zugesehen und war kopfschüttelnd in die Hütte getreten.
»Da bin ich, Freund Tokeah«, rief er mit einem gezwungenen Lächeln, seine Hand dem Miko zustreckend, der auf seinem Lager ruhig mit gesenktem Haupte saß. »Nicht wahr, ich bin ein Mann von Wort. – Kam letzte Nacht in die Bucht; doch der Teufel hole mich, wenn›s mich ruhen ließ; und so ging es dann frisch drauf, die ganze Nacht und den Tag hindurch; – doch, Freundchen, ich bin hungrig wie ein Seeadvokat und trocken wie ein Delphin.« Er sprach englisch mit einem starken französischen Akzent, sonst aber ziemlich geläufig.
Der alte Mann klopfte mit seinem Finger auf die Tafel, und Canondah kam aus ihrem Stübchen heraus.
»Canondah!« rief der Mann, galant auf sie zutretend, um seinen Arm um ihren Nacken zu legen. Das Mädchen schlüpfte aber, ohne ein Wort als Willkommen zu äußern, durch die Türe.
Unser Gast schien betroffen. – Eine Weile blickte er den Alten an; dann sah er durch die Türe, die das Mädchen soeben verlassen hatte.
»Was soll das heißen, Freund Miko?« sprach er endlich, »bin ich in Ungnade gefallen? Sollte mir wahrlich leid tun. Als ich über die Wiese herkam, segelten Eure Leute an mir vorüber, als wäre ich ein Kaper. – Ihr seid kalt wie ein Nordwester, Eure Tochter so steif wie ein gefrorenes Schiffstau. – Apropos. Ihr habt einen Besuch gehabt; der junge Brite hat, wie ich sehe, bei Euch vorgesprochen.« Die Miene des Mannes fiel lauernd bei diesen Worten auf den alten Mann, der jedoch keinen Zug veränderte.
»Von wem spricht mein Bruder?« fragte der Häuptling.
»Von einem Gefangenen, einem jungen Menschen, der, während ich zur See war, entschlüpfte.«
»Mein junger Bruder ist wieder gegangen«, erwiderte der alte Mann trocken.
»Gegangen?« sprach der andere ein wenig betroffen. »Ihr wußtet vielleicht nicht, daß er von mir gekommen. – Hat nichts zu sagen«, setzte er gleichgültig hinzu.
»Der Miko wußte,« sprach der alte Mann in festem Tone, »daß sein junger Bruder dem Häuptling der Salzsee entwischt. Mein Bruder hätte ihn nicht gefangennehmen sollen.«
»Sonderbar! Würde der Miko der Oconees nicht den Yankee gefangennehmen, der in sein Wigwam kommt, ihn auszuspähen?«
»Und war mein junger Bruder ein Yankee?« fragte der alte Mann, ihn mit einem durchdringenden Blicke fixierend.
»Das nicht; aber ein Feind —.«
»Mein Bruder«, sprach der alte Mann, »hat zu viele Feinde – die Yankees, die Krieger des großen Vaters der Kanadas.«
Der Mann biß sich in die Lippen. »Pah« – sagte er endlich – »Ihr habt die Amerikaner auf der unrechten Seite Eures Herzens, und ich beide.« —
»Der Miko«, sprach der alte Häuptling, »erhebt die Kriegsaxt, um die Seinigen gegen die Weißen zu schützen und das Blut seiner erschlagenen Brüder zu rächen. – Mein Bruder hat den Tomahawk gegen alle erhoben und bestiehlt, wie ein Dieb, Weiber und Kinder.« Eine brennende Röte überfuhr das Gesicht seines Gastes. Seine Zähne knirschten. »Fürwahr, Miko, Ihr sagt mir da Dinge, die mein Magen eben nicht leicht verdauen dürfte.« – Er maß den Alten vom Kopf zu den Füßen. – Plötzlich jedoch wieder sein voriges Lächeln annehmend, sprach er: »Torheit! Werden uns da einer solchen Bagatelle halber streiten; – jeder tut, was ihm beliebt und wofür er haften muß.«
»Als der Miko der Oconees dem Häuptlinge der Salzsee seine Rechte darbot und ihn als Freund in sein Wigwam aufnahm, da glaubte seine Seele einen Bruder zu empfangen, der dem Yankee den Krieg erklärt. Hätte er gewußt, daß dieser ein Dieb ist« – .
»Monsieur Miko!« unterbrach ihn der Seeräuber drohend.
»Würde er ihn nicht als Freund empfangen haben. Tokeah«, fuhr er mit Würde fort, »hat als Miko den Tomahawk gegen die Weißen erhoben, der Häuptling der Salzsee hat ihn zum Räuber gemacht. Was soll er, der Häuptling der Oconees, dem Krieger des Yankee sagen, wenn er in seine Schlingen fällt? Sie würden ihn an einem Baume aufhängen.«
Die Wahrheit, furchtlos und bestimmt vom alten Manne ausgesprochen, machte Eindruck auf den Seeräuber. Er ging einige Male rasch in der Stube auf und ab und stellte sich dann wieder vor den alten Mann hin. »Lassen wir das, Freund, ich habe die Skalps nicht gezählt, um die ihr die Schädel der Yankees betrogen, und Ihr werdet nicht mit mir rechten. Was geschehen ist, ist geschehen. Die Zukunft wird vieles ändern. Ich meinerseits bin vollkommen entschlossen, dem wüsten Leben zu entsagen, und dann wollen wir uns hinsetzen und ein paradiesisches Leben, halb à l›indienne, halb à la française führen. Lustig und fröhlich!«
Der alte Mann, ohne eine Miene zu verziehen, sprach: »Der Miko der Oconees hat noch nie seine Hand in das Blut seiner Freunde getaucht. Er ist arm; aber seine Rechte hat nie berührt, was ihm nicht gehörte. Seine Väter würden mit Kummer auf ihn herabblicken, wenn er das Band der Freundschaft mit einem Diebe knüpfen, der große Geist würde unwillig sein Gesicht vor ihm verhüllen, wenn er sein Volk durch einen Bund mit dem Räuber entehren wollte.«
Der Franzose hatte die Worte ruhiger, als es sich erwarten ließ, vernommen; nur zuweilen zuckte es in seinem Gesichte. Plötzlich wandte er sich.
»Meint Ihr so?« sprach er endlich. »Ihr glaubt also besser ohne Lafitte zu fahren. Habe nichts einzuwenden. Hätte ich›s nur früher gewußt, würde ich mir die Mühe erspart haben, Eure Grobheiten anzuhören, und Euch – sie mir zu sagen. Adieu, Monsieur Miko!«
»Mein Bruder!« sprach der Indianer plötzlich und beinahe erschrocken aufstehend, »hat Hunger; er muß essen; Canondah hat ihm sein Lieblingsgericht bereitet.«
»Und dann mag sich Lafitte um ein Haus weiter umsehen?« fragte der Seeräuber lauernd.
»Mein Bruder ist willkommen im Wigwam des Miko. Seine Hand verschließt sich nie, wenn sie sich einmal geöffnet hat«, sprach der alte Mann besänftigend.
»Nun, das läßt sich hören; dacht ich›s doch, mein alter Freund habe eine Art Spleen vom Briten angezogen; hoffe, es wird wieder vorübergehen. Unterdessen wollen wir sehen, was die Damen machen.« Er schritt dem Vorhang zu, wollte diesen öffnen, doch vergebens. »Ist es nicht erlaubt?« fragte er den alten Mann.
»Mein Bruder muß sich eine andere Squaw suchen. Rosa wird nicht in sein Wigwam gehen.«
Im Stübchen ließ sich ein sonderbarer Ton hören. Er klang wie ein Freudenruf; bald aber sank er in ein leises Lispeln. Es schien das Lispeln einer Betenden.
Der Seeräuber war verblüfft vor dem Vorhange und dem Miko eine Weile gestanden. »Kein Band knüpfen, die Türe vor der Nase verschlossen«, brummte er. » Eh bien, nous verrons, nun gut, wir werden ja sehen.«
Und mit diesen Worten verließ er die Hütte.
Der alte Mann war, ohne aufzublicken, ruhig sitzengeblieben. Zuweilen hatten seine harten Züge während des Wortwechsels ein verachtendes Lächeln blicken lassen; dies war jedoch nur vorübergehend, und er behielt seinen gewöhnlichen Ausdruck; nur zuletzt schien dieser Mitleiden mit dem Zustande des Seeräubers zu bezeugen.
»Ihr habt doch nichts einzuwenden,« fragte dieser, seinen Kopf zwischen die Türe steckend, »wenn ich über mein Boot disponiere? Dürfte leicht sein, daß ich während meiner Abwesenheit einen Besuch von unwillkommenen Gästen erhalte.«
»Wenn der Häuptling der Salzsee auf dem Kriegspfade ist, so wird er wissen, seinen Feinden zu begegnen.«
»Das ist einmal vernünftig gesprochen«, erwiderte dieser.
»Mein Bruder ist hungrig«, sprach der Miko, auf seine Tochter weisend, die nun mit mehreren Gerichten in die Stube trat.
»Werde kommen, – der Dienst geht vor.« – Und mit diesen Worten eilte er dem Ufer zu, auf dem sein Gefährte mit verschränkten Armen auf und ab ging, ein kleiner aber untersetzter Mann, von dessen schwärzlichem, olivenfarbigem Gesichte, – in einem ungeheuren schwarzgrauen Backenbarte begraben – man nichts als eine lange glühende Bardolphsnase erblicken konnte. Der Mann, als er des Seeräubers ansichtig wurde, nahm eine weniger ungenierte Haltung an, und seine Hände sanken in die einen Untergebenen bezeichnende Lage.
»Leutnant!« sprach der Ankommende.
»Kapitän!« war die Antwort. —
»Nichts vorgefallen?«
»So wenig, daß ich zweifeln würde, ob wir uns auch im Wigwam des Miko befinden, wenn meine Augen mich dessen nicht so deutlich versicherten. Was hat das zu bedeuten, Kapitän? – Um Vergebung.«
»Das wollte ich Sie fragen«, versetzte dieser mürrisch.
»Sonst hatten wir bei unserer Ankunft den fröhlichsten Jahrmarkt, heute ist keine Seele zu sehen. Die Weiber und Mädchen schienen Lust gehabt zu haben; aber sie wurden von den Männern zurückgewiesen.« Der Leutnant hielt inne; denn der Mann, dem er seinen Rapport mitteilte, schien sichtlich mehr und mehr verstimmt zu werden.
»Wie viele Köpfe haben wir unten im Sabinersee?«
»Dreißig« – war die Antwort – »die andern werden mit dem Aufräumen morgen fertig sein.«
»Giacomo und George«, befahl der Seeräuber kurz gebieterisch, »gehen hinab und bringen diesen die Order, heraufzukommen. Zwei bleiben unten und warten auf den Nachzug, mit dem sie zugleich über den Sabine gehen. Die Mannschaft kommt mit Musketen, Bajonetten, Pistolen und Fängern bewaffnet, und hält sich, bis auf weitere Order, im großen Bogen zwei Meilen unterhalb des Wigwams verborgen. – Sehen Sie nicht hinab, sondern mich an«, fuhr er verweisend den Leutnant an, der in der Richtung des Flusses hingeschaut hatte.
»Wohl, Kapitän!«
»Der junge Brite ist hier gewesen.«
»So sehe ich, Kapitän.«
»Und der Alte hat ihn gehen lassen.«
»Aber so taten auch Sie, Kapitän, mit seinen Kameraden. Ich hätte es nicht getan.« —
»Monsieur Cloraud hätte vieles nicht getan,« versetzte der Seeräuber spöttisch; – »wir konnten die fünf doch nicht einpökeln. Was nun mit ihnen zu tun, da wir unsere Rechnung abgeschlossen? Wer dieser Laffe da hat eine Konfusion gemacht.«
»Um Vergebung, Kapitän, hat sich sonst etwas ereignet?«
»Nichts Besonderes, als daß der Alte unserer Allianz müde ist.«
»Pah, wir brauchen ihn nicht mehr und mögen wohl den Unsrigen eine fröhliche Stunde gönnen.«
Der Blick des Kapitäns fiel mit einem unnennbaren Ausdruck von Spott und Verachtung auf den Mann. – »Deshalb also, meint Monsieur Cloraud, lasse ich die Leute kommen? – Diese Stunde wäre wahrscheinlich teuer erkauft, Herr Leutnant! – Ich hasse dumme, tolle Streiche. – Das Weitere werden Sie erfahren.« Die Verbeugung des Leutnants verriet, daß der zügellose Seeräuber selbst mit seinem ersten Offiziere nichts weniger als auf vertrautem Fuße stehe und seiner Kapitänswürde gehörige Achtung zu verschaffen wußte. Sein Offizier wandte sich nun zu den Ruderern, die noch im Boote saßen, und erteilte ihnen die ihm zugekommenen Orders. In wenigen Sekunden schoß das Boot den Fluß hinab.
»Nun wollen wir zum Essen. Lassen Sie Wein bringen, Leutnant!«
Der Leutnant winkte einem der zurückgebliebenen Ruderer, und dieser erhob sich mit mehreren Bouteillen in seinen Händen, um den beiden Befehlshabern zur Hütte des Häuptlings zu folgen.
»Sie lassen sich nichts merken, Leutnant,« sprach sein Chef; »so ungezwungen als möglich, selbst spöttisch. Müssen doch herausfinden, was der alte Kauz eigentlich im Sinne hat.« Beide waren in die Stube getreten, wo sie an der Tafel Platz nahmen. Diese war mit einem dampfendem Haunch vom wilden Büffel besetzt, dem deliziösesten Roastbeef, das auch der Gaumen eines Königs nicht verschmähen dürfte. Die Indianerin hatte es mit Sorgfalt unter dem Rasen gedämpft.
»Ihr werdet mir doch nicht versagen anzustoßen?« sprach der Seeräuber, drei Gläser füllend, von denen er eines dem Häuptling anbot.«
»Tokeah ist nicht durstig«, erwiderte dieser.
»Wohl denn, Rum,« versetzte jener; »Leutnant, lassen Sie eine Bouteille bringen.«
»Tokeah ist nicht durstig«, sprach der Häuptling lauter.
»Wie es gefällig ist«, murmelte dieser. »Ist es nicht sonderbar,« fuhr er zu seinem Leutnant gewendet fort, »daß der ganze Saft und die Kraft des Tieres gleichsam in diesem buckelichten Auswuchse konzentriert ist? Wenn die Indianer auf ihren jenseitigen Wiesen diese Rinder finden, dann möchte man wahrlich zum Wilden werden. Immer sind diese Seligkeiten reeller, als unsere magern Pfaffenlügen.«
Der Leutnant lachte pflichtschuldigst aus vollem Halse.
Der Miko war in seiner gewöhnlichen Stellung gesessen, hatte sein Haupt auf die Brust gesenkt und in seine beiden Hände gestützt. Er erhob dieses, blickte den Seeräuber einige Augenblicke an, versank aber wieder in sein voriges Hinbrüten.
»Lassen Sie sich›s schmecken, Leutnant«, mahnte der Kapitän. – »Solche Leckerbissen dürften wir nicht viele mehr über unsere Zunge bringen. Der große Geist würde sein Angesicht verhüllen, wenn wir seine Gaben verschmähen. Aber nun, Freund Miko,« fuhr er zu diesem gewendet fort, »werdet Ihr nicht versagen, auf das Wohl eines Gastes ein Glas zu leeren; sonst müßte dieser noch heute nacht aufbrechen. Er liebt ein wenig Stolz; aber zu viel ist ungesund.«
»Mein Bruder«, sprach der Miko, »ist willkommen; Tokeah hat nie sein Tomahawk gegen einen erhoben, den er in seine Hütte aufgenommen, noch hat er die Sonnen gezählt, die er in dieser geblieben.«
»Ich bin überzeugt,« sprach der Franzose, »daß Tokeah mein Freund ist, und wenn irgendeine böse Zunge Unkraut auf den Pfad, der zwischen uns liegt, gesäet hat, so wird der weise Miko über dieses hinweggehen.«
»Die Oconees sind Krieger und Männer,« sprach dieser; »sie hören die Rede des Miko, aber ihre Hände sind frei.«
»Ich weiß es, Ihr habt eine Art Republik, in welcher Ihr eine Art erblicher Konsul seid. Morgen wollen wir etwas mehr von der Sache sprechen. Wohlan, stoßt an; Friede und Freundschaft!«
»Die Hand des Miko«, sprach dieser, »ist geöffnet und wird sich nicht schließen; aber die Stimme der Oconees muß gehört werden.«
»Diesen will der Häuptling der Salzsee etwas in die Hände drücken, das seine Worte wie Musik in ihren Ohren ertönen machen soll«, erwiderte der Seeräuber. »Ich habe ganz artige Dinge für die Männer, Squaws und Mädchen mitgebracht. Auch für Euch etwas, in dem Ihr Euch wahrhaft mikomäßig – zum Verlieben – ausnehmen sollt.«
Der Leutnant hatte sich zurückgezogen, und die Nacht war hereingebrochen, der Halbmond schwand eben hinter den westlichen Baumgipfeln hinab, der alte Mann war aufgestanden und trat schweigend mit seinem Gaste vor die Türe. »Mein Bruder«, sprach er mit bewegter Stimme, »ist nicht mehr jung; aber seine Zunge ist närrischer, als die eines törichten Mädchens, das zum ersten Male Glasperlen an seinen Hals hängt. Mein Bruder hat Feinde genug; er hat nicht vonnöten, sich den großen Geist noch zu einem zu machen.«
»Nun was das anbetrifft, mit dem wollen wir schon fertig werden«, sprach der Seeräuber lachend.
»Mein Bruder«, fuhr dieser fort, »hat die Augen des Miko lange getäuscht; aber der große Geist hat sie ihm geöffnet, um sein Volk vor dem zu bewahren, der seiner und der Gebeine seiner Väter spottet. – Sieh,« sprach er, indem er auf die Mondsichel hinwies, die über den Gipfeln der Bäume schwebte, und seine hagere Gestalt schien sich ins Riesenartige zu verlängern; »dieses große Licht scheint auf die Ufer des Natchez, und es scheint über den Dörfern der Weißen; weder der Häuptling der Salzsee, noch der Miko der Oconees haben es gemacht; es ist der große Geist, der es angezündet. Hier« – indem er auf das schlanke Palmettofeld hinwies, dessen Säuseln wohltönend zu ihnen herüberrauschte – »seufzet der Atem der Ahnen des Miko; in den Wäldern, wo er geboren wurde, heult er im Sturme; beide sind der Atem des großen Geistes – die Winde, die er in den Mund unserer Voreltern legt, die seine Boten sind. Der große Geist hat die Haut Tokeahs rot, die seiner Feinde weiß gefärbt, er hat ihnen zwei Zungen gegeben, und sie verstehen sich nicht; aber der große Geist versteht sie, und er erhört die Bitten der weißen und der roten Männer; sie lispeln mit verschiedenen Zungen, so wie hier unser Rohr lispelt, und unsre Eiche im Geburtsland des Miko knarret und kracht. Höre!« sprach er nun, und wieder richtete er sich auf lang und langsam, und seine verwitterte Gestalt glich einem Wesen jener Welt; »der Miko der Oconees hat Euer Lebensbuch gelesen, er hat Eure Buchstaben gelernt, als er bereits zum Manne geworden; denn er sah, daß die Verschlagenheit der Weißen von ihren toten Freunden kam. Auch dieses Buch sagt, was seine Vorfahren ihm kundgetan, daß ein großer Geist, ein großer Vater lebe. Höre ferner« – sprach er – »der Miko war von seinem Volke zum großen Vater des weißen Volkes gesandt worden, und als er mit den übrigen Häuptlingen in die Dörfer kam, wo die Weißen den großen Geist in großen Councilwigwams verehren, fand er sie sehr gütig, und sie nahmen ihn und die Seinigen als Brüder auf. Tokeah hatte ein Gespräch mit dem großen Vater – sieh, dies ist von ihm« – er zeigte ihm eine große silberne Medaille mit dem Bilde Washingtons. »Er hat den großen Vater, der ein sehr großer Krieger und ein weißer Vater war, gefragt, ob er an den großen Geist seines Buches glaube, und derselbe hat ihm gesagt, daß er glaube, und daß dieser große Geist derselbe sei, den die roten Männer verehren. Das war die Rede des größten und gerechtesten Vaters, den die Weißen je hatten. Höre!« – fuhr er fort – »als der Miko in sein Wigwam zurückkehrte und gegen die untergehende Sonne kam, da gedachte seine Seele der Worte des großen Vaters, und er hielt sein Auge weit offen. Solange als er die hochaufgemauerten Councilwigwams sah, wo die Weißen ihren großen Geist anriefen, da wurden die roten Männer als Brüder empfangenen; aber sobald sie diese Councilwigwams nicht länger sahen, und sie gegen ihre eigenen Wälder zukamen, da wurden die Antlitze der Weißen finster, weil der große Geist sie nicht erleuchtete. Tokeah hat sich überzeugt, daß die Männer, die den großen Geist nicht anrufen, keine guten Menschen sind. Und mein Bruder spottet des großen Geistes und lacht seiner Vorväter in den seligen Wiesen? – Und er will ein Freund der Oconees sein, denen er den einzig glänzenden Pfad rauben würde? Er will der Freund des Miko sein, der unter seiner Last gesunken wäre, wenn ihm seine Väter nicht herübergewinkt hätten? Geh?« sprach der alte Mann, sich mit Abscheu von ihm wendend; »er würde dem Miko und seinem Volke seine letzte Hoffnung nehmen.«
»Gute Nacht!« sprach der Seeräuber gähnend. »An Euch ist ein Methodistenprediger verdorben.«
Er wandte sich dem Councilwigwam zu, seiner Wohnung während seines jedesmaligen Aufenthaltes im Dörfchen der Indianer.
Tokeah kehrte kopfschüttelnd in seine Hütte zurück. Kein Nachtgesang hellte die trübe Stimmung des gepeinigten Greises auf, und nur das grelle Pfeifen der Wache, die vor der Wohnung des Seeräubers und am Ufer sich alle zwei Stunden hören ließ, deutete auf das Dasein lebender Wesen im Wigwam.
Fünfzehntes Kapitel
»Kapitän! Es ist eine ungewöhnliche Bewegung im Dorfe«; rapportierte der Leutnant, der die Türe des Councilwigwams geöffnet hatte und vor das Lager des Seeräubers getreten war.
»Wieso?«
»Die Wilden rennen und springen, als wenn ein Schock Teufel in sie hineingefahren wäre. Sie tragen Bündel, Lebensmittel und Waffen; alles ist auf den Beinen.«
Der Seeräuber erhob sich von seinem Lager und warf sich in seinen Rock.
»Suchen Sie das Nähere herauszufinden. Ich gehe unterdessen zum Alten. Sollten Sie etwas Verdächtiges spüren, so wissen Sie, was zu tun ist.«
»Wohl, Kapitän.«
»Kaum sollte ich jedoch denken,« sprach der Seeräuber halb zu sich selbst – »er hat mir noch gestern vor dem Schlafengehen eine Predigt gehalten, die mir zum wenigsten beweist, daß ihm mein Seelenheil am Herzen liegt.«
»Aber, Kapitän, dürfte ich unmaßgeblichst —«
»Was haben Sie, Leutnant? heraus damit!«
»Wir haben noch ein ziemliches Streckchen vor uns bis wir zu – gelangen.«
»Ich weiß es.«
»Diese Verzögerung«; bemerkte der Leutnant schüchtern.
»Hat seine guten Ursachen.«
»Wohl, Kapitän.« —
Der Leutnant verbeugte sich und schritt wieder dem Ufer zu; der Kapitän war nachdenklich auf die Wohnung des Miko zu gegangen. Er fand diesen vor seiner Hütte, seinen Blick starr auf den Fluß gerichtet. Als er den Seeräuber sah, schien er in etwas seine Fassung zu verlieren. Die Begrüßung erwiderte er herzlicher, als es bei seiner Ankunft geschehen war. Aber der alte Mann schien unruhig, rastlos zu sein und es immer mehr zu werden, was seltsam gegen seinen sonstigen unerschütterlichen Gleichmut und seine Starrheit abstach. Er war mit dem Seeräuber in die Hütte getreten; beide hatten sich gesetzt; doch nicht lange, so eilte er wieder zur Türe und, als ob er sich erinnerte, setzte er sich wieder. – Plötzlich erhob er sich, trat vor die Türe, streckte seinen Hals und schien zu horchen. – Auf einmal ertönte das Dorf von einem langen, fröhlichen Ausrufe, der wie ein Lauffeuer von Hütte zu Hütte ging, zuletzt in einem wilden Chorus endigte, in dem Männer, Weiber, Mädchen, Junge und Kinder ihre gellend durchdringenden Stimmen vereinigten. Der Miko war dem Councilwigwam schnell zugeschritten. Das ganze Dorf war in Aufruhr. Hinter jeder Hecke, aus jedem Gebüsche, jeder Hütte stürzten Männer, Weiber und Kinder wie rasend auf das Councilhaus zu; selbst die Anwesenheit des Miko schien sie nicht in Schranken zu halten. Auf dem jenseitigen Ufer des Natchez hielten ungefähr dreißig Indianer, alle zu Pferde. Mehrere suchten nach einer Furt im Flusse; ungeduldig des Zögerns, stürzte sich ein junger Mann mit seinem Rosse ins Wasser und alle dreißig folgten ihm, so wie sie in Reihe und Glied sich an ihn angeschlossen hatten.
Die Breite des Flusses, gegenüber dem Wigwam, war etwa fünfhundert Fuß, und die Tiefe beträchtlich. Doch die rüstigen Reiter schienen in ihrem Elemente zu sein, und kaum daß sie aus ihren Gliedern brachen, schwammen sie auf ihren Pferden herüber.
Der Seeräuber war hastig ans Ufer geschritten, seine Zähne knirschten, und in seiner Miene war gräßliche Wut zu lesen. – »Zehn gute Stutzen nur!« murmelte er dem Leutnant zu.
»Vergebung, Kapitän! das sind keine Oconees; das sind Cumanchees; die haben den Teufel im Leib. Ich kenne sie aus meinen mexikanischen Feldzügen.«
Die kleine Schar hatte die Bucht nun erreicht, wo die Kanus auf Wattapseilen hingen. Mit einem Schwunge wandten sich die Indianer auf ihren Pferden, und dann sprangen sie beinahe zugleich von dem Rücken ihrer Tiere auf das Ufer, zogen diese nach und schwangen sich wieder auf, mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, die beinahe im Zweifel ließ, ob die Fabel der Zentauren nicht verwirklicht war.
Der Vorderste war bis auf einige Schritte an die Oconees herangekommen, die, ihren Miko an der Spitze, vor dem Councilhause warteten, als der Kreis sich öffnete, und dieser hervortrat, die flache Hand weit ausstreckend.
»Der große Häuptling der mächtigen Cumanchees und der Pawnees des Toyaskstammes«, sprach er feierlich, »ist willkommen!«
Der junge Indianer, an den die Worte gerichtet waren, hielt und hörte die Begrüßung mit Aufmerksamkeit an, indem er zugleich ehrerbietig sein Haupt neigte. Als der alte Mann gesprochen hatte, sprang er von seinem Rosse und schritt, seine flache Rechte ausgestreckt, auf den alten Mann zu. Als er diesem ganz nahe gekommen, verbeugte er sich noch einmal, ergriff seine Hand und legte sie auf sein Haupt.
Die gegenseitige Begrüßung war nicht ohne Würde und hatte noch ein besonderes Interesse durch den Kontrast, der sich hier so auffallend zeigte. Nichts konnte wirklich einen stärkern Gegensatz mit dem vertrockneten, hagern Miko bilden, der, einem verwitterten Riesenstamme gleich, starr, schweigsam und melancholisch dastand, und dem offenen, männlich würdevollen und doch wieder so sanften, jungen Häuptling der Cumanchees. Sein ovales Haupt war mit einem malerischen Hauptschmucke von Federn und Fellwerken bedeckt; seine gewölbte Stirn und sein blühendes Angesicht von leichter Kupferfarbe schienen die wilde Kriegsfarbe seiner Gefährten zu verschmähen; seine ausdrucksvollen, glühend schwarzen Augen mit der edeln Römernase waren im schönsten Einklange mit seiner männlich gediegenen Gestalt, die durch seine Kleidung und Bewaffnung sehr hervorgehoben wurde.
Seine Brust bedeckte ein Wams von blauen Fuchsfellen und von seinem Rücken hing eine Pantherhaut herab, die, mit goldenen Spangen an seinen Schultern befestigt, eine Form sehen ließ, die Thorwaldsen oder Canova entzückt haben würde. Es war eine herrliche Gestalt männlicher Schönheit, frei, rein und unverdorben aufgesprossen in den entzückenden Fluren Mexikos und in der Mitte eines mächtigen Volkes, das außer dem großen Geiste keinen Meister erkannte. Ein Dolch mit Griff von gediegenem Golde stak in seinem Gürtel, ein kurzer Stutzen und eine neun Fuß lange Lanze, an welcher ein Roßschweif hing, boten eine Rüstung dar, die, was Zweckmäßigkeit und Reichtum betraf, nicht schöner gedacht werden konnte.
Als der junge Häuptling sich von seinem Roß geworfen, wurde dieses von einem seiner Begleiter aufgefangen. Es war ein schönes Rassepferd, gleichfalls mit einer Pantherhaut behangen, deren vier Enden mit goldenen Spangen am Nacken und Rücken befestigt waren. Es hatte weder Sattel noch Steigbügel; zu beiden Seiten hing jedoch an einem Riemen eine Kapsel herab, in welcher die Lanze und der Stutzen ruhten.
Ähnlich gekleidet und bewaffnet waren noch vier Krieger des mächtigen Indianerstammes der Cumanchees. Sie trugen ihre Haare zu beiden Seiten der Stirne herabgekämmt, ihre Gesichtsfarbe war eine Mischung der Oliven– und Kupferfarbe. Sie schienen stolz zu sein und selbst auf die Pawnees vornehm herabzublicken. Um den Hals ihrer Pferde hing der Lasso, diese gefährliche Waffe, mit welcher der mexikanische Reiter Feinde, Büffel und Pferde im wildesten Galoppe fängt, indem er mit wunderbarer Schnelle und Geschicklichkeit die Schlinge über den Kopf von Mensch oder Tier wirft.
Der Rest der Schar waren Pawnees des Toyaskstammes. Ihr Haar war glatt am Kopfe weggeschoren, und bloß ein Büschel war am Scheitel stehen geblieben, sorgfältig geflochten. Über ihren Schultern hatten sie weichgegerbte, rotgefärbte Büffelhäute, die sie mit der haarigen Seite nach innen gekehrt trugen. Statt des Sattels diente ihnen gleichfalls eine Büffelhaut. Jeder hatte einen zollbreiten Gürtel, an welchem sein Hüftenhemd befestigt war. Sie trugen Mokassins von Elksfellen. Etwa die Hälfte war mit Musketen und Stutzen bewaffnet, alle aber hatten Lanzen, ein langes Schlachtmesser oder vielmehr einen Fänger und den Tomahawk. Sie waren wohlgeformte und kräftige Männer, mit denen verglichen die Oconees, mit ihren dünnen Armen und schmalen Schultern, wie Kinder aussahen.
»Mein Bruder ist dreimal willkommen!« wiederholte der Miko nach einer Weile, während welcher sein Blick mit dem Ausdrucke der reinsten Zufriedenheit auf seinem herrlichen Gaste und seinen Begleitern geruht hatte.
»Hat der große El Sol der Worte gedacht, die ihm Tokeah durch seinen Läufer gesandt?« fragte der Miko.
»Er hat offene Ohren und ein weites Herz mitgebracht«, versetzte der junge Häuptling würdevoll. »Ist die Rede des großen Miko für El Sol allein, oder mögen die Krieger der Cumanchees und Pawnees sie auch anhören?« fragte er nach einer Pause.
»Die Häuptlinge und Krieger der Cumanchees und Pawnees sind willkommen im Councilwigwam der Oconees. Sie sind ihre Brüder.«
Als der Miko diese Worte gesprochen, stiegen die vier Cumanchees und eine gleiche Anzahl der Pawnees von ihren Pferden und gingen mit den Häuptlingen auf das Councilwigwam zu. Nachdem diese mit den Kriegern in die Hütte eingetreten waren, stiegen auch die übrigen von ihren Pferden und bildeten, an die Hälse dieser gelehnt, einen Halbkreis.
Näher am Councilhause standen die Oconees, bloß mit ihrem langen Schlachtmesser bewaffnet, und hinter ihnen in ehrerbietiger Entfernung die jungen Männer des Wigwams, gleichfalls in einem Halbkreise. Weit hinter diesen die Squaws und Mädchen und Kinder, denen die strengen Regeln indianischer Rangetikette selbst einen näheren Anschluß an ihre eigenen Leute nicht gestattete. Das Wigwam hatte so allmählich die Gestalt eines kleinen Lagers angenommen, in dem die verschiedenen Truppenkorps in rascher Bewegung auf und nieder strömen.
An dem Ufer lagen vier Seeräuber auf ihre Arme gestützt, während ihr Kapitän und ihr Leutnant durch das Gebüsch dem Ufer entlang sich ergingen. Einen scharfen Blick ausgenommen, den sie zuweilen hinüber auf die Gruppen der Indianer warfen, schienen sie beide kein besonderes Interesse an ihnen zu nehmen.
So mochte etwa eine Stunde verflossen sein, als die Türe des Councilwigwams sich öffnete und Tokeah heraustrat, mit hastigern Schritten als gewöhnlich dem Ufer zueilend. Er schien jemanden zu suchen, und die Seeräuber, seine Absicht erratend, deuteten schweigend auf das am Ufer krumm sich hinziehende Gebüsch. So wie der Pirat den auf sich zukommenden Miko bemerkte, hielt er stille.
»Die Häuptlinge der roten Männer«, sprach dieser, »sind in die Wohnung gekommen, die Tokeah seinem Bruder eingeräumt hat, um da Rat zu halten. Will der Häuptling der Salzsee ihre Rede anhören?«
Dieser nickte bejahend, und beide gingen durch die Menge dem Councilhause zu. Kaum daß einer der Indianer seine Augen erhob, um, wie es in zivilisierten Gemeinden der Fall gewesen sein würde, aus den Gesichtern der beiden gewichtigen Männer herauszulesen, was die plötzliche, ernste und so ungewöhnliche Versammlung zu bedeuten habe. Als sie beide ins Innere getreten waren, deutete der Miko schweigend auf den Ruhesitz. Eine geraume Weile schwiegen alle. Endlich begann er in feierlichem Tone: »Häuptling der Salzsee! Zweimal haben die Bäume ihre Blätter von sich geworfen, und zweimal sind sie wieder in ihre Gewänder vom großen Geiste gehüllt worden, seit Tokeah und sein Volk für Lafitte gejagt, und ihre Weiber für ihn Korn gesäet und geerntet haben.«
»Das ist bezahlt; zur Hauptsache, wenn es beliebt«, versetzte der Seeräuber.
Die Indianer saßen unbeweglich. – El Sol jedoch erhob sein Haupt und blickte den Sprecher neugierig forschend an.
»Der Miko der Oconees«, fuhr der Häuptling in demselben kalten Tone fort, »kann nicht länger für Lafitte und sein Volk jagen. Die roten Männer und die von der Salzsee müssen verschiedene Pfade einschlagen.«
»Mit andern Worten,« unterbrach ihn der Seeräuber, »Ihr schlaget die Vereinigung und Verbrüderung mit Lafitte aus. – Darf er die Ursache wissen?«
»Sieh!« sprach der alte Mann, sich von seinem Sitze erhebend und durch das Fenster auf einen Kottonbaum zeigend, der die Hütte überschattete, »dieser Baum sproß vor sieben Sommern aus dem Boden. Er war so zart und klein, daß der Schnabel eines Vogels ihn hätte aus der Erde reißen können, in die die Winde den Samen hingeworfen hatten; aber dieser kleine Samen ist gewachsen und ist groß geworden, und zehn rote Männer könnten ihn nun nicht aus dem Grunde reißen. Er würde sie unter seinem Gewichte begraben. Der Häuptling der Salzsee wird nie ein Jäger auf den Wiesen werden; er liebt, seine Hand nach dem auszustrecken, was nicht sein ist; sein Durst nach fremdem Gute ist stark geworden, wie der Stamm des Baumes, und würde alles übrige erdrücken. Er wird nie lernen, mit wenigem zufrieden zu sein.« – Der Seeräuber lächelte höhnisch; aber seine Züge ebneten sich schnell wieder.
»Der Miko« – fuhr der Indianer fort – »spricht bloß, was die Freunde und Feinde Lafittes sagen. Sieh,« – sprach er, indem er aus seinem Gürtel die Proklamation hervorzog und sie vor dem Piraten ausbreitete – »der Vater der Weißen hat einen Preis von vielen Dollars auf seinen Skalp gesetzt. Er nennt ihn einen Dieb.«
Der Seeräuber hatte mit diplomatischem Gleichmut zugehört. Kaum eine Miene verzog sich in seinem Gesichte. »Dieser elende Fetzen Papier ist denn die Ursache Eurer heimtückischen Retirade«, versetzte er endlich mit Verachtung. »Diese elenden fünfhundert Dollar! Wollt Ihr sie verdienen? Hier sind tausend – zehnmal tausend.«
Der Indianer schien beleidigt. »Lafitte«, sprach er, »ist im Wigwam des Miko der Oconees, und er mag in Sicherheit schlafen. Die Oconees sind arm; ihr Reichtum ist das Feuergewehr und der Pfeil, mit denen sie den Büffel und den Hirsch jagen; sie bedürfen des Reichtums Lafittes nicht; wenig würde er auch unter ihnen finden. Ihre Pfade müssen denn in verschiedener Richtung gehen.«
»Ich dachte, Tokeah wäre ein Mann«, sprach der Seeräuber, der sich eine Kaltblütigkeit aufdrang, die ihm augenscheinlich schwer wurde. »Ich dachte, er wäre ein braver Feind, der das Unrecht, das die Weißen ihm zugefügt, nicht vergessen hätte; ich sehe, ich habe mich geirrt. – Ein Stück Papier bewegt ihn, seinen ehemaligen Freund zu verraten. – Er ist kein Mann.«
Das Feuer begann in den Augen des verdorrten Indianers zu glühen, als er diesen beißenden Vorwurf hörte. Mit einer bewundernswerten Ruhe jedoch öffnete sich sein Wams und zeigte die schrecklichen Spuren, die die Säbel und Bajonette seiner weißen Feinde da zurückgelassen hatten. »Tokeah«, sprach er rasch und mit halberstickter Stimme, »hat mehr Hiebe ausgeteilt, mehr Wunden geschlagen und empfangen, als der Häuptling der Salzsee Finger an seinen Händen und Füßen hat. Er lacht der Rede Lafittes.«
»Warum also fürchtet Ihr eine Proklamation, die Euch nicht schaden kann? Was haben wir hier in Mexiko mit dem Gouverneur von Louisiana und seinen Yankees zu tun?«
»In Mexiko?« wiederholte der Miko. »Wie meint mein Bruder dieses?«
»Wir sind in der mexikanischen Provinz Texas«, sprach der Seeräuber.
Der alte Mann war während seines Aufenthalts an den Ufern des Natchez in der festen Meinung gewesen, daß er mit seinem Volke noch immer im Gebiete des großen Vaters der Yankees sei, und dieser Wahn hatte den alten Mann Tag und Nacht wie ein böser Traum verfolgt. Der Seeräuber wußte, wie rastlos er von diesem Wahne umhergepeitscht war; aber er hatte mit der wichtigen Entdeckung zurückgehalten, wahrscheinlich um ihn und die Seinigen desto mehr in seiner Gewalt zu haben. Auch gegenwärtig schien er sie ihm bloß mitgeteilt zu haben, um ihn womöglich von seinem Entschlusse, sich mit den Cumanchees zu vereinigen, der nun ziemlich offenbar geworden war, abzubringen.
Der alte Mann hatte die Entdeckung mit offenen Augen und Ohren angehört. Er holte tief Atem, gleichsam als wäre er einer schweren Bürde soeben ledig geworden.
»So lebt also der Miko der Oconees nicht auf dem Boden, den der große Vater der Weißen für die Seinigen als Eigentum anspricht?« fragte er nach einer Pause.
»Gewiß nicht. – Ich kann Euch die Mappe zeigen.«
Der Indianer versank in sein voriges Nachdenken. Es war dieses eine für ihn äußerst wichtige, erfreuliche Nachricht. Im gegenwärtigen Falle jedoch kam sie zu spät, da allem Anschein nach die Unterhandlungen auf einen Punkt vorgerückt waren, von dem der Miko, selbst wenn er es gewollt hätte, nicht zurücktreten konnte, ohne sich eine herabwürdigende Blöße zu geben. Selbst sein gegenwärtiges Nachsinnen schien bereits aufzufallen, und der junge Häuptling, der aufmerksam geworden war, brachte den alten Mann bald wieder in seine vorige kalte, starre Ruhe zurück.
»Die Hand des großen Geistes«, sprach er, »liegt schwer auf den roten Männern. Er hat sein Gesicht verdunkelt, ihre Tapfern sind erschlagen – ihre Gebeine bleichen unbegraben auf der Erde. – Ihr Blut ist in Strömen geflossen. Es ist Zeit, daß die Tomahawks begraben werden, oder die Kinder der roten Männer werden von der Erbe verschwinden. Sie haben viele Feinde, sie dürfen diesen vielen nicht noch mehrere hinzufügen – sie dürfen die Kette des Vereines zwischen ihnen und den Männern der Salzsee nicht schließen.«
Der Seeräuber hatte gespannt zugehört. Plötzlich fuhr er heraus:
»Wenn ich Euch jedoch dartun kann, daß eben diese Feinde um« – er hielt inne – »Tokeah!« sprach er, sich stolz erhebend, »ich bin gekommen, Euch meine Verbrüderung anzutragen, Gemeinschaft alles dessen, was ich besitze, was mich jahrelange Mühe und Arbeit gekostet. Lafitte, der Schrecken der See zwischen Europa und Amerika, der Herr des mexikanischen Meerbusens, bietet Euch mit seinen Braven, seine Freundschaft und Bruderschaft an. Lafitte will sie nicht als eine Gunst; er bietet sie Euch als eine solche an. Nicht er ist der gewinnende Teil; ihr seid es. – Elende und verächtliche Geschöpfe, wie Ihr seid, Lafitte würdigt Euch seiner Bruderschaft. Er wird Euch beschützen; kein Yankee soll Euch ein Haar krümmen. Er schwört es. Es ist sein letztes Anerbieten.«
Die Kraft und selbst Würde, mit der er diese Worte sprach, würden einem bessern Charakter wohl angestanden sein. – Die Indianer blickten ihn überrascht an.
»Der Miko«, sprach der alte Häuptling mit seiner unerschütterlichen Ruhe, »ist von den Ländern seines Vaters gewichen, weil die verräterischen Weißen sich da niedergelassen haben. Seine Seele sehnt sich nach dem Volke seiner Farbe; sein Herz ist müde der Weißen; – aber der Miko ist nicht vor den Weißen geflohen, um die Schlechtesten aus ihnen in seinen Busen aufzunehmen. Die Kette, die die Oconees an das Volk der Weißen gebunden, muß gebrochen werden, sobald der Häuptling seinen Rücken dem Wigwam der roten Männer zugekehrt hat.«
»Es ist gut«, versetzte der Seeräuber mit erkünsteltem Gleichmute. »Euerm Versprechen zufolge erwarte ich, daß die weiße Rose mir als die Meinige ausgeliefert werde. Ich fordere sie als mein Eigentum.«
»Tokeah versprach die weiße Rose dem Häuptling der Salzsee, dem Freunde der Oconees, dem Feinde der Yankees – dem Krieger; aber er hat sie nicht dem Räuber, dem Diebe verheißen. – Der Miko hat sie ihm verheißen, wenn der Häuptling der Salzsee in sein Wigwam ziehen wird; – dieses ist ihm nun verschlossen, er muß sich um eine andere Squaw umsehen.«
Ein tückisches Lächeln umkreiste den Mund des Piraten bei Anhörung dieser Rede. Er schoß einen giftigen Blick auf den Sprecher und trat dann rasch aus der Türe. Die übrigen blickten kaum auf. Stumm, wie sie gesessen waren, blieben sie noch eine Weile auf ihren Plätzen und verließen dann die Ratsstube.
Sechzehntes Kapitel
Die Sonne hatte bereits ihre Mittagshöhe erreicht, als die Häuptlinge das Councilwigwam verließen, um die große Versammlung im Freien zu halten, zu der nun alle Vorkehrungen getroffen wurden.
Die Unterhäuptlinge und übrigen Krieger stellten sich in zwei Halbkreisen auf, von denen der innere, kleinere durch die ältern, der äußere durch die jüngern gebildet wurde. Alle saßen nach gewöhnlicher Indianerweise, ihre Schenkel ineinander geflochten, in ihren Gürteln ihre Skalpiermesser und Tomahawks, ruhig die Erscheinung der Hauptpersonen abwartend.
Der Raum gegen das Councilwigwam, als Ehrenplatz, war ganz den Pawnees überlassen, die alle in einer Reihe herumsaßen; ein Zeichen, daß sie insgesamt versuchte Krieger waren. Sowie die zwei Häuptlinge mit ihren Begleitern aus der Stube heraustraten, standen alle auf, und indem sie den Halbring öffneten, gingen jene hindurch und formten einen dritten kleinern Halbmond, in dessen Mitte Tokeah und El Sol sich niederließen. Die ernste, bestimmte und würdevolle Miene dieser sogenannten Wilden, ihr scharf durchdringender Blick, ihre männlichen, obgleich durch Wildheit verstellten Züge und Gestalten gaben der Versammlung ein Gepräge von Würde und Bedeutsamkeit.
Einer der ältesten Oconees aus dem zweiten Halbkreise brachte nun die Kalumet. Er trat vor die zwei Häuptlinge hin, zog den Rauch ein und blies die erste Wolke, die er im Mund gesammelt hatte, aufwärts – dem großen Geiste zu, die zweite abwärts, der Muttererde, und die dritte in gerader Linie an seine Gefährten, ihnen so seinen guten Willen bedeutend. Als er diese drei Wolken geblasen hatte, übergab er die Pfeife El Sol, der gleicherweise drei Wolken ausstieß und sie dann weitergab. Nachdem die Pfeife drei Runden, zur Ehre der drei Völkerschaften, die sich vereinigt hatten, getan, stand Tokeah von der Erde auf und begann seine Rede.
Er eröffnete dann der Versammlung, daß der große Häuptling zweier Völkerschaften der Sohn des Häuptlings einer dritten werden wolle, der Sprosse der Mikos der Oconees, daß die drei Völker künftig bloß ein Volk ausmachen würden und so vereinigt ihrer Feinde spotten könnten.
»Es ist Zeit«, so schloß er, »den Ring wieder zu ergänzen, den Blindheit zwischen den roten Völkern gebrochen; Zeit, die Kinder der großen roten Familie zusammenzurufen, die bisher weit voneinander zerstreut waren. Der große Geist hat gesprochen durch die Tat des mächtigen Häuptlings der Cumanchees und Pawnees, er hat die gebrochene Kette wieder vereinigt. Der Miko hat den Ring erfaßt und will ihn nie mehr brechen. Die Arme Tokeahs fangen an steif, seine Füße schwach zu werden; er hat rundumher um einen Sprößling gesucht, und er suchte vergebens; – nun hat ihm der große Geist einen gesandt in dem Befreier seiner Tochter. Das Blut der Mikos wird nicht von der Erde verschwinden; es wird, vereinigt mit dem des großen Cumanchees, in den Söhnen El Sols fließen. Er wird ein Sohn des Miko, ein Vater der Oconees, ein Häuptling, ein Krieger, ein Bruder ihnen sein. Männer der Oconees! sehet hier den Sohn Eures Miko!«
Die Blicke der Versammlung richteten sich voll Bewunderung und Liebe auf den jungen Mann, der sich nun gleichfalls von der Erde erhob, und nachdem er sich vor dem Miko verneigt, eine Weile innehielt und dann folgendermaßen begann:
»Viele Sommer sind seitdem verlaufen, und El Sol hatte noch nicht das große Tagesgestirn erblickt, als die jungen Männer der Pawnees des Toyaskstammes die großen Berge überschritten, die zwischen ihnen und den Wiesen der roten Männer im weiten Lande des Mexikos liegen. Da bauten sie sich Hütten und sagten: Lasset uns hier bleiben, denn der Büffel und Elens gibt es in Fülle. Nachdem sie zehn Sonnen gejagt hatten, fanden die roten Männer des Mexikos ihre Fußstapfen, und sie kamen mit umwölkter Stirne und Feuergewehren und auf schnellen Rossen. Die Männer der Pawnees sind Krieger, und sie wandten ihre Rücken den Feinden nicht zu. Das Kriegsgeschrei erschallte, und zwei Männer der mexikanischen Krieger wurden erschlagen, die andern flohen auf ihren schnellen Rossen. Von einem der sterbenden Krieger vernahmen die Pawnees, daß sie Tapfere des großen Volkes der Cumanchees waren. Sie kehrten in ihr Wigwam über die Berge mit den Skalps der Erschlagenen zurück.
»Groß war die Freude der Pawnees, als die jungen Männer vor die Häuptlinge traten und diesen die Skalpe ihrer mächtigen Feinde vorzeigten, und laut war ihr Triumph; aber Ettowah, der größte der Häuptlinge, erhob seine Stimme, und alle waren still. – ›Männer der Pawnees!‹ so lauteten seine Worte: ›Ihr habt zwei Skalpe von den Häuptern des mächtigsten roten Volkes genommen, das zwischen der aufsteigenden und der niedergehenden Sonne lebt. Seine Krieger sind zahlreicher als die Büffel, ihre Rosse flüchtiger als der Blitz, ihre Rache tödlicher als der Biß der Schlange. Nicht lange, so werden sie die Berge überschreiten, und die Gebeine der Pawnees werden auf ihren Gründen erbleichen, ihre Wigwams werden in Flammen auflodern, ihre Skalpe von ihren Schädeln gerissen und im Rauche ihrer brennenden Hütten getrocknet werden. Männer der Pawnees! Das Auge Wacondahs sieht finster auf euch herab, eure Söhne sind gegangen, wo ihre Fußstapfen nimmermehr hätten gesehen werden sollen; sie haben das Kriegsgeschrei erhoben, als sie auf unrechtem Wege waren. Sie sind über Berge gedrungen, die der große Wacondah selbst als Grenzscheide zwischen den beiden Völkern gesetzt hat. Männer der Pawnees! Ihr müsset gerade machen, was eure jungen Krieger krumm gebogen; ihr müsset die Rache der großen Cumanchees versöhnen, weil ihr unrecht getan habt. Es ist besser, daß zehn unsrer Männer sterben, als das ganze Volk.‹
»So sprach der große Ettowah. Laut erschallte das Wehklagen unter den Pawnees, als sie die Rede ihres größten Häuptlings vernahmen, aber sie hörten auf seine Worte, keines fiel auf den Boden; denn der große Häuptling sprach wahr.
»Die Häuptlinge und Krieger versammelten sich im Rate, und bald darauf hörte das Wigwam den Todesgesang aus dem Kreise der Krieger und jungen Männer. Es war der Todesgesang von Blackeagle, dem einzigen Sohne Ettowahs, der Stütze seines schwankenden Alters. Der große Ettowah sah den jungen Krieger, seine Ohren fingen den Todesgesang auf, der seinen Lippen entströmte, aber er seufzte nicht, er trauerte nicht – seine Seele war mit Freude erfüllt. Von neun Zungen ertönte noch der Todesgesang, und zehn Krieger der Pawnees verließen ihr Wigwam, ihren eigenen Grabgesang singend. Sie überstiegen die Berge und ritten auf die Wigwams der Cumanchees zu.
»Die Cumanchees sind ein mächtiges, aber sie sind mehr, sie sind ein großmütiges und tapferes Volk, sie sind die Blüte und der Stolz des roten Geschlechtes. – ›Der große Geist verhüte! sprachen sie, daß wir diejenigen töten sollten, die in Frieden zu uns kommen; unsre Brüder haben nichts zu fürchten. Aber zwei Väter unsrer Krieger sind ohne Söhne; zwei von euern jungen Männern sollen ihnen Söhne sein, die übrigen mögen in ihre Wigwams zurückkehren‹.
»Blackeagle war einer der beiden, die gewählt worden waren, Söhne der Cumanchees zu werden. Blackeagle hatte noch nicht ganz zwanzig Sommer vorüberschreiten gesehen; aber er war bereits dreimal auf dem Kriegspfade gegen die Osagen gewesen, und er verstand einen Feind zu töten und ein wildes Pferd zu zähmen. Die Cumanchees liebten ihn, und ihre Töchter warfen sehnende Blicke nach dem großen Jäger; aber in seiner Seele war›s leer und öde, seine Gedanken waren bei seinem Vater – seinem Volke – seinen Brüdern.
»Er liebte die Jagd der Büffel und der wilden Rosse.
»Einst als er durch die endlosen Wiesen der Cumanchees dahinflog, traf sein Blick ein Pferd, das, schneller als der Hirsch, weißer denn Schnee und stolzer als der Elk, über die Fluren hinwegsetzte. – Seine Seele verlangte nach dem Stolze des wilden Rosses, aber es schoß wie ein Blitz vor ihm weg. Zwei Sonnen war er seiner Spur gefolgt, gegen Mittag und immer gegen Mittag war er geeilt, als er es endlich auf den Wiesen des großen Häuptlings der Cumanchees fand, der gegen die heiß brennende Sonne zu lebte. Er warf seinen Lasso, und das Roß war sein eigen, als die Türe des großen Wigwams des Häuptlings aufflog und seine Tochter herauskam. – Es gehörte ihr. – Es war von den Wiesen gesprungen und hatte seine Brüder aufgesucht.
»Blackeagle sah Corah ins Auge, und der Lasso entfiel seiner Hand; denn die Tochter des größten der Häuptlinge der Cumanchees war schön, wie die aufgehende Morgensonne. Das weiße Roß sprang auf die Jungfrau zu, und sie hüpfte auf dessen Rücken.
»›Mein Bruder!‹ sprach sie, ›ist müde, und Corah wird ihn in ihres Vaters Haus führen, daß er seine Glieder ausruhen möge; er ist hungrig, und sie will ihn speisen; er ist durstig, und sie will ihn mit dem Safte der Palme tränken; er ist schläfrig, und sie will ein weiches Lager ausbreiten. Komm, mein Bruder!‹
»Blackeagle hörte auf, nach dem Wigwam der Pawnees sich zu sehnen, denn Corah war ihm nahe, als er das wilde Roß fing, und sein Auge sah den weißen Renner, wenn er auf die Jagdgründe flog.
»›Du bist mir teurer‹, lispelte die Tochter des großen Häuptlings, ›als das Licht meiner Augen, dein Atem ist mir süßer, als der kühle Morgenwind, deine Stimme wohltönender meinen Ohren, als der Gesang der Vögel. Bitte El Sol um Corah, er wird dir seine Tochter geben.‹
»Und El Sol sah die Taten Blackeagles auf den Jagdgründen, und seine Seele war mit ihm.
»›Blackeagle!‹ sprach er, ›meine Tochter sieht mit freundlichen Augen auf dich, den Pawnee; aber der Vater kann die Freude seines Herzens nicht seinem jungen Bruder geben, der noch keinen Feind seines Volkes getötet. Meine Krieger werden in kurzem gegen die weißen Männer Mexikos in den Krieg ziehen. Mein junger Bruder muß sich an sie anschließen. Wenn er mit dem Siegeszeichen wiederkehrt, so wird er El Sol als Sohn willkommen sein.‹
»Blackeagle hatte die Rede des großen Häuptlings gehört, und seine Seele war hoch erfreut. Er ging auf den Kriegspfad und brachte zwei der Häuptlinge, Männer der Mexikos, mit sich, und er wurde der Sohn des großen El Sols und lebte in seines Vaters großem Wigwam.
»Sie wurden«, sprach der junge Mann in langsam feierlichem Tone, »Vater und Mutter von El Sol, dem Häuptlinge der Cumanchees und der Pawnees.« —
Die Augen der ganzen Versammlung hingen in sprachloser Rührung an dem jungen Anführer, als er in tiefer Bewegung innehielt.
»Die Blätter der Palmen«, fuhr er fort, »haben sich nicht öfter denn einmal erneuert, als der große Geist den Vater Corahs in die glänzenden, grünen Wiesen abrief. Die Häuptlinge und Krieger der Cumanchees hatten sich versammelt, um die Worte des sterbenden El Sol zu hören, ihres größten und weisesten Häuptlings. ›Männer der Cumanchees,‹ sprach er, ›Blackeagle ist ein großer Krieger und wird ein großer Anführer werden; aber die Stimme unsrer Väter, die wir hören müssen, verbietet, daß er je Häuptling der Cumanchees werde. Aber das Blut Corahs muß wieder ein Cumanchee sein. Ehret im Sohne Corahs den ersten Häuptling unsers Volkes!‹
»Als der alte Häuptling diese Worte gesprochen, verließ seine Seele den Körper und flog zum großen Geiste. So wurde El Sol Häuptling der Cumanchees, als er nur erst wenige Monden zählte.
»Blackeagle kehrte ins Wigwam der Pawnees zurück, und Corah und El Sol folgten ihm. Vier Häuptlinge der Cumanchees begleiteten die Tochter El Sols und ihren Sohn, um den jungen Sprößling zu beschützen und zu bewahren und ihn zurückzuführen unter sein Volk, wenn er der Milch seiner Mutter nicht mehr bedürfen würde.
»Vierzehn Sommer waren verflossen, als weiße Männer kamen, die sagten, daß der große Vater das Land zwischen dem großen Flusse und der Salzsee der untergehenden Sonne gekauft habe, und daß sie kämen, auf den Jagdgründen der Pawnees sich Hütten zu bauen. Anfangs waren ihrer nur wenige, aber bald kamen sie in größerer Anzahl.
»Die Pawnees sahen ihre Fußstapfen mit gerunzelter Stirne; aber Blackeagle sprach zu ihnen und sie streckten ihre Hände den weißen Männern im Frieden entgegen. – Und die Weißen stahlen ihnen dafür ihre Pferde und betrogen sie um ihre Felle. Einen Sommer hindurch hatte Blackeagle für die weißen Männer gesprochen; aber die Ohren seines Volkes fingen an, sich seinen Reden zu verschließen, und sie erhoben ihre Äxte gegen die weißen Feinde. Das Unkraut begann schnell auf dem Pfade zu wachsen, der zwischen den beiden Völkern lag.
»Blackeagle war auf der Jagd; er folgte einem Hirsche, der schnell vor seinem Feuergewehre flog, als er einem Haufen weißer Männer begegnete, die mit ihren Gewehren ausgezogen waren. Sie sahen in das stolze Auge des Kriegers, und ihre Seelen dürsteten nach seinem Blute. Ehe er sprach, hatte die verräterische Kugel sein Herz durchbohrt, und er wälzte sich in seinem Blute. Die weißen Männer flohen und verließen den Häuptling mit dem tödlichen Blei in seinem Busen.
»Das große Himmelslicht war hinter die Erde gesunken, und Corah wartete vergebens auf die Rückkehr des geliebten Gatten. Sie starrte ängstlich ins dunkle Zwielicht – sie horchte, ihre Ohren waren weit offen – sie warf sich auf die Erde, um die leichten Fußtritte Blackeagles zu hören; – vergebens. – Kein Laut war zu hören, als das Geheul des Wiesenwolfs und das Gebrüll der Büffel. Sie umschlang El Sol mit ihren Armen und stürzte in den dunkeln Wald.
»Als Mutter und Sohn den Fußstapfen ihres Vaters im bleichen glänzenden Nachtlichte eine lange Weile gefolgt waren, hörten sie das Todesröcheln des verwundeten Häuptlings. Das blasse Licht goß seinen Silberschein auf die durchbohrte Brust des großen Blackeagle. Corah sank an seiner Seite nieder. Ihrem Jammer öffneten sich seine sterbenden Augen, und er richtete sie auf Mutter und Sohn. ›Geh,‹ so sprach er, ›und rufe die Häuptlinge und Krieger der Pawnees; die Worte des sterbenden Anführers müssen von vielen aufgefangen werden, auf daß sie die Winde nicht spurlos fortführen.‹ Der Sohn flog zurück in das Wigwam, und sein Geschrei erweckte die Pawnees; sie kamen mit den Häuptlingen der Cumanchees, um die Worte des sterbenden Blackeagle zu hören.
»Als sie alle um ihren Häuptling versammelt waren, so öffnete dieser noch einmal seine Lippen: ›Die Kugel des Weißen hat den Busen des Häuptlings zerschmettert; er ist gefallen und muß in der Erde schlafen; aber die Seele Blackeagles wird das Angesicht des in seinen Wolken thronenden Wacondah sehen, und seine Bitte wird die eines Pawnee sein. Für El Sol wird er die Seele eines großen Kriegers erbitten und die Stärke des Büffels. Höret, Männer der Pawnees, auf die Worte des sterbenden Blackeagles. El Sol ist durch das Blut seiner Mutter der größte Häuptling der Cumanchees, des mächtigsten Volkes der roten Männer; zu ihnen muß mein Sohn mit den edlen Cumanchees eilen, die wie getreue Wächter seinen Pfad im Wigwam der Pawnees bewacht haben. Er muß gehen, sowie das Streitroß auf dem Grabe seines Vaters getötet ist. Sie werden ihn als ihren Häuptling empfangen, werden ihn lehren, das wilde Pferd und seine Feinde zu fangen, und sie werden seinem schwachen Arme die Strenge des Mächtigen, seinen Füßen die Schnelle des Elens geben. Sie werden ihn zu einem gewaltigen Anführer machen, der seiner Feinde lacht. Wenn El Sol sieben Sommer und sieben Winter in den ewig grünen Fluren der Cumanchees gelebt, wird er zum Volke seines Vaters zurückkehren und ihm sagen, was er gesehen und es führen in die grünen Fluren über den bläulichen Bergen. – Höret, meine Brüder! das letzte Wort Blackeagles. Die Pawnees sind große Krieger; aber ihre Anzahl ist gering, und die Weißen sind die Todfeinde des roten Geschlechtes; ihre Seelen sind finster von Falschheit, ihre Zungen schwarz von giftigen Lügen; sie sind immer hungrig, ihre Hände immer ausgestreckt nach dem einzigen, was die roten Männer haben; sie kamen und hielten uns ihre Hände als Freunde hin, aber ihre Seelen brüteten Verrat; sie rauchten die Friedenspfeife mit den roten Männern, aber sie begegneten Blackeagle auf seinem einsamen Pfade, und sie sendeten ihm das tödliche Blei verräterisch ins Herz. Meine Kinder sind tapfer, aber ihrer sind wenig; der Weißen sind mehr als der Bäume des Waldes. Höret die letzten Worte, meine Brüder! El Sol ist der erste Häuptling der Cumanchees; er wird die Kette, die Blackeagle zwischen den beiden Völkern angeknüpft, noch fester schlingen; die Lande der Cumanchees sind viele Sonnen lang, ihre Büffel und Pferde kann keine Zunge zählen. Meine Kinder müssen dahin gehen. El Sol, wenn er nach sieben Sommern von ihren Wigwams zurückkehrt, wird ihren Pfad von Dornen reinigen. Noch dürfen meine Brüder den Tod Blackeagles nicht rächen. Noch ist es nicht Zeit. – Der Panther kauert sich nieder, er lauert und bereitet sich für den Sprung, ehe er ihn wagt. Meine Brüder müssen warten, bis sie stark werden, bis sie mit den Cumanchees vereinigt sind. Wenn sie den Tomahawk nun schärfen, so werden sie vom Angesicht der Erde weggeblasen werden; die Arme der Pawnees sind zu schwach, einen Streich zu führen, aber die vereinigten Arme der Pawnees und Cumanchees werden den Tod Blackeagles rächen. Von den grünen Fluren der Cumanchees‹, sprach die sterbende Stimme des Sehers, ›wird der Baum der Freiheit für das rote Volk erwachsen, und unter seinen duftenden Zweigen werden sie sich versammeln, und er wird stehen, gleich den ewigen Felsenbergen, die für immer mit Schnee bedeckt sind. Das Volk von Mexiko wird die eiserne Rute brechen, mit der es der blöde Häuptling, der jenseits der Salzsee wohnt, züchtigt. Nicht viele Sommer werden vergehen, und der Tomahawk wird für immer zwischen den Männern Mexikos und den Cumanchees begraben werden. Der Geist Blackeagles, der Sohn der Cumanchees, sieht den Stern Tlaskalas wieder erglänzen und gleich dem großen Mittagsgestirn seine Strahlen über die weiten Flächen Mexikos und der Cumanchees strömen – dann meine Brüder – dann ist die Zeit gekommen, den Tomahawk zu erheben.‹
»Die silbernen Wolken, die das bleiche Angesicht des Nachtlichtes verhüllten, flossen nun hinweg, und als die Männer der Pawnees wieder herabschauten auf Blackeagle, war seine Seele zum großen Geiste entflohen.
»El Sol ist mit seiner Mutter und seinen Brüdern, den Cumanchees, zu seinem Volke wiedergekehrt. Er blieb bei seinem Volke sieben Sommer, ehe er zurückkam zu den Pawnees, um die Worte seines sterbenden Vaters zu erfüllen. Er hat oft seine Lippen geöffnet und zu dem Volke der Pawnees gesprochen, aber das Herz vieler ist gebunden an das Wasser, wo sie in ihrer Jugend ihre Kanus gerudert; ihr Auge liebt es, die Gräber zu sehen, wo ihre Väter ruhen. Sie haben El Sol angehört, aber ihr Herz war in ihrem Wigwam und auf ihren Jagdgründen, die sie nicht ihren Feinden, den Osagen, überlassen wollten. – Aber die Stimme Wacondahs, der durch die Zunge Blackeagles gesprochen, muß gehört, seine Befehle müssen erfüllt werden. El Sol darf nicht länger unter den Pawnees bleiben. Die Todesrede seines Vaters ist in Erfüllung gegangen, und die Cumanchees sind Brüder der Männer Mexikos geworden – Herren ihrer weiten Lande. Ihre Häuptlinge und Krieger rauchen die Pfeife des Friedens mit den großen Kriegern und weißen Männern von Mexiko, ihre Krieger sind die ersten unter ihnen. Männer der Oconees!« beschloß der junge Häuptling, indem er seine Rechte erhob und stolz in der Richtung der sinkenden Sonne hinwies, »der Pfad El Sols führt zum niedergehenden Gestirne, das spät in unsre Fluren kommt, aber lange leuchtet.«
Der Eindruck, den seine Worte auf die Versammlung hervorbrachten, war unbeschreiblich. Alle sprangen auf, und ohne selbst auf die gewöhnliche Beratung und Entscheidung der ältern Krieger zu warten, riefen sie ihn alle einmütig als ihren Führer und Nachfolger in der Würde des Miko aus.
Der alte Miko erhob sich mit all dem Anstande seiner königlichen Gewalt und sprach: »Die Arme des Miko sind welk und morsch gleich den Ästen eines verdorrenden Baumes geworden; aber die El Sols sind stark; seine Füße werden langsam und erstarren, aber die El Sols sind schnell; – der alte Baum erstirbt, aber er läßt einen Sprößling zurück, der ihm Kinder geben wird, unter dessen Schatten sich seine Brüder laben, der ihnen Vater, ein Bruder seines Volkes sein wird. El Sol wird den Oconees ein gütiger Miko sein, wenn Tokeah zu seinen Vätern geht.«
Mit diesen Worten nahm er von seinem Haupte die Federkrone der alten Mikos, und sie auf das El Sols setzend, begrüßte er ihn als seinen Nachfolger.
Die Oconees kamen nun nach ihrer Rangordnung, sich vor ihm als Häuptling zu neigen und die Cumanchees als Brüder zu begrüßen, worauf sich die Versammlung unter lautem, anhaltendem Freudenrufe zerstreute.
Siebzehntes Kapitel
Die sinkende Sonne leuchtete auf ein fröhlich jubelndes Völkchen herüber, das die Vereinigung mit seinen neuen Brüdern mit einem gastlichen Aufwande feierte, der in diesem Maße noch nie in einem indianischen Wigwam jenseits des Mississippi gesehen worden war.
Sowie die große Versammlung aufgebrochen war, waren die Pawnees in die für sie bestimmten Hütten eingeführt worden, die ihre Wirte mit allem versehen hatten, was den Aufenthalt ihrer Gäste so angenehm als möglich machen konnte.
Die Pawnees sahen nicht ohne Verwunderung den Überfluß und selbst Reichtum ihrer roten Brüder an Dingen, die für sie, die bloß von der Jagd und dem Austausche ihrer Felle lebten, gänzlich unerreichbar gewesen waren. Der Überfluß an Wolldecken, dem größten Luxusartikel, den sie kannten, und Kleidungen allerart, die verschiedenen Möbel und Werkzeuge des Ackerbaus und Hauswesens vergrößerten in eben dem Maße ihr Staunen, als ihre Wirte ihnen mit indianischer Beredsamkeit die Anwendung derselben erklärten. Es war der Anblick dieser Überlegenheit, der allmählich den Stolz dieser Wilden, die sich natürlich als das stärkere Volk weit über die schwachen Oconees erhaben glaubten, auf seine gehörigen Grenzen zurückwies und den Weg zur freundschaftlichen Verbrüderung bahnte. Doch was ihre neuen Brüder in den Augen ihrer Gäste am meisten erhob, war der Anblick ihrer für Indianer wirklich ausgezeichnet schönen Waffen: ein Punkt, der natürlich von um so größerer Wichtigkeit bei Wilden ist, als bei ihnen nur die ersten Krieger mit Feuergewehren versehen sind. Als sie sich endlich auf dem freien Platze vor dem Councilwigwam zu ihrem Mahle niedergelassen, das die Squaws und Mädchen nun bereitet hatten, und jeder Pawnees eine Kürbisflasche des deliziösen Feuerwassers neben sich fand, da wußten sie kaum mehr ihrem Erstaunen Worte zu geben.
Der Miko selbst war hoch erfreut, und zum ersten Male leuchtete aus seinen Augen reine Zufriedenheit. Seine sehnlichsten Wünsche waren ihrer Erfüllung nahe. Seine Tochter war auf dem Punkte, mit dem größten Häuptlinge vereint zu werden, von dem er je gehört; sein Völkchen war mit einem mächtigen Stamm verbrüdert. Mit diesen glänzenden Aussichten verwob sich unwillkürlich in seiner Seele die Hoffnung einstiger Rache an seinen weißen Feinden.
Die strengen Gesetze des indianischen Anstandes hatten bisher El Sol noch nicht gestattet, seine Braut zu sehen; als aber die beiden Häuptlinge in die Hütte zurückgekehrt waren, nahm der Miko die Hand des jungen Mannes und führte ihn ins innere Stübchen.
Kaum hatten die vier Cumanchees die Bewegungen der zwei Häuptlinge bemerkt, als sie die Stube verließen und sich vor dem Eingange aufstellten.
»Nimm sie hin,« sprach der alte Mann, »die dein ist, und möge der Ring, der dich an Tokeah bindet, nie rosten!«
Canondah näherte sich langsam, ihre beiden Hände auf ihren Busen gekreuzt, ihr Haupt demütig auf ihre Brust gesenkt.
»Hat Canondah«, sprach der junge Mexikaner mit sanfter Stimme, »El Sol nicht vergessen? Und will sie gerne in die grünen Wiesen der Cumanchees folgen, die weit gegen die untergehende Sonne zu liegen?«
»Mein Befreier! mein Gebieter! mein All!« – lispelte sie, ihr Gesicht an seinem Busen verbergend.
Die beiden Liebenden standen lange in wechselseitiger Umarmung, als unterdrückte Seufzer die Anwesenheit eines dritten verrieten. El Sol trat näher und sah am Ende des Lagers Rosa, ihr Gesicht mit ihrem Tuche verhüllt. Canondah entwand sich den Armen ihres Bräutigams, und, sich vor Rosa aufs Knie niederlassend, hob sie sanft ihr Haupt empor und blickte ihr mit unaussprechlicher Zärtlichkeit ins Gesicht.
»Weine nicht, teure Rosa,« sprach sie – »du wirst mit uns ziehen – Canondah wird dir Schwester wie zuvor sein, El Sol Bruder; – er wird seine Augen und Ohren den Tränen der seufzenden Rosa nicht verschließen.«
Sie erhob das leidende Kind und führte sie mit sanfter Gewalt ihrem Geliebten zu. – Dieser faßte mit seinen beiden Händen die ihrigen.
»Die Schwester Canondahs wird auch die Schwester El Sols sein, und seine weiten Fluren werden sie als die weiße Rose der Oconees begrüßen. El Sol wird stolz sein, in seinem Wigwam die weiße Rose als Schwester zu sehen.«
»Ich danke dir, mein Bruder!« sprach sie mit Würde, »die verlassene Rosa hat doch wenigstens eine Seele, die sich ihrer annimmt. – Und der Miko hat den Dieben der Salzsee« – sie stockte —.
»Der Dieb der Salzsee muß sich um ein anderes Weib umsehen« – sprach El Sol rasch.
»Gott segne dich, edler El Sol«, sprach das Mädchen, sich vor ihm ehrfurchtsvoll neigend und dann zurücktretend, als heftige, barsche Stimmen vor der Hütte gehört wurden.
El Sol stürzte durch den Vorhang der äußern Türe zu, vor welcher der Seeräuber mit gezogenem Säbel stand, wütende Blicke auf die vier Cumanchees werfend. Einem derselben war seine Lanze entzwei gehauen. Der alte Häuptling hatte sich in die Mitte der Streitenden geworfen und war nahe daran gewesen, in Stücke gehauen zu werden. —
»Ich hoffe, ich werde nicht diese Wilden da um Erlaubnis zu bitten haben, Euch zu sprechen«, sprach der Seeräuber stolz.
»Die Türe zum Wigwam ist offen; aber meine Brüder haben sie bewacht, während ihr Häuptling die Tochter des Miko gesehen, die sein Weib werden wird«, sprach der alte Mann im bittend versöhnenden Ton.
»Miko!« erwiderte der Pirat mit einer stolzen Bewegung. »Ich bin gekommen. Euch Lebewohl zu sagen. Ihr geht auf eine andere Fährte – gut Glück! Zum Beweise, daß ich ohne Haß scheide, nehmt dieses.« Er legte einen Stutzen und ein Kästchen auf den Tisch.
»Mein Bruder«, sprach der Miko mit einer Stimme, der man die Verlegenheit stark ansah, »wird doch nicht das Wigwam verlassen, wenn die Sonne bereits untergegangen ist. Will er nicht teilen mit den roten Männern, was ihre Armut geben kann?«
»Lafitte ist zu stolz, aus einem Becher mit einem zu trinken, der seine dargebotene Hand zurückgestoßen. Miko, ich wünsche Euch Glück zu Euern neuen Alliierten. – Noch einmal, lebt wohl.«
»Halt!« sprach der Miko zitternd vor Scham über die Zurückweisung seiner Gastfreiheit.
»Mein Bruder muß zurücknehmen, was er der weißen Rose gegeben. Er wird das Gold, die Korallen und alles finden.« Mit diesen Worten eilte er ins Stübchen und kam beladen mit Kleidern und verschiedenen nicht unbedeutenden Kostbarkeiten. —
Der Seeräuber stand eine Weile betroffen, wie es schien, über die starre Ehrlichkeit des alten Mannes. »Behaltet,« sprach er, »was für mich keinen Wert hat«, und ihm die Hand drückend, wandte er sich rasch, ohne die übrigen auch nur eines Blickes zu würdigen. In wenigen Minuten war das Boot hinter dem Palmettorohre verschwunden.
Die unerwartete Abreise des Piraten schien dem Miko schwer aufs Herz zu fallen und auch die übrigen in eine gewisse Unbehaglichkeit zu versetzen. Sie ließen sich schweigend zum Mahle nieder.
Dem alten Manne war die Trennung von dem lebhaften Franzosen augenscheinlich sehr schwer gefallen. Dieser hatte sich während der zwei Jahre ihrer Bekanntschaft mit einer Artigkeit, einem Zuvorkommen betragen, die ihm die Zuneigung des Indianers in hohem Grade gewonnen hatte. Er hatte sich an seine Gesellschaft gewöhnt und liebte es, ihn um sich zu haben.
Tokeah war ein Mann, ergraut in Gefahren und jenem Mißtrauen, das den gedrückten, schwächern Indianern gegenüber ihren stärkern, weißen Unterdrückern natürlich ist. Die mannigfaltigen Verrätereien, zu denen er wahrscheinlich in jüngern Jahren seine Zuflucht nehmen mußte, um diesen einigermaßen die Spitze zu bieten, und die mit derselben verräterischen Münze bezahlt worden waren, hatten seine im Grunde hochherzige und wahrhaft königliche Seele getrübt; die Maske jedoch, in der Lafitte sich ihm genähert, war so himmelweit von dem kalt abweisenden, höhnisch verächtlichen Wesen verschieden gewesen, in welchem ihm die Amerikaner ihre Überlegenheit fühlen ließen, daß er allmählich zu ihm Zutrauen gefaßt hatte.
Es schien, als ob der Seeräuber seinen jedesmaligen Aufenthalt im Wigwam als eine Erholung von seinen blutigen Umtrieben angesehen hätte. Er hatte mit den Indianern getanzt, gejagt und sich allen ihren Unterhaltungen auf die natürlichste Weise angeschlossen. – Den alten Miko hatte seine unerschöpfliche Sprachseligkeit und sein Reichtum an kriegerischen Abenteuern oft bis Mitternacht wach gehalten. Der muntere, lustige Häuptling der Salzsee, der mit einer liebenswürdigen Anspruchslosigkeit die glänzendste Freigebigkeit vereinte und in seinem Verkehr eine Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit zu erkennen gab, welche die Indianer noch nie gesehen, und die von den Betrügereien der Weißen so seltsam abstach, hatte endlich seine ganze Zuneigung gewonnen. Sein Prahlen mit seinen Waffentaten bezog sich zudem so ganz auf sich selbst und hatte für den Miko, mit dessen Volke er nie in Feindschaft gewesen, so wenig Beleidigendes, daß die Eigenliebe dieses auch nie verletzt worden war. Es war, so sprach er öfter, ein ungeheurer Unterschied zwischen den höhnenden, kaltherzigen und alles mit Verachtung wegweisenden Yankees und dem artigen, freundlichen Häuptling der Salzsee, der mit seinen Taten prahlte, ohne die anderer herabzusetzen.
Er hatte deshalb nicht ohne Seelenkampf ihm angekündigt, daß ihre Verbindung nun getrennt werden müßte, und vielleicht würde er doch noch, trotz seines mikoischen Stolzes, wenigstens eine gewisse entferntere Verbindung erhalten haben, wenn nicht El Sol gewesen wäre.
Als er aber diesem in der Unterredung, die sie vor der Versammlung hatten, einige Winke rücksichtlich der Vorteile gab, die auch den Cumanchees von einem nähern Verbande mit dem Seeräuber zufließen müßten, warf der edle Mexikaner die bloße Zumutung mit einer Verachtung von sich, die dem Miko für immer den Mund schloß. —
Das Dörfchen war im größten Aufruhr. Wildes Jauchzen, der Schall der Trommeln und der Schellen hatten, mit den allzureichen Gaben Canondahs, die Freude des Völkchens zur Tollheit gesteigert.
Die Pawnees hatten mit den Oconees sich zum Nachttanze vereinigt. – Und nun führten sie den Kriegertanz ihres Stammes auf.
Der junge Häuptling hatte schweigend seinen Gefährten zugesehen und war wieder mit bedenklicher Miene in die Hütte zum Miko zurückgekehrt.
»Mein Vater«, sprach er in einem ehrerbietigen, aber zugleich bestimmten Tone, »ist weise, und seine Augen haben der Sommer viele gesehen; aber die Seele des Diebes ist umwölkt.«
»Es ist die Seele eines tanzenden Mädchens, die sich umwölkt, weil man ihr ihre Korallen genommen«, erwiderte der alte Mann, auf den Vorhang deutend, hinter welchem Rosa war.
»Seine Zunge ist die Zunge einer Schlange, aber sie ist nicht halb so giftig, als der Stachel seiner Augen – seine Seele schießt drohende Blicke. Mein Vater muß seine Augen weit auftun.«
»Tokeah hat ihn zwei Sommer gesehen und hat ein Mädchen erblickt«, sprach der alte Mann mit der Zuversichtlichkeit, die dem Alter eigen ist, das seine angenommene Meinung nicht fahren lassen will. »Seiner Männer sind wenige«, fügte er hinzu, »und die übrigen sind über vier Sonnen gegen die Salzsee zu, und El Sol weiß, daß die Oconees morgen aufbrechen.«
Obwohl er wußte, daß der Seeräuber ein Boot den Fluß hinabgeschickt hatte, so tat er von diesem Umstande doch keine Erwähnung, entweder weil es sich während des verlängerten Aufenthaltes Lafittes häufig ereignet hatte, oder er es nicht der Mühe wert hielt, die Unruhe seines Gastes durch eine anscheinend so unbedeutende Maßregel zu vermehren. Es war dieselbe Eigenliebe für seine einmal angenommene Meinung, die seinen Mund verschloß. Er war ein Mann, der sowie der Tiger an dem zerfleischten Büffel und die wilde Rebe am Kottonbaume, so an der einmal vorgefaßten guten oder bösen Meinung hing. Er hatte nun einen günstigen Begriff von dem Seeräuber, und dieser hatte sich in seine Seele gleich den übrigen eingegraben, und nichts in der Welt war imstande, ihn daraus zu verdrängen. Der junge Mexikaner schien beruhigt und schwieg.
Die Nacht war weit vorgerückt, und der Tanz vorüber, die Töne der Instrumente waren verklungen, bloß einzelne Stimmen ließen sich noch hören; allmählich schwiegen auch diese, und das Dörfchen versank in Ruhe. Der alte Miko faßte nun die Hand El Sols und führte ihn ins Stübchen.
»Canondah!« sprach er mit milder Stimme.
Das Mädchen stand bereits vor ihm, ihre Hände wie gewöhnlich auf ihren Busen gefaltet. Ein melancholisches Lächeln spielte auf ihren ängstlichen Zügen, und eine Träne perlte über ihre Wangen. Ihre liebenswürdig muntere Laune schien auf immer von ihr geflohen zu sein. Der Vater nahm die beiden Hände des jungen Mannes und, sie auf die Schultern der Tochter legend, übertrug er so seine väterliche Gewalt auf ihn; – dann legte er seine beiden Hände auf ihre Scheitel und sprach:
»Möge der große Geist eure Vereinigung mit vielen tapfern Kriegern segnen!«
»Und soll El Sol sein Weib mit schmerzerfülltem Herzen in sein Wigwam führen?« sprach mild der Bräutigam.
»El Sol ist Canondah teurer, als die Sehnen ihres Lebens; er ist die lieblichste Blume, die ihr Auge je gegrüßt; seine Stimme ist ihren Ohren Musik, und seine Liebe der Born ihres Lebens; aber die Brust Canondahs ist enge und droht zu zerspringen. – Der große Geist flüstert ihr etwas zu, aber sie kann seinem Flüstern keine Worte geben.« Sie sprach diese Worte und faßte dann Rosa beinahe fieberisch an und drückte einen langen Kuß auf ihre Lippen. – Bereits war sie zur Türe hinaus, als sie nochmals zurückeilte und Rosen umfing. »Rose,« murmelte sie mit hohler Stimme, »willst du dem Miko Tochter sein, wenn Canondah nicht mehr ist?«
»Ich will«, schluchzte Rosa.
»Versprichst du mir bei dem großen Geiste, ihn nicht zu verlassen?«
»Ich verspreche es«, schluchzte Rosa stärker.
Der Miko, der schweigend und in Nachdenken versunken gestanden war, machte nun ein Zeichen, und Canondah schwankte ihrem Gatten zu, der sie in seine Arme schloß und mit ihr in das Councilhaus ging, wohin Tokeah vorangeschritten war.
