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|  Charles Sealsfield
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|  Das blutige Blockhaus
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   Charles Sealsfield
   DAS BLUTIGE BLOCKHAUS


   Die Pflanzung am Red River


   1

   Die beiden Freunde standen mit ihren Frauen auf dem Oberdeck des Raddampfers ›Alexandria‹, der den Red River aufwärts fuhr: der achtundzwanzigjährige schlanke George Howard, der von seinen Eltern eine herabgewirtschaftete Pflanzung am Strom einige dreißig Meilen oberhalb seiner Mündung in den »Vater der Flüsse« geerbt und mit Fleiß und dem Geld des Schwiegervaters wieder zur Blüte gebracht hatte, und der gleichaltrige riesige Ralph Doughby, der politischen Ehrgeiz hatte und ein eifriger Parteigänger des Generals Andrew Jackson war.
   Beide waren nach abenteuerlichen Brautfahrten jetzt glückliche Ehemänner und sogar Schwäger. Hatten zwei hübsche Schwestern geheiratet, feurige Kreolinnen französischer Abkunft, Töchter des reichen Pflanzers Menou, Howard die jüngere Luise und Doughby die ältere Julie, und waren nun auf der Fahrt zum Elternhaus ihrer Frauen. In ihrer Gesellschaft befanden sich noch Richard Moreland, ein Jugendfreund Howards, ebenfalls ein Pflanzer, mit seiner Frau Clara und mit seiner Tante Mistreß Houston, einer stattlichen, steifen, frostigen alten Dame, die so recht ein Gegenstück war zu dem leichtlebigen Kentuckier Doughby, der gern trank, polterte, lärmte, raufte, rauchte, kaute und sich mit Pflanzern, Jägern, Squatters, Krämern zu unterhalten, sich bei allen beliebt zu machen und doch wieder allen einen gewissen Respekt einzuflößen wußte.
   Es war im Indianersommer des Jahres 1828.
   Weit hinter ihnen lag bereits die Mündung des Black River mit seiner dunkelblauen Farbe, lagen die Windungen des schokoladebraunen unteren Red River mit den seeartigen Verbreiterungen und schneckenartigen Schrumpfungen. Lagen Urwälder mit dem Dunkelgrün der Zypressen, dem Silberweiß der Cottonwoods Amerikanische Pappelart und dem Hellgrün der Pecan-Bäume. Hickorynuß Lagen Haine säuselnder Palmettos, Eine straudige Fächerpalme und blühender Magnolien, Catalpas Trompetenbaum und Papaws, Melonenbaum die in roten und blauen und goldenen Tinten ineinander verschmolzen waren. Lagen schroffe, von Efeu bekleidete Felsenwände, lagen liebliche Auen voll Blumen, die wie bunte Edelsteine geleuchtet hatten.
   Hinter ihnen lag nun auch bereits Bakers Niederlassung mit der seeartigen Bucht, in die der Fluß sich dort erweiterte. Lagen Ufer mit parkähnlichen Gruppen gigantischer Cottonwoods und Immergrün-Eichen, vermengt mit Honigakazien und Bohnenbäumen, durch die der dunstige ferne Rand des Horizonts magisch durchschimmerte. Lagen Buchten, von Tränenweiden und Zypressen überhangen, die von Langschwanzpapageien, Spottvögeln und roten Kardinalen belebt und aus denen bei der Annäherung des Dampfers Züge von wilden Enten, Gänsen und Schwänen emporgeprallt waren. Lagen vereinzelte Blockhäuser und kleine Pflanzungen mit Mais-, Tabak– und Baumwollfeldern. Jeder Stoß der Maschine, jede Umdrehung der Räder am Heck hatten neue Schönheiten gebracht.
   Das Dampfboot mit den beiden hohen Schornsteinen näherte sich nun dem nördlichen Rand der großen Prärie, die sich vom rechten Ufer des Stromes südwärts bis hinab gegen die Opelousas zog. Es nützte die Gegenströmung und hielt sich nahe am Ufer. Der Farbenschmelz dieser herrlichen Prärie entfaltete sich vor Howards Augen in seiner ganzen Pracht. Es war ein Blumenteppich, ein Ozean von Blüten und balsamischen Düften. Die Gräser hoben und senkten sich in den Strahlen der untergehenden Sonne wie Meereswogen, die von einer leichten Brise gefächelt werden. Umspielt von den Strahlen der schräg einfallenden Sonne weideten in der Ferne Rinder und Pferde im hohen Gras. Gegen Westen begrenzte diese ungeheure Prärie ein Saum schwarzer Kiefern.
   Howard dachte daran, wie manche Tage er schon in dieser weiten Prärie umhergeirrt war. Obwohl nur eine Wiese im Vergleich zu den weiter westlich gelegenen Prärien, hatte sie ihm einen deutlichen Begriff von diesen Ebenen gegeben, und er bedauerte, daß die vorrückende Kultur ihr allmählich schon den wilden, großartig einsamen Charakter raubte, der in den Sabine-, Arkansas– und Oregon-Prärien so unbeschreiblich wirkte.
   Nur in blauer Ferne erspähte sein Auge einzelne Baumgruppen wie einsame Segel auf den rollenden Meereswogen. Immer nur Wiesen und Gräser und im Luftzug bewegte, gleichsam rollende Hügel schaute man, und näherte man sich einer Baumgruppe, so kamen Hirsche vertraulich neugierig heraus, erwarteten den Fremden, sowie er die Hände hob und winkte, und ließen ihn näher kommen, gleichsam um zu erfahren, was er ihnen denn brächte. Oft hatte es Howard leid getan, den Stutzen auf diese lieben Tiere anzulegen, die erst beim Schuß mit einem gewaltigen Satz das schützende Dickicht suchten. Wenn man tagelang so fortzog und immer nur Wiesen sah und Baumgruppen in der Ferne und zur Abwechslung eine Horde Präriehunde oder Wölfe, dann begann etwas wie Bangen über den Wanderer zu kommen. Die Größe, die Unermeßlichkeit der Natur erfüllte seine Sinne, sein Gemüt, sein ganzes Wesen. Das Treiben der Menschen, das er hinter sich gelassen hatte, sein eigenes Treiben wurde ihm so klein, so geringfügig, verächtlich!
   Ein geheimer Schauder überkroch ihn, besonders wenn er einige Tage einsam umhergeirrt war. In solchen Tagen, Stunden durchdrang die Allgewalt des Schöpfers auch den im Weltgetriebe Verschliffenen, Versteinerten bis ins Innerste. Dieser Tempel Gottes vermochte den Ungläubigen zum Glauben an ihn zurückzuführen.
   Howard dachte: Sendet den Gottesleugner für einen Monat, nur für einen Monat in unsere Prärien und er wird, er muß an Gott glauben!
   Bei Avoyelles Station hielt das Dampfschiff einen Augenblick an, um Fahrgäste abzusetzen und aufzunehmen. Dann tanzten die ersten Pflanzungen vorüber: Baumwoll– und Tabakfelder und Viehherden, viele Viehherden. Prärien an beiden Ufern des Stromes und weiter zurück Schwarzkieferwaldungen, die Ufer selbst mit Zypressen eingefaßt, deren dunkles Grün und vielgezackte Äste und Zweige das Auge wohltätig ansprachen. Ein paar häßlich braun und schmutzig gefleckte Ungeheuer plumpsten von vermoderten Baumstämmen in den Sumpf hinab, während andere, zu träge, ihre Eidechsenaugen dumm und unbeweglich auf den Dampfer richteten. Es waren Alligatoren, die ihre Siesta hielten.
   Abermals wechselte die Landschaft. Weiden und Cottonwoods deuteten einen leichteren Boden an. Der Dampfer näherte sich Holmes Station, dem Herzen der kreolischen Niederlassungen. Die freundlichen Pflanzer– und Negerhäuser mit ihren Cottonfeldern gaben schon Anzeichen amerikanischer Regsamkeit und ließen auf die Anwesenheit von Gliedern aus Uncle Sams Familie schließen. Wirklich war hier ein Dutzend amerikanischer Familien angesiedelt, die sich gleichzeitig mit Howard hier im nördlichen Louisiana niedergelassen hatten und wohl gediehen.
   Es hatte für Howard einen eigenen Reiz, das Land in seinen verschiedenen Entwicklungsphasen zu beobachten, die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart zurückzurufen. So hatte er diese Niederlassungen, deren Pflanzungen, noch ausschließlich von Kreolen bewohnt, ihm nun entgegenkamen, in einem so ärmlichen Zustand gesehen, wie ihn das ärgste Faulleben nur immer mit sich bringen kann. Er erinnerte sich noch, wie trostlos ihm zumute war, als er diese verfallenen Hütten und Häuser zum erstenmal erblickt hatte, diese mageren, von Unkraut überwachsenen Baumwoll– und Tabakfelder, die aller Arbeit zu spotten schienen.
   Es war wie ein verdammtes Stück Land gewesen, wo keine Arbeit fruchten und die kleine Gemeinschaft gar nicht gedeihen wollte. Da kamen ein paar Dutzend Amerikaner an, und die hatten das Ganze, ohne es zu wollen, vom Fleck gebracht. Anfangs freilich war des Schimpfens und Nachredens kein Ende gewesen. Die ganze Gemeinde war eine Stimme in diesem Punkt. Sie glich einem wohlgemästeten Schankwirt, der, in seine vier Pfähle wie die Made in den Käselaib eingewühlt, sich weder um die Welt noch um seine Gäste kümmert, denn er weiß, daß beide seinen abgestandenen Wein doch trinken müssen, weil weit und breit kein besserer zu haben ist. Erst wenn er an einem heiteren Morgen plötzlich gegenüber ein neues Schild heraushängen sieht und davor einen jungen Wirt, der billige Zeche verspricht, rafft er sich aus seiner Trägheit auf. Der gute Mann poltert und lärmt, und seine Partei tobt. Aber aus Neugierde versucht man den Wein des Eindringlings und findet ihn besser als den sauren, abgestandenen des alten Wirts. Die Gemeinde schimpft zwar über den neuen, zieht aber doch seinen Wein dem des alten vor und beginnt einzusehen, daß sie gewonnen bei der Rivalität, der Wein gewonnen, der Ort gewonnen. Denn der Reisenden kommen mehr als zuvor, angezogen durch den guten Wein und den fröhlichen jungen Wirt.
   Geradeso war es den Kreolen in dieser und den übrigen Stationen ergangen. Ihr Tabak, erst grob und schwer, war nun duftend und fein parfümiert, ihre Baumwolle, einst gelb und kurzfädig, war lang und weiß, war die schönste im Staate geworden. Sie wußten nicht recht, wie das alles gekommen, wie ihr kleines Reich einen solchen Umschwung genommen. Es erging ihrem kleinen Reich geradeso wie jenen großen, die recht behaglich im Faulleben dahinvegetieren, solange sie nicht mit tätigeren Nachbarn in Berührung kommen, die aber, sobald ein jugendlicher Rivale lebendig sie zu rütteln beginnt, sich aus ihrer verdrossenen Ruhe aufraffen und ihre fünf Sinne zusammennehmen müssen, wenn sie nicht zuletzt über den Haufen gerannt werden wollen.

 //-- * * * --// 
   Die Uhr zeigte fünf, die Reisenden näherten sich dem ersehnten Ziel. Der Dampfer machte bei höchstem Druck zwölf Meilen in der Stunde, er brauste flußaufwärts. Pflanzung um Pflanzung blieb hinter ihm. Luise Howard war zum Kind geworden, denn jedes Haus, jede Pflanzung war ihr bekannt, kaum eine, wo sie nicht zum Ball geladen war, getanzt hatte. Sie erzählte Julie Doughby, Julie ihr. Vor allen Veranden waren Gesichter, die sie erkannten und ihre Freude durch laute Zurufe, durch Händeklatschen und Schwenken der Taschentücher zu erkennen gaben.
   Auf einmal wurden die beiden Schwestern gespannt. Ihre Blicke hafteten auf den mit Immergrün-Eichen bekrönten Hügeln, die sich über den Flußufern wölbten und sich in den roten Fluten spiegelten.
   »Dort, ja dort ...!« Julie stockte, unfähig ein Wort mehr hervorzubringen.
   »Da ist unser Hafen!« flüsterte Luise mit vor Freude erstickter Stimme.
   Howard hatte den Arm um sie gelegt, sie zitterte vor Aufregung. Noch eine Pflanzung, von der eine Begrüßung herübergerufen wurde, aber weder Luise noch Julie sahen oder hörten.
   Der Drang, das Vaterhaus zu sehen, erfüllte ihre kindlichen Seelen.
   »Maman, Papa – was werden sie jetzt tun?« schluchzte Julie.
   »Sie denken an uns!« erwiderte Luise mit glänzenden Augen.
   »Ralph, sieh nur!« Julie stieß ihren Mann an. »Hinter dieser Baumgruppe!«
   »Was ist hinter dieser Baumgruppe?«
   »Der Hafen, das Vaterhaus!« rief Julie.
   »Da sind wir also am Ziel! Wohl und gut!«
   Luise warf dem Schwager einen seltsamen Blick zu, wandte sich dann von ihm weg und schaute die Schwester teilnehmend sinnend an. Sie schmiegte sich näher an Howard, als wollte sie sich recht weit von Doughby zurückziehen.
   »Aber was ist, was soll das?« rief dieser verblüfft.
   Die beiden Schwestern sahen ihn abermals an, ihre Lippen zuckten, aber kein Wort kam von ihnen. Howard stand ein wenig betroffen. Denn so wenig der Mangel an Gefühl bei Anglo-Amerikanerinnen geschmerzt hätte, hier hatte er verletzt. Die beiden Frauen waren dem Geblüt nach Französinnen, die lebhafter fühlten, und Howard besorgte, sie hatten an Doughby eine Entdeckung gemacht, die dem Kentuckier fatal werden konnte, die Entdeckung einer gewissen Gemeinheit, einer Gemütsöde. Bereits war etwas wie Widerwille auf ihren hübschen Gesichtern zu lesen.
   Woher kommt doch dieses feine Gefühl bei Weibern, das bei weit weniger Scharfblick, als wir Männer haben, um so viel tiefer eindringt, fragte sich Howard. Liegt es im zarteren organischen Bau, im reizbareren Nervensystem, das jeden rauheren Anklang lebhafter in ihnen schwingen macht, ihre Gemüter stärker durchschauert? Oder im feineren Takt der durch Leidenschaften nicht getrübten Anschauung? Oder dem natürlichen Widerwillen gegen alles, was gemein, gefühllos ist? Sicher ist es, daß dieser zarte Takt, diese sensitive Reizbarkeit bei Frauen, die reinen, unbefleckten Herzens sind, stark hervortritt und daß jeder rauhere Anklang in ihrem ganzen organischen System stärker nachhallt als bei uns Männern, zwar wieder verklingt, aber doch Spuren hinterläßt.
   »O George!« flüsterte Luise ihm mit weicher Stimme zu. »Arme Julie!«
   »Nicht doch, Luise! Nicht doch, Julie!« wehrte Howard ab. »Laßt keine Regenschauer den heiteren Himmel eures Ehelebens trüben!«
   Und Doughby ergriff die Hand seiner Frau und sah ihr fest fragend in die Augen. Sie schlug den Blick zu ihm auf, das flüchtige Wölkchen am heiteren Horizont schien schwinden zu wollen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Aber beachtenswert dürfte es immer sein, dieses Wölkchen ließ vielleicht doch einen leichten Dunst zurück. Wie der Hauch, der am blank polierten Stahl hinaufgleitet, verschwand es. Wenn aber der Hauch öfters kommt, setzt er jenen Rost an, den Rost des trostlosen Bewußtseins eines verfehlt angeknüpften Daseins, getäuschter Hoffnung, verdorbenen Lebensglücks.
   »Maman!« riefen die beiden Schwestern und winkten zum Ufer.
   Der Dampfer rundete dem Landungsplatz zu, alles war vergeben, vergessen. Luise konnte kaum die Zeit abwarten, bis die Bretter ans Ufer fielen. Sie sprang voran, zog Julie hinterdrein, und dann flogen beide ihrer geliebten Maman zugleich in die Arme.
   Wie so ganz anders sie hier doch fühlten als die Nordländerinnen! Mutter und Töchter preßten sich, als wollten sie ineinander verwachsen, nimmer sich trennen, so stürmisch, herzinnig! Endlich sprang Luise zurück, erfaßte Howard beim Arm und zog ihn mit tränenden Augen der lieben Maman zu. In diesem Augenblick kam auch der Papa, der hinter einem klafterdicken Cottonbaum Verstecken gespielt, hervorgerannt. Luise sah ihn kaum, so rannte sie auf ihn zu.
   »Mechant que tu es, Papa!«
   Sie zog den guten Mann gleichfalls der lieben Maman zu. Dampfschiff und Zuschauer waren für sie gar nicht vorhanden. Mittlerweile kam auch Doughby heran. Er rief den beiden Schwiegereltern auf ihrem eigenen Grund und Boden ein Willkommen zu und drückte ihnen lachend die Hand, daß beide aufschrien über den Kentuckierscherz. Maman griff zu ihrem Riechfläschchen, denn er roch stark nach Toddy, Mischung von Spirituosen mit Zucker und Zitronen der unglückselige Doughby.
   Nach den ersten Begrüßungen führte Papa Menou seine Gäste zum Wagen, einer eleganten Berline, Ein zuerst in Berlin hergestellter viersitziger Reisewagen mit zurückschlagbarem Verdeck mit zwei raschen Rappen bespannt. Alle packten sich in die alte Familienkarosse ein, samt Nachtsäcken, Koffern und Schachteln. Mutwillig und fröhlich hätschelte Luise bald die Maman, bald den Papa. Bald schmollte sie Cato, der ihr zu langsam fuhr, und der Schwarze bleckte vor Freude die Zähne. Alle redeten zugleich, es war ein kleines Babel, dieser Kasten während der zehn Minuten Fahrt.
   Doch siehe da! Luise hielt auf einmal inne, fuhr mit der Hand über die Stirn. Wahrhaftig, eine Träne!
   »Was fällt dir auf einmal ein, Luise?«
   Sie gab keine Antwort, deutete nur mit dem Finger aus dem Wagen hinaus. Zwischen dem Kranz von Akazien und Baumwollbäumen, die es von mehreren Seiten umringten, schimmerte das Vaterhaus hervor. Eine Pause entstand, während der Vater und Mutter bewegt das von süßer Wehmut gedrängte Kind anschauten.
   »Luise!« sagte Howard sanft.
   Sie gab keine Antwort, aber sie starrte das Vaterhaus an mit seinen malerischen Giebeln und seinem architektonischen Wirrwarr. Ja, sie betrat das Haus zum ersten Male wieder, seit sie es gegen das ihres Mannes vertauscht hatte. Es stand abermals vor ihr. Wie der Baum der Erkenntnis rückte es ihr die Vergangenheit vor die Augen, die Gegenwart, die Zukunft. Jene Tage, wo sie heiter und grün, eine unentfaltete Knospe, am blumigen Gängelband elterlicher Fürsorge umherschwirrte, keine Sorgen kannte als die, wie der Schmetterling von einem unschuldigen Genuß zum anderen zu flattern! Und nun die Gegenwart mit ihren Plackereien des Alltagslebens und seinen Mühen und Lasten, die sie ihrem Gatten, tragen half! Und die graue Zukunft, im düsteren Nebelvorhang verschleiert! Alles das stand vor ihr, und die Erkenntnis, ob sie gut oder böse gewählt habe, stand auch vor ihr, in diesem Augenblick wie ein Schild auf das Vaterhaus geschrieben. Dieser Augenblick sagte ihr, sagte Howard, ob er sie, ob sie ihn glücklich machte.
   Howard schaute sie bewegt, ängstlich an.
   Ihre in Tränen schwimmenden Augen hingen noch immer in stiller Wehmut am Vaterhaus, an jeder Hütte, jedem Baum, der in ihren Gesichtskreis trat. Jetzt fielen sie auf Howard. Ein freudiges Blitzen durchzuckte sie, sie drückte seine Hand, sank ihm in die Arme.
   »George!«
   »Luise! Bedauerst du, das Vaterhaus verlassen zu haben?« fragte er leise.
   »Nein! Nein!« flüsterte sie.
   »Danke dir!«
   Jetzt fühlte Howard, daß er glücklich war, weil er sie glücklich gemacht hatte. Vater und Mutter sahen beide starr an. Als sie aufblickten, fielen ihre Blicke auf Julie, in der ähnliches vorgegangen war, die sich aber so fest an die Mutter anklammerte, als ob sie nicht mehr von ihr lassen wolle.
   »Mes enfants! Voilà du monde qui nous attend!« mahnte der Papa.
   Und wie der Regenschauer vor den siegenden Strahlen der Sonne schwindet, so schwanden Wölkchen und Tränen auf diese Worte. Zwanzig Stimmen, die sie begrüßten, rissen sie vollends aus den tiefen Gedanken.

 //-- * * * --// 
   Es war ein entzückender Abend. Im Westen der Pflanzung erglühten die Wälder wie ein wogendes Feuermeer. Die gebrochenen Strahlen flammten durch Dattelpalmen, Traubenkirschbäume, Papaws und Pecans herüber. Die ganze Landschaft leuchtete in siegender Glorie auf. Die Giebel des Vaterhauses neigten sich und tanzten in dem verschwimmenden Farbenschmelz der Cottonwood– und Akazienwipfel. Himmel und Erde schienen sich in den lechzenden Strahlen des scheidenden Gestirns noch einmal zu umarmen.
   Alles bebte, zitterte in den letzten Pulsschlägen des Tages. Bäume und Sträucher, die Orangen– und Zitronenwäldchen, die südwestlich und östlich des kleinen Sees sich gegen das Negerdorf hinabwanden, sie schwammen, die Negerhüttchen mit ihren winzigen Gärtchen schienen sich hin– und herzuwiegen in der flimmernden Luft, die Cottonfelder bis zu den Urwäldern hinüberzuwogen. Ein Flammenmeer, so weit das Auge reichte. Ein solcher Abend ließ die Hitze eines ganzen Sommers vergessen. War doch ein wundervolles Land, dieses Louisiana!
   Howards Freund Richard Moreland, Mistreß Houston und die Gesellschaft, die ihn und Doughby auf der Fahrt begleiteten, waren bereits ausgestiegen, warteten auf der Piazza. Sie schauten drein mit Mienen, die recht deutlich sagten: Touch me not – rühr mich nicht an!
   Ist eine wahre Plage, diese unsere Steifheit und Starrheit, die aller geselligen Annäherung Trotz bieten, dachte Howard. Wie ganz anders wieder diese Franzosen oder Kreolen, welche zuvorkommende Beweglichkeit!
   Sie hüpften, sprangen den angekommenen Gästen entgegen. Gerade als sie ausstiegen, kamen zwei Damen mit einem ältlichen Herrn zu Pferde durch das Dorf an die Wagen herangesprengt. Aus den Laubengängen, die den See umfaßten, brachen ein paar andere hervor. Es waren zwei Herren mit einer Dame, die wahrscheinlich auf einer Kahnfahrt gewesen waren. Sie schulterten ihre Ruder, präsentierten und kamen dann lachend heran. Alle fühlten sich augenscheinlich wie zu Hause, bis auf Mistreß Houston und ihre Gesellschaft, die sich sehr anständig unbeweglich in der beweglichen Umgebung ausnahmen.
   Maman und Julie wurden unterdessen von zwei Messieurs Lassalle und Monteville aus dem Wagen gehoben. Luise hüpfte lachend statt ihrem Mann dem Chevalier der beiden Damen in die Arme, der auch, ohne Howard zu fragen, vom ›Wagenrecht‹ Gebrauch machte und ihr einen Kuß auf die linke, einen zweiten auf die rechte Wange drückte. Und sie machte es ihm recht bequem.
   »George, das ist Papa Vignerolles!« lachte sie. »Das ist George Howard, mon mari – Graf Louis Victor de Vignerolles!«
   Der Mann stellte sich Howard vor, eine altadelige Erscheinung. Man sah es beim ersten Blick. Während Luise den beiden von ihren Pferden abgestiegenen Damen in die Arme flog, wollte Howard einige Worte mit ihm wechseln, hatte aber nicht die Zeit, die Umarmungen gingen so stürmisch vor sich.
   »Ninon! Genièvre! Luise!« riefen alle drei auf einmal und hielten sich umschlungen.
   Dann tanzten sie Arm in Arm der Piazza zu, Howard hinterdrein. Mit Schal, Strickbeutel und derlei Dingen. Auf dem Wege hatte Luise noch ein halbes Dutzend Knickse zu machen und Umarmungen zu erwidern. Die beiden Herren von der Kahnpartie, Vergennes und d‘Ermonvalle, kamen gleichfalls, um ihren Anteil abzuholen. Sie aber schlug ihnen ein Schnippchen.
   »How d‘ye do?« lachte sie und reichte ihnen die kleinen Finger beider Hände, die sie in Ermangelung von etwas Besserem zum Mund führten. Sie tat recht, denn reichte man diesen Franzosen den kleinen Finger, wollten sie in einer halben Stunde die ganze Hand.
   Und jetzt kam ein Dutzend Kammerzofen und Hausbediente, versteht sich Schwarze, alle in ihrer Galalivree, grün mit Goldschnüren, die Mädchen dunkelrot mit grünen, turbanartig gewundenen Kopftüchern. Alle grinsten vor Freude und fletschten die Zähne. Die alte Diana führte sie an, die Hausmeisterin, die, mit vier Schlüsselbünden bewaffnet, deren jeder wenigstens zwanzig Schlüssel hielt, einen Majordomo gar nicht übel vorstellte. Kaum ward sie von Luise gesehen, so wurde sie auch bereits in Empfang genommen.
   »Ah Diana! Unsere Zimmer, geschwind unsere Zimmer!«
   Und sie ließ der Alten nicht Zeit, ihr die Hand zu küssen. Sie mußte sogleich fort. Die Zimmer, die Zimmer! Und hinter den Gästen schwärmte ein Vierteldutzend schwarzer dienstbarer Geister, jeder etwas von der Luggage – dem Reisegepäck – in den Händen. Fort ging es wie im Sturm, durch die Gänge den Zimmern zu.
   »Aber mein Gott, Diana!« rief Luise. »Wo willst du denn hin? Hast du den Kopf verloren? Da sind ja unsere Zimmer!«
   Diana lachte und grinste und wies die Zähne: »Monsieur le comte de Vignerolles!«
   »Aber mein Gott! Papa Vignerolles hat seine Zimmer doch sonst über dem See!«
   Wieder grinste die Alte mit einem schlauen Lächeln: »Le baron de Lassalle!«
   »Welche Verwirrung!« schmollte Luise. »Da siehst du, George, wenn unsereins von Hause ist, so geht alles bunt über Eck!«
   Doch sofort trippelte sie bereits höchst ungeduldig der Alten nach, die endlich am äußersten Ende des ewig langen Korridors vor einem Galeriezimmer hielt und es aufschloß.
   Wunderschön, dieses Zimmerchen, recht lieblich traulich, dachte Howard. Zitronen– und Orangenzweige rankten durch die Jalousien hinein, man könnte die goldenen Früchte pflücken, ohne die Hand durch die Fenster zu strecken.
   »Aber klein, Luise! Sehr klein! Kaum zwölf Fuß lang, zwölf Fuß breit! Gar zu eng, und nur ein einschichtiges Bett!«
   »Mein Gott!« rief Luise. »Wo hat Papa nur hingedacht?«
   Die alte Diana lachte ihr ins Gesicht. Luise aber ließ alles liegen und stehen, faßte Howard an der Hand und rannte fort, fort durch den ganzen langen Zickzackgang zur Piazza, wo der Papa noch mit den Gästen stand. Als er seine Tochter sah, überflog ein schelmisches Lächeln das ein wenig vertrocknete väterliche Gesicht. Sie zog ihn ungeduldig seitwärts.
   »Viens, Papa, viens, Papa! Qu‘as tu fait?«
   Und mit mußte er, er mochte wollen oder nicht. Und vor dem Zimmerchen angekommen, zog sie ihn herein, lief einmal, zweimal auf und ab, gerade als ob sie das Zimmer abmessen wollte, und wandte sich zum Papa.
   »Mais, Papa! Que penses-tu? Comment nous arrangerons– nous? Mais c‘est trop petit!« sagte sie dann vorwurfsvoll.
   Sie ließ dazu die Unterlippe so allerliebst herabhängen, daß ihr die schneeweißen Perlenzähne durchschimmerten. Der Papa lachte und schritt zur Wand. Er griff unter die Seidendecke des Bettes. Eine Feder knarrte, und eine vergoldete Handhabe kam zum Vorschein. Er drehte daran, die Schuppenwand bewegte sich und ging auseinander, das einfache Bettchen wurde zum doppelten, das Kabinettchen zum geräumigen Schlafzimmer.
   Luise schaute, klatschte in die Hände und fiel dem lieben Papa, der wie die Mehrzahl der Kreolen ein mechanischer Tausendkünstler in derlei Dingen war, um den Hals. Der Papa rollte die Wand wieder ineinander und zeigte auf eine zweite Feder, die eine in der Wand verborgen angebrachte Tür öffnete. Dann lief er zur Tür hinaus.
   Howard und seine Frau besahen den niedlichen Einfall, die artige Überraschung, um so artiger, als wirklich eine Mauer durchbrochen werden mußte, um seinem lieben Kind den kleinen Streich zu spielen. Das hätte wieder ein amerikanischer Pa nicht getan, eine solche kurzweilige Idee wäre alle Tage seines Lebens nicht in sein trockenes Gehirn gekommen.
   Das Schlafzimmer, im besten Geschmack eingerichtet, konnte nach Beheben in zwei Ankleidezimmer umgewandelt werden. Luise trippelte aus einem Zimmerchen in das andere, prüfte die Waschtische, die verschiedenen Fläschchen mit Wässern und Parfüms, und alles fand sie allerliebst.
   »Luise, wollen wir uns nicht umziehen?«
   Sie legte den Finger auf einen der Knöpfe ihres Reitkleides, zögerte aber, etwas Neues fuhr ihr durch den Sinn. Zuvor mußte sie noch sehen, ob das Haus auch noch am alten Fleck stünde. Die Veränderungen mußte sie schauen, und ihr Mann mußte natürlich mit. Die Inspektionsreise führte zuerst in das Appartement der Maman, die aber nicht da war. Ein flüchtiger Blick in das Boudoir, dann ging es weiter. Diana, die gerade vorbeitrottete, wurde mit den vier Schlüsselbünden in Empfang genommen. Ein Fragen begann, beide redeten auf einmal. Jeder Nagel, der seit ihrer Abwesenheit eingeschlagen worden, wie er eingeschlagen worden, alles wurde erörtert, mit einer Zungenfertigkeit erörtert! Es ist etwas einziges um ein paar Weiberzungen, dachte Howard belustigt.
   Alle Gemächer, die noch nicht besetzt waren, wurden im Flug durchstrichen, in jeden Winkel wurde hineingesehen, selbst die Vorratskammern, die Garderobe für die Schwarzen wurde nicht vergessen. Hier kam der Papa hinzu.
   »Papa«, meinte sie. »Gar zu viele Wolldecken! Was willst du mit all den Wolldecken machen? Die Motten, weißt du!«
   Der Papa lächelte.
   »Einhundert Decken könnten wir brauchen«, war ihre unmaßgebliche Meinung. »Wollen darum senden, oder besser, Papa, du sendest sie uns selber!«
   Papa lachte und nickte, und sie flog ihm um den Hals. »O mon eher Papa!«
   »Ma petite chère Luise!«
   Weiter ging es, nachdem sie ihm die Hand zum Dank für die Wolldecken geküßt hatte. Alles wüßte sie zu gebrauchen, ließen sie der Pa schalten und die Ma, sie behielten keinen Topf im Hause. In den Garten ging es, oder vielmehr den Orangen– und Zitronenhain. Einige hundert Bäume waren mit Früchten ganz beladen, das erstemal seit sechs Jahren. Denn im Winter 1822 waren die Orangen– und Zitronenbäume in ganz Louisiana erfroren. Sie bildeten einen köstlichen Kranz goldener Früchte, duftender Blüten.
   »Noch dreißig bis vierzig Bäumchen könnten wir wohl brauchen«, meinte Luise. »Die unsrigen tragen vor einigen Jahren nicht.«
   »Aber wir müßten erst Kübel haben und sie darin hinabschaffen, das würde viel Mühe machen!«
   »Laß nur Pa dafür sorgen, er schafft schon Rat!«
   Aus den Gärten sprang sie hinüber ins Negerdorf. Kaum ersah das schwarze Völkchen die Gestalt des Lieblings, so erhob sich ein Jauchzen. Von allen Seiten kamen die Kinder, Knaben, Mädchen, frohlockend herangesprungen, eine ganze Herde von schwarzen Wechselbälgen, wenigstens hundert, vom zweijährigen Piccaninny bis zum zwölfjährigen Mädchen oder Knaben. In jede Hütte guckte sie, ein paar Worte lachte sie hinein und sprang wieder heraus, um dasselbe Spiel bei der nächsten fortzusetzen.
   »George, wir gehen zur alten Toni, weißt du, die alte Toni, die schon bei Großpapa ...« rief sie endlich.
   Toni war die erste Schwarze, die in die Familie gekommen, gewissermaßen die Stammutter der schwarzen Generation auf der Pflanzung.
   »Toni, liebe, gute Toni, kennst du deine Luise nicht mehr?«
   Toni war eine eisgraue Negerin. Ihr dunkelgrünes versteinertes Gesicht war nicht mit Negerwolle, nein, einem Haarmoos überzogen, ihre Augen waren tief eingefallen, und bloß ein zeitweiliges Schimmern des Weißen verriet, daß sie der Sehkraft nicht ganz beraubt war. Sie war ein malerisches hundertjähriges Fragment, die alte Toni, wie sie dasaß, trotz der lieblich-milden Lüfte in dreifache Wolldecken gehüllt. Als sie Luise hörte, erhob sie ihre Stimme, es war mehr ein röchelndes Geächze als eine menschliche Stimme. Sie streckte ihre klapperdürre Rechte aus der Wolldecke heraus, erfaßte die Hände Luisens, preßte sie und schlug die Augen auf, senkte sie aber wieder, die Abendröte war zu grell für sie.
   »Mon bon enfant!« kreischte sie endlich.
   »Toni! Toni!« rief Luise. »Du mußt in die Hütte, die Abendluft wird zu kühl für dich!«
   Die Alte nickte. Howard und seine Frau hoben sie und führten sie ihrer Hütte zu, in der eine ihrer Urenkelinnen mit ihr wohnte. Sie ließen sie auf ihrem Bett nieder, und die Alte kreischte nochmals »Bon enfant!« Luise fragte sie, ob sie zufrieden sei, ob sie keinen Wunsch habe. Den hatte sie nicht. Howards Schwiegervater Menou nährte und pflegte die Alte wie seine eigene Großmutter, obwohl sie mehrere tausend Dollar eigenes Vermögen besaß, was bei alten treuen Negern, die mit ihren Ersparnissen hausgehalten hatten, sehr häufig der Fall war.
   Sinnend verließen George und Luise die Hütte Tonis, vor der nun die ganze junge schwarze Bevölkerung des Dorfes versammelt war. Luise hatte Gelegenheit, ihre ziemlich schwere Handtasche zu erleichtern. Jeder erhielt seinen Anteil, die größeren einen halben, die kleineren einen Vierteldollar, die kleinsten ein Escalin. Schilling – 12+½ Cent Der Jubel war groß. George und Luise mußten sich im Ernst der Zärtlichkeiten erwehren, sonst hätte man sie auf Händen ins Haus zurückgetragen.
   Sie kamen dort an, als gerade der flammende Feuerknäuel hinter dem Kranz der Traubenkirschbäume verschwand.
   »Wir müssen an unsere Toilette denken, George!« meinte Luise. »Papa sieht bei solchen Gelegenheiten darauf!«
   »Er hat recht! Eine elegante Toilette ist das Lebensprinzip eines Salons!«
   Doch siehe da! Vor dem Wirtschaftsgebäude stand Julie, vor dem Hundebehälter Doughby mit Monsieur Tricot, dem Aufseher. Menou hielt nämlich ein Dutzend Hunde, auf deren Zucht und Veredlung er viele Sorgfalt verwandte. Es war eines seiner altadeligen Steckenpferde. Da waren drei Bluthunde von der Größe halbjähriger Kälber, furchtbare Tiere, aber ungemein edel und schlank gebaut.
   Doughby hatte wieder eine Teufelei im Kopf. Er wollte die Hunde heraus haben, ihren Gang und so weiter sehen. Tricot meinte, wenn er vier Leben hätte, so möchte er es wagen. Drei Leben würden sie in weniger Zeit nehmen, als nötig wäre, ein Kotelett zu verzehren. Bloß Monsieur de Menou könne sie meistern.
   »Pah, mit ihren Bluthunden und wildem Getier!« schrie Doughby. »Sag dir, Schwager, das wildeste Getier ist der Mensch, der ledert sie alle! Sah letztes Jahr so eine wilde Karawane in New Orleans, einen Löwen und ein paar Bären und Panther, mit denen sie eine Hetze veranstalteten. Schaute mir den Löwen so an, und wie ich ihn mir ansah, kam es mir in den Sinn, und war auch vollkommen überzeugt, ihn ledern zu können. Sagt‘ es auch dem Tiertreiber, sagte ihm, was gilt die Wette, ich nehm‘ es mit euerm großmäuligen Löwen auf, will ihn ledern, euch zeigen, wie ein Kentuckier einen Löwen ledert! Mögt noch dazu ein paar Affen und Zibetkatzen an meinen Rockschößen herumzerren lassen, will mit allen fertig werden. Wollte es auch mit einem dieser Bluthunde aufnehmen! Aber wo geht ihr hin?«
   So rief er George und Luise nach. Die hatten sich bereits dem Hause zugewandt, um nicht einer neuen kentuckischen Großtat beiwohnen zu müssen. Das beste Mittel, den Wildfang ins Geleise zu bringen. Man sah, er hatte Lust zu einem Kampf. Vor acht Wochen würde er kaum widerstanden haben, aber sechs Wochen Ehestand hatten ihn doch kühler, zahmer gemacht.
   »Toilette machen!« antwortete Howard.
   »Toilette machen?« Er besah sich von Kopf zu den Füßen. »Glaube, wir schauen doch sauber genug aus!«
   »Gehen zur Tafel, und die Gesellschaft ist, wie du weißt, ausgesucht! Können doch nicht in Stiefeln erscheinen!«
   »Hast recht, dürfen uns nichts vergeben! Möchten sonst glauben, wären so ein paar Squatters!« Er trabte den beiden nach. »Wollen also Toilette machen, Julie! Aber macht es kurz, Schwager! Bin bei euch, ehe ihr‘s euch verseht!«
   »Brauchst dich nicht sehr zu beeilen, lieber Ralph! Werden ohnedem noch oft genug das Vergnügen deiner Gesellschaft haben!«
   Sie gingen lachend ins Haus.
   »Ist im Grunde genommen gar kein übler Bursche, liebe Luise. Ein wenig rauh zwar, auch juckt es noch stark in ihm, lodert, brennt heraus wie inneres Feuer. Aber die Ausbrüche sind nicht mehr so heftig, ist doch schon viel Unterschied zwischen dem Junggesellen Doughby und dem Ehemann zu spüren.«
   »Aber noch fehlt die Politur«, meinte Luise. »Er ist ein halber Barbar.«
   »Das ist wahr, wird sich aber geben. Denn er hat Ehrgeiz, und dieser ist ein trefflicher Hebel, der den rauhesten Klotz ...«
   Doch Luise war bereits in ihrem Kabinett verschwunden. Howard begann sich gleichfalls umzuziehen.
   Er war bis zum Anziehen der Jacke fertig. Luise trat soeben im Pudermantel in die Tür, in der Hand zwei Kornähren aus Madame Dubois‘ berühmter Blumenfabrik, als es an der Korridortür klopfte.
   »Walk in!«
   Doughby trat bereits umgekleidet ein.
   »Wenn du uns zehn Minuten später mit deinem Besuch beglücken möchtest – wir sind noch nicht fertig.«
   »Dann will ich euch nicht stören«, versetzte er. »Komme nur, weil mich Julie mit dem Moskitowedel forttrieb. Habe ihr, sagt sie, ein ganzes Blumenbukett verdreht, das, weiß nicht, wie viele Dollar kostet und aus einer weltberühmten Fabrik her ist.«
   Luise gab George einen Wink, der zu sagen schien:
   »Laß ihn!«
   »Wohl, Schwager, so nimm denn Platz!«
   »Hört«, fuhr er fort, »wenn ich so allein bin und nichts zu tun habe, kommen mir immer Teufeleien in den Kopf, eine nach der andern.«
   »Was sagst du, George?« fragte Luise und hielt die beiden Kornähren über die in einen Knoten geschlungenen Haarflechten.
   »Recht artig! Aber ich würde sie so anbringen.« Howard legte die beiden Kornähren zu beiden Seiten des Haarknotens.
   Sie eilte in ihr Kabinett zurück und kam in der nächsten Minute geputzt wieder heraus.
   »Du hast recht, George! Und welches Kleid?«
   »Evening dress, Luise! Rosarot steht dir ungemein gut zu deinen blonden Locken!«
   »Was nimmst du für einen Rock?«
   »Braun ist die letzte Mode.«
   »Dann nehme ich auch braun!«
   Luise schlüpfte abermals durch die Tür. Doughby sah ihr aufmerksam nach, schaute dann Howard an, augenscheinlich in Gedanken. Sie kam wieder hereingetanzt in einer Robe von braunem Gros de Naples.
   »Nun«, lachte sie, »geh hin und tu desgleichen! Ich will unterdessen unseren Schwager unterhalten.«
   Howard ging und zog den braunen Frack an.
   »Die emaillierten Busenknöpfe stehen dir gut, George. Ich will Armbänder von derselben Art nehmen.«
   Abermals schlüpfte sie durch die Tür, kam jedoch sogleich wieder mit den Armbändern in der Hand, die sie ihm reichte. Er legte ihr die Goldschnallen um die zarten Gelenke, die er küßte, gerade als Julie an der Tür klopfte und den Kopf hereinsteckte.
   »Darf ich?«
   »Aber Julie«, rief Luise und schlug in komischem Schreck die Hände zusammen, »du hast ja noch die Schuhe vom Dampfschiff an!«
   »Daran ist Ralph schuld! Er hat mir und Polly den Kopf so wirr gemacht, daß sie mir die Prünellstiefelchen wieder anlegte. Psyche, geh und sag Polly, sie soll die grünen Schuhe bringen!«
   Und Psyche lief, und Polly brachte die grünen Schuhe und Psyche das gepolsterte Fußschemelchen, auf das Julie den rechten Fuß setzte.
   »Nun, Doughby, weißt du nicht, was Pflicht und Schuldigkeit von einem galanten Ehemann heischt?« fragte Howard.
   »Was?« meinte Doughby.
   Howard deutete auf den Fuß.
   »Werdet doch nicht wollen, ich soll die Schuhriemen auflösen?«
   »Er ist‘s nicht würdig, sie aufzulösen«, meinte Luise.
   »Da hat meine schöne Schwägerin ganz recht!« lachte Doughby.
   Etwas ungelenk bückte er sich und legte seine Bärentatzen an die Stiefelchen. Während er noch mit dem zweiten Fuß beschäftigt war, traten der Papa und die Mama ein. Einen Augenblick schauten sie, angenehm überrascht. Besonders die Mama schien, nach ihrer halbverwunderten Miene zu schließen, Doughby einer solchen Aufmerksamkeit gar nicht für fähig zu halten.
   »Schwager, ihr macht mich noch zum Adepten!« raunte Doughby Howard zu, während der Pa und die Ma Luisens Kleid betrachteten.
   »Der den Stein der Weisen sicher noch finden wird!« ergänzte Howard. »Merk dir das, unsere Weiber sind Kreolinnen, oder was dasselbe sagen will, Französinnen. Sie haben zwei Seelen, eine äußerst konventionelle und eine innere. Erst wenn in diese zu dringen dir geglückt ist, bist du ihrer sicher, sonst nicht. Und das unfehlbare Mittel, da einzudringen, sind diese kleinen Aufmerksamkeiten und Spielereien. Sie wollen in der Ehe ein wenig geschmeichelt, geliebkost sein.«
   »Wahr, aber ein wenig lästig! Aber hoble mich nur immer!« Doughby drückte Howard die Hand. »Brauche es, weiß es wohl!«
   Die Tafelglocke ließ sich nun hören und führte alle heiter und fröhlich ihrem Schall nach dem Speisesaal zu.


   2

   In den Korridoren fing es an zu dunkeln. Die Gentlemen und Damen waren kaum mehr voneinander zu unterscheiden, wie sie ihre Zimmer verließen. Der Gäste waren mehr, als Howard gedacht. Die Damen erreichten die schöne Zahl der Musen, der Herren war ein volles Dutzend.
   Als sie in den hell erleuchteten Salon eintraten, warfen Eingeführte und Einführende sich forschende Blicke zu, die kurz auf den Gesichtern, den Kleidern hafteten und dann in ein zufriedenes Lächeln übergingen. Es war etwas naiv Drolliges in diesem wechselseitigen Mustern, das herausfinden wollte, wer das Vis-à-vis und ob es auch comme il faut wäre. Die Blicke der Kreolen waren neugieriger, verrieten aber mehr Feingefühl, obwohl ein leichter Anflug von Arglist auch wieder nicht zu verkennen war. Die Blicke der Nordamerikaner waren starrer, bohrender. Auch die Haltung der Franzosen war natürlicher, ungekünstelter, freier. Die gute Gesellschaft war das Element, in dem sie sich von Jugend auf bewegt. Die Nordamerikaner dagegen, besonders Mistreß Houston, standen so gespreizt da, als ob sie die ganze Würde ihrer Geldaristokratie zu repräsentieren hätten.
   Sie musterte die Kreolen oder Franzosen mit zweifelhaften Blicken, die erst in ein süßes Lächeln auftauten, als sie die klassischen Namen Comte de Vignerolles, Baron de Lassalle, de Monteville und so weiter hörte, Namen, die sich an sehr bedeutende Häuser am Red River und in den Attacapas Fruchtbarer Landstrich im Süden Louisianas, der in allen Richtungen von Flüssen, Bayous (sumpfigen Ausläufern) und Seen durchschnitten ist. knüpften, an Häuser, deren Gründer ihre Geschäfte so wohl verstanden, daß sie die gute Gesellschaft par excellence bildeten.
   Soll ich die Wahrheit gestehen – dachte Howard – würde ich zwischen guter Gesellschaft zu wählen haben, ich würde lieber die der Kreolen nehmen als die unserer Geldaristokraten in New York, Boston oder Baltimore, die beinahe durchgängig nur Provinzial-Nachdrücke der Londoner Ausgaben sind und durch ihre Nachäfferei nur anekeln. Die Kreolen hingegen bildeten eine wahrhaft gute Gesellschaft, der man es ansah, daß sie noch aus jener alten Zeit herdatierte, wo der Adel noch keine Rivalin an der Geldaristokratie hatte.
   Während sein Freund Richard sich in seiner kühlen Art noch zurückhielt, hatte Doughby bereits mit den meisten Bündnisverträge geschlossen, die Hände der Herren wie der Damen mit Kentucky-Anmut erfaßt.
   »And how d‘ye do, my dear Mister Comte?« fragte er den Grafen Vignerolles.
   »Very well, my dear Mister Doughby!« erwiderte der Graf.
   Howard grinste. Käme der gute Doughby in die Tuilerien zu König Charles X., er würde seine Hand gleich ungeniert erfassen und ihn ebenso unbekümmert fragen: »How d‘ye do, my dear Mister Charles dix?«
   Nur schade, daß die aufgehenden Flügeltüren des Speisesaals diese nette Unterhaltung verkürzten, aber was kam, war noch fesselnder, obwohl Doughby stutzig schien. Es war recht possierlich zu bemerken, wie naiv er auf einmal dreinschaute, sich so auf einmal alleinstehend, von aller Welt verlassen zu finden. Der gute Doughby war noch Neuling in diesem Punkt, hatte keine Ahnung von den angenehmen Empfindungen, die der Anblick eines wohlangerichteten Speisesaals, einer in die Augen blinkenden Tafel erregen. Wie wohltuend die Gesamtheit gastronomischer Vorrichtungen auf Herz und Sinne wirkt, wie der Vorgeschmack auf allen Gesichtern ein so unvergleichlich wohlwollendes Lächeln hervorzaubert!
   Bei einigen äußerte sich auch bereits die Wirkung dieses Anblicks durch ein unwillkürliches leises Schnalzen der Lippen und der Zunge. Das war der Fall mit Howards Nachbarn, dem Chevalier d‘Ecars, den Doughby mit einem Satyrslächeln beäugte. Aber Doughby war in diesem Punkt ein Barbar, der weder von Lucullus noch von Apicius gehört hatte.
   Howard hingegen liebte eine wohlbestellte Tafel mit appetitlich weißem Tischzeug, hübschem Eßgeschirr. Um Silber fragte er nicht viel, Sèvresporzellan tat es auch; und das ließ sich hier schauen. Die Aufsätze waren geschmackvoll, die Kühlwannen mit den Flaschen verrieten viel »savoir vivre«, die ganze Anrichtung viel Takt. Feine Servietten auf den Gedecken, zwei Suppennäpfe an beiden Enden nebst einigen bedeckten Schüsseln. In der Mitte ein Aufsatz und hinter den Sesseln ein halbes Dutzend sauber gekleideter Diener.
   Man nahm Platz. Howard saß zwischen seiner Frau und Genièvre Vignerolles, einem allerliebsten Mädchen. Es gab eine Austernsuppe, die Monteville in Entzücken brachte. Es entstand eine kurze Debatte um Suppen, die aber mittendrin abgebrochen wurde, denn die Deckel wurden von den Schüsseln gehoben, und damit nahm der Ideengang eine neue Richtung.
   »Weißt du, lieber Menou, daß sich der neueste gastronomische Grundsatz gegen das Bedecken der Fische wendet?« bemerkte der Graf de Vignerolles.
   Seine fein aristokratischen Züge, der schöne schneeweiße Kopf mit der geistreichen Stirn, leicht gerunzelt, die zarte Gesichtsfarbe mit den lichtblauen, funkelnden Augen hatten Howard schon beim ersten Zusammentreffen ungemein angesprochen.
   »Es kommt darauf an, welche Gattung von Fischen es ist«, versetzte Menou mit dem Gesicht eines Kathedermannes. »Zum Beispiel Soles Seezunge oder frischer Stockfisch, das gebe ich dir zu, aber unsere Sturgeons Stör und Turbots Steinbutt vertragen es nicht.«
   Die Fischunterhaltung wurde durch das Anstoßen der Madeiragläser unterbrochen, worauf eine kurze erwartungsvolle Pause eintrat. Der Übergang zu regerer Tätigkeit wurde durch zwei neue Erscheinungen bewirkt: Green Turtle– und Ringeltauben-Pasteten.
   »Bon!« sagte d‘Ecars.
   »Delicieux!« bemerkte Lassalle.
   Howard versuchte die Schildkrötenpastete. Sonst liebte er sie nicht sehr, denn das Fleisch erhielt erst durch Gewürze seinen Geschmack, und er haßte alles, was Gewürze enthielt. Doch dann kam das wahre Ding, die zweite Tracht, und mit dieser als Einleitung: Canvas-back duck – Wasserenten! Keine europäische Kaisertafel kann ein Gericht so zart, so duftend, so schmelzend aufweisen! Das Fleisch zergeht buchstäblich auf der Zunge, das Fett träufelt über die Lippen, es ist ein wahrer Hochgenuß!
   Tiefe Stille herrschte während der sechs Minuten dieses Schmauses, und Howard hing seinen Gedanken nach.
   Die allerliebsten Tierchen waren in der letzten Nacht im Ocasse-See gefangen worden und daher ganz frisch, was sie auch unbedingt sein müssen. Denn zwei Tage alt haben sie allen Geschmack verloren. Die Seen Louisianas, so höllische Dünste und Dämpfe sie ausatmeten, wimmelten von Fischen und waren ganz bedeckt mit allen Arten von Wasservögeln. Eine Jagd auf dem See bei Natchitoches war der Mühe wert. Der Horizont glich einer dichten Wolke von Wildenten, Gänsen und fliegendem Getier, unter die man nur blindlings hineinzuschießen brauchte, ohne zu zielen. Solch eine Jagd war eine wahre Schlacht, die zwei oder drei Stunden dauerte, und auf der einen Seite von ein paar hundert Schützen geliefert, auf der anderen von Hunderttausenden von Wasservögeln ausgehalten wurde. Erst wenn die Jäger müde und matt waren, nicht mehr laden noch schießen konnten, sammelten sie die Beute, von der in der Regel auf den Mann mehrere hundert Tiere kamen.
   Überhaupt, sann Howard, so wenig man uns im Sommer um unsere Tafeln zu beneiden Ursache hat, so reich, üppig werden sie im Herbst. Der liebe Gott weiß, was seinen Louisianern guttut, und daß vieles Essen im Sommer sie mit Extrapost in sein Himmelreich bringen müßte. Deshalb spart er sich und uns die Freude auf den Herbst und Winter. Aber dieser Herbst und Winter! Das sind ganz andere Herbste und Winter als bei euch im Norden! Ganze Armeen von Zug– und Wasservögeln kommen nun von dort herabgezogen. Unsere Schaltiere, den Sommer hindurch ungenießbar, erlangen ihre Reife. Unser Louisiana ist doch, nehmt es, wie ihr wollt, eine ganz gute ... die beste Welt! Was sind zum Beispiel eure wilden Truthühner im Norden gegen diesen Riesen, wie er da vor uns in seinem Fett schwimmt? Von zwanzig ausgewachsenen Hähnen, die ihr schießt, zerplatzen unzweifelhaft achtzehn im Fallen. Dieser jedoch ist gefangen, denn diese treuherzigen, aber dummen Tiere werden auf unseren Pflanzungen zu Dutzenden in Fallen gelockt, in die sie den Weg – so eng er ist – hinein, aber nicht wieder heraus finden. Ihr Fleisch ist eine wahre Delikatesse, doch ziehen wir ihnen die Schnepfen mit ihren langen Schnäbeln vor. Auch diesen gebührt vor euren nordischen Woodcocks der Vorzug; ich habe nie im Norden einen gefunden, der über sechzehn Unzen wog, wogegen die unsrigen bis zwanzig schwer sind. Sind ein unvergleichliches Verdauungsgericht, das just das Gewürz aufweist, das ich liebe.
   Doch Howard wurde seinen Gedanken entrissen. Die Unterhaltung begann wieder aufzuleben. Es entstand ein Gesumse, aus dem man noch nicht so eigentlich klug werden konnte. Der Chambertin und Chateau Margôt taten ihre Wirkung bei den Franzosen, bei den Amerikanern der Madeira. Doughby hatte seinen Platz am Ende der Tafel, und er war in eifriger Debatte mit d‘Ermonvalle und Vergennes begriffen. Doughby parlierte französisch, Vergennes radebrechte englisch, d‘Ermonvalle gab ein Quodlibet beider Sprachen zum besten. Bald erscholl lautes Gelächter durch den Speisesaal ob der Mißverständnisse, die dabei herauskamen.
   Mit dem funkelnden Champagner wurden die Geister noch lebendiger, stürmischer. Vergennes ließ etwas von seinem französischen Liberalismus, seiner weltbeglückenden Philanthropie hören und fand es grauenhaft, daß in einem Land der Freiheit, das sich mit seiner Aufklärung, seiner Humanität brüstete, die Sklaverei bestünde. Monteville bemerkte dagegen ziemlich gelassen, obwohl ihm die Lippen bereits zuckten, daß die Sklaverei ein altes, seit anderthalb Jahrhunderten eingeführtes und eingewurzeltes Übel wäre, das nur mit der Zeit behoben werden könnte.
   Das gab wieder Vergennes nicht zu. Ein so ungeheures Übel, das die Moral der bürgerlichen Gesellschaft von Grund aus zerstöre, sollte auf der Stelle ausgerottet werden. Die Regierung sollte sogleich eingreifen, die Sklaven freigeben, ihnen Ländereien anweisen, Schulen für sie errichten und so fort.
   »Wir geben unsere Neger frei, sobald ihr uns für die Summen, die unsere Eltern ihr Ankauf und ihre Erhaltung gekostet haben, entschädigt!« erklärte Monteville. »Wir haben notgedrungen, gezwungen durch Frankreichs und Englands Regierungen, unser Kapital, unser Alles in sie hineingesteckt. Wir haben in den südlichen Staaten über zwei Millionen Sklaven bei einer Bevölkerung von etwas über vier Millionen Weißer, in Louisiana allein auf weniger denn hunderttausend Weiße mehr denn hundertundzwanzigtausend Schwarze und Farbige. Die zwei Millionen Schwarzen der elf sklavenhaltenden Staaten – der Kopf im Durchschnittspreis nur zu dreihundert Dollar gerechnet – erforderten eine Entschädigungssumme von sechshundert Millionen Dollar! Wo ist die Nation, die sich und die kommenden Geschlechter mit einer so ungeheuren Schuldenlast beladen würde? Aber selbst wenn die acht Millionen unserer nordischen Mitbürger – denn sie allein müßten die Entschädigung leisten – ihren fünf nachkommenden Generationen diese Schuldenlast aufbürden wollten, wäre dann dem Übel abgeholfen? Könnten sie die tierischste, trägste Rasse des Erdbodens, die einzig durch die Peitsche zur Arbeit angehalten wird, durch eine Befreiungsakte zu tätigen Bürgern umwandeln? Würden diese nicht in den ersten Monden ihrer Freiheit das Spielzeug irgendeines schwarzen Spartacus sein und mit uns einen Kampf auf Leben und Tod beginnen?«
   So beiläufig lautete die Schlußfolgerung Montevilles. Während seiner sprudelnden Rede war er immer heftiger geworden. Unwillig stieß er das Champagnerglas von sich und maß Vergennes mit einem Flammenblick. Der gute Monteville merkte, daß es eine Unbesonnenheit gewesen war, sich in die Widerlegung einer Frage einzulassen, die nach Howards Meinung nie von einem Fremden in Louisiana hätte gestellt werden sollen, weil sie nur die Einheimischen und sonst niemanden anging. Was würde ein französischer oder englischer Fabrikbesitzer sagen, an dessen gastlicher Tafel ein Fremder das Ungeheuerliche der Sklaverei seiner Arbeiter, die riesige Ungleichheit zwischen dem Verdienst des Taglöhners und dem Gewinn des Fabrikherrn aufs Tapet bringen wollte? Weil die nordamerikanischen Staaten frei sind, erlaubt sich jeder Fremde Freiheiten, die er sich in seinem Land herauszunehmen wohl hüten würde.
   Eine unheimliche, ja bange Stille herrschte im ganzen Saal, eine schweigsame Spannung. Keine Silbe war zu hören, alle schienen den Atem anzuhalten. Es war die Windstille, die dem Tornado vorhergeht. Alle Zungen waren wie gelähmt, die Augen der Kreolen auf Vergennes und Monteville geheftet, einige waren bleich vor Zorn. Die allgemeine Heiterkeit war verschwunden, die Damen waren nicht weniger aufgeregt.
   Auf einmal ließ sich die Stimme des Grafen de Vignerolles vom oberen Ende der Tafel herab hören, freundlich und wohlwollend.
   »Sind Sie schon lange in unserem Louisiana, lieber Vergennes?«
   »Bereits zehn Wochen, Monsieur de Vignerolles.«
   »Schon zehn Wochen? Da haben Sie freilich unser Land kennenzulernen Gelegenheit gehabt!«
   Und die Miene des Grafen überflog ein ungemein fein ironisches Lächeln. Alle sahen ihn erwartend an. Er wandte sich an Papa Menou.
   »Gedenkst du noch der Zeiten von 1788? Du warst damals freilich noch sehr jung, bist fünf Jahre jünger als ich. Welcher Unterschied zwischen dem alten und dem jungen Frankreich!«
   »Es hatte viel Aufrichtigkeit und Feingefühl, das gute alte Frankreich«, murmelte Lassalle.
   »Les extrêmes se touchent«, bemerkte der Graf. »Wir hörten in unserer Jugend die Nachklänge der alten, in unserem Alter hören wir die Anklänge der neuen Herrschaft.«
   »Ich halte es mit der neuen!« rief Vergennes mit beinahe herausfordernder Heftigkeit. Der gute Junge hatte etwas zu viel Chambertin eingenommen.
   »Ich glaube nicht, daß der gesellschaftliche Zustand im ganzen bei den großen Umwälzungen verloren hat«, erwiderte Vignerolles im selben freundlichen Ton. »Wir haben verloren, soviel ist ausgemacht, aber das Volk hinwieder gewonnen.«
   »In fünfzig Jahren wird Europa republikanisch oder kosakisch sein!« behauptete Vergennes kurz und bestimmt.
   »So hat Napoleon gesagt«, entgegnete der Graf in seinem gefällig leichten Ton. »Ich wieder bin der festen Meinung, daß die Throne der alten Welt so ruhig fortbestehen werden wie in der neuen Welt Republiken entstehen und fallen werden. An ihrem Glanz mögen sie allenfalls einbüßen, aber ihr Dasein ist zu tief in der menschlichen Natur begründet, als daß sie gestürzt werden könnten. Als Napoleon die berühmten prophetischen Worte sprach, hatte er noch keine Ahnung von der großen Macht, die seit seinem Fall entstanden ist, der Macht der Geldaristokratie, die als Mittlerin zwischen Völkern und Thronen beide in der Waagschale hält und kosakischer Willkür nie den Eingang in das eigentliche Heiligtum europäischer Zivilisation gestatten wird. Ihr Losungswort ist Sicherheit des Eigentums.«
   »Aber Sie geben doch zu, Monsieur de Vignerolles«, wandte Vergennes ein, »daß die Welt seit den letzten zwanzig Jahren demokratischer geworden ist, als sie es je war.«
   »Ohne Zweifel haben die materiellen, oder was dasselbe sagen will, demokratischen Interessen seit zwanzig Jahren gewonnen. Aber eben weil sie materiell sind, werden sie, wenn sie bis zu einem gewissen Punkt gelangen, konservativ. Denn merken Sie wohl, Individuen wie Staaten sind nur demokratisch, solange sie arm sind. Reich geworden zeigen sie sich konservativ, aristokratisch. Die Interessen ...«
   »O diese Interessen, diese Interessen!« unterbrach Vergennes.
   »Für uns Europäer ist es ungemein schwer, lieber Vergennes, das Wesen des republikanischen Charakters zu erfassen, und noch schwerer, Geschmack daran zu finden. Wir sind in zu künstlichen Formen auferzogen, um an der natürlichen Ungezwungenheit – einer philosophischen Ordnung der Dinge Gefallen zu finden. Die Menschen erscheinen uns nicht nur zu ungeniert, sondern auch zu selbstsüchtig im Vergleich mit der Ergebenheit der alles aufopfernden Treue rein monarchisch beherrschter Nationen. Die Ursache ist wohl diese, daß in reinen Monarchien die Interessen aller, der allgemeine Egoismus, wenn ich so sagen darf, in der Hand eines einzigen Mannes und seines Kabinetts konzentriert, in Republiken hingegen dieser Egoismus über die ganze Masse der Bürger zerstreut ist. Daher die Erscheinung, daß je republikanischer eine Regierung wird, desto selbstsüchtiger und geldsüchtiger das Volk. Ich zweifle, ob Napoleon, wenn er heute in all seiner Kraft erstünde, noch die Hälfte der Opfer von unserem Frankreich erlangen würde, die ihm während seines Konsulats und Kaisertums zu seinem Unglück gewissermaßen aufgedrungen wurden.«
   Der Graf machte eine Pause und fuhr dann fort: »Ebenso zweifle ich, ob sich heutzutage fünfzig Kavaliere finden würden, die, wie wir es zu tausenden taten, ihrem Vaterland, ihren Besitzungen und Familien den Rücken kehren würden, um für eine hohe Idee zu kämpfen. Die materiellen Interessen sind das Grab jener hohen Treue, wie sie früher verstanden wurde, aber sie haben auf der anderen Seite wieder das Gute, daß auch die sogenannten Prinzipmänner heutzutage nur wenig mehr ausrichten würden.«
   »Und halten Sie das für etwas Gutes?« Die Lippen von Vergennes kräuselten sich auf eine Weise, die zu verstehen gab, wie gern er einen solchen Prinziphelden spielen würde.
   »Allerdings, lieber Vergennes! Wir haben die Übel geschaut, die Brände gesehen, die Stürme, die diese Prinzipmänner, die Mirabeaus, die Robespierres, Dantons, Marats, verursacht haben.« Der Graf sah den jungen Mann mit einem funkelnden Blick an. »Es ist etwas Schönes und wieder etwas Furchtbares mit einem sogenannten Prinzipmann. Er ist ein Wesen, das seinem Prinzip alles opfert – Religion und Familie, Vaterland und Herd. Anarchie und Verwirrung, das Zerreißen alle Bande von Liebe, Freundschaft und Gesellschaft, Ströme von Blut, brennende Städte und rauchende Landschaften kümmern ihn nicht, so nur sein Prinzip weiterschreitet. Es ist sein Gott, dieses Prinzip, dem er das ganze Menschengeschlecht zum Opfer bringen möchte! Es ist wirklich etwas Gottähnliches in dem konsequenten Aufrechterhalten eines Prinzips, aber darum wehe dem armen Erdensohn, der sich Allgewalt anmaßt, ohne deren Arm zu besitzen! Er fällt früher oder später als der Sklave, das Opfer seiner Anmaßung. Mirabeau und Robespierre, Danton und Marat waren Prinzipmänner. System-Männer, Erdengötter – sie fielen. Warum? Weil sie nicht die Kraft hatten, ihr Prinzip bis zum Ende durchzuführen. Noch einen Schritt, und sie hätten triumphiert. Aber diesen Schritt vermochten sie nicht mehr zu tun, die Kraft ging ihnen aus, weil sie beschränkte Erdensöhne waren.«
   »Aber ihre Prinzipien, ihre Systeme stehen fest«, erwiderte Vergennes. »Ein anderer führt sie, bringt sie zum Ziel!«
   »Nie wird ein System-Mann ein Prinzip fortführen, das ein anderer begann«, versetzte der Graf. »Es ist moralisch unmöglich, ein Denkmal wahnwitziger Vermessenheit findet er es, und es bleibt, gleichsam wie kahle riesige Grundmauern eines aus den Trümmern einer zerstörten Stadt aufgebauten Warnungstempels, dem vorübergehenden Wanderer ins Auge zu starren, ihm die furchtbaren Schicksale der geschlachteten Tausende, den Jammer der Väter und Mütter, die Flüche, die Verzweiflung eines ganzen Volkes zu erzählen und Nachteulen, Schlangen und Fledermäusen zum Schlupfwinkel zu dienen.«
   »Was hat der Mann gegen Prinzipien, scheint kein Freund von Prinzipien?« raunte Doughby zu Howard hinüber. »Gebe keinen Strohhalm für einen Mann ohne Prinzipien!«
   »Vergebung, Mister Doughby!« sagte der Graf, der ihn gehört hatte. »Ein Mann ohne Prinzipien, ohne Grundsätze, der ist freilich nur wenig wert. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen einem Mann von Grundsätzen und einem Prinzip– oder System-Mann.«
   »Verstehe, was Sie sagen wollen, Monsieur de Vignerolles«, fiel Doughby ein. »Dem einen sind die Prinzipien Meilenzeiger auf seinem Wege, die ihn die gerade Straße fortführen, dem anderen ist sein System ein Sporn, der ihm Tag und Nacht in den Flanken sitzt, ihn zu Tode hetzt. Wüßte auch etwas von derlei Prinzipmännern zu erzählen.«
   »Aber mein Gott, Papa!« unterbrach Luise die Diskussion. »Über lauter Prinzipien haben wir ganz das Dessert vergessen!«
   Und alle schauten auf und riefen laut: »Ma foi! – En vérité! – Mais voyez donc!« Wirklich hatten sie in der Hitze des Gefechts ganz diesen wesentlichen, ja vorzüglichen Bestandteil einer Louisianatafel vergessen. Die Überbleibsel des zweiten Gangs standen noch immer in nichts weniger als malerischen Bruchstücken umher, und die Diener, schien es, machten es sich auch bequem, keiner war zu sehen.
   »Mein Gott, wo sind denn die Leute alle?« jammerte die Maman. »Kein einziger ist da! Champagner seit einer halben Stunde auf der Tafel und kein Dessert! Welche Verwirrung!«
   Der Papa sprang auf und Luise mit ihm. Beide liefen zur Tür hinaus in den Salon. Luise kam laut lachend zurück.
   »Stellen Sie sich vor, Amadée steht mitten unter den Domestiken und erzählt ihnen wer weiß was für Geschichten! Und sie hören alle mit offenem Munde zu!«
   Neues Gelächter.
   »Ma foi, c‘est drôle!«
   »Wer ist dieser Amadée?« fragte Howard.
   »Kennst du Amadée nicht? Es ist der Amadée von Papa Vignerolles. Da kommt er!«
   Und der liebe Amadée kam wirklich mit Menou Hand in Hand. Dieser flüsterte dem Grafen und Maman ein paar Worte in die Ohren. Die gute Maman schaute auf und reichte dem Alten freudig die Rechte, die er recht französisch galant an die Lippen drückte. Die Kreolen steckten die Köpfe zusammen, und ihre Gesichter erheiterten sich. Sie wurden kindisch ausgelassen, die guten Kreolen. Nichts als »Amadée, bon Amadée« war zu hören.
   »So sag mir nur, was das alles soll?« fragte Howard leise.
   »Später!« raunte Luise ihrem Mann zu. »Du wirst hören!«
   »Amadée, deine Gesundheit!« rief der Papa und hob das Glas, und alle folgten seinem Beispiel.
   Und der alte Amadée hob das ihm von Maman gereichte Glas gleichfalls, salutierte mit Anstand rings umher und leerte es dann auf aller Gesundheit. Seltsam, wirklich seltsam. Der alte Vendéer oder Gascogner führte die Diener der Gäste mir nichts dir nichts aus dem Saal, um ihnen alte Geschichten zu erzählen, statt sie das Dessert aufstellen zu lassen, und dafür tranken ihm sämtliche Kreolen zu, als ob er eine Heldentat vollbracht hätte.
   Auf alle Fälle war er ein ganz einzigartiges Muster eines ehemaligen Kammerdieners oder was er gewesen war. Ein wahres Laternengesicht, das bloß Haut und Knochen vorwies und Runzeln und eine scharfe spitze Nase, am äußeren Ende rot punktiert, ein Paar kleine funkelnde Augen, grauweiße Wimpern, das ganze Profil ungemein scharf, eine wahre Häscher– oder Polizeidirektors-Physiognomie. Für das ihm übriggebliebene Haarkapital trug er übrigens viele Sorge, ein kurzer dicker Haarzopf saß ihm im Nacken und zwei eisgraue Wülste über den Ohren, die zu dem spiegelglatten ehrwürdigen Scheitel keinen üblen Gegensatz bildeten. Sein Rock war aus dem feinsten blauen Tuch mit weißen Aufschlägen, aber in einem Schnitt, der wenigstens ein halbes Jahrhundert alt war. Auch seine Gamaschen datierten in diese Zeit zurück.
   Jetzt war er ganz mit der Aufstellung des Desserts beschäftigt, das er recht kunstgerecht vor die Augen zu bringen wußte. Die Ananastorte verriet Meisterhand. Und wie er den Schwarzen die Teller, Schüsseln und Schüsselchen abnahm und sie gefällig auf die Tafel stellte, ging Howard ein Licht auf. Der Alte hatte die Diener zweifelsohne aus dem Saal bugsiert, um zwischen ihre Ohren und die Zunge Vergennes‘ die gehörige Entfernung zu legen.
   »Nicht wahr, Luise?«
   Sie nickte, legte aber mit einem vielsagenden Blick auf Vergennes den Finger auf den Mund.
   »Weiß nicht, liebe Luise, wer so rücksichtslos jede Schicklichkeit verletzt wie dieser junge Mensch und den fanatischen Apostel spielt, verdiente eigentlich eine ernste Zurechtweisung. Achtung vor jeder Meinung, aber Feingefühl ist da am unrechten Ort, wo unsere und der Unsrigen Sicherheit und Leben in Gefahr stehen. Ohne die Dazwischenkunft dieses alten Amadée würde ein Dutzend Sklaven Dinge gehört haben, die in Zeit von einer Woche unseren fünfundzwanzigtausend Negern am River – auf die wir nicht fünfundzwanzighundert Weiße haben – die Köpfe leicht lichterloh hätten anbrennen können. Ist nicht zu scherzen in diesem Punkt, ist furchtbarer Ernst! Wir sitzen auf einem Vulkan, einem Pulvermagazin, wir dürfen es uns nicht verhehlen. Aber wie wir unsere Lage kennen sollten, sollten wir auch nicht jeden Unbesonnenen mit glimmender Lunte in dieses Magazin eintreten lassen! Wie Männer sollten wir unsere Lage ins Auge fassen, nicht wie alte törichte Weiber, und die Kreolen sind in diesem Punkt leichtsinnige, schnatternde Weiber. Ich befürchte und gestehe es aufrichtig: Diese Kreolen bringen früher oder später eine St. Domingo-Teufelei Anspielung auf den blutigen Sklavenaufstand in St. Domingo im Jahre 1791. über uns und unser Louisiana! Zum Glück haben wir Uncle Sam im Norden!«
   Doch die Stimmen wurden immer fröhlicher, die Reden lauter. Alle fühlten sich so wohl, wie man es nur immer sein kann, wenn Ananas– und Bananentorten und Granadillos und Pecans und Orangen und zwanzigerlei Arten tropischer Früchte mehr und Champagner– und Madeirawein einen anlächeln. Einige saßen bereits wie im Traum, die Akazien vor dem Hause begannen ihnen Menuetts zu tanzen, die Tafel, die Sessel fingen an zu promenieren.
   Mistreß Houston hatte mit einiger Ungeduld der französischen Sitte, an der Tafel zu bleiben, das Opfer gebracht. Nun erhob sie sich, mit ihr die übrigen. Es war auf alle Fälle Zeit, den Aufruhr, den die Weinfluten angerichtet, mit dem Öl der Mokkabohne zu beschwichtigen.
   »Mesdames et Messieurs! Ist‘s gefällig, in den Salon zurückzukehren?«
   Keine Einwendung gegen den Vorschlag des guten Papa kam – alle ordneten sich in Reih und Glied.

 //-- * * * --// 
   An der Spitze zog der Graf de Vignerolles mit Mistreß Houston ein. Wirklich ein vollendeter Gentleman. Elegante Formen, leichte, ungezwungene, anmutige Haltung, die alles Auffallende zu vermeiden weiß, lebendiges, geistreiches Gesicht, von einem fortwährenden Lächeln aufgehellt, das bald mild ironisch, bald schärfer spöttisch oder freundlich gutmütig ihm so wohl anstand. Er hatte vieles vom Höfling im besseren Sinne des Wortes. Wie unvergleichlich hatte er die krampfhafte Spannung zu lösen gewußt, in die der heillose Vergennes die ganze Tischgesellschaft versetzt hatte! Wie gefällig, leidenschaftslos der Wortfluß seiner Rede! Auch nicht die mindeste Aufregung. Sprache, Ton, Haltung, Kleidung, alles verriet den geborenen Aristokraten jenes alten Regimes, bei dem Leidenschaften und Tränen längst versiegt waren.
   Chevalier d‘Ecars sagte, er hätte herbe Tage in seinem Leben gesehen. In seiner Jugend am Hofe Ludwig XVI. und Vertrauter eines der Brüder des Königs, sollte de Vignerolles nach dem Tod des unglücklichen Monarchen in wichtigen Aufträgen gebraucht worden sein, die Aufstände in der Vendée mit organisieren geholfen, gegen die Westermanns, die Marceaus, die Dumas und Hoches gefochten haben. Als alles verloren war außer der Ehre, entwich er nach England und von da nach Amerika, wo seine Familie noch aus früheren Zeiten her eine bedeutende Schenkung an Ländereien in den Attacapas besaß. Auf diesen hatte er eine Pflanzung gegründet, die zu den bedeutendsten in Louisiana gehörte und sich durch musterhafte Zucht und Ordnung auszeichnete.
   So lieb sollte ihm sein neuer Wirkungskreis geworden sein, daß er es abschlug, nach Frankreich zurückzukehren, wo ihm nach der Restauration seine Familiengüter mit einer ansehnlichen Entschädigung anheimfielen. Welche Gründe immer ihn bestimmt haben mochten, die ewig grünen Wiesen und Orangenwäldchen der Attacapas den glänzenden Vorzimmern der Tuilerien vorzuziehen, sie verrieten einen selbstbewußten Charakter.
   Der Graf hatte sich mit Mistreß Houston und Luise auf einem Sofa niedergelassen. Ein zweites wurde herangeschoben und nahm Genièvre, Lassalle und Howard auf. Die übrigen Gäste gruppierten sich in kleinen Abteilungen und musterten die Gemälde. D‘Ermonvalle erging sich im Reich der Töne und verlor sich in einer stürmischen Symphonie Beethovens. Er spielte meisterhaft, auch Vergennes bewies nach ihm eine ungemeine Fertigkeit.
   Der alte Amadée begann mit Kaffee die Runde zu machen.
   »Amadée, woran denkst du jetzt?« fragte ihn der Graf.
   »Vergebung, Herr Graf, ich denke mir so allerlei.«
   »Zum Beispiel?« Der Graf nippte an seiner Tasse. »An das Scharmützel bei St. Florent?«
   »Nein, Herr Graf!«
   »Oder an die furchtbaren Tage von Nantes? Wo deine Schwester und – du armer Knabe! – in dem Boot mit den zwanzig Fuß breiten Falltüren ...«
   »Nein, Herr Graf, das alles habe ich zu vergessen gesucht!«
   »Jaja, alter Freund, du hast zu deiner Zeit den Hof und die königliche Familie gekannt, den Marquis von Beaulieu und Charette und Marigny.«
   Er streckte dem alten Diener die Hand hin, die dieser mit Herzlichkeit erfaßte, wobei er dem Grafen gerührt in die Augen schaute. Ein schöner Zug, diese freundliche, beinahe brüderliche Umgangsweise der alten Franzosen mit ihren Dienern, verglichen mit unserem und unseres Verwandten John Bull vornehmen Herabsehen auf dieselben dienstbaren Geister. Dafür sind unsere Diener bloß bezahlte Mietlinge, jene aber Kinder des Hauses, die an dessen Wohl und Wehe kindlichen Anteil nehmen.
   »Also erzählt hast du, Amadée?«
   »Aufzuwarten, Herr Graf!«
   »Und was hast du erzählt?«
   »Vergebung, Herr Graf!«
   »Wissen Sie«, wandte er sich an Howard, »daß Amadée durchaus nichts davon wissen will, daß wir wieder nach Frankreich zurückkehren?«
   »Ah, Herr Graf, Sie tun wohl daran, hierzubleiben«, murmelte der Alte.
   »Schön, lieber Amadée«, fiel Luise ein. »Du mußt uns den Papa Vignerolles hierbehalten helfen.«
   »Dazu bedarf es nicht vielen Drängens, liebe Luise«, meinte dieser. »Nein, liebes Kind, wer die Höhen gemessen hat, in seiner Jugend darauf so viel herumgeklettert und sich die Beine müde gezappelt hat wie wir, der liebt in seinen alten Tagen Ruhe. Zudem würden, aufrichtig gesagt« – sein lächelnder Blick fiel auf Baron Lassalle – »uns, die wir halbe Hinterwäldler geworden sind, die Tuilerien einigen Zwang verursachen.«
   »Würden uns wenigstens anfangs seltsam genug vorkommen«, stimmte Lassalle zu.
   »Und dann, was würden wohl unsere dreihundert Neger sagen?« schaltete Amadée ein.
   »Du hast recht, Amadée! La belle France, unter seine legitimen Monarchen zurückgekehrt, wird auch ohne uns bestehen können, aber unsere dreihundert Schwarzen dürften es nicht so wohl.«
   »Es wundert mich, Monsieur de Vignerolles, wie Sie sich so leicht in unsere Sklavenverhältnisse hineinfinden konnten. Für einen Europäer aus den höheren Ständen sicherlich keine leichte Sache?« fragte Howard.
   Seine Frage schien de Vignerolles zu überraschen. Er warf Lassalle einen Blick zu und erwiderte dann: »Sie haben vollkommen recht, Mister Howard. Es ist wirklich für einen Europäer, und vorzüglich unsereinen, keine leichte Sache. Schon das Wort Sklaverei hat für unsere Ohren etwas Beleidigend-Verletzendes, die Idee war mir qualvoll.«
   »Und wie überwanden Sie das allgemeine Vorurteil?«
   Der Graf zuckte die Achseln.
   »Das Gebot der Notwendigkeit anfangs«, nahm er dann das Wort. »Später die Überzeugung, daß sich in diesem Wirkungskreis ungemein viel Gutes tun lasse. Was aber unseren Widerwillen vorzüglich und am schnellsten besiegte, war der Reiz der Neuheit und die furchtbar grausige Natur des Landes, das wir betraten.«
   »Wie? Die furchtbar grausige Natur?«
   »Ja, ich glaube, der Anblick der gräßlichen Gestade Louisianas an den Mündungen des Mississippi und der kaum minder gräßlichen Striche, die teilweise unsere Ländereien umgeben, trugen vieles, ja das meiste dazu bei, mich mit dem Sklaventum zu versöhnen. Beim ersten Anblick drängte sich mir die Überzeugung auf, daß der Weiße, sich selbst überlassen, unmöglich dieses Land der Kultur gewinnen könne.«
   Wieder machte der Graf eine Pause.
   »Ich hatte viel Entsetzliches gesehen«, fuhr er nach einer Weile fort, »als ich in Louisiana vor neunundzwanzig Jahren ankam, aber nie so etwas Grauenerregendes wie diese unabsehbaren Flächen von Sumpf und Morast, diese Tausende vermodernder Baumstämme, mit Tausenden von Alligatoren, diese gräßlichen Wolken von Moskitos, dieses Chaos einer erst beginnenden Gestaltung! Ein solches Land der Kultur zu gewinnen, schien mir etwas so Ungeheures, daß selbst das Furchtbare der Sklaverei dagegen verschwand und in meinen Augen gerechtfertigt wurde.«
   »Ja, Herr Graf, Sie riefen oft aus: mein Gott, in diesem Land sollen wir leben!« schaltete Amadée ein.
   »Wir kamen noch dazu in der schlimmsten Jahreszeit an, zu Anfang Juli«, bemerkte Lassalle.
   »Wir fuhren in der Mitte April ab«, ergänzte der Graf, »brachten aber drei volle Monate auf See zu. Es war ein trauriges Beginnen, nach den langen Mühseligkeiten und Entbehrungen einer solchen Seereise die noch trostloseren Gestade der Mississippimündungen zu sehen.«
   »Und die Hauptstadt!« gab wieder Amadée das Stichwort.
   »Eh bien!« fuhr Baron Lassalle fort, der in Erzählungslaune gekommen schien. »Nouvelle Orleans im Juli 1799! Leere Häuser, geschlossene Fensterläden, schmutzige Gassen, das Pflaster mit Abfällen aller Art Tiere besät, mit abgenagten Knochen, Gerippen, an denen ganze Scharen Carancros Kreolische Bezeichnung für ›Turkey Buzzards‹ – Aasgeier hackten und zerrten! Kein Mensch zu sehen. Unser Schiff das einzige, das im Hafen lag. Es war die häßlichste, verödetste Stadt, in die ich je den Fuß gesetzt habe. Eine tote Stadt, eine Stadt, aus der alles Lebende gewichen war.«
   Alle waren gerade in jener glücklichen Stimmung, die bei gesundem Verdauungsvermögen in der Regel nach einem guten Diner einzutreten pflegt, jener behaglich wohlwollenden Trägheit, in der die abgespannten körperlichen und geistigen Kräfte sich mit irgendeinem Ersatz geistiger Nahrung begnügen.
   So ließen sie denn Lassalle erzählen.


