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| bookZ.ru collection
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|  Rainer Rilke Maria
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|  Das Buch der Bilder
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   Rainer Maria Rilke
   Das Buch der Bilder


   Des ersten Buches


   Erster Teil


   Eingang


     Wer du auch seist: am Abend tritt hinaus
     aus deiner Stube, drin du alles weißt;
     als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:
     wer du auch seist.
     Mit deinen Augen, welche müde kaum
     von der verbrauchten Schwelle sich befrein,
     hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum
     und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein.
     Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß
     und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift.
     Und wie dein Wille ihren Sinn begreift,
     lassen sie deine Augen zärtlich los...



   Aus einem April


     Wieder duftet der Wald.
     Es heben die schwebenden Lerchen
     mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war;
     zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er leer war, –
     aber nach langen, regnenden Nachmittagen
     kommen die goldübersonnten
     neueren Stunden,
     vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
     alle die wunden
     Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.
     Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
     über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
     Alle Geräusche ducken sich ganz
     in die glänzenden Knospen der Reiser.



   Zwei Gedichte zu Hans Thomas sechzigstem Geburtstage


   Mondnacht


     Süddeutsche Nacht, ganz breit im reifen Monde,
     und mild wie aller Märchen Wiederkehr.
     Vom Turme fallen viele Stunden schwer
     in ihre Tiefen nieder wie ins Meer, –
     und dann ein Rauschen und ein Ruf der Ronde,
     und eine Weile bleibt das Schweigen leer;
     und eine Geige dann (Gott weiß woher)
     erwacht und sagt ganz langsam:
     Eine Blonde...



   Ritter


     Reitet der Ritter in schwarzem Stahl
     hinaus in die rauschende Welt.


     Und draußen ist Alles: der Tag und das Tal
     und der Freund und der Feind und das Mahl im Saal
     und der Mai und die Maid und der Wald und der Gral,
     und Gott ist selber vieltausendmal
     an alle Straßen gestellt.


     Doch in dem Panzer des Ritters drinnen,
     hinter den finstersten Ringen,
     hockt der Tod und muß sinnen und sinnen:
     Wann wird die Klinge springen
     über die Eisenhecke,
     die fremde befreiende Klinge,
     die mich aus meinem Verstecke
     holt, drin ich so viele
     gebückte Tage verbringe, –
     daß ich mich endlich strecke
     und spiele
     und singe.




   Mädchenmelancholie


     Mir fällt ein junger Ritter ein
     fast wie ein alter Spruch.


     Der kam.So kommt manchmal im Hain
     der große Sturm und hüllt dich ein.
     Der ging.So läßt das Benedein
     der großen Glocken dich allein
     oft mitten im Gebet...
     Dann willst du in die Stille schrein,
     und weinst doch nur ganz leis hinein
     tief in dein kühles Tuch.


     Mir fällt ein junger Ritter ein,
     der weit in Waffen geht.


     Sein Lächeln war so weich und fein:
     wie Glanz auf altem Elfenbein,
     wie Heimweh, wie ein Weihnachtsschnein
     im dunkeln Dorf, wie Türkisstein
     um den sich lauter Perlen reihn,
     wie Mondenschein
     auf einem lieben Buch.



   Von den Mädchen

 //-- I. --// 

     Andere müssen auf langen Wegen
     zu den dunklen Dichtern gehn;
     fragen immer irgendwen,
     ob er nicht einen hat singen sehn
     oder Hände auf Saiten legen.
     Nur die Mädchen fragen nicht,
     welche Brücke zu Bildern führe;
     lächeln nur, lichter als Perlenschnüre,
     die man an Schalen von Silber hält.


     Aus ihrem Leben geht jede Türe
     in einen Dichter
     und in die Welt.


 //-- II. --// 

     Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen
     das zu sagen, was ihr einsam seid;
     und sie lernen leben an euch Fernen,
     wie die Abende an großen Sternen
     sich gewöhnen an die Ewigkeit.


     Keine darf sich je dem Dichter schenken,
     wenn sein Auge auch um Frauen bat;
     denn er kann euch nur als Mädchen denken:
     das Gefühl in euren Handgelenken
     würde brechen von Brokat.


     Laßt ihn einsam sein in seinem Garten,
     wo er euch wie Ewige empfing
     auf den Wegen, die er täglich ging,
     bei den Bänken, welche schattig warten,
     und im Zimmer, wo die Laute hing.


     Geht!... es dunkelt. Seine Sinne suchen
     eure Stimme und Gestalt nicht mehr.
     Und die Wege liebt er lang und leer
     und kein Weißes unter dunklen Buchen, –
     und die stumme Stube liebt er sehr.


     ..... Eure Stimmen hört er ferne gehn
     (unter Menschen, die er müde meidet)
     und: sein zärtliches Gedenken leidet
     im Gefühle, daß euch viele sehn.



   Das Lied der Bildsäule


     Wer ist es, wer mich so liebt, daß er
     sein liebes Leben verstößt?
     Wenn einer für mich ertrinkt im Meer,
     so bin ich vom Steine zur Wiederkehr
     ins Leben, ins Leben erlöst.


     Ich sehne mich so nach dem rauschenden Blut;
     der Stein ist so still.
     Ich träume vom Leben: das Leben ist gut.
     Hat keiner den Mut,
     durch den ich erwachen will?


     Und werd ich einmal im Leben sein,
     das mir alles Goldenste giebt, –
     – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


     so werd ich allein
     weinen, weinen nach meinem Stein.
     Was hilft mir mein Blut, wenn es reift wie der Wein?
     Es kann aus dem Meer nicht den Einen schrein,
     der mich am meisten geliebt.



   Der Wahnsinn


     Sie muß immer sinnen: Ich bin... ich bin...
     Wer bist du denn, Marie?
     Eine Königin, eine Königin!
     In die Kniee vor mir, in die Knie!


     Sie muß immer weinen: Ich war... ich war...
     Wer warst du denn, Marie?
     Ein Niemandskind, ganz arm und bar,
     und ich kann dir nicht sagen wie.


     Und wurdest aus einem solchen Kind
     eine Fürstin, vor der man kniet?
     Weil die Dinge alle anders sind,
     als man sie beim Betteln sieht.


     So haben die Dinge dich groß gemacht,
     und kannst du noch sagen wann?
     Eine Nacht, eine Nacht, über eine Nacht, –
     und sie sprachen mich anders an.


     Ich trat in die Gasse hinaus und sieh:
     die ist wie mit Saiten bespannt;
     da wurde Marie Melodie, Melodie...
     und tanzte von Rand zu Rand.
     Die Leute schlichen so ängstlich hin,
     wie hart an die Häuser gepflanzt, –
     denn das darf doch nur eine Königin,
     daß sie tanzt in den Gassen: tanzt!...



   Die Liebende


     Ja ich sehne mich nach dir. Ich gleite
     mich verlierend selbst mir aus der Hand,
     ohne Hoffnung, daß ich Das bestreite,
     was zu mir kommt wie aus deiner Seite
     ernst und unbeirrt und unverwandt.


     ... jene Zeiten: O wie war ich Eines,
     nichts was rief und nichts was mich verriet;
     meine Stille war wie eines Steines,
     über den der Bach sein Murmeln zieht.


     Aber jetzt in diesen Frühlingswochen
     hat mich etwas langsam abgebrochen
     von dem unbewußten dunkeln Jahr.
     Etwas hat mein armes warmes Leben
     irgendeinem in die Hand gegeben,
     der nicht weiß was ich noch gestern war.



   Die Braut


     Ruf mich, Geliebter, ruf mich laut!
     Laß deine Braut nicht so lange am Fenster stehn.
     In den alten Platanenalleen
     wacht der Abend nicht mehr:
     sie sind leer.


     Und kommst du mich nicht in das nächtliche Haus
     mit deiner Stimme verschließen,
     so muß ich mich aus meinen Händen hinaus
     in die Gärten des Dunkelblaus
     ergießen...



   Die Stille


     Hörst du, Geliebte, ich hebe die Hände –
     hörst du: es rauscht...
     Welche Gebärde der Einsamen fände
     sich nicht von vielen Dingen belauscht?
     Hörst du, Geliebte, ich schließe die Lider,
     und auch das ist Geräusch bis zu dir.
     Hörst du, Geliebte, ich hebe sie wieder......
     ... aber warum bist du nicht hier.


     Der Abdruck meiner kleinsten Bewegung
     bleibt in der seidenen Stille sichtbar;
     unvernichtbar drückt die geringste Erregung
     in den gespannten Vorhang der Ferne sich ein.
     Auf meinen Atemzügen heben und senken
     die Sterne sich.
     Zu meinen Lippen kommen die Düfte zur Tränke,
     und ich erkenne die Handgelenke
     entfernter Engel.
     Nur die ich denke: Dich
     seh ich nicht.



   Musik


     Was spielst du, Knabe? Durch die Gärten gings
     wie viele Schritte, flüsternde Befehle.
     Was spielst du, Knabe? Siehe deine Seele
     verfing sich in den Stäben der Syrinx.


     Was lockst du sie? Der Klang ist wie ein Kerker,
     darin sie sich versäumt und sich versehnt;
     stark ist dein Leben, doch dein Lied ist stärker,
     an deine Sehnsucht schluchzend angelehnt. –


     Gieb ihr ein Schweigen, daß die Seele leise
     heimkehre in das Flutende und Viele,
     darin sie lebte, wachsend, weit und weise,
     eh du sie zwangst in deine zarten Spiele.


     Wie sie schon matter mit den Flügeln schlägt:
     so wirst du, Träumer, ihren Flug vergeuden,
     daß ihre Schwinge, vom Gesang zersägt,
     sie nicht mehr über meine Mauern trägt,
     wenn ich sie rufen werde zu den Freuden.



   Die Engel


     Sie haben alle müde Münde
     und helle Seelen ohne Saum.
     Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
     geht ihnen manchmal durch den Traum.


     Fast gleichen sie einander alle;
     in Gottes Gärten schweigen sie,
     wie viele, viele Intervalle
     in seiner Macht und Melodie.


     Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
     sind sie die Wecker eines Winds:
     als ginge Gott mit seinen weiten
     Bildhauerhänden durch die Seiten
     im dunklen Buch des Anbeginns.



   Der Schutzengel


     Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen,
     wenn ich erwachte in der Nacht und rief.
     Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen
     ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief.
     Du bist der Schatten, drin ich still entschlief,
     und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen, –
     du bist das Bild, ich aber bin der Rahmen,
     der dich ergänzt in glänzendem Relief.


     Wie nenn ich dich? Sieh, meine Lippen lahmen.
     Du bist der Anfang, der sich groß ergießt,
     ich bin das langsame und bange Amen,
     das deine Schönheit scheu beschließt.


     Du hast mich oft aus dunklem Ruhn gerissen,
     wenn mir das Schlafen wie ein Grab erschien
     und wie Verlorengehen und Entfliehn, –
     da hobst du mich aus Herzensfinsternissen
     und wolltest mich auf allen Türmen hissen
     wie Scharlachfahnen und wie Draperien.


     Du: der von Wundern redet wie vom Wissen
     und von den Menschen wie von Melodien
     und von den Rosen: von Ereignissen,
     die flammend sich in deinem Blick vollziehn, –
     du Seliger, wann nennst du einmal Ihn,
     aus dessen siebentem und letztem Tage
     noch immer Glanz auf deinem Flügelschlage
     verloren liegt...
     Befiehlst du, daß ich frage?



   Martyrinnen


     Martyrin ist sie. Und als harten Falls
     mit einem Ruck
     das Beil durch ihre kurze Jugend ging,
     da legte sich der feine rote Ring
     um ihren Hals, und war der erste Schmuck,
     den sie mit einem fremden Lächeln nahm;
     aber auch den erträgt sie nur mit Scham.
     Und wenn sie schläft, muß ihre junge Schwester
     (die, kindisch noch, sich mit der Wunde schmückt
     von jenem Stein, der ihr die Stirn erdrückt)
     die harten Arme um den Hals ihr halten,
     und oft im Traume fleht die andre: Fester, fester.
     Und da fällt es dem Kinde manchmal ein,
     die Stirne mit dem Bild von jenem Stein
     zu bergen in des sanften Nachtgewandes Falten,
     das von der Schwester Atmen hell sich hebt,
     voll wie ein Segel, das vom Winde lebt.


     Das ist die Stunde, da sie heilig sind,
     die stille Jungfrau und das blasse Kind.


     Da sind sie wieder wie vor allem Leide
     und schlafen arm und haben keinen Ruhm,
     und ihre Seelen sind wie weiße Seide,
     und von derselben Sehnsucht beben beide
     und fürchten sich vor ihrem Heldentum.


     Und du kannst meinen: wenn sie aus den Betten
     aufstünden bei dem nächsten Morgenlichte
     und, mit demselben träumenden Gesichte,
     die Gassen kämen in den kleinen Städten, –
     es bliebe keiner hinter ihnen staunen,
     kein Fenster klirrte an den Häuserreihn,
     und nirgends bei den Frauen ging ein Raunen,
     und keines von den Kindern würde schrein.
     Sie schritten durch die Stille in den Hemden
     (die flachen Falten geben keinen Glanz)
     so fremd, und dennoch keinem zum Befremden,
     so wie zu Festen, aber ohne Kranz.



   Die Heilige


     Das Volk war durstig; also ging das eine
     durstlose Mädchen, ging die Steine
     um Wasser flehen für ein ganzes Volk.
     Doch ohne Zeichen blieb der Zweig der Weide,
     und sie ermattete am langen Gehn
     und dachte endlich nur, daß einer leide,
     (ein kranker Knabe, und sie hatten beide
     sich einmal abends ahnend angesehn).
     Da neigte sich die junge Weidenrute
     in ihren Händen dürstend wie ein Tier:
     jetzt ging sie blühend über ihrem Blute,
     und rauschend ging ihr Blut tief unter ihr.



   Kindheit


     Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit
     mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen.
     O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen...
     Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen
     und auf den Plätzen die Fontänen springen
     und in den Gärten wird die Welt so weit –.
     Und durch das alles gehn im kleinen Kleid,
     ganz anders als die andern gehn und gingen –:
     O wunderliche Zeit, o Zeitverbringen,
     o Einsamkeit.


     Und in das alles fern hinauszuschauen:
     Männer und Frauen; Männer, Männer, Frauen
     und Kinder, welche anders sind und bunt;
     und da ein Haus und dann und wann ein Hund
     und Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen –:
     O Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen,
     o Tiefe ohne Grund.


     Und so zu spielen: Ball und Ring und Reifen
     in einem Garten, welcher sanft verblaßt,
     und manchmal die Erwachsenen zu streifen,
     blind und verwildert in des Haschens Hast,
     aber am Abend still, mit kleinen steifen
     Schritten nachhaus zu gehn, fest angefaßt –:
     O immer mehr entweichendes Begreifen,
     o Angst, o Last.


     Und stundenlang am großen grauen Teiche
     mit einem kleinen Segelschiff zu knien;
     es zu vergessen, weil noch andre, gleiche
     und schönere Segel durch die Ringe ziehn,
     und denken müssen an das kleine bleiche
     Gesicht, das sinkend aus dem Teiche schien –:
     O Kindheit, o entgleitende Vergleiche.
     Wohin? Wohin?



   Aus einer Kindheit


     Das Dunkeln war wie Reichtum in dem Raume,
     darin der Knabe, sehr verheimlicht, saß.
     Und als die Mutter eintrat wie im Traume,
     erzitterte im stillen Schrank ein Glas.
     Sie fühlte, wie das Zimmer sie verriet,
     und küßte ihren Knaben: Bist du hier?...
     Dann schauten beide bang nach dem Klavier,
     denn manchen Abend hatte sie ein Lied,
     darin das Kind sich seltsam tief verfing.


     Es saß sehr still. Sein großes Schauen hing
     an ihrer Hand, die ganz gebeugt vom Ringe,
     als ob sie schwer in Schneewehn ginge,
     über die weißen Tasten ging.



   Der Knabe


     Ich möchte einer werden so wie die,
     die durch die Nacht mit wilden Pferden fahren,
     mit Fackeln, die gleich aufgegangnen Haaren
     in ihres Jagens großem Winde wehn.
     Vorn möcht ich stehen wie in einem Kahne,
     groß und wie eine Fahne aufgerollt.
     Dunkel, aber mit einem Helm von Gold,
     der unruhig glänzt. Und hinter mir gereiht
     zehn Männer aus derselben Dunkelheit
     mit Helmen, die, wie meiner, unstät sind,
     bald klar wie Glas, bald dunkel, alt und blind.
     Und einer steht bei mir und bläst uns Raum
     mit der Trompete, welche blitzt und schreit,
     und bläst uns eine schwarze Einsamkeit,
     durch die wir rasen wie ein rascher Traum:
     Die Häuser fallen hinter uns ins Knie,
     die Gassen biegen sich uns schief entgegen,
     die Plätze weichen aus: wir fassen sie,
     und unsre Rosse rauschen wie ein Regen.