Achtzehntes Kapitel
Mitternacht war vorüber, und Dorf und Flur im tiefsten Schlafe begraben. – Von dem Ufer her stahl sich ein Mann im behutsamen Schritte auf die Hütte des Miko zu; er hatte einen gezogenen Säbel unter dem Arm und blickte, als er zur Laube vor dem Häuschen gekommen war, scheu und bedächtig um sich, dann, sich wendend, war er im Begriffe, ebensostill und leise zurückzukehren, als plötzlich eine Büffelschlinge um seinen Nacken fiel, und er zur Erde geworfen ward, so schnell und unwiderstehlich, daß es mehr das Werk eines unterirdischen, denn eines menschlichen Wesens schien. Der Säbel entfiel seiner Hand, ehe er noch imstande war, ihn seinem Halse zu nähern und so die Schlinge zu zerschneiden, mit der er gefangen war. Das Ganze war mit einer so verräterischen Schnelle und Heimlichkeit vor sich gegangen, daß eine Schar bewaffneter Männer, die näher der Bucht und kaum dreißig Schritte von der Hütte entfernt standen, in gänzlicher Unwissenheit über das Vorgefallene waren. Doch nun brach eine Stimme von unsichtbaren Lippen, die die Toten in ihren Gräbern hätte aufregen können, und die Türe des Councilwigwams flog mit einem gewaltigen Gekrache auf, und mitten unter dem Aufleuchten von Schüssen, die vom Ufer her krachten, stürzte eine kräftige Gestalt aus der Hütte, die etwas Schweres in ihren Armen trug und zwischen den Gebüschen und Hecken verschwand. Eine zweite Stimme ließ sich nun vernehmen, die dem Innersten von tausend Kehlen zu entsteigen schien, und die sich nun in jeder Richtung, jeder Hecke, jedem Gebüsche vervielfältigt hören ließ, so furchtbar rasend, als ob die Dämonen der Hölle losgelassen, in ihren nächtlichen Rasereien tobten. Zu gleicher Zeit begann ein regelmäßiges Pelotonfeuer vom Uferkamme herüberzurollen, und eine Hütte nach der anderen fing an in bläulichten Flammen aufzuflackern, die zitternd und an Ausdehnung gewinnend bald ins hellglänzende Rot übergingen und sich über Dach und Hütte hinlagerten. Mitten in diesem fürchterlichen Aufruhr war nochmals eine Stimme gehört worden, die dem Brüllen des Löwen glich, wenn er raset in seiner höchsten Wut. Es war der Warwhoop El Sols.
Der edle Mexikaner war durch den Nachtgesang seiner geliebten jungen Gattin in Schlaf gelullt worden, als ihn der wohlbekannte Yell weckte. Mit der einen Hand hatte er sein geliebtes Weib erfaßt, mit der anderen sein Schlachtmesser und seinen Stutzen, und dann stürzte er aus der Türe, wo ihn eine Salve von Musketen begrüßte. Der Häuptling fühlte seinen linken Arm durch eine Kugel gestreift, er begann zu zittern, ein leichter Schauer zuckte durch seine Glieder. »Canondah«, murmelte er in heiserem Tone, indem er, gleich einem verwundeten Hirsche, über die Hecken dem Walde zu sprang – »Canondah, fürchte nichts, du bist in den Armen El Sols!«
Sie gab keine Antwort, ihr Haupt war auf ihre Brust gesunken, ihr ganzer Körper fing an krampfhaft zu schlottern und sich zu dehnen; – einen Augenblick schoß der furchtbare Gedanke durch seine Seele – aber es war unmöglich, sein Arm hatte die Kugel aufgefangen; bloß Schlaf und Schrecken hatten sie überwältigt, das Blut, das über ihn geronnen, war aus seiner Wunde geflossen. Noch während er vor seinen verräterisch unsichtbaren Feinden floh, kamen seine heulenden Krieger aus jeder Hütte, jeder Hecke, beinahe instinktartig auf ihn zugestürzt. Ehe er zum Waldesrande gekommen, sah er sich bereits von seinen Getreuen umringt. »Es ist der Seeräuber«, flüsterte er seinem Weibe zu, drückte noch einen Kuß auf ihre Lippen und legte sie sanft auf den Rasen hin, dann in die Mitte seiner Krieger tretend, ließ er den schrecklichen Kriegesruf ertönen. – »Sieh die Treue des weißen Diebes!« indem er auf die im Feuer auflodernden Hütten wies.
Es war ein wild schöner, schauerlicher Anblick; bereits mehr denn dreißig Hütten waren hoch in Flammen aufgelodert und beleuchteten den ganzen herrlichen Ufergürtel; die breiten Flammenstreifen, die durch die Lücken der Zypressen und Mangroven auf den Wasserspiegel fielen, zeigten jede Hütte deutlich im erglänzenden, geröteten Widerschein. Noch immer wurden einzelne Schüsse gehört, und nach jedem flackerte eine Hütte auf. Um den jungen Mexikaner herum war plötzlich eine tiefe Stille eingetreten, bloß von dem Geheule einzelner verspäteter Pawnees und Oconees unterbrochen, die in ihrer Trunkenheit noch nicht wußten, wen sie als ihren Feind zu betrachten hatten.
»Wo ist der Miko?« fragten fünfzig Stimmen. —
Keine Antwort. – Ein weiblicher Angstruf tönte vom Ufer her und verscholl in den Lüften. El Sol war schweigend gestanden, sein Auge auf die brennenden Hütten gerichtet, hinter denen, nahe am Uferkamme, die glänzenden Feuergewehre der Seeräuber deutlich zu ersehen waren. Nicht mehr als fünf Minuten waren verstrichen, seit der erste Yell die Gegenwart von Feinden angezeigt hatte; aber bereits hatte der junge Krieger seinen Plan entworfen, und er gab nun seine Befehle in dem entschiedenen kurzen Tone, der Bewußtsein unbegrenzter Gewalt und zur Gewohnheit gewordenen Gehorsam verriet. Einer der Cumanchees, gefolgt von der Mehrzahl der Pawnees und der Oconees, glitt durchs Gebüsch hin, während er selbst mit den drei übrigen Cumanchees und einer Schar versuchter Pawnees längs dem Waldessaume fortschoß.
Der breite Gürtel, auf dem das Dörfchen zerstreut lag, schwoll unmittelbar am Ufer in einen zweiten, etwas erhöhten Kamm an, der mit Mangroven und Myrtengebüschen überwachsen war, und durch den ein breiter Fußweg mitten hindurch führte. Die Erhöhung über den Gürtel mochte zwanzig Fuß betragen. Dieser Gürtel lief die ganze Länge des Dörfchens hinab, ausgenommen an der Bucht, wo ihn die Natur in einen kleinen Hafen ausgebrochen hatte. Nahe an diesem verriet das Glänzen der Musketen ein starkes Pikett, das wahrscheinlich bestimmt war, die Boote zu bewachen. Dieses Pikett wurde allmählich durch einzelne scharmutzierende Seeräuber verstärkt, die die Hütten in Brand geschossen hatten.
Längs dem bebüschten Gürtel waren mehrere Vorposten aufgestellt, welche die Verbindung zwischen dem Pikett an der Bucht und einem zweiten Posten, der zur Hütte des Miko vorgedrungen war, erhalten und, nach Bedürfnis, das eine oder das andere unterstützen sollten.
Es schien aus dem Ganzen hervorzugehen, daß der Seeräuber es darauf angelegt habe, den Miko und seine Pflegetochter aufzuheben. Vermutlich würde es ihm auch ganz in der Stille gelungen sein, wenn nicht zwei Cumanchees, nach der Sitte ihrer Nation, während der Brautnacht vor der Türe ihres Häuptlings die Wache gehalten hätten. Auch sie hatten in vollem Maße die verschwenderische Gastfreundschaft des Miko und seiner Tochter genossen; aber ihre Sinne, obwohl betäubt, waren nicht stark genug angegriffen, um die in den indianischen Ohren so leicht merkbaren Fußtritte eines Weißen zu verkennen.
Der Seeräuber mochte die Indianer während der zwei Jahre seines Verkehrs zu genau ins Auge genommen haben, um nicht die Schwierigkeiten eines Kampfes bei Tageszeit einzusehen, wo jeder seiner Männer ein leichtes Ziel der hinter den Bäumen und im Gesträuche versteckten Wilden geworden wäre; er hatte deshalb die Nacht gewählt und, um sich vor einem Überfalle im Dunkeln so viel als möglich zu schützen und zugleich Schrecken unter seine Feinde zu verbreiten, hatte er die Hütten anzünden lassen.
Drei geübte Schützen waren in geringer Entfernung vom Councilwigwam aufgestellt, mit der bestimmten Weisung, den jungen Häuptling, den er als den gefährlichsten seiner Gegner erkannte, niederzuschießen. Er selbst mit einer gewählten Schar war zur Hütte des Miko vorgedrungen, hatte diese umringt, und sich deren beiden Bewohner bemächtigt. Wahrscheinlich hatte der sonst so nüchterne Miko diesmal gleichfalls seine Mäßigkeitsregel übertreten und war so dem Seeräuber bewußtlos in die Hände geraten. So schnell und bestimmt waren alle Bewegungen ausgeführt worden, daß kaum der erste Aufruf zu den Waffen erklungen, als auch die Hütte bereits umringt, und der Miko mit der weißen Rosa in der Gewalt des Seeräubers waren. Dieser hatte nun seine Truppe in ein kleines Viereck gebildet und war der Hütte gegenüber am erwähnten Ufergürtel angelangt. – Die Truppe marschierte im raschen Doppelschritte. Kein Indianer war zu sehen oder zu hören. Das Viereck war bereits in der Nähe der Bucht und nur wenige Schritte vom daselbst stationierten Pikett entfernt; – einige Schritte mehr, und sie waren in ihren Booten, die ein paar Ruderschläge in die Mitte des Stromes und so aus dem Bereiche der Kugeln der Indianer bringen konnten. Eine Verfolgung mit den Kanus, in denen jeder Indianer einen sichern Schuß darbot, war nicht denkbar. – So mochten die Pläne des Piraten, nach der Entwicklung derselben zu schließen, gewesen sein. Er war nun auf dem Punkte, sich mit seinem Pikett am Ufer zu vereinigen, als auf einmal das Gebüsche unmittelbar vor ihm rege zu werden anfing, und die im Feuer glühend rot erscheinenden Indianer sich blicken ließen. – »Schultert!« kommandierte der Seeräuber seine Männer, die fest und ruhig fortmarschierten und mit einer Art Verwunderung auf das Gebüsche hinschielten, wo es sich zu regen anfing, als ob einige Dutzend Anacondas sich durchwänden. Sie hatten sich ans Pikett angeschlossen und das kleine Viereck öffnete sich.
Lafitte warf Rosa in die Arme eines Matrosen und stieß dann den Miko über den Uferrand dem Boote zu. Der alte Mann sank wie eine leblose Masse in dieses hinab. Lafitte hatte sich schnell zu den Seinigen wieder gewandt. Das erstere Pikett hatte sich bereits unter dem Kamme außer dem Bereiche jeder Kugel gezogen, nur das Viereck schien noch die Bewegungen seiner Feinde zu beobachten und den allgemeinen Abzug decken zu wollen. Es war eine kleine, aber fürchterliche Bande von etwa vierundzwanzig Mann, zu der alle Nationen, alle Weltteile, alle Farben und Sprachen ein gräßliches Quantum abgegeben hatten. Mordlust im funkelnden Auge, standen sie mit aufgepflanzten Bajonetten; kein Laut entfuhr ihnen. Sie hatten sich in eine Angriffskolonne geformt. – Plötzlich erschallte der Warwhoop aus hundert Kehlen, und das schreckliche Geheul wiederholte sich, verstärkt durch die gellenden Töne der Squaws und Mädchen, die im schaudervollen Chorus den Totengesang anstimmten und gleich Dämonen um die brennenden Hütten herumliefen. Auf einmal stürzten die Indianer, gleich so vielen Tigern in ihren Höhlen angegriffen, mit rasendem Geschrei der Bucht zu.
Ein tückisches Lächeln umspielte die rauhen Züge des Piraten, als die Indianer auf ihn und seine Bande losstürzten; – »Reserve vor!« – wandte er sich zu dem unten stehenden Pikett – und wieder schwieg er. – Er ließ die heulenden Indianer herantoben, bis sie neun Schritte vor der Mündung seiner Gewehre waren und rief dann ein heiseres »Feuer!« – und die ersten Reihen der Angreifenden wälzten sich in ihrem Blute. – Die Wilden prallten auf einen Augenblick zurück, und dann stürzten sie mit einem zweiten verzweiflungsvollen Sprunge an die Seeräuber. – Diese hatten kaltblütig ihre Gewehre in den linken Arm geworfen und nach ihren Pistolen gegriffen; – eine zweite Salve, verstärkt durch das Feuer des Reservepiketts, warf die Wilden in gänzliche Unordnung. Der Abhang war mit Toten und Verwundeten bedeckt. – Heulend flohen die übrig Gebliebenen ihrem Verstecke zu.
»Marsch!« kommandierte der Seeräuber, und das Pikett näherte sich wieder dem Boote, und die Kolonne schritt ihm nach. —
In diesem entscheidenden Momente wurden vier schwer plumpsende Fälle von dem Flusse herauf gehört. Der Seeräuber wandte sich und sah seine vier Ruderer, die er zur Bewachung der Boote zurückgelassen, aus dem Wasser noch einmal auftauchen und dann versinken, um nie wieder zu erstehen; zugleich schoß die Yacht und das kleinere Boot, durch eine unsichtbare Gewalt getrieben, pfeilschnell in die Mitte des Stromes.
»Das ist der Mexikaner«, rief der Pirat zähneknirschend und seine harten Züge verzerrend. Ein paar Pistolenschüsse sandte er dem Boote nach, sie wurden durch ein dumpfes Lachen erwidert.
Die Seeräuber wandten sich, sahen ihre Boote verschwunden und standen, als ob der Blitz unter sie gefahren wäre. – Schnell ermannten sie sich jedoch. – Ihre Gewehre waren wieder frisch geladen, und fest wie Felsen erwarteten sie den neuen Angriff; – er blieb nicht aus. – Eine Salve, vom Flusse her, regte sie plötzlich aus ihrer Spannung auf, eine zweite, noch besser gerichtete, hatte ein Drittel zu Boden gestreckt. Und nun erhob sich der fürchterliche Kriegsruf nochmals, und die rasend gewordenen Wilden stürzten auf die Matrosen zum dritten Male. – Nochmals krachte es laut von den Booten her, und dann sprang der Mexikaner mit seinen Gefährten wie Teufel unter die entsetzten Seeräuber. Der Kampf war kurz. Unfähig, dem fürchterlichen Andrange von vorn und von hinten zu widerstehen, warfen die Seeräuber ihre Waffen weg und stürzten sich häuptlings in den Fluß, den Tomahawks ihrer rasenden Feinde zu entgehen.
Ihr Kapitän allein schien fest entschlossen, sein Leben so teuer als möglich zu verkaufen. Seinen Rücken an den Uferkamm gelehnt, seinen Säbel in der Rechten, eine Pistole in der Linken, parierte er den Streich eines Oconees, der auf ihn blindlings angestürzt kam und hieb ihm den Kopf vom Rumpfe, einem zweiten jagte er ebenso schnell eine Kugel durch die Brust und hob eben seinen Säbel, als ein Lasso um seinen Hals und er wie ein Stück Holz zur Erde fiel.
Der lange und furchtbare Yell, der nun über den ganzen Ufergürtel hinfuhr, verkündete den vollkommenen Sieg der Wilden.
Neunzehntes Kapitel
Keine Zunge würde fähig sein, den jammervollen Anblick zu schildern, den der folgende Tag darbot.
In einem weiten Ringe vor dem Platze, an welchem das Councilwigwam gestanden, waren die vierzig erschlagenen Pawnees und Oconees sitzend aufgerichtet, mit ihren Rücken an Baumstämme gelehnt, die man von den nicht verbrannten Hütten genommen. Alle waren in ihrem Schmucke und als Krieger gekleidet, die so prachtvoll wie möglich vor dem Angesicht des großen Geistes zu erscheinen hatten, um von ihm ihre Belohnung zu erhalten. An der Seite jedes Pawnees stand sein Streitroß, mit seinem Feuergewehre oder seiner Lanze behangen, das ihn auf seiner weiten Reise in die ewiggrünen Wiesen zu begleiten bestimmt war. Vor den Oconees waren Pfähle in die Erde getrieben, an denen ihre Gewehre, Tomahawks und Schlachtmesser mit einem kleinen Netze hingen, in welchem die Kopfhaut eines Feindes eingeschlossen werden sollte. Einige Schritte seitwärts und gegen die Hütte des Miko waren die Überreste seiner Tochter aufgerichtet; – ihr Haupt ruhte auf zwei Stangen. Sie war in ihr Brautkleid gehüllt, und vor ihr lagen alle ihre Kleider. Ihre Ohren und Hände waren mit Gold– und Silberarmspangen und Ohrringen geschmückt. Zwei Kugeln, ihrem Geliebten bestimmt, hatten ihr edles Herz durchbohrt; auch noch im Tode spielte ein sanftes Lächeln um ihren lieblichen Mund.
Hinter diesen Jammerbildern und auf der Asche des Councilwigwams war ein großer Scheiterhaufen errichtet, auf dem die Körper von fünfundzwanzig Seeräubern, mit ihren gräßlich blutigen Köpfen lagen, von denen die Häute abgerissen waren; etwas niedriger und um den Scheiterhaufen herum lagen der Kapitän der Seeräuber und zwölf Gefangene, an Händen und Füßen mit Büffelriemen zusammengeschnürt, ihren Urteilsspruch erwartend.
Hinter dem Scheiterhaufen sah man die offenen Gräber für die erschlagenen Indianer. Sie waren auf allen Seiten mit der Rinde des Kottonbaumes belegt. An den vier Ecken waren Pfähle in die Erde gesteckt, die über dem Grabe gebogen und auf denen eine zweite Schicht von Kottonrinde lag. Eine Öffnung war gelassen worden, durch die der Leichnam ins Grab geschoben werden sollte. Vor jedem Grabe stak ein in Blut getränkter Stab, tief in die Erde getrieben, auf dem die Kriegstrophäen des Erschlagenen aufgesteckt werden sollten, nämlich des Feindes Skalp, der in ein kugelrundes Netz eingeschlossen zu werden bestimmt war.
Am äußersten Ende war das Grab Canondahs.
Es ruhte gleichfalls auf Zederstämmchen, deren jedes zwei bis drei Zoll im Durchmesser hatte, und war ganz mit Rinde ausgefüttert, die wieder mit Seidenzeugen überkleidet war. Auf ein Kissen mit Tillandsea ausgestopft und mit Atlas überzogen, sollte ihr Haupt zu liegen kommen; rings um das Grab herum waren Schößlinge von Palmen und Mangroven gepflanzt. Die Zederstämme waren gleichfalls zu einem Dache verbunden und bestimmt, einem zweiten Dache zum Stützpunkte zu dienen, so daß die Überreste der Tochter des Miko vor jeder Unbilde geschützt wären.
Die Begräbnisanstalten waren während der Nachtzeit und den Tag hindurch mit unglaublicher Tätigkeit, aber ununterbrochenem Geheule und Jammer zustande gekommen.
Die Lebenden waren nur mit Mühe von den Toten zu unterscheiden.
Gegenüber den gefallenen Kriegern saßen in einem Halbmond die Männer der drei Stämme, ihre Gewänder über ihre Gesichter geschlagen, ihre Häupter auf ihre Brust gesenkt, ihre Schenkel kreuzweise ineinander geflochten; alle in der tiefsten Trauer. Sie waren unbedeckt, und die geflochtenen Scheitelbüschel der Pawnees hingen nachlässig ihren Nacken herab.
Obenan saßen der Miko und der Häuptling der Cumanchees; – Tokeah schien ruhig und gefaßt; aber das erstorbene, verglaste Auge, Stirne und Lippen, die konvulsivisch verzogen, und die gelbe Totenfarbe bezeugten die Eiseskälte, die in seinem Herzen Platz genommen. Er war unsäglich elend geworden: der einzige Trost, der ihn am Leben bisher erhalten, seine übrigen Tage noch erheitern helfen sollte, war von ihm gewichen. —
El Sol war gefaßter, aber auch sein edles Haupt war im tiefsten Schmerze auf die Brust gesunken, und dann hob es sich wieder, und er schoß so lange und durchbohrende Blicke auf seine verlorene Braut, als hätte er ihr neues Lebensfeuer in die erstarrten Glieder einhauchen wollen. Er hatte Canondah zärtlich und innig geliebt, er hatte sie als ihr Retter geliebt, dem das schwache Mädchen als schöne Beute anheimgefallen war, und der bei ihrem jedesmaligen Anblicke ein stolzeres, edleres Gefühl in seiner Brust erwacht fand. – Nun hatte sie mit ihrem Leben die Schuld der Dankbarkeit voll und gewichtig bezahlt; beinahe schien es, als ob der edle Wilde mit ihr rechten wollte.
Aber eine saß da, deren Weh und Herzeleid auszudrücken unmöglich gewesen wäre; – eine, die in der edlen Indianerin die einzige freundliche Seele verlor, die noch einige Blumen auf ihren so dornigen Pfad gestreut. Die unglückliche Rosa starrte auf ihre entseelte Schwester hin, sinnlos, bewußtlos. – Als sie zuerst die leblose Hülle derjenigen sah, die liebender als eine Mutter sie umfangen hatte, da sank sie nieder, bewegungslos, beinahe leblos. Sie weinte nicht, sie klagte nicht; nicht eine Träne entquoll ihren Augen, aber Leben und Bewegung schienen im ungeheuern Schmerze entflohen zu sein. Jetzt saß sie da, von zwei Mädchen gehalten, und schaute und starrte so wirr, mehr einer alabasternen Statue, denn einem lebendigen Wesen ähnlich.
Hinter ihr saßen die schluchzenden und weinenden Weiber und Mädchen. Auch sie hatten eine Mutter, die zärtlichste, verständigste Mutter verloren, die rastlos Tag und Nacht für das Wohl der Ihrigen beschäftigt gewesen war, der sie alles, was sie hatten, was sie waren, zu verdanken hatten; – mit ihr schien der schützende Genius von dem trostlosen Völkchen gewichen zu sein.
Die trauernde Gruppe mochte so eine Stunde gesessen sein, im dumpfen Schmerze die Überbleibsel alles dessen betrachtend, was ihnen lieb und teuer war. Dann und wann ließ sich ein lautes Stöhnen vernehmen, das den Kehlen der alten Squaws entfuhr, und dem sich allmählich und stufenweise die lauteren Klagetöne der jüngeren anschlossen.
Bald darauf fielen die dumpfen Schläge der indianischen Trommeln und die melancholischen Töne der Flöte ein, und mit diesen begann der Todesgesang, der zugleich von mehreren hundert Lippen in den tiefsten Kehlentönen angestimmt wurde. – So wie der Gesang sich erhoben hatte, einfach, gemach und stufenweise, so erstarb er wieder. Eine lange Weile herrschte wieder tiefe Stille; dann erhob sich ein leises Gemurmel, das allmählich stärker wurde: die Squaws schlichen sich aus dem Kranze und begannen drohend die Gefangenen zu umschwärmen. Es währte nicht lange, so wurden racherufende Stimmen gehört, die schnell sich verstärkten, bis zuletzt alle in ein tobendes Geheul und in die fürchterlichste Wut ausbrachen.
»El Sol,« sprach der alte Miko mit dumpfer Stimme, »meine Brüder wünschen die Stimme des großen Häuptlings zu hören, um die erzürnten Seelen ihrer gefallenen Brüder zu versöhnen.«
Der junge Mexikaner gab keine Antwort: er blickte auf, starrte um sich herum, gleich einem, der aus einem tiefen Traume erwacht. – Endlich sprach er: »Mögen meine Brüder ihre Jungen lösen, damit El Sol ihre Worte vernehme.«
Die Beratung nahm ihren Anfang.
Ein Krieger der Oconees stand auf und richtete sich an die Menge.
Er begann in den floskelreichen, lebhaften Farben und in dem eigentümlichen Stile seines Volkes die Tapferkeit der Erschlagenen, ihre Geschicklichkeit auf den Jagdgründen, ihre Weisheit in der Ratsversammlung zu rühmen. Er malte mit lebhaften Farben den Jammer der hinterlassenen Witwen und Waisen, die Verräterei der Diebe der Salzsee, und schloß, indem er hindeutete auf fünfzehn Krieger, die vor dem großen Geiste ohne einen Skalp von dem Haupte ihrer Feinde erscheinen würden. —
Ein zweiter Redner folgte, der mit größerer Lebendigkeit noch mehr sich bemühte, die ohnedies racheschnaubenden Gefühle seiner Zuhörer aufzureizen.
Nachdem ein dritter gesprochen, wurden die Ausrufungen unter den Oconees nach den Skalpen ihrer Feinde allgemein. Sie hatten am meisten gelitten.
»Und was sagt der weise Tlachtala?« so redete El Sol einen Cumanchee an, der hinter ihm auf einer Wolldecke ausgestreckt lag und von zwei Kugeln durchbohrt war.
»El Sol«, erwiderte der Verwundete, »weiß die Gesetze der Cumanchees.«
»Würde aber ein Cumanchee mit einem Diebe kämpfen, dessen Hand und Fuß an den Pfahl gebunden sind?«
Der Cumanchee schüttelte verachtungsvoll sein Haupt.
»Und was würden die Cumanchees tun?«
»Sie würden um einen der schlechtesten Apachees senden, daß er die Diebe an Bäume hänge, damit ihr Fleisch ebenso von den Vögeln des Himmels gestohlen werde, wie ihre Hände getan.«
»Die Seele El Sols ist die eines Cumanchees, und er will tun, wie sein Bruder sagt.«
Die Blicke der Menge wandten sich nun mit Sehnsucht auf Tokeah und El Sol. Der erstere erhob sich, aber mit unsäglicher Mühe. Man sah es ihm an, daß alle Geisteskraft von ihm gewichen war, daß es ihm schwer fiel, auch nur ein Wort hervorzubringen. Es war nicht bloß der herzzerreißende Schmerz, der seine Worte erstickte, es war das Bewußtsein eigener Schuld, die den alten Mann zittern und beben machte.
Er hatte wirklich die ganze Schuld des gräßlichen Ereignisses auf sich geladen; seine Blindheit hatte ihm und seinen Alliierten eine tödliche Wunde geschlagen, seine Halsstarrigkeit ihn taub gegen alle Zurufe El Sols gemacht. Leicht hätte das Unglück vermieden und die Seeräuber auf eine Weise empfangen werden können, die ihnen alle Lust zu einem zweiten Versuche vertrieben hätte. Der alte Mann fühlte die große Schuld, die auf ihm lag, die Verantwortung für das Leben so vieler, die, im Vertrauen auf seine weise Wachsamkeit, in der Nähe eines verdächtigen Feindes alle Vorsichtsmaßregeln vernachlässigt hatten. Scham und Rachsucht durchglühten die wenigen Worte, die er nun zu den Seinigen sprach. Die Seeräuber wurden verurteilt zu sterben. Als er gesprochen hatte, schienen die Oconees nur ungeduldig auf den jungen Mexikanerhäuptling zu warten.
Als er nun aufstand, trat eine plötzliche Stille ein.
»Sind nicht meine Brüder, die Oconees, soeben auf dem Pfade zu ihren Brüdern, den Cumanchees, begriffen?« fragte er mit dumpfer, tiefer Stimme. »Wollen sie nicht die Rede eines Cumanchee hören, der für sie zwei Wunden empfing, auf daß seine Brüder, wenn sie nach Hause kommen, unserm Volke sagen, wie sehr ihre Weisheit von ihren neuen Brüdern geschätzt werde?«
Die Menge hörte finster und schweigend in ängstlicher Bangigkeit zu. Der junge Anführer wandte sich zum Cumanchee, der bereits im Todeskampfe röchelte, aber, nach der Gewohnheit seines Volkes, eine Stärke zeigen mußte, die seiner noch übrigen Kraft nicht mehr entsprach.
»Will mein Bruder seinen neuen Brüdern sagen, was die Cumanchees mit ihren Gefangenen tun würden?«
»Sie binden«, sprach der Verwundete, »ihre Gefangenen an Pfähle am linken Fuße und an der linken Hand und lassen ihnen den rechten Fuß und die rechte Hand frei, und geben ihnen ihre Waffen, und sechs junge Krieger mögen einzeln mit ihnen kämpfen. Wenn der Gefangene fällt, dann mag der Sieger ihm das Leben nehmen und seinen Leib verbrennen; wenn die sechs roten Krieger fallen, dann wird der Gefangene ein Cumanchee.« Der Cumanchee sprach mit gebrochener schwacher Stimme, aber mit einem Ausdrucke auf seinem vom Todeskampfe entstellten Gesicht, der hinlänglich verriet, daß er seine neuen Brüder nichts weniger als fähig halte, sich diesem edlem Gebrauche seiner Nation zu unterwerfen.
»Und was tun die Cumanchees mit den Dieben, die ihre Pferde und Rinder stehlen«, fragte der junge Häuptling nach einer Pause, die dem Verwundeten Zeit geben sollte, sich zu erholen.
»Sie rufen den Schlechtesten der Apachees, daß er die Diebe beim Genick an einen Baum hänge, damit sie Speise für die Raubtiere werden«, erwiderte der sterbende Cumanchee, dessen letzte Kräfte diese Anstrengung erschöpft hatte. Er streckte sich noch einmal und war dann eine Leiche. Die Cumanchees erhoben ihn und setzten ihn an die Spitze der Gefallenen.
Obgleich die Oconees den Inhalt dieser Worte, die im Pawneeser Dialekte gesprochen, nicht vollkommen begriffen, so hatten sie doch so viel daraus entnommen, daß die Skalpe der Seeräuber ihren gefallenen Freunden und Verwandten nicht auf die große Reise mitgegeben werden sollten. Ein unbändiges Gemurmel von Unzufriedenheit brach unter den alten Weibern aus, die nun in wilden Sprüngen einen ganz eigentümlichen Tanz begannen, und die, durch die Unordnung und Anstrengung der letzten Nacht bis ins scheußlichste entstellt, wirklich gräßlich anzusehen waren. »Das Blut unserer Männer und Kinder ruft um Rache. Die Diebe haben die Axt erhoben. Wir wollen unsre Messer tief in ihr Blut eintauchen«, sprach eine Stimme. Ein Beifallsgemurmel erhob sich unter den Männern bei diesen Worten – und gleich halb gezähmten Bestien stürzten die alten Megären auf ihre Schlachtopfer zu, die jüngern Squaws schlossen sich unwillkürlich an, dann folgten die Knaben und Mädchen, die jungen Krieger erhoben sich gleichfalls, und zuletzt stürzte die ganze wütende Schar, jung und alt, auf die Seeräuber los.
Die Cumanchees und Pawnees waren allein hinter ihrem Häuptlinge geblieben, der, ohne sich zu regen, an der Seite Tokeahs sitzen geblieben war.
»Und wollen meine Brüder das Blut ihrer Feinde nicht fließen sehen?« fragte El Sol, indem er sich gegen seine Krieger wandte.
»El Sol ist der Häuptling der Cumanchees und Pawnees, und seine Worte haften fest in ihren Ohren«, sprach einer derselben.
Der junge Häuptling stand auf, und als sähe er die Szene voraus, die nun bald erfolgen sollte, hob er die weiße Rosa in seine Arme und trug sie hinter die Laube. Kaum hatte er sie niedergelassen, als ein Gekrach und Gestöhne gehört wurde, das kurz und dumpf einige Sekunden zu hören war, und dann in ein unnatürliches Wimmern überging, das aber durch das Gelächter und das Geheul, das darauf folgte, bald wieder übertäubt wurde.
Tokeah stürzte auf den Haufen los, der sich ihm öffnete und ihm einen schrecklichen Anblick darbot. Es brauchte all das Ansehen und die Würde des Miko, um dem lange an Unterwürfigkeit gewöhnten, aber in diesem Punkte trotzig auf seinem Rechte bestehenden Haufen in seiner Wut Einhalt zu tun. Es war ihm endlich gelungen, und er kehrte rasch zu dem jungen Anführer zurück. Ihm folgten seine Männer, Hunden nicht unähnlich, die die drohende Stimme ihres Herrn vom zerrissenen Schafe hinweggescheucht.
»El Sol«, sprach der Miko mit langsam zitternder Stimme. »Die Männer der Oconees wollen nun hören, was der Häuptling ihnen sagen wird.«
»El Sol«, sprach der junge Mann in einem milden, aber entschlossenen Tone, »hat seine Hand ausgestreckt, um die Oconees der Muscogees als seine Brüder zu empfangen; aber sie haben ihm ihre Zähne gewiesen.«
Der alte Mann gab keine Antwort.
Der junge Mexikaner erhob seine Stimme noch höher, und stolz umherschauend, sprach er zu seinen Kriegern: »Haben die Cumanchees und Pawnees geschlafen, während Tokeah von den Dieben fortgeführt wurde? Haben die Oconees die Diebe gefangen, daß sie nun ihre Skalpe als ihr Eigentum nehmen?«
Alles war in Regung und Bewegung unter den aufgerufenen Cumanchees und Pawnees. Ihre Hände griffen rasch nach ihren Lanzen und Streitäxten, ihre Nasen begannen zu schnauben gleich Streitrossen, ihre düstern Gesichter nahmen einen furchtbar trotzigen Ausdruck an. – Noch ein solcher Aufruf, und sie würden auf die Überreste der Oconees losgestürzt sein, auf die sie ohnedies mit Verachtung herabsahen.
Tokeah zitterte das erstemal in seinem Leben.
»Haben die Cumanchees und Pawnees«, so sprach er mit gebrochener Stimme, »allezeit die Reden ihrer großen und weisen Häuptlinge angehört? Haben sie sich nie von dem Pfade verirrt, den ihre weisen Männer ihnen angezeigt, und«, fuhr der alte Mann mit weicher Stimme fort, »soll die Kette zwischen Brüdern gebrochen werden, weil die Oconees getan, was ihre Väter auch taten? Meine Kinder sind noch nicht Cumanchees. Wenn sie in den Wiesen des großen Volkes wohnen – dann werden sie auch die Rede ihres Anführers hören. Tokeah« – sprach er – »hat nie die Palme seiner Hand vergeblich ausgestreckt. Will sein Sohn sie zurückweisen?«
Eine demütigere und versöhnendere Abbitte konnte unmöglich von einem Miko der Oconees getan werden.
El Sol ergriff rasch die dargebotene Hand.
»Lasse meine Männer die Stimme ihres künftigen Miko hören«, sprach der alte Mann flehend.
»So mögen denn die Hände und Füße der Diebe gebunden bleiben,« sprach El Sol mit starker Stimme, »und mögen sie den schlechtesten der Weißen übergeben werden, auf daß sie dieselben an Bäume hängen, und ihr Fleisch von den Vögeln des Himmels gestohlen werde. Die Gebeine von Dieben und Räubern sollen nicht unter den Gebeinen der roten Männer ruhen und nicht vermischt werden, damit der große Geist sie nicht vermenge, und sie nicht auf den Wiesengründen halb weiß und halb rot erscheinen.«
Der Miko war nachdenklich über die Worte des jungen Häuptlings geworden; auch die Menge schwieg verdüstert still.
»Mein Sohn«, sprach dieser, »ist weise, und seine Seele ist die eines großen Häuptlings; aber wird er die vielen Dollars verdienen wollen, die der große Vater der Weißen für den Kopf des Diebes angeboten?«
Der Mexikaner horchte hoch auf. »Wie meint dies mein Vater?«
»Die Weißen werden Tokeah und El Sol als Diebsfänger betrachten, welche die Dollars ihren Skalpen vorziehen. Die roten Männer werden wehklagen; denn ihre Ehre wird für immerdar unter ihren Brüdern in Schande gekehrt sein.«
Diese Worte schienen Eindruck auf den jungen Mann zu machen. Er sprach lebhaft mit den Cumanchees.
»Und was gedenkt mein Vater zu tun?« —
Der Miko sann nach – plötzlich zuckte es durch seine Nerven; er holte tief Atem und auf die Leiche seiner Tochter blickend, sprach er mit bebender Stimme:
»Ja der große Geist hat durch den Mund meines Sohnes gesprochen; – der weiße Dieb soll durch die Schlechtesten der Weißen an einen Baum gehängt werden; – er ist nicht wert, daß er für die Tochter des Miko und die Oconees sterbe; aber El Sol und Tokeah dürfen ihre Hände nicht mit ihm beflecken, sie dürfen ihn nicht den Weißen übergeben.«
Der junge Mann war immer gespannter geworden.
»Der Dieb ist ein Feind der Weißen; – er hat ihnen des Bösen viel zugefügt. Der große Vater hat viel Gold für sein Haupt geboten; – sollen die verfolgten roten Männer den Weißen helfen ihre Feinde einfangen?«
Der Mexikaner fing nun an zu begreifen.
»Der Panther«, fuhr der alte Mann fort, »rennt in seine Schlinge, der Büffel stürzt der Kugel und dem Pfeile entgegen, die für ihn gemacht sind; – der weiße Dieb wird auch dem Baume nahe kommen, an dem er aufgehängt werden soll. – Mögen die Weißen ihn fangen, und ihr Blut fließen wie das der Oconees.«
Die raffinierte Rachsucht und der tief versteckte Haß gegen seine Todfeinde, die Weißen, die dabei anscheinende Großmut gegen die gefangenen Seeräuber, welche aus der Rede des Miko hervorleuchtete, hatte anfangs selbst den Mexikaner verwirrt, und er blickte betroffen seinen Vater an. – Auch er war ein Feind dieser Weißen, die seinen Vater gemeuchelmordet hatten; aber von diesem Hasse, der selbst seine glühende Rache an dem Mörder seiner Tochter der Hoffnung aufopfern konnte, daß dieser Mörder, wenn er frei wäre, seinen weißen Feinden nur umsomehr Böses zufügen und so gewissermaßen einen Teil seiner eigenen Rache abtragen würde, hatte er auch nicht geträumt.
»Und mein Vater«, sprach er, »wollte deshalb die Seeräuber aus dem Garn entlassen, in welchem sie sich gefangen?«
»Sie werden Blackeagle und Tokeah rächen im Blute vieler Yankees«, sprach der Miko.
Der Mexikaner wandte sich nun an seine Landsleute. Diese schüttelten den Kopf über den ungewöhnlichen Vorschlag, – überließen jedoch ihrem Häuptling, nach Gutdünken zu handeln.
Der Miko hatte mit seinen Oconees gesprochen. Die rachedürstenden Wilden schüttelten anfangs gleichfalls ihre Köpfe; als er aber auf die Tapferkeit ihres Feindes hinwies, der vielen Yankees ihr Leben rauben würde, stimmten sie mit einem Male bei.
»Es ist die Stimme des Propheten, des großen Miko«, erschallte es aus hundert Kehlen.
Der Miko war schweigend dagesessen und sein Haupt war wieder auf seine Brust gesunken.
»El Sol«, sprach der junge Mann, »hat die Worte seines Vaters gehört, und die Cumanchees haben sie gebilligt; – mein Vater weiß, was er zu tun hat.«
Der alte Miko winkte einem jungen Krieger, und dieser lief auf die Gefangenen zu, deren Fesseln er schnell löste.
Die halbtoten Seeräuber hatten versucht aufzustehen, aber sie vermochten es nicht. – Sie lagen, selbst nachdem die Riemen zerschnitten waren, noch eine geraume Zeit, ohne sich erheben zu können. – Ihr verwirrter, wüster Blick schien kaum mehr zu begreifen, was eigentlich gemeint sei; als aber der junge Krieger an das Ufer deutete und sprach: »Die Diebe mögen gehen«, da erhoben sie sich, anfangs schüchtern um sich blickend, ob auch die frohe Botschaft wahr sei, und dann rannten sie, so schnell als sie es vermochten, dem Ufer zu. – Lafitte allein war etwas langsamer fortgeschritten, zuweilen auf die Wilden zurückblickend; – das Geschrei seiner Gefährten, zu eilen, wenn er nicht zurückgelassen werden wolle, schien auf ihn keinen Eindruck zu machen. An der Bucht angekommen, schlang er seine Arme ineinander, blickte dann nochmals auf die schaudervolle Szene und trat rasch ins Boot zu seinen Gesellen.
*
Die herzzerreißende Begräbnisszene war vorüber. Die Krieger der Pawnees und Oconees waren in ihre Ruhestätten versenkt; der Scheiterhaufen, auf dem die getöteten und geschlachteten Seeräuber aufgeschichtet waren, loderte in hellen Flammen auf; die Rosse waren geopfert. Alle standen bereit, das Ufer des Natchez für immer zu verlassen.
Da trat El Sol mitten unter die verstörten und dumpf hinstarrenden Weiber und Mädchen, deren Tränen und Stimmen versiegt zu sein schienen, und wand die von zwei Indianerinnen getragene Rosa aus ihren Armen, sie ihrem Pflegevater zuführend.
»Und will die weiße Rose nicht Lebewohl dem Vater sagen, dessen Tochter ihr Mutter gewesen, und der nun einen weiten Pfad betreten wird?« sprach der Mexikaner mit sanfter, zitternder Stimme.
Die blasse Leichengestalt blickte auf den bewegten Sprecher mit einem tränenlosen, leeren Auge, das einem wirren Gemüte anzugehören schien.
»Tokeah«, fuhr der junge Mexikaner mit stockender Stimme fort, »will in die Wigwams der Weißen; er hat einen Traum gehabt, der ihm solches geboten.« Kein Symptom von Bewußtsein, keine Regung, keine Bewegung ließ sich an ihr verspüren; sie starrte wie wahnsinnig, wie leblos.
»Der Pfad des Miko der Oconees wird lange, derjenige der weißen Rose würde traurig und dornig sein. Der Miko hat El Sol gebeten, daß seine Tochter in die Wigwams der Cumanchees mit den Mädchen ziehe. Sie wird da Gebieterin sein, die Schwester Canondahs.«
Plötzlich schien sie sich zu besinnen. »Canondah!« rief sie. Und ein Tränenstrom entquoll ihren Augen. Es war das erste Wort, das seit der schrecklichen Katastrophe von ihr gehört worden, das erste Lebenszeichen, das sie seit dem Tode ihrer Freundin von sich gab. Ihr Schmerz war gebrochen. Alle waren tief bewegt, die Mädchen fingen wieder an laut zu schluchzen, die Alten zu heulen.
»Was ist dies, mein Bruder?« fragte sie nun, wie aus einem Traume erwachend und scheu um sich blickend.
»Meine Schwester kennt«, sprach der Mexikaner, »den Jammer des Vaters, der seine Tochter und seine Männer durch die Verräterei des Seeräubers verloren hat. Sie sind tief in die Erde gelegt, und die weiße Rose wird sie nie wieder sehen; aber der Miko ist auf einem langen, dornigen Wege, er muß dem Befehle des großen Geistes gehorchen, er hat einen Traum gehabt.«
»Und der unglückliche Vater will zu seinen weißen Feinden,« sprach das Mädchen, »und seine Tochter ist im Grabe, und keiner und keine, die ihn warte und pflege? – Rosa war bisher seine Pflegetochter gewesen, sie will nun seine wirkliche sein; – sie will ihren Vater begleiten. Sie hat es versprochen«; setzte sie schaudernd hinzu.
Der junge Mexikaner sprach kopfschüttelnd: »Meine edle Schwester kennt die Dornen des Pfades nicht, der zu den Weißen führt. Sie ist sehr zart und würde sehr viel zu leiden haben.«
»Und der jammernde Vater soll kein freundliches Auge mehr sehen, keine geliebte Hand, die ihm den Becher, die Speise reiche? – Nein, mein Bruder! Rosa hat eine große Schuld ihrer Schwester abzutragen. – Der alte Mann ist sehr unglücklich, sehr verlassen, sehr elend; – sie muß diese Schuld ihm abtragen. Sie muß ihm Tochter sein.«
Ihre Stimme war stärker geworden. Ihre bleichen, leblosen Züge hatten sich wieder gestaltet, im kindlich sanften Auge fing es wieder an, lebhafter zu sprechen; der alte Miko war aufmerksam geworden und hatte das letzte gehört. – »Meine Tochter,« sprach er, und die Stimme stockte ihm, und der Schmerz drohte ihn zu ersticken, »der Miko muß zu den Weißen, meine Tochter wird im Wigwam der Cumanchees Trost finden.«
»Canondah würde Rosen im Traume erscheinen und klagend die kalte Tochter anblicken, der sie ihren Vater zum Vermächtnis übergeben; – sie muß dem Miko nun dienen; – sie wird sich vom Miko nimmermehr trennen.«
»So komm denn, meine edle, weiße Rose«, sprach der alte Mann, seine Arme ausbreitend und sie umschließend. Mehr vermochte er nicht zu sagen. Rührung hatte ihm die Sprache benommen. Der junge Mexikaner winkte nun den Mädchen, die kamen, um von ihrer neuen Gebieterin Abschied zu nehmen. – Noch einen Blick warfen alle auf ihre zerstörte Habe, ihre zurückgelassenen Lieben und dann trennten sie sich. Rosa, eine junge Indianerin, Tokeah und El Sol mit zwei Cumanchees und ebenso vielen Pawnees und Oconees wandten sich gegen Osten, die übrigen gegen Westen. Zweiter Teil
Zwanzigstes Kapitel
Die Natur hat Louisiana mit einem sonderbaren Charakter bezeichnet. – Großartig und wieder gemein, herrlich und wieder abstoßend scheint sie in einer ihrer Launen dem Geschlechte einen riesigen Spielraum hingeworfen zu haben, gleichsam begierig, was die winzigen Kreaturen daraus schaffen würden.
Es steigt der Landstrich so düster und abschreckend aus der See und dem Strome heraus, der die gesamten Gewässer von tausend Flüssen und Bächen durch die endlose Niederung fortschwillt, als hätte die Natur dem Menschen in der Gestaltung eines der schönsten Länder der Erde auch einen Nachgeschmack vom Chaos in seiner ganzen abstoßenden Größe hinterlassen wollen; so widerlich tauchen die kaum merklichen Ufer und Gestade aus den unübersehbaren Strömungen auf und verschwinden wieder im Spiele der Wogen, die über das zwergartige Binsen– und Rohrgeflechte hinrollen, im ewigen Kampfe mit dem widerstrebenden Elemente. Ragte nicht hier und da ein Lager halb vermoderter Baumstämme, von der Strömung zusammengeschichtet, oder der Mast eines in der Lehmbank eingestauchten Schiffes empor, so dürfte man zweifeln, ob, was man sieht, wirklich Land sei, nachdem man bereits lange in die Mündungen des Mississippi eingefahren. Erst allmählich gestaltet sich das wüste Chaos zu einem See von Schilf und Sumpf und Rohr, aus dem später etwas Landschaftähnliches erstehen und Gestaltung erstreben zu wollen scheint, noch Jahrtausende erstreben mag, sowie Tausende von Jahren bereits verflossen sein mögen, bis die lange und breite Niederung sich bildete, die gegen Norden so unmerklich anschwillt, und in der weder Hügel noch Tal auf einen gewaltsamen Kampf hindeuten, wohl aber auf ein allmähliches Stillestehen des Wasserelements, den zahllosen Flüssen und Morästen und Seen nach zu schließen, die das ganze Tal so durchkreuzen, daß der Fuß des Menschenkindes buchstäblich auf dem flüssigen Elemente ruht. Höher gegen Norden zu erhebt sich endlich ein langes und breites Hochland, das in mäßiger Höhe längs dem Ufer des Stromes hinzieht und sich dann wieder in der endlosen Niederung verliert, die unter dem Namen des Mississippitales Tausende von Meilen sich gegen Norden, Ost und Westen hindehnt und in seinem Busen bequem den größten Teil der Bevölkerung Europas aufnehmen könnte.
Länger als ein Jahrhundert hindurch war der ungeheure Landstrich eine vergessene und vernachlässigte Kolonie geblieben, die mit einer Leichtigkeit abgetreten, eingetauscht und wieder ausgetauscht wurde, die mehr als hinlänglich die ihr zuerkannte geringe Bedeutung beurkundete. Amerikanischer Scharfblick hatte endlich das Auge des großen Geistes, der damals die Angelegenheiten des schönsten Reiches der alten Welt leitete, auch auf diesen vergessenen Schlupfwinkel hingezogen, und dieser, die Schwierigkeiten wohl einsehend, den kürzlich erworbenen Besitz seinem Volke zu erhalten, zog es weise vor, ihn der nachbarlichen großen Republik als integrierenden Bestandteil zu überlassen.
Für die Kolonie begann seit dieser Einverleibung eine neue Ära, und mit Riesenschritten schien sie nun einholen zu wollen, was sie mehr als hundert Jahre hindurch verschlummert hatte.
So groß aber der Umschwung gewesen, den die Vereinigung des Landes mit den Staaten unter den Bewohnern bereits hervorgebracht, so hatte sich dieser doch vorzüglich nur durch eine größere Tätigkeit in Beurbarung des Landes oder durch kommerzielle Unternehmungen geäußert; von dem männlichen, unabhängigen Geiste des Amerikaners hatten die gewesenen Kolonisten nicht nur wenig oder nichts angenommen, ihr sklavisch verdorbener Sinn hatte sich auch scheu vor dem überlegenen, aufgeklärteren nordischen Bürger zurückgezogen, der diese Überlegenheit, freilich oft nur zu derb und unumwunden zu erkennen gab.
Selbst der bessere Teil der Kreolen war von diesem Vorurteile gegen seine neuen Mitbürger nichts weniger als verschont geblieben, und er hatte sich gegenüber dem scharf ausgesprochenen und geradezu gehenden Amerikaner um so mehr darin gefallen, als er, gegen das öffentliche Leben gleichgültig, des Dienstzwanges gewohnt, in der unbeschränkten neuen Freiheit nur Unordnung und Anarchie voraussah. Als jedoch diese Besorgnisse innerhalb der zehn Jahre dieser unbeschränkten Freiheit nicht realisiert wurden, und er allmählich die Vorteile zu begreifen anfing, die ihm aus der Vereinigung mit der mächtig emporstrebenden Republik erwachsen waren, schloß er sich auch mit mehr Entschiedenheit an das gemeinschaftliche Interesse und zögerte nicht, sich zur Verteidigung des Landes herbeizulassen. Dies war der bessere Teil; der schlechtere, dem natürlich diese Vorteile eher Nachteile schienen, konnte kaum seine Schadenfreude über die Ankunft des Feindes verhehlen, und der nordische Bürger, der stolz auf ihn herabsah, war ihm weit mehr verhaßt, als der Brite, von dessen Ankunft er wenigstens Veränderung und Demütigung des hochmütigen Republikaners hoffte.
Unstreitig war es dieser herrschende Geist gewesen, der gewissermaßen den Feind eingeladen hatte, nebst seinen im Norden mit der Republik kämpfenden Armeen, noch von den Küsten der pyrenäischen Halbinsel ein zahlreiches Korps herüberzusenden, in der Hoffnung, durch die zum Teile mißvergnügten Kreolen in den Besitz eines Landes zu gelangen, der ihn zum ausschließenden Herrn des Mississippistromes, des Busens von Mexiko und aller daran gelegenen Länder gemacht haben würde. Selbst wenn sich der Besitz nicht erhalten ließ, so war die zeitweilige Eroberung der Mühe um so mehr wert, als dadurch die stolze Republik zur Nachgiebigkeit auf anderen Punkten genötigt worden wäre. – Dem Korps, das diese Eroberung nun bewerkstelligen sollte, hatte die Regierung der Staaten, obwohl bedeutende Truppenmassen im Norden versammelt waren, der ungeheuren Entfernung wegen, nichts entgegenzusetzen, als die rastlose Tätigkeit und den erprobten Mut eines Generals, der sich gegen die Indianer in den Staaten Georgien, Alabama und im Gebiete Florida ausgezeichnet hatte, und den Patriotismus der an das Flußgebiet des Mississippi grenzenden westlichen Staaten, sowie der in Louisiana angesiedelten Amerikaner, die allerdings durch die Besitznahme des Schlüssels des Mississippi am meisten zu verlieren hatten.
Diese letztern waren über einen großen Teil des Landes zerstreut. Ein gewisser Widerwille gegen die etwas laxen französischen Sitten und Gewohnheiten, sowie Geringschätzung gegen ihre neuen Mitbürger hatte zwischen ihnen und den südlichen Pflanzern eine ziemlich starke Scheidewand gezogen, was sich auch bei dieser Gelegenheit deutlich aussprach.
Die Nachricht von der Landung der feindlichen Armee hatte auch unter ihnen eine gewaltige Bewegung hervorgebracht; aber wenn in den untern Teilen Furcht und Schrecken und bei vielen geheime Freude die vorherrschenden Empfindungen waren, so war es hier Unwille und beleidigter Stolz, der vorzüglich zum Grunde lag. Unwille und Zorn, daß fremde Söldlinge eines Mannes, den sie sich nicht besser dachten, als sich selbst, es wagen durften, ihr friedliches Land als Feinde zu betreten und ihnen eine Stadt und ein Flußgebiet wegnehmen zu wollen, die sie ehrlich mit ihrem Gelde bezahlt und deren sie bedurften, um ihre Produkte zu Markte zu bringen.
Weniger war es Furcht, ihr Eigentum zerstört oder ihre Wohnungen geplündert zu sehen. Ihre fahrende Habe konnten sie leicht auf einigen Wagen in das Innere der Wälder schaffen, in die zu dringen auch der verwegenste Feind nicht wagen durfte, und ihre zerstörten Wohnungen würden mit Hilfe einiger Nachbarn in kurzer Zeit wieder hergestellt worden sein. Dieser Feinde, gleich reißender Tiere, die in ihr Gehöfte eingedrungen, sich zu entledigen, war eigentlich was man ihre Meinung über diesen Punkt nennen konnte.
Es war an einem hellen, frischen Dezembermorgen; die Strahlen der Sonne hatten gerade hinlängliche Kraft, die Nebel und Dünste zu zerstreuen, die sich in dieser Jahreszeit über die Flüsse und Seen dieses Landstriches häufig wochenlang hinlagern. Im Countystädtchen von Opelousas gab es einen gewaltigen Auflauf. Es schien wunderbar, woher die vielen Menschen aus der dünn bevölkerten Gegend gekommen waren, und wer so in die Mitte des Gedränges von Männern, Weibern und Kindern hineingeworfen worden wäre, dürfte schwerlich erraten haben, was die Veranlassung dieses plötzlichen und sich noch immer mehrenden Zudranges sein mochte. Nach dem schmählichen Trinken, Tanzen, Fechten und den Bocksprüngen zu schließen, hatte eine Art Kirchweihe statt; aber es waren auch Waffen zu sehen; ganze Kompagnien hatten sich gebildet, und jeder hatte wenigstens etwas Militärisches bei oder an sich. Einige hatten Uniformen noch aus dem ersten Revolutionskriege, die nun etwas länger als dreißig Jahre am Leben waren, andere schulterten, stellten sich in Reih und Glied und wurden von einem selbstgewählten Leutnant in einen Winkel hineinmanövriert, aus dem herauszubringen ihm nur das Kommandowort fehlte. Ein anderes Korps hatte als Feldmusik einen Geiger, der, wütend auf seinen zwei Saiten streichend, stolz neben dem zeitweilig geschaffenen Kapitän einherschritt. Die sich noch nicht an eine Truppe angeschlossen hatten, schulterten ihre Stutzen, Vogelflinten oder eine alte Reiterpistole, an der bloß das Schloß fehlte, und die, welchen auch diese Bewaffnung mangelte, hatten sich mit einem tüchtigen Knüttel versehen.
Dies waren jedoch nur Außenposten. In der Mitte des Städtchens war dem Anschein nach der Kern der Bürger in zwei dichten Haufen versammelt. Der eine, der aus den jüngern Männern bestand, hatte sein Hauptquartier vor einer Schenke aufgeschlagen, deren Bestimmung durch eine Art Schild angedeutet war, dessen Malerei, nach unserer festen Überzeugung, weder Denon noch Champollion zu entziffern gelungen wäre. Unter diesem war, für die, welche es lesen konnten, geschrieben, daß hier Einkehr für Mann und Vieh zu haben sei. Im Innern dieses Etablissements war eine zweite Geige zu hören, die jedoch, weniger kriegerisch, sich begnügte, den Hopsasa aufzuführen und einem Tanze Leben zu geben, der so ziemlich mit dem Marsch der ersten Geige gleichen Schritt hielt.
Die andere Gruppe, allem Anschein nach ernster gestimmt, hatte sich einen respektablem Standpunkt gewählt, und zwar vor einem der Krämerladen des Städtchens, der, als Miscellaneen, ein Dutzend irdene Krüge, einen Kegel Kautabak, ein Faß Whisky und ein Fäßchen Pulver und Blei enthielt, mit einigen Wollhüten, einigen Paaren Schuhe und einem Schock Messer, Gabeln und Löffel.
Über der Türe war ein Brett mit der Inschrift aufgenagelt: Neuer Laden, wohlfeil für bar Geld, und an der Mauer des baufälligen Framehauses war mit Kreide geschrieben: Whisky, Brandy, Tabacco, Postoffice.
Auf einem Baumstumpfe stand ein Mann, der, seinem neuen Kastorhute, frisch gewaschenen Hemdkragen und nagelneuen pompadurroten Fracke und seinen Beinkleidern nach zu schließen, auf nichts weniger als auf eine der von dem souveränen Volke zu vergebenden Offizierstellen Anspruch machte. Nahe an diesem erhöhten Standpunkte standen einige andere, deren elegantes Äußere ähnliche Ansprüche zur Schau trug, was auch die Ungeduld, mit der sie den Redner anhörten, noch mehr bekräftigte.
Verhältnismäßig herrschte hier Ruhe und Ordnung, den Lärm der Tanzenden ausgenommen, und ein gelegentliches Gebrüll des einen oder des andern Zechers, der im Doppeltschritte durch den Kot hin und her marschierte, mit dem die einzige Straße des Städtchens knietief gepflastert war. Zuweilen wurde auch diese Stille durch die Insurbordination der erwähnten Quasikompagnie, die außerhalb des Städtchens manövrierte, oder durch die gellende Stimme eines Weibes oder Mädchens unterbrochen, das Pfefferkuchen, Äpfel und Zider ausschrie. Alle diese Hindernisse schien jedoch die Lunge des gegenwärtigen Redners für nichts zu achten, und er begann mit einer brüllenden Stimme zu verkünden, wie er diese verdammten Briten züchtigen wolle, die er mehr als Polkatzen verabscheue. Er war gerade im besten Zuge, dieses recht augenscheinlich darzutun, als er durch ein lautes »Hallo!« zweier Kumpane unterbrochen wurde, die bereits lange durch die Straßen geschwankt und gerollt und gestolpert, sich weit gegen den Waldsaum zu verloren hatten, und nun plötzlich so laut zu schreien und so schnell zu rennen anfingen, als es ihr einigermaßen überladener Zustand gestattete.
Die Worte: »halt, verdammte Rothaut!« wurden deutlich vernommen. Dies waren natürlich zu interessante Töne, um nicht bei Hinterwäldlern angenehme Empfindungen zu erregen, und so schlichen denn ein Dutzend Zuhörer den beiden nach, »just um zu sehen, was die verdammten Narren vorhätten, und warum sie so verteufelten Lärmen machten.« Es dauerte nicht lange, so wurden mehrere von demselben löblichen Verlangen getrieben, vielleicht ein tüchtiges Boxen zu sehen, und zuletzt blieben bloß einige dreißig noch um den Redner. Das böse Beispiel hatte unter den Jüngern schnell und reißend um sich gegriffen: auch in den beiden Korps, die sich dem Waldrande genähert hatten, war Insubordination ausgebrochen, und ein Drittel der exerzierenden Mannschaft kam dem Walde zugelaufen. – Nur die zweite Gruppe vor dem Krämerladen hielt ernst beisammen.
Aus den dunkeln Zypressenwäldern, die sich etwa eine Viertelmeile vom Ufer des Atchafalaya gegen Süden hinabziehen, war eine Figur zum Vorschein gekommen, die, nach ihrer Kleidung zu schließen, der roten Rasse angehörte. Der Wilde hatte sich scheu am Rande des Waldes hingeschlichen, um sich der Stadt zu nähern, war aber wahrscheinlich durch den wüsten Lärmen abgeschreckt worden, die Straße heraufzukommen, und hatte einen Seitenweg über ein Kottonfeld eingeschlagen. Gerade aber, als er die Umzäunung überklettern wollte, hatte ihn das Auge der erwähnten zwei Spaziergänger erfaßt, die, obwohl ihre Köpfe bereits ziemlich vom Whiskygeiste erfüllt waren, kaum den Indianer ersehen hatten, als sie auf ihn zugesprungen kamen. Der eine hatte jedoch erst sein Pintglas hinter dem Zaun in Sicherheit zu bringen; dann folgte er seinem Vorläufer, der, ein schnellfüßiger Sohn des Westens, den Indianer bereits in seinen Klauen hatte. Dieser schien so erschöpft zu sein, daß er augenscheinlich nicht mehr viel weiter konnte. Der schwankende Zustand seines Verfolgers mochte ihm jedoch nicht entgangen sein, und so gab er ihm vorläufig einen Ruck, der den Hinterwäldler der Länge nach in den Kot hinstreckte. »Halt!« schrie er nun von seiner Lagerstätte auf, »oder ich will deine Backenknochen so einrichten, daß dir das Essen eine ganze Woche vergehen soll.«
Der Indianer schien die Sprache zu verstehen und hielt, jedoch nicht ohne sich vorher in einigen Verteidigungszustand versetzt zu haben, der den festen Entschluß verkündete, sich seiner Haut zu wehren. Er faßte sein Schlachtmesser und sah keck seinen Verfolgern entgegen, die beide an ihn herangekommen waren und ihn mit jener mißtrauischen Neugierde maßen, der etwas verdächtig erscheint, und die sich berechtigt glaubt, der Sache auf den Grund zu kommen.
Die Erscheinung eines Indianers in diesen Gegenden war nichts weniger als ungewöhnlich, da sie kaum hundert Meilen gegen Nordwesten zu ihre Dörfer hatten, und ihre Exkursionen sie häufig mehrere hundert Meilen in allen Richtungen ins Land hinein und selbst in die Hauptstadt führten. Ihre sich mit jedem Jahre vermindernde Anzahl hatte ihnen schon seit langen Jahren nicht mehr erlaubt, etwas Feindseliges gegen ihre immer näher rückenden weißen Nachbarn zu unternehmen, und ihre gesteigerten Bedürfnisse, worunter besonders ihre unersättliche Begier nach dem köstlichen Feuerwasser, hatte sie in der Tat zu Jagdsklaven der in den Städten und auf dem Lande zerstreuten Krämer gemacht, die den Elenden kaum den zehnten Teil des vollen Wertes für ihre Felle in Whisky bezahlten. Die Verfolger hatten daher sicherlich keine böse Absicht mit dem armen Wilden; höchstens wollten sie ein bißchen Spaß mit ihm treiben und ein halbes Pint echten Monongehala leeren. Wenigstens verkündete dies der Wiederstandene, der, den etwas unsanften Ruck gar nicht übelnehmend, ihm zubrüllte, »er müsse ein halb Pint Whisky mit ihm leeren, oder er wolle ihn in seine Tasche stecken.«
Und sofort nahmen ihn die beiden Hinterwäldler mit jener Familiarität und rücksichtslosen Zuversicht in Empfang, die keinen Widerstand erlaubt und sich ermächtigt glaubt, mit unbezweifeltem Rechte sich in alles einzumischen, was in ihrem Bereiche vorgeht.
»Komm, roter Junge«, rief der zweite, der, gelegentlich den schmalen Pfad messend, knietief in den Kot versank, während der erste, seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, noch in seinen Schuhen stehen konnte.
»Komm! komm! Verflucht, wenn du uns nicht helfen sollst, die vermaledeiten Briten zu bekämpfen und trinken; ei, und trinken!«
Mittlerweile waren auch die Ausreißer der Korps in verschiedenen Graden von Schnelligkeit angekommen, schon von weitem das aufgetriebene Wild prüfend, das der Zufall so gefällig in ihre Mitte brachte, und nicht unähnlich einer Kuppel Hunde, die nun mit offenem Rachen auf den Fremden losstürzen, den sein böses Geschick so unerwartet mitten in einen Haufen fröhlicher Fuchsjäger hineingeworfen hat.
An den lustigen Brüdern war eine Art unverschämter, jedoch nichts weniger als böswilliger Neugierde sichtbar. Ohne um weitere Erlaubnis zu fragen, traten sie an den Wilden heran, probierten die Schärfe seines Skalpiermessers, besahen seine Garderobe, untersuchten seine Mokassins, und einer von ihnen stand im Begriffe, ihm seine Kappe ein wenig zu lüften, um ein näheres Verständnis mit dem neuen, und wie es schien, eben nicht sehr angenehm überraschten Besucher einzuleiten.
Das Äußere dieses Ankömmlings war ein wenig sonderbar. Eine Fuchsfellkappe bedeckte seinen Kopf bis über die Ohren herab und verhüllte sorgfältig seine dunkelblonden Haare; aber der etwas lange Flaum auf seinen Lippen machte diese Verkleidung nur um so auffallender. Sein Hirschfellwams verriet einen Wilden, aber die Beinkleider einen gezähmten. Auch einer seiner Mokassins, den andern hatte er wahrscheinlich verloren, war von indianischen Händen gearbeitet; eine seiner Wangen hatte noch immer Spuren der roten und schwarzen Kriegerfarbe, aber die andere war nur noch zur Hälfte gefärbt, und seine Hände waren weiß und bloß von der Sonne verbrannt. Die blauen Augen, halb mutwillig, halb trotzig, hoben jedoch allen Zweifel; diese konnten unmöglich einem Wilden angehören, wenn auch seine blühenden vollen Backen und der regelmäßig geformte Mund dies zugelassen hätten. Der Haufe starrte ihn mit der Verblüfftheit an, die einzelne aus ihnen vielleicht ergriffen hatte, wenn sie in ein Dickicht drangen, in der Hoffnung, einen fetten Hirschbock zu finden, und statt dessen einen brummenden Bären auf sich zuschreiten sahen.
»Ich sollte meinen, Ihr habt mich genug besehen«; hob nun der Wilde in einem humoristischen Tone an, der halb Scherz, halb Unwillen verriet, während er einem kecken Hinterwäldler mit der flachen Klinge seines Messers über die Hand schlug, deren warzige, rauhe Hornhaut eher den Tatzen eines Alligators, als eines Menschenkindes, anzugehören schien, und die es wieder versucht hatte, seine Kappe zu lüften und seinen Haarwuchs zu besehen.
Es war unser junger Brite, der vom indianischen Läufer auf den Pfad der Coshattaes geführt, sich endlich durch die zahllosen Sümpfe, Flüsse und Wälder, mit denen diese Landschaft so überflüssig gesegnet ist, hindurchgearbeitet hatte. Die kalte oder verhältnismäßig kältere Jahreszeit und der niedere Wasserstand der Sümpfe und Flüsse, von denen viele der ersteren ganz ausgetrocknet und in Wiesen umgewandelt waren, hatten ihn auf seiner Irrfahrt begünstigt, sonst dürfte er schwerlich je die Ufer des Atchafalaya gesehen haben. Er hatte von wilden Gänsen und Enten während der drei letzten Wochen gelebt, die er getötet und gebraten, wie ihn die Indianer gelehrt hatten, und war soeben aus der Wildnis gedrungen. Die gewaltig langen Goliathsgestalten der Hinterwäldler, ihre scharfen Augen und sonnverbrannten Gesichter und die langen Dolche mit Schäften von Hirschhorn hatten ihm vermutlich eben nicht sehr einladend geschienen, und so groß auch seine Sehnsucht wahrscheinlich war, wieder in zivilisierte Gesellschaft zu gelangen, so mochten die Leute, die er vor sich hatte, ihm doch wieder ziemlich die Lust benommen haben. Er hatte sich demnach seitwärts gewendet, aber zu spät. Übrigens schien ihn sein Zusammentreffen eben nicht sonderlich in Verlegenheit zu setzen, die freie, etwas zudringliche Familiarität der Hinterwäldler ihn vielmehr zu unterhalten.
»Und verdammt!« rief einer nach einer langen Pause, während welcher alle ihn aufmerksam und selbst mißtrauisch betrachtet hatten: »Wer in Teufels Namen seid Ihr? Ihr seid keine Rothaut?«
»Nein, das bin ich nicht«, versetzte der junge Mann lachend. »Ich bin ein Engländer.«
Er sprach die letzten Worte im kurzen, etwas entschiedenen Tone und allenfalls mit dem Gewichte eines Barons oder Grafen, der, in einer seiner vielen großartigen Gemütsaufwallungen, seine Bauern inkognito zu überraschen und das Inkognito nun auf einmal abzulegen für gut findet. Ähnliche Gedanken schienen ihn zu durchkreuzen; wenigstens zeigten seine munter und keck über die Menge hingleitenden Blicke eine gewisse Behaglichkeit und Neugierde, wie wohl die Erklärung aufgenommen werden dürfte, einen gewissen Kitzel, ein Überlegenheitsgefühl, das John Bull gern zutage fördert und das er damals auch Bruder Jonathan empfinden ließ, das aber seither ganz verschwunden und einer gewissen neidischen Unbehaglichkeit Platz gemacht hat, die, ungeachtet des Hohnes, in den sie sich kleidet, ein sicherer Beweis der seinerseits dem gehaßten Bruder Jonathan zugestandenen Überlegenheit sein dürfte.
»Ein Engländer!« wiederholten zwanzig Stimmen, »ein Britischer« die übrigen, und unter diesen ein junger Mann im pappelgrünen Fracke, der soeben angekommen, und zwar, wie es schien, mit einer Eilfertigkeit und Wichtigkeit, die sich gewaltig fühlte. »Ein Brite? das ist jedoch nicht Eure einzige Empfehlung?« schnarchte der Zeisiggrüne den jungen Mann an.
Dieser warf einen Seitenblick auf den Sprecher, der vierschrötig ihn mit seinen Lobsteraugen maß und augenscheinlich nichts weniger als freundschaftliche Gesinnungen hatte. Dann sprach er im hingeworfenen Tone: »Für jetzt ist dies meine einzige.«
Was immer die Gedanken des grünen Mannes gewesen sein mochten, und sie waren sicherlich nicht freundschaftlich, die übrigen schienen diese nicht zu teilen. Die Art Überraschung, auf die er vielleicht gehofft hatte, war nun freilich nicht zu sehen; aber bald schien sie einer gewissen Neugierde zu weichen, die augenscheinlich erforschen wollte, was den jungen Menschen so mitten in diese beinahe undurchdringlichen Sümpfe und Wälder gebracht habe. Vielleicht hatte sich auch das schlummernde Band der Verwandtschaft für ihn, der vom Volke ihrer Väter abstammte, geregt. Die Menge schien wirklich für einen Augenblick vergessen zu haben, daß der junge Mann, der vor ihr stand, ein Glied der Nation sei, mit der sie im Kriege begriffen und deren Truppen soeben feindselig an ihren Küsten gelandet. Allmählich mochten sie sich jedoch erinnern; und ihr Mißgriff, statt eines Indianers einen Briten zu sehen, beschleunigte wahrscheinlich den Gang ihrer etwas langsamen Gedankenverbindung.
»Und verdammt, wie kommt Ihr hierher, nach Opelousas?« fragte der grüne Mann wieder.
»Auf meinen Füßen«, versetzte der Jüngling spöttisch.
Der Spaß gefiel jedoch nicht.
»Junger Mensch!« sprach ein zweiter, etwas ältlicher Mann, »Ihr seid im Staate Louisiana und seht hier Bürger der vereinigten Staaten von Amerika vor Euch; dieser Mann da«, auf den Grünrock zeigend, »ist Constable; Spaß und Spott sind hier am unrechten Orte.« »Ich komme vom Bord meines Schiffes, denn« —.
»Vom Bord seines Schiffes«, wiederholten alle, und ihre Stirnen runzelten sich zusehends, und es entstand ein dumpfes Gemurmel.
Die Neuigkeit von der Landung der britischen Truppen war soeben in dem Städtchen angelangt und mit dieser auch die unwillkommene Post von der Wegnahme der amerikanischen Kanonenboote durch die britischen an den Pässen des Mississippi. So gering dieser Verlust im Vergleiche mit den glänzenden Siegen war, die auf dem Champlain und Erie und auf der hohen See bei jedem Zusammentreffen über die britischen Kriegsschiffe erfochten worden waren, so hatte dieser Unfall doch eine allgemeine Verstimmung hervorgebracht und den nationalen Unwillen aufs höchste gesteigert.
Der Constable trat mit einigen Männern auf die Seite und fing an, leise zu sprechen. Zuweilen fiel sein Blick hinüber auf den Jüngling, gleichsam als wolle er sich in dem bekräftigen, was er wahrscheinlich an ihm zu sehen glaubte. Man hatte ihn aufmerksam angehört, und mehrere schlichen sich heran an den jungen Mann und maßen ihn gleichfalls mit scharfen, verdächtigen Blicken, als wollten sie durch eigene Überzeugung prüfen, was über ihn gesagt worden.
Auffallend war übrigens die Umwandlung in dem Betragen der Hinterwäldler nach diesem kurzen Wortwechsel. Die derbe Familiarität, mit der sie ihn anfangs empfangen und gemustert hatten, die freundliche und neugierige Rücksichtslosigkeit ihres Benehmens hatte plötzlich einem kalten, zurückstoßenden Widerwillen Platz gemacht. Ihre launisch frohen Mienen hatten einen kalten, stolzen Ernst angenommen, und sie maßen ihn mit mißtrauisch prüfenden Augen.
»Fremdling!« sprach der Constable in einem befehlenden Tone, »Ihr seid eine verdächtige Person und müßt uns folgen.« »Und wer seid Ihr, der Ihr Euch anmaßt, mir den Weg zu sperren?« fragte dieser.
»Was ich bin, habt Ihr gehört. Was diese Männer sind, sehet Ihr: Bürger der vereinigten Staaten, gegenwärtig im Kriege mit Euerm Lande begriffen, wie Ihr wahrscheinlich wisset.«
Der zeisiggrüne Würdenträger sprach diese Worte nicht ohne Würde und mit einem Nachdrucke, der den jungen Mann mit einem etwas weniger höhnischen Blicke auf den neuen Kastorhut und die grünen Beinkleider sehen machte.
»Wohlan, ich folge, hoffe jedoch, sicher unter Euch zu sein«, sprach er.
»Das werdet Ihr bald sehen«, sprach der Constable trocken. Und mit diesen Worten ging der Zug dem Städtchen zu.
Einundzwanzigstes Kapitel
Das Countystädtchen Opelousas zählte zu der Zeit, in welche unsre Erzählung fällt, zwölf hölzerne Häuser, von denen die Mehrzahl aus gezimmerten Baumstämmen aufgeführt, einige jedoch mit Mörtel beworfen und grün übertüncht waren. Unter diesen letztern war das des Friedensrichters oder, wie er schlechtweg genannt wird, Squire.
Die plötzliche Veränderung, die im Haufen vorgegangen war, schien eben kein sehr günstiges Vorbedeutungszeichen für den guten Empfang von seiten der Magistratsperson zu sein, vor die der Jüngling, wie er wohl sah, geführt werden würde. Er hatte anfangs das Benehmen der buntscheckigen Hinterwäldler als die unzeitige Ausgeburt einer rohen Willkür betrachtet, die sich gern einen Scherz auf Kosten eines verirrten Reisenden erlaubt; aber der Ernst und die finstere Gravität, mit der sie hastig die Gasse, die noch größtenteils aus umzäunten Gartenstücken bestand, hinaufschritten, die verdächtigen Blicke, mit denen sie ihn maßen, und vorzüglich die Entfernung, in welcher sich jeder halten zu wollen schien, weissagten immer unangenehme Auftritte.
Als sie zwischen den ersten Häusern angekommen waren, wurde die Feldmusik hörbar, und gleich darauf kamen die zwei Kompagnien der roten, grünen, gelben, blauen und schwarzen Hinterwäldler im Sturmschritte, ernst und beinahe feierlich, durch den Kot angestolpert, die zwei Geiger eben den Yankee Doodle aufschnarrend. Einen Augenblick stutzte der Brite über den wirklich grotesken Aufzug, und dann schlug er ein lautes Gelächter auf. Niemand schien jedoch seine Lachlust zu teilen. Als sie dem Hause des Squire zukamen, schloß eben der Sprecher auf dem Baumstamme seine Rede, und die Zuhörer drängten sich nun mit den Exerzierenden heran, um die Ursache dieses Aufzugs zu hören. Ungeachtet des scheinbar tollen Treibens war jedoch nirgends Zügellosigkeit oder Roheit zu bemerken; im Gegenteil, es war eine Ordnung eigener Art sichtbar, die trotz der herrschenden Ungebundenheit überall hervorleuchtete.
Das ganze Städtchen war nun vor dem Hause des Squire versammelt, als der Constable die Türe öffnete und seinen Gefangenen zuerst einschreiten ließ. Die erwachte Neugierde fing nun an zu drängen, und die Zurückstehenden drückten so gewaltig auf ihre Vordermänner, daß das windig aussehende Framehaus so ziemlich in Gefahr kam, mit seinen Bewohnern weiter geschoben zu werden: sowie jedoch die Türe geöffnet war, rief der Constable dem Haufen zu: »Männer! der Squire sitzt beim Frühstück«, und die Menge wich augenblicklich zurück.
Auf unsern Briten schien dieses vereinte Vordringen und plötzliche Zurückweichen der derben Hinterwäldler wieder einen angenehmen Eindruck zu machen. Er hatte jede Regung und Bewegung des Haufens mit einer Aufmerksamkeit und Neugierde beobachtet, als wenn er, seiner eigenen Lage vergessend, nur auf diese bedacht gewesen wäre. Beinahe schien es, als ob er es sich zur Aufgabe gemacht hätte, zu sehen, was denn eigentlich aus Menschen geworden, die seines Landes gepriesenen Schutz von sich gestoßen und auf eigene Rechnung zu hausen angefangen hatten. Der Constable blieb mit den zwei Männern, die ihn zuerst entdeckt, in der Stube.
»Männer! wollt Ihr mit uns halten?« sprach der gebräunte, ältlich, aber kernhaft aussehende Friedensrichter.
»Diesem Fremdling da wird vielleicht Eure Einladung willkommen sein«, sprach der erste, der einen Sessel nahm und sich niederließ.
Die andern folgten seinem Beispiele.
»Setzt Euch, Mann«, sprach der Friedensrichter zum Gefangenen, ohne jedoch von seinem Teller aufzublicken, der, mit Schinken und Eiern beladen, ihm allem Anschein nach volle Beschäftigung gab.
»Nehmt Euch – was auf dem Tische ist« – fuhr er fort. – »Altes Weib! eine Tasse.«
Das alte Weib, oder weniger hinterwäldlerisch zu sprechen, die Hausfrau, füllte eine Tasse mit Kaffee, und eine der Töchter legte ein Kuvert zurecht, das ein Negermädchen gebracht hatte. Alles ging so formell vor sich, und es herrschte eine Gravität, eine ursprüngliche Artigkeit in der Stube, die unsern jungen Mann allmählich mit einem gewissen Respekt für seine neuen Bekannten zu erfüllen begann, deren Außenseite zwar nichts weniger als poliert war, aber einen ruhig festen, männlichen und sich stets gleichbleibenden Sinn verriet. Als der Wirt seine Einladung wiederholt hatte, griff sein Gast mit einer leichten Verneigung zu.
»Nehmt Euch, was beliebt«, sprach der Squire zu den drei Männern, auf den Seitentisch weisend, auf dem mehrere Bouteillen mit Madeira, Port, Kognak und Whisky standen. Diese winkten lachend und füllten sich die Gläser, aus denen sie die Gesundheit des Squire, seiner Frau und Familie tranken, ohne die des jungen Mannes zu vergessen, den sie soeben in vielleicht unangenehme Verwicklungen zu bringen gekommen waren. Ein Fremder, der plötzlich eingetreten und die verschiedenen Personen ruhig mit ihren Frühstücken beschäftigt oder ihren Toddy trinken gesehen, dürfte schwerlich erraten haben, weshalb diese Menschen gekommen, so formell, langsam, bedächtig und gleichmütig waren die Bewegungen der verschiedenen Parteien.
Die Frau warf von Zeit zu Zeit einen flüchtigen Blick auf den jungen Mann herüber, dem das wirklich treffliche Frühstück wohl zu behagen schien, und zwei erwachsene, allerliebste Mädchen schienen die Makarellen auf ihren Tellern nicht mehr zu sehen; der Squire jedoch saß standhaft da und vollbrachte seine Morgenaufgabe mit einer Langsamkeit, die bewies, daß er jedem Geschäfte seine Zeit zumaß.
»Die Wahl ist doch noch nicht vorüber?« fragte er endlich.
»Nein«, sprach der Constable. »Mein Bruder hat soeben seine Anrede beschlossen.« Er begleitete seine Worte mit einem stechenden Seitenblicke, der verriet, daß er nichts weniger als zufrieden mit dem neuen Abenteuer sei, das seinem Bruder die Hälfte seiner Zuhörer entführt hatte.
Eine andere viertelstündige Pause erfolgte, und während dieser endete die Mahlzeit. Als der Tisch abgeräumt war, stand der Squire auf und, die Türe öffnend, ließ er so viele der Außenstehenden herein, als das Innere bequem fassen konnte.
»Und nun, Constable,« sprach er, indem er zugleich ein Korktintenfaß mit einem Buche Papier auf einem Seitentische zurechtlegte, »was gibt›s nun wieder, und wer hat etwas anzubringen?«
»Diese zwei, Mister Joe Drum und Sam Slab,« sprach der Unterbeamte, »werden Euch das Nähere sagen, und zwar Mister Joe Drum als der erste, der den Gefangenen gesehen und angehalten.« Der werte, durch den Offizialen bezeichnete Mister, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, nahm einen ungeheuern Klumpen Kautabak aus seinem viereckigen Munde, warf ihn in das Kaminfeuer und begann dann seinen schlichten ungekünstelten Vortrag: wie er auf den Fremdling aufmerksam geworden war, und wie dieser durch allerlei Wendungen ihm zu entwischen gesucht hatte.
Der Friedensrichter besah nun zum ersten Male den Angeklagten, der schweigend und gefaßt vor ihm stand und dessen Gesichtszüge sich nur zuweilen in ein unmerkliches Lächeln verzogen.
Der zweite der Hinterwäldler entledigte seinen Mund eines ähnlichen Tabakklumpens und bekräftigte die Aussage des erstern so schnell, als die Schwere seiner Zunge es nur immer zuließ.
»Sam,« sprach der Friedensrichter zwischen hinein. »Ihr seid wieder so arg besoffen als je, und noch gestern, als ich Euch aus dem Alligatorsumpfe herauszog, verspracht Ihr mir fest und teuer, die nächsten sechs Wochen keinen Whisky mehr anzuschauen.«
»Und verdammt, wenn ich mein Wort gebrochen«, versetzte der Erzzecher. »Ich habe meine Augen zugedrückt, fragt einmal Joe Drum, und so solltet Ihr tun, zum Teufel! Aber diese Fips und Levies«, sprach er, indem er einen schmutzigen Lederbeutel mit kleiner Münze auf den Tisch warf und schnell wieder zu sich steckte, »müssen noch wandern, daß die Britischen ihn mit gelben Füchsen wieder füllen.«
»Ja, die werden Euch etwas münzen«, sprach der Friedensrichter. »Unter anderm laßt Euer gotteslästerliches Fluchen bleiben, sonst büß ich Euch.«
»Ihr mich büßen?« grinste Sam. »So mögt Ihr, und dürftet dabei reich werden, ja, und eine Kugel nebenbei in Euern Wanst kriegen.« »Nicht so vorschnell, Sam! Ihr werdet mich nicht erschrecken«, sprach der Friedensrichter ernst und scharf, das »mich« besonders betonend. »Wenn ich Euch nochmals fluchen höre, so büß ich Euch.«
Die dritte der Hauptpersonen, nämlich der Constable, schien nun gesonnen, seinen Beitrag zur Bekräftigung der Aussagen zu liefern; doch von mehrern Seiten war zu hören: »Ehrlich Spiel, Dick! Ihr seid zuletzt gekommen und wißt vom ganzen Vorfall gerade so viel wie des Squires Katze.«
»Ich bin aber Constable und meine« —
»So seid Ihr,« unterbrachen ihn mehrere Stimmen, »und als solcher habt Ihr Eure Pflicht getan; mehr müßt Ihr aber nicht tun wollen.«
Des Friedensrichters Miene hatte allmählich den Ausdruck von Zweifel und Verlegenheit angenommen, den man allenfalls einem Manne zugute halten kann, der, gewohnt, sein tägliches Geschäft langsam und methodisch zu vollbringen, sich nun auf einmal bemüßigt findet, einen Gegenstand von weit größerer Wichtigkeit zu verhandeln, als ihm noch je vorgekommen sein mochte. Es schien, als ob er unschlüssig sei, was er aus dem jungen Abenteurer machen solle. Die indianischen Kleidungsfragmente ausgenommen, hatte er nichts an sich, das ihn verdächtigte. Zwar kannte er den Gefangenen nicht näher; aber was er an ihm sah, war nicht von der Art, die Vermutungen zu bekräftigen, die sein Aufgreifen und seine Verkleidung veranlaßt hatte. Er lachte heiter und sorglos, blickte fröhlich umher und musterte die Hinterwäldler vom Kopf zu den Füßen mit einer Neugierde, die nur zuweilen in Spott übergehen zu wollen schien. Dabei hatte sein Äußeres, ungeachtet der nichts weniger als zierlichen Metamorphose, einen Anstand, der vorteilhaft für ihn sprach. Freilich konnte seine Unbefangenheit auch erkünstelt sein, und eben hinter diesem Anstand etwas nur um so Gefährlicheres stecken; dies schien jedoch bei seiner Jugend nicht wahrscheinlich. Aber solche Fälle gab es doch, vielleicht waren sie dem Friedensrichter selbst in einem Lande vorgekommen, das seit den letzten zehn Jahren gewissermaßen der Sammelplatz von Abenteurern allerart geworden war.