   3

   »Wir waren unser zehn, die zusammen die Überfahrt machten: de Vignerolles und Amadée mit noch zwei Bedienten, Hauterouge, Ducalle und ich mit unseren Dienern. Wir verließen Europa acht Monate nach dem 18. Brumaire. Der Nachdruck, mit dem Bonaparte die Zügel der Regierung erfaßte und festhielt, hatte unserem Treiben ein Ende gemacht. Unsere Rollen in Frankreich waren ausgespielt. Für unseren König, unsere ererbten Rechte hatten wir gekämpft, solange ein Hoffnungsstrahl des Erfolges leuchtete. Der letzte war erloschen, und wir dachten, es sei an der Zeit, mit den Trümmern, die wir aus dem Schiffbruch retten konnten, eine eigene Hütte zu bauen.
   In der ersten Stunde nach unserer Ankunft in New Orleans waren der Kapitän des Schiffs und seine Matrosen verschwunden, um sich für die Entbehrungen der langen Seereise so schnell wie möglich zu entschädigen. Wir waren uns selbst überlassen. Lange irrten wir durch die fremde tote Stadt auf der Suche nach Menschen und einem Gasthaus. Endlich fanden wir an der unteren Levée Uferdamm gegenüber der Kathedrale eine Kneipe. Gerade als wir an die Tür herantraten, wurde diese geöffnet und von zwei Negern eine Leiche herausgetragen.
   »Mut, Monsieur de Vignerolles!« sagte Ducalle. »Sie sehen, man macht uns Platz!«
   Der Wirt dieses Estaminet, Pierre Brodin, war der schwärzeste Bretagner, den ich je gesehen. Voll Pockennarben, mit einer dicken aufgestülpten Nase und einem Paar ewig umherrollender roter Fuchsaugen. Als wir zehn Mann hoch angerückt kamen, übersah er uns einen Augenblick vom Kopf zu den Füßen und schrie dann den Negern nach, sie sollten den Toten ja nicht entkleiden, weil er am gelben Fieber gestorben wäre, und sogleich zurückkehren. Dann sprang er in die Schenke zurück, ohne sich auch nur im mindesten um uns zu kümmern.
   Wir standen da, zweifelnd, ob wir in diese Gelbfieberhöhle eintreten sollten oder nicht. Aber die Promenade durch die häßliche Stadt hatte uns völlig erschöpft, und schließlich blieb uns keine Auswahl. So traten wir in das Schenkzimmer, in dem ein Dutzend Spanier, Mestizen und freie Mulatten tranken und lachten. Pierre Brodin ließ sich herab, hinter seinem schmutzigen Schenktisch hervorzukommen und uns einige Worte zu schenken.
   Als er hörte, daß wir soeben als Fahrgäste mit dem Schiff angekommen waren, verzog sich sein Fuchsgesicht zu einem schlauen Lächeln, und er fragte, ob wir bei ihm Quartier nehmen möchten. Wir sagten zu, und er führte uns in ein anstoßendes Hinterstübchen.
   Wir nahmen Platz auf den Sesseln und Bänken.
   Brodin musterte uns abermals vom Kopf bis zu den Füßen.
   »Plait-il?« fragte er dann, wartete aber unsere Antwort gar nicht ab, sondern lief fort und kam in einer Minute mit einem Korb Bordeauxwein und einem Dutzend Zigarren zurück. Wir tranken das erste Mal auf Neu-Frankreichs Grund und Boden. Die Hitze war ungeheuer, die Moskitos jedoch im Vergleich zu denen, die uns an den Mündungen des Mississippi zur Verzweiflung gebracht hatten, erträglich.
   Wie wir da so saßen und tranken und trüben Gedanken nachhingen, nahm Vignerolles seine Brieftasche heraus. Wir folgten seinem Beispiel. Pierre Brodin, der durch die Tür hereingelugt hatte, kam, schlich eine Weile um uns herum wie der Fuchs um den Hühnerstall, schielte Ducalle und Hauterouge über die Schultern und begann endlich mit einem spöttischen Seitenblick:
   »Ah, des lettres de récommendation – Empfehlungsbriefe an Monsieur Bouligny! Nicht in der Stadt, der Monsieur Bouligny! Und an Baron Marigny! Auf seinem Landsitz, der Baron Marigny! Pah!« Und er wandte sich, drehte sich herum und maß uns abwechselnd mit Luchsblicken. »Pah! Gut, sehr gut! Diese Empfehlungsbriefe sind gut!«
   Die Wahrheit zu gestehen, waren unsere Anzüge nichts weniger als gewählt und unsere Wäsche so, wie sie nach einer solchen tristen Fahrt sein mußte.
   »Pah!« wandte sich Pierre Brodin an Hauterouge und Ducalle: »Habt ihr fünftausend Dollar jährlich?«
   Die beiden sahen ihn mit großen Augen an.
   »Ihr habt fünftausend Dollar jährlich, gut, gut! So werden diese Empfehlungsbriefe hinreichen, um euch eine niedliche Demoiselle zu verschaffen, eine Quarterone oder derlei Zeitvertreib, die euch euer Geld verzehren helfen wird. Pah! Und Messieurs wird es geben, die euch belehren werden!«
   Dann wandte er sich ausschließlich an Ducalle, dem er über die Schulter in seinen Brief geschaut hatte.
   »Sie sind Bretagner?«
   »Ja, mein Herr!« antwortete Ducalle.
   »Sie haben einen Brief für die Attacapas?«
   »Ja, mein Herr!«
   »Sie haben, was man Erziehung nennt?«
   »Ich glaube, ja!«
   »Verstehen Sie etwas von Chemie, von Chirurgie, von ... von ...«
   Ducalle sah den Mann erstaunt an.
   »Tenez!« fuhr dieser fort. »Werde Ihnen etwas sagen! Ich, Pierre Brodin, sage Ihnen – verlassen Sie die Hauptstadt so schnell wie möglich! Befördern Sie sich selber weg von hier, sonst werden Sie befördert wie der, der soeben bei Ihrer Ankunft hinausbefördert wurde.«
   Er steckte beide Hände in seine Westentaschen und fuhr bestimmter fort:
   »Sie haben Chemie studiert, also, was dasselbe sagen will, Medizin – man nimmt es hier nicht so genau. So sage ich Ihnen denn – ich, Pierre Brodin, sage es – gehen Sie in die Attacapas! In den Attacapas herrschen intermittierende Fieber – intermittierende Fieber, verstehen Sie mich? – Balot!« schrie er auf einmal zur Tür hinaus. »Balot!«
   »Was wollen Sie?« brüllte eine Stimme aus der Schenkstube herüber.
   »Balot! Nicht wahr, bei euch in den Attacapas herrschen intermittierende Fieber?«
   »Herrschen, jawohl, herrschen!« brüllte Balot. »Brauchen Rekruten, wissen Sie, Rekruten für die intermittierenden Fieber! Den Boudin haben die Krebse, den Allien die Alligatoren, den Borel gleichfalls.«
   Balot kam mit einem halbgefüllten Rumglas zur Tür herein, die Aussage durch seine Persönlichkeit zu bekräftigen. Sie war eine der abschreckendsten, die wir je gesehen hatten.
   »Pierre Brodin!« schrie er, leerte sein Rumglas und warf es dem Wirt zu; der erhaschte es, wie ein Pudel den Bissen, und lief zur Tür hinaus.
   Und wir saßen und schauten bald den hemd-, schuh– und hutlosen Balot, der uns mit trunkenen Blicken musterte, bald wieder einander an. Es war etwas Trostloses, Verzweifeltes in unserer Lage: fremd, unbekannt in einer öden, verlassenen, vom gelben Fieber heimgesuchten Stadt, und unter solchen Menschen.
   Brodin erschien wieder unter uns und reichte Balot das gefüllte Glas. Dann wandte er sich wieder an Ducalle.
   »Sie gehen also in die Attacapas, das ist mein Rat. Sie werden da kurieren, Leute begraben, Geschäfte machen, Geld machen! Übrigens, haben Sie nun Geld, oder nicht?«
   Die Frage machte Ducalle stutzig, er schaute Brodin wieder mit großen Augen an. Dieser maß ihn mit einem blinzelnden Seitenblick.
   »Gut, Sie haben keins! Schadet aber nichts, tut nichts. Sollen Geld haben! Sie haben da eine goldene Uhrkette, hängt sicher auch eine Uhr dran. Strecke Ihnen zwanzig Gourdes Gourde – französ. amerik. Bezeichnung für Dollar vor, lassen Sie die Kette mit der Uhr als Unterpfand zurück. Kaufen Sie Medizinen ein, will sie für Sie einkaufen. Mit zwanzig Gourdes Medizinen kurieren Sie ganz Attacapas, wenn Sie die Sache verstehen. Kalomel Quecksilber-1-Calorid ist die Hauptsache, verstehen Sie! Legen Sie einen tüchtigen Vorrat von Kalomel an! Strecke Ihnen zwanzig Dollar vor, will für Ihre Fahrt dahin noch besonders sorgen. Nehme bloß fünf Prozent im Monat, bin billig. Sind ein Landsmann, ein Franzose, ein Bretagner. Muß billig mit Landsleuten sein. Einem anderen täte ich‘s nicht unter zehn Prozent. Gebe Ihnen einen Brief an Damien mit. Ist alles, was ich tun kann, das übrige ist keinen Picaillon Eine kleine Münze wert. Schauen Sie, daß Sie so schnell wie möglich fortkommen!«
   »Schauen Sie, daß Sie so schnell wie möglich fortkommen!« wiederholte der trunkene Balot.
   Nachdem Pierre Brodin solchermaßen Ducalle abgefertigt hatte, wandte er sich an Vignerolles. Er steckte die Hände in die Westentaschen und trat mit kecker, sorgloser Miene an den Grafen heran.
   »Sie sind ein Gentilhomme von Geburt?« fragte er in höhnisch-lachendem Ton.
   »So glaube ich«, antwortete der Graf.
   Brodin warf ihm einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Seitenblick zu.
   »Eh bien! Sind ihrer in erklecklicher Zahl gekommen. Auch ich, auch ich war, was Sie sind. Sie wollen in die Attacapas?«
   »Ich glaube ja!«
   »In die Attacapas also? Haben Sie Geld?«
   »Habe es nicht gezählt.«
   »Nicht gezählt? So ... recht! Auch ich zählte es nicht, als ich es nicht hatte. Man zählt nicht, wenn nichts im Beutel ist!« Brodin lachte. »Sie wollen also in die Attacapas? Sie wollen? Sage Ihnen, Pierre Brodin sagt es: Sie tun besser, Sie gehen nach Natchitoches! Gehen Sie nach Natchitoches und richten Sie sich dort einen kleinen Laden mit Pulver, Blei, Seidenbändern zum Handel mit Indianern und Negern ein!«
   »Eh bien!« sagte der Graf.
   »Richten sich einen Laden ein! Leihe Ihnen zehn Dollar ... leihe dir zehn Dollar, Kamerad! Du gibst mir ein Pfand – fünf Prozent – kaufe dir die Waren ein. Verstehst du mich? He?«
   Mit diesen Worten faßte er den Grafen beim mittleren Rockknopf.
   »Chien! – Hund!« schrie im gleichen Augenblick Amadée und sprang auf Brodin zu. »Du wagst es, den Herrn Grafen zu duzen?«
   Brodin maß ihn mit einem höhnischen Blick.
   »Pah, was geht das dich an, Freund? Kümmere dich um deine Schuhe! Wenn der Mann da will, was geht das dich an? Will er nicht, so geht‘s dich auch nichts an! Und ist ihm mein Kabarett zu schlecht, so – hier ist die Tür!«
   Brodin sprang der Tür zu und öffnete sie. Dann rückte er wieder näher an den Grafen heran, der mit vornehmer Nachlässigkeit auf seinem Stuhl saß.
   »Ah, auch wir ... auch wir wüßten was zu erzählen von adligen Vorfahren, vom Hofleben! Auch wir, die wir Oberst im Regiment von Artois, die wir Graf, Baron, Chevalier, Besitzer von Herrschaften, Silberbergwerken ...«
   »Im Regiment von Artois? Darf ich um Ihren Namen bitten?« fragte Vignerolles.
   »Louis Victor Comte de Vignerolles – Baron de Pierpont – Chevalier de – de – äh – Mazanaras!« Brodin trompetete mehr, als daß er sprach.
   »Also habe ich die Ehre, mit dem Herrn Grafen Louis Victor de Vignerolles zu sprechen?« fragte der Graf belustigt.
   »Mit dem Grafen Louis Victor de Vignerolles, Herrn der Herrschaften von Pontbleu, der Silberbergwerke von Blois!« schnarrte Brodin.
   »Der Silberbergwerke von Blois? In welchem Teil der Welt liegen diese Silberbergwerke von Blois?«
   »Was?« schrie Brodin wütend. »Sie wollen mich zum besten halten! Die Silberbergwerke von Blois nicht kennen? Sie wollen ein Franzose sein? Ein sauberer Franzose sind Sie!«
   Wir alle schauten den Kneipenwirt an und brachen in ein lautes Gelächter aus. Amadée sprang mit seinem Rohrstock auf ihn zu.
   »Pierre Brodin, kennst du mich nicht?«
   Der Wirt starrte Amadée verblüfft an, verlor sichtlich die Fassung und stammelte: »Nein, mein Herr, ich kenne Sie nicht!«
   »Jacques Pajol!« schrie Amadée stärker. »Jacques Pajol! Sohn der Marketenderin und Wäscherin Jeannot vom Regiment Provence! Kennst du den Sergeanten Amadée nicht?«
   Er schwang den Stock. Der jetzige Wirt und ehemalige Trommelschläger hüpfte entsetzt umher.
   »Jacques Pajol, hör mich an!« befahl Amadée. »Unser Gepäck befindet sich an Bord unseres Schiffs. Wenn besagtes Gepäck, und zwar das des Grafen de Vignerolles, dessen Doppelgänger du bist, und das der Barone Lassalle und Hauterouge und des Monsieur Ducalle, in einer Stunde noch an Bord des Schiffes sind und die Erlaubnis zur Ausschiffung nicht erteilt ist, so wird dieser mein Stock auf deinem Rücken einen Cotillon aufführen!«
   »Parbleu!« rief Brodin. »Was soll das bedeuten, Herr Sergeant?«
   Amadée wiederholte trocken seinen Befehl.
   Pierre Brodin alias Jacques Pajol war weit entfernt, durch die Entdeckung seines ursprünglichen Namens und Berufs niedergeschlagen zu sein, und wußte zum bösen Spiel gute Miene zu machen. Er sprang auf Amadée zu, drückte ihm die Hände, machte tausend Kratzfüße vor dem Grafen und schien ganz Jubel und Entzücken zu sein.
   »Gnädiger Herr der Herrschaften von Pontbleu«, unterbrach Amadée endlich die Lustigkeit des Wichtes, »wir müssen Sie, wie gesagt, bemühen, sich mit Ihrer eigenen Reise-Equipage auf das Zollamt zu verfügen und unser Gepäck aus den Händen dieser Behörde zu erlösen, ansonsten unser Stock doch unvermeidlicherweise ein Menuett auf Ihrem Rücken tanzen müßte!«
   »Was?« schrie Jacques Pajol. »In meinem eigenen Haus?«
   »Pah! – Chevalier de ›Mazanaras‹! Allons, fort mit dir!«
   Jacques Pajol flog wie ein Ball umher, aus einer Hand in die andere.
   »Ma foi! Morbleu!« schrie er. »Wer wird mir aber mein Estaminet besorgen?«
   »Wir alle!« riefen unsere Diener.
   Pajol kratzte sich jedoch hinter den Ohren. Ducalle machte dem Zögern durch den Vorschlag ein Ende, die Demi-Escalins Halbschillinge für ihn einzunehmen. Nachdem Pajol ihn in die schöne Kunst eingeweiht hatte, Sangaree Versüßter und gewürzter Rotwein mit Wasser und Toddy, Sling und Cocktail zu bereiten, trollte er sich fort.
   Es war die erste fröhliche Stunde, die wir in Louisiana genossen. Sie erschien uns gewissermaßen als eine glückliche Vorbedeutung unserer Schicksale in der neuen Welt. Und wahrlich, wir brauchten eine solche Aufmunterung, hilflos wie wir waren, inmitten einer von allen nur einigermaßen achtungswerten Einwohnern verlassenen, verpesteten Stadt, in der nur der Auswurf zurückgeblieben war, um gleich den Carancros über die unglückseligen Opfer herzufallen, die ihnen der Zufall als Beute zuführte.
   Noch saßen wir lachend über unserem Bordeaux – wenigstens der gereichte dem Estaminet nicht zur Schande – als Jacques mit einem kleinen klapperdürren Spanier zurückkam. Louisiana war übrigens bei unserer Ankunft noch unter spanischer Herrschaft, es fiel erst ein Jahr später wieder an Frankreich zurück, und drei Jahre später überließ es Napoleon für ganze fünfzehn Millionen Dollar an Uncle Sam.
   Der Hidalgo war angetan mit einem braunen Rock, den er noch von seinen Universitätsjahren in Salamanca her haben mußte. Denn die Arme hingen sechs Zoll über die Gelenke aus den Ärmeln heraus, seine Spindelbeine waren in gleichfarbige, sehr zerlöcherte kurze Beinkleider eingehülst. Er griff bei seinem Eintritt mit vieler Amtswürde an seinen dreieckigen Hut, gab uns seinen langen Namen und noch längeren Titel an, von denen ich bloß das Don Henriquez behalten habe, und sah uns dann, eine Antwort erwartend, der Reihe nach an.
   Wir waren alle aufgestanden. Vignerolles machte dem Don Komplimente, aber der schien nichts weniger als redselig.
   Nach den ersten Begrüßungen fragte der Graf, ob Seine Exzellenz Don Salceda, der Gouverneur, in der Stadt sei.
   »Seine Exzellenz, der Zivil– und politische, auch militärische General-Gouverneur der Provinzen von Louisiana und Westflorida sind auf einer Besichtigungsreise der Festungen«, erwiderte der Spanier, der während der Erwähnung der Exzellenz den Hut abgenommen und dann wieder aufgesetzt hatte, mit feierlich erhobener Stimme.
   »Perdon – Vergebung!« entschuldigte sich Vignerolles. »Wir haben eine Lettra de Recommendation, ein Empfehlungsschreiben, an Seine Exzellenz und bedauern sehr, Hochdemselben unsere Aufwartung nicht machen zu können.«
   Diese Worte besänftigten etwas den beleidigten kastilianischen Stolz, so daß Vignerolles die Frage wagte, ob vielleicht der Oberintendant der königlichen Finanzkammer in der Hauptstadt sei.
   »Seine Heiligkeit, der Oberintendant der königlichen Douanen für die Provinzen Louisiana und Westflorida, auch Intendant der Krondomänen, ferner Richter der Admiralität und Chef der Handelskammer besagter Provinzen befinden sich auf dem Land.«
   »Perdon!« entschuldigte sich Vignerolles abermals. »Wir haben eine Schenkung über Ländereien in den Attacapas, ausgestellt von Seiner Majestät Louis XV., und wünschen sehnsüchtig, die gesetzlichen Formen zu beobachten, um in den Besitz besagter Schenkung eintreten zu können.«
   »Seine Herrlichkeit Don Maria Nicolas Vidal Chavez, Fahavarri de Madrigal, Valdez, bürgerlicher Gobernador Lugorteniente, auch Kriegsauditor in den Provinzen Louisiana und Westflorida, ferner Oberrichter, sind in der Stadt, leben aber zurückgezogen von allen Geschäften.«
   Statt der Antwort spielte Vignerolles mit ein paar Goldstücken zwischen den Fingern. Der Spanier verzog keine Miene, schwenkte sich aber mit echt kastilianischer Grandezza dicht an den Grafen heran.
   Der ließ einen Louisdor in seine Hand schlüpfen. Der Spanier besah das Goldstück und sprach trocken: »Es bedarf noch einer Bedingung, Seine Herrlichkeit zu sehen.«
   Vignerolles ließ ein zweites Goldstück zwischen seine Finger gleiten.
   »Muy bien!« meinte der Spanier. »Señores wollen aber auch Ihr Gepäck ans Land haben? Gefällt es Ihnen, die Bedingungen auf einmal zu erfüllen oder ...?«
   Vignerolles sah sich abermals genötigt, seine Finger in die Börse zu senden.
   »Zwei Bedingungen sind hinreichend«, versicherte der Hidalgo.
   Nachdem diese erfüllt worden waren, verneigte er sich, griff an den Hut und schritt mit den Worten: »Venid, Señores – Kommen Sie, meine Herren!« würdevoll durch die Schenkstube des Estaminets der Tür und dann der Levée zu. Wir folgten ihm.
   Wir nahmen unser Gepäck in Empfang, das zur Ausschiffung auf Deck bereitlag. Während unsere Leute beschäftigt waren, die Kisten und Ballen mit Hilfe der Neger, die uns Pajol mitgegeben hatte, vor das Estaminet zu schaffen, winkte der Hidalgo dem Grafen, ihm zu folgen.
   Er fragte ihn jetzt, ob er der Chevalier de Manzanares sei, was Vignerolles bejahte. Daß einer der Vorfahren des Grafen das spanische Adelsdiplom erhalten, hatte wahrscheinlich am meisten beigetragen, unseren steifen Führer so zuvorkommend zu stimmen. Mir, der sich anschloß, wurde das Mitkommen erst nach wiederholten Beteuerungen gestattet, daß auch ich ein Caballero sei.
   Wir gingen durch die mit den ekelhaftesten Abfällen angefüllte und beinahe ungangbar gewordene St.-Louis-Straße hinab der Rue Rempart zu. Der kurze Spaziergang reichte hin, unsere gute Laune so ziemlich wieder zu verscheuchen. Unbegreiflich, wie in solcher Umgebung und einer so verpesteten Atmosphäre ein menschliches Wesen es aushalten konnte. Wir sahen auch keines, aber hinter den zerstreuten Häusern der Rue Rempart krochen in den Gräben Alligatoren und anderes Gewürm herum. Dies waren die einzigen lebendigen Geschöpfe, die wir sahen.
   Die Häuser bestanden durchgängig bloß aus einem Erdgeschoß mit breiten vorspringenden Dächern. Vor einem, das einige dreißig Schritte von der Straße zurück lag, machten wir halt. Der Spanier sah uns bedeutsam an und legte den Finger warnend auf den Mund.
   »Seine Herrlichkeit erholen sich von den Lasten der Staatsgeschäfte!«
   Er wies uns an, einige Schritte seitwärts zu warten, während er an die Schwelle des barackenähnlichen Häuschens trat und leise an die Tür klopfte.
   »Que es eso? – Wer ist da?« fragte eine rauhe, kreischende Stimme.
   »Don Henriquez!«
   Nach einer Weile wurde die Tür aufgetan.
   »Ave Maria purisima!« sprach unser Führer.
   »Sin pecado concebeda!« antwortete der Öffnende.
   Beide verschwanden im Haus, die Tür schlug hinter ihnen zu. Wir standen einige Minuten, unsere Blicke auf die Haustür gerichtet. Sie wurde abermals geöffnet, unser Führer erschien und winkte uns herein. Er schritt vor uns her und führte uns in ein mäßig großes, aber unglaublich schmutziges Zimmer.
   Hinter einem Tisch, auf dem Schnürleibchen, Mosqueros, Fliegenwedel, alte Beinkleider, Gläser mit Überresten von Ananaspunsch, Strumpfbänder und derlei Sachen herumlagen, saß auf einem hochlehnigen Sessel die Person, der wir von unserem Führer mit einem tiefen Bückling vorgestellt wurden. Der Mann trug kurze, auf dem Knie offene Beinkleider, aber keine Strümpfe. Einer der Füße steckte in einem alten Pantoffel, der andere war bloß. Über dem Hemd hatte er einen schwarzen Rock, auf dem Kopf einen dreieckigen Hut, um den Leib einen Degen gegürtet. Das war Seine Herrlichkeit der Vize-Gobernador, die greulichste Affenfratze, die mir je im Leben begegnet ist.
   »Señor Conde de Manzanares?« redete er Vignerolles an.
   Dieser verbeugte sich und überreichte ihm mit einigen höflichen Redensarten unsere Pergamente. Der Senor warf nochmals einen amtlichen Blick auf uns und winkte dann Henriquez. Der brachte ihm die Brille, die Seine Herrlichkeit würdevoll auf der Nase befestigte. Darauf überlas er die Dokumente. Das dauerte ungefähr fünf Minuten. Dann erhob er sich und streifte, ohne ein Wort weiter zu sagen, mit seiner Rechten die Dinge auf dem Tisch mit Ausnahme des Punschnapfes und der Gläser hinweg, daß sie auf die Erde fielen. Dann setzte er sich wieder.
   »Por todos los Demonios! – Bei allen Teufeln!« schrie dieselbe rauh kreischende Stimme, die wir vor unserem Eintritt bereits gehört hatten.
   Eine Glastür zu einem anstoßenden Zimmer flog auf, und heraus eine Gestalt, die uns um ein Haar aus der Fassung gebracht hätte. Unser Señor schien ein wenig verblüfft über diese unvorhergesehene Erscheinung, aber nur ein wenig, obwohl er vollwichtigen Grund gehabt hätte, es mehr zu sein. Denn die Schöne, die so formlos hereinsprang, war eine Mulattin und im bloßen Hemd, übrigens noch jung und sehr wohlgenährt.
   »Caramba!« schrie sie stärker. »Que quiere decir eso? El viejo no vale! – Was soll das heißen? Der Alte hat seinen Verstand verloren!«
   »Que es este? – Was gibt‘s?« fragte Seine Herrlichkeit, der Vize-Gobernador und nahm mit unvergleichlich kastilianischem Phlegma eine Prise.
   »Que es este?« erwiderte sie höchst erbittert. »Que es este? En verdad, el bobo viejo no vale ... – Was es gibt? Wahrhaftig, der alte Geck ist nicht ganz gesund...«
   Sie bückte sich, um die Hemden, Schnürleibchen, Mosqueros von den Matten aufzuraffen, und nahm dann keinen Anstand, sich so, wie sie war, an Henriquez zu wenden.
   »Ah, cara mio, como estemos? Que hay de nuevo? Extranjeros? – Ah, mein Lieber, wie geht‘s? Was gibt‘s Neues? Fremde?«
   Sie überflog uns mit neugierigen Blicken.
   »Seas decente!« sprachen Seine Herrlichkeit mit demselben Phlegma und nahmen eine zweite Prise. »Seas decente, y menda por un padre, y trae un puerco, en donde echar el demonio! – Sei anständig! Und schick nach einem Padre und laß ein Schwein bringen, damit er den Teufel aus dir dahinein treibt!«
   Mit diesen Worten erhob er sich würdevoll und ging auf sie zu. Sie stieß jedoch die Hand, mit der er die ihre ergreifen wollte, zurück und verschwand lachend mit dem Ausruf »Gasta calzones – er macht den Hosen Schande!« hinter der Glastür.
   Wir standen, ohne eine Miene zu verziehen, und hielten den scharfen Rattenblick des alten Lüstlings ruhig aus. Und richtig! Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich abermals. Henriquez zog aus seiner Rocktasche Feder und ein Tintenfäßchen hervor. Der Alte unterschrieb die Dokumente und wies Henriquez an, das Staatssiegel beizudrücken. Mit einem »Buen viaje – gute Reise!« entließ er uns.
   Die Tür schloß sich hinter uns. Erst jetzt durften wir über die ungemein groteske Erscheinung des zweiten Stellvertreters des spanischen Königs in den Provinzen Louisiana und Westflorida, des bekannten Vidal, lachen. Aber das Lachen verging uns. Es lag etwas zu Unnatürliches in diesem gräßlichen Zerrbild des Lasters. Durch seine grenzenlose Raubsucht und Schamlosigkeit hat Vidal der sonst humanen Verwaltung Spaniens einen garstigen Schandfleck aufgedrückt.
   Wie getrieben vom Pestengel, eilten wir unserer Schenke zu, nur des einen Gedankens mächtig, so schnell wie möglich aus dieser jammervollen Hauptstadt zu entkommen.
   Wir waren kaum wieder bei unseren Freunden, als wir ihnen unseren Entschluß mitteilten, sogleich in die Attacapas zu fahren. Alle waren damit zufrieden, und unsere Abreise wurde auf den folgenden Morgen mit Tagesanbruch festgesetzt. Pajol erhielt die Weisung, mit Balot in Verhandlungen zu treten.
   Pajol jedoch schüttelte den Kopf und erklärte uns, er wolle mit unserer Abreise nichts zu tun haben. Wir täten besser, unsere Empfehlungsbriefe abzusenden und die Antworten abzuwarten. Die Antworten konnten aber vor einigen Tagen nicht eintreffen, und jede Stunde unseres Bleibens mußte uns, die wir das Klima nicht gewöhnt waren, in größere Gefahr bringen. Wir machten Pajol darauf aufmerksam und hielten ihm vor, wie er selber früher darauf gedrängt habe, daß wir schnellstens abreisten.
   Er geriet in einige Verlegenheit und blieb dabei, wir sollten die Antworten auf die abgesandten Briefe abwarten. Wollten wir nicht in Nouvelle Orleans bleiben, so könnten wir über den Pontchartrain Großer See nördlich von New Orleans gehen.
   »Und unser Gepäck mittlerweile in deiner Verwahrung lassen?« fragte Amadée und klopfte den Mann auf die Schulter.
   »Besser Ihr Gepäck bleibt hier als Sie selber«, meinte Pajol, der seine fröhliche Stimmung noch mehr als wir eingebüßt zu haben schien.
   Es war etwas Barsches, Mürrisches, Unruhiges in den Mann gefahren, das uns notwendig hätte auffallen sollen. Aber im halben Taumel, wie wir waren, hatten wir keinen anderen Gedanken, als so schnell wie möglich fortzukommen.
   »Kurz und gut«, sagte ich. »Du unterhandelst mit Balot, der sich anheischig gemacht hat, uns nach den Attacapas zu bringen.«
   »Oder ...!« Amadée hob seinen Stock.
   Pajol ließ sich jedoch durch diese Drohung nicht einschüchtern.
   »Ich will nichts mit Ihrer Abreise zu schaffen haben!« erklärte er. »Sie tun am besten, Ihre Empfehlungsschreiben abzusenden und sich durch Ihre Freunde eine Gelegenheit zur Fahrt in die Attacapas zu verschaffen. Wollen Sie mit Balot abgehen, so mögen Sie das tun, ich jedoch biete meine Hand nicht dazu.«
   Wir schauten einander an. Etwas war nicht richtig, das merkten wir. Aber in unserer Lage konnten wir uns nicht lange besinnen. Vignerolles nahm Pajol auf die Seite und fragte ihn um die Ursache seiner Meinungsänderung. Ob Balot ein verdächtiger Charakter sei? Er bat ihn, aufrichtig zu sein.
   Pajol kehrte sich ab und brummte etwas, das ich nur zur Hälfte verstand. Es war etwas von neun Zoll kalten Eisens. Dann wandte er sich wieder zu Vignerolles und versicherte ihm, daß Balot schon hunderte hinüber in die Attacapas gefahren habe. Er rate uns jedoch, an das jenseitige Ufer des Pontchartrain-Sees zu gehen, wo wir vom gelben Fieber nichts zu fürchten hätten.
   Unwillig wandten wir uns von dem Mann, bei dem weder Bitten noch Vorstellungen fruchten wollten. In diesem Augenblick trat der wilde Balot ein. Er warf einen fragend mißtrauischen Blick auf Pajol, der diesen noch verstörter zu machen schien.
   »Messieurs, ich bringe euch in die Attacapas!« lärmte Balot.
   Pajol stand mir zunächst und wisperte mir ins Ohr: »Gehen Sie nicht mit ihm, gehen Sie über den Pontchartrain!«
   Balot stand da und stierte einen nach dem anderen an, allem Anschein nach aber viel nüchterner, als es nach der bedeutenden Menge gebrannten Wassers, die er zu sich genommen, zu vermuten war. Ich war nachdenklich geworden, und mehr noch Freund Amadée, der mir seine Bedenken leise zuflüsterte.
   Vignerolles hatte sich unterdessen mit dem Patrón in Unterhandlungen eingelassen. Balot verpflichtete sich, mit seiner Voiture – so nannte man die bedeckten Boote, mit denen vor Erfindung der Dampfschiffe gewöhnlich die Reisen gemacht wurden – am folgenden Morgen um fünf Uhr an der Levée zu sein und die nötige Mannschaft mitzubringen, die aus zehn Ruderern, einem Bootsmann und ihm als Patrón bestehen sollte. Seine Forderung war ein Dollar täglich für jeden Ruderer, zwei für den Bootsmann und drei für den Patrón.
   Der Handel war kurz abgeschlossen worden. Von Zeit zu Zeit sah sich Balot dabei nach Pajol um, der ängstlich hinaus– und wieder hereintrippelte, sich auf einmal an Amadée heranschob und diesem etwas in die Hand drückte. Mir war keine Bewegung des Mannes entgangen.
   Balot hatte das Angeld von zehn Dollar erhalten, für das übrige sollte ihm ein Scheck ausgestellt werden. Während diese Verhandlungen ins reine gebracht wurden – was einige Schwierigkeiten machte, weil der Mann Vorausbezahlung wollte, um seine Schulden bei Pajol und einem gewissen Crochet zu begleichen —, hatte Amadée einen Blick in das ihm so geheimnisvoll zugesteckte Papier geworfen. Gleich darauf trat er auf Balot zu.
   »Sagen Sie mal! Welchen Weg wollen Sie nehmen?«
   Balot warf einen fragenden Blick auf Amadée, schoß einen giftigen in der Stube umher, aber Pajol war verschwunden. Der Mann wurde mir jetzt unheimlich.
   »Welchen Weg?« brüllte er. »Welchen anderen Weg als den nächsten besten? Wo meine Voiture und meine Passagiere am schnellsten dahin kommen, wo wir sie haben wollen!« Diese Worte hatten einen höhnend lachenden Nachklang.
   »Und dieser Weg?« fragte Amadée weiter.
   »Was geht Sie der Weg an?« brüllte Balot mit einem Roßgelächter. »Sie gehen den Weg, den Ihre Herrschaft geht! Ich bin mit Ihrem Herrn da einig!«
   »Nicht so vorschnell, Balot!« fiel ich ein. »Amadée ist unser alter Freund, und was er spricht, wiederholen wir. Nicht wahr, Vignerolles?«
   Der Graf bejahte es.
   »Und dieser Weg?« fragte Amadée noch einmal.
   »Führt durch das Bayou La Fourche.«
   »Nein!« versetzte Amadee. »Diesen Weg nehmen wir nicht! Wir gehen durch das Bayou Plaquemine!«
   »Dann könnt ihr allein gehen, ich bleibe!« trotzte Balot.
   »So bleiben Sie!« sagte ich.
   Der Argwohn hatte bei mir tiefe Wurzel geschlagen, obwohl mir auffiel, daß Amadée den Weg über das Bayou Plaquemine dem über das Bayou La Fourche vorzog. Wir hatten uns nämlich während unserer vierzehntägigen Auffahrt von den Mündungen des Mississippi nach New Orleans häufig mit dem Kapitän und den Matrosen über die beste Art und Weise, von der Hauptstadt nach den Attacapas zu gelangen, besprochen und erfahren, daß das Bayou La Fourche bei weitem der beste Weg sei. Es geht 27 Stunden oberhalb von New Orleans vom Mississippi aus, während das Bayou Plaquemine 39 Stunden flußaufwärts abzweigt, wobei dieser Weg zwei Tage mehr erfordern würde. Aber eben dieser Umstand machte ihn auch für den Patrón gewinnreicher, und dessen Weigerung, ihn zu nehmen, ihn selber um so verdächtiger.
   »Aber was fällt dir auf einmal ein?« fragte der Graf Amadée.
   »Ich glaube, Herr Graf, wenn Balot nicht durch das Bayou Plaquemine will, tun wir am besten, wir senden unsere Empfehlungsbriefe ab und gehen über den Pontchartrain!«
   Ich stimmte ihm bei. Vignerolles fing nun zu merken an, daß Amadée wichtige Gründe für die Veränderung unseres Reiseplanes haben mußte, und tat es gleichfalls. Balot hatte abwechselnd mich und Amadée mit giftigen Blicken gemessen.
   »Pah!« schrie er endlich. »Habe die zehn Dollar, die mir niemand nehmen kann! Sind gerade recht zu einem Zeitvertreib bei Crochet!«
   Und mit einem Hohngelächter ging er fort. Wir schauten ihm nach, so trostlos wie gestrandete Seefahrer, die das Rettungsschiff herannahen und wieder verschwinden sehen.
   Erst nach geraumer Zeit fielen wir beinahe unwillig über Amadée her, der uns die Aussicht verdorben, aus dieser verpesteten Stadt zu entkommen. Amadée aber wies uns statt aller Antwort das Papier, das ihm Pajol in die Hände gedrückt hatte.
   Mit Bleistift waren die Worte darauf gekritzelt: »Um Gottes willen! Fahren Sie nicht durch das Bayou La Fourche! Fahren Sie durch das Bayou Plaquemine! Balot ist ein Quadroon, Mischling zwischen Weißem und Mulattin seine Ruderer sind Neger und Mulatten!«
   »Pah, was hat das zu sagen?« rief Ducalle. »Pajol ist ein Narr. Ein Quadroon ist so gut wie ein Weißer!«
   »Monsieur!« sprach Pajol zur Tür herein. »Wenn Sie in sechs Wochen noch am Leben sind, werden Sie mich keinen Narren schelten!«
   Wir riefen ihn herein und drangen in ihn, sich deutlicher zu erklären. Aber er weigerte sich ganz entschieden. Bereits habe er mehr getan, als er vor Balot und seinen Genossen verantworten könne. Er sage nichts weiter, als daß Balot und seine Leute Farbige wären. Alle Pflanzer zögen es vor, ihre Reisen auf dem Mississippi und den Bayous mit Akadiern zu machen.
   Wir hatten von diesen Akadiern noch nichts gehört und erfuhren nun, daß man so die Nachfahren jener französischen Kanadier nannte, die aus ihrer Heimat in Nova Scotia oder Acadia von den Engländern vertrieben worden waren, weil sie sich 1755 weigerten, die Waffen gegen ihre Landsleute zu erheben. Die Engländer hatten das ungeachtet des Utrechter Friedens von 1712 verlangt, in dem ausdrücklich die Neutralität dieser von Frankreich an England abgetretenen Provinz ausbedungen war. Es waren zwölftausend Familien, die Heimat und Eigentum verloren, weil sie nicht gegen ihre Väter und Brüder streiten wollten. Erbarmungslos wurden sie über die Grenzen gehetzt, erfroren, gingen an den Strapazen zugrunde, Männer, Weiber und Kinder. Mehr als sechs Jahre irrten sie in den Urwäldern umher, nur ein kleiner Rest entkam über die großen Binnenseen und Illinois hinab nach Louisiana, wo die Akadier endlich an den Ufern des Mississippi und in den Attacapas Hilfe und neue Heimstätten bei ihren Landsleuten und den Spaniern fanden, denen im Frieden von 1763 Louisiana von den Franzosen abgetreten wurde.
   Pajol rief nun seine Neger. Diese deckten den Tisch für unser Abendessen und trugen die Speisen auf. Wir setzten uns, aber Speisen wie Getränke widerstanden uns. Es bedurfte nicht der öfteren Erinnerungen Pajols, ja mäßig im Genuß der Fleischspeisen zu sein. Wir konnten nichts als Gemüse und einige Schinkenschnitten zu uns nehmen.
   Die Hitze war zum Ersticken.
   Als wir so saßen, kam Balot abermals zur Tür herein.
   »Messieurs!« brüllte er uns an. »Ich bringe Sie durchs Bayou Plaquemine, aber es kostet Sie die Hälfte mehr!«
   »Ihr erhaltet, was ausgemacht ist«, erklärte ihm Amadée. »Einen Gourde für die Ruderer, zwei für den Bootsmann und drei für Sie!«
   »Gut! So gehen wir morgen früh um sechs Uhr ab.« Wir waren es zufrieden. Vignerolles schrieb die Anweisung, die nach unserer Ankunft von unserem Bankier in New Orleans ausgezahlt werden sollte, und Balot entfernte sich, um seine Leute zusammenzubringen.
   »Sind Sie mit Waffen versehen?« fragte mich Pajol nach einer Weile wie gelegentlich.
   »Pistolen, Doppelflinten und Kavalleriesäbel.«
   »Die Säbel sind gut, aber nichts gegen Dolche auf Voitures. Sie müssen auch Dolche haben.«
   »Glauben Sie, wir haben sie nötig?«
   »Das läßt sich unmöglich voraussagen!«
   »Mit diesen Worten verließ Pajol das Estaminet. Die trübe Laune, die alle niedergedrückt hatte, war verscheucht. Die verpestete Atmosphäre, die heißen Dämpfe waren es, denen alle um jeden Preis entkommen wollten. Diese Aussicht hatten wir nun, und als Zugabe eine zweite auf einen Strauß, die uns Hitze und Fieber vergessen ließ.
   Pajol kam wieder und brachte uns sechs spanische Dolche, die wir für ebenso viele Piaster Spanischer Piaster – etwa ein Dollar eintauschten. Bei allen waren Heiterkeit und Mut wiedergekehrt. Lachend beschlossen wir unser Abendessen, lachend suchten wir unsere Lagerstätten auf. Sie waren im Schuppen des Estaminet-Hofs neben unseren Kisten und Ballen aufgeschlagen, da wir billiges Bedenken trugen, uns den Betten Pajols anzuvertrauen, obwohl er uns hoch und teuer versicherte, nach jedem, der am gelben Fieber gestorben, seien sowohl die Zimmer gelüftet wie die Leintücher und Tillandsea-Matratzen verbrannt oder in den Mississippi geworfen worden.
   Trotz Mosquitos, trotz Brulôts – diese Insekten sind kleiner als die ersteren, dringen aber mit ihren ungemein peinlichen Stichen durch die Kleider – und trotz anderen namenlosen Ungeziefers schliefen wir ruhiger, als es seit Monaten der Fall gewesen war.
   Allein Amadée teilte unsere Sorglosigkeit nicht und blieb wach. Vor Tagesanbruch kam er zu unserem Strohlager, rüttelte uns aus dem Schlaf und winkte uns, ihm zu folgen. Schlaftrunken gingen wir ihm nach.
   »Was gibt‘s, Amadée?«
   »Ich glaube doch, wir gehen am besten über den Pontchartrain.«
   »Was zum Henker fällt dir ein, jetzt, nachdem der Handel abgeschlossen ist?«
   Amadée schüttelte den Kopf.
   »Es sind Farbige, ich traue den Farbigen nicht. Sie gefallen mir nicht.«
   »Das finde ich begreiflich. Du konntest seit den Zeiten des Clubs Massiac nie einen Farbigen leiden«, spottete Ducalle.
   Der Club Massiac war die bekannte Gesellschaft von Negerfreunden, die sich im Anfang der Revolution in Paris gebildet hatte und von großem Einfluß auf die Entwicklung des Sklavenaufstandes in St. Domingo war.
   »Amadée schien den Vorwurf nicht gehört zu haben.
   »Wir sind hier unbekannt«, erwiderte er. »Diese Menschen mögen uns hinführen, wo sie wollen, kein Hahn kräht um uns. Geben wir unsere Empfehlungsschreiben ab, Herr Graf! Das wenigste, was die Herren für uns tun können ist, uns eine Reisegelegenheit nach den Attacapas zu verschaffen.«
   »Hast du etwas Verdächtiges gehört?« fragten wir.
   »Ich blieb im Estaminet, um mit Pajol wegen der notwendigen Lebensmittel zu reden. Was ich da von den Farbigen hörte, gefiel mir nicht.«
   »Und was hörtest du?«
   »Bloß unsere Namen! Verstehen konnte ich ihr negrokreolisches Kauderwelsch nicht.«
   »Pah, Amadée, du bist doch sonst nicht so furchtsam und hast das Herz auf dem rechten Fleck!« meinte Hauterouge. »Zehn Franzosen werden sich doch vor zwölf Farbigen nicht fürchten? Es ist Ehrensache für uns, zu gehen. Man würde uns auslachen!«
   »Ich meinerseits bin fest entschlossen, mit den Leuten zu gehen!« erklärte Ducalle.
   »Ich auch!« sagte Hauterouge.
   Vignerolles und ich waren noch unentschlossen, aber jetzt kam Balot. Und der Gedanke, uns vor diesem Menschen eine Blöße zu geben, beschwichtigte alle Bedenklichkeiten, so ernster Natur sie auch waren. Wir ließen unser Gepäck an die Levée und an Bord des Fahrzeugs schaffen und folgten nach wie Leute, die nicht recht wissen, ob sie wachen oder träumen.
   Die Amerikaner haben ein Sprichwort, das da sagt: ein Europäer bleibt sieben Jahre in Amerika blind. Es enthält viel Wahres. Wenigstens wir, ich gestehe es gern, waren blind, als wir in Amerika ankamen, und blieben auch geraume Zeit gleichsam blind, befangen in einer Weise, die dem Zustand des Schlaftrunkenen gleicht. Weit weniger so fühlten unsere Diener. Aber die Erscheinung war natürlich. Wir kamen aus Verhältnissen, die ich abstrakt nennen möchte im Gegensatz zu denen, in die wir eintreten sollten, und die konkreter Natur waren.
   Unsere Rollen in Europa, obwohl nicht gerade die unbedeutendsten, hatten uns nur wenig mit den Volksmassen in Berührung gebracht, das Befehlen ausgenommen. Wir waren gewissermaßen Räder, die wieder untergeordnete Triebwerke in Bewegung setzten, für die andere dachten und die wieder andere in Bewegung setzten, handeln ließen. Als Hofleute und kommandierende Offiziere konnten wir bei einem grand oder petit lever fungieren, konnten Regimenter, Bataillone befehligen, auch Verse machen, Romane, Tragödien und Komödien kritisieren, verstanden etwas von Chemie und Astronomie. Wir glaubten, in Louisiana, wenn nicht vollen Ersatz für die Heimat, so doch einen leidlichen Zufluchtsort zu finden. Was wir aber sahen, konnte unsere Erwartungen nur bitter enttäuschen.
   Der Starkmut des Mannes hat auch seine Grenzen. Wer soviel gefochten, gekämpft, erduldet und ertragen hat wie wir in den zehn Jahren unserer Revolution, der fängt an zu verzweifeln. Das stärkste Schiff hält wohl zwei, drei und mehr Stürme nacheinander aus, allein wenn diese Stürme immer und immer wiederkehren, bald von Westen, bald von Osten, bald von Norden, wieder von Süden, dann brechen nicht nur die Ruder, die Masten – dann reißen auch die Segel, und die Planken beginnen nachzugeben. So auch das Gemüt des Mannes, es fängt an zu wanken, zu verzweifeln. Und ist es einmal dahin gekommen, dann ist Ruhe und Besonnenheit dahin, dann kommt die Unruhe. Sie warf uns Balot und seinen Genossen in die Klauen.
   Unser Empfang in New Orleans hatte uns für ihn reif gemacht. Das gelbe Fieber wütete, kein Schiff, kein Boot war zu sehen. Die wenigen Einwohner, die zurückgeblieben waren, schlossen sich in ihre Häuser wie in belagerte Festungen ein, bloß einige hundert Elende trieben sich wie Schakale oder Aasgeier umher. Daß wir den Zutritt zu Don Valdez erlangten, war ein bloßes Ohngefähr und Vignerolles‘ Dublonen Spanische Goldmünze im Wert von etwa 8 Dollar wie dem Umstand zuzuschreiben, daß einer seiner Vorfahren den Titulo de Castilla – das spanische Adelsdiplom – bekommen hatte. Aber was soll ich noch weiter sagen? Man muß Nouvelle Orleans im Jahre 1799 während des gelben Fiebers gekannt haben.
   Es war eine Albernheit, eine Dummheit, uns mit solchem Gelichter wie Balot einzulassen. Mir steigt jetzt noch die Galle hoch, wenn ich daran denke. Wir hatten die elendeste Fahrt, die je den Mississippi hinauf gemacht wurde. Daß wir hinaufkamen, hatten wir nur unserem guten Stern und unsäglicher Arbeit zu danken. Wir mußten arbeiten wie Galeerensklaven, rudern wie Matrosen. Denn diese faulen widerspenstigen farbigen Bestien wollten nichts tun als Filet Branntwein trinken und spielten uns noch dazu jeden möglichen Possen.
   Vergebens schauten wir um Hilfe aus bei den Pflanzungen, die es damals auch schon am Mississippi gab. Aber wir kamen von New Orleans, wo das gelbe Fieber herrschte. Niemand wollte mit uns etwas zu tun haben. Und wenn sich ja einer uns näherte, während wir unsere Mittags– oder Abendmahlzeit am Ufer hielten, dann waren die Zurufe unserer Mulatten »Des pauvres blancs – arme Weiße!« oder »Des Francais de St. Domingue – Franzosen von St. Domingo!« hinlänglich, ihn schnell wieder zu verscheuchen. Leider haben sich die ehemaligen Kreolen gegen ihre unglücklichen Mituntertanen, die Flüchtlinge von St. Domingo, geradezu unmenschlich und grausam bewiesen. Diese Periode ist und bleibt ein besonderer Schandfleck in der eben nicht sehr rühmlichen Geschichte von Louisiana.
   Am dritten Tage nach unserer Abfahrt – wir waren an der Côte des Allemands – begegneten wir einem Boot, das vom linken auf das rechte Ufer übersetzte. Es war Windstille, der Strom ruhig. Balot teilte gerade Branntwein aus. Wir waren ans Land gestiegen, um unser Abendmahl zu halten. Das fremde Boot war nicht mehr hundert Fuß vom Ufer, als Balot auf einmal dem Mann am Ruder zuschrie: »A droite! – Nach rechts!«
   Im gleichen Augenblick ließ sich auch ein starker Windstoß spüren. Der Patrón im fremden Boot lenkte unwillkürlich auf den Ruf hin das Boot rechts, ohne daran zu denken, daß er die Seite dem Windstrich darbot. Wir hörten einen Schrei aus dem Boot, aber schon zu spät. Der Luftstrom hatte das Boot erfaßt, kollerte es wie ein Faß über und über, und in den nächsten zehn Sekunden wurde es gescheitert ans Ufer geworfen. Der Pflanzer war halb zerschmettert, zwei Neger ertranken vor unseren Augen, ein Knabe streckte angstrufend seine weißen Händchen aus dem Wasser und versank. Alles das vor unseren Augen!
   Kaum sah Balot, was er angerichtet, als er und die Seinigen lachend wie Kobolde in das Fahrzeug sprangen und uns zuriefen, wir sollten nachkommen oder sie ließen uns sitzen. Was blieb uns übrig? Wir machten uns später Vorwürfe, daß wir ihn nicht sofort gepackt und gebunden hatten, um ihn dem Gesetz oder dem ersten besten Pflanzer zu überliefern. Er war geschwinder als wir, und so mußten wir ihm nach, wollten wir nicht zurückbleiben. Die ganze Nacht ruderten wir, um einer Verfolgung zu entgehen.
   Nachdem diese Strolche uns zehn Tage lang bis zum Rasendwerden geplagt hatten, fuhren wir endlich am elften in das Bayou Plaquemine ein.
   Siebenundzwanzig und neununddreißig Stunden oberhalb von New Orleans brechen vom westlichen Mississippi-Ufer zwei Seitenarme aus, Bayous La Fourche und Plaquemine genannt, schon damals die gewöhnlichen Wasserstraßen, auf denen man während der Flutzeit zu den Attacapas gelangt. In den Monaten Februar bis April nämlich, wenn der Mississippi seine mittlere Wasserhöhe zu übersteigen beginnt, stürzt das Wasser aus dem Strom mit außerordentlicher Heftigkeit über die angeschwemmten Holz– und Schlammassen der halbverdämmten Bayous, und mit dem Beginn dieses Ausströmens setzt auch die Schiffahrt in die beiden Ausmündungen ein und dauert an, bis die zu dem westlichen Überschwemmungsgebiet des Mississippi gehörigen Flüsse, Seen und Gewässer gleiche Höhe mit seinem Wasserspiegel erreicht haben. Ungefähr Mitte August hört mit dem Sinken des Wassers im Strom auch die Schiffahrt wieder auf.
   Sobald man tiefer in diese natürlichen Abzugskanäle hineingelangt, läßt die Heftigkeit der Strömung nach, und der Reisende, dessen Fahrzeug nicht an einer vorspringenden Uferkrümmung oder einem entwurzelten Baumstamm zerschellte, ist der ersten Gefahr entronnen – um anderen entgegenzugehen. Diese Bayous sind nämlich von zahllosen Flüssen, stehenden Gewässern und Sümpfen so durchschnitten und durchkreuzt, daß selbst bei genauer Kenntnis der Fahrstraße nur die gespannteste Aufmerksamkeit den leitenden Faden aus diesem Labyrinth zu finden vermag.
   Bald erweiterte sich die Fahrstraße in einen See, in den strahlenartig eine Unzahl neuer Gewässer ein– und ausmündet, bald verengt sie sich wieder so sehr, daß sie von den zwanzig Fuß hoch überschwemmten Zypressenwäldern nicht mehr zu unterscheiden ist. Die Wucht der ungeheuren Bäume wölbt sich über dem Reisenden zusammen, das spanische Moos hängt in langen, dichten Flechten von den Riesenstämmen herab, liegt auf dem Wasser, versperrt den Weg.
   Kein Sonnenstrahl dringt durch die Wasser– und Waldesnacht, ein unheimliches Dunkel drückt den Menschen und die Natur nieder. Kein Singvogel läßt seine Stimme hören. Bei Tage zerreißt das brüllende Gestöhn von Tausenden von Alligatoren und Riesenfröschen die Ohren, nach Sonnenuntergang bringt einen das nervenerschütternde Gelächter und Geächze der großen Mississippi-Nachteulen zur Verzweiflung.
   Wir rannten schon bald nach der Einfahrt in das Bayou Plaquemine glücklich auf einen im Wasser liegenden Zypressenstamm. Unser Fahrzeug war richtig aufgesessen, das Vorderteil befand sich jenseits des Stamms, das Hinterteil diesseits. Die Voiture hatte ein gewaltiges Loch bekommen, das Wasser drang in Strömen ein.
   Balot und seine Mulatten bemächtigten sich, sowie sie unser Unglück sahen, der Jolle. Wir bemerkten das erst, als wir sie lachend davonfahren sahen. Mit einem unserer Güterballen, der dem Grafen gehörte und tausend Livres Alte französische Münze = 1 Franc wert war! Als wir verlangten, sie sollten uns mitnehmen oder später abholen, hatten sie die Unverschämtheit, für unsere Befreiung tausend Dollar zu fordern. Wir wollten ihnen gebührend antworten, aber die Ladungen unserer Flinten und Pistolen waren naß geworden.
   Es war die schrecklichste Nacht, die ich je durchwacht. In einer Viertelstunde standen wir bis an den Unterleib im Wasser. Ringsum nur Sümpfe und Moraste mit Alligatoren und Alligator-Schildkröten. Etwa einen Meter lange, gefräßige Schildkröte Keinen Augenblick Ruhe! Die ganze Nacht mußten wir mit diesen Echsen kämpfen, die zu Dutzenden ihre greulichen Rachen nach uns herauf streckten, ja ins Fahrzeug kamen. Und dazu die gräßlichen Mississippi-Nachteulen, die uns an die Köpfe flogen, und ihr höllisches Gelächter! Ich möchte diese Nacht nicht noch einmal durchleben.
   Mit welcher Erleichterung begrüßten wir den Aufgang der Sonne, obwohl unsere Lage dadurch nur wenig gebessert wurde. Vergeblich zergrübelten wir uns die Köpfe, wie wir uns durch Sumpf und Alligatoren auf festen Boden retten könnten. Schließlich gaben wir es als hoffnungslos auf und brüteten nur noch dumpf vor uns hin.
   Doch da störte uns plötzlich Ruderschlag auf. Kehrte Balot mit seinen Genossen doch noch zurück, um uns zu holen? Hatte das Bessere in ihm gesiegt oder glaubte er uns nun zugänglicher für seine Erpressungen? Aber es war nicht die Jolle, die da kam, es war ein Fahrzeug so groß wie das unsere, eine Voiture.
   Der Himmel hatte uns Roche Martin, einen wackeren, greisen Akadier, zu unserer Rettung gesandt. Eine halbe Stunde später hatte er uns von dem fatalen Baumstamm erlöst und mit unserem Gepäck in sein Boot übernommen.« —


   4

   Der Baron hatte seine Erzählung beendet. Es trat eine Pause ein. Äußerungen der Empörung über Balot und seine Mulatten wurden laut.
   »Das sind die Folgen der Sklaverei!« schaltete sich da Vergennes ein. »Sie erstickt jedes menschliche Gefühl, macht Herren und Sklaven zu Unmenschen. Das Betragen dieser Ruderer ist ein neuer Beweis. Was können Sie von Menschen, die verdorben sind durch den Druck der Sklaverei und aufgestachelt durch die ihr anklebende Verachtung, anders erwarten als Wiedervergeltung, und daß sie ihre Tücken bei jeder Gelegenheit an ihren weißen Feinden auslassen? Das sind notwendige Folgen eines entmenschenden Systems.«
   Der junge Mann sprach wie vom Katheder, so bestimmt und wichtig.
   »Mit Ihrem ewigen System!« erwiderte Lassalle ungeduldig. »Das wahre System wäre gewesen, wenn wir ein halbes Dutzend Ochsenziemer statt unserer Pistolen und Dolche gehabt und sie mit den Rücken der Kanaillen in nähere Bekanntschaft gebracht hätten!«
   »Pfui!« rief Vergennes. »Wollen Sie Menschen und keine boshaften Affen, so müssen Sie sie menschlich behandeln!«
   »Zum Teufel!« fuhr der Baron auf. »Vergebung, meine Damen, aber unser starrköpfiger Landsmann scheint es darauf angelegt zu haben, unsere Höflichkeit und Geduld auf eine gleich harte Probe zu stellen. Wir taten diesen Bösewichtern doch nichts, im mindesten nichts, und der arme Pflanzer und sein Knabe und die Neger auch nichts!«
   »Sie waren Weiße, denen der Schwarze schon im Mutterleib Feindschaft schwört. Können Sie Menschlichkeit von entarteten Geschöpfen erwarten, die in jedem der Unsrigen nur einen Tyrannen ihrer Rasse sehen? Dieses Land hier brüstet sich seiner Freiheit, und jeder seiner Bürger ist nur ein privilegierter Tyrann einer unglücklichen Rasse.«
   »Unverschämter Bursche!« entfuhr es Howard, Doughby und Moreland gleichzeitig.
   Sie sprangen zugleich auf den jungen Menschen zu. Howard war wirklich böse geworden, und wer würde es nicht bei einer so frechen Herausforderung?
   »Sie werfen da, Monsieur, unserer Nation ein Kompliment zwischen die Zähne, für das wir Ihnen den Dank nicht schuldig bleiben wollen!«
   »Wie es Ihnen gefällt!« Der Junge streckte gemächlich seine Beine und beschaute die drei recht behaglich vom Kopf bis zu den Füßen.
   In Howard begann es zu sprudeln. Papa und Luise fielen ihm gleichzeitig in die Arme.
   Richard faßte sich: »Was nennen Sie Tyrannei, Tyrannen? Doch nur Menschen, die sich widerrechtlich, auf ungesetzliche Weise die Herrschaft über ihre Mitbürger angemaßt haben und diese willkürlich ausüben?«
   »Eine Definition, die kein Konversationslexikon besser geben könnte«, versetzte der unverbesserliche Vergennes und unterdrückte ein Gähnen.
   »Wahrhaftig, dein lieber Neffe sündigt stark auf Kosten seiner Blutsverwandtschaft mit diesem Hause!« raunte Howard zähneknirschend seinem Schwiegervater zu.
   »So erlauben Sie mir«, fuhr Richard fort, »Ihnen zu erklären, daß Ihr Ausdruck ganz und gar nicht auf die Verhältnisse unserer Sklaven und ihrer Besitzer paßt. Wissen Sie, wie wir zum Besitz unserer Sklaven gekommen sind?«
   »Die Art mag sein, wie sie wolle!«
   »Nein! Die Art der Besitzerlangung bestimmt die Rechtmäßigkeit des Besitztitels. Das sollten Sie als Prinzipmann wissen!«
   »Oh, das junge Frankreich kümmert sich wenig um Prinzipien, wenn sie nicht gerade in seinen Kram taugen!« meinte Hauterouge.
   »Und diese Art?« fragte Vergennes gedehnt spöttisch.
   »Sollten Sie auf alle Fälle erst kennengelernt haben, ehe Sie ein so hartes Urteil über eine Nation fällen, deren Gastfreundschaft Sie genießen«, fiel Monteville etwas schadenfroh ein und setzte hinzu: »Monsieur, Sie waren, was wir impoli – ungeschliffen – nennen!«
   Die Reihe des Aufspringens war nun an Vergennes. Er schnellte empor wie Indianer, wenn sie den ›Warwhoop‹ – das Kriegsgeschrei – hören. Der Champagnerdunst, der sich leicht über seine Stirn hingelagert hatte, war mit einem Mal verschwunden. Er wollte nicht impoli sein.
   »Ruhig, lieber Neffe!« mahnte Papa Menou. »Sie haben diese Lehre verdient. Sie waren wirklich impoli! Setzen Sie sich!«
   Und der Brausekopf setzte sich, die anderen gleichfalls. Der sonst so stille Richard Moreland nahm eine Rednermiene an. Howard kam das Ganze, so ernst es war, jetzt ein wenig drollig vor.
   »Unsere Sklaven wurden uns wirklich aufgedrängt«, begann Richard. »Wir sind daher für die Entstehung dieses Übels bei uns nicht verantwortlich. Sie wissen, daß wir noch vor weniger denn sechzig Jahren unter der Krone von Großbritannien standen. Diese nahm das Recht für sich in Anspruch, den Handel ihrer Kolonien zu regeln, und übte es in einem Umfang, der zugleich darauf berechnet war, die Kolonien so lange wie möglich in Abhängigkeit vom Mutterland zu erhalten. Alle Parlamentsakten weisen dies nach, indem sie einzig dahin abzielten, den Handel der in Großbritannien wohnenden Untertanen zu begünstigen und den der Kolonisten in Amerika zu beschränken oder ganz zu verhindern. Diese hatten keine Seeschiffe und durften keine haben, bloß Küstenschiffe waren ihnen gestattet: die See– und Kauffahrteischiffahrt war den in den vereinigten drei Königreichen wohnenden Untertanen Seiner britischen Majestät vorbehalten, die allein das Monopol hatte, solche Waren ein– und auszuführen, wie sie die Regierung erlaubte. Ein Zweig dieses erlaubten Handels wurde bald, nachdem die Kolonien einigen Wohlstand erreicht hatten, die Einfuhr afrikanischer Negersklaven. Die erste Einfuhr erfolgte im Jahre 1620 mit Bewilligung der britischen Regierung durch ein holländisches Schiff. Dann aber riß die Regierung sogleich diesen Handel ganz an sich und erlaubte ihn hinfort bloß britischen Schiffen, in britischen Seehäfen ausgerüstet und Briten gehörig. Mit einem Wort, sie erhob ihn zum Monopol, und dagegen konnten und durften die Kolonisten im allgemeinen nichts einwenden. Aber sehr viele wandten sich gegen die Einfuhr der Afrikaner.«
   Richard machte eine kleine Pause und fuhr dann fort:
   »Die schwarzen Afrikaner wurden gleich anderen Handelsartikeln wie Tee, Zucker und Gewürze auf offenem Markt feilgeboten und losgeschlagen. Die Kolonisten fürchteten, diese Einfuhr müsse die Sklaverei in ihrem Lande einwurzeln. Daher verursachte die Ankunft der ersten Sklavenschiffe auch allgemeinen Alarm. Man beschloß Vorstellungen beim britischen Parlament gegen diesen Menschenhandel, man flehte die Krone an, die Kolonien mit der Einfuhr der Afrikaner und damit der Sklaverei zu verschonen. Massachusetts, Pennsylvania, Maryland, Virginia taten es, andere folgten diesem Beispiel. Ich will nur Georgia anführen, die jüngste und letzte der unter Englands Herrschaft gegründeten Kolonien. Ihre Entstehung fällt in die letzten Jahrzehnte der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ihr Gründer und erster Gouverneur war der treffliche Oglethorpe. Kaum war die Kolonie gegründet, als auch bereits britische Sklavenschiffe in den Seehäfen Georgias eintrafen und mit Bewilligung der britischen Regierung ihren Markt eröffneten. Vergebens erhoben der Gouverneur und der gesetzgebende Rat Einspruch – sie wurden abgewiesen. Sie reichten neue, dringendere Bittschriften ein, ein zweites, drittes, viertes Mal, zehnmal hintereinander. Die endliche Antwort war, daß der Gouverneur abgesetzt und der Rat mit einem Verweis entlassen wurde. Und die Sklaveneinfuhr erfolgte stärker als je.«
   »Aber mußten die Kolonisten diese Sklaven kaufen?« fragte d‘Ermonvalle.
   »Man konnte sie nicht, wie später zu Boston die Teekisten, in die See werfen«, versetzte Richard. »Und wenn Sie die menschliche Natur nur einigermaßen kennen, so werden Sie einsehen, daß es in jeder bürgerlichen Gesellschaft Gewinnsüchtige gibt, die wohl ihren Vorteil, nicht aber ihre Pflichten im Auge haben. Andere kauften die Schwarzen aus humaneren Gefühlen, um sie dem herzzerreißenden Elend auf den Sklavenschiffen und in den Marktställen zu entreißen. Der üble Erfolg Georgias schreckte übrigens die übrigen Kolonien keineswegs von der Erneuerung ihrer Vorstellungen ab. In den nördlichen Kolonien legte man wirklich nach Kräften der Einfuhr und dem Ankauf Hindernisse entgegen, aber den südlichen, wo die Verfassungen den von der Krone eingesetzten Gouverneuren mehr Gewalt gaben, wurden diese Sklaven den Kolonisten geradezu aufgedrängt. Das Übel wurde allgemein und so tief gefühlt, daß eben dieser Sklavenhandel mit eine der Ursachen wurde, die endlich zur Revolution führten. So finden Sie im ursprünglichen Entwurf der Unabhängigkeitserklärung, entworfen von Jefferson, Adams, Livingston, Sherman und Franklin und aufgesetzt von Jefferson, einen Artikel, der unter den vielen Beschwerden, welche die Kolonisten zur Ergreifung der Waffen und Abschüttlung des englischen Jochs bestimmten, auch die anführt: daß der König von England ein fremdes Volk seiner Heimat entrissen, über weite Seen geschleppt, es in die nordamerikanischen Kolonien als Leibeigene verkauft und so mit fremden Völkern, einer fremden Rasse, einen blutigen Markt eröffnet, ja sich nicht entblödet habe, dieselben Leibeigenen, die unter seiner Sanktion als solche an die Kolonisten verkauft wurden, zur Empörung gegen ihre Herren und Besitzer aufzurufen. Dieser Artikel wurde zwar bei der Veröffentlichung der Unabhängigkeits-Urkunde ausgelassen, weil einige Mitglieder des Kongresses aus den südlichen Staaten Bedenken äußerten und bei einem so wichtigen Dokument die Übereinstimmung aller jeder anderen Rücksicht voranging, aber die Empörung gegen die Barbarei der Regierung sprach sich deshalb nicht weniger stark in eben diesen südlichen Staaten aus.«
   »Das stellt wirklich die Sachlage aus einem ganz neuen Gesichtspunkt dar«, bemerkte d‘Ermonvalle, der aufmerksam zugehört hatte. »Aber eine Frage noch: Was tat Ihr Kongreß, Ihre eigene Regierung, nachdem sie die Herrschaft Großbritanniens abgeschüttelt hatte, in der Angelegenheit der unglücklichen Schwarzen?«
   »Ihre Frage ist nur natürlich. Die Kolonien trafen bereits vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten mit Großbritannien Maßregeln, um dem Sklavenhandel Einhalt zu tun. 1774 kam der sogenannte Kontinentalkongreß von Philadelphia zu dem einmütigen Entschluß, daß mit Ausgang Dezember desselben Jahres kein Sklave mehr eingeführt oder zum Verkauf angeboten werden solle. Denselben Beschluß hatten früher schon die Kolonialversammlungen von New York und Delaware gefaßt. Daß diese Beschlüsse nicht ganz die beabsichtigten wohltätigen Folgen hatten, war einzig den unvermeidlichen Wirren zuzuschreiben, die nach unserer – wie nach jeder anderen – Revolution einbrachen. Sie haben vielleicht von der Föderal-Regierung gehört, die nach Beendigung des Unabhängigkeitskampfes errichtet wurde. Sie war so schwach, daß sie sich nach wenigen Jahren von selbst auflöste. Die dreizehn unabhängig gewordenen Staaten bildeten einen losen Staatenbund ohne Zusammenhang nach innen, ohne Macht nach außen, da jeder der neuen Staaten nicht bloß volle Souveränität innerhalb seiner Grenzen, sondern auch in bezug auf auswärtige Nationen forderte. Die Notwendigkeit einer kräftigen Zentralregierung wurde aber immer deutlicher erkannt. Im Jahre 1787 trat eine Konvention zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung zusammen, im Jahre 1789 gelangte auch die neue Verfassung mit George Washington als Präsidenten zur Wirksamkeit. Es wäre zu wünschen gewesen, daß der Zentralregierung auch die Gewalt über die Sklavenfrage erteilt worden wäre. Dieses geschah jedoch nicht, weil die einzelnen Staaten diese Frage als eine Eigentumsfrage betrachteten. Die Mehrzahl von ihnen hielt nun wirklich Sklaven, bloß die Neu-England-Staaten hatten die Sklaverei inzwischen abgeschafft. Die Majorität der Stimmen im Kongreß war bei den sklavenhaltenden Staaten, die allmählich an das Übel gewöhnt waren und über diese Frage um so mehr für sich abzuurteilen wünschten, als sie den größten Teil ihres Vermögens auf den Ankauf ihrer Sklaven verwendet hatten. Unsere großen Staatsmänner – Washington, Jefferson, Franklin, Adams, Hamilton, Morris – mußten in diesem wie in manchen anderen Punkten nachgeben, um nicht das große Lebensprinzip des werdenden Staates selbst zu gefährden. Handelte es sich doch darum, ob die freigewordenen Kolonien dreizehn kleine uneinige Republiken oder ein großer mächtiger Staat werden sollten. Doch hat selbst diese Konvention die Sklavenfrage nicht ganz vergessen, ja sie hat mehr getan als alle Regierungen Europas damals zusammengenommen. Es wurde nämlich der Beschluß gefaßt und zum Gesetz erhoben, daß zwar den sklavenhaltenden Staaten ihr Besitz, so wie er ihnen von der Krone Englands garantiert wurde, auch ferner gewährleistet und die Lösung dieser schwierigen Frage ihnen überlassen werden sollte, daß aber der Sklavenhandel innerhalb von siebzehn Jahren gänzlich aufhören, ja jeder amerikanische Bürger, im Sklavenhandel nach dieser Zeit betroffen, als Seeräuber angesehen und bestraft werden müßte. Das geschah, als England und die übrigen europäischen Länder kaum eine Ahnung von der Unmenschlichkeit des Sklavenhandels zu haben schienen.«
   Richard warf einen Blick rundum und stellte fest, daß die ganze Gesellschaft mit gespannter Aufmerksamkeit seinen Darlegungen folgte.
   »Was taten nun die einzelnen Staaten?« fuhr er darauf fort. »Pennsylvania, Delaware, New York und New Jersey folgten bald dem Beispiel der Neu-England-Staaten und schafften die Sklaverei ab. Von diesen zehn Staaten wurden bekanntlich die westlichen Territorien von Ohio, Indiana und Illinois bevölkert, in denen daher gleichfalls keine Sklaverei besteht. Michigan, das in wenigen Jahren in die Reihe als Staat eintreten wird, 1837 (also ein Jahr nach der Erstveröffentlichung dieses Romans) erfolgte die Aufnahme Michigans in die USA. hat ebenfalls keine, so daß die Mehrzahl der Vereinigten Staaten die ihnen aufgedrungene Sklaverei aufgehoben hat. Unfehlbar werden Maryland, Virginia und Kentucky diesem Beispiel bald folgen. Auf diese Art behandeln wir ein ohne unsere Schuld eingewurzeltes Übel und beseitigen es allmählich. Keiner von uns verhehlt sich, daß es unheilbringend auf unser bürgerliches Leben einwirkt und eine Radikalkur notwendig ist. Allein daß diese nur langsam vor sich gehen kann, wird niemand bestreiten, der nur einigermaßen Einsicht hat.«
   »Jawohl, jawohl!« stimmte d‘Ermonvalle zu.
   »In Europa haben sie mehr als zwölf Jahrhunderte gebraucht, ihre weißen Sklaven zu emanzipieren, und sind noch nicht am Ziel«, sprach Richard weiter. »Und diese Leibeigenen sind die Nachkommen von Menschen, die durch Ihre Vorfahren ihrer Freiheit, ihres Eigentums und ihrer bürgerlichen Rechte beraubt wurden, denen Sie also Ersatz schuldig waren. Bei uns ist der Fall anders. Um ihn nur einigermaßen zu würdigen, müssen Sie in Anschlag bringen, daß Großbritannien auf seine 24 Millionen Einwohner und seine 120 Millionen auswärtiger Untertanen nicht viel mehr als 800+000 Sklaven in seinen westindischen Besitzungen hat, Frankreich auf seine 32 Millionen Einwohner nicht 300+000 auf Martinique und seinen übrigen Inseln. Beide Regierungen dürften heute ihre Sklaven loskaufen oder freigeben, ohne daß ihren Völkern daraus ein sehr großer Nachteil erwachsen könnte. Sie sind zudem Tausende von Meilen von ihnen und kommen in keine Berührung. Aber bei uns ist es anders. Wir haben nahe an zweieinhalb Millionen Sklaven auf eine Bevölkerung von vier Millionen und wenn Sie die ganze Union nehmen, von 15 Millionen. Denken Sie sich in irgendeinem europäischen Reich einer Bevölkerung von 17 Millionen solch eine Masse fremden Blutes als Sklaven aufgedrungen! Könnten Sie diese so geradezu losgeben, sie heraufziehen zu sich, in bürgerliche Rechte einsetzen?«
   »Und warum nicht?« fiel Vergennes ein.
   Ein mitleidiges Lächeln auf allen Gesichtern war die Antwort.
   »Sie kennen diese Rasse nicht, Monsieur Vergennes! Lernen Sie sie in der Wirklichkeit kennen, dann werden Sie anders reden.«
   »Mag sein, Mister Moreland! Aber geben Sie mir auch zu, daß das Vorurteil Ihrer Mitbürger unbezwingbar ist. Selbst diese Emanzipation in den nördlichen Staaten! Nennen Sie das Emanzipation, wo der Farbige bloß dem Namen nach frei ist, aber nie in die Schranken mit Weißen treten darf, weder in bürgerliche, noch in politische? Wo er zum Betteln oder Dienen verdammt ist? Ihm ein unauslöschlicher Makel anklebt, selbst wenn er aufgehört hat, schwarz oder farbig zu sein, und so weiß geworden ist wie Sie oder ich? Weist sein Stammbaum auch nur einen Tropfen schwarzen Blutes nach, so ist er gebrandmarkt, darf an keiner Tafel, in keinem Theater, keiner Kirche erscheinen! Nennen Sie das Freiheit?«
   »Wer Ihnen das gesagt hat, hat Sie übel berichtet«, entgegnete Richard etwas frostig. »Gehen Sie in unsere Kirchen: auch am Tisch des Herrn werden Sie Schwarze und Weiße gemeinschaftlich sehen. Was aber Tafel und Theater betrifft, so finde ich nur natürlich, daß wir zu unseren Tafel– und Theaternachbarn solche nehmen, die uns gleich sind. Wenn Sie das Vorurteil nennen, dann muß ich nur sagen, daß wir es mit allen Völkern teilen. Ich habe von keinem zivilisierten Volk gehört, wo der unehelich Geborene – mit Ausnahme besonderer Fälle – auf gleiche Behandlung, gleiche bürgerliche Rechte mit ehelich Erzeugten Anspruch machen könnte.«
   Diese nicht ohne Selbstgerechtigkeit gesprochenen Worte brachten Vergennes nur noch mehr auf.
   »Nennen Sie das Freiheit? Entspricht das vielleicht dem Prinzip Ihrer Unabhängigkeitserklärung, daß alle Menschen frei geboren seien?«
   »Allerdings!« antwortete Richard. »Wir haben das Prinzip aufgestellt und konsequent durchgeführt, davon bin ich überzeugt. Wir wenden es eben jetzt auf Sie an, so wie auf jeden Fremden, er mag Deutscher, Franzose, Irländer oder Brite sein. Alle finden sie sich bei uns als freie Menschen behandelt. Wenn aber die freigelassenen Schwarzen es nicht so ganz sind, dann glauben Sie mir, muß die Schuld die ihrige, nicht die unsrige sein. Wenn unsere Mitbürger ein Vorurteil gegen die Farbigen haben, dann seien Sie versichert, daß dafür Gründe vorhanden sind ...«
   »Gründe? Gründe?« unterbrach ihn Vergennes. »Sie erklären ja selbst die Ehe mit Farbigen für ungültig, die öffentliche Meinung verdammt sie.«
   »Aber Sie werden doch nicht wollen, daß eine ganze bürgerliche Gesellschaft sich selbst das Schandmal aufdrückt, indem sie die Ehe mit einer so bedeutenden Masse von Mischlingen unehelicher Abstammung sanktioniert?«
   Doch diese Worte Morelands wurden bereits von allen Seiten überschrien.
   »Wollen Sie, daß unsere Mitbürger Farbige zu ihren Frauen nehmen?« rief Mistreß Houston.
   »Warum nicht?«
   Ein Schrei des Entsetzens brach von allen Lippen.
   »Der junge Mann hat schauderhafte Ansichten!« empörte sich die Maman.
   »Schamlos!« entrüstete sich Mistreß Houston. »Kommen Sie, meine Damen, so etwas kann man nicht mit anhören! Bürgerinnen in die gleiche Waagschale mit solchen Geschöpfen zu werfen!«
   »Abscheulich!« riefen Luise und Julie.
   »Horrible!« stimmten Menou und Genièvre bei.
   Der junge Mann stand und schaute umher wie ein Kind, das unvorsichtigerweise ein Loch in den Erddamm eines reißenden Stroms gegraben und nun das Wasser plötzlich rauschen, stärker und stärker brausen hört und auf einmal den Damm selbst krachend weichen und von der Wogenflut fortgerissen sieht. Er wandte sich links und wieder rechts.
   »Aber, mein Gott!« fragte er endlich. »Was hab‘ ich denn so Böses gesagt?«
   »Monsieur Vergennes«, nahm der Chevalier d‘Ecars kopfschüttelnd das Wort, »wenn Sie das sittliche Gefühl unserer Damen noch öfters auf diese harte Probe zu stellen sich gelüsten sollten, dann stehe ich Ihnen nicht dafür, daß Ihnen nicht bald überall die Tür gewiesen wird.«
   »Wirklich horrible!« rief Meurdon, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte.
   »Abominable!« ließ Demoiselle Genièvre noch in der Tür hören.
   Sie und die anderen Damen nahmen Reißaus.
   »Wissen Sie denn auch, wer und was diese Farbigen sind?« schrie Lassalle.
   »Sie sind Menschen!« erwiderte Vergennes hitzig. »Wenigstens zu einem Fünftel!« fiel Meurdon ein.
   »Wissen Sie, daß Sie unseren Damen einen wirklichen Schimpf antaten, sie auf gleiche Stufe mit den Farbigen zu stellen?« fragte Lassalle.
   »Schimpf?« Vergennes war naiv verwundert. »Nennen Sie das einen Schimpf antun, wenn man die Rechte einer gedrückten Menschenklasse verteidigt?«
   »Gedrückt? Gedrückt?« versetzte Hauterouge. »Hier ist nicht vom Druck die Rede, hier ist von Menschen die Rede, die sich durch ein fortgesetztes Laster, durch ungesetzliche Vermischung in die weiße Rasse eingestohlen haben! Und diese wollen Sie auf gleiche Stufe mit sittsamen Töchtern und Frauen stellen!«
   »Sobald Sie diese Sprößlinge ungezügelter Leidenschaften den übrigen Bürgerinnen gleichstellen, stoßen Sie das Grundprinzip der Ehe um!« schrie Lassalle.
   »Ungeregelte Leidenschaften führen zum Verderben, sind ansteckend durch ihre Berührung«, erklärte Hauterouge.
   Der Aufruhr wurde immer heftiger.
   »Messieurs, Messieurs!« rief da der Graf de Vignerolles mit seiner hellen, klaren Stimme. »Messieurs, hören Sie, was Amadée sagt!«
   Und seltsam, das babylonische Stimmengewirr legte sich. Alle wandten sich, um zu hören, was Amadée zu sagen hatte. Vergennes, von allen Seiten angegriffen, ersah den günstigen Augenblick und bugsierte sich zu Amadée hin, wie der Kauffahrteischoner, von einer Kaperhorde gejagt, zur Fregatte, um hinter ihren Kanonen Sicherheit zu suchen.
   Der alte Amadée nahm eine Prise.
   »Vergebung, Herrschaften, wenn ich in meiner Einfalt just meine, daß der junge Herr da Dinge sagt, wie sie oft nach unserer Ankunft in den Attacapas auch gesagt wurden.«
   »Aber Amadée, so unverschämt haben wir sie nicht gesagt«, bemerkte Hauterouge.
   »Und nicht vor Damen!« fügte Lassalle hinzu.
   »Wollte Gott, diese Dinge wären auf eine so unverschämte Weise gesagt worden! Vergeben Sie, Monsieur Vergennes, aber ich wiederhole nur, was Bessere als ich vor mir gesagt haben! Vielleicht hätten sie jemanden abgeschreckt!«
   Der Graf, Hauterouge, Lassalle, alle Franzosen und Kreolen sahen den Alten bedeutsam warnend an.
   »Ma foi, Amadée!«
   »Auch Monsieur Vergennes will die Rechte der Farbigen vertreten, ihnen einen Dienst erweisen.«
   Wieder eine Pause.
   »Für den sie ihm aber nicht danken dürften«, fuhr Amadée fort. »Ah, Monsieur Vergennes, glauben Sie mir, die Farbigen sind nicht zur Ehe geboren, weil sie ... nicht in der Ehe geboren sind.«
   Noch immer sahen alle den Alten an.
   »Ah, Herr Graf!« wandte sich dieser an Vignerolles. »Fällt Ihnen an. dem jungen Herrn nicht etwas auf? Sehen Sie ihn doch genauer an!«
   Der Graf starrte Vergennes einen Augenblick unverwandt an.
   »Monsieur Ducalle!« flüsterte ihm der Alte zu.
   »Wahrhaftig, wie er leibt und lebt!« entfuhr es dem Grafen.
   Er warf nochmals einen Blick auf Vergennes und strich sich nachdenklich, beinahe unmutig, mit der Hand über die Stirn.
   »Ma foi!« riefen auch Lassalle und Hauterouge.
   Ihre Stirnen überzog gleichfalls eine trübe Wolke, ihre Blicke ruhten mitleidig teilnehmend auf Vergennes.
   »Armer Ducalle!« sagten sie.
   »Ganz wie er war!« bekräftigte Amadée.
   Der arme Vergennes stand verlegen, seine Dreistigkeit war dahin. Es ist allerdings peinlich, sich als Gegenstand des Mitleids belächelt zu sehen. Aber die Lehre schadete ihm gar nichts.
   Eine lange Pause trat ein.
   »Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen«, nahm endlich der Graf das Wort, »daß mir die letzten Debatten mit Ausnahme dessen, was Mister Moreland ebenso wahr wie gründlich dargelegt hat, sehr widerlich in den Ohren klangen. Daß die Sklaverei ein Übel, ja ein Makel unserer freien Verfassungen ist, wissen wir alle, fühlen es tief. Aber diese Angelegenheit geht uns allein an, ein Fremder sollte sich wohlweislich hüten, sich da hineinzumischen, weil er bei seiner Unkenntnis diese kitzlige Lebensfrage nur verwirren kann, anstatt sie zu klären. Ich glaube, Europa, das noch heutzutage Millionen von Israeliten vom Genuß bürgerlicher Rechte mehr oder weniger ausschließt und die Emanzipation seiner weißen Leibeigenen kaum zur Hälfte durchgeführt hat, dieses Europa hat kein Recht, den Amerikanern über ihre Langsamkeit in dieser Hinsicht Vorwürfe zu machen. Der Fall mit unseren Schwarzen ist wirklich hart und unheilschwanger, viel härter als der mit den weißen Leibeigenen Europas. Diese sind von derselben kaukasischen Rasse wie ihre Herren und können ohne Gefahr für die Sittlichkeit der übrigen Bürger zum Vollgenuß aller Rechte zugelassen werden. Es ist aber eine große Frage, ob das mit unseren Schwarzen oder Farbigen tunlich oder rätlich sein dürfte. Es ist ein ganz anderes Blut, das bei jeder Gelegenheit in Siedehitze aufwallt. Das fühlt die Nation tief, und daher ihr Unwille, diese exotische Rasse in ihre Mitte zuzulassen. Was aber eheliche Verbindungen betrifft, so sage ich frei heraus: wäre der Widerwille dagegen weniger allgemein, so könnte ich unmöglich das Volk der Vereinigten Staaten so hoch achten, wie ich es hoch zu achten vollen Grund zu haben glaube.«
   »Gesprochen wie ein wahrer Amerikaner!« riefen alle und drückten dem Grafen die Hand.
   Aber währenddem stahl sich ein tiefer Seufzer aus seiner Brust. Es war klar, er hatte nur gesprochen, um die Aufmerksamkeit von Ducalle abzulenken.
   »Aber Vergebung, was war denn mit Ducalle?« fragte auch schon de Meurdon. »Ist das derselbe Ducalle, der mit Ihnen ...?«
   »Amadée, du hast da einen dummen Streich gemacht«, wandte sich der Graf an den Alten. »Trübe Erinnerungen sind am besten in Vergessenheit begraben.«
   »Ah, Herr Graf«, erwiderte der alte Diener. »Was hilft es, sie in Vergessenheit zu begraben, wenn sie in neuer Gestalt immer und immer wieder zum Vorschein kommen? Ach, hätte Monsieur Ducalle gewußt, wie es endigen würde ...! Dem jungen Herrn da würde es gewiß nicht schaden, denn er soll doch in Louisiana bleiben ...?«
   Er blickte Vignerolles fragend an.
   »Wir könnten ja in den Speisesaal gehen«, fügte er hinzu, als der Graf schwieg.
   »Aber Demoiselle Ducalle!« wandte Hauterouge ein.
   »Wie, ist Demoiselle Ducalle hier?« fragte Howard.
   »Ja, mit meiner Tochter«, gab der mit einem Mal einsilbig gewordene Graf zurückhaltend Auskunft.
   »Und ihr Vater?«
   Keine Antwort.
   »Unser junger Freund will also in Louisiana bleiben?« fragte der Graf nach einer Weile.
   Vergennes nickte gedankenlos. Wieder eine lange Pause, alle sahen sich einander befremdet an.
   »Ja, wenn es den Herren gefällig ist, wollen wir in den Speisesaal gehen!«
   Mit diesen Worten erhob sich Vignerolles. Alle zogen in schweigsamer Spannung in den aufgeräumten Speisesaal. Auch zu ihren Ohren war das Gerücht von diesem Ducalle gedrungen, aber entstellt, dunkel, unheimlich. Alle waren daher begierig, die seltsame, halb verklungene Sage aus glaubwürdiger Quelle zu hören.



   Die Farbigen

   Die Erzählung des Grafen de Vignerolles


   1

   Nach einer Fahrt von etwa vierundzwanzig Stunden kommt der Reisende heraus aus dem düstern, unheilverkündenden Labyrinth, das ihn beim Eintritt in das Bayou Plaquemine empfangen hat. Der Tag lächelt ihn wieder an, wird plötzlich zur Lichtflut. Ein wunderschöner Rundblick öffnet sich seinem Sehkreis. Ein entzückend schöner See, der sich mehrere Stunden im Umfang hinbreitet, fesselt sein staunendes Auge.
   Die Ufer sind mit mächtigen Zypressen eingefaßt, deren Riesenstämme, von spanischem Moos umwallt, und deren dunkelgrüne Kronen, ineinander verschlungen, dem Beschauer beim ersten Anblick wie Tausende von Domen aneinandergereiht erscheinen. Er steht staunend, verwirrt. Der Sehtäuschung endlich gewahr, wendet er den Blick von diesen majestätischen Naturdomen, senkt ihn und weilt auf der schönsten Blumenflur, die je göttliche Allmacht dem menschlichen Auge entfaltet hat.
   Er schaut Millionen der Nelumbo, der Königin aller Wasserblumen, in ihrem höchsten Glanz. Sie erhebt ihre kegelförmigen, vasenartig gestalteten Blätter stolz über die Gewässer, beherrscht sie bis in die Mitte des Sees. Millionen der herrlichsten Tulpenblüten blenden sein Auge, unzählige buntgefiederte Schwimmvögel schwirren über und zwischen ihnen hin. In der Mitte allein glänzt ein Spiegel kristallhellen Wassers.
   Der Reisende verläßt nur ungern diesen Zaubersee, um sich abermals in einem Gewirr von Flüssen und Bayous zu verfangen, gelangt aus diesen in den größeren Inselsee, weiter in den großen Fluß, den Atchafalaya, gleichfalls einen natürlichen Abzugskanal des überströmenden Mississippi, und zuletzt in den Teche. Endlich ist er in den Attacapas angelangt, dem Landstrich, der sich vom Golf von Mexiko herauf aus zitterndem Rohr und Binsengeflecht zu schwankenden Sumpfwiesen erhebt und allmählich fester Boden wird, wie er weiter gegen Norden heraufschwellt. Vom Teche, Vermilion und vielen anderen Flüssen und Seen bewässert, hat er den Namen des Elysiums von Louisiana erhalten.
   Wie ein stahlgraues Seidenband windet sich der Teche um endlose Wiesen und Auen, auf denen Tausende und aber Tausende fröhliche Rinder und Pferde in halbwildem Zustand umherspringen. Zahllose Baumgruppen von Immergrüneichen, Papaws, Liquidambars Amberbaum, liefert ein wohlriechendes Harz und ein als Süßgummi beliebtes Kaumittel beschatten das Bild. Pflanzungen, in Haine von tropischen Fruchtbäumen gebettet, tauchen links und rechts auf. Kleinere Seen hellen das Bild auf. Eine weiche, wollüstig feuchte Glut hauchte ihren einschläfernden Odem über das Ganze.
   Neunundzwanzig Jahre sind es nun, daß wir zum erstenmal an diesen entzückenden Fluren vorüberglitten, bei jeder Pflanzung begrüßt, bei jeder dringend zum Verweilen eingeladen. Ich sehe und höre noch Ducalle, wie er die Arme sehnsuchtsvoll nach den Ufern ausstreckte und rief:
   »Wir werden ein paradiesisches Leben führen!«
   »Es ist ein Elysium!« fielen wir mit Freudentränen ein.
   Im Tendelet, dem bedeckten und erhöhten Hinterteil unserer Voiture, stand der alte Roche Martin am Ruder, der rauhe, aber treffliche Akadier, der uns vier Tage vorher – wie Lassalle Ihnen erzählt – von dem Baumstamm gerettet hatte, und brummte, den Blick väterlich auf Ducalle gerichtet:
   »Ei Elysium, weiß nicht, was das sagen will! Aber hier heißen sie es Paradies, und ein Paradies muß es wohl sein, denn es hat Schlangen. Hüte dich, Junge, vor den Schlangen, die da sind die Farbigen! Sie riechen übel!«
   Nach der Sitte der Akadier duzte er uns, was wir uns um so lieber gefallen ließen, als der gute Mann viel erfahren hatte und hoch in den Jahren war. Während der viertägigen Fahrt hatten wir ihn natürlich über die Zustände des Gemeinwesens und der bürgerlichen Verhältnisse in den Attacapas ausgefragt. Die Rede war so auf die Farbigen gekommen, deren er nie erwähnte, ohne sich zuvor durch ein »mit Verlaub zu sagen« zu verwahren, so wie unsere Spießbürger das zu tun pflegen, wenn sie vom Borstentier sprechen. Das gab zu häufigen Debatten Anlaß, bei denen Ducalle oft launig, oft heftig Partei der Farbigen nahm. Jedesmal schüttelte dann der Alte den greisen Kopf und brummte:
   »Junge, Junge, gib acht! Diese Farbigen werden dein Unglück sein!«
   Die Landschaft wurde immer schöner, je weiter wir den Teche hinauf fuhren. Hie und da sahen wir nackte schwarze Gestalten sich lässig durchs Gebüsch hinstehlen, aber kein Laut war zu hören, als das Brummen des Alten: »Er hört nicht, und sie riechen doch so übel! Diese Farbigen werden sein Unglück sein!«
   Wir waren in eine Flußkrümmung eingefahren, als eine Pflanzung auftauchte, die schönste, die wir bisher gesehen. Sie schien zu schlummern in dem weichen, duftenden Blütenbeet der Orangen. Lilacs, Spanischer Flieder Zitronen, Feigenbäume. Weiter zurück standen Gruppen von Immergrüneichen und Liquidambars und wölbten einen Dachhimmel über das Wohnhaus, das in der Spiegelung der schräg einfallenden Sonnenstrahlen wiegend und wogend erschien. Die Baumgruppen waren nach einem bestimmten Plan aus dem Urwald herausgehauen, die niedrigen Baumgattungen beschnitten.
   Roche Martin bestätigte uns, daß die Pflanzung einem Franzosen gehörte.
   »Auch ein solcher Hochadeliger, der sich nicht einmal duzen lassen will, dieser Herr von Morbihan da!« brummte er verdrießlich.
   Herr von Morbihan – ich sah unter meinen Briefen nach. Eine der Anschriften lautete an einen Monsieur de Morbihan. Doch war es nicht dieser, bei dem wir abzusteigen gesonnen waren.
   Und in diesem Augenblick trat der leibhaftige Monsieur de Morbihan aus dem duftenden Orangenhain heraus. In abgetragener Kattunjacke und Hosen, durch die die bloßen Knie schimmerten, einen breitrandigen Strohhut auf dem Kopf und mit einer Fußbekleidung, für die wir damals keinen Namen wußten, die wir aber später als Mokassins sehr liebgewannen. Er kam neugierig hastig gegen den Flußrand zugetrippelt.
   »Eh bien, was bringst du Neues?« schrie er schon von weitem Roche Martin an.
   »Franzosen!« antwortete dieser. »Aber nicht dir, sondern einem, der sich duzen läßt!«
   Der Alte sprang hoch auf.
   »Was sagst du? Franzosen bringst du? Aber nicht mir, sondern einem, der sich duzen läßt?« Und abermals sprang er auf. »Das sagst du mir, du grober, akadischer Geselle, mir, dem Herrn de Morbihan, sagst du das?«
   Er ballte die Faust gegen Martin, dann zog er den Hut und wandte sich an uns.
   »Messieurs, Vergebung! Der alte Grobian da hat keine Manieren, er duzt Kavaliere wie ein Gendarmerie-Korporal. Ah, wäre ich noch Kommandant, ich wollte dich duzen!«
   Und er tanzte und sprang so wunderbar, und schwang seinen furchtbar schlechten Strohhut so possierlich, wir glaubten der gute Mann habe einen Sonnenstich bekommen.
   »Adelaide, Adelaide!« schrie er auf einmal in die Orangenlaube zurück. »Adelaide, mein teures Kind! Der akadische Lümmel da, der mich duzt, der keine zwei Neger hat und sein Welschkorn mit seinen eigenen schmutzigen Händen bauen muß, hat uns Franzosen gebracht! Hahaha, ist das nicht drollig?«
   Und während er die linke Faust gegen den akadischen Lümmel ballte, winkte er mit der rechten Hand und warf der Laube Kußhändchen zu. Wir hörten, wir schauten, wir trauten kaum unseren Ohren und Augen.
   Der Alte sprang mit einem Mal vorwärts und rief uns an: »Franzosen, Landsleute, soeben gelandet. Woher, woher?«
   »Aus der Bretagne – aus der Tourraine – aus der Provence!« antworteten wir.
   Der sonderbare Alte sprang hoch vor Freude. »Adelaide!« schrie er zurück nach der Orangenlaube. »Franzosen aus der Provence, der Tourraine, der Bretagne, die uns Neuigkeiten bringen!«
   Er sprang vor Ungeduld vorwärts, rückwärts, fuchtelte mit Händen und Füßen. In der Laube flimmerte jetzt etwas Weißes. Endlich zeigte sich die ersehnte Adelaide. Im schneeweißen Morgenkleid aus feinstem Leinen, das die schwellenden Glieder zart hervorhob, schwebte eine schlank gebaute Gestalt heran. Ein breiter Strohhut bedeckte den schönen Kopf, von dem sich eine Fülle glänzend schwarzer Locken über den Nacken herabringelte. In der einen Hand hielt sie einen Sonnenschirm, in der andern einen Fächer von bunten Federn. Ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit einem Moskitowedel folgte ihr auf dem Fuß.
   Sie warf einen flüchtigen Blick auf das Fahrzeug, das nur noch etwa hundert Schritte vom Landungsplatz war, und schwebte dann anmutig auf den Pflanzer zu, der ihren Arm zärtlich erfaßte und sie dem Uferrand zuzog, wo er hielt, einen triumphierenden Blick auf uns und einen zweiten auf das Mädchen warf. Das ganze Benehmen des Mannes hatte mehr theatralisch Kokettes als väterliche Zärtlichkeit.
   Unsere Augen hingen an dem seltsamen Paar und besonders an der herrlichen Adelaide, deren Bewegungen ein eigentümliches Gliederspiel verschönerte. Das ganze Wesen des Mädchens hatte für uns etwas ungemein Anziehendes, so wie ihre Schönheit eigentümlicher Art war. Nie hatten wir solche Augen gesehen. Sie waren länglich, mehr mandelförmig geschnitten als rund, nicht ganz schwarz, mehr gazellenschwarz, halb träumerisch geschlossen, schwimmend, zuweilen aufleuchtend, und dann zuckte es wie brennende Strahlen heraus. Es lag eine unsägliche Liebesglut in diesen herrlichen Augen.
   Wir hatten unsere Hüte abgenommen.
   »Mach, daß du fertig wirst, Lümmel!« schrie der Herr de Morbihan dem Akadier zu und stampfte ungeduldig mit dem Fuß.
   Roche Martin beachtete die Aufforderung nicht und machte keine Anstalt, die Bretter vom Fahrzeug ans Ufer zu legen.
   »Du siehst, Adelaide!« wandte sich der Alte mit bittender Miene an seine Tochter. »Wenn ich nicht gehe, dauert es noch eine Stunde, ehe sie landen!«
   Er sprang in das Fahrzeug und fiel mir buchstäblich in die Arme.
   »Heraus, heraus!« schrie er und umarmte mich. »Heraus aus diesem barbarischen Bauernfahrzeug! Willkommen, Landsleute! Heraus, sage ich, heraus!«
   »Adelaide!« rief er ans Ufer hinüber. »Siehst du, Franzosen, wahre Franzosen! Man sieht es ihnen an den Augen an! Anderer Stoff als unsere drüben am Chetimachas!«
   Abermals umarmte er mich, sprang dann plötzlich einen Schritt zurück.
   »Sie sind aber doch von Stand, Monsieur? Doch Kavalier? Ich bin der Sieur de Morbihan!«
   »Bitte tausendmal um Vergebung!« lächelte ich. »Ich heiße Louis Victor de Vignerolles.«
   »Louis Victor de Vignerolles? Ich kannte einen Grafen Hugo de Vignerolles.«
   »Ich bin sein Sohn.«
   »Ma foi!« Er schlug sich an die Stirn. »Wo hatte ich nur die Augen? Vergeben Sie, Herr Graf de Vignerolles, man wird blind in diesen Attacapas, unter diesem Bauern– und Handwerkervolk, man verbauert. Tausendmal Vergebung, aber so ganz sind wir doch noch nicht verbauert!«
   Er trat einen Schritt zurück, setzte seinen geflickten, durchlöcherten Hut auf, nahm ihn wieder ab, schnitt ein Kompliment und umarmte mich nochmals in der Art der Hofkavaliere während der sechziger und siebziger Jahre. Dann faßte er mich bei der Hand und wandte sich mit einer Verbeugung gegen die am Ufer stehende Adelaide.
   »Mademoiselle Adelaide de Morbihan, ich habe die Ehre, Ihnen den Herrn Grafen Louis Victor de Vignerolles vorzustellen. Herr Graf, ich habe die Ehre, Ihnen Demoiselle Adelaide de Morbihan, meine Tochter, vorzustellen.«
   Demoiselle Adelaide knickste am Ufer, ich verbeugte mich im Fahrzeug.
   Monsieur de Morbihan schritt zum nächsten. Es war Hauterouge.
   »Monsieur, ich bin der Sieur de Morbihan.«
   »Herr de Morbihan, ich nenne mich Vincent de Hauterouge.«
   Morbihan umarmte Hauterouge, nahm ihn dann bei der Hand und sprach zu Adelaide gewendet: »Mademoiselle de Morbihan, ich habe die Ehre, Ihnen hier den Herrn Baron Vincent de Hauterouge vorzustellen. Herr Baron, ich habe die Ehre, Ihnen Demoiselle Adelaide de Morbihan vorzustellen.«
   Die Tochter knickste abermals, der Baron verbeugte sich. Morbihan trat an Lassalle heran. Genau dieselbe Etikette. Als die Reihe an Ducalle kam, stutzte der Alte. Er warf einen forschenden, beinah ängstlichen Blick auf die Tochter. Sie war hocherrötet, senkte die halbgeschlossenen Augen zu Boden. Der Vater stand und starrte Ducalle mißtrauisch an.
   »Monsieur de Ducalle«, nahm ich endlich das Wort.
   »Capitaine im Regiment Monsieurs, mein teurer Freund.«
   Sichtbar im Kampf mit sich selbst näherte sich der Alte dem jungen Mann. Die Tochter heftete einen starren Blick auf den Vater, und dieser schloß nun den verwirrt errötenden Ducalle heftig in seine Arme.
   Mittlerweile waren die Bretter ans Land gelegt. Wir begaben uns ans Ufer und begrüßten dort nochmals Vater und Tochter, worauf sie uns dem Hause zuführten.
   Dieses war weit bequemer eingerichtet, als wir bei unserm Eintritt vermuten konnten. Die nackten Kinder, Knaben und Mädchen, und die beinah ebenso nackten schwarzen Weiber, die im Saal herumhockten, hätten uns fast wieder hinausgetrieben. Kaum traten wir in Begleitung des etwas sonderbaren Monsieur de Morbihan in die Veranda ein, als sie alle mit einem gellenden Geheul auseinanderstoben und sprangen und uns nicht wenig erstaunt allein ließen.
   Nicht nur das Haus geriet in Bewegung, der Aufruhr, den unser Erscheinen verursachte, teilte sich der ganzen Niederlassung mit. Noch waren keine zwei Stunden verflossen, und wir saßen gerade an der Mittagstafel, als eine Menge Stimmen, und zwar nichts weniger als angenehme, sich vor der Veranda hören ließen. Von allen Seiten kamen die Einwohner der Niederlassung herbeigeströmt, in Fahrzeugen und zu Pferde und mit einer Eile, als ob sie im Wettrennen begriffen wären.
   Und in den seltsamsten Trachten. Einer hatte eine Kattunjacke, ebensolche Hosen und einen betreßten Hut à la Frédéric, ein anderer kam im Ginghamfrack, ein dritter im Samtrock mit verblichener Goldstickerei à la Louis Quinze und ungebleichten Kattunbeinkleidern, ein vierter im Taftrock. Die Kostüme aller Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts waren zu schauen. Die Leute debattierten und gestikulierten, das Geschrei wurde immer heftiger, je näher sie dem Hause kamen. Dann brach es geradezu in Gezänk aus, das so erbittert wurde, daß wir jeden Augenblick erwarteten, sie würden sich in die Haare geraten.
   »Zu mir müssen sie, bei mir haben sie alle zehn Platz!« schrie einer.
   »Badaud – Maulaffe!« höhnte ein anderer. »Willst du sie füttern wie deine Schweine? Was sollen sie bei dir, der du nichts als Gombo hast?«
   Gombo ist zerstoßener Mais, in Milch und Wasser zu dicker Brühe gekocht.
   »Und du hast nichts als Petitgru!« schrie ein dritter dem zweiten zu. »Zu mir müssen sie!«
   Petitgru ist Mais in größere Körner zerrieben und mit wenig Wasser mehr geröstet als gekocht.
   »Was willst du?« fuhr ein vierter den dritten an. »Du hast kaum ein halbes Dutzend Neger und zweimal so viele Morgen Land mit Mais bepflanzt! Sollen diese Herren bei dir unsere Attacapas kennenlernen, bei deinem Sagamite?«
   Sagamite ist Mais in noch größere Stücke zerstoßen und in Wasser gekocht.
   »Ah, der da will auch ein Adeliger sein!« lachte ein fünfter. »Und jedes Kind bei uns weiß, daß sein Vater ein Katalonier war!«
   Katalonier waren während der spanischen Regierung häufig in Louisiana eingewandert, trieben meist kleinen Handel und waren ebenso gewinnsüchtig und tätig wie verachtet.
   Wir sahen einander an. Der Auftritt war komisch, roch aber auch stark nach Gemeinheit. Auf einmal sprang Monsieur de Morbihan aus dem Hause.
   »Messieurs!« schrie er noch auf der Treppe. »Ist das eine Art, französischen Kavalieren Ihre Aufwartung zu machen? Morbleu! Parbleu! Was müssen die Herren von Ihnen denken? Ich sage Ihnen – wir machen einen Ball! Gehen Sie mit Gott, Ihre Familien zu benachrichtigen, dann wollen wir weiter sehen!«
   Das Wort Ball machte allem Streit ein Ende. Ein fröhliches Bravo erschallte aus aller Mund, lachend schüttelten sie Morbihan die Hand, lachend traten sie in die Galerie und lachend erzählten sie uns, während sie uns umarmten, die Ursache des Streites. Er hatte uns gegolten, jeder wollte uns zuerst in seinem Hause haben, und darüber wäre es fast zu einer Keilerei gekommen. Wir stimmten in das Gelächter ein.
   Nachdem sie uns von allen Seiten beschaut hatten und wir sie und ihre Trachten, Erbstücke von Vätern und Großvätern, auf die sie um so stolzer taten, je älter und abgeschabter sie waren, drangen sie heftig in uns, zu erzählen. Nur einige entfernten sich, den Ihrigen die Nachricht vom Ball zu überbringen, die meisten blieben, um etwas vom schönen Frankreich zu hören.
   Wir saßen also und erzählten von den ungeheuren Schicksalsschlägen, die auf unser armes geliebtes Land hereingebrochen waren, von der Ermordung des besten Königs, der je einen Thron geziert, von den Wirren der Konventions-, der Berg-, der Gironde-Parteien, von Marat, Robespierre, St.-Just, vom Direktorium und dem kühnen Korsen. Von alledem wußten die guten Leutchen in den Attacapas nichts. Sie waren so unschuldig an der großen Weltrevolution wie neugeborene Kinder. Ihr Staunen war grenzenlos, obwohl sie nur die Hälfte von dem, was wir sagten, verstanden.
   Während wir noch erzählten, begann es abermals in den Straßen der Niederlassung lebendig zu werden. Wir sahen Damen zu Pferde und in Kabrioletts im wildesten Galopp dem Wohnhause zusprengen. Fröhlich verließen sie Sättel und Wagen und kamen die Treppe herauf.
   Wir waren sehr angenehm überrascht. Die Herren waren großenteils in den beschriebenen altmodischen Kleidern, die Damen aber waren durchgängig nach der neuesten Mode angezogen, in Krepp, Seide und gestickten Musselinen, mit Gewinden in den Haaren, viele mit reichen Geschmeiden. Es versammelte sich ein Kreis von Schönheiten, deren edle Formen seltsam gegen die der etwas gemeinen Männer abstachen.
   Durch zwei Zeremonienmeister wurden wir in den Ballsaal eingeführt. Er war mit Talglichtern beleuchtet, die Wände ärmlich. Die beiden Neger, die das Orchester bildeten, waren groteske Gestalten. Für uns hatten aber diese Dinge den Reiz der Neuheit, der noch ungemein durch die geschmackvollen Kostüme der Damen, ihre Schönheit und Lebhaftigkeit gesteigert wurde. Wir fühlten uns in unser geliebtes Frankreich zurückversetzt, auf eine jener entzückenden Landpartien, die durch den Beigeschmack des Bäuerischen erst ihre eigentümliche Frische erlangten.
   Auch hatten wir nicht bald so viele Schönheiten auf so engem Raum beisammen gesehen. Wir erwarteten mit einiger Ungeduld die Eröffnung des Balles, und ich gestehe, unsere Überraschung stieg aufs höchste, als wir den ersten Kotillon durchführten. Diese Anmut der Bewegungen, diese Leichtigkeit, diese Poesie des Tanzes hatten wir uns nicht träumen lassen. Ich halte die Kreolinnen für die besten Tänzerinnen. Sie verschmelzen die zierliche Leichtigkeit unserer Französinnen mit der schmachtenden Üppigkeit der Spanierinnen. Erst im Tanz wird ihre Zaubergewalt unwiderstehlich.
   Die Palme des Abends gebührte Adelaide. Sie war unstreitig die schönste wie die stolzeste unter den wirklich herrlichen Gestalten, die uns diese Nacht so unvergeßlich machten. Wenn man nach zehnjährigen Kämpfen, Stürmen, Feldlagern, nach einem unsteten, flüchtigen Jagen und Gejagtwerden plötzlich in einen so fröhlich sprudelnden Wirbel hineingezogen wird, dann wird man berauscht, betäubt von dem plötzlichen Wechsel. Die Erinnerungen unserer Jugend, unserer Familienkreise, die späteren unseres Hoflebens, die glänzenden Nachtbilder der Tage von Versailles stiegen wie gaukelnde Traumgestalten vor uns auf.
   Es war ein schöner Zeitpunkt, unser Eintritt in die Attacapas, in das Haus Monsieur de Morbihans, einer jener Lichtpunkte, die durch ihre heitere Frische die trüben Schlagschatten düsterer Tage wieder aufhellen. Unvergeßlich bleibt uns diese Nacht. Wir tranken aus dem lange nicht gekosteten Freudenbecher mit vollen Zügen. Und keiner mehr als Ducalle. Er war zweifach glücklich.
   Für mich hat jene holde Befangenheit, die ein unverdorbener junger Mann in den ersten Augenblicken einer keimenden Liebe so zart und so schüchtern dartut, einen unaussprechlichen Reiz. Sie ist wie der Tau der duftenden, vom Reif der Wollust noch nicht versengten Blüte. Mit dieser zarten Schüchternheit verband Ducalle jenes bestimmte, entschiedene Wesen, das der kriegerische Geist jener Zeit schon früh unserer Jugend angelegt hatte. Obwohl sein Großvater noch Kaufmann in Nantes gewesen und erst sein Vater als Finanzpächter geadelt worden war, hatte er doch die feinen Manieren des alten Adels. Er war nach dem Ausbruch der Revolution mit seiner Familie nach England entwichen. Leidenschaftlich in die Tochter eines geschichtlich großen Hauses entbrannt, hatte er sich von ihr bestimmen lassen, seinen Arm der vertriebenen Königsfamilie zu leihen.
   So waren wir miteinander bekannt geworden, hatten miteinander gefochten und waren nach dem zweiten Vendéekrieg zusammen nach England zurückgekehrt. Er gerade noch zur rechten Zeit, um von seiner angebeteten Henriette einen ewigen Abschied zu nehmen. Der Verlust dieser ersten Liebe hatte ihm England unerträglich gemacht, nach Frankreich konnte er nicht, so schloß er sich uns an. Ein bedeutendes Vermögen sicherte ihm auch in dem neuen Land eine ruhige Zukunft und verlieh ihm jenes Selbstvertrauen, das nirgends mehr als hier vonnöten schien. Frank, frei, ein Freund bis zum Tode, begeistert für alles Gute und Schöne, dabei harmlos wie ein Kind, war er unser aller Liebling. Der jüngste von uns – er zählte nicht mehr denn vierundzwanzig Jahre —, war er unserem kleinen Kreise ganz das, was in spanischen Häusern der Niño der Familie ist.
   Adelaide war das erste weibliche Wesen, das ihm nach einer trostlosen dreimonatigen Seefahrt in den Weg trat. Ihre schönen Züge hatten Ähnlichkeit mit denen seiner toten Geliebten. Während des Balles fand sich das Paar, ungeachtet aller Bemühungen der Zeremonienmeister, sie zu trennen, doch immer wieder zusammen. Sie schienen wie füreinander geschaffen, aller Augen hingen an ihnen. Monsieur de Morbihans Stirn allein schien sich zu runzeln.
   De Morbihan stammte aus einer alten, aber heruntergekommenen Familie, die zur Zeit Heinrichs III. König Heinrich III. aus dem Haus Valois-Angoulème regierte von 1574 bis 1589 über bedeutende Besitzungen in der Touraine gebot, aber während der Unruhen der Fronde in Verfall geraten war. Louis de Morbihan war in seiner Jugend Page im Hause der Rohans gewesen. Der Prinz Rohan de Rohan gebrauchte ihn in einer der vielen Intrigen, die dieser ehrgeizige Schwächling zugunsten der piemontesischen Prinzessin gegen die unglückliche Tochter Maria Theresias einzufädeln sich so sehr gefiel. Darüber geriet Morbihan bei Hof in Ungnade und ging in der Verzweiflung nach Louisiana.
   Hier war es ihm geglückt, den Kommandantenposten am Red River und darauf die Hand einer reichen Erbin in den Attacapas zu gewinnen, wo er sich denn auch niederließ. Die Ehe war nicht glücklich gewesen. Seine Gattin war wenige Jahre vor unserer Ankunft an einem Gallenfieber gestorben. Von fünf Kindern war nur Adelaide am Leben geblieben, die Erbin aller Besitzungen der Mutter. Die Abhängigkeit, in die dieses Erbschaftsverhältnis den Vater zur Tochter versetzte, war uns bereits in den ersten Minuten unserer Bekanntschaft aufgefallen. Sie drückte dem ganzen Wesen des Mannes eine gewisse Unstetigkeit auf, die bald heftig gebieterisch, bald unterwürfig war und nichts weniger als vorteilhaft für seinen Charakter sprach. Noch lag in seinen Zügen etwas von jener List, die den Südfranzosen eigentümlich ist, aber die Tatkraft, die sie in der Regel veredelt, war verschwunden und hatte einem verbauerten Griesgram Platz gemacht.
   Sein Äußeres war übrigens ein treuer Spiegel seines Innern. Die Gesichtszüge waren unangenehm, eine gewisse Salzsäure hatte sich eingefressen, die mit den heruntergekommenen Körperformen übereinstimmte. Nur zuweilen trat noch etwas von angeborener französischer Fröhlichkeit und Gutmütigkeit hervor. Viele Ursachen mußten dieses zu besseren Dingen bestimmte Menschenleben verkümmert und zu einer so seltsamen, wenn nicht widrigen, doch wunderlichen Erscheinung verunstaltet haben.
   Erst lange nach Mitternacht trennte sich die Gesellschaft, und wir begaben uns in die angewiesenen Gemächer zur Ruhe.