   Die Konfirmanden

 //-- (Paris, im Mai 1903) --// 

     In weißen Schleiern gehn die Konfirmanden
     tief in das neue Grün der Gärten ein.
     Sie haben ihre Kindheit überstanden,
     und was jetzt kommt, wird anders sein.


     O kommt es denn! Beginnt jetzt nicht die Pause,
     das Warten auf den nächsten Stundenschlag?
     Das Fest ist aus, und es wird laut im Hause,
     und trauriger vergeht der Nachmittag...


     Das war ein Aufstehn zu dem weißen Kleide
     und dann durch Gassen ein geschmücktes Gehn
     und eine Kirche, innen kühl wie Seide,
     und lange Kerzen waren wie Alleen,
     und alle Lichter schienen wie Geschmeide,
     von feierlichen Augen angesehn.


     Und es war still, als der Gesang begann:
     Wie Wolken stieg er in der Wölbung an
     und wurde hell im Niederfall; und linder
     denn Regen fiel er in die weißen Kinder.
     Und wie im Wind bewegte sich ihr Weiß,
     und wurde leise bunt in seinen Falten
     und schien verborgne Blumen zu enthalten –:
     Blumen und Vögel, Sterne und Gestalten
     aus einem alten fernen Sagenkreis.


     Und draußen war ein Tag aus Blau und Grün
     mit einem Ruf von Rot an hellen Stellen.
     Der Teich entfernte sich in kleinen Wellen,
     und mit dem Winde kam ein fernes Blühn
     und sang von Gärten draußen vor der Stadt.


     Es war, als ob die Dinge sich bekränzten,
     sie standen licht, unendlich leicht besonnt;
     ein Fühlen war in jeder Häuserfront,
     und viele Fenster gingen auf und glänzten.



   Das Abendmahl


     Sie sind versammelt, staunende Verstörte,
     um ihn, der wie ein Weiser sich beschließt
     und der sich fortnimmt denen er gehörte
     und der an ihnen fremd vorüberfließt.
     Die alte Einsamkeit kommt über ihn,
     die ihn erzog zu seinem tiefen Handeln;
     nun wird er wieder durch den Ölwald wandeln,
     und die ihn lieben werden vor ihm fliehn.


     Er hat sie zu dem letzten Tisch entboten
     und (wie ein Schuß die Vögel aus den Schoten
     scheucht) scheucht er ihre Hände aus den Broten
     mit seinem Wort: sie fliegen zu ihm her;
     sie flattern bange durch die Tafelrunde
     und suchen einen Ausgang. Aberer
     ist überall wie eine Dämmerstunde.




   Zweiter Teil


   Initiale


     Aus unendlichen Sehnsüchten steigen
     endliche Taten wie schwache Fontänen,
     die sich zeitig und zitternd neigen.
     Aber, die sich uns sonst verschweigen,
     unsere fröhlichen Kräfte – zeigen
     sich in diesen tanzenden Tränen.



   Zum Einschlafen zu sagen


     Ich möchte jemanden einsingen,
     bei jemandem sitzen und sein.
     Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
     und begleiten schlafaus und schlafein.
     Ich möchte der Einzige sein im Haus,
     der wüßte: die Nacht war kalt.
     Und möchte horchen herein und hinaus
     in dich, in die Welt, in den Wald.
     Die Uhren rufen sich schlagend an,
     und man sieht der Zeit auf den Grund.
     Und unten geht noch ein fremder Mann
     und stört einen fremden Hund.
     Dahinter wird Stille. Ich habe groß
     die Augen auf dich gelegt;
     und sie halten dich sanft und lassen dich los,
     wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.



   Menschen bei Nacht


     Die Nächte sind nicht für die Menge gemacht.
     Von deinem Nachbar trennt dich die Nacht,
     und du sollst ihn nicht suchen trotzdem.
     Und machst du nachts deine Stube licht,
     um Menschen zu schauen ins Angesicht,
     so mußt du bedenken: wem.


     Die Menschen sind furchtbar vom Licht entstellt,
     das von ihren Gesichtern träuft,
     und haben sie nachts sich zusammengesellt,
     so schaust du eine wankende Welt
     durcheinandergehäuft.
     Auf ihren Stirnen hat gelber Schein
     alle Gedanken verdrängt,
     in ihren Blicken flackert der Wein,
     an ihren Händen hängt
     die schwere Gebärde, mit der sie sich
     bei ihren Gesprächen verstehn;
     und dabei sagen sie:IchundIch
     und meinen:Irgendwen.



   Der Nachbar


     Fremde Geige, gehst du mir nach?
     In wieviel fernen Städten schon sprach
     deine einsame Nacht zu meiner?
     Spielen dich hunderte? Spielt dich einer?


     Giebt es in allen großen Städten
     solche, die sich ohne dich
     schon in den Flüssen verloren hätten?
     Und warum trifft es immer mich?


     Warum bin ich immer der Nachbar derer,
     die dich bange zwingen zu singen
     und zu sagen: Das Leben ist schwerer
     als die Schwere von allen Dingen.



   Pont du Carrousel


     Der blinde Mann, der auf der Brücke steht,
     grau wie ein Markstein namenloser Reiche,
     er ist vielleicht das Ding, das immer gleiche,
     um das von fern die Sternenstunde geht,
     und der Gestirne stiller Mittelpunkt.
     Denn alles um ihn irrt und rinnt und prunkt.


     Er ist der unbewegliche Gerechte,
     in viele wirre Wege hingestellt;
     der dunkle Eingang in die Unterwelt
     bei einem oberflächlichen Geschlechte.



   Der Einsame


     Wie einer, der auf fremden Meeren fuhr,
     so bin ich bei den ewig Einheimischen;
     die vollen Tage stehn auf ihren Tischen,
     mir aber ist die Ferne voll Figur.


     In mein Gesicht reicht eine Welt herein,
     die vielleicht unbewohnt ist wie ein Mond,
     sie aber lassen kein Gefühl allein,
     und alle ihre Worte sind bewohnt.


     Die Dinge, die ich weither mit mir nahm,
     sehn selten aus, gehalten an das Ihre –:
     in ihrer großen Heimat sind sie Tiere,
     hier halten sie den Atem an vor Scham.



   Die Aschanti

 //-- (Jardin d'Acclimatation) --// 

     Keine Vision von fremden Ländern,
     kein Gefühl von braunen Frauen, die
     tanzen aus den fallenden Gewändern.


     Keine wilde fremde Melodie.
     Keine Lieder, die vom Blute stammten,
     und kein Blut, das aus den Tiefen schrie.


     Keine braunen Mädchen, die sich samten
     breiteten in Tropenmüdigkeit;
     keine Augen, die wie Waffen flammten,
     und die Munde zum Gelächter breit.
     Und ein wunderliches Sich-verstehen
     mit der hellen Menschen Eitelkeit.


     Und mir war so bange hinzusehen.


     O wie sind die Tiere so viel treuer,
     die in Gittern auf und niedergehn,
     ohne Eintracht mit dem Treiben neuer
     fremder Dinge, die sie nicht verstehn;
     und sie brennen wie ein stilles Feuer
     leise aus und sinken in sich ein,
     teilnahmslos dem neuen Abenteuer
     und mit ihrem großen Blut allein.



   Der Letzte


     Ich habe kein Vaterhaus,
     und habe auch keines verloren;
     meine Mutter hat mich in die Welt hinaus
     geboren.
     Da steh ich nun in der Welt und geh
     in die Welt immer tiefer hinein,
     und habe mein Glück und habe mein Weh
     und habe jedes allein.
     Und bin doch manch eines Erbe.
     Mit drei Zweigen hat mein Geschlecht geblüht
     auf sieben Schlössern im Wald,
     und wurde seines Wappens müd
     und war schon viel zu alt; –
     und was sie mir ließen und was ich erwerbe
     zum alten Besitze, ist heimatlos.
     In meinen Händen, in meinem Schooß
     muß ich es halten, bis ich sterbe.
     Denn was ich fortstelle,
     hinein in die Welt,
     fällt,
     ist wie auf eine Welle
     gestellt.



   Bangnis


     Im welken Walde ist ein Vogelruf,
     der sinnlos scheint in diesem welken Walde.
     Und dennoch ruht der runde Vogelruf
     in dieser Weile, die ihn schuf,
     breit wie ein Himmel auf dem welken Walde.
     Gefügig räumt sich alles in den Schrei:
     Das ganze Land scheint lautlos drin zu liegen,
     der große Wind scheint sich hineinzuschmiegen,
     und die Minute, welche weiter will,
     ist bleich und still, als ob sie Dinge wüßte,
     an denen jeder sterben müßte,
     aus ihm herausgestiegen.



   Klage


     O wie ist alles fern
     und lange vergangen.
     Ich glaube, der Stern,
     von welchem ich Glanz empfange,
     ist seit Jahrtausenden tot.
     Ich glaube, im Boot,
     das vorüberfuhr,
     hörte ich etwas Banges sagen.
     Im Hause hat eine Uhr
     geschlagen...
     In welchem Haus?...
     Ich möchte aus meinem Herzen hinaus
     unter den großen Himmel treten.
     Ich möchte beten.
     Und einer von allen Sternen
     müßte wirklich noch sein.
     Ich glaube, ich wüßte,
     welcher allein
     gedauert hat, –
     welcher wie eine weiße Stadt
     am Ende des Strahls in den Himmeln steht...



   Einsamkeit


     Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
     Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
     von Ebenen, die fern sind und entlegen,
     geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
     Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.


     Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
     wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
     und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
     enttäuscht und traurig von einander lassen;
     und wenn die Menschen, die einander hassen,
     in einem Bett zusammen schlafen müssen:
     dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...



   Herbsttag


     Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
     Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
     und auf den Fluren laß die Winde los.


     Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
     gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
     dränge sie zur Vollendung hin und jage
     die letzte Süße in den schweren Wein.


     Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
     Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
     wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
     und wird in den Alleen hin und her
     unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.



   Erinnerung


     Und du wartest, erwartest das Eine,
     das dein Leben unendlich vermehrt;
     das Mächtige, Ungemeine,
     das Erwachen der Steine,
     Tiefen, dir zugekehrt.


     Es dämmern im Bücherständer
     die Bände in Gold und Braun;
     und du denkst an durchfahrene Länder,
     an Bilder, an die Gewänder
     wiederverlorener Fraun.


     Und da weißt du auf einmal: das war es.
     Du erhebst dich, und vor dir steht
     eines vergangenen Jahres
     Angst und Gestalt und Gebet.



   Ende des Herbstes


     Ich sehe seit einer Zeit,
     wie alles sich verwandelt.
     Etwas steht auf und handelt
     und tötet und tut Leid.


     Von Mal zu Mal sind all
     die Gärten nicht dieselben;
     von den gilbenden zu der gelben
     langsamem Verfall:
     wie war der Weg mir weit.


     Jetzt bin ich bei den leeren
     und schaue durch alle Alleen.
     Fast bis zu den fernen Meeren
     kann ich den ernsten schweren
     verwehrenden Himmel sehn.



   Herbst


     Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
     als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
     sie fallen mit verneinender Gebärde.


     Und in den Nächten fällt die schwere Erde
     aus allen Sternen in die Einsamkeit.


     Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
     Und sieh dir andre an: es ist in allen.


     Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
     unendlich sanft in seinen Händen hält.



   Am Rande der Nacht


     Meine Stube und diese Weite,
     wach über nachtendem Land, –
     ist Eines. Ich bin eine Saite,
     über rauschende breite
     Resonanzen gespannt.


     Die Dinge sind Geigenleiber,
     von murrendem Dunkel voll;
     drin träumt das Weinen der Weiber,
     drin rührt sich im Schlafe der Groll
     ganzer Geschlechter.....
     Ich soll
     silbern erzittern: dann wird
     Alles unter mir leben,
     und was in den Dingen irrt,
     wird nach dem Lichte streben,
     das von meinem tanzenden Tone,
     um welchen der Himmel wellt,
     durch schmale, schmachtende Spalten
     in die alten
     Abgründe ohne
     Ende fällt...



   Gebet


     Nacht, stille Nacht, in die verwoben sind
     ganz weiße Dinge, rote, bunte Dinge,
     verstreute Farben, die erhoben sind
     zu Einem Dunkel Einer Stille, – bringe
     doch mich auch in Beziehung zu dem Vielen,
     das du erwirbst und überredest. Spielen
     denn meine Sinne noch zu sehr mit Licht?
     Würde sich denn mein Angesicht
     noch immer störend von den Gegenständen
     abheben? Urteile nach meinen Händen:
     Liegen sie nicht wie Werkzeug da und Ding?
     Ist nicht der Ring selbst schlicht
     an meiner Hand, und liegt das Licht
     nicht ganz so, voll Vertrauen, über ihnen, –
     als ob sie Wege wären, die, beschienen,
     nicht anders sich verzweigen, als im Dunkel?...



   Fortschritt


     Und wieder rauscht mein tiefes Leben lauter,
     als ob es jetzt in breitern Ufern ginge.
     Immer verwandter werden mir die Dinge
     und alle Bilder immer angeschauter.
     Dem Namenlosen fühl ich mich vertrauter:
     Mit meinen Sinnen, wie mit Vögeln, reiche
     ich in die windigen Himmel aus der Eiche,
     und in den abgebrochnen Tag der Teiche
     sinkt, wie auf Fischen stehend, mein Gefühl.



   Vorgefühl


     Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben.
     Ich ahne die Winde, die kommen, und muß sie leben,
     während die Dinge unten sich noch nicht rühren:
     die Türen schließen noch sanft, und in den Kaminen ist Stille;
     die Fenster zittern noch nicht, und der Staub ist noch schwer.


     Da weiß ich die Stürme schon und bin erregt wie das Meer.
     Und breite mich aus und falle in mich hinein
     und werfe mich ab und bin ganz allein
     in dem großen Sturm.



   Sturm


     Wenn die Wolken, von Stürmen geschlagen,
     jagen:
     Himmel von hundert Tagen
     über einem einzigen Tag –:


     Dann fühl ich dich, Hetman, von fern
     (der du deine Kosaken gern
     zu dem größesten Herrn
     führen wolltest).
     Deinen waagrechten Nacken
     fühl ich, Mazeppa.


     Dann bin auch ich an das rasende Rennen
     eines rauchenden Rückens gebunden;
     alle Dinge sind mir verschwunden,
     nur die Himmel kann ich erkennen:


     Überdunkelt und überschienen
     lieg ich flach unter ihnen,
     wie Ebenen liegen;
     meine Augen sind offen wie Teiche,
     und in ihnen flüchtet das gleiche
     Fliegen.



   Abend in Skåne


     Der Park ist hoch. Und wie aus einem Haus
     tret ich aus seiner Dämmerung heraus
     in Ebene und Abend. In den Wind,
     denselben Wind, den auch die Wolken fühlen,
     die hellen Flüsse und die Flügelmühlen,
     die langsam mahlend stehn am Himmelsrand.
     Jetzt bin auch ich ein Ding in seiner Hand,
     das kleinste unter diesen Himmeln. – Schau:


     Ist das Ein Himmel?:
     Selig lichtes Blau,
     in das sich immer reinere Wolken drängen,
     Und drunter alle Weiß in Übergängen,
     und drüber jenes dünne, große Grau,
     warmwallend wie auf roter Untermalung,
     und über allem diese stille Strahlung
     sinkender Sonne.


     Wunderlicher Bau,
     in sich bewegt und von sich selbst gehalten,
     Gestalten bildend, Riesenflügel, Falten
     und Hochgebirge vor den ersten Sternen
     und plötzlich, da: ein Tor in solche Fernen,
     wie sie vielleicht nur Vögel kennen...



   Abend


     Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
     die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
     du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
     ein himmelfahrendes und eins, das fällt;


     und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
     nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
     nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
     wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt –


     und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
     dein Leben bang und riesenhaft und reifend,
     so daß es, bald begrenzt und bald begreifend,
     abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.



   Ernste Stunde


     Wer jetzt weint irgendwo in der Welt,
     ohne Grund weint in der Welt,
     weint über mich.


     Wer jetzt lacht irgendwo in der Nacht,
     ohne Grund lacht in der Nacht,
     lacht mich aus.


     Wer jetzt geht irgendwo in der Welt,
     ohne Grund geht in der Welt,
     geht zu mir.


     Wer jetzt stirbt irgendwo in der Welt,
     ohne Grund stirbt in der Welt:
     sieht mich an.



   Strophen


     Ist einer, der nimmt alle in die Hand,
     daß sie wie Sand durch seine Finger rinnen.
     Er wählt die schönsten aus den Königinnen
     und läßt sie sich in weißen Marmor hauen,
     still liegend in des Mantels Melodie;
     und legt die Könige zu ihren Frauen,
     gebildet aus dem gleichen Stein wie sie.