Der gute Mann war in sichtlicher Verlegenheit und kratzte sich zu wiederholten Malen hinter den Ohren. Einige Male hatte er einen Pack gedruckter Papiere aufgegriffen, sie aber unwillig wieder auf den Tisch geworfen.
Endlich sprach er: »Fremdling, könnt Ihr etwas zu Eurer Verteidigung sagen?« Sein Auge fiel bei diesen Worten ermunternd auf den Jüngling.
»Ich weiß nicht, worin die Anklage besteht.«
»Ihr habt sie gehört,« versetzte der Friedensrichter etwas schnell, »ich will sie Euch aber wiederholen. Diese zwei Männer da und der Constable im Namen des Staates sagen, daß Ihr ein Spion seid, verkleidet, und gekommen, um das Land auszuspähen und die Rothäute gegen uns aufzuhetzen.«
Der junge Mann warf einen unwilligen Blick auf die beiden Ankläger, aber er schien nicht überrascht oder verlegen. »Das ist eine verdammte« – platzte er heraus, ohne jedoch das letzte Wort aussprechen zu können, denn der Squire, der aufmerksam in seinem Gesichte gelesen hatte, fiel ihm mit einem donnernden »Halt!« in die Rede.
»Ich habe nicht Lust, mein Haus in einen Tummelplatz verwandelt zu sehen. Ihr müßt Eure Zunge in acht nehmen, junger Mann, wenn Ihr mit amerikanischen Bürgern redet, das sind keine Briten. Wenn Ihr Euch gehörig ausweisen könnt, wer Ihr seid, und wie Ihr zu Euern indianischen Kleidungsstücken gekommen, dann wohl; wenn nicht, so muß ich Euch ins Hauptquartier oder auf das nächste Depot senden.«
»Der alte Hickory läßt ihn die erste Stunde baumeln«, meinte einer. »Verflucht, alter Hickory; wollte, er wäre bereits wieder, wo er hergekommen«, fiel ein zweiter ein.
»Mag ich erschossen werden, wenn der alte Hickory nicht mehr ehrliches Blut im kleinen Finger hat, als ein Pferd schwemmen würde«, schwor ein dritter.
»Haltet Eure Mäuler,« sprach der Friedensrichter, »und laßt mal hören, was der Junge da zu sagen hat. Also, pro primo, wer seid Ihr, und was seid Ihr?«
»Ein Engländer; mein Name, James Hodges, Midshipman auf der Fregatte der ›Donnerer‹.«
»Ein Brite, James Hodges, Midshipman auf dem ›Donnerer‹«, murmelten alle.
Der Friedensrichter maß den Midshipman mit einem besorgten Blicke und schüttelte den Kopf.
»Wohl«, sprach er, nachdem er die Aussage zu Papier gebracht hatte.
»Wie seid Ihr aber nahe an dreihundert Meilen tief ins Land gekommen? Doch nicht wie der Fliegende Holländer auf Eurer Fregatte?«
»Nein«, versetzte der junge Mann lachend, »aber unser Kapitän, mit der Sondierung der Mississippimündungen beauftragt, hatte einigen von uns die Erlaubnis zu einer Schildkrötenjagd gegeben. Auf dieser und dem Austernfange waren wir begriffen, als der Seeräuber von Barataria uns überfiel und in sein Fort schleppte. Ich habe mich zur Nachtzeit gerettet. Was aus meinen Gefährten geworden, weiß ich nicht.«
»Vom Seeräuber von Barataria gefangengenommen«, riefen wieder zwanzig Stimmen.
Der Name des Seeräubers von Barataria, der die Küste seit so langer Zeit her unsicher gemacht, erregte ein allgemeines Verlangen, etwas mehr von ihm zu hören.
»Laßt mal etwas von dem Kerl hören«, rief einer.
»Halt›s Maul, sage ich Euch!« rief wieder der Friedensrichter. »Wir haben keine Zeit, Geschichten anzuhören, gibt mir diese Kopfzerbrechens genug. – Und kommt Ihr von der Insel Barataria gerade herauf in diese Gegend?« fragte er.
»Nein,« erwiderte der Gefangene, »ich entkam in einem Boote, das ein starker, südöstlicher Wind tief in den mexikanischen Busen führte.«
»Und da kommt Ihr her?« fragte der Squire kopfschüttelnd. »Doch, woher diese indianische Kleidung?«
»Ich traf auf einen indianischen Stamm, der mich damit versehen.«
»Und von diesem habt Ihr Euch auf den Weg her auf den Atchafalaya zu gemacht?« fragte der Squire wieder, noch immer kopfschüttelnd.
»So habe ich«, war die Antwort.
»Ich will es niederschreiben, lieber Mann,« sprach der Friedensrichter, »obwohl ich Euch versichern mag, daß unter Millionen nicht zehn es glauben werden. Hört einmal. So viele Ihr unten am Balize seid, und wäret Ihr Hunderttausend, so hat keiner von Euch so viel noch gelernt, um von der mexikanischen Grenze oder einem Indianerstamme den Weg herzufinden. Hört Ihr, da sind keine Fahrstraßen und Meilenzeiger zu sehen. Da steckt etwas anderes dahinter; zudem, diese indianische Kleidung ist so schlecht nicht. Ich kenne keinen Stamm, der so etwas wegzugeben reich genug wäre. Wie heißen die Indianer, bei denen Ihr Euch aufgehalten habt?«
»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte der Jüngling.
»Das müssen wir aber wissen«, versicherte der Friedensrichter.
»Ich kann es nicht sagen; es gibt so viele Stämme, Coshattaes, Sabiner und wie sie heißen.«
Alle horchten hoch auf.
»Ihr wißt den Namen der Coshattaes und Sabiner und nicht derjenigen, bei denen Ihr Euch aufgehalten habt?« fragte der Friedensrichter. »Das ist sonderbar; und diese Indianer sollten Euch eine Kleidung gegeben haben, die zum wenigsten zehn Dollar wert ist? Hört, das ist eine kitzlige Geschichte, ich versichere Euch. Die Coshattaes und Sabiner, wenn sie alle ihre Habseligkeiten zusammennehmen, sind nicht imstande, Euch zu geben, was Ihr am Leibe habt. Eure Geschichte mag gut genug sein, um bei Euch zu passieren; aber hier bringt die Anklage, die daraus hervorgeht, Euern Kopf in Gefahr.«
»Seid so gut, lieber Friedensrichter,« sprach der Brite lächelnd, »so schnell als möglich meinen Fall im Hauptquartier anzuzeigen. Das übrige wird sich dann finden.«
»Im Hauptquartier?« wiederholte der Friedensrichter, der den jungen Mann verwundert angesehen hatte. »Hört einmal. Ihr stellt Euch das ein wenig leicht vor; aber wenn Ihr wüßtet, wer darin befehligt, dann würdet Ihr wahrscheinlich nicht so vorschnell sein. Der haust mit den Kreolen«, brummte er seitwärts, »als wenn sie seine Neger wären; was wird er erst mit Fremden tun! Und sonst« – fragte er, sich nochmals an den Gefangenen wendend – »habt Ihr nichts vorzubringen?«
»Bloß,« versetzte der Brite lachend, »daß ich nicht, wie meine zwei Ankläger angegeben, verdächtig in der Nähe Eurer Stadt umhergeschlichen und von ihnen während meines Spionierens gefangengenommen worden bin. Man ist eben nicht in einem Zustande, andere zu fangen, wenn man selbst nicht auf den Beinen stehen kann. Ich habe mich freiwillig gestellt.«
»Und wahr ist›s auch noch,« schrie der erste Ankläger; »ich hab› einmal zu viel geladen, das ist ganz richtig. Laßt›n laufen, Squire; ein Spion mehr oder weniger wird keinen Unterschied machen; laßt sie nur kommen die Rotröcke, wir wollen ihnen die Felle gerben, daß sie›s Heimgehn vergessen sollen.« »Ei und die Proklamation des Generals,« erwiderte der zweite, »die da sagt, daß jede verdächtige Person angehalten und an die Militärbehörde eingeliefert werden soll!«
»Geht uns nichts an«, versetzten mehrere Stimmen. »Sie ist vom General ausgegeben, und der hat einen Quark im Staate und freien Männern zu sagen, die nur den von ihrer Legislatur gegebenen Gesetzen gehorchen sollen; was meint Ihr, Squire?«
»Gewiß,« versetzte dieser, »der General hat hier nichts zu befehlen; aber die Konstitution selbst hat für den Fall gesorgt. Es bleibt nichts weiter übrig,« sprach er leiser zu den Seinigen, »als den Jungen hinüberzusenden. Es tut mir leid, daß ich mithelfen soll, ihn in die Pfütze hineinzustoßen; er sieht wahrlich so wacker aus wie irgendeiner, der in seinen eigenen Schuhen steht.«
»Junger Mann,« wandte er sich zum Gefangenen, »Ihr seid innerhalb der Linien unserer Armee in einer Verkleidung aufgegriffen worden, die allerdings verdächtig ist. Ihr seid, nach Euerm eigenen Geständnisse, zur Flotte gehörig; beides zwingt mich, Euch unsern Militärbehörden zu überantworten. Es ist ein hartes Gesetz für ein freies Land, aber es ist nur in Kriegszeiten. Wäret Ihr kein Brite, dann möchte ich durch die Finger sehen. Und setzt Euch nun nieder und helft Euch zu einem Glas Wein oder Rum, was Euch beliebt.«
Der Brite dankte mit einer leichten Verbeugung, trat zum Schenktische und trank auf die Gesundheit seiner neuen Bekannten. Sein ganzes Benehmen bezeugte, daß er mit seiner Behandlung sehr zufrieden war. Und wirklich war in der Prozedur des Friedensrichters, ungeachtet des starken Beigeschmacks hinterwäldischer Manieren, eine Offenheit und Biederkeit, die nicht fehlen konnten, ihm Vertrauen zu seinen neuen Bekannten einzuflößen. Er schien sich gewissermaßen zu Hause zu fühlen; die Menschen um ihn herum waren so natürlich, so ungekünstelt und dabei so vollkommen gesetzlich und über ihre Interessen aufgeklärt; sie schämten sich ihrer Blößen so wenig, daß sie notwendig dem Unbefangenen in vorteilhaftem Lichte erscheinen mußten. Er hatte vielleicht einen arroganten Pöbelwitz und rohe Schimpfworte befürchtet; statt dieser war ihm eine Behandlung zuteil geworden, die zwar nicht ohne ihre derben Nuancen, aber im Grunde so angemessen war, wie er sie nur in seiner unangenehmen Lage wünschen konnte. Es war viel Rauhes, aber nichts Pöbelhaftes zu sehen gewesen. Zwar konnte er noch immer das Lachen nicht verbeißen, wenn er an die militärische Promenade dachte; aber der starre, republikanische Ernst, der selbst in diesem grotesken Spektakelaufzuge vorherrschte, und die männlich gebräunten Gesichter, in denen wahrhaft kriegerischer Zorn blitzte, gaben ihrem ganzen Wesen einen ganz eigentümlichen Anstrich, der durch eine formelle und ihrer Würde bewußte Gravität und ihre scharf gezeichneten Physiognomien sehr gehoben wurde. Der erste Anblick ganz freier und trotz ihrer Rauheit innerhalb der Gesetzlichkeit verbleibender Menschen machte ihn augenscheinlich stutzen, indem er ihn allmählich das innere Wesen republikanischen Lebens ahnen zu lassen schien.
Der zeitweilige Verwahrungsort des Gefangenen wurde nun zwischen dem Friedensrichter und dem Constable der Gegenstand der Unterhaltung. Der Scherif war abwesend, und das Countygefängnis, in dem zuletzt ein Sklave gesessen, der entwischt war, ohne Schloß und Riegel. Der Squire endete die Untersuchung mit der Zusicherung, daß er für die Sicherheit des Gefangenen Sorge tragen wolle. Und als die Männer dieses gehört, so räumten sie die Stube.
Nicht lange, so erhob sich der Lärm von neuem. Zur alten Geige und türkischen Trommel hatten sie eine schottische Pfeife gesellt, und mit dieser ohrzerreißenden Musik paradierten sie nun truppweise die Straße hinab so ernsthaft, so steif und stattlich, als wenn es gerade auf den Feind losginge.
»Hol der Henker das verdammte Schreibwerk«, schrie plötzlich der seiner, Samuel gegebenen Warnung vergessende Squire. »Da soll ich nun schreiben! und so wahr ich lebe, ich weiß nicht, wie ich die Worte zu stellen habe, um dem armen Jungen nicht wehe zu tun. Höre einmal, ich wollte wetten, Ihr könnt mit dem Gänsekiel so wohl umgehen, als einer; wie wär›s, wenn Ihr den Plunder aufsetztet?«
»Welchen meint Ihr, Squire?«
»Je nun, die Evidenz wegen Eurer Gefangennehmung.«
»Ihr meint den Casus apprehensionis, den Fall des Ergreifens«, versetzte der Brite, über die sonderbare Zumutung laut lachend, nun noch sein eigener Gerichtsschreiber zu werden.
»Ihr habt Zeit,« sprach der Mann, »setzt Euch just nieder, hier ist Tinte, Feder und Papier und schreibt klar und verständlich und denkt daran, daß es um Euern Kopf geht.«
»Glaubt Ihr«, versetzte der junge Mann lachend, »sie würden es wagen, einem Briten zu nahe zu treten, wenn eine britische Armee vor ihren Toren steht?«
»Nein! hört einmal den Jungen,« sprach der Squire, »das kommt mir spaßhaft vor; wagen, einem Briten zu nahe zu treten! Höre, wenn du der General en Chef Eurer Armee selbst wärest, um so eher hingest du, versteht sich von selbst, wenn der Verdacht, in dem du stehst, gegründet befunden würde. Nein, junger Mann, du kennst uns nicht, das sehe ich wohl; und manchmal werde ich selbst irre an dem besessenen Geist, der in den Unsrigen steckt und der sich bald an unsern Herrgott selbst wagen wird. Es nicht wagen!« rief er wieder kopfschüttelnd. »Die wagen sich an mehr als an dich, armer Junge! und wenn sie Euerm dummen, britischen Stolze einen Hieb versetzen können, so wird sie nichts abhalten, ihn zu führen, und das so kräftig als möglich. Und warum, Junge? weil wir das freieste und folglich das erste Volk der Welt sind und alle auslachen mögen. – Halt›s Maul, altes Weib«, brummte er seiner Ehehälfte zu, die mit bittenden Gebärden ihm zur Seite stand und ihn auf mildere Gedanken zu lenken versuchte. »Diese deine Quersprünge gehen hier nicht; du weißt, daß wir die Feinde überm Hals haben, da gilt kein Spaßen. Nein! nein!« fuhr er zum jungen Mann gewendet fort: »Ich bitte Euch, seid klug, und kurzweilt ja nicht, sonst möchte sich der unten mit Euerm Kopf eine Kurzweil schaffen; das käm› ihm gerade gelegen.«
Und mit diesen Worten verließ er die Stube.
Der junge Mann schickte sich an, sein Geschäft zu beginnen.
»Aber was, ums Himmels willen, hat Euch gerade da hergebracht?« fing nun die Ehehälfte an, nachdem ihr Mann den Rücken gekehrt hatte. »Seid Ihr Briten denn gar so dumm? Wenn Ihr Eure Augen und Ohren nur ein wenig offen gehabt hättet, müßtet Ihr gesehen haben, daß Ihr in die Wolfsgrube rennt. Sie werden Euch hängen, verlaßt Euch darauf; das ist ein grimmiger alter Mann, der General.«
Die Aussicht war nicht sehr trostreich, aber der Gefangene schien sich kein graues Haar wachsen lassen zu wollen. »Habt keine Sorge um mich, gute Frau«, sprach er lächelnd. »Man hängt nicht, am wenigsten wegen Spionierens, wo der bloße Gedanke Unsinn ist.«
»Wohl, wohl, wollen ‹s beste hoffen; am gescheitesten wär›s jedoch« —
»Weib«; brummte ihr Mann zur halb geöffneten Türe herein. »Scher› dich von dem Jungen weg, ich sage dir›s.«
»Laß ihn reden,« sprach sie, »und wenn Käthe ihren neuen Rock fertig hat, so wollen wir schauen, ob wir dich darin nicht hinüber zum Bill praktizieren können.« Sie nickte pfiffig.
»In Miß Käthes Röckchen,« lachte der Brite hell auf, »das fehlt noch.«
»Ei, werden da lange fragen«, fuhr sie fort. »Das Mädchen hat nur noch die Ärmel einzusetzen«; und somit wackelte sie der Küche zu.
Der Gefangene begann nun im Ernste sich über seinen nicht ganz angenehmen Casus apprehensionis zu machen. Lange konnte er mit sich nicht eins werden; endlich glaubte er im reinen zu sein und fing an, seine Gedanken aufs Papier zu werfen. Er hatte sein Abenteuer, mit Auslassung der Indianer, so natürlich als möglich erzählt und zugleich umständlichen Bericht über seine Dienstverhältnisse gegeben, die nach seiner Meinung nicht fehlen konnten, seine schleunige Befreiung zu bewirken. Als er geendet hatte, kam der Squire zurück, dem er das Papier reichte.
»Das hast du gut gemacht, Junge!« sprach dieser, als er den Aufsatz gelesen hatte. »Und nun, Dicki, ruf› mir einmal die Männer zur Unterschrift.«
»Ei, das ist aber nicht Eure Handschrift, Squire«, brach der Constable aus, der mit den übrigen wieder gekommen war.
»Und wenn sie›s nicht ist, wen geht das was an? Dieser Junge da hat mir mehr Kopfzerbrechen verursacht, als ein Dutzend Galgenschwengel. Es ist bloß billig, daß er einen Teil der Mühe auf sich lade.«
»Ei und so ist›s«; fielen alle ein. »Und da Ihr eine so gute Hand führt,« sprach einer, »so mögt Ihr uns ebensowohl die Mühe ersparen. Schreibt da auf diesen Fetzen Papier den Namen Mike Broom und darunter Isaak Wells.«
An die zwanzig kamen nun der Reihe nach herangeschritten. Jeder blinzelte dem Squire zu und riß ein Stück Papier von seinem Vorrate ab. »Wohl,« lachte dieser, »da mögt Ihr gleich Eure Kanzlei auch aufschlagen, sie werden Euch bald Arbeit genug finden. Bürg› Euch dafür.«
»Ja und das wollen wir«, riefen noch zwanzig Stimmen mehr, die nun zur Türe hereinbrüllten und sich anschickten, ihre Vorgänger abzulösen.
»Das soll wohl eine Wahl sein?« fragte der Brite. »Ja, das ist›s, Mann, und Ihr sollt es nicht umsonst getan haben«, sprach der Hinterwäldler, der nun mit seinem Wahlzettel die Stube verließ, bald aber wieder mit einer gefüllten Bouteille zurückkam. »Da trinkt einmal,« rief er ihm zu, »aufs Wohl der Staaten und das Verderben der verdammten Briten.«
»Nein, das lasse ich bleiben«; erwiderte der Gefangene trocken.
»Wie Ihr wollt,« meinte der Hinterwäldler, »werdet es aber bereuen. Johnny hat in seinem Leben keinen so guten Monongehala gegeben.«
Und mit diesen Worten leerte er ein volles Bierglas und füllte ein zweites, das die Bouteille leerte. Der Brite hatte eine Weile den heillosen Zecher angesehen, verwundert über die ungeheure Quantität, die dieser, ohne auszusetzen, hinabgestürzt hatte, und fuhr dann fort, den Wählern ihre Stimmzettel zu schreiben, von denen einige Hundert angestiegen kamen; eine Beschäftigung, die, wenn auch nicht sehr angenehm, wenigstens den Vorteil hatte, ihn in seiner fröhlichen Stimmung zu erhalten.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
– »Wohl denn. Junge. Bin herzlich froh deinetwegen«, sprach der Squire, der wieder von der Straße in die Stube zurückgekehrt war. »Sie haben mich zu ihrem Major gewählt, und ich hoffe, etwas für dich tun zu können. Aber laß uns unser Mittagessen haben, altes Weib, ich habe Appetit bekommen; und eine Bouteille alten Monongehala! Setz› dich, Junge, und laß dir kein graues Haar wachsen. Bin in meinem Leben oft genug in solchen Teufeleien gewesen, aus denen ich nicht geträumt hätte mit heiler Haut zu kommen; Anno achtzig und einundachtzig bei Cowpens, wo wir Euch gedroschen haben, und Anno zwölf bei Fort Miegs und dann mit Kapitän Croghan. – Ja, da hätt› ich auch wohl nicht mehr gedacht, den Atchafalaya und die Meinigen zu sehen. Die Rothaut, ja, das war ein furchtbarer Geselle. Gott segne ihn nichts destoweniger, obwohl er der Schrecken der Unsrigen jenseits des Ohio war. Aber ein trefflicher Geselle, und wahr ist auch noch, kein Besserer hauste je in unsern Wäldern. Ich hatte bereits Amen gesagt und dacht›, nun ist›s aus; aber eben als das giftig scharfe Messer um meinen Kopf herumlief – da, sieh› den Ring an, du kannst ihn noch immer sehen, als ob eine rotseidene Schnur um meine Stirn gebunden wäre, da kam er, der Tecumsee und entriß mich meinen Henkern. Ich werde den Mann in meinem Leben nicht vergessen, und viele der Unsrigen haben ihm ihre Haut zu verdanken. Das war ein Mann! – Keiner Eurer herumschleichenden, besoffenen Indianer, die Tag und Nacht um unsre Felder lauern und uns unsre Hirschböcke wegschießen und sich dann die Füße ablaufen, um sie in Whisky umzusetzen.«
»Ei, und der lange trockene Geselle, hast du den vergessen. Mann,« sprach die Frau, eine Hirschkeule auf den Tisch setzend, den ein Negermädchen bereits gedeckt hatte, »der hat uns auch nicht wenig Angst gemacht. Wie heißt er nur?«
»Tokeah meinst du, den Miko der Oconees?« versetzte ihr Mann. »Laß mich in Ruhe mit dem.«
»Wie? Ihr kennt ihn?« fuhr der Brite unwillkürlich heraus.
Der Squire und seine Frau sahen sich bedeutsam an. Der junge Mann hatte sich zu fassen gesucht und setzte hinzu: »Ich bin überzeugt, Ihr habt rauhe Tage mit den Indianern gesehen.«
»Das haben wir;« sprach der Friedensrichter trocken, »aber von Tokeah haben wir auch seit vielen Jahren keine Silbe mehr gehört. Als ob der Mississippi ihn verschlungen hätte. Keine Spur mehr zu sehen oder zu hören von ihm und den Seinigen. Wißt Ihr etwas von ihm?« wandte er sich plötzlich zu seinem gefangenen Gaste.
»Nein«, versetzte dieser betroffen und stockend.
»Dachte nur, weil Ihr mich fragtet, ob ich ihn kenne.«
»Ja, und die arme, bildschöne Rosa«, sprach das Weib.
»Rosa«, rief der Brite wieder aus, sich ein zweites Mal vergessend.
Wieder blickten sich die beiden Eheleute fragend an. Ohne jedoch ein Wort zu sagen, setzte sich die Familie zu Tische, über welchem der Hausvater ein langes Gebet verrichtete. Es waren noch zwei Töchter und ein Sohn, die Platz nahmen. Die Kleidung der Mädchen bestand aus dem gewöhnlichen Woll– und Leinenstoff, Linsey Woolsey genannt, war aber recht elegant; ihr Benehmen schien ebensosehr von feinerer weiblicher Bildung, als blöder Scheu entfernt. Ihre Bewegungen zeigten viel natürlichen Anstand und eine gewisse Lebendigkeit, die jedoch vollkommen innerhalb der Schranken mädchenhafter Züchtigkeit verblieb. Sie sprachen mit ihrer Mutter, nachdem sie den Fremden freundlich und zwanglos begrüßt hatten.
Während die Hausfrau die Hirschkeule zerlegte, fuhr der Squire fort. »Ja, damals hatte ich noch die Stube voll Kinder, alt und jung, wie Orgelpfeifen, zwölf Stück. Keines, Gott sei Dank, gestorben, alle wohl verheiratet und angesehen. Sieh›, das ist bei uns die Freude. Je mehr Kinder, desto besser. Land haben wir genug, und wenn sie ihre Hände zu gebrauchen wissen, so findet sich Haus und Hof von selbst. Bei Euch müssen die armen Buben, höre ich, Soldaten oder Taugenichtse werden, und die Mädchen noch etwas Schlimmeres. Bei uns arbeiten und schaffen sie redlich und werden Bürger, die sich vor keinem zu schämen haben. Ja, Junge! meine Kinder haben alle ein Kinderspiel, die haben jedes ein paar tausend Dollar von den Alten, aber wir haben es uns müssen sauer werden lassen. – Mein Vater kam mit zwanzig Jahren und dreißig Pfunden herüber aus dem Lande der Kuchen, und damit kaufte er sich fünfzig Äcker, und als er etwas zusammengebracht, da brach der Befreiungskrieg aus, und die Eurigen kamen und brannten ihm Haus und Hof weg und zogen ihm seine Kleider und Schuhe ab, und er mußte halb nackend im Winter dreißig Meilen nach Hause laufen. – Ich war damals ein Bube, habe aber dafür manchem Eurer Rotröcke aufn Pelz geschossen. Als der Krieg vorbei war, da macht› ich mich an meine Alte heran, und wir taten uns denn auch zusammen und zogen endlich an den Coosa. Wollte, ich wäre hübsch da sitzen geblieben und kein Narr gewesen, über den Ohio hinauf zu rennen; hat mir viel geschadet in meinem Handel nach New Orleans hinab. Haben aber zu leben. Möchte nicht gerne von vorne wieder anfangen; aber doch wollte ich›s eher, als in Euerm Lande hausen, wo keiner was zu sagen hat, und alle tun müssen, nicht was sie selbst, sondern was andere wollen, und soeben geschehen und ungeschehen sein lassen müssen, wie es ihren großen und kleinen Tyrannen gefällt. Erinnere mich so etwas gesehen zu haben, als Louisiana noch in den Händen des Spaniers war, und wir hinabhandelten nach der Stadt. Was für ein armseliges Leben die elenden Wichte hatten! Sie durften dem Ufer nicht nahen, ohne zuvor von einem Dutzend schäbichter Taugenichtse die Erlaubnis eingeholt zu haben, ein Ferkel oder einen Schinken zu kaufen, und wenn sie dann kamen, waren ihnen immer ein paar Spione zur Seite und wichen nicht, bis wir wieder gingen, damit wir sie mit unserem Republikanismus nicht ansteckten. Der Teufel selbst war ihnen nicht so furchtbar, wie wir Amerikaner, und doch getrauten sie sich nicht an uns; aber wer uns von den Ihrigen ein freundliches Gesicht machte, dem ging es schlimm. Elende Kerle! dumm wie ‹s Vieh in allen Stücken, nur in einem waren sie pfiffig, nämlich, die Ihrigen noch dümmer zu machen, und das bißchen gesunden Menschenverstand in ihnen ganz zu ersticken. Keiner wagte ein Wort zu sagen, bis der Gouverneur es erlaubte. Sie tanzten, wann dieser es haben wollte, und beteten, wann er es befahl, und waren höflich und wieder grob gegen uns, just wie er es haben wollte. Keiner wagte für sich selbst zu denken oder zu handeln. Und was das schönste war, diese miserablen Menschen, die in Stroh– und Lehmhütten wohnten und bis über die Ohren im Kot staken und nicht selten vor ihren Türen von Alligatoren weggefressen wurden, die vom Bürgerleben weniger wußten als unsere dümmsten Neger, die meinten, sie wären zivilisiert und wir Barbaren, weil sie Kratzfüße schneiden und Komplimente auswendig herplappern konnten! – Ei, ich weiß, was schwarz und weiß ist.«
Die Keule war nun zerlegt und zerteilt, und es erfolgte eine halbstündige Pause, während welcher aus dem redseligen Squire auch keine Silbe mehr herauszubringen war. Als jedoch der Tisch abgedeckt war, füllte er sich noch ein Glas von seinem gepriesenen Monongehala, stellte vor den Briten zwei geschliffene Flaschen mit Port und Madeira und fuhr fort: »Ja, hier sieht es anders aus! hier ist das Volk Souverän; ei, und ein so guter als irgendeiner im alten Lande und besser, denn er kostet nichts. Schau einmal her, das mag dir so ziemlich lächerlich vorkommen, das Umhertraben dieser Leute in Reih und Glied, als ob sie den Straßenkot in eine Tenne treten wollten; aber wenn du ein wenig mehr auf den Grund siehst, so wirst du finden, daß sie sich alles Ernstes gegen Euch vorbereiten wollen. Das sind keine Soldatenspielereien; sie hassen das kindische Wesen. Aber laßt ein Dutzend Soldaten unter sie kommen und sie acht Tage einexerzieren, und sie werden so wohl im Feuer stehen, wie Eure Rotröcke und besser; denn diese fechten für sechs Pence, die Unsrigen für ihr Hab und Gut und ihre Weiber und Kinder. Keiner hat sie kommen geheißen, es sind alle Freiwillige, die der öffentliche Geist getrieben, sich ein paar Wochen umherhudeln zu lassen. Was wollt Ihr wetten, Ihr verliert die erste Schlacht, in die Ihr Euch einlaßt?«
»Mit diesen Fallstaffs-Kompagnons da?« versetzte der Jüngling lachend.
»Sachte! Sachte!« versetzte der Squire, »das sind Bürger, von denen jeder seinen eigenen Rock am Leibe hat und eine Wirtschaft obendrein; kein zusammengerafftes Gesindel, wie Euere sogenannten Landesverteidiger, die, um dem Hungertode oder der Botanybay zu entgehen, sich Euern Trabanten hingeben, damit sie je eher desto besser aus der Welt geschafft werden, der sie nur zur Last sind.«
Das Knallen von Schüssen war schon seit längerer Zeit zu hören gewesen. Der Squire öffnete die Türe, vor der ein Mann mit einem Stutzen auf und ab ging. Am Ufer des Flusses war in der Eile ein Bretterverschlag aufgerüstet, und vor diesem standen sechs brennende Kerzen. Dicht daneben zwei Männer mit Laternen. Soeben knallten zwei Schüsse, deren einer den brennenden Docht vom Lichte weg – und der zweite das Licht durchschoß.
Ein brüllendes Gelächter erschallte. »Schau, der hat›s einmal verfehlt und, statt den Docht zu treffen, die Kerze mitgenommen!«
Die Kerze war wieder angezündet und aufgesteckt worden. Vier Schüsse knallten hintereinander, und jeder schoß das in der Tageshelle kaum sichtbare Licht weg. Wieder folgten zwei Schüsse, die ebenso genau trafen. Die gewaltigen Schützen hielten ihre langen Stutzen frei, und die Entfernung betrug volle hundertundfünfzig Schritte.
»Auf der andern Seite schießen sie den Nagel aufn Kopf,« sprach der Squire; »willst du es sehen?«
Er ging mit seinem Gefangenen hinter die Häuser, wo ein zweiter Verschlag aufgerichtet war. Statt der Kerzen waren in den Brettern Nägel mit etwas größern Köpfen zur Hälfte ins Holz getrieben.
»Den dritten von oben!« rief ein junger Hinterwäldler und ließ krachen.
»Getroffen und hineingetrieben!« antwortete der Zeiger.
»Den vierten!« rief ein zweiter und ließ ebenfalls knallen. »Getroffen!« war wieder die Antwort.
Der Jüngling hatte, ohne ein Wort zu sprechen, zugesehen.
»Glaubst du nun, daß Ihr zu kurz kommen werdet?« fuhr der Squire fort. »Hier haben sie dir eine Ehrenwache gegeben,« auf den Hinterwäldler deutend, der ihnen mit seinem Stutzen gefolgt war, »damit du ihnen nicht Reißaus nimmst. Sie haben es sich nun in den Kopf gesetzt, in dir etwas von einem Spion zu sehen. Ei, Reißaus nehmen! Leicht gesagt, aber du würdest sie gleich einer Koppel Hunde hinter dir haben, und sie würden deine Spur beschnaufen und dir nachjagen, und sollte es bis auf den Plattefluß hinaufgehen. Doch komm, lieber Junge, laß dir den Port oder Madeira schmecken, beide sind echt und werden dir deinen jungen Magen nicht verderben. Wir gehen hinüber über den Mississippi, ins obere Militärdepot, und da werden sie ‹s weitere zu tun wissen. Unsere Leute kommen morgen nach. Wir müssen aber noch heute fort; ‹s alte Weib will›s nun einmal nicht anders, sie hat den Narren an dir gefressen. Sie hat aber recht; ich kann leichter ein Wort einfließen lassen, als wenn die Schlingel alle beisammen sind, obwohl du mir Sorge genug machst; denn heute noch müssen zehn Männer hinüber auf den Coshattaesweg und hinauf an den Redriver und den Natchitoches. Der Teufel trau Euch Briten. So dumm Ihr im ganzen seid, habt Ihr›s doch hinter den Ohren sitzen, und wo›s auf Euern Vorteil ankommt, da seid Ihr wahre Teufel. – Es könnt› doch sein, daß du mit all deinen beiden Taubenaugen uns einen Pack Indianer übern Hals brächtest.«
So zutraulich der Anfang gewesen, so wenig schmeichelhaft war der Schluß, und der junge Brite sah den Sprecher betroffen an. Das Mißtrauen, das diese Vorsichtsmaßregel beurkundete, machte ihn stutzen.
»Und Ihr, ein so gescheiter Mann«, sprach er, »könntet wirklich solches von mir argwöhnen?«
»Pah!« erwiderte der Squire. »Ich argwöhne nichts und vertraue auf nichts; wir tun bloß, was die öffentliche Sicherheit erfordert. Das tun wir zu unserer eigenen Beruhigung. Schläft sich besser, und unsere Männer gehen mit leichterm Herzen dem Feinde entgegen. Wir haben keine Polizei, wie bei Euch, darum machen wir sie selbst. – Sei übrigens ruhig, und laß dich das nicht anfechten.«
Die gute Stimmung des gesprächigen Squire, unsers alten Bekannten John Copeland, war durch seine Erwählung zum Major sichtlich um ein bedeutendes erhöht worden, und das Vertrauen seiner Mitbürger in seinen Patriotismus und seinen militärischen Scharfblick kitzelte ihn nicht wenig. Übrigens hatten die sieben Jahre, seit denen wir ihn nicht mehr gesehen, eine vorteilhafte Veränderung in ihm hervorgebracht. Das grob selbstsüchtige Wesen, das früher aus jedem seiner Worte so widerlich hervorblickte, hatte bei größerm Wohlstande einer humanen Behaglichkeit Platz gemacht, der man zwar das Hinterwäldlerische noch immer ansah, das aber eben deshalb um so mehr ansprach. Es war gewissermaßen die alt gewordene Natur eines Hinterwäldlers, an dem Wohlhabenheit, Umgang und Erfahrung eine eigene Spezies von Zivilisation hervorgebracht hatten, die selbständig in jeder Richtung hinwirkte und es sich und andern wohl werden ließ. Er fühlte ganz seine Wichtigkeit; aber dieses Gefühl war nichts weniger als beleidigend für andere. Es hatte nichts vom Wesen des arroganten Herrendieners oder des reich gewordenen Handwerkers oder Trödlers an sich; es war die herzliche, herzhafte Derbheit eines männlichen Geistes, der sich seine Bedeutsamkeit sauer erworben, und die hohe Achtung, in der er bei seinen Mitbürgern stand, durch eine gemeinnützige Tätigkeit verdient hatte, dem das Wohl seines County über alles ging und der für seinen Staat und sein Land alles hingeopfert hätte, den Mund zuweilen etwas zu voll nahm, aber nie Widerwillen erregte, weil alles in ihm natürlich und gewissermaßen dem Boden seines Landes entsprossen war. Der junge Brite fühlte sich augenscheinlich ungemein wohl; er war in den wenigen Stunden ganz heimisch geworden, und die gutmütig spottende Miene, mit der er den sein Land und sein Volk immer und immer wieder preisenden Squire anhörte, hatte diesen so unerschöpflich in seiner Redseligkeit gemacht, daß jener nur selten Gelegenheit fand, ein Wort einzuschalten. Der alte Mann schien seinen Gast, den er bald du, bald Ihr anredete, und der sich oft die Seiten hielt, um nicht vor Lachen zu bersten, gleichfalls sehr liebgewonnen zu haben.
»Dick,« sprach er, »will auch mit, der Constable; er fürchtet, du möchtest ihm davonlaufen. Er schielt nach unserer Käthe. Kann›s nicht begreifen, wie sie ihn nur um sich dulden kann.«
Der Brite lachte laut auf, und der alte Mann stimmte ihm aus vollem Halse bei.
»Wohl, junges Blut, komm› nun mit mir in die Dachstube hinauf. Wir wollen Schlag neun Uhr weg, du kannst noch ein paar Stunden Schlafes mitnehmen. Mach› dich bequem und merk› nicht auf die Mädchen,« sagte er, indem er auf ein leeres Bett deutete, das neben dem stand, welches er seinem Gaste anwies, »sie werden noch eine Weile plappern, ehe sie zu schnarchen anfangen.«
»Aber,« fragte der Jüngling zaudernd, »wer soll denn eigentlich in dieses Bett kommen?«
»Meine zwei Mädchen, meine Töchter«, versetzte der Squire.
»Aber«, meinte der Jüngling – und kratzte sich hinterwäldlerisch hinter den Ohren.
»Aber«, lachte der neue Major – »laß du die nur gehen, die werden dir nichts abbeißen; – mach› du nur keine Sprünge; – sie werden ruhig liegen bleiben. Wir sind hier ein bißchen gedrängt; auf der Pflanzung draußen haben wir aber mehr Platz.«
»Besorgt nichts«, lachte der junge Mann dem abziehenden Squire nach, noch immer den Kopf über seine Schlafstelle schüttelnd, die von einer zweiten, die zwei frische Mädchen, rund wie Rebhühner im August, aufnehmen sollte, nicht ganz zwölf Zoll entfernt stand.
Nun erwartete er nur noch die Ankunft der alten Dame, die versprochenermaßen ihm in die neue Robe der Miß Käthe zu verhelfen gedachte. Wahrscheinlich war sie jedoch durch ihren Mann eines Bessern belehrt worden; denn sie kam nicht und unser Abenteurer entschlief.
*
»Komm«, rief eine Stimme, nach einem Schlafe, der ihm vermutlich kaum so viele Minuten gedauert zu haben scheinen mochte, als Stunden verflossen waren; und eine Hand rüttelte ihn ziemlich derb.
Der junge Mann blickte hinüber auf das Bett, aus dem sich eine Hand erhob, der eine Gestalt folgte, die zu derb war, um einem der beiden holden Geschöpfe angehören zu können. »Die Mädchen wollten mir absolut nicht herauf. Hätte mir es einbilden können. Und unsere Männer hatten beschlossen, eine Wache hereinzupostieren. Und diesem auszuweichen, habe ich mich selbst heraufgemacht. Doch mache, wir haben einen kleinen Morgenritt von dreißig bis vierzig Meilen, der uns vollauf zu tun geben wird.«
»Meine Toilette ist fertig«, war die Antwort.
»Wohl, lieber Hodges«, redete ihn die Frau an, die, von ihren Töchtern umgeben, die beiden noch mit einem Imbiß erwartete.
»Macht Euch zuerst warm und übereilt Euch nicht. Hier sind ein Paar Schuhe und Strümpfe, die Euch in der kalten Nachtluft not tun werden, Käthe und Mary haben das übrige.«
Käthe hielt eine Wolldecke in der Hand, und Mary war mit dem Hute ihres Vaters beschäftigt.
»Was soll denn das wieder?« fragte der Squire.
»Je nun, du brauchst doch einen Federbusch als Major. Sie hat allen Hühnern und Hähnen die Federn ausgerissen.
– Und nun, lieber Hodges,« fuhr sie fort, »vergeßt nicht und seid hübsch munter drüben. Wer Euch so ansieht, kann unmöglich Arges denken. Laßt Euch nichts weismachen drüben. Sie sind nicht mehr als Ihr seid, obwohl sie gewaltig steif und stolz tun, weil sie reich sind. Und wenn Ihr glücklich davonkommt, und es geht Euch im alten Lande krumm, kommt zu uns. Es soll Euch nicht reuen.«
Die wackere Hinterwäldlerin sah ihm so freundlich ins Gesicht, daß dem Jünglinge der Abschied schwer zu werden begann.
»Nimm an, Junge, was sie dir sagt,« sprach der Squire; »sie hat vieles erlebt und wahrlich in Ehren.«
»Und hier hat Mary an ihren Bruder geschrieben, der drüben bei Mister Parker Aufseher seiner Pflanzung ist. Es kann alle Wege nicht schaden. Du issest ja aber nicht«, bemerkte die Frau. – Der junge Mann warf eilig einige Bissen in den Mund und stand dann auf, um dem ungeduldig wartenden Squire zu folgen. Miß Käthe warf ihm die Wolldecke um, und Miß Mary zog ihm die Handschuhe über die Finger. Er dachte unwillkürlich an Rosa und die Indianerin, bei welchem Vergleiche jedoch die beiden Misses verloren.
»Und nun noch einmal,« sprach sie, »sei munter und guter Laune, und man wird dir›s am Auge ansehen, daß du nicht der bist, für den dich diese Narren halten.«
»Gemach, gemach, altes Weib«, sprach der Squire, seinen Gast zur Türe hinausschiebend, um fernern Komplimenten so schnell als möglich zu entgehen.
Draußen ging es noch immer sehr lebhaft her. Aus den beiden Schenken herüber klangen die schnarrenden Töne der zwei Geigen, und das Lichterschießen war erst recht in Gang gekommen. Der Haufe hielt jedoch inne, als die Pferde herbeigeführt wurden, und die Toms und Sams und Isaaks und Dicks und Bens und Billys kamen auf unsre Reisenden zugestolpert und geschritten, um von ihrem Major zeitweiligen Abschied zu nehmen.
»Und hebt einige von Euern Fips und Levies auf«, schrie ihnen dieser zu, der sich mit seinen zwei Begleitern nur mühsam durch die Menge hindurch ellbognete.
»Hat keine Not,« riefen ihm die lustigen Zecher zu, »›s bleibt im Lande.«
»So sind sie nun«, sprach der Squire, als er mit seinen zwei Begleitern in die Fähre stieg, die sie über den Atchafalaya bringen sollte. »Just als ob ihre Beutel keinen Boden hätten; zäh wie Hickory und rauh wie die Bären, aber treffliche Männer bei alledem. Und rauh, so wie du sie nun siehst, laß ein zehn Jahre vorüber sein, und wenn sie nicht poliert sind, wie irgendein Gentleman, so heiß mich etwas. Solltest sie gesehen haben vor drei Jahren, als ich herabkam vom Coosa in Georgien. Hängen soll ich, wenn sie nicht ärger waren, als die Indianer selbst; aber wachsender Wohlstand hat wunderbar auf sie eingewirkt und sie ihre Wichtigkeit fühlen gelehrt. Wer bei uns nichts hat, ist auch nichts wert. – Und armselig wie ‹s Geld ist, so fordert der Erwerb Fleiß und Betriebsamkeit und viele Tugend – und die ist bei uns im Steigen mit dem Wohlstand und in der alten Welt im Fallen mit der werdenden Armut. Und schau jetzt das Städtchen an mit seinen fünfzehn Häusern!« – Es hatte bloß zwölf, aber unser Squire, obwohl die Wahrheit selbst, hatte die schwache Seite, immer ein wenig zuzugeben, wo nach seiner Meinung die Ehre des Landes im Spiele war. – »Schau›s einmal an und komm in zehn Jahren wieder, und wenn es nicht schon über hundert Häuser zählt, so nenne mich einen Yankee.«
Die drei hatten nun das jenseitige Ufer des Atchafalaya erreicht, wo sie ihre Pferde bestiegen.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Das Upland des linken oder östlichen Mississippiufers erhebt sich schanzenartig, zieht in paralleler Linie mit dem Strome fort und hat auf seinem Scheitel die Hauptstadt des Mississippistaates mit mehreren Städtchen und unzähligen Pflanzungen. Der Strom, nicht länger durch Inseln oder Sandbänke gebrochen, wälzt sich in einem ungeheuern Bette fort, einem überfüllten Troge nicht unähnlich, aus dem er über beide Ufer herab tief ins Land hineinschaut und, gleichsam als verschmähte er jeden neuen Zuwachs, die bedeutenden Wassermassen, die ihm durch den Arkansas und roten Fluß zugeführt wurden, wieder entläßt. Dicht unter dem südlichen Abhang des Hochlandes hat er sich einen jener natürlichen Ausflüsse durchgebrochen, die unter dem Namen Bayous bekannt sind, und einen Teil seiner Gewässer, wenn sie eine gewisse Höhe erreicht, auf Umwegen dem Meerbusen zuführen und so der Versumpfung eines der reichsten und fruchtbarsten Länder der Erde vorbeugen.
Das Ufer sowohl des Hauptstromes, als des Bayou oder natürlichen Abzugskanals, hatte der Schweiß der unglücklichen Rasse, die in diesem Lande wohl zu säen, aber nicht zu ernten bestimmt ist, in einen Kulturzustand versetzt, den man damals jenseits der Alleghanygebirge schwerlich gesucht haben würde, und der, nach der traurigen Nacht der Tausende von Meilen längs dem Ohio und den Mississippiströmen sich erstreckenden Wildnis, dem Auge als eine der lieblichsten Oasen der Zivilisation erschien. Zwar sah man hier nicht jene wechselnden Naturgestaltungen, die im Norden den Reisenden so sehr entzücken, jene Gruppierungen von Felsen und Klüften, von Hügel und Tal, die, wie Licht und Schatten, einer Landschaft erst Charakter geben; aber das Fehlende der nordischen Schönheiten war hier reichlich durch eine Großartigkeit ersetzt, die den Blick des Beschauers ins Unendliche zog. Der Strom war hier bereits über viertausend Meilen geflossen, und das Tal hatte sich Tausende von Meilen beinahe ununterbrochen fortgesenkt, und aus diesem starrten Baumgruppen empor, die über den hundert Fuß hohen Naturwall noch weit heraufragten und in ihrer prachtvollen Farbenmischung die nordische Pflanzenwelt unendlich hinter sich ließen.
Unmittelbar an den schroff emporstarrenden Lehmwall des Hochlandes lehnte ein im Entstehen begriffenes Städtchen, dessen Häuser, beinahe zu bescheiden für die üppige Landschaft, seltsam von den mitunter reizenden Landsitzen abstachen, die aus dem Hintergrunde der zahllosen tropischen Baumgruppen herausschauten. Noch seltsamer erschienen mehrere Gebäude, die am Eingange des Bayou mit jener Hast aufgeführt waren, die immer die Anfänge des amerikanischen Ansiedlers bezeichnet. Es waren allem Anscheine nach große Vorratshäuser, aus Balken und Brettern zusammengezimmert, von denen eines einen Wachtposten vor dem großen Tore hatte. In einiger Entfernung sah man einige kleinere Gebäude, worunter zwei Schenken, deren eine, ziemlich ansehnlich und mit einer Schildwache vor der Türe, auf etwas vornehmere Gäste Anspruch gemacht und den Namen eines Gasthofes, den sie trug, verdient haben dürfte. Der ganze Vordergrund war mit Flocken schmutziger Baumwolle übersäet, die, gleich kotigen Schneeklumpen, hier ebensowenig, wie diese im Norden, geachtet zu werden schienen. Diese Abzeichen reger Tätigkeit gehörten jedoch augenscheinlich einer noch nicht lange vorübergegangenen Zeit an; gegenwärtig herrschte eine traurig düstere Stille in der ganzen Gegend, die nur durch das zeitweilige Rollen zweier Trommeln und das gellende Getöne ebensovieler Pfeifen unterbrochen wurde.
Nach dem Schalle dieser zwei Trommeln und Pfeifen sah man am Ufer des Bayou, gegen das Hochland zu, ein ziemlich zahlreiches Truppenkorps mit jener Langsamkeit und Unbeholfenheit manövrieren, die beim ersten Anblick noch Neulinge in der edlen Taktik verrieten, denen vielleicht das militärische Leben eben nicht sonderlich behagen mochte. Diese Langsamkeit oder Steifheit war vielleicht den Exerzierenden natürlich, nahm jedoch zuweilen den Ausdruck starren Trotzes an, der nur unwillig dem Kommandowort zu gehorchen schien. Nichtsdestoweniger sah man hier nichts mehr von jenem bunten Gemenge, jener ungebändigten Ausgelassenheit, die wir an den Haufen zu Opelousas zu bemerken Gelegenheit fanden; es herrschte hier im Gegenteile ein starrer Ernst und eine gewisse formelle, steife und selbständige Mannszucht. Man sah, daß die Mannschaft, schon seit einiger Zeit eingeteilt, sich die Übungen angelegen sein ließ, obwohl sie sich dabei unbehaglich fühlen mochte. Auch im Äußern unterschied sie sich vorteilhaft von den bunten und meistens in selbstgemachten Stoffen gekleideten Männern des obgenannten Städtchens. Es waren zwischen fünf– und sechshundert Mann, alle wohl, viele elegant gekleidet, die jüngeren Offiziere in reichen Uniformen, die ältern in ihren Zivilröcken und bloß durch Degen, rotseidene Schärpen und Federbüsche von den Milizen unterschieden; die Mehrzahl mit Musketen, einige Kompagnien mit Stutzen oder der sogenannten Rifle bewaffnet. Mehrere Neger mit Wechselpferden hielten im Hintergrunde.
Was jedoch auffiel, war der Ernst und die düstre Stille, mit der alle Bewegungen stattfanden. Ausgenommen die kurzen, beinahe dumpfen Kommandoworte hörte man kaum einen Laut, keinen Tadel; die Offiziere mochten entweder die häufigen Verstöße nicht bemerken, oder sie wurden mit einer Nachsicht aufgenommen, die hier gewissermaßen Schonung zum ersten Gebote zu machen schien. Bloß einige jüngere Offiziere mit knapp anliegenden Uniformen, goldenen Epaulettes und reich verzierten Tschakos ließen einen größern Eifer auch in den häufigen »Verdammt« bemerkbar werden, die aber weder von den ältern, noch von der Mannschaft beachtet wurden.
Zuweilen nach der Ausführung eines Angriffs oder einer Retirade hielt das Bataillon still; mehrere schwarze Männer und Weiber, die im Hintergrunde mit Körben standen, wurden herbeigerufen, und Befehlende und Gehorchende nahmen brüderlich Erfrischungen und stellten sich, nachdem alle abgefertigt waren, wieder in Reih› und Glied, um von vorne anzufangen.
Mannschaft und Offiziere schienen auf das beste miteinander zu harmonieren.
Den Strom herauf war schon seit längerer Zeit ein Dampfschiff sichtbar gewesen, das nun dem Bayou zuruderte, eben als sich das Bataillon in Bewegung setzte, um einen Angriff darzustellen, der es eine ziemlich weite Strecke dem Bayou entlang gegen das am Hochland lehnende Städtchen führte. Da angekommen, hielt es, wandte sich und fing an gegen das Stromufer zu retirieren, wo es sich einige hundert Schritte vom Dampfschiffe in ein Viereck formierte.
Die Entwicklung war ziemlich gut gelungen, wenigstens weit besser, als irgendeine der früheren.
Das Dampfboot war unterdessen in das Bayou eingelaufen, und die Passagiere strömten über die Bretter ans Ufer. Männer, Weiber und Kinder in ungewöhnlicher Anzahl eilten aus dem Schiffe, als ob sie gejagt würden. An den Weibern war eine Ängstlichkeit und Hast zu sehen, an den Männern ein verstörtes Wesen, das einer Flucht nicht unähnlich sah.
Die Milizen hatten schweigend die Herankommenden beobachtet. »General Billow!« sprach einer derselben aus dem Viereck zu einem auf dem Pferde haltenden Offiziere, »diese da scheinen keine fröhliche Märe zu bringen. – Wenn›s Euch beliebt, so wollen wir zuerst hören, was sie bringen.«
Der General sprach einige Worte mit seinen Offizieren und erwiderte dann: »Gewiß, meine Mitbürger, wir wollen für heute ruhen und hören, was unten vorgeht.« Er gab das Entlassungswort, und die Trommeln schlugen die Retraite. Die Stabsoffiziere waren von ihren Pferden gestiegen und hatten sich in eine Gruppe gesammelt, auf welche nun die Mannschaft und mehrere der Gelandeten zukamen. Ein ernster, hoher Mann im braunen Überrock unter diesen, und in einiger Entfernung ein jüngerer in der Kapitänsuniform der Linientruppen. Schon die ersten Begrüßungen der Hergekommenen hatten Bestürzung unter den Milizen hervorgebracht, die nur allmählich Worte zu finden schien und in ein Gemurmel des Unwillens überging, aus dem die Worte »Nieder mit dem Tyrannen!« vernehmbar wurden. Doch hielten sich alle in Schranken und sahen in sehnsuchtsvoller Spannung auf den Mann, dem die sämtlichen Offiziere einige Schritte entgegengetreten waren. Die ausgezeichnete Achtung, mit welcher sie, den General an der Spitze, ihn empfingen, verriet den bedeutenden Rang des Neuangekommenen, der, die dargebotene Hand der Stabsoffiziere schüttelnd, den Willkommensgruß der übrigen mit einer Verbeugung erwiderte.
Er war einige Zeit ohne ein Wort zu sprechen vor dem General gestanden, der ihn hinwiederum bedeutsam ansah und in seiner Miene lesen zu wollen schien, als ihm dieser einige Worte ins Ohr flüsterte, die den General mit allen Symptomen des höchsten Unwillens zurückprallen machten.
Während die inhaltsschweren Worte im Kreise der nicht weniger erschütterten Offiziere herumgingen, war der junge Linienoffizier gleichfalls herangekommen.
»General Billow!« redete er den Milizgeneral mit einer militärischen Begrüßung an.
»Kapitän Percy!« entgegnete dieser.
Ein spitzes Lächeln schwebte noch auf den Lippen des jungen Militärs, das wahrscheinlich der etwas sonderbaren Entlassung des Bataillons galt; doch faßte er sich schnell und übergab dem Militärgeneral ein versiegeltes Paket. Auch mehrere der Offiziere hatten Briefe und Pakete erhalten, deren Inhalt, ihren Mienen nach zu schließen, nicht weniger als angenehm war.
»Kolonel Parker!« sprach der Kapitän zu dem, dem General zunächststehenden Offizier. »Sie haben mich wirklich angenehm überrascht, und ebenso wird es der General sein.«
»Der übrigens nicht sehr erfreut gewesen sein dürfte, soviel ich sehe«, erwiderte der Angesprochene, indem sein Auge über die Depeschen flog.
»Ah, das gibt sich,« versetzte der Kapitän lächelnd; »man wird sie unten schon lenksamer machen.«
»Meinen Sie, Kapitän?« fragte der Oberst. »Ja, ich meine,« versetzte der Linienoffizier, »und dabei dürfte der Dienst nur gewinnen.«
»Und wir verlieren«, erwiderte jener. »Wir sind es so zufrieden, und wenn es unten nicht der Fall ist, so seien Sie versichert, daß auch uns manches nichts weniger als beifallswürdig erscheint.«
Diese Bemerkung hatte eine augenblicklich gespannte, von einem Husten begleitete Pause zur Folge, der sein Entstehen vielleicht weniger einem Lungendefekte, als den zart und wieder schroff auseinander stehenden Verhältnissen des Offiziers der Linientruppen zu dem rangvordern Milizenobersten zu verdanken hatte.
»Gentlemen!« sprach der General, der die Depesche durchgelesen hatte, »der Befehlshaber sendet mir Order, sogleich mit dem Bataillon zu ihm zu stoßen und nicht auf die jenseits des Mississippi zu warten. Ich ersehe,« fuhr er zum Kapitän gewendet fort, »daß der General Sie zum Kommandanten des Depots ernannt und angewiesen hat, die Einübung der nachrückenden Truppen zu besorgen.« Er hielt inne und sprach mit mehreren der Stabs– und Oberoffiziere angelegentlich. Nach einer Weile fuhr er zum Linienoffizier gewendet fort:
»Was den ersten Punkt betrifft, so kann ich für jetzt meinen Entschluß um so weniger kundtun, als dieser von der Meinung meiner wackern Mitbürger abhängt. Sie werden ihn jedoch bis morgen früh hören. Was Ihr Kommando anlangt, so wird Ihnen das Depot übergeben werden, nämlich dreihundert Musketen und fünftausend scharfe Patronen; das übrige ist Eigentum der Counties und der Bürger. Es versteht sich von selbst, daß, wenn Sie hier zur Einübung der Truppen verbleiben, Sie in Ihrer Kategorie als Kapitän Generaladjutantendienste beim allenfallsigen Stabsoffiziere verrichten.«
Das Gesicht des jungen Militärs in ein feines, kaum merkbares Lächeln verzogen, entfärbte sich ein wenig, und seine Lippen kräuselten sich. »General Billow!« brach er endlich aus. »Verstehe ich Sie recht? Sie wollen sich zuerst beraten, ob auch den Befehlen des Kommandierenden Folge zu leisten sei, wenn der Feind zwanzig Meilen von der Hauptstadt steht?«
»Ich hoffe, Kapitän Percy wird die Schranken seiner Aufträge gegenüber einem Offizierkorps nicht vergessen, das freilich nur unter der Sanktion der Staatsverfassung gewählt ist.«
Die letzteren Worte waren in einem Tone ausgesprochen, der zwischen schneidender Ironie und kalter Strenge die Mitte hielt.
»Die übrigens suspendiert ist«, versetzte der Kapitän mit einem sarkastischen Lächeln.
»Wofür der, der sie suspendiert hat, verantwortlich gemacht werden soll«, erwiderte der General trocken.
Der junge Militär zog sich schnell zurück.
Die kurzen Mitteilungen, die wir soeben gegeben haben, fielen in dem scharfen bestimmten Tone, der im höchsten aufgeregte Gemüter verriet, die gerade noch hinlängliche Selbstbeherrschung behalten, um innerhalb der Schranken des hergebrachten Anstandes zu bleiben. Diese Aufregung war allgemein und sichtlich groß. Es entfiel zwar keinem der Umstehenden ein Wort des Lobes oder Tadels; aber auf allen Gesichtern war ein stiller Ingrimm zu lesen, der sich nur in den verschiedenen Gruppen der noch immer umherstehenden Milizen durch ein drohendes Gemurmel Luft machen zu wollen schien. Die Offiziere hatten einen Kreis um den soeben angekommenen Fremden geschlossen und waren in ernster Unterredung eine Weile begriffen, worauf sie mit ihm dem Dampfschiffe zugingen, das er kaum bestiegen hatte, als es seine Fahrt fortsetzte. Die Mannschaft stand noch immer beisammen und besprach sich wechselweise untereinander und mit den Offizieren. Endlich trat einer der Stabsoffiziere, den wir als Obersten nennen gehört, unter die Menge und sprach einige Worte, worauf diese auseinander ging. Das nämliche war das Offizierkorps im Begriffe zu tun, als es durch eine Erscheinung festgehalten wurde, die seine Aufmerksamkeit mehr und mehr zu fesseln begann.
Noch ehe das Bataillon seinen Angriffsmarsch auf das am Hochlande lehnende Städtchen angefangen hatte, waren vom jenseitigen Ufer zwei Boote abgestoßen, von denen das eine anfangs unschlüssig schien, welche Richtung es einschlagen solle. Es hatte sich nach oben und nach unten gewandt, war aber endlich quer über den Strom auf das Bayou zugefahren. Es enthielt Matrosen, ihren blauen Tuch– und roten Flanelljacken nach zu schließen; einige darunter waren jedoch besser gekleidet, und einer hatte durch ein Fernrohr das Ufer des Bayou schon seit einiger Zeit rekognosziert. Erst als die Offiziere sich zum Gehen anschickten, fielen ihnen die sonderbaren Ankömmlinge auf, die, etwa zwölf an der Zahl, herangerudert kamen. Einige hatten Tücher um ihre Köpfe gewunden, andere trugen ihre Arme in Schlingen; mehrere hatten große Pflaster auf ihren Gesichtern. Soviel sich entnehmen ließ, waren sie Ausländer, und zwar, den verzerrten und verstörten, braunen, gelben und schwarzen Gesichtern nach zu urteilen, von einer nichts weniger als achtbaren Klasse. Als wollten sie der Beobachtung entgehen, hatten sie ihre Rücken dem Bayou zugewendet. Der General winkte einem der Offiziere, und dieser trat auf die Ankommenden zu.
Das Boot war dem Ufer nahe; sowie jedoch die verdächtigen Ankömmlinge die Bewegung des Milizenoffiziers bemerkten, schoß es in das Bayou hinein und dieses rasch hinab. Auf einmal hielt es; einer der besser Gekleideten stieg ans Land und trat dem Linienkapitän entgegen, der soeben aus dem Tore des Wachthauses kam. Er reichte diesem mit einer kurzen militärischen Verbeugung ein Papier, verbeugte sich nochmals und eilte wieder zu den im Boote Gebliebenen zurück. Nach einiger Zeit kamen diese das Ufer des Bayou heraufgeklettert und schlugen dann den Weg zum Städtchen ein.
Der Kapitän hatte abwechselnd die sonderbaren Menschen und wieder das Papier angesehen und war dann auf das Offizierkorps zugegangen.
»Was hat es mit diesen Leuten für eine Bewandtnis?« fragte der sichtlich verstimmte General.
Der Kapitän überreichte das Papier. »Lesen Sie, General, kaum kann ich meinen Augen trauen. Eine Sicherheitskarte für Armand, Morceau, Bernardin, Cordon usw., Ansiedler von Nacogdoches, ausgestellt von den mexikanischen Behörden und visiert vom kommandierenden General.«
»Haben Sie nach der Bestimmung dieser Leute gefragt?«
Der Kapitän zuckte die Achseln. »Die Hauptstadt ist ihre Bestimmung, das Weitere, erwiderte mir der Mann, wisse der General en Chef. Wirklich ein höchst verdächtiges Gesindel, und es scheint hier zu Hause zu sein.«
»Ah, Mister Billow und Barrow! Wie geht›s? Herzlich froh, Euch wieder zu sehen. Wohl! Ihr nehmt Euch ja prächtig aus in Euern Federbüschen«, sprach eine derbe, breite, gedehnte Stimme, die unserm Squire Copeland angehörte, der soeben auch mit seinen Gefährten und Pferden vom zweiten Boote gelandet und die letztern einem in der Nähe stehenden Neger übergeben hatte, auf seinem breiträndrigen, vieleckichten Quäkerhute den besagten Federbusch hatte, sonst aber noch ziemlich in der früheren Garderobe stak.
»Gentlemen!« sprach er, halb ernst und halb lachend, »Ihr seht nun Major Copeland vor Euch. Morgen kommt mein Bataillon nach.«
»Willkommen denn, Major!« sprachen der Major und sämtliche Offiziere mit einem Ernste, der die etwas gedehnte Redseligkeit des neuen Waffenbruders ein wenig kürzen zu wollen schien.
»Und diese da«, fuhr der Major fort, der den Wink nicht verstand oder verstehen wollte, »dürftet Ihr vielleicht für meine Adjutanten halten; aber den einen kennt Ihr, es ist Dick Gloom, unser Countyconstable, und der andere, auf den Briten weisend, der ist, ich weiß selbst nicht, was ich sagen soll.«
»Dann will ich Euch darein helfen«, fiel der Brite ein, der über die seltsame Aufführung ungeduldig geworden war. »Ich bin ein Engländer, Midshipman in Seiner Majestät Fregatte ›der Donnerer‹, den Mißgeschick von den Seinigen gerissen hat; ich bitte um schnelle Untersuchung und Berichte an Euer Hauptquartier.«
Der General maß den vorschnellen Sprecher mit einem flüchtigen Blicke und begann dann das ihm vom Squire eingehändigte Protokoll zu übersehen. Nochmals warf er auf den jungen Mann einen Blick und dann übergab er das Papier dem Kapitän. – »Das ist Ihr Departement, Kapitän Percy; leiten Sie das Nötige ein.«
Auch der junge Offizier maß den Jüngling mit einem forschenden Auge und rief, als er gelesen, der Ordonnanz.
»Nehmt diesen jungen Menschen in engen Gewahrsam. Ein Mann mit scharf geladenem Gewehre vor seine Türe! Jeder Zutritt strenge untersagt!«
»Ich weiß wirklich nicht, welcher der Verdächtige ist, dieser sein sollende Spion oder die sonderbaren Gesellen, die uns da vor der Nase Reißaus nehmen«, hob der General nach einer Weile an.
Unser Squire hatte, ohne eine Miene zu verziehen, dem kurzen Verfahren des Linienoffiziers zugesehen. Er wandte sich nun wieder zum General; – »der wäre nun einstweilen aufgehoben«, brummte er ihm zu. – »Aber wie seht Ihr doch aus, General Billow und Kolonel Parker? Ihr seid ja so verstört, – erst jetzt bemerke ich es.«
»Wir haben einige Ursache, Squire«, sprach der erstere. »Ihr seid zu einem harten Strauße wie gerufen gekommen. Ihr werdet hören.«
»Ist›s der unten? Ich habe so etwas drüben munkeln gehört. Ja es wird etwas kosten, den Teufel aus dem herauszutreiben. Wohl, was meine Wildfänge betrifft, mit denen muß er glimpflich umgehen, die sind noch immer halb Roß, halb Alligator, und ein wenig drüber. Haben mir noch gestern da einen Spuk gemacht, just als ich am Frühstück saß, stürzt mir der Haufe aufs Haus los, und bei einem Haar hätten sie›s mitgenommen. Wußte nicht, was das zu bedeuten hat, da kommt aber Joe Drum und Sam Slab und wollen mir den Jungen mit aller Gewalt zum Spion machen. Der schmuckste Bursche, den es geben kann. War schon halb und halb gesonnen, durch die Finger zu sehen, aber als wir da bei Tische saßen, da munkelte er mir etwas von Tokeah, und als die Meinige der weißen Rosa gedachte, Ihr wißt ja, Kolonel Parker, die weiße Rosa, von der ich Euch so oft erzählt, da ward er Euch doch so rot, wie ein wilder Truthahn unterm Schnabel. Dacht› mir, da sieht›s doch nicht so ganz richtig aus, und nimmst ‹n mit. Ihr wißt, der Häuptling Tokeah, der uns vor fünfzehn Jahren so vielen Spuk gemacht.«
»Tokeah, der Häuptling der Oconees?«
»Derselbe«, fuhr der Squire fort. »Ich kam zufälligerweise auf seinen Namen. Da platzte er auf einmal heraus: Tokeah? Ihr kennt ihn?« und als Mistreß Copeland die weiße Rosa nannte, von der ich Euch erzählte —«
»Aber, lieber Major, dieser Umstand ist doch wichtig, und ich vermisse ihn ganz im Protokoll«, sprach der General verweisend.
»Ja, er wird ein Narr sein,« versetzte der redselige Friedensrichter, »und Euch das auftischen. Ich hatte den Kopf so voll, daß ich ihn ersuchte, den Plunder selbst aufzusetzen.«
Die Offiziere sahen sich bedeutsam an. »Fürwahr, Squire,« sprach der General, »Ihr macht Euch Eure Amtsbürde leicht. Wer hat je gehört, einen Spion sein eigenes Protokoll aufsetzen zu lassen, und einen Ausländer, wie konntet Ihr Euch und uns eine solche Blöße geben?«
Der Squire kratzte sich hinter den Ohren: »Verdammt, Ihr habt recht.«
»Ohnehin«, sprach der Kapitän in etwas wegwerfendem Tone, »würde ein gehöriges Protokoll vonnöten gewesen sein, um es mit einer Einbegleitung hinabzusenden. Darf ich bitten, die Zeit zu bestimmen, wann es gefällig, dieses vornehmen zu lassen?«
»In einer halben Stunde«, erwiderte der General, worauf der Kapitän sich mit einer Verbeugung entfernte.
Die Offiziere hatten sich unterdessen dem Gasthause genähert, das in gerader Linie mit den Uferklippen lag, auf welche die verdächtige Truppe zugeeilt war. Sie schien in großer Eile, vor der Ankunft der Offiziere die Höhe des Städtchens zu gewinnen, war aber durch die Langsamkeit einiger, die nur mühsam fort konnten, in den Wendungen des Fahrweges zwischen diese und die Ordonnanz mit dem Gefangenen gekommen. Den letztern hatten die auf ihn Zueilenden starr angesehen; kaum hatte ihn aber der vorderste erblickt, als dieser betroffen plötzlich den Rücken wandte. Der Brite war schnell auf die Seite gesprungen, hatte den Mann scharf ins Auge gefaßt und war im Begriffe, auf ihn loszustürzen, als ihn die Ordonnanz unsanft am Arme ergriff und vorwärts deutete.
»Halt!« sprach der Jüngling, »diesen Menschen kenne ich!«
»Mag sein,« erwiderte die Ordonnanz trocken, »vorwärts!«
»Laßt mich«, rief jener. »Das ist der Seeräuber.«
»Seeräuber?« sprach der Milize, der mit einem Satze den jungen Mann wieder erfaßt hatte. »Wenn Ihr mir nochmals solche Sprünge macht, dann trage ich Euch in Euern Behälter, aber Eure Knochen werden›s noch nach acht Tagen spüren. – Der junge Mensch da sagt,« redete er die herankommenden Offiziere an, »daß der Mann da ein Seeräuber sei.«
»Befolgt die Euch erteilten Befehle«, sprach der General, ohne die zwei eines Blickes zu würdigen.
Der Jüngling wurde ein wenig blaß, und die Ordonnanz schob ihn mit einem nochmaligen rauhen »Vorwärts!« weiter.
»Und Ihr?« wandte sich der Milizgeneral zu den Ausländern.
Es trat einer vor, dessen Gesicht zur Hälfte mit einem schwarzseidenen Tuche verbunden war, während die andere, von einem großen Pflaster bedeckt, bloß ein graues Auge sehen ließ. Der Mann verbeugte sich leicht und selbstgefällig.
»Wie ich sehe,« begann der Geselle, »so habe ich die Ehre, Milizoffiziere vor mir zu sehen, die sich zum Strauße für unten richten. Wenn Sie, wie ich hoffe, morgen abgehen, so werden wir das Vergnügen haben, Ihnen Gesellschaft zu leisten.«
»Sehr gütig«, versetzte der General.
»Nicht blöde«, meinte der Squire.
Der Oberst schwieg.
»Auch wir sind gesonnen,« fuhr der Kamerad im leichten gefälligen Tone fort, »unser Scherflein auf dem Altare des Landes der Freiheit darzubringen, des beglückenden Asyls der Müden und durch Tyrannenwillkür Verfolgten. Wer wird nicht sein Teuerstes wagen für das höchste Erdengut?«
»Ihr seid freigebig mit Euerm Teuersten«, entgegnete der General trocken. »Man wirft nicht leicht etwas weg, das noch einigen Wert hat.«
»Gewiß nicht,« erwiderte der Ausländer, »aber wer da nicht glüht, wenn das Freiheitsfeuer lodert, der ist ein Feiger.«
»Immerhin würdet Ihr besser tun, für Euer eigenes Land zu glühen und uns die Sorge für das unsrige zu überlassen«, sprach der General. »Auf jeden Fall kann Euer Mexiko Eure freiheitsglühenden Seelen besser brauchen.« —
»Wir sind zu stolz, unter Pfaffen zu dienen,« versetzte der Mann, »wir haben unsre Dienste da angeboten, wo Ehre zu ernten ist.«
»Für Euch vielleicht, aber nicht für uns«, erwiderte der General mit sichtlicher Verachtung.
Der Ungesprochene trat stolz zurück.
»Woher kommt es,« fragte nun der General ein wenig schärfer, »daß Ihr, obgleich verwundet, so weit geht, um Euch in einem fremden Dienste neue Wunden zu holen?«
»Ein Haufe Osagen, dem wir begegnet sind, hat diese Wunden teuer bezahlen müssen, übrigens sind wir nicht ganz fremd; schon seit Jahren mit der Hauptstadt in Verbindung, haben wir Produkte von unsern Pflanzungen mit uns, die nachkommen.«
»Und dieser da«, sprach der Oberst, der schon seit längerer Zeit die Abenteurer fixiert hatte, auf die er nun losging, und einen erfassend, diesen trotz alles Sträubens hervorzog. »Ist dieser auch einer, der sein Scherflein auf den Altar des Landes der Freiheit niederzulegen gekommen ist?« Er schlug mit diesen Worten dem Manne seine Mütze vom Kopfe, und mit dieser fiel ihm auch der Verband von der Stirne.
»Bei Jingo! das unser Pompey sein, der Massa John in der Stadt davongesprungen«, kicherte der Schwarze des Obersten, der einige Schritte seitwärts mit den Pferden hielt.
»Pompey Massa nicht kennen, Pompey ein Mexikaner; nichts Massa angehen«, schrie der entlaufene Neger. »Du wirst mich kennen lernen«, sprach der Milizenoberst. »Ordonnanz! nehmt einstweilen diesen Mann da hinüber und legt ihm zur Vorsorge Fuß– und Halseisen an.«
»Ihr bleibt hier«, sprach der General in befehlendem Tone zu dem Manne, der gleichgültig, und ohne im mindesten seine Fassung zu verlieren, dem Ergreifen seines schwarzen Gefährten zugesehen hatte.
»Auf Ihre Gefahr, Herr Offizier«, erwiderte er. »Wir sind angewiesen, schleunigst im Hauptquartier einzutreffen.«
»Der Arzt wird Euch untersuchen, und seid Ihr wirklich verwundet, so mögt Ihr Euch einen zeitweiligen Aufenthaltsort wählen; – wo nicht, so ist das Gefängnis Euere Wohnung.«
»Herr Milizoffizier —«, sprach der Mann stolz.
»Bemüht Euch nicht weiter,« entgegnete der General kalt, »dem Kommandierenden wird Nachricht von Euerm Eintreffen zugesandt werden, das übrige werdet Ihr erfahren.«
Der Marodeur trat näher heran und schien noch etwas auf dem Herzen zu haben; allein der General hatte ihm den Rücken gewendet und ging mit seinen Begleitern dem Gasthofe zu. Ein Zug Milizen, der von dem Wachtposten kam, nahm nun die Bande in Empfang und führte sie in die Wachtstube.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Die Nacht war schon hereingebrochen, als die drei Milizoffiziere mit dem Linienkapitän aus dem Gasthofe zurückkamen und den Weg längs dem Bayou in derselben düstern Stimmung einschlugen, mit der sie diesen betreten hatten. – Eine geraume Zeit waren sie, ohne ein Wort zu sprechen, fortgeschritten. Endlich brach der Squire das Stillschweigen.
»Nun bei allen Mächten! Wenn mir einer das noch vor vierundzwanzig Stunden gesagt hätte, ich würde ihn für einen Wahnsinnigen gehalten haben. Also ist er auch bei uns rege geworden, dieser verfluchte Herrschergeist, und der Narr möchte auch noch gerne in seinen alten Tagen den Tyrannen spielen. Und seine Kentuckier und Tennesseer jubeln hoch auf.«
»Das weiß ich eben nicht; er trinkt zwar gut demokratisch mit ihnen, aber das Weitere sollte ich bezweifeln«, erwiderte der General.
»Also unserer Legislatur gerade bedeutet, sie könnte sich heimscheren, Senat und Assembly, und genierten ihn nur?«
»So etwas.« —
»Und als sie den derben Wink nicht verstehen wollten, so schloß er die Türe des Gouvernementhauses und steckte, wie der alte Rundhut, die Schlüssel zu sich?«
Der General nickte.
»Und der Richter, der den Mister – wie heißt er? – aus dem Loche befreit, mußte selbst hinein?«
»Für das«, entgegnete der Oberst, »wird er auf jeden Fall teuer büßen müssen. In der Hauptsache jedoch mag er leer ausgehen, und das ist›s, was ich fürchte; besonders wenn ihm gelingen sollte, den Angriff auf die Hauptstadt abzuschlagen.«
»Wieso?« fragte der Squire.
»Seht Ihr dieses nicht?« versetzte der Oberst. »Glaubt Ihr, daß der siegestrunkene Haufe länger an seine Verdammung und Bestrafung denken wird, im Falle er einen bedeutenden Vorteil über den Feind erringen sollte; oder daß die Kühlern es wagen werden, ihn zur Rechenschaft zu ziehen und sich dem Geschrei schnöder Undankbarkeit auszusetzen? Leider ist unsere Nationaleitelkeit in diesem Punkte noch so weit zurück, wie die der alten Welt, wo die besten Raufer und legalen Totschläger mit Bändern und Sternen geziert werden. Ein Sieg bei uns wird ebenso törichten Jubel hervorbringen, wie jenseits des Meeres.«
»Nun, im Grunde genommen, Oberst, könnte ich mich selbst freuen und ihm wirklich etwas durch die Finger sehen, wenn er mir die Rotröcke recht durchbläuen wollte.«
»Ja, ja, lieber Squire!« sprach der Oberst, ihm auf die Achsel klopfend, »Ihr seid ein gescheiter Mann und denkt fürs Land so wohl als irgendeiner; aber mit allem Euerm guten Willen würdet Ihr mithelfen, uns noch tiefer in den Schlamm hineinzustauchen! und warum? weil eine Saite Eures Patriotismus berührt ist, die unter allen gerade die schwächste ist.«
»Aber zum Teufel,« fiel ihm der Squire ein, »wir können doch nicht selbst wünschen oder helfen wollen, daß wir Schläge bekommen, und die Feinde uns die Häuser über dem Kopf anzünden und mit unsern Weibern und Töchtern – – das wäre ja über die Yankees, die haben sich wenigstens auf gute Art aus dem Staube gemacht.« —
»Und wer will das?« versetzte der Oberst. »Was mich betrifft, so steht mein Entschluß fest. Mein Besitztum ist mir so wert, als es irgendeinem sein kann, denn ich bin selbst dessen Schöpfer. Aber eher wollte ich, daß der Feind das Ganze in Flammen auflodern ließe, als ein Jota meines Rechtes verkümmert wissen. Ich habe den Staat aufziehen geholfen und will meinen Kindern ein freies Erbteil hinterlassen. Wir sind«, fuhr er mit Nachdruck fort, »hier zusammengekommen, um die angedrohte Besitznahme unseres Landes dem Feinde zu wehren, aber nicht, um uns unsere angeborenen Rechte entrissen zu sehen und, während wir einen Feind verjagen, uns selbst durch einen tollern eine unheilbare Wunde beibringen zu lassen, der vergißt, was er sich selbst und seinem Lande schuldig ist und wegen ein paar tausend elender Briten den Kopf verliert.«
»Das Land wird Ihre Anstrengungen ehren,« erwiderte der Kapitän mit verbissenem Grimme, »aber glauben Sie mir, daß noch etwas mehr vonnöten ist, um mit sechstausend Milizen fünfzehn– bis zwanzigtausend der besten Truppen der alten Welt zurückzuschlagen. Selbst bei dem raschesten Zusammenwirken können wir kaum hoffen, den Sieg zu erringen.«
»Sechstausend Männer, Kapitän,« erwiderte der General, »müssen Sie sagen, die für Herd, Heimat und ihre Freiheit fechten. Ich kenne diesen Geist. Er ist unüberwindlich; aber beugen muß man ihn nicht wollen, nicht dem Stolze des Feindes durch eine Tat schmeicheln wollen, die Verachtung verdient; – es ist politischer Selbstmord, was er getan hat.«
»Es ist«, fiel ihm der Oberst ein, »Aufhebung aller gesetzlichen Autorität, Vereinigung aller Gewalt in einer Person, eine Diktatur in der Tat, und so wenig sie in seiner Hand gefährlich ist, so kann sie dies in einer zweiten, geschicktern und kühnern werden.«
»Das sehe ich wieder nicht«, fiel der Squire ein. »Wenn er heute den Feind von der Hauptstadt weggejagt, so treten morgen die Autoritäten wieder in ihre Wirksamkeit ein.
»Wer zweifelt daran?« entgegnete ihm der Oberst. »Aber verdient das auch noch den Namen Autorität, das nur besteht, wenn keine Gefahr da ist, und, sowie diese sich zeigt, suspendiert wird, der Willkür weicht? Zeigt ein solches Benehmen nicht offenbar, daß wir unsre freie Verfassung selbst nicht für zureichend in Tagen der Gefahr erkennen, wenn das Erscheinen von fünfzehn– oder zwanzigtausend Fremden hinreicht, sie aufzuheben? Es ist dieses ein Schlag, unserem Nationalgefühle versetzt, den nichts entschuldigen kann, der eine tödliche Eiterung zurücklassen und Vorbild in künftigen Fällen werden kann.«
»Aber er hat nun die Vollmachten von der Bundesregierung«, entgegnete der Kapitän.
»Das alte Weib in der Bundesstadt schreibt und schwatzt Staatsrecht trotz einem,« versetzte der Squire; »wenn es aber darauf und daran kommt, so ist er Hamiltonianer über den alten John und verliert den Kopf, wie er ihn hinter Baltimore verloren hat. Ihr habt recht, Oberst, dieser Diktatur müssen wir ein Ende machen, und wir gehen zusammen.«
»Und wenn der Feind den General angreift und überwältigt?« fragte der Kapitän.
»So wird er geschlagen«, versetzte der Oberst trocken.
»Kolonel Parker!« fiel der Squire ein. »Da geht Ihr wieder zu weit. Das wäre noch ärger als die Hartford-Konventionisten. Ich möchte nicht gerne für einen Landesverräter gehalten werden.«
»Noch wir«, erwiderte der Oberst. »Darum ist meine Meinung die, die Beschlüsse abzufassen, die Eurigen abzuwarten, ihnen diese vorzulegen und dann hinabzugehen. Zwei Tage sind für dieses hinreichend. Übrigens, Squire, seid Ihr ein freier Mann, und handelt wie Ihr wollt. Was mich betrifft, so steht, wie gesagt, mein Entschluß fest, und ich hoffe, meine Mitbürger werden diesen billigen.«
»Aber Sie bedenken doch,« fiel hier der Kapitän ein, »daß hier von keiner Verletzung der Rechte der Bürger die Rede ist, sondern bloß von einer zeitweiligen Zentralität, um die gemeinsamen Kräfte desto wirksamer gegen den Feind in Anwendung zu bringen?«
»Das ist ja eben der Punkt, um den es sich handelt«, versetzten die drei Offiziere.
»Und das böse Beispiel, das diese Opposition zu einer Zeit geben muß, wo der Feind vor der Hauptstadt steht. Sie nehmen eine furchtbare Verantwortlichkeit auf sich.«
»Man sieht wohl, Kapitän,« sprach der Squire, »daß Sie in der Linie stehen. Was meine Männer betrifft, so ist keiner, der sich nicht heute mitten unter die Feinde stürzen würde, aber nicht zehn unter den fünfhundert, die mit Ihrem Generale, nach dem, was er getan, vor die Türe gingen. Nur wenn das Gesetz und die Gesetzlichkeit hergestellt ist, werden sie dies tun.«
»Ja,« sprach der General, der im tiefen Nachdenken fortgeschritten war, »es ist zu unserer und des Landes Beruhigung vonnöten, daß wir seinen Gewaltstreich entkräften, der uns und den Unsrigen notwendig das Vertrauen auf uns selbst benehmen muß.«
Es war bei aller scheinbaren Mäßigung und dem hohen Anstande der Sprechenden eine gewisse Heftigkeit und Bitterkeit des Gefühls zu bemerken, der man es ansah, daß es Mühe kostete, den verbissenen Ingrimm zurückzuhalten. Der junge Linienoffizier besonders hatte kaum das Überströmen seiner Empfindlichkeit verbergen können. Er verbeugte sich nun rasch und war im Begriffe sich zu entfernen.
»Sie scheinen bewegt, Kapitän Percy,« sprach der Oberst, »was ist es?«
»Was es ist, Oberst? und Sie fragen, im Augenblicke, wo Sie auf dem Punkte stehen, eine Opposition gegen den General zu organisieren, die uns dem Feinde in die Hände liefern oder den General zwingen muß, seine Drohung zu verwirklichen?«
»Drohung!« fiel der General ein. »Ich habe gehört von dieser kategorisch sein sollenden Erklärung; er würde die Hartford-Konventionisten gehängt haben, wäre er zugegen gewesen. Und wenn er statt seiner dreitausend Kentuckier zehntausend hätte, so wird uns dieses kein Haar breit von dem Wege unserer erkannten Rechte bringen. Verlassen Sie sich darauf, Kapitän, wir werden die seinigen genau prüfen, ihm als Abgeordneten des Kabinetts, als höchster Autorität, Gehorsam leisten, wie es die Konstitution fordert; ihm als Männer widerstehen, wo er sie übertritt; ihn verdammen in dem, worin er bereits gefehlt hat. Dies wollen wir heute, unbekümmert um seine Drohungen, als Männer tun, und als solche wollen wir ihn in die Schranken der Gesetzlichkeit zurückführen und seinen Trotz beugen.«
»Ja, das wollen wir,« sprach der Oberst; »und nun, lieber Kapitän, wenn Sie mit uns kommen wollen, um eine kleine Stärkung zu nehmen, so sind Sie willkommen. Wir werden sie wahrlich brauchen.«
Der Kapitän verbeugte sich jedoch stumm und wandte sich. —
»Ein vortrefflicher junger Mann,« bemerkte der Oberst, »er hat sich unvergleichlich wacker gehalten; aber zwei Jahre Dienst in der Linie haben ihm den Kopf so verrückt, daß er für seinen Chef und seinen Korpsgeist das ganze Land auf die Degenspitze setzen würde.« —
»Für einen künftigen Schwiegersohn wäre er mir jedoch zu britisch-militärisch«, entgegnete der Squire.