   2

   Die Sonne senkte ihre Strahlen bereits durch die Liquidambarbäume, die die Ostseite der Pflanzung einsäumten, als mich ein brennendes Jucken an den Armen und im Gesicht aus dem Schlaf weckte.
   Amadée stand vor mir. Er hatte die Moskitovorhänge zurückgeschlagen, und sogleich waren einige dieser Insekten über mich hergefallen, um mein frisches ausländisches Blut zu versuchen.
   »Was willst du?« rief ich ein wenig unwillig.
   Amadée legte den Zeigefinger auf den Mund und deutete auf die halbgeschlossenen Rolläden.
   »Ich möchte noch schlafen!«
   Amadée legte nochmals den Zeigefinger auf den Mund und hielt mir den Schlafrock hin. Ich erhob mich, um seinen Willen zu erfüllen. Das Gemach, in dem ich mich befand, lag an der Ecke der Veranda. Aus den Rollläden sah man in ein dichtes Gebüsch von Orangen, Palmen und Catalpas hinein, das sich bis zu den erwähnten Liquidambarbäumen hinzog wie eine dichte Laube.
   Der Morgen war wunderbar erfrischend. Durch die goldenen und schneeweißen Früchte und Blüten schimmerte der Spiegel des Teche hindurch. Singvögel hüpften auf und zwischen den Zweigen, darunter zwei Spottvögel. Das Männchen saß auf einem Catalpazweig und besprach sich mit dem Weibchen, das einige Fuß tiefer sich wiegte. Es erhob sich, flatterte im Kreis um die Geliebte herum, auf diese zu, umflatterte sie, flog empor und brach in den herrlichsten Nachtigallengesang aus. Ich stand entzückt. Das liebliche Tierchen schwang sich abermals in die Höhe, umkreiste das Weibchen, ließ aus seiner winzigen Kehle die Töne einer miauenden Katze, eines bellenden Hundes, eines blökenden Lammes, aller Tiere hören, die im Hause den frohen Tag begrüßten. Das Weibchen gab einen seltsamen, wie lachenden Ton von sich, und das Männchen flog auf und brach wieder in den entzückenden Schlag unserer europäischen Nachtigall aus. Es war der erste amerikanische Spottvogel, den ich hörte. Wunderbar fühlte ich mich bewegt.
   Amadée unterbrach mich, indem er mit dem Finger durch die halb aufgerollte Jalousie in die Laube hineindeutete. Sie war mit zahllosen Winden-, Orangen– und Zitronenblüten überhangen. Gehänge von wilden Weinreben umwanden Bäume und Strauchwerk, hingen in die Laube hinein und umfingen eine aus Baumästen gezimmerte Bank, vor der als Tisch ein ungeheurer Stumpf von einem Liquidambar stand.
   Ich schaute genauer. Von der Bank glänzte es mir hell in die Augen. Überhangen von Windenblüten, saß Adelaide auf der Bank, das glänzend schwarze Haar um den Nacken geringelt, die schwimmenden Augen auf den kosenden Spottvogel gerichtet, dann wieder träumerisch zur Erde geschlagen. Jetzt fuhr sie mit der Hand über die Stirn, ein leiser Seufzer stahl sich aus ihrer Brust.
   Amadée legte abermals den Zeigefinger auf den Mund und deutete auf eine zweite Gestalt am Eingang der Laube. Dort stand Monsieur de Morbihan und betrachtete das Mädchen mit gerunzelter Stirn. Zuweilen verzerrte eine Grimasse seine Züge, dann wieder hellten sie sich auf, etwas wie schadenfrohe Bitterkeit schien sie zu durchzucken. Ein seltsames Gemisch von Empfindungen mußte die Brust des Mannes durchwühlen, seine Gesichtsmuskeln waren in einer eigentümlich rollenden Bewegung.
   Zuweilen hob er den Fuß, als wollte er sich der Tochter nähern, hielt aber inne wie einer, der den Mut nicht fand. Endlich nahm er sich zusammen und trat einen Schritt näher. Des Mädchens Augen waren noch immer halb geschlossen. Er tat einen zweiten Schritt. Jetzt richtete sie den Blick auf ihn, aber es war nicht der kindliche Blick der liebenden Tochter, die den Vater des Morgens begrüßt, es war der Blick einer Herrin, die unwillig ist, vom Hausmeister gestört zu sein. Der Vater schwieg noch immer. Wieder trat er einen Schritt näher.
   »Was willst du?« fragte sie im Ton der Gebieterin.
   »Teure Adelaide, ich habe dich heute noch nicht gesehen.«
   Ein halb bitteres, halb spottendes Lächeln spielte um die Lippen des schönen Kindes. Der Alte sah sie an, und es zuckte abermals eine Grimasse über sein Gesicht hin.
   »Adelaide, was stimmt dich so verdrießlich?« fragte er lauernd.
   Sie stierte auf die Erde und zertrat die Windenblüten, die sich um das Gestell der Bank schlängelten. Wer sie gestern gesehen in ihrer Beweglichkeit, in ihrer durch die ersten Regungen der Liebe verschönerten Zartheit, der erkannte sie nicht mehr. Sie war ein ganz anderes Wesen.
   »Adelaide, du bist verdrießlich!«
   »Ach, Papa! Wer würde es nicht sein? Deine Juba hat mein neues Seidenkleid zertreten, als sie aus deinem Schlafzimmer kam, und als ich sie schalt, lachte sie mir ins Gesicht. Papa, du darfst mir nicht meine Sklavinnen verderben!«
   Diese Worte tönten mir gedehnt, zänkisch, halb gellend in den Ohren. Ich sah die schöne Sprecherin an, im Zweifel, ob sie es war, die gesprochen. Der Papa stand wie ein armer Sünder.
   »Du hast sie seit einer Woche zu deiner Geliebten gemacht, ich will das nicht in meinem Hause haben!«
   Der Mann schnitt abermals eine Grimasse. Ekelhaft erschienen mir die beiden. Das Mädchen sprach von der Sünde ihres Vaters, als wenn auf ihren Moskitofächer getreten worden wäre.
   »Ah, Adelaide!« schmeichelte der Vater nach einer Pause, widerlich lachend. »Stimmt das dich so bitter?«
   »Vielleicht was anderes?«
   »Ah, du hast Geheimnisse vor mir!«
   Sie schaute ihn einen Augenblick forschend an.
   »Und wenn ich sie habe?«
   »Adelaide, wie siehst du mich an? Dein Blick sagt: mußt du alles wissen? Adelaide, du kannst es nicht verbergen!«
   »Was?« fragte sie.
   »Daß ... daß ... daß Herr von ... Adelaide, mein Kind, sei aufrichtig! Du weißt, dein Vater ... freilich hat er dir nichts zu befehlen ... deine Mutter hat dich glücklicher bedacht als ihn.«
   »Meine Mutter!« seufzte das Mädchen.
   Der schöne Kopf sank auf die Brust, dann hob sie ihn, blickte zum Himmel. Zwei glänzende Tränen spiegelten sich in den schwimmenden Gazellenaugen. Jetzt war sie wieder reizend, engelschön.
   »Oh, meine Mutter!« seufzte sie.
   »Würde besser getan haben, wenn sie dich, ihre Tochter, unter die Gewalt des Vaters gestellt hätte!«
   Das Gesicht des Mädchens verzog sich unwillig, aber sie schwieg.
   »Der sie gewiß nicht mißbraucht haben würde!« fuhr der Vater leiser fort.
   »Papa, ich bitte dich, schweige! Nicht mißbraucht, du, der du jede meiner Sklavinnen ...« Sie hielt inne. »Mein Gott, ich kann ja kaum in meinem eigenen Hause mit Ehren verweilen!«
   »Pah!« versetzte der Vater. »Du bist abgekommen von dem, worüber ich mit dir sprechen ... beraten wollte.«
   Sie starrte wieder auf den Boden.
   »Du bist jung, meine Tochter, erst sechzehn Jahre alt. Ich bitte dich, übereile dich nicht! Du weißt, wir wollen nach Frankreich, sobald Friede ist.«
   »Ich will nicht nach Frankreich!«
   »Du würdest die Welt sehen, die Menschen kennenlernen! Bei deinem Vermögen ...«
   »Das du ...« fiel Adelaide ihm ins Wort, sprach aber den Satz nicht aus, wenn auch ihr Blick ihm deutlich sagte: »... gern in die Hände bekämst!«
   Der Vater schnitt abermals eine Grimasse, wie einer, der auf Schleichwegen ertappt worden.
   »Adelaide, gesteh nur!« flüsterte er lauernd. »Gesteh nur, der Herr de Ducalle hat Eindruck auf dich gemacht!«
   Das Mädchen, bisher blaß, wurde glühend rot.
   »Du liebst den Capitaine!«
   »Du liebst den Capitaine!« wiederholte sie kaum hörbar, indem sie eine Windenblüte erfaßte und an die Lippen drückte. Dann rief sie: »Ob ich ihn liebe? Ich liebe ihn, Papa, ich muß ihn haben! O Papa, fordere, verlange, aber ... ich muß ihn haben!«
   Sie sprang auf und faßte die Hand ihres Vaters. Dieser schnitt eine affenartige Fratze, dann durchzuckte sein Gesicht ein Gewirr von Furchen. Ich hatte selten ein so widerliches Mienenspiel gesehen. Erst allmählich legte sich die Bewegung der Züge, die zu verraten schienen, daß das väterliche Gefühl nicht ganz in dem Mann erstorben.
   »Adelaide, hör mich! Lieber wollte ich, du hättest dich in den letzten Akadier verliebt.«
   Sie prallte vor dem Vater wie vor einer Kongoschlange zurück.
   »Adelaide!« Sein Gesicht überflog ein wehmutsvolles Lächeln. »Glaub mir, lieber wollte ich, du liebtest den letzten Akadier.«
   Sie sah ihn unwillig, böse an.
   »Ach, wenn du die Geschichte der ersten Jahre meiner Ehe mit deiner seligen Mutter kenntest!«
   »Die du unglücklich gemacht hast«, sprach das Mädchen kaum hörbar.
   »Beide haben wir uns unglücklich gemacht. Glaub mir, Adelaide, eine Kreolin und ein Franzose passen nicht füreinander.«
   Sie schüttelte den Kopf.
   »Ihr Kreolinnen seid so ans Herrschen, an die Sklaverei eurer Umgebung gewöhnt.«
   Diese Worte machten mich Vater und Tochter starr ansehen. Es war wie ein Lichtstrahl, der mir aufging.
   »Wir Franzosen ertragen diese Sklaverei nicht, und ihr habt nicht die Zartheit, uns die Ketten zu versüßen.«
   »O Papa, warum wurde die Mutter unglücklich? Weil du mit allen Sklavinnen, mit den häßlichen Farbigen...«
   »Sie verstehen wenigstens zu lieben, was deine Mutter nicht verstand«, vergaß sich der Vater.
   »Meine Mutter war die treueste Gattin, ein Muster!« rief die Tochter heftig.
   »Das war sie, aber sie verstand nicht zu lieben. Sie ...« Er hielt inne, im Drang seine Worte so zu stellen, daß sie am wenigsten beleidigten. »Versteh mich recht, Adelaide! Monsieur de Ducalle ist ein Edelmann, ein artiger junger Mann, er scheint gefühlvoll. Er hat dich auf dem Ball gesehen, wo du aufgeregt ...«
   »Und?« fragte das Mädchen.
   »Wirst du immer jenes zarte Gefühl, jene Lebhaftigkeit beibehalten, ohne die der Franzose nicht leben kann?«
   Das Mädchen sah ihn an, sie verstand ihn nicht. Ich aber begann nun Vater und Tochter zu begreifen.
   »O Adelaide, du bist jung, unerfahren, an das einförmige Leben auf deiner Pflanzung gewöhnt, gewöhnt, jeden deiner Winke befolgt zu sehen. Wird auch der Herr de Ducalle an diesem Leben Geschmack finden?«
   »Warum nicht? Er liebt mich, seine Blicke sagen es mir.«
   »Wird er es nach einem Jahr?«
   »Er wird es!«
   Der Alte schüttelte den Kopf.
   »Ah, teure Adelaide, vergib! Du bist eine Kreolin, die nie einem fremden Willen sich fügen gelernt, die nichts weiß von jener zärtlichen, kosenden ...«
   »Pfui, Papa!«
   »Adelaide, du verstehst mich nicht ...«
   »Ich will dich nicht verstehen, darf dich nicht verstehen!« sprach das Mädchen mit abgewandtem Gesicht.
   »Adelaide!« beschwor sie der Vater. »Ich bitte dich, warte wenigstens ...«
   »Ich will aber nicht, ich will nicht warten!« rief sie heftig. »Ich will nicht, hörst du? Er soll, er muß mein sein! Er soll, er muß mein sein!«
   Sie stampfte mit dem Fuß auf die Erde.
   »So sei doch nur ruhig, liebes Kind!« bat der Vater und faßte ihre Hand.
   Sie riß sich los.
   »Er muß mein sein, in acht Tagen mein sein, in einer Woche mein sein! Hörst du, Papa!« herrschte sie ihn an.
   Sie sprang auf den Vater zu, sah ihn trotzig an.
   »Und dein Vater? Was soll aus ihm werden, wenn du heiratest?« Diese Worte klangen so demütig, beinah niederträchtig, daß sie mir in die Seele schnitten.
   »Was aus dir werden soll, wenn ich heirate?« Sie maß den Vater vom Kopf bis zu den Füßen. »Dann, ja dann brauchen wir den Aufseher Taillou nicht mehr, wir ersparen sechshundert Gourdes. Du teilst dich mit Ducalle in seine Geschäfte. Ich gebe dir zweihundert Gourdes Zulage.«
   So empört ich war, mußte ich innerlich lachen, wenn ich mir Ducalle mit der Peitsche hinter den Negern her vorstellte, ihn, der für Menschenrecht und -würde sein Letztes hingab. Dem Vater aber schien der Vorschlag gar nicht lächerlich. Das Wort Zulage besiegte offenbar alle seine Bedenken. Er äußerte zwar einige Zweifel hinsichtlich der Bereitwilligkeit Ducalles, den Sklavenaufseherdienst zu übernehmen, aber der Tochter bestimmtes »Ich will!« beschwichtigte ihn, und er versprach, ihr ganz zu Gefallen zu sein.
   Sie verließen beide die Laube, er rieb sich die Hände, um den Mund ein widriges Lächeln. Ich stand, ein solcher Auftritt war mir noch nicht vorgekommen. Was sich da vor mir abgespielt, war von einer so schmutzigen Unsittlichkeit, einer solchen Selbstsucht gesättigt, daß ich wiederholt den Blick durch die Jalousien warf, im Zweifel, ob ich mich denn wirklich in dem Paradies Louisianas befand oder vielleicht in einem der berüchtigten Seitengäßchen der Rue St. Honorée oder Richelieu unseres lastergeschwängerten Paris. Die Tochter kam mir womöglich noch widerwärtiger vor als der Vater. Mit welch gräßlichem Phlegma sie ihm die Scham unter die Augen rückte, mit welch eigensinnig heftigem, grobem Egoismus!
   »Mein Gott!« rief ich aus. »Diese Menschen! Ich dachte sie mir im primitiven Naturzustand, sie sind verdorbener als ...«
   Amadée unterbrach mich in meinen Gedanken. Er meldete, der alte Roche Martin warte, um Abschied zu nehmen. Martin stand bereits hinter mir. Er hatte den ganzen Auftritt zu meinem nicht geringen Verdruß als Mithorcher angehört.
   »Sieht Er, Herr Graf!« begann der alte Akadier, der mich mit »Er« anredete, während er die übrigen duzte. »Sieht Er, da hat Er ein Beispiel, dahin kommt es, wenn man sich mit den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen abgibt. Dann muß man sich von seinen eigenen Kindern die Leviten lesen lassen und ihnen zu Gnaden kommen. Ja, dieser alte Morbihan hat es wirklich weit gebracht!«
   »Ist freilich ein elender alter Mann«, bemerkte ich. »Aber die Tochter ...«
   »... ist ein sehr braves, tugendsames Mädchen, das kann Er mir auf mein Wort glauben. Die ganze Niederlassung ist voll von ihrem Lob. Aber Er hat es ja mit seinen eigenen Ohren gehört, wie sie ihr Haus nicht verunehrt haben will. Ja, sie ist ein braves Mädchen, sie regiert ihre Pflanzung bereits so gut wie unsere ältesten Pflanzer. Käme es auf ihren Vater an, so hätte er sie längst mit seinen Farbigen durchgebracht. Aber sie weiß ihn einzuspannen.«
   Ich schaute den Mann groß an und dachte: welch sonderbare Begriffe! Sind diese Ansichten amerikanisch, dann fürchte ich, wird sich meine europäische Denkweise schwer mit ihnen befreunden!
   »Wenn Ducalle sie bekommt, ist sein Glück gemacht«, fuhr Martin fort. »Das ist eine Partie für ihn, die beste in der ganzen Niederlassung. Schade, daß ihr der Alte den vielen Verdruß bereitet.«
   »Gott behüte Ducalle vor diesem trotzigen, selbstsüchtigen Geschöpf!« rief ich.
   »Rede Er doch nicht so einfältig!« schalt Roche Martin. »Bedenke Er, daß Er nicht in Frankreich ist, sondern in Amerika und Louisiana, wo man von Empfindeleien nichts weiß! Sieht Er, eben diese Tändeleien, diese geistvollen Ausschweifungen, ohne die ihr nicht leben könnt, haben den Herrn de Morbihan dahin gebracht, wo er jetzt ist. Seine selige Frau war eine sehr brave Frau, die auf Ordnung hielt.«
   »Sieht Er«, fuhr er fort, »die Ehe soll sein wie die Kost in einem rechtschaffenen, wohlgeordneten Hause. Für Wochentage Brot, Fleisch, Gemüse mit einem guten Glas Rum und Wasser, an Sonn– und Feiertagen zur Abwechslung etwas Besonderes mit einem Glas Wein. Man muß nicht alle Tage einen guten Tisch wollen, versteht Er, das greift den Beutel und den Magen an. Ihr seid in Paris daran gewöhnt, lasse ich mir sagen, liebt die Abwechslung mit anderer Leute Weibern, habt es in der Kunst sie zu verführen weit gebracht. Aber hier müßt ihr euch mit Hausmannskost begnügen. Wenn der Herr de Morbihan das getan hätte, wäre er jetzt der erste Mann in der Niederlassung. Aber er wollte Abwechslung und fand sie bei den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen, und sie kostete ihn alles, was er hatte. Jetzt hat er nichts als Schande und Verachtung.«
   »Auch Er, Herr Graf, wird diese Farbigen kennenlernen«, meinte der Alte nach einer Weile. »Dann gedenke Er des Herrn de Morbihan! ... Ja, was wollte ich eigentlich sagen?«
   »Sie wollen also nach Hause?« fragte ich den eigensinnigen Murrkopf.
   »Ja, das will ich! Blieb einzig und allein hier, weil mich Demoiselle eingeladen hatte. Sie ist gar nicht stolz, spricht auch mit den Ärmsten, aber ihr Vater ... Ja, was wollte ich doch sagen? ... Sie sagte mir: ›Hör du, Roche Martin, du bleibst hier!‹ und ich blieb hier, weil ich mit Ihm, Herr Graf, noch sprechen wollte.«
   »Und was haben Sie mir zu sagen? Amadée hat Sie für Ihre Mühe, hoffe ich, doch ...«
   »Rede Er doch nicht so einfältig, Herr Graf!« unterbrach er mich. »Er hat mir keine Mühe gemacht, und seine Freunde auch nicht. Aber weiß Er, warum ich hierblieb? Nun, ich will es Ihm sagen. Die Altadeligen hier, wie sie sich nennen, obwohl ich geradesoviel Recht hätte, mich einen Prinzen zu nennen, wie die meisten von ihnen sich adelig nennen, die werden Augen und Ohren spitzen, um Ihm, Herr Graf, etwas von Seinen Manieren abzulauern. Laß Er nun diese Manieren nicht gar zu vornehm sein, und wenn Er von uns Akadiern spricht, so spreche Er wie von anderen Menschen auch. Das mag gute Früchte bringen!«
   »Ich verstehe Sie nicht, Alter!«
   »Nun, Er wird mich schon verstehen. Tu Er nur, wie ich Ihn ersuche, und spreche Er von den Akadiern nicht wie von Hunden, sondern wie von Menschen!«
   »Das will ich Ihnen gern versprechen.«
   »Dafür kann ich Ihm auch vielleicht einen kleinen Dienst erweisen. Sieht Er, eine halbe Meile vom Chetimachas ist eine kleine Pflanzung zu verpachten, die Herrn von Berthoud gehört. Sie wird Ihm sicher gefallen. So gebe Er mir nun Amadée mit, der mag den Pachtvertrag abschließen! Von da aus kann Er seine neue Niederlassung einrichten, es wird Ihn nicht reuen. Er wird da ein paar Männer kennenlernen, den Mister Wood, das sind andere Leute, die wissen das Zeug anzufangen.«
   »Ihr Vorschlag ist so übel nicht.« Ich verbiß eine Anwandlung von Unwillen über des Mannes gerade Derbheit. »Ich glaube, ich will die Pflanzung lieber selber besehen.«
   »Das laß Er bleiben! Berthoud ist eine Kreole, und die geben nach drei Tagen keinen Strohhalm um einen Franzosen. Geht Er, so hat Er den Pachtschilling sicherlich doppelt zu bezahlen. Ihm sieht man den Grafen an der Stirn an, Amadée hat unsere Art, und eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus. Er erhält die Pflanzung, ich möchte wetten, für achthundert Gourdes jährlich, und das ist ein Spottpreis! Es sind vier Neger darauf.«
   »Ich will keine Neger!« bedeutete ich dem Alten.
   »Rede Er doch nicht so einfältig, Herr Graf! Warte Er nur, bis Er selbst gesehen! Er mietet die Neger, und will Er sie nicht haben, so kann Er dann doch tun, was Er will. Und noch etwas! Er hat wahrscheinlich Geld, und diese Adeligen hier haben keins. Versteht Er mich, leihe Er keinen Sou aus, bis Er mit Mister Wood gesprochen!«
   »Mein lieber Roche Martin!« Es schien mir höchste Zeit, den Alten in seine Schranken zurückzuweisen. »Ich danke Ihnen für Ihren guten Willen, aber sparen Sie Ihren guten Rat, bis ...«
   »... er gefordert wird!« fiel er mir ins Wort. »Er will niemanden in seinen Beutel sehen oder greifen lassen. Ganz recht! Versteht Er, was ich sage, geht einzig dahin, Ihm einen Wink zu geben. Den kann Er beachten, wenn Er will, und wenn Er nicht will, so mag Er es bleiben lassen. Die Adeligen werden Ihn innerhalb der acht Tage, die Er bei ihnen zubringt, sicher um Geld anreden, denn sie wollen Kavaliere sein. Leiht Er nun auch nur zwanzig Livres, so zieht Er sich einen Schwärm auf den Hals, der Ihm die Attacapas bald zum wahren Wespennest machen wird.«
   »Wieso?« fragte ich.
   »Das läßt sich nicht so kurzweg sagen, guter Freund!« meinte der Alte kameradschaftlich. »Wäre auch nicht wohlgetan. Genug, Er bleibt mit seinen Freunden hier bei den Adeligen, bis Er sich ausgetanzt hat. In acht Tagen wird Er sie, werden sie Ihn satt sein, wenn es so lange dauert. Denn bei uns in den Attacapas stinken Fremde und Fische, wenn sie nicht gedörrte Stockfische sind, nach drei Tagen.«
   »Sie geben mir da eine liebenswürdige Zeichnung von meinen Landsleuten!«
   »Seinen Landsleuten! Der dümmste Kreole dünkt sich mehr als der Herzog von Montmorency, wenn der sich nämlich hier niederlassen wollte. Er wird es finden, Herr Graf! Sie werden Ihn feiern, drei, sechs, acht Tage, aber dann ... Immerhin ist der Teufel nicht so schwarz, wie er aussieht. Wie gesagt, Er wird acht Tage tanzen, währenddem wird die Sache zwischen Ducalle und Demoiselle Morbihan richtig, wenn nur der Junge nicht mit den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen ...«
   »Alter, Sie sprechen sehr bestimmt!« warnte ich.
   »Ich kenne meine Leute«, versetzte er. »Er wird ja sehen! Und jetzt Gott befohlen!«
   Und der alte Roche Martin schüttelte mir die Hand. Nach einer halben Stunde glitt sein Fahrzeug den Teche hinauf, Amadée fuhr mit.
   Martins Vorhersagung traf, was Ducalle anging, genau ein, so sehr ich mir auch Mühe gab, diesen von einem vorschnellen Entschluß zurückzuhalten. Aber ein Ball folgte dem andern, und Mademoiselle Adelaide war eine Kreolin und Ducalle ein Südfranzose. Seine Leidenschaft steigerte sich zur fieberischen Gluthitze.
   Auf dem letzten Ball, den Herr Deblanc, der Kommandant von Attacapas und als solcher Adelaides gesetzlicher Vormund, uns zu Ehren gab, brachte Deblanc, dem Ducalle besonders anempfohlen war, die Gesundheit des schönen Paares aus.
   Am Sonntag darauf ward die Vermählung gefeiert.
   Am elften Tag nach unserer Ankunft im Hause des Herrn de Morbihan verließen Lassalle, Hauterouge und ich das glückliche Paar, um uns in unsere von Amadée gepachtete Pflanzung zu begeben. Wir waren der ewigen Bälle sowie der guten Leutchen von Attacapas für einstweilen satt und sehnten uns recht sehr nach Ruhe. Es war drollig und ärgerlich zugleich, diese Picarder, Tourainer und Bretagner Bauern– und Krämersprößlinge von ihren Papas faseln zu hören, wie sie mit Louis XIV. Tabak geraucht und Schnaps getrunken und wie ihre Mamas der höchstseligen Königin bei ihrer Wäsche geholfen hatten.
   Die damaligen Bewohner der Attacapas waren wirklich ein seltsames Völkchen, das uns nur zu oft an eben die Bayous erinnerte, die uns so sehr in Verzweiflung gebracht hatten. Wie die überströmenden Gewässer aus dem Mississippi ausgeflossen und ausgestoßen, so waren sie von dem europäischen Zivilisationsstrom abgerissen und in Stillstand, Stocken und Fäulnis übergegangen.
   So waren wir in Häusern, die mehrere tausend Stück Rinder, Kälber und Kühe auf den Wiesen, aber keinen Tropfen Milch, keine Unze Butter hatten, weil die Pflege einer Melkkuh zu viele Mühe gemacht hätte. Mehrere hielten Dutzende von Sklaven. Sie mußten die Moskitos von der Frau des Hauses abwehren, ihr die Handtasche, den Mückenwedel nachtragen, ihren Stuhl von einem Ende der Veranda zum andern rollen, mit den verzärtelten Kindern spielen und sich zum Zeitvertreib von diesen geißeln lassen.
   Allerdings gab es ehrenvolle Ausnahmen, eine von ihnen war die Pflanzung der Demoiselle de Morbihan. Aber im allgemeinen fanden wir bei ihnen einen Neid gegen Höhere, eine fühllose Grausamkeit gegen Tiere und Menschen und eine Gleichgültigkeit gegen geistige Bildung, die kaum zu glauben war. In den tausend Kreolenfamilien waren nicht zwanzig, die lesen konnten. Sie waren um hundert Jahre hinter unseren französischen Bauern und Kleinstädtern zurück.
   Wir waren jedenfalls froh, als wir in die kleine Pflanzung einzogen, die Amadée von Monsieur Berthoud für uns gepachtet hatte.


   3

   Die Pflanzung war ungefähr zehn Stunden von dem eigentlichen Kirchspiel in den Attacapas und fünf Stunden von Madame Ducalles Haus gelegen. Sie bestand aus einem mürben Fachgebäude in der Art aller Pflanzerhäuser dort, mit breitem, vorspringendem Dach, einem Erdgeschoß, das zwei große Zimmer enthielt, die wieder mit Veranden umgeben waren. Weiter zurück lag ein Speicher, in dem unsere Leute schliefen, und im Hintergrund drei Negerhütten, in denen die vier Schwarzen und unsere Milchkuh untergebracht waren. Das Ganze war von einem Dutzend Catalpas überschattet. Etwa zwanzig Acker waren mit Welschkorn bepflanzt, das wir mir Monsieur Berthoud zur Hälfte teilten, das übrige war Urwald.
   Wir traten unter das wettergebräunte Zypressendach unserer schlichten Behausung mit einer Mischung von Gefühlen, die nur derjenige würdigen kann, der so wie wir, im Schoß des Überflusses aufgewachsen und zehn Jahre auf der stürmischen See des Bürgerkriegs umhergetrieben, endlich wieder eine Erdscholle betritt, auf der er sein Haupt ruhig niederlegen kann. Wir standen einige Augenblicke an der Schwelle, blickten einander an, drückten uns gerührt die Hände und fielen uns bewegt in die Arme.
   Amadée hatte wie eine gute Hausmutter für jene kleinen Bequemlichkeiten Sorge getragen, die nirgends schwerer als in diesem Land entbehrt werden, das doch die gröberen Bedürfnisse des Lebens wieder in so reichlichem Maß spendet. Er hatte an den Ecken der Veranda in der Eile einige Schlafräume anbringen lassen, in denen unsere Betten, mit Moskitovorhängen versehen, standen. Von der Abendbrottafel lachte uns ein frisches Weizenbrot entgegen, in dieser Gegend ein Luxus, den sich damals selbst die reichsten Pflanzer versagen mußten, und einige zarte junge Outards. Diese wohlschmeckenden Gänse, die größer sind als die gewöhnlichen und um den Hals einen schwarzen Ring tragen, hatte Jean geschossen. Dazu gab es Kaffee und Milch und später Ananaspunsch.
   Der Abend wurde einer der fröhlichsten, die wir je verplauderten. Mehrere unserer Freunde, darunter Ducalle, der Kommandant und Bossompierre, hatten uns begleitet, um uns, wie sie sagten, in unserer neuen Residenz einzuführen. Wir blieben bis Mitternacht beisammen und schliefen dann. Seit Jahren hatten wir keine so ruhige Nacht gehabt.
   Mit dem folgenden Morgen begann unser Pflanzerleben. Wir standen morgens um fünf Uhr auf, jäteten, hackten in den Welschkornfeldern oder dem Garten, was sonst kein Pflanzer tut, nahmen hierauf eine Tasse schwarzen Kaffees, arbeiteten wieder eine Stunde, frühstückten und ergingen uns gegen den Chetimachas zu, in den hier ein kleines Bayou einmündet, um unser Mittags– und Abendmahl zu schießen. Wild und Wassergeflügel war in solchem Überfluß vorhanden, daß wir nur vor die Tür zu gehen brauchten, um unsern Bedarf für die ganze Woche in kurzer Zeit zu erlegen.
   Bei zunehmender Hitze zogen wir uns auf die Veranda zurück und schrieben, lasen oder musizierten. Lassalle und ich spielten die Violine, Hauterouge blies die Flöte. Der Mittag fand uns gewöhnlich bei gutem Appetit. Nachmittags wurde eine Partie Billard gespielt, das wir uns in den ersten Tagen zusammengestümpert hatten. Zuweilen kamen Gäste, Monsieur Bossompierre oder der Kommandant, ein fröhlicher Picarde. Doch war dies nicht häufig der Fall, die Pflanzung war zu entlegen. Zu unserm nächsten Nachbarn hatten wir eine volle Stunde.
   So vergingen die ersten vierzehn Tage leidlich, die nächst darauffolgenden schon weniger so. Es fehlte uns so manches, auf das wir Verzicht zu leisten hatten. Das fiel uns allmählich härter, als wir es uns vorgestellt. Denn man entbehrt leichter im abenteuerlich bewegten Kriegerleben als in der stillen Zurückgezogenheit eines geregelten Haushaltes. Und wir mußten wirklich vieles entbehren.
   In dem ganzen Kirchspiel waren bloß zwei Krämer, der nächste etwa sechs Stunden von uns. Die Buden beider enthielten kaum etwas anderes als Schnupf– und Rauchtabak, Pulver und Strohhüte, Messer und Gabeln und Wolldecken. Unser Keller war nur schlecht versehen, ein paar Flaschen Bordeaux und Madeira wurden für unvorhergesehene Fälle wie ein Schatz aufbewahrt. So begann uns unser Pflanzerleben allmählich unbequem zu werden. Wir trösteten uns zwar mit der Hoffnung auf die Zukunft und schwelgten in Träumen, aber es waren doch nur Träume, deren Verwirklichung im weiten Feld lag.
   Das Land war ein Paradies, das alles im Überfluß und beinah ohne die mindeste Mühe gab. Es lag nur an uns, ein glückliches Dasein zu gründen. Aber bis dahin konnte eine geraume Zeit vergehen, die unsere Geduld auf eine harte Probe stellen mußte. Die Schwierigkeiten, die bei unserer Ansiedlung zu überwinden waren, häuften sich. Selbst mit unserer Schenkung hatte es eine eigene Bewandtnis. In dem Dokument war eine Strecke von 4000 Arpents Arpent – ein louisianisches Feldmaß: etwa 13675 Quadratkilometer zwischen dem Teche und Vermilion, westlich vom Chetimachas, für meine Familie vorbehalten, ohne daß die näheren Grenzen bestimmt gewesen wären. Es war mehr ein Vorbehalt, den der Abtretungskommissar unserer Regierung zugunsten seines Gönners, meines Großvaters, ausbedungen, als er nach dem Frieden von 1763 Louisiana an den spanischen Bevollmächtigten übergab.
   Der Kommissar hatte von der Schönheit des Landes, der Milde des Klimas, der Fruchtbarkeit des Bodens Bericht erhalten, war aber selber nicht an Ort und Stelle gewesen. Es kam also darauf an, die 4000 Morgen gewissermaßen aus den verschiedenen später durch die Gouverneure bewilligten Schenkungen herauszuschneiden und soviel wie möglich Unannehmlichkeiten und Prozesse zu vermeiden. Die Sache war nicht leicht. Es gehörte dazu eine vollkommene Aufnahme des Geländes, eine genaue Kenntnis der verschiedenen von den Einwohnern des Kantons angesprochenen Ländereien. Das wurde um so schwieriger, als der Kommandant seinen Posten erst kurz vor unserer Ankunft angetreten, sein Vorgänger, Monsieur Descoulettes, gestorben und seinen erwachsenen Söhnen, um die Verwirrung vollkommen zu machen, den Haß aller Kreolen des Kirchspiels zum Erbteil hinterlassen hatte.
   Während der fünfzig Jahre, die seit der Ansiedlung verflossen, hatten sich nämlich zahlreiche Herden sogenannter Maroon-Rinder in den Wäldern und Wiesen des Kantons gesammelt, die herrenlos und ungebrandet von den Einwohnern als gute Beute, vorzüglich ihrer Felle halber, gejagt und getötet wurden. Bei diesen Jagden hatte es sich nun häufig ereignet, daß auch gebrandete Rinder mit unterliefen. Darüber waren Klagen entstanden, die den letzten Kommandanten bewogen, Hausuntersuchungen vorzunehmen. Bei mehreren der reichsten Pflanzer waren bedeutende Vorräte von Rinderhäuten vorgefunden worden.
   Die Gefängnisstrafe, die ihnen dafür zuerkannt worden, hatte bei diesen stolzen, einigermaßen verwilderten Herdenbesitzern einen tödlichen Haß gegen den Kommandanten und seine Familie zurückgelassen, der sich, wie es bei rohen leidenschaftlichen Gemütern häufig der Fall zu sein pflegt, auf alle jene erstreckte, die in irgendeiner Berührung mit den Descoulettes standen. So hatte sich der Kanton in zwei Parteien gespalten, die eine waren die alten Kreolen oder sogenannten Adeligen, die andere die Descoulettes, an die sich die Akadier angeschlossen. Und wir saßen in der Mitte, wenn nicht zwischen zwei Feuern, so doch zwischen zwei Stühlen.
   Diese Spießbürgerfehde kam uns recht ungelegen, so lächerlich sie auch im Munde des jetzigen Kommandanten klang, der sich über beide Parteien lustig machte. Denn die Adeligen hatten ihre Köpfe mit dieser wichtigen Streitfrage dergestalt angefüllt, daß ihnen weder Zeit noch Lust blieb, auch nur einen Fuß für uns in Bewegung zu setzen. Einen der Descoulettes oder die Akadier anzusprechen, würde uns aber als nicht viel weniger denn offenbare Landesverräterei ausgelegt worden sein.
   So waren wir denn auf uns selbst angewiesen. Wir versuchten, die Landschaft gegen den Vermilion hinüber auszukundschaften, um einen Lageplan zu entwerfen. Allein unser Eifer kühlte bald ab. Der Europäer, dessen Auge an abgegrenzte Fluren, Felder, Wiesen und Wälder gewöhnt ist, hat keine Vorstellung von der Verwirrung, die der Neuling beim Eintritt in diese endlos scheinenden Wiesen und Waldwildnisse ergreift. Es ist ihm, als ob er in die Fluten des Ozeans gestoßen mit den die Sinne betäubenden Wellen kämpfte. Wir hatten versucht, in westlicher Richtung gegen den Vermilion vorzudringen. Es ging, solange wir uns an die Wiesen hielten, obwohl wir häufig bis an den Gürtel im Sumpf versanken. Als wir aber in die furchtbaren Zypressenwälder kamen, bewohnt von Tausenden von Alligatoren, Tortue-Krokodilen und Reihern und Nachteulen, da verging uns die Lust. Nur hie und da lag ein vermoderter Baumstamm, auf dem man fußen konnte, und ein Fehltritt mußte uns für immer im schwarzen Schlamm begraben. Wir versuchten, auf der anderen Seite durch Liquidambar– und Immergrüneichenwälder einzudringen. Dornen von ungeheurer Länge und Dicke und Lianen rissen uns in der ersten Stunde unsere Kleider in Fetzen. Wir verwünschten das heillose Land und unsere Schenkung dazu und kehrten mißmutig in unsere vier Pfähle zurück.
   Oh, wie seufzten wir nach unserm Frankreich! Nicht nach den göttlichen Abendgesellschaften bei der Ste. Genièvre oder Sophie Arnoult, nicht nach ihren feinen Witzen, ihren herrlichen Weinen, nein, nach einem kleinen, noch so kleinen Fleckchen. Meine Großmutter hatte noch im Jahre 1781 vom König zwei Generalleutnantsstellen und eine Kavalleriebrigade für ihre Familie erhalten, und ich, ihr Enkel?! Ich war oft halb verzweifelt.
   Wir hatten uns die Sache so ganz anders vorgestellt, hatten geglaubt, uns mit unseren Mitteln ohne weiteres niederlassen, Häuser bauen und Felder bestellen zu können. Und nun hülsten wir Welschkorn aus, gruben, hackten, hielten Siesta, froh, mit saurer Milch unsern Durst löschen zu können. Mit all unseren Barschaften und Wechseln waren wir nicht imstande, uns ein Dutzend Flaschen Champagner zu verschaffen.
   Wir mochten bersten vor Ungeduld. Wir glaubten keine Zeit verlieren zu dürfen, und die Wahrheit zu gestehen, hatten wir auch keine zu verlieren. Ich hatte mein dreißigstes Lebensjahr zurückgelegt, Lassalle und Hauterouge zählten einige Jahre weniger. Lassalle und ich hatten unsere Verlobten in Frankreich zurückgelassen, denen wir einen Herd, eine Hütte zu bauen vor Begierde brannten. Und da saßen wir nun und kamen nicht vor– noch rückwärts.
   Zwar wäre es uns ein leichtes gewesen, uns in eine eingerichtete Pflanzung hineinzusetzen. Mehrere waren uns, ja ungestüm, zum Kauf angeboten worden. Man hatte es sogar sonderbar gefunden, daß wir nicht kauften, allein wir hatten unsere guten Gründe. Was wir von dem damaligen Pflanzerleben sahen, war nicht geeignet, es uns von einer liebenswürdigen Seite darzustellen.
   Wir verstanden zudem nichts von dieser Wirtschaft und hatten eine unüberwindliche Abneigung gegen die Sklaverei. Auch war uns klar geworden, daß nur fortwährende leichte Beschäftigung in diesem Klima vor jenem Faulfieber schützen konnte, von dem wir die guten Leute in den Attacapas mehr oder weniger angesteckt fanden. Denn daß Weiße das Land bebauen könnten, ohne ihrer Gesundheit zu schaden, das sahen wir bei den Akadiern, die großenteils ihre Felder ohne Sklaven bearbeiteten und dabei gediehen.
   So war unsere Lage in den Attacapas nach Verlauf der ersten fünf Wochen beschaffen. Das Klima hatte gleichfalls das seinige beigetragen, uns mit Anwandlungen jener salzig-galligen Laune zu überraschen, die uns an den Kreolen und besonders ihren Damen so unangenehm berührt hatte. Dazu die Milliarden Moskitos, die uns umsummten, wo wir gingen, standen, saßen, bei Tag, bei Nacht. Unsere Lage war wirklich zum Verzweifeln.



   Die Chartreuse


   1

   Es war an einem heißen Septembernachmittag. Wir kamen von einem Besuch bei Bossompierre zurück, demselben Pflanzer, bei dem wir unser Absteigequartier nehmen sollten. Als wir langsam, über unseren Köpfen die Sonnenschirme, durch die Gassen unserer Welschkornfelder dem Wohnhause zuritten, schallten uns vom Hof gräßlicher Lärm und Geheul entgegen.
   Wir ritten schneller und erblickten zwei unserer Leute, wie sie einen der gemieteten Neger peitschten. Ich schrie schon von weitem den beiden zu innezuhalten, und viel hätte nicht gefehlt, ich würde die Peitsche auf ihren Rücken haben tanzen lassen, so empört war ich. Ich machte Amadée, der dabei stand, Vorwürfe, aber er unterbrach mich mit der Nachricht, der Neger verdiene die Strafe, denn durch seine Schuld sei unsere Milchkuh ausgebrochen.
   Diese Worte trafen uns wie ein Donnerschlag. Unsere Milchkuh ausgebrochen, an der unser ganzes Sein hing?
   »Es ist leider so!« bekräftigten unsere Leute.
   Der Reichtum der Bewohner der Attacapas bestand damals vorzüglich in Herden. Der Baumwoll-, Zucker– und Reisbau lag noch in seinen Anfängen und wurde nur von wenigen betrieben. Diese Herden waren sehr zahlreich. Manche Kreolen besaßen an die viertausend Stück Vieh und darüber. Es lief in halbwildem Zustand auf den Wiesen und in den Wäldern umher und wurde jährlich einmal, höchstens zweimal, auf ein paar Tage in die Corrals getrieben, wo es gezeichnet und adouciert, an den Anblick von Menschen gewöhnt wurde. Das war jedoch bloß bei den tätigeren Herdenbesitzern der Fall. Viele sahen ihre Herden oft jahrelang nicht.
   Diese unverantwortliche Nachlässigkeit hatte wieder zur Folge, daß die Tiere, dem Überfluß und Mangel, der Hitze und dem Frost gleich ausgesetzt, trotz ihrer Schönheit in der Regel an irgendeiner inneren Krankheit litten – gewöhnlich war das Blut verdorben oder die Leber angesteckt – und daher zur Benutzung nicht gut taugten. Es hatte Roche Martin nicht geringe Mühe gekostet, eine gesunde Milchkuh aufzutreiben, und wir waren froh, sie um den dreifachen Preis erlangt zu haben. Denn den bequemen Kreolen auch nur zuzumuten, wegen einer Kuh eine Herde in den Corral zu bringen, würde als grobe Unhöflichkeit ausgelegt worden sein.
   Diese Milchkuh war nun ausgerissen. Der Neger, der das Futter für sie zu mähen hatte, hatte es für bequemer gefunden, sie in der Nacht hinauszulassen und dafür auf einem unserer Pferde einen Besuch bei seiner schwarzen Geliebten, fünf Stunden weit, abzustatten. So waren Pferd und Kuh verloren. Das Pferd, zehn Stunden ohne Wasser und Futter gejagt, war wenige Minuten vor unserer Ankunft draufgegangen, die Kuh war wer weiß wo zu finden.
   Der Neger glotzte uns an, gab aber keine Antwort auf meine Fragen. Jetzt tat es mir beinah leid, den Arm Jeans aufgehalten zu haben. Wir waren in Verzweiflung. Wohl nie hatte eine Kuh drei hoffähige Edelleute in größere Verlegenheit versetzt. Wir schauten drein wie arme Seeleute auf einem entmasteten Wrack, vor deren Augen das letzte Wasserfaß vom Deck gespült wird. Was nun? Guter Rat war teuer. Ohne Milch konnten wir nicht leben. Es war das einzige Getränk, das wir genossen, da wir den Tafia Rum aus geringerer Melasse nicht vertragen konnten.
   Wir mußten versuchen, des flüchtigen Tieres wieder habhaft zu werden. Roche Martin konnte uns am besten Bescheid geben. Zu ihm wollten wir also, auf dem Wege zu ihm allenfalls die Gegend durchstöbern, ob die unglückselige Martha – so hatten wir die Kuh getauft – irgendwo verweilte, und dann von ihm das weitere zu vernehmen.
   Wir hatten drei Reit– und zwei Wagenpferde von Bossompierre gekauft. Lassalle und Amadée sollten in westlicher Richtung gegen den Vermilion zu die Gegend durchstöbern, Hauterouge und ich wollten eine östliche Richtung nehmen. Gerade als wir im Aufbruch begriffen waren, kam Ducalle. Als er hörte, was vorgefallen, schloß er sich uns an, und Amadée blieb zu Hause.
   Wir ritten durch einen Liquidambarwald, aus dem ein Indianerpfad in die große Prärie führte. Dort trennten »wir uns. Lassalle und ich hielten uns rechts nordöstlich gegen den Lebœuf hinauf, Hauterouge und Ducalle sich links gegen den Vermilion zu. Bei Roche Martins Pflanzung wollten wir uns wieder treffen.
   Es war zum erstenmal, daß wir den Indianerpfad betraten. Er sollte uns in eine Landschaft bringen, die man uns immer als eine halbe Wüstenei schilderte: Nur an einzelnen Punkten sei sie von halbwilden Akadiern bewohnt, die, meist Jäger, die rauhen Sitten der eingeborenen Stämme angenommen hätten. Wir hatten uns daher zur Vorsicht mit Waffen versehen.
   Der Nachmittag war heiß, einer jener Septembertage, die bei uns das gelbe Fieber zeitigen. Unsere Sonnenschirme über den Köpfen, unsere Tiere durch Fliegennetze und Laubwerk gegen die Moskitos und Brulôts geschützt, trabten wir auf dem Indianerpfad durch den Liquidambarwald. Nach einer halben Stunde lag die Prärie vor uns, unabsehbar wie die gekräuselte Wellenflache des Ozeans.
   Am fernen Himmelsrand stiegen düstere violettfarbige Wolkenmassen herauf, deren im Feuer vergoldete Ränder das ungeheure tiefblaue Himmelsgezelt in einen drohenden Rahmen faßten. Die Immergrüneichen, die den Liquidambarwald begrenzten, gaben zugleich jene leise ächzenden knarrenden Töne von sich, die immer Vorboten eines herannahenden Sturmes zu sein pflegen. Noch schienen aber die Wolkenmassen träge über den Wipfeln der fernen Waldsäume zu ruhen. Es war, als ob die furchtbare Hitze auch sie niederdrückte.
   Wir schauten einen Augenblick hinüber auf die großartigen Wolkenballen und sprengten dann auseinander. Bald verloren wir uns in dem hohen Grase aus dem Gesicht. Die Sonnenschirme über dem Kopf, ritten Lassalle und ich in nordöstlicher Richtung.
   Etwa eine Viertelstunde waren wir geritten, als wir auf eine Herde Rinder stießen, die wohl tausend Köpfe stark sein mochte, darunter mehrere hundert Pferde von der halbwilden mexikanischen Rasse. Die Rinder unserer Attacapas unterscheiden sich von unseren französischen sehr vorteilhaft durch ihre ungemein schönen Hörner. Mit ihrem schlanken Körperbau, ihren hohen Schenkeln und Füßen gleichen sie aus der Ferne eher Hirschen als Rindern. Ihre meist braunrote Farbe erhöht diese Täuschung. Sie weiden im ellenhohen Gras, kaum daß ihre Köpfe und Hörner zu sehen sind, bemerken zeitig den Ankömmling, lassen ihn bis auf dreißig oder vierzig Schritte herankommen, werfen dann die Köpfe auf und schnauben. Die Rinder stoßen ein kurzes Gebrüll aus, die Pferde ein kurzes Gewieher, und dann brechen sie nach allen Seiten auseinander.
   Unsere Tiere spitzten nicht wenig die Ohren, als wir vor der gewaltigen Herde anlangten, die uns eine Weile anstarrte und dann im wildesten Galopp auseinanderstob. Unsere aufgeregten Pferde – sie waren von derselben mexikanisch-spanischen Rasse – jagten ihnen in die weite Grassteppe nach. Wir waren trotz der Hitze nicht minder aufgeregt, es war unsere erste wilde Jagd in den Attacapas.
   Scharf sprengten wir so vielleicht eine Stunde hinter den wilden Tieren her. Sichtlich ungern ließen unsere ermüdeten Pferde von ihrem Wettrennen nach, fielen in einen langsamen Trab und hielten endlich still. Als wir aufblickten, war kein Horn, keine Mähne mehr zu sehen. Links und rechts hinter uns lag die Prärie, vor uns eine ganz fremde, neue Landschaft. Wie die Wellen einer grünen Meeresbucht anschwellend, stiegen Hügel sanft an, malerisch besprenkelt mit zerstreuten Gruppen von Immergrüneichen, Magnolien und Tulpenbäumchen. Einzelne Damhirsche ließen uns bis an zwanzig Schritte herankommen.
   Der Anblick war für uns ganz neu. Wir hatten uns die Attacapas als eine zwar gesegnete, fruchtbare, aber doch flache, eintönige, dabei fieberige Landschaft gedacht. Was wir bisher gesehen, hatte uns in dieser Vorstellung bestätigt.
   Hier, kaum fünfzehn Meilen von unserer Pflanzung, fanden wir uns so angenehm getäuscht.
   Wir sprengten den nächsten Hügel hinan. Von seinem Rücken hatten wir eine entzückende Aussicht.
   So weit das Auge reichte, war sogenanntes Wellenland, Hügel, die sich wellenartig erhoben, senkten, hie und da Waldpartien, zwischen denen hindurch das Auge die herrlichste Fernsicht genoß. Die Sonne näherte sich bereits den schwarzen düsteren Wolkenmassen, und während ihre schräg einfallenden Strahlen die ihnen zugekehrten Baumseiten in tausend glorreichen Tinten aufhellten, waren die abgewandten in jenes magische Helldunkel geworfen, das im amerikanischen Klima so außerordentliche Wirkungen hervorbringt. Jede Immergrüneiche, jede Magnolie mit ihren wogenden Fächern und Kelchblumen, jeder Tulpenbaum mit seinen Pokalblüten bot diese tausend Tinten, dieses unbeschreiblich schöne Helldunkel dar.
   Wir standen sprachlos, im Anstaunen dieser uns damals neuen, noch nie gesehenen Schönheiten versunken. Um die Glorie der Landschaft zu vollenden, schlängelten sich um mehrere der Hügel, die in der Ferne auftauchten, Seen und Seechen mit Mangroven gerändert, die uns wie silberne und goldene Adern aus der zauberischen Landschaft entgegenschimmerten.
   »Hier ist ein glorreiches Land, ein Paradies!« rief ich entzückt. »Hier wollen wir unsere Hütten aufschlagen!«
   Lassalle unterbrach meine Rufe des Entzückens, aber ich hörte nicht, was er sagte, ich sah nichts wie die herrliche Natur. Ich segnete den Zufall, der mich in diese Fluren gebracht. Mein einziger Gedanke war, möglichst viel von dieser Gegend so schnell wie möglich zu sehen, um mich unverzüglich hier niederzulassen.
   Wir ritten den Hügel hinab auf einen zweiten zu. Sein Fuß wurde von einem herrlichen Spiegel kristallhellen Wassers bespült, in dessen Mangrovenrändern zahllose Outardes Outarde (franz.) == Bustard (engl.) == Trappe (kranichartiger Vogel) und Enten sich herumtrieben. Ich betrachtete abermals die Aussicht von diesem Hügel. Sie gefiel mir noch besser als die vom ersten.
   Wir ritten dem dritten zu, hinan. In der schwelgerischen Augenweide, dem Vorgefühl des Entzückens, das meine Braut, meine teure Eleonore, nun bald mit mir teilen würde, hatte ich die Kuh und alles um mich vergessen.
   »Weißt du, Colonel, daß du ein ganzer Egoist geworden bist, in deiner Hast einen Lageplan zu finden?« unterbrach Lassalle meine Gedanken.
   Ich schaute ihn überrascht an. Der Vorwurf war begründet. Dieser Egoismus, der sich dem Einwanderer in Amerika gleichsam anlegt – er mag wollen oder nicht —, ist eine andere seltsame Eigenheit, ein Gegensatz, der die Bewohner des Landes von den Europäern unterscheidet. Die Natur selbst drängt ihn auf.
   »Ich glaube, es ist hohe Zeit, uns nach Roche Martins Pflanzung umzusehen«, meinte Lassalle und deutete auf die drohenden Wolkenmassen, die der Sonne immer näher kamen, und auf den Wipfel einer Immergrüneiche, in der sich das Säuseln stärker hören ließ.
   Unsere Uhren zeigten fünf. Wir waren drei volle Stunden zum Teil scharf geritten. So weit das Auge reichte, keine Spur von einer menschlichen Wohnung. Wald, Prärie, Wasser, aber keine Hütte, kein Haus. In ferner Weite glänzte uns ein heller Wasserstreifen aus einem Waldstück entgegen, so bezaubernd, daß unsere Augen sich nicht davon losreißen konnten.
   »Dort müssen Menschen wohnen!« riefen wir zugleich aus.
   »Und wenn nicht, so will ich meine Hütte dort aufschlagen!« fügte ich hinzu.
   Wir ritten rasch dem wunderschönen Fleckchen zu, von dem uns jedoch noch manche Meile trennte. Einige Male hielten wir auf den Rücken der Wellenhügel, die auf unserm Weg lagen, um uns zurechtzufinden. Als wir wieder einen Hügel hinanritten, entfuhr Lassalle ein Hurra.
   Er zeigte auf eine leichte bläuliche Rauchwolke, die um die Baumwipfel herumwirbelte und dann vom Luftzug schichtartig gegen Süden abgetrieben wurde. Aber keine Wohnung war zu sehen. Der Rauch kräuselte aus einem Waldstück, aus dem zugleich ungemein malerisch, wie aus einem Füllhorn geschüttet, ein Flüßchen hervorquoll. Seine Ränder waren mit Mangroven eingefaßt, die gegen das Wäldchen hin mit Tränenweiden abwechselten, auf die wieder Grüneichen, Magnolien und Liquidambars folgten. Doch schienen diese gruppenweise zerstreut zu sein.
   Wir beschlossen, auf alle Fälle in dieses köstliche Walddunkel einzureiten. Die Sonne war hinter den drohenden Wolkenmassen verschwunden. Das entfernte Rollen des Donners ließ uns nicht mehr am baldigen Ausbruch des Gewitters zweifeln.
   Wir spornten unsere Tiere, die rasch auf das Flüßchen zutrabten. Sie witterten eine Menschenwohnung. Noch waren wir etwa tausend Schritte von der Stelle, wo nach unserer Berechnung die Feuerstelle sein mußte, der der Rauch entstieg.
   »Hörst du nichts, Colonel?« fragte mich auf einmal Lassalle.
   Ich hatte etwas gehört. Einer jener wunderbaren Töne, die in unseren Wald– und Wieseneinöden so seltsam das Ohr berühren, war auch zu mir gedrungen. Wir ritten näher. Die Töne ließen sich abermals hören. Sie klangen anfangs barsch, schrill, dann wie Sirenengelächter, wie Gesang. Ungemein seltsam klangen sie, wie Geisterstimmen, auf den Fittichen der Windsbraut uns entgegen getragen. Wir ritten in der Richtung der Töne fort.
   Das Flüßchen, etwa fünfzig Fuß breit, schien tief zu sein, wie es hier die Flüsse oder – um in der Landessprache zu reden – die Bayous in der Regel sind. Es kam so reizend aus dem Versteck der Tränenweiden und Mangroven heraus, schien durch die Zweige hindurchzugleiten. Abermals ertönte das Sirenengelächter. Jetzt erkannten wir weibliche Stimmen, dazwischen Geklingel von Schellen und metallenen Gefäßen, wie wenn erzene Instrumente mit Heftigkeit geschlagen würden. Wir sahen uns befremdet an.
   »Vorwärts!« ermunterten wir einander.
   »Da ist ein Weg!« Lassalle wies auf einen breiten Fußpfad, der in das Waldesdunkel führte.
   Bald nahm uns das Laubdach der Grüneichen und Liquidambars auf. Der Sirenengesang wurde immer vernehmbarer, je weiter wir vorkamen. Wir waren imstande, einzelne Worte zu verstehen. Der Weg brachte uns zu einer Gabelung, von der drei Wege ausliefen. Wir folgten dem breitesten.
   Etwa hundert Schritte mochten wir geritten sein, als die Waldesdämmerung einer Helle wich. Einige zerstreute Immergrüneichen, mit Rasenbänken um ihre ungeheuren knorrigen Stämme, ein herrlicher Grasteppich und endlich ein freier Platz und – wir sahen uns betroffen an – eine Villa, die uns vom jenseitigen Ufer des Flüßchens, kaum zweihundert Schritt weit, in die Augen schimmerte, so lieblich, so reizend! Von der sanften Anhöhe, auf der sie sich schwanenartig hinbreitete, beherrschte sie das Flüßchen.
   »Was sagst du, Colonel?« fragte Lassalle. »Diese Villa!«
   »Wenn die Akadier so wohnen, dann haben sie mehr Geschmack als die Kreolen unseres Kirchspiels«, war meine Antwort.
   »Adeligen, solltest du sagen!« lachte Lassalle. »Wahrhaftig, diese Adeligen ... aber!«
   Verlegen sah er zu der Villa hinüber, und ich gleichfalls. Uns wurde so sonderbar zumute. Bei unserm Wunsch, ein Obdach gegen den Sturm zu finden, war die Erscheinung dieser Villa so seltsam. Sie lag etwa hundert Schritt vom Ufer auf dem etwa vierzig Fuß ansteigenden Uferkamm so wollüstig weich, als ob sie zum Sitz der Liebe hingebettet worden.
   Wie alle Häuser in den Attacapas hatte sie bloß ein Stockwerk, aber statt des häßlichen breiten spanischen Daches hatte sie ein flaches mit einer Veranda, an der Catalpas auf der einen, Magnolien von der anderen Seite hinauf– und zusammenrankten. Die untere Veranda ruhte auf ausgerillten weißen Säulen, die wie von Marmor aussahen. Die Jalousien waren herabgelassen, die Piazzas mit einem eisernen Geländer umgeben. Von den Treppen herab gelangte man in ein Gärtchen, das von der Villa bis zum Fahrweg vorlief. Dieser führte im Halbzirkel darum herum wahrscheinlich zu den hinten gelegenen Wirtschaftsgebäuden. Das Ganze zeugte ebensosehr vom feinen Geschmack wie Reichtum des Besitzers.
   »Wo sind wir?« fragte Lassalle, ungewiß, ob wir näher sollten oder nicht.
   Wir wußten uns beide nicht die seltsamen Empfindungen zu erklären. Die Hütte eines Akadiers wäre uns lieber gewesen. Lassalle summte das Lied Favarts »L‘amour, l‘amour«. Endlich stiegen wir von unseren Pferden und zogen sie am Zügel hinter uns drein der Brücke zu. Sie bestand aus mehreren dicken Zypressenstämmen, die beide Ufer verbanden und wieder mit kürzeren Querbalken und Pfosten belegt waren, so daß Wagen recht gut darüber fahren konnten. Statt der Geländer waren Mangrovenzweige an beiden Seiten zu einem dichten Flechtwerk verbunden, um gegen ein Hinabfallen zu schützen.
   Wir hatten noch keine drei Schritte auf der Brücke getan, als ein abermaliges Gelächter sich dicht unter uns aus dem Wasser hören ließ. Zugleich fuhren zwei Wasserstrahlen von links und rechts über unseren Köpfen zusammen. Wir schauten einander an.
   Abermals lautes Gelächter, Geplätscher! Zwei, vier, sechs weiße Arme streckten sich nicht weit von uns aus dem Wasser heraus, über unsere Köpfe schnellten abermals zwei Strahlen des flüssigen Elements, und zwar in einer Fülle, die einer Traufe glich. Aus dem Wasserspiegel tauchte ein Najadenkopf auf, ein Nacken folgte, ein Busen, wie aus karrarischem Marmor gemeißelt, von einem schneeweißen Batisthemdchen bedeckt. Dann ein zweiter, dritter Kopf, Nacken, Busen, drei Mädchengestalten erhoben sich im Wasser, schienen zu stehen. Sie riefen einer vierten schwarzen, zugleich erschallte das Knacken von Kastagnetten unter der Brücke, begleitet vom Gesang zweier weiblicher Stimmen. Die vier Mädchen reichten sich die eine Hand, und während sie mit der anderen ruderten, traten sie zugleich mit den Füßen das Wasser und führten zu unserem Staunen eine Quadrille durch, wie wir sie schöner, und buchstäblich gesagt, schwimmender nie gesehen hatten.
   »Mein Gott, wo sind wir?« fragte Lassalle mich beklommen.
   Ein starkes Rollen des Donners unterbrach Gesang und Tanz. Eine der Veranda-Blenden öffnete sich, und ein weiblicher Kopf schaute heraus.
   »Aspi, Leontine, Zoe! Genug des Badens! Die Bö! Hört ihr sie?«
   »Ben, Maman!« lachten die drei Mädchen.
   Wir standen hinter dem Mangrovengeländer, ungesehen von den Mädchen. Aber die Dame hatte uns entdeckt, sie rief uns fröhlich zu.
   »Eh ben, Pierre! Sind Sie es? Es hohe Zeit sein, der Sturm im Anzug sein!« Mit diesen Worten zog sie die Blende vollends auf und ließ uns ihren Oberkörper sehen.
   »Eh ben! Das nicht Pierre sein!« Sie erkannte jetzt ihren Irrtum. »Ben, Messieurs, was wollen?«
   Mit einem ungestümen Ruck verließ sie das Fenster und erschien auf der Piazza, deren Stufen sie so schnell herabstieg, als ihre starke Beleibtheit es erlaubte. Sie war über die dreißig Jahre, aber noch wohl erhalten, wenn auch ihre Züge mehr grob als fein waren. Ihre Gesichtsfarbe war brünett, die Lippen etwas groß, die Augen schwarz, nicht so fein geschnitten, wie es bei Kreolinnen der Fall zu sein pflegt, auch rundete das Weiße zu stark neben ihrer Rabenschwärze hervor. Sehr schön waren die Zähne, und der Busen konnte immer noch als reizend gelten.
   Wir zogen unsere Pferde hinter uns her und gingen den Fahrweg entlang, der – wie gesagt – um das Haus herumlief, aber nicht zum Haupteingang führte. Dorthin gelangte man durch das Gärtchen, durch das die Dame heftig angeschritten kam. Sie hielt an der niederen Gartentür und lehnte sich mit beiden Armen darauf. Sie war im Hauskleid, das nur nachlässig ihre üppigen Formen verhüllte.
   Sie blickte uns mißtrauisch an und fragte: »Eh ben, Messieurs! Was wollen?«
   Hinter unserm Rücken hörten wir Geflüster, Gekicher. Wir wandten uns um und sahen weiße Gewänder hinter den Mangrovenhecken, die die Flußufer einsäumten.
   »Eh ben, Messieurs! Was wollen?« fragte die Dame in rauherem Ton.
   Es war eine Stimme, die so ganz im Widerspruch mit allem war, was wir sahen, eine Stimme, wie wir sie bei den alten Kinderfrauen unseres Paris zu hören gewohnt waren. Wer war diese Person? Wie kam diese lasterhafte Stimme in diesen süßen Sitz der Einsamkeit? Wir waren in einer Verlegenheit, wie nicht leicht zwei französische Kavaliere. Das »Wir suchen eine Milchkuh« wollte nicht heraus. Wir müssen sehr alberne Gesichter gemacht haben.
   »Also, Messieurs, was wollen?« wiederholte sie. »Wir keine Leute aufnehmen, die wir nicht kennen. Wir sehr eingezogen leben. Wir eine sehr respektable Familie sein. Wir von niemand Besuche annehmen, die uns nicht vorgestellt sind.«
   »Pah! Macht ihre Respektabilität da geltend, wo sie gar nicht bezweifelt wird!« flüsterte mir Lassalle zu, und abermals sahen wir die Dame und sie uns an.
   »Messieurs gehen! Wir Sie nicht brauchen, da der Weg sein!« höhnte sie.
   Für uns handelte es sich jetzt um ein Obdach in einem Sturm, der jeden Augenblick ausbrechen konnte.
   »Vergebung, Madame!« nahm ich das Wort. »Wir wünschen nichts weniger, als Sie zu belästigen oder uns aufzudrängen. Wir haben uns auf einem Ausflug verirrt. Das einzige, um was wir bitten, ist ein wenig Futter für unsere Pferde und einen Führer, der uns den Weg nach Monsieur Berthouds Pflanzung zeigen kann. Sobald der Sturm vorüber, wollen wir dahin und den Dienst gern vergelten.«
   »Monsieur Berthouds Pflanzung?« wiederholte die Dame und beäugte uns schärfer. »Wir haben gehört, diese Pflanzung von einem Herrn Grafen und zwei Baronen gepachtet sein?«
   Sie hielt inne und starrte uns an.
   »Sie in den Attacapas wohnen?« fragte sie.
   »Aufzuwarten! Die genannte Pflanzung ist einstweilen unsere Wohnung.«
   »Sie also der französische Graf sein!« Ihre Züge waren auf einmal freundlich geworden. »Aspi, Zoe, Leontine, geschwind! Ah, Herr Graf, Sie willkommen sein, wo Sie hinkommen, ohne Vorstellung. Vergeben, Herr Graf! Aber viele schlimme, sehr schlimme Herren zu uns kommen, und wir das nicht wollen, wir eingezogen leben.«
   Sie streckte ihre fleischigen Hände über das Gitter, um die unsrigen zu fassen, und da sie jetzt sah, daß wir noch die Pferde an den Zügeln hielten, schrie sie: »Ahoi! Ahoi! Sippi, Midi, Josi! Hört ihr nicht? Die Pferde dem Herrn Grafen abnehmen! Geschwind die Pferde abnehmen! Der Herr Graf in den Garten eintreten!«
   Sie öffnete die Gartentür und erfaßte meinen Arm. So standen wir, bis ein paar zerlumpte Neger kamen und uns die Pferde abnahmen.
   »Darf ich bitten«, bemerkte ich, »den Pferden vorläufig etwas Heu geben zu lassen, dann erst Wasser und einige Welschkornkolben.«
   Sie wandte sich ungeduldig und zog mich hinter sich drein.
   »Ah, ein Herr Graf, und da um ein Pferd sich bekümmern!« lachte sie. »Ah, Sie kein Kreole sein, man es sehen. Kein Kreolen-Gentilhomme sich um ein elendes Pferd bekümmern!«
   An der ersten Treppe der Piazza hielt sie an.
   »Und wer dieser Herr sein?« Sie war offenbar willens, sich von der Respektabilität ihres zweiten Gastes zu überzeugen, ehe sie ihm Aufnahme gestattete.
   »Monsieur le Baron de Lassalle, Madame!« stellte ich meinen Freund vor.
   »Monsieur de Lassalle! Der junge Herr, der die reiche Mademoiselle de Morbihan geheiratet?! Ben venu, Monsieur de Lassalle!«
   Sie musterte ihn einen Augenblick scharf von oben bis unten, ein eigentümliches Lächeln überflog ihre Gesichtszüge. »N‘importe!« murmelte sie zwischen den Zähnen und faßte auch Lassalle am Arm.
   Während sie uns die Treppen hinaufführte und an der Piazza hielt, suchte ihr Lassalle den Irrtum bezüglich seiner Heirat zu nehmen, allein sie plapperte in einem fort und zog uns, da die Eingangstür nicht hinlänglich breit war, um alle drei in einer Reihe hindurch zu lassen, im Dreieck in die Veranda herein.
   »Herr Graf Pimperolles!« bekomplimentierte sie mich, nachdem sie unsere Arme fahren gelassen. »Sich setzen und vergeben! Madame Allain sogleich zurück sein!«
   Mit diesen Worten verließ Madame Allain die Veranda, und wir setzten uns und schauten einander an.
   »Sag mir doch, wo wir sind?« flüsterte mir Lassalle zu. »Das ist keine Kreolin und doch ...«
   Er sah sich in der Veranda um. Sie war äußerst geschmackvoll eingerichtet, es herrschte Luxus darin. Die Möbel von Acajou– und Louisiana-Kirschbaumholz, der Fußboden mit den damals seltenen Seegrasmatten belegt, die Wände sehr schön tapeziert. Nur eine gewisse Unordnung verriet, daß wir uns in den Attacapas befanden. Kleider und andere Gerätschaften lagen durcheinander auf den Sesseln, Sofas, Tischen, dem Fußboden umher, und ein starker Bisamgeruch duftete.
   Wir waren jedoch in keiner Kreolenpflanzung, so viel schien ausgemacht. Die Dame hatte in ihrem Wesen etwas keck Zudringliches, Unverschämtes, ihr fehlte der Anstand, die strenge Sittsamkeit, Häuslichkeit der Kreolinnen, selbst der Anflug von Trägheit. Wer war die gute Madame Allain? Wie kam sie hierher? Sie hatte etwas von unseren Modehändlerinnen oder Kinderfrauen. Ihr ganzes Benehmen, ihre Stimme, ihre Züge verrieten einen solchen Beruf. Hatte sie sich mit den Früchten ihrer Triumphe in diese Einsamkeit zurückgezogen?
   Wir wurden in diesen Querfragen durch zwei Negermädchen unterbrochen. Halbnackt, um den Busen bloß ein rotes Band geschlungen, das ein Röckchen hielt, tanzten sie herein, lachten uns an und räumten auf. Kleider, schmutzige Wäsche, alles, was herumlag, packten sie auf die Arme und liefen wieder hinaus. Nochmals kamen sie, nahmen die Überreste. Gleich darauf folgte ein drittes zierliches schwarzes Mädchen und spritzte Rosenwasser über die Matten hin.
   Noch schauten wir den Bewegungen der lieblichen Schwarzen zu, als abermals die zwei ersten Negerinnen erschienen, einen Korb mit Flaschen, einen anderen mit Tellern, einen dritten und vierten mit Backwerk und Früchten in den Händen. Sie stellten die Erfrischungen auf einen Tisch, der hinter einem Sofa stand, und ordneten die Sessel, alles im Kreolenstil.
   Wir waren an die geöffneten Veranda-Blenden getreten. Die Lage der Villa war entzückend. Der Uferkamm, etwa fünfzig Schritte lang und breit, dachte sich sanft gegen den Fluß hin ab. Kein einziger Moskito ließ sich in der Veranda spüren. Der Wald war an mehreren Seiten gelichtet, aber mit Geschmack und offenbar, um der Luft den Durchzug zu gestatten. Das Gärtchen zu unseren Füßen war mit herrlichen Blumenbeeten geschmückt.
   Die Dame trat jetzt herein, sie hatte sich in der Eile angekleidet. Wie sie im seegrünen Taftkleid, das ihr etwas sonderbar stand, auf uns zukam, war sie ganz Freundlichkeit.
   »Und wie Ihnen die Attacapas gefallen?« Sie ließ sich auf das Sofa nieder und zog mich neben sich.
   »Sehr wohl würden sie uns gefallen, wenn alle Pflanzungen Ihrem herrlichen Landsitz glichen.« Ich konnte keine feinere Schmeichelei finden, und selbst diese wollte nicht recht heraus.
   »Ja, die Chartreuse, ja, die Chartreuse ...«
   »Also Chartreuse haben Sie dieses lieblichste aller Verstecke getauft? Fürwahr, eine solche Kartause ...«
   »... mit ...« Sie stockte, sah mich aber mit einem lüsternen Blick an.
   »Also, das Herr de Lassalle sein?« fragte sie mich, auf Lassalle deutend, der noch stand.
   »Aufzuwarten!« erwiderte mein Freund.
   »Ah, die Madame Lassalle sehr schön sein, sagt man! Ich sie nie gesehen haben. Sehr schön! Aber, mein Gott, Herr Graf, Sie ja ganz naß sein!«
   »Ein bißchen«, war meine Antwort. »Aber nochmals muß ich Ihnen versichern, daß Sie den Namen dieses Herrn mit dem unseres beiderseitigen Freundes Ducalle verwechseln ...«
   »Gewiß die närrischen Mädchen Sie bespritzen? Abscheulich! Aspi, Leontine, Zoe! Ihr abscheulichen Kinder, was ihr getan?« plauderte sie fort, ohne auf meine Berichtigung zu hören. »Die närrischen Mädchen am liebsten baden und tanzen, nichts als baden und tanzen, selbst im Fluß tanzen!«
   »Und Tänze, die selbst die Najaden beschämen würden«, schaltete ich ein, um doch wenigstens ein Kompliment zu sagen.
   »Najaden? Kenne die Demoiselles nicht. Sind doch respektabel, Herr Graf? Meine Töchter sehr respektabel sein.«
   Lassalles Mundwinkel verzogen sich. Ich mußte der Unterhaltung wieder eine ernsthafte Wendung geben.
   »Aber ist denn das Baden nicht gefährlich? Alle Flüsse und Gewässer wimmeln doch von zahllosen Alligatoren?«
   »Oh, sie sich helfen! Sie schreien, sie singen, sie an Pfannen, Kesseln, Kupferbecken schlagen, sie die Alligatoren weit verscheuchen!«
   Daher also die seltsamen Klänge, die wir gehört hatten! In der Verandatür erschien jetzt eines der Mädchen.
   »Aspi!« sprach die Dame. »Das Herr Graf Pimperolles sein, und das Herr Lassalle, der Mademoiselle Morbihan ...«
   »Vergebung, Madame!« fiel ich ein. »Sie sind im Irrtum! Dieser Herr ist zwar der Baron Lassalle, aber nicht verheiratet! Der Gatte von Mademoiselle de Morbihan heißt Ducalle!«
   Sie schüttelte ungläubig den Kopf und lächelte auf eine eigene Weise.
   »Wir wissen, wir wissen! Aspi, Aspi, der Herr Lassalle also nicht verheiratet. N‘importe, n‘importe – macht nichts! Herr Graf, das meine Tochter Aspi sein!«
   Wir erwiderten den Knicks der Tochter, und während unsere Augen ihre Züge flüchtig aufnahmen, begann mir ein Licht über die Familie aufzugehen. Es mußte eine Farbige sein. Ich hatte zwar noch keine gesehen, aber was ich gehört, traf hier vollkommen ein. Mutter wie Tochter waren mehr kräftig als zart geformt, die Gesichtszüge verrieten afrikanischen Ursprung, an der Hautfarbe vermißten wir jene gewisse Durchsichtigkeit, wie sie selbst an unseren dunkelsten Brünetten noch bemerkbar ist. Die schneeweißen, scharfen Zähne, die Fülle ihrer Mittelgestalt, alles stimmte überein.
   Die Züge der Tochter waren nicht regelmäßig, nicht einmal schön. Sie waren eher grob, die Augen groß, das Weiße schillerte stark hervor, aber in diesen Augen flammte so eine tiefe Glut, sie bohrten so zuversichtlich, so dämonisch in das Innerste hinein. Es war, als ob sich jeden Augenblick ihre Arme öffnen würden, um uns zu umschließen, festzuhalten und nicht mehr loszulassen. Sie sah abwechselnd uns und die Mutter an und wiegte sich. In der Mutter Augen schien sich etwas wie Triumph zu spiegeln, nicht so in denen der Tochter, die stolz den Kopf aufwarf, uns einen Augenblick maß und dann dem Tisch zuschritt, auf dem die Flaschen und Erfrischungen standen.
   »Maman! Maman!« ertönte da ein Ruf.
   Zwei Gestalten tanzten an der Glastür der Veranda und hielten und schauten. Während sie so an der Schwelle schwebten, schwanden meine Schlüsse und Gedanken wie Seifenblasen. Diese zwei Mädchen waren unmöglich Farbige! Noch weniger konnte die Mutter zweier so herrlicher Geschöpfe das sein, wofür wir sie im ersten blinden Vorurteil gehalten hatten.
   »Leontine, Zoe! Teure Kinder! Der Herr Graf Pimperolles! Erlauben Sie, Ihnen meine beiden Töchter Leontine und Zoe vorzustellen.«
   Ich hatte viele schöne Mädchen gesehen, mehrere Jahre am königlichen Hof verlebt, aber doch waren mir noch keine zwei Gestalten vorgekommen, die so anreizend, lockend erschienen wären, wie Leontine und Zoe. Sie waren im schneeweißen Batistmorgenrock, der weit und faltig die herrlichen Formen umhüllte und das Spiel der Glieder in halber Durchsichtigkeit erscheinen ließ. Sie kamen sittig, verschämt auf uns zu, sie erröteten, aber so kindlich und so unbefangen heiter, und blickten so züchtig auf die Mutter. Sie verneigten sich so sittsam knicksend und wagten es kaum, die Augen aufzuschlagen. Der Mutter Blicke ruhten mit sichtlichem Wohlgefallen auf den beiden Töchtern.
   »Aber Leontine, Zoe!« Ein seltsames Lächeln umspielte ihre Züge. »Was ihr tun? Der Herr Graf ja ganz naß!«
   Die Mädchen warfen einen verstohlenen Blick auf uns. Ein leises Gekicher entfuhr ihnen.
   »Zur Strafe ihr die beiden Herren bedienen!«
   Die Töchter sahen die Mutter fragend an und traten an den Tisch, an dem die ältere Schwester noch stand. Zaudernd legten sie die Hand an die Flaschen.
   »Wohl, Leontine!« mahnte die Mutter. »Du blöde sein! Und Zoe!«
   Und Leontine füllte mit zitternder Hand zwei Gläser. Die Mutter füllte vier kleinere Gläser, dann boten uns Leontine und Zoe die zwei größeren dar. Wir tranken. Der Wein war vortrefflicher Bordeaux. Wir standen einen Augenblick, ohne ein Wort zu sprechen.
   »Herr Graf! Sie vor einer Stunde nicht gehen können. Sie abwarten, bis der Himmel abkühlen, der Sturm vorüber.«
   »Glauben Sie, es gibt einen Sturm?«
   »Wenn regnen, nicht! Wenn nicht regnen, dann schrecklichen Sturm! Sie sich Zeit angenehm vergehen lassen, uns entschuldigen!«
   Sie erfaßte meinen Arm und deutete auf das Sofa, ein verstohlener Blick wies Leontine ihren Platz neben mir an. Dann ergriff sie den Arm Lassalles und führte ihn seitwärts zu einer Ottomane. Zoe bekam einen heimlichen Wink, sich zu ihm zu setzen. Noch ein vielsagender Blick traf die Zurückbleibenden von Mutter und Schwester, und diese verschwanden in der Verandatür.
   Ich sah Lassalle, er mich an. Sein Blick besagte, hier ist es doch nicht ganz richtig, und der meinige dasselbe. Aber wieder, wenn wir die beiden herrlichen Geschöpfe ansahen, die jetzt dicht bei uns saßen, zitternd an Leib und Seele wie Schlachtopfer ... es war unmöglich.
   Leontine mochte fünfzehn Jahre zählen, eine wunderschöne frische Knospe, sich entfaltend, reifend. Auch nicht der leiseste Zug verriet gemischtes Blut. Mehrere Flechten ihres seidenweichen Haares hingen noch feucht auf dem entblößten Nacken. Ovalrund das Gesicht mit der feingeformten Adlernase, schwarzbraun das Auge mit den prachtvoll gewölbten Wimpern, die Gesichtsfarbe wie Milch und Blut, die Zähne so weiß, klein, durchsichtig wie Perlen, die kirschroten Lippen leicht aufgeworfen, der zarte Busen nur leicht verhüllt. Mir begann seltsam zu werden.
   Da traten zwei Negermädchen von etwa fünfzehn, sechzehn Jahren ein. Sie waren bis auf den Gürtel nackt, ihre Röckchen, von zwei roten Seidenbändern gehalten, reichten bis über die Knie, Fußbekleidung hatten sie keine. Wir hatten uns bereits so ziemlich an den Anblick dieser Halbnacktheit gewöhnt. Diese beiden Mädchen waren von Madagaskar-Rasse, ihre Gestalten wirklich schön. Sie warfen einen Blick auf uns und setzten sich dann wie Lieblingshündchen zu den Füßen ihrer beiden Gebieterinnen.
   Alles geschah natürlich, ungezwungen, leicht. Wir hatten noch kein Wort zu sprechen Zeit gehabt, konnten auch jetzt nicht Zeit finden. Kaum saßen die beiden Negerinnen, als sie auch ihr Spiel begannen. Mira, so hieß die Schwarze auf der Matte vor Leontine, hatte ihre Füße ineinander gekreuzt wie eine Indianerin, die Hände ihrer Herrin erfaßt und geküßt und ihr einen Blick zugeworfen, feurig, schlau und lüstern. Und auf einmal wirbelten die beiden umeinander wie zwei Schlangen. Das Spiel ging weit über die Grenzen der Schicklichkeit hinaus, war aber so natürlich, daß ich den Blick nicht abwenden konnte.
   »Ruhig, Mira! Ruhig!« rief Leontine.
   Ihre Hand fuhr über den Tisch und haschte ein Stück Zwieback. Sie brach es und warf ein Stückchen zwischen ihre Zähnchen, die Negerin aber öffnete ihr schneeweißes Gebiß und fing das andere Bröckchen auf. Und beide rutschten, hüpften und sprangen auf dem Sofa herum. Leontine prallte an mich an, prallte ab, prallte wieder an. Und während dieses Spiels, das mich heiß zu machen begann, plapperten die beiden Mädchen so unbefangen, lachten so herzlich! Wenn sonst die Sprache selbst jener Farbigen, deren Blut mehrere Male mit dem europäischen gekreuzt ist, mehr abgebrochenes Kindergeplauder ist und unangenehm in den Ohren klingt, war das Geplapper dieser beiden Mädchen so musikalisch, daß ich mich nicht satt hören konnte.
   Die Negerin hatte Leontines Füße erfaßt und kitzelte sie. Wie ein Federball prallte sie an mich an, ab, wieder an und schaute mich so unschuldig an, ihre feurigen Augen ruhten so schelmisch auf mir!
   »Oh, was Sie da haben?« Ihr bloßer Arm – denn die weiten Ärmel ihres Überwurfs reichten kaum über die Schultern – fuhr an meinen Hals, und ihre Finger hielten das Ludwigskreuz, das unter der Weste am Bande hing. »Was das sein?«
   »Der Orden König Ludwigs, holde Leontine!« flüsterte ich und drückte einen Kuß auf ihren schwellenden Arm.
   Sie aber schnellte empor und wieder zurück, ihre Glieder, ihr ganzes Körperchen zuckte und bebte unter der durchsichtigen Hülle des leichten Batistmantels. Flüssiges, siedendes Quecksilber schien sie in den Adern zu haben, so sprang und tanzte alles in ihr, wie sie anprallte, abprallte im mutwilligen Spiel. Alles das war Spiel, bloßes Spiel, aber es war heißes Spiel. Es konnte unmöglich das lüsterne Spiel eines weißen Mädchens sein, unmöglich! Das Blut Afrikas glühte zu sichtbar in diesen Adern, sprudelte mit jedem Pulsschlag versengender.
   Auch mein Blut brannte, rollte wie flüssiges Feuer. Meiner kaum mehr mächtig sprang ich auf. Dabei erhaschte mein Blick den der Mutter. Und was für ein Blick war das! Die Alte hatte die halbe Stunde hinter der Glastür gestanden, denn eine halbe Stunde war wie eine Sekunde verflossen.
   Ich wandte mich kalt zu Leontine. In diesem Augenblick rollte ein furchtbarer Donner über uns dahin. Ich schrak zusammen ob der Stimme des Allmächtigen, die warnend zu mir sprach. Lassalle war gleichfalls aufgesprungen.
   »Gaston!« rief ich. »Wir gehen, wir müssen gehen!«
   »Colonel, wo sind wir?« Er taumelte auf mich zu.
   »Bei Madame Allain!« Die Dame trat näher. »Bleiben Sie, bleiben Sie!«
   »Unmöglich, Madame! Wir sind versprochen, verlobt!« Die Worte glitten mir unwillkürlich von der Zunge.
   »Qu‘importe? – Was macht das?« lachte die Mutter.
   »Qu‘importe?« wiederholten Leontine und Zoe.
   »Nehmen Sie ein Glas Wein!«
   Ich nahm das Glas, der Schweiß stand mir auf der Stirn. Leontine nahm das ihrige, nippte und zog mich auf das Sofa zurück.
   »Wir müssen gehen, holde Leontine! Wir müssen, Madame Allain!«
   »Ah, Madame Lassalle eifersüchtig sein!« lachte Madame Allain. »Die Kreolinnen sehr eifersüchtig, ihren Herren nicht die kleinste Freude gönnen!«
   »Sie vergeben, der Herr hier ist nicht verheiratet!« berichtigte ich abermals ihren Irrtum. »Er ist der Baron de Lassalle. Mademoiselle wurde von Monsieur Ducalle geehelicht.«
   Es lag mir auf der Zunge noch zu sagen: »Und ich danke Gott, daß er nicht zugegen ist.«
   Sie lachte mir ungläubig ins Gesicht.
   »Graf, Sie Ganache sein!«
   Das war mir ein neues Wort, aber es kräftigte mich in dem Entschluß, so bald als möglich diese Charybdis zu verlassen. Ein einziger solcher Besuch war hinreichend, uns alle anständigen Häuser in den Attacapas zu verschließen.
   »Gaston!« drängte ich. »Wir müssen gehen!«
   »Müssen Sie?« riefen die beiden Mädchen so mutwillig heiter.
   »Sie kommen aber doch wieder?« fragte die Mutter.
   »Gewiß, gewiß!« versicherten wir.
   Der Donner rollte abermals herauf, aber entfernter. Ein starker Regen hatte die Luft abgekühlt. Wir hatten vom ganzen Ungewitter nichts gehört, als diese beiden letzten Schläge. Mir brannten die Fußsohlen.
   »Wir müssen gehen!« wiederholte ich dringender.
   »So gehen Sie!« sprach die Mutter verdrießlich.
   Während wir unsere Strohhüte nahmen, erklangen die Töne eines Pianoforte aus dem Saal herüber. Eine kunstfertige Hand spielte und begleitete ein Lied von Favart.
   »Wie, Sie haben ein Pianoforte? In ganz Attacapas sahen wir keins.«
   »Kommen Sie, eine Quadrille zum Abschied!« baten die Mädchen.
   »Nein, nicht jetzt, holde Leontine, das nächste Mal! Mir ist zu heiß!«
   »Ein Franzose, ein Graf, und einer Dame Quadrille abschlagen!« Leontine lachte, ohne jedoch beleidigt zu sein. »Pfui! Mira, Mira, komm denn!«
   Die vier Mädchen sprangen auf und liefen in den Saal. Nach einigen Akkorden gingen die Töne des Pianoforte in eine Quadrille über, und die vier Mädchen führten die Figuren durch, die Grazien selbst hätten sie nicht züchtiger, sinnlicher, reizender darstellen können.
   Unsere Augen hingen an der Tür, an den tanzenden Gestalten. Die Quadrille ging in ein Menuett über. Abermals hielten die Mädchen an und schauten uns forschend an. Sie erfaßten unsere Hände, nahmen uns die Hüte ab. Abermals verweigerten wir fest den Tanz. Eine Wolke flog über die Stirn der Mädchen, aber gleich darauf verneigten sie sich sittsam und schickten sich an, die Veranda zu verlassen.
   »Also«, sprach die Mutter. »Ihre Pferde in Bereitschaft stehen, Sie gehen?«
   »Adieu!« riefen Leontine und Zoe.
   »Adieu! Und keinen Abschiedskuß?«
   »Abschiedskuß?« riefen Mutter und Töchter.
   Die beiden Mädchen verschwanden in der Glastür.
   »Wo denken Sie hin?« fragte Madame Allain.
   Ich sah sie fragend an.
   »Wo denken Sie hin? Sie in einem respektablen, ehrbaren Haus sein!«
   »Gewiß, gewiß, zweifle gar nicht daran!« murmelte ich.
   »Wollen Sie arrangieren?« flüsterte die Madame leiser. »Dann etwas anderes sein. Leontine ...«
   »Ist ein allerliebstes Kind!«
   »Ein liebes Kind, das mir viele Freude machen, mein Stolz sein!« bekräftigte die Mutter.
   »Sie haben alle Ursache dazu – eh ben!« sprach ich und wollte gehen.
   »Eh ben!« Sie neigte sich zu meinem linken Ohr. »Eh ben! Fünftausend!«
   Ich schaute sie zweifelhaft an, verstand nicht, was sie sagen wollte.
   »Eh ben!« wiederholte sie. »Fünftausend!«
   »Fünftausend? Wie?«
   »Sollen Sie ...!«
   »Wen? Was?«
   »Canache!« sprach sie unwillig.
   Ich schaute nochmals die Mutter an, sie mich.
   »Sie doch bald wieder La Chartreuse sehen?«
   »Gewiß!«
   »Adieu!«
   »Adieu!«
   Wir gingen. Mit welchen Gedanken, Empfindungen kann ich nicht beschreiben. Ich raunte Lassalle mit hohler Stimme zu: »Gott sei Dank, daß Ducalle nicht mit uns war!«
   Als wir spät in der Nacht heimkamen, waren sowohl Ducalle wie Hauterouge noch nicht zurück. Wir begaben uns zur Ruhe, ohne ein Wort über das Abenteuer zu sprechen. Wohl hatte die Chartreuse uns Stoff zum Nachdenken gegeben.