     Ist einer, der nimmt alle in die Hand,
     daß sie wie schlechte Klingen sind und brechen.
     Er ist kein Fremder, denn er wohnt im Blut,
     das unser Leben ist und rauscht und ruht.
     Ich kann nicht glauben, daß er Unrecht tut;
     doch hör ich viele Böses von ihm sprechen.





   Des zweiten Buches


   Erster Teil


   Initiale


     Gieb deine Schönheit immer hin
     ohne Rechnen und Reden.
     Du schweigst. Sie sagt für dich: Ich bin.
     Und kommt in tausendfachem Sinn,
     kommt endlich über jeden.



   Verkündigung


     Die Worte des Engels
     Du bist nicht näher an Gott als wir;
     wir sind ihm alle weit.
     Aber wunderbar sind dir
     die Hände benedeit.
     So reifen sie bei keiner Frau,
     so schimmernd aus dem Saum:
     ich bin der Tag, ich bin der Tau,
     du aber bist der Baum.


     Ich bin jetzt matt, mein Weg war weit,
     vergieb mir, ich vergaß,
     was Er, der groß in Goldgeschmeid
     wie in der Sonne saß,
     dir künden ließ, du Sinnende,
     (verwirrt hat mich der Raum).
     Sieh: ich bin das Beginnende,
     du aber bist der Baum.


     Ich spannte meine Schwingen aus
     und wurde seltsam weit;
     jetzt überfließt dein kleines Haus
     von meinem großen Kleid.
     Und dennoch bist du so allein
     wie nie und schaust mich kaum;
     das macht: ich bin ein Hauch im Hain,
     du aber bist der Baum.


     Die Engel alle bangen so,
     lassen einander los:
     noch nie war das Verlangen so,
     so ungewiß und groß.
     Vielleicht, daß Etwas bald geschieht,
     das du im Traum begreifst.
     Gegrüßt sei, meine Seele sieht:
     du bist bereit und reifst.
     Du bist ein großes, hohes Tor,
     und aufgehn wirst du bald.
     Du, meines Liedes liebstes Ohr,
     jetzt fühle ich: mein Wort verlor
     sich in dir wie im Wald.


     So kam ich und vollendete
     dir tausendeinen Traum.
     Gott sah mich an; er blendete...
     Du aber bist der Baum.



   Die heiligen drei Könige


     Legende


     Einst als am Saum der Wüsten sich
     auftat die Hand des Herrn
     wie eine Frucht, die sommerlich
     verkündet ihren Kern,
     da war ein Wunder: Fern
     erkannten und begrüßten sich
     drei Könige und ein Stern.


     Drei Könige von Unterwegs
     und der Stern Überall,
     die zogen alle (überlegs!)
     so rechts ein Rex und links ein Rex
     zu einem stillen Stall.


     Was brachten die nicht alles mit
     zum Stall von Bethlehem!
     Weithin erklirrte jeder Schritt,
     und der auf einem Rappen ritt,
     saß samten und bequem.
     Und der zu seiner Rechten ging,
     der war ein goldner Mann,
     und der zu seiner Linken fing
     mit Schwung und Schwing
     und Klang und Kling
     aus einem runden Silberding,
     das wiegend und in Ringen hing,
     ganz blau zu rauchen an.
     Da lachte der Stern Überall
     so seltsam über sie,
     und lief voraus und stand am Stall
     und sagte zu Marie:


     Da bring ich eine Wanderschaft
     aus vieler Fremde her.
     Drei Könige mitmagenkraft,
     von Gold und Topas schwer
     und dunkel, tumb und heidenhaft, –
     erschrick mir nicht zu sehr.
     Sie haben alle drei zuhaus
     zwölf Töchter, keinen Sohn,
     so bitten sie sich deinen aus
     als Sonne ihres Himmelblaus
     und Trost für ihren Thron.
     Doch mußt du nicht gleich glauben: bloß
     ein Funkelfürst und Heidenscheich
     sei deines Sohnes Los.
     Bedenk, der Weg ist groß.
     Sie wandern lange, Hirten gleich,
     inzwischen fällt ihr reifes Reich
     weiß Gott wem in den Schooß.
     Und während hier, wie Westwind warm,
     der Ochs ihr Ohr umschnaubt,
     sind sie vielleicht schon alle arm
     und so wie ohne Haupt.
     Drum mach mit deinem Lächeln licht
     die Wirrnis, die sie sind,
     und wende du dein Angesicht
     nach Aufgang und dein Kind;
     dort liegt in blauen Linien,
     was jeder dir verließ:
     Smaragda und Rubinien
     und die Tale von Türkis.



   In der Certosa


     Ein jeder aus der weißen Bruderschaft
     vertraut sich pflanzend seinem kleinen Garten.
     Auf jedem Beete steht, wer jeder sei.
     Und Einer harrt in heimlichen Hoffahrten,
     daß ihm im Mai
     die ungestümen Blüten offenbarten
     ein Bild von seiner unterdrückten Kraft.


     Und seine Hände halten, wie erschlafft,
     sein braunes Haupt, das schwer ist von den Säften,
     die ungeduldig durch das Dunkel rollen,
     und sein Gewand, das faltig, voll und wollen,
     zu seinen Füßen fließt, ist stramm gestrafft
     um seinen Armen, die, gleich starken Schäften,
     die Hände tragen, welche träumen sollen.


     Kein Miserere und kein Kyrie
     will seine junge, runde Stimme ziehn,
     vor keinem Fluche will sie fliehn:
     sie ist kein Reh.
     Sie ist ein Roß und bäumt sich im Gebiß,
     und über Hürde, Hang und Hindernis
     will sie ihn tragen, weit und weggewiß,
     ganz ohne Sattel will sie tragen ihn.


     Er aber sitzt, und unter den Gedanken
     zerbrechen fast die breiten Handgelenke,
     so schwer wird ihm der Sinn und immer schwerer.


     Der Abend kommt, der sanfte Wiederkehrer,
     ein Wind beginnt, die Wege werden leerer,
     und Schatten sammeln sich im Talgesenke.


     Und wie ein Kahn, der an der Kette schwankt,
     so wird der Garten ungewiß und hangt
     wie windgewiegt auf lauter Dämmerung.
     Wer löst ihn los?...


     Der Frate ist so jung,
     und langelang ist seine Mutter tot.
     Er weiß von ihr: sie nannten sieLa Stanca;
     sie war ein Glas, ganz zart und klar. Man bot
     es einem, der es nach dem Trunk zerschlug
     wie einen Krug.


     So ist der Vater.
     Und er hat sein Brot
     als Meister in den roten Marmorbrüchen.
     Und jede Wöchnerin in Pietrabianca
     hat Furcht, daß er des Nachts mit seinen Flüchen
     vorbei an ihrem Fenster kommt und droht.


     Sein Sohn, den er der Donna Dolorosa
     geweiht in einer Stunde wilder Not,
     sinnt im Arkadenhofe der Certosa,
     sinnt, wie umrauscht von rötlichen Gerüchen:
     denn seine Blumen blühen alle rot.



   Das jüngste Gericht


     Aus den Blättern eines Mönches


     Sie werden Alle wie aus einem Bade
     aus ihren mürben Grüften auferstehn;
     denn alle glauben an das Wiedersehn,
     und furchtbar ist ihr Glauben, ohne Gnade.


     Sprich leise, Gott! Es könnte einer meinen,
     daß die Posaune deiner Reiche rief;
     und ihrem Ton ist keine Tiefe tief:
     da steigen alle Zeiten aus den Steinen,
     und alle die Verschollenen erscheinen
     in welken Leinen, brüchigen Gebeinen
     und von der Schwere ihrer Schollen schief.
     Das wird ein wunderliches Wiederkehren
     in eine wunderliche Heimat sein;
     auch die dich niemals kannten, werden schrein
     und deine Größe wie ein Recht begehren:
     wie Brot und Wein.


     Allschauender, du kennst das wilde Bild,
     das ich in meinem Dunkel zitternd dichte.
     Durch dich kommt Alles, denn du bist das Tor, –
     und Alles war in deinem Angesichte,
     eh es in unserm sich verlor.
     Du kennst das Bild vom riesigen Gerichte:


     Ein Morgen ist es, doch aus einem Lichte,
     das deine reife Liebe nie erschuf,
     ein Rauschen ist es, nicht aus deinem Ruf,
     ein Zittern, nicht von göttlichem Verzichte,
     ein Schwanken, nicht in deinem Gleichgewichte.
     Ein Rascheln ist und ein Zusammenraffen
     in allen den geborstenen Gebäuden,
     ein Sichentgelten und ein Sichvergeuden,
     ein Sichbegatten und ein Sichbegaffen,
     und ein Betasten aller alten Freuden
     und aller Lüste welke Wiederkehr.
     Und über Kirchen, die wie Wunden klaffen,
     ziehn schwarze Vögel, die du nie erschaffen,
     in irren Zügen hin und her.


     So ringen sie, die lange Ausgeruhten,
     und packen sich mit ihren nackten Zähnen
     und werden bange, weil sie nicht mehr bluten,
     und suchen, wo die Augenbecher gähnen,
     mit kalten Fingern nach den toten Tränen.
     Und werden müde. Wenige Minuten
     nach ihrem Morgen bricht ihr Abend ein.
     Sie werden ernst und lassen sich allein
     und sind bereit, im Sturme aufzusteigen,
     wenn sich auf deiner Liebe heitrem Wein
     die dunklen Tropfen deines Zornes zeigen,
     um deinem Urteil nah zu sein.
     Und da beginnt es, nach dem großen Schrein:
     das übergroße fürchterliche Schweigen.


     Sie sitzen alle wie vor schwarzen Türen
     in einem Licht, das sie, wie mit Geschwüren,
     mit vielen grellen Flecken übersät.
     Und wachsend wird der Abend alt und spät.
     Und Nächte fallen dann in großen Stücken
     auf ihre Hände und auf ihren Rücken,
     der wankend sich mit schwarzer Last belädt.
     Sie warten lange. Ihre Schultern schwanken
     unter dem Drucke wie ein dunkles Meer,
     sie sitzen, wie versunken in Gedanken,
     und sind doch leer.
     Was stützen sie die Stirnen?
     Ihre Gehirne denken irgendwo
     tief in der Erde, eingefallen, faltig:
     Die ganze alte Erde denkt gewaltig,
     und ihre großen Bäume rauschen so.


     Allschauender, gedenkst du dieses bleichen
     Und bangen Bildes, das nicht seinesgleichen
     unter den Bildern deines Willens hat?
     Hast du nicht Angst vor dieser stummen Stadt,
     die, an dir hangend wie ein welkes Blatt,
     sich heben will zu deines Zornes Zeichen?
     O, greife allen Tagen in die Speichen,
     daß sie zu bald nicht diesem Ende nahen, –
     vielleicht gelingt es dir noch auszuweichen
     dem großen Schweigen, das wir beide sahen.
     Vielleicht kannst du noch einen aus uns heben,
     der diesem fürchterlichen Wiederleben
     den Sinn, die Sehnsucht und die Seele nimmt,
     einen, der bis in seinen Grund ergrimmt
     und dennoch froh, durch alle Dinge schwimmt,
     der Kräfte unbekümmerter Verbraucher,
     der sich auf allen Saiten geigt
     und unversehrt als unerkannter Taucher
     in alle Tode niedersteigt.
     ..... Oder, wie hoffst du diesen Tag zu tragen,
     der länger ist als aller Tage Längen,
     mit seines Schweigens schrecklichen Gesängen,
     wenn dann die Engel dich, wie lauter Fragen,
     mit ihrem schauerlichen Flügelschlagen
     umdrängen?
     Sieh, wie sie zitternd in den Schwingen hängen
     und dir mit hunderttausend Augen klagen,
     und ihres sanften Liedes Stimmen wagen
     sich aus den vielen wirren Übergängen
     nicht mehr zu heben zu den klaren Klängen.
     Und wenn die Greise mit den breiten Bärten,
     die dich berieten bei den besten Siegen,
     nur leise ihre weißen Häupter wiegen,
     und wenn die Frauen, die den Sohn dir nährten,
     und die von ihm Verführten, die Gefährten,
     und alle Jungfraun, die sich ihm gewährten:
     die lichten Birken deiner dunklen Gärten, –
     wer soll dir helfen, wenn sie alle schwiegen?


     Und nur dein Sohn erhübe sich unter denen,
     welche sitzen um deinen Thron.
     Grübe sich deine Stimme dann in sein Herz?
     Sagte dein einsamer Schmerz dann:
     Sohn!
     Suchtest du dann das Angesicht
     dessen, der das Gericht gerufen,
     dein Gericht und deinen Thron:
     Sohn!
     Hießest du, Vater, dann deinen Erben,
     leise begleitet von Magdalenen,
     niedersteigen zu jenen,
     die sich sehnen, wieder zu sterben?


     Das wäre dein letzter Königserlaß,
     die letzte Huld und der letzte Haß.
     Aber dann käme Alles zu Ruh:
     der Himmel und das Gericht und du.
     Alle Gewänder des Rätsels der Welt,
     das sich so lange verschleiert hält,
     fallen mit dieser Spange.
     .... Doch mir ist bange....


     Allschauender, sieh, wie mir bange ist,
     miß meine Qual!
     Mir ist bange, daß du schon lange vergangen bist.
     Als du zum erstenmal
     in deinem Alleserfassen
     das Bild dieses blassen
     Gerichtes sahst,
     dem du dich hülflos nahst, Allschauender.
     Bist du damals entflohn?
     Wohin?
     Vertrauender
     kann keiner dir kommen
     als ich,
     der ich dich
     nicht um Lohn
     verraten will wie alle die Frommen.
     Ich will nur, weil ich verborgen bin
     und müde wie du, noch müder vielleicht,
     und weil meine Angst vor dem großen Gericht
     deiner gleicht,
     will ich mich dicht,
     Gesicht bei Gesicht,
     an dich heften;
     mit einigen Kräften
     werden wir wehren dem großen Rade,
     über welches die mächtigen Wasser gehn,
     die rauschen und schnauben –
     denn: wehe, sie werden auferstehn.
     So ist ihr Glauben: groß und ohne Gnade.



   Karl der zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine


     Könige in Legenden
     sind wie Berge im Abend. Blenden
     jeden, zu dem sie sich wenden.
     Die Gürtel um ihre Lenden
     und die lastenden Mantelenden
     sind Länder und Leben wert.
     Mit den reichgekleideten Händen
     geht, schlank und nackt, das Schwert.


     Ein junger König aus Norden war
     in der Ukraine geschlagen.
     Der haßte Frühling und Frauenhaar
     und die Harfen und was sie sagen.
     Der ritt auf einem grauen Pferd,
     sein Auge schaute grau
     und hatte niemals Glanz begehrt
     zu Füßen einer Frau.
     Keine war seinem Blicke blond,
     keine hat küssen ihn gekonnt;
     und wenn er zornig war,
     so riß er einen Perlenmond
     aus wunderschönem Haar.
     Und wenn ihn Trauer überkam,
     so machte er ein Mädchen zahm
     und forschte, wessen Ring sie nahm
     und wem sie ihren bot –
     und: hetzte ihr den Bräutigam
     mit hundert Hunden tot.


     Und er verließ sein graues Land,
     das ohne Stimme war,
     und ritt in einen Widerstand
     und kämpfte um Gefahr,
     bis ihn das Wunder überwand:
     wie träumend ging ihm seine Hand
     von Eisenband zu Eisenband
     und war kein Schwert darin;
     er war zum Schauen aufgewacht:
     es schmeichelte die schöne Schlacht
     um seinen Eigensinn.
     Er saß zu Pferde: ihm entging
     keine Gebärde rings.
     Auf Silber sprach jetzt Ring zu Ring,
     und Stimme war in jedem Ding,
     und wie in vielen Glocken hing
     die Seele jedes Dings.
     Und auch der Wind war anders groß,
     der in die Fahnen sprang,
     schlank wie ein Panther, atemlos
     und taumelnd vom Trompetenstoß,
     der lachend mit ihm rang.
     Und manchmal griff der Wind hinab:
     da ging ein Blutender, – ein Knab,
     welcher die Trommel schlug;
     er trug sie immer auf und ab
     und trug sie wie sein Herz ins Grab
     vor seinem toten Zug.
     Da wurde mancher Berg geballt,
     als wär die Erde noch nicht alt
     und baute sich erst auf;
     bald stand das Eisen wie Basalt,
     bald schwankte wie ein Abendwald
     mit breiter steigender Gestalt
     der großbewegte Hauf.
     Es dampfte dumpf die Dunkelheit,
     was dunkelte war nicht die Zeit, –
     und alles wurde grau,
     aber schon fiel ein neues Scheit,
     und wieder ward die Flamme breit
     und festlich angefacht.
     Sie griffen an: in fremder Tracht
     ein Schwarm phantastischer Provinzen;
     wie alles Eisen plötzlich lacht:
     von einem silberlichten Prinzen
     erschimmerte die Abendschlacht.
     Die Fahnen flatterten wie Freuden,
     und Alle hatten königlich
     in ihren Gesten ein Vergeuden, –
     an fernen flammenden Gebäuden
     entzündeten die Sterne sich...