»Das gefällt wieder den Mädchen,« versetzte der etwas betroffene Oberst; »übrigens tut er seine Pflicht und spricht als gebundener Mann. Ein wenig zu viel schadet nicht, wo wir die Mittel haben, die allzu üppigen Auswüchse zu beschneiden.«
Die drei Offiziere waren nun gegenüber einem Landhause angekommen, dessen hellbeleuchtete Fenster durch das Gebüsch herüberschimmerten. Sie stiegen in ein Boot, das ihrer harrte, und landeten am jenseitigen Ufer, um einige Erfrischungen zu nehmen und dann ruhig und gelassen zu einer Zusammenkunft zu gehen, die in einem andern Lande vielleicht Ströme Bluts gekostet oder den Umsturz der Ordnung der Dinge zur Folge gehabt haben dürfte; denn nichts Geringeres bezweckte diese Zusammenkunft, als einen von der obersten exekutiven Behörde der Nation beinahe mit souveräner Vollmacht bekleideten General nicht nur in seine Schranken zurückzuweisen, sondern sein Betragen auch da, wo er diese übertreten, im Angesichte dieser Nation zu verdammen; und dies in einem Zeitpunkte, wo der Feind soeben mit einer bedeutenden Heeresmacht ins Land gedrungen war. So bewundernswürdig ist jedoch der Geist dieses Landes, und so stark tritt die Verstandeskraft in der ewigen Reibung und Übung hervor, daß selbst die drohendsten Gefahren diesen öffentlichen Geist weder irremachen, noch von dem richtigen Gesichtspunkte ablenken können. Langsam und bedächtig, alles erwägend und ermessend, tritt er hervor, nun anscheinend kalt und herzlos, gleich dem Zeiger einer Uhr langweilig fortkriechend, und wieder als ein heftiges Gewirre brütender Leidenschaft und gehässiger Selbstsucht; aber eben aus diesem Treiben ersteht das harmonische Resultat, das Millionen aneinander knüpft, weil in dem Zungen– und Federkampfe alle Interessen und Meinungen verschmolzen sind. Darin liegt er, dieser wahre Geist des Freiheitslebens, daß sich die beste sowie die schlimmste Natur unumwunden im Meinungskampfe dartun mag, sich ausspricht und abspiegelt; denn das Böseste verliert sein Gift, wenn es erkannt und gewürdigt ist, und das rein Vernünftige allein ersteht und wird zum belebenden Prinzip«.
Es ist schwierig, dieses republikanische Leben, das schwierigste, das es gibt; denn zart ist die Grenzlinie des Rechtes, und leicht ist sie überschritten, wenn nicht die Millionen mißtrauisch wachen. Darum ist es nur bei einem Volke möglich, wo die Verstandeskraft die höchste Stufe erreicht, wo selbst positiver Widerstand gegen den Machthaber noch die Grenzlinie seiner Pflicht, erkennt, und so, ohne in Verwirrung und Anarchie auszuarten, seine Rechte behauptet oder die verlorenen wiedererobert.
Der Kapitän hatte einen langen sehnsüchtigen Blick über das Boyou hinüber auf die hellerleuchteten Fenster geworfen und war dann dem Gasthofe zugeeilt, aus dem er mit den drei Offizieren gekommen. Bei seinem Eintritte befahl er der Ordonnanz, den gefangenen Briten und drei der Ausländer vor ihn zu bringen; dann schritt er seinem Zimmer zu, in dem ein Mann in der Uniform eines Sergeanten der Linientruppen an einem Tische schrieb. Diesem bedeutete er, sich für einige Zeit zu entfernen, und warf sich dann gedankenvoll in einen Sessel. – Nach einer Weile trat der junge Brite in Begleitung eines bewaffneten Milizen in das Zimmer.
»James Hodges«, sprach der Kapitän, mit freundlicher Stimme, während sein Auge forschend auf dem etwas niedergeschlagenen Jünglinge ruhte. »Ich habe, ehe ich das Protokoll schließe, um es an den kommandierenden General abzusenden, Sie noch um einige Punkte zu fragen. Geben Sie mir aufrichtige, wahre Antworten.«
»Seien Sie versichert, Kapitän, daß kein unwahres Wort je über meine Zunge gekommen.«
»Sie sagen, Sie seien vom Seeräuber von Barataria aufgehoben worden?«
»So ist es, und wenn Sie sich bemühen wollen, in unserem Hauptquartier nachzuforschen, werden Sie die Wahrheit meiner Aussage bestätigt hören. Um dieses bitte ich dringend.«
»Sie haben«, fuhr der Kapitän fort, »bei Ihrem Verhör in Gegenwart des Generals und der beiden Stabsoffiziere etwas fallen lassen, daß der Seeräuber unter den angekommenen Ausländern ist?«
»So ist es, ich habe ihn gesehen und war auf ihn zugeeilt, als mich der Milize zurückhielt.«
»Haben Sie ihn erkannt?«
»Nicht im Gesichte, das vermummt war, aber seine Haltung, sein Gang, seine Gestalt sind mir unauslöschlich eingedrückt.«
Es traten in diesem Augenblicke drei Männer in das Zimmer, von denen der mittlere im Gesichte vermummt, ein anderer den einen Arm in der Schlinge trug, und der dritte ein schöner, junger, olivenfarbiger Jüngling war, dessen Gesichtszüge und blitzend schwarze Augen den Mexikaner deutlich verrieten. Sie traten unbefangen vor den Kapitän, der sie artig grüßte.
»Erkennen Sie einen dieser drei Männer?« fragte der Kapitän.
»Dieser da ist es,« erwiderte der Gefangene, auf den mittleren zutretend, »das ist der sogenannte Seeräuber von Barataria.«
Der Beschuldigte war kalt und gleichmütig dagestanden.
»Was will dieser junge Mensch?« fragte er den Kapitän.
»Ihr habt es gehört«; erwiderte dieser, den Mann scharf fixierend.
»So habe ich, und ich weiß nicht, soll ich mich mehr über die Unverschämtheit des jungen Menschen ärgern oder über seine Tollheit lachen.«
»Kapitän,« rief der Gefangene, »ich versichere Sie auf meine Ehre, ich schwöre es Ihnen, dies ist der Seeräuber.«
»Vielleicht, junger Mensch, habt Ihr das Handwerk getrieben. Wenn Ihr noch drei Tage hier seid, so werdet Ihr unsre Produkte nachkommen sehen, die Euch beweisen sollen, daß wir diejenigen sind, wofür wir uns ausgeben.«
Der Kapitän warf einen scharfen Blick auf den Gefangenen, der abwechselnd leichenblaß und glühendrot wurde.
»Ich will ihn beschreiben«, rief er. »Ich bin überzeugt, ich täusche mich nicht.«
»Wenn der junge Mensch mich meint,« fuhr der Verwundete zu dem Kapitän gewendet fort, »so will ich aus Achtung für Sie, Kapitän, und um Ihnen allen Argwohn zu benehmen, meinen Verband ablösen.« Er riß das Tuch vom Kopfe und zeigte eine breite Kopfwunde, die von der Stirne über die Wange herablief und, obgleich vom Pflaster bedeckt, eine gefährliche Tiefe wahrnehmen ließ, die augenscheinlich den Hieb eines Tomahawk verriet. »Soll ich«, sprach er zum Offizier, »auch den Verband ablösen?«
»Nein«, erwiderte der Kapitän. »Bindet Euer Tuch über den Kopf. – Kennen Sie keinen der übrigen?« wandte er sich zum Gefangenen.
Dieser sah die beiden andern aufmerksam an. »Eine dunkle Erinnerung,« sprach er mit stockender Stimme, aber nichts weiter; »es scheint mir, ich habe auch diesen Mann gesehen.«
»Das mag sein«, erwiderte der Bezeichnete. »Wir sind von Nacogdoches; diese Briefe, an mehrere Häuser in der Hauptstadt, werden es ausweisen, und wie Senor Marceau gesagt hat, so kommen unsere Produkte nach.«
»Kapitän!« sprach der erste. »Wir halten es nicht für nötig, einen so ausgezeichneten, im Militärdienste der ersten Republik der Welt stehenden Offizier darauf aufmerksam zu machen, daß das Betragen dieses jungen Menschen, der wahrscheinlich eigene Schuld durch ein gräßliches Ansinnen zu bemänteln gedenkt, äußerst sonderbar ist. Wir sind Untertanen von Mexiko und erbitten uns, wenn etwas gegen uns vorgebracht wird, als einzige Gnade, schnell hinab vor den Kommandeur en Chef gebracht zu werden. Ein Milizoffizier hat uns anhalten und untersuchen lassen; auch scheint er uns hier eine Art Arrest auferlegt zu haben.«
»So hat General Billow befohlen,« sprach der Kapitän, »und Ihr verhaltet Euch ruhig, bis der Befehl von unten kommt.«
»Und wann erwarten Sie diesen?«
»In achtundvierzig Stunden. – Nun tretet ab.«
Der Kapitän warf einen etwas weniger freundlichen Blick auf den Jüngling, der, von innerem Kampfe bewegt, vor ihm stand. Nach einer Weile sprach er:
»James Hodges, oder wie Ihr immer heißen möget. Euere Aussagen tragen das Gepräge eines Charakters, der für Eure Jugend viel Verdorbenheit beweist.«
»Kapitän, ich beschwöre Sie, diese Männer genauer untersuchen zu lassen. Ich bin gewiß; ich habe mich nicht geirrt. Schon ihr Äußeres verbürgt die Wahrheit meiner Aussage.«
»Man wird oft irre am Äußern«, erwiderte der Kapitän mit einem scharfen Blicke, der den Gefangenen mißtrauisch maß. – »Andere Zwangsmittel zu gebrauchen, gestatten unsere Gesetze nicht. Ich hätte Euch gerne helfen wollen, und bloß Rücksicht für Eure Jugend, der ich so viele Verdorbenheit nicht zugetraut, hat mich dazu veranlaßt. Übrigens habe ich Euch zu bedeuten, daß Ihr auf das Schlimmste gefaßt sein müßt.«
»Ich bin auf alles gefaßt, bitte jedoch, wenn übrigens ein Brite hier auf Gunst hoffen darf, meinen Fall schleunigst im englischen Hauptquartier anzuzeigen; die Wahrheit wird dann ohne Zweifel ausgemittelt werden.«
»Es ist nicht dieses allein, James Hodges«, erwiderte der Kapitän. »Der zweite Punkt ist wichtiger. Wie kommt Ihr zu Eurer Verkleidung? Wie seid Ihr mit Tokeah bekannt geworden? Kann Euer Hauptquartier auch darüber Auskunft geben?«
Der Jüngling stand von einer fieberischen Glut übergossen da. Seine Lippen zuckten. »Ich kann nicht, darf nicht sprechen. Ich habe mein Ehrenwort gegeben.«
»Ihr gebt vor, Militär zu sein, und wisset nicht, daß in Euerm Falle selbst das Ehrenwort des achtungswertesten Mannes nicht angenommen werden könnte? – Junger Mann,« schloß der Kapitän; »Ihr treibet ein gefährliches Spiel, da wo es im Ernst genommen wird. Ich kann nur berichten; aber die Folgen kommen schnell, und diese habt Ihr Euch allein zuzuschreiben. Unsere Ehre fordert eine rasche und strenge Gerechtigkeit.«
»Und Sie könnten?« – stockte der Jüngling mit unwillkürlichem Schauder.
»Nicht wir, – das Gesetz,« erwiderte der Kapitän, »dieses verdammt, und wenn Ihr Eures Königs Sohn wäret, so würde es Euch verdammen, und wir haben die Macht und den Willen, dieser Verdammung Vollstreckung zu geben.« Er winkte nun dem jungen Mann seine Entlassung zu, und dieser entfernte sich langsam.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Die drei Mexikaner waren langsamen Schrittes dem Städtchen oder vielmehr den fünfzehn Häuschen zugegangen, die von einer Klasse Menschen bewohnt waren, die nicht ganz unschicklich Raubvögeln verglichen werden dürften, die, von der Nähe eines fischreichen Flusses oder Sees angezogen, im leichtfertigen Spiele der Wogen eines ebenso leichtfertigen als bequemen Fraßes sich erfreuen. Es waren, ohne Ausnahme, ausländische Abenteurer, Wirte, Krämer und Handwerker, die sich hier eingenistet hatten, um im Verkehr mit Bootsleuten und Negersklaven eines gemächlichen, wenngleich nicht sehr ehrenvollen Erwerbes zu pflegen, und allenfalls bei den umliegenden Pflanzern als Handwerksleute oder Tagelöhner auszuhelfen. Fünf Schilder, die vor den Häusern aufgestellt waren, bezeichneten die Schenkstuben, in deren einer die drei Mexikaner einkehrten und ihre Plätze in einer dunkeln Ecke hinter einem Tische nahmen, der mit Bouteillen und Gläsern bepflanzt war und so verriet, daß sie diesen Posten schon zuvor inne hatten.
Nach den Mundarten zu schließen, die in der Wirtsstube zu hören waren, sollte man geglaubt haben, daß alle Nationen der Erde Bevollmächtigte hierher gesandt hätten, um in ihren Volkssprachen ihre Verstandeskräfte vermittelst der verschiedenen Getränke aufzuhellen. Nur vor dem Feuerplatze hielt eine abgesonderte Gruppe, die nichts mit den Söhnen des Unglücks und Jammers gemein hatte, die ein günstiges oder ungünstiges Schicksal hier zusammengetrieben. Ihre Füße auf dem Kaminbalken ruhend oder kreuzweis ineinander geflochten, so daß einer stets das Knie des Sitzenden berührte, bildeten die Herren des Landes ihre Lieblings-, die sogenannte Jampartie, von der nur zuweilen einer oder der andere sich absonderte, um eine Zigarre anzustecken oder sich eine Dosis Grog oder Toddy geben zu lassen, die er hinabschüttete und dann durch einen Biß in die Virginierpflanze würzte, an der er, gleich gewissen vierfüßigen Geschöpfen, wiederkäute. Die scharfen Blicke, die sie über die dreißig anwesenden Gäste hingleiten ließen, verrieten übrigens, daß, obwohl anscheinend gleichgültig, ihnen keine Bewegung dieser entging.
»Und er hat die sechs Milizen erschießen lassen?« sprach einer, der soeben vom Schenktische zurückgekehrt war.
»Es soll herzzerreißend gewesen sein; besonders ein gewisser Marks soll gar nicht daran gewollt haben. Die Offiziere mußten ihm Mut einsprechen.«
»Ja, Mut einsprechen«, erwiderte ein dritter; »soll sie – – verdammen.«
»Weil die armen Tröpfe glaubten, daß ihre Dienstzeit aus sei, und nach Hause kehrten, so mußten sie nun erschossen werden.«
»Vergeßt nicht, Bob!« fiel der zweite ein, »daß sie wohl wußten, was sie taten, daß ihnen ihre Milizendienstzeit und Pflicht einzeln verlesen ward, und daß sie für sechs Monate den Eid geleistet und den Ihrigen den Sold zugeschickt.«
»Ja, so ist›s«, versicherte ein vierter. »Sie waren schon auf dem Heimwege, wurden aber zurückgebracht und vor ihren Särgen kniend erschossen; der arme Dick soll jämmerlich gebeten haben.«
»Das waren doch verketzerte Narren«, entgegnete der dritte. »Hatten sie keine Kugeln?«
»Die hätten weit fliegen müssen,« erwiderte ein fünfter; »der alte Tyrann sitzt unten, und die waren drüben in Mobile. Aber sie sind auf alle Fälle nach dem Gesetze gerichtet worden, und haben es sich selbst zuzuschreiben.«
»Ei, ich glaube,« meinte der dritte, »der macht›s mit dem Gesetze auch, wie unsre Bären mit unsern Säuen; die lieben die kleinen mehr als die großen, weil sie zarter sind und weniger beißen.«
»Das nicht, der Richter ist doch ein ziemlich großer«, versetzte ihm ein sechster.
»Ja, der dreht ihm aber den Hals um«, versicherte der erste. »Hätte er nicht seine Tennesseer, die ihm wie Kletten anhängen, so würde er es wohl haben bleiben lassen; aber diesen hat er im Kriege gegen die Creeks das neue Jahr abgewonnen. Wohl, werden ihn doch noch Mores lehren, ehe wir hinabziehen.«
»Wollt›, es wäre vorüber«, meinte ein siebenter. »Glaubt mir›s, Männer, kommt nichts heraus mit dem Militärwesen, alles verwildert, und Gesindel kommt uns wie Heuschrecken übern Hals und ins Land.«
Der Blick des Sprechers fiel auf eine Gruppe, die zunächst saß, und deren gebräunte, dürre Gesichter Franzosen verrieten.
»Ich glaube,« hob der erste wieder an, »die Versammlung wird allmählich beisammen sein. Es ist Zeit, daß wir gehen.«
Die sieben Männer waren von ihren Sesseln aufgestanden und schickten sich an, die Wirtsstube zu verlassen, als einer der Franzosen mit verbundenem Kopfe an den Amerikaner herantrat und, ihm ein Glas entgegenhaltend, ein zweites ergriff.
» Plaît-il, Monsieur, gefällig?« fragte der muntre Franzose. » Vive la gloire et la, liberté! Es lebe Ehre und Freiheit!«
Der Amerikaner maß noch den kastanienbraunen, ziemlich widrig aussehenden Gesellen, als es von der hintersten Ecke, wo die drei Männer saßen, » Badaud« herüberrief.
Das Männchen blickte erschrocken hin und zog sich einen Schritt zurück.
» Callate! Schweigt!« rief ein zweiter aus den dreien. » Carraco! zum Geier!« ein dritter, und das Männchen setzte sich schnell auf seinen Sitz. » Mais cependant nous sommes dans un pays libre, aber wir sind doch in einem freien Lande«, brummte er.
» El Gojo! Der Hund!« rief der erste wieder.
Die Amerikaner wandten sich befremdend von den dreien und verließen dann die Wirtsstube.
Diese saßen scheinbar unbekümmert bei ihren Gläsern. – Nur zuweilen waren in ihrem Geflüster einige Worte vernehmlicher geworden.
» Et c’est lui, das ist er«, sprach der dritte, der Mexikaner.
» Oui«, erwiderten beide.
» Et comment vient-il donc? Wie kommt er hierher?« fragte er.
»Ah comment vient-il – ce bougre, il est partout; il nous a, trahi deux fois. Nun freilich! Dieser Schuft ist überall, zweimal hat er uns schon verraten.«
Der Verbundene hatte schweigend dagesessen.
Die spanischen und französischen Exklamationen hatten die Aufmerksamkeit von vier etwas weniger verdächtigen Individuen auf sich gezogen, die zunächst der Türe saßen und bei einer Bouteille Claret sich gleichfalls ihres Daseins freuten.
»Wissen Sie nicht, Herr Merks, wer diese Herren sind?« fragte ein etwas aufgedunsener Mann im bescheidenen grauen Rock, mit großen blauen Augen, in denen sich etwas vom Krämergeiste spiegelte, seinen Nachbar, auf dessen hohlen Wangen Irrfahrten und trübe, jammervolle Schicksale in Menge zu lesen waren und der allenfalls ein Hausierer sein mochte.
»Kann nicht dienen, Herr Gieb«, versetzte der höfliche Deutsche zu seinem nicht minder höflichen Landsmanne.
»Haben Sie aber bemerkt, meine Herren,« fing ein dritter an, dessen rote Gesichtsfarbe und volle Backen einen Bäcker bezeichneten, »wie der Amerikaner den Herrn angesehen hat, der ihm sein Glas anbot? Sind doch recht stolz, diese Amerikaner.«
»Ja! ja, die sind noch viel stolzer als die Engländer, Herr Prenzlau«, versetzte ein vierter.
»Die brüsten sich gar gewaltig mit ihrer Freiheit. Je nun, sie sind die Herren im Lande!«
»Ja, ja, Herr Stock,« meinte der jammervolle Herr Merks, »Hochmut kommt vorm Fall.«
»Herren im Lande! Saubre Herrschaft! Hat auch am längsten gedauert.« —
»Und so glauben Sie, Herr Merks,« fragte, Herr Stock, dessen etwas eleganterer Anzug einen Kleiderkünstler vermuten ließ, »daß es unten nicht ganz richtig aussieht?« Er begleitete seine Frage mit einem pfiffig sein sollenden Blinzeln.
»Gedanken sind zollfrei, Herr Stock«, entgegnete Herr Merks.
»Ei was Gedanken!« fiel der Herr Prenzlau ein. »Wir sind ja in einem freien Lande, Herr Merks.«
»Ja, Herr Prenzlau! Hört der Herr,« versetzte Herr Merks, »es ist auch noch nicht aller Tage Abend geworden. Hätten Sie gesehen, was ich gesehen habe, wie sie alle arbeiten müssen an den Schanzen, alt und jung, schwarz und weiß, und die schönsten Damen kommen in Karossen mit Essen und Trinken.«
»Ja, ja! aber die Zeitungen sagen ja, Herr Merks, daß sie das alles freiwillig tun, und daß selbst Ausländer nicht an die Werke dürfen, und die Stadt hat ja keine Schanzen?«
»Ach! da haben sie so einen Graben aufgeworfen, Herr Prenzlau, und mit Baumwollballen etwas zusammengeflickt. Verstehen ja gar nichts vom Kriegswesen. Nur schade um die schöne Baumwolle. Fünfzehntausend Ballen! Herrje! Aber die Engländer werden ihnen schon einheizen. Das sind ganz andere Leute, die haben›s den Franzosen in Spanien gewiesen.«
»Ja, und was die Hauptsache ist, meine Herren,« meinte Herr Gieb, »diese Herren Engländer haben Geld; die brachten doch etwas ins Land.« —
»Nun an Geld fehlt›s hier auch nicht, Herr Gieb«, versetzte Herr Prenzlau. – »Und bei den Herren Engländern ist auch nicht alles Gold, was glänzt; aber an Ordnung fehlt›s.« —
»Aber Sie sagen ja, meine Herren,« nahm wieder Herr Gieb das Wort, »daß der unten sie so grausam hernimmt. Selbst an einem obersten Richter soll er sich vergriffen haben.«
»Glauben Sie›s ja nicht, Herr Gieb«, entgegnete Herr Merks. »Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus. Ja die Fremden, die mustern sie und beobachten sie, aber untereinander hängen sie zusammen wie die Kletten. Wird keine Ordnung, bis nicht ein König kommt.«
»Ja, Ordnung ist die Hauptsache«, meinte Herr Prenzlau. »Ja, bei uns zu Hause, da sieht›s ganz anders aus. Hier haben sie ja nicht einmal eine türkische Musik. Ein Offizier hat einen runden Hut, der andere einen dreieckigen. Und haben Sie, meine Herren, ihr Exerzieren gesehen? Unsre Rekruten treffen›s ja besser. Und von Handgriffen verstehen sie schon einmal gar nichts. Hab›s ja mit meinen Augen gesehen, wie der General vor der Wache vorbeigegangen, und wie ihm diese, statt zu präsentieren, von ihrem Kautabak angeboten hat.«
»Ja, ja,« versicherte Herr Gieb, »hier fehlt›s an der Zucht, an der Gesittung schon in der Jugend, meine Herren. Hier behandeln sie ja ihre Kinder schon wie Männer. Schlagen Sie einmal einem solchen Buben eins hinters Ohr, und sehen Sie zu, ob Sie nicht vor den Squire zitiert werden und schwere Strafe bezahlen müssen? Hab›s einmal in meinem Leben getan; will›s nimmermehr probieren. Da liegt aber der Fehler, meine Herren. Ja bei uns, da werden wir geledert aus dem Effeff, das ist aber›s Wahre; um jeden Hieb schade, der daneben geht.«
»Ja, ja, Herr Gieb«; meinten die drei guten Deutschen.
»Ja, ja, meine Herren!« fuhr der durch den Beifall seiner Landsleute etwas aufgemunterte Herr Gieb fort. »Unsern Dicken sollten sie haben, der würde ihnen bald ‹s neue Jahr abgewinnen.«
»Hören Sie einmal, Herr Gieb,« versetzte Herr Prenzlau, »Ihren Dicken würden sie bald expedieren. Auf stutzigen Pferden ist schlecht reiten; würden ihn über die Achseln ansehen, und er müßte sich›s noch zu einer Ehre rechnen, wenn sie ihm die Hand reichten. Bin ja dabei gestanden, wie sie, ohne den Hut zu rücken, mit dem Gouverneur sprachen; kaum daß sie ihm sagten: › Kut morning, saehr koverner Guten Morgen, Herr Gouverneur.‹ Ja, um die zu zeitigen, da gehört ein Mann dazu, der Autorität hat; der Unsrige würde sie Mores lehren.«
»Vergeben Sie, Herr Prenzlau,« fiel ihm Herr Merks ein, »da haben Sie aber unrecht; sie sagen nicht Saehr koverner, sie sagen immer nur Saehr.«
»Ja, sie mögen sagen, wie sie wollen«, meinte Herr Prenzlau, der ein wenig unwillig über die Zurechtweisung des Hausierers geworden war und deshalb ihn Herrn zu titulieren vergessen hatte. »Ihr Dicker —«
»Ja,« fiel ihm Herr Gieb beschwichtigend ein, »aber was sind das auch für Koverner, Herr Prenzlau. Schaun ja nicht besser aus, als wie unsereiner. Wo soll denn da der Respekt herkommen? Das muß geboren werden; ‹s liegt schon im Blute. Herrje, wenn ich so an den Unsrigen denke, wie alles gezittert. Es ist einem gewissermaßen, schauerlich geworden, wenn man ‹n angesehen; und nun gar, wenn er aus der Ecke herübergerufen; hören Sie, bis zur Hauptwache hat man ihn gehört. Es war nicht anders wie vor einem brüllenden Löwen, so hat alles gezittert.«
»Ja, Herr Gieb,« entgegnete Herr Prenzlau, »da könnte ich Ihnen etwas anderes sagen. Der Unsrige – ja – und dann der liebe junge Prinz! Ach Herrje! Wenn Sie ihn so gesehen hätten! Wie ein junger Herrgott, freundlich lächelnd und, die Reitpeitsche in der Hand, mit den Herrn Offizieren schäkernd; und die Hüte alle ab, wer immer ihn nur sieht; und er so mir nichts dir nichts, ganz gemein und doch so hoch; – ja, wer sich für den nicht mit tausend Freuden totschießen läßt, der muß ja gar kein Deutscher sein.«
Die guten Deutschen wurden in ihren Herzensergießungen über die Herrlichkeiten ihres, und das Elend unsers heillosen Landes, dem es so ganz an aller Hoheit ermangelt, durch einen in die Stube tretenden Milizsergeanten unterbrochen, dessen Uniform und flittergoldene Epauletten den Herrn Prenzlau mit seinen drei Landsmännern plötzlich von ihren Sesseln aufprallen und zugleich mit den Händen nach ihren Kappen und Mützen fahren machten. Des Herrn Prenzlau schärferes Auge hatte jedoch die flittergoldenen Epauletten am ersten bemerkt, und, sich setzend, ermahnte er, ein gleiches zu tun. »Setzen Sie sich doch, meine Herrn,« sprach er, »und behalten Sie auf. Wir sind ja in einem freien Lande, und das ist ja nur ein Sergeant, der Ihnen nichts zu befehlen hat.«
Des Herrn Prenzlau treu gemeinte Vorstellung hatte die etwas erschrockenen guten Deutschen wieder beruhigt; der scharfe und musternde Blick des Sergeanten schien ihnen jedoch alle Lust zu fernern politischen Debatten benommen zu haben, und sie tranken nun still und ruhig ihre Gläser aus, worauf sie sich, unter oftmals wiederholten Wünschen »einer guten, geruhsamen Nacht« trennten.
Mit dem Sergeanten, der die Mexikaner und Franzosen nach der Reihe angesehen und abgezählt hatte, verloren sich auch die übrigen Gäste, und mit diesen schien plötzlich den olivenfarbigen Wirt die frohe Stimmung verlassen zu wollen, die ihn bisher in der Bedienung seiner Kunden so rührig gemacht hatte. Es fing in ihm zu zucken an, und eine gewisse Unsicherheit und Verlegenheit war an ihm wahrzunehmen. Er verließ die Stube, eilte zur Haustüre, sah sich forschend um – kehrte langsam zurück, und sein Blick, sowie er in die dunkle Ecke fiel, wurde zusehends verstörter. Auf einmal erschallte es aus dieser »Benito!« Der Mann schrak zusammen und rüttelte sich, als ob ihn ein Fieberschauer ergriffen hätte. Als wäre er von einer unsichtbaren, feindlichen Macht getrieben, schwankte er dem Tische zu.
»Benito!« sprach der mit dem verbundenen Kopfe. »Kennst du mich nicht mehr?«
»Wollte die heilige Jungfrau! Ich hätte Euch nie gekannt. Seid Ihr es oder ist›s Euer Geist?«
»Beides«, erwiderte der Vermummte und brach dann in ein lautes, widerliches Gelächter aus, in das alle einstimmten, den Wirt ausgenommen, der mit jedem Augenblicke unruhiger zu werden anfing.
»Setze dich, Benito! habe dir etwas zu sagen.«
»Still! kein Wort. Dies ist hier nicht mein Name.«
»Ich glaube, du hast so viele Namen, wie wir Flaggen, nur mit dem Unterschiede, daß wir die unsrigen öfters aufziehen, du aber die deinen für immer ablegst. Bist doch ein wahrer Hasenfuß.«
»Was wollt Ihr mit mir? Hat Euch der Böse auch hierhergebracht? Ist man vor Euch nirgends sicher?« »So hat er, und zugleich hat er mir eine kleine Sendung mit auf den Weg für dich gegeben.«
Der Wirt zuckte wie Espenlaub zusammen. »Bedenkt, ich habe Weib und Kind und bin ehrlich geworden.«
Alle schlugen ein lautes Gelächter auf.
»Wer nimmt dir deine Ehrlichkeit, Narr!« fuhr der Verbundene fort. »Nur einen kleinen Freundschaftsdienst mußt du uns erweisen.«
»Sucht Euch einen andern.«
»Wenn wir das wollten, so wären wir nicht zu dir gekommen. Ich will dich nicht länger auf die Folter spannen, armer Wicht.«
»Was soll ich wieder?«
»Narr! nichts. Nur unsern armen Doktor Pompey aus dem Loch befreien. Er ist mit uns gekommen und, von seinem vormaligen Herrn erkannt, im Gebäude mit dem Wachtposten logiert worden.«
»Seid Ihr rasend?« winselte der Wirt. »Ihr wollt einen Neger aus der Baumwollenpresse herausholen, wenn, nicht dreihundert Schritte davon, im Gasthause eine Versammlung abgehalten wird, wo über fünfhundert Bürger beisammen sind?«
»Was zu tun ist, wirst du am besten wissen. Nur so viel sage ich dir, daß wenn der Neger noch morgen früh hier ist, er uns und dich in seiner Dummheit verrät, und du uns folglich bei der großen Trauung Gesellschaft leisten mußt.«
Der Mann krümmte sich wie ein Wurm. »Habt Barmherzigkeit mit mir, einem verheirateten Mann, der Weib und Kind hat.«
»Ist sie jung?« fragte der Verbundene.
»Beim heiligen Jakob!« fuhr der Spanier giftig heraus, »wenn Ihr mir da zu nahe kommt – – —«
»Halt›s Maul, Hasenfuß! – haben andere Dinge im Kopfe, als deine Seespinne von Weib zu amüsieren, wenn›s die ist, die ich gesehen. Verdammter Narr! Wer wird sie dir nehmen?«
Der Wirt lief in der Stube wie ein Rasender hemm.
»Bist doch ein erbärmlicher Wicht, Benito! Haben dich die zwei Jahre unter den Republikanern so zum Hasenfuß gemacht?«
»Lacht nur,« sprach Benito; »aber wenn man einmal den Satan abgestreift und Weib und Kind hat und von allen Seiten beobachtet wird! Wenn sie das mindeste spüren, so bin ich auf immer ruiniert. Man muß hier ehrlich sein.«
»Genug des Geschwätzes,« sprach der Verbundene; »kein Wort weiter.«
»So muß ich denn?«
»Glaubst du, ich scherze oder sei des Spaßes wegen gekommen? – Fort mit dir!«
Der arme Benito fuhr schaudernd zusammen und zog sich ächzend zurück und durch die Türe hinaus, aus der ihm ein höllisches Hohngelächter nachhallte. Es war schon spät in der Nacht, als er, in einen Mantel gehüllt und ein Bündel in der Hand, wiederkam.
»Wenn die Regulären in der Kottonpresse sind, dann kann ich absolut nichts tun«, sprach er in einem Tone, dem man es ansah, daß er sich Gewalt antat, entschlossen zu scheinen.
Der Vermummte trank sein Glas aus, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
»Es sind ihrer zwei mit einem Sergeanten und Leutnant da, die die Milizen einexerzieren.«
Der Verbundene schwieg noch immer.
»Ich sag› es Euch nochmals,« fuhr der Wirt fort, – »ich will es versuchen; aber nur auf den Fall, als diese sich entfernen. Und wer wird mich begleiten, und was wollt Ihr mit dem Neger?«
»Ihn über den Mississippi bringen, wo er auf dem Wege, den wir von Nacogdoches kamen, wieder zurück muß.«
»Um der heiligen Jungfrau willen! Was denkt Ihr? Ihr wollt über den Mississippi? Ihr seid nicht in drei Stunden zurück. Und wenn die Milizen aus der Versammlung zurückkehren? Es schlafen ihrer vier oben in der Stube neben Euch.«
Der Vermummte schenkte sich wieder ein und trank, ohne aufzublicken.
»Ihr kommt nicht von Nacogdoches,« fuhr Benito fort, »Ihr habt Arges mit dem armen Neger vor; dazu will ich mich bestimmt nicht hergeben.«
»Höre, Benito,« sprach nun der Vermummte, »ich habe dein Geschwätz satt; du kennst mich. Ich gebe dir vier unserer besten Männer mit; sie sind verwundet, werden aber den Neger über den Strom schaffen.«
»Und Ihr bleibt zurück?« brummte der Wirt.
»Narr, um deiner Frau die Cour zu machen. Glaubst du, man denk› an solche Lappalien, wenn einem der Tomahawk einen Zoll tief im Kopfe gesessen?«
Benito schlich jedoch zur Seitentür und zog den Schlüssel ab. »So kommt in Teufels Namen!« sprach er. Es sind doppelte Wachen des Spions halber aufgestellt; es wird schwer halten. Heiliger Jakob, steh› uns bei! Seid Ihr auch sicher, daß er unten in der Kottonpresse ist?«
»Wir haben ihn alle dahin abführen gesehen«, erwiderte der Vermummte. »Benito, nimm dich zusammen. Ich gebe dir meine besten Freunde mit. Wenn du einen dummen Streich machst, so sind wir und du verloren.«
»Teufel!« murmelte Benito. »Warum laßt Ihr mich nicht in Ruhe! Unser Kontrakt ist zu Ende!«
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Es war Mitternacht, als die fünf Spanier und Mexikaner das Haus mit einer leichten Leiter verließen. Der dichte Nebel, der über dem Strome gleich einem endlosen Grabtuche schwamm, stieg bereits über die Ufer hin und zog sich wie eine ungeheure Rauchwolke flach über die Niederung her, durch die der Morgenwind in einzelnen Stößen zu pfeifen begann, und der sich nun die fünf nächtlichen Abenteurer behutsam auf dem längs des Ufergebirges hinabschlängelnden Wege näherten. Vor dem Gasthause stand eine zahlreiche Gruppe, die, an der Türe und an den hellerleuchteten Fenstern zusammengepreßt, in tiefer Stille den Rednern im Saale zuhorchte.
Einer der Mexikaner hatte sich an die Versammlung herangeschlichen, während die übrigen dem Ufer des Bayou zugetappt waren, wo ein zweiter an den Wasserrand hinabkroch, und nachdem er eines der Boote vom Pfosten gelöst, dieses leise dem Hauptstrome zuzog. Seine Schuhe in der Rocktasche und sorgsam auf die schimmernden Baumwollflocken tretend, hatte sich auch der Spanier vom Gasthause seinen Genossen zugestohlen, die, die Augen starr auf den Wache stehenden Milizen gerichtet, ohne sich zu regen, dagestanden waren.
Eine gute Viertelstunde mochte verflossen sein, als dieser abgelöst wurde, worauf ein Pikett von drei Mann auf den Gasthof zuschritt und, mit der daselbst abgelösten Wache zurückkehrend, die Runde gegen den Mississippi zu machte, von der es wieder zum Wachtposten zurückkehrte.
Dieser befand sich in einem ziemlich großen Gebäude, das, einem Kornboden oder einer großen Scheune nicht unähnlich, mit Brettern überkleidet war, von denen mehrere losgerissen, im Windstoße schnarrend und knarrend hin und her schwankten.
»Alles ruhig, Tom«, sprach der Führer des Piketts, als er von der Runde zurückgekehrt war.
»Hört doch einmal!« erwiderte die Wache, »was ist doch das für ein Geknarre?«
»Der Windstoß, der vom Balize heraufkommt,« erwiderte der Führer; »diese Musik werdet Ihr noch öfter hören.«
»Hol der Henker diese Musik und Euer Militärleben«, erwiderte der Milize mit einem verächtlichen Blicke auf das Bajonett, das an seiner Seite hing. »Müssen da Wache stehen, während die drüben das größte Meeting halten, das je gewesen ist.«
»Es muß nun einmal sein,« tröstete ihn der Führer, »in vier Wochen ist alles vorüber; die Reglars können doch nicht immer Wache stehen; haben sich heute genug abgezappelt. Und was im Meeting geschieht, werden wir auch hören.«
»Ei, wollte das Ganze wäre schon vorüber; stehen da wie die Narren, um die Kottonpresse zu bewachen. Eine saubere Christnacht!«
»Ei, Johnny,« sprach ein aus dem Hause kommender Milize, »wollte, du sprängest hinüber in die Taverne und brächtest uns Nachrichten, was sie drüben tun und ließest den Krug da füllen.«
»Mike! Mike! könnt Ihr denn die Stunde nicht aushalten und habt doch die Wache vor der Tür des Spions, und Leutnant Broom ist drüben beim Kapitän und hat befohlen, ein wachsames Auge auf den Gefangenen zu haben.«
»Ja, den wird Euch niemand stehlen; für den ist das Hanfkraut schon gedreht,« versetzte Mike; »hätte auch seine Reglars herstellen können, braucht sie nicht alle auf seiner Stube.«
»Er muß doch hören,« versetzte der Führer lachend, »wie weit wir›s in der Zucht gebracht, um auch rapportieren zu können. Was aber den Spion anbetrifft, so wollte ich nicht, daß der uns entginge. Es wird die allerloyalsten Subjekte seiner britischen Majestät ganz herrlich wurmen, wenn wieder einmal einer ihrer Gebrüder bei uns mit der Hanfbraut getraut wird.«
»Eben deswegen wird ‹n Euch niemand davontragen«, versetzte der wachunlustige Mike.
Die fünf Mexikaner stahlen sich nun behutsam hinter das Gebäude, von woher nach einer Weile ein scharfer Luftzug und dann wieder ein lautes Knarren und ein Rumpeln, wie das eines an der Bretterwand herabgleitenden schweren Körpers gehört wurde.
»Müssen doch sehen, was das ist«, sprach der Führer, der mit einem Milizen, die Laterne in der Hand, hinter das Gebäude ging. Die losgerissenen Bretter schwankten immer stärker.
»Da liegt es«, sprach er. »Ein ganzes Brett; der Wind ist doch nicht so stark.«
»Ja, hier unten,« entgegnete sein Begleiter, »aber da droben haust er. Es ist in gleicher Höhe mit dem Mississippi und hört nur, wie der braust.«
»Schau doch einmal hinein zum Spion«, sprach der Führer.
Der Milize ging in das Innere des Gebäudes und kam mit der Nachricht zurück, daß er gesund schlafe. »Möchte doch gerne wissen,« meinte er, »wer den eigentlich trauen wird; den Scherif geht er nichts an, er ist kein Bürger.«
»So glaubt Ihr, der Scherif ist bloß für uns«, lachte der andere. »Wenn nun ein Ausländer im County gehangen wird, muß es der Scherif nicht auch tun?«
»Habt recht«, versetzte der Milize. »Wollte, er hätte alle die zwanzigtausend seiner Landsleute unterm Kragen, wären wir doch der Sorgen los.«
Er begleitete seinen Einfall mit einem lauten Lachen, während welchem das Knarren der Bretter stärker denn je gehört wurde.
»Hört Ihr das?« sprach Johnny, der soeben mit einem Kruge Whisky zurückkam. »Da hinten haust es, als ob der Orkan vom Balize heraufkäme.«
»Haben schon gesehen, hat nichts zu bedeuten. Habt Ihr etwas vom Meeting gehört?«
»Prächtige Nachrichten,« versetzte Johnny, »Oberst Parker spricht wie ein Gott, und der alte Floyd wie ein Engel. Kommt, Ihr sollt Eure Wunder hören.«
Und mit diesen Worten schritten alle der Wachtstube zu. Der Wachestehende hatte sein Gewehr unmutig auf die Erde gestoßen und sah eine Weile durch das Fenster in die Stube hinein; dann lehnte er dieses auf den Querpfosten und trat gleichfalls ein, um seinen Anteil an den Neuigkeiten von dem Meeting und vielleicht auch vom Kruge – nicht zu verlieren.
Gleich darauf hörte man wieder ein langes Knarren, ein Rasseln und dann einen scharfen Luftzug, aus dem Fußtritte zu vernehmen waren, die schnell dem Mississippiufer zusprangen.
» Carraco! zum Geier!« zischte eine Stimme den Ankommenden entgegen. »Wo bleibt Ihr so lange?«
» A vencer o a morir, siegen oder sterben«, wisperte ein anderer mit unterdrücktem Gelächter. »Wir haben ihn.«
»Wohl, so kommt.«
Zu den fünf Mexikanern oder Spaniern, die sich hinter der Kottonpresse verloren hatten, war ein sechster gekommen, die alle, mit Ausnahme zweier, über das Ufer dem Boote zukrochen, das am Einflusse des Mississippi hielt. In demselben Augenblicke wurde ein zweites Boot sichtbar, das leise von dem Bayou herauf gegen den Strom zu kam.
» Que diablo! der Teufel!« murmelte die Bande, »was ist das?«
Das Boot hatte sich genähert, und es war ein Mann darin bemerkbar. » Que es este, was gibt’s«, wisperten die Mexikaner wieder, und einer derselben sprang rasch hinüber in das fremde Fahrzeug, aus dem dumpfes Kettengerassel zu vernehmen war.
Der Mexikaner stierte dem unwillkommenen Ankömmling ins Gesicht.
»Ah Massa Miguel! Pompey nicht im Jail bleiben; Pompey nicht die Ninetail lieben«, grinste ihm der Neger entgegen.
» Que diablo! zum Teufel!« murmelte der Mexikaner, »da ist Pompey! Wen habt Ihr da? Wir sind sieben statt sechs. Was hat das zu bedeuten?«
» Diablo! Teufel!«
» Carraco! zum Geier!«
»Santo Jago!« zischten die Mexikaner zusammen. »Wer bist du?« murmelten sie, indem sie auf den soeben mit ihnen angekommenen und, wie es schien, überflüssigen siebenten zusprangen.
»Nichts spanisch, altenglisch«, erwiderte dieser.
» Santa Vierge! Heilige Jungfrau! Wie kommst du hierher?«
»Das müßt Ihr wissen, die Ihr mich hierhergebracht.«
Die sechse prallten zurück und wisperten miteinander in spanischer Sprache. »Komm denn!« sprach einer.
»Keinen Schritt, ehe ich weiß, wer Ihr seid und wohin es geht?«
»Narr! Wer wir sind, geht dich wenig an. Wohin es geht? Wo immer es hingeht, ist›s besser für deinen Kragen, als wo du bist; hier gebe ich dir keinen Real dafür.«
» Dejalo! Dejalo! umbringen!« murmelten die übrigen. »Laßt ihn! Laßt ihn!«
»Macht, daß Ihr fort und wieder zurückkommt,« zischte ihnen der Wirt zu, »oder Ihr seid verloren. Und wenn Ihr unten Unrat merkt, so vergeßt nicht die obere Landung.«
»Halt!« flüsterte der Brite, »ich gehe mit Euch.«
Der Neger war bereits in das Boot der Mexikaner hinübergesprungen und hatte das seinige mit dem seiner Rasse eigenen Leichtsinn den Wellen überlassen.
»Engländer!« murmelte einer der Mexikaner, »hier sitzest du!« indem er ihm seinen Platz im Vorderteile des Fahrzeuges neben dem jungen Mexikaner anwies.
»Und Pompey kommt in die Mitte und nun frisch auf.«
»Halt!« flüsterte der Brite, »können wir uns nicht in die zwei Boote teilen?«
»Ah Massa, nicht über den Sippi gerudert,« kicherte der arbeitsscheue Neger; »Massa nicht in sechs Stunden drüben sein und bei Point Coupé ans Land kommen.«
»Hush, Pompey!« murmelte sein Nachbar, und das Boot, von sechs Händen bewegt, flog nun schnell in den Strom hinein.
»Ah Massa Manuel zuerst Pompey seine Ketten abfeilen lassen,« brummte der Neger, »Pompey im obern Gefängnis sein – klug gewesen,« lachte er in sich hinein, »eine Feile mitgenommen und sich selbst geholfen – Massa Parker schauen, wenn Pompey ausgeflogen.«
»Halt›s Maul, Doktor,« befahl eine Stimme von hinten, »und warte mit deinen Ketten, bis du drüben bist.«
Der Neger schüttelte unwillig den Kopf. »Massa Filippo auch nicht gerne im Halsbande sein« – brummte er, steckte jedoch seine Feile wieder ein, und während er mit der einen Hand das Ruder handhabte, ergriff er mit der andern die Kette, die, vom Fuß bis zum Halseisen laufend, in der Nähe des letztern abgefeilt war. Dieses Halseisen bestand aus einem fingerdicken, beinahe zwei Zoll breiten Ringe, der um den Hals lief und aus dem drei lange, daumendicke, auseinanderstehende Haken über den Kopf hinausragten. Die lange Kette hatte er mit einer Art kindischer Verwunderung abwechselnd in der Hand gewogen und wieder angestiert, dann warf er sie in das Boot hinab, das nun rasch der Mitte zuflog.
»Arme Lolli, traurig sein,« hob er nach einer Weile wieder an, »wenn Pompey nicht in die Stadt hinab kommen, sie in St. John wohnen, unter der Kathedrale.«
»Pompey!« rief der vorne neben dem Briten sitzende Mexikaner, »deine Ketten und Fußeisen liegen mir just auf den Knöcheln.«
»Bleib ruhig, Pompey,« zischelte ihm sein Nachbar in die Ohren, »ich will sie zurückziehen.«
»Ah Massa armen Pompey nicht gut tun«, rief dieser seinem Nebenmanne zu, der die Ketten um beide Füße des Negers herumgewunden und sie nun mit einem plötzlichen Rucke so scharf anzog, daß dem Schwarzen das Ruder entsank und er rücklings ins Boot stürzte.
Der junge Brite war aufmerksam geworden. »Was gibt es? Was treibt Ihr mit dem armen Neger?«
»Massa, um Gottes willen mit dem armen Pompey nicht so spaßen«, stöhnte der Neger dazwischen.
»Nichts, Pompey, vergiß nur nicht den Weg zur Rechten nach Nacogdoches«, erwiderte der Hintermann.
»Um Gottes willen, Massa, nicht würgen«, stöhnte der Sklave dringlicher.
»Nichts, nichts; denk› an deine dicke Lolli hinter der Kathedrale und vergiß den Weg nach Nacogdoches nicht«, tröstete ihn der Hintensitzende, der die Ketten von seinem Vordermanne erfaßt, diese durch das Halseisen durchgezogen und so den armen Neger in einen Knäuel zusammengeschnürt hatte.
»Massa-Mass-Ma!« stöhnte der Neger, dem der Atem zu vergehen anfing.
Das Ganze war das Werk eines Augenblickes gewesen; nur das Gestöhn und Schlucken des im Todeskampfe röchelnden Negers war zwischen dem Rauschen der Wogen und den Ruderschlägen hörbar gewesen.
»Alle Teufel!« rief der Brite, sich umsehend, »was ist das?«
Im nämlichen Augenblicke hob sich das Brettchen, auf dem er saß, und er fühlte sich mit aller Gewalt von seinem Nebenmanne gestoßen, der ihn mittelst des überschlagenden Brettes beinahe in den Strom gestürzt hätte.
»Ihr seid wirklich Mörder!« rief der schaudernde Brite, der gerade noch so viel Zeit übrig hatte, sich schnell zu drehen und seinen Nachbar anzufassen. Dieser hatte sich ein wenig erhoben, um das Brett unter seinem Sitze zurückzuschieben und umzuschlagen, war aber in seiner schwankenden Stellung, vom Faustschlage des Briten getroffen, über die Bootswand in den Strom hinabgestürzt.
» Buen viaje a los infiernos, glückliche Reise in die Hölle«, brüllten die Hintensitzenden mit einem höllischen Gelächter.
» Go to hell yourselves, schert euch selber in die Hölle«, schrie der Brite, der das Ruder erfaßt hatte und dem hinter ihm Sitzenden einen Hieb versetzte, der ihn an die Seite des Negers rücklings stürzte.
» Santa Vierge! Que es este? Heilige Jungfrau, was gibt’s?« riefen die beiden Hintersten.
» Este Inglese, der Engländer«, brüllte einer und suchte vorzudringen, fiel jedoch über die zwei Liegenden ins Boot hin, das durch den rasenden Kampf gewaltig zu schwanken begann.
»Ma-Ma«, stöhnte der Neger nochmals, und seine Augen, im furchtbaren Todeskampfe, funkelten wie gräßliche Irrlichter in der stockfinstern Nacht und traten aus ihren Höhlen, und die krampfartig lallende Zunge fing an aus dem Munde zu fallen.
»Beim lebendigen Gott! ich stürze euch alle in den Strom, wenn ihr den armen Neger nicht befreit«, schrie der Brite.
» Maledito Inglese! verfluchter Engländer!«
» Picarjo Gojo! niederträchtiger Hund!«
» Dejalo! Dejalo! Santa Vierge! Umbringen, umbringen! Heilige Jungfrau!« schrien die drei Mexikaner untereinander, während der Brite einen verzweiflungsvollen Hieb auf den gegen ihn Zukommenden führte, der ihn brüllend ins Boot zurückstürzte.
» Dejalo! Dejalo! Umbringen! Este diablo, dieser Teufel«, riefen die beiden Mexikaner, und einer schob ihm den armen Neger zu.
»Steht zurück!« schrie er, »und nehmt ihm das Halseisen ab. Wenn ihr ihn erwürgt, so sterbt ihr alle.«
» Este diablo! dieser Teufel!« schrie der Mexikaner, der den in einem Klumpen gefesselten Neger hinschob und ihm die Kette aus dem Halseisen riß.
Die Glieder des armen Sklaven fielen wie Stücke Holz auseinander. Nur ein leises Röcheln verkündete, daß der Lebensfunke noch nicht ganz von ihm gewichen war.
»Steht zurück!« schrie der Brite wieder, der, zum Schwarzen herabkauernd, es nun versuchte, ihn durch Reiben mit der Wolldecke, ins Leben zurückzurufen.
Das Boot war, im Kampfe auf Leben und Tod dem Spiele der Wogen überlassen, schnell vom Strom fortgerissen worden und schwankte nun mitten unter den ungeheuern Baumstämmen, die dieser zu Tausenden mit sich führt. Die Mexikaner hatten sich aufgerichtet und fingen an aus Leibeskräften stromaufwärts zu rudern. – Nicht ferne von dem gebrechlichen Fahrzeuge, auf dem unter der Nebelschichte erglänzenden Wasserspiegel, war ein kolossaler Baumstamm zu sehen, der geradezu auf das Boot kam. Der Brite hatte kaum Zeit gehabt, den Mexikanern zuzurufen, als der Baumstamm an ihnen vorbeischoß. Ein unnatürlicher Laut schlug zugleich an ihre Ohren. Schaudernd wandte sich der Jüngling, und er sah noch einen Kopf und eine Hand, die um einen der Äste des Baumes geschlungen war. » Misericordia! Erbarmen!« stöhnte es, » Misericordia per Dio! Erbarmen um Gottes willen!« Es war der Mexikaner, der nahe dem Baumstamme in den Strom gestürzt, sich an diesen gerettet und angeklammert hatte.
»Wendet das Boot!« rief er den Mexikanern zu, »euer Landsmann ist noch am Leben.«
» Es verdad| Ist’s wirklich!« kreischten die Mordgenossen und wandten das Boot stromabwärts.
Der Neger war allmählich zu sich gekommen und kauerte nun zu den Füßen seines Retters. Auch er stierte in den Wasserspiegel auf den Elenden hin.
»Um Gottes willen, Massa!« kreischte er, das Ruder des Briten ergreifend, »das Miguel sein, Massa ihn totschlagen; Miguel sehr böse.«
»Laß das sein, Pompey!« rief ihm dieser zu, der aus Leibeskräften anlegte, um dem Mexikaner beizustehen. Das Boot schwamm dicht neben dem Baumstamme, und der Mexikaner hatte gerade noch so viele Kraft übrig, um seine Hand herüberzustrecken, die der Jüngling erfaßte.
»Um Gottes willen, Massa! die Seeräuber uns beide totmachen«, rief der Neger.
Der Mexikaner hatte die Hand des Jünglings im Todeskampfe erfaßt, während einer der Hintensitzenden an ihn herangekrochen war. In diesem Augenblicke erhielt das Boot einen furchtbaren Stoß, eine Welle schlug hinein und warf den Mexikaner an die Bootswand, über welcher er nur mit halbem Leibe mehr tot als lebendig lag.
»Fasse den Mexikaner!« rief der Brite dem Neger zu.
»Ah, Pompey kein Narr sein – Pompey Massa zu lieb haben. Die hinten nicht rudern; – Schau Massa, die nur warten, Massa totzumachen.« »Hört ihr!« sprach der Brite zu den Mexikanern, indem er dem Nächsten einen Stoß mit dem Ruder versetzte – »der erste, der einen Ruderschlag ausläßt – ihr versteht mich!«
Das Boot schwankte auf dem ungeheuern Wasserspiegel inmitten der Baumstämme, jeden Augenblick bedroht, von einem derselben zerschellt oder vom Strome verschlungen zu werden; die Mexikaner lauerten in stiller verbissener Wut; tückische Mordlust grinste aus ihren schwarzen, rollenden Augen; der Neger hatte den Strick des Bootes um den Leib des Mexikaners herumgeschlungen, der, » Misericordia!« stöhnend, beide Hände an das Boot geklammert, wie ein Gespenst nachfolgte.
»Ah, Massa! Miguel ein guter Schwimmer sein, die Taufe ihm nicht schaden. Massa«, brummte der nie ruhende Schwarze nach einer Weile, »Massa nicht vergessen, sein Ruder mitzunehmen.«
»Und Pompey nicht vergessen, das seinige ein wenig fleißiger zu handhaben«, entgegnete ihm dieser.
Der Neger fuhr eine Weile kräftig in der ihm aufgegebenen Richtung fort, dann stierte er den Jüngling an, der bedenklich über den Wasserspiegel hinhorchte.
»Ah, Massa nicht sorgen, die Milizen gut schlafen, der Sippi nur lärmen. Pompey wissen die Wege, Massa Parker ihn nicht kriegen.«
Wieder verfloß eine Viertelstunde, die Kräfte der Rudernden fingen an von der stundenlangen Anstrengung zu ermatten.
»Massa nun bald die Ufer sehen. Wir schon im stehenden Wasser«, rief der Neger.
Noch dauerte es eine Viertelstunde, und dann erblickten sie das Ufer; der Brite sprang aus dem Boote, und der mit seinen Ketten belastete Neger kroch ihm nach, als die drei Mexikaner zugleich an beide herankamen.
»Vergeßt euer Boot nicht«, rief er ihnen drohend entgegen. Statt der Antwort schwirrte ein Dolch herüber, der, mit sicherer Hand geworfen, ihm an die Brust fuhr, aber am Lederwamse der Indianerin hängen blieb. ‹
»Elende Meuchelmörder!« schrie der Getroffene, der die flache Hälfte seines Ruders abgebrochen und mit der andern auf die Banditen losstürzen wollte, sich aber aus Leibeskräften vom Neger erfaßt sah.
»Massa kein Narre sein, die Seeräuber noch mehr Dolche haben, gerne sehen, wenn Massa nahe kommen, ihn dann leicht totmachen.«
»Du hast recht, Pompey«, versetzte dieser, halb lachend, halb ärgerlich über den zähnefletschenden Neger. »Die Hunde sind nicht wert, daß ein ehrlicher Mann sie totschlägt.«
Eine Weile hielten die drei Mordgesellen noch an, brüllten dann ein » Buen viaje a los infiernos! glückliche Reise in die Hölle!« herüber und sprangen in ihr Boot, in das sie ihrem Genossen halfen, und verschwanden in Nacht und Nebel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Die vier Mordgesellen hatten soeben ihr Boot verlassen, das, in den Strom zurückgestoßen, mit den Wellen fortschoß, und waren oberhalb des Bayou dem Städtchen zugeschlichen, als ein plötzliches Gemurmel vor dem Wachthause entstand, das sie einen Augenblick horchen und dann mit der Eile flüchtiger Diebe ihrem Verstecke, der Schenke zum Kaisergardisten, zueilen machte.
Ein Mann war atemlos aus dem Wachthause auf den Gasthof zugerannt, in dem das Meeting gehalten wurde, hatte sich durch die vor dem Hause und im Gange an der Türe zusammengepreßte Menge hindurchgedrängt und war in das Zimmer des Kapitäns gestürzt.
»Sergeant William! Was gibt es?« fragte dieser.
»Der Spion ist entwischt.«
Dem Offizier entfuhr jenes Kernwort, das nach der Meinung des witzigen Figaro die Quintessenz der englischen Sprache enthüllt und, von einem kräftigen Munde ausgesprochen, die Beine so flink in Bewegung setzt. Rasch seinen Tschako auf den Kopf werfend, sprang er, den Degen in der Hand, die Stiege hinab und drängte durch die Menge unaufhaltsam in die Mitte des Saales vor, der ganz gefüllt war.
»Um Vergebung«, fiel er dem soeben in der Rede begriffenen Sprecher ein. »Der Spion ist entwischt.«
»Wohl«, versetzte der General, der zur rechten Seite des im Präsidentenstuhle sitzenden Squire saß und aufmerksam dem Redner zuhorchte.
»General!« wiederholte der Offizier, »der Spion ist entwischt.«
»Das Bataillon wird zusammenrücken und ihm nachsetzen, sobald das Meeting vorüber ist«, erwiderte der General, und wieder horchte er dem Redner.
Der Offizier knirschte mit den Zähnen. »Es ist vor der Türe und im Saale«, – sprach er mit wuterstickter Stimme.
»Um an den Beratungen teilzunehmen«, flüsterte ihm der General zu.
»Nur zwanzig, dreißig Mann«, entgegnete der Kapitän.
»Vergessen Sie nicht, daß die Mannschaft Bürger, und zwar angesessene, geborene und angesehene Bürger, jetzt in der Ausübung ihres souveränen Rechtes begriffen sind, Interessen wahrzunehmen haben, für die es morgen vielleicht zu spät sein dürfte.«
Der Kapitän eilte aus dem Saale und stürzte auf die Wache; die Trommeln rührten sich; die Wache ausgenommen, zeigte sich keine Seele. Die Milizen standen wie eingewurzelt in atemloser Stille vor der Türe horchend.
»Mein lieber Kapitän!« sprach einer, »Ihr könnt Euch das Gehör vertrommeln lassen, und es wird›s doch keiner hören. Wartet geduldig, bis das Meeting vorüber ist und das Wichtigere abgetan, und dann wollen wir in die Rocky Mountains hinauf, wenn es not tut.«
»Kapitän!« sprach der Sergeant, »es ist nun einmal so, und wenn, glaube ich, die Feinde anrückten, so würde das souveräne Volk zuerst bedächtig seine Beschlüsse fassen.«
»Hol› der Teufel das souveräne Volk! Ich wollte lieber beim Großtürken kommandieren.«
»Pfui, Kapitän!« rief ein Milize, »das ist nicht die Stimme eines Amerikaners.«
Der junge Mann sah den Milizen betroffen an.
»Wenn Ihr über den Bayou Sara Sumpf geht,« sprach ein zweiter, »so müßt Ihr festen Tritt haben, sonst versinkt Ihr, und die Alligatoren fressen Euch. Ihr seid beinahe zu jung für einen Kapitän.«
Der Offizier verschluckte die bittere Pille, murmelte etwas zwischen den Zähnen und rannte dann, begleitet von dem Sergeanten, dem Wachthause zu.
Es war keine Spur vom Flüchtling zu sehen oder zu hören; aber an der Außenwand fand man Schnüre an den Brettern befestigt, die das Schwanken und Schnarren derselben erklärten. Auch zwei Boote wurden vermißt. Während dieser Untersuchungen hatte das Meeting sein Ende genommen, und der Kapitän eilte dem Sitzungssaale zu. Rasch trat er vor den General.
»General Billow! Wollen Sie gefälligst Ihre Befehle erteilen?«
»Sie sind schon gegeben«, erwiderte dieser.
Im nämlichen Augenblicke rollten die Trommeln wieder, und die Stimmen der herbeiströmenden Mannschaft verkündeten, daß der Aufforderung derselben Folge geleistet wurde. Der Kapitän stand eine Weile zögernd, sein Blick fiel auf die auf dem Tische liegenden Papiere.
»Dies sind also die Beschlüsse?« fragte er mit verbissenen Lippen und einem bittern Lächeln.
»Ja, lieber Kapitän«, erwiderte der General artig. »Wenn Sie wollen, so können Sie sie noch lesen, bis die Mannschaft beisammen ist.«
Der junge Offizier warf einen flüchtigen Blick auf das Blatt und warf es nach einer Weile unwillig hin.
»Und Sie haben«, sprach er zum Obersten, »diese Resolutionen gegen den General en Chef gefaßt, unter dessen Kommando Sie sich begeben wollen?«
»So haben wir«, erwiderte dieser.
»Und erklären sein Betragen inkonstitutionell und tyrannisch und mißbilligen es vor den Augen der Nation?« fragte der Kapitän.
»Wie Sie sehen«, entgegnete jener. »Wundert Sie dies? Es ist doch nicht das erstemal, daß Bürger der vereinten Staaten ihr Recht über diejenigen üben, die sie zu ihren Diensten bestellt; – das scheint der General vergessen zu haben, und deswegen war es nötig, ihm dieses auf eine feierlich ernste Weise ins Gedächtnis zurückzurufen. Morgen können Sie die Resolutionen gedruckt lesen.«
»Und doch wollen Sie sich unter seine Befehle begeben?«
»Warum nicht, wenn er innerhalb der Grenzen der ihm von der Bundesmacht erteilten Vollmachten verbleibt?«
»Und wer soll der Schiedsrichter in diesem Falle sein?« fragte der Kapitän kopfschüttelnd.
»Er selbst«, entgegnete der Oberst. »Hören Sie, wenn fünfhundert und morgen tausend Bürger ihm ihr Verdammungsurteil im Angesichte der Nation zurufen und sich zugleich unter seine Befehle stellen, so hoffen wir, wird dies hinreichen, ihm die Augen über den Abgrund zu öffnen, dem er zuging. Und dies, Kapitän, war unsere erste Pflicht – unsere innere Freiheit zu wahren. Daß die Bürger auch ihre zweite, unten gegen die Feinde, erfüllen werden, dafür bürge ich Ihnen. Wenn man mit und für Freiheit kämpft, dann ist der Sieg doppelt gewiß. Und nun steht Ihnen das ganze Bataillon zur Verfolgung des Spions zu Diensten.« »Nun er entwischt ist«, versetzte der Kapitän.
»Und wenn er›s ist, so werden Sie es, hoffen wir, Männern nicht übelnehmen, wenn sie über der Erhaltung ihrer angeerbten Rechte einen Gefangenen übersehen«, entgegnete der Squire mit wahrer Präsidentenwürde. »Sollte mich jedoch wundern,« fügte er hinzu, »wenn sie ihm nicht schon nach sind, ohne auf Eure Befehle zu warten.«
Das Bataillon stand in Reih› und Glied, und nach dem fröhlichen Gemurmel zu schließen, war eine vorteilhafte Stimmung in der Mannschaft eingetreten. Das starre, steife, mürrisch-finstre Wesen derselben hatte sich in Fröhlichkeit und Zuversicht umgewandelt, und sie begrüßten die Offiziere mit einem lauten, jauchzenden Lebehoch.
»Es handelt sich gegenwärtig«, redete sie der General an, »bloß um zwanzig Volontärs, die mit den Wegen, Pässen und Wäldern genau bekannt sind, um den Spion wieder einzubringen.«
»Schon geschehen«, riefen fünfzig Stimmen, und ein Sergeant trat mit einer steifen militärischen Verbeugung vor die Offiziere.
»Mit Gunsten, General Billow!« sprach der Mann. »Es ist zwar ein wenig gegen militärische Regeln; da jedoch kein Befehl für die Nacht gegeben war, so glaubten die Männer ebenso wohl zu tun, wenn sie nicht auf Befehle warteten. Kaum hatten sie gehört, daß der Brite Reißaus genommen, so sind sie ihm in allen Richtungen nach. Morgen zum Exerzieren werden die meisten wieder zurück sein.«
»Hab› mir›s wohl gedacht,« meinte der Squire, »wo die Nase und die Ohren General sein müssen, würden Befehle nur Verwirrung anrichten.«
»Und welche Männer sind es?« fragte der General.
»Dreißig unserer besten Jäger,« versicherte der Sergeant, »die den Bären aufspüren, wenn er zehn Klafter tief in die Ozarks sich vergraben hätte; sie sind soeben fort, nachdem sie die Resolution des Meetings gehört hatten.«
»Und welche Richtung haben sie genommen?«
»Sechs sind hinüber über den Mississippi und hinab nach Point Coupé und hinauf in die Pässe. Zehn sind da hinauf auf die Uferklippen und auf die Wege nach Natchez, und ebensoviele sind längs dem Ufer auf Batonrouge zu; die übrigen durchstreifen das Städtchen. Es scheint ihnen in einer der Tavernen nicht richtig.«
»Meint Ihr die Ausländer?« fragte der General.
»Eben diese; es sind zwei Boote abhanden, und der Spanier wurde hier herumschleichend gesehen.«
»Und das ist auch alles, was Ihr tun könnt,« sprach der redselige Squire; »wäre nicht der Mühe wert, die Männer eine Minute länger aufzuhalten.«
Noch wurde, auf den Antrag des Kapitäns, die Miliz, welche Wache gestanden, in Arrest genommen und das Bataillon dann bis zum Sonnenaufgang entlassen, worauf der Oberst mit dem Squire wieder den Weg zum Bayou, nach seinem Landsitze, einschlug, wohin ihnen ein schwarzer Diener vorleuchtete.
Die Glocke am Parkgitter verkündigte noch die Ankunft eines nächtlichen Besuches. Die zwei Offiziere sahen sich schweigend an, als ein Milize, vom schwarzen Bedienten eingeführt, in den Salon trat.
»Oberst Parker und besonders Major Copeland werden vom Kapitän Percy ersucht, schleunigst hinabzukommen, das Bataillon von Opelousas ist angekommen.«
»Wohl! so soll er es bis Sonnenaufgang einquartieren. Wir bedürfen einiger Stunden Ruhe.«
»Sie haben Indianer mit sich,« berichtete die Ordonnanz, »die von den Männern aufgebracht wurden, die Major Copeland ausgesandt.«
»Wißt Ihr, von welchem Stamme sie sind?«
»Nein, Oberst. Aber Waffen und Aussehen nach zu schließen, sind sie von einem martialischen Schlage. Alle mit Feuergewehren versehen.«
»Holla!« rief der Major, »da müssen wir hinab und sehen, was es gibt«, und er begab sich mit dem Obersten und dem Milizen neuerdings an das Stromufer.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Der Landsitz Parkers gehörte zu einer der vielen Mississippipflanzungen. Er hatte nebst dem Erdgeschosse bloß noch ein Stockwerk und ruhte auf Pfeilern, vielleicht des Luftzuges oder des austretenden Mississippi wegen, war leicht gebaut, augenscheinlich mehr zum Schutze gegen die sengenden Strahlen der Sonne, als gegen erstarrende Winterkälte. Acht Stufen von weißlich geflecktem Marmor führten zur Piazza und dem Peristyl, mit dem die Front des Hauses verziert war; die Säulenräume waren mit hohen Jalousiefenstern ausgefüllt, gleichfalls um während der heißen Sommerzeit einen fortwährenden Luftzug zu unterhalten.
Im Hintergrunde waren zwei andere ziemlich große Gebäude, von denen das eine zur Wohnung der Wirtschaftsbeamten, das andere zur Aufnahme der Kolonialprodukte der Pflanzung bestimmt zu sein schien, und an diese beiden schlossen sich zwei Reihen kleinerer, aber nicht unwohnlicher Blockhäuser für die schwarze Bevölkerung der Pflanzung an, hinter welchen eine meilenbreite Fläche gegen die Zypressenwälder hinablief, aus der ein kahler, blätter-, rinde– und zweigloser Wald ungeheurer abgestorbener Bäume emporstarrte, der, in längliche Vierecke abgeteilt, in seinen weiten Zwischenräumen mit hoch aufgeschossenen, breiten Stauden bepflanzt war, deren verdorrte Blumenkronen noch hier und da die aufgebrochenen Kapseln der zarten, weißen Baumwolle sehen ließen, mit welcher, abwechselnd mit Mais, die Felder bepflanzt gewesen waren. Der größte Teil dieser Kotton– und Welschkornfelder war dem Zypressensumpfe abgenommen und durch Gräben getrocknet worden, und der Kontrast mit dem üppigen, undurchdringlichen Urwalde und dem bodenlosen Sumpfe gab ein anschauliches Bild von dem Kraftaufwande, den es erfordert haben mußte, um diese herrliche Pflanzung der furchtbaren Wildnis abzugewinnen.
*
Die Sonne war hinter dem ungeheuern Zypressenkranze, der im Osten die Pflanzung umgürtet, hervorgestiegen, und ihre Strahlen dünnten allmählich den Nebelsaum, der sich über die ganze Landschaft hingezogen hatte; nur am Hauptstrom schwamm er noch, eine ungeheure Schichte, hinter der am jenseitigen Ufer die Pflanzungen und Wälder den Horizont begrenzten.
Ein reizendes Mädchen im eleganten Morgenanzuge war auf die Piazza des Hauses herausgeflogen und sah sorgfältig in der Richtung des Bayou hin, von dem man über den mäßigen Rasenplatz durch Gruppen von Chinatulpen, Orange– und Zitronenbäumen einer weiten Aussicht auf den Strom gegen Westen genoß, die nur gegen Norden zu durch die Bluffs oder das Hochland begrenzt war, deren schroffe, mit Jasmin und Rebengehänge überzogene Lehmwände sich unfern dem neben der Pflanzung hinschlängelnden Bayou hinzogen.
Ein schlanker Wuchs, ein sehr schöner Kopf, der sich zuweilen etwas stolz aufwarf, ein zart koloriertes Gesicht, dessen Mienenspiel weniger leichte Beweglichkeit, als etwas Pikantes erraten ließ, durchdringend blaue Augen, die sehr zuversichtlich um sich blickten, waren die hervorstechenden Züge dieser interessanten Gestalt, die lauschend den Blick auf das Bayou gerichtet stand, als ein zweites Mädchen herangeflogen kam, die, ihren Arm um den Nacken der erstern werfend, diese freundlich auf die marmorne Piazza dem eisernen Geländer zuzog.
»Aber weißt du schon, Schwesterchen?« sprach sie, »daß wir Gäste haben, und zwar allerliebste Gäste, sagte Polli.«
»Zwei Indianerinnen Sq – Squaws,« versetzte die Schwester, indem sie ironisch die schönen Lippen verdrehte, gleichsam als fürchte sie, das ungeschlachte Wort dürfte sie ungebührlich erweitern, »du kennst ja den Hautgout unsers Squire.«
»Nein, nein, Vergy. Pa selbst hat sie eingeladen; er soll ganz entzückt von ihr gewesen sein. Sie schläft noch, aber Polli sagt, sie soll wunderschön sein; sie ist eben gegangen, nach ihr zu sehen.«
»Hush, Gabriele!« entgegnete die etwas stolze Schöne der zartern Schwester, deren arglos heiteres Auge und blondes Lockenköpfchen einige Sommer weniger in die liebe Gotteswelt hineingeschaut haben mochten. »Ich hörte das Parktor, und Pa hat ihn zum Frühstück geladen. Warum er doch nicht kommt.«
»Recht sonderbar, Schwesterchen, du hast ihn doch schon gestern erwartet«; lispelte Gabriele mit einem etwas schalkhaften Ausdrucke, der ihr zum Röckchen á l›enfant allerliebst ließ. »Und dann«, setzte sie schmollend hinzu, »muß er wieder hinab zum greulichen alten General.«
»Und in die Schlacht vor den Feind«; seufzte Virginie, die in die Säulenhalle zurückeilte, während Gabriele stehen blieb.
»Ach, es ist nur eine Ordonnanz«; flüsterte diese, indem sie auf das Schwesterchen zuflog und sie wieder auf die Piazza zog, auf welche die Ordonnanz zugeschritten kam, die die beiden grüßte und ins Innere des Hauses ging.
»Ah! sieh doch, Schwesterchen, wie schön!« deutete das Mädchen auf den Nebelhang des Mississippi, der nun, in den stärker werdenden Strahlen der hinter den Baumgipfeln heraufsteigenden Sonne auseinander stäubend, in die phantastischsten Gebilde sich formte. Während ungeheure Schichten in die Lüfte verschmolzen, kräuselten sich andere in die Formen umgestürzter Kegel, zwischen denen die in meilenweiter Ferne verlorenen Wälder nun näher zu treten und im schnellen Laufe dem Strome zuzueilen schienen. Dieser blitzte nun in seiner ganzen hehren Majestät durch die Silberdünste hervor, und die einzelnen Boote und Fahrzeuge, die auf seiner weiten Fläche pfeilschnell hinabschossen oder schneckenartig hinaufkrochen, schimmerten mit ihren glänzend weißen Segeln wie Schwäne auf dem erglänzenden Wasserspiegel.
»Ach wie schön«, sprach eine schmelzend sanfte Stimme hinter den beiden Mädchen, während zwei blendend weiße Arme sich um ihre Nacken legten und ein wunderliebliches Wesen in ihre Mitte trat. »Guten Morgen, meine Schwestern!« Die beiden Mädchen prallten auseinander, sahen die holde Grüßende einen Augenblick verwundert an und flogen dann beide zugleich auf sie zu, und indem sie sie umschlangen, preßten sie eine Unzahl Küsse auf den lieblichen Mund und die lieblichen Wangen.
»Und wer bist du denn, du lieber, holder Engel?« fragte Virginie.
»Mein süßes Kind, wie kommst du hierher?« fiel Gabriele ein.
»Mein süßes, liebes Götterkind«, fiel die erstere wieder ein, indem sie sie umschlang und Kuß auf Kuß auf ihre Lippen preßte.
Es war Rosa, die in der reizenden Überraschung, die sie den beiden Mädchen verschafft, noch nicht Zeit gehabt hatte, ein Wort zu sagen. »Sie nennen mich Rosa, liebe, schöne Schwestern«, lispelte sie.
»Rosa, meine süße, liebe Rosa, du holdeste, schönste Rose!«
Und wieder umschlangen sie das wunderschöne Mädchen und erdrückten es beinahe in ihren Liebkosungen. Es war ein lieblicher Anblick, das holde Naturgeschöpf zwischen den zwei fein gebildeten, reizenden Mädchen zu sehen, wie sie aus den Armen der einen in die der andern flog und sich im ersten Augenblicke beider Herzen erobert hatte. Sie schienen sich nicht satt an ihr sehen und küssen zu können.
»Sieh doch, Bruder! was wir hier haben?« frohlockte Gabriele einem elegant gekleideten Jünglinge zu, der an die reizende Gruppe herangekommen und, nicht minder erstaunt, erst jetzt bemerkt wurde.
»Mein Bruder!« lispelte Rosa, indem sie seine Hand zutraulich erfaßte und ihn verwundert ansah.
»Komm, süßes Kind, zur Ma!« riefen nun beide, sie erfassend und jubelnd einer würdevollen Dame zueilend, die das liebe Kind freundlich willkommen hieß.
»Du bist ja ein holder Engel!« rief Virginie, die, als Rosa in den Armen der Mutter hing, erst Zeit hatte, ihren Anzug zu mustern. »Und wahrlich«, fuhr sie in drolliger Verwunderung fort, »im neuesten Geschmacke angezogen. Sieh doch nur, Gabriele, diese allerliebste schwarzseidene Robe, wie unvergleichlich sie sie kleidet, und die niedlichen Prunelle-Halbstiefelchen, und der allerliebste Gürtel und die Spange und Brasseletts. Und bist du wirklich mit den Indianern gekommen?«
»Gewiß, liebe Schwester.«
»Und du hast bei ihnen in ihrem – wie heißen sie nur —«
»In ihrem Wigwam gewohnt«, half ihr Rosa.
Der Oberst mit Major Copeland und Kapitän Percy waren gleichfalls eingetreten. Zart und naiv, mit einem gewissen Ausdrucke von Hoheit, nahte sie sich den Eintretenden und begrüßte die beiden Stabsoffiziere als teure Väter, den jungen Kapitän als Bruder.
»Ja, du mußt nicht so viele Väter anerkennen«; rief der Squire lachend, indem er sie herzlich küßte. »Bist wahrlich ein prächtiges Kind geworden, Gott segne dich! Der Indianer hat wahre Vaterstelle an dir vertreten. Sollte es nicht gedacht haben, daß der alte, grimmige Tokeah dich so gut halten würde. Bist ja so zart, als ob du all dein Leben lang in einem Kästchen aufgehoben gewesen wärest.«
»Spotte nur, Pflegevater,« sprach sie; »die Squaws und Mädchen spotteten meiner zarten Hände und Füße auch, und Canondah wollte mich deshalb nie in den Feldern arbeiten lassen. Aber siehe,« sprach sie, »ich habe doch einen langen, langen Weg zurückgelegt.«
»Aber doch nicht zu Fuß?« —
»Nein«, sprach sie; ihr Blick war jedoch schon auf einen andern Gegenstand gefallen, und sie sah freundlich lächelnd dem Spiele des Kapitäns und Virginiens zu.
Dieser schien, trotz des harten Kampfes, der zwischen ihm und dem Obersten stattgefunden, mit dem Hause in einer nähern Berührung zu stehen. Er hatte kaum der Frau seine Ehrfurcht bezeugt und sich im Kreise herum verbeugt, als er sich Virginien näherte, die bei seinem Eintritte glühendrot geworden war, doch sich ebenso schnell in eine ernste, etwas stolze Miene gezwungen und die Hand zurückgezogen hatte, die er vergeblich zu erfassen gesucht. Rosa hatte abwechselnd den jungen Mann und ihre neue Schwester angesehen. Sie schwebte nun auf letztere zu und sah sie bedeutsam lächelnd an.
»Sieh doch«, sprach sie, »wie flehend sein Blick auf dir ruht. Er ist ein Häuptling, aber sanft und milde wie eine Taube.«
»Eine schöne Taube;« lachte Virginie, »wenn du sie kenntest, diese Taube.«
»Liebe, meine Schwester,« lispelte Rosa ihr zu, »vergißt sich selbst, um nur das Lächeln der Freude auf dem Gesichte des Bruders hervorzulocken.«
»Mein wunderliches Kind,« sprach Virginie, »um deinetwillen sei ihm vergeben.« Und sie reichte dem Kapitän ihre Hand.
»Meine Lieben!« sprach der Oberst, der ein stummer Zeuge der artigen Vermittlungsszene gewesen war, »vergeßt nicht, daß wir wieder hinab müssen, und daß das Frühstück unser wartet. Komm, du herrliche Rose der Wildnis!« und ihren Arm in den seinigen legend, folgte er dem Squire, der mit der Oberstin den Zug führte.
»Es ist mir noch immer wie ein Traum«, sprach dieser, der nun Platz genommen hatte. »Hätte mir eher den Tod eingebildet, als gedacht, dich wiederzusehen. Erst als du fort warst, da empfanden wir, wie lieb du uns allen gewesen bist. Ja, ja, Rosa. Wir haben noch nach Jahren von dir gesprochen. Und als ich heute nun so mit dem grimmigen Tokeah rede, sieh, so kommt sie heraus aus ihrer Wolldecke und auf mich zu, und faßt mich so zutraulich bei der Hand und macht mich zum Vater, ohne daß ich ein Wort davon weiß.«
»Und diese Vaterschaft schien Euch nicht übel zu gefallen?« fiel ihm der Oberst in seiner etwas trockenen Art ein, »denn Ihr vergaßt darüber, den Häuptling über sein Verhältnis mit dem Briten auszuforschen.«
»Mit dem Briten?« fragte die aufmerksam gewordene Rosa.
»Ja, liebe Rosa«, versetzte der Squire. »Kennst du ihn?«
»Gewiß; und ist mein Bruder hier gewesen?«
»Ja«, lachte der Squire. »Du hast zu viele Brüder und Väter; das ist ein arger Zeisig, so jung er ist. Ein Spion, der noch zur rechten Zeit Reißaus genommen, sonst hinge er. Wird aber dem Galgen nicht entgehen.«
Das Mädchen hatte verwundert zugehört.
»Aber das nämliche dachte auch der Miko, und er hat gegen seine Tochter und Rosa das Schlachtmesser aufgehoben, weil er glaubte, daß sie einen Spion in sein Wigwam gebracht. Kann der Brite zugleich bei den roten und den weißen Männern Spion sein?« fragte sie unschuldig.
Alle waren aufmerksam geworden. »Du kennst ihn also, liebe Rose?« fragte der Squire.
»Gewiß«, – versicherte sie abermals. »Er ist vor dreißig Sonnen bei uns in einem Boote am untern Waldsaum angekommen. Er war vom Seeräuber geflohen und schwach und matt, und eine große Wasserschlange biß ihn, als er aus dem Boote steigen wollte, und Canondah kam ihm zu Hilfe und tötete die Schlange, und wir brachten ihn in den hohlen Baum und trugen ihn in das Wigwam, und da pflegte ihn Canondah, bis er wieder hergestellt war.«
»Und weiter?« fragte der Squire.
»Als er gesund geworden, wurde er ängstlich; er fürchtete den Miko, der mit den Männern auf der Jagd war, und sagte, er müsse zu den Seinigen, die gegen die Weißen dieses Landes Krieg führten. Er wurde mit jedem Tage verstörter. Da ward mir bange um den leidenden Bruder, und das Herz drohte mir zu zerspringen, und ich flehte zu Canondah und bat und beschwor sie, ihn nicht länger zurückzuhalten; denn der Miko würde ihn im Glauben, daß er ein Späher der Weißen sei, mit dem Tomahawk getötet haben.«
»Und weiter?« fragte der Squire.
»Und Canondah wollte nicht, und Rosa mußte drohen und sagen, sie selbst wolle dem Bruder den Weg zeigen oder mit ihm im Sumpfe ersticken. Sie hätte wohl dieses gekonnt, aber sie hätte den Pfad nicht gefunden«, unterbrach sie sich. »Und Canondah gab weinend den Bitten Rosas nach, und dem weißen Bruder hing sie eine Wolldecke um und band die Mokassins an seine Füße und den Wampumgürtel um seinen Leib, und sie färbte seine Haut, um die Verfolger zu täuschen, und sie führte ihn über den schmalen Pfad auf das jenseitige Ufer des zweiten Flusses. Es hat Canondah und Rosa vieles Herzeleid verursacht; denn als der Miko zurückkam und er von den Weibern hörte, daß ein weißer Fremdling im Wigwam gewesen, wurde sein Angesicht finster, wie das des reißenden Panthers; denn er dachte, der Brite sei ein Späher, und schon hatte sich seine Hand erhoben, um das Schlachtmesser in die Brust seiner Tochter und Rosas zu stoßen; der gute Gott hat ihn jedoch zurückgehalten.«
»Und der Brite hatte den Miko nicht gesehen?« fragte der Squire.