   2

   Es gibt eine Blindheit der Treue, des Hasses, der Rache, der Leidenschaft, die zuweilen den stärksten Verstand so übermeistert, daß der Herr der Schöpfung, der Mann, gewissermaßen zum Tier wird und bloß seinem Instinkt folgt. Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich diese Erfahrung gemacht. Es war nach jenem merkwürdigen Gewitternachmittag, der Eindrücke hinterließ, als ob ich von dem elektrischen Fluidum, das sich an diesem Nachmittag entleert, getroffen worden wäre. Doch Lassalle war auf ganz gleiche Weise getroffen. Es war etwas Seltsames, das damals mit uns vorging. Eine gewisse Beklemmung, mit einem ganz eigentümlichen Reiz verbunden, hatte sich unsrer bemächtigt. Leontine und Zoe kamen uns vor wie zwei häßliche und gleich darauf wieder wie zwei unsäglich reizende Vampire. Wir schraken zurück vor der Umarmung dieser Ungeheuer, und doch sehnten wir uns wieder nach ihren Krallen. Wir fühlten, daß sie unser Lebensblut aussaugen würden, wir verloren sein mußten, und doch zog es uns mit unwiderstehlicher Gewalt zur Chartreuse. Unsere Gedanken weilten nur dort.
   Wir waren die folgenden acht Tage ebenso viele Male ausgeritten in der Richtung der Chartreuse, immer aber in der Mitte des Weges steckengeblieben. Ein innerer Sturm trieb uns vorwärts, eine innere Stimme wieder zurück. Bei alldem war uns klar, daß ein zweiter Besuch in diesem Sirenenversteck uns den verführerischen Geschöpfen ganz zu eigen machen mußte, und doch ...
   Wir waren einsilbig gegen Hauterouge, gegen Amadée, gegen unsere Diener, gegen alle Welt. Wie zwei junge blöde Leute, die in ihrer ersten Liebe befangen sind, sprachen wir bloß miteinander über Leontine und Zoe. Noch eine Stunde vor jenem fatalen Nachmittag hätten wir selbst uns diese Befangenheit nicht als möglich träumen lassen.
   Es war, glaube ich, am zehnten Tag nach unserm Besuch der Chartreuse. Amadée war soeben aus dem Kirchspiel gekommen. Seine Miene drückte Kummer und die Verlegenheit eines getreuen Dieners aus, der Nachrichten bringt, die seines Herrn Ohren mißfällig berühren müssen. Er wagte es nicht, den Anfang zu machen, ich nicht, ihn zu fragen.
   Dann sprengten zwei Reiter in den Hof. Es waren Hauterouge und Ducalle, die die letzten Tage miteinander verbracht hatten. Denn wir waren, wie gesagt, ungenießbar geworden. Beide waren ungemein ernst. Sie sahen uns, sahen sich an, wollten reden, konnten jedoch kaum die gewöhnlichen Begrüßungen hervorbringen.
   »Ma foi!« hub endlich Hauterouge an. »Ich wollte, diese verwünschte Milchkuh wäre beim Teufel! Sie hat mehr Unheil angerichtet, als sie wert ist!«
   »Wie, ist sie noch nicht gefunden, eingefangen?« fragte ich.
   Ducalle und Hauterouge wechselten Blicke, die sagten: er ist ganz und gar blind und taub!
   »Du weißt also nicht, Colonel, daß Roche Martin sie den folgenden Tag zurückgebracht hat?«
   »Schön denn, und was hat die arme Kuh weiter verbrochen?«
   »Was sie weiter verbrochen hat?« erwiderte Hauterouge ungeduldig. »Nichts weiter, als daß sie Veranlassung zu einem Gerede, zu einer Klatscherei geworden ist, von der das ganze Kirchspiel voll ist!«
   »Und dieses Gerede?«
   »Daß ich in der Chartreuse gewesen bin und da getanzt habe!« erklärte Ducalle.
   »Daran ist die Harthörigkeit dieser Madame Allain schuld!« fiel Lassalle ein. »Vignerolles sagte ihr ein paarmal, daß ich nicht du, sondern daß ich der Baron Lassalle wäre.«
   Das verdroß Ducalle, der nur ein einfacher Edelmann war. Er wähnte darin eine Anspielung auf seinen neuen Adel.
   »Auf alle Fälle wäre es auch für den Baron Lassalle besser gewesen, die Chartreuse nicht zu sehen«, erklärte er spöttisch.
   »In diesem Punkt wird mir Herr de Ducalle erlauben, meinem eigenen Rat zu folgen!« erwiderte Lassalle hitzig.
   »Wie beliebt! Aber sodann wird mir es Baron de Lassalle auch nicht übelnehmen, wenn ...«
   »Pfui!« verwies Hauterouge. »Pfui, Messieurs! Freunde! Geziemt sich diese Sprache zwischen alten Kriegskameraden? Ich sage dir, Lassalle, in meiner Gegenwart hat Madame Ducalle erklärt, sie würde weder den Colonel noch dich mehr in ihrem Hause empfangen, wenn ihr nicht die Besuche bei den Allains einstellt. Es gibt nur eine Stimme in diesem Punkt im ganzen Kirchspiel. Jedes Haus ist euch verschlossen, wenn ihr ...«
   Ich hatte bisher geschwiegen, aber dies war mir zu stark.
   Ich wollte reden, doch Amadée kam mir zuvor.
   »Und so hat Monsieur Bossompierre, so hat er erklärt, er würde, so leid es ihm tue bei einem so geachteten Herrn wie dem Herrn Grafen, doch nicht umhin können, sich seine Besuche zu verbitten, im Fall er nicht die abscheuliche Chartreuse ...«
   »Ich bitte Sie, um Gottes willen, stellen Sie diese Besuche ein!« bat Ducalle. »Ich müßte Ihnen mein eigenes Haus verschließen, oder meine Frau würde es tun!«
   »Wir sind nicht in Frankreich, nicht in Paris«, wandte Amadée ein, »wo diese Art Vergnügen ...«
   »Stören Sie nicht den Frieden, die Eintracht! Ihre, unsere Zukunft!« beschwor uns Ducalle.
   »Wegen solcher Geschöpfe!« rief wieder Amadée.
   »Wegen solcher Geschöpfe sich mit der ganzen Niederlassung zu überwerfen, wäre Raserei!« rief Hauterouge. »Wissen Sie, Colonel, wer diese Allains sind? Diese Bewohner der Chartreuse?«
   »Und wer sind sie?« fragten wir.
   Wie rechte verblendete junge Liebestoren wußten wir nämlich noch nichts weiter von ihnen, als was wir gesehen und gehört hatten.
   »Die Mutter war die Mätresse eines spanischen Kaufmanns, den sie ruinierte und dessen Familie sie um die Pflanzung bestahl. Von ihm ist die älteste Tochter.«
   »Dann war der Vater gerechter als die Welt!« fiel ich ein. »Er wußte, daß sie seine ehelichen Kinder ihr Glück finden lassen, aber seine farbige Tochter verstoßen würde. Er hat in meinen Augen wohl getan, für sie zu sorgen.«
   »Ah, man wird sophistisch gerecht, wenn Leidenschaft der Stachel ist«, versetzte Hauterouge und fuhr fort: »Die beiden jüngeren sollen die Töchter eines französischen Kaufmanns aus Nantes sein, den sie später in ihr Garn zu locken wußte und gleichfalls bis auf die Haut auszog.«
   »Die älteste Tochter hat einen Pflanzer von Point Coupée zum Beschützer«, fügte Amadée hinzu. »Es heißt, er habe fünftausend Gourdes bar niedergelegt und nebstdem die Chartreuse hergestellt, die das schönste Gebäude in den Attacapas sein soll. Er ist darüber mit seiner Familie zerfallen und lebt auch in der Chartreuse.«
   »Sein Name?« fragte ich in Gedanken.
   »Pierre Bournet oder Bornet.«
   »Das also war der Pierre«, sagte ich zu Lassalle.
   Lassalle nickte.
   Unsere beiden Freunde und Amadée verloren ihre Geduld.
   »Vergib, Colonel!« rief Hauterouge heftig. »Aber wahrlich, es ist weder die Zeit noch der Ort zu Galanterien!«
   »Monsieur le baron de Hauterouge!« Ich erhob mich, der Stolz der Vignerolles regte sich. »Monsieur le baron de Hauterouge, ich bin weit entfernt, Ihnen Vorschriften in irgendeiner Hinsicht erteilen zu wollen, aber ebenso weit entfernt, sie mir erteilen zu lassen.«
   Mich verdroß, was mir damals ein kleinstädtisch ungestümes, ja unzartes Einmischen in meine Angelegenheiten schien.
   »Aber, mein Gott, Colonel!« bat Ducalle. »Wer hat je gehört, daß ein Kavalier, ein Mann wie Sie, wegen solcher Geschöpfe ...«
   »Was nennen Sie Geschöpfe?« fiel ich ihm ins Wort. »Ja, sie sind Geschöpfe, die reizendsten, verführerischsten, die ich je gesehen! Geschöpfe, die ohne ihre Schuld in ihrer Wiege bereits mit einem Brandmal gezeichnet sind, so gezeichnet, daß der elendeste Kreole auf sie wie auf ein verpestetes Wesen herabsieht. Und warum und weshalb? Weil sie einige Tropfen farbigen Blutes haben, sie, die an blendender Weiße der ersten Herzogstochter Frankreichs nicht nachstehen! Was ist die Ursache dieser moralischen Erniedrigung? Nur ein Vorurteil, das sie bereits in den Windeln zu einem Gewerbe verdammt, das ... oh, diese Ungerechtigkeit ist entsetzlich!«
   »Und wer sind diejenigen, die diese Farbigen ihres Umgangs, ihrer Gesellschaft, ihres Blutes für unwürdig erklären?« schrie ich weiter. »Wer? Kreolinnen! Abkömmlinge von Müttern, die großenteils ... man kennt ja die Kolonisationsgeschichte von Louisiana!«
   »Die keine Silbe aussprechen können und jedes Wort intonieren, wie wenn sie eine Geige stimmen wollten!« höhnte Lassalle.
   Ducalle und Hauterouge stürmten wütend zur Veranda hinaus. Es war das erste Mal, daß unser innigfreundschaftliches Verhältnis einen Stoß erlitten, aber die Leidenschaft macht blind. Acht Tage hatte sie in uns gebrannt, wie das Feuer in den Eingeweiden des Vulkans.
   »Eh bien!« Lassalle war aufgestanden und sah den beiden nach, wie sie sich stürmisch in die Sättel warfen und davonjagten.
   »Wir wollen auch fort! Amadée, laß unsere Pferde satteln!« Ich wagte es nicht auszusprechen wohin, aber mein Blick verriet es.
   »Ja, wir wollen fort!« stimmte Lassalle zu. »Sogleich! Jetzt wollen wir, wollen wir ihnen zeigen ...!«
   »Das wollen wir diesen elenden Spießbürgern! Glauben sie, uns zu ihren engstirnigen Ansichten über Ehe und derlei ... Amadée!« rief ich heftiger. »Laß unsre Pferde satteln!«
   »Herr Graf!« sprach Amadée bittend, und seine Stimme versagte.
   »Was ist‘s, was gibt‘s? Hörst du nicht?«
   »Herr Graf!« Amadée stand eine Träne im Auge. »Herr Graf, nicht wahr, ich war immer ein getreuer Diener?«
   Er trat an mich heran und faßte mich bei der Hand, die er küßte. Ich entzog sie ihm.
   »Was soll das? Wer hat an deiner Treue gezweifelt?«
   »Herr Graf!« schluchzte er. »Ich bin Ihnen gefolgt durch Hitze und Kälte, Schlachten und Gefechte, solange Ehre dabei war! Aber in dem, was Sie vorhaben...«
   »Was geht dich das an?«
   »... folge ich Ihnen nicht!« Die Stimme versagte ihm.
   »Das brauchst du auch nicht! Wir gehen allein.«
   »Eben das! Könnten Sie mich mitnehmen, aber Sie wollen allein fort! Herr Graf, wir sind hier nicht in Frankreich. Kein ehrlicher Mann könnte seine Stirn erheben! Ah, Herr Graf, wenn Sie gehen ...«
   »Und wenn wir gehen?«
   »Dann, verzeihen Sie, geht Amadée auch! Lieber will ich mein Brot erbetteln! Hörten Sie nur, was die Leute alles sagen!«
   »Amadée!« Seine Worte hatten mich an einer empfindsamen Stelle getroffen. »Du sollst nicht betteln! Willst du deinen Lohn sogleich oder warten, bis wir zurück sind?«
   »Keinen Lohn, keinen!« schluchzte er.
   »Du erhältst deinen Lohn und fünftausend Livres! Bist du zufrieden? Jetzt sattle uns die Pferde, oder wenn du nicht willst, so tu‘ ich‘s selber!«
   Lassalle war schon aufgesprungen und in den Stall gerannt, die Pferde zu satteln. Ich ging zum Koffer, öffnete ihn und nahm eine Geldrolle, von der ich den Lohn Amadées abzählte. Dann nahm ich einen Wechsel auf fünftausend Livres.
   »Ich will kein Geld!« Amadée winkte mit der Hand und lief fort.
   »Gaston, was soll das?« fragte ich Lassalle, der die Pferde schon gesattelt hatte. »Hat sich denn alles gegen uns verschworen? Wir wollen fort, komm!«
   Wir füllten unsere Jagdtaschen mit Pulver, Blei, Zigarren, einigen Flaschen Wein, griffen nach unseren Gewehren und stürzten aus der Veranda. Auf dem Hof standen Amadée und Jean, beide mit Tränen in den Augen.
   »Wann sind Sie wieder zurück, Herr Graf?« schluchzte Amadée.
   »Vielleicht bald, vielleicht nie! Bleib oder geh, mir ist alles gleich!«
   Wir sprangen auf unsere Pferde und sprengten eilig davon.
   »Mein Gott!« rief Amadée und warf uns trostlose Blicke nach.
   Wir waren etwa zweitausend Schritte vom Hause in den Liquidambarwald eingeritten, als wir hinter uns das Klappern von Pferdehufen vernahmen. Es war Martin, der Enkel des alten Roche Martin, der uns auf einem zottiggekrausten mexikanischen Pferdchen nachkam.
   »Herr Graf!«
   »Was gibt‘s?«
   »Reiten Sie in die Chartreuse?«
   »Was erlaubst du dir? Du bist ein kecker Bursche!«
   »Wenn Sie dahin reiten, so sagen Sie‘s mir bitte! Dann gehe ich nach Hause.«
   »Wie du willst! Hat Amadée dich ausgezahlt?«
   »Nein, aber wenn Sie die Güte haben wollten! Ich habe gerade zehn Tage bei Ihnen gearbeitet.«
   »Gut, wenn wir zurückkommen! Kehr auf die Pflanzung zurück und arbeite weiter! Dein Lohn wird dir nicht davonlaufen!«
   Der Junge kratzte sich hinter den Ohren.
   »Er dürfte es, wenn Sie in die Chartreuse reiten. Die Herren, die in die Chartreuse reiten, haben oft in weniger als zehn Tagen den Lohn ehrlicher Leute davonlaufen gemacht.«
   Mit diesen Worten hielt der trotzige junge Mensch an, streckte seine Hand halb vor und erwartete die Berichtigung seines Lohnes. Wir sahen einander an. Diese Sprache war uns neu. Hatten die reizenden Geschöpfe in der Chartreuse einen unauslöschlichen Eindruck in uns zurückgelassen, einen Eindruck, der um so unwiderstehlicher werden mußte in der sonderbaren Lage, in der wir uns befanden, in dem heißen Klima, im Müßiggang, in der Umgebung von halbrohen Pflanzern und Herdenbesitzern, so hatte die Sprache unseres Amadée diesen Eindruck bereits stark erschüttert, und nun die des jungen Akadiers noch stärker.
   Wir hielten und schauten uns abermals an. Noch vor einer Viertelstunde war unser Entschluß festgestanden, in die Chartreuse zu reiten, jetzt wankte er. Die Gefahr, der wir uns durch das Trotzen gegen die öffentliche, freilich, wie wir glaubten, spießbürgerliche Meinung aussetzten, trat uns jetzt ganz vor Augen. Wir waren von den Kreolen, von ihren Dienstleistungen, Meinungen, ihrem guten Willen abhängig. Wo blieben bei einem Zerwürfnis unsere Aussichten? Wo die Gründung einer Existenz?
   Und Eleonore? erinnerte mich plötzlich eine innere Stimme an meine Braut, die drüben in Frankreich auf mich wartete.
   »Geh nur zurück, Martin!« sagte ich zu dem Akadier. »Wir wollen auf die Jagd.«
   »Auf die Jagd? Dann brauchen Sie einen Führer! Ich kenne die Pfade bis hinauf nach Opelousas, zur Côte gelée, ich kenne die meisten Pflanzerhäuser!«
   »Wir wollen keine Pflanzerhäuser, wir wollen in die Prärie, wir wollen jagen!«
   »Dann will ich mit Ihnen! Ohnehin wird es mir bange zwischen den vier Pfählen. Chretien und Großvater Roche sind auch jetzt auf der Jagd.«
   »Wir wollen nicht zu deinem Großvater.«
   »Aber Sie werden mich brauchen können«, beharrte der junge Mensch. »Wir wollen zusammen auf die Jagd!«
   »Vielleicht ist es so besser«, raunte mir Lassalle zu. »Nehmen wir ihn mit!«
   Und wir ritten ... Wohin? Das wußten wir selber noch nicht.



   Der Präriebrand


   1

   »Frisch vorwärts, Gaston! Ah, diese heillosen Bayous und Crevasses und Creeks und wie sie alle heißen, sie sind wie zum Halsbrechen eingerichtet! Laß deinen Renner nochmals die Füße heben!«
   Dieser aufmunternde Zuspruch wurde einem achtundzwanzigjährigen französischen Kavalier zugerufen, der auf einem halbwilden, obwohl sehr matten mexikanischen Hengst soeben einen jener zahllosen Creeks zu überqueren im Begriff stand, die oberhalb der Côte gelée und Courtableau die Attacapas von den Opelousas trennen. Er hatte drei Tage lang mit seinem Freunde die düsteren Wildnisse dieser Gegenden durchkreuzt, und beide befanden sich am Rand eines jener schwarzen Kiefernwälder, die sich bis zu den Stromschnellen des Mississippi hinauf erstrecken. Das Bayou war, wie es in dieser heißen Jahreszeit gewöhnlich der Fall ist, mehr als zur Hälfte ausgetrocknet, ein Graben, in dessen Mitte sich ein Streifen hellen, ziemlich tiefen Wassers zeigte.
   »So komm doch!« schrie ihm sein Gefährte, der bereits am jenseitigen Ufer stand, abermals zu. »Frisch gewagt, ist halb gewonnen!«
   »Aber wenn ich nun über diesem verdammten Creek bin, was weiter?« fragte Gaston.
   »Weiter?« versetzte sein Freund mit einem drollig verlegenen Lachen. »Eine Zigarre ist das Weitere.«
   Und er zog aus seiner Jagdtasche die Zigarrenbüchse heraus, holte Stein, Stahl und Schwamm hervor und rauchte den Glimmstengel an, den er lachend Gaston entgegenhielt.
   Gaston stimmte eine Opernarie an, trabte einige Schritte zurück, gab seinem Roß die Sporen und war in den nächsten drei Sekunden glücklich auf diesseitigem Boden in den Armen seines Freundes, der ihn brüderlich aufnahm. Denn der gute Gaston hatte trotz seines Rufes, der beste Reiter im Regiment Monsieurs gewesen zu sein, den Boden geküßt.
   Als die beiden Freunde einander beschauten, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus.
   »Alle Teufel, wie wir aussehen!«
   Und sie sahen aus! Sie würden dem Capitaine einer Voltigeur-Kompanie von Sansculotten nach einem vierwöchigen Novemberbiwak in der Bretagne Ehre gemacht haben. Der eine hatte die beiden Schöße seines Nanking-Fracks eingebüßt, der andere die obere Hälfte seiner Hosen mittels Weidenflechten an die untere gebunden. Gaston hatte statt des Hutes ein Sacktuch um den Kopf gewunden. Seines Freundes Kopf stak zwar noch in dem Strohgeflecht, aber der Rand war verschwunden.
   »Alle Teufel!« rief Gaston. »Wir sehen ja ärger aus, ärger als diese Akadier nach einem Ball!«
   Und beide lachten wieder auf. Sie hatten nämlich an einem solchen Ball am Courtableau teilgenommen. Eine große Holz– und Lehmhütte, darinnen eine keifende Sackpfeife, und um diese lustig herumhopsend Enkel, Enkelinnen, Väter, Mütter, Großväter, Großmütter, barhaupt, barfuß, in Carmagnolen – kurzen Jacken – Braguets – Lendentüchern, die an Stelle der Hosen um die Hüften geschlungen wurden – und Mitassen – Gamaschen, die vom Knöchel bis übers Knie reichten.
   »Hätten wir nur diese Braguets oder Mitassen!« rief Gaston und erhob seinen hosenlosen Schenkel.
   »Oder ein Glas ihres Tafia-Rums!«
   »Oder einen Teller voll ihres Gombo!«
   »Ein wunderliches Volk! Oh, was gäbe ich nur für eine Stunde in der bescheidensten Kneipe von Versailles! So hungrig bin ich!«
   »Und ich durstig!«
   »Und ich beides zusammen!«
   »Und ich halb geschunden!«
   »Und ich halb tot!«
   »Und wir beide würdige Subjekte für alle Werke der Barmherzigkeit!«
   Und abermals brachen die beiden Freunde in ein schallendes Gelächter aus. Sie waren Gaston de Lassalle und sein Busenfreund Louis de Vignerolles, die drei Tage zuvor sich der Leitung des jungen Akadiers Martin anvertraut hatten, um ... ihre Liebesrasereien zu verscheuchen.
   Wir hatten den Teche hinauf gegen die Côte gelée und Courtableau zu gejagt, eine Nacht einem Ball oder vielmehr seinem Ende in einer Akadierhütte beigewohnt, die zwei anderen im Freien geschlafen. Wir hatten von Rehrücken, auf hölzernen Spießen gebraten, unser Mittagsmahl gehalten, wieder von Rehrücken unsere Abendmahlzeit, und so allmählich die nördliche Grenze der Attacapas betreten, an Geist und Körper gestärkt, obwohl mit Verlust eines wesentlichen Teils unserer Kleidung und hungrig und durstig.
   Es war ein drückend-schwüler September-Nachmittag. Die Sonne hatte den ganzen Tag gleichsam gebraten. Unser kleiner Vorrat an Wein war bereits am ersten Tag daraufgegangen. Wir hatten die Flaschen dafür mit Tafia füllen lassen, den wir mit Wasser verdünnt getrunken, aber auch der war zu Ende gegangen, und Martin eben deswegen auf einer Entdeckungsreise nach frischem Vorrat.
   Weit hinter uns lagen die Niederlassungen der Akadier. Martin hatte uns versichert, wir müßten bald auf amerikanische Siedler oder – wie er sie nannte – Cochon-Yankees treffen. Sie hätten sich hier eingenistet, dem Verbot der spanischen Regierung, dem Haß der Kreolen und der Eifersucht der Akadier zum Trotz. Um das alles kümmerten sie sich ebensowenig, wie er – Martin – um das Summen der Moskitos im letzten Oktoberviertel.
   »Diese Burschen, glaube ich«, brummte er immer, »wollen Louisiana und Mexico verspeisen, nach dem, was man so redet. Und sie sind unverschämt, als ob ihnen Louisiana bereits gehörte, diese Burschen!«
   Trotzdem wären wir jetzt froh gewesen, einen dieser Amerikaner nahe zu haben.
   »Stoß einmal ins Horn!« ersuchte mich Gaston. »Ich kann es nicht, die Zunge klebt mir am Gaumen. Wo nur der alberne Junge, der Martin, so lange bleibt?«
   Ich stieß ins Horn. Und indem ich so tat, sahen wir beide zugleich auf, und der fröhliche, halb mutwillige Geist schwand von unseren Gesichtern, und wir schauten. Der Ton gab nicht jenen hellen, klaren Widerhall, der bei reiner Atmosphäre das Herz des Jägers so sehr erfreut und seine Nerven stärkt. Er klang dumpf und kurz, und die Wahrnehmungen, die sich uns aufdrängten, waren wenig geeignet, uns in unserer frohen Laune zu erhalten.
   Wir waren, wie gesagt, am Rande eines jener Schwarzkiefernwälder, die sich von der Côte gelée hinauf zu den Opelousas ziehen. Hinter uns lag eine Prärie, die mit Palmettofeldern, Gehölzen und dichten Urwäldern abwechselte und durchschnitten war von Bayous und Gewässern, die sich westlich vom Lebœf gegen den Chetimachas und den Teche hinabwanden. Es war eine jener herrlichen Wiesenflächen, die dem Auge immer neu erscheinen, so oft man sie auch sieht. Ein Meer von frisch grünenden, in der Blüte stehenden und gereiften Gräsern, die unseren Pferden bis an die Nüstern reichten. Rechts schlang sich ein Anflug von Palmetto eine halbe Meile vom Creek hinab, die beiden Ufer des Creek selbst waren mit einem Saum ungeheurer Zypressen eingefaßt.
   Die Prärie lag endlos vor dem Auge. Weiter oben lief abermals ein Palmettofeld, an das ein Immergrüneichenwald stieß. Gegen Osten zeigte sich eine undurchdringliche Wildnis von Magnolien, Papaws, Immergrüneichen und Bohnenbäumen. Gegen Norden zu lag der erwähnte Schwarzkiefernwald.
   So war die Gegend uns noch vor fünfzehn Minuten erschienen, der kurze Zeitraum hatte den Anblick gänzlich verändert. Eis– und blaugraue Dünste hatten sich um den Horizont herum gelagert und wurden, indem wir schauten, zusehends dichter. Die grellrote Sonnenscheibe wurde blässer, und die Umrisse der Wälder verschwanden. Dazwischen lagerten sich endlose trockene Dünste wie ungeheure bleifarbige Schleier. Die Luft, bisher heiß, doch leicht, wurde immer schwerer. Die Prärie erschien bloß noch wie eine Bucht im Nebelvorhang, der sich zwischen zwei Vorgebirgen herabrollt, schwach und matt durchschimmernd.
   Als wir diese Merkmale eines sich vor unseren Augen entwickelnden, nicht ganz geheuren Naturereignisses erschauten, begannen unsere Mienen auch jene Verlegenheit anzunehmen, die der Leichtherzige wie der Starkmütige nicht bemeistern kann, wenn er eine unbekannte Gefahr herannahen sieht.
   »Schieß dein Gewehr los!« sagte ich zu Lassalle mit einer Stimme, die mich selbst durch ihre Beklommenheit erschreckte.
   Der Schuß ging los. Der Knall wurde aber von der beengten Atmosphäre wie verschlungen, er war nicht bis zu den Wasservögeln gedrungen, die wir etwa hundert Schritte von uns auf dem Bayou plätschern sahen.
   »Wo nur Martin bleiben mag?« fragte ich. »Diese Akadier sind doch dümmer als ...«
   »Still!« fiel Lassalle ein. »Still! Sieh nur einmal unsere Pferde! Was soll das bedeuten?«
   Die Tiere waren unruhig geworden. Sie spitzten die Ohren, fingen an zu schnauben, sich mit halbem Leibe zu drehen, die Hälse zu recken, zu strecken, ungemein ängstlich zu werden. Wir sahen uns bei diesem Wittern unserer Tiere besorgt an. Sie wurden immer ängstlicher, trotz ihrer Müdigkeit streckten sie die Hälse immer verlangender in der Richtung, die den Dünsten entgegengesetzt lag.
   »Hier können wir nicht bleiben!« sagte Lassalle.
   »Aber wohin?«
   »Uns den Pferden überlassen!«
   Wir bestiegen unsere Tiere, und kaum waren wir auf ihren Rücken, als sie sich auch in kurzen Galopp setzten und längs des Creeks zwischen dem Zypressenwald und dem Palmettoanflug wie von einer tollen Meute Hunde gejagt fortrannten. Der Creek schien sich zu erweitern. Statt des Palmetto begann sich Sumpfrohr zu zeigen. Unsere Pferde wurden immer ängstlicher. Die ganze Natur war wie ausgestorben. Zuweilen ließ sich der Schrei einer Wildgans hören, der Schrei aber war schrill, unheimlich.
   »Was hat das zu bedeuten, Colonel?« fragte Lassalle. »Mir wird so schwül, so heiß und doch kein Schweiß. Stoß nochmals ins Horn!«
   Wir hielten an, und ich stieß abermals ins Horn. Der Ton erstarb mir auf den Lippen. Es war mir, als ob die geschwängerte Atmosphäre ihn durch die Röhre mir zurück in den Mund drängte. Die Luft war nun so heiß, so trocken geworden, daß die gekräuselten Haare unserer kurz zuvor noch vom Schweiß triefenden Pferde wie geleimt aneinander klebten. Die Tiere reckten ihre Zungen aus und lechzten nach Luft und Kühlung.
   »Sieh mal!« rief Lassalle.
   Wir schauten. Die Ränder des Horizontes, bisher grau und bleifarbendunstig, begannen sich gegen Südwest zu röten, die Dünste wurden räucherig.
   »Hörst du nichts?« fragte ich.
   Wir horchten. Von Zeit zu Zeit ließ sich etwas wie Knistern hören mit einem entfernten Gekrach, ähnlich dem Salvenfeuer einer Truppenabteilung bei nebligem Wetter. Bei jedem solchen Gekrach schreckten unsere Pferde zusammen.
   Der Creek wurde allmählich breiter, der Boden sumpfiger. Wir hielten unschlüssig an.
   »Wir können in dieser Richtung nicht fort«, meinte Lassalle. »Wir müssen zurück auf die Prärie, in das Palmetto, wo wir wenigstens Kühle finden!«
   »Wohlan, wir wollen zurück!«
   Wir ritten zurück an den Ort, wo wir über den Creek gesetzt. Aber unsere Pferde wollten sich durchaus nicht mehr zum Sprung über das Wasser verstehen. Nur mit vieler Mühe brachten wir die stutzigen Tiere endlich dazu.
   Die Röte am Horizont war mittlerweile greller, die Atmosphäre heißer, trockener geworden, der Rauch hatte sich über Prärie, Wald und Palmetto hingelagert. Wir nahmen die Richtung nach diesem.
   »Sieh nur, Colonel!« rief Lassalle. »Noch vor einer halben Stunde war das Rohr so frisch, als wenn es soeben aufgeschossen wäre. Jetzt hängen die Blätter wie die Hosen von den dürren Lenden unserer ehemaligen Hofkavaliere herab.«
   »Meiner Treu, Gaston! Das ist ein bedenkliches Zeichen! Mir vergeht alle Lust zum Scherzen.«
   Auf einmal rief er: »Was ist das?«
   Die ganze Prärie, der Horizont, alles und alles vor uns gegen Süden und Südwesten hinab war eine dichte endlose Rauchmasse. Die Sonne schimmerte noch grellrot durch, aber schwächer und schwächer, zuletzt hing sie noch wie eine matt erleuchtete Papierlaterne am Himmel.
   Der Rauch hatte sich erstickend herangewälzt, so daß unsere Rosse keuchend umhersprangen und wieder dem Ufer des Bayou zurannten. Hinter dem Rauchvorhang, der jetzt die ganze Prärie verhüllte, glaubten wir ein entferntes Hissen und Zischen wie das vieler Schlangen zu hören. Unsere Rosse arbeiteten sich keuchend, zitternd an allen Gliedern vorwärts.
   »Was ist das?« riefen wir abermals.
   Wir sprangen ab und schauten die Tiere an, die schnaubend dem Uferrand, dem Wasser zueilten. Kaum daß wir imstande waren, ihnen das Hineinspringen zu wehren. Wir betraten den Saum der Zypressenwaldung, die das Bayou an beiden Ufern einfaßte. Der rote Streifen uns zur Rechten wurde immer heller, schimmerte immer greller durch die düsteren Zypressen, deren ungeheure Wuchten noch den Rauch abhielten. Das Knistern ließ sich jetzt stärker hören.
   »Was soll das bedeuten?« rief Lassalle erschrocken und setzte hinzu: »Gott gnade uns, das bedeutet, was sie einen Wald– oder Präriebrand nennen!«
   Wir sahen uns an wie Leute, denen der Verstand stillsteht. Der Rauch drang immer stärker durch die Zypressen. Tränen kamen uns in die Augen.
   »Mein Gott, was tun?« rief Lassalle mit halberstickter Stimme.
   Auf einmal fuhren unsere Pferde zusammen, als ob sie vom Fieberfrost gerüttelt würden, und sprangen dann vor. Ein Rudel Hirsche brach dicht an uns vorüber durch das Sumpfrohr und stürzte sich in das Bayou, das es bis zur Mitte durchschwamm. Als die Tiere in die Mitte kamen, blieben sie stehen – nicht fünfzig Schritte von uns – und sahen uns an, so hilfeflehend, mit so bittenden Blicken! Wir glaubten Tränen in den Augen der Tiere, Angst in ihren Zügen zu lesen. Wir schauten die Hirsche an, unsere Pferde, uns selbst, schauten wieder durch den Zypressensaum auf die Prärie hinaus.
   Der hellrote Streifen kam leckend, drohend immer näher, und ein Luftzug vor ihm, ein so heißer Luftzug! Das bißchen Schweiß, das noch aus den Poren drang, vertrocknete mit einemmal ganz. Der Luftzug ließ sich stärker hören, ein langgezogenes, nervenerschütterndes Pfeifen, Zischen, Hissen und dann ein Geprassel! Und mitten durch den erstickenden Rauch schlug eine Flamme und gleich darauf eine Feuersäule! Was sage ich, eine Feuersäule? Ein Feuermeer! Das ganze ungeheure Palmettofeld war in Flammen.
   Die Hitze war nun so versengend geworden, daß wir jeden Augenblick erwarteten, die Fetzen an unseren Leibern würden sich entzünden. Wir rissen unsere Pferde oder vielmehr unsere Pferde rissen uns dem Bayou zu. Sie sprangen zugleich ins Wasser und zogen uns das Ufer hinab.
   Ein frisches Gekrach, Gerassel in dem Sumpfrohr. Eine Bärenmutter mit ihrem Jungen auf dem Nacken kam auf uns zu. Dann abermals ein Rudel Hirsche, die nicht zehn Schritte von uns ins Wasser sprangen. Wir hoben unsere Gewehre auf die Bären, die Mutter wandte sich weg gegen die Hirsche zu. Wir schauten und schauten. Hirsche und Bären standen nicht zwei Schritt voneinander, zitternd wie arme Matrosen in greulicher Winternacht auf stürmisch bewegtem Ozean.
   Und der Tiere kamen mehr. Hirsche, Rinder, Pferde, Wölfe, alle kamen sie, Schutz in dem einen Element gegen das andere zu suchen. Die meisten aber brachen weiter unten in das Bayou ein, das sich seenartig gegen Nordosten erweiterte. Und seltsam, wie die Tiere einige ihrer Vorgänger hinabziehen sahen, folgten sie ohne Furcht voreinander.
   Wir ihnen nach! Auf einmal schallte uns Hundegebell in die Ohren.
   »Hunde!« riefen wir frohlockend zugleich. »Viktoria! Da sind Menschen nicht fern!«
   Eine Salve von wenigstens zehn Flintenschüssen antwortete unserm Anruf. Die Schüsse waren nicht zweihundert Schritte von uns abgeschossen. Wir sahen jedoch nichts, hörten bloß die dumpfen, durch die dichten Rauchschichten mühsam zu unseren Ohren dringenden Knalle. Die Tiere rings um uns her zitterten bei der neuen drohenden Gefahr, wichen aber keinen Schritt.
   »Was soll das?« fragten wir, die wir bis zu den Gürteln im Wasser standen.
   Eine neue Salve, die nur etwa hundert Schritt von uns abgefeuert wurde. Wir sahen jetzt die rot aufleuchtenden Flammen der Mündungsfeuer, hörten zugleich Stimmen durcheinander, in einer Sprache, die halb französisch, halb indianisch klang.
   »Schießt alles tot, alles! Werft es ins Boot und ans Ufer! Haltet euch nicht auf!« brüllten sie.
   »Es sind Akadier ihrer Aussprache nach!« bemerkte Lassalle.
   Abermals eine frische Salve. Jetzt pfiffen einige Kugeln dicht an unsern Köpfen vorbei.
   »Halt!« schrien wir. »Halt, wir sind hier! Schießt nicht eher, bis ihr seht, wohin und was ihr schießt!«
   Einen Augenblick war es still. Dann brach ein wütendes Gelächter aus rauhen Kehlen.
   »Schießt weiter, schießt!« riefen ein paar Stimmen.
   »Wenn ihr schießt, so schießen wir auch!« schrien wir. »Hört auf zu schießen!«
   »Morbleu! Sacré! Fichtre!« ließen sich jetzt zehn fluchende, brüllende Stimmen hören. »Wer ist da? Was haben die uns hier zu befehlen? Schießt sie nieder, die Hunde!«
   »Haltet ein oder wir schießen zurück!«
   »Sacré!« riefen die Halbwilden abermals. »Es sind Adelige aus dem Kirchspiel, kenne sie an ihrer Aussprache. Schießt sie nieder, die Hunde, die Spione! Was haben die am Bayou Chicôt zu tun?«
   »Wenn ihr schießt, kommt das vergossene Blut über euch!« schrien wir in halber Verzweiflung.
   Wir legten unsere Gewehre in die Richtung, wo wir die blaßroten Zungen aus den Büchsenröhren hervorblitzen gesehen.
   In diesem Augenblick rief es ein donnerndes: »Halt! Was gibt es da?«
   Und fünf Stimmen riefen hintereinander: »Halt! Was gibt‘s? Halt! Oder ihr seid des Todes!«
   »Sacré! Das sind Amerikaner!« fluchten die Akadier.
   »Halt!« rief nochmals eine starke rauhe Stimme.
   Im nächsten Augenblick sahen wir ein Boot und Köpfe von Männern an uns vorübergleiten und im dunklen Rauchvorhang gegen die Akadier zuschnellen.
   Stille trat ein. Darauf rief es: »Herr Graf Vignerolles!«
   »Hier bin ich!«
   »Der Graf!« riefen zehn akadische Kehlen. »Der Graf, ah, der Graf, der in der Chartreuse war!«
   Und alle brachen in ein lautes, rohes Gelächter aus. Wir wurden blaß vor Scham und Zorn.
   »Herr Graf!« rief es abermals.
   In der nächsten Minute kam das Boot an uns heran, und der junge Martin erkannte uns. Gleich darauf waren wir von mehr denn zwanzig Akadiern und fünf bis sechs Amerikanern umringt.
   Sowie sie die ersten Anzeichen des Präriebrandes gesehen, hatten sich die Akadier in Booten auf ihrem Bayou eingeschifft, das sich hier mit dem Bayou Chicôt vereinigte. Die Prärie bildete nämlich mit den Wäldern und Palmettofeldern einen Winkel, der auf der einen Seite vom Bayou aux bœfs, auf der anderen vom Bayou Chicôt begrenzt wurde. Das Feuer, das in der Regel im Herbst angelegt wurde, trieb die sämtlichen Tiere, die da ihren Aufenthalt hatten, natürlich dem Wasser auf der einen oder der anderen Seite zu. Die Akadier der Courtableau– und Côte-gelée-Niederlassungen waren nun gekommen, um die geängstigten Tiere zu jagen.
   Es waren halbwilde Gestalten, kaum zur Hälfte bekleidet, die Männer bloß mit Braguets um die Lenden, die Weiber in groben Hemden mit einer Art Weste darüber. Wir fühlten uns empört über die brutale Weise, in der sie die Tiere niederschossen. Gleiches schien bei den Amerikanern der Fall.
   »Frenchers!« redete deren ältester uns an. »Wollt ihr mit diesen Akadiern oder zieht ihr es vor mit uns zu gehen?«
   »Wer seid ihr, meine Freunde?«
   »Freunde?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Ihr macht schnell Freundschaft! Freunde? Nein, das sind wir noch nicht! Aber wenn ihr mit wollt?«
   »Herr Graf!« sagte der junge Martin. »Die fünf Herren Amerikaner sind gekommen, um Sie aufzusuchen. Sie waren so gut, als sie hörten, daß uns die Lebensmittel ausgegangen und wir uns verirrt hatten.«
   »Scheint noch nicht viel in den Prärien unserer Opelousas herumgekommen sein?« bemerkte einer der Amerikaner.
   »Das nicht, mein Freund!« erwiderte ich.
   »Ich sagte euch schon, wir sind noch nicht Freunde!« versetzte der Mann mit einigem Stolz. »Aber wenn ihr amerikanische Gastfreundschaft annehmen wollt, so seid ihr willkommen.«
   Wir sahen hinüber auf die Akadier, die noch immer schossen und die erlegten Tiere in die Boote und ans Ufer zogen.
   »Sind doch wahre Barbaren«, murmelte der Alte dem nächststehenden jüngeren Mann in englischer Sprache zu. »Schießen mehr, als sie alle zusammen in einem Jahr verzehren können, in ihrem teuflisch französischen mordgierigen Mutwillen.«
   »Habe schier die Notion«, Meinung erklärte ein junger Mann, »es wäre wohlgetan, dem verdammten Morden Einhalt zu tun.«
   »Sind in ihrem Land, Sir, das heißt in dem Land, das ihrem Herrn gehört! Geht uns nichts an«, sagte der Alte.
   »Wohnt ihr weit von hier?« fragte ich ein wenig ungeduldig, denn die Hitze wurde unausstehlich, der Rauch erstickend.
   »Nicht so weit, wie ich es manchmal wünschte«, meinte der Alte mit einem verächtlichen Seitenblick auf die Akadier. »Aber noch weit genug, um euch Appetit zum Nachtessen zu machen, wenn ihr ihn nicht schon habt.«
   »Wenn es Ihnen also gefällig ist, so nehmen wir Ihr gastliches Anerbieten an.«
   Mit diesen Worten traten wir näher an das Boot hinan. Der Mann sprach nicht ja und nicht nein, warf aber einen durchdringenden Blick auf uns, besah uns von vorne und hinten.
   »Also ein Graf sind Sie?«
   »Ja!« versetzte ich ungeduldiger. »Und wenn Sie so gefällig sein wollten ...«
   Des Mannes Miene blieb so ruhig, als wenn wir in seiner Stube beim Whiskyglas gesessen wären.
   »Da sind Sie wohl von der Partei, die sie Aristokraten heißen?« fragte er nach eine Weile weiter. Wir schauten den Mann an. Was wollte er mit der Frage?
   »Warum fragen Sie?«
   Der Mann lehnte den Arm auf die Flinte, nahm eine dünne Rolle gedrehten Tabaks aus einer blechernen Kapsel und biß ein Stück ab.
   »Warum ich frage? – Will‘s Ihnen sagen, warum ich frage!«
   Alles das sprach er so langsam, daß es uns beinah zur Verzweiflung brachte. Man denke sich unsere Lage. Eine Prärie von etwa zwanzig Meilen Länge und zehn Meilen Breite und ein paar Meilen Palmettofelder, und alles im Brand, und dieser Brand jede Minute näher heranleckend! An einigen erhöhten Orten, wo der Zypressenwald unterbrochen wurde, hatte er das Bayou erreicht, das Wasser begann heiß zu werden. In dieser Lage nun, auf allen Seiten mit Flammen und Rauch umgeben und von einigen Dutzend halbwilder Jäger, die wie blind und toll in allen Richtungen herumschossen, spann dieser Mann und seine Begleiter in ihrem Boot eine langgedehnte Unterhaltung an, während wir bis über den Gürtel im Wasser standen. Nie wurde französische Ungeduld auf eine härtere Probe gestellt. Wir wanden uns wie Schlangen vorwärts und rückwärts, es half alles nichts, der Mann stand wie eingefroren.
   »Will‘s Ihnen sagen, hab‘ vieles in meinem Leben von Aristokraten gehört«, fuhr er mit der empörendsten Ruhe fort, »vieles für und wider die Aristokraten. Scheinen sie jetzt in der Alten Welt auf dem Korn zu haben. Kommen viele zu uns, haben aber keine so recht klare Notion, was sie eigentlich sind. Will Ihnen aber meine Meinung sagen.«
   »Um Himmels willen!« fuhren wir beide auf.
   »Will Ihnen meine Meinung sagen, Mann«, fuhr der Alte fort. »Während ich noch im alten Dominion, in Virginia, wohnte und hinüber nach Frederickstown handelte, war ich Drover, Viehtreiber und -händler. Kehrte gewöhnlich in Bullocks Tavern ein, gute Schenke, Mann, vortreffliche Schenke. Wohl! Kamen, als ich mal mit einer ganz artigen Herde da hielt – auf meinem Weg nach Philadelphia hinüber —, kamen zwei Kameraden an, waren zwei Franzosen. Der eine war mit der Mail, der Postkutsche, gekommen, der andere zu Fuß. Der zu Fuß war ein sauberer junger Bursche von zwanzig Jahren oder darüber, der ältere mochte die dreißig haben. Ungefähr Ihr Alter, ist‘s nicht so?«
   Ich schaute den Alten an und wußte nicht, sollte ich fluchen oder lachen.
   »Wohl und gut! Die beiden Franzosen aßen mit uns an der Tafel und mußten wohl eine ziemliche Zeit keine Atzung eingelegt haben, denn sie aßen euch wie Werwölfe. Wohl! Als sie fertig waren, sah ich den jungen Mann mit der Wirtin reden, die ihn anfangs sonderbar anschaute, sich aber endlich durch sein hübsches Gesicht, wie es schien, bereden ließ, seinen Willen zu tun. Was dieser Wille war, werden Sie bald erfahren. Er gab ihr ein kleines Päckchen, das sie wieder der Magd gab, einer alten Negerin.«
   »Wohl!« fuhr der Mann unbekümmert um Hitze und Rauch fort. »Waren begierig zu wissen, was eigentlich der junge Mann mit der Wirtin abzumachen hatte. Schwiegen aber, zogen unsere Stiefel aus und nahmen die Pantoffeln aus der Bar und gingen dann in unser Schlafzimmer. Wohl, waren da sechs Betten, die alle zu zweien bereits besetzt waren, bis auf das meinige und noch eines, wo die zwei Franzosen zu liegen kommen sollten. Kamen gleich nach uns, die beiden, und zogen sich aus wie wir. Der ältere warf sich geradezu ins Bett, der jüngere zauderte aber. Der Vollmond schien so hell ins Zimmer, daß wir alles deutlich unterscheiden konnten. Und als der junge Mann so zauderte und langsam sich aus seinen Kleidern ausschälte, bemerkten wir, daß er kein Hemd hatte. Zauderte deswegen, hab‘ ich die Notion, weil er kein Hemd hatte. Was er, Sie verstehen wohl, nicht aller Welt auf die Nase binden wollte. Hatte zwar ein Hemd, müssen Sie wissen, und war dieses das Hemd, das er im Päckchen der Wirtin gegeben, und das die der Negerin gegeben zum Waschen, wie wir später hörten, und hatte deshalb keines am Leib, weil er, hab‘ ich die Notion, nur ein einziges besaß.«
   »Guter Mann!« unterbrach ich ihn hier. »Wollen Sie so gefällig sein, Ihr gastliches Anerbieten in Ausführung zu bringen, so ...«
   Ich konnte nichts weiter sagen, denn der Rauch war so erstickend geworden und wir so ungeduldig, so rasend, daß wir dem Mann mit Lust den Hals umgedreht hätten.
   »Wohl!« fuhr der Alte unbewegt fort. »Wie der junge Franzose sich so dreht und zum Bett hinwindet und die Decke lüftet, unter der der andere bereits lag, um seinen Platz zu nehmen, fuhr dieser auf einmal wie gestochen auf und gab eine ganze Ladung französischen Kauderwelschs von sich. Ich verstand nichts von dem Zeug und hörte nur: ›Sacri nun di dijeh!‹ Sagte mir aber mein Bettgenosse neben mir, der im Revolutionskrieg unter Lafayette und du Ponceau gestanden war, der Monshur sei wütend darüber, weil der Junge sich ohne Hemd niederlegen wolle. Er wolle eher verdammt sein, als einen hemdlosen Burschen an seiner Seite schlafen zu lassen. Und war der junge Mann über den Lärm, den sein Landsmann erhob, so verblüfft, sahen es deutlich im Mondlicht, daß er für einige Minuten nicht den Mund auftun konnte. Schien mir der ältere so ziemlich einer, der nur für seine eigene Bequemlichkeit sorgt und sich keinen Fiedelbogen um die eines anderen Menschenkindes schert. Wohl! Als der junge Mensch so stand, unschlüssig vor– und zurücktretend, und ich hab‘ die Notion, sich schämend deswegen, wissen Sie, weil er kein Hemd am Leibe hatte, obwohl er eins besaß, was aber, wie Sie wissen, die alte Negerin zum Auswaschen hatte, schrie abermals der ältere Franzose so laut wie der Major eines Freiwilligen-Bataillons vor der Front: ›Wollen Sie ohne Hemd in dieses Bett?‹ – so sagte es mir mein Nachbar. Und abermals erschrak der junge Mensch ob der Donnerstimme des Mannes, und wir schauten, was wohl kommen würde. Ich hatte große Lust dem älteren zu sagen, er solle seine Zunge weniger laut werden lassen, sonst wolle ich sie zum Schweigen bringen. Da faßte aber der junge Mensch Mut und antwortete ihm: ›Sie sind doch ein verdammter Aristokrat, ein verdammter Aristokrat!‹ Und der ältere erwiderte: ›Und Sie ein Sansculotte! Und ich will verdammt sein, wenn Sie in diesem Bett schlafen!‹ Dabei zog er einen Schenkel unter der Bettdecke hervor und zeigte ihn beim Mondlicht dem jungen Mann, war volle sechs Fuß lang, der ältere. ›Sie sind kein Franzose!‹ sagte er. ›Kein Franzose tut seiner Nation die Schande an, in einem Zimmer mit Gentlemen ohne Hemd zu schlafen!‹ Schrie der junge Mann: ›Und Sie sind kein Franzose, aber ein verdammter Aristokrat! Wären Sie ein Franzose, so würden Sie geschwiegen haben und nicht die Ehre eines Landsmanns so bloßgestellt haben! Sind aber ein verdammter Aristokrat, dem an der Ehre Frankreichs nichts gelegen ist, und ich will nicht bei Ihnen schlafen!‹ Und kamen über dieses Geschrei von und wegen der Ehre Frankreichs der Wirt und der Hausknecht und die Negerin, und als sie hörten, was vorgegangen, nahmen sie den jungen Mann mit und machten ihm ein anderes Bett. Die Wirtin befahl das nämlich, weil sie Mitleid hatte.«
   Der Alte hielt inne nach dieser entsetzlichen Darstellung und schaute uns fragend an.
   »Und jetzt sagt mir, war das ein Aristokrat?«
   »Nein, nein, das war kein Aristokrat!« versetzten wir beide so schnell wie möglich. »Nein, lieber, guter Alter, das war ein rücksichtsloser Geselle, sonst hätte er mit einem bedrängten Reisenden ...«
   Mehr konnten wir nicht sagen, denn Rauch, Hitze, Angst und Erschöpfung hatten nun den höchsten Grad erreicht, so daß selbst der Alte nun sich öfters mit seinen Bärentatzen die Tränen aus den Augen wischen und nach Luft schnappen mußte.
   »Hab‘ schier die Notion«, sagte er kopfschüttelnd zu seinen Gefährten, »wir machen uns auf den Weg, da das Feuer es nicht tun wird.«
   »Das war also kein Aristokrat?« wandte er sich wieder an uns.
   Wir gaben keine Antwort, konnten keine geben.
   »Wohlan, so kommt denn in das Boot!« fuhr er fort. »John, nimm die beiden Tiere, und wir wollen schauen, je eher desto besser ...«
   Mit diesen Worten zog er zuerst unsere zitternden Pferde heran, dann half er uns ins Boot, in dem wir besinnungslos hinsanken. Es war die höchste Zeit, unsere Kräfte hatten uns verlassen. Von allem, was nun vorging, hörten, sahen wir nichts mehr.


   2

   Wie lange wir so ohne Bewußtsein im Boot lagen, kann ich nicht sagen. Es mag wohl eine Viertelstunde gewährt haben. Wir wurden endlich aus unserer Ohnmacht durch den Alten aufgerüttelt, der uns, eine Flasche Tafia in der Hand, anrief. Ob wir nicht eine kleine Herzstärkung zu uns nehmen wollten, würden sie brauchen, meinte er.
   Gierig griffen wir mit halbgeschlossenen Augen zur Flasche und nahmen einen tüchtigen Zug. Der Trunk stärkte uns wunderbar. Wir schlugen die Augen auf.
   Vor uns lag ein unabsehbarer Zypressensumpf, hinter uns der breite Wasserspiegel der ineinanderfließenden Bayous, über den eine endlose Rauchschicht so hingelagert war, daß wir die stahlblauen Wasser unten, oben den blauen Himmel sahen, der aber weiter gegen Südwesten wieder durch hochhinstrebende Rauchsäulen unseren Blicken entzogen wurde. Nur zuweilen blitzten die Flammen hinter dem Rauch hervor, und die gewaltigen Massen der Zypressen erschienen wie in einem Feuermeer.
   »Wir sind doch sicher vor dem Feuer?« fragte ich schaudernd.
   »Sicher genug!« entgegnete der Alte. »Aber es wird spät. Die Sonne ist keine Stunde mehr am Horizont, und wir haben noch ein schönes Stück Weges vor uns.«
   »Und wohin geht dieser Weg?«
   »Wohin er geht? Je nun, wohin er geht, das kommt auf euch an! Er geht durch den Zypressensumpf, außer ihr zieht den Umweg vor.«
   »Der kürzeste Weg ist der beste.«
   »Der kürzeste Weg ist der beste!« polterte der Alte, zu seinen Gefährten gewandt. »Da seht wieder mal den Franzosen! Wollen ihm zu Gefallen den kürzesten Weg nehmen, glaube, es ist ebenso wohl getan.«
   »James!« sagte er dann zu einem der Männer. »Ihr geht weiter unten durch den Snapping-Turtle-Sumpf, wir gehen mitten durch.«
   »Aber unsere Pferde?« bemerkte ich.
   »Eure Pferde, die gehen den längeren Weg oben hinaus, bis nämlich das Feuer ausgetobt hat. Hab‘ die Notion, wir bekommen diese Nacht einen Regen, und dann verbrennen sie sich nicht die Hufe.«
   »Und wohin sollen wir?«
   »Fragt zuviel, Mann! Werdet es sehen!«
   Wir waren nun am Rand des Sees, der hier durch die Vereinigung der beiden Bayous gebildet wurde, vor uns lag der Zypressensumpf. Ich hatte solche Sümpfe bereits kennengelernt, obwohl nur oberflächlich. Denn es war uns nie möglich gewesen tief einzudringen. Aber als ich nun in das düstere Dunkel hineinschaute, glaubte ich nochmals fragen zu müssen: »Alter, gibt es denn auch Weg oder Steg durch diesen Sumpf?«
   »Weg oder Steg? Ist kein Gentlemens-Park, versichere euch, kein Gentlemens-Park. Weg oder Steg? Je nun der Weg, den die erschöpfte Natur euch gemacht hat!«
   Er sprang auf einen Baumstamm, der mit Moos und Lianen überzogen aus dem bodenlosen Abgrund hervorragte.
   »Sehen Sie, das ist der Steg!«
   »Dann wollen wir lieber den weiteren Weg mit unseren Pferden!« versetzte ich. »Aber wo sind denn unsere Pferde? Ich sehe sie nicht.«
   »Tut, wie ihr am besten glaubt! Wir gehen hier! Muß euch aber sagen, daß ihr innerhalb vierundzwanzig Stunden schwerlich etwas auf die Zunge bekommen dürftet. Sei denn, ihr könntet wie eure Pferde zur Not von Rohrblättern euer Abendmahl halten.«
   »Aber es gibt doch Wasservögel, Wildbret?«
   »Ja, die gibt es in Fülle, wenn ihr sie roh verzehren wollt wie die Indianer oder wenn ihr zwei Meilen in der Runde einen Quadratschuh festen Bodens wißt, euch ein Feuer anzumachen.«
   »Pshaw! Wir versäumen nur die Zeit!« murmelten die jungen Männer.
   Die Wahrheit zu gestehen, wurde mir ein wenig bang unter diesen Menschen. Ihre Sprache fing an, mir nicht ganz zu gefallen, sie war so schonungs– und rücksichtslos. Wir waren daran gewöhnt, unsere Wünsche von Menschen dieser Klasse wenn nicht immer mit unterwürfiger Leichtigkeit erfüllt, doch mindestens nicht auf eine so rauhe Art auf die Folter gespannt zu sehen.
   Wir schauten abwechselnd den Alten und wieder seine Begleiter an. Wir hatten von Amerikanern eben nicht die vorteilhafteste Meinung, und besonders nicht von denen, die sich als Squatters in verschiedenen Teilen Louisianas eingedrängt hatten. Wir wußten, daß dieses Wort von squatt – auf Indianerweise niederhocken – abgeleitet wurde, und daß man jene Hinterwäldler so nannte, die sich auf irgendeinem Stück Landes niederließen, ohne nach dem Besitztitel zu fragen, eine Blockhütte bauten und das Land urbar machten. Wir hatten sie als Leute schildern gehört, die weder Gott noch den Menschen fürchteten, nur ihrem Arm, ihren Äxten und ihren Stutzen vertrauten, tief in den Wäldern siedelten, wie Wilde in einer Art roher hölzerner Hütten wohnten, Vieh, besonders Pferde, stahlen, von Welschkorn und Salzfleisch lebten und den Indianern nur wenig an Wildheit nachgaben.
   Es war uns gesagt worden, daß kurz vor unserer Ankunft in den Attacapas in eben der Gegend, wo wir uns nun befanden, einer dieser halbwilden Republikaner sogar eine Belagerung gegen die Truppen der Regierung in seinem Blockhaus bestanden habe. Er sollte einen Einfall in die westlichen Parishes Pfarrbezirke, frühere Bezeichnung für County in Louisiana von Louisiana gewagt, einen Trupp wilder Pferde eingefangen haben, dann auf seinem Zug nach dem Mississippi entdeckt und bis in sein Blockhaus verfolgt worden sein, wo er eine mörderische Belagerung ausgehalten hätte. Das Gerücht hatte ohne Zweifel vergrößert, war aber nur zur Hälfte wahr, was über diese Menschen verlautete, so befanden wir uns eben nicht in der besten Gesellschaft.
   Während uns diese Besorgnisse durch die Köpfe fuhren, schauten wir uns den Mann nochmals an. Er war über sechs Fuß lang und hager, aber Sehnen und Knochen verrieten eine außergewöhnliche Stärke. Die Gesichtszüge waren scharf, die Augen hatten einen wahren Falkenblick. Seine Miene sprach von Selbstbewußtsein, wie sein ganzes Benehmen gegen uns eher Geringschätzung als Achtung hervorblicken ließ. Und doch bestand seine Kleidung in einem bloßen Lederwams mit einem Gürtel, in dem ein langes Messer stak, ledernen kurzen Hosen, einem Strohhut, der aber den Rand verloren hatte, und Mokassins. Ganz ähnlich waren seine Begleiter angetan.
   »Wo ist denn Martin?« fragte auf einmal Lassalle.
   »Meinen Sie den jungen Akadier, der uns bat, Sie in Obhut zu nehmen?« fragte der Alte.
   »Eben den!«
   Der Alte deutete auf den Rauchvorhang.
   »Dort wird er wohl zu finden sein. Hab‘ aber die Notion, ihre teuflische Jagd ist vorüber. Höre keine Schüsse mehr.«
   »Dann wollen wir zu ihm! Aber wo sind unsere Pferde?«
   »Hab‘ die Notion, der Frencher da weiß nicht recht, was er will!« sagte einer der jungen Männer. »Eure Pferde weiden eine halbe Meile oberhalb im Rohr. Werdet doch nicht wollen, wir sollen die armen Tiere eine halbe Meile durch das Bayou hinter dem Boot nachschwemmen. Bill ist bei ihnen.«
   »Und was will er mit ihnen?«
   »Joe geht mit dem Boot hinauf. Und wenn das Feuer ausgetobt hat, dann werden wir das Weitere sehen. Werdet doch nicht glauben, daß wir eure Pferde ...?« Der Alte sprach das Wort nicht aus, aber seine Miene verzog sich in ein stolzes Hohnlächeln.
   Lassalle und ich hatten ihn aufmerksam beobachtet, wir entgegneten zugleich, daß wir mit ihm gingen und uns ihm anvertrauten.
   »James!« wandte er sich hierauf zu einem der jungen Männer. »Es bleibt dabei. Du gehst mit Joe weiter unten durch den Snapping-Turtle-Swamp, Alligator-Schildkröten-Sumpf wir schneiden mitten hier hinein. Wird aber nicht schaden, wenn wir uns gleich hier mit Kienfackeln versehen.«
   »Kienfackeln?« fragten wir.
   Des Alten Blick schien zu sagen: Aber müßt ihr denn eure Zunge in allem haben? Er schaute den abgehenden jungen Männern nach, dann warf er hin: »Ei, Kienfackeln! Und sind soviel wert in diesem Zypressensumpf wie eure Leben, und hättet ihr deren zehn.«
   »Eine seltsame Sprache haben diese Leute«, raunte mir Lassalle zu.
   Der Alte hatte mittlerweile Feuer geschlagen und einen der Späne, die im Boot lagen, angezündet, aber mit einer so langsam abgemessenen Bedächtigkeit, die uns trotz unserer unangenehmen Lage zum Lächeln zwang. Er zündete einen zweiten an, schaute nochmals zurück auf das Bayou, dann dem Boot nach, das im Rohrsaum bereits unsichtbar zu werden begann, und hob dann den Fuß.
   »Verdammter spanischer Sumpf!« brummte er. »Wäre er nun gut amerikanisch und nicht verräterisch spanisch, so hielte er wie ein ehrlicher Mann aus, bis ihr ihn mit den Armen gefaßt, und wiche nicht und zöge euch nicht nach, ei nach, sage ich euch, und wären eure Köpfe zwanzig Fuß von euren Schuhsohlen.«
   »Folgt mir Schritt auf Schritt, als wenn ihr auf Eiern trätet«, wandte er sich an uns. »Und du, Jonas, hab ein Auge auf die beiden Frenchers und warte nicht erst, bis du ihre Beine über die Mokassins im Schlamm stecken siehst!«
   Uns war nicht ganz erquicklich bei diesen eben nicht sehr trostreichen Weisungen, aber wir nahmen allen unsern Mut zusammen und schritten dem Alten nach.
   So waren wir etwa fünfzig Schritte in den Sumpf eingedrungen. Bisher hatte uns das Licht des Tages geleuchtet. Die Zypressen standen zehn bis fünfzehn Fuß auseinander, die ungeheuren Stämme erhoben sich fünfzig Fuß, ehe die breiten schirmähnlichen Zweige sich ausbreiteten, Stamm an Stamm gereiht, Krone an Krone, so daß der Sumpf einem endlosen Schirmdach glich, durch das auch kein einziger Sonnenstrahl sich zu stehlen vermochte. Wir sahen noch das vom Uferrand schief hereinfallende Licht mit der Dämmerung kämpfen, in düsteres Dunkel zucken, endlich in Nacht übergehen.
   In dem Verhältnis, in dem das Tageslicht abnahm, wurde auch die Sumpfluft dicker, erstickender, endlich verpestet. Die anfangs hell auflodernden Flammen unserer Kienfackeln wurden schwächer und schwächer, zuletzt schwammen sie vor unseren Augen bloß noch wie Irrlichter.
   »Ja, ja!« murmelte der Alte wieder. »Eine Nacht in diesem Sumpf zugebracht, mag euch den giftigen Fieberdreck in den Leib bringen! Was Nacht? Eine halbe Stunde mag es, wenn ihr nur drei Poren am Körper offen habt! Ist aber keine Gefahr, der Präriebrand hat auch sein Gutes. Trocknet den Schweiß, schließt die Poren.«
   Während der Mann so vor sich hinbrummte, schritt er vorwärts. Jeden Stamm, auf den er seinen Fuß setzte, beleuchtete er zuerst, dann probierte er ihn, aber mit einer Fertigkeit, die bewies, daß er diesen gefährlichen Weg bereits öfters genommen.
   »Folgt nur immer!« brummte er abermals. »Aber macht euch leicht, ihr Frenchers, so leicht wie ein Frencher sich nur machen kann! Haltet den Atem an! – Ah, der Klotz da!«
   »Holla, Nathan!« rief er sich zu. »Holla! Hättest dich um ein Haar betören lassen, so ein alter Sumpfgänger du bist, und einen sechzehn Fuß langen Alligator für einen modernden Baumstumpf genommen.«
   Der Alte hatte den Fuß gehoben und vorgestreckt, aber zum Glück im Zweifel den vermeintlichen Klotz mit dem Schaft seines Gewehres angestoßen. Der Klotz war gewichen. Der Alte warf sich zurück, prallte heftig an mich an, und ich wäre um ein Haar von dem schmalen Steg hinab in den Sumpf getaumelt.
   »Ah, verräterischer Geselle!« rief er, nichts weniger als erschrocken. »Glaubst du, ehrliche Leute durch deine Teufeleien hintergehen zu können?«
   »Was gibt‘s, Alter?«
   »Was es gibt?« Er zog sein langes Schlachtmesser. »Nichts, als daß sich ... doch da seht ihr ihn ja!«
   Und statt des Klotzes, der verschwunden war, gähnte uns der Rachen eines Alligators an. Ich erhob meine Flinte.
   »Schießen Sie nicht, Monshur!« wisperte mir der Alte zu. »Schießen Sie nicht, so lange Sie es lassen können! Sie sind nicht allein hier! Das wird‘s tun!«
   Er beugte sich gemächlich nieder und stieß dem Tier sein langes Messer ins Auge. Mit einem furchtbaren Geheul schlug die Bestie um sich, daß uns der schwarze Sumpfschlamm über und über bespritzte.
   »Da! Nimm das – und das – und das!« lachte der Alte und stieß dem Tier, das sich krümmte und nach ihm schnappte, noch einige Male das Messer zwischen den Hals und in die Rippen.
   Dann wischte er das Blut vom Messer, steckte es in den Gürtel und sah sich bedächtig um.
   »Hab die Notion, daß da irgendein Baumstamm sein muß. Bin doch nicht das erste Mal auf diesem Track. Da ist er, aber gute sechs Fuß weit! Jetzt, Frenchers, sind eure Tanzbeine etwas wert!«
   Mit einem Satz sprang er auf das, was er einen Baumstamm nannte.
   »Um Himmels willen, Mann! Ich sehe das Wasser glitzern! Stecken Sie drin?«
   »Pah, Wasser! Was Wasser zu sein scheint, sind ein paar arme Teufel von Schlangen – ehrliche Mokassin– und falsche Kongoschlangen! Wollen auch leben, sind gutes Futter für unsere Schweine. Jetzt setzt an!«
   Die Not verlieh mir Kräfte. Ich drückte den linken Fuß so fest auf den im Schlamm schwankenden Stamm, als ich vermochte, und sprang dann hinüber. Lassalle mir nach.
   »Bravo!« murmelte der Alte. »Frisch auf, auch Sie, zweiter Monshur, daß wir weiterkommen. Noch ein paar solcher Stellen, und dann geht es besser!«
   Und wir schoben uns weiter, Schritt für Schritt. Hoben den einen Fuß, legten ihn leicht auf, zogen ihn zurück, bis wir tragbaren Grund gefaßt zu haben glaubten, stießen mit unseren Gewehren zugleich in die Stämme ein. Die Viertelstunde hatte uns wunderbar behende gemacht, aber Not lehrt diese Fertigkeit auch dem Ungeschicktesten. Und hier tat es not. Der Zypressensumpf erstreckte sich vier bis fünf Meilen am Bayou entlang, ein tiefer schwarzer Moorschlamm, bedeckt mit einer schmutzig und wieder hellgrün trügerischen Matte von Schlingpflanzen, Lianen, Moos, die Sumpf und Baumstämme überzogen hatten. Diese Baumstämme lagen zwar nicht regelmäßig, aber doch so, daß man sah, hier waren Menschenhände tätig gewesen.
   »Sagen Sie mir, hier scheint doch ein Pfad durchzuführen«, begann ich. »Denn ...«
   »Schweigen Sie!« unterbrach mich der Alte. »Schweigen Sie, bis wir auf festem Grund sind, schweigen Sie für Ihr Leben! Merken Sie nicht auf die Schlangen, sondern treten Sie mir nach!«
   Und als ich abermals den Fuß vorstreckte, um ihn im matt flackernden Licht der Kienfackeln in die Stapfen des Alten zu senken, hob sich nicht vier Zoll von meinem Fuß über den Baumstamm herüber aus dem Schlamm ein gräßlicher Alligatorenrachen und schnappte mit solcher Behendigkeit nach mir, daß ich nur noch soviel Zeit übrig hatte, mein Gewehr dem Tier in das funkelnde Eidechsenauge abzudrücken.
   Es prallte zurück, gab ein stöhnendes Gebrüll von sich, schlug einige Male im Morast wie rasend um sich und versank. Der Alte hatte sich umgesehen. Ein zufriedenes Lächeln spielte um seine geöffneten Lippen, aber ich hörte nicht, was er sagte. Denn der Aufruhr, der nun von allen Seiten ausbrach, war so furchtbar, daß er mich einige Minuten ganz betäubte.
   Tausende, Zehntausende von Alligatoren, Bullfröschen, Nachteulen, Anhingas, Schlangenhalsvögel Reihern, die im Schlamm und den Laubdächern der Zypressen hausten, erhoben nun ihre Stimmen, ihr Gebrüll und Gestöhn. Sie wurden rebellisch, brachen kreischend aus ihren Schlupfwinkeln hervor und umkreisten uns, flogen uns um die Köpfe. Wir hatten unsere Messer gezogen, unsere Arme über die Köpfe und Augen gehalten, aber es wäre um uns geschehen gewesen, wenn nicht ...
   Im entsetzlichen Aufruhr der gräßlichen Tierwelt fiel ein Schuß, dann ein zweiter. Das Wüten, Toben der Tiere wurde auf einmal heulend, kläglich. Die Tiere prallten noch einige Male an uns an, dann flogen sie in weiteren Kreisen um uns herum, zuletzt wurde das Geschrei, Gebrüll schwächer. Unsere Leuchten waren ausgelöscht, wir standen in stockfinsterer Nacht.
   »Alter! Um Himmels willen!«
   »Ei, sind Sie noch am Leben?« lachte der Alte mit einem so sonderbaren Nachklang, daß mir unheimlich wurde. »Und Ihr Freund? Hab‘ Ihnen gesagt, daß wir nicht allein sind! Wehren sich auch, diese Bestien, wenn man sie in ihren Schlupfwinkeln angreift. Ein einziger Schuß reicht hin, euch das ganze Gezücht auf den Hals zu bringen. Aber lassen sich die Köpfe wieder zurechtsetzen, wenn sie sehen, daß es Ernst gilt. Zwei Schüsse nacheinander unter sie hineingetan verfehlen selten, sie zu belehren, daß sie nur unvernünftige marktschreierische Geschöpfe sind.«
   Während der Alte so sprach, schlug er recht bedächtig Feuer und zündete eine der Kienfackeln an.
   »Zum Glück haben wir hier etwas breiteren Fußboden«, lachte er. »Aber jetzt vorwärts! Es ist hohe Zeit. Die Sonne ist unter, ich merke es, und wir haben noch ein schönes Stück Weges vor uns. Auch möchte es nach Sonnenuntergang im Carancrosumpf zu verweilen nicht zweimal ratsam sein.«
   Und er schob abermals vorwärts, Schritt vor Schritt, aber sicher, fest, mit einer Zuversicht, die uns bei jedem Schritt mehr Vertrauen zu dem Mann einflößte.
   Wir mochten eine halbe Stunde so fortgezogen sein, als ein blaßheller Schein uns entgegenschimmerte.
   »Noch fünf Minuten, und wir sind am Ziel! Aber gebt acht! An den Rändern dieses verdammten spanischen Zypressensumpfes halten sich immer am liebsten diese teuflischen Alligatoren und Snapping-Turtles auf, lieben das feste Land, die Alligatoren.«
   Ich hatte in meiner Begierde, endlich festen Grund zu fassen, nicht mehr auf die Worte des Alten gehört. Die Bäume waren hier dichter, so war ich dem Alten vorgeschritten. Auf einmal fühlte ich den Stamm weichen, auf den ich den Fuß gesetzt. Ich hatte nur soviel Zeit, halt zu rufen, und bereits war ich bis unter die Arme im bodenlosen Schlamm.
   »Ah, haben Sie in Ihrem französischen Leichtsinn einmal Ihren eigenen Weg gehen wollen!«
   Lachend sprang der Alte vor und ergriff mich beim Haarschopf.
   »Lassen Sie sich das zur Warnung dienen, Monshur!« Mit diesen Worten zog er mich wieder auf den Baumstamm. »Sehen Sie!«
   Wirklich sahen meine Augen mehrere Alligatoren, die herbeigeschossen kamen. Ich war keines Wortes mächtig, er griff nach der Flasche.
   »Nehmen Sie einen Schluck Herzstärkung, aber nein, warten Sie, bis wir im Palmetto sind! So, halten, fassen Sie sich, lassen Sie das Herzklopfen vorübergehen! So, mein guter Frencher, ah, wenn Sie mit dem alten Nathan noch ein paar solche Touren machen, sage Ihnen, werden ein ganzer Mann werden. Jetzt aber kommen Sie!«
   Wir schritten nun vollends dem Rand des Sumpfes zu. Die mondhelle Nacht ließ uns ein wogendes Palmettofeld schauen, dessen Millionen Stämme säuselnd und grüßend uns entgegenwogten. Wir atmeten leichter.
   »Jetzt ruhen Sie aus und nehmen Sie einen Schluck, einen mäßigen Schluck, dann mögen Sie einen stärkeren nachfolgen lassen! Ruhen Sie aus, guter Monshur! Sehen Sie, es läßt sich etwas aus Ihnen machen. Wollen nun auf eine kurze halbe Stunde zur Salzlick.«
   »Wohin?« fragten wir.
   »Je nun, zur Salzlecke! Denke, läßt sich noch ein Hirsch oder ein paar auftreiben.«
   »Und wir sollen hier bleiben?«
   »Fürchtet euch doch nicht? Habt ja eure Gewehre! Kommt ein Bär oder ein Kuguar, so wißt ihr, was zu tun ist. Wollen, wie gesagt, sehen, ob wir keinen Hirsch finden!«
   »Aber warum ihr nicht am Bayou ...?«
   »Warum wir nicht am Bayou?« unterbrach er mich ungeduldig. »Uns am Bayou die Todesangst eines armen Hirschbocks oder einer Kuh zunutze machen? Wie feige Spanier oder wilde blutdürstige Akadier? Möge meines Vaters Sohn erschossen werden, wenn er so etwas ...! Holla, was war das?«
   »Ein Donnerschlag!«
   »Ei, Donnerschlag! Ihr habt noch wenige Donnerschläge in Louisiana gehört, sonst würdet ihr die scharfe Rifle Gewehr, Flinte eines amerikanischen Hinterwäldlers nicht für einen Donnerschlag halten! Aber freilich, da oben ist ein Immergrüneichenwald, der euch das Echo viermal wiedergibt. Ei, es war James‘ Rifle, er hat einen Hirsch geschossen. Holla, ein zweiter!«
   Es war wirklich ein zweiter Schlag, der aber wie das mächtige Rollen des Donners von dem ungeheuren Wald gegen das Palmetto herabrollte.
   »Holla, Burschen! Das ist genug! Schont das Wild und euer Pulver und Blei, schont beides! Müssen sie aber schon merken lassen, daß wir auch noch in unserer Haut stecken und nicht in einem Alligatorenrachen«, sprach der Alte.
   Er hatte mittlerweile geladen und schoß seine Rifle ab. Der Widerhall rollte feierlich hinüber, kam wieder herüber. Wir saßen schweigend. Der Alte deutete auf das Palmetto, winkte uns aufzustehen und nahm den Weg durch das Rohr. Seine Wendungen waren so leicht, wie ein schlüpfriger Aal wand er sich durch die Millionen Stämme hindurch. Wir folgten ihm, so gut wir es vermochten.
   In einer halben Stunde waren wir an der Salzlecke, wo wir seine beiden Söhne mit dem Ausweiden und Zerlegen der Hirsche beschäftigt fanden. Sie ließen sich dabei so wenig stören, daß wohl eine Viertelstunde nach unserem Zusammentreffen verlaufen sein mochte, ohne daß ein Laut gehört worden war.
   Wir hatten uns gesetzt. Als Hinter-, Vorderteile und Rücken weidmannsgemäß zerlegt waren, sahen sie den Alten fragend an.
   »Was denkt ihr?« fragte dieser. »Wollt ihr hier noch einen Bissen versuchen oder warten, bis wir zu Hause sind?«
   »Wie weit ist das noch?«
   »Je nun, wie weit? Mit einem guten mexikanischen Trotter, und wären die Wege besser, könnten wir wohl in drei Viertelstunden zu Hause sein. So aber dürfte es noch ein paar Stunden dauern.«
   »Dann ziehen wir‘s vor, hier einen Bissen zu nehmen.«
   »Wohl! So sei es!«
   Ohne ein Wort zu verlieren, schnitten die Söhne einen Ziemer von einem der Hinterteile. Wir suchten dürres Reisig zusammen, in einer Minute loderte ein fröhliches Wachtfeuer, in der zweiten Minute drehte sich der hölzerne Spieß.
   Eine halbe Stunde darauf saßen wir um einen gebratenen Hirschziemer. Obwohl wir kein Brot zum Imbiß hatten, schmeckte er uns besser als die köstlichsten Rebhühner mit Trüffeln gefüllt je an der Marschallstafel von Versailles. Auf unsern Schenkeln hockten wir um das Feuer, auf den Knien Cottonbaumblätter, darauf Stücke von Braten, die einem Nimmersatt genügen konnten und so schnell verschwanden, daß selbst unsere Hinterwäldler ob unseres gräßlichen Appetits staunten und starrten.
   Der Vollmond goß sein grünes Zauberlicht über die Millionen Zwergpalmen aus. Hier dämmerte eine Zypresse in mildstrahlender Verklärung auf, dort verschwamm eine zweite, dritte in phantastischem Helldunkel. Die ganze Landschaft tanzte vor unseren trunkenen Blicken. Im Südwest war der Himmel rosarot aufgehellt, gegen Nordwest war das Firmament apfelgrün. Das Bild dieser Nacht wird mich nie verlassen.


   3

   Das Hinterwäldlerleben gewinnt sehr bald einen eigentümlichen Reiz, wenn man jung ist und mit einer ungeschwächten Leibesbeschaffenheit ein empfängliches Gemüt für die Urnatur verbindet. Und welches Gemüt würde nicht empfänglich für und hingerissen durch diese Urnatur, die uns anders als die verkünstelte Natur der Alten Welt bei jedem Schritt so außerordentliche Gegensätze vor die Augen rückt?
   Dem Neuling ist zumute, als sei er plötzlich aus einem Käfig befreit und schwirrte er in unendlichen Räumen umher. Eine leichte Befangenheit und Ängstlichkeit begleiten seine Empfindungen. Die Unendlichkeit ergreift ihn, die anscheinende Regellosigkeit verwirrt ihn, und sein Selbstvertrauen kehrt erst zurück, wenn er seine Kräfte versucht, Gefahren überwunden, sich seiner Herrschaft vergewissert hat. Aber dann erlangt sein Geist eine wunderbare Springkraft.
   Dieses eigentümliche, gleichsam trotzende Bewußtsein innewohnender Kraft ist eines der Hauptmerkmale des Hinterwäldlercharakters. Und in der Tat, die mannigfaltigen Gefahren und Entbehrungen – vom Ersticken im Sumpf zum Ertrinken im Bayou, vom Kampf mit Alligatoren zum Gefecht mit Jaguar oder Bär müssen notwendig Geist und Körper gleich lebhaft erhalten, auch wieder jene Gleichgültigkeit gegen Zufälligkeiten hervorbringen, die dem Wesen dieser sonderbaren Menschen, ihrer Sprache, ihrem ganzen Sein etwas Eigentümliches verleiht. Eigenartig, häufig poetisch, wohl rauh, doch sehr selten gemein ist ihre Sprache und bekundet eine Unbekümmertheit und Nachlässigkeit, die uns jetzt die Haare zu Berge steigen, im nächsten Augenblick lachen und gleich darauf eine ebenso apathische Haltung anlegen läßt, wie diese Menschen sie selber haben.
   Die Stunde, dir wir mit dem alten Nathan und seinen Gefährten bei unserem köstlichen Waldmahl verbrachten, gab uns alle diese Eindrücke in Fülle. Oft lachten wir so herzinnig, daß uns die Tränen in die Augen traten, so barock, so sonderbar, so verkehrt und wieder so richtig, mit so kühnen Zügen entworfen waren die Ansichten der guten Leute über unsere europäischen Zustände. Andere wieder, besonders wenn sie ihr Land und dessen innere Zustände betrafen, waren mit einer Schärfe des Verstandes und einer Klarheit entwickelt, daß sie unseren ersten Staatsmännern Ehre gemacht haben würden.
   Jetzt merkten wir, daß wir uns wirklich in einer neuen Welt, unter neuen Menschen befanden, deren Kultur – obwohl die Elemente europäisch – durch und durch amerikanische Formen angenommen hatte. Sie war himmelweit verschieden von der der Kreolen und unserer eingewanderten Landsleute, die mir in diesem Augenblick offengestanden wie zweimal aufgewärmtes Ragout vorkamen.
   Wiederum waren unsere neuen Bekannten nichts weniger als harmloser Natur, wie wir in manchen Momenten zu wähnen uns versucht fühlten. Denn während sie abwechselnd die Unterhaltung führten, wußte der Alte mit einer Feinheit, einem Takt, die einem Polizeikommissar zum Präsidium verholfen haben müßten, alle unsere Schicksale, Pläne und Aussichten herauszulocken und uns über unsern Charakter auszuholen.
   Wir hatten so gegenseitig unsere Meinungen ausgesprochen und, was uns betraf, unsere Hoffnungen und Ansichten mitgeteilt, ohne zu merken, daß der Alte einsilbig und endlich ganz still geworden war. Er hatte seine Rifle zur Hand genommen und hämmerte stärker und stärker an deren Stein, wie ich später erfuhr, bei Hinterwäldlern ein untrügliches Merkmal erwachenden Mißtrauens.
   Die anderen flüsterten und murmelten sich in die Ohren und zogen die Schenkel mehr von uns zurück. Diese Bewegungen fielen uns endlich auf, wir schwiegen gleichfalls. Eine Pause von mehreren Minuten trat ein.
   »Also Sie, haben eine Schenkung erhalten?« fragte der Alte endlich.
   »Ja, lieber Mister Nathan.«
   »Und die Vollmacht, sich in irgendeinem Teil Louisianas ein Stück Land auszuwählen?«
   »Eigentlich würden wir es vorziehen am Teche, doch wenn ich aufrichtig gestehen soll, so ...«
   »So würdet ihr nicht viel darum geben, just den Strich zu wählen, der euch am besten gelegen scheint?« fiel der Alte ein und hämmerte stärker an dem Stein.
   »Vorausgesetzt, wenn er nicht bereits vergeben ist«, schaltete ich ein.
   »Wie verstehen Sie das? Hab‘ die Notion, Sie meinen, von den spanischen Behörden vergeben?«
   »Oder auch dem vormaligen und eigentlich rechtmäßigen Besitzer dieses Landes, der französischen Krone«, fügte ich hinzu. »Denn diese beiden sind, soviel ich weiß, die einzigen, die das Schenkungsrecht völkerrechtlich ausüben können und konnten.«
   Der Mann schüttelte unwillig den Kopf.
   »Also wenn irgendein König in der Alten Welt es sich einfallen läßt, einen seiner Lakaien mit einer schmutzigen Flagge herüberzusenden und diese aufzupflanzen an irgendeinem vermoderten Baumwollenbaumstumpf, dann glaubt ihr allen Ernstes, dieser Schnickschnack verleihe das Recht, ein paarmal hunderttausend Quadratmeilen als sein Besitztum anzusprechen und es zu verschenken, zu verteilen, wie es ihm oder seinen Trabanten beliebt?«
   »Wenn der König oder seine Regierung durch einen Akt, den Sie Schnickschnack nennen, wirklich Besitz von dem Land ergriffen, das heißt, zugleich Städte, Niederlassungen und Forts angelegt hat, dann sollte ich meinen, ja!« versetzte ich bestimmt.
   Die veränderte anmaßende Sprache des Hinterwäldlers gefiel mir nicht, und ich glaubte, unserm Recht als Franzosen wie der Ehre unserer und der spanischen Nation etwas zu vergeben, wenn ich seine Anmaßungen nicht zurückwies. Der Alte schaute abwechselnd Lassalle und mich mit seinem durchdringendsten Blick an.
   »Das bezweifelt niemand, daß Städte und Forts das Recht des Besitzes verleihen«, erwiderte er um vieles gemäßigter. »Niemand wird euch euer Recht auf New Orleans und auf die beiden Stromufer hinauf bis Baton Rouge und Point Coupé streitig machen. Aber ihr werdet auch behaupten, euer König habe das Recht, über Ländereien zu schalten, worauf weder er noch einer der Seinigen je ihren Fuß gesetzt haben?«
   »Wenn sie innerhalb der Grenzen seiner Forts und Niederlassungen sind, ja! Wenn nicht, nein!«
   »Ihr seid kurz, sehr kurz!« sprach der Alte, der sich während des Wortwechsels erhoben, und stieß finster den Schaft seiner Rifle zu Boden. »Kurz und gut könnt ihr euch ebensowohl unser Land als Schenkung anweisen lassen! Hab‘ aber die Notion, ist ein anderes, sich anweisen lassen und ehrliche Leute von ihrem Land vertreiben wollen, und ein anderes, sie wirklich forttreiben!«
   »Was fällt Ihnen auf einmal ein, Alter? Wem kam es bei, sich Ihr Land als Schenkung anweisen zu lassen?«
   »Sie sind Franzose, Mann! Haben eine geläufige Zunge, und so hatte sie der Baron, der sich Bostropp nannte. Lassen Sie‘s sich aber vergehen, in seine Fußstapfen zu treten!«
   »Was hat Baron Bostropp getan?«
   »Was er getan hat? Will Ihnen sagen, was er getan hat! Ließ sich eine Schenkung vom Gouvernement erteilen, die rund fünfzehntausend Acres Über 60+000 Quadratkilometer betrug und sich bis an den Arkansas erstreckte. Hatte aber nicht genug an diesen Ländereien, die doch die schönsten sind, die es geben kann. War da ein Akadier an seiner Grenze, hieß Jean. Wohl, der Akadier hatte mit saurem Schweiß sich eine Pflanzung angelegt, bewirtschaftete sie mit seinem Weib und zehn Kindern, bewirtschaftete sie gut. Kam eines Tages dieser verdammte Baron, sah die Pflanzung und sofort setzte er seine Maschinen in New Orleans in Bewegung. Und der arme Jean mußte weg, mußte abermals in die Wildnis, seine Pflanzung dem Baron abtreten, der weiß der Himmel was für eine geniale Baronsidee mit dieser Pflanzung ausführen wollte. Zwei Jahre darauf hatte der Abenteurer ausgewirtschaftet, mußte bei Nacht und Nebel aus dem Lande, aber die Pflanzung blieb doch dem armen Jean entrissen. Jetzt liegen die Gebäude in Schutt und Trümmern, und Opossums und Bären hausen darauf. Wäre ich Jean gewesen, ich hätte dem Baron statt der Pflanzung eine Kugel abgeliefert.«
   Und indem der Mann so sprach, hob er die Rifle schußfertig. Ich ließ mich durch die Bewegung nicht irremachen.
   »Was den Baron betrifft, so kann ich weder noch will ich seine Verteidigung übernehmen. Liegt der Fall so, wie Sie sagen, so hat er leichtsinnig und gewissenlos gehandelt.«
   Ich hielt inne, denn der Alte war im Gehen begriffen, wandte sich jedoch und horchte mit zurückgeworfenem Kopf. Wie gesagt, uns verdroß die Anmaßung des Hinterwäldlers um so mehr, als wir Louisiana immer noch als eine französische Kolonie und unser rechtmäßiges Eigentum betrachteten.
   Der Alte stand sinnend, während seine Söhne Hirschziemer und -rücken samt ihren Äxten auf die Schultern warfen und Miene machten ihm zu folgen. Wir standen still.
   »Wollt ihr nicht mit uns?« fragte der Alte.
   »Wir wissen nicht, ob es euch angenehm?«
   »Worte sind keine Pfeile, Mann! Es gibt in jedem Volk Gute und auch Schlechte. Kommt, denn hier würdet ihr nicht zum besten fahren!«
   Und wir folgten. Der Weg oder besser die Richtung, die wir einschlugen – denn von einem Weg oder Pfad war keine Spur vorhanden —, führte über eine Prärie, dann ging es durch einen Wald, darauf kamen wir durch ein Dickicht, das unserer Kleidung vollends den Rest gab, und hierauf über sogenanntes Wellenland oder rollende Anhöhen, von denen herab wir den Präriebrand deutlich sehen konnten. Das Knistern des Rohres, das Krachen der Äste und Zusammenschmettern der Bäume schlug uns bei jeder Wendung, die wir gegen den Luftzug taten, in die Ohren. Allein wir waren jetzt bereits so ziemlich daran gewöhnt.
   Wir mochten so einige Meilen durch dick und dünn zurückgelegt haben, als der Boden weich und die Anzeichen eines nahenden Sumpfes bemerkbar wurden. Wir drangen so weit vor, als der Boden uns trug, und hielten endlich am Rand des Sumpfes.
   James und Joe warfen ohne ein Wort ihre Lasten vom Rücken, nahmen die Äxte zur Hand und begannen in eine der nächststehenden Zypressen einzuhauen. Lassalle und ich standen schweigend und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Wir bewunderten die außerordentliche Leichtigkeit, mit der die Hinterwäldler die Bäume fällten. Es war mehr Spiel als Arbeit. Die Äxte flogen so leicht wie unsere Rapiere auf die Baumstämme nieder, so regel– und taktmäßig. Es erinnerte uns an die Harmonie der Dreschflegel in den Dörfern am Rhein, die wir im damaligen Korps Condés durchzogen.
   Ehe fünf Minuten vorüber, krachte der vier bis fünf Fuß dicke Stamm zusammen und sank einwärts in den Sumpf. Sowie die Zypresse gefallen, sprangen die beiden jungen Holzschläger auf den Stamm, schritten auf diesem vorwärts und hieben die Äste bis zur äußersten Krone ab, so daß der Baum zwar in dem Sumpf, aber doch mehr auf der Oberfläche zu liegen kam. Hierauf begannen sie einen zweiten zu fällen, einen dritten und vierten. In Zeit von einer halben Stunde hatten die vier Hinterwäldler in aller Stille eine Arbeit getan, die vier Franzosen zumindest einen Tag gekostet haben würde.
   Wir hatten verwundert zugeschaut und fragten nun, was eigentlich das Ganze zu bedeuten habe.
   »Werdet es bald sehen!« versetzte der Alte.
   Auf seine Rifle gestützt, starrte er düster in den Sumpf hinein, erwachte aus seinen Nachtgedanken jedoch, als die Stimme von James sich hören ließ: »Sind fertig!«
   »Jetzt kommt, Frenchers!« sagte der Alte.
   »Aber weshalb über den Sumpf? Und warum die viele Arbeit?« fragten wir.
   »Weil dieser Weg der nächste ist und eure Knochen müder werden dürften, wenn wir den Sumpf umgehen wollten. Viele Arbeit!« brummte er mit einem verächtlichen Blick auf die Zypressenstämme. »Wenn ihr das Arbeit nennt, dann habt ihr noch wenig gearbeitet und hättet in eurem Land bleiben sollen, wo es, hör‘ ich, Narren zu Millionen gibt, die für andere arbeiten. Hab‘ die Notion, ihr gehört zu den Aristokraten, die lieber andere Leute für sich schaffen lassen und es vorziehen, sich ins fertige Nest hineinzusetzen. Wollen euch aber zeigen, daß es bei uns nicht geht, sich ins fertige Nest hineinzusetzen. Sind keine Jeans, wir bei Jingo nicht! Sind nicht die Leute, die sich von einem Baron aus ihrem Eigentum treiben lassen, und käme er mit hundertundfünfzig angezogen!«
   Den Alten verfolgte offenbar die Idee, wir seien, zweite Bostropps, gekommen, sein Land zuerst in Augenschein zu nehmen und ihn dann mit den Seinigen zu vertreiben. So viel schien uns klar, und obwohl wir geneigt waren, ihm sein Hirngespinst zu verscheuchen, hatten uns das anmaßende, barsche Wesen, das er angenommen, das Abenteuer, der Nachtmarsch, die Gefahren, die wir bestanden hatten, auch bereits etwas von dem hinterwäldlerischen Trotz verliehen, nicht zu erwähnen mehrere Züge Whisky und unser kräftiges Mahl.
   »Wollen also sehen!« sprachen wir nach einer hinterwäldlerischen Pause und mit einer Unbekümmertheit, die einem vierzigjährigen Buschmann wohl angestanden wäre.
   Und festen Trittes folgten wir dem Alten, der vor uns auf dem Stamm einherschritt. Nachdem wir an der Krone des Stammes, deren Zweige, wie gesagt, nicht alle abgehauen waren, um das Einsinken zu verhüten, angekommen waren, setzten wir über die quergelegten Äste auf den zweiten Stamm, von diesem auf den dritten und so fort auf den vierten. Ehe wir dessen Ende erreicht, befanden wir uns wieder auf festem Boden.
   Der Alte bedeutete uns, in bisheriger Ordnung, das heißt im sogenannten »Indian file«, Indianer-Reihe == Gänsemarsch einer nach dem anderen, zu folgen, und so tappten wir hintereinander her wohl eine halbe Meile fort durch dichtes Gestrüpp.
   Endlich hielt Nathan. Er setzte seine Rifle auf den Boden, wandte sich zu uns und starrte uns mit wahren Eulenaugen an. Ich ließ den Schaft meiner Doppelflinte gleichfalls auf die Erde nieder und ahmte seine Stellung nach.
   »Sagt, wo wir sind?« fragte ich.
   Der Mann schaute mich an, und sein Gesicht verzog sich in ein eigentümliches Lächeln.
   »In Louisiana sicherlich, zwischen dem Red River, dem Golf von Mexico und dem Mississippi, innerhalb der Grenzen, die sich euer König gesetzt, und doch an einem Ort, wo sein Arm zu kurz befunden worden, so lange Arme Könige auch haben sollen.«
   Der Ton, in dem er dieses sagte, hatte einen so schneidend höhnischen Nachklang, daß mein Blick unwillkürlich auf den Sprecher fiel, um aus seinen Zügen herauszubringen, was er eigentlich mit uns im Schilde führe. Sie waren gleichgültig wie immer. Er ergriff meinen Arm, führte mich einige Schritte seitwärts und deutete auf eine dunkle Masse, die mit einem Erdwall Ähnlichkeit hatte.
   »Vielleicht eines der indianischen Gräber?« warf ich hin.
   »Ei, ist ein Fakt! Sie haben‘s erraten, ein Grabmal ist‘s, obwohl nicht der Rothäute, sondern das eines weißen Mannes. Kein besserer fuhr je den endlosen Strom herab. Sie könnten aber auch mit den Rothäuten recht haben, hab‘ die Notion, es war einst, was sie einen ›Indian Mound‹ Indianischer Grabhügel nennen. Wollen Sie nicht näher treten?«
   Wir traten näher und sahen Palisaden und hinter diesen ein Balkendach, das vielleicht zehn Fuß darüber hervorragte.
   »Was sagt ihr jetzt?«
   »Das Ganze scheint mir weniger zur Wohnung als zur Verteidigung eingerichtet.«
   »Oben finden wir Kienspäne«, sprach der Alte. »Jetzt wartet, bis die Leiter kommt, dann werdet ihr das Weitere sehen!«
   Eine Leiter wurde nun herabgelassen, auf der wir den steilen Erdaufwurf hinaufkamen. Einer der jungen Männer öffnete in den Palisaden eine Pfostentür, und wir traten in den inneren Raum des sonderbaren Bauwerks.
   Es war aus ziemlich starken, unbehauenen Zypressenstämmen aufgeführt, die ineinandergefügt wohl Vierundzwanzigpfündern widerstehen konnten. Das Ganze bildete ein Viereck mit einem niedrigen, gleichfalls aus Baumstämmen aufgeführten Dach. Es mochte vierzig Fuß in der Länge und ebenso viele in der Breite haben. Im Innern war nichts zu sehen, als ein Kamin von ungebrannten Backsteinen und, als wir näher schauten, eine hölzerne Tafel, die in einer Ecke des Blockhauses aufgerichtet war.
   »Tretet nicht auf diesen Hügel!« sprach der Alte feierlich. »Es ist heiliger Grund.«
   »Heiliger Grund?« fragten wir.
   »Heiliger Grund, Mann! Liegt unter dieser Tafel einer begraben, ein so braver Hinterwäldler, als je einer den Mississippi herabschwamm.«
   »Also ein Grabmal?« sprachen wir nicht wenig erschüttert.
   »Ein Grabmal, Mann! Sein Grabmal, sein Blockhaus, das er gebaut, das er verteidigt, in dem er fiel, das sein Blut benetzte, das er ein blutiges getauft, kaum als es fertig war. Sollt mehr von diesem blutigen Blockhaus hören! Hören, wie sechs amerikanische Rifles es mit fünfundachtzig spanischen und französischen Musketen aufnahmen!«
   Wir schüttelten ungläubig die Köpfe. Er nahm uns beide am Arm und führte uns aus dem Gebäude durch das Pfahlwerk. Auf einem Vorsprung von etwa sechs Quadratfuß hielt er.
   »Es mit fünfundachtzig französischen und spanischen Musketen aufnahmen«, wiederholte er mit fester Stimme. »Es war Asa mit dreien seiner Brüder, seinem Schwager und Vetter und ihren Weibern. Ist wie ein Mann, wie ein echter Hinterwäldler, wie ein braver Amerikaner gefallen, hat aber zuvor fünfunddreißig Spaniern das Lebenslicht ausgeblasen.«
   Er deutete auf einen Kranz von Pappeln, in deren mondbeleuchteten Kronen sich wirklich die Geister der Gefallenen umherzutreiben schienen.
   »Dort unter diesen Cottonwoods, unter deren Schatten sie gefochten, sind sie gefallen und begraben.«
   Die Stille der Nacht, der Silberschein des Gestirns, der in seinen verklärenden Strahlen die in die Prärie sich öffnende Waldesbucht gleichsam badete, die düsteren Wälder zu beiden Seiten des Blockhauses, in tiefe Schatten gehüllt und nur an den Rändern vom Vollmond aufgehellt, alle diese Umstände, verbunden mit dem feierlich gewordenen Benehmen des Alten, wirkten allmählich auf unsere Lebensgeister. Wir standen, ohne ein Wort zu erwidern.
   »Ja, hier fielen fünfunddreißig Spanier gegen einen Amerikaner«, wiederholte Nathan, auf seine Rifle gelehnt.
   »Und dieser Amerikaner hieß?«
   »Was fragt ihr, wie er hieß? Was fragt ihr nach Namen, als wäret ihr Pferdedieben auf den Fersen?
   Fragt überhaupt nicht so viel! Schaut mit euren Augen, hört mit euren Ohren, aber haltet eure Zunge im Zaum, denn die Bäume haben Ohren, so gut wie die Wände in eurem Land.«
   »Vergebung, wir hatten keine Beleidigung im Sinn!« besänftigte ich den Alten.
   »Beleidigung im Sinn!« hohnlächelte er. »Kalkuliere, daß ihr die nicht im Sinn habt, kalkuliere, kalkuliere. Wollte auch den sehen, der den alten Nathan zu beleidigen oder zu beeinträchtigen oder was immer in den Weg zu legen sich gelüsten sollte! Würde ihm das Gelüste bald vertreiben, der alte Nathan, solange er seine Rifle oder seinen Dolch innerhalb Armeslänge hat! Ist ein Fakt! So wie ich‘s sage, so ist‘s! Der Mann, der das Blockhaus da gebaut, und schaut es euch recht an, denn es ist nur wenig verändert, bis auf das Dach, das eigentlich die Ursache seine Todes war, der Mann liegt jetzt in seinen eigenen vier Pfählen und war eine Zierde der Hinterwäldler. Haben aber die Spanier seinen Tod teuer bezahlen müssen, und ist ihnen die Lust vergangen, sich an Asas Niederlassung zu wagen. Ei, werden Asa Nollins nicht so leicht vergessen!«
   »Asa Nollins?« fiel ich ein. »Mir ist, als hätte ich von diesem Mann gehört!«
   »Noch die Lehre vergessen, die er ihnen gegeben!« fuhr der Alte fort, ohne auf meine Worte zu achten, und wandte sich dann auf einmal finster zu mir. »Also ihr habt gehört von Asa? Und was habt ihr gehört?«
   Ich hatte mich während der kurzen Pause besonnen, denn beide hatten wir immer mehr zu gewahren angefangen, daß das Temperament unseres neuen Bekannten ein heikel kitzliges war.
   »Könnte es Ihnen nicht genau sagen«, lenkte ich ab.
   »Erinnere mich nur, den Namen des Mannes gehört zu haben. Haben aber so vieles gehört und anhören müssen, daß wir die Hälfte aller dieser Geschichten wieder vergessen haben.«
   »Verstehe!« versetzte der Alte. »Hab‘ die Notion, wollt nicht recht mit der Sprache heraus! Mag vielleicht ebensogut, auf alle Fälle klüger sein. Sag‘ euch, wenn ihr von hier aus in den Wald hineinseht, so sieht es euch schwarz vom Rand herüber aus. Steigt ihr aber hinab und geht die sechzig Schritte hinüber, wird es euch dort hell und hier schwarz vor den Augen. Ist ein Fakt, kommt auf den Gesichtspunkt an, von dem ihr ein Ding anschaut.«
   Und nach dieser Abschweifung hielt der Mann abermals inne, schaute uns prüfend an und fuhr dann gemächlich fort:
   »Will euch sagen, was ihr gehört habt! Hab‘ die Notion, ihr habt gehört, daß der Mann, dessen Todeshügel ihr gesehen, in eure Niederlassung eingebrochen ist und da Pferde gestohlen hat. Habt ihr nicht? Und daß er ein blutdürstiger Rebell gewesen?«
   »So etwas, die Wahrheit zu gestehen, obwohl ich mich nicht deutlich entsinne.«
   »Und ich sage euch, möge ich erschossen sein, wenn es nicht die verdammteste Lüge ist!« stieß der Alte heftig hervor. »Asa hat nicht mehr Pferde gestohlen als ich, der ich Regulator und von meinen Mitbürgern beauftragt bin, Ordnung zu handhaben. Und was den Rebellen betrifft, so war er ein Amerikaner, und der ist nie Rebell, denn er ist frei geboren!«
   »Regulator?« fragte ich und überhörte den frei geborenen Amerikaner, der nie Rebell sein konnte.
   »Regulator!« wiederholte der Mann mit selbstgefälligem Nachdruck. »Wißt wahrscheinlich nicht, was das sagen will? Ist ein Amt, das wir in den Hinterwäldern geschaffen, wo wir das Gesetz selbst in die Hand nehmen und es nicht von bezahlten Richtern und Rechtsanwälten um soundsoviel per Dollar vermessen lassen. Werdet später mehr davon erfahren, aber zuvor sollt ihr von Asa und seinem Blockhaus hören, das er da getauft das blutige und das da geworden ist das blutige!«
   »Wäre es nicht besser, dies auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben?«
   »Auf einen anderen Zeitpunkt verschieben? Merkt euch das: Narren verschieben, Gescheite handeln! Für alles ist seine Zeit, und jetzt ist die Zeit, von Asa zu reden, denn ihr betretet seine Niederlassung und sollt vorher hören, ehe ihr seht! Morgen ist nicht mehr Zeit dazu.«
   Des Mannes Sprache begann sehr unbequem zu werden, seine finstere Gemütsart brach inmitten seiner breiten Weitschweifigkeit wie unheilschwangere Blitze durch. Obwohl wir es immer noch nicht bereuten, uns den einigermaßen gefährlichen Schroffheiten dieser Hinterwäldler-Charaktere anvertraut zu haben, so wollte uns doch allmählich bedünken, daß weniger Entgegenkommen unsererseits gar nicht überflüssig gewesen wäre. Ohne jedoch weiteres Mißvergnügen blicken zu lassen, gaben wir unsere Willfährigkeit zu erkennen, die Geschichte Asas anzuhören.
   »Habt ihr nie den Mississippisprung gemacht?« fragte uns der Alte.
   »Was verstehen Sie darunter?«
   »So eine Fahrt tausend Meilen von der Mündung des Ohio herab bis zum Red River.«
   »Wir sind nur von New Orleans heraufgefahren.«
   »Das ist nichts!« meinte Nathan. »Der Strom ist da nicht den zehnten Teil so gefährlich wie oberhalb Natchez. Ist auch zu tief, um euch Sandbänke, Snakes und Sawyers und Planters, und wie diese Teufel von Baumstämmen, die im Flußschlamm stecken, alle heißen, bei jedem Wurf unter die Beine zu bringen.«
   Nathan machte eine minutenlange Pause, und dann begann er seine Erzählung vom blutigen Blockhaus.