     Und Nacht war. Und die Schlacht trat sachte
     zurück wie ein sehr müdes Meer,
     das viele fremde Tote brachte,
     und alle Toten waren schwer.
     Vorsichtig ging das graue Pferd
     (von großen Fäusten abgewehrt)
     durch Männer, welche fremd verstarben,
     und trat auf flaches, schwarzes Gras.
     Der auf dem grauen Pferde saß,
     sah unten auf den feuchten Farben
     viel Silber wie zerschelltes Glas.
     Sah Eisen welken, Helme trinken
     und Schwerter stehn in Panzernaht,
     sterbende Hände sah er winken
     mit einem Fetzen von Brokat...
     Und sah es nicht.


     Und ritt dem Lärme
     der Feldschlacht nach, als ob er schwärme,
     mit seinen Wangen voller Wärme
     und mit den Augen von Verliebten...



   Der Sohn


     Mein Vater war ein verbannter
     König von überm Meer.
     Ihm kam einmal ein Gesandter:
     sein Mantel war ein Panther,
     und sein Schwert war schwer.


     Mein Vater war wie immer
     ohne Helm und Hermelin;
     es dunkelte das Zimmer
     wie immer arm um ihn.
     Es zitterten seine Hände
     und waren blaß und leer, –
     in bilderlose Wände
     blicklos schaute er.


     Die Mutter ging im Garten
     und wandelte weiß im Grün,
     und wollte den Wind erwarten
     vor dem Abendglühn.
     Ich träumte, sie würde mich rufen,
     aber sie ging allein, –
     ließ mich vom Rande der Stufen
     horchen verhallenden Hufen
     und ins Haus hinein:


     Vater! Der fremde Gesandte...?
     Der reitet wieder im Wind...
     Was wollte der? Er erkannte
     dein blondes Haar, mein Kind.
     Vater! Wie war er gekleidet!
     Wie der Mantel von ihm floß!
     Geschmiedet und geschmeidet
     war Schulter, Brust und Roß.
     Er war eine Stimme im Stahle,
     er war ein Mann aus Nacht, –
     aber er hat eine schmale
     Krone mitgebracht.
     Sie klang bei jedem Schritte
     an sein sehr schweres Schwert,
     die Perle in ihrer Mitte
     ist viele Leben wert.
     Vom zornigen Ergreifen
     verbogen ist der Reifen,
     der oft gefallen war:
     es ist eine Kinderkrone, –
     denn Könige sind ohne;
     – gieb sie meinem Haar!
     Ich will sie manchmal tragen
     in Nächten, blaß vor Scham.
     Und will dir, Vater, sagen,
     woher der Gesandte kam.
     Was dort die Dinge gelten,
     ob steinern steht die Stadt,
     oder ob man in Zelten
     mich erwartet hat.


     Mein Vater war ein Gekränkter
     und kannte nur wenig Ruh.
     Er hörte mir mit verhängter
     Stirne nächtelang zu.
     Mir lag im Haar der Ring.
     Und ich sprach ganz nahe und sachte,
     daß die Mutter nicht erwachte, –
     die an dasselbe dachte,
     wenn sie, ganz weiß gelassen,
     vor abendlichen Massen
     durch dunkle Garten ging.


     ... So wurden wir verträumte Geiger,
     die leise aus den Türen treten,
     um auszuschauen, eh sie beten,
     ob nicht ein Nachbar sie belauscht.
     Die erst, wenn alle sich zerstreuten,
     hinter dem letzten Abendläuten,
     die Lieder spielen, hinter denen
     (wie Wald im Wind hinter Fontänen)
     der dunkle Geigenkasten rauscht.
     Denn dann nur sind die Stimmen gut,
     wenn Schweigsamkeiten sie begleiten,
     wenn hinter dem Gespräch der Saiten
     Geräusche bleiben wie von Blut;
     und bang und sinnlos sind die Zeiten,
     wenn hinter ihren Eitelkeiten
     nicht etwas waltet, welches ruht.


     Geduld: es kreist der leise Zeiger,
     und was verheißen ward, wird sein:
     Wir sind die Flüstrer vor dem Schweiger,
     wir sind die Wiesen vor dem Hain;
     in ihnen geht noch dunkles Summen –
     (viel Stimmen sind und doch kein Chor)
     und sie bereiten auf die stummen
     tiefen heiligen Haine vor...



   Die Zaren

 //-- Ein Gedicht-Kreis (1899 und 1906) --// 


 //-- I. --// 

     Das war in Tagen, da die Berge kamen:
     die Bäume bäumten sich, die noch nicht zahmen,
     und rauschend in die Rüstung stieg der Strom.
     Zwei fremde Pilger riefen einen Namen,
     und aufgewacht aus seinem langen Lahmen
     war Ilija, der Riese von Murom.


     Die alten Eltern brachen in den Äckern
     an Steinen ab und an dem wilden Wuchs;
     da kam der Sohn, ganz groß, von seinen Weckern
     und zwang die Furchen in die Furcht des Pflugs.
     Er hob die Stämme, die wie Streiter standen,
     und lachte ihres wankenden Gewichts,
     und aufgestört wie schwarze Schlangen wanden
     die Wurzeln, welche nur das Dunkel kannten,
     sich in dem breiten Griff des Lichts.


     Es stärkte sich im frühen Tau die Mähre,
     in deren Adern Kraft und Adel schlief;
     sie reifte unter ihres Reiters Schwere,
     ihr Wiehern war wie eine Stimme tief, –
     und beide fühlten, wie das Ungefähre
     sie mit verheißenden Gefahren rief.


     Und reiten, reiten... vielleicht tausend Jahre.
     Wer zählt die Zeit, wenn einmal Einer will.
     (Vielleicht saß er auch tausend Jahre still.)
     Das Wirkliche ist wie das Wunderbare:
     es mißt die Welt mit eigenmächtigen Maßen;
     Jahrtausende sind ihm zu jung.


     Weit schreiten werden, welche lange saßen
     in ihrer tiefen Dämmerung.


 //-- II. --// 


     Noch drohen große Vögel allenthalben,
     und Drachen glühn und hüten überall
     der Wälder Wunder und der Schluchten Fall;
     und Knaben wachsen an, und Männer salben
     sich zu dem Kampfe mit der Nachtigall,


     die oben in den Kronen von neun Eichen
     sich lagert wie ein tausendfaches Tier,
     und abends geht ein Schreien ohnegleichen,
     ein schreiendes Bis-an-das-Ende-Reichen,
     und geht die ganze Nacht lang aus von ihr;


     die Frühlingsnacht, die schrecklicher als alles
     und schwerer war und banger zu bestehn:
     ringsum kein Zeichen eines Überfalles
     und dennoch alles voller Übergehn,
     hinwerfend sich und Stück für Stück sich gebend,
     ja jenes Etwas, welches um sich griff;
     anrufend noch, am ganzen Leibe bebend
     und darin untergehend wie ein Schiff.


     Das waren Überstarke, die da blieben,
     von diesem Riesigen nicht aufgerieben,
     das aus den Kehlen wie aus Kratern brach;
     sie dauerten, und alternd nach und nach
     begriffen sie die Bangnis der Aprile,
     und ihre ruhigen Hände hielten viele
     und führten sie durch Furcht und Ungemach
     zu Tagen, da sie froher und gesünder
     die Mauern bauten um die Städtegründer,
     die über allem gut und kundig saßen.


     Und schließlich kamen auf den ersten Straßen
     aus Höhlen und verhaßten Hinterhalten
     die Tiere, die für unerbittlich galten.
     Sie stiegen still aus ihren Übermaßen
     (beschämte und veraltete Gewalten)
     und legten sich gehorsam vor die Alten.


 //-- III. --// 

     Seine Diener füttern mit mehr und mehr
     ein Rudel von jenen wilden Gerüchten,
     die auch noch Er sind, alles noch Er.
     Seine Günstlinge flüchten vor ihm her.


     Und seine Frauen flüstern und stiften
     Bünde. Und er hört sie ganz innen
     in ihren Gemächern mit Dienerinnen,
     die sich scheu umsehn, sprechen von Giften.


     Alle Wände sind hohl von Schränken und Fächern,
     Mörder ducken unter den Dächern
     und spielen Mönche mit viel Geschick.


     Und er hat nichts als einen Blick
     dann und wann; als den leisen
     Schritt auf den Treppen die kreisen;
     nichts als das Eisen an seinem Stock.


     Nichts als den dürftigen Büßerrock
     (durch den die Kälte aus den Fliesen
     an ihm hinaufkriecht wie mit Krallen)
     nichts, was er zu rufen wagt,
     nichts als die Angst vor allen diesen,
     nichts als die tägliche Angst vor Allen,
     die ihn jagt durch diese gejagten
     Gesichter, an dunklen ungefragten
     vielleicht schuldigen Händen entlang.


     Manchmal packt er Einen im Gang
     grade noch an des Mantels Falten,
     und er zerrt ihn zornig her;
     aber im Fenster weiß er nicht mehr:
     wer ist Haltender? Wer ist gehalten?
     Wer bin ich und wer ist der?


 //-- IV. --// 

     Es ist die Stunde, da das Reich sich eitel
     in seines Glanzes vielen Spiegeln sieht.


     Der blasse Zar, des Stammes letztes Glied,
     träumt auf dem Thron, davor das Fest geschieht,
     und leise zittert sein beschämter Scheitel
     und seine Hand, die vor den Purpurlehnen
     mit einem unbestimmten Sehnen
     ins wirre Ungewisse flieht.


     Und um sein Schweigen neigen sich Bojaren
     in blanken Panzern und in Pantherfellen,
     wie viele fremde fürstliche Gefahren,
     die ihn mit stummer Ungeduld umstellen.
     Tief in den Saal schlägt ihre Ehrfurcht Wellen.


     Und sie gedenken eines andern Zaren,
     der oft mit Worten, die aus Wahnsinn waren,
     ihnen die Stirnen an die Steine stieß.
     Und denken also weiter: jener ließ
     nicht so viel Raum, wenn er zu Throne saß,
     auf dem verwelkten Samt des Kissens leer.


     Er war der Dinge dunkles Maß,
     und die Bojaren wußten lang nicht mehr,
     daß rot der Sitz des Sessels sei, so schwer
     lag sein Gewand und wurde golden breit.


     Und weiter denken sie: das Kaiserkleid
     schläft auf den Schultern dieses Knaben ein.
     Obgleich im ganzen Saal die Fackeln flacken,
     sind bleich die Perlen, die in sieben Reihn,
     wie weiße Kinder, knien um seinen Nacken,
     und die Rubine an den Ärmelzacken,
     die einst Pokale waren, klar von Wein,
     sind schwarz wie Schlacken –


     Und ihr Denken schwillt.


     Es drängt sich heftig an den blassen Kaiser,
     auf dessen Haupt die Krone immer leiser
     und dem der Wille immer fremder wird;
     er lächelt. Lauter prüfen ihn die Preiser,
     ihr Neigen nähert sich, sie schmeicheln heiser. –
     und eine Klinge hat im Traum geklirrt.


 //-- V. --// 

     Der blasse Zar wird nicht am Schwerte sterben,
     die fremde Sehnsucht macht ihn sakrosankt;
     er wird die feierlichen Reiche erben,
     an denen seine sanfte Seele krankt.


     Schon jetzt, hintretend an ein Kremlfenster,
     sieht er ein Moskau, weißer, unbegrenzter,
     in seine endlich fertige Nacht gewebt;
     so wie es ist im ersten Frühlingswirken,
     wenn in den Gassen der Geruch aus Birken
     von lauter Morgenglocken bebt.


     Die großen Glocken, die so herrisch lauten,
     sind seine Väter, jene ersten Zaren,
     die sich noch vor den Tagen der Tataren
     aus Sagen, Abenteuern und Gefahren,
     aus Zorn und Demut zögernd auferbauten.


     Und er begreift auf einmal, wer sie waren,
     und daß sie oft um ihres Dunkels Sinn
     inseineeignen Tiefen niedertauchten
     und ihn, den Leisesten von den Erlauchten,
     in ihren Taten groß und fromm verbrauchten
     schon lang vor seinem Anbeginn.


     Und eine Dankbarkeit kommt über ihn,
     daß sie ihn so verschwenderisch vergeben
     an aller Dinge Durst und Drang.
     Er war die Kraft zu ihrem Überschwang,
     der goldne Grund, vor dem ihr breites Leben
     geheimnisvoll zu dunkeln schien.


     In allen ihren Werken schaut ersich,
     wie eingelegtes Silber in Zieraten,
     und es giebt keine Tat in ihren Taten,
     die nicht auchwarin seinen stillen Staaten,
     in denen alles Handelns Rot verblich.


 //-- VI. --// 

     Noch immer schauen in den Silberplatten
     wie tiefe Frauenaugen die Saphire,
     Goldranken schlingen sich wie schlanke Tiere,
     die sich im Glanze ihrer Brünste gatten,
     und sanfte Perlen warten in dem Schatten
     wilder Gebilde, daß ein Schimmer ihre
     stillen Gesichter finde und verliere.
     Und das ist Mantel, Strahlenkranz und Land,
     und ein Bewegen geht von Rand zu Rand,
     wie Korn im Wind und wie ein Fluß im Tale,
     so glänzt es wechselnd durch die Rahmenwand.


     In ihrer Sonne dunkeln drei Ovale:
     das große giebt dem Mutterantlitz Raum,
     und rechts und links hebt eine mandelschmale
     Jungfrauenhand sich aus dem Silbersaum.
     Die beiden Hände, seltsam still und braun,
     verkünden, daß im köstlichen Ikone
     die Königliche wie im Kloster wohne,
     die überfließen wird von jenem Sohne,
     von jenem Tropfen, drinnen wolkenohne
     die niegehofften Himmel blaun.


     Die Hände zeugen noch dafür;
     aber das Antlitz ist wie eine Tür
     in warme Dämmerungen aufgegangen,
     in die das Lächeln von den Gnadenwangen
     mit seinem Lichte irrend, sich verlor.
     Da neigt sich tief der Zar davor und spricht:


     Fühltest Du nicht, wie sehr wir in Dich drangen
     mit allem Fühlen, Fürchten und Verlangen:
     wir warten auf Dein liebes Angesicht,
     das uns vergangen ist; wohin vergangen?:


     Den großen Heiligen vergeht es nicht.


     Er bebte tief in seinem steifen Kleid,
     das strahlend stand. Er wußte nicht, wie weit
     er schon von allem war, und ihrem Segnen
     wie selig nah in seiner Einsamkeit.


     Noch sinnt und sinnt der blasse Gossudar.
     Und sein Gesicht, das unterm kranken Haar
     schon lange tief und wie im Fortgehn war,
     verging, wie jenes in dem Goldovale,
     in seinem großen goldenen Talar.


     (Um ihrem Angesichte zu begegnen.)


     Zwei Goldgewänder schimmerten im Saale



   Der Sänger singt vor einem Fürstenkind


     Dem Andenken von Paula Becker-Modersohn


     Du blasses Kind, an jedem Abend soll
     der Sänger dunkel stehn bei deinen Dingen
     und soll dir Sagen, die im Blute klingen,
     über die Brücke seiner Stimme bringen
     und eine Harfe, seiner Hände voll.


     Nicht aus der Zeit ist, was er dir erzählt,
     gehoben ist es wie aus Wandgeweben;
     solche Gestalten hat es nie gegeben, –
     und Niegewesenes nennt er das Leben.
     Und heute hat er diesen Sang erwählt:


     Du blondes Kind von Fürsten und aus Frauen,
     die einsam warteten im weißen Saal, –
     fast alle waren bang, dich aufzubauen,
     um aus den Bildern einst auf dich zu schauen:
     auf deine Augen mit den ernsten Brauen,
     auf deine Hände, hell und schmal.


     Du hast von ihnen Perlen und Türkisen,
     von diesen Frauen, die in Bildern stehn
     als stünden sie allein in Abendwiesen, –
     du hast von ihnen Perlen und Türkisen
     und Ringe mit verdunkelten Devisen
     und Seiden, welche welke Düfte wehn.


     Du trägst die Gemmen ihrer Gürtelbänder
     ans hohe Fenster in den Glanz der Stunden,
     und in die Seide sanfter Brautgewänder
     sind deine kleinen Bücher eingebunden,
     und drinnen hast du, mächtig über Länder,
     ganz groß geschrieben und mit reichen, runden
     Buchstaben deinen Namen vorgefunden.


     Und alles ist, als wär es schon geschehn.


     Sie haben so, als ob du nicht mehr kämst,
     an alle Becher ihren Mund gesetzt,
     zu allen Freuden ihr Gefühl gehetzt
     und keinem Leide leidlos zugesehn;
     so daß du jetzt
     stehst und dich schämst.