»Der Miko ist seiner Spur nachgeeilt; ob er ihn gesehen hat, weiß ich nicht,«
»Und was will der Miko mit den Indianern hier?«
»Er hat einen langen Traum gehabt, den er erfüllen muß, weil es ihm der große Geist geboten hat. Er geht mit seinem Sohne zu den mächtigen Cumanchees; die Seinigen sind bereits abgegangen, er ist nur mit wenigen zurück in die Niederlassungen der Weißen. Und der große Häuptling der Cumanchees wollte den Vater seines Weibes nicht allein ziehen lassen. Der arme Miko hat seine Tochter verloren, und Rosa hat ihn gleichfalls begleitet; sonst würden ja«, setzte sie mit naiver Unschuld hinzu, »seine Augen vor Jammer erblinden.«
Die Gesellschaft hatte mit Verwunderung und Rührung dem einfachen Vortrage der reizenden Sprecherin zugehört, der einen Lichtstrahl auf die plötzliche verdächtige Erscheinung des Briten und der Indianer warf. So wenig eine solche Erscheinung zu einer andern Zeit beachtet worden wäre, so bedeutend wurde sie im gegenwärtigen Augenblicke, wo die Verteidiger des Landes auf dem Punkte standen, nahe an zweihundert Meilen den Strom hinab gegen den auswärtigen Feind zu ziehen. Selbst eine kleine Horde von Indianern mußte, mit ihrer Art Krieg zu führen, nicht nur endlosen Jammer in den zerstreuten Niederlassungen jenseits des Stromes verbreiten: ein feindlicher Überfall konnte selbst dem Gange des Krieges eine ungünstige Wendung geben, indem er die Milizen, die die Ihrigen den blutigen Tomahawks preisgegeben sahen, entmutigen, sie vielleicht gar bewegen würde, die ohnehin schwache Armee zu verlassen, um den Ihrigen zu Hilfe zu kommen.
»Und warum«, fragte der Squire nach einer Weile, »hat der Narr nicht gesagt, woher er Wampumgürtel und Fellwams hat?«
»Canondah«, versetzte Rosa, »hat ihn beim großen Geiste schwören lassen, daß er nicht verraten wolle, wo er gewesen. Der Miko fürchtet die Weißen sehr, und er ist in ein Land gezogen, wo er sie nimmermehr sehen will.«
»Ja, das ist›s!« versetzte der Squire nach einer Pause.
Gabriele und Rosa hatten ihr Mahl geendet und flogen schäkernd aus dem Saale.
»Immerhin dürft Ihr nicht vergessen,« hub wieder der Oberst an, »daß, so wenig die Wahrheit dieses lieben Kindes zu bezweifeln steht, die Indianer, wenn sie etwas im Schilde führen sollten, nicht Rosa zur Vertrauten gemacht haben würden. Obwohl Träume viel vermögend bei ihnen sind, so erscheint dieser weite Ausflug eines Traumes wegen doch immer sonderbar.«
»Mir nicht«, entgegnete der Squire. »Sie gehen Tausende von Meilen, wenn ihnen der große Geist im Schlafe es zuflüstert, wie sie sagen. Und dann müßt Ihr wohl bedenken, daß die Indianer geradezu auf unsre Niederlassungen gekommen. Hätten sie etwas Arges im Schilde, glaubt Ihr, sie wären den Atchafalaya herüber, ohne sich umzusehen? Und dann, würden sie wohl das Kind mitgenommen haben? Sahet Ihr nicht, wie der Indianer plötzlich alle Fassung verlor, als ich ihm ankündigte, daß Ihr seine Pflegetochter zu Euch geladen? Konnte kaum meinen Augen trauen, wie ich ihn so bewegt sah. Und ihre Kleidung und Geschmeide verraten ja offenbar, daß sie von ihm über alles hoch gehalten wird. Die reichste Erbin dürfte sich nicht ihres Anzuges schämen.«
»Eben dieser Anzug«, erwiderte der Oberst, »macht mir das Ganze um so unerklärbarer. Woher kann der Indianer diese Dinge haben?«
»Ihr vergeßt, daß er der Schwiegervater des Cumanchee ist, der vor Gold starrt; diese Cumanchees sind, höre ich von unsern Männern, die hinüber nach Santa Fé und Mexiko handeln, reiche Wilde, im ewigen Kriege mit den Spaniern begriffen, von denen sie oft große Beute machen.«
»Der Schnitt dieser Kleider und die Fasson ihrer Geschmeide ist englisch, lieber Squire,« bemerkte die Dame, »und zwar im besten, neuesten Geschmack.«
»Und das«, versetzte der Oberst, »ist allerdings bedenklich. Ihr wißt, John Bull, obwohl er breit auf seine Taschen schlägt, ist kein solcher Narr, sie zu leeren, wenn er dabei nicht zehnfach gewinnen kann. Das Rätsel ist so wenig gelöst, daß es mir im Gegenteil nur verwickelter vorkommt.«
»Wir wollen bald dem Haken einen Köder finden,« sprach der Squire; »ohnedies haben wir eine Zusammenkunft mit den Indianern, und es müßte schlimm hergehen, wenn wir nicht das Wahre herausfänden.«
Die Töne des Pianoforte unterbrachen das etwas ernst gewordene Tischgespräch. Die Gesellschaft, als sehe sie die bezaubernde Wirkung voraus, welche die Musik auf das Naturkind hervorbringen würde, erhob sich von der Tafel und trat in den Saal.
Rosa hatte mit der naiven Neugierde eines Kindes die prachtvolle Einrichtung, die herrlichen Fußteppiche, die glänzend seidenen Vorhänge, die duftenden Rosaholzmöbel, die marmornen Statuen angestaunt und war in lieblicher Einfalt von einem Gegenstande zum andern gehüpft, als Gabriele zum Pianoforte schlüpfte und einige Töne anschlug. Diese horchte hoch auf, als die zarten Finger über die Tasten hinschwebten und einige ergreifende Akkorde erklangen. Sie flog auf das Instrument zu und sah hinein mit kindisch naiver Einfalt und breitete die Hände darüber, als wollte sie die sanften Töne erhaschen, und mit verwundertem Blicke hielt sie es, als fürchtete sie sich, sie würden entfliehen. Allmählich, als Gabriele nach dem sanften Vorspiele in die Romanze des Troubadours einschlug, da malte sich in ihrem Gesichte ein stilles, namenloses Entzücken, ihre Augen begannen zu leuchten mit der Glut unnennbarer Wonne, ihre ganze Gestalt schien von einem elektrischen Feuer berührt. Sie umgaukelte sich selbst, wie ein lieblicher Schmetterling, und, sowie dieser seine zarten Flügel, so breitete sie ihre Hände aus, als wollte sie die zarten Töne umarmen; ihre Füße hoben sich, sie berührte kaum mehr den Teppich, jede ihrer Bewegungen war die schönste Poesie, ihr ganzes Wesen Verklärung geworden. Eben war die Gesellschaft eingetreten, als die Töne ihre Kraft auf das holde Geschöpf zu äußern anfingen.
Sie sahen dem Ausdrucke der Natur mit Verwunderung und Staunen zu. Ein herrlicherer Tanz war nie gesehen worden. Zuletzt flog sie, mit Tränen in den Augen, überwältigt von der süßen Empfindung, Gabrielen an den Hals.
»Ich bitte dich um Gottes willen, Schwester, töte mich nicht; ich sterbe, meine Seele eilt davon mit den entzückenden Tönen.«
Und dann setzte sie sich hin, und eine Träne perlte nach der andern über ihre Wangen.
»Ach,« lispelte sie; »wäre ich doch gestorben! wäre ich gestorben!« —
Neunundzwanzigstes Kapitel
Das liebe Mädchen hatte innerhalb der zwei Wochen, während welcher wir sie aus den Augen verloren haben, unendlich gewonnen. Sie war zuversichtlicher, natürlicher; ihr Blick hatte sich aufgehellt, ihr ganzes Wesen war selbstvertrauender, ja selbständiger geworden. Der gänzliche Mangel an Selbständigkeit oder vielmehr das Gefühl ihrer gänzlichen Hilflosigkeit, vorzüglich aber das empörende Bewußtsein, sich einem Menschen aufgeopfert zu wissen, den ihr reines Gemüt verabscheuen mußte, hatte ihrem ganzen frühern Wesen etwas schmerzlich Demütiges, etwas Trostloses gegeben, das um so peinlicher auffiel, als ihr dunkles Verhältnis, ihr selbst nicht ganz klar, ihrem ganzen Äußern etwas unnatürlich Geheimnisvolles verlieh. Mit dem Aufhören dieses unnatürlichen Verhältnisses zum Seeräuber hatte sich nun ihr niedergedrücktes Gemüt nicht nur aufgerichtet, sondern die schreckliche Katastrophe, welche die Wilden und vorzüglich den Miko getroffen, hatte auch ihre Lage auf eine Art geändert, die, so schmerzlich sie das jammervolle Ende ihrer Freundin noch immer empfand, nichtsdestoweniger einen vorteilhaften Einfluß auf sie äußern mußte. Der durch den Tod der Seinigen in stumpfe Bewußtlosigkeit versunkene Miko hatte vieles von dem ihm eigentümlichen herrisch-starren, unbeugsamen Sinn verloren und war nun gewissermaßen selbst in jene Hilflosigkeit versunken, die, wie es schien, in ihr und ihrem reinen, kindlichen Gemüte allein Trost, Stütze und Labung fand. Nur sie war imstande gewesen, ihn zuweilen aufzuhellen; seine erstarrte Seele, schien es, fand es für nötig, sich an sie zu halten und sich zuweilen zu sonnen an den Erinnerungen verflossener Tage. Diese allmähliche Anerkennung einerseits, sowie die zarte Aufmerksamkeit des jungen Häuptlings andererseits hatte das edle, reine, sich selbst vergessende und nur im Wohle anderer lebende Gemüt auf den Fittichen der Liebe emporgehoben und ihr allmählich eine höhere Bedeutung gegeben. Sie war noch immer Kind, eine zarte unschuldige Seele; aber die Katastrophe war der Prüfstein ihres Lebens geworden, dem sie nun eine höhere Richtung gab. Die höhere Würde der zarten Jungfrau fing an, sich in ihr zu regen.
Und die Wechselwirkung dieses erhebenden Gefühles war allmählich in einer Art von Herrschaft bemerkbar geworden, der sich willig zu unterziehen ihre Umgebungen einen besondern Reiz zu finden schienen; eine Erscheinung, die vielleicht ebensosehr durch die bezaubernde Anmut des Mädchens, als die selbst von dem stolzesten Indianer der weißen Rasse gewissermaßen notgedrungen zugestandene Überlegenheit zu erklären gewesen sein dürfte. Selbst der Miko hatte sich in den letztern Tagen einer scheuen Ehrerbietigkeit nicht erwehren können. El Sol schien sie als ein Wesen höherer Art zu betrachten und nahte sich ihr mit einer Schüchternheit, einer Zartheit, die vielleicht den gebildetsten Damenritter beschämt haben würde. Auf dem ganzen Wege hatte er sozusagen mit freudiger Furcht ihre leisesten Wünsche erfüllt, mit der zartesten Sorgfalt jeden Schritt ihres Pferdes bewacht, jeden Wink ihrer Augen abgesehen und beinahe nur in ihrem Dienste gelebt. Sowie diese Anerkennung ihres sittlichen Wertes auf ihren Geist, so hatten die Zerstreuung auf der langen Reise, die abwechselnd prachtvollen Naturszenen und die reinen Lüfte der grenzenlosen Wiesen der Attacapas und Opelousas, auf ihren Körper gewirkt und ihr eine Lebhaftigkeit, eine Frische verliehen, die ihrer herrlichen Luftgestalt ungemein wohl standen.
Man konnte kaum etwas Rührenderes sehen, als dieses anmutsvolle Wesen, wie sie dem erstarrten Wilden süß schmeichelte und ihn durch die zartesten, unschuldigsten Liebkosungen zu neuem Leben zu erwecken sich bemühte. Allmählich war es ihren unausgesetzten Bemühungen auch gelungen, den alten Mann wieder zu einigem Bewußtsein zurückzubringen. Nur erschien mit diesem auch eine gewisse Beklommenheit, eine Ängstlichkeit, die in demselben Maße zunahm, als er sich den Niederlassungen der Weißen näherte. Mit jedem Schritte, den der kleine Zug vorwärts tat, wurde nämlich die Miene des alten Häuptlings grollender, seine Ungeduld stärker; sein Stumpfsinn schien ihn nur zu verlassen, um einer keifenden, zanksüchtigen Laune Platz zu machen. Als sähe er die Demütigungen voraus, die er von den Weißen zu erwarten habe, versuchte er sich zuvor gegen sie zu stählen und zu ermutigen. Stundenlang war er im zankenden, grollenden Selbstgespräche begriffen, in dem er den Weißen Reden in den Mund legte, um sie mit Trotz und Hohn zu beantworten.
So waren sie auf demselben Wege, den der Indianer den Briten geführt, nämlich auf dem Pfade der Coshattaes dem Atchafalaya zugeritten, den Miko und seine Oconees ausgenommen, die, getreu der Sitte ihres Stammes, neben den Pferden einherschritten. Oberhalb Opelousas am Atchafalaya angekommen, hatten sie diese mit den Pawnees zurückgesandt und angefangen ein Rindenkanu zu bauen, als sie in dieser Beschäftigung von zweien der vom Magistrate von Opelousas ausgesandten Männer entdeckt und bald darauf von einer kleinen Abteilung Milizen überrascht und zu Gefangenen gemacht wurden.
Obwohl die Indianer weder Widerstand noch Flucht versuchten und ihr Boot gelassen vollendeten, so hatte die starre, herrische Art, mit der man sie aufforderte, unverzüglich zu folgen, und die gehässigen, mißtrauischen Blicke, mit denen sie gemessen wurden, ihren Stolz so empfindlich gekränkt, daß, ohne des Miko eindringliche Bitten, wahrscheinlich ein Kampf daraus entstanden wäre. Als fürchtete er nun jede Berührung mit seinen trotzigen Erbfeinden, hatte er sich schnell an die Seite seiner Pflegetochter zurückgezogen, die, in eine Wolldecke gehüllt, auf einem Baumstamme gesessen war. Noch sprach sie freundlich mit dem alten Manne, als El Sol kam, um sie in das Boot zu führen. Die Wolldecke war ihr zum Teil in der Bewegung entfallen, als sie auf das Fahrzeug zutrat. Der Anblick des weißen reich gekleideten Mädchens, das freundlich und froh sich mit dem alten Indianer unterhielt, hatte in den Hinterwäldlern eine Umwandlung hervorgebracht, die, wäre sie durch einen Zauberschlag bewirkt worden, nicht plötzlicher oder größer hätte sein können. Ihr rauhes, gebieterisches Wesen war auf einmal der zuvorkommendsten Aufmerksamkeit gewichen. Alle waren zurückgetreten, als sich ihnen das Mädchen grüßend nahte, ihr Führer hatte artig seine Hand angeboten, um ihr beim Einsteigen zu helfen, war aber vom Cumancheehäuptlinge zurückgestoßen worden. Selbst diese Beleidigung ertrug der Befehlshaber zur nicht geringen Verwunderung des Miko, dem, obgleich scheinbar starr und in sich versunken, keine Bewegung seiner Feinde entgangen war. Während der ganzen Überfahrt waren sie mit einer Schonung von den Weißen behandelt worden, die gegen das barsche, herrische Benehmen bei dem Überfalle zu sehr abstach, um nicht auch El Sol aufmerksam zu machen.
Im Depot angekommen, waren sie zwar im Wachthause eingebracht worden, der Führer der Abteilung nahte sich jedoch ehrerbietig dem Mädchen und bat sie, einstweilen seine Begleitung in den Gasthof anzunehmen. Sie schlug dieses freundlich aus und blieb mit den Indianern in der Stube, wo sie endlich durch die Ankunft der Offiziere aus ihrem Zweifel gerissen wurden, von denen der Falkenblick des Squire den Miko sogleich erkannte. Auch dieser hatte den von ihm nichts weniger als billig behandelten Zwischenhändler herausgefunden und sich zuckend aufgerichtet, als er seine Anrede begann. Da trat aus dem Hintergrunde Rosa hervor, und, aus der Wolldecke schlüpfend, warf sie sich dem erstaunten Squire um den Hals, der kaum seinen Augen trauend sie starr anschaute, bis sie ihm endlich mit den Worten: »Deine Rosa«, sein Pflegekind ins Gedächtnis zurückrief. Da umschlang auch er sie mit einer Herzlichkeit, die ihn für eine geraume Weile alles vergessen machte.
Die ausgezeichnete Achtung, mit der auch die übrigen Offiziere das liebliche Kind empfingen, die kurze ernste Unterredung, die sie miteinander hielten, und die mildere Anrede des Squire, daß er glaube, Tokeah sei in Friede und Freundschaft gekommen, sowie der Umstand, daß sie sogleich aus dem Wachthause in den Gasthof geführt und dem Wirte als Gäste der Regierung zur bestmöglichen Sorgfalt überantwortet wurden, diese Umstände klärten endlich den im langen Verkehr mit seinen Feinden mit den verschiedenen Behandlungsarten, die sie seiner Rasse angedeihen ließen, wohlbekannten Miko allmählich über die plötzliche Sinnesänderung der gefürchteten Weißen auf. Diese Sinnesänderung hatte natürlich ebensosehr in dem achtungsvollen Benehmen des Amerikaners gegen das weibliche Geschlecht überhaupt, als der Voraussetzung insbesondere seinen Grund, daß Indianer, die in einer solchen Begleitung erscheinen, nicht feindselige Absichten im Schilde führen konnten. Dem alten Manne, der sich schon auf Kränkungen und Demütigungen allerart gefaßt gemacht hatte, tat dieser Sonnenstrahl in seinem finstern Geschicke wohl. Der gebeugte, gebrochene, unter der Last seines Schicksals erliegende Häuptling war schwach geworden; er fühlte zu seinem bittern Schmerze, daß er nicht mehr die Kraft habe, dem Feinde entgegenzutreten, der ihn in seiner Jugend und im Mannesalter zermalmt hatte. Die Großmut kam ihm daher wie lindernder Balsam auf seine tödlich eiternde Wunde.
So war es denn natürlich, daß er sich von ihr, die er nun für seinen Schutzgeist ansah, mit Kummer und Schmerzen trennte, und nur die Versicherung des Squire, daß er für Rosa hafte und sie ihm nicht entrissen werden solle, konnte ihn bewegen, sie mit dem Obersten gehen zu lassen, der sie ehrerbietig in sein Haus geladen hatte. Als sie aber schied, da verließ den starren Wilden seine Fassung auf eine unbegreifliche Weise. Er starrte ihr ins Gesicht, als wollte er sie sich recht ins Gedächtnis prägen, damit sie ihm nicht verwechselt würde. Er umfaßte sie, seine Stimme stockte, als er seine Hand auf ihr Haupt legte und sie segnete.
Noch rannte er ihr nach, als sie schon aus der Türe war, umschlang sie wieder und segnete sie nochmals. Der junge Häuptling bezeugte ihr seine Ehrerbietung auf eine bei dem stolzen Indianer nicht minder seltene Weise. Er begleitete sie mit dem Oconeemädchen, welches ihr Kleiderbündel trug, und seinen beiden Männern bis an die Türschwelle. »Die Weißen beugen sich vor Rosa«, flüsterte er ihr mit wehmütig hohler Stimme zu: »Ihr Bruder stirbt für sie«; und, sein Haupt auf seine Brust neigend, schwieg er eine Weile, und dann schied er. Nach der Trennung von Rosa fielen die beiden Häuptlinge in ihr voriges düsteres, starres, brütendes Schweigen, aus dem sie nur durch die Trommeln geweckt wurden, die das Zeichen zur Vereinigung der Truppen gaben.
Der Anblick der Milizen, die, ungefähr tausend Mann stark, sich nun in zwei Bataillone aufstellten, regte in dem Wilden plötzlich all den Haß auf, der sein ganzes Leben so unnennbar unselig gemacht hatte. Mit starrem Staunen, halb mit Entsetzen, folgte er jeder Bewegung, jedem Schritte der Truppen mit einer Aufmerksamkeit, in der ein unsäglich bitteres Gefühl sich spiegelte. Die Mannschaft von Opelousas, die von den Offizieren eingeteilt wurde, schien ihn weniger zu interessieren, vielleicht weil er sich bewußt war, daß auch er mit seinen Oconees gegen den regellosen Ungestüm des noch ungeordneten, schwankenden Haufens mit Erfolg streiten könnte. Als aber das geschlossene Korps des vom Obersten kommandierten Bataillons seine verschiedenen Entwicklungen auszuführen begann, da überzog sich das Gesicht des alten Mannes mit einem grauenhaften Ausdrucke von Jammer, Bitterkeit und Groll.
»Sieht mein Sohn,« sprach er mit leiser, zitternder Stimme im Pawneedialekte, als fürchte er, seine Feinde würden das von ihm ausgesprochene zweideutige Lob hören, »sieht mein Sohn, wie die Weißen schlau sind. Die roten Männer werden nimmer den Tomahawk in ihrem Blute färben; sie sind unbändig und stolz, wie der Büffelstier, aber wenn sie das Kriegsgeschrei erheben, so werden sie zahm und folgen nicht einem Führer, wie die roten Männer, sondern vielen, die alle unter einem sind.«
»Und treten so, wie die Herde den Jäger, die roten Männer lachend nieder«; erwiderte El Sol ebenso leise, ohne von den Bewegungen der Truppen, die nun im Sturmschritt auf sie zukamen, ein Auge zu verwenden.
»Tokeah«, sprach er nach einer langen Pause, »hat oft mit seiner Seele gesprochen, woher es kommt, daß der weiße Mann so trotzig und wieder so folgsam ist. Die roten Männer sind bloß trotzig; ihnen wird nie geholfen werden.«
»Warum,« sprach er wieder nach einer viertelstündigen Pause, »sind doch die roten Männer blind gemacht vom großen Geiste? Warum verhüllt er seit vielen Sommern sein Antlitz?«
»Im Leben des roten Volkes ist der große Geist nicht; er ist ihnen zum Stiefvater in ihrem eigenen Lande geworden; sie müssen fluchen dem Leben, das er ihnen gegeben hat.«
»Mein Vater spricht Worte der Finsternis,« verwies ihm El Sol; »das Antlitz des großen Geistes wird sich umwölken.«
»Es hat sich schon umwölkt. Er mag den Donner aus seiner Wolke schleudern; Tokeah wird ihn segnen.«
Der junge Häuptling trat entsetzt zurück.
»Ja, der große Geist«, sprach der mit sich zerfallene Alte, »ist wie ein schönes Weib, er liebt die glatte Haut der weißen jüngern Söhne, die ältern hat er verstoßen; sie verschwinden von der Erde – von dem Erbteile ihrer Väter, er bläst sie mit seinen Winden zur See gegen Sonnenuntergang. Wenn sie jenseits der Felsenberge angekommen sein werden, so braucht er sie nicht in das Salzwasser hineinzustoßen, es wird ihrer keiner mehr da sein.«
Lästere den großen Geist nicht, alter Mann!« rief ihm El Sol drohend zu.
»Lästern?« wiederholte der mit seinem Schicksale hadernde Indianer, »hat Tokeah gelästert, ist nicht sein ganzes Leben eine Lästerung des großen Geistes? Warum,« murmelte er mit erboster Stimme, »warum verfolgt er Tokeah und sein Volk von ihrer Geburt an? Was haben sie verbrochen? Warum schlägt er sie? Hat Tokeah Böses getan? Warum züchtigt er seine Kinder? Warum hat er seinen Feinden die Schlauheit des roten Hundes, die Stärke des Büffels, den roten Männern die Blindheit der Eule gegeben, die beim hellen Tage im Finstern tappt?«
»Die roten Männer werden hell sehen und wieder zum Leben erwachen in Senorars und Senowhares Gefilden; der Seher Blackeagle hat es verkündet«; tröstete ihn El Sol.
Ein Hoffnungsschimmer durchzuckte das Angesicht des alten Mannes: »Mein Sohn hat recht«, sprach er, und wieder verfiel er in sein voriges Dahinstarren.
In diesen düstern Ausbrüchen waren Stunden vergangen; kaum daß ihn die Seinigen vermochten, an dem reichlichen Mahl teilzunehmen, das ihm die Gastlichkeit der Weißen bereitet hatte. Als wolle er sich selbst recht quälen durch den Anblick dieser gehaßten Weißen und ihre Überlegenheit in Anzahl und Kriegsübung, war er hinausgeeilt, hatte sie einige Zeit angestarrt und war wieder trostloser zurückgekehrt, um dasselbe in einer halben Stunde wieder zu tun.
Als endlich das Bataillon entlassen worden war, und die Oberoffiziere sich dem Gasthofe näherten und in den Saal traten, in welchen nun auch die Indianer eingeführt wurden, sah ihnen der alte Mann mit einer Sehnsucht entgegen, die den Offizieren auffiel, die mit seinem schrecklichen Gemütszustande wenig oder gar nicht bekannt waren, und natürlich beitrug, eine gewisse vertrauensvolle Stimmung zwischen den beiden Parteien zu erzeugen. Als die Offiziere Platz genommen hatten, ließen sich auch die Indianer auf ihre gewöhnliche Weise auf den mit Teppichen belegten Fußboden nieder, indem sie, auf ihren Schenkeln sitzend, ihre Beine ineinander kreuzten.
»Wünschen meine roten Brüder mit der Zunge der roten Männer zu sprechen, oder wollen sie ihre Botschaft mit der der Weißen verkünden?« fragte der Squire.
»Der Miko der Oconees ist fern von den Seinigen, und seine Augen sehen viele Weiße; er will mit der Zunge der Weißen reden«, versetzte der alte Mann nach einer Pause.
»Unsere Männer«, so hub der General an, »haben die Fußstapfen ihrer roten Brüder gesehen, ehe sie das Kanu bestiegen, um an den großen Fluß zu gelangen; sie haben dieses unserem Bruder, dem Häuptling Copeland, berichtet, und er hat die roten Männer hierherführen lassen, damit ihre weißen Brüder erfahren, weshalb sie gekommen sind, und ob sie ihrer Hilfe bedürfen?«
Der General sprach diese Worte in einem zutraulich würdevollen Tone, der augenscheinlich berechnet war, die Indianer in guter Stimmung zu erhalten. Ein unmerklich bitteres Lächeln hatte den Mund des Greises während derselben verzogen. Nach der gewöhnlichen Pause erwiderte er:
»Tokeah hat viele Sommer gesehen, und in der Hälfte derselben ist er, ein freier und gewaltiger Miko, vom Oconee bis zum endlosen Flusse gegangen, ohne daß ihm Schlingen gelegt worden wären. Warum darf der Miko mit den Seinigen nicht frei gehen, wohin er will? Sind die weißen Männer so furchtsam geworden, daß die Schatten von sechs roten Männern und zwei Mädchen sie erschrecken?«
»Daß die weißen Männer ihre roten Brüder nicht fürchten, weiß der Miko am besten,« versetzte der General; »auch ist er ein zu großer Häuptling, um nicht auch zu wissen, daß, wenn man den Tomahawk ausgegraben hat, die Augen offen sein müssen, um diejenigen zu zählen, die sich dem Lager nähern.«
»Hat der weiße Häuptling je den Tomahawk gegen die roten Männer erhoben?« fragte der Indianer nach einer Weile.
»Nein, aber gegen die Söhne des großen Vaters der Kanadas. Ich bin der Befehlshaber dieser achtungswerten Männer, die in vielen Schlachten gekämpft haben.«
»So frage der weiße Häuptling seine Brüder,« versetzte der Indianer nach einer langen Pause, »und sie werden ihm sagen, daß die roten Männer nicht mit ihren Squaws gehen, um das Schlachtgeschrei zu erheben. Der Miko ist mit seinem Sohne, dem mächtigen Häuptlinge der Cumanchees, in Frieden gekommen. Tokeah ist alt geworden«; setzte er bedeutsam hinzu.
»Und die weißen Männer strecken dem alt gewordenen Miko und seinen Brüdern die Palmen ihrer Hände zum Friedenszeichen entgegen«; erwiderte der General. »Aber die roten Männer sind klug,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »und sie lieben ihre Wigwams und Jagdgründe sehr. Warum haben sie einen so weiten Weg gemacht?«
Der Indianer sah den Sprecher eine Weile forschend an. »Wenn der große Vater etwas mit seiner Seele redet, behält er es nicht für sich?«
»Der große Vater ist in seinem Land, und die Seinigen sehen seine Wege; aber der Miko, fragt er nicht auch den Fremdling, den er in seinem Wigwam findet?« antwortete der General.
»Ist Tokeah ein Fremdling im Lande seiner Väter?« fragte der Wilde mit unsäglich wehmütiger Bitterkeit. »Ja, er ist›s, er hat bereits seit vielen Sommern nicht mehr den Tomahawk gegen seine weißen Feinde erhoben. Er hat ihn begraben, und er ist rostig geworden. Er ist auf breitem Pfade gekommen, nicht wie ein Dieb; aber er ist ein Fremdling in seinem Lande geworden.«
»Aber die roten Männer sind keine Toren, die nicht wissen, was sie tun. Hat nicht der Vater der Kanadas Tokeah durch seinen Boten etwas ins Ohr flüstern lassen?« fragte der General, der vielleicht mit Vorbedacht nicht die wehmütige Stimmung des Indianers berücksichtigte.
Dieser wurde aufmerksam.
»Ist der Sohn des großen Vaters der Kanadas bei meinen weißen Brüdern gewesen?«
»Er ist aufgefangen von den Unsrigen und eingebracht worden«; erwiderte der General.
Es erfolgte eine lange Pause, während welcher die beiden Sprecher sich zum ausholenden Wettstreite vorzubereiten schienen.
»Und die weißen Männer haben den Sohn des großen Vaters der Kanadas ergriffen und festgenommen?« fragte der Indianer.
»So haben wir«; war die Antwort.
»Und was haben die Häuptlinge der weißen Männer beschlossen?«
»Was tun die roten Männer mit denjenigen, die sie als Späher einfangen?«
»Und ist der junge Sohn des großen Vaters der Kanadas als Späher zu den weißen Männern gekommen?« fragte der Indianer kopfschüttelnd.
»Er kam von Tokeah, dem Häuptlinge der Oconees«; sprach der General mit plötzlich starker Stimme.
»Hat mein weißer Bruder gesagt, daß er von Tokeah kommt?« fragte dieser in demselben kalten, unbewegten Tone.
»Glaubt Tokeah, daß die weißen Männer nicht Augen haben, um zu sehen, wenn auch die Zunge schweigt? Sie wissen ihre Feinde von ihren Freunden zu unterscheiden. Wenn die roten Männer ihre Tomahawks gegen uns erheben wollen, so mögen sie dieses tun, wir werden ihnen zu begegnen wissen; wenn sie sich aber wie die Hunde vom Jäger aufs Wild hetzen lassen, dann müssen sie zufrieden sein, wenn sie als solche totgeschlagen werden.«
»Und glaubt der weiße Häuptling,« fiel der Miko schnell ein, »daß Tokeah Tor genug sei, sich wie ein Hund von einem Mädchen hetzen zu lassen, um ihr das Wild für ihren Kessel zu fangen? Der weiße Häuptling hat wenig von Tokeah gehört.«
»Der große Vater der Kanadas ist schlau,« versetzte der General; »er schickt zuweilen auch Mädchen, weil er weiß, daß die roten Männer die zarten, weißen Gesichter lieben.«
»Tokeah ist ein Mann, ein Häuptling,« sprach der Indianer, »der der zarten Gesichter lacht. Der weiße Häuptling mag die weiße Rosa fragen. Sie ist es, die den Sohn des großen Vaters der Kanadas ins Wigwam geführt, mit einer, die nicht mehr ist.« Hier stockte seine Stimme, und er hielt plötzlich inne; er ermannte sich jedoch und fuhr fort: »Er ist aus der Schlinge des Seeräubers entwischt, und Tokeah hat ihn erst gesehen, als er jenseits des zweiten Flusses war. Dann hat er ihm einen seiner Männer gegeben, um ihn zu den Seinigen zu bringen.«
»Der Miko der Oconees würde dies nicht mit einem der Unsrigen getan haben. Der Miko ist viel zu gütig gegen unsere Feinde«; versetzte der General.
»Tokeah hat getan, was seine Väter auch mit den Vätern der weißen Männer getan haben, die friedlich in ihre Wigwams kamen und wieder gingen. Er legt nur seinen Feinden Fallstricke.«
»Wir zweifeln nicht an Eurer Freundschaft für die Söhne des sogenannten großen Vaters der Kanadas; auch haben wir nichts dagegen, wenn Ihr von ihm Geschenke annehmt. Aber vergeßt dabei nicht, daß, wenn der große Vater der Kanadas Euch Glasperlen gibt, er dafür die Köpfe Eurer jungen Männer nimmt.«
»Tokeah spottet der Glasperlen der Weißen.«
»Aber er nimmt sie für seine Kinder,« versetzte der General, »und er liebt, das gelbe Metall an ihnen glänzen zu sehen.«
Der Indianer, der nach seiner jedesmaligen Rede wieder seinen Kopf auf die Brust gesenkt hatte, fuhr bei diesen Worten unwillig auf.
»Der weiße Häuptling mag seinen Bruder fragen«, entgegnete er, auf den Squire deutend. »Er ist fett geworden von den Biber– und Hirschfellen, die ihm die roten Männer für Feuerwasser gebracht haben, und er wird ihm sagen, wie man das glänzende Metall gewinnt. Die weiße Rose ist die Tochter des Miko, und er hat viele Biberhäute und Bärenhäute gesammelt, und seine Tochter Canondah hat viele Kürbisflaschen Feuerwassers gebrannt, um die Augen der weißen Rose in Freude leuchten zu machen. Tokeah würde das glänzende Metall des großen Vaters der Kanadas mit dem Fuße wegstoßen.«
»Und warum hat die Tochter Tokeahs dem Sohne des Vaters der Kanadas den Mund verschlossen?«
»Tokeah selbst hat seine Zunge gebunden«, entgegnete der Indianer.
»Und warum hat der Häuptling dieses getan? Sind die Oconees Diebe geworden, die das Tageslicht scheuen?«
»Liebt mein Bruder, das, was ihm teuer ist, die Diebe sehen zu lassen? Die Oconees verstecken ihre Wigwams nicht vor den weißen Männern, aber vor ihren Dieben, die kommen, um ihnen ihr Vieh und ihr Korn zu stehlen. Sie wollen Frieden.«
»Und Tokeah ist zurückgekommen, um sein Volk zu sehen?« fragte der General.
Der Häuptling schüttelte das Haupt. »Der Miko kennt die Muscogees nicht mehr. Er ist gekommen in Frieden, weil der große Geist ihm in die Ohren geflüstert hat. Wenn er getan, was er befohlen hat, dann wird er dahin gehen, wo ihn keiner der Weißen mehr sehen wird.«
Der General und die Offiziere schienen mit den Aufklärungen, die ihnen die Unterredung gegeben hatte, zufrieden zu sein. Sie besprachen sich noch eine Weile untereinander, und dann schloß der erstere die Zusammenkunft mit den Worten: »Meine roten Brüder sind willkommen in den Wigwams der weißen Männer, und diese werden sorgen, daß sie Überfluß an Feuerwasser und Wildbret haben. Aber sie werden warten in dem Wigwam, in dem sie sind, bis der große Vater von ihrer Ankunft benachrichtigt ist. Der Miko weiß, daß er gerecht ist, und daß er und seine Kinder nichts zu fürchten haben, wenn sie in Frieden gekommen sind.«
»Gut«, erwiderte der Indianer.
Beide Parteien erhoben sich nun, und, nachdem sie sich würdevoll die Hand gereicht hatten, trennten sie sich. Die Indianer kehrten in ihre Stube zurück, und die Offiziere, mit Ausnahme des Kapitäns, blieben im Saale, der sich schnell zum abermaligen Meeting zu füllen begann.
Dreißigstes Kapitel
»Willkommen, Kapitän!« sprach die Frau des Obersten, als dieser ins Empfangszimmer eintrat. »Setzen Sie sich, die Kinder sind oben. Sie haben uns ein herrliches Christgeschenk in dem lieben Engel gebracht. Es kommt mir immer vor, als wäre sie der Bote des Sieges, der Engel des Friedens und eine gute Vorbedeutung für die Unsrigen, die morgen gegen den Feind ziehen. Wir haben den ganzen Nachmittag mit ihr geweint, als sie uns ihr schönes Leben und den Tod der Tochter des Miko erzählte. So ein herrlich demütiges, in Liebe erquillendes Gemüt! Sie müssen diesem Miko alles Gute erweisen; er muß sehr unglücklich sein. Sie haben eine Unterredung gehabt? Ich schloß es aus Ihrem langen Ausbleiben.«
Der Kapitän hatte sich nachlässig aufs Sofa hingeworfen und fuhr mit der Hand unmutig durch die schwarzen Locken. »Ein trostlos zerrüttetes Gemüt,« sprach er, »in dem nur eine Leidenschaft noch brennt, Haß, glühend verzehrender Haß gegen alles, was amerikanisch ist, der sich in jeder Miene, jedem Worte, jeder Muskel ausdrückt. Hat aber wahrlich Ursache; diese Hinterwäldler sind ein selbstsüchtiges, steifes, starres, rauhes Volk.«
Die Dame schüttelte den Kopf. »Kapitän! Sie sehen mit den Augen des Vorurteiles. Sie fühlen sich unbehaglich.«
»Unbehaglich!« rief der Kapitän, bitter lachend. »Als ich heute vortrat, der Major sprach noch mit den Stabsoffizieren des andern Bataillons, da kehrte mir die ganze Rotte den Rücken. Es ist zum Rasendwerden.«
Der Offizier sprang auf und lief zähneknirschend durch den Salon.
»Und Sie?« fragte die Dame.
»Was würden Sie, teure Mutter, in meinem Falle nach einem solchen Affront getan haben?« »Würde die Männer ernst, aber vertrauensvoll gefragt haben, was sie mit ihrem Betragen meinen. – Und was tat der Major?«
»Rauchte dann und trank und stolperte mit ihnen den ganzen Tag herum«, erwiderte der Kapitän. »Ich ließ sie stehen und ging auf meine Stube.« »Kapitän Percy!« sprach die Dame ernsthaft, »man hat schon gestern oder vielmehr heute morgen Ihr Betragen sehr sonderbar gefunden, daß Sie als Militär es wagen konnten, die Volksverhandlungen zu unterbrechen.«
Der Kapitän wurde feuerrot. »Wagen, ihre Volksverhandlungen zu unterbrechen. Beim Himmel! sie verdienten alle, vors Kriegsgericht gestellt zu werden. Der Gefangene entwischt, er konnte keine Stunde fort sein. Ich eile, ich renne; ich befehle den Männern, ich bitte, ich beschwöre den General. Nur zwanzig Mann. – Da stehen sie mit offenen Ohren, Augen und Mäulern, ohne ein Glied zu bewegen, um anzuhören, was tausendmal bereits in allen unsern Countyzeitungen gestanden.«
»Aber, lieber Kapitän, was geht das Sie an, wenn das Volk es seinem Interesse gemäß findet, sich zu beraten? Und Sie haben sehr unamerikanische Worte gesprochen. Sie gehen von Mund zu Mund.«
»Desto besser. Sie mögen wissen, was man von ihnen denkt.«
Die Oberstin schüttelte den Kopf. »Und Sie vermessen sich, gegen den millionenarmigen Riesen, Volksgeist genannt, Ihre Stimme zu erheben und den Bürgern mehrerer Counties Trotz zu bieten!«
»Ich bin nicht Volks-, ich bin Linientruppenkapitän.«
»Und wem gehören diese Linientruppen?« fragte die Dame. »Und dann,« fuhr sie fort, »dieser Unfriede, dieser Hader in der gegenwärtigen, schwer bedrängten Zeit, wohin soll er führen? Wenn diejenigen, die das Volk gegen den Feind leiten sollen, aus übelverstandenem Stolze sich mit diesem zerwerfen?«
»Und wer hat diesen Unfrieden verursacht, teure Mutter? Doch nicht Kapitän Percy. Wer ist es, der die Opposition gegen den Kommandierenden begonnen hat?«
»Kapitän!« sprach die Dame besorgt, »Sie sind zu lange von Hause gewesen. Sie kennen das Volksleben und seine Gewalt hier nicht. Sie stellen sich unser Volk wie das des alten Englands, des Paradieses der Großen, vor. Hier ist das Paradies des Volkes, und so wie in jenem die Großen, hat hier das Volk alle Macht und Herrschaft.«
»Leider!« versetzte der Kapitän.
Die Frau wandte sich unwillig mit einem halb mitleidigen, halb beleidigten Blicke von ihm. Indem gingen die Türen auf, und der Oberst mit dem Major Copeland traten ein und begrüßten die Dame herzlich, den Kapitän etwas kalt.
»Ihr schon hier?« fragte diese.
»Ja, Liebe!« erwiderte der Oberst. »Das haben wir dem Squire zu verdanken. Es ist vortrefflich ausgefallen, und ich gehe nun mit Zuversicht hinab. Squire Copeland ist ein Wundermann; die Resolutionen sind einmütig angenommen. Einige wollten Einwendungen machen, nahmen sie jedoch zurück.«
»Das sind die Tennesseer, die erst letztes Jahr herabgekommen sind«, entgegnete der Squire. »Noch wilder Stoff und haben sich das Fechten und das Prellen noch nicht abgewöhnt. Für unten sind sie jedoch gerade recht.«
»Die Manöver ihrer Schützen sind aller Ehre wert, Major! und die Ordnung, mit der sie sich benahmen, bewundernswert – für den ersten Tag nämlich.«
»Einige Male«, bemerkte der Squire, »wandelte sie noch immer die Lust an, ein Kleines zu verkosten; aber als ich einem Dutzend die Zigarren aus dem Munde genommen, waren sie für den ganzen Tag ruhig. Ei, es sind freilich keine New Yorker oder Londoner Gentlemen; aber glaubt mir, ihres Landes Beste geht ihnen über alles. Wir haben nun vier Kompagnien Schützen beisammen, die ein Dutzend britischer wegblasen.«
Der Kapitän, nachlässig auf das Sofa hingestreckt, hatte lächelnd den Squire angehört. »Major Copeland«, sprach er endlich ein wenig spöttisch, »scheint seine Feinde etwas unter ihrem Werte zu halten. Es verrät wenigstens Selbstbewußtsein.«
»Und das kann bei einem Volke nie zu weit gehen. Wer sich das Unmögliche zutraut, wird es auch ausführen.«
»Wer seinen Feind verachtet, ist bereits geschlagen, habe ich immer gehört«, entgegnete der Kapitän.
»Mag sein in der alten Welt«, entgegnete der Squire trocken. »Hier haben wir ein besseres Sprichwort: Achte dich zuerst selbst, und deine Feinde werden dich nicht verachten. Übrigens, Kapitän, sind wir in einem freien Lande, und Sie mögen sprichwörtern so viel Sie wollen; nur möchte ich Ihnen raten, daß, wenn Sie mit Bürgern zu tun haben. Sie auch Bürger und kein Jota mehr sein müssen.«
»Und nach Opelousas zum Squire Copeland in die Lehre gehen«, lachte der Kapitän bitter.
»Vielleicht wäre es besser für Sie gewesen, als daß Sie Ihre schöne Jugend in dem grundverdorbenen England verbrachten. Sie haben, scheint es, aus lauter Entzücken über das gehorsame Volk der alten Welt vergessen, daß hier das Volk Gehorsam fordert. Es ist freilich bequemer, zu sagen: du gehst und du stehst, wie es von dem Manne in der Bibel heißt; aber in diesem Punkte haben wir hier noch ein neueres Testament, und selbst das großartige und edelstolze Wesen geht an uns verloren. Nicht einmal anstarren oder scheel ansehen dürfen Sie einen, weil Ihnen sonst der Mann den Rücken wendet. Sie müssen sich unsere Manieren just gefallen lassen, und wenn Sie sich dieser schämen, je nun, so glauben Sie mir, die Männer würden sich noch mehr ausländischer Manieren schämen; sie sind Männer, und zwar die freiesten Männer der Welt, und zu stolz, um sich fremden Manieren zu unterwerfen.«
»Diese Lektion, Major, als was soll ich sie nehmen?« fuhr der Kapitän auf, der rasch auf den Major zutrat.
Der junge, schöne, von Gold starrende, äußerst elegant uniformierte Offizier, der sich augenscheinlich den feinsten Weltton angeeignet hatte, schien weniger über die Reden des Squire, als dessen Äußeres empört. Dieses war nichts weniger als elegant. Ein rehfarbiger, etwas grobtuchener Reiterrock, der, zwar weniger berühmt, aber ebenso viele Touren gemacht haben mochte, als sein grauer, dazumal in Elba befindlicher Bruder, eben solche Beinkleider, eine Art schwarzseidenen Strickes um den Hals, und der Quäkerhut, auf dem der barocke Federbusch wie eine Vogelscheuche prangte, halbrunde Schuhe, die von der Japaneser Wichse seit ihrem Dasein nichts gesehen, waren das Kostüm des vierschrötigen Squire, der ernst und scharf auf den jungen Offizier zutrat. »Als nichts denn einen gutgemeinten Rat, Kapitän«, erwiderte er. »Sie sind ein wackrer junger Mann, und Gott verzeih es denen, die, statt aus Ihnen den Stolz unseres Landes zu machen, Sie hinübersandten und uns einen englischen Fashionable wiedergaben. Aber Sie haben sich wie ein Mann oben an den Seen gehalten. Wäre das nicht der Fall, Major Copeland würde wahrlich für Sie kein Wort verloren haben.«
»Kapitän Percy«, sprach der Offizier stolz, »bedarf keines Fürsprechers und am wenigsten —«
»Sie sind jung, Kapitän,« fiel ihm der Major kalt und trocken ein, »vergessen Sie nicht, daß Sie mir subordinierter Offizier sind. Wir gehen morgen, wie es beschlossen worden, mit den acht Kompagnien hinab. Zweihundert Mann bleiben zurück. Sie werden nun Gelegenheit haben, zu zeigen, ob Ihnen an Ihren englischen Manieren oder am Wohle des Landes mehr liegt. Und vergessen Sie nicht, daß, wenn Sie einmal mit einem Ihrer Mitbürger eine Zigarre rauchen oder ein Glas Toddy trinken, dieses Vertrauen Sie ehrt und kein Haar breit von Ihrer Würde nimmt; auch daß diese nämlichen Bürger größere Männer zu Paaren zu treiben wissen, als Sie sind.« Er nickte mit dem Kopfe und verschwand im hintern Empfangszimmer.
Es war etwas zutraulich Gemäßigtes, aber auch zugleich etwas lakonisch Hartes in dem Tone des Squire gewesen, das dem Offizier abwechselnd das Blut über die Wangen jagte. Eben wollte er dem Major nacheilen, als ihm der Oberst zurief:
»Was wollen Sie, Kapitän Percy?«
»Dem Grobian eine Erklärung abfordern.«
»Setzen Sie sich, diese will ich Ihnen selbst geben. Wissen Sie, daß die sämtliche Mannschaft, ohne Ausnahme, über Ihr Betragen bei dem gestrigen Meeting und die Äußerungen, die Sie fallen ließen, sowie über Ihr heutiges Benehmen so entrüstet sind, daß sie stehenden Fußes ein Komitee von Offizieren ernannten?«
»Und?« fragte der Kapitän, der ein wenig betroffen wurde.
»Und daß dieses Komitee darauf antrug, das Ganze an den Kommandierenden zu berichten und Sie einstweilen, von allen Dienstverhältnissen mit unsern Bürgern zu suspendieren?«
Der Kapitän erblaßte.
»Da trat Major Copeland vor, und mit jener ihm eigenen nervichten Beredsamkeit stellte er den Männern die Notwendigkeit dar, Sie beizubehalten. Nichts vergaß er; Ihre Dienste, Ihre glänzenden Taten bei Plattsburg, alles schilderte er. Er kennt Sie genau. Es dauerte lange; endlich gelang es ihm, den Unwillen zu beschwichtigen. Die Beschlüsse wurden einstweilen zurückgenommen, verstehen Sie? einstweilen!«
»Ich habe im Auftrag meines Chefs gehandelt, und wenn mir im Unwillen Worte entschlüpften —«
»Die nie einem Manne entschlüpfen sollten, der andere zu kommandieren berufen ist«, sprach der Oberst. »Sie kamen in Aufträgen des Generals. Wohl! so mochten Sie sich derselben entledigen und dann schweigen. Aber Sie kamen wie der Pfeil vom Bogen und dachten vermutlich, weil der General unten mit den Kreolen so wenig Umstände macht, diese hier noch weniger nötig zu haben. Ihr Chef versteht jedoch die Sache besser, und während er Sie mit seiner Donnerbotschaft aufs Geratewohl sendet, schreibt er einen freundlichen Brief an den Squire, ja recht bald mit dem Bataillon herabzukommen, er selbst habe ihm Quartier bestellt.«
»Wie wußte er, daß der Squire Copeland zum Major gewählt werden würde?«
»Wenn die jenseitigen Counties die Präsidentenstelle zu vergeben hätten, so würde sie ihm zuteil werden, der durch Erfahrung, Kenntnisse, Gemeinnützigkeit und selbst Vermögensumstände eine hohe Stellung dort einnimmt. Er ist einer der Tonangeber der demokratischen Partei im Staate, in mehreren Counties allgewaltig. Wie konnten Sie es wagen, mit einem Manne, der sechs angesessene Söhne hat und der für sein Land geblutet, ehe Sie noch waren, in einem solchen Tone zu sprechen?«
Der Kapitän war einige Male rasch im Salon auf und ab geschritten. »Der General ahnte etwas von einer Opposition; er hat mir aufgetragen, alles mögliche zu tun, um diese rückgängig zu machen.«
»Und Sie kamen und glaubten, man werde hier sogleich den Atem verlieren? Seien Sie versichert. Ihr donnernder General wird die gewaltige Pille, wegen der Sie sich den Mund verbrannt und Ihre Popularität und, was dasselbe ist, Ihre militärische Existenz vielleicht auf immer gefährdet, mit zuckersüßem Munde hinabwürgen und durch ein freundliches Gesicht dem fernem Volksunwillen vorzubeugen suchen.«
Es folgte eine lange Pause.
»Wir gehen morgen, wie Sie wissen, mit den eingeübten Truppen und den Riflemännern hinab; Sie bleiben einige Tage zurück, bis die Mannschaft eingeübt ist. Eines muß ich jedoch bemerken,« fuhr der Oberst ernsthaft fort, »Ihrer Bewerbung um meine Tochter, Kapitän Percy, habe ich keine Hindernisse in den Weg gelegt, obwohl sie nicht ganz nach meinem Sinne ist. Ich will jedoch der Neigung meines Kindes keinen Zwang anlegen. Nur vergessen Sie nicht, daß ich mit meiner Tochter nicht zugleich auch meine Popularität bei meinen Mitbürgern hinweggeben will.«
Der Kapitän hatte den Sprecher starr angesehen. Einige Male schritt er rasch im Salon auf und ab; dann griff er nach Handschuhen und Tschako, die er heftig an sich riß. Noch stand er unschlüssig, als die Frau des Obersten sich erhob und würdevoll sprach:
»Eintracht und Zusammenwirken! Kommen Sie, Kapitän, Sie waren es, der gefehlt hatte. An Ihnen liegt es, den ersten Schritt zu tun.«
Der Kapitän faßte die dargebotene Hand und folgte der Dame. —
In den vielfältigen Geschäften des großen Hauswesens und den Vorbereitungen zum Abmarsche war die Nacht verflossen, und der Morgen graute schon herauf, als der Donner der Kanonen auch die Ankunft der Dampfboote verkündete. Nicht lange darauf kamen Rosa und Gabriele in den Saal. Eine Weile stand noch die schöne Familiengruppe beisammen, und dann verließ sie das Haus und Bayou auf dem Weg zum Stromufer. Noch hing der Nebel so dicht über dem Strome und dem Ufer, daß bloß ein dumpfes Gewirre von Stimmen zu entnehmen, kein Gegenstand zu unterscheiden war. Die Mannschaft war jedoch versammelt und mit ihr Tausende von Frauen, Mädchen und Kindern, die von nah und fern gekommen waren, um von den Ihrigen Abschied zu nehmen. Ernst und besonnen standen alle und besprachen sich mit den Ihrigen mit einer Ruhe, die unwiderleglich die hohe Stufe der Selbstachtung beurkundete, die das amerikanische Volk so weit über jedes andere erhebt und wohl am natürlichsten dadurch zu erklären sein dürfte, daß dieses keinen eigentlichen Pöbel in seiner Mitte hat, sondern jedes Glied des großen Körpers, selbsttätig und politisch wichtig, jeden seiner Schritte als denkendes, freies Wesen überlegt und eben deshalb mit gesetzter ernster Kraft derselben entgegentritt. Noch einmal umarmte der Oberst seine Lieben, und dann ließ er das Zeichen zum Aufbruche geben. Ihm folgte sein Sohn, der Mutter und Schwestern rasch küßte, die Hand Rosas erfaßte, sie fieberisch an sein Herz riß, und dann der Squire, der den Damen die Hand schüttelte und dann Rosa in seine Arme nahm. »Bete für uns, Rosa,« murmelte er ihr zu, »der da droben hört das Flehen der Unschuld, wir werden›s wahrlich brauchen.«
Und stärker rollten die Trommeln, und gellender tönten die Pfeifen, und der Donner der Kanonen von den Dampfbooten brüllte darein, und der alte Mann riß sich von ihr und der Familie los. Und Trupp auf Trupp zog nun an ihnen vorüber. Ein dumpfes, düsteres Gemurmel, ein anfangs leises, unterdrücktes, dann allmählich lauter werdendes Schluchzen der Frauen, Mädchen und Kinder. Gott segne euch! Er sei mit euch, der Herr der Heerscharen!« rief es aus hundert Kehlen. »Denkt an Weib und Kind! Seid stark, seid Männer!« schrien und kreischten andere. Da schrak Rosa plötzlich zusammen. »Um Gottes willen!« rief sie und flog erstarrt in die Arme ihrer neuen Mutter. Sie drückte ihr Gesicht in den Busen der Dame. Sie deutete schaudernd hinter sich auf eine Schar von Männern, die im dichten Nebelflor, von einem Zug Milizen geführt, auf das Dampfschiff zuschritten.
»Was ist›s? was ist›s?« rief die erschrockene Oberstin.
»Mutter! um Gottes willen rette mich! – Rette deine Rosa!« Mehr vermochte sie nicht zu sagen: denn sie hing in den Armen der Frau halb tot vor Schrecken, ihre Glieder schlotterten, sie war von unendlicher Angst ergriffen.
Da stürzte plötzlich von hinten eine riesiglange, hagere Gestalt, gleich einem Gespenste, unter die Gruppe der Damen, riß Rosa mit Riesengewalt aus den Armen der Frau und hielt sie mit den langen, dürren Händen umschlungen, mehr wie ein höllisches Nachtgespenst, denn ein Erdenbewohner. Mutter und Töchter waren vor Entsetzen kreischend zurückgesprungen.
»Was ist›s?« rief der Kapitän, der mit gezücktem Degen herbeigerannt war.
Der Indianer stierte ihn mit den rollenden Augen eines Rasenden an, drückte Rosa krampfhaft an sich, nur den langen Hals streckte er gräßlich nach dem Dampfschiffe hin, und seine furchtbar funkelnden Augen stierten nach. »Der Häuptling der Salzsee«, stöhnte er.
Rosa blickte auf. Sie schaute um sich. »Miko!« rief sie, »er ist gegangen. Sei ruhig, Miko, der Mörder Canondahs und der Deinigen ist auf dem Strome.«
Und allmählich wurde sein Blick ruhiger. Seine Hände fielen von dem Mädchen, er blickte nochmals stier auf und schwankte langsamen Schrittes den Seinigen zu.
»Um Gottes willen, Kind, was ist das gewesen?« rief die entsetzte Oberstin.
Rosa zitterte noch an allen Gliedern.
»Der Seeräuber, Mutter.« »Kind, du täuschest dich«, rief die besorgte Dame. »Wie sollte der Seeräuber hierher kommen?«
»Nein, nein,« versetzte sie; »der Miko hat ihn auch gesehen.« Und wieder schaute sie ängstlich hinüber auf die Dampfboote, aus deren Kaminröhren nun der Rauch heftiger zu qualmen anfing. Einige Male zischte der Dampf noch wie rasend herüber. Ein langes, tausendstimmiges Gott segne euch schallte hinüber, kam herüber, die Schiffe hoben sich, wandten sich und trieben dann der verhängnisvollen Ferne zu.
Einunddreißigstes Kapitel
»Sind sie abgezogen?« fragte ein Mann mit leiser Stimme, als wollte er die Umstehenden in ihren schmerzhaften Betrachtungen nicht stören.
»So wie Ihr seht,« versetzte ein zweiter; »Ihr seid unter den Riflemännern, Bob; Ihr solltet schon gestern dagewesen sein; Euer Kapitän ist fort.«
»Verdammt!« versetzte der Mann. »Wären es auch, wenn uns nicht diese zurückgehalten hätten.« Er wies auf eine Gruppe von fünf Männern, mit denen er soeben vom jenseitigen Ufer gelandet, und die verwundert schienen, als sie sich plötzlich in einer dichten Reihe von Männern, Weibern und Kindern befanden, von denen einige ihre Ohren den ferne her zischenden Dampfschiffen nachhielten, andere in schweren Gedanken vertieft standen, wieder andere ihre Tücher an die Augen hielten. Es war etwas Ergreifendes in dieser Todesstille der vielen hundert Männer, Frauen und Kinder, die, ohne einen Laut von sich zu geben, noch das Zischen der Dampfschiffe erhorchen zu wollen schienen. Das Gespräch, obwohl leise geführt, hatte jedoch die Aufmerksamkeit auf die soeben Angekommenen gerichtet, von denen zwei als Nachbarn begrüßt, der dritte als der entlaufene Neger des Obersten Parker erkannt, und der vierte einige Augenblicke betrachtet und dann als ein besonderer Aufmerksamkeit eben nicht sehr wertes Subjekt entlassen wurde, der letzte jedoch eine rasche Bewegung und ein Gemurmel veranlaßte, das schnell lauter wurde. »Der Spion«, rollte es von Mund zu Munde.
»Bei Jasus!« rief der Junge, den wir als den vierten bezeichnet, mit einer scharfen, knarrenden, rauhen Stimme und einem Dialekte, der ihn sogleich als einen Sohn Erins verriet. »Bei Jasus! Meister James, das ist eine lustige Hetze; was das für einen Lärm setzt. Als wir ankamen, hätte man eine Maus laufen hören können; kaum haben wir aber einen Fuß ans Land gesetzt, so hebt der Tumult und Schrecken an, just als wenn eine Yankeefregatte an einen königlichen Zweiundfünfziger angeprallt käme.«
Der angeredete Master James, der unser unglückseliger Brite war, gab keine Antwort. Mit zusammengepreßten Zähnen und Lippen stand er stieren, leeren, halb verwilderten Blickes da, der, wenn er auch nicht die Begrüßung, mit der er bewillkommt worden, rechtfertigte, mindestens auf harte Stöße während seiner dreißigstündigen Flucht deutete. Das Gemurmel »der Spion« war mittlerweile immer lauter geworden. Der Irländer besah zuerst sich vom Kopfe zu den Füßen, dann seine beiden Gefährten und rief lustig aus:
»Spion, bei Jingo! Wer, glaubt Ihr wohl, daß ein Spion ist? Meines Vaters Sohn? Ei, das ist zum Totlachen. Master James, das Milch– und Blutgesicht?« Er sah ihn nochmals an. »Der Negergentleman? Hol› mich der Teufel, wenn Ihr bei Sinnen seid. In unserer Familie, den Murphys zu Kildare, soll mich – verdammen, lebt keiner, der noch gehängt worden wäre. Spion! geht zum Teufel, Ihr seid nicht gescheit.« Er brach in ein unbändiges Gelächter aus.
»Ist ja dein Bruder Paddy zu Dublin mit der Hanfbraut getraut worden«, rief ihm einer der zurückgebliebenen Milizen zu.
»Da sprecht Ihr wie ein verdammter Mauldrescher«, fuhr der Irländer heraus. »Es war mein Stiefbruder, der Mann ihr Balg, ist im Greenhouse in der Kaserne vom Brette getanzt. Wäre nicht ihr Cousin zu Camarthaen in dem Teufelsnest aufgesessen, so wäre er noch in seiner Jacke. Er hatte aber keine, hatte sie für eine Bouteille Whisky noch im Loche verschachert, wurde im Hemde gehängt.«
»Hast recht, Paddy«, rief ein zweiter, der den Spaß nicht kalt lassen werden wollte. »Aber dein Vater, der Davy Murphy?«
»Ist wegen eines elenden Fäßchens Magentrost vom Constable Meigs erschossen worden. Verdammter Narr! Ein so ehrlicher Tod, als ihn einer nur sterben kann.«
»Und deine Schwester zu Cork ist ja wegen Schafdiebstahl konfisziert worden!« rief ihm ein dritter zu.
»In Cork? Bei Jasus«, lachte der Irländer. »In Cork? Haben in ganz Cork kein Schaf. Sind froh, wenn sie eine Ziege füttern können. Der Grashalm, der übrig bleibt, da machen sie Tee daraus. Arme Mary!« rief er drollig. »Als ich sie zum zweiten Male sah, da sagte sie mir: Du, Davy, sagte sie, sei gescheit, sagte sie, und —«
Der lustige Irländer wurde in seinen Familienbekenntnissen, zum Leidwesen der Männer von Opelousas, durch zwei Milizen unterbrochen, die, Gewehr im Arm, nun von dem Wachthause ankamen, um ihn mit seinen zwei Gefährten in Empfang zu nehmen. Er sah einen Augenblick verwundert die beiden an, und schrie dann, sich niederhockend, mit närrischem Gelächter: »Master James Hodges! Master James Hodges! Parleh fouhs frenseh, Monsiehour? Sprechen Sie französisch, Herr?« Und wieder lachte er so unbändig, daß ihm zuletzt der Atem verging. »Ei, Master James!« kicherte er, »als wir da gestern mit Besen und Stöcken expediert wurden, wer hätte da glauben sollen, daß uns in vierundzwanzig Stunden darauf so viele Auszeichnung erwiesen und wir mit einer Ehrenwache eingeholt würden?«
»Ich glaube,« rief einer, »hinter dem steckt etwas mehr, als der bloße Schalksnarr.«
» Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?« schrie der Irländer wieder mit einem tollen Gelächter.
»Das ist ein närrischer Kauz«, riefen einige Milizen. »Laßt ihm doch seine Freude.« Und sofort schloß sich der ganze Haufe der Männer und Kinder an den Zug.
» Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?« schrie er wieder, indem er stillstand und närrisch lachte. »Könnt auch nichts«, fuhr er in seinem Irisch-Englisch fort. »Hol› mich der Teufel, da sagen die Narren, Louisiana ist halb französisch, halb Yankee. Verdammt, unser Pfaffe, der Pater Kirkpatrik, weiß es besser, und meines Vaters Sohn hat›s von ihm gelernt; aber wo ich noch angefragt habe, bat mich keiner verstanden.«
»Du bist ein kecker Bursche,« rief ihm einer der Offiziere zu, »ein paarmal vierundzwanzig Stunden bei Wasser und Brot werden deine Landstreicherzunge wohl langsamer machen.«
Der Ire sah den Sprecher eine Weile zweifelhaft an; dann fiel sein lauernder Blick auf die Umstehenden, die augenscheinlich durch seine tolle Laune ergötzt wurden, und wieder schrie er: » Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?« aus seiner blauen Jacke ein Papier hervorziehend. »Mit Euer Wohlehren Erlaubnis, ein Seemann von der Brigg Sarah, Kapitän Morand, ein Landsmann von mir, der aber Yankee geworden, und hol› mich der Teufel, ich werde auch einer. Nichts über die Yankees. Parleh fouhs frenseh, Monsiehour, Master James Hodges?« wandte er sich zu diesem. »Ach, Master James! wären wir, wo wir gestern waren; die Besen und Stöcke sind bei alledem nicht so gefährlich, wie diese Stutzen da.«
Der lustige Schalksnarr hockte sich wieder nieder und lachte toller als je: » Parleh fouhs frenseh, Monsiehour?«
»Deine Abfertigung ist richtig,« sprach der Offizier, »aber wie kamst du zu dem Gefangenen?«
» Parleh fouhs frenseh?« rief der Ire wieder. »Hol› mich der Teufel, wenn ich selbst weiß wie und es sagen kann. Meine Zunge ist so trocken, seit ich die Stadt verlassen habe, als wenn sie eine Gallon Erbsenwasser hinabgeschwemmt hätte.« Und wieder stand er still und lachte pfiffig.
Das halb konfiszierte Schelmengesicht, in dem ein Zug von Gutmütigkeit mit einer derben Portion irischer Unverschämtheit und unbezwingbarer Laune sich spiegelte, hatte die ganze Eskorte allmählich in eine Stimmung versetzt, die, so ernst sie anfangs war, das Lachen kaum mehr unterdrücken konnte. Der Zug näherte sich nun dem Wachthause, der Ire hielt jedoch alle zehn Schritte. Einer der Offiziere nahm ein halbes Dollarstück aus seiner Börse und hielt es zwischen den Fingern.
»Ach, gnädigstet, süßester, liebster, schönster, holdseligster, allerfürtrefflichster, ehrenfestester Squire, Major, Oberst, General, Leutnant oder gar Korporal!« rief der Irländer, seine Hand nach dem Geldstücke mit einer possierlichen Fratze ausstreckend, die ein allgemeines Gelächter erregte.
»Ei, die alte Frau mit ihrer Kappe und der Adler mit seinen Sternen, die sind doch tausendmal gescheiter, als der närrische Kapitän Morand. Wollte mich mit aller Gewalt unter ein Korps Freiwilliger haben, da gegen die Rotröcke zu fechten. Hol› mich der Teufel, wenn ich›s getan habe. Ei, wenn›s noch der Akzise gegolten hätte, oder eine Gallon Kildare Whisky dabei zu verdienen gewesen wäre. Hört ‹mal, Euer Whisky hier ist ‹m Teufel zu schlecht. Ah,« blinzte er pfiffig, »Davy ist kein Narr, hätte ihn Sir Edward erwischt, so hinge er. Das ist auch einer, hat in eine Gelbrote hineingeheiratet. Ein verdammter Orangemann. Ah, Mister, nun laßt uns ‹mal eins dem Master James Hodges zutrinken.«
»Bleibe nur unterdessen hier«, erwiderte der Offizier. »Du gehst mit ins Wachthaus; wird dir aber nichts geschehen.«
»Bei allen Mächten!« schrie der Ire, »ins Wachthaus soll ich! Was wollt Ihr damit? Weil ich nicht in der Freikompagnie dienen wollte, soll ich ins Wachthaus?«
»Paddy,« rief ihm der Nächststehende zu, »deines Vaters Sohn ist ein gewaltiger Narr.«
»Bei allen Mächten, er ist›s«, rief der lustige Ire wieder. »Aber doch kein solcher Narr, seine Finger in den kochenden Topf zu stecken. Hab› mich aufn Weg ins Land gemacht, und da bin ich nun. Braucht Ihr ‹n gewichsten Burschen? Kann alles in der Welt, nur Geld machen nicht. Schreinern, zimmern, Schuhe flicken, Stricke drehen. Hol› mich der Teufel, wenn zwischen Cork und Dublin einer ‹s mit Davy Murphy aufnimmt. Davy, sagte Seine Wohlehren, der Squire zu Camarthaen, Davy, sagte er, wenn aus dir nicht etwas Rechtes wird, so heiß› mich etwas. Aber gestern hättet Ihr mich sehen sollen! Bei Jasus, da war ich wild. Verdammter je nantang pas. Damn him. Verdamm’ ihn. Nein! Hat mich über die Stiegen hinabgeworfen, mich nantang pas aufgeheißen. Kann mir›s einer sagen, was das nantang pas ist? Wenn ich’s wüßte, ich ging hinüber und drehte dem Landlubber den Hals um, und sollte ich morgen baumeln.«
»Du mußt uns nur sagen, wie du zu dem nantang pas gekommen bist.«
Unser Brite hatte bisher in stummer Wut die nimmer endenden tollen Ausbrüche seines Leidensgefährten angehört; nun schien jedoch seine Geduld ihr Ende erreicht zu haben, und er faßte den Jungen am Arme, ihn heftig schüttelnd. »Wenn du nicht dein Maul hältst, verdammter Taugenichts, so dreh› ich dir« – er konnte jedoch den Satz nicht vollenden, denn im nämlichen Augenblick rissen ihn zwei Männer von dem Iren weg.
»Ruhe, junger Mensch!« sprach der eine mit einer so ernsten Miene, daß dem zuckenden Jünglinge das Wort auf den Lippen erstarb.
»Geduld, Master James,« schrie der etwas aus seiner Fassung gekommene Ire darein; »Ihr seht, die Yankees haben nicht gar zu vielen Respekt vor einem englischen Gentleman; am besten ist›s, Ihr ergebt Euch in Euer Schicksal. Hätt›s nicht gedacht,« fuhr er fort, »hat›s aber schon meine Großmutter ihrer Tochter gesagt. Hörst du, Davy, sagte sie, Davy, sagte sie, bist ein geschickter Balg, sagte sie, und geh› nur recht fleißig in die Schule zum Pater Murdoch, sagte sie, aus dir wird etwas Hohes. Aber der verdammte Kreole, kein Wort französisch kann er.«
»Und du hast mit ihm gesprochen?« fragten ihn zwanzig lachend.
»Mit ihm gesprochen? Ei, das hab› ich, hab› mit größern Herrn gesprochen als dem schäbigen Kreolen da, und verdammt mag ich sein, wenn›s nicht wahr ist; hab› mit ihm parliert, so klar, so deutlich, wie›s nur immer sein kann. Fragt nur Master James. Ach, der arme Master James! der hat ‹mal so ein Armesündergesicht, – habt doch ‹mal Mitleid; hatt›n just ein paar Stunden zuvor aufgegabelt, lugte mir da am Waldrande herum, wollte mit dem schwarzen Gentleman da nicht recht hinein und nicht heraus; dacht› mir, bei dem sieht›s auch nicht zweimal richtig aus, willst doch ‹mal sehen, was sie vorhaben, hat›s aber im Gesicht; hab›n kaum angesehen, wüßt› ich schon, wie viel›s geschlagen hatte. Ei, sagt› ich, Master, sagt› ich, woll›n ‹mal zusammen schauen, ob wir den Yankees nicht eine Nase drehen und uns nach New York oder Philadelphia durchschlagen können. Es kann doch so gar weit nicht sein?«
»Eine Kleinigkeit,« lachten alle; »fünfundzwanzighundert Meilen.«
»Yankeemeilen?« fragte der Irländer mit einem pfiffigen Blinzeln, »davon gehen fünfzehn auf eine englische.«
»Der Kerl ist witzig«, riefen ihm einige zu.
»Ne, Spaß beiseite, sind es wirklich zweitausend?«
»Fünfhundert darüber, und gute.«
»Bei Jasus!« bekreuzte sich der Irländer, »wenn›s so ist, da war meines Vaters Sohn doch ein gewaltiger Narr, daß er seine sechsunddreißig Dollar so versilbert, als wenn sie ihm in der Tasche brennten. Und wenn sie nun alle so sind, wie der verfluchte Nantang pas, stellt Euch ‘mal vor: als wir uns denn da mit Master James und dem Negergentleman zusammengefunden, da machten wir uns auf’n Weg; Ihr wißt warum und weswegen: in unsern Magen hatte es bereits zweimal Mittag geschlagen. Wohl, kamen denn so in der besten Intention auf ein Haus zu, und ein sauberes Haus war›s auch noch, steht so ein Landlubber mit zwei Lehdies vor der Tür und sieht uns ganz behaglich zu, wie wir einer nach dem andern angestiegen kamen. Master James hielt sich jedoch zurück und wollte auch mich nicht vorlassen; aber Davy ist kein Narr, und so ging er denn frisch drauf und dran. Es tat not, in meinem Magen rumpelte es, so wahr ich meines Vaters Sohn bin, wie in der Sarah, wenn ein Nordwester angezogen kam. Tut mir nur leid um den schönen Kratzfuß und die vielen Komplimente, die ich schnitt; aber die Damen waren sauber, keine schönern in Dublin, und das will viel sagen.«
Der Ire war mit seiner Begleitung, worunter wir die sämtlichen zurückgebliebenen Milizen verstehen, vor dem Wachthause angelangt. Eine Anzahl derselben hatte sich vor den Eingang gestellt, so gleichsam stillschweigend den Wunsch zu erkennen gebend, noch etwas mehr von dem lustigen Zeisige zu hören, ehe er in die Wachtstube abgeführt würde. Sein ungemein drolliges Wesen und seine unversiegbar unverschämte gute Laune hielten die Mienen seiner Zuhörer in steter lachlustiger Spannung.
»Wohl, Gentlemen,« fuhr er fort, »rückte sodann, die Kappe in der Hand, an meinen Mann und die beiden Lehdies heran und fragte ihn auf so gut französisch wie Ihr je gehört habt: Parleh fouhs frendseh, Monsiehour? sagt’ ich; wui, sagt er; da war ich froh. Wir sind zwei arme reisende Gentlemen von der See, mit dem schwarzen Gentleman vom Lande hier, das war der Neger, und wir wollten gerne sogleich nach New York oder Philadelphia oder Boston, wenn das näher ist, sagt› ich. Da winkt der verdammte Landlubber, schaut mich an, als hätt› er in seinem Leben keinen Teer gesehen, und heißt mich verdrießlich einen Je nantang pas.«
»Das Parleh fouhs frendseh, Monsiehour hast du französisch gefragt, das übrige aber in deinem kauderwelschen irischen Englisch«, bemerkte einer der Umstehenden lachend.
»Ei, bei allen Mächten! wie glaubt Ihr wohl, daß meines Vaters Sohn auch reden soll, als in seines Vaters Sprache?«
Es brach nun ein Gelächter aus, so brüllend, so übermäßig, daß die bereits weit entfernten Frauen und Mädchen verwundert stehen blieben. Nur der Brite schoß wütende Blicke auf seinen armen irländischen Reisegefährten.
»Und was tatest du?« fragten ihn zwanzig.
»Verdammt,« fuhr der Ire fort, als sich der Aufruhr ein wenig gelegt hatte, »glaubt Ihr, ich hab› ihn so bald fahren lassen, wenn mir aus der Küche herüber der Dampf so liebreich in die Nase fuhr? Ich fragte ihn nochmals: Parleh fouhs frendseh, Monsiehour, sagt’ ich, und der Kahlkopf sagt wieder wui, und als ich ihm wieder unsere Not auseinander setzte, schaut er mich wieder wie verrückt an. Der Maulaffe, er verstand wieder kein Wort französisch, und als ich ihm weiter erklärte, ward er zornig und hieß mich wieder einen Je nentang pas.«
»Und du?« brüllten fünfzig.
»Fragt ‹n nochmals: Parleh fouhs frendseh, Monsiehour? und dann sagt’ ich ihm, der Teufel soll ihn holen, wenn er so gleichgültig zusehen kann, wie zwei Gentlemen am Hungertuche nagen. Er aber hieß mich wieder giftig einen Je nantang pas.«
»Ei, das hast du aber doch nicht geduldig eingesteckt«, riefen ihm zwanzig mit brüllendem Gelächter zu.
»Da kennt ihr Davy Murphy schlecht, wenn ihr denkt, er ginge so leichten Kaufes davon; war schon halb wild und rief ihm nochmals mit lauter Stimme in die Ohren: Parleh fouhs frendseh, Monsiehour; aber da hättet ihr, ihn sehen sollen, er wurde toll wie Kapitän Morand, wenn›s ‹nen Windstoß setzte und er von der Rumflasche weg muß, zappelte vor Wut an allen Gliedern und fuhr auf mich zu. Um das hätte ich mich wenig geschert; aber es kamen ein halb Dutzend Neger mit Knütteln und Besen, alle auf mich los. Wurden ihrer zu viele, und so schaut› ich denn, wo der Zimmermann›s Loch offen gelassen; der verfluchte Landlubber!«
»Und wie ging es Euch weiter?« fragten zwanzig.
»Hört ‹mal,« fuhr der Irländer fort, »in euerm Yankeelande weiß man nicht, ob man gesotten oder gebraten ist; aber wenn wir nicht gestern in einer Räuber– und Mörderhöhle waren, Master James Hodges, so will ich wie eine Kanone vernagelt sein. Bei Jasus! Und die alte Vettel vor der Türe.«
»Hund,« rief einer der Hintenstehenden, »ich drehe dir den Hals um, wenn du meine Mutter so titulierst.«
»Ei, Mutter! Kapitän Rock hatte auch eine, und James Kirkpatrik, der in Ketten zu Greenwich gerade unterm Hospital am Strande hängt, könnt ihn noch klappern hören, wenn der Wind zieht, der hatte wohl auch eine?«
»Ne, weiter,« beruhigten ihn andere, »fürchte dich nicht.«
»Verdammt sei deine Plauderzunge,« rief ihm der Brite zu, der sich kaum mehr halten konnte; »wenn du nicht schweigst, so drehe ich dir den Hals um.«
Er machte Miene, seine Drohung in Ausführung zu bringen, jedoch ohne auf den eigenwilligen Iren die mindeste Wirkung hervorzubringen; im Gegenteile, der Zorn seines vormaligen Gefährten setzte sein Mundwerk nur um so mehr in Bewegung, als er seinen Triumph in den Gesichtern der Menge las.
»Schaut nur, wie Ihr draus kommt, Master James,« rief er, »und laßt mir die Sorge für meine Zunge. Meine Zunge ist eine so gute Zunge, wie eine in Irland, hat niemandem etwas zu leid getan, meine Zunge; habt sie nicht gefüttert, meine Zunge; braucht ihr also nicht das Reden zu verbieten, meiner Zunge.« »Bravo, Paddy!« rief es von mehreren Seiten, »du bist in einem freien Lande.«
»Eben deswegen,« fuhr dieser fort, »aber der Teufel selbst hätte Reißaus genommen, wenn er mit uns im Bett gewesen wäre. Wohl denn, Gentlemen, als wir so liefen, die Neger hinter uns drein —«
»Selbst Neger«, kreischten ihm ein Dutzend Wollköpfe aus dem äußern Halbzirkel zu.
»Laß dich nicht irremachen, Davy!«
»Wohl,« fuhr der Ire fort, »als wir so liefen – auch Master James hob seine Beine, da ging›s denn fort über Stumpf und Stiel, durch Wälder und Felder, weiß selbst nicht mehr wie lange, wir liefen wie zwei ehrliche Untertanen Sr. britischen Majestät nur laufen können, wenn die Yankees hinter ihnen drein sind.«
»Das war nicht übel, Paddy,« bemerkte einer, »hier ist ein anderer halber Dollar.«
»Der Himmel segne es,« versetzte der Junge, »wenn nur euer Whisky nicht gar so schlecht wäre! – Wir waren ein paar Stunden so ausgezogen, auf einmal sahen wir uns vor einem Hause oder einer Hütte oder einem Blockhaus, wie ihr es nennen mögt. Saß da eine Alte vor der Tür, und wieder fragt› ich: Parleh fouhs frenseh, Monsihour? und sie schüttelte den Kopf. Wollte schon abziehen, dachte, da setzt›s auch nicht viel, fragte aber doch, ob wir nicht eine kleine Unterlage für unsere rebellischen Magen und Knochen haben könnten; und, hol› mich der Teufel, sie sagt ja, in einem so guten Englisch, als je in Kildare gehört wurde; aber kamen uns teuer zu stehen, die Schinkenschnitte und Welschkornpfannkuchen und der Tee. Es sah grauslich aus in der Stube, könnt mir›s glauben! ein Menschenkopf mit Füßen und Beinen in einem Troge, die Arme in einem zweiten, dazu das Grabeslicht; wir saßen wie im untersten Schiffsraume bei unserm Nachtessen.«
Der Brite wurde mit jedem Augenblick ärgerlicher.
»Wohlwerte!« fuhr der Ire fort, »Davy ist kein Narr, er weiß, was er weiß, umsonst hat uns die alte Hexe nicht so freundlich ins Haus hineingewinkt, und dann das Messerschleifen in der späten Nacht, – he? – haben wir›s denn nicht mit unsern eigenen Ohren gehört?«
Die drei jungen Männer, die die beiden Gefangenen und ihren lustigen Kompagnon eingebracht hatten, sprachen nun leise mit den Milizen, und es entstand wieder ein lautes betäubendes Gelächter.
»Und sie haben also auf Euer kostbares Leben einen Anschlag gemacht?« fragten ihn mehrere.
»Ei, ihr mögt lachen,« schrie der Ire, »wär›t ihr aber an unserer Stelle gewesen, wäre euch das Lachen wohl vergangen. Als wir so im Bett lagen, Master James und ich, und die draußen in der Stube untereinander zu wispern anfingen: die beiden entgehen uns nicht, aber haltet die Messer parat, es ist Nacht, und die Kugeln könnten sie nur anschießen, laßt sie ruhig noch eine Weile im Bett und schneidet ihnen die Kniegelenke ab. Ja, so sagten sie, und das munkelten sie,« versicherte der Ire, »und was sagt denn ihr dazu?« fragte er die Umstehenden.
»Das ist ja schrecklich«, riefen mehrere mit einem Schauder, der wieder in einem brüllenden Gelächter endigte.
»Ja, das war es auch; aber wir sprangen, als wir die Vögel so singen hörten, beide zugleich aus dem Bett, als ob der Donner dreingefahren wäre. Master James, der wollt› es anfangs nicht glauben; aber dann horchte er selbst an der Türe, und durch die Spalte sah er ihrer drei in der Stube, ihre Stutzen in der Hand und ihre Messer auch, und auf unsere Türe schauten sie so grimmig, da sprangen wir beide zugleich aus dem Fenster auf gut Glück.«
»Und ihr zwei Schafsköpfe habt in allem Ernst Mistreß Blunt für eine Räuberin und ihre Söhne für Räuber gehalten?« fragten ein Dutzend zugleich.
»Bei allen Mächten!« rief der Irländer in verwirrtem Staunen, »wie meint ihr das?«
»Und die Hirsche, die sie in der Nacht zu jagen ausgingen, auf Euch gedeutet?« fragten andere zwanzig, »und die geschlachteten Schweine für gemordete Menschen angesehen? und Euer gescheiter Kompagnen, der Midshipman im ›Donnerer‹ Sr. britischen, allerexzellentesten Majestät, hat sich auch aus dem Fenster salviert?« fragte ein dritter Haufe.
»Ach, der sprang,« rief der Ire, in dessen neblichtem Gehirn es allmählich zu tagen anfing, »der sprang, als ob der Donner in den Maienmast hineingeschlagen hätte. Flugs war er durchs Fenster; aber der arme Gentleman war aus›m Regen in die Traufe gekommen und schrie, als ob er am Spieße steckte; er war einem brummenden Bären in den Rachen gelaufen.«
Zweiunddreißigstes Kapitel
Unsere Leser werden aus dem verworrenen Bericht des Irländers entnommen haben, daß unser britischer Held, gerade wie er mit seinem schwarzen Gefährten von der Straße in den Wald einzulenken im Begriffe stand, von diesem entdeckt und mit irischer Zudringlichkeit um so weniger losgelassen wurde, als er gleichfalls die Ehre hatte, ein Teer zu sein. – Auf dem Irrzuge, den sie nun miteinander antraten, war der Irländer auf die erste Pflanzung, die an seinem Wege lag, mit echt irischer Unverschämtheit Sturm gelaufen, um mittelst seiner französischen Sprachkenntnis sich und seinen beiden Kompagnons eine kleine Magenunterlage, wie er es nannte, zu verschaffen. Der Ire war in seiner Anrede an den Kreolen natürlich im Parlez-vous français stecken geblieben und hatte auf sein weiteres, im rauhen irischen Dialekte vorgebrachtes Kauderwelsch ein » je n’entends pas, ich versteh’ nicht« zur Antwort erhalten. Als er zudringlicher wurde, ließ ihn der Kreole, wie es zu erwarten stand, im Glauben, er werde zum besten gehalten, aus dem Hause werfen. Das lächerlichste dabei war jedoch der Umstand, daß der Junge noch immer nicht begreifen konnte, warum der Kreole seinen irischen groben Dialekt nicht für bar französisch verstehen wollte, nachdem er doch sein Parleh fouhs frenseh, Monsiehour, das sich in seinem Gehirn festgesetzt, dafür erkannt hatte.