   Das blutige Blockhaus


   1

   Oberhalb Natchez, versteht ihr, ehe der Atchafalaya und Lafourche und Plaquemine und der Bayou Sarah und zwanzig andere Bayous den Mississippi abzapfen, und ehe dieser sich während der Flutzeit so gegen 25 Meilen zu beiden Seiten ausbreitet, daß ihr keinen Fußbreit Land seht, höchstens Bäume, und wo diese nicht zu schauen, kalkulieren müßt, wo der eigentliche Strom laufe, dort oberhalb Natchez müßt ihr auf einem Flachboot vier oder sechs Wochen auf diesem schmutzigsten, süßesten, allmächtigsten aller Gewässer gefahren sein, um zu wissen, was der Mississippisprung ist!
   Ihr müßt euch jede Stunde Sawyers, Planters, Snakes, Treibholzinseln, und wie die Satanasse alle heißen, zwischen die Beine gerannt haben oder an ihnen vorbeigeschossen sein wie ein Trotter, der zwanzig Knoten in einer Stunde geht, an einem Meilenstein, und jeder dieser verdammten Meilensteine droht euch hundert Fuß tief in dem gewaltigen Wasserstrudel zu begraben! Dann mag ich erschossen sein, wenn ihr nicht froh seid, einmal in ruhiges Fahrwasser, sage den Arkansas oder den Red River, einzulaufen.
   Wohl, kamen endlich in ruhiges Fahrwasser. Wollten anfangs in den Arkansas, trieb uns aber ab, und mußten noch Gott danken, daß wir ein paar hundert Meilen abwärts zur Mündung des Red River gelangten.
   War hohe Zeit, der Mississippi war euch so voll, aber begann doch bereits ein weniges zu sinken. Waren in unserer Arche an der Mündung des Red River angekommen, und war diese Arche so baufällig und leck geworden, zog Wasser wie ein Schlauch. War kein trockener Fleck in der ganzen Arche, und standen wir Männer und die Weiber bis an die Knie im Wasser, und schrien die Kinder und die paar Ferkel, die wir mithatten. War ein jämmerliches Leben, zum Gotterbarmen.
   War wohl, wie gesagt, hohe Zeit, uns um festes Land umzusehen. War aber meilenweit kein festes Land zu sehen, und in unserm Boot durften wir uns nicht mehr in die Mitte des Stromes wagen, hätte es zerrissen, hab‘ ich die Notion. So hielten wir uns deshalb dicht oberhalb der Mündung des Red River in den Mississippi. Hatten sich da ein paar hundert Baumstämme zusammengetürmt und geschichtet, da hielten wir.
   Hielten also an, obwohl es ein unsicherer Hafen war. Denn die Baumstämme, so allmächtig lang und dick sie auch waren, schaukelten doch so widerwärtig wie alte Weiber in ihren Schaukelstühlen.
   War aber keine andere Hilfe, und schrie Asa:
   »Holla, Nathan! Das ist der Platz, hab‘ ich die Notion! Die Flut sinkt, und wollen uns da erquicken und das Fallen des Stromes abwarten und uns trocknen, denn sonst verfault uns alles am Leib und in den Kisten. Und seid hurtig mit den Kisten und Truhen und Sachen, sie müssen heraus, je eher desto besser!«
   So schrie Asa, und ihr hättet nur sehen sollen! Auf Meilen herum alles Wasser, und wir warfen Kisten und Truhen und Sachen auf die schaukelnde Inselbank hinaus. Waren durch die Strömung zusammengetragene und geflutete und geschichtete Stämme, auf die wir zutrieben. Und wenn wir auf einen Stamm traten, rollte er mit uns weg, und ein zweiter tat es nicht besser, und war unter die tausend Stämme eine wahre Verwirrung gekommen.
   Und war Asa zuerst ausgesprungen und über die Stämme hin. Auf einmal schrie er:
   »Holla, Nathan! Gut Glück! Sage dir gut Glück! Sind nicht allein hier, haben auch andere Gäste hier! Bringt die Sachen und Kisten an Land! Die Weiber werden trocknen, wir wollen auf die Jagd!«
   »Asa, du träumst!« sagte ich. »Willst auf die Jagd? Doch nicht auf die Alligatorenjagd?«
   »Keine Alligatoren, Nathan!« rief Asa herüber. »Squatters, so gut du sie je auf dem Ohio sahst! Squatters, die besten Squatters, die du je gesehen!«
   Und wie wir das hörten, sprangen wir, um die Squatters zu sehen, und sahen sie und fingen ihrer wohl an die fünfhundert in weniger als einer Stunde, denn waren so zahm die armen Tiere, ließen sich wie junge Katzen fangen. Waren aber Eichhörnchen, wie sie zur Zeit der Bucheckern und Hickorynüsse oft zu Abertausenden den Ohio durchschwimmen, bis sie erschöpft am andern Ufer anlangen, waren Eichhörnchen diese Squatters, die sich vor den Fluten auf die Baumstämme gerettet hatten. Und waren so sehr abgemagert, daß es eine ziemliche Anzahl brauchte, um ein Mittagsmahl für zehn hungrige Magen zu liefern. Waren aber doch eine wahre Gottesgabe, obwohl wir viele Mühe hatten, unsern Herd da aufzuschlagen.
   War überhaupt unser Hafen auf dieser verdammten Holzinsel einer, um den wir keinen Fiedelbogen gegeben hätten, wäre nur ein Quadratschuh trockenen Landes zu haben gewesen. Konnten nicht liegen, nicht stehen, nicht sitzen, von wegen des ewigen Herumbimmelns der Stämme in der Bucht. Kletterten wir auf einen obenan liegenden Burschen hinauf, so war zwei gegen eines zu wetten, daß sein Untermann nachgab und wir mit ihm ins Wasser kollerten.
   Das Ersaufen brauchten wir nun zwar nicht zu befürchten, denn es gab Alligatoren um uns herum, denen wir es an den Augen ansahen, daß sie uns nicht bis auf den Grund kommen lassen würden. Hatten so nur auf uns achtzugeben, daß wir nicht ins Wasser plumpsten, hatten die Squatters abzuziehen und zu kochen und unsere Weiber zu halten, daß sie nicht beim Kochen ins Wasser rutschten, und hatten die Alligatoren abzuwehren, die wie Katzen um uns herumlagen und -schossen. Hatten alle Hände voll zu tun, hielten aber doch an vier Stunden aus.
   »Hilft nichts!« schrie endlich Asa giftig. »Wir müssen von dieser verdammten Holzinsel weg, irgendwohin, wo unsere Schuhsohlen auf festem Land stehen, und wäre der Fleck nicht größer als ein Schubkarrenrad! Müssen fort, sonst erwachen wir morgen im Magen irgendeines Alligators! Sind gar zu hungrig, die schäbigen Kerle!«
   Das war ein Fakt, und ließ sich nichts dagegen einwenden. Aber wie mit unserm lecken, halb geborstenen Flachboot, das zur Hälfte voll Wasser war, in den Strom hineinfahren? Hätte das Flachboot wie ein Spinngewebe zerrissen.
   Asa wußte jedoch Rat. Hatte einen schmalen Kanal mitten durch die Holzinsel entdeckt, und dahin steuerten wir nun unseren Kurs. Freilich hatten wir mit unseren Stangen erst an fünfzig Stämme auf die Seite zu schaffen und zu arbeiten ärger als Neger. Hatten auch trotz dieser hündischen Arbeit nicht viel ausgerichtet, kaum eine halbe Meile zurückgelegt, als die Sonne unterging und stockfinstere Nacht hereinbrach. Aber eines hatten wir gewonnen, waren im Red River, der im Vergleich mit dem Mississippi ein ganz liebes Wässerlein ist, obwohl es der Teufel trinken mag.
   Zündeten unsere Laterne an und hißten sie an einer Stange auf. Ruderten und schwitzten uns noch an die fünf Meilen hinauf, bis wir endlich Land mit unseren Widerhaken fühlen und greifen konnten. Da sprangen wir aus dem Boot heraus, warfen Sachen und Kisten und Truhen nach.
   Unsere Männer sammelten dürres Holz zum Feuer, um die Moskitos, Alligatoren, Wölfe, Bären und derlei Gezücht in gehörigem Abstand zu halten. Asa riß mit den Widerhaken eine Last Tillandsea-Moos von den Bäumen, und in einer halben Stunde schliefen wir alle wie Ratten. Schliefen euch – in meinem Leben hatte ich noch nicht so gut geschlafen!
   Und den folgenden Tag trockneten unsere Weiber ihre Wäsche und Sachen, und wir schöpften das Boot aus und zogen es ans Land und kalfaterten es wieder zusammen, so gut es ging. Als wir fertig mit allem – nahm uns drei Tage —, gingen wir wieder aufs Wasser.
   Und fuhren den Red River hinauf, bis wo rechts der Black River einmündet. Da angekommen, fuhren wir noch eine Strecke aufwärts und dann in ein Bayou ein und in südlicher Richtung hinab. Das Bayou war ziemlich lang und wir ziemlich müde und auch hungrig. Denn unsere Mehlfässer ließen die Böden schauen, und unsere Schinken waren gar, und ein paar Dutzend Fische mit noch einem Kübel Welschkorn das einzige, das wir noch aufgestapelt. Hatten aber noch sieben Gallonen 1 Gallon = 3,785 Liter Magentrost, echten Monongehala, und er hielt uns Herzen und Nieren warm. Wohl, fanden endlich einen Fleck, wo wir landen konnten. War fester Boden, obwohl noch Zypressensumpf. Waren aber an Sümpfe gewöhnt, und für Hinterwäldler ist derlei Zypressensumpf gar kein übles Ding. Habt immer ein weiches Bett, trefft immer auf Tillandsea, das euch die Matratzen erspart.
   Wohl, schafften also unsere Sachen und alles ans Land und stoppelten uns etwas weiter vom Sumpf eine Laubhütte zusammen, in die wir unsere Weiber einquartierten. Flechtenmoos, wie gesagt, gab es in Fülle. Es war die zweite Nacht seit acht Wochen, daß wir und unsere Frauen ruhig schliefen.
   Den folgenden Tag machten wir uns zeitig auf die Beine. Waren zwei Dinge, die uns mächtig am Herzen lagen. Das erste war, Vorrat für unsere Mäuler zu schaffen. Das zweite, ein Stück Land zu finden, auf dem sich ein ehrbarer Squatter ruhig hinsetzen konnte ohne Furcht, von den Alligatoren zum Imbiß genommen oder vom Sheriff ein Haus weiter gewiesen zu werden. Waren müde des Herumziehens mit Weibern und Kindern, sahen auch, daß nichts dabei herauskommt. Ein rollender Stein, sagte der alte Benjamin Franklin, setzt kein Moos an. Wußten das, sahen auch, es war hohe Zeit – waren im August – unser Proviant ging zur Neige – mußten schauen, frischen Vorrat einzulegen.
   Nahmen also unsere Äxte und Rifles und teilten uns in zwei Trupps ab. Den einen führte Asa, den andern ich. Und gingen, er in westlicher Richtung, ich in südlicher. Zwei der Männer blieben bei den Weibern, denn wir trafen schier mehr Spuren von Panthern, als in unserem Virginia von Gäulen und Rindern, War, wie gesagt, in südlicher Richtung vorgedrungen. Wenn ich euch sage, vorgedrungen, so müßt ihr darunter keine Lustreise verstehen, sondern ein wahrhaftes faktisches Buscheindringen, durch Zypressensümpfe, in denen es mehr Snapping-Turtles gab als hier Moskitos, und Akazien und Bohnenbäume und Schlingpflanzen mit Dornen ohne Maß und Ziel – hätten euch ohne Messer und Axt in Fetzen zerrissen – und Kongo– und Mokassinschlangen! Legte sich euch bei jedem Schritt ein Dutzend statt der Schuhriemen um die Knöchel!
   Wohl! Drangen so tiefer und tiefer ein. Schossen auch zwei Bären, die wir ausweideten, und Righteous, mein Schwager, einer der Brüder Asas, schoß auch einen Welschhahn, den wir sogleich rupften und säuberten und spießten und brieten. Hatten ein paar Hände voll Welschkorn in der Jagdtasche und eine Kalebasse Magentrost, der uns trefflich zum Imbiß schmeckte.
   Und nachdem wir uns so an Leib und Seele erquickt, vergruben wir einen Teil unserer Bärenbeute. Die besten Stücke mit dem Fett lud Righteous auf die Schultern und ging zurück zu den Weibern. Ich aber drang weiter in die Wildnis ein. Hatte einen Kompaß mit und wollte mir durchaus das Land besehen und womöglich einen Fleck ausfindig machen, auf dem sich ein ehrbarer Squatter niederhocken und seine Rolle Virginia-Kautabak bauen könnte.
   Und wie ich so vordrang – war am vierten Tag – kam ich auf ein Hochland, oder wie wir es nennen, eine Rolling-Prärie, von der ich ringsherum einen Überblick hatte. Das Herz hüpfte mir vor Freude. War auch ein herrlicher Strich Landes, tüchtigen Landes, wie die Immergrüneichen im Hintergrund mir bewiesen und die Honeylocusts Honigakazien und Catalpas. Saht vor euch die Prärie, die wohl zehn Meilen vom westlichen Abhang gegen Norden hinauflief, rechterhand einen Wald von Cottonwoods und im Rücken wieder Wald. War dieser letztere Wald derselbe, den ihr vor den Augen habt. Alles hier war beisammen für hundert der schönsten Pflanzungen, die sich denken ließen, Tabak-, Baumwollen-, selbst Zuckerland und herrliches Wasser! Das Herz hüpfte mir vor Freude, mögt mir‘s glauben.
   Sprang schier wie ein Kind von zehn Jahren auf dieser Anhöhe umher und kalkulierte in meinen Gedanken, wo sich wohl am besten unsere Häuser hinsetzen ließen. Kalkulierte so den ganzen Tag in der Gegend umher, sah mir alles an und kam in meinem Kalkulieren auch auf diesen Erdaufwurf oder Wall oder indianischen Grabhügel.
   Sehe mir diesen Erdhügel an und überlege, wozu er wohl dienen könnte, und was die Leute wohl im Sinn hatten, als sie ihn so zusägten. Und wie ich so kalkuliere, fällt mir ein, daß die Rothäute da wohl eine ihrer Verschanzungen gehabt haben könnten, denn der Wald war auf sechzig Schritte herum ausgehauen, und daß wir ihn gleichfalls dazu gebrauchen könnten, wenn die Not es geböte.
   Und sehe mir die Gegend weiter an und komme zu dem Sumpf und kalkuliere, daß der Sumpf, so arg ich Sümpfe sonst im Magen habe, ein glorioser Sumpf sei, und daß die Kreolen und Frenchers das Wasser nicht lieben. Und wie ich so kalkuliere, kommt mir ein tüchtiger Hirschbock in die Quere, der in der Zeit von zehn Sekunden kein Hirschbock mehr war.
   Hielt das für ein gutes Zeichen, daß mir der Hirschbock gerade so in den Wurf kam. Hatte diesen Tag meine Mahlzeit ehrlich verdient und machte mich über den Hirsch her, zog ihm die Haut über den Rücken und zerlegte ihn und briet mir ein Stück, das mir für ein paar Tage dauern sollte. Dann legte ich mich nieder.
   Und kehrte den folgenden Tag zurück, nachdem ich den Rest des Hirsches in Reisig gewickelt und aufgehängt hatte, so daß die Turkey-Buzzards ihm nichts anhaben konnten. Schoß auf dem Rückweg noch einen Bären, von dem ich den besten Teil mitnahm und das übrige vergrub, und kam nach sechs Tagen glücklich wieder am Bayou an.
   Und sagte zu Asa:
   »Asa, hab‘s ... hab‘s gefunden, was wir suchen! Hab‘ die Notion, in den ganzen alten Staaten gibt‘s kein so prächtiges Stück Land, wie ich dir in vier Tagen zeigen kann.«
   »Hab‘ auch was gesehen«, sagte Asa, »will mir aber nicht recht gefallen, was ich gesehen. Kiefernwald mit leichtem Sandboden und Prärien mit schwarzem Lehmboden, auch Palmettofelder, aber kein Holz darauf, um eine Welschkornkrippe zu bauen.«
   »Hab‘ gefunden, was wir brauchen, Mann!« rief ich. »Alles gefunden, was wir brauchen, und mehr als wir brauchen und unsere Kindeskinder dazu.«
   »Aber ist das Land auch frei? Hast du auch geschaut? Keine Einschnitte in den Bäumen, kein Axtschlag?«
   »Kein Einschnitt, kein Axtschlag zu sehen, so weit dich die Füße tragen! Ein Indian Mound, um den herum Gestrüpp, das ist alles. Muß, hab‘ die Notion, seit sechzig Jahren kein zweibeiniges Menschenkind den Fuß dahingesetzt haben.«
   »Aber die Kreolen?« fragte Asa. »Weißt du auch, ob nicht die Kreolen ...? Vielleicht ist es Waldland, das einem Kreolen gehört?«
   »Ist ein Sumpf da, und den haben die Kreolen nicht überschritten. Komm, Asa, sollst sehen, weißt, bin nicht blind in solchen Fällen. Ein gottlos prächtiger Sumpf, über den sich kein Kreole wagt!«
   »Weiß, daß du einen Walnußboden von Kastanienland zu unterscheiden verstehst«, erwiderte Asa. »Können ebensogut unsere Hütte ein Haus weiter aufschlagen. Bären und Hirsche gäbe es zwar hier genug, haben bereits sieben Bären geschossen und ein halbes Dutzend Hirsche, und unsere Weiber wohl einhundert Pfund und darüber Bärenfett ausgekocht. Schau sie an, sehen aus wie Matrosen beim Tranauskochen in der Südsee!«
   Und gingen nun zu den Weibern, die euch so aussahen, wie Asa sagte. Erzählte ihnen, was ich gesehen, und wie wir uns auf dem Lande niederlassen müßten. Und die Weiber überlegten nach ihrer Weise und wir auch. Und beschlossen wir, den folgenden Tag schon den Anfang zur Übersiedlung zu machen.
   Asa und Righteous und zwei von den Weibern zogen mit mir in den Busch ab. Luden auf, was unsere Rücken tragen konnten, und kamen nach acht Tagen glücklich auf dem gelobten Land an. War aber ein Zug, hab‘ die Notion, die Israeliten haben in den vierzig Jahren ihres Wüstenlebens nicht so viel ausgestanden und gearbeitet wie wir in den acht Tagen.
   Aber als Asa endlich das Land sah und herabschaute von der ersten rollenden Anhöhe und dann sich in die Prärie wandte und den herrlichen Baumbestand schaute, da jubelte er euch doch. War sonst kein gerade zum Jubel aufgelegter Mann, der Asa.
   Aber jubelte und schrie:
   »Nathan, das vergelte dir Gott! Du bist ein rechtes Sonntagskind! Hier wollen wir leben und sterben! Hab‘ in meinem Leben kein so herrliches Land gesehen!«
   Und nahmen wir sonach unsere fünf Sinne zusammen und kalkulierten, wo sich wohl unsere Häuser am besten hinsetzen ließen. Und begannen Bäume zu fällen und Anstalten zu machen, ein Blockhaus zu bauen. Ich aber ging zurück, um die übrigen nachzubringen.
   Wohl, Mann, brauchten zu dieser Übersiedlung volle drei Wochen. Und nahm drei Wochen mehr, ehe wir uns in unserem Blockhaus ruhig niederlegen konnten, ohne befürchten zu müssen, daß ein Rudel Wölfe oder eine Brut Panther uns ihre Besuche abstatteten. Aber nach diesen sechs Wochen waren wir fix und fertig.
   War wohl kein Scherz, versichere euch, bei Jingo! Mußten Brücken und Flöße bauen, um unsere Sachen und Kisten und Weiber über die Bayous und Sümpfe zu bringen, und Wege öffnen durch Dickicht, Wälder und Schlingpflanzen! Kamen aber mit der Hilfe unserer Äxte doch zuletzt dahin, wo wir wollten.


   2

   Jetzt waren wir unter Dach und Fach, zwar nur in einem Hause, aber zu zwei anderen waren die Bäume auch bereits gefällt. Das Aufblocken war uns bloßes Kinderspiel, hatten sie in einer Woche beide aufgehißt, Schindeldächer darüber. Freilich hatten unsere Häuser weder Türen noch Fenster. Vor die viereckigen Öffnungen, in die sie mit der Zeit hineinkommen sollten, wurden einstweilen Wolldecken gehangen, aber reichere Leute als wir mußten sich oft knapper behelfen.
   Waren mittlerweile tief in den Oktober hineingeraten. Wunderschöne Zeit in diesem unserm Land eben der Oktober und November mit seinem indianischen Sommer! Aber dauert doch nicht ewig der indianische Sommer, und handelte es sich darum, für zehn Mäuler den Winter hindurch etwas zum Zubeißen zu erlangen. Waren, wie gesagt, in der zweiten Hälfte des Oktobers, an eine Ernte war nicht mehr zu denken, wenn wir auch Saatkorn gehabt hätten. Niederlassung keine, auf hundert Meilen rings umher, und wenn auch eine gewesen wäre, so mangelte uns der Silberstoff.
   »Was läßt sich tun, Nathan?« fragte mich Asa.
   »Holla, Asa!« sagte Rachel, meine Schwester. »Fragst, was sich da tun läßt, wenn die Bären herumlaufen wie die Schafe im Kentucky-Territory Kentucky wurde 1792 als Staat in die Union aufgenommen und mehr Hirschböcke zu sehen sind als Opossums im Kentucky-Territory? Pfui, schäm dich!«
   »Aber, Rachel«, sagte Asa, »du weißt, der Boden deiner beiden Mehlfässer ist schon seit Wochen so anschaulich, und wir können doch nicht immer Hirsche und Bären essen!«
   »Aber es gibt Leute, die euch für einen Hirsch gern ein oder zwei Fässer Mehl verhandelten, und für ein Dutzend Töpfe mit Bärenfett ein paar Barrels Barrel in Louisiana = 90,7 kg Welschkorn. Weißt du das nicht, und nicht, wo diese Leute zu finden?«
   »Du hast recht, Rachel!« sagte ich. »Wir ziehen auf die Jagd, Asa, und schießen noch ein halbes Dutzend Hirsche. Denn Bären und Hirsche gibt es allmächtig viel, mehr als im ganzen alten Virginia und im Territory Kentucky.«
   Und gingen auf die Jagd, schossen den ersten Tag zwei Bären und drei Hirsche, weideten sie aus und trugen sie heim. Und unsere Weiber kochten und brieten das Bärenfett aus und trockneten Schinken. Und wir schossen weiter, bis wir ein volles Dutzend Bären und ein paar Dutzend Hirsche erlegt hatten, und als wir so weit gekommen, hielten wir ein. Denn die Gabe Gottes muß geschont werden.
   Und während unsere Weiber kochten und brieten und Hirschziemer und Häute und Schinken trockneten, machten wir uns mit unseren Äxten hinüber aufs Bayou und zogen unsere alte Arche ans Land und kalfaterten sie wasserdicht. Als wir fertig, beluden wir sie mit den Hirschkeulen, Schinken, Bärenfett und Häuten und nahmen Abschied von den Weibern. Nur Righteous blieb zurück, wir fünf machten uns auf den Weg.
   Fuhren das Bayou hinauf in den Red River ein, dann den Mississippi hinab, der wieder vernünftig geworden war. Und war, hab‘ ich die Notion, hohe Zeit für uns, denn auch das Whiskyfaß begann hohl zu klingen. War die letzten Wochen unsere Ration pro Mann kaum mehr als ein Gill 0,14 Liter gewesen, und wo der Magentrost fehlt, da regen sich die Hände nicht gern. Und verlangte uns sehr, wieder einmal einen erquicklichen Schluck dieses Magentrostes zu nehmen.
   Ruderten als frisch darauflos in den Mississippi ein und hielten nirgends an, bis wir an die Levee von New Orleans kamen, wo sie uns nach unseren Papieren fragten. Sagten aber, wir kämen vom Ohio, aus dem Territory Kentucky. Was auch wahr war, denn wir kamen daher. Wäre aber gar nicht gekommen, wenn der Sheriff uns nicht ein Haus weiter gewiesen. Was uns giftig verdrossen, und weshalb wir auf den Mississippi gegangen und nach Louisiana herabgekommen. Was wir aber, wie ihr leicht ermessen könnt, in New Orleans wohlweislich für uns behielten.
   Asa wußte in der Stadt zum Glück Bescheid und schob dem glatzköpfigen Hafenaufseher ein paar Dutzend Bärentatzen in die Hand. Dieser drückte ein Auge zu, und wir verkauften an dreihundert Pfund Bärenfett, das Pfund zu einem halben Dollar, und die Hirschziemer und Rücken und die Felle so gut, als wir sie anbringen konnten. Und schier an dreihundert Dollar in der Tasche zogen wir den Baton Rouge hinauf. Unser Boot verhandelten wir für zwei Dollar.
   In Baton Rouge riefen wir ein Flachboot an, das mit Mehl, Whisky und anderen Sachen den Mississippi herab kam, und dieses sagte uns, ein Kielboot käme nach, mit dem wir einen Bargain – einen vorteilhaften Handel – machen könnten.
   Und kam das Kielboot richtig hinterdrein. Erhandelten uns ein Dutzend Welschkorn– und ein halbes Dutzend Mehl– und Whiskyfässer mit allerhand anderen Dingen und kauften dazu das Kielboot, das seine übrige Ladung auf das Flachboot überlud. Waren unsere Landsleute, denen wir sagten, sie sollten die Unsrigen am Salt River Fluß in Kentucky grüßen. Und sprangen in das Kielboot, gerade als die spanischen Zollbeamten herbeikamen, und ehe sie ihre Worte an den Mann gebracht, waren wir in der Mitte des Stromes und dem Gesindel aus den Augen.
   Hatten aber höllische Arbeit, das Kielboot den Strom hinauf und in den Red River hineinzubringen. Sage euch, höllische Arbeit, kamen aber endlich doch hinein und fuhren hinauf, bis wo der Black River sein laugenfarbiges Wasser in den kaffeebraunen Red River eingießt. Und fuhren in das Bayou ein, und Asa, James und Bill nahmen die erste Ladung und machten sich auf den Weg, und Jonas und ich blieben als Wache zurück.
   Und hatten volle vierzehn Tage zu tun, bis wir die Fässer und Sachen und alles an Ort und Stelle gebracht hatten. Das Kielboot schleppten wir ans Land, kehrten es um, bedeckten es mit Reisig, um es für künftige Fälle wieder zu haben.
   Könntet fragen, warum wir uns nicht den größten Teil der Mühe erspart und die Lebensmittel von Natchitoches Stadt im nordwestlichen Louisiana, am Red River aufwärts herab bezogen haben. Sage euch, würdet nicht viele Dollars für eine ganze Wagenladung Bärenfett in Natchitoches bekommen! Hieße das Porter nach England einführen oder Claret nach Frankreich. Haben da selber Bären die Menge. Und dann war es uns auch nicht darum zu tun, den französischen und spanischen Spürhunden auf die Nasen zu binden, daß wir uns in ihrer Nähe niedergehockt und ihnen ihre eigenen Bären und Hirsche zu Markte brächten.
   Seid klug wie die Schlangen, ist ein nicht zu verachtender Rat, sage ich euch, Mann! Obwohl ich eben nicht viel von der Schlangenklugheit halte. Ei, Hundsklugheit, das ist etwas anderes ... aber wollen weiter!
   Waren also für den Winter versorgt und wohnten zu zwei Familien in einem Hause. Hätten gern noch die drei Blockhäuser aufgerichtet, so daß jede Familie ihren eigenen Verschluß gehabt. Lieben wir Amerikaner unsern eigenen Verschluß, wißt unser Sprichwort: unser Haus ist unser Schloß! Mußten aber an das Lichten und Urbarmachen der Felder denken, und das war keine Kleinigkeit. Denn wir hatten auch nicht einen einzigen Pferdehuf, zwei Pflüge wohl und Zubehör, aber die Pferde fehlten.
   Wohl, lichteten die Felder, und Asa und ich nahmen unsere Rifles und wollten im Lande umherspähen, ob wir nicht ein paar Gäule und auch Kühe auftreiben könnten. Denn ohne Gäule, das sahen wir wohl, ließ sich nichts machen. Kühe waren uns drei Stück vonnöten, und hatten noch fünfzig Dollar von den dreihundert, die wir in New Orleans gelöst. Und zogen wohl an die fünfzig Meilen im Umkreis herum, trafen aber auf keine Pflanzung, wie wir sie wollten, und kehrten zurück, hatten aber ein paar Bären und Hirsche geschossen.
   Und richteten unsere Felder zurecht, bis auf das Umpflügen. Rodeten nämlich die kleineren Bäume mit dem Unterholz aus und ringelten die größeren, indem wir mit der Axt einen zwei bis drei Zoll tiefen Ring einhauten. Sterben dann ab, diese Bäume, worauf der Samen zwischen die Stämme gesät wird. Richteten so zehn Acker Wald zum Welschkorn zu und sechs zum Tabakbau, alles fix und fertig bis auf das Pflügen. Und fingen bereits unsere Weiber und Männer an, den Boden zu hacken, was unter allen Arbeiten eine ist, die wir Hinterwäldler am wenigsten vertragen. Stumpft euch Leib und Geist gleich ab, wenn ihr so Tag für Tag nichts als Schollen aufhackt. Konnte es nie leiden, ist auch nur für Neger und weiße Sklaven.
   Hatten so ein paar Acker gehackt und ein Stück wahre Negerarbeit vollbracht, und waren gerade wieder im Feld, als wir auf einmal Pferdegetrampel hören. Vier Reiter kommen die Prärie herangesprengt. Wie sie uns ersehen, halten sie nicht wenig verwundert an und parlieren miteinander. Hatten auch ein paar tüchtige Wolfs– und Hühnerhunde mit.
   Und sagte Asa: »Das wäre jetzt eine herrliche Gelegenheit, ein paar Gäule zu erhandeln, und will schauen, ob sich nicht ein Geschäft machen läßt.«
   Und trat Asa an sie heran und grüßte sie – denn Asa hatte im Revolutionskrieg unter Lafayette Der französische Marquis de Lafayette (1757 – 1834) kämpfte 1777/81 als General in Amerika gedient – und fragte sie, ob sie nicht absteigen und einkehren wollten.
   Und wie Asa so fragte, nahmen wir unsere Rifles, die wir an die Baumstämme angelehnt hatten, zur Hand. Denn ihr wißt, Hinterwäldler dürfen ihre Rifles nie weit von sich haben, sind ihre getreuesten Freunde, ihre Rifles, nebst einer guten Hand und einem scharfen Auge.
   Und wie die Kreolen unsere Rifles sahen, gaben sie ihren Pferden die Sporen, waren so erschreckt!
   »Fürchtet nichts!« sagte Asa. »Seid unter friedlichen Leuten! Haben die Rifles zur Hand gegen Bären, Wölfe und Rothäute, aber nicht gegen Christenmenschen.«
   Beruhigten sie diese Worte augenscheinlich, und sie galoppierten wieder näher an uns heran. Wir setzten unsere Rifles nieder, und sie stiegen ab und traten in Asas Haus.
   Und sahen sich zuerst um, nicht wenig verwundert, wie es schien, Asa setzte ihnen eine Flasche mit trefflichem Monongehala auf, und als sie diesen versucht, wurde ihnen auf einmal das Herz leicht.
   Und Rachel briet einen Hirschziemer und wohl auch zwei, und wir luden die Jäger zum Essen, was sie auch annahmen. Und während des Essens fragte sie Asa, ob sie nicht Lust hätten, ein paar ihrer Gäule für blanke spanische Dollar auszutauschen.
   Bei der Erwähnung der spanischen Dollar leuchteten ihre Augen vor Freude. Denn Geld war damals und ist noch ein seltener Artikel im Lande. Sie fragten, wie viele Dollar Asa wohl für einen Gaul gäbe.
   »Für den Braunen, den Sie reiten«, sagte Asa zu dem Vordermann, »zwanzig Dollar, für den Braunen mit dem weißen Fuß fünfzehn.«
   Und parlierten die Franzosen ihr Kauderwelsch und sagten endlich, Asa solle die beiden Gäule für vierzig Dollar haben.
   »Fünfunddreißig!« sagte Asa. »Keinen Picaillon mehr!«
   »Also fünfunddreißig!« sagten die Spanier oder Franzosen, was sie waren, hab‘ aber die Notion, sie waren beides, denn sie parlierten in beiden Sprachen.
   Sie wollten das Geld aufgezählt haben, ehe sie die Gäule gäben, was wir aber wieder nicht wollten.
   »Müssen zuerst die Gäule haben!« sagten wir und gingen hinaus.
   Draußen wollte der erste den Braunen nicht geben, was uns böse machte. Endlich, als sie Ernst sahen, nahmen sie das Geld. Wir sahen aber, daß sie nicht die Leute waren, mit denen ein anständiger Mann gern einen Handel schließt.
   Sie gingen wieder zurück mit uns in die Stube, um den Kauf, wie sie sagten, durch eine Buddel Tafia zu besiegeln. Tranken eine Buddel, und mehrere folgten nach, bis sie schier nicht mehr stehen konnten. Gaben uns mit lallenden Zungen nun zu verstehen, wie sie es eben nicht sonderlich gerne sähen, daß wir uns hier eingenistet.
   Es würden der Jäger zu viele.
   Sagten ihnen, gäbe der Jäger nimmer zu viele. Die Bären, Wölfe und Panther und Hirsche obendrein, je eher sie verschwänden, desto besser sei es für das Land. Sei nicht zu Jagdgründen geschaffen das Land, sondern um Baumwolle, Zucker und Welschkorn zu geben. Das sei das Wahre.
   Murmelten aber untereinander etwas in ihrem französisch-spanischen Kauderwelsch und brummten, als sie zu zweien auf einem Gaul abtrollten, sie würden uns bald wiedersehen.
   »Hört, Männer!« sagte Asa, der ihnen kopfschüttelnd nachsah. »Das sind sogenannte Kreolen, das heißt ein Drittel Spanier, ein Drittel Franzosen und der Rest Indianerblut. Haben alle die Tücken der drei Nationen. Gebt acht, sie bringen uns eine Teufelei hinterdrein.«
   »Aber was sollten sie uns für eine Teufelei bringen?« fragte Rachel.
   »Das weiß ich noch nicht. Doch so gewiß es Sheriffs gibt in den Staaten, so gibt es auch hier solche Landplagen, obwohl sie andere Namen haben mögen.«
   »Aber wenn nun unser Land keinem zu eigen ist, und wir zuerst unsere Hütte darauf aufgeschlagen?«
   »So gehört es von Rechts wegen uns«, sagte Asa. »Aber mir munkelt etwas. Gib acht, die bringen nichts Gutes!«
   »Wohl!« sagte ich. »Und bringen sie nichts Gutes, so holen sie sich auch nichts Gutes. Können auch böse sein, wir, sage ich, Asa! Giftig wie Kongoschlangen! Fürchte mich nicht vor zehn solcher Kreolen. Hab‘ es wohl gesehen und mit meinen eigenen Ohren gehört, daß sie schäbige Kerle sind, die ihr Wort so wenig in Ehren halten wie unsere Neger oben in Kentucky. Haben aber nun die Gäule und können unsere Felder staatsmäßig herrichten!«
   »Das können wir!« sagte Asa. »Wollen auch sogleich daran! Sind aber noch jung, die Gäule, und hab‘ die Notion, sind auch noch halb wild und nicht lange von ihren Prärien eingefangen.«
   Und das war wirklich der Fall. Hatten vorerst die beiden Gäule ein paar Tage einzuspannen und einzujochen, ehe sie eine gerade Furche ziehen lernten. Ging aber dann um so rascher. Wir hatten wohl an fünfzehn Acker zur Welschkornsaat vorbereitet und an zehn für Virginiakraut und waren daran, noch ein paar hundert Cottonwoods zu ringeln und das Unterholz und die Dornen und Schlingpflanzen auszuroden, um noch einiges Welschkorn und Virginiakraut anzubauen, als wir in diesem Vorhaben ein wenig irregemacht wurden.
   Hatte Asa richtig gemunkelt, und war das kreolische Gewürm uns eher wieder auf dem Nacken, als wir es erwartet. Waren gerade im Busch beschäftigt, ein Stück von etwa zehn Acres abzumessen und mit der Axt in Bekanntschaft zu bringen, als Jonas gesprungen kam.
   »Männer, hört ihr nichts? Die Rothäute!«
   »Die Rothäute?« fragten wir. »Was Teufel wollen die, doch nicht unsere Skalpe? Wollen sie die, dann müssen sie zeitig aufstehen!«
   Nahmen unsere Rifles zur Hand, die wir an den Baumstämmen lehnen hatten. Denn Hinterwäldler dürfen diese ihre Freunde nie weit von sich haben. Sind wie ihre Weiber, die Rifles, die sie immer zur Seite haben müssen bei Tag und bei Nacht. Nehmen also sofort unsere Rifles zur Hand und stiegen den Kamm hinauf, auf dem weiter zurück unsere Häuser standen. Hörten auch richtig und sahen bald darauf die Bande, die aus vierzehn oder fünfzehn Reitern bestand und mit lauten Hussas und Hurras auf unsere Niederlassung ansprengte.
   »Nathan!« sagte Asa. »Das sind keine Rothäute! Hab‘ die Notion, es sind die verdammten Kreolen, die mit ihrem Schweif ankommen. Scheinen mir wahres Gesindel zu sein, treiben es, als wenn sie betrunken wären.«
   Und trieben es so, schier ärger. Hussaten und hurraten wie Kobolde. Sprengten heran, und als sie noch fünfzig Schritte von uns waren, trat Asa vor.
   Und war einer sogleich bei der Hand und schrie:
   »Da ist er, der Pferdedieb, der Betrüger, der mich um meinen Braunen gebracht!«
   Asa gab keine Antwort auf solch grobe Rede, sondern schaute sie an und wartete, bis sie näher kämen.
   Und kamen näher, und fragte einer aus ihnen:
   »Wer ist hier der Vorgesetzte?«
   Und schüttelte Asa den Kopf und erwiderte:
   »Hier ist kein Vorgesetzter. Hier sind Mitbürger, und die sind alle gleich.«
   »Ihr habt diesem Gentleman, Monsieur Groupier, sein Pferd gestohlen und müßt es herausgeben!«
   »Ist das alles?« fragte Asa.
   »Nicht alles!« sagte der Mann. »Dann müßt ihr euch ausweisen, wer euch die Befugnis gegeben, hier auf diesem Land zu jagen!«
   »Wahrscheinlich derselbe, der sie euch gegeben hat!« sagte Asa zu dem Mann, der sich recht patzig anstellte.
   Waren die Kreolen über diese Antwort schier verwundert, und schrien einige: »Wir haben unser Jagdrecht und unsere Schenkungen von Seiner Exzellenz dem Gouverneur!«
   Andere riefen: »Und wir von Seiner Majestät dem großen König von Frankreich und Navarra!«
   »Und wir wollen nicht, daß Fremde uns hier beeinträchtigen in unserm Jagdrevier!« schrien alle. »Die Bären werden immer seltener, und auch die Jaguare und Hirsche! Die Büffel haben sich ganz verzogen!«
   Und sprangen die Kreolen auf ihren Pferden herum, als wenn sie besessen wären.
   Sprach Asa: »Je eher die Bären und Wölfe und Jaguare weggeschafft werden, desto besser für das Land. Ist nicht für Bären und Wölfe das Land, sondern für Menschen!«
   Und sagten die Kreolen, wir hätten kein Recht hier zu jagen und sollten uns wegpacken.
   Und fragte sie Asa, welche Autorität sie hätten, ihn wegzuweisen.
   Und stutzten sie darüber und murmelten untereinander. Und sah Asa wohl, daß sie keine Autorität hätten, auch keine Amtspersonen wären, sondern nur zusammengelaufene Nachbarn, die ohne Autorität kämen und uns ins Bockshorn zu jagen kalkulierten.
   Und fragten sie wieder, ob wir eine Befugnis hätten, uns hier niederzulassen, Wohngebäude aufzurichten und Felder zu bestellen.
   Sagte ihnen Asa, sie sollten sich deshalb kein graues Haar wachsen lassen. Er habe sich hier mit seinen Mitbürgern niedergelassen und werde auch dafür sorgen, daß die Befugnis nicht fehle.
   Das sagten sie, sie wollten es dem Kommandanten von Natchitoches und dem Syndikus und weiß der Himmel wem anzeigen, daß wir uns unberufen hier niedergelassen hätten, und möchten wir dann nur zuschauen.
   Erklärte ihnen Asa, sie möchten gehen und es seinethalben dem Teufel anzeigen, sollten es aber bald tun. Denn wenn sie ihn toll machten, so wolle er ihnen heimleuchten, daß sie ans Wiederkommen nicht mehr denken würden.
   Und schrie der Kreole, dessen Name Groupier war, er müsse sein Pferd haben.
   Sagte Asa, er solle es haben, und beide, wenn er das Kaufgeld zurückgäbe, fünfunddreißig Dollar.
   Erwiderte der Kreole, es sei nicht so viel gewesen, bloß fünfzehn.
   Da rief Asa uns herüber, die wir an dreißig Schritte hinter den Cottonwoods gehalten hatten, und schritten wir, die Rifles im Arm, auf die Rotte zu. Waren sie, als sie uns schuß– und trutzfertig erblickten, ein wenig herabgestimmt und schauten einander an und zogen sich zurück.
   Asa aber sagte ganz gelassen – sprach ziemlich geläufig das Französische, hatte nämlich im Revolutionskrieg in der Division Lafayettes gestanden und später auch, als Rochambeau sich mit Washington vereinigte, gegen Cornwallis – Asa aber sagte ganz gelassen:
   »Gentlemen, ihr seid nicht artig gekommen. Sehe aber, ihr habt euch von diesem Mann da, der nicht besser ist als er sein sollte, etwas auf die Nase binden lassen. Hier stehen fünf meiner Mitbürger. Fragt sie alle, ob nicht die Gäule regelmäßig verkauft sind und das Geld, nämlich fünfunddreißig Dollar, zwanzig für den einen und fünfzehn für den anderen Gaul, wie es sich gehört und gebührt, ausbezahlt und alles in Ordnung geschehen ist!«
   »Larifari!« schrie der Kreole. »Larifari! Ihr sollt uns hier nicht unsere Jagd verderben und sollt hier nicht Häuser bauen! Ihr habt kein Recht dazu, und ich will es Seiner Exzellenz dem Gouverneur und dem Kommandanten von Natchitoches, überall will ich‘s anzeigen!«
   Und die Kreolen, die vernünftig und ruhig werden zu wollen schienen, währenddem Asa sprach, wurden euch wieder so rappelköpfisch, schrien und gestikulierten so erbärmlich, galoppierten vorwärts und rückwärts und schwenkten ihre Jagdflinten wie Indianer.
   Wir sollten uns aus dem Lande packen, schrien sie. Sie brauchten keine Amerikaner, könnten das Wild selber jagen, und fort sollten wir, sogleich... oder...
   Jetzt wurden aber auch wir wild. Sie sollten sich auf der Stelle fortscheren, schrie Asa. Seien keine Gentlemen, sondern Lumpenpack, das er sich mit der Peitsche vom Hals schaffen wolle. Sollten gehen und ihn nicht giftig machen, sonst würden sie es alle Tage ihres Lebens bereuen.
   Indem er so zornig wurde, warf Asa seine Rifle schußfertig vor, und wir auch.
   Als die Kreolen das sahen, gaben sie ihren Pferden die Sporen und galoppierten davon.
   Als sie aber aus dem Bereich unserer Kugeln an fünfhundert Schritte weit waren, erhoben sie euch doch ein solches kauderwelsches Geschrei, fünfzigtausend Gänse am Red River oder Mississippi sind Stumme dagegen, schossen auch mehrere ihrer rostigen Gewehre auf uns ab.
   Und lachten wir herzlich über diese Maulhelden, nur Asa lachte nicht.
   »Sagt‘ ich‘s nicht, daß die Kreolen uns eine Teufelei auf den Hals bringen würden?« rief er.
   »Teufelei?« fragte ich. »Nennst du das Teufelei, Asa?
   Solche Altweiberzungen! Sollten sich in die Seele hinein schämen, da herzukommen auf fremder Leute Land und ihr Kauderwelsch auszuleeren, daß unsere Weiber selbst sich schämen müssen! Und ruhige Bürger in ihrem eigenen Hause so zu behandeln! Sollen wir das einstecken!«
   »Das wäre noch nicht das Schlimmste«, meinte Asa. »Wäre es das, so könnten wir‘s recht wohl einstecken, würde uns die Taschen eben nicht abreißen. Hab‘ aber die Notion, die schäbigen Kerle erzählen es weiter, und es kommt zu den Ohren eines ihrer Kommandanten oder des Gouverneurs, daß wir uns in ihrem Land so mir nichts dir nichts häuslich niedergelassen. Und ehe wir einen Monat älter sind, kommt eine Kompanie oder zwei ihrer Musketiere gezogen, und dann ...?«
   »Und dann? Und wenn sie angezogen kommen, Asa, was dann?« fragte ich. »Kommen sie angezogen, so kommen wir ihnen entgegengezogen! Hast du den Indianerhügel vergessen?«
   »Hab‘ ihn nicht vergessen, denke eben daran, ob wir uns da nicht ein Blockhaus bauen könnten, das auch aushielte.«
   »Hab‘ die Notion«, sagte ich, »kalkuliere, daß wir uns da ein Blockhaus bauen können, das aushalten wird.«
   »Das ist alles recht«, meinte Asa. »Alles recht! Aber ob wir auch das Recht dazu haben, Nathan, das ist eine andere Frage. Plagt mich der Gedanke schier Tag und Nacht seit den drei Wochen, da diese verdammten Kreolen zuerst angerückt, Tag und Nacht, sag‘ ich dir. Will nichts Unrechtes, Nathan! Will das Rechte, Mann! Das Rechte geht über alles. Bist du mit dem unrechten Fuß vorwärts, geht alles schief, und du gerätst in Sumpfgrund, und verschlingt dich der Sumpf und die Alligatoren.«
   »Asa«, sagte ich, »hab‘ auch darüber nachgedacht, schon seit langer Zeit nachgedacht und kalkuliert und gegrübelt. Hab‘ die Notion, Asa, daß wir nicht mit dem unrechten Fuß vorwärts geschritten, sondern auf dem rechten Weg, auf so rechtem Weg, als es nur einen geben kann. Wir haben auf das Land so gerechten Anspruch, wie kein Sheriff in den Staaten leugnen kann und kein Franzose und Spanier, sie mögen herkommen, wo sie wollen. Haben gerechten Anspruch, sag‘ ich!«
   »Was sagst du da, Nathan?«
   »Hast du nicht gehört, Asa? Weißt du nicht, daß der Vater Mississippi in unserm Land entspringt? Und ist dieser Vater Mississippi nicht das grausamst allmächtigste Gewässer, das auf dem Erdboden zu finden ist? Und nimmt er dir nicht, der Mississippi, hier einen Brocken Landes von einem Schock Quadratmeilen mit den Bäumen dazu mir nichts dir nichts weg, dort einen anderen Brocken, und führt ihn mit sich fort, wie ein alter brummiger Bär eine jährige Sau, und verschlingt ihn ebenso oder wirft ihn von da an die zwanzig oder hundert Meilen weiter unten aus?«
   »Das tut er«, sagte Asa. »Hab‘ es selbst gesehen, wie er oberhalb Memphis einen Fetzen Landes abriß, mit Bäumen so groß, daß die dünnsten Äste Masten zu Dreideckern abgeben konnten. War schier, als ob die Welt zu Ende ginge, wie das Land so weggerissen wurde. War mächtig grausam zu schauen, standen mir das erste Mal in meinem Leben die Haare zu Berge. Weißt, Nathan, daß mir die Haare nicht oft zu Berg stehen.«
   »Wohl weiß ich das. Ist aber, Asa, nicht das ganze Louisiana ein aus solch Brocken und Fetzen zusammengesetztes Land? Sag mir das, Asa!«
   »Das weiß ich nicht. Kalkuliere, es mag so sein, bin aber nicht ganz gewiß.«
   »Aber du hast es doch öfters schon gehört und selbst gesehen, daß dieses Louisiana nichts ist als Mississippi-Bottom – reiner Mississippi-Boden, Niederschlag des Flußschlammes vom Mississippi. Und dieser Flußschlamm kommt von unserem Land herab!«
   »Das weiß ich«, sagte Asa.
   »Und wenn aus diesem Flußschlamm Louisiana entstanden ist, aus unserem Schlamm, Mann, amerikanischem Schlamm, haben dann die Spanier und Franzosen einen Strohhalm Anspruch darauf?«
   »Das wäre!« sagte Asa. »Hab‘ die Notion, sie haben nicht!«
   »Wohl, Mann! Und wenn der allmächtig trübe Mississippi oben unser Land wegführt und wie der Bär die Sau verzehrt und darüber dick und schmutzig geworden und diesen Schlamm wieder ausgeworfen, wie der Bär auswirft, was stinkt und schmutzig ist, wem gehört der Auswurf? Asa, sag mir das! Wem anders als dem, dem der Bär gehört? Und der Bär, gehört er nicht dem, in dessen Land er ist? Sag mir das, Asa, gehört der Bär, der Mississippi, nicht uns?«
   »Das behaupte ich auch«, sagte Asa. »Wollte den sehen, der da anders sagte! Wollte ihm die Knöchel in die Weichen drücken, daß ihm die Lust verginge!«
   »Und wenn der Mississippi unser ist und unser Land verzehrt, gehört nicht sein Auswurf auch uns, haben wir nicht das Recht auf diesen Auswurf?« fragte ich. »Ein so gutes und besseres Recht, als die Frenchers und Spanier haben?«
   »Aber sie waren eher da, Nathan, die Frenchers und Spanier, eher da als wir!«
   »Und wir sind später da, Asa! Sind zur elften Stunde gekommen, Mann! Aber deshalb sind wir doch bei dem Vergnügen. Wollen den Frenchers und Spaniern nicht ihr Recht nehmen. Kein Pferdehuf soll ihnen verlorengehen, aber wollen auch uns unser Recht nicht nehmen lassen. Haben so viel Recht auf Louisiana wie die Frenchers und Spanier, und wollen dieses Recht behaupten, Asa, sage ich! Ist unser Fluß, der Mississippi, entsteht in unserm Land, irgendwo oberhalb der St.-Anthony-Fälle, reißt jedes Jahr mehr Land mit sich fort, das schier ein kleines Königreich geben könnte, wie die Leute sagen, die aus der Alten Welt über das Salzwasser herüberkommen. Ist das Land daher unser Land!«
   »Aber wir sind unserer bloß sechs«, meinte Asa. »Wie können wir es mit Hunderten aufnehmen?«
   »Sechs!« sagte ich. »Und wenn wir ein tüchtiges Blockhaus auf den Indianerhügel hinaufstellen, zählt das sechzig, und können es mit hundert solcher spanischen Musketen aufnehmen. Haben jetzt eine so schöne Gelegenheit, uns ein herrliches Stück Land zu erobern. Und lassen wir uns vertreiben, so sollte man unsere Rifles zerbrechen und uns statt ihrer Welschkornbesen in die Hand geben!«
   Und Asa wurde nachdenklich, und sagte meine Schwester Rachel:
   »Kalkuliere, daß Nathan, obgleich er mein Bruder ist und ich so was nicht sagen sollte, gesprochen hat wie ein echter Sohn seines Vaters, der sich eher zehnmal hätte von den Rothäuten skalpieren lassen, als daß er so ein herrlich allmächtig schönes Stück Landes aufgegeben, das ihm so klar und rechtmäßig gebührt! Sage dir, Asa, will durchaus nicht mehr auf den schmutzig allmächtigen Mississippi zurück, das ist ein Fakt!«
   »Aber wenn nun so an hundert spanische Musketiere anrücken?« fragte Asa. »Und hab‘ die Notion, sie kommen!«
   »Darum wollen wir das Blockhaus bauen«, erklärte Rachel. »Und uns da wehren um unser Eigentum! Und sage dir, Asa, erfahren unsere Leute am Salt River und am Kentucky und Cumberland, daß die Spanier gegen uns ziehen, werden sie die Hände gewiß nicht in den Schoß legen.«
   »Hab‘ die Notion«, sagte ich, »wenn die Männer in den westlichen Territorien erfahren, was wir hier für schönes Land haben, und wie uns die Franzosen und Spanier die Sporen in die Weichen zu setzen gedenken und uns tyrannisieren, weil wir unser Recht verteidigen, so werden sie nicht lange ausbleiben.«
   »Ist aber weit vom Red River hinauf zum Salt River und Kentucky und Cumberland, gute fünfzehnhundert Meilen und darüber«, meinte Asa. »Ehe sie da oben Wind von uns erhalten, mögen leicht unsere Gebeine bleich genug sein, um ihnen zu Gabel– und Messerheften zu dienen. Ist mir nicht um mich zu tun. Hab‘ den Kanonenschlünden oft genug in den feuersprühenden Rachen geschaut und die englischen Musketen oft genug knallen gehört, hab‘ aber Weib und Kind.«
   »Sorg dich nicht für Weib und Kind!« sagte Rachel. »Sorg nicht für Weib und Kind, wo die Ehre auf dem Spiel steht und das Recht! Müßten uns ja in Ewigkeit schämen, wenn wir vor diesen Maulhelden abzögen. Wenn es noch Indianer wären, haben aber keinen Tropfen Blutes von den Rothäuten! Sind ja so feige, ärger als die Neger! Sage dir, Asa, sage dir‘s im voraus: ich gehe nicht auf den schmutzig allmächtigen Mississippi zurück, will nichts mehr damit zu tun haben, hab‘ ihn satt für alle Tage meines Lebens. Ist ein ungeschliffener Geselle, das ist ein Fakt. Willst du dich mit ihm abgeben, so magst du gehen! Aber laß mir eine Rifle, will mein Blockhaus verteidigen! Und wenn mich die Spanier skalpieren, so werden die Leute am Salt River doch sagen, die Rachel war eine echte Tochter vom Hiram Strong und hat sich gewehrt. Und Danny Boone Daniel Boone (1734 – 1820) erschloß ab 1769 Kentucky der Besiedelung und sein Weib haben auch nicht mehr getan.«
   Und gab dieses den Ausschlag. Asa war nun überzeugt, daß er mit Fug und Recht sich gegen die Spanier wehren und behaupten könne. Und machten wir sogleich Anstalt uns zu behaupten. Kitzelte uns auch nicht wenig der Gedanke, die ersten zu sein, die das Banner der Staaten in Louisiana aufpflanzten, und was unsere Leute am Salt River sagen würden, wenn sie hörten, wir, denen der Sheriff um ein Haus weiter geleuchtet, hätten zuerst das Sternenbanner in Louisiana aufgepflanzt.


   3

   Und hatten wir sonach beschlossen, unser Recht mit unserm Blut und unseren besten Kräften zu verteidigen, so machten wir auch Anstalt zu dieser Verteidigung. Fällten Bäume, meist junge Zypressen, und schleppten sie hinüber an den Indianerhügel und hauten sie zu. Dann zogen wir sie mit Stricken herauf und blockten sie auf, ein Viereck, vierzig Fuß lang, bei vierzig breit. Und in die Mitte stellten wir einen Kamin, aber war das nicht alles.
   Asa hatte bei Brandywine Am 11. September 1777 besiegten die Engländer die Amerikaner unter Sullivan und Lafayette und erzwangen dadurch die Räumung Philadelphias. Der Brandywine ist ein rechter Nebenfluß des Delaware. mitgefochten und war an der Seite Lafayettes gewesen, als er verwundet wurde. Später hatte er in den Carolinas bei Cowpens Am 17. Januar 1781 – Sieg der Amerikaner am Broad River. und gegen Cornwallis gekämpft und da das Verpalisadieren gesehen und den Nutzen, den es gewährt, wenn ein Dutzend oder ein halbes tüchtiger Scharfschützen dahinter steht. Er ließ uns Palisaden schlagen und spitzig zuhauen und die Löcher in den Hügel graben und sie in diese einrammeln und sie mit Zweigen verbinden, so daß sie nicht leicht ausgerissen werden konnten.
   Und nachdem wir das Blockhaus aufgeblockt, errichteten wir, wie gesagt, das Pfahlwerk, und nachdem wir damit fertig, deckten wir das Blockhaus mit Schindeln. Nahmen die Schindeln von Schwarzkiefern, die Jonas und Righteous eine halbe Meile von hier fällten und spalteten und dann auf einem Schlitten herüberschleiften. War sehr gefehlt, das – denn Schwarzkiefern brennen euch wie Zunder weg, wenn sie ein paar Tage in der Luft ausgetrocknet sind. War uns aber die Zeit zu kurz, festeres Holz zu nehmen. Hatten bloß sechs und sieben Fuß dicke Zypressen, und die lassen sich nicht so leicht spalten. Und so mußten wir zu den verdammten Schwarzkiefern greifen, die uns später in eine heillose Klemme brachten.
   Hatten also das Blockhaus aufgerichtet und die Dachbalken darüber. Belegten diese mit den Dachdauben und nagelten und hämmerten das Ganze zusammen, und auch den Kamin, so daß unsere Weiber zur Not kochen konnten. Füllten die Whisky– und Mehlfässer und Geschirr, so viel als vorrätig, mit Wasser und brachten unsere Gerätschaften und Schinken und Pflüge und Sachen und Mehl und Welschkorn und alles hinein ins Blockhaus. Waren schier Tag und Nacht beschäftigt, alles fix und fertig zu machen, ohne daran zu denken, daß uns die heillosen Schindeln von Schwarzkiefern in eine so verdammte Teufelei bringen würden.
   Wir kalkulierten, daß die spanischen Musketiere vor einem Monat oder auch zweien nicht kommen würden. Wir wußten so ziemlich genau die Stärke der Besatzung des Forts von Natchitoches. Sie betrug beiläufig zweihundert Mann, und alle konnte sie der Kommandant nicht gegen uns schicken, kalkulierten wir. Und ehe er Verstärkung von den Forts am Mississippi oder von New Orleans heraufbringen konnte, mußten wenigstens an acht Wochen verlaufen, kalkulierten wir.
   Das tröstete uns sehr. Denn wären die Spanier in den vier Wochen gekommen, wäre unser Blockhaus nicht fertig geworden, und mit sechs Rifles, wenn sie noch so gut sind, läßt sich nicht gegen sechzig fechten, das wußten wir. Ist ein glorreiches Ding, eine Rifle in einer tüchtigen Hand und bei einem scharfen Auge, kann aber doch nicht wie der Eselskinnbacken in der Bibel hundert auf einen Hieb niederwerfen.
   Eilten wir also, das Blockhaus fix und fertig zu machen, was die Hauptsache war, und die Palisaden dafür zuzuspitzen und einzugraben, alles, wie Asa es haben wollte. Stellten die Pfähle, so wie ihr es hier seht, fünf Schritte vom Blockhaus, so daß ein Zwischenraum war, in dem wir uns frei bewegen konnten. Mußten zuerst die Palisaden genommen werden, ehe sie dem Blockhaus etwas anhaben konnten. Und nahm uns das ganze vier Wochen.
   Nach vier Wochen waren Blockhaus und Palisaden in Ordnung, und unsere Weiber schafften die Vorräte, die wir in Baton Rouge eingehandelt, mit allen unseren Sachen, Pflügen und allem ins Blockhaus und ließen nur das Nötigste in den Häusern. War uns um vieles wohler und weit fröhlicher bei dem Gedanken, daß unser Blockhaus in Ordnung und wir in der Verfassung zur Behauptung.
   Nur Asa blieb schwermütig, betrachtete das Blockhaus oft und sagte: »Hab‘ die Notion, wird ein blutiges Blockhaus in kurzer Zeit werden, und sage euch, hab‘ die Notion, wird einer hier ein blutiges Grab finden, und wer es ist, das weiß ich am besten.«
   Sagte ihm: »Still, Asa! Wozu uns das Herz schwer machen? Brauchen leichte Herzen, Asa!«
   Und schien Asa wieder heiter und ging wieder ruhig an die Arbeit, die wir ausgesetzt hatten. Aber da wir nicht immer die Gäule brauchten, so ritt abwechselnd einer um den andern so an zehn Meilen vorwärts und rückwärts auf Kundschaft, um zu sehen, ob die ungebetenen Gäste uns noch nicht besuchen kämen. Auch bei Nachtzeit waren wir auf unserer Hut, und jede Nacht hatten zwei abwechselnd die Wache, mußten in der Runde auf– und abgehen.
   Als wir eines Morgens im Busch arbeiteten und Bäume ringelten, kam Righteous angesprengt.
   »Sie kommen! Ihrer wenigstens hundert!« schrie er.
   »Jetzt gilt es!« sagte Asa so gelassen, als ob er seine Rifle auf einen Hirschbock anlegte. »Jetzt gilt es! Sind sie noch weit weg?«
   »Sie kommen gerade auf die Prärie zu. In einer halben Stunde mögen sie da sein.«
   »Wie kommen sie? Mit Vorhut? Nachhut? Wie stark mögen sie sein?«
   »Nichts von alledem, marschieren in einem Haufen. Mögen ihrer wohl an hundert sein.«
   »Dann haben wir gewonnenes Spiel! Verstehen nichts vom Militärwesen, wissen nichts vom Buschkrieg, sind Braddockianer«, sagte Asa.
   Spielte damit auf den englischen General Braddock an, der sich im Jahre 1755 bei Pittsburg von den mit den Franzosen verbündeten Indianern überfallen ließ und sein Leben und sein ganzes Heer einbüßte mit Ausnahme der Nachhut, die Washington befehligte.
   »Jetzt fort mit euch Weibern, fort!« schrie Asa. »Laßt alles liegen und stehen und fort! Wir folgen und decken euch den Rücken. Zwei voraus, um zu sehen, ob sie unser Versteck nicht ausgewittert!«
   Righteous galoppierte sogleich, wie er war, dem Blockhaus zu, um vor ihnen da zu sein, falls sie es ausgewittert. War aber keine Gefahr, ahnten nicht mehr vom Blockhaus als unsere wilden Truthühner.
   Und nahmen noch die Weiber das Rumpelzeug mit, das zurückgeblieben war. Viel gab es nicht, denn Hinterwäldler, wie ihr wißt, befassen sich nicht damit, ganze Schiffsladungen unnützen Zeuges mitzuschleppen. Nahmen also, was noch da war, und marschierten ab. Zogen uns am Rand des Waldes unserer Zitadelle zu, in der Righteous bereits war. Er hatte die verborgene Pfostentür geöffnet und die Staffelleiter herabgelassen.
   Nachdem wir unseren Gäulen die Füße eingehenkelt, auf daß sie sich nicht verliefen, trieben wir sie gegen den Sumpf zu. Dann stiegen wir auf der Leiter hinauf, zogen dann die Leiter nach und rammelten die Pfostentür zu, und da waren wir.
   War uns doch ein wenig sonderbar zumute, als wir eingeschlossen waren zwischen den Palisaden. Konnten nur durch Ritzen so groß, daß ihr eure Rifles durchstecken konntet, schauen, was draußen vorging. Wurde uns schier bange, waren das Eingeschlossensein nicht gewohnt.
   Wurden so still, mausestill, und verlief uns eine Minute nach der andern, und war höchstens ein Gewisper zu hören. Rachel zerschnitt alte Hemden und strich Fett auf die Stücke und zerschnitt sie zu Kugelhülsen. Wir setzten frische Steine an unsere Rifles und putzten sie fix und fertig. Und die Weiber schliffen die Äxte und Weidmesser, alles in der Stille.
   War uns so eine lange Stunde vergangen, hörten endlich Lärmen und Geschrei und auch Musketenschüsse und sahen endlich auch die spanischen Musketiere. Sie liefen hin und her auf dem Kamm, auf dem unsere Häuser standen, die wir aber nicht sehen konnten.
   Aber auf einmal wurden wir euch doch alle so bleich! Stieg zuerst eine Rauchsäule auf, dann eine zweite, eine dritte.
   »Gott gnade uns!« sagte Rachel. »Die Mordbrenner haben unsere Häuser in Brand gesteckt!«
   Und wir zitterten alle vor Wut. Hört! Wenn ihr euch so vier bis fünf Monate abgeschunden habt, ärger als das unvernünftige Vieh, und euch für eure Weiber und die armen Würmer, die sie getragen, eine Blockhütte zusammengebaut, und so ein höllischer Feind kommt und brennt sie weg, als wären sie Stoppeln in einem Welschkornfeld, hört, da müßtet ihr keine Menschennatur mehr haben, wenn euch da nicht die Zähne klapperten und die Fäuste sich ballten! Und klapperten uns die Zähne, standen aber still, die Wut ließ uns nicht reden.
   »O unser Haus!« seufzte Rachel. »Unser armes Blockhaus! Was hat unser armes Blockhaus den Mordbrennern getan? O ihr Mordbrenner, ihr!«
   »Still, Weib!« sagte Asa. »Still! Ist nicht Zeit zum Lamentieren! Haben vielleicht bald auslamentiert!«
   »Herr, dein Wille geschehe!« sagte Rachel.
   Ist frommer Leute Kind, liest ihre Bibel. Und holte diese auch hervor, aber Asa sagte:
   »Ist jetzt nicht Zeit zum Beten, so gern ich das sonst tue, sondern zum Handeln! Laß das, Rachel!«
   Und legte Rachel die Bibel wieder weg. Wir schauten nun, ob alles in Ordnung war, und legten unsere Rifles an und starrten auf den Rauch unserer armen brennenden Blockhäuser. Und wie wir so schauten und starrten, kam es auf einmal ganz schwarz und blau da herein zwischen den beiden Waldesrändern. Kamen die Spanier, wohl an die hundert, herangesprungen.
   War Mittagszeit. Wir zählten sie, konnten aber anfangs nicht recht ins reine kommen, denn sie schwärmten ab und zu wie wilde Tauben und schier in keiner besseren Ordnung. Mußten gar zu wenig von uns denken, sonst hätten sie sich klüger benommen. Aber als sie auf fünfhundert Schritte herangekommen, ordneten sie sich einigermaßen in Reih und Glied, und wir zählten zweiundachtzig Mann mit Musketen und Karabinern und drei ohne. Sie hatten entblößte Degen in der Hand und saßen zu Pferde, stiegen aber jetzt ab.
   Und waren noch sieben andere zu Pferde. Stiegen gleichfalls ab und banden ihre Gäule an. Wir erkannten unter ihnen drei der verräterischen Kreolen, die uns in die Klemme gebracht, und den einen, den sie Groupier nannten.
   Die anderen waren sogenannte Akadier oder Kanadier, mit deren Landsleuten wir bereits am oberen Mississippi Bekanntschaft gemacht. Sind tüchtige Jäger, diese Akadier, aber meist verwilderte, liederliche, versoffene Barbaren. Waren es, hab‘ die Notion, diese Akadier, die den spanischen Musketieren den Weg zu unserm Blockhaus zuerst gezeigt. Denn die Spanier stellten sich so dämlich an, daß sie, hab‘ die Notion, wohl ein paar Stunden wie weiße Nachteulen bei hellem lichtem Tag herumgepußt hätten, ehe sie ausgefunden, wo wir hingeraten.
   Und kamen endlich die Akadier zuerst und erhoben ein lautes Geschrei, als sie das Blockhaus und die Pfähle darum sahen. Wie sie merkten, daß wir zu ihrem Empfang gerüstet, stutzten sie und traten zu dem Haupttrupp. Berichteten zweifelsohne den Offizieren, die sie zwar anhörten, aber die Köpfe schüttelten. Dann setzte sich der ganze Trupp in Bewegung.
   »Jetzt gilt es!« raunte uns Asa zu, als sie blau und weiß und braun und in allen Farben, einer aber schmutziger als der andere, herankamen.
   Sie marschierten jetzt in besserer Ordnung, der Captain an der Front, die Akadier an den Flanken. Sie hielten sich näher an die Cottonwoods und waren bald ganz hinter diesen verschwunden.
   Als Asa dies sah, raunte er mir zu, diese wären eigentlich die gefährlichsten von wegen ihrer schußfertigen Hand und ihres scharfen Auges, auf diese müßten wir es vorzüglich anlegen. Die übrigen verständen nichts vom Buschkrieg, mit denen würden wir wohl fertig werden.
   Und marschierten die Spanier und kamen näher. Waren nur noch hundert Schritt vom Blockhaus und prächtig zu treffen.
   Fragte Righteous: »Sollen wir knallen gegen die Mordbrenner?«
   »Gott behüte!« sagte Asa. »Uns geziemt das nicht. Wollen uns wie Männer verteidigen, aber warten, bis sie uns angreifen. Kommt dann ihr Blut über sie. Und fallen wir, so fallen wir im Kampf für unser Leben und unserer Weiber Leben. Wollen aber auf Rechtsgrund stehen bleiben.«
   Als nun die Spanier bis auf hundert Schritte vom Blockhaus herangekommen und deutlich sahen, daß sie erst die Palisaden nehmen müßten, um zu uns zu gelangen, hielten und besprachen sich die Offiziere. Und rief ihnen Asa ein Halt zu.
   Und rief uns der Captain entgegen: »Messieurs les Américains!«
   »Was gibt es?« fragte Asa durch die Palisadenritze.
   Und steckte der Captain ein schmutziges Sacktuch auf die Spitze seines Degens, sprach lachend zu seinen Offizieren und trat dann zwanzig Schritte vor. Hinter ihm drein seine Leute.
   »Halt!« rief Asa abermals aus dem Pfahlwerk heraus. »Das ist nicht Kriegsbrauch! Der Parlamentär mag kommen, aber wenn seine Mannschaft kommt, geben wir Feuer!«
   Müßt wissen, die Spanier, die doch sonst wohl hinter Wällen und Bäumen zu fechten wissen, standen alle in einem Klumpen. Mußten verdammt wenig von unseren Rifles halten oder schier die Notion haben, wir würden es gar nicht wagen, uns unserer Haut zu wehren. Sonst wären sie klüger gewesen und hätten es wie die Akadier gemacht, die sich hinter den dicken Cottonwoods hielten.
   Riefen auch diese dem Captain zu, er solle sich in den Wald verziehen, aber er schüttelte verächtlich den Kopf.
   Wie er Asa aber nochmals Halt rufen hörte und schreien, daß er Feuer gebe, wurde ihm doch ein wenig angst, wir sahen es. Mochte wohl die Notion haben, daß unsere Kugeln ihn nicht fehlen würden.
   Und schrie er: »Halt und schießt nicht, bis ich euch alles eröffnet habe!«
   »Dann macht es kurz!« schrie Asa zurück. »Wenn ihr etwas zu eröffnen hattet, dann solltet ihr es, wenn ihr Kriegsbrauch versteht, vor Eröffnung der Feindseligkeiten getan, nicht aber wie Mordbrenner unsere Häuser niedergebrannt haben!«
   Und knallten, während Asa so sprach, drei Schüsse hintereinander aus dem Wald herüber. Waren die Kreolen, die zwar Asa nicht sehen konnten, aber – hab‘ die Notion – durch die Ritzen der Palisaden einen seiner Knöpfe oder seine Rifle blinken sahen und in dieser Richtung und der Stimme nach anlegten und krachen ließen.
   Und sprangen die beiden Verräter ebenso schnell wieder hinter den Baum und lugten vor, um zu hören, ob nicht ein Wimmern ausbräche. Righteous und ich sahen aber, wie sie ihre verräterischen Köpfe vorstreckten, und ließen wir zusammen krachen. Im nächsten Augenblick taumelten sie nieder, um nicht mehr aufzustehen. Waren zwei der Kreolen, mit denen wir den Pferdehandel hatten, einer davon der Verräter, der sich Groupier genannt.
   Und wie die spanischen Musketiere die Schüsse hörten, denn sehen konnten sie nichts wegen der vorspringenden Waldesecke, lief der Offizier Hals über Kopf zurück und schrie:
   »Vorwärts zum Angriff!«
   Und die Spanier sprangen und liefen wie närrisch an dreißig Schritte vorwärts und schossen ihre Musketen auf das Blockhaus los, als glaubten sie, wir seien wilde Gänse, die sich vom bloßen Büchsenknall vertreiben lassen.
   »Jetzt ist‘s die Zeit!« sagte Asa. »Sie wollen es nicht besser. Habt ihr wieder geladen, Nathan und Righteous? Ich nehme den Captain, du, Nathan, den Leutnant, Righteous den dritten Offizier, James den Sergeanten. Versteht ihr, daß nicht zwei einen nehmen! Dürfen unsere Kugeln nicht umsonst verschießen.«
   Und waren die Spanier noch sechzig Schritte entfernt, aber wir auf hundertundsechzig unseres Schusses gewiß, und wenn sie Eichhörnchen gewesen wären. Ließen krachen, und jeder Schuß nahm seinen Mann. Der Captain und der Leutnant und der dritte Offizier und die beiden Sergeanten und noch einer lagen da und krümmten sich. Bald hatten sie ausgekrümmt.
   Und entstand ein völliger Wirrwarr unter den achtzig Musketieren, oder wie viele ihrer waren. Die einen Hefen hin, die anderen her. Die meisten liefen dem Wald zu, aber ein Dutzend oder auch mehr blieben und hoben den Captain und ihre Offiziere auf, um zu sehen, ob noch Leben in ihnen wäre.
   Wir aber, nicht träge und ohne erst auf Asa zu hören, der uns zuraunte, frisch zu laden, hatten schnell die Kugeln in unseren Büchsen und ließen abermals krachen. Und fielen wiederum sechs. Die noch standgehalten, ließen nun alles liegen, wie es fiel und lag, als ob ihnen die Schuhsohlen brannten.
   Wir aber putzten so schnell, als es ging, unsere Rifles. Wußten, daß wir es später nicht mehr würden tun können, und daß ein einziger versagender Schuß uns alle verderben könne. Und nachdem wir unsere Rifles geputzt, luden wir und kalkulierten, was wohl die Musketiere zuerst anfangen würden.
   Waren zwar die Offiziere gefallen, aber von den Kreolen und Akadiern waren noch fünf am Leben, und diese gerade am meisten zu fürchten. Die Turkey-Buzzards hatten sich bereits gesammelt und kamen ihrer immer mehr. Zu Hunderten kamen sie angeflogen, umkreisten uns und die Gefallenen.
   Als wir so auf der Lauer standen und auf allen Ecken hinaus in den Wald lugten, winkte mir Righteous, der ein prächtiges Auge hatte, und deutete hinunter auf die Waldecke, wo sich das Unterholz anschloß. Und ich winkte Asa, der gerade geladen, und wir schauten. Und wie wir schauten, sahen wir, daß es kriechendes Getier war, das sich im Unterholz herumwand, um auf die östliche Waldseite zu gelangen. Und sahen wir deutlich, daß zwei Akadier voran waren und an zwanzig oder mehr Musketiere hinterdrein.
   »Nimm du, Nathan, und du, Righteous, die Akadier!« sagte Asa. »Wir nehmen die Spanier der Reihe nach, wie sie herankriechen.«
   Und nahmen wir sie so und ließen krachen. Die zwei Akadier mit vier Spaniern krümmten sich und blieben liegen. Aber einer der Akadier, den wir übersehen hatten, weil er hinter einem Spanier kroch, der sprang auf und schrie:
   »Mir nach! Frisch mir nach! Haben abgeschossen, und ehe sie geladen, sind wir im Wald! Wollen es doch noch haben, das Blockhaus!«
   Und sprang der Akadier auf und die Spanier hinterdrein. Und ehe wir geladen hatten, waren sie im Wald drüben. Wir knirschten vor Wut, daß uns der Akadier entgangen war.
   Merkten bald, daß noch drei Akadier oder Kreolen, was sie waren, übriggeblieben, denn sie übernahmen nun den Befehl über die Spanier, die einsehen gelernt hatten, daß ihre Offiziere nichts vom Buschkrieg verstanden. Und war unsere Lage nicht um vieles besser als gleich anfangs, wie sie noch alle beisammen waren. Kamen ihrer noch immer zehn auf einen von uns. Aber war uns der Mut nicht gesunken, ganz und gar nicht. Hatten nur jetzt schwereres Spiel, weil wir unsere Aufmerksamkeit und Kräfte teilen mußten und der Feind gewitzigt war. Und wir hatten bald darauf alle Hände voll zu tun, und war es hohe Zeit, die Augen offenzuhalten. Denn wo sich nur einer von uns an einer Ritze zeigte – die Kugeln hatten Späne aus den Palisaden gerissen und Löcher gemacht —, da knackten ein und auch mehrere Schüsse lustig darauflos. Sie hielten sich jetzt aber hinter den Bäumen.
   Hatten zwar einige Male Gelegenheit, unsere Büchsen knallen zu lassen, und an vier oder fünf Musketiere mußten nieder. Aber wurde uns die Zeit schier lang. Hatten die Spanier sich, merkt ihr, auf beiden Seiten des Waldrandes geteilt und schossen herüber. Wir achteten nicht viel darauf, da gaben sie uns auf einmal ein lautes Hurra.
   Hatten verdammtes Werg zu ihren Ladungen genommen, und einer ihrer Schüsse gezündet. Wir merkten es nicht sogleich, aber dann begann es zu knistern und zu prasseln im Dach, in den Schwarzkieferschindeln. Und wie die Spanier das sahen, gaben sie ein dreimaliges Hurra und dann hielten sie sich abermals still.
   Und wir schauten hinauf auf das Dach, konnten bereits das Flämmchen sehen, das leckend im Dachstuhl weiterfraß. Und die Spanier hörten wir wieder mehr und mehr jubeln.
   »Dem Ding muß ein Ende gemacht werden, sonst braten wir hier wie Hirschkeulen zusammen!« sagte Asa. »Muß einer hinauf in den Kamin mit einem Kübel Wasser! Will selber hinauf!«
   »Nein, ich will hinauf!« sagte Righteous.
   »Bleib du hier! Einer gilt wie der andere. Will hinauf und das Feuer löschen!« sagte Asa.
   War damals das Blockhaus voll von uns und unserer Rumpelkammer und Kram, und nahm Asa einen Tisch und stellte einen Stuhl darauf. Und Rachel reichte ihm den Kübel mit Wasser, und er zog sich an den Haken, die wir in den Kamin eingeschlagen und woran wir unsere Hirschkeulen gehängt, hinauf und zog dann den Kübel nach.
   Und wurden auch die Spanier immer toller und ihr Geschrei immer ärger. War hohe Zeit, dem Feuer Einhalt zu tun. Und hatte Asa nun den Kübel hinaufgezogen und schüttete das Wasser aus.
   »Mehr links, Asa!« sagte Righteous. »Mehr links frißt die Flamme am stärksten.«
   »Das ist ein verdammtes Links, kann es nicht sehen!« schrie Asa zurück. »Reicht mir noch einen Kübel mit Wasser!«
   Wir reichten ihm den zweiten Kübel mit Wasser. Und Asa streckte den Kopf hinaus aus dem Kamin, nur um zu schauen, wo das Feuer eigentlich lecke, und dann schüttete er das Wasser darüber hin. Aber in dem Augenblick knallten wohl ein Dutzend Schüsse, hatten ihn gesehen, die Spanier.
   »Halt!« rief Asa mit ganz veränderter Stimme. »Halt, ich hab‘s! Laßt sie schreien und springen, die Teufel!«
   Und in demselben Augenblick kamen Schinken und Hirschziemer herab aus dem Kamin, und ein Gepolter, und gleich darauf Asa, ganz blutig.
   »Um Gottes willen, Mann, du bist erschossen!«
   »Still, Weib! Still, sag‘ ich dir!« sagte Asa. »Hab‘ genug für alle Tage meines Lebens, die kurz genug sein werden. Aber wehrt euch, Jungens, und schießt ja nicht zwei auf einen! Verschwendet keine Kugel, werdet sie brauchen! Versprecht mir das!«
   »Asa, mein liebster, bester Asa, du tot! Dann mag ich nicht mehr leben, ich will dir folgen!« schrie Rachel.
   »Still, törichtes Weib! Vergißt du, daß ein Asa zurückbleibt und du einen zweiten im Leib trägst! Still, sag‘ ich dir! Hört die Spanier! Wehrt euch und schützt mein Weib und Kind! Nathan, sei an Vaters Stelle, versprich mir das!«
   Hatten aber keinen Augenblick mehr Zeit, dem sterbenden Asa zu versprechen oder die Hand zu drücken. Denn die Spanier, die erraten haben mußten, was vorgegangen, waren wie wütende Kobolde auf unsere Verschanzung losgesprungen. Wohl an zwanzig kamen von jener, an dreißig und darüber von dieser Seite.
   »Ruhig!« schrie ich. »Ruhig! Du, Righteous, her zu mir! Und Rachel, jetzt kannst du zeigen, daß du Hiram Strongs Tochter und Asas Weib bist! Du ladest Asas Rifle, sowie ich abgeschossen!«
   »Gott, o mein Gott!« schrie Rachel. »O mein Asa, den die Höllenhunde verräterisch erschossen!«
   Sie hing an ihres Mannes Leichnam und war nicht wegzubringen. Ich war euch schier böse darüber, aber die Feinde gaben mir keine Zeit zum Bösesein. Kam ein Trupp, von einem der übriggebliebenen Akadier angeführt, auf meiner Seite heran und herauf. Mit Flinten und Äxten! Ich schoß den Akadier nieder, gerade wie er oben war. Aber ein anderer Akadier, der sechste und vorletzte, sprang an seine Stelle.
   »Rachel, jetzt das Gewehr! Mein Gott, Rachel, die Rifle, um Gottes willen, die Rifle!« schrie ich. »Eine Kugel mag so viel wert sein wie das Blockhaus und unsere Leben!«
   War aber keine Rachel da, und der Akadier mit den Musketieren, die aus dem Aussetzen unseres Feuers errieten, daß wir entweder nicht geladen oder unsere Munition verschossen hatten, die sprangen nun wie höllische Feinde lachend heran. Einer hob den anderen, so kletterten sie den senkrecht aufsteigenden Rasen herauf, ein halbes Dutzend mit ihren Äxten, voran der Akadier, der tüchtig auf die Palisaden einhieb und das Flechtwerk auseinanderhaute.
   Wären ihrer nur drei gewesen wie dieser Akadier – dem Teufel seine Gerechtigkeit! —, so war es um uns geschehen! Denn auf der anderen Seite war gleichfalls ein Dutzend Angreifer mit dem siebenten dieser verdammten Akadier, und von dorther keine Hilfe möglich. Die Spanier hämmerten zwar auch tüchtig darauf los, waren aber wahre Kinderschläge. Entweder fehlte ihnen der starke Arm oder das Geschick.
   Gerade wie Righteous geladen und wieder einen niedergeschossen, riß der Akadier die Palisade – wie, weiß ich zur Stunde noch nicht, muß auswärts ein Ast stehen geblieben sein —, riß sie kurz heraus, hob sie wie ein Schild vor gegen mich, schleuderte sie auf mich, warf mich zurück, daß ich taumelte, und sprang herein.
   Jetzt war es um uns geschehen. Righteous gab zwar dem nachkommenden Spanier mit seiner Rifle eines auf den Kopf und stach den nächsten mit seinem Weidmesser nieder, aber dieser Akadier war Mann genug, uns alle in die Teufelei zu bringen. Da fiel ein Schuß, der Akadier taumelte. Im nächsten Augenblick sprang mein zehnjähriger Bube Godsend mit Asas Rifle auf mich zu. Hatte sie aufgerafft, die Rifle, wie er sah, daß Rachel es nicht tat, und sie geladen, der herzige Bube, und ihn flink niedergeschossen, den Akadier, der gloriose Bube.
   Und jetzt besann ich mich, griff nach der Axt, und diese wieder in der Hand stürzte ich auf die Spanier los und schmetterte in sie hinein, in der rechten Hand die Axt, in der linken das Weidmesser. War ein wahres Metzeln, das eine gute Viertelstunde und darüber dauerte. Verging ihnen endlich die Lust und wäre ihnen früher vergangen, hätten sie gewußt, daß der Akadier gefallen. Wehrten sich wohl nur, weil sie oben waren, und sich ihrer Haut wehren mußten und in der Verwirrung nicht wußten, wie sie wieder hinunter sollten. Sprangen aber endlich alle über den Rand hinab und liefen, die nämlich laufen konnten, und hatten wir Ruhe auf dieser Seite.
   Und sprang ich mit Righteous, um die Palisade wieder einzusetzen. Sagte meinem Buben, er solle achthaben auf die Spanier, dann lief ich auf die andere Seite, wo der Kampf schier ebenso verzweifelt vor sich ging.
   Waren da drei unserer Männer und die Weiber, die mit Spießen und Schüreisen und Äxten mithalfen. Die Spanier hatten mit ihren Bajonetten durch die Palisaden gegen unsere Männer gestoßen und mehrere verwundet. Bluteten wie angeschossene Stiere. Aber Rachel war wieder zu sich gekommen von ihrem Schmerz um Asa. Sie und die Weiber rissen den Spaniern die Bajonette durch die Palisaden aus den Händen und die Musketen dazu. Und indem beide Teile hin und her zerrten, zerrten sie die Palisaden so weit auseinander, daß die dünnleibigen Spanier von ihren Hintermännern gedrängt hereinkamen.
   Kam gerade herbeigesprungen, als ein paar dieser olivengrünen Dons sich hereingezwängt hatten, statt ihrer Musketen nun ihre kurzen Säbel in der Hand, um kürzeres Werk mit uns zu machen. Sind fertig in diesen Handgriffen, die Spanier. Sprang einer auf mich zu, und ohne mein Weidmesser war es um mich geschehen. Denn fehlte an Raum, um die Axt zu schwingen, gab ihm aber zuerst einen Faustschlag, der ihn schier zu Boden warf, und stach ihm dann das Weidmesser in den Leib.
   Sprang dann vor und riß Rachel eine Muskete aus der Hand. Kehrte sie um – die Kolben der Spanier waren viel schwerer als die unserer Rifles, war mir auch leid um meine Rifle – und schlug die Spanier auf die Köpfe, rechts und links. Schrie den Weibern zu, sie sollten ins Blockhaus und uns nicht im Wege sein. Sollten die Rifles laden und alles andere liegen und stehen lassen! Den Akadier müßten wir noch haben, war der letzte!
   Und Godsend lud meine Rifle, und die Weiber luden die anderen. Und während wir an den Pfählen kämpften, stellten sich die braven Weiber, unsere herrlichen Weiber, im Blockhaus auf und schossen in die Spanier hinein. Und das wirkte! Fielen ihrer drei oder vier, darunter zum Glück der Akadier. Wie die Spanier das sahen – sind wie die Hunde, diese Spanier, die nur anpacken, wenn es ihnen ein Vormann so zu tun heißt – da sprangen sie mit »Dios!« und »Caraja!« und »Maleditos Gogos!« Verdammte Kornwürmer den Hügel hinab und liefen, als wenn ein Sprenggeschoß unter sie gefahren wäre.
   Diese halbe oder ganze Stunde – wie lange sie gedauert, könnte ich euch unmöglich sagen – war mir kurz und lang, kurz und tödlich lang zugleich. Ist bei meiner Seele kein Spaß, wenn man sich so gegen ein schier hundert spanisches Gewürm um seine Haut zu wehren hat und um der Seinigen Haut und seiner lieben Kinder Haut! Waren euch doch so hunds– und todesmüde, daß wir gerade wie abgehetzte Ochsen oder Kälber niederfielen, ohne aufs Blut zu achten, das so dick rann, als ob es Blut seit dem Morgen geregnet hätte.
   Lagen siebzehn Spanier mit den zwei Akadiern innerhalb der Verpfählung, hatten sich ausgeblutet. Auch wir bluteten wie angeschossene Säue, waren alle leichter oder schwerer verwundet. Ich hatte mehrere Stiche, andere hatten Schießwunden, die zwar nicht gefährlich, aber doch ziemlich tief waren. Fielen, wie gesagt, in alle Ecken und Winkel hin, gerade wie Büffel, die angeschossen, sich einen Schlupfwinkel suchen, um ihr Leben auszuhauchen.
   Hätten die Spanier jetzt angegriffen, so waren wir ohne Rettung verloren. Während der Schlacht, solange das Blut fließt, spürt ihr nicht leicht die Abnahme eurer Kräfte, aber sobald sie vorüber, werden eure Glieder steif, und seid ihr dann zu nichts mehr nütze. Waren zu nichts mehr nütze, aber erfuhren jetzt, wozu unsere Weiber nütze waren. Hatten unsere Schuldigkeit getan, jetzt taten sie unsere Weiber.
   Kamen mit Fetzen und Bandagen, und Rachel, die etwas von Medizin versteht, die kam mit ihren Zangen und Scheren und zog Righteous und Bill und James die Kugeln aus dem Fleisch. Dann verband sie ihre und meine Wunden. Die übrigen Weiber machten Feuer und kochten zuerst eine Suppe – denn zu etwas anderm hatten wir keinen Appetit – und schleppten uns ins Blockhaus, damit wir aus den geronnenen Blutlachen herauskamen, und legten uns da sanft auf Tillandsea-Matratzen.
   Und während wir auf unserm Schmerzenslager wimmerten, sagte Godsend, mein Bube:
   »Vater!« sagte er. »Vater, soll ich die Rifles laden?«
   »Jawohl, Godsend, lieber Bube, lade sie! Ich kann nicht, bin so schwach, daß ich den Kopf nicht heben kann.«
   Hatte auch einen Stich im Nacken.
   »Und die spanischen Musketen?« fragte Godsend.
   »Auch die!« sagte ich. »Lade sie alle, obwohl ihre Läufe zu groß sind für unsere Kugeln. Führen zweilötige Kugeln, und wir achtundzwanzig auf ein Pfund. Aber lade sie, Godsend! Hab‘ die Notion, wenn die Spanier ihre Rifles zurückgelassen, werden ihre Patronentaschen, wie sie sie nennen, auch nicht weit sein. Verstehst du, Godsend?«
   Und Godsend, mein herziger Bube, lud unsere Rifles und die spanischen Musketen mit spanischen Patronen und stellte sie in der Reihe auf, sechs Rifles und wohl zweimal so viel Musketen. Und jetzt dachte ich, könnten wir wohl ruhig schlafen.
   Und sagten die Weiber, wir sollten nur ruhig schlafen. Sie wollten wachen und schauen, ob die Spanier noch einen Angriff vorhätten. Und wachten sie abwechselnd, war aber und blieb alles still, bis auf die Geier und die weißköpfigen Adler und Turkey-Buzzards, die einen heillosen Lärm schlugen.
   Sonst aber blieb alles still, die ganze Nacht hindurch. Und war Godsend schier die ganze Nacht mit den Weibern auf, die uns Suppe gaben und unsere Wunden verbanden, wenn sie sich durchs Hin– und Herwerfen auf dem Lager geöffnet. Und blieb es so still bis zum folgenden Morgen.