     ... Du blasses Kind, dein Leben ist auch eines, –
     der Sänger kommt dir sagen, daß du bist.
     Und daß du mehr bist als ein Traum des Haines,
     mehr als die Seligkeit des Sonnenscheines,
     den mancher graue Tag vergißt.
     Dein Leben ist so unaussprechlich Deines,
     weil es von vielen überladen ist.


     Empfindest du, wie die Vergangenheiten
     leicht werden, wenn du eine Weile lebst,
     wie sie dich sanft auf Wunder vorbereiten,
     jedes Gefühl mit Bildern dir begleiten, –
     und nur ein Zeichen scheinen ganze Zeiten
     für eine Geste, die du schön erhebst. –


     Das ist der Sinn von allem, was einst war,
     daß es nicht bleibt mit seiner ganzen Schwere,
     daß es zu unserm Wesen wiederkehre,
     in uns verwoben, tief und wunderbar:


     So waren diese Frauen elfenbeinern,
     von vielen Rosen rötlich angeschienen,
     so dunkelten die müden Königsmienen,
     so wurden fahle Fürstenmunde steinern
     und unbewegt von Waisen und von Weinern,
     so klangen Knaben an wie Violinen
     und starben für der Frauen schweres Haar;
     so gingen Jungfraun der Madonna dienen,
     denen die Welt verworren war.
     So wurden Lauten laut und Mandolinen,
     in die ein Unbekannter größer griff, –
     in warmen Samt verlief der Dolche Schliff, –
     Schicksale bauten sich aus Glück und Glauben,
     Abschiede schluchzten auf in Abendlauben, –
     und über hundert schwarzen Eisenhauben
     schwankte die Feldschlacht wie ein Schiff.
     So wurden Städte langsam groß und fielen
     in sich zurück wie Wellen eines Meeres,
     so drängte sich zu hochbelohnten Zielen
     die rasche Vogelkraft des Eisenspeeres,
     so schmückten Kinder sich zu Gartenspielen, –
     und so geschah Unwichtiges und Schweres,
     nur, um für dieses tägliche Erleben
     dir tausend große Gleichnisse zu geben,
     an denen du gewaltig wachsen kannst.


     Vergangenheiten sind dir eingepflanzt,
     um sich aus dir, wie Gärten, zu erheben.


     Du blasses Kind, du machst den Sänger reich
     mit deinem Schicksal, das sich singen läßt:
     so spiegelt sich ein großes Gartenfest
     mit vielen Lichtern im erstaunten Teich.
     Im dunklen Dichter wiederholt sich still
     ein jedes Ding: ein Stern, ein Haus, ein Wald.
     Und viele Dinge, die er feiern will,
     umstehen deine rührende Gestalt.



   Die aus dem Hause Colonna


     Ihr fremden Männer, die ihr jetzt so still
     in Bildern steht, ihr saßet gut zu Pferde
     und ungeduldig gingt ihr durch das Haus;
     wie ein schöner Hund, mit derselben Gebärde
     ruhn eure Hände jetzt bei euch aus.


     Euer Gesicht ist so voll von Schauen,
     denn die Welt war euch Bild und Bild;
     aus Waffen, Fahnen, Früchten und Frauen
     quillt euch dieses große Vertrauen,
     daß allesistund daß allesgilt.


     Aber damals, als ihr noch zu jung
     wart, die großen Schlachten zu schlagen,
     zu jung, um den päpstlichen Purpur zu tragen,
     nicht immer glücklich bei Reiten und Jagen,
     Knaben noch, die sich den Frauen versagen,
     habt ihr aus jenen Knabentagen
     keine, nicht eine Erinnerung?


     Wißt ihr nicht mehr, was damals war?


     Damals war der Altar
     mit dem Bilde, auf dem Maria gebar,
     in dem einsamen Seitenschiff.
     Euch ergriff
     eine Blumenranke;
     der Gedanke,
     daß die Fontäne allein
     draußen im Garten in Mondenschein
     ihre Wasser warf,
     war wie eine Welt.


     Das Fenster ging bis zu den Füßen auf wie eine Tür;
     und es war Park mit Wiesen und Wegen:
     seltsam nah und doch so entlegen,
     seltsam hell und doch wie verborgen,
     und die Brunnen rauschten wie Regen,
     und es war, als käme kein Morgen
     dieser langen Nacht entgegen,
     die mit allen Sternen stand.


     Damals wuchs euch, Knaben, die Hand,
     die warm war. (Ihr aber wußtet es nicht.)
     Damals breitete euer Gesicht sich aus.




   Zweiter Teil


   Fragmente aus verlorenen Tagen


     ....Wie Vögel, welche sich gewöhnt ans Gehn
     und immer schwerer werden, wie im Fallen:
     die Erde saugt aus ihren langen Krallen
     die mutige Erinnerung von allen
     den großen Dingen, welche hoch geschehn,
     und macht sie fast zu Blättern, die sich dicht
     am Boden halten, –
     wie Gewächse, die,
     kaum aufwärts wachsend, in die Erde kriechen,
     in schwarzen Schollen unlebendig licht
     und weich und feucht versinken und versiechen, –
     wie irre Kinder, – wie ein Angesicht
     in einem Sarg, – wie frohe Hände, welche
     unschlüssig werden, weil im vollen Kelche
     sich Dinge spiegeln, die nicht nahe sind, –
     wie Hülferufe, die im Abendwind
     begegnen vielen dunklen großen Glocken, –
     wie Zimmerblumen, die seit Tagen trocken,
     wie Gassen, die verrufen sind, – wie Locken,
     darinnen Edelsteine blind geworden sind, –
     wie Morgen im April
     vor allen vielen Fenstern des Spitales:
     die Kranken drängen sich am Saum des Saales
     und schaun: die Gnade eines frühen Strahles
     macht alle Gassen frühlinglich und weit;
     sie sehen nur die helle Herrlichkeit,
     welche die Häuser jung und lachend macht,
     und wissen nicht, daß schon die ganze Nacht
     ein Sturm die Kleider von den Himmeln reißt,
     ein Sturm von Wassern, wo die Welt noch eist,
     ein Sturm, der jetzt noch durch die Gassen braust
     und der den Dingen alle Bürde
     von ihren Schultern nimmt, –
     daß Etwas draußen groß ist und ergrimmt,
     daß draußen die Gewalt geht, eine Faust,
     die jeden von den Kranken würgen würde
     inmitten dieses Glanzes, dem sie glauben. –
     ...... Wie lange Nächte in verwelkten Lauben,
     die schon zerrissen sind auf allen Seiten
     und viel zu weit, um noch mit einem Zweiten,
     den man sehr liebt, zusammen drin zu weinen, –
     wie nackte Mädchen, kommend über Steine,
     wie Trunkene in einem Birkenhaine, –
     wie Worte, welche nichts Bestimmtes meinen
     und dennoch gehn, ins Ohr hineingehn, weiter
     ins Hirn und heimlich auf der Nervenleiter
     durch alle Glieder Sprung um Sprung versuchen, –
     wie Greise, welche ihr Geschlecht verfluchen
     und dann versterben, so daß keiner je
     abwenden könnte das verhängte Weh,
     wie volle Rosen, künstlich aufgezogen
     im blauen Treibhaus, wo die Lüfte logen,
     und dann vom Übermut in großem Bogen
     hinausgestreut in den verwehten Schnee, –
     wie eine Erde, die nicht kreisen kann,
     weil zuviel Tote ihr Gefühl beschweren,
     wie ein erschlagener verscharrter Mann,
     dem sich die Hände gegen Wurzeln wehren, –
     wie eine von den hohen, schlanken, roten
     Hochsommerblumen, welche unerlöst
     ganz plötzlich stirbt im Lieblingswind der Wiesen,
     weil ihre Wurzel unten an Türkisen
     im Ohrgehänge einer Toten
     stößt....


     Und mancher Tage Stunden waren so.
     Als formte wer mein Abbild irgendwo,
     um es mit Nadeln langsam zu mißhandeln.
     Ich spürte jede Spitze seiner Spiele,
     und war, als ob ein Regen auf mich fiele,
     in welchem alle Dinge sich verwandeln.



   Die Stimmen

 //-- Neun Blätter mit einem Titelblatt --// 

 //-- Titelblatt --// 

     Die Reichen und Glücklichen haben gut schweigen,
     niemand will wissen was sie sind.
     Aber die Dürftigen müssen sich zeigen,
     müssen sagen: ich bin blind
     oder: ich bin im Begriff es zu werden
     oder: es geht mir nicht gut auf Erden
     oder: ich habe ein krankes Kind
     oder: da bin ich zusammengefügt...


     Und vielleicht, daß das gar nicht genügt.


     Und weil alle sonst, wie an Dingen,
     an ihnen vorbeigehn, müssen sie singen.


     Und da hört man noch guten Gesang.


     Freilich die Menschen sind seltsam; sie hören
     lieber Kastraten in Knabenchören.


     Aber Gott selber kommt und bleibt lang
     wenn ihndieseBeschnittenen stören.


 //-- Das Lied des Bettlers --// 

     Ich gehe immer von Tor zu Tor,
     verregnet und verbrannt;
     auf einmal leg ich mein rechtes Ohr
     in meine rechte Hand.
     Dann kommt mir meine Stimme vor
     als hätt ich sie nie gekannt.


     Dann weiß ich nicht sicher wer da schreit,
     ich oder irgendwer.
     Ich schreie um eine Kleinigkeit.
     Die Dichter schrein um mehr.


     Und endlich mach ich noch mein Gesicht
     mit beiden Augen zu;
     wie's dann in der Hand liegt mit seinem Gewicht
     sieht es fast aus wie Ruh.
     Damit sie nicht meinen ich hätte nicht,
     wohin ich mein Haupt tu.


 //-- Das Lied des Blinden --// 

     Ich bin blind, ihr draußen, das ist ein Fluch,
     ein Widerwillen, ein Widerspruch,
     etwas täglich Schweres.
     Ich leg meine Hand auf den Arm der Frau,
     meine graue Hand auf ihr graues Grau,
     und sie führt mich durch lauter Leeres.


     Ihr rührt euch und rückt und bildet euch ein
     anders zu klingen als Stein auf Stein,
     aber ihr irrt euch: ich allein
     lebe und leide und lärme.
     In mir ist ein endloses Schrein
     und ich weiß nicht, schreit mir mein
     Herz oder meine Gedärme.


     Erkennt ihr die Lieder? Ihr sanget sie nicht
     nicht ganz in dieser Betonung.
     Euch kommt jeden Morgen das neue Licht
     warm in die offene Wohnung.
     Und ihr habt ein Gefühl von Gesicht zu Gesicht
     und das verleitet zur Schonung.


 //-- Das Lied des Trinkers --// 

     Es war nicht in mir. Es ging aus und ein.
     Da wollt ich es halten. Da hielt es der Wein.
     (Ich weiß nicht mehr was es war.)
     Dann hielt er mir jenes und hielt mir dies
     bis ich mich ganz auf ihn verließ.
     Ich Narr.


     Jetzt bin ich in seinem Spiel und er streut
     mich verächtlich herum und verliert mich noch heut
     an dieses Vieh, an den Tod.
     Wenn der mich, schmutzige Karte, gewinnt,
     so kratzt er mit mir seinen grauen Grind
     und wirft mich fort in den Kot.


 //-- Das Lied des Selbstmörders --// 

     Also noch einen Augenblick.
     Daß sie mir immer wieder den Strick
     zerschneiden.
     Neulich war ich so gut bereit
     und es war schon ein wenig Ewigkeit
     in meinen Eingeweiden.


     Halten sie mir den Löffel her,
     diesen Löffel Leben.
     Nein ich will und ich will nicht mehr,
     laßt mich mich übergeben.


     Ich weiß das Leben ist gar und gut
     und die Welt ist ein voller Topf,
     aber mir geht es nicht ins Blut,
     mir steigt es nur zu Kopf.


     Andere nährt es, mich macht es krank;
     begreift, daß man's verschmäht.
     Mindestens ein Jahrtausend lang
     brauch ich jetzt Diät.


 //-- Das Lied der Witwe --// 

     Am Anfang war mir das Leben gut.
     Es hielt mich warm, es machte mir Mut
     Daß es das allen Jungen tut,
     wie konnt ich das damals wissen.
     Ich wußte nicht, was das Leben war –,
     auf einmal war es nur Jahr und Jahr,
     nicht mehr gut, nicht mehr neu, nicht mehr wunderbar,
     wie mitten entzwei gerissen.


     Das war nicht Seine, nicht meine Schuld;
     wir hatten beide nichts als Geduld,
     aber der Tod hat keine.
     Ich sah ihn kommen (wie schlecht er kam),
     und ich schaute ihm zu wie er nahm und nahm:
     es war ja gar nicht das Meine.


     Was war denn das Meine; Meines, Mein?
     War mir nicht selbst mein Elendsein
     nur vom Schicksal geliehn?
     Das Schicksal will nicht nur das Glück,
     es will die Pein und das Schrein zurück
     und es kauft für alt den Ruin.


     Das Schicksal war da und erwarb für ein Nichts
     jeden Ausdruck meines Gesichts
     bis auf die Art zu gehn.
     Das war ein täglicher Ausverkauf
     und als ich leer war, gab es mich auf
     und ließ mich offen stehn.


 //-- Das Lied des Idioten --// 

     Sie hindern mich nicht. Sie lassen mich gehn.
     Sie sagen es könne nichts geschehn.
     Wie gut.
     Es kann nichts geschehn. Alles kommt und kreist
     immerfort um den heiligen Geist,
     um den gewissen Geist (du weißt) –,
     wie gut.


     Nein man muß wirklich nicht meinen es sei
     irgend eine Gefahr dabei.
     Da ist freilich das Blut.
     Das Blut ist das Schwerste. Das Blut ist schwer.
     Manchmal glaub ich, ich kann nicht mehr –.
     (Wie gut.)


     Ah was ist das für ein schöner Ball;
     rot und rund wie ein Überall.
     Gut, daß ihr ihn erschuft.
     Ob der wohl kommt wenn man ruft?


     Wie sich das alles seltsam benimmt,
     ineinandertreibt, auseinanderschwimmt:
     freundlich, ein wenig unbestimmt.
     Wie gut.


 //-- Des Lied der Waise --// 

     Ich bin Niemand und werde auch Niemand sein.
     Jetzt bin ich ja zum Sein noch zu klein;
     aber auch später.


     Mütter und Väter,
     erbarmt euch mein.


     Zwar es lohnt nicht des Pflegens Müh:
     ich werde doch gemäht.
     Mich kann keiner brauchen: jetzt ist es zu früh
     und morgen ist es zu spät.


     Ich habe nur dieses eine Kleid,
     es wird dünn und es verbleicht,
     aber es hält eine Ewigkeit
     auch noch vor Gott vielleicht.


     Ich habe nur dieses bißchen Haar
     (immer dasselbe blieb),
     das einmal Eines Liebstes war.


     Nun hat er nichts mehr lieb.


 //-- Das Lied des Zwerges --// 

     Meine Seele ist vielleicht grad und gut;
     aber mein Herz, mein verbogenes Blut,
     alles das, was mir wehe tut,
     kann sie nicht aufrecht tragen.
     Sie hat keinen Garten, sie hat kein Bett,
     sie hängt an meinem scharfen Skelett
     mit entsetztem Flügelschlagen.


     Aus meinen Händen wird auch nichts mehr.
     Wie verkümmert sie sind: sieh her:
     zähe hüpfen sie, feucht und schwer,
     wie kleine Kröten nach Regen.
     Und das Andre an mir ist
     abgetragen und alt und trist;
     warum zögert Gott, auf den Mist
     alles das hinzulegen.


     Ob er mir zürnt für mein Gesicht
     mit dem mürrischen Munde?
     Es war ja so oft bereit, ganz licht
     und klar zu werden im Grunde;
     aber nichts kam ihm je so dicht
     wie die großen Hunde.
     Und die Hunde haben das nicht.


 //-- Das Lied des Aussätzigen --// 

     Sieh ich bin einer, den alles verlassen hat.
     Keiner weiß in der Stadt von mir,
     Aussatz hat mich befallen.
     Und ich schlage mein Klapperwerk,
     klopfe mein trauriges Augenmerk
     in die Ohren allen
     die nahe vorübergehn.
     Und die es hölzern hören, sehn
     erst gar nicht her, und was hier geschehn
     wollen sie nicht erfahren.


     Soweit der Klang meiner Klapper reicht
     bin ich zuhause; aber vielleicht
     machst Du meine Klapper so laut,
     daß sich keiner in meine Ferne traut
     der mir jetzt aus der Nähe weicht.
     So daß ich sehr lange gehen kann
     ohne Mädchen, Frau oder Mann
     oder Kind zu entdecken.