Der zweite Versuch unserer Abenteurer war nicht weniger betrübt ausgefallen. Vor einem Hinterwäldlerhause angekommen und daselbst mitleidig aufgenommen, hatte ihre aufgeregte Phantasie die abgetanen Schweine für geschlachtete Menschen angesehen und das Reden der sich auf eine nächtliche Hirschjagd vorbereitenden Söhne des Hauses ihre Gehirnkammer so gänzlich in Aufruhr gebracht, daß sie, um ihre Haut zu retten, in gerechtem Entsetzen bei Nacht und Nebel aus Bett und Fenster sprangen, wobei unser Midshipman noch das Unglück hatte, einem jungen Bären, der, wie dies häufig der Fall ist, zur Mästung an einer Kette lag, in die Tatzen zu geraten und so festgehalten zu werden, bis sein Hilferuf endlich die drei Söhne des Hauses herbeilockte.
Auf unsern Briten nun hatte der Auftritt eine seltsame Wirkung. Er besaß bei vielem Mute auch eine reichliche Gabe jenes kalten, höhnenden Übermuts, den die aristokratischen Jünglinge des Mutterlandes so unvergleichlich in Worten und Gebärden an den Tag zu fördern verstehen, jenen kalten, selbstischen Übermut, auf den John Bull sich so viel zugute tut, und der ihm vielleicht mehr genützt hat im gewaltsamen und friedlichen Verkehre mit seinen gefügigern und schlichten Nachbarn, als sein wirklicher Mut, der aber gewöhnlich den kürzern zieht im Verkehre mit seinem kalten, starren Verwandten. So sehr er sich nun in dem Spotte gefallen hatte, den er ziemlich derb bei jeder Gelegenheit über die sogenannten Yankees ausgegossen hatte, so schien ihm doch die Notwendigkeit nicht einzuleuchten, die kleine Züchtigung, die er sich selbst zugezogen, mit Anstand zu ertragen. Schon daß er, ein Midshipman im »Donnerer«, vor einen bunten Haufen Yankees gebracht worden war und da sein Verhör bestehen mußte, war ein Umstand, der ihm, der sich seine Richter nie ohne die gehörigen Perücken oder wenigstens goldene Epaulettes denken konnte, mit Schauder erfüllte; daß aber eben diese Yankees in ihrer plebejischen Frechheit so weit gehen und einen britischen Offizier, der die Leutnantschaft gewissermaßen in der Tasche hatte, zum Gegenstande ihres Gelächters machten, überstieg sein Kapazitätsvermögen so sehr, daß wir ihn, den fröhlichen Jungen, der bisher in guten und schlimmen Lagen sich so wacker und launig bewiesen, kaum mehr erkennen würden, hätten wir nicht den Schlüssel zu dieser seltsamen Verwandlung im Nationalcharakter besagten John Bulls.
Er stand nun infolge seiner Entweichung und der durch Rosa und die Indianer gegebenen Aufklärungen abermals im Verhöre, das der Kommandant des Depots sogleich nach der Übung zusammenberufen hatte. So sehr dieser von seiner Unschuld überzeugt sein mochte, so konnte er doch nicht umhin, bei dem Vernehmen des jungen Mannes alle jene Genauigkeit und selbst Strenge blicken zu lassen, die ebenso die Unschuld des Jünglings, als seine eigene Unparteilichkeit dartun sollte. Ein schleuniges Verfahren war um so nötiger, als, trotz der einleuchtenden Unschuld des Verdächtigten, Gefahr im Verzug obwaltete. Selbst der Umstand, daß ein Bewohner des Städtchens mit in seine Entweichung verwickelt war, erschien von einer um so größeren Bedeutung, als wirklich mehrere sehr gefährliche Verschwörungen von Ausländern in der Hauptstadt entdeckt worden waren. Allein der Kapitän fand in dieser seiner menschenfreundlichen Bemühung, den jungen Mann so schnell als möglich aus seiner kritischen Lage zu reißen, nicht geringe Schwierigkeit in diesem, der es recht darauf angelegt zu haben schien, seine gute Sache selbst zu verderben. Der junge Mann hatte den Kopf gänzlich verloren und schon bei seinem Eintritte in die Verhörstube dieses durch einen Trotz, eine Hintansetzung alles Anstandes bewiesen, der die sämtlichen Offiziere mit Unwillen erfüllte. Im Verlaufe des Verhörs sah sich der Kapitän einigemal genötigt, ihn ernstlich zurechtzuweisen. Das Verhör hatte bereits mehrere Stunden gedauert, ohne ein Resultat zu ergeben. Selbst die Frage, ob er mit einem der Einwohner des Städtchens im Einverständnisse gewesen, wollte er, trotz des Flehens dieser, nicht beantworten. Mehrere waren bereits mit ihm konfrontiert worden und unter diesen unser Schenkwirt, den wir unter dem Namen Benito kennen. Die Offiziere schritten nun zum letzten Punkte, nämlich der Konfrontation mit den Indianern. Zuerst wurde Rosa eingeführt.
»Ihr bekennt also nicht, daß Ihr mit Tokeah und den Seinigen in Verbindung gestanden seid?« fragte Kapitän Percy.
»Der Gefangene gab ein verdrießliches »nein« zur Antwort.
»Kennt Ihr diese junge Dame?« fragte der Kapitän.
Rosa war an der Hand zweier Offiziere durch die geöffnete Türe eingetreten. Sie verneigte sich sittsam vor den Anwesenden, die ihrerseits aufstanden und sie baten, sich auf den Sessel niederzulassen, den einer der Offiziere für sie hinstellte. Sie hatte jedoch den Gefangenen kaum ersehen, als sie auf ihn zutrat, und, seine Hand erfassend, ihn fragte: »Mein Bruder! Du bist sehr blaß; wer hat dir etwas zuleid getan?«
Das bekümmerte Mädchen, das ihm teilnehmend wehmütig ins Auge blickte, weckte ihn für einen Augenblick aus seinem düstern Dahinstarren. Er sah sie forschend, kalt, beinahe unwillig eine Weile an. »Ah, Rosa, sind Sie es? Vergebung.« – Und wieder heftete er seine Augen zur Erde.
Die Offiziere schienen eine nähere Erklärung der beiden jungen Leute zu wünschen; aber der Gefangene schwieg so eigensinnig verdüstert, daß dem Mädchen, das ihn einige Zeit verwundert angesehen hatte, sichtlich bange ward.
»Mein Bruder!« sprach sie mit flehender Stimme, »warum bist du böse? Du zürnst doch nicht deiner Schwester?«
»Mein Bruder!« bat sie abermals, »rede doch! Ach warum bist du nicht bei dem Miko geblieben. Sieh, Canondah hat es dir gesagt, daß die Weißen dich töten würden. Ach, vielleicht wäre vieles nicht geschehen. Mein Bruder! Nicht wahr, die Weißen sind kalt?« flüsterte sie.
Ein Knirschen mit den Zähnen war all die Antwort, die sie erhielt. – Sie zog sich verschüchtert zurück.
»Wollen Sie gefälligst, Miß Rosa,« sprach der Kapitän Percy endlich nach langem vergeblichem Warten, »uns einige Fragen beantworten?«
»Jawohl, mein Bruder«; versetzte sie.
»Sie kennen den Gefangenen?« auf den Briten deutend.
»Gewiß, mein Bruder!«
»Wie kam er in das Wigwam der Indianer?«
»Ganz krank und verwundet.«
»Wer nahm ihn auf?«
»Canondah, die Tochter des Miko, auf die Bitte Rosas. Der Miko war auf der großen Jagd.«
»Hat er während seines Aufenthaltes im Wigwam der Oconees den Miko gesehen?«
»Nein, mein Bruder! Er zitterte vor Furcht, ihn zu sehen. Er rannte Tag und Nacht, um aus dem Wigwam zu entkommen, ehe der Miko zurückkehrte, und nachdem er gesund geworden war. Er hat den Miko nicht gesehen.«
»Er hat also mit den Indianern, männlich oder weiblich, keine Art von Verbindung gehabt?«
»Nein, mein Bruder! Er sprach bloß mit Canondah, die ihm zu essen brachte, und mit Rosa.«
»Wie lang blieb er im Wigwam?«
»Siebzehn Tage oder Sonnen.«
Der Gefangene hatte seine Augen stier auf den Boden geheftet; zuweilen raffte er sich auf, warf einen Blick auf die Sprechenden, dann versank er in sein voriges Dahinstarren.
Der Kapitän stand nun auf, und Rosen bei der Hand nehmend, führte er sie seitwärts zu einem Sitze, sie ersuchend, einstweilen Platz zu nehmen.
In demselben Augenblicke trat der Miko, begleitet von zweien seiner Oconees, ein.
»Tokeah!« rief der Jüngling, der den Indianer eine Weile stier ansah und dann wieder das Auge zu Boden schlug. »Verdammt, Euer Wigwam«, murmelte er in sich hinein, »hat mich in eine saubere Wäsche gebracht.«
Der Häuptling sah den Gefangenen eine Weile aufmerksam an und sprach dann: »Tokeah hat es seinem Bruder gesagt, als er von ihm Abschied nahm, daß ihn die Weißen als Späher einfangen würden. Mein Sohn hätte bei den roten Männern bleiben sollen.«
»Verdammt die weißen und die roten Männer«; murmelte der Brite zwischen den Zähnen. »Wollte, ich wäre lieber in die Hölle geraten, als in Euer Wigwam und unter die v—«
Der Indianer wurde immer aufmerksamer.
»Tokeah!« fragte der Kapitän, »ist dieser junge Mensch derselbe, der sich vierzehn Tage bei Euch aufgehalten hat?«
»Er ist es,« sprach der Indianer, »den eine, die nicht mehr ist, und die weiße Rose in das Wigwam des Miko gebracht haben.«
»Dem Eure Tochter die Kleidungsstücke gegeben hat, die er auf dem Leibe trägt.«
Der Indianer nickte.
»Der aus dem Wigwam entwischt ist, gegen Euern Willen und Euer Wissen?« fragte der Kapitän wieder.
»Ich glaube, Kapitän,« bemerkte der Zunächstsitzende, »Sie sollten die beiden konfrontieren und nicht dem Indianer die Worte auf die Zunge legen.«
»Tokeah«, sprach der Häuptling, »hat seinen Mund bereits zweimal geöffnet und seinen weißen Brüdern die Wahrheit gesagt; der Miko schlief, als sein weißer junger Sohn kam, und er war auf der Jagd, als er ging.«
»Und warum«, so fragte der Milizenoffizier den Gefangenen, »habt Ihr dieses nicht früher gesagt?«
Dieser gab keine Antwort.
Der Indianer sah ihn eine Weile verwundert an und sprach dann: »Mein Bruder mag reden; er mag, was Tokeah gesagt hat, mit seiner Zunge bekräftigen; der Miko bindet seine Zunge nicht mehr.«
Der Gefangene schwieg noch immer. »Der Miko«, fuhr er endlich mürrisch heraus, »weiß, was er zu tun hat, und ich tu, was mir gefällig ist.«
»Als mein weißer Bruder das Wigwam der Occonees verließ,« sprach der Indianer kopfschüttelnd, »da band ihm Tokeah die Zunge, weil er den Pfad, der zu seinem Wigwam führt, rein halten wollte. Es ist nun nicht mehr, und der Seeräuber hat es verbrannt, Tokeah hat ihm den Rücken gewendet. Mein Bruder mag reden. Mein Sohn muß reden,« fuhr er nach einer abermaligen Pause fort; »die weißen Brüder und der große Vater würden sonst glauben, daß er und die Seinigen auf dem nämlichen Pfade mit den Söhnen des Vaters von Kanada begriffen sind.«
»Glauben Sie, Kapitän, daß dieses in der Ordnung ist?« bemerkte wieder einer der Beisitzer.
»Ich glaube, es ist ganz in der Ordnung«; erwiderte dieser. »Wie wir aus dem Protokolle, das vorgestern mit den Indianern aufgenommen wurde, ersehen, so hat dieser dem Gefangenen das Ehrenwort abgenommen, die Lage seines Wigwams an niemanden zu verraten.«
Der Indianer hatte unterdessen den Gefangenen aufmerksam betrachtet. »Mein Bruder«, sprach er, »ist wie der Büffelstier, der in der Grube gefangen ist. Sein Mut ist im Loche geblieben.« Und mit diesen Worten wandte er sich von ihm.
»James Hodges,« sprach der Kapitän, »Ihr seid hiermit aufgefordert, Erklärung über Euern Aufenthalt bei den Indianern zu geben. Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, Euch Gerechtigkeit hinsichtlich der Treue widerfahren zu lassen, mit der Ihr Euer, dem Indianer gegebenes Ehrenwort gehalten habt.«
»Sie haben ihn ja gehört, sowie das Mädchen. Schreiben Sie, was Sie wollen; tun Sie, was Sie wollen.«
»Ihr meint Miß Rosa, junger Mensch,« verwies ihn der Offizier, »dieselbe junge Dame, die Euch mit Gefahr ihres Lebens aus dem Wigwam entließ?«
Der Gefangene errötete; einen Augenblick war er betroffen, dann schlug er seine Augen wieder zur Erde.
»Fahrt nur fort«, bedeutete ihm der Offizier. »Vergißt jedoch nicht, daß es Eure Angelegenheit nicht verschlimmern wird, wenn Ihr von Personen mit Ehrerbietung sprecht, denen kein Gentleman Achtung versagen wird, und die am wenigsten von Euch Geringschätzung verdient haben.«
»Ich habe nichts weiter zu sagen«, versetzte der Gefangene mit etwas leiserer Stimme und beschämt, wie es schien. »Brauche Eure Gunst und Gnade nicht«; fügte er mürrisch hinzu.
»Junger Mensch! Ihr seid irrig, wenn Ihr glaubt, es sei bloß um Euch in dieser Angelegenheit zu tun. Ihr seid es der Ehre Eures Landes, Eurer Mitbürger, der Flotte schuldig, zu der Ihr zu gehören vorgebt, den Verdacht abzuwälzen, der auf Euch lastet.«
»England und seine Flotte werden ihre Ehre selbst zu rechtfertigen wissen«; sprach der Gefangene, sich stolz aufwerfend. »Scheint, es kitzelt Euch,« fuhr er murmelnd fort, »daß Ihr mit guter Art einen Briten in Eure Klauen gebracht habt, an dem Ihr Euer Mütchen ungestraft kühlen könnt. – Macht, was Ihr wollt.«
»Es kommt mir vor, mit dem jungen Menschen ist›s nicht richtig«; bemerkte einer der Milizoffiziere. »Ich glaube, wir heben einstweilen das Verhör auf.«
Der Kapitän schien Bedenken zu tragen und wandte sich nochmals an den Gefangenen. »Ihr wollt also nicht Rede stehen?«
Ein mürrisch trotziges Kopfschütteln war alles, was er zur Antwort erhielt.
Die Offiziere erhoben sich nun, und der Gefangene wurde abgeführt. Ohne aufzublicken, hatte er sich gewendet und die Stube verlassen. Auch die Indianer wurden freundlich entlassen, und Rosa ward wieder von zwei Offizieren in die Mitte genommen und aus dem Hause begleitet.
»Das ist ein so dummer, roher Junge,« hob endlich einer der Beisitzer des Verhöres an, »als mir noch je einer in meinem Leben vorgekommen ist.«
»Nichts Hündischeres, Verstockteres«; versetzte ein zweiter. »Es ist, als ob das böse Gewissen ihn nicht aufschauen ließe.«
»Ich weiß nicht,« fiel der Kapitän ein, »er benahm sich früher mit vieler Artigkeit und ganz als Gentleman. Ich bin wirklich ganz erstaunt über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen.«
»Ich weiß nichts vom Gentleman, bin auch keiner, sondern ein schlichter Pflanzer,« bemerkte der dem Linienkapitän zunächststehende Hinterwäldler, der im hellgrünen Frack und pompadourroten Beinkleidern einen Kapitän der Opelousasmilizen repräsentierte, »aber so viel sehe ich, daß der junge Mensch einen Trotz hat, wie einer. Er ist ein John Bull, ein wahrer junger Bull, dem der Kitzel benommen ist. Ich hab› ihn mir genau in Opelousas angesehen. Jedes Wort war Hohn, jede Miene ausgelassen, mutwillig; es war des Spottes kein Ende. Wißt Ihr, was ihm den Kitzel benommen hat? Die Geschichte bei Mistreß Blunt. Daß er ein solcher Hasenfuß war und sich so ins Bockshorn jagen ließ, das verzeiht er sich und uns nimmermehr. Glaubt mir›s, der Junge gäbe kein gutes Wort um sein Leben und wäre in diesem Augenblicke froh, wenn wir ihn hängten.«
»Das ist auch meine Meinung«, versetzte ein anderer. »Nehmt John Bull, sowie Ihr ihn hier vor Euch seht, den Hochmutsteufel, und Ihr habt einen Ochsen, und das ist der junge Mensch. Er hat den Kopf verloren und gab› keinen Levy darum, wenn man ihm auch den Hals nähme. Ich glaub›s auch, es wäre ihm lieb, wenn wir ihn hängten.«
»So hängt ihn«, meinte ein dritter. »Ich, meinerseits, kann nicht sehen, warum wir da mit dem jungen Laffen so viel Federlesens machen. Laßt ‹n anrennen, wenn er Lust dazu hat. Den ganzen Tag exerziert und protokolliert. Es ist halb neun. Wollen doch nicht bis Mitternacht sitzen.«
»Wenn es sein muß, Leutnant Wells,« sprach ein junger Mann, »so wollen wir. Es würde uns und dem Lande zu keiner Ehre gereichen, wenn wir uns den Trotz des jungen Mannes zunutze machten, um John Bull eins zu versetzen. Das sähe so hinterm Rücken aus, daß wir uns wahrlich schämen müßten. Wir sind hier, um der Sache auf den Grund zu kommen.«
Kapitän Percy schwieg. Er schien seine besondern Ursachen zu haben, sich in diese heikle Angelegenheit so wenig als möglich zu mischen und die Sache selbst sprechen zu lassen; wahrscheinlich hatte er auch deshalb eine größere Anzahl von Offizieren zum Verhöre eingeladen, als es gewöhnlich der Fall war.
»Ihr habt hier die Kriegsgesetze«, sprach der erste wieder. »Nach dem 22. Paragraphen gehört er vollkommen vor unsere Schranken. Nach dem 43. Paragraphen da ist er der Verachtung des über ihn niedergesetzten Gerichtshofes zeihlich. Selbst wenn das letztere nur vor die Ohren des Untern kommt, so gnade ihm Gott.«
»Laßt mich machen,« sprach der junge Mann, »ich glaube, ich kann ihn zum Reden bringen. Laßt ihn nochmals vortreten und den Irländer dazu.«
»Wohl, Mister Copeland, wenn Ihr meint«; versetzten die übrigen. »Sollte uns freuen.«
Nach einer Weile traten die beiden ein.
»Davy Murphy!« sprach der junge Mann mit einem ermunternden Blicke, »einige von uns haben deine und deines Leidensgefährten Geschichte noch nicht gehört. Laß doch einmal los. Wie war es mit dem Nantang pas und der Mörderhöhle?«
»Kapitän Percy!« schrie der Brite außer sich, »ich bitte Sie um Gottes willen.«
»Euer Wohlehren!« rief der Irländer, sich hinter den Ohren kratzend. »Meines Vaters Sohn ist ein närrischer Kauz; aber seit der Geschichte ist der Gentleman da zum Narren geworden. Ich muß, wenn ich muß; aber glaubt mir›s, er schnappt über.«
»Das kann Euch aber alles nichts helfen«; versetzte der Offizier mit einem scharfen Seitenblick auf den Gefangenen, der abwechselnd feuerrot und leichenblaß wurde. »Wenn Ihr aber«, fuhr er zum Briten gewendet fort, »Eure Zunge lösen wollt, dann erspart Ihr uns die Mühe, Euern närrischen Landsmann zu hören. Gebt Auskunft über das, was Ihr gefragt werdet, und wir können Euch vielleicht das übrige erlassen.«
Der Gefangene schwieg noch immer im sichtlichen innern Kampfe; dann fiel sein Auge auf den Iren, und als dieser das Zimmer verlassen hatte, löste sich auch seine Zunge. Aber erst nach geraumer Zeit war er imstande, die ihm vorgelegten Fragen zu beantworten. Als er geendet hatte, sprach der Kapitän: »Junger Mansch, Ihr habt diesmal bessere Richter gefunden, als Ihr verdient. Ich hoffe, Eure Angelegenheit werde sich ausgleichen lassen.«
Dreiunddreißigstes Kapitel
Auch unsere Rosa schien etwas bange zu sein, ein wenig verschüchtert; ein leiser Anklang von Unruhe, von leichter Verstimmung war an ihr bemerkbar, die vielleicht ihren Grund in der ernstern Stimmung überhaupt, die nach dem Abzüge der Milizen eingetreten war, vielleicht aber auch in den Eigentümlichkeiten des Hauses hatte, in dem sie sich nun befand, das, obwohl achtungswert, in vieler Hinsicht doch vielleicht nicht das geeignetste gewesen sein dürfte, die Übergangsstufe zu bilden und ein gewissermaßen aus dem Naturzustande kommendes Kind mit den zwangvollen gesellschaftlichen Verhältnissen der gebildeten Welt auszusöhnen. – Unser Pflanzer nämlich stammte von einer jener aristokratischen Familien ab, die, in frühern Zeiten herübergewandert, die Eigentümlichkeiten der englischen Aristokratie auf den freien Boden Amerikas mit zu verpflanzen beigetragen hatten, und die, obgleich sie auf Titel keinen Anspruch machten, ihre Stammbäume noch immer ebensowenig vergessen haben, als ihre im Mutterlande zurückgebliebenen betitelten Verwandten. Zwar war das politische Glaubensbekenntnis des Obersten das demokratische, und Mister Parker war einer der ersten gewesen, der sich seit seiner Übersiedelung der Partei des letzten Präsidenten und Gründers der neuern demokratischen Schule, die im Staate herrschend geworden war, angeschlossen hatte; und der Ernst, mit dem er die Sache seines Freundes Copeland gegen Kapitän Percy ergriff, schien auch die Aufrichtigkeit seiner politischen Grundsätze zu verbürgen. Die näher mit der Familie Bekannten wollten jedoch wissen, daß er sich nur notgedrungen, und weil die alten Grundsätze Virginiens hier ganz außer Mode, an die herrschende demokratische Majorität angeschlossen hätte. Es wurde selbst behauptet, daß der Oberst nicht nur die im Jahre 1789 ausgesprochenen Herrschergrundsätze seines Staates, jene gewissermaßen zur fixen Idee gewordenen Symbole eines echten Virginiers, sondern selbst die weitergehenden Irrlehren des alten Adams im Herzen trage; selbst der Eifer, mit dem er das Meeting und die dabei gefaßten Resolutionen betrieben hatte, wurde auf Rechnung jener Scheelsucht gesetzt, die dem alten aristokratischen Virginier nicht erlaubte, die Anmaßungen eines kaum dem Namen nach bekannten und, wenn das Gerücht wahr sprach, von einer unbedeutenden irischen Familie abstammenden Emporkömmlings, den der Zufall gehoben, so geduldig hinzunehmen. Es wurde ziemlich allgemein angenommen, daß vorzüglich Mistreß Parker an dieser politischen Gefügigkeit des Obersten ihren Anteil habe.
Diese politischen Gesinnungen hatten nun auch auf das gesellschaftliche Verhältnis der Familie einen bedeutenden Einfluß geäußert und einen gewissen höfisch berechneten, stattlich steifen und wieder leichten Ton in ihr hervorgebracht, der selbst den Nachbarn eine nähere Verbindung zu verleiden schien, die, obwohl sie in gutem Vernehmen mit ihr standen, doch ihr Bestreben, sich populär zu machen, nichts weniger als zu würdigen schienen, insofern dem Obersten bereits mehrere Bewerbungen um öffentliche Vertrauensstellen mißlungen waren, und dieses trotz der Bedeutsamkeit, die ihm seine frühe Ansiedlung gab.
Es waren bereits zehn Jahre seit dieser Übersiedlung aus seinem Mutterstaate Virginien verstrichen. Nichts verknüpft aber bekanntlich leichter, bindet Bürger und Bürger inniger aneinander, als eine solche, und besonders eine frühe Übersiedlung. Die mannigfaltigen Hilfsleistungen, die selbst der Ärmste dem Reichen zu leisten imstande ist, die vielfachen Entbehrungen, die sich alle – wenigstens für einige Zeit gefallen lassen müssen, bringen die beiden Endpunkte der Gesellschaft einander so nahe und knüpfen sie so fest, daß ein geringer Grad von Vertrauen und Zuvorkommen hinreicht, aus den neuen Nachbarn dauernde Freunde zu machen. Das Benehmen der zarten, an Überfluß und Bequemlichkeiten des Lebens gewöhnten Mistreß Parker hatte damals sehr gefallen. Sie hatte die Entbehrungen des Hinterwäldlerlebens mit einem Gleichmute ertragen, dem selbst ihre ärmsten Nachbarn die Bewunderung nicht versagen konnten. Hilfreich und tröstend, erheiternd und leitend war sie ihrem Gatten zur Seite gestanden, mit zarter Hand bemüht, selbst diese Entbehrungen in Genüsse zu verwandeln. Noch war die Blockhütte zu sehen, in der sie mit ihrem Gatten und den Kindern die ersten Jahre verlebt. Mit Rührung wies sie in die Ecke hin, wo in der einzigen Stube das Pianoforte stand, an dem sie ihres verehrten Händel fromme Melodien ihrer Familie nach vollbrachtem Tagewerke vortrug. Mit Stolz zeigte sie die abgetragenen Kleider, die in derselben Hütte als Andenken hingen, und von ihrer Hand gefertigt waren. Sie war überhaupt eine Frau von trefflichen Grundsätzen und einem ausgebildeten Verstande; aber obgleich bei einem nun fürstlichen Vermögen einfach und scheinbar anspruchslos, hatte sie doch viel von jener Vornehmheit, durch welche die Damen der amerikanischen sogenannten guten Familien ihren Mitbürgerinnen gewissermaßen als Muster vorzuleuchten beflissen sind; und obgleich weit entfernt, der guten Dame ein beleidigendes Vornehmtun zur Last zu legen, so hatte sie doch eben diese Eigentümlichkeit in eine etwas falsche Stellung zu ihren Mitbürgern versetzt, die ihrem Betragen etwas künstlich Kaltes verlieh, das vielleicht nirgends aufgefallen wäre, aber bei einem Volke, wo der gesellschaftliche Charakter mit dem öffentlichen so innig verschmolzen ist, Mißtrauen zu erregen nicht verfehlen konnte.
Auf Rosa hatte das Zusammenleben mit dem gebildeten, den seinen Weltton gewohnten Kreise eine ganz eigentümliche Wirkung. Zuerst war sie erschienen, als ob sie, in einen langen Schlummer versunken, plötzlich aus dem Traume erwacht wäre, so frisch lächelte sie alles an, und so lieblich spiegelte sich ihr ganzes Wesen in den neuen Umgebungen. Dieser Kontrast war wieder so sein, sie erschien so bezaubernd, selbst in den kleinen Verstößen, die sie sich anfangs zuschulden kommen ließ, daß sie für ihre neuen Freundinnen wirklich zum Rätsel wurde. Der reine mütterliche Sinn Canondahs, die wie ihr Schutzgeist nur Blumen auf ihren Pfad zu streuen bemüht gewesen war, und die Zartheit, mit der sie von allen rohern Berührungen mit den Squaws entfernt gehalten worden, hatten auch ihr eine gewisse Vornehmheit gegeben; aber ganz anderer Art, eine Art Hoheit, eine Zurückgezogenheit, die sich gleichsam um ihr ganzes Wesen gelegt. Es war etwas Mikoisches, etwas wie Anklang vom indianischen Hofleben oder vielmehr der Poesie dieses Lebens, das sie häufig in den lebhaftesten Ergüssen überraschte und besonders bei jedem unharmonischen Anstoßen auf ihr zart empfängliches Gemüt bemerkbar wurde. Dieses unharmonische Anstoßen konnte, ungeachtet der rücksichtsvollen und schonenden Behandlung, die ihr zuteil wurde, nicht ausbleiben; denn es liegt nun einmal in der Natur des amerikanischen freien Lebens, daß es diejenigen, die in zwangvollen Verhältnissen gelebt und so geschmeidiger geworden sind, allzu schroff – allzu frei und rücksichtslos anstößt, und daß selbst die verfeinerten Sitten des amerikanischen sogenannten aristokratischen und dem hohen Weltton nähern Lebens diese Anstöße um so weniger verhindern können, als ihre steifern und geregeltern Formen diktatorischer festgesetzt sind. Bei jedem dieser Anstöße nun zog sich das Mädchen immer verschüchtert zurück, der Mimosa nicht unähnlich, die, von einer rauhen Hand berührt, in sich selbst zurückschrickt. Allmählich wurden auch die Folgen dieser auf das Gemüt des Kindes fieberisch fröstelnd wirkenden Anstöße in einer gewissen scheuen Bangigkeit bemerkbar; die Eigenheiten des zivilisierten Lebens, indem sie klarer vor ihre Anschauung traten, schienen sie mit dem niederschlagenden Gefühle ihres Zurückstehens in Bildung zu mahnen. Sie hing oft nachdenklich das Köpfchen, und häufig sah man Tränen in ihrem Auge. Immerhin dauerten die Empfindungen nicht lange; ihre natürliche Elastizität und ihr Verstand gaben ihr bald ihre Schwungkraft wieder. Sie hatte überhaupt eine ungemein richtig klare Anschauung. Die Eigenheiten und Charaktere ihrer neuen Umgebungen hatte sie gewissermaßen in den ersten Stunden herausgefunden. Ohne erinnert zu werden, hatte sie sich die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Lebens im Umgange in nur wenigen Tagen angeeignet. Ihre Sprache verriet noch am meisten die Abgeschiedenheit, in der sie gelebt hatte. Sie war wortarm und kämpfte oft mit peinlicher Verlegenheit, ihren Ideen Ausdruck zu geben. Sie horchte aufmerksam auf alles, was gesagt wurde, und sann nach der Weise der Indianer eine Weile nach, ehe sie Antwort gab. Wenn sie jedoch erzählte, war sie unwiderstehlich; dann war sie ganz poetische Natur. – —
Rosa und Gabriele tanzten in das Empfangszimmer, hinter ihnen drein ein schwarzes Kammerzöfchen, das einen ungeheuern Globus trug.
»Uns ist es beinahe kalt in der Bibliothek geworden,« rief die Miß der Ma zu, »und ich will Rosen nun gerade alles erklären, wie Mistreß McLeod.«
Die Ma nickte Beifall zu, und das Töchterchen, indem sie den näselnden Ton der Pensionsvorsteherin so ziemlich annahm, begann: »Nun kennst du Amerika und weißt also, wo unser Land zu suchen ist, nun, wo ist es?« »Hier«; wies Rosa.
»Gerade daneben«, lachte Gabriele. »Ei du Unaufmerksame. Das ist ja Neusüdwallis. Hier ist es; merke dir es wohl«, fuhr sie gewichtig fort. »Es ist das Hauptland von Amerika, verstehst du, sowie wir die Hauptnation sind und deshalb vorzugsweise Amerikaner heißen, während die andern bloß Mexikaner, Peruvianer, Brasilianer genannt werden.«
»Aber Ihr seid doch auch Yankees?« warf ihr Rosa ein.
»Pfui, wer wird so etwas sagen, du garstiges Kind! Wer hat dir denn das gesagt? Yankees heißen bloß diese da«, – sie deutete mit dem Finger auf die sechs Neuenglandstaaten. »Diese da sind und heißen Yankees. Wir heißen sie so, weil sie uns Walnußholz für Muskatnüsse und Hickory für Schinken und unsern Negern Mississippischlamm für Medizinpulver verkaufen; überhaupt weil sie wie die Juden sind.«
»Ach, was du doch nicht alles weißt«; rief Virginie etwas pikiert vom Sofa herüber.
»Hush, Schwesterchen! wir sind in einem freien Lande«, lachte sie, mit dem Finger drohend, ihrer Schwester zu. »Es ist natürlich, daß du dich der Yankees annimmst. Aber ich kann Kapitän Percy gar nicht« – —
»Aber du bist doch wirklich unausstehlich, Gabriele«; flötete ihr die bitterböse Virginie zu.
»Schwesterchen, Schwesterchen!« riefen Lehrerin und Zögling und hüpften auf die Zürnende zu und fielen ihr um den Hals, und dann trippelte Gabriele zum Fenster und tröstete sie; »er wird bald kommen, und wir müssen zuvor enden.« Und dann hüpfte sie wieder zu ihrem Globus und fuhr fort:
»Nun, weißt du, wo wir sind? Wo sind wir?«
»Da, Schwesterchen.«
»Recht so, mein Kind!« bekräftigte die drei Monate ältere Lehrerin.
»Nun, weißt du aber auch, wo Europa ist? Sieh, hier ist es, und hier ist Asien, und Afrika ist da unten. Diese drei Weltteile werden die alte Welt genannt, und der unsrige die neue.«
»Und warum werden sie die alte und der unsrige die neue Welt genannt?« fragte die aufmerksame Schülerin.
»Warum? Warum? Warum? Ja nun, weil der unsrige neu und deshalb besser ist. Alles was neu ist, ist besser als das Alte. Ja, auch weil der unsrige später entdeckt wurde.«
Der Zögling nickte Beifall zu.
»Sieh, dieser kleine Fleck da, der ganz kleine, heißt Großbritannien und der noch kleinere daneben Irland, das sind zwei Inseln.« »Die dem törichten Häuptling gehören, der die beiden Kanadas besitzt?«
»Richtig, mein Kind!« bekräftigte die Präzeptorin. »Und hier ist Frankreich und hier Deutschland, hier Spanien und da oben Rußland und eine Menge kleiner Staaten und Königreiche.«
»Königreiche, was sind das für Dinge?« fragte Rosa.
»Das sind Länder, die Könige haben oder Häuptlinge, sowie der Miko, nur viel größer. Und sie sind keine Wilden. Sie haben auch mehr Leute, denen sie gebieten, und einen prächtigen Hofstaat. Ma wird dir dies erzählen. Sie ist im Empfangszimmer der Königin gewesen, von England nämlich, um die andern kümmern wir uns nicht viel, und sie hat mit ihr gesprochen. Sieh, diese Völker und Länder müssen Könige haben, weil sie sich nicht selbst regieren können und im Zustande der Kindheit sind, der politischen Kindheit nämlich, sagt Pa. Wenn sie die Könige nicht hätten, so würden sie in Unordnung und Revolution geraten, wie sie es in diesem Lande«, sie zeigte auf Frankreich, »getan haben. Da sie aber Könige haben, denen sie angehören und die mit großen Armeen und vielen Dienern sie im Zaume halten, so müssen sie wohl ruhig sein.«
»Und was tun die Könige mit ihnen?«
»Je nun, gerade was der Miko mit den Seinigen auch tut«, erwiderte die Lehrerin, die die Erklärungen ein bißchen in die Enge zu treiben anfingen. »Sie regieren sie und machen Krieg und Frieden und verkaufen ihre Ländereien, weil ihre armen Untertanen glauben, daß sie von Gott eingesetzt sind.«
»Ja, aber Gabriele, du sagst, daß die alte Welt noch in der Kindheit ist, das kann doch nicht sein; wenn sie alt ist, so kann sie doch nicht in der Kindheit sein.«
»Sehr gut kann sie es sein«; versicherte sie Gabriele. »Die alten Leute werden wieder zu Kindern. Weißt du das nicht? Sieh, weil wir jung sind, lernen wir noch immer. Wir haben unsere Zivilisation von ihnen und sind bereits weiter fortgeschritten. Aber sie lernen nichts von uns. Wir haben die Dampfschiffe schon seit acht Jahren erfunden, und als Ma mit Pa in England waren, sahen sie noch keins. Wir sind schon seit vierzig Jahren frei; aber sie blieben immer, was sie sind.«
»Aber wie kommt denn dies?«
»Ja eben, weil sie wie die alten kindischen Leute sich klüger dünken als andere – und weil sie in ihrer Kindheit auch gehalten werden.«
»Kinder,« mahnte die Oberstin, »wartet bis die Lichter kommen, Ihr verderbt euch sonst die Augen.«
Indem trat ein schwarzer Diener mit silbernen Leuchtern ein, der zugleich die Argand-Lampen anzündete und dann zur Herrin leise sprach.
»Laßt sie eintreten«; befahl sie dann.
Eine junge, ziemlich gut aussehende, aber etwas trödlerisch gekleidete, verschüchterte Frau trat ein, sah sich auf allen Seiten um, und nachdem sie sich verneigt hatte, eilte sie auf die Oberstin zu, um ihr die Hand zu küssen.
»Lassen Sie das, Madame Madiedo«, rief diese. »Sie wissen, daß dies nicht Sitte bei uns ist. Haben Sie mir etwas zu sagen?«
»Madame!« sprach die Frau in gebrochenem Englisch, »Sie wissen, ich komme Ihre Milde anzuflehen.«
»Es tut mir sehr leid, liebe Madame Madiedo«, erwiderte die Frau des Obersten; »aber in den Fall Ihres Mannes glaube ich mich nicht einmischen zu dürfen.«
»Madame!« sprach die Französin stockend. »Sie wissen vielleicht nicht, daß mein Mann mit Ihrem Neger nichts zu tun hatte?«
»Aber desto mehr mit schlechten Menschen«, fiel ihr die Dame ein. »Er hat selbst einen Staatsgefangenen aus seiner Haft befreit.«
»Aber, Madame«, versetzte die Französin ein wenig scheu. »Aber, Madame! das ist« – »Was wollen Sie sagen? liebe Madame Madiedo?«
»Es ist dieses eine Angelegenheit,« sprach die Französin leise und mit stockender Stimme, »welche die hohe Obrigkeit allein angeht, und mit der wir uns eigentlich, ich bitte um Vergebung, nicht befassen sollten.«
»Das glauben Sie, meine Gute«, fiel ihr die Frau des Obersten ein. »Und als Ausländerin geht Sie wirklich diese Angelegenheit nur insofern an, als Ihr Mann darin verwickelt ist; aber als Amerikanerin habe ich mit der Obrigkeit etwas mehr zu tun, und es sollte mir leid sein, wenn durch meine Schuld der Gang der öffentlichen Gerechtigkeitspflege gehindert würde. Einem Verbrecher, der sich an der öffentlichen Sicherheit so schwer versündigt, Vorschub zu leisten, dazu werde ich nimmer einwilligen.«
Die Französin erblaßte bei Anhörung dieser Worte, die in einem zwar sehr gelassenen, aber auch sehr kalten Tone ausgesprochen worden waren.
»Seien Sie doch nicht so kalt, so grausam. Seien Sie gütig! Geben Sie mir eine sanftere Antwort. Senden Sie mich nicht so trostlos zurück!« bat sie.
Rosa hatte sich unterdessen schon einige Male aus dem zweiten Zimmer herangeschlichen, war aber immer wieder von Gabrielen zurückgehalten worden.
»Was will die arme Frau?« fragte sie.
»Ihr Mann hat den wegen Spionierens und Umtriebe mit den Indianern verdächtigen Briten aus seiner Haft befreit und wurde deshalb ins Gefängnis geworfen.«
»Aber das hat ja Rosa auch getan.«
»Nein, Miß!« belehrte sie die Oberstin. »Was Sie getan haben, war edle Selbstaufopferung gegenüber einer wilden, rohen Willkür. Sie haben ein Menschenleben gerettet oder zu retten geglaubt; Ihre Handlung war edel, obwohl nicht ganz gesetzlich; aber es ist immer verdienstlich, gegen Willkür aufzustehen, wo und in welcher Gestalt sie sich zeige; aber der Mann dieser Frau hat aus schlimmen Absichten weisen Gesetzen, die unsere Mitbürger sich zu ihrer Sicherheit gegeben haben, um seines eigenen Vorteils willen allein, in die Hände gegriffen.«
Diese etwas lange Erklärung ward wieder in dem gelassenen, aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen etwas rücksichtslosen Tone gegeben, der mehr Schein – als wirkliche Tugend zu verraten schien; auch war die bedrängte Französin beinahe ungeduldig geworden. »Mein Gott,« murmelte sie halblaut zu sich selbst: »sie spricht wie ein Richter, der auf dem Stuhle sitzt, während mir das Herz im Leibe springen möchte. Was doch diese Menschen für kalte Naturen haben!«
Die Dame mochte die Worte vernommen haben; ohne sie jedoch zu beachten, fuhr sie in demselben belehrenden Tone fort: »Unser Land hat Ihrem Manne, ohne nach seinem frühern Betragen zu fragen, ein Asyl unter der Bedingung angeboten, daß er denselben Gesetzen gehorche, unter denen auch wir stehen, daß er besonders nie etwas gegen die Sicherheit des Landes unternehme, das ihn duldete«, – sie betonte dieses Wort. »Oberst Parker hat Monsieur Madiedo verhaften lassen; warum, wissen Sie. Es geziemt nicht mir, dem, was er getan, entgegenzuhandeln.«
»Er ist nur, weil er keine Bürgschaft stellen konnte, gefangen gesetzt worden«, schluchzte die Französin. »Ein Wort von Ihnen, und er ist frei. Erbarmen Sie sich unser. Seit seiner Verhaftung haben wir keine zehn Pinten verkauft. Alles scheut uns, alles hat sich vor uns zurückgezogen. Es ist ein grausames Land dieses. Statt uns in unserem Unglücke beizuspringen und aufzuhelfen, drücken sie immer nur tiefer hinab.«
»Es ist kein Frankreich, noch ein Spanien«, versetzte die Dame ernst.
»Leider, nein!« jammerte die Französin.
»Da dürfte vom Volke allerdings die Befreiung eines Staatsverbrechers als verdienstlich angesehen werden, weil sie niemanden gefährdet als den Gewalthaber; hier ist es Verrat an der Menschheit, an allen Bürgern – und es freut mich, daß diese so viele öffentliche Tugend besitzen, um ihren Abscheu auf alle Weise zu erkennen zu geben.«
Die Oberstin erhob sich nun von ihrem Sitze, und ein leichtes Kopfnicken gab der Frau zu verstehen, daß sie entlassen sei.
Rosa hatte sich zum Fenster geschlichen und der sich entfernenden Französin nachgesehen.
»Ach, Mutter! lasse doch das trostlose Weib nicht so von dir« – bat sie, ihre Hände bekümmert faltend.
»Miß Rosa!« erwiderte die Dame etwas vornehm: »Wollen Sie gefälligst« – sie deutete auf Gabrielen, zu der das Mädchen verschüchtert schlich.
»Es sind fürchterlich gräßliche, in Grund und Boden verdorbene Menschen, diese Ausländer«, seufzte die Frau, indem sie sich wieder setzte. »Wann wird doch einmal diese so schrecklich mißbrauchte Gnadentüre sich schließen, dieses Asyl, das unsere bluterkaufte Freiheit« —
Sie hielt inne und sah den jungen Copeland forschend an – von dem als Aufseher der Pflanzung und Sohne des alten Squire Copeland unsere Leser gehört haben.
»Das wollte ich auch wieder nicht«, fiel ihr dieser rasch ein. »Diese Menschen da schaden unsern Bürgern nicht, sie geben kein böses Beispiel, weil sich niemand nach ihnen kehrt; aber ihnen unsere Türe zutun, würde heißen, auch die Guten ausschließen, in andern Worten, die Alien bill mit all ihrem Triebwerke wieder in Gang bringen. Das wäre unsern Tories just recht.« Er sah die Dame scharf an. —
»Laßt uns weiter in unserm Rechnungsabschlüsse«, bemerkte sie mit einiger Verlegenheit.
Diese Verlegenheit, in welche sie der kleine Verrat gesetzt, den ihr die Zunge gespielt, indem sie sich einen der heißesten Torywünsche in Gegenwart des jungen Copeland entschlüpfen ließ, verließ sie erst beim Eintritte des Kapitäns, der ungefähr nach zehn Minuten erfolgte.
»Mein Bruder«, kam ihm Rosa, noch immer über die jammernde Französin sinnend, entgegen. »Dein Gesicht ist heiter. Du bringst fröhliche Botschaft. Und ist der Brite nun wirklich frei, und zürnt er nicht mehr, und ist« —
»Miß Rosa!« fiel ihr die Oberstin ein, »Sie fragen für eine junge Dame zu viel. Auch haben Sie wieder vergessen« —
»Leider!« versetzte diese, »kann Rosa sich nicht angewöhnen, zu ihrem Bruder zu reden, als wenn ihrer zwei wären.«
»Ich glaube wirklich,« versicherte sie der Kapitän, »Miß Rosa verkünden zu dürfen, daß er, an dem sie so unverdiente Teilnahme nimmt, gänzlich frei ist.«
»Ihr Schützling scheint Sie sehr in Anspruch genommen zu haben«, bemerkte Virginie etwas spöttisch. »Das liebe Altengland wird es Ihnen Dank wissen.«
»Ich hoffe, auch das neue,« sprach der Kapitän etwas ernst, »und selbst Miß Virginie dürfte mir Gerechtigkeit und vielleicht auch einigen Dank widerfahren lassen.«
»Ich bin ganz Amerikanerin,« versetzte diese etwas spröde, »und was ich von England gesehen habe, ist wahrlich nicht geeignet, mich weniger stolz auf mein Land zu machen. Ich behalte meinen Dank ganz meinen Landsleuten vor.«
»In diesem Punkte«, fiel der junge Copeland ein, »dürfte Kapitän Percy wirklich auf Ihren Dank, Miß Virginie, sowie auf den unsrigen Anspruch zu machen berechtigt sein; denn er hat uns eine Schamröte erspart.«
»Ich habe bloß meine Schuldigkeit getan, Mister Copeland«, bedeutete er dem jungen Manne etwas vornehm. »Es scheint jedoch, daß noch jemand anders mehr als seine Schuldigkeit getan habe.«
»Die Ehre seines Landes zu wahren, sollte ich glauben, ist Schuldigkeit für jeden; da brauchen wir nicht Männer dafür zu bezahlen. Wir können es selbst tun«, sprach der junge Mann trocken.
»Wie soll ich das verstehen?« fragte die Dame den Kapitän.
»Sie wissen, teure Mutter,« versetzte dieser, »die Order des Generals traf vorgestern ein, kaum drei Tage nach unserer Untersuchung.«
»Ich sollte meinen, die Zeit wäre hinlänglich, sie zweimal hinab und herauf passieren zu lassen.«
»In gewöhnlichen Zeiten, nicht in diesen,« versetzte ihr der Kapitän bedeutsam; »der junge Mensch scheint unten Freunde gefunden zu haben und in Gnaden zu stehen, so daß Kapitän Percy vielleicht selbst es wagen dürfte, ohne Anstoß zu geben —«
»Ihm einige Güte zu erweisen«, fiel der junge Copeland ein. »Er verdient auch einige. Wenigstens hat sein Betragen gegen die Indianer und den armen Pompey ihn als einen warmherzigen, festen jungen Menschen erwiesen. Und haben Sie ihm ja etwas Gutes erzeigt, Kapitän, so ist dies wirklich nicht Ihre schlechteste Handlung.« Und mit diesen Worten packte der Jüngling seine Bücher und Schriften zusammen und verließ, mit einer leichten Verbeugung gegen die Damen, den Salon.
»Rätsel und wieder Rätsel«, sprach die Oberstin. »Was haben Sie doch mit dem jungen Copeland, und was hat dieser mit dem jungen Briten zu tun?«
Der Kapitän hatte diesem schweigend und kopfschüttelnd nachgesehen. »Ich weiß selbst nicht, was der junge Mensch will. Übrigens sind mir meine Herren Mitoffiziere« – sein Gesicht verzog sich in ein unwillkürliches Hohnlächeln, »ein Rätsel. Hören Sie nur, Kapitän Miko Broom hat sich gestern in eigener hoher Person herbeigelassen, den jungen Briten bei der Tafel aufzuführen, und alle haben ihm recht generös ihre Börsen angetragen.«
»Eine Aufmerksamkeit, über die ich Ihnen vielleicht einen Aufschluß zu geben vermag«, erwiderte die Oberstin. »So viel ich weiß, hat der Bruder unseres Aufsehers, der Leutnant, seinem Vater das Resultat des letzten Verhörs geschrieben.«
»Aha!« fiel ihr der Kapitän ein. »Nun verstehe ich – und der allmächtige Major hat sein gnädiges Fürwort eingelegt, und der junge Brite ist nun von den Söhnen hoch protegiert und natürlich von der ganzen Mannschaft des lieben Opelousas.«
»Ein guter Kredit bei seinen Mitbürgern ist viel wert, lieber Kapitän«, sprach die Dame mit einem halben Seufzer.
Diesem schwebte noch die Antwort auf den Lippen, als eine Ordonnanz eintrat und ihm ein versiegeltes Paket übergab. Zugleich gingen die Flügeltüren auf, und die Worte: »Onkel, Cousinen«, begrüßten einen Zug junge Damen, die, von einem ältlichen Manne begleitet, in den Saal eintraten.
Sie wurden von der Oberstin herzlich, aber auch etwas stattlich empfangen. Ohne auf die Beweglichkeit der drei übereleganten Misses oder die Ungeduld des Onkels Rücksicht zu nehmen, ging sie alle Formen der etwas zeremoniösen Aufführung sowohl Rosas als des Kapitäns durch, obgleich ihre Gäste von beiden nicht besonders Notiz zu nehmen schienen.
Vierunddreißigstes Kapitel
»Ja, da wären wir«, stöhnte der Onkel darein, ein fettes behagliches Männchen mit einer beneidenswerten Kupfernase und ein paar graublinzelnden Augen, die, man hätte schwören sollen, irgendwo in Connecticut oder Massachusetts das Licht der Welt erblickt haben mußten. »Ihr habt also nichts vom Dampfschiff gehört? Wir liefen soeben ein.«
»Recht schön,« rief Virginie, »daß Sie unser nicht vergessen haben und den Silvesterabend mit uns Armen zubringen wollen. Ach, wir sitzen schon eine ganze Woche, wie die arabischen Prinzessinnen.«
»Euer Fehler«, versetzte der Onkel, sich den Schweiß von der Stirne wischend. »Warum seid Ihr nicht hinabgegangen wie wir? Sind aber froh, daß wir wieder weg sind.«
»Froh«, rief eine der drei Misses. »Aber Pa, wie können Sie nur so sagen? Wir wären gerne unten geblieben, aber Ihnen wurde bange.«
»Ja, stellen Sie sich nur vor, liebe Schwägerin,« versetzte der Onkel, »die tollen Mädchen wollten absolut unten bleiben. O Schwägerin! Sie haben keinen Begriff, wie schrecklich es da unten aussieht. Ich versichere Sie, es wird mir ganz schauerlich zumute, kein Handel, kein Wandel —«
»Aber Partien genug!« fiel ihm wieder eine der Misses ein.
»Es muß ein sehr freier Ton unten sein, Miß Georgiane«, bemerkte die Oberstin etwas ernst.
»Sehr frei, liebe Tante; die altväterische steife Manier ist ganz verschwunden. Man ist ganz sans gêne.«
»Was ich sehr mißbillige. Miß«, versetzte die Oberstin.
»Hörst du, Missi?« fiel ihr der Pa ein. »Ach mein Gott!« fuhr er fort, »nur Trommeln und Pfeifen zu hören. Auf dem Uferdamme nichts als Gezelte und Mannschaft – exerzierend, trommelnd, pfeifend, lärmend; und hinunter an dem Damme – Gott sei es geklagt! Wagen auf Wagen, Karren auf Karren, mit Munition, Pulver, Lebensmitteln – Neger und Milizen, Offiziere und Mannschaft, Matrosen und Generale, alles untereinander. Mußten selbst zum Dampfschiffe zu Fuß gehen. Das ist aber alles nichts, Mistreß Parker,« fuhr er sich selbst erkräftigend fort – »das ist alles nichts!« rief er nochmals, sich die Stirn trocknend. »Aber kein Schiff zu sehen, keine Brigg, nicht einmal einen armseligen Schoner. Oberhalb der Vorstadt Annunciation liegen noch ein paar abgetakelt, und das ist alles; und das Zehren auf unsere Kosten, als ob es nimmer ein Ende hätte! Das Herz möchte einem zerspringen. Wenn›s noch ein halbes Jahr so fortgeht, so sind wir alle ruiniert.« Der kurzatmige Pflanzer war ganz lebendig in der Beschreibung seiner und der allgemeinen Not geworden.
»Ach!« seufzte er wieder. »Meine arme, arme Baumwolle! Stellt Euch nur vor. Habe da in der Presse Rilieux an die zweitausend Ballen, die Ernte der letzten drei Jahre. Was geschieht? Der General, mir nichts dir nichts, läßt fünfhundert Ballen herausnehmen, ohne mir nur ein Wort zu sagen. Fünfhundert Ballen! Dreißigtausend Dollar! Prime Cotton. Glaubt denn der einfältige General, meine Baumwolle komme mit den Baumstämmen den Missouri herab!«
»Ich verstehe nun«, sprach Mistreß Parker. – »Ihr ginget hinab, um Eure Baumwolle aus den Klauen des Generals zu retten. Das hättet Ihr Euch immer ersparen können. Auch wir haben fünfhundert Ballen hergegeben. Sie wurden geschätzt und werden vergütet werden.«
»Und dann, wenn einige Kugeln einschlagen, wiegt sie um so schwerer«, tröstete ihn der Kapitän, der zeitweilig von seinen Depeschen das Männchen ansah.
Der Pflanzer hatte beide mit Ungeduld angehört. »Ersparen können? schätzen? erstatten? – Ich sage Euch, es ist ein Eingriff ins Eigentumsrecht, der schrecklich ist. Sollte er nicht meine Einwilligung abgewartet —«
»Und den Feind zugleich gebeten haben, zu warten, bis Mister Bowditch diese zu geben gesonnen wäre«, fiel der Kapitän etwas spöttisch ein.
»Ich werde es ihm schon weisen«, versicherte dieser. »Stellen Sie sich vor, dieser Quasipflanzer von Nashville da, der kaum hundertundfünfzig Ballen Uplandkotton mit all seiner Generalschaft zusammenbringt, will einem Mann wie mir die Türe weisen! Ich dränge mich hindurch mit meinen Kindern. Sie wollten die Befestigung des Lagers sehen. Drei Stunden hatten wir zu gehen, zwanzigmal waren wir in Gefahr, unter die Räder zu kommen, und als ich endlich vor dem Hauptquartier ankomme, läßt er mir sagen, er habe keine Zeit, sich mit meiner Angelegenheit zu befassen.«
»Es war sehr unartig, Tante, wir können Sie versichern«, meinten die drei Misses.
Unser Exemplar, einer jener Republikaner, deren im Norden und Süden eine so erkleckliche Unzahl ist, und die, wenn es darauf ankäme, lieber den Schah von Persien zu Washington sitzen sähen, als ein Prozent ihrer Aktien oder einen Ballen ihrer Baumwolle zu verlieren, war in eine mäßige Aufwallung geraten, so viel nämlich seine komfortable Leibesbeschaffenheit und eine Affäre von dreißigtausend Dollar zuließen. Das Teegeräte, das nun aufgetragen wurde, unterbrach einigermaßen seine gerechte Erbitterung, und er gewann ein ruhigeres Aussehen; als aber die Diener sich entfernt hatten, brach er wieder los.
»Stellen Sie sich nur vor, liebe Schwägerin, Sie wissen, unter dem letzten Landhause, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hat, zweihundert Schritte darunter, da liegt meine Baumwolle und noch zehn– bis zwölftausend Ballen mehr. Und alle hat er sie zur Brustwehr verwendet. Sie läuft mannshoch vom Mississippi zu den Zypressensümpfen quer durchs Land, eine halbe Meile lang. Die ganze Baumwolle ist mit Erde überworfen, davor ein Graben, acht Schuh breit und sechs tief. Auf den Flanken sind die Batterien mit Sechzehnpfündern.«
»Mister Bowditch,« versicherte der Kapitän, »Sie haben die ganze Befestigung des Lagers so bündig angegeben, daß auch der beste Militär nichts aussetzen könnte.«
Unser Pflanzer nahm eine Tasse Tee und fuhr fort: »Ich versuchte es, den Mister Parker zu einem Meeting zu bewegen, klopfte bei Floyd und Bowers an. Allen hat aber das Kanonenfieber die Köpfe so verwirrt, daß gar nicht daran zu denken ist.«
»Aber ich wundre mich nur, wie Sie selbst an so etwas denken konnten, – in einem so kritischen Zeitpunkt daran denken konnten«, bemerkte die Oberstin, mit sichtlichem Mißfallen an dem grob selbstsüchtigen Schwager.
»Wie, was?« fragte dieser, »und Euer Meeting – He?« —
»War, ein unveräußerliches Bürgerrecht aufrecht zu erhalten.«
»Unveräußerliches Bürgerrecht! – Ei, ei, Frau Schwägerin! – oder um dem guten Mann vorläufig ein Bein unterzuschlagen, falls er es sich gelüsten lassen sollte, einst im weißen Hause wohnen zu wollen. Hab› aber nichts dagegen einzuwenden. Es steht auf dem Grund und Boden von Altvirginien und sollte eigentlich also nur Virginier zu Einsassen haben.« »Es sollte mir leid tun, wenn Sie so etwas denken könnten«, sprach Mistreß Parker mit einem Tone, dem man ansah, daß ihre Gelassenheit auf eine harte Probe gestellt wurde.
»Denken!« fiel ihr der Schwager ein. »Ich denke nichts, gar nichts. Am besten so. – Ich denke an nichts, als an meine Baumwolle. Denken mögen die, die nichts Besseres zu tun haben. Danke Ihnen für eine andere Tasse.«
»Und der General hat Ihre Bemühungen, eine Protestation gegen seine Gewalttätigkeit, wie Sie es nennen, hingehen lassen?« fragte der Kapitän.
»Hingehen lassen?« entgegnete der Pflanzer verwundert. »Wie meinen Sie dies?«
»Ich kann mich unmöglich eines gelindern Ausdrucks bedienen.«
»Sie denken also, er sollte mir haben ein Zimmerchen in der Nähe der Kathedrale im Staatsgefängnisse anweisen lassen?«
Der Militär sah ihn bedeutsam lächelnd an.
»Kapitän Percy!« sprach das dicke, runde Männchen, und es wurde ungemein ernst. »Wir nennen unser Land frei, weil jeder unverhohlen seine Meinung sagen und sich vollkommen aussprechen mag; was das Handeln betrifft, so bestimmt das Gesetz, das heißt die Mehrzahl, und die Minderzahl muß sich fügen. Wenn Sie aber meinen, daß des Generals Erklärung des Kriegsgesetzes und Belagerungszustandes mich auch nur um eine Silbe an meinen Rechten verkürzt hat oder verkürzen kann, so irren Sie sich. Ich bin ein Virginier; aber in diesem Punkte gegen die Administration und folglich gegen den Krieg und billige ganz, was die Hartford– Konvention getan hat, und habe mich auch in diesem Punkte erklärt.«
Und mit diesen Worten erhob er sich von seinem Sitze und ging in das andere Zimmer, wohin sich die jungen Damen, als die Konversation diese ernste Wendung genommen, zurückgezogen hatten. Der Kapitän selbst stand rasch auf und empfahl sich.
Die jungen Damen hatten unterdessen in dem zweiten Kränzchen ihre Herzensergießungen begonnen. —
»Und nun,« sagte die lebhafte Cousine Georgiane, »Pa wollte morgen nach Natchez hinauf; wenn ihr aber hübsch artig seid und uns zu amüsieren versprecht, so bleiben wir einige Tage. Nicht wahr, Pa?«
»O Schmerz!« rief lachend Virginie. »Sie kommen auf zwölf Stunden und wollen schon amüsiert sein. Ein sehr großes Kompliment finde ich darin für unsere annehmlichen Gaben eben nicht; damit ihr aber seht, wie wir Böses mit Gutem vergelten, so will ich mich zu Vorschlägen herbeilassen.«
»Wir sind ganz Ohr«, versicherten die drei fashionablen Schönen.
»Morgen früh denn Schau bei den indianischen Löwen.«
»Pfui, mit euern schmutzigen indianischen Löwen«, riefen die drei mit Abscheu.
»So hört doch nur,« mahnte Virginie, »einer darunter soll wirklich ein königlicher Löwe sein.«
Das Geplauder wurde in dem leichten, gefällig anmutigen Tone geführt, der gerade nicht ausgelassen, aber für die etwas bedenklichen Zeitumstände vielleicht mutwillig genannt werden konnte.
Die Oberstin hatte schon einige Zeit mit Ungeduld zugehört. »Misses!« sprach sie etwas scharf, »ihr seid sehr vergnügt, und es freut mich; aber ich wünschte, euer Frohsinn wäre etwas mehr gedämpft; etwas mehr Zartheit, in einem Augenblicke, wo die Unsrigen in einem so ernsten Kampfe begriffen sind, dürfte nicht überflüssig sein.«
Auch Rosa schien von dem mutwilligen Tone verletzt.
»Die Löwen?« fragte sie Gabriele. »Habt ihr Löwen hier? Das müssen schreckliche Tiere sein, wenn sie so aussehen, wie sie auf dem Bilde im Speisesaale gemalt sind!«
»Du kamst ja mit ihnen«, erwiderte Gabriele.
»Ich!« rief Rosa verwundert. Sie sann eine Weile nach. »Du meinst doch nicht —« sie stockte, sie wurde blaß.
»Die Indianer«, lächelte Gabriele. »Wir nennen jede ungewöhnliche ausländische Erscheinung einen Löwen. Das ist Sprachgebrauch.«
»Das ist ein sehr grausamer Sprachgebrauch«, seufzte sie. »Ihr seid grausam und selbst in eurer Fröhlichkeit schneidet ihr tiefer ein, als die Schlachtmesser der Wilden in ihrer Wut, – stoßt ihr dem armen alten Mann den Stachel eurer Zunge in das Herz.« Sie zog sich unwillig zurück. Gabriele schlang ihren Arm um sie: »Sei nicht böse, Schwesterchen, der alte Häuptling ist ja nicht hier.«
»Aber seine Tochter ist es«, sprach Rosa.
»Seine Tochter?« fragte Mister Bowditch, der in seiner Promenade durch die beiden Abteilungen des Empfangszimmers die letzten Worte des Mädchens gehört hatte. »Wer ist doch die junge Dame?« fragte er Mistreß Parker.
»Miß Rosa, unser lieber Gast.«
»Miß Rosa – Rosa«, wiederholte der Pflanzer mit einer Stimme, die leise sein sollte, die aber in den beiden Zimmern gehört wurde.
»Ich habe Sie Ihnen bereits vorgestellt, aber Mister Bowditch schien zu sehr mit andern Gegenständen beschäftigt«, sprach die Dame mit einem sanften Verweise.
»Ach, jetzt erinnere ich mich; à propos!« Er wackelte zur Klingelschnur und zog sie. »Bringt mir doch einmal meinen Überrock aus der Vorhalle herein. Da, Mistreß Parker, sind ein halbes Dutzend Briefe, ein wenig verspätet, aber gute Nachrichten kommen nie zu spät. Muß doch sehen.« Und mit diesen Worten setzte er ohne Umstände seine Brille zwischen Nase und Ohren und fing an, eine Zeitung zu entfalten.
Die Dame hatte die Briefe in Empfang genommen, und sich für einige Augenblicke entschuldigend, verließ sie mit Virginien das Besuchzimmer.
»Da seht einmal diese Zeitungsschreiber – aber im ganzen genommen nicht so übel, nein«, rief er, indem er das Kind durch die Brille musterte, mit etwas weniger Interesse, als er wahrscheinlich einem fremden, in seine Baumwollenpresse geratenen Kottonballen bewiesen haben dürfte.
»Sehen Sie,« fuhr er fort, »da steht Ihre Lebensgeschichte schwarz auf weiß.«
»Etwas von Rosa in diesen Papieren?« fragte das aufmerksam gewordene Mädchen.
Der Pflanzer sah sie verwundert an. »Sie wissen ja, die stecken ihre Nasen in alles hinein.«
»Darf ich bitten«, sprach sie.
»Gerne«, versetzte er, ihr das Blatt reichend.
Sie nahm es und zog sich schnell in die Ecke des Sofas zurück. Sie las Wort für Wort. Bei jeder Zeile schüttelte sie das Köpfchen stärker. Sie wechselte die Farbe. Wieder las sie, eine Träne perlte in ihren Augen, und das Köpfchen senkend, schien sie alles um sich her zu vergessen. So war sie eine geraume Weile gesessen, das Blatt auf ihrem Schöße, ohne ein Wort zu sprechen. Die Damen waren herbeigetreten und sahen sie verwundert an. Unwille, beleidigtes Zartgefühl schienen in ihrem Gemüte wechselseitig zu kämpfen; die Freiheit, die man sich mit ihr genommen, schien sie tief zu verletzen.
Der Pflanzer trat an sie heran.
»Aber, mein Vater,« rief sie aufstehend, und nicht ohne Unwillen, »das ist ja nicht wahr, was hier gedruckt ist. Der weiße Mann muß sehr böse sein, der dies getan hat.«
»Pa, Vater«, wiederholte der Pflanzer. »Danke schönstens, Miss«! Hab› aber mit den dreien da genug zu tun. Glauben nicht, was die einen für Geld kosten. Da mußten drei Schals her, eine neue Erfindung irgendeines müßigen Webers in China, das uns ohnedies schweres Geld kostet. Kommen mich die drei Dinger da auf zweitausend Dollar; das gäbe vier tüchtige Neger, à fünfhundert Dollar per Stück, von denen jeder fünfzig Prozent geben muß, macht tausend Dollar per annum. Das verstehen Sie aber nicht, armes Kind«, meinte er mit einem mitleidigen, beinahe geringschätzigen Blicke. »Ja, da sind sie mir nun alle überm Hals. Die Georgiane – nun, da glaube ich, wird sich wohl mit Charles etwas machen lassen. Bin nur froh, daß Krieg ist. Haben wir doch diesen Winter mit den verdammten Bällen und Partien Ruhe. Der vorige Karneval kostete mich netto zehntausend Dollar. Wenn›s meinem Kopfe nach gegangen wäre, so hätte ich Amalien noch ein Jahr in der Pension gelassen. Schickt sich besser. Sieht so sonderbar aus, wenn man zwei auf einmal aufs Tapet bringt; die jungen Leute wissen nicht, wo am ersten anzubeißen ist, und lecken nur. Ja, bin ein alter Spatz.«
Der kleine Mann hatte diese Rede, seine beiden Hände in der Tasche, in den beiden Zimmern promenierend, mit einer Selbstgefälligkeit vorgetragen, die seine drei Misses sehr zu belustigen schien, von der aber das arme Naturkind nur so viel begriff, daß sie mit einer schonungslosen Geringschätzigkeit und Rücksichtslosigkeit behandelt wurde. Ihr Busen hob sich immer beklommener.
»Nun wirklich,« fuhr der Pflanzer fort, das Blatt wieder aufnehmend, »der Artikel ist gut geschrieben, und wenn ihn irgendeine alte wohltätige Haut zu Gesichte bekommt, kann er vielleicht Ihr Glück machen. Haben Sie ihn denn auch gelesen?« Er begann:
»Wir würden Bedenken tragen, nachstehendes in unser Blatt aufzunehmen – das ist so eine gewöhnliche Formel«, unterbrach er sich. – »Bedenken tragen – die Wichte Bedenken tragen, wenn uns«, fuhr er fort, »die Wahrheit der berührten Daten nicht durch respektable Autoritäten verbürgt und wir nicht auch zugleich der Hoffnung wären, durch ihre Verbreitung nützlich zu werden und Licht und Aufklärung über einen Vorfall zu verbreiten.«
»Licht und Aufklärung über einen Vorfall verbreiten«, kommentierte er. »Er will Licht und Aufklärung über sie verbreiten. Das ist übrigens ganz recht, und es läßt sich gar nichts dawider sagen. Nur unsere Neger muß man nicht aufklären wollen.«
Das Mädchen hatte aufmerksam zugehört. »Die Worte sind süß, aber in seinem Herzen spricht er bitter«, sagte sie leise und unwillig.
»Je nun, was die Indianer betrifft, da macht er freilich keine Komplimente; aber wer wird auch die mit einem Wilden machen? Wäre ungeräumt.« Er las weiter.
»Vor etwa vierzehn Jahren, in einer stürmischen Dezembernacht, stürzte plötzlich eine Horde Indianer von dem Volke der Creeks an die Behausung eines unserer Bürger, der damals im Staate Georgien, am Flusse Coosa, als von der Regierung autorisierter Zwischenhändler lebte. Aus dem Schlafe aufgeschreckt, öffnete er noch gerade zu rechter Zeit die Türe, um einen gewaltsamen Einbruch zu verhüten. Es war die Schar des berüchtigten Tokeah, der durch seine Greuel und Schreckenstaten die Langmut unserer Bürger und Regierung so sehr ermüdet, und, nachdem er sein Land verkauft, durch Gewalttaten aller Art das westliche Georgien unsicher gemacht. Die Familie, den unbändigen Sinn des Wilden wohl kennend, erwartete nichts Geringeres als augenblicklichen Tod; sei es jedoch, daß seine Raub– und Mordgier bereits durch frühere Opfer gesättigt —«
»Der Miko«, fiel ihm Rosa mit einer Heftigkeit ein, die den kleinen Mann stutzen machte, »der Miko ist kein Dieb, kein Räuber, kein Mörder. Er hat nicht sein Land verkauft. Es ist ihm gestohlen worden. Er hat nicht das Messer an die Brust meiner Milchmutter gesetzt. Er hat ihr für das, was Rosa bei ihr genossen, Felle bezahlt. Er hat Rosa nicht gestohlen. Er hat den Pfeil bittern Hohnes nie so tief in ihr Herz gedrückt, als —«
»Nun, ich will nicht streiten, Missi. Es ist immer schön, daß Sie selbst eines Wilden Partei nehmen. Ja, ja – hm, – aber der Schluß ist recht gut.«
»Wir enthalten uns aller weitern Bemerkungen bis zur gerichtlichen Aufklärung dieses mysteriösen Verhältnisses, wünschen jedoch, es möge etwas von den Ungehörigen des unglücklichen Kindes, das nun hilflos und verwaist und verwahrlost in die Welt hinausgestoßen ist, entdeckt werden, und falls diese nicht mehr am Leben wären, daß sich irgendeine mitleidige Seele desselben erbarmen möge. Wir ersuchen deshalb unsere Mitredaktoren, besonders französische und spanische, daß sie dieser Anzeige eine Aufnahme in ihre respektablen Blätter gönnen und so einer Tatsache Publizität geben, die wahrscheinlich unsäglich Trauer und Jammer in irgendeiner französischen oder spanischen Kreolenfamilie verursacht hat.«
»Rosa«, sprach sie bebend, »ist arm. Sie ist den Weißen nichts wert. Aber sie ist dem Miko wert und teuer. Sie geht zu ihm und wird den Weißen nicht beschwerlich fallen.«
»Sie, Miß, zu den Indianern zurückkehren? Eine Wilde werden? das wäre wirklich schade. Sie wollen?« fragte der Pflanzer verwundert.
»Aber mein Gott, was habt ihr denn?« rief Mistreß Parker, die von Gabrielen in der Angst ihres Herzens herbeigeholt worden war.
»Nichts«, versicherte der Onkel, »bloß das Zeitungsblatt. Sie will zu den Indianern zurück, und ich sage ihr, sie täte besser, wenn sie irgendwo unterzukommen trachtete.«
»Aber, Mister Bowditch,« rief die Dame unwillig, »wie können Sie sich doch solche Familiaritäten mit unsern Gästen erlauben!«
»Ich weiß aber nicht, was ihr da für ein Wesen macht. Sie ist doch nur ein armes Kind, und Oberst Parker selbst hat mir gesagt —«
Indem trat ein Bedienter ein. »Madame, ein sonderbarer Besuch – zwei der Indianer.«
»Sie kommen um Rosa. Lebe wohl, teure Mutter! Lebet wohl, Virginie und Gabriele!« rief sie.
»Miß, wohin wollen Sie?« schrie die erschrockene Dame. Doch sie war schon verschwunden. Wie eine Verfolgte flog sie durch den Korridor auf die beiden Cumanchees zu und mit diesen über das Bayou, so schnell als sie konnte, zum Gasthofe. Sie stürzte die Stiegen hinan und warf sich mit unendlicher Angst an den Hals des Miko, gleichsam als wollte sie ihn festhalten, damit er ihr nicht entrissen würde. »Armer gefangener Löwe«; flüsterte sie. »Arme Rosa, sie ist nichts wert; die Weißen haben sie mit Hohn verstoßen. Arme Rosa.« Einige Male waren ihr die Worte entschlüpft, als der alte Häuptling aufmerksam wurde und sie forschend ansah.
»Wie meint meine weiße Rosa dies?« fragte er. »Was ist der Löwe? Wer ist er?«
»Der Löwe ist eine grimmig wilde Katze, die alles tötet, und die von den Weißen gefangen und in einen eisernen Käfig gesperrt wird, wo sie dann ihrer Qual in der Gefangenschaft spotten. Sie heißen alle Gefangenen Löwen. Das ist Sprachgebrauch.«
»Und Rosa ist nichts wert?« fragte El Sol. »Wie meint meine teure Schwester dies?«
»Nichts wert sind bei den Weißen alle diejenigen, die nicht viele Dollars oder viel Gold haben.«
»Dann mag meine Schwester den Weißen sagen, daß Rosa mehr wert ist, als sie; daß sie alles Gold und alle Dollars der Cumanchees besitzt, daß El Sol und die Seinigen freudig all ihr gelbes und weißes Metall hergeben wollen, wenn es ein Lächeln auf ihrem Gesichte hervorbringt. Rosa muß den Weißen sagen, daß sie mehr silberne Dollars, mehr Gold besitzt, als viele Pferde tragen können. Sowenig der Miko und sein Sohn gefangene wilde Katzen sind, so wenig ist Rosa nichts wert. Sie ist mehr wert, als die Weißen.«
Das Mädchen sah den Häuptling, der heftig geworden war, gerührt an. »El Sol«, lispelte sie ihm zu, »ist mein Bruder, Rosa will ihm die teure Schwester sein.«
Der alte Mann war unterdessen aufgestanden und einige Male in der Stube auf und ab geschritten. Er horchte, eilte an die Türe, zum Fenster, er fing an, sich schneller zu bewegen. Im anstoßenden Zimmer wurden mehrere Stimmen gehört, und das Getöse vom Ufer und das Trommeln vor dem Wachthause verkündeten eine Bewegung unter den zurückgebliebenen Milizen, die alle in Reih› und Glied standen. Auf einmal setzten sie sich in Marsch und zogen dem Ufer zu. Das Gezische des entquellenden Dampfes verriet ihren Abzug auf dem Dampfboote. Die Augen des alten Mannes fingen an zu funkeln. Er sah starr auf die im Fackelschein sich fortbewegenden Massen, rannte wieder zur Türe und horchte. Beinahe schien es, als ob er fühle wie der König der Tiere, der, in seinem eisernen Käfig eingesperrt, rastlos vor– und rückwärts trabt und durch die Spalten seines Gefängnisses späht und einen Ausgang zu erlauern trachtet.
»Die weißen Krieger«, rief er plötzlich mit freudefunkelnden Augen, »sind gegangen. Hört mein Sohn das Kochen des feuerspeienden Kanus? Tokeah will nun gehen zu erfüllen, was ihm der große Geist hat zuflüstern lassen. Diese Nacht«, sprach er zu Rosa, »werden die roten Männer die Wigwams der Weißen verlassen; zu lange sind sie schon von ihnen im Käfig gefangen gehalten worden.«
»So laß uns eilen«, rief Rosa.
»Nein, meine Tochter kann nicht mitgehen,« erwiderte er; »der Pfad ist rauh, der Miko muß eilen, damit er erfülle, was ihm geboten worden. Die Füße meiner Tochter sind zart.«
»Nicht mitgehen? Der Miko will seine Tochter verlassen?« rief das Mädchen entsetzt.
Der alte Mann schüttelte das Haupt. »Die weiße Rosa ist Tokeah sehr lieb; aber sie ist vom Rosse getragen worden auf dem Pfade, der zwischen dem Natchez und dem endlosen Flusse liegt. Die Dornen des Weges, den ihr Vater nun geht, würden ihre Füße verwunden.«
»Sie werden stark werden«; versicherte sie ihn.
»Rosa, meine Schwester, muß bleiben, bis der Miko und sein Sohn zurückgekommen. Die Brüder El Sols, die Häuptlinge der Cumanchees, werden ihre Schritte bewachen und sie schützend umstehen.«
»Und Tokeah und El Sol wollen wirklich gehen, ohne Rosa mitzunehmen?« sprach sie, beinahe unwillig. »Vater,« bat sie, sich an den Hals des alten Miko werfend, »nimm Rosa, deine Rosa, mit dir.«
»El-kotah«, sprach dieser, »wird dem Miko sein Mahl bereiten. Aber Rosa muß bei den Weißen bleiben, bis er zurückkommt. Tokeah weiß,« fuhr er fort, »daß ihre Herzen nicht schlagen, wie die der roten Männer; sie klappern, weil nur Dollars darinnen sind; sie zählen die Bissen, die meine Tochter in ihren Mund steckt; aber Rosa mag beim Händler mit Feuerwasser bleiben. Tokeah wird mit Dollars bezahlen. Ocht-it-lan hat ihrer viele für sie, und das gelbe Metall —«
Es klopfte an die Türe, und der Wirt trat ein und sprach mit Rosen, die mit ihm die Stube verließ.
Sie erschien ungemein ernst und bewegt nach einigen Minuten wieder.
»Also muß Rosa bleiben?« fragte sie nochmals.
»Meine Tochter weiß, wie teuer sie dem Miko ist. Sie ist die einzige Weiße, die seinem Herzen teuer ist. Aber Rosa kann nicht auf dem Pfade gehen, den er nun wandelt.«
»So will Rosa wieder zu den Weißen. Sie darf nicht beim Händler mit Feuerwasser bleiben, wo bloß Männer sind. Es geziemt der Jungfrau nicht, unter diesen zu sein. Die Weißen sind kalt; aber sie sind auch klug, sie wissen, was geziemt.«
»Meine Tochter ist weise,« sprach der alte Mann in demselben gelassenen Tone, »der große Geist der Weißen ist in ihr; sie wird seiner Stimme folgen und tun, was er ihr heißt, und ihr Herz ihrem Vater bewahren.«
»Möge der große Geist dich begleiten, Vater!« lispelte sie ihm zu. »Du bist Rosen teuer. Das einzige, was ihr von Canondah übrig ist. Rosa wird den großen Geist bitten, daß er die Dornen von deinem Pfade tilge.«
Sie fiel ihm bewegt um den Hals, und der alte Mann legte seine Stirne auf die ihrige; dann erhob er sich, und beide Hände auf ihrem Haupt faltend, sprach er im tiefsten Gefühle: »Der große Geist bewahre dich, meine Tochter!«
Der junge Häuptling stand in ehrfurchtsvollem Schweigen. Als der Miko seinen Segen ausgesprochen hatte, faßte er ihre Hände und, sie an sein Herz drückend, sah er ihr eine Weile in die Augen und wandte sich dann rasch weg.
Rosa schaute ihn verwundert an und verließ dann gedankenvoll die Stube.
Fünfunddreißigstes Kapitel
Am folgenden Morgen nahm die Oberstin Rosa bei der Hand, und sie forschend anblickend, sprach sie mit einer milden, aber eindringenden Stimme:
»Liebe Miß Rosa! Sie haben gestern etwas getan, das uns alle sehr geschmerzt hat.«
»Rosa etwas getan, das Schmerzen verursacht hat?« versetzte das Mädchen, ihre Hände faltend.
»Und Sie fragen, Miß?« erwiderte die Dame, »nachdem Sie bei Nacht, ohne etwas zu sagen, aus dem Hause entwichen, zu den Wilden entwichen«, sprach sie mit stärkerer Betonung.
»Teure Mutter, ich bitte dich, heiße sie nicht Wilde. Es sind edle Menschen. Ihr habt ihnen viel Böses zugefügt.«
»Miß Rosa,« sprach die Dame, »darüber können Sie jetzt nicht urteilen. Sie werden es einst können. Bis dahin verschieben Sie Ihr Urteil und glauben Sie einstweilen meiner Versicherung, daß das Los, das diese Wilden niederdrückt, nicht unverdient ist. Jeder Mensch hat sein Schicksal in den Händen. Auch Sie, Rosa, haben es. Und darum bitte ich Sie, nie zu vergessen, daß Sie eine junge Dame sind, die sich nie etwas vergeben, am wenigsten aber den Anstand so sehr verletzen darf, um Wilde zur Nachtzeit zu besuchen.«
»Aber sie kamen, um Rosa abzuholen, und Rosa mußte zum Miko, ihrem Vater, gehen.«
»Vater«, rief die Dame unwillig. »Miß, wie können Sie den wilden, garstigen Indianer Ihren Vater nennen?«
»Rosa wird ihn nie anders nennen. Er ist Canondahs Vater. Sie wird ihn nie verlassen«; sprach sie mit leiser, demütiger, aber auch entschlossener Stimme.
»Wie, Sie wollen zu den Wilden gehen?« rief die Oberstin mit einem Abscheu, so unverhohlen, als wenn eine ihrer eigenen Töchter ihr diesen seltsamen Entschluß verkündet hätte. »Zu den Wilden?« rief sie nach einer langen Pause abermals, und mit gesteigertem Unwillen. »Unser Haus, die zivilisierteste Gesellschaft, wollten Sie verlassen? Wäre es möglich?« Sie warf einen langen, forschenden, beinahe mißtrauischen Blick auf das Mädchen. Nach diesem zu urteilen, schien sie nicht abgeneigt, diesen seltsamen Entschluß einer minder lautern Quelle zuzuschreiben, als die war, der er seinen Ursprung verdankte.
»Miß Rosa!« sprach sie mit einer feierlichen Stimme, »das edelste Geschöpf, das aus der Hand der Natur hervorging, ist das Weib. Sie duldet, sie leidet, wo der Mann nur genießt. Selbst ihre Freuden sind an Schmerzen geknüpft. Aber in ihrer Hand liegt das Schicksal des Geschlechtes, und ein tugendhaftes Mädchen, das sich pflichtbewußt zur Gattin bildet, ist eine achtunggebietende Erscheinung. Aber die tiefste Erniedrigung, Rosa, ist es, wenn ein weißes, freigeborenes Mädchen sich freiwillig einem – weniger als Barbaren – einem Wilden zu überliefern niedrig genug denkt. – Es ist tierische Erniedrigung,« sprach sie mit Abscheu, »weil bloß tierische Leidenschaft —« sie hielt inne; denn das Mädchen schrak sichtlich zusammen.
»Rosa«, sprach sie, »ist sehr unglücklich. Du sagst, es sei die tiefste Erniedrigung, sich den Wilden hinzugeben; wohin soll Rosa gehen? Bei euch«, seufzte sie, »ist sie nichts wert. Sie hat kein Gold. Sie ist arm. Ihr bietet sie, wie der Zwischenhändler sein Feuerwasser, dem öffentlichen Mitleiden an.«
Die Oberstin sah das Mädchen, dessen richtiger Blick so tief das Unzarte des Zeitungsartikels aufgefaßt und noch immer fühlte, betroffen an. »Es ist gefehlt worden,« sprach sie; »aber diese Unzartheit war gut gemeint, meine Tochter. Wir müssen manches dulden, was uns hart scheint, weil wir den Grund davon nicht einsehen.«
»Mutter!« sprach das Mädchen, »in meinem Herzen spricht eine Stimme, die mich nie irregeführt hat. Sie gebot mir, dem Miko zu folgen. Sie wird mir sagen, was ich zu tun habe. Aber bei euch würde die arme Rosa verlassen sein. Als der Miko«, fuhr sie mit leiser Stimme fort, »sich entschlossen hatte, in die Niederlassungen der Weißen zu gehen, da ward es in meiner Seele plötzlich helle. Ich verlangte mitzugehen. Rosa ist gegangen. Ach!« seufzte sie, »sie ist fremd unter euch. Als sie in der Hütte des Zwischenhändlers war, da gab man ihr Speise, weil der Miko Felle gab. Sie war fremd damals. Sie ist es wieder. Beim Miko war sie Tochter. Mutter!« rief sie überwältigt von ihren Gefühlen, »sei nicht grausam, entreiße der armen Rosa nicht das einzige, was sie auf der Welt besitzt, den Trost, den Miko zum Vater zu haben. Rosa hat nie ihren Vater gekannt; sie ist nie am Busen ihrer Mutter gelegen. O, es ist so wenig, um was sie dich bittet.«
Die Oberstin blickte das in tiefsten Schmerz versunkene Mädchen in sprachloser Rührung an. »Mein teures, verwaistes Kind!« sprach sie, »ich will dir Mutter sein. Eine Mutter läßt sich zwar nimmermehr ersetzen! aber mütterliche Freundin, Beschützerin will ich dir ganz sein.«
Der unglücklichen Waise war nun allmählich ihr Verlust, das Entbehren der Mutterbrust, des väterlichen Schutzes in den Kontrasten, die sie in ihrem kurzen Leben erfahren hatte, deutlich geworden. Es war aber nicht bloß Sehnsucht nach den entbehrten Vater– und Mutterarmen, die sich nun in dem Kinde so ergreifend äußerte. Sie hatte ihre Verlassenheit schon in der Hütte des Miko gefühlt; aber nie war sie sich derselben so deutlich, so schmerzlich bewußt geworden, als in ihren neuen Umgebungen und der freien Beweglichkeit und hinwiederum den eingezwängten Formen ihres neuen Kreises. An die rauhe Väterlichkeit des Miko gewöhnt, war diese ihrer demütigenden, von Liebe erquellenden, sich so gerne anschließenden Natur zum Bedürfnis geworden; jetzt aber fühlte sie sich nur unendlich einsam und verlassen.