   4

   Als der Tag anbrach, sagte Jonas, der am wenigsten davongetragen: »Will doch hinaus, und Godsend soll mit mir, um zu sehen, ob sich noch etwas von den Spaniern zeigt.«
   Und er ging mit Godsend hinaus. Fand draußen über die zwanzig Tote und einige tödlich und leicht Verwundete, die ihn um Gottes willen um einen Trunk Wasser baten.
   Sagte ihnen Jonas, sie sollten alles haben, müßten ihm aber sagen, ob die Spanier noch da wären oder ob sie abgezogen.
   »Sind abgezogen, sind fort, die Bösewichte!« sagten sie. »Und haben uns zurückgelassen, die Bösewichte! Fort sind sie, fort!«
   Traute aber Jonas dem Landfrieden doch nicht ganz und rief eines der Weiber, sagte, sie möchte etwas Suppe bringen und Wasser, um den Armen einen Labetrunk zu geben.
   Sagte Rachel: »Laßt sie verschmachten, die Hunde, die meinen Mann so verräterisch umgebracht!«
   Sagte ich aber: »Rachel! Nein, Rachel, das ist nicht christlich und nicht wie deines Vaters Tochter gesprochen. Lägest du wie wir so blutig da, würdest du anders reden.«
   Und sagte sie: »Du hast recht, Nathan. Gott verzeih mir meine Sünden! Geh, Jonas, und nimm so viel du tragen kannst, und schau, wie viele ihrer sind!«
   Und nahm Jonas einen Kübel mit Wasser, einen mit Suppe und Löffel und Becher und ging. Schüttete den armen Tröpfen, die gegen uns gefochten, warum wußten sie selbst nicht, den Labetrunk ein und sagte ihnen, wir wollten sie ins Blockhaus nehmen, sobald wir imstande wären. Und verbunden sollten sie gleichfalls werden.
   War dies aber keine so leichte Sache. Denn, wie ihr seht, ist der Hügel gute dreißig Fuß hoch. Und verwundete Leute eine solche Höhe, die beinah senkrecht ist, heraufzuziehen, war für die Weiber schier zu hart. Denn wir Männer konnten uns selbst vor Schmerzen kaum regen und bewegen. War auch das Blockhaus voll von Rumpelwerk und die Palisaden so voll von Toten, daß Rachel, meine Schwester, hinab mußte, um ihre Wunden zu verbinden.
   »Was sollen wir aber mit den Toten anfangen?« fragte Rachel, als sie wieder zurück war. »Die Turkey-Buzzards und Getier aller Art kommen zu Tausenden.«
   Wir konnten den greulichen Lärm hören. War eine harte Sache, Christen so von abscheulichem Gewürm verzehrt zu sehen, statt sie in ein Grab gelegt zu wissen, wie‘s sich gehört und gebührt.
   »Rachel« sagte ich. »Den Toten können wir zum Leben nicht mehr helfen, aber zu einem ehrlichen Grab, zu dem können wir ihnen verhelfen. Wohl, so geht, ihr Weiber, ihr versteht mit Schaufeln und Grabscheiten umzugehen, und öffnet ein Grab! Jonas wird die Toten hineinwerfen.«
   Und sie gingen. War hohe Zeit, denn die Geier und Turkey-Buzzards und alles Getier hatten sich zu Tausenden herbeigetan. Sie öffneten ein großes Grab drüben, und Jonas schleppte die Leichname zusammen. Was er an Geld und Uhren und derlei Dingen bei ihnen fand, nahm er. Die Offiziere hatten zusammen etwa fünfzig Dublonen, die übrigen etwa hundert Dollar. Ihre Kleidung ließ er ihnen, nur ihre Waffen und ihr Geld, das war verfallene Kriegsbeute, die nahm er. Und sammelte auch an die fünfzig Musketen.
   Einunddreißig Leichen warf er hier in das Grab, über dem sich der Hügel erhebt, den eben jetzt die Mondesscheibe beleuchtet. Vier, die in der Nacht darauf starben, sind auf der anderen Seite begraben. Waren wenig Verwundete, denn unsere Rifle verwundet nicht gern, macht lieber gleich tot.
   Und nahm dieses Grabmachen unsern Weibern fast den ganzen Tag weg. Abends trafen sie Anstalt, die sieben leichter Verwundeten ins Blockhaus zu bringen. Teils hoben sie sie herauf, teils zogen sie sie auf Stricken zu den Palisaden und zwischen das Pfahlwerk herein, aus dem die Toten weggeschafft worden waren.
   Und war uns nach diesem christlichen Werk ungemein wohl, und schliefen wir diese Nacht viel ruhiger.
   Hatten unsere trefflichen Weiber auch den folgenden Tag alle Hände voll zu tun, um zwölf Verwundete zu pflegen und zu kochen und unsere Schmerzen zu lindern, die höllisch waren, kann ich euch sagen. Waren unter den nicht gefährlich Verwundeten zwei Akadier, die mit Schußwunden im Schulterblatt davongekommen.
   Und schienen uns diese Akadier fromme christliche Gesellen. Sie wimmerten und jammerten, daß sie gezwungenerweise gegen uns mit mußten, und wollten alle Tage ihres Lebens des Guten nicht vergessen, das wir ihnen widerfahren lassen, und bedauerten, sagten sie, daß sie gegen uns gezogen. Und sagten wir, wir bedauerten es auch. Da wir aber die Bekanntschaft gemacht, so hofften wir, wir würden künftig gute Freunde bleiben. Denn unser Sprichwort sagt: Freundschaft auf dem Schlachtfeld geschlossen währt bis in den Tod.
   Am dritten Tag war uns ein wenig besser. Ich konnte mich bereits von meinem Tillandsea-Lager erheben, obwohl mit vielen Schmerzen. Und rief ich Rachel und die Weiber und sagte ihnen:
   »Unsere Lage ist nicht die am weichsten gebettete, hab‘ ich die Notion. Unsere Häuser niedergebrannt, wir niedergeworfen, daß wir schier nicht aufstehen können, alles um uns herum Blut und Leichname. Kalkuliere, wir müssen Rat halten, was nun zu tun ist.«
   »Kalkuliere, das ist eine schwere Sache«, sagten James und Righteous.
   »Haben aber getan, was wir tun mußten«, sagte James. »Kein Hinterwäldler hätte in unserer Lage braver getan.«
   »Richtig«, sagte ich. »Habt ganz recht! Haben getan, was wir tun konnten und mußten. Aber jetzt ist nicht die Frage, was wir getan, sondern was zu tun.«
   »Was zu tun?« fragte Rachel, die immer viel vom Geist ihres Vaters gehabt und noch hat. »Der Herr hat es gesandt, was uns zugestoßen. Müssen abwarten, was er weiter zu senden willens ist. Und müßt ihr euch ruhig verhalten, und wenn ihr hergestellt seid, dann ist Zeit genug Rat zu pflegen.«
   »Und was ist mit Asa?« fragte ich.
   Lag aber Asa im Waschkübel Rachels mit weißer Leinwand angetan und lag in der Ecke, wo er begraben ist.
   »Asa!« sagte Rachel und brach in Tränen und Schluchzen aus. »Mein geliebter Asa! Soll da ruhen, wo er gefallen ist. Seine Lagerstätte soll sein in dem Blockhaus, das er selbst gebaut, dem blutigen Blockhaus.«
   »Rachel, du wirst doch nicht sein Grab graben wollen?« sagte ich.
   »Nicht jetzt, Nathan. Für jetzt will ich unterdessen draußen ein Grab graben. Aber wenn wir aus dem Blockhaus heraus sind, dann soll er hier eine Ruhestätte haben, wie sich‘s gehört und gebührt.«
   »Also willst du aus diesem Blockhaus, Rachel?«
   »Können doch nicht drei Familien zusammen im Blockhaus wohnen? Wirst doch das nicht wollen?«
   »Und wohin sollen wir, Rachel?«
   »Wohin?« fragte sie erstaunt. »Wohin anders als dahin, wo wir hergekommen?«
   Und deutete sie auf den Präriekamm, auf dem unsere abgebrannten Häuser standen.
   »Dorthin ziehen?« sagte ich. »Rachel, vergißt du, daß wir bereits einmal von dort vertrieben worden und die Spanier jetzt zehnmal mehr Ursache dafür haben und den Weg auch leichter finden werden als das erste Mal, auch nicht mehr bloß fünfundachtzig kommen werden?«
   »Und sage ich dir, Nathan, der du ein Sohn deines Vaters bist, ich sage dir, daß ich diesen Ort und dieses Land, das meines Mannes Blut getränkt, nimmermehr meiden will, nicht, wenn zehntausend Spanier kämen! Und willst du gehen, so geh! Ich will bleiben. Asa hat das Land mit seinem Blut errungen, und Rachel will es behaupten.«
   »Das sind eitle Reden, Rachel«, sagte ich. »Du weißt wohl, daß wir dich nicht allein hier lassen werden. Aber wenn nun die Spanier kommen?«
   »Das sind noch eitlere Reden!« sagte Rachel. »Wir sind in Gottes Hand und haben das Unglück nicht verschuldet. Was gekommen ist, müssen wir ertragen, und kommen die Spanier wieder, so helfe uns Gott! Und er wird helfen, so wie er den drei Männern im feurigen Ofen geholfen hat. Wären die Vereinigten Staaten einen Steinwurf weit weg oder über dem Red River drüben, möchten wir einstweilen dorthin, bis eure Wunden geheilt sind. Aber da dies nicht der Fall ist, so müssen wir Gottes Schickung abwarten, abwarten, bis ihr wieder hergestellt seid. Aber das Land verlasse ich nun und nimmermehr.«
   Und kannten wir Rachels hohen Geist vollkommen, um zu wissen, sie würde auch halten, was sie sagte. War aber jetzt nichts weiter zu tun, als in Geduld unsere Heilung abzuwarten.
   Und warteten wir unsere Heilung auch ab. Und wie unsere Kräfte wiederkehrten, kam auch die Besinnung und der Mut. Und nach Verlauf von vier Wochen waren wir so ziemlich wieder bei Kräften, obwohl wir weder eine Axt schwingen noch eine Rifle halten konnten.
   Und schoben und krochen wir eines Morgens nach Verlauf dieser langweiligen vier Wochen aus unserm Blockhaus, das schier unser aller Grab geworden wäre. Und stiegen wir die Leiter hinab, und war unser erster Gang natürlich zu dem Kamm, wo unsere Häuser gestanden.


   5

   Standen auf unsere Krücken gestützt, war gerade vier Wochen nach der blutigen Hochzeit, und betrachteten den Greuel der Zerstörung, den die mutwilligen Spanier angerichtet.
   Ein Haus war stehen geblieben, die Wände nämlich, bloß das Dach war abgebrannt. Die Wände waren von Zypressenholz, und das brennt nicht gern. Die zwei anderen Häuser waren bis auf den Grund niedergebrannt.
   Wir kalkulierten, was am nächsten zu tun wäre. Und kalkulierten, daß das Dach mit leichter Mühe wieder aufgesetzt werden könnte und so die Hälfte von uns Unterkunft finden möchte. Denn im Blockhaus waren wir wie die Heringe geschichtet.
   Sagte aber Rachel, die mitgegangen war:
   »Hab‘ schier die Notion, das beste, was wir tun könnten, wäre einstweilen im Blockhaus bleiben.«
   Sagte ich: »Im Blockhaus bleiben, in der faulen Luft und den erstickenden Dünsten? Wo denkst du hin, Rachel? Sind ja ärger zusammengepackt als auf unserer Mississippi-Arche!«
   Sagte aber Rachel, sagte sie: »Ist immer besser zusammengepackt zu sein als auseinandergerissen zu werden von den Feinden. Und kommen sie und finden uns beisammen und zusammenhaltend, so werden sie nicht leicht ihr Spiel von vorne anfangen. Hat ihnen zuviel gekostet, das Spiel. Hab‘ aber was ganz anderes sagen wollen, hab‘ schon lange darüber gegrübelt.«
   »Sag an, Rachel!« sagte ich. »Bist deines Vaters Tochter und hast viel von seinem Geist.«
   Und Rachel sagte kein Wort darauf, deutete aber hinauf gegen Nordost, wo das liebe Kentucky liegt, deutete hinauf und sagte:
   »Sag‘ euch, hab‘ die Notion, wird mir ganz weh ums Herz, wenn ich so denke, wie wir hier stehen, und derjenige, der die Seele von allem war, nicht mehr bei uns ist. Wird mir ganz weh, und wollte, wir sähen wieder eines unserer fröhlichen Kentuckygesichter, und unsere Landsleute am Salt River wüßten, was hier mit uns vorgeht, und wie wir das mächtig schöne Land mit unserem Blut und Asas Leben erworben! Sag‘ euch, sie würden nicht lange säumen, ihren Gäulen das Gebiß anzulegen.«
   »Das denke ich auch!« sagte Righteous.
   »Hab‘ darüber kalkuliert und gegrübelt«, sagte Rachel. »Und hab‘ die Notion, wenn du hinaufschriebst, Nathan, ihnen das alles fein säuberlich schriebst und ihnen schriebst, sie sollten kommen, ein Dutzend Familien oder so viele, wie wollen. Land hätten wir genug, auch Holz genug zum Häuser aufblocken und Fence Zaun machen, ohne daß wir dem County Clerk einen Cent für Schreibgebühren zu bezahlen brauchten.«
   »Rachel!« sagte ich. »Rachel, das ist ein guter Einfall, den du hast, ein ganz herrlicher Einfall! Will tun, was du sagst, und schreiben, und hab‘ die Notion, wenn die Unsrigen am Salt River hören, was wir hier für ein blutiges Treffen hatten, werden sie alles liegen und stehen lassen und ihren Gäulen die Sporen in die Flanken setzen, ohne erst viel zu fragen, ob das Land schön oder ein Alligatorsumpf ist.«
   »Gott behüte!« sagte Rachel. »Das nicht! Nichts mehr von Fechten und blutigen Treffen, wenn wir anders helfen können! Nichts mehr davon, wenn wir es vermeiden können! Darfst kein Wort davon schreiben, was wir für eine blutige Frolic Lustbarkeit gehabt, sondern bloß, daß wir mächtig schönes Land gefunden. Denn merkst du nicht, das schöne Land wird anständige Leute anziehen, aber die blutige Frolic nur Raufbolde und derlei Volk, und das können wir nicht brauchen.«
   »Rachel, du hast recht!« sagte ich. »Du bist wahrlich deines Vaters Tochter, die weiter hinaus sieht, als wir Kentucky-Leute in der Regel tun. Will schreiben, wie du es haben willst, und ihnen alles schreiben. Aber wie ihnen das Geschreibe zukommen lassen? Rachel, das ist eine andere Frage. Du weißt, am Mississippi gibt es keine Post, und es sind gute sechzehnhundert Meilen hinauf bis zum Salt River.«
   »Auch an das hab‘ ich gedacht«, sagte Rachel. »Wir haben hier die Akadier, und einer von ihnen kommt aus Kanada, redet unsere Sprache und scheint ein brauchbarer Mann zu sein, der sich gern unter uns mit seiner Familie niederließe. Hat mir versprochen, schier einiges zu tun, uns seine Dankbarkeit zu beweisen.«
   »Trau den Franzosen nicht, Rachel!« sagte ich. »Trau ihnen nicht! Sind alle höflich und falsch und reden anders und denken anders. Kalkuliere, das beste ist, ich gehe selber hinüber nach Natchez, und wenn der Akadier uns einen Gefallen tun will, so mag er mitgehen und eine Hand zum Rudern leihen. Haben wieder etwas Bärenfett und ein paar Dutzend Hirschschinken, die wir nicht brauchen. Kalkuliere, das beste ist, ich schreibe zwei Briefe und bestelle sie durch kentuckische Bootsleute. Kann auch nicht schaden, wenn ich drei schreibe, im Fall der eine oder andere verlorengehen sollte. Obwohl ich es vorzöge, einen Acker der dicksten Immergrüneichen zu ringeln, als drei Schreiben zu machen. Aber wenn ich nun gehe, und die Spanier kommen?«
   »Hab‘ die Notion, die Spanier kommen nicht so bald«, sagte Rachel. »Sagen die Soldaten, daß sie von der Besatzung von Natchitoches sind, und daß nicht mehr als hundert im Fort zurückgeblieben, und daß es drei Monate nehmen würde, ehe Soldaten von New Orleans heraufkommen können.«
   »Ja aber«, sagte ich, »bis unsere Landsleute ankommen, dauert es gute sechs! Und wenn nun die Regierung die Kreolen und Akadier gegen uns aufhetzt?«
   »Hab‘ die Notion, das wird sie nicht tun!« sagte Rachel. »Hab‘ darüber auch mit dem Mann gesprochen. Müßt wissen – ist aber nicht laut zu sagen —, die Akadier und die Kreolen mögen einander schier so wohl leiden wie bei uns oben die Republikaner und die Tories. Sind einander spinnefeind, und sagt der Akadier, wenn wir zu den Seinigen halten, so sollen alle Kreolen und Soldaten uns nichts anhaben. Wollen sich die beiden Akadier auch unter uns niederlassen und noch andere mitbringen.«
   »Das ist etwas, das gut und schlecht ist«, sagte ich. »Gut und schlecht, Rachel. Wäre mir lieber, wir könnten unter uns bleiben, ohne die französischen Akadier, die besser ihre Hängematte woanders aufschlagen. Sind nicht unsere Leute, Rachel, können sich nicht selbst regieren, und wollte, wie gesagt, sie gingen ein Haus weiter. Aber sie sind in einem freien Land oder sind vielmehr in ihrem Land, und so können wir es ihnen nicht wehren.«
   Und wie wir so hin und her redeten, wurde Righteous, dessen Auge euch so scharf ist wie das eines Adlers, auf einmal aufmerksam und schaute starr in die Ferne. Und schauten wir gleichfalls und spähten, und sahen in den Strahlen der Morgensonne zwei Gestalten, aber von einem solchen Glanz umgeben! Waren gleichsam überirdisch in ihrem Glanz, und erschienen sie uns wie Boten des Friedens und Engel des Lichtes, die beiden Gestalten! Ist eine wunderbare Eigenschaft, die unsere Prärien haben: seht oft ganze Städte, Felsengebirge, Seen, Landhäuser, oft glaubt ihr Armeen gegeneinander kämpfen und wieder Cherubims vom Himmel herabsteigen zu sehen, und kommt ihr näher, so findet ihr statt der Städte Gras und statt der Cherubims Jäger in Hirsch– und Bärenfellen. Ist ein Fakt!
   Und wie wir so schauten und uns schier die Augen ausschauten, erkannten wir endlich, daß es zwei Männer waren. Und Righteous, der ein wahres Indianerauge hat, schrie:
   »Sind Kentuckier! Oder wenigstens aus dem Westen der Old Dominions! Will darauf meine Rifle wetten, kenne sie an ihrem fröhlichen Gang und ihrem munteren Wesen. Kommen euch und schreiten daher, als ob sie hier zu Hause wären.«
   Und waren wir euch doch so gespannt, könnt es gar nicht glauben, wie gespannt wir waren. Verlangte uns das Herz, wieder einmal in eines unserer fröhlichen Kentucky-Gesichter zu schauen. Hört! Wenn man so an sechzehnhundert Meilen von den Seinigen ist und nichts als olivengrüne Dons zur Abwechslung sieht, würde der Teufel selbst, käme er aus der Heimat, willkommen sein.
   Und waren es richtig Männer aus dem Westen, erkannten sie an den Jagdhemden, als sie näher kamen. War uns doch so sonderbar zumute – wußten nicht, ob wir vor Freude lachen oder weinen sollten. Waren auch wegen unseres ausgestandenen Siechenlagers in einer so weichen Gemütsstimmung.
   War stark im Dezember gegen das neue Jahr zu und der Morgen frisch, obwohl nicht so kalt wie im alten Virginia oder in Kentucky. Aber wir waren durch das lange Liegen in Windeln und das ewige Suppetrinken so weich und empfindlich gegen die kühle Morgenluft geworden, könnt es gar nicht glauben, wie weich. Hatten uns in unsere Hirschwämser eingetan und sahen aus wie große in Windeln gewickelte Kinder. Hatten noch Wolldecken über uns geworfen, auch Rachel, und sah meine Schwester in ihrer Wolldecke aus, obwohl sonst ein sauberes Weibsbild, sah aus schier wie eine Indianer-Squaw.
   Und als die zwei Männer so an uns herankamen, stierten sie uns verwundert an, dann schauten sie einander an und schüttelten die Köpfe. Sie legten ihre Rifles in den Arm, und so kamen sie an und heran. Und schlug uns das Herz vor Freuden. Denn jetzt war nicht bloß das Briefschreiben überflüssig, wir hatten auch andere Ursache froh zu sein.
   Und kamen die beiden Herren bis auf fünfundzwanzig Schritte heran, und rief uns endlich der vordere zuerst an:
   »Frischer Morgen das!« rief er. »Hab‘ die Notion, ein frischer Morgen!«
   Und wie er uns so anrief, war uns doch, als ob wir gerade auf ihn zuspringen und ihm um den Hals fallen müßten. Erkannten ihn nämlich sogleich und sahen, daß es nicht bloß Kentuckier waren, sondern auch, was mehr sagen will, vom Salt River und nahe Blutsverwandte, der eine wie der andere.
   Und sagten wir: »Wohl ist das ein frischer Morgen. Und guten Tag, ihr Männer, und wo kommt ihr denn her? Was bringt euch denn einen so weiten Weg her?«
   Und schrie Rachel, der die Tränen in die Augen kamen: »So möge sich Gott meiner erbarmen, wenn das nicht George ist, der George, der Bruder meines vielgeliebten Asa! O George, lieber Schwager, mußtest du zu einer so betrübten Stunde kommen?«
   Und schaute George auf. Hatte Rachel in ihrer Wolldecke nicht gleich erkannt, erkannte sie aber jetzt an der Stimme.
   »Was?« schrie er. »Du, meine liebe Schwägerin Rachel? Und möge ich erschossen sein, wenn das nicht die Rachel meines Bruders Asa und meine liebe Schwägerin ist! Gott segne dich, Schwägerin! Grüße dich vielmals, und was treibst du? Und was treibt Asa? Wird wohl den Bären auf der Fährte sein, der Asa, oder ist er zu Hause?«
   »Mann!« sagte sie. »O Mann, was fragst du nach Asa? O Asa, mein teurer Asa! Wohl ist er zu Hause, aber Gott erbarme es, in einem engen Hause!«
   »Versteh‘ dich nicht, Schwägerin«, sagte George.
   Und Rachel brach abermals in Tränen und Schluchzen aus. Hatte ihn so lieb, den Asa! War auch ein liebwerter Mann, der Asa, gut wie ein Kind am heiteren Tag und friedfertig wie ein Kind, wenn er nicht giftig war. War er euch aber giftig, dann tat er zuweilen wild.
   »O George!« schluchzte sie. »O George! Der, den du suchst, mein geliebter Asa wohnt, Gott erbarm‘s, in einem engen Haus!«
   Und verstand nun George, was das enge Haus für ein Haus war.
   »Des Herrn Wille geschehe!« sagte er. »Hätte vieles darum gegeben, es wäre anders. Mußten also die englischen Kugeln und die hessischen Bajonette ihn verschonen, bei Trenton Weihnachten 1770 überschritt Washington bei Trenton den Delaware und nahm rund tausend Hessen gefangen. und Saratoga Der englische General Burgoyne, der von Canada aus auf New York marschierte, kapitulierte am 17. Oktober 1777 bei Saratoga. und bei Cowpens, und eine elende spanische Muskete ihm den Rest geben? Haben gehört von eurer Frolic mit den spanischen Dons, ist das ganze Land voll davon. Hätte aber nicht gedacht, daß mein armer Bruder Asa sie mit seiner Haut würde bezahlen müssen.«
   Und waren es George und Dan, der Dan vom alten Splash. Und waren sie mit einer Ladung Schinken und Welschkorn und Mehl und derlei Sachen, auch einem halben Dutzend Gäule und kräftiger Burschen, alle vom Salt River zu Hause, den Ohio herabgekommen und den Mississippi, um ihre Sachen in New Orleans auf den Markt zu bringen und sich bei der Gelegenheit auch das Land anzusehen, und wenn wir nicht zu weit aus ihrem Wege wären, bei uns vorzusprechen. Und waren sie bis Natchez gekommen, wo sie anhielten, weil einer ihrer Ruderhaken zerbrochen und sie den Hufschmied brauchten.
   Und während ihnen der Hufschmied den Nagel wieder zusammenschweißt, erzählt er ihnen auch von der gewaltigen Frolic, die einer namens Asa Nollins mit den Spaniern irgendwo im Westen gehabt. Und sagte George kein Wort dazu, horchte aber weiter herum in den Tavernen und an den öffentlichen Orten. Und sprach man schier von nichts anderm als der blutigen Frolic, und was wir hier für eine Wirtschaft mit den Spaniern getrieben. War ganz Natchez voll davon, und in den Niederlassungen um Natchez herum sprach man auch von nichts als von unserer Schlacht und der Belagerung, die wir ausgehalten.
   War der Lärm groß im Land. Sagten, der Gouverneur, wie er davon gehört, sei im bloßen Hemd auf die Gasse hinausgesprungen, weil er der Notion war, wir kämen schon den Mississippi herab, gerade auf New Orleans zu. Und sagten, er speie Feuer und Flammen, der Gouverneur, und habe einen harten Eid geschworen, er wolle uns alle hängen, spießen oder braten lassen, wie sie die Türken und Heiden und Juden in den alten barbarischen Zeiten hingen und spießten, und wolle kein Kind im Mutterleib schonen.
   Und die Leute in Natchez hatten ihnen auch die französische Zeitung gegeben, den »Monithur von Louisiana«, Moniteur de la Louisiana, das damalige Regierungs– und einzige Blatt in Louisiana. Nollins hat wirklich gelebt, seine Expedition und der Kampf um das Blockhaus sind geschichtlich und werden in Flugschriften wie in Geschichtswerken der damaligen Zeit erwähnt: In den amtlichen Dokumenten wird er Philip Nolan geschrieben. Dieser Nollins == Nolan machte 1801 von Natchez aus mit einigen Amerikanern einen Einfall in das spanische Louisiana und wurde bei einer Belagerung getötet. wo alles darinnen stand, bis auf das Aus-dem-Bette-Springen des Gouverneurs, was eine Story war, eine erfundene Geschichte, hab‘ ich die Notion. Und rieten ihnen die Leute, bei der grausamen Aufregung, in der die Spanier gegen uns Amerikaner waren, nicht nach New Orleans zu gehen. Und obwohl sich George um die Spanier und ihre Aufregung keinen Fiedelbogen kümmerte, so kalkulierte er doch, es wäre vermessentlich, in ein Wespennest hineinzukriechen und während des Aufruhrs nach New Orleans hinab zu gehen.
   Und kalkulierten er und Dan so hin und her, was wohl anzufangen sei mit ihren Sachen und Mehl und Welschkorn, und sagte ihnen endlich ein Pflanzer von Natchez, ein so ehrlicher Amerikaner, wie er je in seinen Schuhen stand: wenn er sie wäre, so sattelte er seinen Gaul und gäbe ihm die Sporen und machte einen Abstecher zu Asa Nollins. Der habe sich gewiß nicht wegen eines Alligatorensumpfes mit den Spaniern herumgeschlagen. Er kenne beiläufig die Gegend, wo Asa sich aufhalten müßte. Gäbe da prächtiges Zucker– und Baumwollenland, und wenn er ihnen raten dürfe, so rate er ihnen, von ihren Sachen so viel zu verkaufen, wie sie an den Mann bringen könnten, und mit dem Überrest sich in den Red River hineinzuschiffen und an Asa anzuschließen. Wenn das Land so schön sei, wie er gar nicht bezweifle, so könnten ein halbes Dutzend Hände wie die ihrigen es da weit bringen, und wenn sie gehen wollten, würde er von wegen des gemeinsamen Besten auch gern ein übriges tun.
   Und dachten George und Dan darüber nach, und ihre Arbeitsleute, die sie mithatten, die kalkulierten gleichfalls, wenn das Land schön sei und umsonst zu haben, könnte der Handel nicht schnell genug geschlossen werden. Hatten sich aber zu einer Ansiedlung nicht vorbereitet und wohl ein paar Äxte und Rifles mitgenommen, aber alles andere zu einer Ansiedlung Gehörige zu Hause gelassen. Und sagte George das dem Pflanzer. Und sagte der Pflanzer, wenn sonst nichts wäre als das, da wolle er bald abhelfen.
   »Gibt einen Büchsenschmied in Natchez, der kapitale Rifles schmiedet«, sagte er. »Hat sicher einen Vorrat von so kapitalen Rifles, wie sie je einem Hirschbock oder Büffel den Garaus machten. Solltet selbst sehen!«
   Und gingen George und Dan mit dem Pflanzer zum Büchsenschmied und wählten sich ein halbes Dutzend Rifles aus. Zwei hatten sie, so daß nun jeder Mann seine Rifle hatte. Und versah sie der Pflanzer mit Äxten, Pflügen, Riemengeschirr, Wolldecken und allem, nahm ihnen dafür einen Teil ihrer Ladung ab. Waren auch andere Pflanzer zur Hand, die das ihrige beisteuerten und sich der Sache annahmen, als sie hörten, was vorginge, und daß es geplant sei, festen Fuß in Louisiana zu fassen. Nahm ganz Natchez schier lebhaften Anteil daran.
   Und rüsteten George und Dan und ihre sechs Leute das Flachboot gehörig aus mit allem, was zu einer Ansiedlung im Busch vonnöten. Und als sie mit allem fertig, fuhren sie den Mississippi hinab und rechts in den Red River ein. Der Pflanzer hatte ihnen die französische Zeitung ins Englische übersetzt und angedeutet, wo herum wir unser Blockhaus aufgerichtet haben müßten, ihnen auch vom Bayou oberhalb der Einmündung des Black River in den Red River gesprochen.
   Und fuhren also in den Red River ein und kamen, bis wo rechts der Black River einmündet, und sahen links weiter oben das Bayou und trieben da hinein. Und fuhren immer weiter hinein, bis sie endlich nicht weiter konnten. Und kamen in der Bucht an, wo wir gehalten, und fanden unsere Spuren und unser Kielboot, das wir im Laubwerk verborgen hatten. Sie stutzten über das Kielboot, weil sie wußten, daß wir ein Flachboot gehabt, ließen sich aber doch nicht irremachen und folgten unserer Spur und kamen so endlich glücklich in unserer Niederlassung an.
   Und war ob ihrem Erscheinen große Freude unter uns. George und Dan gingen sogleich mit Jonas und sahen sich das Land von allen Seiten an. Nachdem sie alles gesehen und kalkuliert, kamen sie zurück ins Blockhaus, wohin wir früher zurückgekehrt. Hatten bloß noch Godsend nachgesehen, der seine Fallen für wilde Truthühner aufgestellt.
   Hatte sie aufgestellt, wie es bei uns im Westen üblich. Man gräbt einen abschüssigen Graben, achtzehn Zoll tief und breit. Über das in einen Sack ausgehende Ende werden Stöcke gelegt. Darüber baut man aus Stämmchen einen Käfig von vier Fuß Höhe, der mit Reisig und einigen stärkeren Stämmen bedeckt wird. Werft ihr nun Welschkornkörner in den Käfig und den Graben hinauf in Zwischenräumen und weiter draußen bis an die Orte, wo sich die Truthühner aufzuhalten pflegen, oft eine Meile weit, so ruft das erste Truthuhn, das ein Welschkorn entdeckt, die ganze Familie herbei, die pickend die Spur verfolgt und so in den Graben und Käfig gelangt. Springen nun auf die Stöcke und suchen ängstlich einen Ausweg. Schauen aber nur hinauf und nie hinab, die dummen Tiere, und finden so die Öffnung nicht und sind eingeschlossen. Hatte auf diese Weise an die zehn Truthühner gefangen, der Bube, die wir ihm halfen nach Hause bringen.
   Als George die Leiter hinaufstieg zu den Palisaden, sagte er, das sei ein tüchtiges Blockhaus, das eine Belagerung aushalten könne. Sei aber das Land ein so mächtig herrliches Land, wie er im ganzen Westen nicht gesehen.
   »Ist ein Fakt!« sagte er.
   Und erklärten wir ihm nun, wie wir gefochten und wie Asa gefallen und wie die Spanier eingebrochen und wie Godsends Kugel uns von einem großen Unglück befreit. Und drückte er dem Buben die Hand.
   »Hast wie ein braver Kentuckier getan, wie ein glorreicher Kentuckier!« sagte er. »Und so habt ihr alle getan, und der alte Daniel Boone konnte nicht glorreicher gefochten haben. Und seid nun Herren des Landes, und wenn ihr wollt und nichts dagegen habt, so will ich euch meine Notion sagen.«
   Und sagten wir, hätten nichts dagegen, seine Notion zu hören.
   Und sagte er: »Hab‘ die Notion, habt gefochten wie glorreiche Kentuckier, und ist das Land euer! Und wenn ihr nichts dagegen habt, so will ich kommen mit den Meinigen.«
   »Was sagst du da?« schrie Rachel schier giftig. »Wenn wir‘s erlauben und nichts dagegen haben? Was sind das für Reden, Schwager? Von einem Blutsfreund und dem Bruder Asas?«
   »Ganz ernst gemeinte Reden sind das, Schwägerin«, sagte George. »In allem Ernst gemeint. Ist das Land euer, habt es mit eurem Blut erobert, und seid ihr daher diejenigen, die man fragen muß, wenn man sich hier eine Hütte zu bauen die Notion hat. Und so ihr nichts dagegen habt, kommt euer Schwager George mit Weib und Kindern und bringt euch noch ein Dutzend oder mehr tüchtiger Burschen mit. Denn ich sehe, habt nicht zweimal Überfluß an Händen.«
   »Das ist es ja eben, Schwager, das ist es ja, warum Nathan hinaufschreiben sollte, euch zu berichten, wie wir hier auf ein so mächtig schönes Land gestoßen, das keiner Seele gehört und just für‘s Nehmen zu haben ist. Und da hat es sich nun so prächtig fein gefügt, daß du gekommen.«
   »So hat es!« sagte George. »Und sage euch meine Notion. Will euch vier der Burschen hier lassen oder auch alle sechs. Glaube schier, ihr seht es lieber, wenn ich euch alle sechs da lasse, kenne sie, sind ordentlicher Leute Söhne, die Söhne von Jim und Waddy und Stickfast und Skull und Davy, just die echte rechte Kentucky-Brut vom Salt River und Kentucky. Mögen euch unterdessen helfen, eure Häuser aufblocken und einrichten, so daß unsere Weiber Obdach finden, wenn wir kommen, obwohl sie sich die Haare auch nicht ausreißen werden, wenn sie es nicht finden.«
   Und waren wir natürlich alle einverstanden. George und Dan blieben bis zum nächsten Tag, und besprachen wir alles. Mit Anbruch des nächsten Tages kehrten sie zum Bayou zurück. Jonas war mitgegangen.
   Und nahmen George und Dan statt ihrer Arche das Boot, das sie an der Arche hängen hatten, zu ihrer Rückfahrt. Fuhren den Red River hinab und in den Mississippi ein, auf unsere amerikanische Seite hinüber, wo sie landeten, das Boot den Wellen überließen und dann zu Fuß nach Natchez hinauf gingen. Riefen beim Pflanzer an, und der verschaffte ihnen ein paar Gäule, und ritten durch das Choctaw– und Cherokee-Gebiet nach Kentucky zurück und trafen glücklich am Salt River ein.
   Und waren kaum da angekommen, als sie ihre Bekannten und ihre Freunde zusammenriefen und ihnen Bericht abstatteten, was sie für ein mächtig schönes Land gesehen, und wie Asa Nollins und ich ein Blockhaus darauf gebaut und eine Belagerung ausgehalten und wie Asa die Abgaben mit seinem Blut bezahlt.
   Und unsere Freunde am Salt River, wie sie das hörten, erhoben sich wie ein Mann und schwuren einen harten Eid, Asa Nollins habe getan wie ein rechter Kentuckier und habe das Land erobert und behauptet wie ein wahrer revolutionärer Kämpfer, und solle ihm dafür der Dank des ganzen County zuteil werden.
   Und beriefen sie auch eine öffentliche Versammlung und sprachen Asa Nollins den öffentlichen Dank aus und beschlossen, daß es sich für Kentuckier nicht gezieme, die Hände in den Schoß zu legen, wenn Landsleute und Freunde mit Fremden und Ausländern im Kampf begriffen sind um so mächtig schönes Land, und daß es den Kentuckiern gezieme, das eroberte Land behaupten zu helfen und beizustehen mit Männern und sonstigen Dingen.
   Und bildeten einen Ausschuß, der alles das leiten und in Ausführung bringen sollte. Und meldete sich sogleich ein Dutzend tüchtiger Burschen und junger Männer, die zu unserm Beistand abzugehen entschlossen waren. Und ließ sich die Mehrzahl der Burschen mit ihren Mädchen trauen. Und zimmerten eine Arche zusammen, und in drei Wochen schifften sie sich mit ihren jungen Weibern und Ferkeln und Kühen und Sachen ein.
   Kamen mit ihren Weibern und Sachen auch glücklich den Mississippi herunter und zu uns herüber, und sahen wir sie gerade fünf Monate nach dem Aufbruch Georges anrücken. Und ging nun der Jubel im guten Ernst an. Machten wir uns nun daran, eine richtige Niederlassung zu gründen. Und ging es über das Ausmessen der Ländereien und Fällen der Bäume und Aufblocken her, hörtet schier nichts anderes als den Knall der Äxte.
   Und war dies bloß der Anfang. Die Hauptsache kam erst, als an dreißig Familien nachrückten, dreißig so rechte Familien, als je aus dem alten Virginien ins neue Kentucky ausgezogen, und mit ihnen Kühe und Kälber und Gäule und alles, tüchtige Zimmerleute und Schreiner.
   296 Kamen aber auch die beiden Akadier mit ihren Familien, um sich in unserer Nähe anzusiedeln. Sagten, es gefiele ihnen bei uns besser als unter ihren wilden Nachbarn und trägstolzen Altadeligen. War uns aber nicht zweimal angenehm, die französische Sippschaft unter uns zu haben, besonders als wir fanden, daß mehrere nachzukommen die Absicht hatten. Fanden aber Mittel, dem Zuzug Einhalt zu tun.
   Wären sonst keine unebenen Leute gewesen, im Gegenteil, waren tüchtige Jäger, die Tag und Nacht auf dem Anstand lagen und ihr Wild schier um nichts wieder weggaben. Gaben euch den schönsten Bären für eine Gallone Whisky, und hätten sich ein ganzes Faß kaufen können, wenn sie die Bärenklauen allein zu Markt gebracht. Hatten aber eine abscheuliche Eigenschaft, die wir durchaus nicht vertragen konnten, und die war ihr ewiges Tanzen.
   Könnten es, sagten sie, unmöglich lassen, und war gerade immer an Sonntagen, daß ihnen die Fußsohlen so juckten, so unglaublich Christenleuten so etwas klingen mag. War ein wahrer Greuel, die alten und jungen Narren in ihren Wolldecken, Braguets und Mitassen so herumhopsen zu sehen, und kalkulierten wir lange, wie dem Einhalt getan und unsere Niederlassung von dem Schandfleck befreit werden möchte.
   Und beschlossen wir endlich in öffentlicher Versammlung und erhoben zum Gesetz, daß zwar das Tanzen nicht verboten sein solle, da es jedermann freisteht, seine Füße zu gebrauchen, wie ihn am besten dünkt, aber das Aufspielen zum Tanz solle bei fünf Dollars Strafe verpönt sein.
   Und gefiel den französischen Gesellen dieses Gesetz gar nicht. Sie weigerten sich, unsere gesetzgebende Gewalt anzuerkennen, sagten wir ihnen aber, wenn sie die Vorteile unserer Gemeinschaft genießen wollten, müßten sie sich auch die Beschränkungen, die sie auferlegte, gefallen lassen. Starrten uns an, schier verwundert, und wußten nichts zu sagen, als daß wir weder Syndikus noch Gouverneur noch Kommandanten wären und also keine Autorität hätten, Gesetze zu geben, da wir nicht die von Gott eingesetzte Obrigkeit wären. Und hielten die Narren ihre Kommandanten für von Gott eingesetzte Obrigkeiten.
   Und hatten wir nichts gegen diese ihre Meinung, da sie keine Amerikaner, sondern bloß Franzosen waren, mit denen zu disputieren wir unter unserer Würde hielten. War uns aber das Treiben ärgerlich, und schlossen wir sie ab. Sie durften nicht herüber in unser Gehege. Das hielten sie ein halbes Jahr aus, und zogen die meisten Familien wieder weg. Einige aber blieben und darunter unsere beiden Akadier. Sahen oft über die Fencen herüber unserm Tun und Treiben zu und baten endlich, wir möchten sie wieder in unsere Gemeinschaft aufnehmen und sie die Wege, die wir ausgelegt, und die Sägemühlen, die wir zu bauen angefangen, benutzen lassen.
   Und berieten wir darüber und gewährten ihre Bitte gegen das Versprechen, daß sie den Greuel des Tanzens aufgeben und sich wie vernünftige Menschen am Sabbat gebärden sollten. Und gaben sie ihr Umherspringen auf und wurden nach und nach ordentliche Leute und wohlhabend dazu. Sind jetzt brave tüchtige Bürger, freilich keine Amerikaner.
   Die spanische Regierung aber führte einen allmächtigen Krieg in ihrer Zeitung und klagte über völkerrechtliche Verletzung ihres Gebietes. War uns das schier zum Lachen, diese Franzosen und Spanier über Verletzung des Völkerrechts klagen zu hören, sie, die um das Völkerrecht in Amerika geradesoviel gegeben wie der Teufel um das Neue Testament. Ließen uns ihre Klagen wenig anfechten. Sie versuchten aber, uns das Leben sauer zu machen, waren ihnen jedoch mittlerweile zu stark geworden.
   Wandten sich zuletzt an die amerikanische Zentralregierung in Philadelphia und klagten bei ihr, war aber dieses just Wasser auf unsere Mühle. Unser Präsident, der alte John Adams, John Adams war von 1797 – 1801 Nachfolger Washingtons in der Präsidentschaft der Vereinigten Staaten. so ein Tory er auch ist, hätte es nicht wagen dürfen, Bürger der Union in der Klemme stecken zu lassen, und zwar Bürger, die mehr für das Beste der Staaten getan, als ... Wollte es ihm nicht geraten haben!
   Aber lassen wir das jetzt! Habt einstweilen genug von der Geschichte des Blockhauses gehört und der Niederlassung Asas. Mögt nun eine Notion haben, wo ihr seid, und daß wir, schlicht wie ihr uns seht, nicht die Leute sind, die sich ins Bockshorn jagen lassen, und das ist einstweilen genug. Werdet das Weitere später hören, wenn wir mehr Salz miteinander gegessen haben.



   Die Squatters


   1

   Der Alte war unter diesen Worten die Leiter hinabgestiegen. Unten angekommen warf er nochmals einen nachdenklichen Blick hinauf zu den Palisaden und dem Blockhaus, dann gingen wir der breiten Straße zu, die die Waldesränder bildeten. Unsere Gefährten waren bis auf einen, der die Öffnung im Pfahlwerk schloß, bereits voran. Schweigend, in tiefes Nachdenken versunken, gingen wir dahin.
   Des Alten urwüchsige Erzählung hatte uns in mehr als einer Hinsicht gepackt. Man denke sich in unsere Lage, in unsere Empfindungen hinein. Wir waren Europäer, soeben in Amerika angekommen, hatten einen Thron stürzen, in seinem Sturz eine halbe Welt erschüttern, und zertrümmert diese halbe Welt noch in Zuckungen erhalten sehen, und hier standen wir gegenüber einem Hinterwäldler, der, auf sein eingebildetes Recht gestützt, mit fünf seiner Gefährten dem damals mächtigsten Reich der Neuen Welt den Krieg erklärt hatte.
   Wie er dieses Recht begründete – weil der Mississippi auf amerikanischem Grund und Boden entsprungen, gehöre den Amerikanern Louisiana —, kam uns durchaus nicht lächerlich vor. Als einige Jahre später Louisiana durch Kauf von Frankreich in amerikanische Hände überging und sich einer der amerikanischen Staatsmänner gerade dieses Beweismittels von der Tribüne herab bediente, und zwar mit so glücklichem Erfolg, daß es später bei der Erlangung Floridas noch einmal herhalten mußte, da erinnerte ich mich daran, wie ich dieselbe Beweisführung zuerst aus dem Mund dieses alten Hinterwäldlers vernommen.
   Damals kam mir nichts weniger als Lachlust an, ich fühlte mich im Gegenteil empört über die nackte Unverschämtheit, mit der uns das Lederwams unser Recht auf Louisiana streitig machte. Um so mehr als sein ganzes trockenes Wesen uns nur zu klar zu erkennen gab, daß er nichts weniger als gesonnen sei, dieses sein vermeintliches Anrecht fahren zu lassen.
   Und doch gab es wieder Augenblicke, wo der Angriff auf die Souveränitätsrechte eines unserm angestammten Königshause blutsverwandten Monarchen uns Franzosen von altem Adel so natürlich erschien, daß wir darüber selbst unsere nationale Empfindlichkeit vergaßen und den Erfolg der Geschichte mit einer Sehnsucht erwarteten, die nicht gespannter sein konnte, hätte sie dem Schicksal unserer Königsfamilie gegolten.
   Diese Teilnahme ist vielleicht damit zu erklären, daß wir uns in einer ähnlichen Lage befanden, zwar nicht so unbemittelt, aber dafür weit hilfloser als diese Buschmänner. Die Aufschlüsse des Alten über sein Leben und Treiben und die Art und Weise, wie er seine Ansiedelung begonnen, hatten daher für uns nicht bloß den Reiz der Neuheit. Während dieser seiner Erzählung setzte sich in mir allmählich der Gedanke fest, den wir auch später verwirklichten: entfernt von den Kreolenpflanzungen eine Niederlassung zu gründen.
   Diesen Gedanken mir ins Werk setzen zu helfen, schien gerade der Alte der Mann dazu. Augenzeugen der unglaublichen Leichtigkeit, mit der er und die Seinigen Hindernisse überwanden, die uns durchaus unüberwindlich geschienen, hatte sein Beispiel in uns bereits etwas von der abenteuerlichen amerikanischen Springkraft geweckt. Mit seinem Beistand Schöpfer einer eigenen Pflanzung zu werden und so dem kreolischen Faulleben der Attacapas zu entrinnen, war mein fester Entschluß.
   In solchen Gedanken waren wir auf einer wellenartigen Anhöhe angekommen, auf deren Kamm wir im Mondschein Gruppen von Bäumen gewahrten. Eine halbe Meile mochten wir gegangen sein, als uns aus einer der Baumgruppen Lichtstrahlen entgegenschimmerten und Hundegebell sich von mehreren Seiten hören ließ.
   Der Alte ging mit großen Schritten einer rohen Umzäunung zu, durch deren Pfostengitter wir zum Hause gelangten. Auf ein leises Tappen ging die Haustür auf. Der Alte ergriff unsere Hände und führte uns im Finstern eine Treppe hinan. Er brachte uns in eine Dachkammer, in der sich ein gewaltiges Ehebett mit Moskitovorhängen, mehrere Sessel und ein weißgedeckter Tisch befanden. Auf diesem eine Flasche mit Gläsern und das Licht, das uns bisher als Lotse gedient hatte.
   Der Alte nahm die Flasche und schenkte die drei Gläser voll. Dann stieß er auf unsere Gesundheit an. Wir versuchten das Getränk. Es war so feiner East-India-Madeira, wie ich ihn selbst in England nur in den ersten Häusern getrunken zu haben mich erinnerte.
   »Wo haben Sie diesen köstlichen Madeira her?« fragte ich überrascht.
   »Schmeckt er Ihnen? Habe ein Dutzend Demijohns Große Korbflaschen von New Orleans heraufkommen lassen.«
   »Von New Orleans? Sie stehen also trotz Ihrer Kriegserklärung gegen die spanische Regierung mit New Orleans in Verbindung?«
   Der Mann lächelte zufrieden.
   »Pshaw! Eine Art Waffenstillstand, der vielleicht wieder in Krieg ausbricht, vielleicht die Friedensratifikation bringt. Hoffe das letztere – ist unser beider Vorteil.«
   »Beider Vorteil?« wiederholten wir.
   Der Ton unserer Stimmen hatte einen stark ironischen Nachklang. Der Mann schaute uns mit einem schlauen Lächeln an.
   »Ei, etwas dergleichen. Die spanische Regierung, versteht ihr, sind Menschen so wie wir, um kein Haar besser, im Gegenteil. Doch genug davon, morgen ist auch ein Tag! Wollen etwas auf morgen versparen, bis wir mehr Salz miteinander gegessen haben. Jetzt trinkt euren Madeira aus! Werdet ihn nicht besser in New Orleans treffen, ist von meinem Kommissionär, einem Monshur Laplace.«
   »Wie, Monsieur Laplace Ihr Kommissionär?« fragten wir zweifelhaft.
   Wir hatten Empfehlungsbriefe an ihn, der Franzose von Geburt, mit Ducalle verwandt und Bankier der Regierung war.
   »So ist‘s!« sprach der Alte. »Monshur Laplace besorgt meine Geschäfte und nimmt unsere Baumwolle und Tabak.«
   »Also ihr baut Baumwolle und Tabak?« fragten wir mehr und mehr erstaunt.
   Der Alte lächelte wieder.
   »Wundert Sie das? Freilich, habe schier vergessen, daß ihr aus den Attacapas kommt, wo sie euch eben nicht die beste Notion von uns beigebracht haben mögen.«
   »Die Wahrheit zu gestehen«, fielen wir lachend ein, »so haben sie eine weniger schlimme Notion von euch, als ihr gegen Louisiana, nach Ihrem eigenen Geständnis zu schließen.«
   Der Alte lächelte wieder.
   »Sind seltsame Leute in den Attacapas«, fuhr er fort, »seltsame Leute, denen es ernstlich not tut, aus ihrem sündhaften Faulleben aufgerüttelt zu werden. Werden aber aufgerüttelt werden!«
   »Glauben Sie?«
   »Pshaw! Hab‘ euch schon gesagt, daß morgen auch ein Tag ist, aber ihr Franzosen« – meinte er kopfschüttelnd – »man wird mit euch nie fertig! Wenn ihr in allem so tüchtig wäret wie im Mundwerk! Seid gefährliche Leute!«
   »Ich glaube, Alter, wir könnten noch etwas von euch lernen.«
   »Kalkuliere so!« stimmte er in unsern Ton ein. »Jetzt gute Nacht! Trinkt euren Madeira und deckt euch warm zu!«
   Wir sahen dem Alten nach. Eine merkwürdigere Erscheinung war uns in unserm ganzen bewegten Leben noch nicht vorgekommen. Da stand er, der Bauer, Lederwams, Republikaner, Hinterwäldler, Holzhauer, der mir nichts dir nichts gegen die spanische Regierung den Schild erhebt, ihre Truppen schlägt, sich gegen ihren Gouverneur im Kriegszustand befindet, sich mit Hunderten seiner Landsleute in einem feindlich fremden Land festsetzt, und das alles so ruhig, so gemächlich, so ganz ungezwungen, als habe er einen Nachbar-Hinterwäldler durchgebleut und führte den Rechtstitel dazu in seiner Faust und Tasche.
   Wir starrten ihm nach, ein solcher Charakter war uns nie vorgekommen. Dieser praktische Sinn – Lebensweisheit sollte ich sagen – und wieder Unwissenheit, dieses Zartgefühl und wieder Fühllosigkeit, diese Einfalt und wieder Verschlagenheit, Starrheit und Geschmeidigkeit, sie verwirrten uns. Denn sie verwoben sich, verschmolzen so seltsam in dem Mann, daß wir Menschenkenner, wie wir uns dünkten, die goldene Flüssigkeit in unseren Gläsern anstierten und das erste Mal in unserm Leben keine Worte fanden.
   Die Gefährlichkeit dieses Mannes konnten wir uns gar nicht verhehlen, über seinen wahren Charakter keinen Zweifel haben. Denn daß er den nimmersatten Landhunger seiner Mitbürger großenteils angeregt und den Strom der Auswanderung in der Absicht nach Louisiana geleitet, um die spanische Herrschaft zu stürzen, das lag nur zu klar vor Augen.
   Aber das Seltsamste war, daß wir ihm trotz dieser Gewißheit nicht gram sein konnten, ja ihn vielmehr liebgewonnen hatten.
   Lassen wir dahingestellt, was diese Gedankenrevolution in uns bewirkt hatte, ob sein und der Seinigen wirklich bullköpfiger und auch am Feinde achtbarer Mut oder seine natürliche Verhandlungskunst – nie habe ich gefährlichere Pläne hinter naiverer einladenderer Treuherzigkeit versteckt gefunden – oder endlich der funkelnde Madeira. Der Wein mochte jedoch das Seinige beigetragen haben, so schlimm ein solches Bekenntnis im Mund eines Kavaliers von altem Hause lauten mag. Wenigstens hatte unsere patriotische Entrüstung, die während der Erzählung des Alten öfters auszubrechen gedroht, mit dem ersten Zug aus dem Glas einen starken Stoß erlitten.
   Und mit jedem neuen Zug, den wir aus den Gläsern taten, wurden unsere Gedanken philanthropischer. Ein Mann, dem so köstlicher Madeira von seinem Kommissionär, einem Regierungsbankier, zugesandt wurde, ein solcher Mann konnte unmöglich der ruchlose Geselle sein, als welchen ihn das Gerücht schilderte. Ein ganzer Schwarm behaglicher Nachtgedanken reihte sich an diesen Schluß, und unsere staatstreue Denkweise erlitt an diesem Abend einen Stoß, der ihr für die Zukunft eine ganz veränderte, unserm bisherigen Leben stark entgegengesetzte Richtung gab.
   Natürlich leerten wir die Flasche, warfen dann die Reste unserer Kleidung, die mehr an uns klebten als hingen, weg und uns ins Bett. Bald wurden wir von einem Schlaf umfangen, um den uns wohl ein König beneiden konnte.


   2

   Unser Erwachen bot einen komischen Auftritt dar. Wir lagen in einem gewaltigen Ehebett mit Moskitovorhängen und einem Himmel so groß, daß er zur Billardtafel dienen konnte. In unserer Dachkammer begann es heiß zu werden. Sowohl Lassalle wie ich hatten nur selten zu zweien geschlafen. Es war mir, als ob ich in einem Dampfkessel läge und die Dünste, die um mich aufstiegen, immer beengender würden, so daß ich, nicht mehr imstande ihren Druck auszuhalten, mich weiter zurückschob. Als ich etwas Hinderndes fühlte, wurde plötzlich meine Angst so groß, daß ich erwachte und ausrief, was, weiß ich nicht mehr.
   Das Etwas neben mir antwortete: »Parbleu! Wer ist da? Ein Mann?«
   »Wer ist da?« schrie ich zurück. »Ein Mann!«
   »Morbleu! Was ist das?« schrie mein Gegenpart und prallte an mich an.
   Ich wieder zurück. So schossen wir aneinander und im Bett herum, rieben die Augen, erkannten uns und brachen in lautes Gelächter aus.
   »Wo sind wir?« fragte Lassalle.
   »Wo sind wir?« fragte ich.
   Und abermals rieben wir die Augen, und Lassalle schlug die Vorhänge zurück.
   »Ma foi! In der Residenz Seiner republikanischen Exzellenz, die Seiner katholischen Majestät beider Indien den Krieg erklärt hat!«
   »Und fünfunddreißig oder mehr Schwarzbärte in die andere Welt gesandt hat!«
   »Und Besitz von ihrer getreuen Provinz Louisiana ergriffen hat.«
   »Weil sie nur ein Abfall vom schmutzig groben Gesellen Mississippi ist.«
   Und wieder brachen wir in ein schallendes Gelächter aus. Dann schauten wir aus unserm Käfig, in dem wir wie ein paar reißende Tiere eingesperrt lagen, in die Kammer hinaus. Und wieder Gelächter.
   Sie war, wie die Kammern und Stuben der Hinterwäldler es häufig sind, mit den Kleidungsstücken einer ganzen Familie ausstaffiert. Wohl an die zwanzig Weiberröcke und Röckchen an der einen Wand, an der andern lederne Hosen, Jagdhemden, Westen und Jacken in allen Farben des Regenbogens. Was uns aber am meisten anzog, das waren die Tapeten. Die Wände waren wirklich tapeziert. Aber womit? Mit Pflügen, mit Stühlen, mit Tischen, Sesseln, Schiffen, Stiefeln, Schuhen, Rindern, grinsenden Negern und Negerinnen, mit Bündeln unterm Arm, trabend und im Entlaufen begriffen, mit Waschzubern, alles zum Sprechen getreu in Holzstichen abkonterfeit.
   Wir rieben uns nochmals die Augen und lasen in zollangen Buchstaben: »Poulsons Philadelphia Advertiser« – »New York Gazetter« – »Raleigh Daily« – »Boston Courier«. Wir sprangen zugleich im Hemd, wie wir waren, aus dem Bett, um diese neuen Tapetenmuster näher zu betrachten. Es waren Zeitungen, mit denen die Wände von oben bis unten überklebt waren.
   Da gab es Angriffe gegen König Georg III. und das englische Ministerium, gegen den Kongreß, Washington, Adams, der damals Präsident war, da gab es die politischen Tagesneuigkeiten Europas von Anno 1776 herab, in amerikanischem Zuschnitt dem republikanischen Publikum aufgetischt. Die Mehrzahl der Kolonnen war jedoch mit folgenden »Notions«, um mich des charakteristischen Ausdrucks Nathans zu bedienen, ausgefüllt: Hüten, Stiefeln, Schuhen, Mehl– und Whiskyfässern, alles recht anschaulich in Bildern den Lesern und Nichtlesern vor Augen gerückt. Das Ganze eine Musterkarte des öffentlichen Lebens, die uns spielend in die Ansätze der republikanischen Lebenspraxis einzuführen berechnet schien. Und in der Tat wurden diese Zeitungen, wie sie uns den öffentlichen Verkehr, die Kultur, die Sitten und Meinungen gleichsam im Spiegel vorhielten, gewissermaßen Lichtstrahlen, die unsere wirren Gedanken zuerst aufhellten. Wir begannen zu merken, daß wir in der Nähe eines wirklich republikanischen Landes und unter Republikanern waren, himmelweit von unseren französischen Republikanern verschieden. Es begann uns zu tagen, daß diese Republikaner auch nicht nach dem Maßstab unserer von oben herab geformten europäischen Massen beurteilt werden dürften. Wie ihre Abhängigkeit von der Krone Englands eine ganz andere gewesen, als die des französischen Volkes von seinem angestammten Monarchen, so mußten auch ihre Revolution und die Folgen ganz anders beurteilt werden.
   Im Eifer des Lesens und in der Hitze unserer Erörterungen hatten wir ganz vergessen, daß wir noch im bloßen Hemd standen. Wir wurden daran erinnert, als es auf einmal stark an der Kammertür klopfte. Ins Bett zurückzuspringen war zu spät, so ergriffen wir das nächste beste, das uns von den Familienkleidern in die Hände kam, und warfen es ohne weiteres über uns.
   Die Tür ging auf und Nathan trat herein, in Eile, wie es schien, und mit gerunzelter Stirn. Als er uns in dem Hinterwäldlerinnen-Aufzug erblickte, stand er wie erstarrt und sah uns mit großen Augen an. Eine Weile verhielt er, wie um sich zu fassen. Er nahm aus seiner blechernen Büchse ein Röllchen Virginiakrautes, schnitt ein sogenanntes Quid ab, schob es zwischen die Backen und betrachtete uns kopfschüttelnd. Wir hatten Mühe, das Lachen zu verbeißen.
   »Wohl nun!« hob er an. »Das heißt, was ich komplette Frolic nenne, geradezu eine Frolic, beim lebendigen Jingo! Und ich will nicht Nathan Strong heißen, wenn es nicht so ist!«
   »Haben die Notion, es ist so!« erwiderten wir mit entsprechendem Ernst.
   »Vermute, es ist so!« Der Alte verbrachte das Tabakklümpchen von der linken auf die rechte Backenseite. »Sage euch, Monshurs, sage euch, vermute, ihr seid heute in einer glorreich fröhlichen Laune. Ist ein Fakt!«
   »Vermuten, wir sind!« erwiderten wir.
   »Hat je einer in seinem Leben so etwas gesehen, sich in die Petticoats der Mary und Elisabeth zu vermummen! My! Das ist ja geradezu Tollheit!«
   »Freund!« sagte Lassalle, der mit der einen Hand Elisabeths Unterröckchen hielt, die andere in die Seite gestemmt hatte. »Hab‘ die Notion, Sie sind ein gewaltiger Mann und ein gescheiter Mann dazu. Haben Sie auch nicht gleich die Straße nach Amerika entdeckt, so haben Sie doch die nach Louisiana gefunden und Seiner Majestät von Spanien und beider Indien darüber den Krieg erklärt.«
   Die Miene Nathans verzog sich greulich, aber Lassalle ließ sich nicht irremachen und fuhr fort:
   »Doch trotz Ihres bonapartistischen Feldherrngenies, das die Pässe von Louisiana bezwingt, so wie jenes die Alpenpässe, dürfte es Ihnen schier schwer werden, haben wir die Notion, die Eingangspässe in diese Hosentrümmer zu finden.«
   Mit diesen Worten hob Lassalle mit dem einen Fuß die fragwürdigen Überreste unserer Kleidung auf. Nathan langte nach den Bruchstücken und besah sie mit prüfendem Auge von allen Seiten.
   »Will euch meine Notion auf einmal sagen. Kalkuliere, daß diese Hosen da nichts weniger als tragbar sind.«
   Kopfschüttelnd ließ er die Bruchstücke fallen.
   »Getroffen!« fielen wir ein.
   »Nichts weniger als tragbar sind«, wiederholte er, ohne sich stören zu lassen. »Dürfte schwer werden, die Stücke wieder zusammenzufinden, die ihr im Busch und Sumpf und in den Prärien verloren. Will euch aber meine Notion sagen. Kalkuliere, daß hier« – er deutete auf die Wand – »Stoff genug ist, zwei solche Monshurs, wie ihr seid, in anständiges Geschirr zu bringen. Und Mistreß Strong wird noch Linnen genug haben, euch ein ehrbares Hemd zu überlassen.«
   »Kalkulieren, gegen gute Bezahlung.«
   Er überhörte die Worte und stampfte einige Male mit dem Fuß.
   »Das macht mit dem alten Weibe und James und Godsend ab! Mische mich nicht in ihre Sachen. Aber schaut, daß ihr aus den Unterröcken herauskommt, denn sehen euch Mary und Elisabeth in ihrem Geschirr, so bringt sie in ihrem Leben nichts mehr darein.«
   Unter diesen Worten ging die Tür auf, und es trat ein ... ein festes, rundes Weibsstück mit einer großen roten Nase, die einige nähere Bekanntschaft mit Madeira oder Magentrost verriet, zusammengezogenen Lippen, eingebogenem Kinn, vollen Wangen und scharfen kleinen blauen Augen, die zeitweilige gute Laune offenbarten, obwohl ihre Miene jetzt völlige Sonnenfinsternis verriet oder vielmehr jene Teilnahmslosigkeit, die, wie ich vermute, einer der Grundzüge des hinterwäldlerischen Charakters ist.
   War das Erstaunen Nathans bei unserem Anblick groß gewesen, so war das der Dame übergroß. Eine Weile sah sie ihren Eheherrn mit fragendem Blick an – ob es auch in unseren Köpfen richtig sei – dann wieder uns.
   »Haben wir die Ehre, Mistreß Strong zu sehen?« begrüßten wir die Dame und schnitten einen Knicks.
   »My!« rief sie Nathan zu.
   »Sage dir, altes Weib, sage dir, ist ganz richtig. Hat sie nicht! Sind aber, vermute ich, Franzosen, weißt du!«
   »My!« rief die Dame wieder.
   »Ist ein Fakt«, versetzte er, »aber hat sie nicht«, fügte er beruhigend hinzu.
   Sie schaute uns, abermals ihn an.
   »Wohl nun, Nathan, das da aber ist merkwürdig quer!«
   »Ei, so ist es, hat sie aber nicht, altes Weib! Ist aber quer, das ist ein Fakt. Nun, will dir sagen, ja will dir meine Notion auf einmal sagen: kalkuliere, daß du den beiden Monshurs da Wäsche bringst, und daß sie sich hier auswählen, was sie brauchen. Ist ihr Geschirr so zerfetzt, als wenn es zwei wilden Prärierossen am Rücken gelegen wäre. Aber hat sie nicht!«
   »Und es hat sie nicht?!« fragte sie, offenbar etwas beruhigt.
   »So wenig, als es dich und mich hat!«
   »Und es hat sie nicht?!« wiederholte sie. »Nun, haben es aber gottlos getrieben mit Reden und Schreien und Lachen und Springen! Sind quere Leute bei alledem, und die Petticoats der Elisabeth und Mary!«
   »Ist so ihre Weise, altes Weib, bin aber beträchtlich froh, daß es sie nicht hat. Waren im Blockhaus, weißt du, und erzählte ihnen. Ist der Sumpf keine tausend Schritte davon und staut sich jetzt der Sumpf, ist gerade die gefährlichste Jahreszeit, und verbreitet seine Ausdünstungen des Morgens und Abends, die sich gern in die Höhe ziehen. Sah das Nachtgespenst herüberkommen und brach deshalb auf und führte sie hier ins Haus. Weißt, nehme in solchen Fällen immer ein paar Gläser Madeira und decke mich warm zu und schwitze die bösen Dünste aus. Vertreibt den Ansatz der Madeira, und wenn er sich wie Blutegel in die Poren eingesetzt hätte.«
   »Würde es dir nicht gedankt haben, Nathan«, versicherte sie, »gar nicht gedankt haben, mir da Gäste mit dem Shake, dem Fieberrütteln, ins Haus zu bringen.«
   »Hat sie aber nicht!« wandte der Alte ungeduldig ein. »Sage dir, hat sie nicht, hat sie so wenig, das Shake, als es dich und mich hat! Und war es da gar nicht vonnöten, wie närrisch herüberzuspringen und die Tür aufzureißen und Trubel in eine Versammlung zu bringen, die am Abstimmen ist. Hatte kaum Zeit, meine Stimme abzugeben.«
   »Kalkuliere, hast sie aber gegeben, wie‘s sich für einen Regulator gehört und gebührt, und es not tut, um Ordnung aufrechtzuerhalten.« Sie stemmte die beiden Arme in die Seiten.
   Nathan schob den Klumpen Kautabak aus seinem zeitweiligen Ruhepunkt hinter der rechten Backenseite unter die linke und gab dann abgemessen folgendes von sich:
   »Hab‘ die Notion, altes Weib, würde dein Haarschmuck um kein Item grauer sein, wenn du sein Gehirn weniger mit Dingen beschwertest, die – kalkuliere ich – nicht zur Sache gehören. Sage dir, altes Weib, sage dir, gehören nicht zur Sache, die Dinge drüben. Bin jetzt hier von wegen der Dinge hier. Bin hier von wegen dieser beiden französischen Monshurs, und sage dir, hier sind sie. Ist ein Fakt, altes Weib, sind hier! Wie und warum ist nicht die Frage und geht niemand etwas an. Hab‘ aber die Notion, sie sind just hier, weil ich es so haben will. Und sage dir, hier sollen sie bleiben, so lange wie sie Lust haben. Und schau sie dir wohl an, und will dir sagen, ei, so will ich, will nicht sagen, daß diese da – Hosen oder was sie sind – ganz sind, aber hab‘ die Notion, sie sind es nicht. Und kalkuliere, es würde dir wohl schwerfallen, was davon verlorengegangen ist, zwischen hier und den Attacapas zu finden und die Hosen wieder in ein Ganzes zusammenzuschweißen. Kalkuliere, würde auch nicht allzu anständig sein, zwei derlei Mannsgesellen in angebrochenem Geschirr im Hause umhertollen zu lassen, wenn es Notions genug gibt, sie fix und fertig herzustellen. So kalkuliere ich denn, das beste, was sich tun läßt, ist just, ein paar Hemden fix und fertig heraufzubringen und unter den Hosen und Wämsern von James und Godsend auszulesen, um sie in ehrbares Geschirr zu bringen.«
   »Kalkuliere, will die Hemden fix und fertig heraufbringen«, versetzte die Dame mit bewundernswertem Gleichmut auf dieses Probestück hinterwäldlerischer Beweisführung. »Und magst du unterdessen unter den Notions da von James und Godsend auswählen. Wird das beste sein, was sich tun läßt, sie so in anständiges Geschirr zu bringen.«
   »Kalkuliere, kalkuliere«, fiel Nathan ein. »Kalkuliere, wäre das soweit in Richtigkeit! Und will ich unter den Notions da auswählen, und wirst du ein gutes Weib sein und dem Plodern und Plaudern ein Ende machen. Was, du eines Hinterwäldlers Frau, und da Alarums und Tantarums wegen ein paar zerlumpter Hosen und Franzosen!«
   Dieses letzte Kompliment, unseren armen Hosen und ihren Besitzern gespendet, kam zu überraschend, als daß wir, die wir nur mit großer Mühe unser Lachen zu zügeln vermochten, länger hätten zurückhalten können. Wir platzten zugleich heraus und lachten so unmäßig, daß selbst Nathan angesteckt wurde, und die im Abgehen begriffene Dame schier verwundert noch einmal den Kopf zur Tür hereinsteckte.
   Aber wer hätte es auch aushalten können! Da standen wir, Lassalle in Elisabeths, ich in Marys Petticoat. Mit der linken Hand hielten wir besagtes Kleidungsstück, mit der rechten den Mund, während die beiden Eheleute so unbefangen trocken, grob und wieder neckisch naiv über die zerrissenen Hosen und zerlumpten Franzosen debattierten. Sie kamen uns ganz vor wie ein paar Bären, die miteinander spielen und über deren drollig linkischem Tappen wir ganz vergessen, daß ihre Tatzen derb auffallen und wehe tun.
   »Wohl!« fuhr der Alte fort. »Kalkuliere, das wäre abgetan, und will euch sofort euer Geschirr auslesen. Habt sie aber erschreckt, die Mistreß mit euren Kreuzundquersprüngen und Phantasieren und Alarums, und dachte nicht anders, als hätte euch das Dunstgespenst gestern nachts erfaßt, als wir drüben am Blockhaus standen, und machte euch das Shake kapriolen. Kommt herübergesprungen in unsere Versammlung, ich gab gerade meine Stimme ab, und raunt mir schier verstört zu, wie ihr es hier treibt! Schier ärger als der alte Tom, der Whisky-Tom, wie er hieß, der neulich draufgegangen. Hatte auch das Schütteln, der alte Tom, und dann das Fieber, hat sich‘s auch am Sumpf geholt. Bin aber froh, daß es mit euch anders ist, ei, bin recht froh. Und will euch jetzt euer Geschirr auslesen.«
   Und mit diesen Worten ging der gute Nathan daran, uns, wie er sagte, unser Geschirr auszulesen.
   »Hab‘ die Notion«, hob er wieder an, indem er ein paar lederne Beinkleider herabnahm und uns anmaß, »diese ledernen Schicklichen da werden es tun. Sind nagelneu, kalkuliere ich. Draußen hängen noch die Schinken von dem Bock, dem die Haut angehörte. Hat sie der Leather-Ned gegerbt, kalkuliere ich ...«
   Er hielt plötzlich inne, horchte, tat einen gewaltigen Schritt gegen die Dachluke zu, und hatte kaum hinausgesehen, als er mit den Worten: »Damn! Über den tollen Frenchers hab‘ ich ganz die da drüben vergessen!« zur Tür eilte.
   Ich vertrat ihm den Weg.
   »Aber Nathan, unser Geschirr!«
   »Damn! Euer Geschirr!« brummte er und schob mich auf die Seite.
   Durch die aufgerissene Tür eilte er mit großen Schritten die Treppe hinab. Wir sahen ihm einen Augenblick nach und brachen wieder in ein lautes Gelächter aus. Was fiel ihm auf einmal ein?
   »Etwas muß draußen vorgegangen sein«, meinte Lassalle.
   Er steckte sofort den Kopf durch das Dachfenster oder vielmehr die Luke.
   »Wohl, Gaston! Was siehst du?«
   »Die Niederlassung scheint stark zu sein. Ich zähle bereits dreißig Köpfe. Wetter– und sonnverbrannte Gesichter, athletische Gestalten, aber darunter einige recht hübsche junge Männer.«
   »Was tun sie? Was wollen sie?«
   »Das ist schwer zu sagen, Colonel! Sie kommen aus einem Blockhaus drüben, zähle bereits vierzig. Morbleu! Was soll das? Einer im bloßen Hemd!«
   »Im bloßen Hemd? Was soll der? Doch nicht Kirchenbuße tun? Oder wollen sie ihn gar wie Kannibalen zum Gabelfrühstück verspeisen? Laß doch schauen, Gaston! Täuschst du dich nicht?«
   Ich zerrte Lassalle bei Elisabeths Unterröckchen ungeduldig von der Dachluke zurück und schob meinen Kopf hindurch. Es war, wie er gesagt hatte. Vor einem Blockhaus, das etwa zweihundert Schritte von uns am Abhang des Kammes in einer Gruppe von Catalpabäumen stand und zu Gemeindeversammlungen bestimmt zu sein schien, waren an die vierzig Squatters versammelt. Drum herum eine zahlreiche Brut kleiner Squatters und Frauen, in der Mitte ein Geselle im bloßen Hemd.
   Der Wicht schien sich nicht ganz behaglich zu fühlen, seinen Grimassen und wütenden Gebärden nach zu schließen. Er schlug heftig um sich, sprang bald an den einen, bald an den anderen Hinterwäldler heran, drohte mit den Fäusten, ohne jedoch bei den gleichgültigen Männern einen sichtbaren Eindruck hervorzubringen. Einige rauchten, andere besprachen sich, keiner schien eine besondere Eile bei dem vorliegenden Geschäft zu haben.
   Doch brachte die Ankunft Nathans einige Bewegung in die phlegmatische Masse. Der Knäuel formte sich in einen Kreis und horchte Nathans Worten, die wir aber wegen der großen Entfernung nicht verstehen konnten. Zwei der Squatters legten hierauf ihre Tabaksröhren auf die Fenster des Blockhauses, gingen auf den Hemdenmann zu und versuchten sich seiner zu bemächtigen. Er zog sich zurück, schlug um sich, wurde aber trotz verzweifelter Gegenwehr bald festgenommen und mit Stricken an eine der Catalpas gebunden, den Rücken gegen die Versammlung gekehrt. Der Bursche schrie, als ob er am Spieß stäke.
   Ich weiß nicht, war es der rosenfarbige Humor, in dem wir erwacht und der uns alles Geschehen dieses Morgens durch eine heitere Brille sehen ließ, oder war es die grotesk hölzerne und doch wieder durchgreifende Art und Weise der Hinterwäldler, der ganze Auftritt machte uns laut auflachen, so wenig er sonst geeignet war, unsere Lachmuskeln in Bewegung zu setzen. Aber wie gesagt, das Benehmen dieser Squatters erschien uns so quer! Man muß diese Leute bei solchen Gelegenheiten gesehen haben.
   Die zwei jungen Hinterwäldler, die den Mann im Hemd angebunden, entledigten sich nun ihrer Jagdröcke, streiften die Hemdärmel auf und ergriffen jeder eine Rute – wir erfuhren später, daß es Ochsenziemer waren – und begannen zugleich auf den Rücken des Wichtes loszuhauen. Schlag auf Schlag fielen die Hiebe hageldicht, ich habe nie einen Strafvollzug in kürzerer Zeit abgetan gesehen und mit mehr Wirkung. In weniger denn einer Minute war das Hemd in Stücke gehauen, und der Mann stand mutternackt mit blutigem Rücken, bloß um die Lenden noch ein Stück Baumwolle gebunden. Der Bursche brüllte vor Schmerzen, aber bei alledem zeigte er noch eine Unbändigkeit, eine Wut, die nichts weniger als Mitleid einflößten. Nathan winkte endlich den beiden einzuhalten.
   Während dieser Züchtigung waren die Squatters ganz ruhig gleichmütig gestanden. Einige rauchten aus ihren Tabakspfeifen, andere Zigarren, eine dritte Gruppe war mit der jungen Brut auf die abgelegene Seite des Hauses abgetrollt. Nathan und die übrigen gingen nun gleichfalls dorthin, und auch die beiden Zuschläger folgten ihnen mit dem Gezüchtigten, nachdem sie ihn vom Baum losgebunden.
   Ich zog den Kopf aus der Fensterluke zurück, da mir ein vorspringender Giebel des Daches die Aussicht auf dieser Seite nahm. Lassalle hatte mittlerweile einen der strohgeflochtenen Sessel auf den Tisch gestellt, sich auf den Querbalken des Daches befördert, eine der Dachdauben losgemacht und so die Hinterwäldler wieder zu Gesicht bekommen.
   »Willst du nicht herauf, Colonel?« rief er mir zu. »Es ist der Mühe wert, eine gloriose Aussicht! Wirklich mächtig herrliches Land!«
   »Ja, aber was treiben die Buschmänner?«
   »Sie haben ihn auf die andere Seite gezerrt. Er schlägt noch immer wie ein Alligator um sich.«
   »Wohl! Was haben sie weiter mit ihm vor?«
   »Was sie vorhaben? Was sie vorhaben?« Lassalle brach auf einmal in lautes Lachen aus. »Komm doch um Himmels willen! Sieh nur, so wahr ich lebe, sie haben den Wicht rabenschwarz gefärbt!«
   Ich sprang auf den Tisch, den Sessel, schwang mich auf den Dachbalken, hob eine zweite Dachdaube auf und schaute einen Augenblick das herrliche Panorama, im nächsten die Squatters, die wieder in einem Knäuel standen. Es dauerte eine Weile, bis ich ausmitteln konnte, was sie vorhatten. Der Haufen war in großer Bewegung. Die junge Brut heulte, schrie, die Alten waren um zwei mannshohe Fässer gruppiert.
   Aus einem dieser Fässer ragte ein menschlicher Kopf heraus, den ich aber nicht mehr zu erkennen vermochte, denn Hals und Kopf waren rabenschwarz oder vielmehr bronziert schwarz wie die Köpfe unserer alten Neger. Mehrere Hinterwäldler um ihn herum tunkten mit langen hölzernen Löffeln ins Faß und leerten sie dann auf dem Kopf des Wichtes, der schrie und tobte.
   Jetzt kamen ein paar Squatters mit Stangen, schoben sie unter die Arme des Geschwärzten, hoben ihn aus dem ersten Faß und bugsierten ihn nach dem zweiten, in das sie ihn unter lauten Hurras plumpsen ließen. Eine Wolke von Federn verhüllte uns einen Augenblick die ganze Horde.
   Das Faß, in dem der Wicht stak, war mit Federn gefüllt, und zehn Hinterwäldler rieben ihm nun die Federn auf Kopf, Schultern, Armen und allen Teilen ein, die aus dem Faß herausstanden. Bald war er ganz und gar befiedert, eine gräßliche Karikatur auf das zweibeinige Geschlecht. Der Aufruhr, das Toben wurde immer ärger, die Hurras brüllender. Einige Squatters schwangen sich auf die Rücken ihrer Pferde, die an das Gebäude angebunden standen, andere hoben den geteerten und befiederten Wicht aus dem Faß und schnitten die Stricke los, mit denen ihm die Arme gebunden waren.
   Nun gab Nathan ein Zeichen. Der ganze Knäuel setzte sich unter brüllenden Hurras in Bewegung, den Abhang hinab, gegen die Prärie zu. Der Befiederte schaute einen Augenblick um sich, stieß einen gellenden Schrei aus und begann im Kreise herumzutanzen. Der Teer – obgleich er heilend wirkt – mußte ihm wütenden Schmerz verursachen, denn er wurde wie rasend, sprang hoch auf, brüllte entsetzliche Flüche und kapriolte mit den tollsten Rundsprüngen den Abhang hinab, so daß seine Verfolger kaum Schritt halten konnten.
   Es war etwas so wild Aufregendes in diesem Spektakel, etwas so rasend mutwillig Tolles! Das scheußlich befiederte Zerrbild mit seinen koboldartigen Sprüngen, hinter ihm drein die Brut der jungen Squatters und eine Herde hemdloser kleiner Neger – Wechselbälge beiderlei Geschlechts – dann Hunde, Katzen, alle heulend, schreiend, bellend, und die Reiter mit ihren Peitschen knallend.
   Gerade vor uns breitete die rollende Prärie ihren Blumenteppich unabsehbar der blauen dunstigen Ferne zu. In der Morgenbrise bewegten sich die Gräser, wie Wogen des gefächelten Ozeans hin und wieder wallend. Rechts und links, den wellenartig sich erhebenden Kamm entlang, standen Gruppen von riesigen Cottonwoods, unter denen die Hütten der Squatters, Pagoden nicht unähnlich, hervorguckten, umgeben von Welschkorn-, Tabak– und Baumwollenfeldern, die sich zu beiden Seiten des Abhanges hinabbreiteten. Aus allen diesen nicht unlieblichen Verstecken schoß die schwarze Negerbrut mit rasenden Sprüngen hervor, kletterte und purzelte über die Umzäunungen und schloß sich heulend, schreiend, gellend und in der eigentümlichen Weise der Schwarzen hohnlachend der wilden Jagd an.
   Die Squatters selbst hatten am Abhang des Kammes gehalten und leiteten von dort aus die Hatz. Brüllten der jungen Brut zu, den Befiederten ja nicht zu schonen, sondern zu jagen und zu schlagen. Aber es bedurfte dieser Aufmunterungen nicht, es war schon eine Jagd auf Leben und Tod geworden. Wir erwarteten jeden Augenblick den Elenden in den Klauen seiner Verfolger und zerfleischt und zerrissen zu sehen.
   Er war mit verzweifelten Sprüngen wie blind – Teer und Federn hatten ihm ohne Zweifel die Augen verklebt – den Abhang hinab gerade auf die Prärie zugesprungen, hopste aber bald durch das ellenlange Gras aufgehalten wieder zurück. Wandte sich nach rechts, übersprang eine Umzäunung und flüchtete sich in ein Welschkornfeld. Aus diesem vertrieben, war er wieder links gelaufen, hinter ihm drein die ganze Brut seiner zwei– und vierbeinigen Verfolger. Das Schauspiel wurde peinlich, empörend. Wir waren nicht imstande, den Anblick auszuhalten, mußten uns abwenden.
   Unser Blick fiel in die Dachkammer hinab. Da stand Mistreß Strong am Tisch und breitete die für uns bestimmten Linnen so gleichmütig aus, als wenn es zu einer Methodistenpredigt gehen sollte.
   »Um Gottes willen, Frau! Was soll der entsetzliche Auftritt, diese unmenschliche Treibjagd?« schrien wir hinab.
   »My!« rief sie, schaute schier verwundert zu uns auf, hielt aber im nächsten Augenblick die Hand vor die Augen und wandte uns den Rücken.
   »My!« rief sie wieder. »Kalkuliere nichtsdestoweniger, ist nicht richtig in euren Köpfen, was auch Mister Strong dagegen sagen mag, und hat euch das Shake oder etwas noch Ärgeres!«
   »Um Gottes willen, Weib! Tut diesem entsetzlich grausamen Spiel Einhalt!« schrien wir abermals.
   »Spiel nennt ihr das?« versetzte die Mistreß. »Spiel? Ei, wollte das Spiel nicht oft sehen! Ist ein grausames Spiel, ist – hab‘ die Notion – eine wilde Frolic!«
   Und sie verließ die Kammer.
   Abermals schauten wir hinaus. Der Gejagte war wie ein Stier mit verbundenen Augen links fortgerannt, von der ganzen Horde verfolgt, die Reiter hinterdrein, ihre Peitschen knallend und laute Hurras brüllend. Er hatte abermals eine Umzäunung erreicht. Aber nicht mehr imstande hinüberzukommen, erfaßte er sie krampfhaft, umklammerte die Zaunriegel mit beiden Armen und biß mit den Zähnen wütend hinein. Die ganze Horde strömte an ihn hinan, und wir erwarteten jetzt den gräßlichen Beschluß.
   Die Reiter ließen ihre Peitschen stärker knallen, hieben links und rechts auf die Hunde, Katzen, Neger und Negerinnen ein, bahnten sich so einen Weg zu dem Schlachtopfer und umringten es. Einer warf ihm eine Schlinge über die Schulter und mit demselben plötzlichen Ruck, mit dem der Lassoreiter sein Pferd auf die Hinterbeine bringt, wendet und das gefangene wilde Roß in seinem Lauf zurückwirft, warf er den Elenden vom Zaunriegel und zu Boden. Riß ihn wieder mit der Schlinge empor, und ihn an dieser nachschleppend, schlug er mit den anderen Berittenen die Richtung gegen den westlichen Waldessaum zu ein.
   Wir schauten einen Augenblick der wilden Rotte nach, wie sie unter den Bäumen verschwand, und dann auf die Hunde, Katzen, Neger und Negerinnen, die bei diesem letzten Auftritt stumm geworden, ja mit einer Art Schauder den im Waldesdunkel Verschwindenden nachstierten. Es war uns kein Zweifel übrig, die Unmenschen schleppten ihr Schlachtopfer in den Wald, um ihm da den Garaus zu machen.
   Wir hatten zur Genüge vom Hinterwäldlerleben gesehen, so zur Genüge, daß wir wortlos die Öffnungen im Dach wieder verschlossen, den Sessel und Tisch hinabstiegen und unsere zerrissenen Kleider zur Hand nahmen, fest entschlossen, diese wilden Squatters unverzüglich zu verlassen. Lassalle war bemüht, den Eingang in die Bruchstücke seiner Beinkleider zu finden, ich hatte die meinigen in der Hand, als ... Nathan eintrat.
   Seine Miene hatte etwas von amtlicher Würde und verriet hohe Zufriedenheit. Einen Augenblick schaute er uns beide fragend an, dann trat er zur Familiengarderobe an der Wand und langte mehrere Kleidungsstücke herab.
   »Kalkuliere, diese ledernen Hosen da werden es also für Sie tun und diese da für Sie!« Die letzteren Worte waren an mich gerichtet.
   »Glaube, wollen uns mit den unsrigen behelfen, so arg sie auch mitgenommen sind«, gab ich zur Antwort. »Wollen Sie uns einen Gefallen erweisen, so verschaffen Sie uns einen Wegweiser zur Pflanzung des nächsten Akadiers.«
   Nathan sah uns mit großen Augen an, ohne daß sich jedoch ein Zug in seinem Ledergesicht verändert hätte.
   »Einen Wegweiser zum Hause des nächsten Akadiers wollt ihr? Ei, den könnt ihr haben! Ist keine hundert Meilen kalkuliere ich, aber doch ... werdet euch doch zuvor anständig machen und ein Frühstück nehmen!«
   »Danken Ihnen für Ihr Frühstück! Wollen sehen, ob wir nicht im Hause des Akadiers eins bekommen.«
   »Hab‘ nicht die Notion, euch aufzuhalten«, versetzte Nathan im selben kalten Ton. »Werdet euch aber doch zuvor in ehrbares Geschirr werfen und ein Frühstück nehmen! Ist zwar keine Tagereise, aber doch an sechs bis sieben Meilen zum Blockhaus des nächsten Akadiers. Haben auch noch ein Wort im Gemeindehaus darüber zu reden.«
   »Danken Ihnen für Ihr Frühstück und Ihr Geschirr! Wüßten wahrlich nicht, was wir miteinander zu verhandeln hätten!« entgegneten wir etwas vornehm.
   »Danken Ihnen für Ihr Frühstück und Ihr Geschirr, und wüßten wahrlich nicht, was wir miteinander zu verhandeln hätten!« murmelte Nathan in sich hinein. »Pshaw! Hielt euch für empfindsame Franzosen, für Leute, die Anstand im Leibe haben und Manieren und nicht in einem Geschirr hinaustrollen, das ein Neger mit seinen Fußtatzen wegstoßen würde, und das so angebrochen ist wie ein zertrümmertes Boot, mit Rippen und Seiten, die im vollen Reißausnehmen begriffen sind. Hat kein Geschick, Fremdlinge, sage es euch, angebotene Gastfreundschaft so schnöde wegzuweisen! Sage es euch, und nehmt es!«
   Die letzten Worte waren rauh, ja drohend gesprochen.
   Wir sahen den Mann stolz an.
   »Sag‘ euch, was es ist, Fremdlinge, will es euch sagen. Hab‘ die Notion, ei, kalkuliere, habt ein Haar gefunden an dem, den ihr da drüben teeren und befiedern gesehen habt?«
   »Und Sie fragen?« brachen wir aus, kaum imstande, unsere Entrüstung zu meistern. »Sie fragen – nach diesem unmenschlich rohen, teuflisch mutwilligen Spiel mit Menschenleben und Würde? Nach diesem Schandauftritt, der Kannibalen entehren würde, um so mehr Christen und Republikaner, wie ihr zu sein euch brüstet?«
   Wir konnten nicht zurückhalten, es mußte heraus, mochte folgen, was da wollte. Nathan jedoch stand unbewegt, kaum daß ein leichtes spöttisches Lächeln seine harten Züge überflog.
   »Ah, die Republikaner, die Republikaner! Guckt endlich der Pferdehuf da hervor! Eine gewisse Freude, nicht wahr, so ein Jucken, ja echt französisches oder kreolisches Jucken, Amerikanern so etwas abgelauert, abgepaßt zu haben, was ihr einen Schandfleck nennt für Kannibalen! Ei, ei!«
   Der Mann hielt lächelnd inne und fuhr dann mit dem trockenen spöttischen Lächeln fort:
   »Kenne euch Franzosen und Kreolen seit den sieben Jahren. Ei, ihr Franzosen seid quere Leute, kalkuliere ich, zuzeiten so empfindsam weich, daß ihr – lasse ich mir sagen – über alte Geschichten in euren Komödienhäusern Zähren wie alte Weiber vergießt, und dann wieder so mächtig hart und stark, daß ihr das Blut eurer eigenen Landsleute wie Wasser verschütten und ihnen die Köpfe abhacken könnt. So methodisch, die Axt tut es nicht mehr bei euch, müßt Maschinen haben, betreibt es recht systematisch das Gewerbe und ersäuft eure Schwestern, Weiber, Töchter, Mütter und tanzt dazu lustige Tänze – Carmagnolen nennt ihr sie, kalkuliere ich. Steht da in den angeklebten Zeitungen an der Wand, könnt es lesen!«
   Lächelnd deutete der Mann auf die angeklebten Zeitungen.
   »Das sind auch Republikaner, Mister Nathan!« versetzten wir. »Republikaner, denen Sie immerhin brüderlich die Hand reichen können nach dem Heldenstück, wie ihr es euch heute geleistet habt!«
   »Ei, und wer hat sie dazu gemacht, Mann? Wer sie, wer uns zu Republikanern gemacht? Wer als eure Aristokraten und unsere englischen Tories?«
   Diese Logik des Hinterwäldlers kam uns so unerwartet, daß wir ihn starr ansahen.
   »Sage euch, wollen nicht über diesen Punkt streiten«, fuhr er fort. »Gehen uns auch eure Angelegenheiten nichts an, euch unsere nichts, kehre jeder vor seiner Tür! Und laßt euch, was ihr gesehen, nicht anfechten, ist ganz in Ordnung, was ihr gesehen. Ja, will euch mehr sagen und sage euch keine Lüge, wenn ich sage, daß wir eigens zu dem Zweck gestern hinabgegangen an die Côte gelée und unter eure wilden Akadier, euch Botschaft zu senden heraufzukommen.«
   »Ihr uns, die ihr nicht kennt, Botschaft senden?« fragten wir, ungläubig die Köpfe schüttelnd. »Das ist etwas ganz Neues!«
   »Mag euch neu sein, ist aber nichtsdestoweniger ein Fakt. Sind hinabgegangen und hatten die Notion, euch durch die Akadier sagen zu lassen, ihr oder einer von euch möchte heraufkommen. Gehen sonst nicht leicht hinab zu den rohen Akadiern.«
   »Kennt ihr uns?« fragten wir etwas vornehm.
   Nathan gab keine andere Antwort, als daß er seine Backen des ausgesogenen Quids entledigte, einen frischen abschnitt, einen Strahl brauner Jauche durch die Dachluke hindurchspritzte und dann einen frischen Abschnitt einschob.
   »Sie haben doch gestern den ganzen Abend keine Silbe geäußert, die uns auf die Vermutung bringen könnte?« bemerkte Lassalle.
   »Ob wir euch kennen, das wird sich zeigen!« versetzte Nathan endlich. »Wozu und weswegen wir euch hier haben wollten, das werdet ihr sehen und hören. Hab‘ euch schon einmal gesagt: alles hat seine Zeit!«
   »Und ihr habt uns also zu diesem gräßlichen Schauspiel haben wollen?«
   »Ei, so wollten wir, ist ein Fakt. Solltet sehen mit euren Augen, hören mit euren Ohren und die Freiheit haben zu sagen, was ihr gesehen, wo und wann ihr wollt. Halten nicht hinterm Busch. Ist der alte Nathan nicht der Mann, der hinterm Busch hält. Darf sich nicht scheuen, der ganzen Welt zu zeigen, was er getan als Regulator. Sage euch, ist ein Fakt. Sind eigens deshalb gestern hinabgegangen an die Côte gelée, um einen von euch, Vignerolles mit dem Geschlechts– und Comte – hab‘ ich die Notion – mit dem Taufnamen, Botschaft zu senden. Waren auf den jungen Akadier gestoßen, der uns sagte, Sie wären selbst der Mann und am Bayou schier verhungert und verdurstet.«
   Wir schauten den Mann an, einander. Jetzt konnten wir wohl an seinem Vorhaben nicht mehr zweifeln, so seltsam dieses auch klang. Aber dieses starre Hinhalten, dieses brütende Verschlossensein, es kam uns unheimlich, beinah grausig vor. Der Mann dünkte uns ein furchtbarer Charakter. Er war zum Inquisitor geboren und würde unter den rasendsten Zuckungen seines Schlachtopfers ebenso gleichmütig sein Quid angebissen haben, als er es vor uns tat. Was hatte er vor mit uns? Was sollten wir hier? Diese Fragen schwirrten uns durch die Köpfe, verwirrten uns.
   »Aber was sollen wir hier?« fragte endlich Lassalle. »Wir kennen Sie nicht, Sie uns nicht. Sie sind ein seltsamer Mann.«
   »Wer ich bin, werdet ihr sehen und hören«, versetzte Nathan trocken. »Jetzt bringt euch in ein anständiges Geschirr, daß ihr den Meinigen und meinen Nachbarn unter die Augen treten könnt, ohne Ärgernis zu geben. Wollen zum Frühstück, und werdet dann sehen und hören!«
   Mit diesen Worten verließ er die Kammer. Wir schauten einander abermals an. Der Mann hatte etwas so unheimlich zäh Hin-, Hinternachhaltendes, etwas so starr allen Widerstand Niederbeugendes, das gewissermaßen erdrückte. Was konnten wir tun? In seiner Gewalt, wie wir waren? Nichts Besseres als uns in die Linnen der Mistreß Strong und die ledernen Hosen und Wämser und Jaghemden James‘ und Godsends zu hüllen und das Weitere abzuwarten!
   Wir zogen uns also die Squatteruniformen James‘ und Godsends an und waren fertig bis auf die Mokassins, als Nathan wieder eintrat. Er half uns diese anlegen und führte uns dann die Treppe hinab in den Hof und aus diesem einige zwanzig Schritte den Abhang hinab einem sogenannten Quellhause zu, wo er eine Schale voll Wasser schöpfte und uns reichte.
   Nachdem wir auf diese patriarchalische Weise unseren Anzug beendet hatten, folgten wir ihm nach dem Hause zurück und traten in die Wohnstube ein, die wir stark gefüllt fanden.