     Tiere will ich nicht schrecken.



   Von den Fontänen


     Auf einmal weiß ich viel von den Fontänen,
     den unbegreiflichen Bäumen aus Glas.
     Ich könnte reden wie von eignen Tränen,
     die ich, ergriffen von sehr großen Träumen,
     einmal vergeudete und dann vergaß.


     Vergaß ich denn, daß Himmel Hände reichen
     zu vielen Dingen und in das Gedränge?
     Sah ich nicht immer Großheit ohnegleichen
     im Aufstieg alter Parke, vor den weichen
     erwartungsvollen Abenden, – in bleichen
     aus fremden Mädchen steigenden Gesängen,
     die überfließen aus der Melodie
     und wirklich werden und als müßten sie
     sich spiegeln in den aufgetanen Teichen?


     Ich muß mich nur erinnern an das Alles,
     was an Fontänen und an mir geschah, –
     dann fühl ich auch die Last des Niederfalles,
     in welcher ich die Wasser wiedersah:
     Und weiß von Zweigen, die sich abwärts wandten,
     von Stimmen, die mit kleiner Flamme brannten,
     von Teichen, welche nur die Uferkanten
     schwachsinnig und verschoben wiederholten,
     von Abendhimmeln, welche von verkohlten
     westlichen Wäldern ganz entfremdet traten
     sich anders wölbten, dunkelten und taten
     als wär das nicht die Welt, die sie gemeint...


     Vergaß ich denn, daß Stern bei Stern versteint
     und sich verschließt gegen die Nachbargloben?
     Daß sich die Welten nur noch wie verweint
     im Raum erkennen? – Vielleicht sind wiroben,
     in Himmel andrer Wesen eingewoben,
     die zu uns aufschaun abends. Vielleicht loben
     uns ihre Dichter. Vielleicht beten viele
     zu uns empor. Vielleicht sind wir die Ziele
     von fremden Flüchen, die uns nie erreichen,
     Nachbaren eines Gottes, den sie meinen
     in unsrer Höhe, wenn sie einsam weinen,
     an den sie glauben und den sie verlieren,
     und dessen Bildnis, wie ein Schein aus ihren
     suchenden Lampen, flüchtig und verweht,
     über unsere zerstreuten Gesichter geht....



   Der Lesende


     Ich las schon lang. Seit dieser Nachmittag,
     mit Regen rauschend, an den Fenstern lag.
     Vom Winde draußen hörte ich nichts mehr:
     mein Buch war schwer.
     Ich sah ihm in die Blätter wie in Mienen,
     die dunkel werden von Nachdenklichkeit,
     und um mein Lesen staute sich die Zeit. –
     Auf einmal sind die Seiten überschienen,
     und statt der bangen Wortverworrenheit
     steht: Abend, Abend... überall auf ihnen.
     Ich schau noch nicht hinaus, und doch zerreißen
     die langen Zeilen, und die Worte rollen
     von ihren Fäden fort, wohin sie wollen...
     Da weiß ich es: über den übervollen
     glänzenden Gärten sind die Himmel weit;
     die Sonne hat noch einmal kommen sollen. –
     Und jetzt wird Sommernacht, soweit man sieht:
     zu wenig Gruppen stellt sich das Verstreute,
     dunkel, auf langen Wegen, gehn die Leute,
     und seltsam weit, als ob es mehr bedeute,
     hört man das Wenige, das noch geschieht.


     Und wenn ich jetzt vom Buch die Augen hebe,
     wird nichts befremdlich sein und alles groß.
     Dort draußen ist, was ich hier drinnen lebe,
     und hier und dort ist alles grenzenlos;
     nur daß ich mich noch mehr damit verwebe,
     wenn meine Blicke an die Dinge passen
     und an die ernste Einfachheit der Massen, –
     da wächst die Erde über sich hinaus.
     Den ganzen Himmel scheint sie zu umfassen:
     der erste Stern ist wie das letzte Haus.



   Der Schauende


     Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
     die aus laugewordenen Tagen
     an meine ängstlichen Fenster schlagen,
     und höre die Fernen Dinge sagen,
     die ich nicht ohne Freund ertragen,
     nicht ohne Schwester lieben kann.


     Da geht der Sturm, ein Umgestalter,
     geht durch den Wald und durch die Zeit,
     und alles ist wie ohne Alter:
     die Landschaft, wie ein Vers im Psalter,
     ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.


     Wie ist das klein, womit wir ringen,
     was mit uns ringt, wie ist das groß;
     ließen wir, ähnlicher den Dingen,
     unssovom großen Sturm bezwingen, –
     wir würden weit und namenlos.


     Was wir besiegen, ist das Kleine,
     und der Erfolg selbst macht uns klein.
     Das Ewige und Ungemeine
     willnicht von uns gebogen sein.
     Das ist der Engel, der den Ringern
     des Alten Testaments erschien:
     wenn seiner Widersacher Sehnen
     im Kampfe sich metallen dehnen,
     fühlt er sie unter seinen Fingern
     wie Saiten tiefer Melodien.


     Wen dieser Engel überwand,
     welcher so oft auf Kampf verzichtet,
     dergeht gerecht und aufgerichtet
     und groß aus jener harten Hand,
     die sich, wie formend, an ihn schmiegte.
     Die Siege laden ihn nicht ein.
     Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte
     von immer Größerem zu sein.



   Aus einer Sturmnacht


     Die Nacht, vom wachsenden Sturme bewegt,
     wie wird sie auf einmal weit – ,
     als bliebe sie sonst zusammengelegt
     in die kleinlichen Falten der Zeit.
     Wo die Sterne ihr wehren, dort endet sie nicht
     und beginnt nicht mitten im Wald
     und nicht an meinem Angesicht
     und nicht mit deiner Gestalt.
     Die Lampen stammeln und wissen nicht:
     lügenwir Licht?
     Ist die Nacht die einzige Wirklichkeit
     seit Jahrtausenden...


     In solchen Nächten kannst du in den Gassen
     Zukünftigen begegnen, schmalen blassen
     Gesichtern, die dich nicht erkennen
     und dich schweigend vorüberlassen.
     Aber wenn sie zu reden begännen,
     wärst du ein Langevergangener
     wie du da stehst,
     langeverwest.
     Doch sie bleiben im Schweigen wie Tote,
     obwohl sie die Kommenden sind.
     Zukunft beginnt noch nicht.
     Sie halten nur ihr Gesicht in die Zeit
     und können, wie unter Wasser, nicht schauen;
     und ertragen sie's doch eine Weile,
     sehn sie wie unter den Wellen: die Eile
     von Fischen und das Tauchen von Tauen.


     In solchen Nächten gehn die Gefängnisse auf.
     Und durch die bösen Träume der Wächter
     gehn mit leisem Gelächter
     die Verächter ihrer Gewalt.
     Wald! Sie kommen zu dir, um in dir zu schlafen,
     mit ihren langen Strafen behangen.


     Wald!


     In solchen Nächten ist auf einmal Feuer
     in einer Oper. Wie ein Ungeheuer
     beginnt der Riesenraum mit seinen Rängen
     Tausende, die sich in ihm drängen,
     zu kauen.
     Männer und Frauen
     staun sich in den Gängen,
     und wie sich alle aneinander hängen,
     bricht das Gemäuer, und es reißt sie mit.
     Und niemand weiß mehrwerganz unten litt;
     während ihm einer schon das Herz zertritt,
     sind seine Ohren noch ganz voll von Klängen,
     die dazu hingehn...


     In solchen Nächten, wie vor vielen Tagen,
     fangen dieHerzenin den Sarkophagen
     vergangner Fürsten wieder an zu gehn;
     und so gewaltig drängt ihr Wiederschlagen
     gegen die Kapseln, welche widerstehn,
     daß sie die goldnen Schalen weitertragen
     durch Dunkel und Damaste, die zerfallen.
     Schwarz schwankt der Dom mit allen seinen Hallen.
     Die Glocken, die sich in die Türme krallen,
     hängen wie Vögel, bebend stehn die Türen,
     und an den Trägern zittert jedes Glied:
     als trügen seinen gründenden Granit
     blinde Schildkröten, die sich rühren.


     In solchen Nächten wissen die Unheilbaren:
     wir waren...
     Und sie denken unter den Kranken
     einen einfachen guten Gedanken
     weiter, dort, wo er abbrach.
     Doch von den Söhnen, die sie gelassen,
     geht der Jüngste vielleicht in den einsamsten Gassen;
     denn geradedieseNächte
     sind ihm als ob er zum ersten Mal dächte:
     lange lag es über ihm bleiern,
     aber jetzt wird sich alles entschleiern –,
     und: daß er das feiern wird,
     fühlt er...


     In solchen Nächten sind alle die Städte gleich,
     alle beflaggt.
     Und an den Fahnen vom Sturm gepackt
     und wie an Haaren hinausgerissen
     in irgend ein Land mit ungewissen
     Umrissen und Flüssen.
     In allen Gärten ist dann ein Teich,
     an jedem Teiche dasselbe Haus,
     in jedem Hause dasselbe Licht;
     und alle Menschen sehn ähnlich aus
     und halten die Hände vorm Gesicht.


     In solchen Nächten werden die Sterbenden klar,
     greifen sich leise ins wachsende Haar,
     dessen Halme aus ihres Schädels Schwäche
     in diesen langen Tagentreiben,
     als wollten sie über der Oberfläche
     des Todes bleiben.
     Ihre Gebärde geht durch das Haus
     als wenn überall Spiegel hingen;
     und sie geben – mit diesem Graben
     in ihren Haaren – Kräfte aus,
     die sie in Jahren gesammelt haben,
     welche vergingen.


     In solchen Nächten wächst mein Schwesterlein,
     das vor mir war und vor mir starb, ganz klein.
     Viel solche Nächte waren schon seither:
     Sie muß schon schön sein. Bald wird irgendwer
     sie frein.



   Die Blinde


     Der Fremde:
     Du bist nicht bang, davon zu sprechen?
     Die Blinde:
     Nein.
     Es ist so ferne. Das war eine andre.
     Die damals sah, die laut und schauend lebte,
     die starb.
     Der Fremde:
     Und hatte einen schweren Tod?
     Die Blinde:
     Sterben ist Grausamkeit an Ahnungslosen.
     Stark muß man sein, sogar wenn Fremdes stirbt.
     Der Fremde:
     Sie war dir fremd?
     Die Blinde:
     – Oder: sie ists geworden.
     Der Tod entfremdet selbst dem Kind die Mutter. –
     Doch es war schrecklich in den ersten Tagen.
     Am ganzen Leibe war ich wund. Die Welt,
     die in den Dingen blüht und reift,
     war mit den Wurzeln aus mir ausgerissen,
     mit meinem Herzen (schien mir), und ich lag
     wie aufgewühlte Erde offen da und trank
     den kalten Regen meiner Tränen,
     der aus den toten Augen unaufhörlich
     und leise strömte, wie aus leeren Himmeln,
     wenn Gott gestorben ist, die Wolken fallen.
     Und mein Gehör war groß und allem offen.
     Ich hörte Dinge, die nicht hörbar sind:
     die Zeit, die über meine Haare floß,
     die Stille, die in zarten Gläsern klang, –
     und fühlte: nah bei meinen Händen ging
     der Atem einer großen weißen Rose.
     Und immer wieder dacht ich: Nacht und: Nacht
     und glaubte einen hellen Streif zu sehn,
     der wachsen würde wie ein Tag;
     und glaubte auf den Morgen zuzugehn,
     der längst in meinen Händen lag.
     Die Mutter weckt ich, wenn der Schlaf mir schwer
     hinunterfiel vom dunklen Gesicht,
     der Mutter rief ich: »Du, komm her!
     Mach Licht!«
     Und horchte. Lange, lange blieb es still,
     und meine Kissen fühlte ich versteinen, –
     dann wars, als säh ich etwas scheinen:
     das war der Mutter wehes Weinen,
     an das ich nicht mehr denken will.
     Mach Licht! Mach Licht! Ich schrie es oft im Traum:
     Der Raum ist eingefallen. Nimm den Raum
     mir vom Gesicht und von der Brust.
     Du mußt ihn heben, hochheben,
     mußt ihn wieder den Sternen geben;
     ich kann nicht leben so, mit dem Himmel auf mir.
     Aber sprech ich zu dir, Mutter?
     Oder zu wem denn? Wer ist denn dahinter?
     Wer ist denn hinter dem Vorhang? – Winter?
     Mutter: Sturm? Mutter: Nacht? Sag!
     Oder: Tag?.......Tag!
     Ohne mich! Wie kann es denn ohne mich Tag sein?
     Fehl ich denn nirgends?
     Fragt denn niemand nach mir?
     Sind wir denn ganz vergessen?
     Wir?.......Aber du bist ja dort;
     du hast ja noch alles, nicht?
     Um dein Gesicht sind noch alle Dinge bemüht,
     ihm wohlzutun.
     Wenn deine Augen ruhn
     und wenn sie noch so müd waren,
     sie können wieder steigen.
     ... Meine schweigen.
     Meine Blumen werden die Farbe verlieren.
     Meine Spiegel werden zufrieren.
     In meinen Büchern werden die Zeilen verwachsen.
     Meine Vögel werden in den Gassen
     herumflattern und sich an fremden Fenstern verwunden.
     Nichts ist mehr mit mir verbunden.
     Ich bin von allem verlassen. –
     Ich bin eine Insel.
     Der Fremde:
     Und ich bin über das Meer gekommen.
     Die Blinde:
     Wie? Auf die Insel?... Hergekommen?
     Der Fremde:
     Ich bin noch im Kahne.
     Ich habe ihn leise angelegt –
     an dich. Er ist bewegt:
     seine Fahne weht landein.
     Die Blinde:
     Ich bin eine Insel und allein.
     Ich bin reich. –
     Zuerst, als die alten Wege noch waren
     in meinen Nerven, ausgefahren
     von vielem Gebrauch:
     da litt ich auch.
     Alles ging mir aus dem Herzen fort,
     ich wußte erst nicht wohin;
     aber dann fand ich sie alle dort,
     alle Gefühle, das, was ich bin,
     stand versammelt und drängte und schrie
     an den vermauerten Augen, die sich nicht rührten.
     Alle meine verführten Gefühle...
     Ich weiß nicht, ob sie Jahre so standen,
     aber ich weiß von den Wochen,
     da sie alle zurückkamen gebrochen
     und niemanden erkannten.
     Dann wuchs der Weg zu den Augen zu.
     Ich weiß ihn nicht mehr.
     Jetzt geht alles in mir umher,
     sicher und sorglos; wie Genesende
     gehn die Gefühle, genießend das Gehn,
     durch meines Leibes dunkles Haus.
     Einige sind Lesende
     über Erinnerungen;
     aber die jungen
     sehn alle hinaus.
     Denn wo sie hintreten an meinen Rand,
     ist mein Gewand von Glas.
     Meine Stirne sieht, meine Hand las
     Gedichte in anderen Händen.
     Mein Fuß spricht mit den Steinen, die er betritt,
     meine Stimme nimmt jeder Vogel mit
     aus den täglichen Wänden.
     Ich muß nichts mehr entbehren jetzt,
     alle Farben sind übersetzt
     in Geräusch und Geruch.
     Und sie klingen unendlich schön
     als Töne.
     Was soll mir ein Buch?
     In den Bäumen blättert der Wind;
     und ich weiß, was dorten für Worte sind,
     und wiederhole sie manchmal leis.
     Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
     findet meine Augen nicht.....
     Der Fremde leise:
     Ich weiß.



   Requiem

 //-- Clara Westhoff gewidmet --// 
   Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr
   auf Erden. Mehr um einen Kranz.
   Vor einer Weile war das leichtes Laub... Ich wands:
   Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer
   und so von Dunkel voll, als tränke er
   aus meinen Dingen zukünftige Nächte.
   Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht,
   allein mit diesem Kranz, den ich gemacht,
   nicht ahnend, daß da etwas wird,
   wenn sich die Ranken ründen um den Reifen;
   ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen:
   daß etwas nichtmehr sein kann.Wie verirrt
   in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn,
   die ich schon einmal gesehen haben muß...