»Ja, Rosa!« sprach die Oberstin, die gegangen und wieder zurückgekommen war, »du sollst meine Tochter sein. Der Indianer ist unsichtbar geworden, höre ich soeben. Möge er nie wiederkommen.«
»Er wird wiederkommen«; rief das Mädchen zuversichtlich. »Er wird kommen, um Rosen zu holen.«
»Ich zweifle«; erwiderte ihr die Oberstin, die es vielleicht nicht rätlich fand, das, was ihr als Starrsinn an dem Mädchen erscheinen mochte, gegenwärtig zu bekämpfen. »Es ist zwar sehr wenig an ihm gelegen; allein er hat des Bösen zu viel getan, um sich seinen gerechten, aber auch strengen Richtern nochmals zu stellen.«
»Er wird gewiß wiederkommen«; versicherte sie Rosa nochmals.
»Und warum ist er gegangen?« fragte die Oberstin. »Vielleicht sollte ich nicht fragen, da er deinem Herzen näher scheint als wir. Nur ist sein Verschwinden gegenwärtig auffallend. Rosa! ich hoffe, du wirst mir Vertrauen schenken, kindliches Vertrauen? Es hat das Verschwinden des Indianers einige Unruhe verursacht. Ich hoffe, nochmals sage ich es, du wirst in deiner Anhänglichkeit, die ich übrigens ehre, die Scheidelinie der Pflicht erkennen und das Vertrauen, das in dich gesetzt wird, nicht mißbrauchen.«
Nachdem sie diese Worte mild, aber ernst und eindringend gesprochen hatte, entfernte sie sich. Das Mädchen war in tiefes Nachdenken versunken dagestanden, über die seltsamen Worte sinnend. Die mysteriöse und plötzliche Entweichung der vier Indianer hatte wirklich am Bayou und in der Umgegend einige Unruhe verursacht, und die Frau des Obersten war ersucht worden, womöglich die Veranlassung dieses Unsichtbarwerdens des gefährlichen Unruhstifters aus seiner Pflegetochter herauszubringen. Ihr offener, zuversichtlicher Ton war jedoch ein hinlänglicher Beweis, daß sie keine Mitwissenschaft habe, was auch um so wahrscheinlicher schien, als es sich kaum denken ließ, daß die Wilden, im Falle sie wirklich etwas Feindseliges im Schübe führten, ihr ihre Absichten kundgetan haben würden. Bald verschmolz auch diese kleine Besorgnis in der großen Ungelegenheit, die nun alle ausschließlich zu beschäftigen anfing und in der man alles übrige vergaß. Solange nämlich die beiden Kompagnien unter dem Befehle des Kapitäns Percy noch am Bayou waren, schien man noch immer beruhigt. So unbedeutend die Anzahl der zurückgebliebenen Milizen war, so hatte doch der Umstand ihrer Nichteinberufung der Umgegend ein gewisses Gefühl von Sicherheit, von Vertrauen eingeflößt, das nun durch die plötzliche Order zum Abmarsche sehr erschüttert worden war. Es war eine fieberische Aufregung eingetreten, eine krampfhafte Spannung, die die Gemüter immer heftiger dann ergreift, wenn der Schauplatz der Gefahr entfernt und so der düstern Phantasie mehr Spielraum zu trüben Bildern gelassen ist, eine Art schaudernder Empfindung, die sich mehr oder weniger an den Zurückgebliebenen äußerte. Man sah sie in den ernst verschlossenen Gesichtern, den bedenklich ausforschenden, starren Mienen, dem häufigen Vergessen aller persönlichen Rücksichten und Vorteile, dem ängstlichen Zulaufen beim jedesmaligen Erscheinen eines Dampfbootes und dem bangen Verschlingen der Zeitungen, deren lakonisch geheimnisvolle Kürze nie peinlicher ward. Auch unsere Familie war von diesen fieberischen Schauern nicht verschont geblieben, und wenn durch das rege Stilleben, das auf der Pflanzung herrschte, die düstere Folie weniger stark hindurchschimmerte, so war dieses nicht so sehr einem Mangel an Teilnahme oder Gefühl, als vielmehr der Selbstverleugnung der würdigen Frau zuzuschreiben, die als Mutter und Gebieterin dem Hause vorstand. »Unsere Gatten und Söhne«, sprach sie zu ihren Töchtern und Rosen, »kämpfen für uns und unser Land. Uns hat die Natur eine nicht minder ehrenvolle Bestimmung angewiesen, die – durch häusliche Tätigkeit die Kräfte unserer Männer und Söhne in den Stand zu setzen, ihrer großen Bestimmung Genüge zu leisten; die würdigste Teilnahme, die das Weib äußern kann. Es geziemt dem freien Weibe nicht, sich von Empfindungen überwältigen zu lassen; denn es ist nicht niedergedrückt durch das erschütternde Phantom eines übermütigen Tyrannen, der ihre Lieben von ihrem Busen reißt und einem dunkeln Verhängnisse zustößt; es kennt die Gefahr und die Notwendigkeit, ihr zu begegnen.«
Aber ungeachtet dieser männlich starken Gründe wurde die Prüfung auch für sie allmählich zu schwer, und sonderbarerweise suchte sie bei unserem liebenden Naturkinde Trost und Ermunterung. Jeden Tag, jede Stunde fühlte sie sich mehr und mehr angezogen, und der beiderseitige Anklang von Schmerz und Entbehrung schien sie nun wirklich zu einem Gliede der Familie zu machen. So verlief eine Woche.
Es war an einem sonnigen Mittage, daß Rosa am Bayou in sinnender Betrachtung stand, dem Gesange der in der Kottonpresse arbeitenden Neger zuhorchend, wie sie ihr eindringend wehmütiges Talla-i-hoe herübertönen ließen. Es ist ein ergreifend melancholischer Gesang, wie er in seinen tiefen Baßtönen und dem klagenden Tenor in langen Kadenzen an das Ohr schlägt. Allmählich verstummten die Stimmen eine nach der andern, dann erhoben sie sich wieder, und ein Chor von vierundzwanzig Männern brach in den schönen Negergesang Bulla-tai aus. Auch dieser war verklungen. Rosa stand aber noch immer, ohne zu bemerken, wie die Oberstin mit ihren Töchtern herantrat.
»Weißt du, liebe Rosa,« sprach sie, »daß dieser Schmerz, dem du dich überläßt, selbstisch ist, daß wir uns nie ganz einer Wehmut überlassen dürfen, die unsere Kräfte aufzehrt?«
»Es ist nicht Schmerz, Mutter; es ist etwas ganz anderes. Etwas Großes, etwas Wichtiges, das dir Rosa zu verkünden hat.«
»Etwas Großes«; sprach die Dame, die aufmerksam wurde; denn die Züge des klaren, idealen Gesichtes der Sprecherin schienen außerordentlich bewegt.
»Ja,« sprach sie, »es ist eine wichtige Stunde diese, in der viel entschieden wird. Der gute Gott wird sie tröstend für dich werden lassen; Mutter, er ist gut und milde. Sei auch du es, Mutter! ich bitte dich.«
»Wie kann ich es, liebe Rosa«; sprach die bewegte Dame.
»Du kannst es. Sei milde gegen das arme Weib, deren Mann im Gefängnisse schmachtet. Die Stunde, in der Rosa dich bittet, ist wichtig. Gewähre ihr, so wird sie dir sagen —«
»Und was wird Rosa sagen?« fragte die Oberstin das sinnend horchende Mädchen. »Deine Bitte ist gewährt; ich will die Bürgschaft übernehmen.«
Das Kind drückte die Hand der Dame freudig an den Busen. »Rosa dankt dir, teure Mutter!« sprach sie mit Hoheit. »Dafür will sie dir etwas sagen. In dieser Stunde schlagen die Eurigen die Schlacht«; flüsterte sie leise, aber bestimmt.
Mutter und Töchter lächelten ungläubig.
»Kommt,« sprach sie; »hier hören wir nichts.« Sie eilte voran an das untere, südliche Ende des Parkes, stellte die drei Damen in einen Halbzirkel und beugte sich dann in der Richtung des Luftzuges.
Es war diesen Morgen ein ungemein dichter Nebel über der ganzen Gegend gelegen. Gegen Mittag jedoch fing ein starker Südwind an vom Strome heraufzuwehen, und die Kraft der Sonne, die selbst Januartage in diesem Lande zu so herrlich milden Erscheinungen macht, hatte allmählich die Atmosphäre in eine zitternd elastische Bewegung versetzt. Von den fernen Pflanzungen her waren noch einige Chöre der Neger zu hören. Allmählich schwiegen jedoch diese, und die Natur schien mit den armen Schwarzen ihre Feierstunde zu halten.
»Ich höre nichts«, sprach die Dame, »als den Windzug,« setzte Virginie hinzu; »und das knarrende Gekrächze der alten Bidi«, meinte Gabriele.
»Ihr habt nicht in dem schweigenden, stillen Wigwam am Natchez gelebt«, lächelte Rosa. Sie horchte wieder und schauerte dann zusammen. »Das sind fürchterliche Schüsse.«
»Hörst du wirklich etwas?« riefen die drei erblassenden Damen.
»Gewiß, ich höre jeden Schuß, viele Schüsse fünfzehn, zwanzig auf einmal. Jeder gleicht dem entfernten Rollen des Donners.«
»Es ist nicht möglich«, meinte die Oberstin. »Es sind nahe an hundertundachtzig Meilen. Zwar der Wind kommt vom Balize herauf – kein Gebirge – die Ufer liegen offen.« »Ich komme soeben vom Strome«, sprach der junge Copeland mit einer leichten Verbeugung. »Ein sonderbarer Vorfall: die beiden Indianer, die wir seit der Entweichung des Alten in Haft zu setzen genötigt waren, brachen plötzlich los; aber statt zu entfliehen, stehen sie nun am Ufer, die wunderlichsten Verzerrungen schneidend. Ich glaube, die Leute hören etwas.«
»Es ist die Schlacht, liebe Mutter. Komm, liebe Mutter! Virginie und Gabriele! zu Ochtitlan, und mein Bruder wird dem armen Manne seine Freiheit verkünden.«
»So sei es denn«, sprach die Oberstin, die sich von der natürlichen Beweglichkeit des Mädchens hingerissen fühlte. »Mister Copeland gehen Sie zu Squire Brown und sagen Sie ihm, daß wir Bürgschaft für Madiedo stehen.«
Der junge Mann sah die Frau verwundert an.
»Gehe, gehe, lieber Bruder!« trieb ihn Rosa vorwärts, »und komme dann.«
»Sehr gerne, Schwesterchen«; sprach dieser, der rasch den Weg zum Städtchen einschlug, während die Damen dem Strome zueilten. Schon von weitem erblickten sie die Indianer, umgeben von einer Gruppe von Männern, Weibern und Kindern. Einer derselben lag in dem Winkel der Erdzunge, die hier durch das aus dem Mississippi tretende Bayou gebildet wird, auf dem Boden, während der andere die Neugierigen, die mehr und mehr herbeikamen, in einen Halbzirkel ordnete. Ein leises, kaum merkbares Säuseln kam vom Süden herauf, das aber bei weitem von dem Rauschen der Wogen übertäubt wurde. Allmählich hatte das sonderbare stumme Schauspiel eine bedeutende Anzahl von Menschen angezogen. Als die Indianer Rosen ersahen, sprangen sie mit der lebhaftesten Freude auf sie zu und sprachen einige Worte im Pawneedialekte, mit der Glut der höchsten Leidenschaft. Ihr ganzes Wesen hatte eine kriegerische Wut angenommen.
»Es ist die Schlacht«, sprach diese. »Die Cumanchees hören sie deutlich. Sie sagen, es ist eine schreckliche Schlacht, die die Weißen schlagen. Viele tausend große und kleine Feuerschlünde speien ihre eisernen und bleiernen Kugeln aus.«
Der Indianer warf sich auf den Boden und gab Zeichen.
»Sie stehen noch immer auf demselben Orte«, sprach sie. »Nun brüllen die Feuerschlünde weniger.«
»Nun brüllen sie stärker«; rief sie nach einer Weile.
»Nun zittert die Erde. Zwanzig der großen Feuerschlünde brüllen auf einmal.«
»Gott segne Sie, Madame!« rief plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Es war der Spanier oder Mexikaner Madiedo, alias Benito, mit seinem Weibe.
Die Oberstin winkte ihnen Stillschweigen zu und deutete auf Rosen. »Danken Sie es dieser«; sprach sie leise.
Der Mann faßte sie einige Augenblicke ins Auge, und sein sprachloses Erstaunen schien ihm die Worte auf der Zunge zu fesseln. »Um Gottes willen, wer sind Sie, Miß? um Vergebung!«
»Rosa«, sprach das Mädchen verwundert.
»Rosa!« erwiderte der Mann. »Mein Gott, wie sie leibt und lebt. Unbegreiflich!« rief er.
Die Indianer waren während dieses Zwiegespräches ungeduldig geworden. Der auf dem Boden Liegende hatte sich aufgerichtet und stand gleichgültig da, ohne ferner seine Beobachtungen fortzusetzen. Das Gespräch, obwohl leise geführt, hatte es ihnen unmöglich gemacht, etwas weiter zu hören.
»Die Schlacht, Madame und meine schönen Misses,« rief ein junger Mann in der englischen Offiziersuniform, aber mit dem knarrenden irischen Dialekte, »bei St. Patrik! Wer das sagt, muß die Ohren eines Midas haben. Wissen Sie, meine schönen Damen, daß wir auf einem ihrer Dampfschiffe volle achtzehn Stunden brauchten, und sie gehen wie die besten englischen Postpferde. Eine schöne Erfindung, Madame, die Ihnen Ehre macht.« Die Oberstin sah den dreisten jungen Mann verwundert unwillig an.
»Leutnant Connaught!« sprach der junge Copeland, »wollen Sie so gefällig sein, mir auf ein Wort zu folgen?«
»Ein andermal«, rief der Irländer, der sich recht wohl zu befinden schien, obgleich ihm alle Damen den Rücken gewendet hatten. »Diese Wilden«, fuhr er fort, »haben übrigens ein feines Gehör, und es ist zehn gegen eins zu wetten, daß wir bei dieser Zeit die Hauptstadt genommen haben und die Unsrigen auf dem Hermarsche sind. In diesem Falle, meine Damen, können Sie sich auf den Schutz Leutnant Connaughts verlassen. Darf ich so frei sein. Ihnen meinen Arm anzubieten, schöne Miß?« sprach er zu Virginien.
Statt der jungen Dame bot ihm Mister Copeland den seinigen an, und ohne ein Wort weiter zu verlieren, zog er ihn einer Gruppe kriegsgefangener Offiziere zu, die mehr bescheiden in einiger Entfernung am Stromufer standen.
Sowie der Irländer entfernt war, warf sich der Cumanchee wieder zur Erde und gab neuerdings denselben regelmäßigen Bericht von der Schlacht durch Zeichen, zuweilen wisperte er Rosen einige Worte zu, die sie dann der Oberstin und der versammelten Menge mitteilte. Die Umstehenden standen starr in atemloser Stille. Jeden Augenblick mehrte sich die Menge; sie kamen auf den Zehen geschlichen und gingen, kamen wieder und standen, alles um sich her vergessend. Stunden waren so verstrichen, die Sonne sank bereits hinter die westlichen Wälder, und noch standen alle versammelt. Plötzlich fuhr der Indianer zusammen und sprang mit allen Symptomen des Entsetzens auf.
»Es war ein schrecklicher Donner«, rief Rosa.
Wieder warf er sich zur Erde, lag noch eine Viertelstunde und stand dann gelassen auf. Beide Wilde nahmen Abschied von Rosa und folgten der Wache, die sie ihrer Haft zuführte.
»Madame!« sprach der Wirt, Madiedo die Oberstin an, als diese nun mit ihren Töchtern und Rosa den Heimweg betrat. »Darf ich Sie um einen Augenblick Gehör bitten?«
»Nicht heute, Monsieur Madiedo«, sprach die Dame.
»Nur zehn, nur fünf Minuten. Es betrifft die junge Dame«, auf Rosa deutend.
»Kommen Sie denn in einer halben Stunde.«
Sechsunddreißigstes Kapitel
Grabesstille herrschte am folgenden Morgen im Speisesaale des Gasthofes zum Bayou Sarah, wo sich die Gäste soeben zum Frühstücke niederließen, als der Donnerruf »ein Dampfschiff!« erschallte. Die Sessel flogen nun in jeder Richtung auseinander, und alle strömten totenbleich zur Türe hinaus auf das Stromufer zu. Nur vier junge Männer, die ihre reichen, goldstrotzenden, roten Uniformen als englische Offiziere bezeichneten, blieben mit unserem Midshipman ganz gemächlich an der vollbesetzten Tafel sitzen.
»Da gehen sie, die glorreichen Yankees«, lachte Kapitän Murray.
»Sind bloß drei darunter, die übrigen sind unsere französischen und deutschen Spargelwächter«, entgegnete Leutnant Forbes.
Diese Spargelwächter, wie sie der launige Engländer nannte, waren die Bewohner des Städtchens, die seit dem Abmarsch der waffenfähigen Mannschaft in ein Korps quasi Munizipalgarden zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung vereinigt worden waren, und unter denen sich auch die Herren Gieb und Prenzlau befanden, die sich auf die Ehre, an der allgemeinen Landesverteidigung Anteil zu nehmen, die ihnen vor ihren weniger respektablen Landsmännern, den Herren Merks und Stock, zuteil wurde, nicht wenig einbildeten und ihre frühern Meinungen über die hier herrschende Unordnung gänzlich aufgegeben hatten.
Langweilige Kerle«, rief Kapitän Murray wieder. »Unausstehlich langweilige Kerle, diese Yankees«, versicherte er nochmals, eine Wachtel anfassend, und die Brust von beiden Seiten mit anatomischer Genauigkeit ablösend. »Wenn das Tierchen hier«, beteuerte er, »ein wenig mehr gebraten, statt geröstet wäre, bei Jove! Longs Hotel könnte nichts derlei aufweisen.«
»Ich glaube denn doch, unsere Northumberland-Haunches sind zarter«, versetzte Leutnant Devon, der, den Vorzug seiner landsmännischen Hirschziemer a priori erkennend, nichtsdestoweniger dem amerikanischen die Ehre eines tiefen Einschnittes in die Mitte antat.
»Vergebung«, entgegnete der Kapitän Murray. »Ich spreche von Rebhühnern oder Wachteln, wie sie hier genannt werden, will aber vom Ihrigen später versuchen.«
»Weiß nicht,« fiel Leutnant Forbes ein, der es gleichfalls mit dem Hirschziemer hielt, »aber das will ich Euch sagen, Gentlemen, daß mein Magen von der verdammten Salzsäure so ausgetrocknet war, daß er Sauerampfer angenommen hätte.« Er sah sich etwas vorsichtig nach allen Seiten um. »Verdammt! vier Monate Salzkur. Hol› mich der Henker, wenn diese Kerle nicht verdienen, alle samt und sonders gehängt zu werden. Da kommen wir herüber aus dem schönen Frankreich und dem glühenden Spanien, in der Hoffnung, die Tagediebe werden Räson haben und sich in ihr Los ergeben, und da sind wir nun diese sechs Wochen eingepreßt zwischen See und Sümpfen, ohne auch nur so viel wie ein Haus gesehen zu haben. Nicht vorwärts, nicht rückwärts, und nichts als Pökel– und Salzfleisch und Kartoffeln vom vorletzten Jahre, die wie Madeira bereits dreimal die Fahrt nach Ostindien gemacht haben. Aufwärter, ich danke für ein Glas Madeira. – Hol› mich der – auch kein Aufwärter hier.«
»Und glauben Sie,« sprach Leutnant Connaught zu unserem Midshipman, »daß die Gaudiebe uns auch nur eine frische Kartoffel zukommen ließen? Wenn wir eine Guinee für eine gegeben hätten, so wäre keins ihrer verdammten Ungetüme, die sie Archen oder Flatboote heißen, hinabgekommen. Gemeine Seelen! Gar nichts von dem ritterlichen Geiste der Spanier und Franzosen. Ich versichere Sie, Mister Hodges, selbst in Frankreich waren wir die Hähne in den Körben. Nur schade, die armen Teufel hatten nichts zu geben, als ihre Weiber und ihre Mädchen.«
»Bei Jove! Meine liebliche Doña Isabella y Yrun, y Caldevai, y Madagaskar, y Balthasar, der Teufel weiß —« lachte Leutnant Devon.
»Genug, genug,« fielen alle lachend ein, »die haben mehr Titel als Dollars.«
»Wollte jedoch, ich hätte sie hier, die schöne Isabella«, meinte Leutnant Devon.
»Würde Ihnen nichts helfen, die puritanischen Yankees erlauben einem derlei Zeitvertreib nicht«, versicherte ihn Leutnant Forbes.
»Danke Ihnen nun«, fiel Kapitän Murray ein, »für einen Schnitt Ihres Hirschziemers. Aber, was haben Sie doch mit dem herrlichen Geschöpfe gemacht?«
»Pah! sie Kapitän Richley für eine Schachtel echter Havannas überlassen«; erwiderte ihm der Leutnant ganz gelassen, indem er ihm ein Stück vom Hirschziemer schnitt und reichte. »Der behielt sie bis er sich nach Oporto einschiffte: dann ließ er sie dem alten Caballero zurück, der sie noch haben muß, wenn sie ihre schönen Sünden nicht in einem ihrer jungfräulichen Behälter abbüßt.«
»Ha!« lachte Kapitän Murray, »mit den Doñas und Condesas und Señoras trieben wir es doch wirklich zu bunt! Aber, wissen Sie,« fuhr er zu unserem Seekadetten gewendet fort, »daß wir alle Ursache haben, mit Ihrer Flotte oder vielmehr mit Ihren Kompagnons unzufrieden zu sein? Anstatt uns Zufuhren zu bringen, gingen sie nach Jamaika und ließen sich von den Yankees wegkapern. Überhaupt, Ihr Herren, in diesem Kriege habt Ihr wahrlich nicht viel Ehre eingelegt, die Java weg, der Mazedonian weg, ein halbes Dutzend Fregatten mehr; es darf sich kein königlicher Zweiundfünfziger mehr sehen lassen.«
»Ich glaube, wir stehen so ziemlich al pari«, entgegnete ihm unser Midshipman, dessen Korpsgeist die Anspielung ein wenig verdroß.
»Gewiß, Mister Hodges,« versicherte ihn Leutnant Devon, »wir wollen die Ehre der königlichen Waffen retten, Sie sollen Rache haben für die Frechheit, die sich diese gemeinen Tagdiebe herausgenommen. Ei, ich glaube, sie hätten Sie alles Ernstes gehangen, ohne Rücksicht auf die blaue Uniform.«
»Gerade so, wie sie Major André ohne Rücksicht auf die rote hingen«, entgegnete ihm unser Midshipman.
»Das ist schon so lange her,« lachte der Leutnant, »daß es bald nicht mehr wahr sein wird. Aber Scherz beiseite, Mister Hodges, es wäre doch keine so ganz unebene Sache gewesen. Ein beneidenswerter Tod. Hören Sie nur, wenn wir ins Gras beißen, und diese Grobiane legen es immer zuerst auf die goldenen Epaulettes an, so kräht kein Hahn um uns. Aber Sie wären von Tom und Coleridge besungen und allen Damen betrauert worden. Hol› mich der Henker! Mit sechs Pence, und mehr kostet der Strick nicht, Unsterblichkeit zu erringen, ist wahrlich keine Kleinigkeit. Ihre Gebeine würden, wie die des seligen André, ausgegraben und in der Westminsterabtei kanonisiert worden sein, eine marmorne Tafel mit goldenen Buchstaben darüber, enthaltend: James Hodges Esq.« »Verdammt, die Westminsterabtei und Ihre Possenreißerei dazu«, rief der Midshipman, dem der Scherz, den man sich auf seine Kosten zu erlauben beliebte, allmählich zu bunt wurde.
»Nein, Gentlemen, ich versichere Euch,« sprach Kapitän Murray, »ich kann es begreifen, wie unserem Freunde Mister Hodges nicht so ganz wohl zumut sein mochte. Übrigens kamen Sie doch mit heiler Haut davon, und Sie mögen froh sein; in Europa würde man sich freilich so etwas mit einem britischen Offizier nicht erlauben, aber da haben wir es mit gefügigen Souveränen zu tun, und die Völker kommen in keine Rechnung, aber diese Flegel.«
»Alles und alles zusammengenommen,« fiel ihm Leutnant Forbes ein, »versichere ich Sie, es ist kein so übles Ding, Amerikaner zu sein, und wahrlich, wäre ich kein englischer Gentleman, so wollte ich ein freier Amerikaner sein.«
»Seid versichert,« meinte unser Midshipman, »wenn Ihr noch acht Tage hier seid, so werdet Ihr recht sehr Respekt bekommen. Zwei Lektionen habt Ihr schon.«
»Ah, Connaught, das ist ein Hieb auf Sie«, lachte Leutnant Devon. »Wie sagte der Junge? Er ist, glaub› ich, Kapitän der Spargelwächter. Behaltet den Narren einstweilen bei Euch, und wenn er es nochmals wagt, Damen zu insultieren, werden wir ihm einen andern Ort anweisen.«
»Und ich werde demjenigen, der es wagt, die Ungeschliffenheit dieses groben Yankee zu wiederholen, gleichfalls einen Ort anweisen«; rief der hitzige Irländer. »Bei St. Patrik! das will ich.«
»Pah! da habt Ihr den Sprudelkopf«, fiel Kapitän Murray beschwichtigend ein. »Schade, daß wir keine Pistolen bei uns haben, er schösse sich wahrlich nach dem herrlichen Dejeuner, ohne die Verdauung abzuwarten.«
»Nein, galant«, meinte Leutnant Devon, »sind sie nun einmal sicher nicht. Da sitzen wir bereits an die sechs Tage. Anfangs dachte ich selbst, unsere Gefangenschaft dürfte kein so großes Unglück sein. Wir sind die ersten und haben freie Wahl.«
»Und die Mädchen reich«, fielen ihm die andern ein.
»Eben deswegen, aber stolz wie der Teufel; kümmert sich keine um uns. Und wir sind doch wahrlich keine üblen Kerls«; meinte er, sich wohlgefällig besehend.
»Wir müssen uns rächen«, fielen alle ein.
»Gentlemen!« versicherte Kapitän Murray, »ich habe die Ehre zu verkünden, daß ich ein vortreffliches Frühstück vollendet habe, und nun zur Verdauung was anfangen? Ecarté und rouge et noir sind verboten, seit uns der puritanische Wirt die Karten so sans façon ins Feuer geworfen.«
»Was läßt sich nun tun, das die Yankeeleute verdrießt?«
Unsere vier Kriegsgefangenen ertrugen ihr hartes Los mit gerade so vieler Gelassenheit, als Briten gewöhnlich an Tag zu legen pflegen, wenn sie für ihre leiblichen Bedürfnisse gesorgt wissen und dabei die Freiheit genießen, ihrer Zunge freien Spielraum lassen zu dürfen; eine Freiheit, die sie vielleicht noch besser zu schätzen gewußt haben würden, wenn die Apathie der Yankees, wie sie meinten, für ihre geselligen Vorzüge mehr Empfänglichkeit geäußert hätte. Übrigens schien ihr Ungehaltensein auf die ungeregelten militärischen Bewegungen dieser Yankees, die so ganz ohne Komplimente mit nicht mehr als sechzehnhundert Mann auf ein Korps von achttausend sogenannter britischer Veteranen losgingen und beinahe zwei Kompagnien der königlichen Grenadiere von dem Hauptkorps abschnitten und auf gute Yankeemanier erbeuteten – doch nicht so ganz von Herzen zu kommen.
»Der Nebel ist verschwunden«, bemerkte Leutnant Devon, der mit seinen Kriegsgefährten sich unterdessen von der Tafel erhoben und zum Fenster getreten war.
»Die Sonne bricht hervor wie an einem Londoner Maitage«, setzte Leutnant Forbes hinzu. »Schade, daß das herrliche Land nicht britisch ist.«
»Wird hoffentlich bald werden,« bemerkte Leutnant Devon, »die Hauptstadt ist bei dieser Zeit unser. – Wollen wir auf die Bluffs; die Uferhöhen?«
»Die Bluffs«, lachten alle. »Fürwahr, diese Yankees werden noch ein eigenes Englisch erfinden; doch halt, da kommt eins ihrer wirklich prachtvollen Dampfschiffe herauf.«
»Wohlan, vielleicht etwas Neues. Habt Ihr bemerkt, wie sie bleich wurden und Reißaus nahmen; ein gutes Vorbedeutungszeichen«, meinte Leutnant Devon.
Und mit diesen Worten setzten sich unsere Helden in Bewegung.
Der Donner der Kanonen ließ sich vom Dampfschiffe Missouri hören, die Flagge der Staaten vom Hinterkastelle wehend. Das ganze Dampfschiff wimmelte von roten Uniformen. Als es einlief, trat Leutnant Parker aus dem Schiffe, nach ihm ein Zug uniformierter Milizen und britischer kriegsgefangener Offiziere und Soldaten.
»Major Warden!« riefen die fünf Briten. »Was ist das?«
»Aufs Haupt geschlagen, Sir Edward, alle Generale, beinahe alle Oberoffiziere tot oder tödlich verwundet; zweitausend geblieben, der Rest in vollem Rückzuge«, sprach der kriegsgefangene, verwundete Major leise.
»Da gibt es Avancements«, tröstete sie Leutnant Devon.
Der amerikanische Leutnant warf dem Briten einen Blick der tiefsten Verachtung zu und fiel dann schweigend seiner harrenden Mutter und seinen Schwestern in die Arme.
»Ich bringe die Siegesbotschaft,« rief er der versammelten Menge zu, »die gerechte Sache hat triumphiert.«
Ein schönes, mit allen Kriegsbedürfnissen reichlich ausgerüstetes, von Siegen trunkenes Heer geübter Veteranen, die im zehnjährigen Kampfe mit den tapfersten Truppen der alten Welt den Sieg an ihre Fahnen gefesselt hatten, war von kaum der Hälfte freier Männer so völlig aufs Haupt geschlagen worden, daß es selbst das Feld zu halten nicht mehr imstande war. Nie war toller Übermut schärfer bestraft worden, als durch diesen letzten Schlag, der den stolzen Feind zu einer Zeit traf, wo er bereits den Frieden zu unterzeichnen für gut befunden hatte.
Kein Jubel, kein Frohlocken war jedoch unter der versammelten, größtenteils aus Frauen und Kindern bestehenden Menge zu hören. Als aber der Leutnant mit seinen Gefährten die Nachricht umständlicher vorgetragen hatte, gingen alle schweigend, ohne vorherige Abrede getroffen zu haben, dem Tempel des Höchsten zu, um ihm ihren Dank für einen Sieg darzubringen, der um so herrlicher war, als er dem Lande nur wenige Opfer kostete.
Siebenunddreißigstes Kapitel
Getrieben durch das große Gebot des Geistes seines Vaters, ergriff der alte Häuptling Tokeah die erste Gelegenheit, seinen vermeintlichen Feinden zu entgehen, die, obwohl sie großmütig für seinen Unterhalt gesorgt, doch in seiner Meinung wieder keine Gelegenheit versäumt hatten, ihm alle die Kränkungen zuzufügen, die ihr Übermut nur ersinnen konnte, und die seine unglückselige Konsequenz einem ebenso planmäßig feindseligen Systeme ihrerseits zuschrieb, als er selbst sein ganzes Leben hindurch beobachtet hatte. Noch immer sah er die Amerikaner durch das trüb gehässige Medium seiner eigenen Phantasie, und diese Blindheit ließ ihm in allen den zufälligen Äußerungen der Weißen, in ihren geringfügigsten Handlungen, die ebenso nur auf einen Punkt berechnete Handlungsweise sehen, welche er sich in seinem Leben zum Leitstern genommen hatte; ein Wahn, der bei seiner abgeschiedenen Lebensweise und verschlossenen Gemütsart wohl verzeihlich, aber auch notwendig eine nie versiegende Quelle immerwährender Kränkungen und Feindseligkeiten werden mußte. Hatte nun auch seinem finstern Stolze die Aufmerksamkeit wohl getan, die ihm vor seinem Sohne von den Weißen widerfuhr, so war ihm hinwiederum die Geringschätzung, mit der er behandelt wurde, wie ein nagender Wurm an seiner Seele gehangen. Schon der Befehl, auf den großen Krieger der Weißen, der sein Volk beinahe vertilgt hatte, zu harren, war ihm fürchterlich gewesen. Es waren viele gekommen, ihn zu sehen, wie man allenfalls ein reißendes Tier, das endlich eingefangen ist, sieht, und die Art, wie er sich bei diesen Besuchen benahm, zeigte wirklich wenig Unterschied zwischen einem eingesperrten Raubtier und dem Könige der Oconees.
Die Tradition seiner Stammesgenossen nun hat uns seinen geheimnisvollen Zug vom Bayou umständlich aufbewahrt, und indem wir ihr getreu folgen, versetzen wir uns an seine Seite in die Urwälder des heutigen Staates Mississippi, oberhalb Natchez, an welcher Stadt ihn sein Weg vorbeigeführt hatte.
*
Acht Tage waren seit seinem Verschwinden von dem Bayou verflossen, aber noch hatte er mit den Seinigen kein Wort gesprochen. Tag für Tag war er vorwärts geeilt, rastlos und nimmer ruhend, verschlossen, finster und brütend, seine Begleiter ihm folgend, wie Hunde ihren Herren, ohne einen Laut von sich zu geben. – Das Wild des Waldes hatte ihnen zur Nahrung gedient, die gefrorne Erde zur Lagerstätte, ihre Wolldecken zu Betten. Sie hatten sorgfältig die Wohnungen der Weißen vermieden und waren ohne Hindernisse am vierzehnten Tage nach ihrem Aufbruche im Angesichte eines jener ungeheueren Fichtenwälder angelangt, die sich von der südlichsten Kette der Appalachen hinüberstrecken gegen den Staat Mississippi. Je näher der Häuptling diesen Wäldern kam, desto freier, sagt die Tradition, wurde seine Seele, desto heiterer sein Auge, desto zuversichtlicher seine Miene. Ein Gefühl von Wehmut und Freude, von bangem Schmerze und froher Sehnsucht trieb ihn vorwärts zum Lande seiner Kindheit, seiner Mannbarkeit, dem er den Rücken zu wenden gezwungen worden war, das ihn verstoßen hatte. Und, als er in der Nähe des Flusses ankam, an dessen jenseitigem Ufer die Fichtenwälder seiner Heimat emporstarrten, da wurde seine Seele groß, und die ganze Kraft der vorigen Tage lebte in ihm wieder auf, und er hob schweigend seine Arme und deutete hinüber – und leise und feierlich schritt er über die leichte Eisdecke des Flusses. – Und als er am jenseitigen Ufer angelangt war, warf er sich zur Erde und blieb eine lange Weile regungs– und bewegungslos liegen. Der Wind hob seine grauen Haare, daß sie emporstanden, wie das vom Froste versengte Gras, der kalte, rauhe Nordwind war ihm das Säuseln der Geister seiner Väter, das zu ihm sprach, dessen Stimme er verstand, und dem er wieder Antwort gab. Ringend mit sich selbst und seinem Jammer, stöhnte er und brach endlich in die Worte aus:
»Erde! die du gesehen hast den Sohn von ihm, der dem Sohne des großen Sheyah Leben gab – Tokeah grüßt dich! Als Herr deiner endlosen Wälder war er geboren, zum Miko eines großen Volkes war er gewählt. – Ein Flüchtling, steht er nun auf deiner Grenze, ein Auswürfling, ein Fremdling dir und den Gräbern seiner Väter. Großer Geist! Warum hast du dies getan? Zahllose Sonnen hindurch hat der Miko mit den Seinigen an den Ufern seines Flusses gejagt, ein mächtiges Volk hat er beherrscht, warum mußte Tokeah in die weite Nacht der Wildnis? Warum mußte er dem Lande seiner Väter den Rücken kehren? Warum muß er und das Andenken von ihm verschwinden von deiner Erde? Sprich, großer Geist! Gib Tokeah ein Zeichen, daß er deinen Willen erkenne!«
Der flehende Greis sah auf das weite Himmelszelt mit sehnsüchtigem Blicke. – Es war mit Wolken überzogen, der Nordwind heulte durch den Wald. – Sein Angesicht wurde düster und verzagt. – Wieder sank er zur Erde. Ein kalter Fieberfrost rüttelte ihn.
»Großer Geist! vergib«, murmelte er. »Deine Stirn ist umwölkt, und dein Auge sieht düster auf Tokeah, weil er wie ein zagendes Kind redet.«
Er erhob sich nun, und indem er seine Gefährten zu sich winkte, dankte er zuerst dem Cumancheehäuptling für seine getreue Liebe und eröffnete ihnen dann die Ursache seines tausend Meilen langen Zuges in folgenden Worten:
»Sieben Sommer sind verflossen, seit der Miko der Oconees dem Land seinen Rücken gewendet, wo seine Voreltern ihre Wigwams hatten. Zweimal seit dieser Zeit hat er den endlosen Fluß übersetzt, allein und von keinem Auge gesehen, um an den Gräbern seiner Väter zu liegen. Gleich dem reißenden Panther ward er gejagt, gleich dem hungrigen Wolfe ward ihm von den Weißen auf seiner Fährte nachgesetzt; es ist nun zum letzten Male, daß sein Fuß auf dem Lande steht, wo seine Väter gelebt haben. In der zweiten Nacht nach der, die ihm alles geraubt hatte, das seinem Auge teuer war, als sein Haupt schlaflos und verzweifelnd nicht ruhen, seine Augen sich nicht schließen konnten, in derselben Nacht erschien ihm der Geist seines Vaters, der in den grünen Wiesen wohnt. Tokeah war bange in seinem Herzen, und dem Geiste seines Vaters war auch bang. ›Geh!‹ so sprach er – ›geh! zu meinem Grabe und sammle die Gebeine desjenigen, der dir Leben gegeben hat, und derjenigen, die dich gesäugt hat; nimm sie aus ihrer düstern Wohnung und von der entheiligten Erde derer, die sie verachten! Laß sie in demselben Grunde ruhen, wo mein Sohn und sein Volk ruhen werden, und begrabe sie unter den Gebeinen der roten Männer. Fürchte dich nicht, sie aus ihrem Grabe zu nehmen! Der Fluch wird dich nicht treffen.‹ Tokeah erhob sich von seinem Lager,« fuhr der Greis fort, »als der Geist ihm so flüsterte; seine Seele war traurig. Wieder legte er sich auf das Lager. ›Die Hufe des Rosses, der Pflug der Weißen‹, sprach wieder der Geist seines Vaters, ›sind über den Todeshügel gegangen, wo der Vater Tokeahs begraben liegt, eine kurze Zeit und seine Gebeine werden zerstreut sein über die Erde und von den Winden weggeführt werden.‹« – »El Sol!« sprach der Greis, nun zu seinem Sohne gewendet, »Tokeah muß tun, was ihn der Geist seines Vaters geheißen hat. Er muß die Gebeine seines Vaters nehmen, daß sie friedlich ruhen mögen. Er muß den Häuptling der Cumanchees während drei Sonnen verlassen und in das Tal gehen, wo sein Vater begraben liegt.« —
Der junge Mexikaner horchte aufmerksam auf die Worte des alten Mannes.
»Hat der Geist des Vaters dem Miko zugeflüstert?« fragte er mit starker, dumpfer Stimme.
»Zweimal hat er deutlich gesprochen.«
»Dann muß er seiner Stimme gehorchen. Groß ist«, sprach er, und ein unwillkürlicher Schauder durchzuckte ihn – »groß und schrecklich ist der Fluch, der jene trifft, die die Gebeine aus ihrer Ruhe reißen. – Ihr Volk wendet sich schaudernd, und ihre Namen sind verflucht von Geschlecht zu Geschlecht; aber wenn der Vater gesprochen hat, dann muß der Sohn gehorchen. El Sol will mit seinem Vater gehen.«
»El Sol«, erwiderte der Greis kopfschüttelnd, »ist der Sohn des Miko und seinem Herzen sehr teuer, er hat das Blut Tokeahs in seinen Armen gehabt; aber sein Auge darf den entheiligten Hügel nicht sehen, unter dem sein Vater begraben ist.«
»El Sol wird nicht auf die Schande seines Vaters schauen; aber er wird dem Miko folgen und will fern von dem Grabhügel Sheyabs warten, bis der Miko zurückkommt.« Der alte Mann gab schweigend seine Einwilligung, und der kleine Zug bewegte sich gegen Osten. Mit dem Anbruch des zweiten Tages befanden sie sich am Fuße eines Berges, hinter welchem die Flächen Georgiens sich unabsehbar gegen das Atlantische Meer hinabdehnen. Der alte Mann hatte im feierlichen Ernst den Berg erstiegen. »Sieht mein Sohn«, sprach er, als sie auf dem Gipfel angekommen waren, von dem sie eine ferne Aussicht auf die waldbekränzten, nur hie und da durch Reif versilberten Hügel hatten – »sieht mein Sohn jene hohen Hügel, die sich in einer Kette hinabwinden, und deren Füße sich immerdar in dem glänzenden Strome waschen? Sie sind noch in Nebel gekleidet; hinter diesen ist das Tal, wo die Gebeine des Vaters Tokeahs ruhen.« —
»Mein Vater mag dann gehen«, sprach El Sol.
»Nein, mein Sohn«, versetzte der alte Mann. »Als der Leib des Vaters Tokeahs tief gelegt ward, da sprach der große Prophet seines Volkes den Fluch über denjenigen aus, der seine Gebeine an das glänzende Licht der Sonne bringen und vor Scham erbleichen machen würde. Das Licht des Himmels darf sie nie wieder sehen; der finstern Nacht wurden sie übergeben, in der finstern Nacht müssen sie aus ihrem Dunkel gehoben werden. Tokeah will warten, bis die glänzende Kugel hinter der Welt ist.«
Er sprach nun mit den Oconees, und diese entfernten sich, kamen aber nach einer Weile zurück, mit Rinde beladen. Sie setzten sich mit dem alten Manne nieder und fingen an, diese in die Form eines kleinen Sarges zusammenzunähen, dessen Innen– und Außenseiten sie mit den Fellen von Hirschen bekleideten, die sie den Tag zuvor erlegt hatten. Ein Strahl von Zufriedenheit überzog das erstorbene Gesicht des Greises, als er den Sarg beendigt sah. Er heftete an die beiden Enden einen breiten Riemen.
»In der Rinde deiner Geburtswälder und im Gewande derselben Hirsche, die du gejagt hast, sollst du ruhen, Gebein meines Vaters«, sprach er.
Und dann legte er sich zur Ruhe. Als die Nacht herangebrochen war, stand er auf, nahm den Sarg an seine Brust, und winkte den beiden Oconees, ihm zu folgen.
Es war Mitternacht, als die drei Indianer im Tale ankamen. Der volle Mond war bisher durch einen lichten Saum leichter silberner Wolken geflogen und sank nun in eine bleifarbige, graue Schneewolke. Die Indianer bewegten sich im tiefsten Stillschweigen, längs den Ufern des Stromes, unter den blätterlosen Walnußbäumen fort. Ein leichter Schauder überfiel den armen Mann, als er sich durch die wohlbekannten Wälder seines Geburtslandes stahl; er blickte auf, starr und scheu und furchtsam, als umschwebten ihn die Geister seiner Väter. Er horchte, als hörte er ihre Stimme. Je weiter er in das Tal eindrang, desto beflügelter wurden seine Schritte. Ein entfernter Laut schlug an seine Ohren. – Es war Hundegebell. »Geist meines Vaters,« stöhnte er, »die Weißen sind deinem Grabe nahe.« – Er rannte nun, er flog dem Grabeshügel zu. Die rohe Einzäunung eines Welschkornfeldes umgab die Stätte – die liebliche Nacht der Wildnis war verschwunden, – Stengel von Welschkorn und Hülsen mit Stöcken lagen auf dem Boden zerstreut umher. Die Bäume standen blätterlos und abgestorben; ihre zum Teil rindelosen weißen Stämme starrten wie in Grabtücher gehüllte Riesen in das zuckende Antlitz des Wilden. »Geist meines Vaters!« rief er; »Geist meines Vaters!« jammerte er in unsäglichem Schmerze. »Wo sind die Gebeine, die deine Stärke ausmachten, und von denen die Gebeine Tokeahs sind?« Das Erdreich rings um die Bäume, deren kahle, im blassen Mondlichte zum Himmel emporstrebende Äste die Verwüstung anzuklagen schienen, war durch den Pflug aufgerissen. Der Greis fiel bewußtlos zur Erde. Seine Gefährten sprangen herbei, ihn aufzurichten. »Hinweg! weg«, murmelte er mit dumpfer Stimme. – »Hinweg von dem Grunde, wo ein mächtiger Miko begraben liegt! Tokeah will seine Gebeine allein ausgraben.«
Und mit seinen Händen grub er nun den halb gefrornen Boden auf. Der Kiesel schnitt in seine erstarrten Palmen, das Blut floß von Fingern und aus den Nägeln, die Haut fiel in Fetzen von seinen Händen; aber seine Eile, als befürchtete er, jemand würde ihn seines Schatzes berauben, nahm mit seinen Wunden zu, und er bohrte, bis er die ganze Masse Erde aufgeworfen und die Überbleibsel seines Vaters gesammelt hatte. Das erste und einzige Mal in seinem Leben schluchzte er laut und vergoß heiße Tränen. Dann rannte er zum Grabe seiner Mutter. Der Pflug war hier tiefer eingedrungen. Nur wenige Zoll Erde bedeckten noch ihre Gebeine. Mit unsäglichem Schmerze legte er diese zu denen seines Vaters. Der Mond goß sein volles Licht auf den Wilden, als er auf der gefrornen Erde vor dem Sarge lag.
»Geist meines Vaters!« stöhnte er, »du hast wahr gesprochen. Die Hufe der Tiere der Weißen sind über deinen Grabhügel gegangen. Sie haben ihn flach getreten. Sieh herab von deiner Wohnung. Der Sohn hat getan, was du ihm geboten hast. Er wird deine Überreste nun dahin nehmen, wo keine freche, grabschänderische Hand sie stören, wo seine eigenen Gebeine ruhen sollen. Er will sie unter seinem Volke begraben. Geist meines Vaters! bitte den großen Geist, daß er auf seine Kinder mit mildem Antlitz sehe, daß du einst wieder ihrer Taten dich freuen mögest. Dein Sohn ist gleich einer vermoderten Eiche. Viele Stürme haben seine Kraft gebrochen, seine Äste sind zerschellt, sein Geist seufzt. – Geist meines Vaters! Wenn du das Antlitz des großen Geistes siehst, bitte ihn für deinen Sohn, seine Kinder!«
Das Hundegebell ließ sich abermals hören.
»Ich höre die Stimme des Vorläufers der Feinde meines Geschlechtes. Lebe wohl, Vater – Mutterland! Lebt wohl, ihr Bäume, in deren Schatten Tokeah so oft sich gekühlt hat, während des heißen Sommers, – wo er geruht hat nach der langen Jagd. – Lebe wohl, Strom! wo er seine Glieder so oft erfrischt, wo er das Ruder zuerst gehoben. – Lebt wohl, ihr Hügel, auf welchen sein Vater zuerst seine schwachen Arme gelehrt hat, den Bogen zu spannen!«
Der Mond goß seine Silberstrahlen wieder hinter dem zarten Flaume von Wolken hervor. Das Gebelle ward zum dritten Male gehört. —
»Großer Geist!« bat er, »du hast mit hellen Augen auf die Taten des Kindes gesehen. Öffne die Ohren seiner Brüder, auf daß sie die Worte hören, die er ihnen sagen wird.«
Er stand sodann auf, und nachdem er den Riemen um seinen Hals gelegt, nahm er den Sarg an seine Brust und kehrte zurück zu den Cumanchees. Den beiden Oconees winkte er, und diese entfernten sich in verschiedenen Richtungen.
»Der Geist meines Vaters hat wahr gesprochen«, redete er seinen Sohn an. »Der Pflug ist über den Grabhügel gegangen, der seine Gebeine einschloß. Der Hügel selbst ist zertreten, verschwunden.«
»Tokeah hat wie ein frommer Sohn, wie ein großer Miko getan«, erwiderte der junge Mann. – »Aber die Cumanchees und Pawnees und die Oconees sind verwaist, der Pfad, den Tokeah und El Sol zu gehen haben, ist lange – der weißen Rose wird bange sein.« – Er hielt plötzlich inne..
Der alte Häuptling warf einen forschenden Blick auf ihn und sprach dann: »Die roten Männer wissen, daß Tokeah auf dem Pfade ist, das Gebot des großen Geistes zu erfüllen. – Aber mein Sohn hat etwas auf dem Herzen, er muß seine Zunge lösen.«
El Sol schwieg jedoch, und sie setzten sich zu ihrem Mahle. Als sie dieses eingenommen, traten sie ihren Rückweg an. Es war jedoch nicht derselbe Weg, den sie gekommen waren; ihre gegenwärtige Richtung lag mehr südöstlich. Der junge Häuptling schien ungeduldig zu werden. Schweigend, jedoch mit der den Indianern eigentümlichen Selbstverleugnung, folgte er dem greisen Häuptlinge durch eine Landschaft, die von der, durch welche sie bisher gekommen waren, gänzlich verschieden war. Gewächse, Bäume, das Erdreich, die zerstreuten Pflanzungen, die ihnen aufstießen, selbst die Zäune um die Gärten an den Häusern waren verschieden. Sie bemerkten an diesen Zäunen häufig die Gerippe von Tieren, die dem Mexikaner fremd zu sein schienen; lange, fürchterliche Gerippe mit ungeheuern Rachen und Zähnen, die einen noch immer grinsend anblickten, als wollten sie die Wanderer verschlingen. Sie waren in Alabama, wo die häufigen Aligatoren gewöhnlich von den Pflanzern als eine Art Trophäen an den Zaun aneinander gereiht werden, so wie die Amerikaner sonst die Adler und andere Raubvögel an ihre Scheunen als Warnungszeichen für die Hühnerdiebe heften. Ihre Schritte wurden nun mit jeder Stunde sorgsamer. Sie vermieden nicht nur ängstlich die Wohnungen der Weißen, sondern auch jede zufällige Begegnung derselben; durch die dunkelsten Wälder, die unzugänglichsten Dickichte, die weglosesten Sümpfe ging ihr gefahrvoller Weg schnell und mit einer Sicherheit, die die Gefahr wittert und ihr instinktartig zu entrinnen weiß. Endlich, nach einem Marsche von mehreren Tagen, langten sie in einem weiten, tiefen Tale an, das, von mäßigen Hügeln umschlossen, in der abgeschiedensten Verborgenheit lag. Der alte Mann setzte seinen Sarg auf die Erde, winkte seinem Sohne zu bleiben, und verließ seine beiden Begleiter.
Nach einer Weile wurde ein durchdringend langes Pfeifen gehört, so schneidend, so gellend, daß die Nachteulen zu Hunderten in ein lang schallendes Gelächter ausbrachen – dann erfolgte eine tiefe Stille. Wieder erschallte das Pfeifen, von einem ohr– und herzzerreißenden Tone begleitet, der weder von Tieren noch Menschen herzurühren schien, und wieder erfolgte eine lange Stille. Ein drittes Mal ertönte dieses Pfeifen, schneidender und durchdringender als zuvor, und nun war es, als ob aus der Ferne ein Gezisch und Gemisch von Tönen und Stimmen vernehmbar würde, so klagend, so heulend, wie das Geheul des Wolfes, wenn er in langen, schmerzlichen Todesmartern sich wälzt. Bald darauf erschien der alte Mann und setzte sich schweigend an die Seite seines Sohnes.
Achtunddreißigstes Kapitel
Mit einem Male wurde es hell. Rot und wild flackernde Flammen schlugen durch das Gebüsch und erleuchteten die grausige Waldesnacht. Aus den verschiedenen Zugängen kamen eine Menge Gestalten trottend auf die beiden Häuptlinge zu, neigten ihre Häupter, kreuzten ihre Hände auf der Brust und ließen sich dann, ohne ein Wort zu reden, am Rasen auf die gewöhnliche Art nieder. Ihre Anzahl war bereits auf fünfzig gestiegen; aber sie mehrte sich mit jeder Minute, so daß sie sich endlich auf mehrere Hunderte belaufen mochte. Die meisten der wilden Ankömmlinge waren in ihre Wolldecken gehüllt, unter denen sie das Jagdhemd und den Wampumgürtel mit der Lendenbedeckung trugen. Viele aber hatten bereits Fragmente amerikanischer Kleidung, obwohl in so bunter Mischung, daß sie, bei Tage und in weniger schauerlichen Umgebungen gesehen, leicht Lachen hätten erregen können. So hatten einige Beinkleider, aber weder Schuhe noch Strümpfe. Andere hatten Hüte, auf deren Kronen bleierne Bilder in dem breiten blechernen Bande staken, wieder andere hatten Röcke ohne Beinkleider oder Westen ohne eine andere Bekleidung, das Jagdhemde und die Wolldecke ausgenommen. Nur wenige waren ganz in das amerikanische Kostüm gekleidet. Auch in der Art, wie sie sich den beiden Häuptlingen nahten, war etwas ganz Eigentümliches. Es schien, als ob sie mit Widerwillen herankämen; ihre wilden und durch den unmäßigen Genuß des Feuerwassers halb vertrockneten Gesichtszüge gaben weder Freude noch Teilnahme zu erkennen, eher eine gewisse Scheu, einen unwillkürlichen, halb unterdrückten Schauder. Der alte Mann war gesenkten Hauptes in der Stellung sitzengeblieben, die er eingenommen hatte. Als er endlich seine Augen aufschlug und sein Blick über die versammelte Menge hingleitete, starrten ihn die Wilden mit einem so glotzend gleichgültigen Ausdrucke an, als wären sie mit Entsetzen beim Anblicke ihres frühern Häuptlings erfüllt. Da wurde seine Miene schmerzhaft düster, und ein bitteres, beinahe höhnisches Lächeln verzog seinen Mund. Ein ältlicher, aber ganz nach amerikanischer Weise gekleideter Mann, von einer ins Kupferrot schillernden Gesichtsfarbe, trat keck vor den alten Häuptling, sah ihn eine Weile höhnisch lächelnd an, und seine Kienfackel in die Erde stoßend, setzte er sich unter die Vordersten im Halbkreise. »Joseph, der Oconee«, murmelten alle – und dann erfolgte wieder eine lange Pause.
Die Wilden hatten sämtlich ihre Kienfackeln in die Erde gesteckt, und der Widerschein des rot in ihre grimmigen Gesichter schlagenden Lichtes gab der Versammlung einen Ausdruck, der wild pittoresk gewesen wäre, wenn nicht die übel angebrachten Fragmente amerikanischer Kleidung diesen Eindruck ins Lächerliche verzerrt hätten.
»Sind meine Brüder versammelt, um die Stimme eines zu hören, dessen Auge sie lange nicht mehr gesehen hat?« fragte der Miko.
»Sie sind es,« sprach ein alter Mann, »die Muscogees sind weit gekommen, um die Worte des großen Miko zu hören, und ihre Ohren sind offen, und ihre Arme ausgestreckt.«
»Die Männer der Muscogees haben die Tomahawks begraben«, rief der Häuptling Joseph heftig. – »Sie haben beim großen Geist geschworen«, setzte er mit einer zänkisch gellenden Stimme hinzu.
Es entstand ein Gemurmel, das ebensowohl Beifall als Mißbilligung bedeuten konnte.
»Mein Geruch spürt den Atem eines Verräters, den Sohn eines Weißen und einer betrogenen Squaw, der Tochter eines Häuptlings der Muscogees«, sprach der Miko.
Es erhob sich wieder das Gemurmel des Unwillens.
»Mein Atem«, erwiderte der Halfblood oder Mischling Joseph giftig, »spürt den Atem eines Wolfes, den die Herde der Seinigen vertrieben, weil er sie den Jägern in die Schlingen geführt; Joseph«, setzte er triumphierend hinzu, »ist geboren von dem Blute roter und weißer Eltern. Sein Vater war ein Weißer, seine Mutter war die Tochter der Schwester des Miko Tokeah. Hat er aber, gleich diesem, den roten Männern das lange Messer der Weißen in den Nacken gesetzt? Nein, er hat es abgewehrt von ihrer Brust. Er hat gejagt mit ihnen, er hat den Tomahawk erhoben mit ihnen gegen die Cherokees und die Choctaws der sechs Nationen.« Er hielt inne und sah die Umhersitzenden forschend an.
»Wenn meine Rede meinen Brüdern gefällt, so will ich fortfahren; wenn sie aber ihre Ohren verschließen, so weiß der Häuptling Joseph seine Zunge zu halten.«
Ein alter Wilder unterbrach ihn. »Er hat sich wie der rote Hund in seine Höhle geflüchtet, als die Muscogees die Axt gegen die Weißen erhoben. Er hat den Späher der Weißen gemacht.«
»Und seinen Brüdern den Frieden gebracht«, fiel der Halfblood dem Sprecher keck ein. »Wäre Joseph nicht gewesen, wo wären jetzt die Muscogees? Sie wären von der Erde vertilgt.«
»Besser,« sagte ein zweiter, »sie wären gefallen im blutigen Felde, als von ihren eigenen Brüdern verraten zu werden.«
Der Miko hatte diese verschiedenen Ausbrüche der Ungeduld, die so sehr der bei einer Versammlung hergebrachten Sitte zuwiderliefen, mit mehr Staunen als Unwillen angehört.
»Und sehen die Augen Tokeahs«, so sprach er endlich, »wirklich die Muscogees, die großen Muscogees, deren größter Häuptling sein Vater und er gewesen? Die Muscogees, die den Weißen noch fürchterlich waren, als bereits alle roten Stämme diesseits des endlosen Flusses verschwunden oder halb vertilgt waren? Ja!« rief er mit schmerzlicher Betonung, »es sind wirklich die Muscogees, aber nicht die Muscogees des Miko Sheyah und Tokeah, es sind Männer mit roten und rötlichen Gesichtern, aber in den Gewändern der Weißen. Hört, rote Männer, die letzten Worte Tokeahs und füllt seine Ohren nicht mit Squawsgezänke. – Männer der Muscogees! Den eure Augen neben Tokeah sehen, der ist El Sol, der größte Häuptling der Cumanchees.«
Es erhob sich sofort eine Unzahl der Wilden, die sich dem jungen Mexikaner näherten, um ihn zu begrüßen, indem sie ihm die Palme ihrer Hand entgegenstreckten; die übrigen blieben murrend sitzen.
»Der Miko der Oconees«, sprach der Halfblood Joseph, »hat sich von seinem Volke losgerissen. Er ist in die salzige Wildnis jenseits des endlosen Stromes gegangen. Warum hat ihn sein Weg wieder hierhergebracht? Seine Zunge ist wie das Wasser des Oconee, das sich bereits mit dem großen Salzsee vermischt hat. Sie ist bitter, scharf und giftig. Wollen meine Brüder sie hören und das Gift in ihre Herzen aufnehmen?«
Es entstand wieder ein heftiges Gemurmel.
»Wollen meine Brüder ihn hören und die Stirn der Weißen umwölken?« schrie der Halfblood. »Er, der die Leichen der Ihrigen gesäet hat wie Welschkorn, er lebt noch, seine Krieger sind mit ihm. Er ist nicht viele Tagreisen von den Wigwams der Muscogees.«
»Hugh!« ertönte es aus den Reihen mit einem furchtbaren Geheule, während andere in ein lautes Murren ausbrachen. Mehrere schienen dem Sprecher beizupflichten, viele hatten jedoch ihre Augen auf den Miko gerichtet, der kalt und anscheinend unbewegt saß.
»Der Sohn eines Weißen«, hub er endlich an, »hat wahr gesprochen. Die Zunge Tokeahs ist bitter; sie ist nicht geläufiger geworden, seit er vor zwanzig Jahren in ebendiesem Tale zu den Seinigen gesprochen. Sie ist bitterer geworden; denn seine Augen haben vieles gesehen, seine Ohren vieles gehört, das seine Seele betrübt. Sie haben gesehen, wie sein Volk sich wie Hunde von ihren falschen Brüdern an rote Männer – an Brüder hetzen ließ.« Bei diesen Worten blies er in seine geballte Faust, die er zugleich öffnete und vorwarf. »Seine Augen haben gesehen, wie rote Männer gegen ihre roten Brüder den Tomahawk erhoben haben, weil die falschen Weißen es so gewollt haben, die dann der Toren spotteten, die sich einander die Messer in die Brust stießen. Seine Augen haben gesehen, wie falsche Brüder sich in die Wigwams der Weißen geschlichen und von ihnen viele Dollars erhielten und damit die roten Männer betrunken machten, und als sie sich im Kote herumwälzten, ihnen in die Ohren flüsterten, das Land ihrer Väter den Weißen zu verkaufen. Sie haben es gesehen, wie sie, während der Miko auf seinem Zuge gegen die Choctaws der sechs Nationen gewesen, gegen die der Tomahawk wider seinen Willen erhoben worden, wie sie sein Land den Weißen verkauften. Sie haben es gesehen und die Dollars, die er dafür empfangen sollte. Aber er hat sie mit dem Fuß weggestoßen. Seine Ohren«, fuhr er fort, »haben gehört, wie sich die geblendeten, roten Männer anhetzen ließen, die Tomahawks zu erheben gegen die Weißen, als es zu spät war, und sie so in die Falle gingen. Sie sind geschlagen worden in blutigen Schlachten, und viele Sommer werden verlaufen, ehe die roten Männer werden wagen dürfen, wieder ihre Tomahawks gegen die Unterdrücker zu erheben. Aber höret, rote Männer der Muscogees!« fuhr er fort, und seine Stimme hob sich – »die Weißen haben die roten Männer durch ihre Feuergewehre und langen Messer unterdrückt. Ihrer sind wenige, aber diese wenigen sind noch den Weißen zu viele. Hört, rote Männer! die Weißen haben viele Gifte. Sie haben das Feuerwasser, das langsam tötet. Sie haben ihre weißen Späher, die sie unter die roten Männer senden und die ihren Squaws und Töchtern lieber sind, weil sie eine zartere Haut haben; sie haben aber auch verräterische Zungen unter den roten Männern, viele verräterische Zungen. Sie sind Häuptlinge geworden, diese verräterischen Zungen. Sie haben die Dollars genommen, die der Miko mit den Füßen weggestoßen hat. Sie ziehen mit meinem Volke. Sie wohnen auf seinem Lande. Sie reden mit seiner Zunge. Aber sie reden mit einer Doppelzunge, weil sie doppeltes Blut haben. Kennen meine Brüder diese Männer?« Sein Blick fiel durchbohrend auf den Häuptling Joseph.
Dieser war in unruhiger, unbändiger Wut, und nur durch die Seinigen bisher vom Ausbruche derselben zurückgehalten worden.
»Männer der Muscogees!« schrie er aufspringend mit kreischender Stimme. – »Ich sage nichts mehr, als der große Krieger der Weißen lebt noch – der verbannte, der vertriebene Tokeah flüstert euch in die Ohren. Ihr mögt ihn hören, und seine Worte werden euch führen, wohin er getrieben wurde, in die Salzwüste.«
Der alte Mann hatte, nachdem er gesprochen, sein Haupt auf die Brust gesenkt. Er hob es nun und warf auf den Sprecher einen mitleidig verächtlichen Blick. »Hat Tokeah«, so fragte er, »das Kriegsgeschrei erhoben? Hat er seinen Brüdern in die Ohren geflüstert, es zu erheben? Was Tokeah gewollt hat, wissen die roten Männer. Sie verschlossen ihre Ohren. Sie hörten seine Stimme nicht. Tokeah war in seinem Herzen betrübt, als seine Ohren es vernahmen. Er war fern von ihnen. Er hat aber eine Kette geschlungen, die auch für sie glänzen wird – der große Häuptling der Cumanchees wird sie als seine Brüder, als seine Söhne aufnehmen. Tokeah ist gekommen, sein Volk nochmals zu sehen. Er ist durch die Wigwams der Weißen gegangen. Sie zittern vor den vielen Kriegern des Vaters der Kanadas, die gekommen sind, zahlreich wie die Bäume des Waldes in großen Kanus, und mit brüllenden Feuerschlünden.«
Die Wilden wurden plötzlich still und sahen den Häuptling forschend an. Ihre Augen begannen wild zu rollen, und das dumpfe Flüstern, das nun in den Reihen umherlief, bewies, daß der Alte eine Saite berührt hatte, die gewaltig in ihrem Innern erklang.
»Und was befiehlt uns der große Miko zu tun?«
»Der Miko ist gekommen auf dem Pfade des Friedens«, versetzte dieser ausweichend. »Die Seinigen sind ferne. Seine Brüder haben seit vielen Sommern seine Stimme nicht gehört. Sie haben sich andere Häuptlinge gegeben – sie müssen diesen gehorchen.«
Er sah bei diesen Worten die Wilden forschend an und horchte auf das Gemurmel, das nun entstand.
»Seine Augen sehen nicht mehr Muscogees«, fuhr er fort. »Sie sehen verkleidete rote Männer, die sich mit den weggeworfenen Gewändern der Weißen behängen, die sich des Wampums ihrer Väter schämen, und deren die Weißen spotten. – Sein Herz sagt ihm, daß unter den engen Röcken der Weißen auch ihre falschen Herzen schlagen, und daß seine Worte in die Ohren seiner und ihrer Feinde geflüstert werden. Der Miko hat sein Volk verlassen, als der Giftzahn in ihre Eingeweide zu schlagen angefangen; das Gift hat um sich gegriffen – er sieht nichts mehr als eiternde Wunden. Er sieht Häuptlinge in den Gewändern der Weißen, Krieger in denen der Weißen und der Muscogees, sein Herz ist traurig.«
»Der Miko der Oconees ist ein weiser Häuptling«, sprach einer der ältesten Wilden. »In ihm rollt das Blut vieler Mikos. Die Männer der Muscogees wollen seine Stimme hören. Sie sind viele Sonnen weit gekommen, um dem Späherauge der Weißen zu entgehen. Sollen sie umsonst gekommen sein?«
»Die Muscogees sind weise«, sprach der Miko mit einer ironischen Betonung und einem bittern, spöttischen Lächeln. »Sie haben die Boten der Weißen getäuscht, aber sie haben ihre Späher mitgebracht. Ein Tor spricht zweimal,« fuhr er fort – »der Miko ist gekommen, um von seinem Volke auf immer Abschied zu nehmen.«
»Dann hat der Miko einen weiten Weg gemacht, den er sich hätte ersparen können«, versetzte ein zweiter, jüngerer Wilder. »Die Muscogees wollen Ruhe, der Miko gibt nimmer Ruhe.«
»Ja,« erwiderte dieser, »mein Bruder hat wahr gesprochen; der Miko ist unruhig, sowie der freie, wilde Büffel es ist, der die Seinigen von den Jägern in die Hürde getrieben sieht. Die Weißen geben den roten Männern Frieden, weil sie bedrängt sind von den Kriegern des großen Vaters der Kanadas. Wenn aber die roten Röcke abgezogen sein werden, dann mögen die armen Muscogees die Sommer zählen, die sie noch auf ihrem Lande leben werden. Es werden deren nicht viele sein. Männer der Muscogees! Ihr habt die Stimme eures großen, ältesten Häuptlings nicht gehört. Ihr habt sein Blut verstoßen. Ihr habt die Quelle in ihrem Ursprunge getrübt, das Blut eurer Häuptlinge mit dem unreinen Feuerwasserschlamm der Weißen vermengt. – Es wird nie mehr rein werden. Eure Häuptlinge füllen ihre Säcke mit Dollars. Sie handeln mit schwarzen Männern und kaufen sie, ihre Felder zu pflügen. Muscogees! der Miko hat mit dem Geiste seines Vaters gesprochen.«
Alle horchten hoch auf.
»Und dieser will seine Gebeine nicht ferner unter einem entarteten Volke lassen, unter einem Volke, das sein Blut verraten.«
»Hugh!« ertönte es abermals mit einem grausenhaften Geheule.
»Der Miko«, sprach der alte Mann, »hat dem Gebote seines Vaters Folge geleistet. Er ist gekommen, um seine Gebeine im freien Lande der großen Cumanchees zu begraben.« Er hob nun den Deckel vom Sarge weg, um den die Wilden sich heulend herumdrängten.
»Der Miko«, nahm einer der alten Indianer das Wort, »ist ein großer, ein hoher Häuptling; – hat ihm der große Sheyah zugeflüstert, seine Gebeine von den Muscogees zu holen?«
»Er hat es«; sprach der Miko.
»Hugh!« ertönte es abermals aus der tiefsten Brust sämtlicher Wilden, die nun heulend durcheinander rannten.
»Der Miko ist gekommen,« sprach der Greis, »um das Gebot seines Vaters zu erfüllen. Die roten Männer können ihn nicht mehr halten. Aber sie mögen kommen in die schönen Gefilde der Cumanchees. Tokeah und sein Sohn, der große El Sol, werden ihnen die Hand öffnen.«
Und mit diesen Worten erhob er sich und verließ die versammelte Menge, ohne sie auch nur eines fernern Blicks zu würdigen. Ein tobendes Geheul schallte ihm noch eine Weile nach, das sich allmählich in den Bergklüften verlor.
Die beiden Häuptlinge schlugen sodann mit den Oconees, die sich wieder zu ihnen gesellt hatten, den Weg zum Mississippi ein.
Was eigentlich die Ursache dieser sonderbaren Zusammenkunft gewesen, läßt sich schwer bestimmen. In der Natur des alten Häuptlings lag jener unergründliche Doppelsinn, den der Wilde überhaupt in einem so hohen Grade besitzt, daß er Jahre lang die größten Entwürfe mit einem undurchdringlichen Schleier verhüllen kann, in einem außerordentlichen Grade. – Und wenn ihn das Geheiß seines Vaters, wie er meinte, oder richtiger zu sprechen, sein Traum zu dem weiten Zuge veranlaßt hatte, so scheint es ebenso gewiß, daß er diesem allmählich einen zweiten Endzweck dann unterschob, als er am Bayou mit der vermeintlichen Verlegenheit seiner Feinde näher bekannt wurde. Ob es ein letzter Versuch gewesen, sein Volk zum Ergreifen der Waffen gegen den Feind zu bewegen, oder ob er dieses bloß ausholen wollte, um auf alle möglichen Fälle bereit zu sein, darüber schweigt sowohl die Tradition als die geschichtliche Urkunde. Sowie er es nun fand, hatte er jeden Versuch für immer aufgegeben. Die Politik der Zentralregierung oder vielmehr das allmähliche Annähern der Amerikaner hatte nämlich während seines langen Exils eines jener Mittel gefunden, wodurch sowohl wilde als zivilisierte, aber noch im Zustande der politischen Kindheit befindliche Völker auf dem sichersten und schnellsten Wege entnationalisiert und gebändigt werden – Zwischenheiraten – durch die der Einfluß der vornehmsten Häuptlinge allmählich auf die sogenannten Halfbloods überging, die, dem amerikanischen Interesse näher verwandt, das übrige Volk in dieses zu ziehen wußten. Es war dieses um so leichter gelungen, als die bedeutenden Jahresgehalte, die den Indianern für ihre Ländereien ausbezahlt wurden, eine Menge junger Abenteurer veranlaßten, die Kupferfarbe der Töchter der Häuptlinge zu übersehen, um sich so in ein Besitztum einzunisten, das noch anziehender durch den bedeutenden Einfluß wurde, den sie durch solche Heiraten unter den Wilden gewannen. Durch eine solche Heirat war auch der Miko um sein Land und um seinen Einfluß gebracht worden, und es war natürlich, daß, als diese Politik häufiger befolgt wurde, die Kluft zwischen ihm und dem Volke immer mehr zunahm.
Die beiden Häuptlinge, sagt die Tradition, eilten nun, so viel es die Erschöpfung des alten Mannes zuließ, dem Bayou zu. Jedoch schon am folgenden Morgen bemerkten sie, nicht ohne Unruhe, Spuren von Mokassins, die kurz vor ihrer Ankunft hinterlassen worden waren. Je weiter sie vorwärts eilten, desto mehr leuchtete ihnen die Gewißheit ein, daß Muscogees vor ihnen denselben Weg gegangen waren. Der Miko schien weniger ängstlich, aber der junge Häuptling wurde mehr und mehr besorgt. Mit der gewohnten Selbstverleugnung jedoch schwieg er. Als sie aber am sechsten Tage nach ihrem Aufbruche vom Talk oder der Zusammenkunft sich soeben an demselben Platze zur Nachtruhe niedergelassen hatten, den die Späher nicht viele Stunden zuvor eingenommen, konnte El Sol seiner Zunge nicht länger mehr gebieten.
»Der Miko hat getan«, sprach er, »wie ein frommer Sohn, als er das Gebot seines Vaters erfüllte; aber er hat nicht wie ein kluger Häuptling gehandelt, als er zu seinem Volke sprach; er hat der kochenden Glut, die an seinem Herzen nagt, gehorcht. Der Miko sollte dies nicht getan haben, wenn er seinen Fuß unter die Weißen setzen will.«
»Sind die roten Männer deshalb weniger Kinder des Miko?« fragte dieser, »weil sie seine Stimme zu hören verschmähen?«
»War es die Stimme eines Vaters, die aus Tokeah zu den Muscogees sprach?« fragte El Sol bedeutsam. —
Der Miko schwieg.
»El Sol ist ein Häuptling,« fuhr der Cumanchee fort, »sein Herz hat noch immer die Wunde nicht vergessen, die die Weißen ihm schlugen, als sie seinen Vater töteten; aber er ist ein Vater vieler Kinder. Könnte er allein die Tat an den Weißen rächen, er würde es tun: aber es würde das Blut seiner Brüder kosten. Er überläßt die Rache Wacondah und lebt für sein Volk. Der Miko muß dies auch tun. Wenn die Weißen erfahren,« fuhr er nach einer Pause fort, »daß der Miko seinem Volke in die Ohren geflüstert hat,« – sein Blick fiel auf die von den Indianern hinterlassenen Spuren, »werden sie ihre Stirn runzeln – vielleicht«, setzte er hinzu, »werden sie das Pfand behalten,« sein Blick fiel auf die Erde – »das ihnen der Miko hinterlassen hat.« Die letzten Worte sprach er leise, beinahe furchtsam.
»Die weiße Rose ist die Tochter des Miko. Er hat Biber– und Bärenfelle für sie gegeben. Er würde sie den Weißen nicht lassen, wenn sie viele tausend Dollars geben würden.« Das Herz des jungen Häuptlings schlug hörbar lauter.
»Mein Sohn muß seine Zunge lösen«, sprach der alte Mann. »Er weiß, daß sein Vater ihn sehr liebt.«
»Wacondah«, sprach der Cumanchee mit kaum hörbarer Stimme, »hat die Tochter des Miko zu sich genommen.« Er stockte, seine Wangen glühten, seine ganze Gestalt zitterte.
»Rosa ist die Tochter des Miko. El Sol«, rief der Alte, »wird wieder der Sohn Tokeahs werden.«
»Mein Vater!« mehr vermochte der junge Mann nicht zu sprechen. Aber er fiel dem Alten bewegt an die Brust, und indem er aufsprang und ihn beinahe unwiderstehlich mit sich fortriß, verriet sich die unsägliche Liebe, die den jungen Wilden erfaßt hatte.
Sie eilten nun rasch und unaufhaltsam dem Bayou zu, wo sie nach Verlauf mehrerer Tage ohne besondere Unfälle anlangten.
»Sieht mein Vater?« rief der Cumanchee aus, als sie an der Höhe der Ufergebirge standen und über die prachtvolle Niederung und den Strom blickten. »Wohl mußte Tokeah in seinem Kampf unterliegen, – möge er nun glücklich seinen Feinden entgehen!« – Eine Weile standen die beiden wie angewurzelt, und dann schlichen sie sich langsam und düster der Talniederung zu.
Neununddreißigstes Kapitel
Es war ein herrlicher, obgleich für die beiden Wilden niederschlagender Anblick, der sich ihnen darbot. Die Natur hatte sich in der Zwischenzeit mit jener prachtvollen Üppigkeit entfaltet, die in diesem Lande schon im ersten Frühlingsmonat alle die Pracht und Schönheit zeigt, die mehr nördlich erst einige Monate später hervortritt. Aus den hell– und dunkelgrünen Baumgruppen tauchten unzählige Pflanzungen und Landhäuser auf, die das Auge in weiter Ferne an den beiden Ufern des Stromes erblicken konnte. Alles war Blüte und Grün, und hinten her, in blauer Ferne, wogten die Wälder des westlichen Ufers, die die Pflanzungen gleich ungeheuern, immer grünen Wällen beschützten. Den hehrsten Anblick jedoch gewährte der majestätische Strom, von herrlichen Landhäusern umgürtet, so majestätisch dahinfließend, als sei er zum Gebieter der Welt erkoren; auf seinen Wellen schaukelten hundert kleine und große Fahrzeuge, die Tausende von Meilen herabkamen oder nun dem Bayou zuliefen, um das schöne Schauspiel zu sehen, das die Ankunft der Milizen darbot. Es war nämlich nicht lange nach der Siegesbotschaft die, nicht minder erfreuliche, vom Abschlusse des Friedens im Staate angelangt, so daß der wichtige Sieg, der erfochten worden, kurz vor Abschluß des Friedens erkämpft worden war. Der größte Teil der Landesverteidiger war bereits nach Hause gekehrt, der Rest kam nun soeben in einem Dampfschiffe den Strom herauf, schon von weitem von einem tausendstimmigen Hurra ihrer versammelten Waffenbrüder begrüßt, die nun in ihrem vollen Waffenschmucke gekommen waren, um ihre Mitbürger zu empfangen. Alle hatten sich nun auf eigene Kosten uniformiert, und ihr rascher fester Marsch und ihre sichere militärische Haltung verriet nichts mehr von jener Unbeholfenheit, die wir früher zu bemerken häufig Gelegenheit hatten. Als das Dampfschiff in das Bayou eingelaufen, wurde es von einem tausendstimmigen Willkommen begrüßt. Die Milizen formierten sich, sowie sie landeten, in Reih› und Glied; dann folgten die Damen, begleitet von den Offizieren. Unter diesen die Frau des Obersten mit ihren Töchtern und Rosa, begleitet von dem Obersten, seinem Sohne und dem Major Copeland. Sowie die Offiziere vorgetreten waren, trat eine Deputation der soeben gelandeten Milizen vor, und einer derselben hielt eine Anrede, und nachdem er im Namen und im Auftrage seiner Mitbürger den sämtlichen Offizieren für die Tätigkeit, Klugheit und Sorgfalt, die sie während dieser kritischen Epoche an den Tag gelegt hatten, gedankt, versicherte er sie zugleich, daß er von seinen Mitbürgern beauftragt sei, ihnen zu bedeuten, daß sie sich des in sie gesetzten Vertrauens vollkommen würdig bewiesen hätten.
Der Oberst erwiderte diese Anrede in demselben würdevollen Tone, indem er seinen Mitbürgern im Namen der Offiziere für das Vertrauen dankte, das sie ihm und seinen Mitbefehlshabern geschenkt hatten, und sie zugleich bat, nun, da sie in ihren häuslichen Kreis und zum bürgerlichen Leben zurückkehrten, sie auch ferner in ihrer Achtung und ihrem Vertrauen zu behalten.
Es war eine kurze, prunklose, aber höchst würdevolle Szene. Die hohe Achtung, der Anstand, der sich hier zwischen zeitherig Befehlenden und Gehorchenden, die nun wieder in ihre vorige bürgerliche Gleichheit zurückkehrten, so männlich kräftig äußerte, war so unverkennbar und charakteristisch hervorgetreten, daß eine Zeitlang nach dem Auftritte eine tiefe Stille herrschte. Auf einmal erschallte jedoch der Ruf: »Major Copeland!« aus mehr als tausend Kehlen.
Der Major, der schweigend mit den Damen gestanden war, auch in einer glänzenden Uniform mit dreieckigem Federhute stak, die ihn einem in einen ledernen Sack eingenähten Elefanten nicht unähnlich darstellte, trat nun vor, jedoch nicht ohne Gefahr, mit seinem Degen in einige Verlegenheit zu kommen.
»Mitbürger!« sprach er, »mein Bataillon ist zwar schon zu Hause, und die Bürger werden sich ihre Ruhe wohl schmecken lassen; da ihr mir aber die Ehre antut, meine Meinung nochmals hören zu wollen, so sage ich: Wir haben als Offiziere unsere Pflicht und Schuldigkeit getan. Ihr habt aber mehr getan. Ehre sei euch deshalb von Kindern und Kindeskindern! Ehre,« rief der bewegte Mann, seinen Federhut abnehmend und hochschwenkend, »Ehre sei euch! Und sollte der letzte von euch in Not sein oder Beistand brauchen, so kommt zum alten Squire Copeland; denn den Major wollen wir einstweilen an den Nagel hängen.«
»Ein Hurra dem Major Copeland!« erschallte es nun neunmal hintereinander so kräftig, daß der Donner der Kanonen vom Dampfboote und die Trommeln übertäubt wurden.
Hierbei ließ es jedoch unser Major, der seine Popularität nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu erhalten wußte, nicht bewenden, sondern vortretend, drückte er nun jedem einzelnen die Hand, plauderte einige Worte und zog so von Mann zu Mann, jeden bei seinem Namen begrüßend, durch die Reihen.
»Holla!« rief er plötzlich, als er an den Flügelmann gekommen war und mit seinem Falkenblicke hinüber auf eine Gruppe seitwärts stehender englischer Offiziere schweifte, die nicht ohne Überraschung dem würdevollen Schauspiele zugesehen hatten. »Holla, Kinder! da sehen meine Augen einen alten Bekannten.« Und mit diesen Worten stieg er auf die Gruppe der Briten zu, nicht ohne Gefahr, daß ihm sein drittes Bein, nämlich der Degen, einen Spuk spiele.
»Gentlemen!« sprach er lachend, »es freut mich, Euch hier zu sehen. Laßt Euch›s wohl behagen bei uns. Ihr seid gerne so gesehen; doch habt Ihr da einen Jungen unter Euch, dessen längere Bekanntschaft ich noch für eine Weile haben möchte. Herzensjunge, hast du Lust, mit mir hinüber nach Opelousas zu gehen? Heute bist du mit mir Gast beim Obersten Parker. Nimm dich aber in acht, es gibt eine Schar da, die gefährlichere Schüsse tut, als Kanonen und Kartätschen.«
Die Stegreifanrede galt unserem Midshipman James Hodges, der rasch die Hand des Majors erfaßt hatte und sie herzlich drückte.
»Sehr gerne, Major«, rief der überraschte Jüngling.
Die Offiziere hatten den Major von allen Seiten umringt, um ihm ihre Achtung zu bezeugen. Er drückte jedem die Hand und sprach dann mit dem ihm eigentümlichen schlauen Lächeln:
»Gentlemen, Ihr habt Eure Schuldigkeit getan.«
»Und Sie, Major,« riefen ihm die Offiziere zu, »mehr als Ihre Schuldigkeit.«
»Ah bah«, erwiderte dieser. »Man muß wohl, wenn man so ungebetene Gäste im Pelz sitzen hat, schauen, wie man sie wieder wegbringt. Aber wißt Ihr was, Gentlemen, Ihr zieht vor acht Tagen noch nicht ab; wer von Euch Lust hat, auf ein paar Tage zum alten Squire Copeland auf seine Pflanzung zu einer Bärenjagd zu kommen, ist herzlich willkommen.«
»Major!« riefen alle, »das Anerbieten ist so verlockend, daß es keiner zurückweisen wird.«
»Topp, Ihr seid alle willkommen; Ihr habt alle Platz, auf meiner Pflanzung nämlich; im Stadthause geht›s enge her, wie der Junge da weiß. Ihr kommt doch auch, Oberst Wedding?«
»Mit dem größten Vergnügen«; versetzte ihm der Baronet.
»Morgen oder heute noch kommt der General en Chef, und übermorgen geht Ihr also mit mir. Doch nun verzeiht, diesen jungen Springinsfeld entführe ich Euch.«
Und mit diesen Worten griff er an seinen Hut und nahm Abschied von den mit der Aussicht auf die Bärenjagd hochentzückten Briten.