   3

   Sollte etwas imstande gewesen sein, uns den Squatters in gutem Humor vorzuführen, so war es unsere Kleidung. Lassalle stak in einem Hemd mit einem Kragen, der wohl einen halben Schuh über die Ohren hinauf stand und aus Fäden gewoben war, nicht ganz so dick wie einjährige Weidenruten. War ferner, eingehülst in die ledernen Hosen von James, an den Knien mit Riemen zusammengebunden, eine solche Weste und ein Kaliko-Jagdhemd, mit Fransen und Bändern verziert. Meine Uniform war ein treues Abbild.
   Wir waren bitterböse. Unsere Eigenliebe fühlte sich so empört über die Rolle, die uns der alte Squatterdespot abspielen machte, auch die wilde Treibjagd wollte uns so wenig aus dem Kopf. Wir würden den trocknen verschmitzten Tyrannen mit seinen widerwärtigen »Notions« und seinem ewigen »Kalkulieren« auf eine ganz andere Weise abgefertigt haben, wenn uns bei alledem nicht eine gewisse Achtung, eine heilsame Scheu zurückgehalten hätte.
   Aber die Wahrheit zu gestehen, das starre verschlossene Lederwams flößte uns Ehrerbietung ein. Der Freche, der sich in unserem Lande einen solchen Spektakel erlauben konnte, er konnte sich auch mit zwei zerlumpten Franzosen, wie er uns in seiner naiven Grobheit genannt, eine gleiche wilde Frolic gelüsten lassen. Es war nicht zu spaßen, wenigstens nicht, bis wir eine gute Anzahl Meilen zwischen ihm und uns wußten. Dann ließ sich schon kräftiger auftreten. Und auftreten wollten wir, und das vor ganz Louisiana! Neben einer solchen Nachbarschaft konnte der gute Ruf unseres Louisiana, die Ehre unseres Landes als eines zivilisierten Staates, die Ehre unserer Regierung, selbst unsere eigene nun und nimmermehr bestehen. Es dünkte uns hohe Zeit, diesem Squatterunfug Schranken zu setzen.
   Wie wir als Franzosen fühlten, waren wir geneigt, das Ganze als einen Schimpf, uns und unserer Nation angetan, zu betrachten. Und so war es uns nicht möglich, unsere Entrüstung gegen die Squatterkanaille zu unterdrücken. Mit einer Vornehmheit, die mit unserem ledernen Äußern nur wenig in Einklang stand, traten wir in die Wohnstube ein.
   Mistreß Strong und ihre Töchter waren mit dem Auftragen der Speisen beschäftigt. Besonders ins Auge fiel uns die Unzahl kleiner Schüsselchen mit Obst, das in Zucker eingemacht war, mit Trauben, Pflaumen, Kirschen und Persimmons, einer orangefarbigen, pflaumenähnlichen Frucht, wie sie die Wälder in Überfluß gaben und welche die Squatters in höchster Vollkommenheit einzulegen verstanden.
   Mehrere junge und ältere Männer standen um einen Tisch, der aus rohen Mahagonibrettern gezimmert war, und sprachen den Gläsern mit Magentrost zu. Wir strichen vornehm leicht durch die Männer und Weiber hin und eilten zum Fenster, um unsere üble Laune durch die Aussicht auf die entzückenden Fluren und Wiesen niederzuhalten. Nathans Frau musterte uns im Vorbeigehen behaglich und sah uns eine Weile nach.
   »My! Nathan!« ließ sie sich dann schier verwundert gegen ihren Mann vernehmen. »Sind das sie ... die oben in den Petticoats?«
   »Kalkuliere, sie sind es!« versetzte Nathan lakonisch.
   »My! Wie doch die Kleider Leute machen! Wohl nun! Kalkuliere nichtsdestoweniger, mögen bei alledem ganz elegant, ja geradezu kapitale Mannsburschen sein. Wie? Das überbietet ja schier die Union!«
   »Pshaw!« versetzte Nathan gleichmütig. »Pshaw, altes Weib! Pfeifst du jetzt aus einem andern Ton? Hat sie das Shake noch? Hab‘ die Notion, der alte Nathan kennt seine Leute. Sage dir, obwohl nur Franzosen, sind sie doch, kalkuliere ich, so kapitale Burschen wie irgendein anständiger Squatter, der je im Busch niederhockte. Ist ein Fakt, altes Weib!«
   »Fremdlinge!« wandte er sich an uns. »Wollt ihr euch an uns anschließen? Seht Nachbarn und Mister Gale von Tennessee. Kommt einen Morgentrunk nehmen, bis das Weibsvolk aufgetragen hat!«
   »Danken euch!« erwiderten wir kurz.
   »Wohl, wohl! Ist kapitaler Monongehala, geradezu kapital eleganter! Ein Glas Monongehala des Morgens, zwei Madeira des Abends oder Nachmittags, sage euch, nichts Besseres, das Shake niederzuhalten!«
   Er hatte uns bei diesen Worten an den Armen erfaßt. Vergeblich mühten wir uns ab, dem Griff seiner Eisenhände zu entgleiten.
   »Mister Nathan!« bedeuteten wir ihm. »Sie können uns in der Tat keinen größeren Gefallen tun, als wenn Sie uns so bald wie möglich einen Wegweiser zum Hause des nächsten Akadiers verschaffen.«
   »Hab‘ die Notion, wird nicht vonnöten sein!« Er ließ uns fahren. »Wird nicht vonnöten sein, werdet bald in der Gesellschaft eurer Akadier sein! Vermute aber, ihr habt schlechte Laune!«
   Der Alte schaute uns einen nach dem andern an und wandte sich dann zu seinen Nachbarn, die über dem Magentrost ruhig ihre Angelegenheiten besprachen. Wir schwiegen betroffen. Unsere üble Stimmung hatte uns zu einer Unartigkeit verleitet, mir eine Blöße gegeben, die mich ärgerte. Meine Aufmerksamkeit wurde jedoch bald durch die Unterhaltung der Männer angezogen, deren stolze, unabhängige Haltung mir auffiel.
   Sie hatten uns kaum bei unserm Eintritt beachtet und auch jetzt nur zuweilen einen Blick auf uns geworfen. Kein Muskel verzog sich in diesen Gesichtern, bloß um die Augenwinkel ließ sich ein leichtes Zucken bemerken. Ein ältlicher Mann sprach mit vieler Einsicht über die Handelsverhältnisse des Westens, der an den Mississippi grenzenden Staaten. Auch die Bemerkungen Nathans und seiner Lederwämser verrieten genaue Kenntnis des Gegenstandes. Der wilden Frolic wurde mit keiner Silbe mehr Erwähnung getan.
   »Morbleu! Was ist das, Colonel?« raunte mir Lassalle zu, der durch das Fenster hinausgeschaut hatte.
   Aus einer der nächsten Baumgruppen, die auf der kammartig von Osten nach Westen schwellenden Anhöhe so wunderlieblich hingezaubert standen, kam eine seltsame Kavalkade hervorgetrabt. Sie schaukelte in kurzem Trab heran, vorne ein Reiter mit dreieckigem Hut mit einem Federbusch und in der Uniform eines unserer französischen Musketier-Regimenter aus den früheren Regierungsjahren Louis‘ XV., eine wahre Riesengestalt, und zu seiner Seite ...
   »Parole d‘honneur! Das ist eine Regimentstrommel!« meinte Lassalle. »Ma foi! Eine Regimentstrommel zu Pferde!«
   »Eine Regimentstrommel?« lachte ich. »Nein, das nicht! Aber eine Frau im Reifrock zu Pferde!«
   Und es war so. Lassalle hatte den großgeblümten Reifrock, wie wir deren vor Anno 1789 zu Hunderten durch unsere Pariser Kirchentüren drehen gesehen, für eine Regimentstrommel gehalten, aber der Irrtum war verzeihlich. Wem würde es auch außerhalb dieses wunderlichen Landes eingefallen sein, im Reifrock zu Pferde zu steigen?
   Die Reiterin kam wie ein Schoner im Wellentrog hin und her rollend heran. Wir unterschieden allmählich die Kappe, die den Kopf, die Schuhe mit hohen Absätzen, die die Füße zierten. Hinter dem seltsamen Paar kam ein Zug von etwa zehn Männern in blauen Röcken, Braguets und Mitassen, der gewöhnlichen Kleidung der Akadier.
   Gern hätten wir Nathan über diese sonderbare Kavalkade befragt, allein unser Stolz verbot es, und der Alte schien jetzt seine ganze hinterwäldlerische Starrheit angelegt zu haben. Einen und den anderen Blick warf er durch das Fenster, ohne daß sich ein Muskel in seinem starren Ledergesicht verzogen hätte.
   Die Kavalkade war vor dem Hause angekommen. Der uniformierte Riese, in dem wir ohne viel Mühe einen Veteranen der in den fünfziger Kriegsjahren nach Canada und Louisiana gesandten Truppen erkannten, stieg vom Pferde und hob mit militärischer Galanterie die Dame von dem ihrigen. Er war eine wahre Don-Quichote-Gestalt und stand, um mich eines Hinterwäldlerausdrucks zu bedienen, wohl ihre sechs Fuß und ebenso viele Zoll in den Schuhen. Seine Dulzinea wieder war ein drollig winziges gespreiztes Dämchen und sah gegenüber dem langen, hagern Knochenmann aus wie ein sich blähender Truthahn.
   Sie reichte ihm ungemein geziert die Hand, die er zärtlich mit den Fingerspitzen ergriff. Dann führte er sie den Porch – die Vorhalle – hinan und galant der offenen Stubentür zu. Ihre Begleiter waren ebenfalls abgestiegen, blieben aber draußen. Wir waren nicht wenig gespannt auf das zärtliche Pärchen.
   Im zierlichsten Tanzschritt schwebte sie, im Grenadierschritt marschierte er nach dreimaligem Anklopfen durch die offene Stubentür. Dann trat er vor, berührte militärisch seinen dreieckigen Hut und begrüßte Nathan und die Gesellschaft ganz in der steif zierlichen Art unserer Büttel, wenn sie samt Ehegesponsen ihre untertänigsten Glückwünsche Seiner Gestrengen, dem Amtmann, darbringen. Uns hatten derlei Spießbürgereien zu Hause oft belustigt, aber hier ärgerten wir uns. Wir fühlten uns ordentlich beschämt über den alten Narren, der gegenüber den stolzen Republikanern seine altmodischen Kratzfüße noch nicht verlernt hatte. Sie erschienen uns wie eine Parodie auf unser Land und unsere Bräuche.
   Nathan seinerseits empfing die Huldigungen ganz mit dem Benehmen eines Mannes, der sich seiner Autorität bewußt ist. Eine Weile besah er die beiden mit einem kalt lächelnden Blick, dann wandte er sich mit den Worten: »Monshur Lecain, setzen Sie sich mit Ihrem alten Weib nieder!« wieder dem Mister Gale aus Tennessee zu.
   Monsieur Lecain und Madame dankten mit Verbeugung und Knicks und blieben ... stehen. Das Gesicht von Madame hatte sich bei dem »alten Weib« einigermaßen verzogen, aber sogleich wieder aufgehellt. Sie war ein ungemein bewegliches altes Weibchen und hatte trotz Runzeln etwas so Kokettes, daß wir sie ohne weiteres für eine Pariserin hielten. Nacheinander fielen ihre Blicke auf die Squatters, die aufgetragenen Schüsseln, die ab– und zugehende Wirtin, ihre Tochter und auf uns. Auf uns – an uns blieben sie haften. Unsere Squatterkleidung verwirrte sie offenbar, man sah ihr die Begierde an, etwas mehr von uns zu wissen.
   Sie wisperte, stieß ihren Alten an, der wieder unverwandten Blickes an dem »Mister Regwillähtär« – wie er Nathan nannte – hing. So groß schien aber ihre Scheu vor dem gewaltigen Squatterhäuptling zu sein, daß sie trotz Beweglichkeit und Neugierde es nicht wagte, die Buschmänner zu unterbrechen. Die Gewalt, die er über seine französischen Nachbarn erlangt, mußte in der Tat außerordentlich sein.
   Ich war im Begriff, unsere unruhige Landsmännin aus ihrer qualvollen Ungewißheit zu erlösen, als Mistreß Strong, die am untern Ende der Tafel Platz genommen, den Ruf erschallen ließ:
   »Männer, wollt ihr euch nicht setzen?«
   Die Männer nickten und blieben, der Rede Mister Gales horchend. Der Tennesseer hatte zuvor noch den halben Haushaltsplan des neuen Staates zu beleuchten, dann erst traten alle würdevoll zum Tisch.
   Nathan wies uns unsere Plätze neben Mister Gale an.
   »Monshur Lecain, habt ihr gefrühstückt?« wandte er sich dann an Monsieur und Madame Lecain.
   »Mille pardons!« lehnte Lecain ab, indem er sich erhob und verneigte.
   »Kalkuliere, Sie lassen besser Ihre Komplimente!« sagte Nathan trocken. »Setzen Sie sich mit Ihrem alten Weib und helft euch zu, was euren alten Magen gut tut! Hab‘ die Notion, ihr habt einen langen Ritt getan, und sind eure mürben Knochen nicht daran gewöhnt. Hab‘ euch nicht so bald erwartet. Setzt euch, seid willkommen!«
   Lecain und Frau zögerten noch immer, verneigten sich und knicksten.
   »Was in des Teufels Namen gickst und gackst ihr da wie ein paar Truthühner im Märzmonat?« fuhr Nathan ungeduldig heraus. »Vermute, ihr hört und habt eure Ohren offen, setzt euch! Doch halt, dürfte euch schwer werden, in eurem Takelwerk Anker zu werfen! Wißt, geht kein Schiff vor Anker mit Royal-, Main– und Topsegel und all seinen Segeln. Helft ihr aus dem Canvaß!« bedeutete er Elisabeth und Mary, die bereits beschäftigt waren, die Dame aus einem Teil ihres Segeltuches, wie Nathan ihre Kleidung nicht unzutreffend bezeichnete, auszuhülsen.
   Diese Zwischenfälle, die wieder so eigentümlich brummig die schroffen wie guten, milden Falten in Nathans Charakter aufhellten, gefielen uns nicht übel. Der Alte war ein eigen rauher, aber bei alledem kein so schlimmer Patron.
   Das Frühstück bestand aus Schweinsfüßen, in Pfeffer und Essig eingelegt, Welschkornkuchen in Sirup getränkt, Enten, einem gebratenen Welschhahn, Hirschziemer, Schinken, Eiern nebst einer Unzahl in Zucker oder Essig eingemachter Früchte, Persimmons, köstlichen Louisianakirschen, Pflaumen, wilden Weintrauben. So verschiedenartig jedoch die Bestandteile, alle mußten sie hinein in die Alligatorenmägen der Squatters. Wir sahen sie in Pfeffer und Essig eingelegte Schweinsfüße zu siruptriefenden Welschkornkuchen verschlingen, türkische Pfefferkapseln, in Essig eingelegt, zu Schinken.
   Zuweilen fuhr einer der Squatters mit seinem Messer in das Persimmons– oder Pflaumen-Kompott, schob die Ladung in den Mund und stieß uns dann den Teller hin, ein Gleiches zu tun. Die Gabel mußte ihnen ein ganz überflüssiges Werkzeug dünken. Sonst aber herrschte wieder viel Anstand und jene Ruhe, die dem durch nichts aus der Fassung zu bringenden Hinterwäldler gewissermaßen angeboren ist. Insbesondere benahm sich das weibliche Geschlecht mit einer natürlichen Anmut, die ich nimmermehr erwartet hätte und die uns wieder von dem haushälterischen Regime Nathans einen sehr vorteilhaften Begriff gab. Wir erstaunten über die ruhige Besonnenheit, mit der die drei Töchter der Mistreß Strong bei der Tafel die Honneurs machen halfen.
   Im weiblich-häuslichen Kreis erlangt man immer am sichersten über eines Mannes Charakter Aufschluß. Auch uns wurde Nathans Charakter in seiner häuslichen Umgebung klarer. Bei jeder Schale, die uns die anziehende Elisabeth reichte, schwand unsere üble Stimmung, unser Widerwille mehr und mehr.
   Wir waren eben in der vollen Prüfung eines Schnittes von dem vortrefflichen Hirschziemer begriffen, als ein plötzlicher Lärm vor dem Hause uns innehalten machte. Es waren laute Stimmen, die sich hören ließen, Stimmen, die uns bekannt an die Ohren schlugen. Wir horchten, bald aber blieb uns kein Zweifel übrig. Es war die hellkreischende Stimme Amadées mit den rauhen Kehltönen Martins, die sich vor dem Porch hören ließen. Wir hörten unsere Namen rufen. Die Tischgesellschaft stutzte einen Augenblick. Wir sprangen auf und eilten zum Fenster.
   Und wen sahen unsere Augen? Wen anders als unsere Freunde Ducalle und Hauterouge, die umgeben von Amadée, Jean und Martin auf ihren Pferden hielten. Ein Ausruf der höchsten Überraschung entfuhr uns. Ducalle erschaute mich.
   »Vive le roi! Le roi ne meurt pas!« rief er laut.
   Sprang vom Pferd auf die Porch zu, mit einem zweiten Satz durch das offene Fenster in die Stube, vorbei an mir, der ich zurückgesprungen war, und in die Arme der gerade aufschnellenden Elisabeth! Drückte einen Kuß auf die schwellenden Kirschlippen der lieblichen Hinterwäldlerin, ließ sie fahren, und flog mir jubelnd an den Hals.
   »Colonel! Alle Teufel, wo stecken Sie? Worin stecken Sie?«
   Er prallte zurück, sprang wieder vor, drehte mich im Kreis herum.
   »Vive la France, l‘amour et la patrie!« schrie er.
   In demselben Augenblick kam Hauterouge ebenso formlos durch das Fenster hereingesprungen.
   »Morbleu, Colonel! Lassalle! Wo steckt ihr? Wie seht ihr aus? Alle Teufel, was treibt ihr?«
   Und Hauterouge und Ducalle flogen uns abermals in froher Überraschung mit all dem stürmischen Jubel wiedergefundener Kriegskameraden um den Hals, umarmten uns, wendeten uns, drehten uns, brachen in lautes Gelächter aus und hüpften wie närrisch in der Stube herum. Währenddem kam Amadée durch die Tür herein, ihm nach unser Jean und der alte Roche Martin.
   »Herr Graf, Herr Colonel, um Himmels willen sind Sie es? St. Denis und alle Heiligen seien gelobt! Sind Sie es wirklich, Herr Graf? O Herr Graf! O mein geliebter Colonel!«
   Und mit Tränen in den Augen küßte mir Amadée die Hand, und nach dem Beispiel Hauterouges und Ducalles sprang und tanzte auch er.
   »Suchen Sie seit zwei Tagen, Herr Graf!« jubelte er vor Freude. »Überall, bei Martin, bei den Akadiern, auf der brennenden Prärie! O Herr Graf, unsere Angst, unser Jammer! Überall haben wir Sie gesucht!«
   »Bei den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen, den Allains«, fiel Martin wie ein alter Drehbaß ein.
   Der plötzlichen Rührung folgte wieder ein lautes schallendes Gelächter.
   »Weißt du aber, Colonel, daß diese Allains wirklich ganz göttliche Geschöpfe sind?« fragte Hauterouge.
   »Ihr wart also bei den Allains? In der Chartreuse?«
   »So waren wir. Glaubten, euch da aufstöbern zu können, als ihr nach zwei Tagen noch immer nicht kamt. Sahen die lieblichen Mädchen. Parole d‘honneur! Sind allein die Reise nach Louisiana wert!«
   »Und was sagt mein sittenstrenger Ducalle?« fragte ich lachend.
   Ducalle war rot geworden und schwieg. Mir fiel dies damals unter den Rundsprüngen weniger auf, aber doch fiel es mir auf, obwohl Amadée mich bald wieder auf andere Gedanken lenkte. Es waren Briefe von Hause, von New Orleans, vom Gouverneur, vom Leutnant-Gouverneur, von Baron Marigny, von allen angesehenen Persönlichkeiten des Staates eingelaufen. Amadées Freude, uns wieder zu finden, wollte kein Ende nehmen. Hätte er uns auf dem Schlachtfeld unter einem Haufen Toter hervorgezogen oder aus dem Rachen eines Alligators, sein Frohlocken hätte nicht ungestümer sein können, waren wir doch nicht – seine einzige Angst und Sorge – in den Sirenennetzen der schrecklichen Allains verstrickt.
   Er sprang und tanzte um uns herum, schrie uns abwechselnd die Neuigkeiten in die Ohren. Hauterouge und Ducalle tanzten pas de deux, lachten zur Abwechslung über unsere Kleidung. Es war ein Spektakel, wie er wohl selten nur in einer Squatterstube getrieben ward. Für unsere Freunde waren die Squatters so gut wie gar nicht vorhanden, und auch wir hatten unsere liebenswürdigen Wirte ganz vergessen.
   Ausrufe belehrten uns endlich, daß wir nicht allein waren.
   »Why that beats all nater – ay the Union! – Wie, das überbietet ja alle Natur! – Mein Gott, die Union!«
   »Why they are whomsoever stark downright mad! – Wie, die sind nichtsdestoweniger ganz toll!«
   »By the living Jingo, if they ar‘nt!« – Beim lebendigen Jingo, wenn sie‘s nicht sind!«
   Wir schauten uns um und ... Oh, diese Squatters und ihre Gesichter! Sie lassen sich unmöglich beschreiben. Wäre aber der Himmel geborsten oder die sieben Meilen lange Seeschlange der Yankees statt Ducalles und Hauterouges zum Fenster hereingesprungen, ihr Starren hätte nicht größer sein können! Was sage ich, Starren? Es war wahrer Schrecken, Angst in den Gesichtern der Weiber und Töchter, eine Angst, die uns anfangs komisch vorkam, uns aber bald ernsthaft genug erschien, als wir auf Nathan blickten.
   Er saß, die beiden Hände fest auf den Tisch gedrückt wie einer, der sich zurückhalten will. Aber seine erzenen Gesichtszüge schwollen, seine Augen stierten und starrten, sein ganzes Gesicht nahm einen unheilschwangeren Ausdruck an. Ducalle hatte kaum einen Blick auf ihn geworfen, als er an mich zurückprallte und mir zuflüsterte:
   »Um Himmels willen, wer ist der Mann? Welch ein furchtbares Gesicht!«
   Ducalle hatte nicht allein die unheilverkündenden Anzeichen aus des Mannes Gesicht gelesen. Hauterouge, Amadée, Roche Martin, Jean, der alte Lecain und seine Ehehälfte scharten sich um uns. Mistreß Strong und ihre Töchter hatten sich mit gerungenen Händen an die Seite des Mannes gezogen, ihn von uns abzuhalten.
   »Mann, um Gottes willen, Mann, bedenke!« rief Mistreß Strong.
   »Vater, um Gottes willen, Vater!« riefen die Töchter.
   Wir waren nun allen Ernstes erschrocken, denn wir sahen, daß die Freiheit, die sich unsere beiden Freunde in ihrem unbesonnenen Leichtsinn genommen, den Stolz des starren republikanischen Buschmanns am empfindlichsten Fleck getroffen. Sie konnte uns teuer zu stehen kommen. Die Gäste saßen schweigend mit abweisenden Mienen und Gebärden.
   »Mister Nathan!« Ich trat auf ihn zu. »Mister Strong, vergeben Sie die Freiheit, die sich unsere Freunde genommen! In ihrer Überraschung, uns so plötzlich wiederzufinden, dachten sie nicht daran, Sie zu beleidigen. Dies ist Major Baron Hauterouge!... Kapitän Ducalle!«
   Nathan saß mit zusammengepreßten Lippen, ohne ein Wort zu erwidern. Einen Augenblick starrte er seine Nachbarn an, dann warf er einen durchdringenden Blick auf uns. Auf einmal schüttelte er Weib und Töchter ab wie der Bär einen Bienenschwarm und erhob sich.
   »Still, altes Weib! Friede deiner Zunge! Waffenstillstand! Hörst du? Hab‘ die Notion, bin Herr in meinem Hause und habe nicht umsonst geschafft und geblutet! Kalkuliere, will es bleiben, und dir eine Notion geben, daß ich es will!«
   Mit diesen Worten trat er an Ducalle heran, legte seine gewichtige Hand auf des Freundes Schulter und sprach mit starker Stimme:
   »Willkommen, Fremdling! Willkommen! Sage ich. Still, altes Weib! Friede mit deiner Zunge! Hört, was ich sage! Kalkuliere, ist jetzt die Zeit an mir zu reden. Hab‘ euch gehört und gesehen, sollt mich jetzt hören!«
   Er machte eine Pause.
   »Hab‘ die Notion, ist bei euch der Brauch, eure Besuche den Leuten durch das Fenster zu machen? Mag sein, es ist so, hab‘ nichts dagegen. Seid bekannt als leichtfüßig. Seid ihr nicht?«
   Ducalle sah den Mann an, aber sowohl er wie wir konnten vor Erwartung kein Wort hervorbringen, so grimmige Entschlossenheit war in seinen Zügen.
   »Hab‘ aber die Notion«, fuhr er mit stärkerer Stimme fort, »ist bei uns nicht die Sitte, den Leuten durch das Fenster hereinzuhopsen. Ist ein Fakt, Mann! Ist nicht Sitte bei uns, kalkuliere ich. Und so vermute ich denn, Sie werden ein guter Junge sein und unsere Sitte achten und Ihren Weg zurücknehmen und ihn da nehmen, wo ihn andere Leute vor euch genommen haben ... zur Tür herein!«
   Die Worte würden einem Stocktauben verständlich geworden sein, denn sie waren mit einem Ruck begleitet, der Ducalle, stark wie er war, zum Fenster brachte, durch das er sich – wie, wußte er gewiß selber nicht – mit einem Satz zurückzog.
   »So, mein guter Junge! Gleich drüben ist die Tür und der Eingang!« sagte Nathan und wandte sich an Hauterouge. »Und Sie?«
   Hauterouge hatte geschaut, gestarrt. Bei all dem furchtbaren Ernst, der in des Mannes Gesicht lag, lauerte wieder ein Zug guten Humors hervor. Er machte gute Miene zum bösen Spiel und sprang mit einem Satz dem Freund nach.
   »Jetzt erlauben Sie aber auch uns zu folgen!« sprachen Lassalle und ich.
   »Mitnichten!« versetzte Nathan. »Seid durch die Tür auf rechtem Weg gekommen, seid meine Gastfreunde! Bleibt hier!«
   »Und ihr, Monshurs?!« wandte er sich zu den beiden, die draußen auf dem Porch standen. »Ihr seid willkommen, aber zur Tür herein!«
   »Eh bien!« riefen Ducalle und Hauterouge.
   Sie gingen auf die Laune des bizarren Alten ein und traten durch die Tür.
   »Eh bien! Nous voilà! – Da sind wir!«
   Und beide waren lachend wieder in der Stube, im Gesicht einige Verlegenheit, die aber Nathan wenig kümmerte.
   »Sehe, läßt sich etwas aus euch machen!« sprach er trocken, während ein kaum bemerkbarer ironischer Zug um seine Augenwinkel spielte. »Sehe, sehe, wen wir vor uns haben! Leichtes französisches Blut, das sich keinen Fiedelbogen darum kümmert, wie andere den beliebigen Spaß aufnehmen. Will euch aber sagen, ei, so will ich: Hab‘ die Notion, laßt fürs Künftige derlei luftspringerische, spaßhafte Mißgriffe, wenn ihr wieder in eines Bürgers Wohnung eintretet. Mögt in eurem Land solche luftspringerische, spaßhafte Mißgriffe tun, das Fenster für die Tür anzusehen! Tut‘s aber nicht bei uns, könnte einem von uns leicht auch ein Mißgriff begegnen, euch statt tanzender Franzosen für Tanzbären oder springende Panther zu nehmen und euch dreiviertel Unzen Blei in den Leib zu jagen oder sechs Zoll kalten Eisens. Und könnte einem für solchen Mißgriff nicht einmal das Gesetz etwas anhaben. Mögen bei euch in Ordnung sein solche Vertraulichkeiten, aber bei uns sind sie gefährlich. Laßt sie besser weg! Pshaw! Hab‘ mitunter die Notion, werdet nach eurer Tanzfrolic Appetit haben. Habt ihr nicht? Altes Weib, frische Gedecke!«
   Das starre, mit einem leicht ironischen Lächeln überflogene Gesicht Nathans wurde nun etwas freundlicher. Der Kopfruck, der Mistreß Strong zugeworfen, setzte Mutter und Töchter in Bewegung. Der Friede mit dem Buschgewaltigen war geschlossen.
   Die Gesichter unserer beiden Freunde hatten sich zunächst während des guten Ratschlages verlängert, jetzt erst schienen sie etwas von Nathans Charakter zu begreifen. Hauterouge sah darein, als ob er an der Spitze seiner Schwadron einzuhauen im Begriff stände. Er kräuselte seinen Schnurrbart und schoß abwechselnd grimmige Blicke auf Nathan und wieder auf uns. Der leichtblütige Ducalle schien noch unschlüssig, ob er lachen oder sich ärgern sollte. Glücklicherweise hatte die lieblich gerundete Miß Elisabeth ein frisches Gedeck für ihn zurechtgelegt und deutete sanft errötend darauf. Einer solchen Einladung ließ sich wohl nicht widerstehen. Er setzte sich. Hauterouge zögerte noch.
   »Parbleu, in welche Gesellschaft sind wir geraten, Vignerolles?« brummte er mir in die Ohren. »Bären das!... Habe große Lust...«
   »Tu das ja nicht!« versetzte ich. »Du kämst zu kurz! Der Mann ist ein Original, alle sind es. Du siehst, man war daran, dich selbst für einen Bären zu halten. Besser, du setzt dich, hab‘ ich die Notion.«
   Er sah mich erstaunt an, schnitt eine Grimasse, setzte sich aber. Unser guter Hauterouge war den Morgen bereits zwanzig Meilen geritten und hatte also einen Appetit, so scharf, wie ihn ein Schwadronschef eines Dragonerregiments nur haben konnte. Auch Ducalle ließ der Kochkunst der Mistreß Strong alle Gerechtigkeit widerfahren. Uns kam jetzt der ganze Auftritt recht sehr lächerlich vor. Die köstliche Schadenfreude, unserm guten ungestümen Hauterouge seinen Anteil derber Squatterkomplimente zugemessen zu wissen, war nicht zu bezahlen.
   Der alte Nathan schien an Ducalle Wohlgefallen zu finden. Man konnte ihm aber auch nicht gram sein. Seine männliche Schönheit, verbunden mit einem leichten, gefällig sorglosen Wesen, gewann ihm im ersten Augenblick aller Herzen. Die Blicke der Hinterwäldlerinnen hingen ordentlich an ihm. Mistreß Strong hatte sich zu ihm gesetzt und schaute ihn vertraulich an.
   »Seid also, vermute ich, aus eurem alten Land herübergekommen?«
   Ducalle nickte.
   »Hab‘ die Notion, wird euch wunderbar vorkommen bei uns? My! Sagen die Leute, daß drüben jung und alt in Holzschuhen einhergehen und nichts als Frösche und Suppe essen?«
   Ducalle nickte abermals.
   »Essen Sie sich nur immer voll, lieber Junge!« ermunterte ihn Mistreß Strong. »Haben Fülle von Sachen!«
   Hier sahen Hauterouge und Ducalle hoch auf. Wir hatten Mühe, das Lachen zu verbeißen.
   »Why! Kalkuliere, Sie sind nicht verheiratet?«
   Ducalle sah wieder auf und nickte.
   »Bitte um Vergebung, Mistreß Strong«, fiel ich ein. »Monsieur Ducalle ist verheiratet, und zwar mit der Tochter des Herrn de Morbihan.«
   Die Lippen, die Kinnladen der Mistreß Strong und ihrer Töchter fielen, ihre Gesichter verlängerten sich. Miß Elisabeth zog sich drei Schritte zurück. Wir konnten es kaum mehr aushalten. Zum Glück kam uns der alte Nathan zu Hilfe, der ohne eine Miene zu verziehen über seinem Schinken gesessen.
   »Und seid also zusammen herübergekommen?« fragte er.
   »Mit dem Colonel!« Ducalle deutete auf mich und fuhr im Kauen fort, setzte dann mit weniger vollen Backen hinzu: »Mit dem Colonel und dem Major Lassalle und dem Major Hauterouge.«
   »Und seid durch das Bayou Plaquemine gekommen?« fuhr Nathan nach einer Weile in seinem Verhör fort.
   »Wie wissen Sie das?« fragten wir verwundert.
   »Ei, wie wissen wir das! Wissen mehr, als ihr glaubt! Sollt mehr hören vom alten Nathan!« Er wandte sich an eines der jungen Lederwämser. »James! Hab‘ die Notion, du stößt ins Horn zur Gemeindeversammlung!«
   James ging hinaus und blies in eine Seemuschel. Der Ton glich ganz dem der Schweizer Alpenhörner. Während der langen Pause, die eintrat, vollendeten unsere beiden Freunde ihr Frühstück.
   Dann stand Nathan auf und wandte sich mit gewichtiger Miene an uns:
   »Hab‘ die Notion, ist an der Zeit, das Geschäft abzutun. Und wollen hinüber ins Gemeindehaus!«
   »Hab‘ die Notion, guter Mister Strong«, fiel ich in seinen Ton ein, »wollen uns aus eurem Geschirr heraus und in das unsrige eintun, das Amadée in seiner Voraussicht mitzubringen bedacht gewesen. Kalkuliere, wollen euch hierauf für eure Gastfreundschaft danken und uns mit unseren Freunden und dem alten Martin auf den Heimweg machen.«
   »Ist doch erstaunlich, was für kurzsichtige Leute Gott der Allmächtige in euch Franzosen geschaffen hat!« versetzte Nathan. »Will einen Quid Tabak gegen ein ganzes Faß wetten, daß ihr rein vergessen habt, was ich euch von wegen der Akadier und des Gemeindehauses gesagt!«
   Ducalle und Hauterouge lachten laut auf.
   »Nicht vergessen, lieber Nathan!« sagte ich. »Aber was sollen wir in eurem Gemeindehaus?«
   »Werdet sehen und hören! Und macht mich nicht giftig mit euren ewigen Fragen!«
   Hauterouge sah mich an.
   »Alle Teufel!« raunte er. »Was hast du mit dem alten Grobian? Das ist das seltsamste Tier, das mir je im Leben begegnet!«
   »Bon Dieu!« wisperte mir Lecain zu.
   »O ciel!« bat Madame Lecain. »Bon Dieu! O ciel! Gehen Sie, gehen Sie, Herr Graf, Herr Baron!«
   Wir standen noch unentschlossen. Ihren Worten mehr Nachdruck zu geben, häkelte Madame Lecain ihren Arm in den meinigen, Lecain schob Hauterouge zur Tür hinaus, Mistreß Strong Lassalle und Ducalle. Und so zogen wir denn dem alten Nathan nach.
   »Sind doch merkwürdig quer, diese Franzosen!« brummte uns die Mistreß Strong nach. »Küssen ledige Mädchen und haben Weiber!«
   »Ducalle, du könntest hier dein Glück machen!« lachte Hauterouge.
   »Hab‘ die Notion, Sie könnten!« stimmte auch Lassalle bei.
   Laut lachend zogen wir dem Gemeindehaus zu.



   Die Gemeindeversammlung


   1

   Das Gemeindehaus war zugleich Tabak-, Baumwollen– und Teeniederlage. Fässer mit Tabak und Tran, Baumwollenballen mit Bären– und Hirschhäuten lagen auf allen Seiten im Innern aufgeschichtet. In der Mitte neben der Waage stand ein roher Tisch mit einem Ersatz für eine Bank, nämlich ein Brett über zwei Blöcke gelegt. Um den Tisch herum lagen Hausmöbel, Kleidungsstücke und Warenballen.
   Wir waren am Einfahrtstor stehengeblieben und beschauten die Squatters, die von allen Seiten herangestiegen kamen, uns mit stolzen Blicken musterten und dann in die Niederlage traten. Dort befanden sich Nathan, Mister Gale und die übrigen Tischgenossen und prüften die Tabak– und Baumwollensorten.
   Diese Unterhaltung währte, bis die Anzahl der Squatters auf etwa sechzig gestiegen war. Jetzt trat Nathan mit einem anderen ältlichen Mann vor den Tisch, legte Federn, Tintenbehälter und Papier darauf, und beide setzten sich mit Mister Gale, dem sie den Ehrenplatz in der Mitte einräumten.
   So grotesk und seltsam uns das Benehmen der Squatters vorkam, so hatte doch ihr Wesen auch wieder etwas so Republikanisch-Starres, es spiegelte sich darin eine so ruhige Selbstachtung, daß wir mit wahrem Verlangen der Eröffnung ihrer Verhandlungen entgegensahen.
   Nach einigen Minuten wechselseitiger Beschauung erhob sich endlich Nathan und winkte uns vorzutreten. Wir traten also vor.
   »Haben euch berufen, Fremdlinge, in diese unsere Versammlung. Ist an der Zeit, kalkuliere ich, euch wissen zu lassen, warum wir eure Gegenwart gewünscht. Haben aber zuvor noch einiges und anderes zu verhandeln und ersuchen euch in Geduld abzuwarten.«
   Wir nickten unsere Bereitwilligkeit zu, in Geduld abzuwarten, übrigens eine harte Zumutung bei unserer Ungeduld. Nathan übersah noch einmal die Jagdblusen und Lederwämser und begann:
   »Ist nun sieben Jahre, Mitbürger, und eine Spanne darüber, daß wir hier auf diese Erdscholle den Fuß gesetzt und das Land ausgefunden, das seitdem Asas Niederlassung getauft worden. Ist jetzt nicht die Zeit und der Ort, ein Langes und Breites zu sagen über das, was wir getan. Ist, hab‘ ich die Notion, genug zu sagen, daß das Land, das ihr nun als eine Niederlassung schaut mit Welschkorn– und Tabak– und Baumwollenfeldern, mit Fencen und Häusern und Hütten und Gärten und Quellhäusern, als wir zuerst ankamen just so war, wie es Hinterwäldler am besten lieben und wie es Gott der Allmächtige geschaffen: Wald und Prärie, Sumpf und Dickicht, Busch und Dorn, ohne Weg und Steg, mit keinem andern Dach als dem Zelt des blauen Himmels, keinem andern Licht als dem der sengenden Sonne bei Tag und dem des grün schillernden Mondes und der Gestirne bei Nacht, mit keiner Stimme als der des Bullfrosches, des heulenden Wolfes, des brummenden Bären und derlei Gezüchts. Erwähne dieses, Mitbürger, nicht aus eitler Ruhmsucht oder in der Notion, außerordentliche Heldentaten vollbracht zu haben. Ist das nicht unsere Notion. Ist Squattertun, was wir getan. Wissen es, haben Tausende vor uns das nämliche getan, werden Tausende nach uns das nämliche tun. Wissen auch, daß eure Hände und Äxte das meiste dabei getan, das Land zu dem zu machen, was es ist. Sind es eure Hände, die das getan. Erwähne aber dieses alles nicht ohne Ursache, erwähne es, nicht um zu rühmen, was wir getan, sondern um uns und euch das Prinzip ins Gedächtnis zu rufen, das uns geleitet in unserm Tun.«
   Bei der Erwähnung des Prinzipes sahen uns Hauterouge und Ducalle starr an. Das Wort Prinzip im Munde des Squatters klang wirklich so seltsam! Wir selbst, so vieles wir auch bereits gesehen und gehört, konnten ein Lächeln nicht unterdrücken. Aber die Sprache des Mannes war nicht mehr die des rauhen Squatters, sie war ernst, würdig, voll Selbstbewußtsein geworden. Nathan fuhr fort:
   »Kam gleich in den ersten Monaten unseres Hierseins etwas dazwischen, das unsere Pläne und Vorhaben schier im Keim zu ersticken und unserm Squattertreiben für immer ein Ziel zu setzen schien. Hätten vieles darum gegeben, wenn es nicht dazwischengekommen wäre, kam aber dazwischen, und war ein blutiges Dazwischenkommen, das uns den besten Mann kostete. Und keinen besseren gab es, wer er auch immer sein möge, eine Niederlassung zu gründen. Kam, ohne daß wir es suchten oder wollten, und mußten es nehmen, wie es kam. Und da wir es weder gesucht noch gewollt, so nahmen wir es, wie es kam. Und obwohl wir vieles darum gegeben hätten, wenn es anders gekommen wäre, so behaupteten wir, da das Recht auf unserer Seite war, auch das Recht wie freie Männer. Ist aber jetzt nicht an der Zeit, mehreres über diesen Punkt zu reden. Kalkuliere, ist überhaupt nicht an der Zeit, viel davon zu reden in Anbetracht, wo und unter wem wir uns befinden. Haben unser Recht behauptet, und ist das genug, und besser zu schweigen als zu viel Redens darüber zu machen, hab‘ ich die Notion. Hat aber Blut gekostet unser Recht, haben es aber behauptet unser Recht und behaupten es noch. Ist aber, kalkuliere ich, an der Zeit, uns das Prinzip ins Gedächtnis zurückzurufen, das uns geleitet sowohl in Behauptung unseres Rechtes wie in Gründung unserer Heimwesen und im Verkehr mit Ausländern und das gelotset uns und unser Gemeindeschiff durch mancherlei Klippen.«
   Nathan hielt inne, übersah abermals die Versammlung, die jetzt wohl auf hundertundzwanzig Köpfe angewachsen sein mochte, und sprach dann langsam und feierlich:
   »Ist aber unser Prinzip immer gewesen und wird immer sein, kalkuliere ich, das Prinzip freier Männer: Unabhängigkeit der Person und des Eigentums. Wollten und wollen unsere Unabhängigkeit, was beide betrifft, behaupten, wollen aber auch die Unabhängigkeit anderer in beiden achten!«
   Diese letzten Worte waren mit starker Stimme gesprochen.
   »Hat uns das Prinzip zum Leitstern gedient, zum Lotsen, das unser Gemeindeschiff durch so manche Untiefen und Klippen hinausbugsiert hat und, kalkuliere, durch noch manche Untiefen und Klippen hinausbugsieren wird. Will deutlicher reden. Hatten damals nach der blutigen Frolic dieses Prinzip zum ersten Mal als Prüfstein und gleichsam als Pilot anzuwenden, damals als George Nollins, Asas Bruder, mit unseren Freunden vom Salt River gerade zu rechter Zeit kam, uns in einer so argen Klemme, als je Squatters in einer staken, Trost zu bringen und Hände, unsere vom Feind niedergebrannten Hütten wieder aufzublocken. Hatten nämlich unsere Häuser aufgebaut und unsere Felder bestellt, und es war im Sommer des zweiten Jahres nach unserer Ankunft, als die Akadier und Kanadier und Franzosen zuerst erschienen in der Absicht, sich in unserer Nachbarschaft niederzulassen. War dieses eine Prinzipfrage. Hatten das Land mit unserm Blut erobert und behauptet, hatten unser Recht darauf gegründet. Kamen aber die Franzosen und Kanadier und Akadier, willens sich auf diesem Land niederzulassen, das wir zwar zur Zeit nicht bedurften, auf das wir aber für unsere Mitbürger und Kinder gerechnet hatten. War eine kitzlige Frage, die einen wohl nachdenken machen konnte, ehe man entschied. Hatten das Land erobert mit unserm Blut, und kamen jetzt die, deren Brüder und Freunde und Landsleute gegen uns gefochten, willens es mit uns zu teilen. War eine Frage, die dem nüchternsten Richter Kopfweh zu verursachen imstande war. Machte auch uns die Köpfe schier schwindlig. War eine Interessen– und eine Prinzipfrage, und waren Partei und Richter zugleich, und es ist schwer, als Partei und Richter zugleich gerecht zu sein.«
   Nathan fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Waren einige der Meinung, das Land sei unser Eigentum und könne also nicht von den Akadiern und Kanadiern angesprochen werden. War das wahr genug, aber sagten wieder andere ebenso wahr, daß die Kongreßländereien gleichfalls Eigentum der Bürger in den Staaten seien, und daß die Staaten doch Fremdlingen, Ausländern, Briten und selbst Hessen Ländereien mit der Erlaubnis gäben, sich niederzulassen und ein Heimwesen zu gründen. Und sagten, daß wir als freie Bürger zwar unser Recht behauptet, aber daß dies uns nicht die Befugnis gäbe, andere in der Freiheit, die wir verfochten, zu beschränken. Und sagten, daß die Staaten eben diesem Prinzip gemäß handelten, und daß es von uns prinzipwidrig gehandelt wäre, diesem Prinzip der Freiheit entgegen zu handeln und den Akadiern, die nichts anderes wollten, als was wir verfochten, das Recht der Niederlassung zu verwehren. Ist dieses ganz richtig, bemerkte wieder ein anderer, den ihr alle kennt. Ist ganz richtig, sagte er, und haben die Staaten Landesfremde und selbst Feinde in ihre Mitte zugelassen und sie unter sich aufgenommen. Haben aber diese Staaten organisierte Regierungen, haben neben diesen Staatsregierungen eine Zentralregierung in Philadelphia mit dem Präsidenten und seinem Kabinett, durch die sie in Verbindung stehen mit auswärtigen Regierungen. Und sind diese Staatsregierungen und die Zentralverwaltung mit hinlänglicher Gewalt versehen, den Gesetzen Gehorsam und Achtung zu verschaffen, und ist ihre Autorität auch anerkannt von Briten und Franzosen und Spaniern und wie alle die Völker heißen.«
   Weiter fuhr Nathan fort:
   »Ist aber bei uns ein anderer Fall, sagte derselbe Mann, und dürfen wir uns die Wahrheit nicht verhehlen, noch die Augen blenden. Sind im Land hier, ist ein Fakt, und haben uns darin festgesetzt, ist ein zweites Fakt. Sind aber in einem Land, das nicht zu den Staaten gehört, sondern zu den spanischen Provinzen und Königreichen, und in dem sich die Franzosen und Spanier früher niedergelassen haben, und das sie als ihr Eigentum betrachten. Und da sie es als ihr Eigentum betrachten, wollen sie sich auch hier auf ihrem Eigentum niederlassen. Und bitten zwar und betteln um unsere Bewilligung als eine Gunst, aber wir dürfen uns durch ihre schönen Worte nicht täuschen lassen. Wissen es wohl, daß wir nicht das Recht haben, ihnen ihr Begehren zu versagen, und noch weniger, unser Gesetz auf sie anzuwenden. Und werden sie, wenn die spanische Regierung etwas gegen sie hat, zu uns, und wenn wir etwas gegen sie haben, zum Spanier übergehen. Und werden sie uns den olivenfarbigen Don über den Hals bringen, und wird des Streites und der Zwistigkeiten kein Ende sein.«
   Nathan hielt inne, denn es richtete sich ein langer Squatter auf, winkte mit der Hand und gab ein Zeichen, daß er das Wort zu nehmen wünsche. Nathan nickte, und der Mann sprach.
   »Ganz recht, Mister Nathan Strong! Ganz recht prophezeit in dem, was Sie sagten. Hat Streit gegeben und gibt noch Streit, und kalkuliere, wird noch mehr geben. Sage Ihnen aber, kalkuliere, ist Ihre Schuld, daß es Streit gab und gibt. Ist das Land Louisiana, und wenn sich hundertmal der Spanier und Franzose vor uns da niedergelassen, nichts mehr noch weniger denn ein bloßer Abfall vom Mississippi, unserm Mississippi. Und haben uns darin festgesetzt und behauptet mit unserm Blut oder vielmehr mit eurem Blut. War leider nicht dabei, als die Frolic mit dem Spanier abgespielt wurde. Wollte, wäre es gewesen. Habt aber Besitz genommen, wie es das Gesetz bei nicht in Eigentum befindlichen und von den Staaten nicht angesprochenen Ländereien vorschreibt, durch Aufblocken eurer Häuser, und habt euer Recht darauf festgestellt. Und vergeßt nicht, Mister Strong, daß ihr nicht den zwanzigsten Teil der Hände hattet, als ihr damals euer Recht behauptet, und der tüchtigen Rifles, die ihr nun habt, euer Recht zu verteidigen. Habe nichts gegen die Akadier und Kanadier, habe aber die Notion, sollten dem Gesetz unterworfen oder ein Haus weiter gewiesen worden sein. Solltet euch auch in ein County organisiert haben mit Sheriffs, Richtern, Constablers! Polizeibeamte Und was gilt es? Würde dies bald allem Streit ein Ende gemacht haben.«
   Des Mannes Notion schien Beifall zu finden. Es ließen sich mehrere »Hört!« und »Ist ein Fakt!« vernehmen. Ein zweiter Squatter nahm das Wort:
   »Und, hab‘ ich die Notion, wäre all den Alarums ein Ende gemacht worden, wäret ihr mit dem Syndikus und seinem Troß nach Squatterweise verfahren: neununddreißig und ein Teer– und Federfaß, und damit Holla!«
   Jetzt erhob sich der Nebenmann Nathans auf der Regulatoren-Bank. Wir lernten ihn später als George Nollins kennen und schätzen.
   »Sind zwei Meinungen, Mitbürger, die euch hier vorgelegt werden. Will zuerst die eine beantworten, werden später Gelegenheit haben, die andere zu beleuchten. Ist wahr, haben sich Mister Strong und seine Freunde sechs gegen fünfundachtzig verteidigt und ihr Recht behauptet. Haben aber ihr Recht behauptet, kalkuliere ich, weil sie eben auf Rechtsgrund stehen geblieben, dem Prinzip treu geblieben, dem Prinzip der Unabhängigkeit, was Person und Eigentum betrifft. Wollten nichts dem Spanier nehmen, wollten sich aber auch nichts nehmen lassen. Habe aber die Notion, wäre dem Spanier etwas genommen worden, hätten wir in seinem Land ein County eingerichtet und Sheriffs und Constablers und Richter eingeführt und die Verwaltungsweise der Staaten, so hätte das geheißen, die Flagge der Staaten auf einem spanischen Schiff aufhissen, von dem wir kaum das Jollyboot erobert, und wäre das der erste Schritt zu ewigen Feindseligkeiten und eine offene Herausforderung gegen die ganze spanische Macht gewesen.«
   Und nachdem der Redner so gesagt, setzte er sich wieder. Uns wurde die Debatte mit jedem Augenblick fesselnder. Eine solche Diskussion aus dem Munde der Squatters zu hören! Wir trauten kaum unseren Ohren. Es handelte sich um nichts Geringeres als die Einführung der Regierungsform der Vereinigten Staaten in dem kleinen republikanischen Gemeindewesen, mit einem Wort um den ersten Schritt zur Losreißung Louisianas vom spanischen Szepter!
   Ein frischer Redner trat auf.
   »Kalkuliere, der Mann, der nicht den Mut besitzt, die Einrichtungen, in denen er als Bürger aufgewachsen, zu bekennen, zu verteidigen und festzuhalten, wo und gegen wen es immer sei, dem geschieht recht, wenn ihm die französischen und spanischen Sklaven seine Gäule und Neger stehlen und ihn noch dazu auslachen. Kalkuliere, Mister Bawles hatte recht: solltet den Syndikus ausgepeitscht haben und geteert und befiedert, und damit Holla!«
   George Nollins erhob sich abermals.
   »Kalkuliere, er hat nicht recht, Mister Dreadnought! Kalkuliere, er hat nicht! Kalkuliere aber, daß dem Mann, der sein Prinzip verleugnet und die Rechte anderer antastet, ganz recht widerfährt, wenn er wie ein Mann ohne Prinzip, wie ein Neger behandelt wird. Und ist, hab‘ ich die Notion, zwischen dem freien Mann und dem Neger der große Unterschied, daß der erstere nach Prinzipien handelt und der letztere wie ein Stück Vieh blindlings seinem Instinkt folgt.«
   Und nachdem George Nollins so gesagt, setzte er sich wieder.
   »Wer folgte seinem Instinkt blindlings wie ein Vieh?« schrie Dreadnought.
   »Kalkuliere, wir hätten es getan, wären wir mit dem Syndikus in Squatterweise verfahren«, hob wieder Nollins an. »Müssen beim Prinzip stehen bleiben, kalkuliere ich. Haben unser Recht behauptet gegen den Spanier, der uns von dem Land treiben wollte, das damals niemand angehörte und das der Allmächtige für alle geschaffen. Würden aber nicht innerhalb unserer Rechte geblieben sein, hätten wir seine Magistratspersonen nach Squatterweise geledert oder innerhalb seiner Grenzen die Flagge der Staaten gehißt, das heißt Coroners, Leichenbeschauer Sheriffs, Richter und Constablers gewählt, mit einem Wort, die Einrichtungen der Staaten eingeführt.«
   Jetzt erhob sich Mister Gale aus Tennessee.
   »Major Gale! Wollen Sie hören!« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.
   Der Major verneigte sich.
   »Mit eurer Erlaubnis, Männer und Mitbürger! Und bitte um Verzeihung, wenn ich in eure Debatten hineinrede. Ist aber eine wichtige Frage, eine Frage, die euch in Schwierigkeiten bringen dürfte, so ihr den richtigen Gesichtspunkt verfehlt. Will nicht behaupten, daß mein Gesichtspunkt der richtige ist. Ist aber der Gesichtspunkt, den auch die Staaten und die Zentralregierung haben. Will euch sagen, findet wohl oben in den Staaten Gemeinden, die eine eigene und von den übrigen Bürgern verschiedene Organisation haben, findet Quäker, Shakers, deutsche, schwedische und andere Gemeinden, Herrenhuter, die wohl ihre eigenen Vorsteher wählen, die aber in allen öffentlichen Angelegenheiten den Staatsregierungen und dem Kongreß, mit einem Wort, der ungeheuren Majorität nicht nur unterworfen sind, sondern auch von den Staaten und Regierungen nur so lange geduldet werden, als sie sich unterwerfen und keine eigene Flagge aufhissen. Ist dieses bei uns in den Staaten, wie ihr wißt, so der Fall. Und mögt ihr nun, auf euren Fall zu kommen, euch wohl Sheriffs und Constablers wählen, aber dürft nicht erwarten, eure selbstgewählten Magistrate, Coroners, Sheriffs, Richter von den Spaniern anerkannt zu sehen, deswegen, hab‘ ich die Notion, weil ihr außerhalb der Vereinigten Staaten und zwar in Louisiana lebt. Und muß euch geradezu sagen, würden selbst die Staaten eure selbstgewählten Magistrate nicht anerkennen, so wenig wie die Zentralregierung, ja nicht einmal eure Zuschriften annehmen.«
   »Kalkuliere, der alte Adams würde lieber des Großtürken Zuschrift annehmen!« lachte einer. »Aber Washington würde doch oder Jefferson?« setzte er trotzig hinzu.
   »Kalkuliere aber, weder Washington hätte noch Jefferson würde doch!« erwiderte Gale trocken. »Bin sicher, sie würden es nicht, Mitbürger! Seid in Louisiana, Mitbürger und Männer! Dürft das nicht vergessen. Seid in Louisiana, wo der Spanier das Regiment führt, und nicht bloß das Regiment, sondern wo er die ungeheure Majorität besitzt. Und würde es ganz und gar allen Prinzipien einer gesunden Demokratie entgegen sein, ja wahre Despotie, wolltet ihr mit eurer Minorität euch gegen die ungeheure Majorität auflehnen. Mögt eure Gemeinde selbst regieren, habt aber nicht das Recht, das Gesetz auf die Spanier anzuwenden. Ja, habt nicht das Recht, kalkuliere ich, eine Countyregierung zu organisieren.«
   »Holla, Major! Was sagen Sie da? Freie Männer nicht das Recht?« riefen mehrere Stimmen.
   »Bin weit entfernt, Mitbürger«, fuhr Major Gale fort, »freien Männern vorschreiben zu wollen, auf welche Weise sie ihre Selbstregierung einzurichten haben. Hab‘ aber die Notion, habt nicht das Recht, in Louisiana eine Countyregierung einzuführen oder eine Territorialregierung, deswegen, kalkuliere ich, weil dieses Recht bloß dem Kongreß zusteht, und dieser die Bill Gesetz einzubringen und anzunehmen hat, durch die ein Territorium errichtet wird. Und müßt ihr, um ein County zu errichten, erst in ein Territorium aufgenommen sein. Hat bloß der Kongreß das Recht, neue Territorien zu errichten.«
   Diese letzten Worte schienen den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. Es entstand ein Gemurmel, das billigend, mißbilligend, eine Weile wie das hohle Murmeln der Wogen einherrollte und nach und nach verhallte. Uns war die Debatte, wie gesagt, höchst fesselnd geworden. Denn obwohl wir nicht die Hälfte verstanden, so war uns doch aus allem so viel klar geworden, daß nicht nur eine ehrgeizige Partei in der Gemeinde eine Spaltung hervorzubringen bemüht war, in der Absicht, Louisiana von Spanien loszureißen, sondern daß die amerikanische Regierung selbst einen Agenten abgesandt hatte, um die entstehende Republik nach ihren Ansichten zu leiten.
   »Danken Ihnen, Major!« nahm abermals Nathan das Wort. »Danken Ihnen für Ihre ausgesprochene Meinung um so mehr, als sie mit dem Prinzip übereinstimmt, das uns bisher in unserm Verkehr mit den Ausländern geleitet.«
   Hier konnten wir uns trotz Nathans ernsthafter Miene unmöglich des Lachens enthalten, zu hören, wie er Spanier und uns Franzosen in unserem eigenen Lande in trocknem Englisch für Ausländer erklärte.
   Er warf uns einen strafenden Blick zu und fuhr fort:
   »In Anbetracht dessen, daß wir außerhalb der Staaten unser Heimwesen aufgeschlagen, haben wir vorgezogen, einstweilen nach Squatterweise unsere Selbstverwaltung einzurichten und Regulatoren zu wählen.«
   »Habt wohl getan, Mitbürger und Männer!« sprach Major Gale, indem er sich erhob und wieder setzte.
   »Kalkuliere so«, sagte Nathan. »Kalkuliere, war auf alle Fälle ratsamer, uns nicht mit zuviel Regierungskram zu bepacken, Richtern, Clerks, Sheriffs, Constablers und dem ganzen Troß, wenn ein paar Ochsenziemer es tun, Pferde– und Kuhdiebe in Ordnung zu halten und zu Paaren zu treiben.«
   »Und die Fischottern noch nicht ausgekrochen sind, die ihre Bälge hergeben sollen für Dollar– und Dublonenbeutel!« fiel ein altes Lederwams ein.
   »So ist‘s!« bekräftigte Nathan. »Würde schier töricht sein, den Pferdehuf da zu zeigen, wo hungrige Wölfe nur auf Gelegenheit lauern, über den Gaul herzufallen. Sind aber abgekommen von unserm Argument«, lenkte er mit Richtermiene ein. »Sind abgekommen von unserm Argument, und ist Zeit darauf zurückzukommen. Es betrifft unser Verhältnis zu den Akadiern, Kanadiern, Spaniern und Franzosen und den Verkehr, den wir als Regulatoren mit ihnen gehabt, und die Anstände und die Behauptung unserer Rechte. Und sind im Begriff, euch Rechenschaft zu geben über unsere Amtsführung und über unser Tun und Lassen, und ersuchen wir euch um geneigtes Gehör!«
   Die Spannung der Squatters stieg auf das Höchste. Eine Totenstille herrschte.
   »War, wißt ihr, vieles verhandelt worden über die Zulassung dieser Ausländer in unsere Nachbarschaft und auf das Land, das wir noch zu dem unsrigen gerechnet, endeten aber die Verhandlungen damit, daß das Prinzip der freien Niederlassung, das wir verfochten, triumphierte. Und wurde es den Kanadiern und Akadiern freigestellt sich niederzulassen und zum Gesetz erhoben, sie in Ausübung ihrer Niederlassungsrechte nicht zu beeinträchtigen. Würden es, gestehe es aufrichtig, lieber gesehen haben, wären sie um ein Haus weiter gezogen. Sagten es ihnen auch, sagten ihnen, sähen es lieber, sie schlügen ihren Herd an fünfundzwanzig oder dreißig Meilen weiter auf und ließen uns mit ihrer Nachbarschaft verschont. Würden es vorziehen, Bürger mit Bürgern zu sein, die dieselbe Sprache reden, in denselben Notions der Freiheit und des Eigentums aufgewachsen sind. Merkten auch die eigentliche Ursache, die sie uns an den Hals gebracht. War ihnen, die vom Dezember bis Mai in den Wäldern liegen, und vom Mai bis Dezember auf der faulen Bärenhaut, oder spielen und tanzen und trinken und ein wildes Leben führen, war solchen Leuten wenig am Land gelegen. War ihnen schier einiges Land gleich und gleich gut, wenn es nur Bären und Hirsche in der Nähe gab. Kalkulierten aber auf unsere schaffigen Arme und kalkulierten an uns zu hängen, wie das Ungeziefer an den Bäumen hängt. Sahen wir das wohl ein, und war uns die saubere Nachbarschaft nicht zweimal lieb, konnten sie jedoch nicht wegweisen. Ist aber etwas ganz anderes, jemand zum Nachbarn zu haben, und wieder etwas anderes, in Verbindung mit ihm zu treten oder ihn in die Gemeinschaft aufzunehmen. Konnten es den Akadiern nicht versagen, sich in unserer Nachbarschaft niederzulassen, konnten es ihnen aber versagen, sie in unsere Gemeinschaft aufzunehmen. Mußten hier unterscheiden, und haben unterschieden – richtig und scharf. Hat jede Gemeinde das Recht, solche Glieder, die ihr gefällig sind, aufzunehmen und andere, die es nicht sind, auszuschließen. Und machten wir von diesem Recht um so mehr Gebrauch, als wir unsere Leute hinlänglich kannten und sie uns schier einiges waren außer gefällig.«
   Nathan richtete sich in seiner ganzen Länge auf.
   »Seid freie Männer, Mitbürger! Aufgewachsen in den Prinzipien der Freiheit und der Selbstverwaltung, und geziemt es sich nicht für solche Männer, sich mit Leuten abzugeben, die ... doch wollen schweigen! Sage euch aber, Mitbürger, und sage es im gerechten Stolz, kann nicht helfen, muß es sagen – denn es erfüllt mich noch immer mit gerechtem Stolz, wenn ich an euer aller Benehmen gegen diese armseligen Kanadier, und wie sie heißen, denke. Wie ihr nicht nur an ihren viehischen Ausgelassenheiten nicht Anteil genommen – wie es auch von freien Männern nicht anders zu erwarten stand —, sondern wie ihr ihnen auch bei jeder Gelegenheit Beweise gabt, was es sei, Bürger der Staaten, freie Männer, Amerikaner zu sein! Sage euch dies mit um so gerechterem Stolz, als es gerade keine leichte Sache war, sich unbefleckt von diesen Leuten zu erhalten, die zuerst schmeichelnd und niederträchtig wie Katzen um uns herumkrochen und dann zu knurren anfingen, wie sie sahen, daß ihr über solche Dinge erhaben waret. War keine leichte Sache bei der unverschämten Zudringlichkeit, mit der diese unwissenden Menschen behaftet sind, diese verwilderten Menschen, die nicht so viel Notion von der Heiligkeit des Eigentums haben wie Ebenholzneger. Hatten sehr bald Beweise darüber. Hätte ihr ewiges Tanzen und Trinken uns wenig gekümmert, waren weit genug von ihnen, den Lärm nicht zu hören, fanden aber bald, daß sie ihre Fiedler auf unsere Unkosten aufspielen ließen. Verschwand eine Sau nach der andern, und merkten wir dieses natürlich bald, da das Borstenvieh damals, wißt ihr, schier rar bei uns war. Wollte uns dieses nicht gefallen, und ließen einige der älteren Kanadier rufen und sagten ihnen, was das für Manieren wären. Sie lärmten aber und gestikulierten und lachten, was uns das tue. Was tut euch das, ein paar Säue, die ihr so viele habt? Sagten ihnen, das tue viel, und wenn sie sich noch einmal Schinken von fremder Leute Borstenvieh gelüsten ließen, dann sollten es ihre eigenen Schinken büßen. Schnitten Gesichter darüber und lachten, und in den nächsten vier Wochen waren richtig wieder ebenso viele Säue verschwunden. Wißt, was geschah! Erschienen bei ihrer Frolic und nahmen die Saudiebe und banden sie an ihre eigenen Türpfosten und maßen jedem neununddreißig auf seine Schinken. Und war das ein Hopsen und ein Treiben, habt eure Tage kein solches Hopsen und Treiben gesehen!«
   Nathan fuhr fort:
   »Und war drüben großer Lärm. Schrien über verletzte französische Ehre und Genugtuung! Und müsse ihre Obrigkeit ihnen Genugtuung verschaffen. Und kam richtig ihr Syndikus mit seinen Gerichtsdienern, um ihnen Genugtuung zu verschaffen. Und wurden wir vorgeladen zu erscheinen und uns zu verantworten. Und erschienen wir auch, aber fünfzig Rifle-Männer mit Pulverhörnern und Schlachtmessern, ihnen Genugtuung zu geben. Und verging dem Syndikus und seinen Gerichtsdienern alle Lust, Genugtuung zu heischen. Ist aber ein so schlauer Franzose, als es je einen gab, der Syndikus. Und war so entzückt uns zu sehen, wie er sagte, außerordentlich entzückt, daß so tüchtige Bürger sich in seines königlichen Herrn Land niedergelassen hätten und Kultur und Industrie verbreiteten. Und wisperte und schmeichelte und gab uns zu verstehen, wie wir recht getan, die Akadier und Kanadier so auszupeitschen, und wie sie faules, diebisches Gesindel wären. Und sei er so erfreut, daß wir ihm die Arbeit erspart hätten, daß er uns zum Dank in unserer Niederlassung besuchen wolle. Hätten ihm den Dank gern erspart, sahen gleich, daß er ein Franzose war, der warm und kalt aus demselben Munde blies. Konnten ihm aber den Besuch nicht wehren. Kein freier Mann tut dies. Und taten wir es auch nicht. Und kam er, und gefiel ihm alles außerordentlich: sowohl unser hartes Schaffen wie die Wege, die wir angelegt, und die Sägemühle und die Baumwoll-Entkörnungsmaschine. Gefiel ihm alles außerordentlich. Und gefiel ihm so wohl, daß er ein halbes Jahr darauf wieder kam mit einer Schenkung von tausend Acres in der Tasche, die ihm das Gouvernement verliehen hatte. War diese Schenkung ein wahrer Sattel, von dem herab er unsere Niederlassung auf der einen Seite, die der Akadier und Kanadier auf der anderen Seite hatte, und er gedachte nun die Sporen nach Belieben in die eine oder andere Flanke zu setzen. Sahen das sehr wohl, sahen den Streich, den uns der Franzose gespielt hatte und noch spielen wollte, ließ sich aber nichts dagegen tun wie als Männer das weitere abzuwarten, obwohl Ursache und Ungeduld genug vorhanden war.«
   Nathan fuhr fort:
   »Einige unter euch waren der Notion, dem Ding auf einmal ein Ende zu machen und den Syndikus ein Haus weiter zu weisen. War nicht dieser Notion, und stimmte die Mehrzahl mit mir überein. Sahen in die Karten des Franzosen, sahen sein Spiel, mit dem er uns in der öffentlichen Meinung ruinieren und als gesetzlose Leute verderben wollte. Denn waren wir bisher noch immer auf Rechtsgrund gestanden, waren in unserm Recht, als wir uns gegen den mutwilligen Angriff der fünfundachtzig Musketiere gewehrt hatten. Sah das der Franzose, sah, daß er uns auf offenem Wege nichts anhaben konnte, und schlug deshalb einen versteckten ein. Und war es unsere Pflicht als Regulatoren, ihm auf diesem versteckten Wege entgegenzuarbeiten. Sahen die Falle, die er uns stellen, und mußten sie vermeiden. Und baute der Syndikus ein Haus auf seiner Schenkung und errichtete einen Kramladen, in den er seinen Neffen setzte, der zugleich Gerichtsdiener und mit Amtsautorität ausgestattet eine Art Leutnant war. So ging, wißt ihr, ein Jahr vorüber. Und kam der Syndikus zuweilen, um seinem Stellvertreter und Kramladen nachzusehen und die Irrungen zu schlichten, deren schier zu viele wurden. Und baute der Syndikus nach einem andern Jahr ein zweites Haus und richtete ein Botenschiff ein, das nach New Orleans fahren und Erzeugnisse dahin führen und Güter von da abholen sollte. Und war dieses ein neues Netz, sahen es wohl, sagten aber nichts. Hatten unser eigenes Schiff, durch das wir unsere Verbindung mit New Orleans unterhielten, und brauchten den Syndikus und sein Schiff nicht. Und stellte er als Patron des Schiffes den Mann an, der endlich Gelegenheit gab, den fein geknüpften Knoten zu zerhauen. War dieser Patron der Terzeron, den ihr alle kennt. Mit seiner einen Schwester lebt der Syndikus, mit der andern der Mann, den sie Vidal nennen, und war die ganze Sippschaft eine Brut, so arg, als es je eine farbige gab.«
   Und Nathan sprach weiter:
   »Und erfuhren wir bald einen der Kniffe dieser sauberen Sippschaft. Lagen Güter für uns in New Orleans bereit. Wir warteten auf sie, kamen aber nicht, die Güter. Und wurde uns endlich von unserem Kommissionär geschrieben, daß die Güter bereits abgesandt wären. Und waren wir darüber schier verwundert. Hatten keine Güter empfangen, und doch hatten wir den Frachtbrief schwarz auf weiß in den Händen. Fragten bei dem jungen Sorrel an, der schüttelte aber den Kopf und wollte von allem nichts wissen. Und wurde unser aller Geduld schier auf eine harte Probe gestellt. Und war das Ganze um so schlimmer, als wir selber nicht hinab nach New Orleans durften. Sahen wohl, daß uns ein Streich gespielt worden, konnten aber den Ochsenziemer nicht anwenden. Denn der Patron hatte die Vorsicht gebraucht, die Güter bei unserm Kommissionär durch einen zweiten übernehmen zu lassen, wußten also nicht, wer uns den Streich gespielt. Und ging in derselben Zeit Joe sein brauner Hengst verloren. Und die Woche darauf Abi sein Schweißfuchs. Und nächste Woche Righteous sein Rappe und James sein Schimmel. Wir folgten wohl der Spur der Pferdediebe, sie waren aber ausgelernt in ihrem Handwerk und hatten die Gäule an den Red River gebracht, zehn Meilen oberhalb der Fähre, wo das Boot des farbigen Patrons lag. Und machten uns die Pferdediebe schier grausam giftig, und es kostete uns nicht wenig Mühe, in Geduld abzuwarten und den Ausbruch zu verhindern, und war unser Regulatoren-Amt wahrlich kein Vergnügen. Ging noch der Neger Zambo des Mister George Nollins, unseres Mitregulators, verloren. Und war dies ein arger Verlust, schier zu arg, und sahen wohl, dem Unwesen müsse ein Ende gemacht werden. Und war es doch schwer, ein Ende abzusehen. Waren wie blind in der ganzen Sache und wußten nicht, wie es anzufangen, um einen Faden zu finden, der uns den Knoten zu lösen Gelegenheit gäbe. Blieben alle unsere Versuche lange vergebens, aber endlich trafen wir doch auf einen Faden.«
   Nathan fuhr fort:
   »Wurde uns von unserem Kommissionär berichtet, daß zwei unserer Gäule in New Orleans von einem Mann verkauft worden seien, der der Beschreibung nach der Patron sein mußte, und daß sie für Rechnung des jungen Sorrel verkauft worden. Wir hatten jetzt den ersten Faden, wollten aber abwarten, brauchten mehrere, um hinter das Gespinst zu kommen. Und wir verfolgten den Faden weiter und fanden Mittel, einen zweiten zu finden. Und war dies ein zweiter Kramladen, den der Syndikus an der Côte gelée halten ließ. Wir fanden da Ballen und Güter, die aus der Niederlage unseres Kommissionärs und aus einer der Manchesterfabriken waren, aus der nur er Waren bezog. Und hatten somit einen zweiten Faden. Und fanden den dritten Faden. Fanden, daß der gestohlene Neger in die Pflanzungen des Syndikus gebracht und von da in eine Zuckerpflanzung verkauft worden. Und hatten so der Fäden genug. Und nachdem wir sonach alle diese Fäden in Händen hatten, war es Zeit zu handeln, und handelten wir, und das rasch und entschlossen.«
   Und Nathan sprach weiter:
   »Brachen auf und holten den Syndikus und seinen Neffen und seinen zweiten Ladenhalter und brachten sie in das Blockhaus Asas und verhörten sie da. Sie leugneten eine lange Zeit, waren aber die Fäden in unseren Händen. Und bekannten endlich der Syndikus und sein Neffe und sein zweiter Ladenhalter, bekannten und baten um aller Heiligen willen und versprachen, den Neger wieder herzuschaffen und die Warengüter und alles und alles. Und gab der Syndikus Vollmacht, und ging sein Neffe mit uns, die Waren auszuliefern. Und holten wir die Güter ab und zogen auch den Neger aus dem Moor. War entlaufen der Neger, konnte es nicht mehr aushalten in der Zuckerpflanzung, behandelten ihn ärger als ein Stück Vieh, den Neger, und war er entlaufen und schier erstickt im Sumpf und schier verhungert, hatte sich vom Point Coupé herübergeschleppt. Und waren wir sonach im Besitz des Negers und der Güter bis auf die, welche bereits verkauft waren, und beschlossen sonach zu handeln. Wollten aber noch warten, fehlte uns noch jemand. Und während wir so warteten, fingen wir glücklich den farbigen Patron mit seinen Bootsknechten und den Akadiern und Kanadiern, die ihm Hand geliehen, und hatten wir sonach die ganze Sippschaft beisammen. Kennt die Mittel und die Wege, die wir eingeschlagen, um die ganze Brut in unsere Hände zu bekommen. Ist nicht nötig, hab‘ ich die Notion, sie nochmals zu wiederholen. Will aber sagen: Hatten einige von euch die Notion, wir sollten nach Squattergesetz mit dem Syndikus und dem Gerichtsdiener so verfahren wie mit dem Patron und den Bootsknechten. Wir sind aber kraft der uns von euch übertragenen Gewalt unserer eigenen Notion gefolgt und wollen euch sagen, warum. Hatten zwar den Syndikus in unserer Gewalt, und würde keine Macht auf Erden uns verhindert haben, ihm die Züchtigung widerfahren zu lassen, die ihm als Urheber der Schandtaten gebührte, haben aber kalkuliert, daß es uns nicht anstehe, die Regierung eines Landes in einem ihrer Werkzeuge zu beschimpfen und dadurch das Land und das ganze Volk zugleich, und daß es klüger getan sei, auf Rechtsgrund stehen zu bleiben, um so mehr da uns die spanische Regierung nicht beleidigt hat.«
   Langsam und feierlich fuhr Nathan fort: »Haben daher in Anbetracht des Prinzips, unser Recht und Eigentum zu wahren und das persönliche Recht anderer nicht zu verletzen, beschlossen und getan: Haben den Patron, die Bootsleute, die Kanadier, die sich persönlich an unserm Eigentum vergriffen, auch persönlich gezüchtigt. Haben sie, fünf Kanadier und drei Bootsleute und den Patron, körperlich gezüchtigt, sie geteert und befiedert und also geteert und befiedert über unsere Grenzen gebracht. Haben das mit den Werkzeugen getan, sind aber mit dem Urheber anders verfahren. Haben uns drei Schriften aufsetzen lassen, in denen der Syndikus und sein Neffe und der Ladenhalter ihre Untaten bekannten und die Waren und den Neger als gestohlenes Gut erklärten. Haben eine zweite Schrift aufsetzen lassen, in der uns Schadenersatz geleistet wird für die Verluste und die unterschlagenen Güter und die Waren, die in der Zwischenzeit verkauft worden. Haben diesen Schadenersatz in gültigen Wechseln an unsern Kommissionär. Haben endlich, und dies ist die Hauptsache, eine dritte Schrift aufsetzen lassen, durch welche der Syndikus nicht nur sein Botenschiff und seinen Kramladen, sondern auch seine Schenkung aufgibt und diese Schenkung mit der Zession uns Übermacht, auf daß der Betrag, der durch die Versteigerung gelöst wird, als Schadenersatz für die Versäumnis an Zeit und Arbeit unter die Geschädigten verteilt werde. Waren einige von euch der Notion, daß dem Syndikus nach Squattergesetz geschehen solle. War aber dies nicht nötig, Mitbürger, so wenig nötig, wie es nötig ist, den Bären mit einer Kanone zu erschießen, wenn eine Riflekugel ihn ebenso sicher in unsere Hände bringt, und seinen Balg dazu. War uns nicht nur um den Tod des Bären, sondern auch um das Fleisch und den Balg zu tun, und haben wir den Balg und das Fleisch, und nicht nur den Balg und das Fleisch, sondern haben auch das ganze Gezücht in unsere Gewalt bekommen. Haben den Patron und seine Sippschaft, die Akadier und Kanadier ausgepeitscht, und wird ihnen die Lust vergehen für alle Tage ihres Lebens, Fuß zu setzen auf unsere Niederlassung. Haben die Niederlassung gesäubert von dem Gesindel, haben das Land in unsern Besitz gebracht und, kalkuliere, haben so alles erreicht, was nur immer Constables, Sheriffs, Richter, und wie der ganze Zauber heißt, hätten erreichen können. Und legen euch unser Tun nun vor, auf daß ihr entscheiden mögt, ob wir gehandelt, wie wir sollten, nach Pflicht und Gewissen, und die uns von euch übertragene Gewalt nicht verletzt haben.«
   Es entstand eine lange Pause; ein dumpfes Gemurmel erhob sich, das stärker und stärker wurde.
   »Habe die Notion«, hob endlich ein alter Hinterwäldler an, »seid nicht über eure Vollmachten gegangen, sondern innerhalb der angewiesenen Grenzen geblieben. Habt als tüchtige Regulatoren gehandelt!«
   »Mitbürger!« nahm der Major das Wort. »Kann nicht umhin, euch Glück zu wünschen zu der Art und Weise, der Klugheit und Mäßigung, mit der eure Regulatoren sich benommen bei ihrer schwierigen Aufgabe, das Eigentum amerikanischer Bürger zurückzufordern, ohne einer fremden Regierung zu nahezutreten.«
   »Ohne einer fremden Regierung zu nahezutreten?« brummte einer der jüngeren Squatters mürrisch und wie erstaunt.
   »Ohne einer fremden Regierung zu nahezutreten?« wiederholten mehrere der Umstehenden.
   »Ei, ohne einer fremden Regierung zu nahezutreten!« bekräftigte Major Gale mit Nachdruck. »Ist das meine Notion, Mitbürger. Und habt ihr mich früher mißverstanden, so sollte es mir leid tun. Bin aber nicht der Mann, der seine eigenen Worte zu verschlucken gewohnt ist, obwohl ihr wieder am besten zu beurteilen wissen werdet, ob eure öffentlichen Diener ihren Vollmachten getreu geblieben sind oder sie übertreten haben. Sage euch aber, hat euch nicht beleidigt die spanische Regierung, und wäre es von euch gefehlt, sie zu beleidigen. Sag‘ euch dies, kann nicht mehr sagen.«
   Es entstand ein Gemurmel, aus dem nur einzelne Worte zu unseren Ohren drangen, die aber weit entfernt, schmeichelhaft für den Major zu lauten, ihn einer gewissen diplomatischen Verdrehung zu beschuldigen schienen.
   »Kalkuliere nichtsdestoweniger, Major, Sie sind der Mann, Ihre eigenen Worte zu verschlucken, wenn das Gedächtnis von zwanzig Männern treu ist und unsere Ohren uns gestern nachmittag keine Possen gespielt haben. Sie waren gestern noch ganz anderer Notion.«
   Nathan schaute verwundert den Sprecher und wieder den Major an, der sich verfärbte.
   »Kalkuliere, lassen das alles!« nahm eines der älteren Lederwämser jetzt das Wort. »Sind zufrieden, daß die schmutzige Geschichte so abgelaufen, haben alle Ursache, zufrieden zu sein, und werden alle, die ein ruhiges Leben dem ewigen Umhertollen vorziehen, mir beistimmen, wenn ich sage: Mister Strong und Nollins haben getan wie wahre Regulatoren! Verstehe auch etwas vom Regulatorenwesen, ich, der ich nun siebenundzwanzig Jahre im Busch hause. Verstehe etwas und sage nicht, daß der Syndikus nicht geteert und befiedert werden konnte, sage aber, wäre eine so unnütze, grausame, schmutzige Frolic gewesen, wie sie Indianern schlecht angestanden. Sage es euch, wären mehr als Indianer gewesen, hätten wir dem Syndikus so mitgespielt und uns für nichts und wieder nichts die ganze spanische und französische Sippschaft an den Hals gebracht! Hätten die oben in den Staaten sonderbar von uns denken, uns schier für halbe Barbaren halten müssen.«
   »Bin derselben Notion!« fiel ein zweites altes Lederwams ein, dem ein drittes und viertes und endlich die Mehrzahl folgte.
   Aber so zaudernd bedächtig kam die Beistimmung aus den Kehlen der Hinterwäldler, wie im Sturm fallende Regentropfen schlug es an die Ohren. Es dauerte wohl eine Viertelstunde, bis sich die Mehrzahl der Squatters billigend ausgesprochen hatte.
   Nathan schien währenddem auf glühenden Kohlen zu stehen. Seine Muskeln zuckten, seine Lippen preßten sich zusammen, sein ganzes Wesen drückte peinliche Spannung aus.
   Wir selbst fühlten mit dieser eisernen Seele, die jetzt zagend wie ein Schulknabe vor dem drohenden Lehrer sich ängstigte. Wir waren gerührt, obwohl wir andererseits wieder die moralische Gewalt bewundern mußten, die diese anscheinend rohen Menschen über einen Mann übten, der so ausgezeichnete Dienste geleistet und dem nur der Spielraum zu mangeln schien, um eine geschichtlich große Rolle zu spielen. Es war das erste Mal, daß wir eine Ahnung von der Art und Weise bekamen, wie die Republikaner sich selbst regierten, und ich muß gestehen, wir fühlten uns ein wenig aufgeregt. Wer die Squatters sah und wieder die beiden Regulatoren, der sah die Richter und die zuckenden Missetäter, die den Stab über sich brechen sehen. Ruhig, streng und kalt schienen sie sich ordentlich an den Qualen des zuckenden Nathan zu weiden.
   Die Mehrzahl hatte sich endlich zugunsten des Verfahrens der beiden Regulatoren ausgesprochen, und der alte Squatter nahm abermals das Wort:
   »Hat die Mehrzahl entschieden, Männer! Die starke Mehrzahl, und mache ich den Vorschlag, Mister Nathan Strong und George Nollins den öffentlichen Dank auszusprechen in Anbetracht der Klugheit, der Mäßigung und Festigkeit, mit der sie diese schmutzige Geschichte zu glücklichem Ausgang gebracht und die Ehre der Bürger und ihr Eigentum gegenüber dem Ausländer vertreten haben.«
   Wieder trat eine unheilverkündende Pause ein, und dann stimmten die Squatters bei, aber in einem Ton, dem man die Überwindung anhörte, die es ihnen kostete. Nathan war wie im Traum gestanden. Jetzt aber schien die schmerzhafte Spannung von seinen Zügen weichen zu wollen.
   »Danken euch, Mitbürger!« sprach er langsam. »Danken euch für die Anerkennung unserer schwachen Dienste, die aber – bürge euch dafür – kein Honiglecken waren. Danken euch nichtsdestoweniger, obwohl euer Dank weniger unumwunden sich ausgesprochen, als wir erwartet hatten. War unser Wunsch, eure Zufriedenheit zu erlangen, haben alles in unseren Kräften zu tun kalkuliert, aber ...«
   Er fuhr mit der Hand über die Stirn und hielt sinnend inne. »Pshaw! Hab‘ die Notion, ist Zeit, das Geschäft mit den Fremdlingen abzutun.«
   Jetzt fielen die Blicke der Squatters auf uns. Mehrere, die vor uns gestanden, traten zu beiden Seiten zurück, so daß Nathan und sein Mitregulator uns zu Gesicht bekamen.
   »Fremdlinge!« hob Nathan an. »Hab‘ die Notion, ist an der Zeit, zu eurem Geschäft überzugehen und euch nicht länger in Spannung zu lassen. Ist ein beengendes, pressendes Ding so eine Spannung.« Er fuhr abermals über die Stirn. »Wollte lieber mit fünfundachtzig Spaniern als ... besonders ... wenn man kalkuliert, alles getan zu haben!«
   Des Mannes abgebrochene Sätze verrieten den nachhaltenden Schmerz. Wir sahen ihn teilnehmend an.
   »Wollt ihr uns wohl sagen, welcher von euch der Mann ist, der Comte de Vignerolles genannt wird?«
   »Das ist mein Stand und Name!« erklärte ich.
   »Sie sind also ein französischer Graf?«
   »Das bin ich.«
   »Und auch Colonel?«
   »Im Regiment Monsieurs, des Bruders Seiner Majestät.«
   »Haben aber Eure Majestät um einen Kopf kürzer gemacht!« riefen zehn junge Squatters.
   Nathan fiel streng ein: »Sind in einem freien Land, Männer! Ist unser Land eine Freistatt, wo jeder, kalkuliere ich, seine Meinung und Neigung bekennen kann. Aber sage euch, obwohl – Gott sei Dank – ein geborener Amerikaner, so ist uns der Franzose deshalb nicht weniger wert, weil er seinem König treu anhängt. Ist sein König unser treuester Verbündeter gewesen, und soll er vor Amerikanern seine Anhänglichkeit frei aussprechen können. Hoffe, wird keiner unter uns die Selbstachtung so sehr außer Augen setzen.«
   Diese Worte waren mit einer Würde gesprochen, einem Ton abgebrochen, so vorwurfsvoll und zugleich gebietend, daß er die zehn Squatters zum gänzlichen Schweigen brachte.
   »Seid angekommen in ...?« fragte Nathan mich weiter.
   »New Orleans! Vor beiläufig zwei Monaten, um eine Schenkung in Besitz zu nehmen.«
   »Weiter, Colonel!« ermunterte Nathan. »Weiter, Colonel Vignerolles! Scheuen Sie sich nicht, Ihre Geschichte, insofern sie Ihre Reiseabenteuer in diesem Land betrifft, zu erzählen. Sind ein Waffengefährte Lafayettes und Sie haben nichts von Amerikanern zu befürchten.«
   »Gingen am Tag nach unserer Ankunft von New Orleans ab«, fuhr ich fort. »In einem Boot, das einen gewissen Balot zum Patron hatte.«
   Nathan nickte.
   »Wissen Sie etwas von diesem Balot?« fragte ich. »Wissen Sie von diesem Balot?« schrien Hauterouge und Ducalle und Lassalle und Amadee hinterdrein. »Wissen Sie von dem Halunken?«
   »Still, Fremdlinge! Unterbrecht nicht den Bericht des Colonel, werdet bald hören, was wir wissen wollen. Ihr fuhrt also mit Balot?«
   »Fuhren mit ihm den Mississippi hinauf, wo der Schurke das Umschlagen eines Kahnes veranlaßte, das drei Menschen das Leben kostete.«
   »Drei Menschen das Leben kostete?« riefen wieder mehrere Squatters. »Laßt hören! Wie war das?«
   »War auf dem Mississippi, Männer! Geht uns nichts an!« fiel Nathan trocken ein. »Geht den Spanier an, nicht uns! Könnt es euch später erzählen lassen, wenn der Colonel so gut sein will, es zu tun.«
   »Fuhren in das Bayou Plaquemine ein«, berichtete ich weiter. »Dort rannte uns der Kerl an einen Baumstamm an und ließ uns sitzen, indem er sich mit seiner Bande und einem Ballen unserer Güter davonmachte.«
   Die Squatters sahen sich an und lächelten.
   »Mit einem Ballen eurer Warengüter? Hatte wohl eine Aufschrift dieser Ballen? Und wißt ihr vielleicht, was er enthielt?«
   »Hatte meine Aufschrift und enthielt Nankings, Musselin, Leinen und einige Seiden– und Kamelottstoffe.«
   »Richtig!« bejahte Nathan und wandte sich an die Squatters. »Männer, kann kein Zweifel mehr obwalten. Dieser Fremdling ist der rechtmäßige Besitzer des Güterballens. Hat jedoch einer von euch Einrede dagegen zu tun, so tu er es! Nenne Ursache und Grund, warum der Güterballen nicht ausgeliefert werde!«
   Keiner regte sich.
   »Fremdling oder vielmehr Colonel Vignerolles!« hob Nathan wieder an. »Da ihr euer Eigentumsrecht erwiesen, so setze ich euch hiermit in Besitz eures Eigentums.«
   Mit diesen Worten deutete er auf einen mit Stroh überdeckten Ballen, auf dem einer der Squatter Platz genommen. Wir erkannten ihn als den meinen. Ich war nicht wenig überrascht.
   »Nehmt euer Eigentum!« wandte sich Nathan an mich. »Und seid künftighin vorsichtiger, ehe ihr euch fremden Leuten auf einer Mississippifahrt anvertraut! Hat mancher da sein unbezahltes und ungerächtes Grab gefunden unter solchen Händen, wie die waren, die euch gerudert. Seid künftig vorsichtiger in solchen Fällen und auch vorsichtiger, ehe ihr ein Urteil fällt über Amerikaner! Habt hart geurteilt, weil wir diesen Balot gezüchtigt.«
   »Wie? Also Balot war es, den ihr heute geteert und befiedert?« rief ich mehr und mehr überrascht.
   »Ja, Balot war es, den wir gezüchtigt und geteert und befiedert, und also gezüchtigt, geteert und befiedert über unsere Grenze gebracht nach alter Squatterweise. Hat euch nicht gefallen unsere Squatterweise, sah es. Haben weder Gerichtsgebäude, Gerichtsbank noch Advokaten, kalkuliere aber, kann Gerechtigkeit gepflegt werden auch ohne Gerichtsgebäude, Perücken oder Richterstuhl, ohne die der Brite vor der Revolution nichts tun konnte. Seht, daß wir Gerechtigkeit gepflegt ohne Sheriffs, Constables und Galgen, ei, und so wirksam wie oben in den Staaten, und brauchten nicht mal dem Advokaten Gebühren zu bezahlen. Hätten ihn dort oben aufgeknüpft, den Bösewicht, wir haben ihm bloß neununddreißig aufgemessen, vielleicht ein Dutzend darüber, mag sein, haben es nicht so genau genommen. Aber Teer und Federn werden ihm die Haut schon wieder heilen.«
   Von all diesem verstanden Hauterouge und Ducalle wenig oder nichts. Alle ihre Gedanken waren nur auf Balot gerichtet.
   »Was ist mit Balot? Was gibt es? Was war das?« fragten beide ungestüm.
   Wir erklärten ihnen mit wenigen Worten, was am Morgen vorgefallen.
   »Also ihr habt Balot gezüchtigt?« riefen sie im Jubel befriedigter Rache.
   »Ei, so haben wir! Wird noch nach Jahren an Asas Niederlassung denken, kalkulieren wir.«
   Das Frohlocken unserer beiden Freunde wurde so ungestüm, sie rissen uns zum Tor hinaus und stürmten auf uns ein, um nur so schnell wie möglich den ganzen Vorgang mit Balot zu hören. Wir mußten erzählen, die Art und Weise des Teerens, Befiederns beschreiben, die wilde Jagd. Sie sprangen, schrien, jauchzten ärger als die Squatterbrut. Wer sie so gesehen, hätte sie füglich für eine Truppe junger wilder Squatters nehmen mögen.
   Wir hatten in dem Augenblick ganz die Gemeindeversammlung vergessen. Lecain, der mit seiner Ehehälfte an uns herangestiegen und getrippelt kam, schaute und starrte. Die beiden mochten schöne Dinge von uns denken.
   »Mon Dieu! Bon ciel! O mon colonel! Quel plaisir!« So riefen sie wohl mehrere Minuten.
   Wir wußten nicht, was sie wollten.
   »Wer zum Teufel sind diese Käuze?« fragten Hauterouge und Ducalle.
   »Bon Dieu! O ciel! Herr Graf!« brachen sie endlich beide auf einmal los. »Die Schenkung! Die Schenkung!
   Sie kommt in die Hände der Amerikaner! Bieten Sie auf die Schenkung!«
   »Auf die Schenkung bieten? Was fällt Ihnen ein, Alter?«
   »Auf die Schenkung bieten! Squatter werden!« lachte Hauterouge.
   »Dreihundertfünfzig!« rief jetzt eine starke Stimme im Gemeindehaus, begleitet von einem Hammerschlag.
   »Dreihundertfünfzig!« wiederholte der Ausrufer. »Für eintausend Acker des besten, schönsten Landes in den Attatapas und Opelousas, vom Crocodille bewässert, eine Wasserkraft, die das ganze Jahr zehn Mühlen treiben kann, mit dem Atchafalaya und so mit dem Mississippi zu jeder Jahreszeit in Verbindung! Das schönste Zuckerland mit Baulichkeiten, einem zweistöckigen Haus und einem Kramladen ...«
   »Dreihunderteinundfünfzig Dollar!« rief ein Squatter.
   »Dreihunderteinundfünfzig sind geboten!« fiel der Ausrufer ein. »Dreihunderteinundfünfzig Dollar für das schönste Zuckerland...«
   Mir kam jetzt der Gedanke in den Sinn, dieses Land zu ersteigern – so plötzlich, so unwiderstehlich! Der Entschluß stand auf einmal fest. Ich sprang zu dem Tor vor und rief in das Haus hinein:
   »Vierhundert!«
   »Colonel! Was fällt dir ein?« schrien Hauterouge und Lassalle.
   Die Squatters schauten, starrten. Nathan streckte sich vor wie einer, der seinen eigenen Ohren nicht traut. Aber das Wort war heraus.
   »Vierhundertzehn Dollar!« schrie Major Gale.
   »Fünfhundert!« rief ich.
   »Fünfhundert!« rief mir der Ausrufer nach. »Fünfhundert vom französischen Colonel geboten! Kommt der Acker nicht höher als einen halben Dollar, ist unter Brüdern zweihundert wert. Fünfhundert sind geboten! Fünfhundert das erste Mal!«
   »Fünfhundertundfünfzig!« schrie der Major.
   »Tausend!« fiel ich ein.
   Die tausend wirkten wie ein Donnerschlag auf die Squatters. Nathan stierte uns an, sein Hals verlängerte sich. Aber es schien nicht Unwille, was sich in seinen Zügen malte, im Gegenteil etwas wie Zufriedenheit schien in ihm aufzudämmern.
   »Tausend sind geboten!« schrie der Ausrufer. »Wer gibt mehr? Das schönste Land im ganzen Westen, frei vom Fieber, mit einem laufenden Gewässer, das schönste Bauholz keine zehn Meilen davon, Magnolienland, herrlicher Boden, Verbindung mit New Orleans!«
   Keine Antwort. Die tausend hatten alle eingeschüchtert.
   »Tausend das zweite Mal! Prachtvolles Land! Keiner mehr?«
   Stille.
   »Tausend das ... keiner mehr? Herrliches Land, immerwährende Wasserverbindung! Ist unter Brüdern zehntausend wert! Tausend das ... dritte Mal!«
   Der Hammer schlug nieder.
   »Der französische Colonel, den Gott verdammen möge«, murmelte der Ausrufer und rief dann laut: » ... ist Besitzer des Landes, vorausgesetzt, daß er seine Zahlungsfähigkeit erweisen kann.«
   »Ist kein Zweifel wegen Zahlungsfähigkeit!« schob sich Lecain nunmehr vor. »Kein Zweifel, Schentelmen! Ihr bekommt einen Herrn zum Nachbarn, den der Gouverneur und der Leutnant-Gouverneur mit eigenen Handschreiben beehrt, und der ein großer Seigneur ist, ein Mylord, wie ihr sagt, und der ...«
   Er zuckte und stockte, der gute Lecain, in seiner Rede. Denn die finsteren Gesichter der einen und spöttisch verachtungsvolles Lächeln der anderen belehrten den guten Mann, daß seine Überredungsgabe einen üblen Eindruck hervorgebracht. Sie wandten ihm und uns den Rücken, ohne ein Wort zu erwidern. Ich sah die dringende Notwendigkeit, den üblen Eindruck zu beseitigen, den des alten Kriegskameraden Äußerung hervorgebracht hatte.
   »Vergebung, Männer!« fiel ich ein. »Ich hoffe, wir werden miteinander zufrieden sein, und ich gratuliere mir, so solide Männer, die nach Prinzipien handeln, zu Nachbarn zu bekommen.«
   »Wünsche es, hoffe es, Colonel!« versetzte Nathan trocken. »Wird gut für Sie sein, wenn Sie ein guter Nachbar sind, und schlimm, nehmen Sie mein Wort darauf, wenn Sie ein schlimmer sind! Stehen bei unserm Recht und bleiben dabei stehen, und daß wir dabei stehen bleiben, sehen Sie aus dem, daß wir ihnen gleiches Recht geben, und nicht mehr noch weniger. Wird wohl für Sie sein, wenn Sie sich nicht mehr herausnehmen! Lieber wäre es uns freilich gewesen, Sie schlügen Ihre Hütte um ein Haus weiter auf. Dürfte besser für Sie und für uns sein, Sie täten das! Aber sollen Ihr Recht haben, wenn Sie darauf bestehen, und kein Jota mehr! Und wird Ihnen Ihr Gouverneur und Leutnant-Gouverneur zu keinem Jota mehr verhelfen, verlassen Sie sich darauf!«
   Mit diesen Worten wandte er sich von uns, die wir uns eilig genug ins Freie zurückzogen.