   .... Flußabwärts treiben die Blumen, welche die Kinder gerissen haben im Spiel;
   aus den offenen Fingern fiel eine und eine, bis daß der Strauß nicht mehr zu erkennen war.
   Bis der Rest, den sie nach haus gebracht, gerade gut zum Verbrennen war.
   Dann konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen.
   Gretel, von allem Anbeginn
   war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,
   blond zu sterben.
   Lange schon, eh dir zu leben bestimmt war.
   Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich
   und dann einen Bruder,
   damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine,
   welche das Sterben dir zeigten,
   das deine:
   dein Sterben.
   Deine Geschwister wurden erfunden,
   nur, damit du dich dran gewöhntest,
   und dich an zweien Sterbestunden
   mit der dritten versöhntest,
   die dir seit Jahrtausenden droht.
   Für deinen Tod
   sind Leben erstanden;
   Hände, welche Blüten banden,
   Blicke, welche die Rosen rot
   und die Menschen mächtig empfanden,
   hat man gebildet und wieder vernichtet
   und hat zweimal das Sterbengedichtet,
   eh es, gegen dich selbst gerichtet,
   aus der verloschenen Bühne trat.
   ... Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin?
   war es dein Feind?
   Hast du dich ihm ans Herz geweint?
   Hat es dich aus den heißen Kissen
   in die flackernde Nacht gerissen,
   in der niemand schlief im ganzen Haus...?
   Wie sah es aus?
   Du mußt es wissen...
   Du bist dazu in die Heimat gereist.
   Du weißt
   wie die Mandeln blühn
   und daß Seeen blau sind.
   Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind
   welche die erste Liebe erfuhr, –
   weißt du. Dir flüsterte die Natur
   in des Südens spätdämmernden Tagen
   so unendliche Schönheit ein,
   wie sonst nur selige Lippen sie sagen
   seliger Menschen, die zu zwein
   eineWelt haben undeineStimme –
   leiser hast du das alles gespürt, –
   (o wie hat das unendlich Grimme
   deine unendliche Demut berührt).
   Deine Briefe kamen von Süden,
   warm noch von Sonne, aber verwaist, –
   endlich bist du selbst deinen müden
   bittenden Briefen nachgereist;
   denn du warst nicht gerne im Glanze,
   jede Farbe lag auf dir wie Schuld,
   und du lebtest in Ungeduld,
   denn du wußtest: das ist nichtdas Ganze.
   Leben ist nur ein Teil......... Wovon?
   Leben ist nur ein Ton......... Worin?
   Leben hat Sinn nur, verbunden mit vielen
   Kreisen des weithin wachsenden Raumes, –
   Leben ist so nur der Traum eines Traumes,
   aber Wachsein ist anderswo.
   So ließest du's los.
   Groß ließest du's los.
   Und wir kannten dich klein.
   Dein war so wenig: ein Lächeln, ein kleines,
   ein bißchen melancholisch schon immer,
   sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer,
   das dir seit dem Tode der Schwester weitwar.
   Als ob alles andere nur dein Kleid war
   so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel.
   Abersehr viel
   warst du. Und wir wußtens manchmal,
   wenn du am Abend kamst in den Saal;
   wußten manchmal: jetzt müßte man beten;
   eine Menge ist eingetreten,
   eine Menge, welche dir nachgeht,
   weil du den Weg weißt.
   Und du hast ihn wissen gemußt
   und hast ihn gewußt
   gestern... jüngste der Schwestern.
   Sieh her,
   dieser Kranz ist so schwer.
   Und sie werden ihn auf dich legen,
   diesen schweren Kranz.
   Kanns dein Sarg aushalten?
   Wenn er bricht
   unter dem schwarzen Gewicht,
   kriecht in die Falten
   von deinem Kleid
   Efeu.
   Weit rankt er hinauf,
   rings rankt er dich um,
   und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt,
   regt dich auf mit seinem Geräusch;
   so keusch bist du.
   Aber du bist nichtmehr zu.
   Langgedehnt bist du und laß.
   Deines Leibes Türen sind angelehnt,
   und naß
   tritt der Efeu ein...
   wie Reihn
   von Nonnen,
   die sich führen
   an schwarzem Seil,
   weil es dunkel ist in dir, du Bronnen.
   In den leeren Gängen
   deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen;
   wo sonst deine sanften Schmerzen
   sich begegneten mit bleichen
   in das Herz, das, ganz verklungen,
   dunkel, allen offen steht.
   Aber dieser Kranz ist schwer
   mir im Licht,
   nur unter Lebenden, hier bei mir;
   und sein Gewicht
   ist nicht mehr
   wenn ich ihn, zu dir legen werde.
   schwer von den Gängen,
   die ich um ihn getan;
   Ängste aller, welche ihn sahn,
   haften daran.
   Nimm ihn zu dir, denn er ist dein
   seit er ganz fertig ist.
   Nimm ihn von mir.
   Laß mich allein! Er ist wie ein Gast...
   fast schäm ich mich seiner.
   Hast du auch Furcht, Gretel?
   Du kannst nicht mehr gehn?
   Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn?
   Tun dir die Füße weh?
   So bleib wo jetzt alle beisammen sind,
   man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind,
   durch die entlaubte Allee.
   Man wird ihn dir bringen, warte getrost, –
   man bringt dir morgen noch mehr.
   Wenn es auch morgen tobt und tost,
   das schadet den Blumen nicht sehr.
   Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht,
   sie sicher zu haben, mein Kind,
   und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht
   und lange vergangen sind.
   Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr
   unterscheiden, was steigt oder sinkt;
   die Farben sind zu und die Töne sind leer,
   und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer
   dir alle die Blumen bringt.
   Jetzt weißt dudas Andre, das uns verstößt,
   so oft wir's im Dunkel erfaßt;
   von dem, was dusehntest, bist du erlöst
   zu etwas, was duhast.
   Unter uns warst du von kleiner Gestalt,
   vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald
   mit Winden und Stimmen im Laub. –
   Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt:
   Dein Tod war schon alt,
   alt dein Leben begann;
   drum griff er es an,
   damit es ihn nicht überlebte.
   Schwebte etwas um mich?
   Trat Nachtwind herein?
   Ich bebte nicht.
   Ich bin stark und allein. –
   Was hab ich heute geschafft?
   ....Efeulaub holt ich am Abend und wands
   und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte.
   Noch glänzt es mit schwarzem Glanz.
   Und meine Kraft
   kreist in dem Kranz.
   Schlußstück

   Der Tod ist groß.
   Wir sind die Seinen
   lachenden Munds.
   Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
   wagt er zu weinen
   mitten in uns.
   Ende


   Das Lied des Selbstmörders


   Also noch einen Augenblick.
   Daß sie mir immer wieder den Strick
   zerschneiden.
   Neulich war ich so gut bereit
   und es war schon ein wenig Ewigkeit
   in meinen Eingeweiden.
   Halten sie mir den Löffel her,
   diesen Löffel Leben.
   Nein ich will und ich will nicht mehr,
   laßt mich mich übergeben.
   Ich weiß das Leben ist gar und gut
   und die Welt ist ein voller Topf,
   aber mir geht es nicht ins Blut,
   mir steigt es nur zu Kopf.
   Andere nährt es, mich macht es krank;
   begreift, daß man's verschmäht.
   Mindestens ein Jahrtausend lang
   brauch ich jetzt Diät.
   Das Lied der Witwe

   Am Anfang war mir das Leben gut.
   Es hielt mich warm, es machte mir Mut
   Daß es das allen Jungen tut,
   wie konnt ich das damals wissen.
   Ich wußte nicht, was das Leben war –,
   auf einmal war es nur Jahr und Jahr,
   nicht mehr gut, nicht mehr neu, nicht mehr wunderbar,
   wie mitten entzwei gerissen.
   Das war nicht Seine, nicht meine Schuld;
   wir hatten beide nichts als Geduld,
   aber der Tod hat keine.
   Ich sah ihn kommen (wie schlecht er kam),
   und ich schaute ihm zu wie er nahm und nahm:
   es war ja gar nicht das Meine.
   Was war denn das Meine; Meines, Mein?
   War mir nicht selbst mein Elendsein
   nur vom Schicksal geliehn?
   Das Schicksal will nicht nur das Glück,
   es will die Pein und das Schrein zurück
   und es kauft für alt den Ruin.
   Das Schicksal war da und erwarb für ein Nichts
   jeden Ausdruck meines Gesichts
   bis auf die Art zu gehn.
   Das war ein täglicher Ausverkauf
   und als ich leer war, gab es mich auf
   und ließ mich offen stehn.
   Das Lied des Idioten

   Sie hindern mich nicht. Sie lassen mich gehn.
   Sie sagen es könne nichts geschehn.
   Wie gut.
   Es kann nichts geschehn. Alles kommt und kreist
   immerfort um den heiligen Geist,
   um den gewissen Geist (du weißt) –,
   wie gut.
   Nein man muß wirklich nicht meinen es sei
   irgend eine Gefahr dabei.
   Da ist freilich das Blut.
   Das Blut ist das Schwerste. Das Blut ist schwer.
   Manchmal glaub ich, ich kann nicht mehr –.
   (Wie gut.)
   Ah was ist das für ein schöner Ball;
   rot und rund wie ein Überall.
   Gut, daß ihr ihn erschuft.
   Ob der wohl kommt wenn man ruft?
   Wie sich das alles seltsam benimmt,
   ineinandertreibt, auseinanderschwimmt:
   freundlich, ein wenig unbestimmt.
   Wie gut.
   Des Lied der Waise

   Ich bin Niemand und werde auch Niemand sein.
   Jetzt bin ich ja zum Sein noch zu klein;
   aber auch später.
   Mütter und Väter,
   erbarmt euch mein.
   Zwar es lohnt nicht des Pflegens Müh:
   ich werde doch gemäht.
   Mich kann keiner brauchen: jetzt ist es zu früh
   und morgen ist es zu spät.
   Ich habe nur dieses eine Kleid,
   es wird dünn und es verbleicht,
   aber es hält eine Ewigkeit
   auch noch vor Gott vielleicht.
   Ich habe nur dieses bißchen Haar
   (immer dasselbe blieb),
   das einmal Eines Liebstes war.
   Nun hat er nichts mehr lieb.
   Das Lied des Zwerges

   Meine Seele ist vielleicht grad und gut;
   aber mein Herz, mein verbogenes Blut,
   alles das, was mir wehe tut,
   kann sie nicht aufrecht tragen.
   Sie hat keinen Garten, sie hat kein Bett,
   sie hängt an meinem scharfen Skelett
   mit entsetztem Flügelschlagen.
   Aus meinen Händen wird auch nichts mehr.
   Wie verkümmert sie sind: sieh her:
   zähe hüpfen sie, feucht und schwer,
   wie kleine Kröten nach Regen.
   Und das Andre an mir ist
   abgetragen und alt und trist;
   warum zögert Gott, auf den Mist
   alles das hinzulegen.
   Ob er mir zürnt für mein Gesicht
   mit dem mürrischen Munde?
   Es war ja so oft bereit, ganz licht
   und klar zu werden im Grunde;
   aber nichts kam ihm je so dicht
   wie die großen Hunde.
   Und die Hunde haben das nicht.
   Das Lied des Aussätzigen

   Sieh ich bin einer, den alles verlassen hat.
   Keiner weiß in der Stadt von mir,
   Aussatz hat mich befallen.
   Und ich schlage mein Klapperwerk,
   klopfe mein trauriges Augenmerk
   in die Ohren allen
   die nahe vorübergehn.
   Und die es hölzern hören, sehn
   erst gar nicht her, und was hier geschehn
   wollen sie nicht erfahren.
   Soweit der Klang meiner Klapper reicht
   bin ich zuhause; aber vielleicht
   machst Du meine Klapper so laut,
   daß sich keiner in meine Ferne traut
   der mir jetzt aus der Nähe weicht.
   So daß ich sehr lange gehen kann
   ohne Mädchen, Frau oder Mann
   oder Kind zu entdecken.
   Tiere will ich nicht schrecken.
   Von den Fontänen

   Auf einmal weiß ich viel von den Fontänen,
   den unbegreiflichen Bäumen aus Glas.
   Ich könnte reden wie von eignen Tränen,
   die ich, ergriffen von sehr großen Träumen,
   einmal vergeudete und dann vergaß.
   Vergaß ich denn, daß Himmel Hände reichen
   zu vielen Dingen und in das Gedränge?
   Sah ich nicht immer Großheit ohnegleichen
   im Aufstieg alter Parke, vor den weichen
   erwartungsvollen Abenden, – in bleichen
   aus fremden Mädchen steigenden Gesängen,
   die überfließen aus der Melodie
   und wirklich werden und als müßten sie
   sich spiegeln in den aufgetanen Teichen?
   Ich muß mich nur erinnern an das Alles,
   was an Fontänen und an mir geschah, –
   dann fühl ich auch die Last des Niederfalles,
   in welcher ich die Wasser wiedersah:
   Und weiß von Zweigen, die sich abwärts wandten,
   von Stimmen, die mit kleiner Flamme brannten,
   von Teichen, welche nur die Uferkanten
   schwachsinnig und verschoben wiederholten,
   von Abendhimmeln, welche von verkohlten
   westlichen Wäldern ganz entfremdet traten
   sich anders wölbten, dunkelten und taten
   als wär das nicht die Welt, die sie gemeint...
   Vergaß ich denn, daß Stern bei Stern versteint
   und sich verschließt gegen die Nachbargloben?
   Daß sich die Welten nur noch wie verweint
   im Raum erkennen? – Vielleicht sind wiroben,
   in Himmel andrer Wesen eingewoben,
   die zu uns aufschaun abends. Vielleicht loben
   uns ihre Dichter. Vielleicht beten viele
   zu uns empor. Vielleicht sind wir die Ziele
   von fremden Flüchen, die uns nie erreichen,
   Nachbaren eines Gottes, den sie meinen
   in unsrer Höhe, wenn sie einsam weinen,
   an den sie glauben und den sie verlieren,
   und dessen Bildnis, wie ein Schein aus ihren
   suchenden Lampen, flüchtig und verweht,
   über unsere zerstreuten Gesichter geht....
   Der Lesende

   Ich las schon lang. Seit dieser Nachmittag,
   mit Regen rauschend, an den Fenstern lag.
   Vom Winde draußen hörte ich nichts mehr:
   mein Buch war schwer.
   Ich sah ihm in die Blätter wie in Mienen,
   die dunkel werden von Nachdenklichkeit,
   und um mein Lesen staute sich die Zeit. –
   Auf einmal sind die Seiten überschienen,
   und statt der bangen Wortverworrenheit
   steht: Abend, Abend... überall auf ihnen.
   Ich schau noch nicht hinaus, und doch zerreißen
   die langen Zeilen, und die Worte rollen
   von ihren Fäden fort, wohin sie wollen...
   Da weiß ich es: über den übervollen
   glänzenden Gärten sind die Himmel weit;
   die Sonne hat noch einmal kommen sollen. –
   Und jetzt wird Sommernacht, soweit man sieht:
   zu wenig Gruppen stellt sich das Verstreute,
   dunkel, auf langen Wegen, gehn die Leute,
   und seltsam weit, als ob es mehr bedeute,
   hört man das Wenige, das noch geschieht.
   Und wenn ich jetzt vom Buch die Augen hebe,
   wird nichts befremdlich sein und alles groß.
   Dort draußen ist, was ich hier drinnen lebe,
   und hier und dort ist alles grenzenlos;
   nur daß ich mich noch mehr damit verwebe,
   wenn meine Blicke an die Dinge passen
   und an die ernste Einfachheit der Massen, –
   da wächst die Erde über sich hinaus.
   Den ganzen Himmel scheint sie zu umfassen:
   der erste Stern ist wie das letzte Haus.
   Der Schauende

   Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
   die aus laugewordenen Tagen
   an meine ängstlichen Fenster schlagen,
   und höre die Fernen Dinge sagen,
   die ich nicht ohne Freund ertragen,
   nicht ohne Schwester lieben kann.
   Da geht der Sturm, ein Umgestalter,
   geht durch den Wald und durch die Zeit,
   und alles ist wie ohne Alter:
   die Landschaft, wie ein Vers im Psalter,
   ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.
   Wie ist das klein, womit wir ringen,
   was mit uns ringt, wie ist das groß;
   ließen wir, ähnlicher den Dingen,
   unssovom großen Sturm bezwingen, –
   wir würden weit und namenlos.
   Was wir besiegen, ist das Kleine,
   und der Erfolg selbst macht uns klein.
   Das Ewige und Ungemeine
   willnicht von uns gebogen sein.
   Das ist der Engel, der den Ringern
   des Alten Testaments erschien:
   wenn seiner Widersacher Sehnen
   im Kampfe sich metallen dehnen,
   fühlt er sie unter seinen Fingern
   wie Saiten tiefer Melodien.
   Wen dieser Engel überwand,
   welcher so oft auf Kampf verzichtet,
   dergeht gerecht und aufgerichtet
   und groß aus jener harten Hand,
   die sich, wie formend, an ihn schmiegte.
   Die Siege laden ihn nicht ein.
   Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte
   von immer Größerem zu sein.
   Aus einer Sturmnacht