»Doch hört, Major Copeland,« rief der Midshipman, »wie kommen doch diese saubern Zeisige in Euer so wohl geordnetes Gemeindewesen?«
Er deutete auf einen Zug von Männern, die sich hinter den Damen längs dem Bayouufer dem Städtchen zugeschlichen.
»Welche meinst du?« rief dieser.
»So wahr ich lebe, das sind die Seeräuber.«
»Pah!« versetzte der Major in einiger Verlegenheit, »du siehst wieder einmal verkehrt«, und ohne ihm Zeit zu geben, den Nachzüglern einen zweiten Blick zuzusenden, zog er ihn den Damen zu.
»Mistreß Parker!« sprach er, »erlaubt mir, Euch einen Jungen da aufzuführen, einen so wackern Jungen, versichere ich Euch, als je in seinen eigenen Schuhen stand, und der wahrlich mehr reelles Blut im kleinen Finger hat, als ein Pferd schwemmen könnte. Und da, mein lieber Engel,« rief er Rosen zu, »Ihr seid ohnedies alte Bekannte.«
»Mister Hodges,« sprach diese mit einem leichten Erröten, »es ist lange Zeit, daß ich Sie nicht mehr gesehen.«
»Miß Rosa!« rief der verwirrte Jüngling.
»Ja, ich glaube, die Miß Rosa mußt du bald aufgeben. Sie haben ihr einen andern Namen irgendwo im Mexikanerlande gefunden, und – doch nun gehst du mit uns. Und da Mistreß Parker schon so gütig ist und meiner Zudringlichkeit nichts abschlagen kann, so bleibst du bei mir in Haft. Haben gehört von deinen Heldentaten. Wie war es mit der Mistreß Blum?«
»Aber Squire,« schalt ihn Virginie, »Sie sind doch wirklich ein Erzbarbar.«
Der Jüngling errötete bis über die Ohren.
»Nein, Major Copeland,« sprach die Oberstin, »Sie müssen Ihrem und unserem Gast nicht so arg mitspielen, sonst verbittern Sie ihm unser Haus, ehe wir noch die Schwelle erreichen.«
»Glaubt das nicht!« rief dieser, »er ist nicht so blöde, versichere Euch, und er hat es bewiesen, aber er hat sein dem Indianer gegebenes Ehrenwort wie ein Ehrenmann gehalten und Euerm Pompey das Leben gerettet, wie ein tüchtiger, wackerer Junge. Und übermorgen geht er mit mir, und Rosa, du kommst doch auch nach, wenn Mistreß Copeland dich holt?«
»Da wirst du Wunder sehen, liebe Rosa«, lachte Virginie. »Sie sind liebe Narren, die guten Leute in Opelousas, mit ihren Kornhusking und Hopsesa!«
»Mein Plagegeist mir wieder auf der Ferse?« rief der Major; »aber ich habe Mittel und Wege, ihn zu Paaren zu treiben.«
»Nun, ich gebe schon Frieden und bitte wieder darum«; meinte Virginie.
»Um ihn in einer Viertelstunde wieder zu brechen.«
»Es geht nun in der Welt nicht anders«; entgegnete die Miß mit einem komischen Seufzer.
Die Familie war so unter Scherzen und Lachen mit ihren Gästen im Landhause des Obersten angekommen, wo dieser unsern Midshipman mit den Worten begrüßte:
»Sie sind hier zu Hause, lieber Mister Hodges, und je länger Sie uns das Vergnügen Ihrer Gegenwart schenken wollen, destomehr soll es uns freuen. Ihr Freund wird Ihnen übrigens als Beispiel an die Hand gehen, wie man ohne Zwang bei uns verfährt!«
»Ja, das will ich,« sprach der Major, »und um es Euch zu beweisen, will ich mich sogleich aus der verdammten Jacke mit Gold und Schnüren und dem Federhute, den ich bald rechts, bald links aufsetze, heraustun. Stelle dir nur vor, Junge, da haben sie mich in einen solchen Sack hineingetan, so knapp, so enge, daß ich hundert Stoßseufzer in einer Minute vorbringe. Kostet mich die Lappalie da dreihundert Dollar; hätte damit einem wackern Jungen auf die Beine und zu einem Stücke Landes verhelfen können; aber sie wollten es nicht anders. Wohl! wenn ich nach Hause komme, will ich mich meinen dreißig Negern zeigen, die werden nicht wenig schauen. Wohl! und so Gott will, bleibst du dann eine schöne Weile bei uns.«
»Und der ›Donnerer‹?« fragte der Brite.
»Wird auch ohne dich flott werden. Deine Karriere ist ohnedies so ziemlich vorüber. Ich glaube, du tätest am besten, du hängtest dein Kriegsleben an den Nagel.«
»Wollen sehen«, lachte der Brite.
»Und nun, meine Damen, überlasse ich Ihnen das Jüngelchen, um mich wenigstens für ein paar Stunden bis zum Balle in eine weniger militärische Garderobe zu werfen.«
»Mister Hodges,« sprach der Oberst, »Sie haben das Herz des Majors auf eine Weise gewonnen, die Ihnen sehr erfreulich sein darf.«
»Fürwahr, Oberst, so schmeichelhaft mir dieses ist, so weiß ich doch wirklich nicht, wie es damit zuging.«
»Es ehrt Sie. Sie werden einen der würdigsten Männer in unserem Staate kennen lernen, der ungemein viel für sein County und sein Land getan hat.«
»Doch Mister Hodges,« fiel ihm die Oberstin ein, »auch Sie müssen sich ein wenig zu unserem Balle vorbereiten; denn da Sie nicht mit den Waffen in der Hand gefangen wurden, so behandeln wir Sie als einen der Unsrigen. Mein Sohn, Leutnant Parker, ist ohnedies von Ihrer Größe, und Sie werden sich am besten mit ihm verstehen.«
In dem Augenblicke trat der Leutnant ein. Er begrüßte den Briten herzlich, und die beiden jungen Männer schienen aneinander Gefallen zu finden. Der schnelle Wechsel seines Glückssterns, der ihn aus einer verlassenen Zielscheibe des Spottes plötzlich zum Gegenstande der herzlichsten Teilnahme in einem Hause gemacht, dessen fürstlichen Reichtum er mit Staunen bemerkte, hatte den jungen Mann wieder in seine volle, frohe, heitere Stimmung versetzt, die unser Squire Copeland ganz richtig deutete, als er nun in seine gewöhnliche Kleidung umgestaltet eintrat.
»Nicht wahr, Herzensjunge!« rief er, »hier läßt sich›s leben. Aber wenn du uns näher kennen lernst, wirst du finden, daß wir so gut zu leben wissen, wie Eure Herzoge und Marquise und Carls. Siehst du, Junge, bei Euch sind bloß ein paar tausend Familien Herren im Lande, bei uns eine Million. Alle haben wir – sowie einst unsere Voreltern, die Normanen, das alte England – so unser Land erobert, nur mit dem Unterschiede, daß Ihr Eure Überwundenen triebt, Eure Felder zu pflügen, und sie zu einer Art Sklaven machtet, und wir unsere durch den Pflug gemachten Eroberungen auch mit dem Schwerte zu behaupten wissen. Hab› ich dir›s nicht gesagt, daß wir Euch ledern werden? Sei froh, daß du nicht dabei warst. Hättest du die Unsrigen gesehen! Nein, mir selbst wurde das Blut in den Adern kalt. Höre, wie Mauern standen sie, als die Eurigen anrückten, und gerade als ob sie auf Hirschböcke anlegten. Du konntest sie hören, wie sie sich zuriefen: Ich nehme den Flügelmann gerade an der Nase; John, ich den daneben ins rechte Auge; Isaak, ich den dritten ins linke, und so ging es fort durch Reih› und Glied, und so wie sie sprachen, so taten sie, und jeder Schuß streckte seinen Mann zu Boden, und dann nahmen sie kaltblütig ein frisch geladenes Gewehr vom Hintermann und taten wie zuvor. Beim ersten Angriff der Eurigen fielen an die tausend Mann, und Eure Kommandierenden mit ihnen. Da liefen die armen Narren, sowie eine Herde Schafe, die ihren Führer verloren. Sieh, die Unsrigen wären schon nicht gelaufen, wenn zehn Generale gefallen wären, weil jeder sich so gut wie der General selbst dünkt. Beim zweiten Angriff, unter den Befehlen irgendeines Sir Richard oder Peter oder Paul – die armen Wichte dauerten mich, es ist auch eine verfluchte Sache, sich so aufs Gebot eines rappelköpfischen, hohen, gebietenden Narren zum Totschießen für sechs Pence hinstellen zu müssen – ließen sie wieder an die fünfhundert Mann, hatten wieder ihren Kommandierenden weggeschossen. Ein Generalleutnant war noch übrig, und der kam nun auch, um sich seinen Teil zu holen, sammelte die Flüchtlinge und kam zum dritten Male. Und ließ wieder an die Fünfhundert am Platze, und er selbst blieb liegen; dann freilich liefen die Eurigen, als ob ihnen die Schuhsohlen brennten; aber das Wiederkommen vergaßen sie. Hatten alle ihre Generale und Oberoffiziere weggeschossen; haben aber doch ihre Schuldigkeit getan. Übrigens, Junge, sind wir noch die Alten, und obgleich dem General die Ehre des Sieges zukommt, und er nun Sieger von New – heißt, so haben wir ihm doch nichts geschenkt. Sieh, bei Euch hätte man ihm auf Kosten der Nation eine Schenkung gemacht, und er wäre halb vergöttert worden; wir haben ihm, gleich nachdem die Nachricht vom geschlossenen Frieden ankam, den Prozeß gemacht und ihn seine Konstitutionsverletzung büßen lassen. Und was glaubst du, daß geschehen ist? Je nun, er kam mit einer Geldbuße von zweitausend Dollar davon. Das ist eine Warnung für unsere zeitweiligen Machthaber, die ihnen vom Volke zum Besten anvertraute Gewalt nicht zu mißbrauchen und Bürger nicht zu behandeln, als wenn sie Neger wären. Schadet ihm nichts. Siehst du, so müssen Männer über ihre Freiheit wachen.«
Der junge Brite hatte den letzten Teil der Rede unseres Squire nicht ohne Verwunderung angehört; denn obwohl in einem verhältnismäßig freien Lande geboren und erzogen, war ihm doch der außerordentlich republikanische Starrsinn, der einer solchen Verurteilung unter diesen Umständen zugrunde lag, eine neue Erscheinung.
»Major,« lachte er, »wenn Ihr Eure großen Männer so behandelt, dann ist›s besser bei Euch klein zu sein.«
»Nein, lieber Junge,« entgegnete der Squire; »wir achten unsere großen Männer so gut wie Ihr, ja noch mehr; aber bei uns hat der Kleinste Gelegenheit, groß zu werden. Sieh, der General war ein armer Schlucker, so wie ich; aber verstehst du, bei uns gibt es Leute, so gut wie in der alten Welt, die hoch hinaus und ihre Mitbürger zu Reitpferden machen wollen, auf die sie nur Sattel und Zaum zu legen brauchen, um zur Oberherrschaft und Tyrannei zu galoppieren. Laß es ihnen einmal hingehen, und sie werden es ein zweites Mal versuchen.«
»Ich wette, Major,« lachte ihm der Brite zu, »Ihr wußtet die Sache klüger anzufangen; sowie ich sehe, so habt Ihr Eure guten Männer von Opelousas ziemlich stark im Garne.«
»Glaubst du, Junge?« sprach der Squire. »So wenig, versichere ich dich, daß mich der erste Fehltritt in einem gewissen kitzligen Punkte, ein Hinneigen zum Föderalismus zum Beispiele, um meinen ganzen Kredit bringen würde. Bei uns ist Verstellung unmöglich, lieber Junge; aber ich will dir sagen, ein offener Kopf, ein reines, für das Wohl seiner Mitbürger warmes Herz tut viel. Sieh, ich bin drei Jahre in Opelousas. Seit dieser Zeit hatte ich an die fünfzig junge, tüchtige Bürger angesiedelt und ihnen zu Land und Haus und Hof verholfen, und auf die leichteste Weise. Als ich herabkam, kaufte ich nämlich an fünfzehntausend Acker schönen Landes. Wenn ich nun so einen ordentlichen Burschen sah, der bei mir oder im County anklopfte, da fragte ich nicht, wie schwer er sei, sondern schaute ihm ins Gesicht, und war er ein ehrlicher Junge, so gab ich ihm ein-, zwei– oder dreihundert Acker und ebensoviele Dollars obendrein, und so gedieh ich und er auch. Ich habe an die Fünfzig angesiedelt. Sie sind alle verheiratet und ordentliche Bürger und werden reich und das Land auch. Siehst du, wie ich meinen Einfluß gewann?«
Der Jüngling drückte dem wackern Manne, der gerade und ungekünstelt, aber männlich gediegen sich jede Stunde weitschweifiger, aber auch vorteilhafter zeigte, herzlich die Hand. Er war vom redseligen Squire beim Knopfe festgehalten worden, und beide befanden sich schon einige Zeit allein im Empfangszimmer, ehe es von diesem bemerkt wurde.
»Holla!« rief er auf einmal, »die haben alle Reißaus genommen, und da steht eben«, er sah durchs Fenster, »die Oberstin und schwatzt. Sonderbar! Wer ist der Wicht, wenn ich nicht irre, derselbe, der dich jungen Springinsfeld aus der Presse holte.« Und mit diesen Worten verließ er die Türe und trat an die Sprechenden heran.
»Darf ich?« fragte er die Oberstin.
»Wir wollten Sie soeben rufen«, sprach diese. »Mister Parker ist unten am Bayou, um mit dem Komitee Anordnungen zum Empfang des Generals zu treffen. Monsieur Madiedo hat die verdächtigen Gäste wieder aufgenommen.«
»Ihr habt Euch wacker im Punkte mit Rosa benommen,« sprach der Major zum Wirt, »und so bezeugt, daß das Gute bei Euch überwiegt. Was Ihr nun zu tun habt, will ich Euch sagen. Die verdächtigen Marodeurs müssen weg, sobald als möglich; wir können sie jedoch nicht zwingen, denn es ist ein freies Land; so lange sie hier bleiben wollen, mögen sie; nur müssen wir genaue Kundschaft von ihrem Tun und Treiben haben.«
»Die soll Ihnen werden, Herr Major.«
»Das ist alles, was wir brauchen. So lange sie hier sind, werden wir sorgen, daß an dreißig Mann noch unter Waffen bleiben. Und nun mögt Ihr gehen.«
»Wohl, Herr Major«, versetzte der Wirt, der sich verbeugte und, nachdem er über das Bayou gesetzt hatte, rasch seiner Schenke zum Kaisergardisten zuging.
Vierzigstes Kapitel
Wieder saßen dieselben drei Personen in derselben Ecke, von wo aus Monsieur Madiedo, alias Benito, zu dem gefährlichen Liebesdienste vermocht worden war. Es war vielleicht bemerkenswert, daß – ungeachtet der zahlreichen Menschenmenge, die von allen Seiten dem Bayou zugeströmt war, so daß selbst die nächsten Pflanzungen sich herbeilassen mußten, einen Teil der heimgekehrten Milizen für die Nacht unterzubringen – in dieser Schenke, unsere Marodeurs ausgenommen, auch nicht ein einziger Gast zu sehen war, so daß Monsieur Benito für seine allzu große Gefälligkeit wirklich hart bestraft zu werden schien. Er ertrug jedoch diesen stillschweigenden Ausdruck der öffentlichen Verachtung mit vieler Resignation; auch war sein Verhältnis zu seinen Gästen gegenwärtig ganz anderer Art, und er hatte ihnen gegenüber eine weit zuversichtlichere Haltung angenommen. Als er in die Stube eingetreten, wo seine Frau an dem Schenktische beschäftigt war, legte er seine Hände auf den Rücken und schritt gemächlich auf und ab. Sooft er am Fenster ankam, warf er einen Blick auf die zahlreichen Gruppen von Männern, die vor den übrigen Häusern in einbrechender Dämmerung standen, um dann kopfschüttelnd seinen Spaziergang fortzusetzen.
»Ja,« rief er endlich, als er abermals einen Blick durch das Fenster geworfen, »das danke ich Euch: Sitze nun da mit Weib und Kind und mag verhungern und meinen Wein und Kognak selbst aussaufen, damit er mir nicht sauer werde.« »Wollen dir helfen, Benito, obwohl dein Bordeaux ganz erbärmlich ist«, sprach einer aus dem Kleeblatte. »Es lebe unser Generalpardon.«
Der Wirt gab dem Sprecher keine Antwort, wandte sich aber zu dem Manne, den wir bei seinem ersten Auftritte am Bayou als Vermummten bezeichnet haben und der noch immer eine schwarze Binde um seine Stirne und das linke Auge trug.
»Ich sage Euch,« sprach er, »mit Euerm Pardon hat es gute Wege, und Ihr habt ihn Euch verdient; aber bei alledem, je eher Ihr Euch aus dem Staube macht, desto geratener für Euch. Hier in den vereinten Staaten gedeiht Ihr nun einmal nicht, und wenn Ihr, wie Magdalena, bußfertige Tränen weint.«
»Das sehe ich nur zu deutlich«, entgegnete der Vermummte zähneknirschend. »Wahrlich, wenn ich das gewußt hätte —«
»Und was denn?« fragte der Wirt. »Was Ihr erlangt habt, ist aller Ehren wert. Ihr werdet doch nicht wollen, daß sie Euch Ämter und Würden geben?«
»Hol› der Teufel ihre Ämter, ich wollte lieber —«
»Wohl!« fuhr der Wirt fort, »Ihr habt Euch ein schönes Vermögen zusammengebeutet. Ihr könnt Eure Tage in Ruhe leben.«
»Ja,« rief der Vermummte, »es war der schönste Tag meines Lebens, eine herrliche Rache, eine Rache, so göttlich! daß es mir nur leid tut, daß ich sie nicht teilen konnte. Wären nur tausend unserer Braven zugegen gewesen, als wir diese Krämerseelen jagten. Möge mich – verdammen, es war ein schöner Tag.«
»Ihr habt Euch gut benommen«; sprach der Wirt.
Der Vermummte sah ihn verächtlich an: »Benito, aus deinem Munde mein Lob hören zu müssen! Spare deine Zunge, ich bitte dich, oder – Teufel und Hölle! – Jeder Sergeant, jeder Korporal wurde in ihren Zeitungen gepriesen; nur ihn, der vielleicht mehr zum Siege beitrug, als zehn ihrer Kompagnien, nur ihn mit seinen dreißig Braven vergaß man.«
»Undank ist der Welt Lohn,« versetzte Benito, »wenn die Zitrone ausgedrückt ist, wirft man die Schale weg. Sie heißen sich im Scherz Souveräne, aber sie haben im Ernste alle die kalte Herzlosigkeit und vornehme Ruhe, als wenn sie diese wirklich wären.«
»Als ich gestern, meine Aufwartung machen zu dürfen bat, wurde ich durch die Hintertüre des Hauses, den Stall, eingelassen. ›Lafitte,‹ sprach er, ›was Ihr getan habt, verdient Anerkennung. Ihr habt einen Teil Eurer Verbrechen gutgemacht. Wir wollen das übrige vergessen; nur müßt Ihr das Land räumen, dessen Sicherheit Ihr zu sehr verletzt habt, um diese jemals vergessen zu machen.‹ Und zum Danke für alles warf er mir einen elenden Pack Banknoten von dreitausend Dollar zu.«
»Das übrigens immer eine nicht zu verachtende Summe ist, mit der allein schon Ihr Euch in Mexiko recht schön etablieren könnt«, versetzte der Wirt. »Und das ist auch das einzige, was Ihr tun könnt. Vielleicht sehen wir uns da wieder. Hier gedeihen wir einmal nicht. Sie lassen uns nicht einmal wie die Hefen setzen, sie werfen uns noch beim Spundloch hinaus. Wäre ich klüger gewesen und hätte den Pater Hidalgo mit seinen Musikanten beim Teufel gelassen, so säße ich auch im trockenen. Alles ist Narrheit. Es ist niemand gescheit in der Welt als diese Republikaner. Die allein leben für sich. Wir Mexikaner, Franzosen, Spanier, und wie sie alle heißen, wenn ich›s so recht um und um betrachte, sind nur halbe Menschen; denn die andere Hälfte gehört nicht uns.«
»Ja,« sprach der Vermummte, »wenn man sich so an die vierzig Jahre in der Welt herumgetummelt hat, wird›s einem allmählich klar. Hier lernt man echte Philosophie. Hier weiß man vernünftig zu leben. Ich habe während der acht Wochen meines Hierseins mehr gelernt, als mein ganzes übriges Leben. Was nützt es jedoch; nun ich zur Einsicht und Umkehr gekommen, weist man mir wieder die Türe. Teufel und Hölle! sie haben einen Sieg gewonnen, dessen sich Napoleon nicht zu schämen brauchte, und keine Muskel ihrer Gesichter ist verzogen; gerade als ob es sein müßte, und nun gehen sie wieder ruhig an ihren Pflug.«
»Und das bleibt auch Euch übrig,« versetzte der Wirt, »da Ihr denn doch einmal Euer wüstes Leben aufzugeben fest entschlossen seid.«
»Wirt!« rief eine Stimme durch die Türe herein.
»Da bin ich«, antwortete Benito, der dein Rufe folgte und aus der Stube trat.
»Ich habe Gäste bekommen,« rief er mit vieler Zufriedenheit; »aber ich weiß nicht, ob sie sich gerade zu Euch schicken. Es sind alte Bekannte von Euch.« Er flüsterte dem Vermummten etwas in die Ohren.
»Alle Teufel! Wirklich?« rief dieser.
»Wollt Ihr Euch auf einen Augenblick zurückziehen?« fragte der Wirt.
»Pah, wollen sie sehen. Wir sind ja in einem freien Lande, heißt es.«
Indem trat ein Sergeant ein, dem die Indianer in Begleitung zweier Milizen folgten.
»Sie haben sich zwar freiwillig gestellt,« flüsterte der Sergeant dem Wirte zu, »aber Ihr müßt gewissermaßen für sie haften; ohnedies sind die beiden Cumanchees gleichfalls hier.«
»Sorgt um nichts,« versicherte ihnen der Wirt; »wir wollen sie wie unsere Augäpfel bewachen und bewahren. Wache wäre überflüssig; würde nur Argwohn erregen.«
Inzwischen hatte sich der alte Miko etwas befremdet in der dunkeln, von zwei Talglichtern kümmerlich erhellten Stube umgesehen, deren Ärmlichkeit ihm aufzufallen schien. Ein bitteres Lächeln umkreiste seinen Mund, als er die weiß übertünchten Wände, die armseligen Teppiche und die Eichenholzsessel und Tische übersah. »Sieht El Sol,« murmelte er dem jungen Cumanchee zu, »wie die Herzen der Weißen kalt geworden sind. Als die Indianer zuerst kamen, führten sie sie in ein kostbares Wigwam. Hier —«
Der Cumanchee hatte nicht minder aufmerksam in der Stube umhergesehen, als sein durchdringender Blick in die Ecke fiel, wo die drei Ausländer saßen. Plötzlich fingen seine Augen an Feuer zu sprühen, seine Nasenlöcher schwollen wie die Nüstern eines Rosses, er begann zu schnauben und, in die grimmigste Wut ausbrechend, fuhr er auf den Tisch zu, hinter welchem die drei Ausländer saßen.
»Hat,« so sprach er mit einer Donnerstimme, »hat die Schlinge der Cumanchees und die Lanze der Pawnees deshalb des Diebes geschont, damit dieser mit seinem giftigen Atem abermals das Gesicht des unglücklichen Vaters vergifte, dem er die Tochter und die Seinigen geraubt?« Und indem er nach dem Dolche griff, würde er auf Lafitte losgestürzt sein, wenn ihm nicht die Milizen in die Arme gefallen wären.
»Im Namen des Gesetzes, Ruhe!« sprach der Sergeant, »oder ich führe Euch augenblicklich ins Gefängnis.«
»Mein Sohn,« sprach der Miko bedeutsam, »wir sind im Wigwam der Weißen.«
Der Seeräuber hatte, während der Wilde den Dolch zückte, mit vieler Kaltblütigkeit sein Glas ausgetrunken.
»Mag ich erschossen sein,« flüsterte einer der Milizen seinen Gefährten zu, »wenn dieser Mann nicht mehr kaltes Blut in seinen Adern hat, als alle Alligatoren im großen Sumpf zusammengenommen.«
»Das ist auch das beste, was er hat. Er schneidet Euch mit demselben Gleichmute die Kehle ab. Kennt Ihr ihn?«
»Werde ihn doch. Für jetzt ist ihm seine Zeche abgeschrieben, bekommt er aber wieder etwas auf die Kreide, dann hängt er doch.«
Lafitte, ohne irgendeinem der Anwesenden besondere Aufmerksamkeit zu schenken, goß sich wieder sein Glas voll und trank ruhig fort, als die Türe abermals aufging und die beiden Cumanchees herein und auf den jungen Häuptling zusprangen. Kein Kind, das den Armen der Mutter entrissen und nach einer langen Abwesenheit wieder zurückgegeben wird, kann mit mehr Entzücken in die ausgebreiteten Mutterarme eilen, als die beiden Wilden in die des jungen Cumanchee. Die drei Wilden waren wirkliche Kinder geworden. Sie fielen einander in die Arme, sie umschlangen, sie besahen, sie betasteten einander, als mißtrauten sie ihren Augen, sie schienen ihres Entzückens nimmer ein Ende zu finden. Als dieses so eine Weile gewährt hatte, traten die beiden von ihrem Häuptlinge zurück, kreuzten ihre Arme auf der Brust und standen eine lange Weile in ehrfurchtsvoller Stellung vor ihm, der seinerseits eine hohe, gebieterische Miene angenommen hatte. Mit Hoheit hörte er ihren Bericht und ihre Schicksale während seiner Abwesenheit. Aber bald verwandelte sich diese in heftigere Symptome, die bald Schmerz, bald Wut, wieder Scham und Zorn im ungemein schnellen Mienenspiele ausdrückten. Auf einmal brach er in einen lauten Schmerzensruf aus; seine Arme fielen straff an seine Seite, und als schämte er sich vor den Anwesenden, trat er mit den beiden Cumanchees aus der Stube.
Das Gespräch der Indianer war im Pawneedialekte geführt worden und hatte die Aufmerksamkeit aller sehr erregt: denn es mußte offenbar etwas Besonderes sein, das die Seelen dieser an Selbstverleugnung so sehr gewohnten Menschen so außerordentlich bewegen konnte. Auch der Miko war es; aber in seinen starren Zügen war bloß ein bitteres Lächeln zu bemerken. Als die Milizen sahen, daß sie vergeblich auf Aufklärung warteten, entfernten sie sich.
Der Miko hatte sich in der Ecke des Feuerplatzes niedergelassen und saß eine geraume Zeit, ohne irgendein Merkmal von Leben von sich zu geben; dann begann er sein Haupt zu erheben, und sein Blick fiel auf den Seeräuber, der noch in seiner Ecke saß, wandte sich jedoch immer wieder mit Abscheu von ihm. Es schien, als ob dem alten Manne eine Anwandlung von Neugierde ankäme, zu wissen, was seinen Feind hierhergebracht habe, und daß nur Stolz und Scheu ihn vom ersten Schritte zur Annäherung zurückhalte.
Der Seeräuber brach endlich das Eis, indem er aufstand und an den Miko herantrat.
»So finden wir uns denn wieder, Miko,« sprach er nicht ohne Teilnahme, »um drei Monate älter, weiser, aber nicht glücklicher. Wo sind die Zeiten, wo wir so friedlich beisammen saßen im Wigwam am Natchez?« Er sprach die letzten Worte mit einer so schmerzlichen Betonung, daß der Indianer ihn forschend ansah.
»Ja, Miko, wenn Ihr mich damals nicht so trotzig von Euch gewiesen hättet, und ich kein solcher Narr gewesen wäre, eines Mädchens halber alles auf das Spiel zu setzen – —. Ja, Miko, ich meinte es gut. Wir hätten ein glückliches Leben führen können. Wir hätten eine herrliche Kolonie gegründet, kein Feind in der Welt hätte uns etwas anhaben dürfen. Es war ein schöner Traum.«
Der alte Mann schwieg noch immer. »Wie kommt es,« fragte er endlich mit sichtlichem Widerstreben, »daß der, auf den der große Vater der Weißen einen Preis von so vielen Dollars gesetzt hat, sich nun in ihren Wigwams sehen läßt?«
»Erinnert Ihr Euch, Miko, jenes Morgens, als ich Euch im Councilwigwam sagte, Lafitte würde Euch verteidigen? Ihr braucht Euch nicht zu fürchten? Miko, hättet Ihr damals auf meine Stimme gehört, wäre alles besser gewesen. Schon damals war der Plan reif, der mich mit der Welt versöhnen sollte. Hilft nun aber alles nichts.«
»Und der Häuptling der Salzsee ist ein Freund der Weißen?« fragte der Indianer.
»Sowie man Freund sein kann,« versetzte der Seeräuber bitter lachend, »wenn man einen Dienst erwiesen hat, der zu groß ist, um bezahlt zu werden. Sie haben mir gnädigst erlaubt, ihre Kanonen zu bedienen und mich der Gefahr, verstümmelt oder totgeschossen zu werden, so an die sieben Stunden bloßzustellen; dafür habe ich nun eine Art Pardon und die huldreiche Weisung, mich so schnell von hinnen zu packen, als möglich.«
»Und der Häuptling der Salzsee ist zu den Weißen gegangen, um mit ihnen den Tomahawk gegen die Söhne des Vaters der Kanadas zu erheben?« fragte der Indianer gespannt.
»Ich komme soeben von der Affäre herauf. Die Weißen haben einen glänzenden Sieg davongetragen.«
»Und er hat die große Schlacht der Weißen mitgeschlagen?« fragte der Indianer beinahe ängstlich.
»Ja,« erwiderte der Seeräuber mit demselben verzweifelt bittern Hohnlachen, »und dafür hat er den guten Rat erhalten, das Land sobald als möglich zu räumen.«
Der Indianer, der seine Gefühle bisher gewaltsam unterdrückt hatte, war nun nicht länger imstande, dem furchtbaren Kampfe, der in seinem Innern tobte, zu gebieten. Seine Brust hob sich, als drohte es, ihn zu ersticken. Seine Augen rollten, als wären sie von einem innern Feinde im Kreise getrieben. Seine Hände auf sein Gesicht schlagend, stöhnte er laut und fiel dann bewußtlos über den Sarg hin.
»Miko!« schrie der Seeräuber, der herbeisprang und den bewegungslosen Mann wieder aufrichtete. »Miko, was ist dies?«
Der alte Mann blickte stier um sich her. »Geister meiner Oconees! Geist meiner Tochter! ich habe Euch Sühnopfer bringen wollen; der Dieb hat Euch und mich betrogen. Nein!« rief er schmerzlich, »die Weißen haben mich betrogen.«
»Häuptling!« sprach der Wirt auf den gedeckten Tisch weisend, »eßt und trinkt und schlagt Euch das übrige aus dem Sinne. Trinkt! je mehr, desto besser, es geht auf Kosten der Regierung.«
Der Indianer nahm das dargebotene Glas an, trank es aus und bedeutete dem Wirt, es wieder zu füllen. Wieder stürzte er es hinab, und wieder wurde es gefüllt. Er wiederholte den Zug ein drittes, ein viertes, fünftes und sechstes Mal und sank dann bewußtlos am Boden hin.
»Ist doch bei alledem ein indianisches Vieh«; sprach Benito.
»Ein König willst du sagen«, sprach der Seeräuber ernst. »Ein Legitimer mit so edlem Blute, als je in den Adern eines geflossen. Wenn du den hunderttausendsten Teil seiner Leiden erfahren hättest, wärest du längst im Tollhause – oder auf dem Galgen vermodert.« Er sah auf den Wilden mit verschränkten Armen herab. »Schaffe ihn weg; das Schmerzlichste steht ihm noch bevor.«
»Doch horch, was ist das? Neun Salven von einem Dampfschiffe. Ein neunmaliges Hurra. Der General en Chef ist angekommen. Gute Nacht, Miko, morgen wirst du mehr hören.«
Einundvierzigstes Kapitel
Das Rollen der Trommeln verkündete am folgenden Morgen das Zusammentreten der Mannschaft, als die Indianer durch die dichten Reihen der Milizen dem Gasthofe zugeführt wurden, wo der Obergeneral sein Absteigequartier genommen hatte. Im Korridor, der zu dem Saale führte, stand ein zahlreiches Offizierkorps in glänzend reichen Uniformen, welches die soeben aus dem Saale kommenden britischen Offiziere freundlich begrüßte. »Die Indianer,« rief eine Stimme, »Indianer vor!« Sie traten ein.
Soeben erhob sich ein langer, hagerer, aber kraftvoll gebauter, ältlicher Mann von einem Armsessel, auf dessen einer Lehne sich ein Kissen befand, auf dem sein linker, in einer Schlinge getragener Arm geruht hatte. Seine Züge waren scharf gezeichnet, stark hervortretend und deuteten auf feste, unerschütterliche Ruhe. Das kühne blaue Auge, in tiefen Augenhöhlen funkelnd, verriet ein Feuer, das weder Alter noch körperliche Leiden geschwächt hatten. Sein Gang war langsam, aber würdevoll. Er trug die Generalsuniform des höchsten Grades in den Staaten, unter einem braunen Überröcke. Säbel und Federhut lagen auf einem Seitentische. Sein scharfer Blick fiel, als die Indianer eintraten, auf jeden einzelnen mit einem Ausdrucke, der die Wilden zu durchschauen schien. – Nach einer kurzen Pause ließ er sich wieder auf den Armsessel nieder und nickte den Indianern, Platz zu nehmen.
»Tokeah!« sprach der Major Copeland. »Ihr steht vor dem kommandierenden General, dem großen Krieger, der die Muscogees und die Söhne des großen Vaters der Kanadas in vielen und großen Schlachten geschlagen hat, dem Bevollmächtigten des großen Vaters der roten Männer.«
Die Indianer sahen nach dieser etwas pompösen, aber hier ganz zweckmäßigen Aufführung den General betroffen an, und ihr Haupt neigend, streckten sie die Palmen ihrer Hände vor.
»Tokeah, der letzte Miko der Oconees,« sprach dieser, »ist mit seinem Sohne El Sol, dem mächtigen Häuptlinge der Cumanchees, gekommen, ihre Hände in Frieden und Freundschaft ausgestreckt.«
»Tokeah, Miko der Oconees!« wiederholte der General kopfschüttelnd. »Wir haben vieles, nur zu vieles von diesem Tokeah gehört. Und dieser junge Mann hier?«
»Ist El Sol, der junge Häuptling der Cumanchees.«
Der General sah den jungen Mann mit einem etwas weniger mißtrauischen Blicke an.
»Sagt dem Häuptlinge, er sei willkommen in den Wigwams seiner weißen Brüder.«
Nachdem der Miko dieses verdolmetscht hatte, legte der junge Cumanchee seine Rechte an die Brust und neigte sein Haupt.
Beide Häuptlinge bewiesen viel Ruhe und selbst Anstand in ihrer Haltung. Sie verzogen keine Miene, und ihre Augen in achtungsvoller Aufmerksamkeit auf den General gerichtet, warteten sie auf die weitere Einleitung der Zusammenkunft. Der General seinerseits schien den Wilden volle Gelegenheit geben zu wollen, sich ganz in ihrer sentenziösen Manier auszusprechen.
»Ja, Tokeah«, sprach er nach einer Pause, während welcher er innegehalten hatte, um den Indianern Zeit zu geben, sich zu fassen. »Wir haben von Euch gehört, aber wir wollen das Geschehene in dem Strom der Vergessenheit begraben.«
»Der Miko würde von den Weißen fern geblieben sein«, sprach der Indianer. »Er weiß, daß er ein Dorn in ihren Augen ist. Er ist von ihnen auf seinem Pfade aufgehalten worden, den er gegangen, um das Gebot des großen Geistes zu erfüllen.« Er deutete auf den Sarg, den er auch hierher mitgenommen hatte.
Der General schüttelte wieder das Haupt. »Dann sollte Tokeah nicht so tief hinab nach Alabama gegangen sein; der Oconee und das heilige Feld der Muscogees sind weit von letzterem.«
Der alte Häuptling sah den General betroffen an.
»Tokeah! Tokeah!« sprach dieser. »Es mag hingehen für diesmal. Aber so schlau Ihr auch Eure Anschläge macht, wir durchblicken sie.«
»Tokeah hat die Fußstapfen der Mokassins auf seinem Wege gesehen; er wußte, daß seine Feinde dem großen Vater in die Ohren flüstern würden; er mußte noch zu seinem Volke sprechen. Wenn mein Vater die Rede Tokeahs gehört hätte, würde er seine Stirn nicht runzeln. Der Miko wird jetzt dahin gehen, wo ihn die Weißen nicht mehr sehen werden. Die Äxte der weißen Männer machen einen großen Lärm in den Ohren Tokeahs.«
»Weiß der große Vater von diesem?« fragte der General.
»Die Männer der Oconees haben seit sieben Sommern auf den Jagdgründen der Mexikos gewohnt. Sie wollen wieder zurück, wohin die Pflugschar und die Hacken der Weißen ihnen nicht folgen werden.«
»Und der alte Tokeah hat das gute Land seiner Väter verlassen und ist in ein schlechtes gezogen, wo ihm die Muscheln und Schalen die Füße zerschneiden werden?«
»Wenn die roten Männer ein schönes Weib haben, das für sie nicht kochen und ihre Jagdhemden machen will, so senden sie es zurück zu ihrem Vater und nehmen ein häßliches Weib, das tut, was sie brauchen. Tokeah hat im Lande seiner Väter gelebt und unter den Weißen mit seinem Volke. Wenn ihre Pferde und ihr Vieh über ihre Grenzen gingen, durfte er nicht gehen, um sie einzufangen, und wenn er es tat, so warfen sie ihn in ein finsteres Wigwam oder schossen auf ihn aus ihren Feuergewehren; aber wenn das Vieh der roten Männer über die Grenzen der Weißen ging, so nahmen sie es, und wenn die roten Männer zürnten, nahmen sie auch ihr Leben dazu. Tokeah konnte nicht mehr unter solchen Menschen leben.«
»Haben«, fragte der General, »die roten Männer nicht auch böse Brüder?«
»Die roten Männer strafen ihre bösen Kinder,« fuhr der Indianer grollend fort – »und sie treiben sie in die Wildnis; – aber die weißen Männer teilen das den Roten Gestohlene. Es ist weit zum großen Vater, und er hört nicht das Rufen seiner roten Kinder, und die Zunge seiner Boten (der Agenten der Vereinigten Staaten) ist sehr gekrümmt. Tokeah will deswegen gehen, wo er die Weißen nimmer sehen wird.«
»Das heißt zu den Cumanchees, um mit ihnen die Kette zu ergänzen, die sein unruhiger Geist mit seinen Brüdern und uns zerrissen hat?« versetzte der General, der, weit entfernt, durch die grollend werdende Sprache des Indianers beleidigt zu werden, fortfuhr: »Es ist kein Zweifel, daß die roten Männer in gewissen Punkten von uns gelitten haben; aber sie haben nicht mehr von uns, als wir von ihnen erduldet. Doch wir wollen und können uns hierüber nicht in Erörterungen einlassen. Nur sollte Tokeah einsehen, daß wir die Stärkeren – und Herren des Landes sind. Wir konnten Tokeah sein Land nehmen; denn es war uns durch das Recht des Krieges verfallen. Wir haben es ihm abgekauft, ihn als freien Mann, als Bruder behandelt.«
»Der große Geist«, sprach der unbewegte Indianer, »hat sehr große Spinnen in dem Lande gemacht, wo der Miko lebte, und eine derselben tötet einen kleinen Vogel. Diese Spinnen sagten zu den Vögeln: ›Seht, wir wollen euch allein und in Frieden lassen und nicht mit euch brechen; aber ihr dürft auch nicht unsere Netze zerreißen.‹ Die armen Vögel blieben in ihren Nestern und saßen da eine lange Weile. Hunger trieb sie endlich heraus; als sie aber auffliegen wollten, fanden sich alle Wälder mit den Netzen der Spinnen überzogen, und die armen Vögel fielen in die Schlingen, und wurden von den giftigen Spinnen aufgefressen, und ihr Blut ward ausgesagt, und sie mußten eines langsamen Todes sterben. Die roten Männer sind die armen Vögel, die Weißen die Spinnen. Ihrer Stämme waren viele. Sie sind verschwunden vom Angesichte der Erde. Sie starben, viele durch die langen Messer der Weißen, noch mehr aber durch ihre List und ihr Feuerwasser. Tokeah will weit von ihnen gehen.«
»Das mögt Ihr tun, wie es Euch am besten dünkt. Wir werden Euch keine Hindernisse in den Weg legen.«
»Der große Geist«, fuhr der Indianer fort, »läßt den endlosen Strom rinnen von dort, wo der Schnee fällt, gegen das Land zu, wo die Sonne heiß scheint. Er hat den roten und weißen Männern Überfluß an Land gegeben, aber die weißen«, fuhr er klagend fort, »sind nie zufrieden, sie greifen immer weiter und strecken ihre Hand aus nach dem, was den roten Männern gehört, und nehmen jeden Sommer mehr von dem Lande dieser.«
»Die Weißen haben das Land der roten Männer gekauft; es ist deshalb ihr rechtmäßiges Eigentum«, versetzte der General.
»Sie haben die roten Männer mit Feuerwasser betrunken gemacht und sie dann um ihr Land betrogen«, entgegnete der starrsinnige Indianer.
»Tokeah,« sprach der General mit jener Ruhe, die den Indianer, eben weil er sie in einem gewissen Grade besitzt, am schnellsten aus seiner Fassung bringt, »der große Geist hat die Erde für die weißen und roten Männer gemacht, daß sie sie pflügen und bebauen und von ihren Früchten leben mögen; er hat sie aber nicht zu einem Jagdgrunde gemacht, daß einige Hundert rote Männer im faulen Dasein einen Raum einnehmen, auf dem Millionen glücklich leben und gedeihen können. Wenn Ihr die Ländereien, die Ihr noch habt, und die noch immer so groß sind, wie manches Königreich der alten Welt, wo mehrere Millionen glücklich leben und gedeihen können; wenn Ihr diese Ländereien beurbaren wollt, so könnt Ihr reicher, glücklicher sein, als irgendeine gleiche Anzahl Bürger der Vereinigten Staaten; wenn Ihr Häuptlinge aber das Geld, das Ihr von uns als Jahresgehalte für Euer abgetretenes Land erhaltet, unter Euch verteilt und Euerm Volke höchstens ein paar Dollar zum Vertrinken hinwerft – dann aber sie darben lasset; – wenn Ihr sie so – statt Euch ihrer anzunehmen und unsere menschenfreundlichen Bemühungen, sie der Kultur zu gewinnen, zu unterstützen – zum Auswurfe herabwürdigt und sie zwingt, an den Türen unserer Bürger ihr Brot zu erbetteln und sich in unserem Straßenkote herumzuwälzen: dann müßt Ihr es diesen Bürgern nicht verargen, wenn sie solcher Gesellschaft überdrüssig werden. Ich kenne Euch, Häuptlinge; Ihr seid solche Blutsauger der Eurigen, als es der verworfenste Tyrann der alten Welt nur sein kann.«
»Tokeah hat die Dollar mit Füßen weggestoßen«, erwiderte der Indianer.
»Ich kenne auch Euch, Tokeah, und habe die genauesten Erkundigungen eingezogen. Doch will ich Euch fragen, Alter,« fuhr der General fort: »Was tun wohl die Creeks oder, wie Ihr Euch nennt, die Muscogees, wenn ihnen ein roter Späher der Tscherokees in die Hand fällt, der, während sie mit diesen in Frieden leben, zu den Choctaws eilt, um den sechs Nationen in die Ohren zu flüstern, die Tomahawks zu erheben und über die Muscogees herzufallen, so wie der Panther über das Rind herfällt?«
Der Indianer schwieg betroffen.
»Sie nehmen seinen Skalp. Nicht wahr? Als Tokeah damals mit rache– und wutschnaubendem Herzen hinauf zu den Shawneese ging, da wurde ihm sein Land von seinem eigenen Volke verkauft, das müde war, seiner ewigen Unruhstiftung länger Vorschub zu leisten, und den unversöhnlichen Häuptling aus ihrer Mitte weg wollte. Wir konnten Euch als Spion, als Aufwiegler den Prozeß machen, und Eure eigenen Männer würden Eure Henker geworden sein. Wir taten es nicht. Wir benahmen Euch die Gelegenheit, fürder schädlich zu werden, und ließen Euch gehen. Wenn Ihr das Geld wegstießt, das Euch für das Land bezahlt wurde, war es Euer Fehler; für das, was Ihr damals tatet, hattet Ihr den Tod verdient. Das Schicksal der roten Männer«, fuhr der General würdevoll fort, »ist hart in vieler Hinsicht, aber es ist nicht unvermeidlich; die Barbarei muß im Kampfe mit der Aufklärung immer weichen, so wie die Nacht dem Tage weicht; aber Ihr habt die Mittel in der Hand, an diese Aufklärung Euch anzuschließen und in unser bürgerliches Leben einzutreten. Wollt Ihr dieses jedoch nicht und zieht Ihr vor, statt geachteter Bürger wilde Legitime zu sein, so müßt Ihr mit dem Schicksal nicht hadern, das Euch wie Spielzeug wegwirft, nachdem Ihr Eure nächtliche Bahn durchlaufen habt.«
Die Wahrheit der eindringenden und ans Erhabene grenzenden Sprache des Generals hatte den Indianer plötzlich zum Schweigen gebracht.
»Tokeah,« hob der General wieder nach einer langen Pause an, »wir haben, wie gesagt, nichts gegen Euren Entschluß, zu gehen, und ich werde die nötigen Befehle in meiner Militärdivision hinterlassen, daß unsere Offiziere Euch ungehindert ziehen lassen. Ehe dieses jedoch geschieht, müßt Ihr uns noch über einen Punkt Aufklärung geben. Eure verschiedenen Stämme werden zwar von uns gewissermaßen als Völker betrachtet, in deren innere Angelegenheiten wir uns nicht mengen, und denen wir selbst das Recht lassen, untereinander Krieg zu führen; aber unsere obervormundschaftliche Vergünstigung dehnt sich nicht so weit aus, Euch das Recht zu geben, über unsere friedlichen Mitbürger herzufallen und Euch unsere Kinder zuzueignen, nachdem Ihr ihre Eltern grausam gemordet.«
Der alte Mann horchte hoch auf.
»Tokeah hat die Tochter eines weißen Vaters und einer weißen Mutter zu uns gebracht. Er hat sie als sein Kind betrachtet. Wie ist er zu der jungen Dame gekommen, die er die weiße Rose nennt?« fragte der General.
Der Indianer fuhr plötzlich auf. Er sah bald den General, bald den Squire Copeland an. Sein Mund zuckte, und nachdem er El Sol etwas in die Ohren geflüstert hatte, erwiderte er:
»Die weiße Rose ist die Tochter des Miko. Er hat viele Biber– und Bärenfelle für sie gegeben. Sie war seine Tochter, bald nachdem sie das Licht der Welt erblickte.«
»Wie kam sie aber in Eure Hände?« fragte der General nochmals.
»Tokeah hat sie den roten Männern der Choctaws der sechs Dörfer, die am endlosen Flusse wohnen, abgenommen. Wäre sein Arm nicht gewesen, so wäre ihr Gehirn schon viele Sommer an dem Baume vertrocknet, an den sie die Hand eines Muscogee schmettern wollte.«
»Auch dies beantwortet nicht die Frage«, entgegnete der General. »Wie kam die junge Dame aber in Eure Gewalt?«
»Der große Vater«, versetzte der Indianer ausweichend, »hat eine große Schlacht gewonnen, in der seiner Feinde viele geblieben sind. Gehören die Beute und die Gefangenen nicht ihm und den Seinigen?«
»Ich will Euch später auf die Frage antworten«, bedeutete ihm der General. »Die junge Dame ist die Tochter weißer Eltern – keine Choctaw – Tokeah!« sprach der General ernst und scharf, »ich fordere Euch hiermit auf, mir reine Wahrheit zu sagen.«
Des Häuptlings Augen begegneten dem durchbohrenden Blick des Generals, waren aber nicht imstande, diesen auszuhalten.
»Der große Vater ist gerecht,« sprach er, »er wird dem alten Tokeah nicht die Blume rauben, die er viele Sommer gewartet und die die einzige Freude seiner Augen ist, die sein gehört und —« er sprach die letzten Worte leise und mit hohler Stimme.
»Euch soll Recht widerfahren,« sprach der General; »aber zuerst müßt Ihr Eure Ansprüche auf diese junge Dame erweisen.«
»Tokeah besitzt die weiße Rose vierzehn Sommer,« antwortete der Indianer etwas zuversichtlich; »er hat sie aus den Händen der Muscogees gerettet, als diese sie an einen Baumstamm schleudern wollten.«
»Fahrt fort«, sprach der General.
»Tokeah will reden, und sein großer Vater wird hören. Vierzehn Sommer und Winter sind verflossen, seit der Miko der Oconees mit seinem Volke die Tomahawks gegen die Choctaws der sechs Dörfer erhoben. Sein Herz war mit den Choctaws; allein die Muscogees wollten das Kriegsgeschrei erheben, und er zog gegen die sechs Nationen. Es war in der zehnten Nacht, seit der Tomahawk ausgegraben war, daß der Miko in der Nähe des obersten Dorfes seiner Feinde lag, der Stunde wartend, wo seine Feinde schlafen würden, als auf einmal seine Ohren den Kriegsruf der Seinigen hörten, die zu spähen ausgegangen waren. Er flog den Seinigen zu; aber ehe er ankam, hatten sie ihre Feinde bereits in die Flucht gejagt, und er kam gerade, um zu sehen, wie sie den Gefangenen die Skalpe abzogen. Es waren vier weiße Männer und drei Weiber darunter. Eines dieser Weiber war sehr zart und sehr jung und hatte die weiße Rose in ihren Armen, die sie noch festhielt, als ihr Kopf bereits gespalten war. Der Miko war zu spät gekommen, um dem zarten Weibe das Leben zu retten; aber er hörte das Wimmern des Kindes, als der Vater Mi-li-machs es an einen Baum schleudern wollte, und er riß es ihm aus den Händen und brachte es zu dem weißen Zwischenhändler,« bei diesen Worten sah er den Squire Copeland an, »und er gab viele Felle für die Milch, die sein Weib der weißen Rose gab. Der Miko«, fuhr er fort, »hat noch alles, was Rosa gehörte, als er sie vom Tode rettete.«
Der General blickte bei diesen Worten den Indianer scharf an, der stockte und innehielt.
»Tokeah muß alles, was er von seinem Pflegekinde hat, vorzeigen«, bedeutete ihm der General; »es ist wichtig und unerläßlich, um der Wahrheit auf den Grund zu kommen.«
Der Alte winkte sofort einem der Oconees, der schnell den Saal verließ.
Während der Pause, die nun eintrat, näherte sich ein Fremder dem General und händigte ihm ein Papier ein, das dieser aufmerksam las und dann auf das neben dem Armsessel stehende Seitentischchen legte. Der Oconee war mit dem Bündel gekommen, und der General übergab es dem Fremden und Squire Copeland.
»Da ist die Kette«, rief dieser, ein goldenes Kettchen von der bekannten feinen mexikanischen Arbeit vorzeigend, »und das Medaillon ist noch daran – mit den Buchstaben I. C. R.«
»Das nämliche,« bemerkte der Fremde, »das Euer Exzellenz in der eidlichen Erklärung beschrieben finden werden. Der Tauf– und Familiennamen des Kindes. Die Kleidung konnte nicht so genau beschrieben werden, da der Vater bei der Jammerszene nicht zugegen war, und die Diener, männliche sowohl als weibliche, umkamen.«
Die Kleidung des Kindes war ziemlich gealtert. Die Brüsseler Spitzen an dem Hemdchen waren gelb geworden, das Pelzchen war ganz zernagt, auch das übrige war verlegen und morsch.
»Der Indianer hat zwar das Kind auf eine Weise in seine Gewalt bekommen, die, so schrecklich sie auch sein mag, seine Rechte gewissermaßen nach unsern Gesetzen begründet, natürlich so lange der Vater seine Ansprüche nicht geltend macht, jedoch nach diesen Beweisen zu schließen, kann kein Zweifel mehr obwalten, daß die junge Dame, die weiße Rose genannt, eine und dieselbe mit dem in diesem Papiere angegebenen Kinde sei, und daß sie ihrem Vater zurückgegeben werden müsse, sobald er sie anspricht, und sobald er die Forderungen des Indianers für Verköstigung und Pflege befriedigt hat.«
»Kein Zweifel, Euer Exzellenz,« erwiderte der Fremde, »und der sehr edle Vater der jungen Dame, dessen Geschäftsführer in Veracruz ich zu sein die Ehre habe, wird gerne zehnfach vergelten, was ihm nach so langem Jammer und Suchen wieder zum Besitze seines einziggeliebten Kindes verhelfen kann. Ich habe Vollmacht schon seit dreizehn Jahren in dieser Hinsicht.« Er wies eine zweite Schrift vor.
Die Teilnahme der Anwesenden an dem Schicksale des interessanten Kindes fing nun an, sich laut auszusprechen; die Meinung der sämtlichen, im Saale befindlichen Offiziere, worunter auch mehrere angesehene Rechtsgelehrte und Staatsbeamte waren, ging dahin, daß unter obwaltenden Umständen das Kind nicht wieder den Wilden ausgeliefert werden, sondern einstweilen in der Obhut des Majors Copeland oder Obersten Parker verbleiben solle, bis die Ansprüche der Indianer auf Kostenvergütung ausgeglichen seien.
Diese waren in einer Spannung gestanden, die jeden Augenblick heftiger wurde und gegen ihre sonstige Apathie sehr kontrastierte. Sie schienen so viel verstanden zu haben, daß es sich um Rosa handle; da sie aber von der Unterhaltung der Anwesenden wenig oder nichts verstanden, verriet sich ihre Ungewißheit nur in einer fieberischen Unruhe, die besonders am alten Manne auffiel.
»Tokeah«, sprach der General, »Ihr seid hiermit entlassen – Eure Pflegetochter bleibt vorläufig hier. Es steht Euch jedoch frei, Eure Rechte auf sie und vorzüglich auf Entschädigung für die an sie gewandte Pflege bei unsern Gerichten geltend zu machen. Bis dahin bleibt sie in der Obhut, die ihr von diesen bestimmt werden wird.«
Der Indianer, der von der Rede des Generals nichts begriff, langte nach dem Päckchen.
»Wie gesagt, das bleibt hier«, bedeutete ihm der General nochmals. »Ihr seht hier mehrere Rechtsgelehrte, die alle der Meinung sind, daß die Tochter ihrem Vater wiedergegeben werden solle.«
»Die weißen Männer sind gerecht,« rief der Indianer, »die Zunge des großen Vaters spricht wie die Zunge eines großen Kriegers.«
»Ihr seid übrigens frei,« schloß der General, »Eure Schritte wohin immer zu tun, und so lange Ihr hier zu verweilen gedenkt, wird für Euch gesorgt werden.«
Er winkte nun den Indianern ihre Entlassung zu, und diese entfernten sich, nachdem sie ihm auf die gewöhnliche Weise ihre Ehrfurcht bezeigt hatten.
»Nun habe ich Euerm Willen so recht getan?« – fragte der General unsern Squire.
»Das habt Ihr,« versicherte ihn dieser, »Gott segne Euch dafür.«
»Eure Zufriedenheit ist mir viel wert«, sprach der General, der sich wieder niederließ und einige Depeschen unterzeichnete, die er einem seiner Adjutanten reichte. »Und nun gibt es noch etwas?« fragte er lächelnd.
»Ihr wißt, die Bürger sind versammelt, Euch ihre Achtung zu bezeigen, und warten nur auf Euch, um das Manöver zu beginnen; dann folgt öffentliches Gastmahl und Ball.«
»Ich bitte Euch, verschont mich«, sprach der General. »Ich denke, wir hatten der Manöver genug.«
»Für diesmal können wir es Euch nicht erlassen,« sprach der Squire, »außer Ihr versagt es.« Er sah ihn bei diesen Worten forschend an.
Der General zeigte auf seinen zerschmetterten Arm. »Glaubt mir, wenn man zwei Lot Blei im Bein stecken hat, dann ist es wahrlich nicht Zeit, an Manöver, Bälle und Gastmahle zu denken.«
»Die Bürger werden es kaum glauben, daß Ihr dieser Wunde halber versagtet. Sie werden es einer andern zuschreiben.«
Der General sah den Sprecher betroffen an.
»Tut, wie Ihr wollt«, fuhr dieser leise fort. »Eins laßt Euch jedoch sagen. Der Volkssouverän ist in seiner Etikette der kitzligste, den es gibt, das wißt Ihr. Ihr habt große Dinge getan; aber das Größte, was Euch mehr Achtung, als Eure Siege erwarb, ist, daß Ihr gutwillig Euern Nacken beugtet und Eure Strafe wie ein Mann aushieltet.«
»Häng› Euch«, entgegnete der General lachend. »Die Kreolen, an denen mir nichts gelegen ist, haben mir Bälle gegeben und mich bekränzt, und die Unsrigen, für die ich mein Blut vergoß und mir einen siechen Körper holte, lassen mich zum Danke zweitausend Dollar Strafe bezahlen, und hätte ich das Geld nicht, so säße ich vielleicht im Loche. Auch diese Strafe wollten die Kreolen bezahlen.«
»Ihr tatet wohl, daß Ihr sie nicht zahlen ließet«, flüsterte ihm der Squire zu. »Übrigens, General, nehmt mir es nicht übel. Aber es war ein wenig zu viel Eifer und heißes Blut in Euch, eine kleine Abkühlung kann nicht schaden. Nun aber, da alles gut abgelaufen ist, seid Ihr unser Mann. Wollt Ihr bleiben und unsre Achtungsbezeigungen annehmen – die, Ihr wißt es, wir eben nicht sehr freigebig verschwenden – oder nicht?«
»Ich bleibe,« sprach der General, dem Squire die Hand drückend, »obwohl Ihr ein wahres Torynest hier habt, und wenn ich nicht irre, das öffentliche Gastmahl in eben dem Saale gehalten werden soll, wo man mich als einen Tyrannen verdammt hat.«
»Alles zu seiner Zeit«, sprach der Squire. »Aber nun gestehe ich Euch, es freut mich, daß Ihr bleibt und die Probe ausgehalten habt. Wäret Ihr gegangen, eben diese Torys hätten sich ihre Haut voll gelacht. Nein, General, man muß seinen Feinden zu begegnen wissen.« – Und mit diesen Worten drückten beide nochmals einander die Hand, und der Squire entfernte sich. »Doch, holla,« rief er, nochmals zurückkehrend: »Das Manöver fängt doch vor einer Stunde noch nicht an? Ich bin soeben zu meiner Pflegetochter berufen, die ihrem wilden Pflegevater einen Besuch abstatten will. Er geht sogleich ab, hör› ich – desto besser.«
Und mit diesen Worten verließ er den Saal, um sich zu seinem Pflegekinde zu begeben, das soeben mit der Familie des Obersten angekommen war, um das Manöver und die darauffolgenden Festlichkeiten durch ihre Gegenwart zu verherrlichen.
Zweiundvierzigstes Kapitel
»Und nun, liebes Kind,« sprach er, »stehe ich dir zu Diensten. Einen Vater hättest du nun, Gott sei Dank. Wollte Gott, wir könnten dasselbe auch von der Mutter sagen. Der Wilde hat aber keine Schuld an ihrem Tode, und obgleich Wilder, – was du nun tun wirst, ehrt dich. Doch halt, wo ist unser Midshipman. Uh, da ist er. Willst du mit, Herzensjunge, von einem alten Bekannten Abschied zu nehmen?«
»Und ein gescheiter Vater muß dieser dein Pa auch noch sein,« fuhr der Squire zu Rosen gewendet fort: »ich sehe es schon daraus, daß er eine Million Dollar in unsern Banken niedergelegt hat. Schau, Junge,« wandte er sich zum Seekadetten, »so kommen sie nach und nach alle zu uns. Bisher hattet Ihr das meiste Vertrauen! Nun aber fängt es bei Euch zu hapern an, und sie legen ihr Geld hübsch bei uns nieder. Ja, aber Rosa, liebes Kind,« wandte er sich wieder zu dieser, »siehst du mit dem Zeitungsartikel, der dein kleines Herzchen so aufgerüttelt hat, der ist nun hinüber nach Veracruz mit Madiedo zum Kommissär deines Vaters gewandert und hat aller Wege sein Gutes getan. Der Wicht von Zeitungschreiber hat zwar, statt reine Wahrheit einzuschenken, seine Zeitungsfloskeln gebracht; aber im ganzen hatte er so unrecht nicht, obwohl dir der Spaß gar nicht behagte. Aber dir geht es in diesem Punkte noch wie gewissen Völkern, die die liebe Preßfreiheit auch ganz barbarisch undelikat finden. Hast mir aber ganz aus dem Herzen gesprochen, liebes Kind, und obwohl dein wilder Miko wenig standesgemäß untergebracht ist, so gibt es doch wieder Fälle, wo ein Besuch in einem solchen Hause zu größerer Ehre gereicht, als im Empfangszimmer des weißen Hauses zu sitzen, das uns die Rotröcke verbrannt haben. Also deine Lust, unter den Wilden zu wohnen,« lachte er recht herzlich, »ist dir so ziemlich vergangen? Glaub›s gerne, mein Kind; es läßt sich zur Not auch unter den Wilden leben, so wie von Haferkuchen; aber besser ist besser, und wir haben es am besten. Glaub› mir›s, liebes Kind, wenn du sechs Monate unter uns gelebt haben wirst, und du würdest auf den Hof des ersten Königs versetzt, wirst du dich bald wieder in unser glücklich frohes und einzig und allein aufgeklärtes Bürgerleben zurückwünschen. In den ersten Wochen mag dir so manches an uns nicht gefallen haben; aber wir sind wie das echte, gesunde Roastbeef und Kernbrot; je länger man davon ißt, desto besser und lieblicher schmeckt es. Sieh, bei Euch«, fuhr er zum Midshipman gewendet fort, »habt Ihr auch etwas unserm freien Leben Ähnliches. Bei Euch sind die Lords und Gentlemen so frei wie wir; aber die übrigen sind arme Narren, die von Freiheit reden wie der Blinde von der Farbe. Ist aber natürlich bei Euch. Ihr habt das Land oder vielmehr Euere und unsere Vorfahren haben es von den Angelsachsen und den alten Briten erobert, und die herrschenden Familien haben sich in die besiegten armen Teufel wie in das liebe Vieh geteilt, und sind noch zu dato Herren. Wir haben unsere Eroberungen von ein paar hunderttausend Indianern gemacht und mit unserm Pfluge, und die erstern sind verschwunden durch eigene Schuld, die letzte Eroberung macht uns alle, die nämlich arbeiten wollen, zu unabhängigen Männern, die in die Angelegenheiten ihres Landes mit reden können und sollen. Sieh, als ich nur noch mit den Meinigen fünfzig Dollar hatte, war ich just so frei als jetzt, da ich über hunderttausend verfügen kann. Ist aber alles ehrlich erworben, durch keine Geniestreiche, nur auf gewöhnlichem Wege.«
Und unter dem Schluß dieser Rede waren sie an der Türe der Schenke zum Kaisergardisten angekommen.
Sie fanden die beiden Häuptlinge mit ihren Gefährten auf die gewöhnliche Weise am Boden der Gaststube sitzend, in der sie sich allein befanden. El Sol war bei ihrem Eintritte aufgestanden und ihnen einige Schritte entgegengetreten; Rosen bei der Hand nehmend, führte er sie zu einem Sitze, von dem sie jedoch auf den Miko zueilte und ihn kindlich umschlang. Dieser sah sie kalt und forschend an.
»Miko,« sprach der Squire, »Eure vorige Pflegetochter, Miß Rosa, ist gekommen, von Euch Abschied zu nehmen, da Ihr nun einmal gehen wollt, und Euch zu danken für alles Gute, das Ihr ihr erzeigt habt. Übrigens werdet Ihr den Preis selbst bestimmen, der Euch als Kostenersatz für geleistete Sorgfalt und Pflege gebührt.«
»Tokeah«, erwiderte der Indianer, der natürlich von den Worten des Squire nur wenig verstand, indem er zugleich einen ledernen Beutel aus seinem Wampumgürtel zog, »wird gerne bezahlen, was der weiße Häuptling fordern wird, für Speise und Trank, die er der weißen Rose gegeben hat.«
»Ihr seid im Irrtum,« versetzte der Squire, »und Euch gebührt Bezahlung. Eigentlich hätte dies vor eine Jury gehört, aber fordert, und ich stehe Euch dafür, daß alles, was billig und gerecht ist, bezahlt werden wird.«
»Der weiße Häuptling«, sprach der Indianer, »mag nehmen, so viel er will.«
»Ich sage Euch, nicht Ihr, wir müssen bezahlen«, versetzte der Squire.
»Hat meine Tochter von ihrem Milchvater Abschied genommen?« fragte der Indianer Rosen, die während der letzten Reden des Wilden ängstlich zu werden schien. »Rose muß nun vom Wigwam der Weißen sich trennen; der Pfad ist lang, den der Miko zu wandeln hat. Er ist der Weißen sehr müde.«
»Und muß der Miko gehen?« fragte Rosa. »O Vater meiner Canondah, bleibe doch; die Weißen werden dich als Bruder lieben.«
Der Indianer sah sie erstaunt an. »Wie,« fuhr er heraus, »wie meint Rosa dies? die Weißen, die giftigen Weißen, Tokeah, als ihren Bruder lieben? Hat die weiße Rose? —« Er sah sie mißtrauisch finster an. »Die weiße Rose«, auf die Wolldecke deutend, »wird finden, was sie braucht. Tokeah ist der Weißen sehr müde; er will gehen.«
»Miko!« sprach sie etwas furchtsam, denn es war nun klar, daß dieser noch immer im Mißverstand über die Absicht ihres Kommens sei; »Rosa ist gekommen, dich zu bitten, noch einige Zeit bei den Weißen zu bleiben; aber wenn du gehen mußt, so will sie —«
»Der Miko ist der Vater seines Volkes,« sprach dieser, »es ruft ihn, er muß gehen, und Rose ist seine Tochter und die Rose der Oconees, sie wird die Rose der Cumanchees sein, die Squaw eines großen Häuptlings«, sprach der Indianer.
Das Kind trat errötend und halb unwillig zurück. »Miko,« sprach sie, »du bist der teure Vater meiner Canondah, der mein Leben gerettet und erhalten, ich danke dir kindlich; aber Miko, deine Verfügung kann ich, darf ich«, sie zitterte und trat noch einen Schritt zurück, »nicht annehmen. Ich gehöre nicht mehr dir, ich gehöre meinem Vater, meinem lange beweinten Vater.«
»Rosa spricht wahr, sie gehört ihrem Vater,« fuhr der noch nicht aus seinem Irrtum gerissene Miko fort, »die Füße meiner Tochter sind schwach; aber sie wird im Kanu sitzen, bis sie in den Wigwams der Pawnees ankommt, und diese haben der Rosse viele.«
»Bei Gott!« rief der Squire, »hier ist ein Irrtum, der Indianer gedenkt Rosen mitzunehmen. »Herzensjunge,« sprach er zu dem Jünglinge, »eile so schnell als möglich zum Obersten Parker und bringe uns einen Zug Männer. Vor den langen Bajonetten haben sie allein Respekt. Rosa, liebes Kind, halt inne, der Wilde sieht mir ganz wild und unheimlich aus«, flüsterte er dem Mädchen zu.
Wirklich war in dem Wilden eine ebenso plötzliche, nur dem schärfsten Auge bemerkbare Veränderung vorgegangen. Es schien, als ob auch er ahne, daß ihm Rosa entrissen werden könne. Seine starre, leblose, düstere Miene war einer Unruhe gewichen, die den Major besorgt werden ließ.
»Die weiße Rose«, sprach er nach einer Weile, einen langen forschenden Blick auf sie werfend, »ist eine fromme Tochter; sie wird für ihren Vater das Wildbret kochen.«
»Gerne wollte ich dies für den Vater meiner Canondah tun,« sprach sie noch immer verschüchtert, »allein ein größeres Gebot ruft, teurer Vater. Vater meiner Canondah! Rosa ist gekommen, um von dir Abschied zu nehmen.«
Der Indianer horchte hoch auf.
»Ich kann dir nicht folgen; aber mein Vater wird dir hundertfältig vergelten, was du an seiner Tochter getan hast.«
»Wie meint meine Tochter dies«, fragte der Wilde, der sie noch immer nicht ganz verstand.
»Miko,«, sprach das Mädchen, »der Vater, der mir das Leben gegeben hat, ist wiedergefunden. Rosa muß zu ihm eilen; denn er hat sie seit vierzehn Jahren beweint, gesucht.«
»Tokeah hat Rosen das Leben gegeben; er hat sie dem Arme des Vaters Mi-li-machs entrissen, er hat Felle für die Milch bezahlt.«
»Aber Rosa hat noch einen andern Vater, der ihr näher steht, den ihr der große Geist gegeben, der ihr das Leben gegeben hat; zu diesem muß sie gehen. Ich muß dich verlassen, Miko«, sprach sie mit etwas mehr Entschlossenheit.
Der Indianer sah das Mädchen mit einem Blicke an, in dem sich die Hölle in ihren untersten Tiefen zu malen anfing. Die Schuppen waren endlich von seinen Augen gefallen; aber selbst in diesem Augenblicke verließ ihn seine fürchterliche Kälte nicht, obwohl sich der entsetzliche Sturm, der nun in seinem Innern zu toben begann, bereits grausenhaft in seinem Farbenwechsel und Mienenspiele zeigte.
»Miko«, sprach der Squire, der nicht ohne Bangigkeit diese furchtbaren Symptome tief verschlossener, aber nun bald ausbrechender Wut bemerkte. »Miko, Ihr habt gehört, was Euch der große Krieger gesagt hat?«
Der Indianer würdigte ihn keines Blickes; sein ganzer Körper fing fieberisch zu zucken an, seine Hand fuhr nach dem Schlachtmesser, dann sah er wieder auf Rosen mit einem Blicke, so durchbohrend, daß der Squire entsetzt an ihre Seite sprang. Zur Verwunderung des Majors hatte das Mädchen alle ihre Entschlossenheit, ja eine Art Hoheit erlangt.
»Miko,« sprach sie, ihre Arme ausbreitend und im Begriffe, auf ihn zuzueilen, »ich muß dich verlassen.«
»Wie spricht meine Tochter?« fuhr der Indianer auf, der noch nicht seinen Ohren zu trauen schien. »Tokeah ist nicht ihr Vater? Sie will«, und seine Stimme nahm einen so unnatürlich pfeifenden Ton an, daß der Wirt und seine Frau schreiend zur Tür hereinstürzten, »sie will«, brach er endlich aus, »dem Miko nicht folgen?«
»Sie kann nicht«, sprach sie mit ungemeiner Festigkeit.
»Halt, Tokeah! so lieb dir dein Leben ist, halt,« rief der Squire, »und sieh mir in das Gesicht; in dir kocht wieder der Teufel.«
»Meine Tochter«, sprach der Wilde, ohne diesen einer Antwort zu würdigen, »sagt, sie hat einen andern Vater gefunden?«
»Ja, Vater meiner Canondah!« flüsterte sie.
»Und sie will bei den Weißen bleiben?«
»Rosa muß.«
»Und Rosa«, fuhr er in demselben anscheinend kalten Tone fort, »will den Miko verlassen? Ihn allein auf den weiten Pfad gehen lassen?«
Und indem er diese Worte anscheinend auf die ruhigste Weise aussprach, hatte er die Riemen des Sarges über seinen Kopf gezogen, sprang mit einem Satze auf seine Beine und auf Rosen zu, und sie in seine Arme aufraffend, stürzte er zurück in die Ecke an die Türe des Seitengemachs, daß die Scheiben des Glasfensters in tausend Stücke brachen.
»Und glaubt die weiße Schlange, der Miko ist ein Narr?« schrie er mit zornfunkelnden Augen, das Mädchen in seinem linken Arme haltend, während der rechte das Schlachtmesser schwang.
»Miko!« rief der junge Häuptling, der bisher schweigend und teilnahmlos gesessen, aber nun, entsetzt über den unbeschreiblich furchtbaren Ausbruch der Wut, aufgesprungen und dem Miko nachgeeilt war.
»Und glaubt die weiße Schlange,« rief der rasende Wilde mit einer pfeifend höhnischen Stimme, und der Schaum stand ihm am Munde, »glaubt die weiße Schlange, der Miko habe sie gefüttert und Felle für sie bezahlt und sie zur Blume gezogen für die Weißen, die giftigen Weißen, die er anspeit?« Er spie mit Abscheu aus.
»Beim allmächtigen Gott, halt! Ihr seid alle des Todes, wenn dem Kinde etwas zuleide geschieht«, rief der Squire, der einen Stuhl erfaßt und sich mit Gewalt den Weg zu ihr bahnen wollte, jedoch von den Cumanchees und Oconees zurückgestoßen wurde.
»Deswegen wollte also die weiße Schlange zu den Weißen«, rief er. »Weiß mein Sohn, daß die weiße Rose ihren Vater verraten, an die Weißen verraten?« rief er dem Cumanchee zu. »Will die weiße Schlange ihrem Vater folgen?« schrie der schäumende Wilde.
»Ich kann nicht,« sprach sie, »meines Vaters, meines weißen Vaters Stimme ruft.«
Ein Blick des tödlichsten Hasses durchzuckte den Wilden für einen Augenblick, während er das schöne, halb ohnmächtige Kind in seinen Armen hielt.
»Tokeah will die weiße Rose den Weißen lassen«, rief er giftig lachend, indem sein Schlachtmesser zuckend nach ihrem Busen fuhr.
»Um Gottes willen! er mordet sie,« schrie der Major, der nun wie rasend durch die Indianer brach; doch der junge Mexikaner war ihm in diesem entscheidenden Augenblick zuvorgekommen. Mit einem Satz zwischen die niederfahrende Hand des Wilden und sein Schlachtopfer springend, riß er Rosen aus den Armen Tokeahs und schleuderte ihn mit zornblitzenden Augen in die Türe hinein, daß sie in Stücke flog.
»Tokeah ist wahrhaftig eine wilde Katze,« rief er mit Abscheu, »der vergißt, daß er ein Häuptling seines Volkes, ein Vater ist, der Schande auf den Namen der roten Männer bringt. El Sol schämt sich eines solchen Vaters.«
Diese Worte, im Pawneedialekte gesprochen, hatten eine unbeschreibliche Wirkung auf den Wilden. Er hatte sich aufgerichtet, sank aber wieder wie leblos zusammen. El Sol sprang zu ihm und richtete ihn auf.
Die Milizen waren unterdessen angekommen und traten mit aufgepflanztem Bajonett ein.
»Sollen wir den Indianer ins Gefängnis führen?« fragte Leutnant Parker.
Der Major stand noch immer sprachlos, im tiefen Nachdenken seine beiden Arme um Rosa geschlungen.
»Leutnant Parker,« sprach er, »nehmen Sie einstweilen Rosen; der Allmächtige selbst hat sie beschützt, und uns geziemt es nicht, Rache zu nehmen. Aber Tokeah!« redete er diesen an, indem er nun an den noch immer am Boden liegenden Wilden herantrat und ihn mit beiden Händen erfaßte und an die Wand richtete, »Tokeah, du hast dein Leben nach unseren Gesetzen verwirkt, und der Strang wäre deine gelindeste Strafe; doch gehe nun, und zwar in dieser Stunde. Nicht uns geziemt es, an einem so entmenschten Wesen, wie du, Gerechtigkeit zu üben. Sei deiner eigenen Strafe überlassen.«
Rosa hing noch halb leblos in den Armen des Squire. Nun jedoch blickte sie um sich und erhob sich dann. »Er war mein Vater, mein unglücklicher Vater«, flehte sie, und auf ihn zueilend, schlang sie ihre beiden Arme um ihn. »Vater meiner Canondah!« bat sie, »Rosa würde dich nimmer verlassen, aber es ruft die Stimme ihres Vaters; wirst du deiner gewesenen Tochter verzeihen?«
Der Indianer gab keinen Laut von sich.
Sie sah ihn eine Weile mit tränenden Augen an, dann wandte sie sich zu El Sol, und sich sittsam ehrfurchtsvoll verneigend, nahm sie Abschied und entfernte sich mit ihren Begleitern.
Der junge Häuptling war wie träumend noch gestanden, als der Major mit Rosen und den Milizen schon weit von der Schenke waren. Plötzlich kam er jedoch nachgesprungen, und sich vor Rosa stellend, faßte er ihre Hände, drückte sie an seinen Busen und neigte sein Haupt so wehmütig, daß alle sprachlos standen. »El Sol«, flüsterte er ihr mit kaum hörbarer Stimme zu, »hat Rosen gesehen, er wird sie nie wieder vergessen.« Und dann wandte er sich, ohne sie oder jemanden anzublicken.
»Fürwahr,« sprach der Squire gerührt, »er hat Tränen vergossen, der edle Wilde.«
Dreiundvierzigstes Kapitel
Eine Stunde darauf verließen die Indianer das Bayou in demselben Kanu, in dem sie gekommen waren. Sie fuhren den Mississippi hinauf und schossen dann in die Mündung des Redrivers hinein, auf dem sie ihre Fahrt fortsetzten. Am zehnten Tage nach ihrer Abfahrt befanden sie sich, immer aufwärts steigend, auf der Hochebene, wo die westlichen Grenzen von Louisiana und Arkansas mit den östlichen Mexikos zusammenstoßen. Vor ihnen lagen die noch immer mit Schnee bedeckten Häupter der Ozarkgebirge, jenseits welcher sich ungeheure Steppen gegen die Felsengebirge oder Rockymountains dehnen. Die Sonne sank soeben hinter die Schneeberge, als sie an dem westlichen Ende des langen Tafelfelsens landeten, der, wie bekannt, am linken Ufer des roten Flusses wallartig, einem ungeheuern Würfel gleich, emporsteigt. Als sie ihr Kanu verlassen hatten, gingen sie einem Felsen zu, der sich unfern dem Ufer in der öden Salzsteppe erhebt, und in dessen Mitte sich eine Grotte befindet, einem gemauerten Gewölbe nicht unähnlich. Da schlugen sie ihr Nachtquartier auf. Dieser Felsen bildet die imaginäre Grenzlinie, die die Pawnees des Toyaslstammes, die Consas und die Osagen für ihre Jagdreviere sich gesetzt haben. Der junge Häuptling befahl den Seinigen, ein Feuer anzuzünden; denn der alte Mann, aus dem heißen Klima Louisianas gekommen, zitterte vor Kälte. Nachdem sie ihr sparsames Nachtmahl eingenommen hatten, streckte sich der alte Häuptling mit seinen Oconees vor dem Feuer nieder und entschlief. El Sol horchte noch einer Legende, die einer seiner Cumanchees erzählte, als ein ferner Laut an seine Ohren schlug. Die drei Krieger sprangen zugleich auf ihre Füße und streckten ihre Köpfe in der Richtung des Luftzuges, der den Laut an ihre Ohren brachte.
»Hunde!« murmelte der junge Cumanchee, »sie knurren gegen einen Feind, der ihnen eine Wunde schlug, wenn es in seiner Macht stand, sie zu vernichten«, und indem er die drei Schläfer aufweckte, flog er dem Ufer zu, wo sie das Kanu gelassen hatten. Er winkte dem Miko und seinen Oconees einzusteigen, während er selbst mit seinen Cumanchees an dem schmalen, längs dem Wasser sich hinabwindenden Rande fortschlich. Das Kanu war ungefähr eine halbe Meile den Strom hinabgeglitten, als es hielt und der junge Häuptling mit seinen beiden Gefährten einstieg, nachdem sie zuvor mehrere Aste und Zweige des aus den Felsenritzen aufgeschossenen Gebüsches abgebrochen hatten. Sie fuhren den Strom bis zum Ende des Tafelfelsens hinab, wo der junge Cumanchee den alten Häuptling ließ und sich mit den übrigen Wilden längs dem Felsen der Steppe zuschlich. Eine Truppe von zwanzig bis fünfundzwanzig Pferden hielt am Fuße des Felsens. Einige der Wilden waren abgesessen und untersuchten die Lagerstätte, die unsere Indianer kurz zuvor inne hatten, und indem sie die aus der Grotte führenden Fußstapfen im Mondlichte auf der Erde fortkriechend maßen und verfolgten, war es zweifelhaft, ob es wirklich Menschen oder Amphibien waren, die im nächtlichen Zeitvertreibe sich aus den wässerigen Tiefen an das Land gestohlen hatten. Die Hälfte der Wilden hielt noch immer auf ihren Pferden. Der junge Häuptling hatte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit jede Bewegung seiner Feinde beobachtet, und sein Ohr an den Felsen haltend, stand er wie eine Marmorstatue. Auf einmal jedoch winkte er seinen Gefährten, und die fünf Indianer krochen nun mit solcher Sicherheit und Behendigkeit durch die Salzsteppe an die zurückgebliebenen Wilden heran, daß auch das geübteste Ohr nicht das leiseste Geräusch zu vernehmen imstande gewesen wäre. Bloß eine sanfte Wellenhöhe trennte sie noch von ihren Feinden. El Sol horchte; einzelne Laute schlugen im Zuge des scharfen Nordwestwindes an sein Ohr. Eine Weile hielt er, dann richtete er sich auf seine Knie, sah hinauf zur silbernen Mondscheibe, die nun aus einer Schneewolke trat und die dunkeln Gestalten der Wilden in ihrem vollen Umrisse erkennen ließ. Langsam seinen Stutzen richtend, gab er seinen Gefährten ein Zeichen, und im nächsten Augenblicke stürzten fünf Wilde zu Boden. Ein fürchterliches Geheul schallte durch die Lüfte. Schnell, wie der Blitz, war der Mexikaner auf die entsetzten Feinde herangestürzt, die mit einem zweiten fürchterlichen Geheul davonsprengten. Nur der außerordentlichen Behendigkeit des jungen Häuptlings und seiner Cumanchees konnte es gelingen, ein halbes Dutzend der halbwilden Rosse zu fangen. So schnell jedoch waren ihre Bewegungen gewesen, daß die Zügel oder vielmehr Stricke der Pferde beinahe aus den Händen ihrer Feinde in die ihrigen fielen; die übrigen Tiere bäumten sich entsetzt, wieherten nochmals und brachen dann in die weite wüste Nacht der Steppe.
Die Cumanchees waren auf die Rücken der erbeuteten Pferde gesprungen und rasch dem Ufer zu gesprengt. Sie hatten aber kaum ihr Kanu bestiegen, ihre Pferde im Strome nach sich ziehend, als die Kugeln und Pfeile ihrer nachsetzenden Feinde um ihre Ohren zu pfeifen und zu schwirren begannen.
»Will mein Sohn dem Miko versprechen, ein guter Vater der Oconees zu sein?« fragte der alte Häuptling mit einer hohlen Stimme, während noch immer einzelne Kugeln an ihnen vorüberpfiffen.
»Ein Vater und ein Bruder«, versetzte der Cumanchee. »Aber warum diese Frage, mein Vater? Mein Vater wird sich lange mit seinen Kindern freuen!«
»Will El Sol es bei dem großen Geiste versprechen?« wiederholte der alte Mann dringender und in einem röchelnd hohlen Tone.
»Er will es«, erwiderte der junge Häuptling.
»Will er versprechen, Tokeah und seinen Vater inmitten der Gräber seines Volkes zu begraben? der großen Cumanchees zu begraben?«
»Er will«, sprach El Sol unwillkürlich schaudernd.
»Sie werden seinen und seines Vaters Leib denn nicht verspotten können,« stöhnte er; »aber es ist der Wille des großen Geistes, daß Tokeah die Länder der Cumanchees nicht sehen soll; er ist verdammt, auf dem Lande der Weißen zu sterben.«
Er röchelte, murmelte noch einige abgebrochene Worte in die Ohren seiner Oconees, die in das wildeste Schmerzensgeheul ausbrachen, und El Sol umfing ihn, der in Todeszuckungen noch krampfhaft den Sarg auf seine Brust drückte. Allmählich lösten sich seine Arme, und er fiel entseelt in das Kanu zurück. Eine Kugel hatte ihn zwischen Nacken und Hals durchbohrt. Das Leben war gewichen. Der junge Häuptling warf sich in stummem Schmerze auf die Leiche. Das Kanu war schon lange an dem jenseitigen Ufer, und noch immer lag er bewußtlos über den Körper hingestreckt, bis ihn endlich das leise Flüstern seiner Getreuen auf die Gefahr aufmerksam machte; dann lud er den Körper auf seine Schultern, legte ihn über den Rücken des Pferdes, sprang selbst darauf und zog so mit seinen trauernden Gefährten dem Wigwam der Pawnees des Toyaskstammes zu, wo sie am folgenden Tage, unter dem erschütternden Todesgesange der Wilden, ihren Einzug hielten.