   Die Nacht, vom wachsenden Sturme bewegt,
   wie wird sie auf einmal weit – ,
   als bliebe sie sonst zusammengelegt
   in die kleinlichen Falten der Zeit.
   Wo die Sterne ihr wehren, dort endet sie nicht
   und beginnt nicht mitten im Wald
   und nicht an meinem Angesicht
   und nicht mit deiner Gestalt.
   Die Lampen stammeln und wissen nicht:
   lügenwir Licht?
   Ist die Nacht die einzige Wirklichkeit
   seit Jahrtausenden...
   In solchen Nächten kannst du in den Gassen
   Zukünftigen begegnen, schmalen blassen
   Gesichtern, die dich nicht erkennen
   und dich schweigend vorüberlassen.
   Aber wenn sie zu reden begännen,
   wärst du ein Langevergangener
   wie du da stehst,
   langeverwest.
   Doch sie bleiben im Schweigen wie Tote,
   obwohl sie die Kommenden sind.
   Zukunft beginnt noch nicht.
   Sie halten nur ihr Gesicht in die Zeit
   und können, wie unter Wasser, nicht schauen;
   und ertragen sie's doch eine Weile,
   sehn sie wie unter den Wellen: die Eile
   von Fischen und das Tauchen von Tauen.
   In solchen Nächten gehn die Gefängnisse auf.
   Und durch die bösen Träume der Wächter
   gehn mit leisem Gelächter
   die Verächter ihrer Gewalt.
   Wald! Sie kommen zu dir, um in dir zu schlafen,
   mit ihren langen Strafen behangen.
   Wald!
   In solchen Nächten ist auf einmal Feuer
   in einer Oper. Wie ein Ungeheuer
   beginnt der Riesenraum mit seinen Rängen
   Tausende, die sich in ihm drängen,
   zu kauen.
   Männer und Frauen
   staun sich in den Gängen,
   und wie sich alle aneinander hängen,
   bricht das Gemäuer, und es reißt sie mit.
   Und niemand weiß mehrwerganz unten litt;
   während ihm einer schon das Herz zertritt,
   sind seine Ohren noch ganz voll von Klängen,
   die dazu hingehn...
   In solchen Nächten, wie vor vielen Tagen,
   fangen dieHerzenin den Sarkophagen
   vergangner Fürsten wieder an zu gehn;
   und so gewaltig drängt ihr Wiederschlagen
   gegen die Kapseln, welche widerstehn,
   daß sie die goldnen Schalen weitertragen
   durch Dunkel und Damaste, die zerfallen.
   Schwarz schwankt der Dom mit allen seinen Hallen.
   Die Glocken, die sich in die Türme krallen,
   hängen wie Vögel, bebend stehn die Türen,
   und an den Trägern zittert jedes Glied:
   als trügen seinen gründenden Granit
   blinde Schildkröten, die sich rühren.
   In solchen Nächten wissen die Unheilbaren:
   wir waren...
   Und sie denken unter den Kranken
   einen einfachen guten Gedanken
   weiter, dort, wo er abbrach.
   Doch von den Söhnen, die sie gelassen,
   geht der Jüngste vielleicht in den einsamsten Gassen;
   denn geradedieseNächte
   sind ihm als ob er zum ersten Mal dächte:
   lange lag es über ihm bleiern,
   aber jetzt wird sich alles entschleiern –,
   und: daß er das feiern wird,
   fühlt er...
   In solchen Nächten sind alle die Städte gleich,
   alle beflaggt.
   Und an den Fahnen vom Sturm gepackt
   und wie an Haaren hinausgerissen
   in irgend ein Land mit ungewissen
   Umrissen und Flüssen.
   In allen Gärten ist dann ein Teich,
   an jedem Teiche dasselbe Haus,
   in jedem Hause dasselbe Licht;
   und alle Menschen sehn ähnlich aus
   und halten die Hände vorm Gesicht.
   In solchen Nächten werden die Sterbenden klar,
   greifen sich leise ins wachsende Haar,
   dessen Halme aus ihres Schädels Schwäche
   in diesen langen Tagentreiben,
   als wollten sie über der Oberfläche
   des Todes bleiben.
   Ihre Gebärde geht durch das Haus
   als wenn überall Spiegel hingen;
   und sie geben – mit diesem Graben
   in ihren Haaren – Kräfte aus,
   die sie in Jahren gesammelt haben,
   welchevergingen.
   In solchen Nächten wächst mein Schwesterlein,
   das vor mir war und vor mir starb, ganz klein.
   Viel solche Nächte waren schon seither:
   Sie muß schon schön sein. Bald wird irgendwer
   sie frein.
   Die Blinde

   Der Fremde:
   Du bist nicht bang, davon zu sprechen?
   Die Blinde:
   Nein.
   Es ist so ferne. Das war eine andre.
   Die damals sah, die laut und schauend lebte,
   die starb.
   Der Fremde:
   Und hatte einen schweren Tod?
   Die Blinde:
   Sterben ist Grausamkeit an Ahnungslosen.
   Stark muß man sein, sogar wenn Fremdes stirbt.
   Der Fremde:
   Sie war dir fremd?
   Die Blinde:
   – Oder: sie ists geworden.
   Der Tod entfremdet selbst dem Kind die Mutter. –
   Doch es war schrecklich in den ersten Tagen.
   Am ganzen Leibe war ich wund. Die Welt,
   die in den Dingen blüht und reift,
   war mit den Wurzeln aus mir ausgerissen,
   mit meinem Herzen (schien mir), und ich lag
   wie aufgewühlte Erde offen da und trank
   den kalten Regen meiner Tränen,
   der aus den toten Augen unaufhörlich
   und leise strömte, wie aus leeren Himmeln,
   wenn Gott gestorben ist, die Wolken fallen.
   Und mein Gehör war groß und allem offen.
   Ich hörte Dinge, die nicht hörbar sind:
   die Zeit, die über meine Haare floß,
   die Stille, die in zarten Gläsern klang, –
   und fühlte: nah bei meinen Händen ging
   der Atem einer großen weißen Rose.
   Und immer wieder dacht ich: Nacht und: Nacht
   und glaubte einen hellen Streif zu sehn,
   der wachsen würde wie ein Tag;
   und glaubte auf den Morgen zuzugehn,
   der längst in meinen Händen lag.
   Die Mutter weckt ich, wenn der Schlaf mir schwer
   hinunterfiel vom dunklen Gesicht,
   der Mutter rief ich: »Du, komm her!
   Mach Licht!«
   Und horchte. Lange, lange blieb es still,
   und meine Kissen fühlte ich versteinen, –
   dann wars, als säh ich etwas scheinen:
   das war der Mutter wehes Weinen,
   an das ich nicht mehr denken will.
   Mach Licht! Mach Licht! Ich schrie es oft im Traum:
   Der Raum ist eingefallen. Nimm den Raum
   mir vom Gesicht und von der Brust.
   Du mußt ihn heben, hochheben,
   mußt ihn wieder den Sternen geben;
   ich kann nicht leben so, mit dem Himmel auf mir.
   Aber sprech ich zu dir, Mutter?
   Oder zu wem denn? Wer ist denn dahinter?
   Wer ist denn hinter dem Vorhang? – Winter?
   Mutter: Sturm? Mutter: Nacht? Sag!
   Oder: Tag?.......Tag!
   Ohne mich! Wie kann es denn ohne mich Tag sein?
   Fehl ich denn nirgends?
   Fragt denn niemand nach mir?
   Sind wir denn ganz vergessen?
   Wir?.......Aber du bist ja dort;
   du hast ja noch alles, nicht?
   Um dein Gesicht sind noch alle Dinge bemüht,
   ihm wohlzutun.
   Wenn deine Augen ruhn
   und wenn sie noch so müd waren,
   sie können wieder steigen.
   ... Meine schweigen.
   Meine Blumen werden die Farbe verlieren.
   Meine Spiegel werden zufrieren.
   In meinen Büchern werden die Zeilen verwachsen.
   Meine Vögel werden in den Gassen
   herumflattern und sich an fremden Fenstern verwunden.
   Nichts ist mehr mit mir verbunden.
   Ich bin von allem verlassen. –
   Ich bin eine Insel.
   Der Fremde:
   Und ich bin über das Meer gekommen.
   Die Blinde:
   Wie? Auf die Insel?... Hergekommen?
   Der Fremde:
   Ich bin noch im Kahne.
   Ich habe ihn leise angelegt –
   an dich. Er ist bewegt:
   seine Fahne weht landein.
   Die Blinde:
   Ich bin eine Insel und allein.
   Ich bin reich. –
   Zuerst, als die alten Wege noch waren
   in meinen Nerven, ausgefahren
   von vielem Gebrauch:
   da litt ich auch.
   Alles ging mir aus dem Herzen fort,
   ich wußte erst nicht wohin;
   aber dann fand ich sie alle dort,
   alle Gefühle, das, was ich bin,
   stand versammelt und drängte und schrie
   an den vermauerten Augen, die sich nicht rührten.
   Alle meine verführten Gefühle...
   Ich weiß nicht, ob sie Jahre so standen,
   aber ich weiß von den Wochen,
   da sie alle zurückkamen gebrochen
   und niemanden erkannten.
   Dann wuchs der Weg zu den Augen zu.
   Ich weiß ihn nicht mehr.
   Jetzt geht alles in mir umher,
   sicher und sorglos; wie Genesende
   gehn die Gefühle, genießend das Gehn,
   durch meines Leibes dunkles Haus.
   Einige sind Lesende
   über Erinnerungen;
   aber die jungen
   sehn alle hinaus.
   Denn wo sie hintreten an meinen Rand,
   ist mein Gewand von Glas.
   Meine Stirne sieht, meine Hand las
   Gedichte in anderen Händen.
   Mein Fuß spricht mit den Steinen, die er betritt,
   meine Stimme nimmt jeder Vogel mit
   aus den täglichen Wänden.
   Ich muß nichts mehr entbehren jetzt,
   alle Farben sind übersetzt
   in Geräusch und Geruch.
   Und sie klingen unendlich schön
   als Töne.
   Was soll mir ein Buch?
   In den Bäumen blättert der Wind;
   und ich weiß, was dorten für Worte sind,
   und wiederhole sie manchmal leis.
   Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
   findet meine Augen nicht.....
   Der Fremde leise:
   Ich weiß.
   Requiem
 //-- Clara Westhoff gewidmet --// 

   Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr
   auf Erden. Mehr um einen Kranz.
   Vor einer Weile war das leichtes Laub... Ich wands:
   Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer
   und so von Dunkel voll, als tränke er
   aus meinen Dingen zukünftige Nächte.
   Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht,
   allein mit diesem Kranz, den ich gemacht,
   nicht ahnend, daß da etwas wird,
   wenn sich die Ranken ründen um den Reifen;
   ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen:
   daß etwas nichtmehr sein kann.Wie verirrt
   in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn,
   die ich schon einmal gesehen haben muß...
   .... Flußabwärts treiben die Blumen, welche die Kinder gerissen haben im Spiel;
   aus den offenen Fingern fiel eine und eine, bis daß der Strauß nicht mehr zu erkennen war.
   Bis der Rest, den sie nach haus gebracht, gerade gut zum Verbrennen war.
   Dann konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen.
   Gretel, von allem Anbeginn
   war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,
   blond zu sterben.
   Lange schon, eh dir zu leben bestimmt war.
   Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich
   und dann einen Bruder,
   damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine,
   welche das Sterben dir zeigten,
   das deine:
   dein Sterben.
   Deine Geschwister wurden erfunden,
   nur, damit du dich dran gewöhntest,
   und dich an zweien Sterbestunden
   mit der dritten versöhntest,
   die dir seit Jahrtausenden droht.
   Für deinen Tod
   sind Leben erstanden;
   Hände, welche Blüten banden,
   Blicke, welche die Rosen rot
   und die Menschen mächtig empfanden,
   hat man gebildet und wieder vernichtet
   und hat zweimal das Sterbengedichtet,
   eh es, gegen dich selbst gerichtet,
   aus der verloschenen Bühne trat.
   ... Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin?
   war es dein Feind?
   Hast du dich ihm ans Herz geweint?
   Hat es dich aus den heißen Kissen
   in die flackernde Nacht gerissen,
   in der niemand schlief im ganzen Haus...?
   Wie sah es aus?
   Du mußt es wissen...
   Du bist dazu in die Heimat gereist.
   Du weißt
   wie die Mandeln blühn
   und daß Seeen blau sind.
   Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind
   welche die erste Liebe erfuhr, –
   weißt du. Dir flüsterte die Natur
   in des Südens spätdämmernden Tagen
   so unendliche Schönheit ein,
   wie sonst nur selige Lippen sie sagen
   seliger Menschen, die zu zwein
   eineWelt haben undeineStimme –
   leiser hast du das alles gespürt, –
   (o wie hat das unendlich Grimme
   deine unendliche Demut berührt).
   Deine Briefe kamen von Süden,
   warm noch von Sonne, aber verwaist, –
   endlich bist du selbst deinen müden
   bittenden Briefen nachgereist;
   denn du warst nicht gerne im Glanze,
   jede Farbe lag auf dir wie Schuld,
   und du lebtest in Ungeduld,
   denn du wußtest: das ist nichtdas Ganze.
   Leben ist nur ein Teil......... Wovon?
   Leben ist nur ein Ton......... Worin?
   Leben hat Sinn nur, verbunden mit vielen
   Kreisen des weithin wachsenden Raumes, –
   Leben ist so nur der Traum eines Traumes,
   aber Wachsein ist anderswo.
   So ließest du's los.
   Groß ließest du's los.
   Und wir kannten dich klein.
   Dein war so wenig: ein Lächeln, ein kleines,
   ein bißchen melancholisch schon immer,
   sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer,
   das dir seit dem Tode der Schwester weitwar.
   Als ob alles andere nur dein Kleid war
   so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel.
   Abersehr viel
   warst du. Und wir wußtens manchmal,
   wenn du am Abend kamst in den Saal;
   wußten manchmal: jetzt müßte man beten;
   eine Menge ist eingetreten,
   eine Menge, welche dir nachgeht,
   weil du den Weg weißt.
   Und du hast ihn wissen gemußt
   und hast ihn gewußt
   gestern... jüngste der Schwestern.
   Sieh her,
   dieser Kranz ist so schwer.
   Und sie werden ihn auf dich legen,
   diesen schweren Kranz.
   Kanns dein Sarg aushalten?
   Wenn er bricht
   unter dem schwarzen Gewicht,
   kriecht in die Falten
   von deinem Kleid
   Efeu.
   Weit rankt er hinauf,
   rings rankt er dich um,
   und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt,
   regt dich auf mit seinem Geräusch;
   so keusch bist du.
   Aber du bist nichtmehr zu.
   Langgedehnt bist du und laß.
   Deines Leibes Türen sind angelehnt,
   und naß
   tritt der Efeu ein...
   wie Reihn
   von Nonnen,
   die sich führen
   an schwarzem Seil,
   weil es dunkel ist in dir, du Bronnen.
   In den leeren Gängen
   deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen;
   wo sonst deine sanften Schmerzen
   sich begegneten mit bleichen
   in das Herz, das, ganz verklungen,
   dunkel, allen offen steht.
   Aber dieser Kranz ist schwer
   mir im Licht,
   nur unter Lebenden, hier bei mir;
   und sein Gewicht
   ist nicht mehr
   wenn ich ihn, zu dir legen werde.
   schwer von den Gängen,
   die ich um ihn getan;
   Ängste aller, welche ihn sahn,
   haften daran.
   Nimm ihn zu dir, denn er ist dein
   seit er ganz fertig ist.
   Nimm ihn von mir.
   Laß mich allein! Er ist wie ein Gast...
   fast schäm ich mich seiner.
   Hast du auch Furcht, Gretel?
   Du kannst nicht mehr gehn?
   Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn?
   Tun dir die Füße weh?
   So bleib wo jetzt alle beisammen sind,
   man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind,
   durch die entlaubte Allee.
   Man wird ihn dir bringen, warte getrost, –
   man bringt dir morgen noch mehr.
   Wenn es auch morgen tobt und tost,
   das schadet den Blumen nicht sehr.
   Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht,
   sie sicher zu haben, mein Kind,
   und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht
   und lange vergangen sind.
   Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr
   unterscheiden, was steigt oder sinkt;
   die Farben sind zu und die Töne sind leer,
   und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer
   dir alle die Blumen bringt.
   Jetzt weißt dudas Andre, das uns verstößt,
   so oft wir's im Dunkel erfaßt;
   von dem, was dusehntest, bist du erlöst
   zu etwas, was duhast.
   Unter uns warst du von kleiner Gestalt,
   vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald
   mit Winden und Stimmen im Laub. –
   Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt:
   Dein Tod war schon alt,
   alt dein Leben begann;
   drum griff er es an,
   damit es ihn nicht überlebte.
   Schwebte etwas um mich?
   Trat Nachtwind herein?
   Ich bebte nicht.
   Ich bin stark und allein. –
   Was hab ich heute geschafft?
   ....Efeulaub holt ich am Abend und wands
   und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte.
   Noch glänzt es mit schwarzem Glanz.
   Und meine Kraft
   kreist in dem Kranz.


   Schlußstück


     Der Tod ist groß.
     Wir sind die Seinen
     lachenden Munds.
     Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
     wagt er zu weinen
     mitten in uns.

   Ende