   2

   Hauterouge und Lassalle brachen in ein schallendes Gelächter aus, als wir wieder draußen vor der Niederlage waren.
   »Eine Abfertigung so bündig, so deutlich, der Mann ist zum Herrscher geboren!« schrie lachend Hauterouge.
   »In der Tat nette, liebe Leute!« fiel Ducalle ein.
   »Herrliche Aussichten für eine angenehme Nachbarschaft, Vignerolles!« spottete Hauterouge.
   »Zur Abwechslung das Vergnügen des Teerens und Befiederns!« fügte Lassalle bei.
   »Und neununddreißig und damit Holla!« lachte ich.
   Und alle lachten wir wieder aus vollem Halse. Aber obwohl ich mitlachte, ärgerte mich die schier zu unverblümte Geradheit des alten Nathan, und das um so mehr, als ich zu meinen Freunden in Ausdrücken über ihn gesprochen, die ihnen, und besonders Ducalle, ein wenig überspannt klangen und in starkem Widerspruch zu meiner noch vor kurzem so unverhohlen geäußerten Abneigung standen. Aber die Debatten der Gemeindeversammlung und die Festigkeit, mit der Nathan seine Grundsätze gegen die schwierigen Squatters gerechtfertigt, hatten mir die Größe seines Geistes in so schimmernden Farben vor die Augen gerückt, mein empfängliches Gemüt war ordentlich geblendet.
   Nur schien es mir jetzt auch wieder an der Zeit, ein wenig mehr Ernst zu zeigen und die einigermaßen klägliche Rolle, die wir gegenüber dem Eisenkopf gespielt hatten und noch spielten, eindrucksvoller werden zu lassen. Als verirrte, verlorene Findlinge der Wildnis hatten wir uns die rücksichtslose Sprache der Squatters gefallen lassen müssen. Aber jetzt, wo wir zu vieren waren; in Gegenwart unserer Diener und eines ganzen Gefolges von Akadiern, deuchte es mir allerdings passend, in unserem Land auch einen anderen Ton, und zwar den Ton von Leuten, die zu Hause sind, anzunehmen. Ein festes Auftreten konnte und mußte Nathan und den Seinigen zeigen, daß wir nicht die Leute waren, die sich in ihrem eigenen Lande als hergelaufene Fremdlinge behandeln ließen.
   Was wir gehört hatten, rechtfertigte eine ernste Sprache. Bereits in den Attacapas hatten wir von den mannigfaltigen Versuchen der amerikanischen Regierung vernommen, in Louisiana festen Fuß zu fassen, und von geheimen Agenten, die das Land und die westlich gelegenen spanischen Provinzen in allen Richtungen durchkreuzten. Mehrere dieser Agenten, darunter ein gewisser Ingenieur Stille, waren namentlich verzeichnet. Es hatten Expeditionen den Missouri und den Red River hinauf stattgefunden. Zweifellos war auch Major Gale eines dieser geheimen Werkzeuge, dazu bestimmt, die verschiedenen Niederlassungen der eingeschlichenen Amerikaner nach den Plänen seiner Regierung zu lenken. Daß hier Klugheit und Wachsamkeit, verbunden mit der nötigen Festigkeit und militärischen Kenntnis und unterstützt von der Regierung, vieles verhindern könnte, war keinem Zweifel unterworfen.
   Ich rief meinen Freunden die Äußerungen der Squatters ins Gedächtnis zurück, die mich zum Teil auch bewogen hatten, an der Versteigerung teilzunehmen. Sie erkannten die Gefahr und stimmten meiner Ansicht bei. Wir kamen überein, die Niederlassung sogleich zu verlassen und nach Hause und von da nach der Hauptstadt zu eilen, wo ich mit dem Gouverneur sprechen und weitere Maßregeln nehmen wollte.
   Mit diesem Entschluß kehrten wir in das Blockhaus Nathans zurück. Unsere Pferde waren während der Gemeindeversammlung von Joe eingebracht und eingestellt worden. Wir befahlen Amadée, sie füttern zu lassen, dieweil wir uns aus unserm Squatteranzug austun und Vorkehrungen zu unserer Abreise treffen wollten.
   In einer Stunde waren wir zum Aufbruch gerüstet. Ich hatte zwei Stücke Merinos, zu Sommeranzügen für mich bestimmt, aus dem Ballen genommen, um sie den Misses Elisabeth und Mary für die beschlagnahmten Petticoats zu schenken. Als wir den Porch betraten, der zur Stube führte, kamen uns Nathan und Gale entgegen.
   Der Alte schien uns nicht zu bemerken. Allein der Major hatte uns kaum erblickt, als er mit einer Zuvorkommenheit auf uns zueilte, die gegen sein früheres steifstarres Wesen sehr abstach. Auch sein Benehmen, früher würdevoll-kleinlich, hatte jetzt etwas Entschiedenes, Soldatisches. Er trat mit einer leichten Verbeugung auf uns zu und gab uns sein Vergnügen zu erkennen, die Bekanntschaft so ausgezeichneter Offiziere machen zu können.
   Wir erwiderten natürlich die Artigkeit, obgleich nicht mit unserer gewöhnlichen Wärme. Er schien dieses zu bemerken und erklärte sein Bedauern, daß er nicht bei unserm ersten Zusammentreffen uns aus unserm Inkognito herausgefunden und so einem gewissen Mißtrauen Raum gegeben habe, das aber natürlich sei in einem Land, wo kein Bartscherer, kein Krämer aus dem schönen Frankreich ankomme, ohne da ein paar Hofchargen oder Grafschaften zurückgelassen zu haben.
   Hauterouge versetzte trocken, das Inkognitospielen sei nun schon einmal Mode geworden. Einige gäben sich für mehr aus, als sie wären, andere für weniger. Der Major wandte sich befremdet ab. Um der Unterhaltung, die ernst zu werden und zu unangenehmen Erörterungen zu führen drohte, eine andere Wendung zu geben, bedauerte ich, daß wir nicht länger die Ehre seiner Gegenwart haben könnten, indem wir im Begriff ständen abzureisen.
   Ich eröffnete dann Nathan, es sei nun an der Zeit, ihm für seine Gastfreundschaft zu danken und uns wieder auf den Heimweg zu machen.
   »Seid willkommen zum Bleiben!« versetzte er. »Wenn ihr aber gehen wollt, können wir euch nicht aufhalten.«
   »Die Art und Weise, wie Sie sich gegen uns und überhaupt benommen haben, verdient unsere volle Anerkennung und zeugt von einem Charakter, der fest auf seinem Grundsatz beharrt«, fuhr ich in einem etwas höheren Ton fort. »Fahren Sie fort auf diesem Weg, und wenn wir uns wiedersehen, wie ich erwarte, so hoffe ich, unser Zusammentreffen wird ebenso freundlich sein.«
   »Hoffe es gleichfalls«, entgegnete Nathan gelassen. »Hoffe es, obwohl aufrichtig gesagt ich der Notion bin, Sie hätten besser getan, sich ein Haus weiter zu machen. Haben aber den Grundsatz angenommen, und soll der Grundsatz Ihnen zum Besten kommen, obwohl er für uns unangenehme Folgen haben kann.«
   »Wie verstehen Sie dies?« fragte ich.
   Ich begriff des Alten Meinung wohl, wollte ihn sich aber deutlicher aussprechen lassen.
   »Sie haben uns da mit Ihrem Kauf einen kleinen Streich gespielt, einen kleinen Franzosenstreich. Sind aber in Ihrem Recht, haben so gut das Recht zu ersteigern wie einer von uns, obwohl ich nicht recht weiß, wo es hinaus will.«
   »Kalkuliere so«, versetzte ich ironisch. »Wollte eben wegen dieses Kaufes mit Ihnen reden. Wollte Sie fragen, ob Sie den Güterballen, der tausend Livres im Fabrikpreise kostet, hier aber fünftausend wert ist, einstweilen als Bürgschaft annehmen?«
   »Sie können einen Wechsel ausstellen und den Ballen für den Fall als Einsatz lassen, daß Ihr Wechsel nicht akzeptiert wird«, versetzte Nathan trocken.
   »So sei es! Will Ihnen einen Wechsel auf Ihren Kommissionär ausstellen und hoffe, wenn ich zurückkomme, das Geld in Ihren Händen und in Ihnen einen guten Nachbarn zu finden.«
   »Das wird auf Sie ankommen, obwohl die Nachbarschaft mit Ihren Landsleuten bisher nicht die erfreulichste war. Sie sind aber in Ihrem Recht, und soll Ihnen Ihr Recht verbleiben, werden aber auch darauf sehen, daß wir in unserm bleiben. Sind einen Aufhetzer und Zwischenträger los geworden, hoffe nicht...« Nathan hielt inne.
   »Hoffe nicht«, ergänzte ich, »daß ein ärgerer dafür einkehrt. Nicht wahr, Nathan?«
   Nathan sah mich mit einem Blick an, der zwar nicht beistimmte, aber zweifelhaft schien. Hauterouge und Ducalle begannen ungeduldig zu werden.
   »Wollte das nicht sagen, Colonel!« versetzte Nathan. »Wollte sagen: hoffe nicht, daß wir mit Ihnen ebenso fahren werden.«
   »Wollen aufrichtig sein, Mister Strong! Aufrichtig, wie es Männern wohl ansteht!« Ich bemühte mich, so gut wie ich es vermochte, seine Sprache wiederzugeben. »Sie sehen hier Männer von Stand vor sich, Männer, die bei dem bloßen Gedanken an das, was Ihr Blick nun verriet, Ihnen die Sporen in die Flanken setzen würden, um mich eines Ihrer Ausdrücke zu bedienen. Habe meinem angeborenen Monarchen treu seit zehn Jahren gedient, aber nicht in der Rolle, auf die Sie hingedeutet. Verbieten mein Stand und Rang eine solche Rolle, die dem Syndikus zusagen mochte, aber einem Kavalier und Colonel schwerlich je zugemutet werden dürfte. Würde es aber – gestehe ich aufrichtig – noch für weit unrechtlicher halten still zu schweigen, wenn gewisse Pläne und Vorhaben in Anregung gebracht werden sollten, mit denen die Ohren treugesinnter Männer wenigstens in Louisiana, kalkuliere ich, verschont werden sollten.«
   »Welche Pläne und Vorhaben meinen Sie?« fragte Nathan aufmerksam.
   »Ich sollte glauben, es wäre nicht nötig, Sie darauf hinzuweisen«, fiel Hauterouge heftig ein. »Denn sie verraten sich in jedem Ihrer Worte nur zu deutlich für treugesinnte Ohren.«
   »Ah, sind Amerikaner!« versetzte Nathan lächelnd. »Sind Amerikaner, und will heraus und macht sich Luft ihre Bürgerstimmung. Verstehe jetzt, was Sie meinen.«
   Diese Worte waren an Hauterouge gerichtet, jetzt wandte er sich an Gale und fuhr fort:
   »Stehe Ihnen dafür, sind bei alledem tüchtige Jungens, die nicht mehr darum geben würden, mit einem ganzen Regiment Dons anzubinden, als auf eine Bärenjagd zu gehen. Sage Ihnen, würden eine Tollheit begehen, wenn sie von dem oben auch nur das Mindeste hoffen könnten. Kennen aber zum Glück den droben durch und durch und wissen, wenn er die Sklavenstaaten alle nach Kap Hoorn hinabschieben könnte, täte er es lieber heute als morgen. Kennen seine Abneigung gegen jede Vergrößerung des Landes unter Masons– und Dixons-Linie. Sage Ihnen, Major, sage es Ihnen: könnte der alte Tory sich und seine Yankees von den Bürgern, die südlich dieser Linie zwischen den Sklaven haltenden und freien Staaten wohnen, mit einem einzigen starken Riß losreißen und an sein altes England anflicken, er würde es tun, und würde darüber unter seinen Hamiltons und Federals der größte Jubel sein.«
   Der Major stand bei diesem Angriff gegen den alten Tory, gegen John Adams, den Präsidenten der Union, mit verschränkten Armen in Gedanken versunken und sagte nicht ja und nicht nein. Wir standen mit zorngeröteten Wangen über die beispiellose Frechheit des Alten, der uns in unverblümter Nacktheit ins Gesicht zu sagen wagte, was wir anzudeuten Anstand nahmen. Nur mit Mühe vermochte ich Hauterouge von einem Ausbruch zurückzuhalten.
   »Aber wissen Sie, Mister Strong«, sagte ich in strafendem Ton, »daß eine solche Sprache unziemlich ist, ja daß sie Aufruhr predigt – und Sie in Gefahr, ja in die mexikanischen Bergwerke bringen kann?«
   Nathan gab mir keine Antwort, fuhr aber zum Major gewendet in seiner Rede fort:
   »Ist aber wieder gut, daß dem droben das Revolutionsfieber so vergangen ist und er seine Lords und Tories lieber hat als gerade, gesunde Demokraten. Hat alles seine Zeit, und wird die Zeit das weitere tun.«
   Auf einmal wandte er sich an mich:
   »Sie reden, wie ein Franzose reden kann und darf, Colonel, und nehme es Ihnen deshalb nicht übel. Sind kein Amerikaner, kein Bürger, sind ein Franzose, der es nicht besser versteht, eingemauert, wie er ist, in die Bastille seiner Vorurteile und engen Notions.«
   »Mister Strong!« erwiderte ich heftiger. »Ich muß Ihnen bemerken, daß die Sprache, die Sie hier führen, ungeziemend für das Land ist, das Sie duldet, und daß wir als Untertanen Seiner spanischen Majestät sie nicht anhören dürfen, und Ihnen als Männer, die Ihnen einige Verbindlichkeit für genossene Gastfreundschaft schuldig sind, raten, eine andere zu führen.«
   »Genug, Fremdling!« sprach Nathan mit einer stolzen Bewegung. »Genug! Müssen sich wieder nicht übernehmen. Seid Franzosen, die allzeit an der Stange geführt werden müssen, wenn sie nicht Bocksprünge machen sollen. Müssen sich wieder nicht übernehmen, Colonel! Lassen euch eure Meinung sagen, weil wir die Herren auf unserm Grund und Boden sind, müßt aber deshalb nicht kalkulieren, daß ihr die Herren seid. Nun, lassen euch freies Feld bei uns, weil es nichts schaden kann und ihr schwerlich je einen zu eurer Meinung bekehren werdet. Aber versteht mich! Wir sind nicht die Männer, die vom Spanier oder irgendeinem Potentaten Gunst brauchen oder ansuchen oder angesucht haben. Stehen auf eigenen Füßen in eigenen Schuhen, wissen das euer Gouverneur und eure Regenten. Und will euch jetzt etwas sagen, allen vier, und merkt es euch, kann euch vielleicht ein neues Licht anzünden.«
   »Seid Offiziere in der königlichen Armee gewesen und Hofleute und Barone und Grafen«, fuhr Nathan fort. »Sehe aber, müßt noch vieles lernen, ehe ihr ausgelernt habt. Sehe, seid Franzosen und haltet uns für Republikaner, so wie ihr sie in eurem Land habt, die sich, statt sich selbst zu regieren, vom ersten besten Gassentyrannen am Gängelband herumführen lassen – Tollköpfe, die den Feuerbrand in das Haus des Nachbarn schleudern, wenn ihnen ein solcher Ohnehose ein Wort sagt, und dann wie böse Buben sich über das Unheil freuen und rauben und plündern. Haltet uns für ähnlichen Stoff, kalkuliere ich, für Rasende, die mit hundertzwanzig Rifles ein ganzes Land zu erobern ausgehen. Sage euch, ist das Tollheit daran zu denken, ein Land gegen seinen Willen frei zu machen und einen in Müßiggang und Trägheit versunkenen Haufen von Sklaven mit einem Schlag in Bürger, die sich selbst zu regieren imstande sind, umwandeln zu wollen. Ist das nicht unsere Notion! Ist unsere Notion eine andere. Will sie euch sagen, und wird das, was wir tun und wollen, Louisiana sicherer den Staaten gewinnen und uns und Louisiana zu dem machen, wozu es Gott der Allmächtige bestimmt.«
   »Wenn Sie darunter verstehen, daß es Ihnen je gelingen werde, die Bevölkerung von Louisiana ihrem Beherrscher abwendig zu machen, dann strafe ich Ihre Vorhersage der Vermessenheit und freventlichen Vertrauens auf das Wesen, das Sie ungeziemend mit Ihren verruchten Plänen in Verbindung bringen!« sprach ich erzürnt.
   »Ruhig, Mann!« versetzte Nathan kalt. »Ruhig! Wollen uns nicht ereifern. Werdet ihr, werden wir die Sache nicht ändern noch den Gang des Schicksals aufhalten. Will euch aber sagen, ei, und eine Wette niederlegen, und zwar alles, was ich wert bin – hier vor dem Major —, und sollt gewonnen haben, wenn binnen zehn Jahren Louisiana nicht den Amerikanern gehört!«
   Wir schüttelten unwillig die Köpfe, ließen aber den Alten weiterreden.
   »Glaubt ihr, die Bürger oben, denen die dreizehn Staaten bereits zu eng sind, und die auf allen Seiten ausbrechen, über die Alleghanies, gegen die Seen hinauf, hinab gegen die spanischen Floridas, herab gegen euer Louisiana, die schier jedes Jahr einen neuen Staat gründen und sich zu hunderttausenden in dem großen Mississippi-Tal niedergelassen haben, glaubt ihr, diese Bürger, die Kentuckier, Tennesseer, die Bewohner des nordwestlichen Gebietes des Old Dominion werden lange ruhig sitzen bleiben und ihre Hände in den Schoß legen, wenn ihre Augen ein Land schauen, das ihr Herz erfreut und das Zucker, Baumwolle und Reis und das herrlichste Virginiakraut im Überfluß erzeugt statt Buchweizen und mageren Roggen? Glaubt ihr, sie werden sich den Mississippi, der auf ihrem Grund und Boden, aus ihren Seen entspringt und der ihre Ufer Tausende von Meilen wäscht, glaubt ihr, sie werden sich diesen geduldig von euren Zollbeamten verschließen und versperren, und sich so den Maulkorb anhängen, ihr Mehl versäuern, ihre Schinken von Würmern fressen und euch den Schlüssel in der Hand lassen? Sage euch, seid irrig, wenn ihr das glaubt! Mag eure Regierung in ihrer Beschränktheit wähnen, das Recht zu haben, den Mississippi zu verschließen und den Handel zu beschränken, sie mag aber ebensowohl den Mississippi selbst eindämmen, werden die Dämme wie Strohgeflecht zerrissen werden, ehe sie‘s sich versieht. Das ist die Stimme nicht von einem, sondern von hunderttausenden!«
   »Die spanische Regierung wird ihre Rechte gegen eure Eingriffe zu verteidigen wissen, verlaßt euch darauf!« erwiderte ich. »Solange sie es kann, ohne Zweifel«, gab Nathan zu. »Wie lange sie es aber können wird, ist eine andere Frage. Und noch eine andere, wie lange sie es wollen wird. Man verteidigt nicht gern in Länge das, was uns keinen Nutzen bringt. Und Louisiana ist nicht das Land, das dem Spanier Nutzen bringt. Im Gegenteil kostet Louisiana dem Spanier jedes Jahr blanke zweimal hunderttausend Dollar. Und wäre nicht der spanische Stolz, der sich mit seinen Titeln und Besitzungen wie der Bettler mit seinen Lumpen behängt, Louisiana wäre längst unser.«
   Hauterouge wurde feuerrot vor Zorn. Kaum konnten wir ihn mehr von einem Ausfall auf Nathan zurückhalten, der wieder ruhig lächelnd unsern hitzigen Freund vom Kopf bis zu den Füßen maß. Auch ich war nicht wenig über die kalte Ruhe des Mannes empört.
   »Sie scheinen die Finanzen des Landes genau zu kennen«, bemerkte ich.
   »Kalkuliere, kenne sie. Und eben weil wir sie kennen, wissen wir uns in Geduld zu fassen. Warum uns übereilen? Louisiana muß früher oder später doch unser werden.«
   »Sie sprechen sehr bestimmt, Mister Strong!« Ich konnte meinen Zorn kaum noch unterdrücken.
   »So bestimmt, wie einer, der die Sache versteht, nur reden kann«, versetzte Nathan unbekümmert. »Habt ihr nie das Saatkorn beobachtet, wenn ihr es ausgesät in die befruchtende Erde? Nie achtgegeben, wie dieses Saatkorn mehrere Zoll tief in die Erde geworfen mit einer Schicht überdeckt wird, die hundertmal schwerer als das winzige Saatkorn es mit ihrem Gewicht erdrücken sollte? Tut sie das aber? Ist sie imstande, das winzige Saatkorn zu ersticken, zu erdrücken? So wenig, daß das winzige Ding ruhig, gemächlich seine Keime hervorschießt, sich Bahn bricht durch die Erdschollen und hervordringt ans Tageslicht, die Last wegschiebt und siegend über die Scholle heraufwächst und das tote Gewicht! Habt ihr das nie bemerkt? Nie euer Welschkorn beobachtet, besonders wenn mehrere Körner beisammen liegen und ein Klumpen darauf, Pfunde schwer? Wie das Welschkorn den Klumpen so spielend zerreißt und sich auf allen Seiten durchzwingt und die ganze schwere Last weghebt? Will euch sagen, sind wir die Welschkömer und ist Louisiana die befruchtende Erde und eure spanische Regierung der tote Klumpen, die Last, die über der keimenden Saat liegt und sie gern am Wachsen verhindern würde, wenn sie könnte. Kann aber nicht. Sind die Keime, die Triebe, die der Allmächtige in die winzigen Welschkörner gelegt, zu mächtig für die tote Last. Sind zu mächtig die Keime, das heißt unsere schaffigen Arme, unsere Pflüge, Äxte und Köpfe! Sind zu starke Hebel. Und werden diese Hebel eure tote Last, das Gewicht, eure Regierung wegschieben! So leicht! Habt keine Notion, wie leicht! Und wird Louisiana sprossen und keimen und gedeihen, und wir mit!«
   Der Mann war zum Prediger oder Staatsredner geboren. Sein Redefluß glich den kräftigen Strömen seines Landes, kühn, schrankenlos, unaufhaltsam. Mit meinem Entschluß ihm Eindruck zu machen war es vorbei. Ich wußte ihm auf diese offene Kriegserklärung kein Wort zu erwidern, ja, ich mußte ihm im Herzen recht geben.
   »Mister Streng! Ohne mit Ihnen und Ihren Gesinnungen rechten zu wollen, mache ich Sie nur darauf aufmerksam ...«
   »Lassen Sie das!« unterbrach er mich. »Lassen Sie das! Weiß, was Sie sagen wollen. Nicht Sie, nicht ich werden den Gang des Schicksals hemmen, das Louisiana bestimmt ist von dem, der droben über den Sternen die Schicksale der Menschen wie der Länder lenkt. Nicht Sie, nicht ich! Aber soviel ist uns schwachen Menschenkindern gestattet, den Gang dieses Schicksals mehr oder weniger abzusehen und zu entnehmen, je nachdem unsere Vernunft mehr oder weniger durch Vorurteile eingeengt oder durch Laster und Torheiten geschwächt ist. Sage Ihnen, hätte der König, dem Sie so treu anhängen, den gesunden Blick Nathan Strangs gehabt, er wäre noch König. Seid aber Franzosen, und mag euch nicht zu meinen Ansichten bekehren. Hätte sie nicht erwähnt, kein Wort darüber gesprochen, aber habt selbst angefangen. Und kalkuliere, ist ebenso wohlgetan, ja Pflicht und Schuldigkeit, euch meine Notion zu sagen und sie frei auszusprechen, wie es einem freigeborenen Bürger der Union geziemt, der selbst in Louisiana seine Meinung frei bekennen darf, weil er sein Recht zu behaupten vermag. Und jetzt kommt, ist Mittagszeit und das Essen fertig, wartet die Alte auf uns!«
   »Mister Strang, wir müssen scheiden. Die Freunde, sehen Sie, warten ungeduldig.«
   »Wie Sie wollen! Dachte, Sie wollten Ihre künftigen Nachbarn kennenlernen und das Grundstück, das Sie ersteigert? Dachte, Sie wollten das? Wäre vielleicht das beste, was Sie tun könnten! Sie sind freundlich willkommen, zu bleiben, mögen aber tun, wie Sie wollen! Nur, kalkuliere ich, werden Sie lange auf eine zweite Einladung warten müssen.«
   »Ich bin von Ihrer Freundschaft überzeugt, aber ...« Hauterouge und Ducalle standen abseits. Sie redeten heftig miteinander. Um keinen Preis wollten sie bei dem alten Verruchten bleiben, um keinen Preis – das war der Kehrreim, der zu meinen Ohren drang. Ich war in nicht geringer Verlegenheit. Ging ich, so stieß ich einen Mann vor den Kopf, der mir wichtig geworden, und dessen Rat und Beistand für das Gedeihen meiner Entwürfe unentbehrlich war. Blieb ich, so verletzte ich bewährte Freunde.
   In dieser Verlegenheit kam Jean mit der Nachricht, daß unsere beiden Pferde von der Anstrengung des vorigen Tages noch so erschöpft wären, daß ans Nachhausereiten gar nicht zu denken sei.
   »Wohl!« riefen Hauterouge und Ducalle. »So wollen wir zu einem Akadier! Lieber in der schlechtesten Hütte als einen Augenblick länger hier bleiben!«
   Ich widersprach. Nathan, so bemerkte ich, wäre von mir zu dem Meinungskampf herausgefordert worden. Und wir hätten nicht das Recht, ihn wegen seiner ausgesprochenen Meinung zu verdammen.
   »Was?« schrie Ducalle. »Was, Colonel? Sie verteidigen die Grundsätze dieses Rebellen, dieses Barbaren?«
   Nathan verzog keine Miene, obwohl er zum Teil verstand, was wir französisch redeten. Aber jetzt nahm Major Gale das Wort.
   »Pardon, junger Mann! Pardon, wenn ich Ihnen in die Rede falle. Aber die Meinung, die Mister Nathan ausgesprochen, ist die Meinung, zu der sich Millionen Amerikaner mit Stolz bekennen, und mit diesen Major Henry Gale!«
   »Und mit denen wir nichts zu tun haben, und die wir bekriegen und bekämpfen wollen!« fuhr es Hauterouge heraus.
   »Das steht euch frei, Messieurs! Steht euch auch frei, zu sagen, was ihr gehört! In New Orleans, in den Attacapas, überall! Weiß eure Regierung unsere Meinung, machen kein Geheimnis daraus.«
   Ich suchte zu vermitteln – aber Nathan fiel mir in die Rede.
   »Still, Fremdlinge! Kalkuliere, werden nicht von euch, die ihr nicht einmal Achtung vor dem Hause eines Bürgers habt und wie Narren durch das Fenster mitten zwischen seine Familie und Gäste hineinspringt, werden von euch nicht die Grundsätze der bürgerlichen Gesittung lernen! Sage euch, bin hier auf meinem Grund und Boden, und zwar so lange, bis mich eine stärkere Gewalt als die eurige vertreibt. Bin hier und spreche meine Meinung aus vor Gott und der Welt und eurer Regierung. Mögt wieder sagen, was ihr gehört und gesehen, und mögt ... gehen! Denn – hab‘ die Notion – seid nicht die Männer, mit denen ich lange verkehren wollte.«
   Ducalle schäumte vor Zorn. Ich hatte ihn nie so gesehen. Er riß Hauterouge am Arm fort und schrie:
   »Ich sehe, der alte Regulator hat die Aussicht, die Zahl seiner Schutzbefohlenen mit unserem Colonel zu vermehren!«
   Ohne auf unsere Vorstellungen zu achten, schwangen sich unsere hitzköpfigen Freunde auf ihre Pferde und galoppierten im Sturm davon. Nathan war ganz ruhig geblieben und hatte gelassen von Roche Martin und den Akadiern Abschied genommen, die nun den beiden nacheilten.
   »Werden ihnen die Köpfe bald leichter werden, wenn sie bei den Akadiern einkehren!« lachte der Alte in sich hinein. »Ein einziges Nachtlager wird sie heilen. Sind – die Umwege mit in Anschlag gebracht – fünfunddreißig Meilen von Hause. Werden sehen, was es heißt, die Gastfreundschaft eines Akadiers gegen die eines Amerikaners zu vertauschen.«
   »Habt aber wohl getan zu bleiben«, wandte er sich an Lassalle und mich. »Wohl getan! Seid willkommen! Sehe, daß Sie ein Mann sind, Colonel, der die Welt gesehen. Liebe es, mit solchen Männern zu sein.«
   Auch Major Gale ergriff unsere Hände.
   »Sie haben wohl getan und werden sehen, was es heißt, die Freundschaft eines Mannes wie Mister Strong gewonnen zu haben.«
   Im ganzen genommen war ich froh, daß ich geblieben, und selbst daß Hauterouge und Ducalle gegangen. Denn die Attacapas waren mir zuwider, von ganzem Herzen zuwider, und das königstreue Ungestüm meines lieben Hauterouge würde ein ewiger Zankapfel geworden sein. Hier, das fühlte ich, war der Schauplatz, wo meine Tätigkeit sich entwickeln konnte, obwohl ich gewünscht hätte, das Scheiden von unseren Freunden wäre auf eine für sie weniger verletzende Weise vor sich gegangen.



   Die neue Heimat


   1

   Von dem Augenblick an, wo wir uns zum Bleiben entschieden, war auch die rauhe Rinde von Nathans Charakter gewichen, und unser Verhältnis gestaltete sich freundlicher. Eine gewisse behagliche Ruhe trat an die Stelle des halbversteckten lauernden Mißtrauens, ein zwangloseres Sein und Seinlassen an die des eckigscharfen Anstoßens. Zwar war unser beiderseitiges Verhältnis noch weit von herzlicher Vertraulichkeit entfernt, aber es hatte wieder die schöne Seite, daß es eine dauernd freundliche Stimmung verbürgte und auf gegenseitige Achtung gegründet war.
   Und in dieser Hinsicht muß ich gestehen, wenn mich als Europäer in meinen späteren Berührungen mit Amerikanern ihr Gleichmut und ihre Schroffheit oft mit einer unangenehmen Kälte durchfror, diese Erstarrung wieder sehr wohltätig durch den angeborenen Takt aufgetaut wurde, den der gemeinste Amerikaner in einem gewissen Grade besitzt, durch jene gleichmütige Ruhe, die gelassen den Fremdling sich aussprechen läßt und erst nach diesem Ausspruch entsprechend das Benehmen einrichtet.
   Nachdem das Mittagessen vorüber, machte Nathan uns den Vorschlag, mit dem Major einen Ritt in die Niederlassung zu tun. Er wolle uns dazu Pferde und seinen Joshua geben. Er selber müsse bei der Auslese der Tabakblätter zugegen sein, von der der Kredit seines Hauses abhänge. Auch wäre es ihm lieb, wenn wir mit unseren eigenen Augen sähen und demgemäß unsere Meinung über die Niederlassung formten.
   Gegen diesen Vorschlag hatten wir natürlich nicht das mindeste einzuwenden. Und so bestiegen wir denn die für uns eingefangenen Pferde. Es waren drei mexikanische Krausköpfe, die, kurz zuvor aus den Prärien von Texas eingebracht, unsere ganze Reitkunst in Anspruch nahmen. Der vierzehnjährige Joshua, Nathans jüngster Sohn, war unser Wegweiser.
   Bisher waren unsere Gedanken auf ganz andere Dinge als auf die Niederlassung gerichtet gewesen. Jetzt warfen wir das erste Mal forschende Blicke umher, begierig mit eigenen Augen zu sehen, was denn diese Amerikaner so Großes geleistet hätten, um sich eine so unerschütterliche Selbstgefälligkeit beizulegen.
   Die Niederlassung lief, wie ich bereits erwähnt, von Südost gegen Nordwest entlang dem Scheitel eines meilenlangen Kammes, der etwa siebzig Fuß von dem eine halbe Meile entfernten Sumpf heranschwoll und sich ebenso sanft wieder auf der nördlichen Seite zur Prärie herabdachte. Auf diesem Kamm oder Sattel waren die Pflanzungen der vorzüglichsten Gemeindeglieder gelegen, und eine schönere oder zweckmäßiger gewählte Anlage ließ sich kaum denken.
   Auf der einen Seite hatten wir die noch nicht lange zuvor dem Urwald abgewonnenen Clearings – gelichtete Waldstrecken —, auf der andern die ungeheure Prärie mit ihrem klafterhohen Gras, in dem die Köpfe der weidenden Rinder und Pferde wie rollende Steinklumpen gegeneinander prallten. Im sanften Luftzug klangen die Schellentöne der Leitkühe an unsere Ohren. In weiter blauer Ferne durchschimmerten hier und da die Wälder den wundersam schillernden Nebeldunst. Das Ganze war in eine ahnungsvolle Stille begraben, nur selten unterbrochen durch den dumpfen Ton einer Seemuschel, die aus den Feldern die Arbeiter rief. Die Landschaft hatte etwas ungemein Anheimelndes.
   Wir hatten geschaut, betrachtet, unsere Bemerkungen gemacht, dann unseren tanzenden Rennern die Zügel schießen lassen. So hatten wir Nathans Blockhaus allmählich aus dem Auge verloren, aber die Felder dehnten sich wohl eine halbe Meile weiter fort. Nathan und die Seinigen waren mit einem halben Dutzend Neger in einem Tabakfeld beschäftigt. Weiter trafen wir ein Feld mit Welschkorn, dessen Kolben – von den Hülsen entblößt, um schneller zu reifen – uns ob ihrer Größe in Erstaunen setzten.
   Über ein drittes Feld war eine dichte Rauchwolke hingelagert, die nur an einzelnen Stellen die nackten, ihrer Blätter und Rinden beraubten, abgestorbenen Riesenstämme durchblicken ließ. Sieben Jahre getötet, standen sie noch immer da und streckten ihre mächtigen Arme wie jammernd in die Luft. An anderen Orten lagen sie zu Boden, und Haufen vertrockneter Baumwollstauden, die unter ihnen angezündet waren, wirbelten dichte Rauchwolken empor. Die herrlichen Bäume, die das berühmte und beste Schiffsbauholz der Welt liefern, wurden bloß wegen ihrer sehr gesuchten Asche verbrannt. In Frankreich würde ein einziger solcher Stamm, deren hier Dutzende verglommen, mit Tausenden von Livres bezahlt worden sein.
   Wir waren etwa eine Meile in südöstlicher Richtung geritten, als ein Schindeldach, das sich bescheiden hinter einer Gruppe von Magnolien und Catalpas verbergen zu wollen schien, uns eine zweite größere Pflanzung ankündigte. Zu unserer Rechten hatten wir wieder Urwald. Die ungeheuren Stämme waren so mit Lianen und wilden Reben durchflochten, daß trotz der heißen Nachmittagssonne kein Strahl in diese nächtliche Dunkelheit zu dringen vermochte. Wir konnten uns beim Anblick dieses Urwaldes einen Begriff von der Arbeit bilden, die es gekostet haben mußte, diesen unwirtlichen Wald zu lichten.
   Während dieser Betrachtungen kamen wir dem Blockhaus näher. Es war kleiner als das Nathans, gleichfalls aus Baumstämmen aufgezimmert und mit Schindeln gedeckt. Rauh und trotzig lag es unter den herrlichen, noch immer blühenden Magnolien und zwei Immergrüneichen. Für Hinterwäldler eine nicht üble Wohnung, die nicht das schmutzige Aussehen der Akadierhütten hatte, aber ebenso weit entfernt war von den schönen Landhäusern in den Attacapas mit ihren vorgeschobenen Dächern und den sie tragenden schlanken Säulen und mit den grünen Rolläden.
   Wir ritten an dem Waldvorsprung vorbei und hatten jetzt ein Bild vor uns ... ein wunderschönes Bild! Es war ein Landschaftsgemälde, etwa tausend Schritte oder darüber lang und breit, sanft gegen den Sumpf hin abgedacht und dagegen geschützt durch einen Waldsaum, der stehen geblieben war. Zu unsern Füßen lag ein Feld von etwa vier Acres reifer Baumwolle, ein Schneefeld, denn die Kapseln waren aufgesprungen. Es schien in der Luft zu schweben und ruhte auf matt grünem Grunde. In Zwischenräumen von dreißig bis vierzig Fuß starrte immer ein Riesenstamm in die Luft. Das Ganze aber war durch den hohen Urwald, der in einem alle Begriffe übersteigenden üppigen Wuchs prangte, zu einem wunderlieblichen Landschaftsgemälde vereinigt.
   Wir ritten weiter. An das Baumwollenfeld stieß ein kleineres, mit Tabak bebaut. Wir stiegen ab und gingen dem Hause zu. Es war verlassen von seinen Bewohnern. In dem Porch hingen Ackergeräte und Riemenzeug. Pflüge, Äxte und Hacken lagen und standen umher. Wir betraten die Stube. Mit rohen Tischen, Bänken und Stühlen eingerichtet bot sie gegenüber dem Reichtum der Felder einen seltsam ärmlichen Gegensatz. Ich konnte mich nicht enthalten zu fragen, wie dieser Mann bei seinem Reichtum so ärmlich wohnen könne.
   Der Major erwiderte bedeutsam: »Der Amerikaner denkt zuerst an das Nötigste und dann erst an das Bequeme.«
   Wir fanden es so. Ein längerer Blick in dieses Hauswesen gab uns über das Rätsel, das in Nathans Worten lag, Aufschluß. Hier sah man wirklich schaffige Arme und rege Hände, die das Land erblühen und sprossen und gedeihen machen mußten. Ein Kreole würde die erste Ernte dazu verwendet haben, sein Haus, seine Zimmer, sich selbst herauszuputzen und Eindruck zu machen durch einen Schein, dem er in der Wirklichkeit nie zu entsprechen imstande sein konnte.
   Nicht so die Squatter. Alles war kunstlos, unzivilisiert, rauh – aber natürlich —, poetischrauh möchte ich sagen. Es waren die ersten Elemente einer werdenden Pflanzung, aber diese so zweckmäßig angebracht, die Rohstoffe so ganz dem Boden entsprossen, entnommen, ein klug gelassener, berechnender, Schritt für Schritt bemessener Sinn sprach sich überall aus. Man sah es deutlich, der Besitzer hatte bloß einen Gedanken im Kopf und verfolgte diesen Gedanken Schritt für Schritt mit unverwandtem Blick und mit jener Nüchternheit, die uns Franzosen so sehr abgeht.
   Es war ein alter Lieblingsgedanke, uns in Louisiana einen Herd zu gründen. Schon in Europa, als unsere Angelegenheiten eine so verzweifelte Wendung zu nehmen begannen, war dieser Gedanke in uns aufgestiegen. Es war der Anker, an dem wir uns inmitten des Schiffbruches unserer Partei gehalten, das Lieblingsthema unserer Unterhaltungen, die leuchtende Hoffnungssonne, an die das Bestehen unserer künftigen Familien sich geknüpft.
   Mit den Trümmern unseres Vermögens, so wenig zureichend sie waren, uns in Europa standesgemäß zu erhalten, konnten wir hier nicht nur leben, wir konnten auch unseren sehnlichsten Wunsch in Ausführung bringen, unseren Geliebten, mit denen wir nun seit Jahren verlobt waren, ein Obdach zu bereiten, das sie gegen alle Unbilden der europäischen sturmbewegten Welt zu schützen imstande war. War dieses Franzosen, Spaniern und Deutschen mit weit weniger Hilfsmitteln in diesem Land gelungen, so daß sie sich nun eines Wohlstandes erfreuten, der dem unserer reichsten Familien gleichkam, warum nicht auch uns? Wir waren noch jung, mit Kenntnissen ausgerüstet, tätig, unternehmend und fühlten von treuer Liebe angespornt eine Welt voll Kraft in uns!
   Nichts fehlte uns als die Anleitung, ein Wegweiser, um sogleich zum Werk zu schreiten. Das Wie und auf welche Weise – das war die einzige Frage. Eine große Frage aber war es. Wir verstanden nichts von der Landwirtschaft, um die wir uns nicht weiter bekümmert hatten, als soweit es sich um unsere Pächter und Verwalter handelte oder vielmehr um die Renten, die sie uns einlieferten. Wir hätten wohl eine bedeutende Pflanzung kaufen und sie durch Aufseher verwalten lassen können. Aber selbst wenn wir hinlängliche Mittel dazu gehabt, so verstanden wir nichts von der Pflanzerwirtschaft, hätten uns ganz auf die Aufseher verlassen müssen.
   Und unser Letztes auf diesen Wurf zu wagen, der uns schon im ersten Jahr auf immer ruinieren konnte, ja mußte, wäre wahre Raserei gewesen. Alles das war uns erst im Verkehr mit den Kreolen der Attacapas klar, unsere schönen Träume so wieder halb zu Seifenblasen geworden. Gleich jenen blaugewirkten Dunstsäumen, die uns aus der Ferne so magisch herüberleuchten, in der Nähe aber erstickende Sumpfluft werden, hatten sie uns angezogen, um uns mit einer fieberigen Rastlosigkeit anzustecken, die uns die letzten Wochen unseres Aufenthaltes in den Attacapas zur wahren Hölle gemacht. Unseres Bleibens war nirgends mehr gewesen, wie Fieberkranke hatten wir uns umhergetrieben, etwas suchend, das wir nicht zu finden, dem wir nicht einmal einen Namen zu geben wußten.
   Erst bei Nathan war uns das, was wir wollten, deutlicher geworden. Wir hatten in ihm den Mann gefunden, der uns den Weg zeigen konnte. Allein selbst bei ihm sahen wir nichts von der Pflanzung, obwohl sie vorzüglich eingerichtet war, unsere Gedanken waren auf ganz andere Dinge gerichtet. Wir mußten erst seine Pflanzung verlassen, eine zweite sehen, um aufgerüttelt durch die neuen Eindrücke zum Bewußtsein dessen zu kommen, was wir eigentlich wollten.
   Und dieses Bewußtsein hatten wir nun wirklich in dieser zweiten Pflanzung erlangt, hier gerade das Ding gefunden, das wir so lange vergeblich gesucht, den geradezu leitenden Wegweiser, der uns zum Führer dienen und zum gewünschten Ziel zu bringen vermochte. Eine Art ABC– oder Lesebüchlein, das uns Neulingen die schwere Kunst des getting along in the backwoods, des Fortkommens in den Hinterwäldern, ebenso stufenweise, systematisch beizubringen imstande war wie jene Büchlein den Kindern die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens.
   Es bedurfte hier nicht einmal der Fingerzeige des Majors, wir selbst fanden die Anfangsgründe, den Grundschulunterricht des Pflanzerlebens, das ABC in den neuen Clearings, den Waldbrüchen, den frisch geringelten Cottonwood– und Immergrüneichenbäumen, das Buchstabieren in den schon seit einigen Jahren abgestorbenen und angebauten Waldteilen, in der rauhen, kunstlosen Wohnung, den rohen, von den Hinterwäldlern selbst verfertigten Möbeln, den Pferde– und Kuhställen, den ersten, die wir in den Attacapas fanden.
   Alles das sahen wir deutlich, sahen ebenso deutlich, daß wir bloß zu tun brauchten, was diese Squatters getan, um zu eben dem Ziel zu gelangen. Das Ergebnis ließ sich gar nicht bezweifeln. Und voll Begierde und Verlangen, den Weg unverzüglich einzuschlagen, untersuchten, prüften wir mit einer Eile, einer Hast, einer Ängstlichkeit, muß ich sagen – bei jedem Schritt kalkulierend, um mich Nathans Ausdruckes zu bedienen. Wir eilten aus der Stube in die Ställe, aus dem Gemüsegarten in die Neubrüche, die Felder. Wir glichen ganz Gelehrten, die den Schlüssel zu einer schwierigen Lesestelle eines klassischen Buches aus einem neu aufgefundenen Manuskript entdeckt haben und darüber Zeit und Ort, Essen und Trinken, Schlaf und alles vergessen.
   Nur derjenige, der selbst die schwierige Aufgabe des ›getting along in the backwoods‹ zu lösen gehabt, wird sich einen Begriff von der beinah kindischen Hast machen können, mit der wir jeden neuen Gegenstand verschlangen. Für uns hatte nun die entstehende Pflanzung, die Blockhütte einen unaussprechlichen Reiz. Wir dachten mit Wonne an den nicht sehr entfernten Zeitpunkt, wo unsere Lieben im häuslich einfachen Gewand uns von der Schwelle entgegenkommen würden.
   Der Major hatte uns als Ratgeber bei unseren Ausflügen in die Felder, die Ställe, überallhin begleitet. Er gab Aufschlüsse, sprach Tadel und Lob aus und erklärte uns die Verfahrensweise des Pflanzens. Er bemerkte, daß wir hier den großen Vorteil hätten, selbst Hand anzulegen und uns so in reger Tätigkeit zu erhalten, ohne daß dieses unserm Charakter als Offiziere in den Augen der Gemeinde zum Nachteil gereichen würde.
   Wir erwiderten, daß eben dieses der größte Reiz für uns wäre und daß gerade dieser Umstand uns hier so anzöge. Wir seien des faulen Lebens in den Attacapas gänzlich überdrüssig, obwohl wir es nur eine kurze Zeit versucht hätten.
   Er bemerkte ferner, wir müßten die Attacapas nicht nur, sondern auch manches, was wir uns da beigelegt, vergessen und zurücklassen. Nur unter dieser Bedingung könnten wir hoffen, hier zu bestehen.
   Wir sahen ihn an, verstanden ihn aber nicht.
   Aber dafür, tröstete er uns, würden wir mehrere sehr gebildete Familien hier in der Niederlassung antreffen, vorausgesetzt, wir brächten aus den Attacapas nichts mit, was uns die Häuser verschlösse.
   Diese letzte Bemerkung erregte endlich unsere Aufmerksamkeit.
   »Uns die Häuser verschlösse?« fragte ich.
   »Sie werden das finden«, erwiderte der Major. »Der Amerikaner ist in diesem Punkt äußerst kitzlig. Ich wünschte ... doch da ist eine neue Niederlassung.«
   Wir waren nämlich an der dritten Pflanzung angekommen. Dieselbe Tätigkeit, Regsamkeit, Einfachheit des Verfahrens. Uns kam jetzt das Ganze so leicht vor, wir träumten uns bereits in Lederwämsern.
   In dieser Pflanzung trafen wir die Leute zu Hause und über ihrem Mittagsmahl. Sie gehörte Mister Dreadnought, der gerade mit den Seinigen über einer gewaltigen Schüssel Maisbrei saß, die von einer zweiten mit Schinken flankiert war. Als eine Art Nachtisch wurde ein mächtiger Korb gesottenen, halbreifen Welschkornes in Kolben aufgetragen. Mit Butter und Salz genossen, wurden sie uns später gleichfalls zur Lieblingsspeise. Als Getränk hatten die Leute Milch in blechernen Bechern vor sich.
   Der Empfang jedoch, der uns hier zuteil wurde, stimmte unsere schwärmerischen Erwartungen wieder stark herab. Wären wir damals gefragt worden, was uns an den Amerikanern am meisten auffalle, die Antwort wäre gewesen: eine zurückhaltende Kälte gegen Fremde, ein abstoßend finsterer Widerwillen, eine Gleichgültigkeit, die völlige Gemütsöde, wenn nicht Bosheit, verrieten. Dieses Urteil wäre ohne Zweifel ungerecht gewesen. Denn der Amerikaner westlich des Alleghany-Gebirges ist im ganzen genommen weit herzlicher als der des Ostens, ja er steht gewiß keinem an Warmherzigkeit und menschenfreundlichem Entgegenkommen nach. Aber gewöhnt an das fröhliche Willkommen unserer Landsleute, den freudigen Händedruck der ungestümen Kreolen, mußte uns der Gegensatz notwendig unangenehm auffallen.
   Weder Dreadnought noch einer der Seinigen regten oder bewegten sich bei unserm Eintritt. Kaum daß sie uns einen Blick zuwarfen, fuhren sie dann wieder fort, den Löffel einer allgemeinen Schüssel zuzulenken. Selbst der weibliche Teil der Tischgesellschaft, sonst so geneigt, wohlgebildeten Fremden einen Blick der Überraschung zu schenken, wandte sich kalt und, wie es schien, mit Widerwillen von uns.
   Obwohl daran gewöhnt uns selbst zu beherrschen, war es uns doch nicht möglich, dem Beispiel des Majors zu folgen, der einen Sessel nahm und die Unterhaltung eröffnete. Wir blieben stehen, ohne daß uns einer auch nur eines Wortes gewürdigt hätte. Wohl fünfzehn Minuten dauerte diese Sitzung, bis wir endlich, nicht mehr imstande es auszuhalten, ohne ein Wort zu sagen, weggingen. Der Major blieb.
   »Was für furchtbar rauhe, rohe, unzugängliche Menschen!« konnte ich mich nicht enthalten auszurufen, als der Major sich endlich wieder uns angeschlossen hatte.
   »Sie mögen recht haben«, versetzte er. »Aber diese rauhe Unzugänglichkeit hat ihre Ursachen, ihre guten Ursachen. Ein sehr strenges sittliches Gefühl liegt ihr zugrunde.«
   Wir sahen den Major an. Sein Ton war so trocken wie seine Zunge. Er schien uns seit dem Eintritt in das Haus um einige Grade kälter geworden zu sein.
   »Major! Sie bringen diese rauhe Unzugänglichkeit dieser Hinterwäldler auf eine Weise mit ihrem sittlichen Gefühl in Verbindung, die für uns – die Wahrheit zu gestehen – einen eben nicht sehr schmeichelhaften Hintergedanken zu enthalten scheint.«
   »Möglich!« erwiderte der Major, der wie viele Amerikaner etwas vom lehrhaft Bündigen der Puritaner an sich hatte. »Möglich! Aber ich sehe kein Unrecht darin, daß Leute, die für die Sittenreinheit ihrer Gemeinschaft besorgt sind, Fremden, deren Grundsätze mit den ihrigen nicht übereinstimmen, nicht mit offenen Armen entgegenkommen.«
   Bei diesen Worten sah uns der Major starr an. Wir zogen die Zügel unserer Pferde an und brachten so die Tiere zum Stehen.
   »Welche Grundsätze meinen Sie?« fragten wir.
   »Die Grundsätze, auf denen jede bürgerliche Gemeinde beruht, sie mag groß oder klein sein, Heiligkeit des Eigentums, der Ehe!«
   »Aber ich hoffe, Sie und Ihre Hinterwäldler halten uns doch für keine Balots oder Vidals?« fragte Lassalle heftig.
   »Ich halte Sie für Gentlemen, Messieurs!« bedeutete der Major dem Baron. »Für Gentlemen, als die ich ohne Ausnahme die französischen Stabsoffiziere, mit denen ich die Ehre zu verkehren hatte, kennengelernt habe!«
   »Aber obwohl Sie uns für Gentlemen halten, meinen Sie auch, daß unsere Grundsätze der Sittenreinheit der Gemeinde eben nicht förderlich werden dürften?«
   »Von meiner Meinung ist eigentlich nicht die Rede, da ich bei der Sache nicht beteiligt bin.«
   »Aber wenn Sie beteiligt wären?« fragte ich dringlicher, denn ich wollte den Mann auf alle Fälle zu einer runden Erklärung bringen.
   »Wenn ich beteiligt wäre, so würde ich es für Pflicht halten, die Gefahren abzuwenden, die ein Skandal notwendig für die Gemeinde nach sich ziehen müßte.«
   »So glauben Sie, unsere Anwesenheit müßte einen Skandal für die Gemeinde nach sich ziehen?« fuhr Lassalle heraus. »Mein Herr, Sie werden beleidigend! Wenn Sie ein Gentleman sind, so werden Sie wissen, daß sich französische Stabsoffiziere nicht ungestraft beleidigen lassen.«
   Der Major blieb ganz ruhig.
   »Verstehen Sie mich recht!« versetzte er kalt. »Ich sage nicht, daß Ihre Anwesenheit einen Skandal für die Gemeinde nach sich ziehen müßte, sondern daß ich es für Pflicht halten würde, die Gefahren, die ein Skandal notwendig mit sich bringen müßte, von der Gemeinde, deren Mitglied ich bin, abzuwenden. Eine bürgerliche Gesellschaft wie die unsrige, die sich selbst regiert und in der alle Glieder gleiche Rechte haben, muß vorzüglich darüber wachen, daß jene Grundsätze, auf denen ihre Sittlichkeit beruht und die sie in Ehren zu halten alle Ursache hat, nicht auf eine grobe Art verletzt werden.«
   »Aber bei allen Teufeln! Was reden Sie hier von grober Verletzung von Grundsätzen? Wieso haben wir Ihre Grundsätze verletzt? Wir, die wir Sie und Ihre Gemeinde heute zum ersten Mal gesehen?«
   »Ob Sie diese Grundsätze verletzt haben, davon ist hier nicht die Rede. Würde die Gemeinde auch ganz und gar nicht berühren. Aber es ist von größter Bedeutung für sie, daß sie vor der Gefahr der Ansteckung bewahrt werde, der sie die Verletzung dieser Grundsätze notwendig aussetzen müßte. Was mich betrifft, so kann ich nur soviel sagen: ich finde die Scheu und Zurückhaltung Mister Dreadnoughts und der Seinigen, über die Sie sich so sehr beklagen, unter Amerikanern ganz in der Ordnung. Sie dürften diese Zurückhaltung nicht nur auch in den übrigen Häusern der Niederlassung, sondern Sie dürften bei einem zweiten Besuch auch die Türen der Häuser geschlossen finden. Selbst Nathan ...«
   »Was ist mit Nathan?« riefen wir empört.
   »... hat mich ersucht, über diesen heiklen Punkt mit Ihnen zu sprechen, und im Fall Sie nicht abständen, Ihnen zu eröffnen, daß er sich Ihre Besuche ein für allemal verbitte. Er kam deshalb nicht mit.«
   Wir standen sprachlos vor Verlegenheit, Scham und Zorn.
   »Ich habe mich nur ungern mit einem Auftrag befaßt, der an sich so heikler Natur ist. Aber als ehemaliger Waffenbruder so vieler Ihrer wackren Landsleute und überzeugt, auf diesem Wege Ihnen sowohl als den Leuten hier nützlich sein und Unannehmlichkeiten ersparen zu können, die für Sie – glauben Sie mir – sehr schlimme Folgen haben dürften, habe ich mich dazu entschlossen.«
   »Sacré!« entfuhr es Lassalle, der vor Wut schäumte.
   »Bei allen Teufeln!« schrie ich.
   Der Mann hatte ein so kühles, schwer grobes Fell und gab uns seine Frechheiten so scheffelweise mit einem so unerschütterlichen Gleichmut, daß wir alle weiteren Rücksichten vergaßen und nun wirklich in Harnisch gerieten.
   »Was meinen Sie? – Was wollen Sie? Sie scheinen es darauf angelegt zu haben, uns herauszufordern! Doch, wollen die Sache kurz machen! Wollen Amadée um unsere Pistolen senden!«
   »Zuerst will ich mich des übernommenen Auftrages entledigen, und dann das Weitere!« sprach Gale ruhig weiter.
   »Keine Beleidigung mehr, wir haben deren genug gehört!« schrie Lassalle heftig.
   »Hören Sie! Nathan läßt Ihnen sagen, daß Sie ihm und den Seinigen ganz liebe Nachbarn sein sollen – immer vorausgesetzt, Sie bringen die Farbigen nicht mit, die Sie sich beigelegt, wie er von dem jungen Martin gehört.«
   »Wir bringen die Farbigen nicht mit, die wir uns beigelegt?« fragte ich erstaunt. »Welche Farbigen?«
   »Die Farbigen, mit denen Sie in den Attacapas ein zartes Verhältnis haben und für die Sie, wie es verlautet, das Land hier ersteigert haben, um ihnen hier ein Liebesnest einzurichten.«
   Lassalle brach in ein lautes Gelächter aus. Nicht so ich. Denn die Angelegenheit war wirklich sehr verdrießlich, das hatten wir bereits in den Attacapas erfahren. Um vieles kühler versetzte ich:
   »Obwohl die Art und Weise, wie Sie diesen Gegenstand zur Sprache gebracht haben, für uns nicht eben schmeichelhaft, ja sogar beleidigend ist, so glauben wir doch, uns über diese Bedenklichkeiten hinwegsetzen und Ihnen erklären zu müssen, daß das Ganze nichts als eine elende Klatscherei ist. Wir hatten so wenig im Sinn, eine Farbige hierher zu bringen, wie wir überhaupt je mit einer ein Verhältnis hatten.«
   Der Major sah mich zweifelnd an.
   »Klatscherei, was in den ganzen Attacapas als Tischgespräch rundgeht? Weiß nicht! Aber sei es oder sei es nicht! Was Sie dort unten getan haben, geht die Gemeinde hier nichts an, vorausgesetzt, Sie bringen den Gegenstand des Anstoßes nicht hierher.«
   »Hier ist nicht von der Gemeinde, hier ist von unserem Wort, von unserem Ehrenwort die Rede!« fiel Lassalle hitzig ein. »Wem glauben Sie mehr? Zwei Stabsoffizieren, Kavalieren aus altem Hause, oder ein paar rohen Akadiern? Wohl, wir sagen Ihnen auf unser Ehrenwort, daß wir diese Allains, diese Farbigen, nicht weiter kennen, als daß wir sie zufällig ein einziges Mal gesehen haben! Daß wir sie selbst dieses einzige Mal nicht gesehen hätten, wäre der Sturm nicht über unseren Köpfen hereingebrochen, wären wir nicht damals verirrt gewesen, als wir unsere Milchkuh suchten!«
   »Und das wäre wirklich so?«
   »So war es! Wir sahen die Chartreuse einmal und kein zweites Mal mehr!«
   »Und die täglichen Besuche, Tanzpartien?«
   »Hat das Gerücht hinzugefügt! Die Mädchen führten damals einen Tanz auf, aber wir beteiligten uns nicht dabei. Verstehen Sie mich aber wohl! Diese Erklärung geben wir Ihnen nicht, um uns zu rechtfertigen oder zu verantworten! Wir erkennen weder in Ihnen noch in den Hinterwäldlern Richter, die befugt wären, von unserm Betragen Rechenschaft zu fordern. Aber wir geben sie Ihnen, weil wir es uns selbst schuldig zu sein glauben, alberne Gerüchte zu widerlegen, ein so undankbares Geschäft sonst dieses auch ist, und so wenig die rohen, ungebildeten Menschen es verdienen.«
   »Ob diese Leute so roh und ungebildet sind, wie Sie meinen, ob sie diese Rücksicht verdienen oder nicht, das werden Sie nach und nach sehen. Ich kann also Ihr Ehrenwort darauf nehmen, daß an der ganzen Sache nichts ist?«
   »Wir haben es einmal gesagt! Das ist, glauben wir, hinreichend!«
   »So warten Sie hier! Ich muß noch einige Worte mit Dreadnought sprechen!«
   »Wenn Sie den Mann über diesen Punkt berichtigen wollen, so ist das überflüssig. Denn wir denken nicht mehr daran, uns hier niederzulassen, und es ist uns gleichgültig, was dieser rohe, anmaßende Bauer von uns hält.«
   »Warten Sie noch einen Augenblick!«
   Der Major sprengte nach dem Hause zurück, von dem wir uns erst einige hundert Schritte entfernt hatten. Nach einer Weile kam er, den Zügel seines Pferdes in der Hand, mit Dreadnought an uns herangeschritten.
   »Höre, seid auf dem Weg, einen Blick auf die Niederlassung zu tun!« rief uns der Hinterwäldler zu. »Will euch nicht aufhalten, nur sagen, daß ihr mir ein Vergnügen erweisen würdet, wolltet ihr bei eurer Rückkehr bei mir vorsprechen.«
   »Das können wir nicht wohl versprechen«, versetzte ich. »Haben an einem Besuch genug. Und dann, was würde Ihre Familie dazu sagen? Sie schien unsern ersten Besuch nicht ganz angenehm zu finden. Was soll erst ein zweiter?«
   »Ei, wir hielten euch eben für nicht besser als viele eurer Landsleute, die nichts mit herüber brachten als ihre Liederlichkeit. Und solche Leute sieht man lieber vor der Tür als innerhalb. Höre jedoch, seid wackere Leute. Sollt willkommen sein! Erwarten euch zum Abendessen!«
   Mit diesen Worten schüttelte er uns die Hand und ging wieder zurück.
   »Was sagen Sie nun?« fragte der Major, indem er sein Pferd bestieg.
   »Daß wir noch keinen Grund haben, unser Wort zurückzunehmen. Dieses rauh anmaßende klatschsüchtige Wesen gefällt uns nicht und hat uns so ziemlich die Lust benommen, unser Heil in dieser Nachbarschaft zu versuchen.«
   »Wenn Sie das abschreckt, was einen Amerikaner gerade anziehen würde, dann freilich läßt sich nichts sagen. Ich kann wohl begreifen, daß Sie als französische Kavaliere und Offiziere in diesen Punkten freier denken. Aber das ist eine böse Freiheit der Gesinnung, die zum Glück bei uns noch nicht Eingang gefunden hat. Falls Sie in guter Nachbarschaft leben wollen, müssen Sie sich der öffentlichen Meinung bequemen.«
   »Nicht diesem puritanisch sittenrichterlichen Wesen, dieser übelwollenden Klatschsucht! Schade, daß Nathan ... in dem wir einen ganz anderen Mann gesucht hätten ...«
   »Sie irren sich!« fiel mir der Major ins Wort. »Kein Amerikaner würde da zurückhalten, ohne sich gegen die Gemeinde, deren Glied er ist, gröblich zu vergehen. Sie müssen bedenken, daß wir von keiner starken Hand regiert werden, von keiner Polizei, keiner Armee von Zivil– und Militärbeamten, keinem König, der durch eine ›lettre de cachet‹ den Skandal in eine Bastille vergraben kann. Darum müssen wir, die wir gewissermaßen von Prinzipien regiert werden, den Hochverrat gegen diese ebenso streng bestrafen, wie bei Ihnen der Hochverrat gegen Ihre sogenannten unverletzbaren Herrscher bestraft wird. Wehe uns, wenn diese letzten und einzigen Schranken bei uns niedergerissen werden! Wir müßten in eine Anarchie, ja, in eine Zügellosigkeit verfallen, größer als selbst die, deren Ihre Sansculotten beschuldigt waren, und unheilbarer.«
   »Das mag alles sein! Aber ein solches Schildwachestehen vor seines Nachbarn Tür ist ebenso jeder Schicklichkeit wie Sitte entgegen und muß sowohl den Charakter verderben wie jedes aufrichtig offene Verhältnis zwischen Nachbarn unmöglich machen.«
   »Sie werden das Gegenteil erfahren. Zeigen Sie sich Ihren Nachbarn als ein Mann von Grundsätzen, und man wird Ihnen mehr durch die Finger sehen als in irgendeinem andern Lande. Ich versichere Ihnen, keiner führt ein glücklicheres Leben als der amerikanische Gentleman, der mit seinen Nachbarn in Eintracht lebt und Herr und Meister auf seiner Scholle und in seinem Hause ist. Er ist der einzig freie Mann auf Erden.«
   »Wir beneiden diesen freien Mann nicht, sind aber nicht gesonnen zu erlauben, daß man sich mit uns solche Freiheiten nimmt.«
   »Wie Sie wollen!« versetzte der Major. »Wer zu uns kommt in der Erwartung, seinen Leidenschaften frönen zu können, wird sich sehr getäuscht finden.«
   Hier brach die Unterhaltung ab. Das ewige Hin– und Herreden gefiel uns so wenig wie der Ton des Majors und die unverschämte Ächtung, die die Gemeinde über uns ausgesprochen. Unser Stolz war abermals an einem empfindlichen Fleck verwundet. Der Gedanke, diese sittenrichterlichen rauhen Gesellen zu Nachbarn zu haben, war uns so widerwärtig geworden, wären unsere Freunde näher gewesen, wir hätten dem Hinterwäldlerleben für immer Lebewohl gesagt.
   Verstimmt ritten wir weiter, eigentlich nur, weil wir allein nicht umkehren und eben nichts besseres tun konnten.
   So kamen wir an einer sogenannten Gabel an, von deren beiden Zacken die eine in nord-, die andere in südöstlicher Richtung verlief. Wir schlugen die letzte ein und gelangten nach einem kurzen Ritt durch Immergrüneichen-, Magnolien– und Bohnenbäume-Urwald auf einen Knitteldamm. Dort begann ein sumpfiger Zypressenwald und wir mußten absteigen.
   »Wo wollen wir hin?« fragten wir.
   »Wir sind an Ort und Stelle«, antwortete der Major.
   Er stieg von seinem Pferde, öffnet bedächtig die eine Klappe an den Pistolenhalftern, dann die andere und zog zu unserer Verwunderung ein paar Reiterpistolen heraus. Wir sahen einander an. Was wollte der alte Revolutionär? Warum hatte er die Waffen mitgenommen? Hier den Kampf auszufechten?
   Der Ort war nicht ungeeignet dazu. Der ganze Wald glich mehr einer Todesgruft als sonst irgend etwas. Schauerlich erhoben sich rings umher die düsteren Zypressen, jedem Sonnenstrahl undurchdringlich. Nur da, wo der Knitteldamm sich wie eine lange Straße hinzog, fielen durch die Lücke die gebrochenen Strahlen ein und gingen mit der nächtlichen Dunkelheit kämpfend ins düstere Helldunkel über. Bloß das schrille Geschrei einzelner Spechte und das höhnische Gelächter der Nachteulen ließ sich hören. Wir hielten gespannt in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.
   »Halten Sie Ihre Pferde sorgfältig am Mundstück und bleiben Sie hinter mir!« mahnte der Major und setzte sich in Bewegung.
   »Aber wohin wollen Sie? Wozu brachten Sie uns hierher?«
   »Sehen Sie sich diesen Knitteldamm an, aber recht aufmerksam!«
   Wir sahen also den Knitteldamm an. Wie gesagt, begann er da, wo der Immergrüneichenwald sich dem Sumpf zusenkte. Der Damm war rauh, aber mit vieler Sorgfalt etwa zwanzig Fuß breit gelegt, Knittel an Knittel. Allmählich wurden die Knittel zu Baumstämmen, zu dickeren, zu den dicksten Zypressenstämmen, die wohl fünf, ja bis sieben Fuß im Durchmesser hielten. Als wir tiefer in den Sumpf eindrangen, fanden wir diese Stämme zweifach, endlich dreifach übereinandergelegt und die ungeheuren Tröge, die durch die Krümmungen der Zypressen verursacht waren, durch dünnere Stämme ausgefüllt. Es war, wie wir nun sahen, eine Straße, die durch den Zypressensumpf führte. Wir sahen sie im Lichtsaum, der von oben herab einfiel, sich durch den Sumpf fortschlängeln. Auf beiden Seiten zahllose Zypressenstumpen, die drei bis vier Fuß aus dem Schlamm emporragten wie Grabsteine.
   Der Major hatte kein Wort gesprochen. Seine Augen vorwärts gerichtet, schritt er bedächtig fort. Auf einmal hob er eine Hand mit der Pistole, zielte und schoß im nächsten Augenblick. Ein furchtbarer Aufruhr in dem schauerlichen Sumpf! Nachteulen, Spechte, Alligatoren brachen in ein heulendes, lange nachhallendes Geächze, Geschnatter, Gebrüll aus. Der Schall rollte gleich dem entfernten Donner durch die düstere Waldung.
   »Ein Alligator, der uns den Weg versperrte!« wandte sich der Major zu uns um. »Das Gezücht macht sich aus seinem Schlammbett heraus, und da unsere Pferde keine Schellen haben, die sie in der Regel verscheuchen, so ist einige Vorsicht vonnöten. Wir können nun wieder vorwärts. Hat seinen Teil ins linke Auge bekommen.«
   Wir schauten, sahen aber nichts. Erst etwa dreißig Schritte weiter fanden wir den im Todeskampf sich wälzenden Alligator. Er hatte das tödliche Blei richtig ins linke Auge erhalten.
   »Aber wozu bringen Sie uns in diesen Sumpf, Major?«
   »Um Ihnen von den eingebildeten rohen Bauern eine richtige Vorstellung zu geben. Sehen Sie, dieser Knittel– und Zypressendamm führt eine halbe Meile durch den Sumpf. An einigen Stellen sind die Stämme doppelt, ja dreifach übereinandergelegt.«
   »Wir sehen! Und weiter?«
   »Weiter führt die Straße nach einer kleinen Ansiedlung, die jenseits des Sumpfes liegt und aus etwa zwanzig Familien besteht.«
   »So? Und was haben wir mit all dem zu schaffen?«
   »Bis jetzt noch nichts. Von dieser Ansiedlung führt die Straße durch einen Eichenwald, ein Palmettofeld, einen zweiten Sumpf, der aber nicht so breit und tief wie dieser nur die Hälfte des Jahres unter Wasser steht. Von da geht sie durch einen Kiefernwald und einen dritten Sumpf dem Red River zu.«
   »So haben diese Hinterwäldler also eine Straße nach dem Red River angelegt? Und das hätten sie allein getan, ohne von der Regierung unterstützt zu sein?« Wir schüttelten ungläubig die Köpfe.
   »Zweifle, ob die Regierung überhaupt davon weiß. Das Werk war ungeheuerlich, was sowohl den Plan wie die Ausführung betrifft. Ich wollte es Ihnen nur zeigen, um Ihnen eine Vorstellung von den Leuten zu geben.«
   »Wirklich für eine so kleine Niederlassung eine bewundernswerte Leistung!«
   »Gewiß! Aber die Leistung ist nicht größer als das Ergebnis, das die Gemeinde dadurch gewann. Der Amerikaner unternimmt keine Arbeit, es sei denn, sie lohne sich. Hier ist das Ergebnis lohnend. Die Niederlassung hat durch diese Straße eine Verbindung mit den Staaten oben, mit New Orleans unten gewonnen, sie kann ihre Erzeugnisse stündlich, täglich, wöchentlich absetzen. Das ist mehr, als irgendeine Niederlassung in Louisiana, die nicht am Mississippi liegt, von sich sagen kann.« Wir schwiegen, mußten ihm aber recht geben.
   »Sehen Sie, haben die Leute in den Attacapas noch so viele Rinder, Pferde, Kühe, so sind sie bei all ihrem Reichtum doch bettelarm. Das Fleisch verfault ihnen, ihre schönsten Erzeugnisse verderben und sie selber mit, weil sie zu träge sind, sich eine Verbindung zu öffnen und sich auf die beschränken, die ihnen die La Fourche– und Plaquemine-Bayous vier Monate das Jahr hindurch gewähren. Diese Leute hier verstehen ihre Sache besser. Als sie eine hinlängliche Anzahl Arme hatten, war das erste, was sie taten, diese Straße anzulegen.«
   »Diese Leute berechnen wirklich auf eine Weise, die wir uns nicht hätten träumen lassen.«
   »Wenn Sie nur noch vierundzwanzig Stunden blieben, so stehe ich Ihnen dafür, Sie halten sie nicht mehr für roh und ungebildet«, sprach der Major bedeutsam. »Noch deuten Sie es ihnen übel, wenn sie sich den Fremdling zuvor ansehen, ehe sie ihn zum Mitgenuß von Vorteilen zulassen, die sie mit Aufopferung so vieler Kräfte, ja mancher Leben errungen haben. Denn, merken Sie wohl, obgleich sie meistens arbeiteten, wenn der Sumpf ganz oder doch großenteils ausgetrocknet war, so kostete diese Arbeit doch mehrere wertvolle Menschenleben.«
   Wir schwiegen.
   »Hoffe jetzt«, sprach der Major artig, »Sie nehmen das Wort beleidigend zurück, das Sie vorhin anzuwenden beliebten.«
   »Vergebung, Major!« erwiderte ich. »Sie wissen, wo zwei so verschiedenartige Elemente wie Franzosen und Amerikaner in Berührung kommen, geht es ohne eine kleine Reibung nicht ab. Wir sind vollkommen von der Größe dieses Werkes durchdrungen und können den Leuten wirklich unsere Bewunderung nicht versagen.«
   Der Mann schien damit zufrieden, und so war das gute Einvernehmen wieder hergestellt. Übrigens konnten wir den Leuten wirklich unsere Bewunderung nicht versagen. Das Unternehmen war in der Tat eines, dessen sich selbst die Regierung von Louisiana nicht hätte zu schämen brauchen, ja, keine Regierung. Und dieses Unternehmen war von hundertundzwanzig Familien ausgeführt! Welch praktischen Sinn, welch berechnenden Sinn verriet nicht dieses Unternehmen!
   Wie schroff stachen dagegen unsere Landsleute und ihre Abkömmlinge, die Kreolen, ab! Mit ihren ewigen Bällen und kindischen Vergnügungen, ihrem Faulleben, in dem sie nun an die fünfzig Jahre vegetierten, ohne je an Besserung ihrer Lage gedacht zu haben. Wären Franzosen hier gewesen, so wäre ein Tanzsaal, ein Liebhabertheater ohne Zweifel das erste gewesen, was ihre vereinte Tatkraft geschaffen hätte.
   Wir konnten uns nicht enthalten, unseren Empfindungen Worte zu leihen. Ein gewisses, unbehaglich neidisch peinliches Gefühl bemeisterte sich unser.
   »Oh«, versetzte der Major, »auch in der französischen Natur gibt es den wahren Stoff, der Großes bereiten kann, wenn er will. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Kanadier es waren, die in Louisiana zuerst ihren Herd aufschlugen. Hätte die Regierung ihnen gelegentlich mit ein paar Schiffsladungen Ackergeräte, Vieh, Waffen und derlei Dinge unter die Arme gegriffen, sie wären vielleicht ebenso weit gekommen wie die englischen Kolonisten im Norden. Sind tüchtiger Stoff, diese Kanadier, auf alle Weise. Aber ihre Regierung wollte alles regieren, ihre Hände überall im Spiel haben, und das ist ein großer Fehler, und nirgends mehr als bei der Gründung von Kolonien. Ihre Regierung leitete von Versailles aus Unternehmungen, von denen sie nicht viel mehr wußte als wir vom Mond. Sandte Kolonisten, die nichts taugten, und einen Schwarm von Beamten, die gut bezahlt wurden und nur darauf bedacht waren, ihre Gehälter gemächlich zu verzehren, Theater, Tanz– und Spielhäuser bauen ließen, kurz Louisiana auf einmal zivilisieren wollten. Das ist der Fluch von Louisiana: sie brachten eine verkommene Zivilisation in ihrem Gefolge mit, die gleich einem Wurm im Innern der Frucht nagt und – befürchte ich – die schöne Frucht früher oder später faul machen wird. Doch ... wollen zurück! Der Abend rückt heran, und Mistreß Streng würde mir keinen Dank wissen, brächte ich Sie ihr mit Fieber behaftet ins Haus zurück.«
   Wir kehrten also um. Unsere Verstimmung gegen die Hinterwäldler war zum Teil gewichen. Wir konnten nicht umhin, ihnen alle die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die ihr sachlicher Sinn so sehr verdiente. Immer jedoch war noch ein gewisser Widerwille gegen das, was wir nach unseren Begriffen für Anmaßung hielten, in uns zurückgeblieben. Unser Entschluß uns hier niederzulassen, der einige Stunden vorher zur Reife gediehen, war wieder wankend geworden.
   Unter diesen widersprechenden Empfindungen kamen wir vor Dreadnoughts Blockhaus an. Er selbst empfing uns an der Tür, nahm uns die Pferde ab und führte sie in den Stall. Dann stellte er uns seine Familie vor. Unser Empfang war nun ein ganz anderer. Mutter, Töchter und Söhne schüttelten uns warm die Hände und wünschten uns herzlich willkommen.
   Darauf gingen sie wieder an ihre Geschäfte, die Söhne an das Aufräumen des Hofes und der Vorhalle, die Frauen an das der Stube und das Zurechtmachen des Abendtisches. Bloß der Herr des Hauses machte eine Ausnahme und blieb bei uns, die wir in dem Porch Platz genommen hatten.
   Und wie wir so saßen und dem häuslichen Walten der Familie zusahen, sprach uns allmählich dieses stille, häusliche Schalten der Familie auch an. Die amerikanischen Frauen haben in diesem Punkt wieder einen eigenen Takt. Alles geht so still, so ruhig vor sich, arbeitet sich so gemächlich, geräuschlos in die Hände. Man hört selten eine schreiende, laute Stimme, so ungemein selten etwas, das einem Gezänk auch nur im entferntesten gleicht. So anständig gelassen und doch wieder ungemein lebendig bringen sie ihr Haus in Ordnung, erhalten es.
   Es war Sonnabend, den die Hinterwäldler bereits als Anfang des Sonntags feierten. Die Mädchen hatten sich bereits halb sonntäglich angezogen. Gefällige Kleider von Woll– und Leinenstoffen standen ihnen vortrefflich zu ihren schlanken Gestalten. Die etwas derben Hände und Füße abgerechnet, konnten sie für sehr hübsch gelten.
   Die Tafel wurde auf dem Porch zugerichtet. Wir hatten von dort die Aussicht auf die im blauen Dunst verschwimmende Prärie, deren äußerste Ränder, mit Waldstücken eingefaßt, einen herrlichen Fernblick darboten. Die in den Strahlen der untergehenden Sonne verglühenden Waldmassen leuchteten vor unseren Augen auf, verschmolzen in die herrlichsten Tinten. Ein unbeschreiblich behagliches Gefühl kam über uns, als wir nun in diesem Familienschoß saßen, inmitten ihrer selbstgeschaffenen Herrlichkeit und der Gottesnatur.
   Vor uns wurden mehrere Flaschen feinen Sherrys aufgestellt, der unsere Zungen bald beredter, die Unterhaltung lebhafter machte. Von der Straße, die wir gesehen, ging sie auf die Hinterwäldlerwirtschaft, die Schwierigkeiten und Arbeiten einer Hinterwäldleransiedlung über. Dreadnought tröstete uns. Der Anfang sei nirgends leichter als in einer Niederlassung, die unlängst angefangen sei. Jeder neue Ankömmling habe sich da des tätigen Beistandes seiner neuen Nachbarn zu erfreuen. Die größten Schwierigkeiten hätten die eigentlichen Gründer der Niederlassung gehabt, Mister Strong und die Seinigen, sie hätten das Werk in Gang gesetzt und für alle anderen gearbeitet. Nathan Strong sei die Hauptsache zu danken.
   Diese Unterhaltung, die uns natürlich damals besonders fesselte, spann sich in die Länge. Die Töchter und Söhne hatten sich schon seit geraumer Zeit vom Tisch erhoben. Die Sonne war untergegangen, und wir saßen im Silberschein des aufgehenden Vollmondes in der köstlichen Abendkühle, als auf einmal Töne an unsere Ohren schlugen, Töne so himmlisch, daß wir auffuhren, Ohren und Augen aufrissen.
   Wir schauten, wir lauschten, kein Wort wurde mehr gesprochen, gleichsam als befürchteten wir, unsere unheiligen Worte würden die himmlischen Töne verscheuchen. Abermals erklangen sie, in langen Schwingungen kamen sie wie Musik verklärter Geister auf den Fittichen des Zephirs an die Ohren, durchdrangen uns mit einem Schauer, den wir noch nie so heilig gefühlt.
   Es waren langgezogene Töne, die in dem Abendlüftchen herangeschwollen kamen, voll, melodisch, nun wie Jubelgesang, wieder wie die sanften Schwingungen einer Aeolsharfe. Rings um uns herum war Stille. Die prachtvolle Flur in weiter Ferne war in die Silberstrahlen des senkrecht einfallenden Mondlichtes getaucht, die Nähe noch im Zwielicht der Dämmerung begraben.
   Weit jenseits der Prärie die wie verklärten Riesendome der Magnolien und Immergrüneichen, und wir zitternd vor nie gefühlter Lust, die himmlische Musik in den Ohren, wir saßen keines Wortes mächtig.
   Dreadnought riß uns endlich aus unserer Verzückung.
   »Es ist die Singschule. Unsere Kinder halten ihre wöchentliche Singschule. Es ist Sonnabend.«
   »Könnten wir nicht hin?«
   »Ohne Zweifel, die Pferde stehen gesattelt. Ohnedem ist die Schule heute beim Regulator.«
   Wir eilten aus dem Hause, bestiegen die Pferde und trabten rasch dem Hause Nathans zu. Je näher wir dem Hause kamen, desto voller schlug uns der Gesang der jungen Hinterwäldler an die Ohren. Freilich verlor er das Himmlische, Geläuterte, das uns zuerst so sehr entzückt hatte, bei unserer allmählichen Annäherung. Aber die vereinigten Stimmen von sechzig bis siebzig jungen Menschen, die ihrem Schöpfer Lob und Preis singen, haben immer so etwas Erhebendes, Läuterndes, in höhere Regionen Versetzendes.
   Wir hatten die Zauberflöte, die Entführung aus dem Serail und das Miserere der Sixtinischen Kapelle gehört, aber sie hatten nicht die ergreifende Wirkung dieser siebzig Hinterwäldlerstimmen auf uns. Seit länger als einem halben Jahr hatten wir keinen Ton, keine Stimme mehr gehört. Jetzt zum ersten Mal seit so langer Zeit schlugen uns die kräftigen, schönen Naturtöne einer jungen Gemeinde, die dem Höchsten Ehre und Preis darbrachte, an die Ohren. Die Scharen der unsichtbaren Geisterwelt schienen uns in diesen Tönen zuzurufen, ihre Schatten uns zu umflattern. Unsere Stimmung war religiös geworden, Tränen des Entzückens feuchteten unsere Augen.
   Die junge Gemeinde sang die erhebenden, prachtvollen Lieder der presbyterianischen Kirche. Die Melodien waren damals noch ganz im Choralstil komponiert, der so ungemein ergreifend wirkt. Als wir an den Außengebäuden des Blockhauses ankamen, fanden wir wohl an die hundert Reitpferde angebunden. Es war beinahe die ganze Gemeinde in und vor dem Hause und auf dem Porch versammelt. Die Männer und Frauen saßen in der Stube, die jungen Männer und Mädchen draußen in einem weiten Kreise in zwei Abteilungen.
   Innerhalb dieses Kreises bewegte sich eine langbeinige, hagere Gestalt auf und ab, der wahre Typ eines neuenglischen Schul– und Singmeisters. Er schnellte die Hände auf und wieder ab, wie schlappe Segeltücher an den Masten eines Schiffes. Aber er war ein Meister in der Kunst des heiligen Gesanges.
   Die Leute machten uns Platz, drückten uns still und herzlich die Hände. Wir setzten uns, horchten – sahen und hörten. Nie hatte ein Konzert in Versailles oder Trianon so eifrige Horcher gesehen. All unsere Verstimmung war gewichen.
   Es ist doch einzig um die Religion! Sie ist doch das Band, das Wesen und Wesen aneinanderknüpft und Hinterwäldler und dem Pair in dem, der droben über den Sternen thront, den Vater zu erkennen gibt! Diese Stunde hatte mehr zu unserer Verständigung beigetragen als alle früheren und nachfolgenden Aussprachen zusammengenommen. Von dieser Stunde an waren und blieben wir Freunde.


   2

   In der Tat, von diesem Abend an gaben die Squatters ein Vertrauen zu uns kund, ein Verlangen sich zu verständigen, die wirklich wohltuend ansprachen. Mit einem Wort, wir hatten uns gegenseitig kennengelernt, und wie es nun schon der Fall zu sein pflegt, wenn man sich erkannt hat und die Interessen dieselben sind, so glätteten sich alle die schroffen Seiten leicht und gefällig in ein freundlicheres Zusammenleben. Uns schien es bald unbegreiflich, wie wir trotz unserer Weltkenntnis diese zuvorkommenden Leute so sehr verkennen und den soliden Kern unter der freilich harten Schale so lange nicht herausfinden konnten.
   Zwar gab es auch später noch zuweilen leichte Reibungen, mit denen ein gewisser aristokratischer Dünkel uns noch öfter necken zu wollen schien. Aber sie wurden immer seltener und schwächer, und Nathan war dann auch zur Hand, uns wieder ins gehörige Geleise zu bringen. Nathan war wirklich ein Freund, den wir uns in unserer Lage nicht besser wünschen konnten.
   Er war gleichsam so ganz aus einem Guß geformt, sein Wesen so durch und durch folgerichtig und wieder so tatkräftig, zuverlässig, eigentümlich schlau! Langsam überlegte er, bedächtig erwog er alles und betrachtete es oft zum Ermüden immer wieder in Rede und Gegenrede. Hatte er aber einmal einen Entschluß gefaßt, dann folgte die Tat so unaufhaltsam sicher wie der Schall dem Feuer aus dem Rohr seines Stutzens. Dabei stand ihm eine gewisse leichte ironische Weise zu Gebote, eine gewisse stattlich steife Schicklichkeit, die damals überhaupt die Amerikaner scharf charakterisierte, jetzt aber leider in dem geldmäkelnden Treiben verschwunden ist. Kein Mensch verstand besser als er die Vorurteile und Rechte anderer zu schonen und dabei seine eigenen Ansichten haarscharf an der Grenzlinie fremder vorbei dem vorgesteckten Ziel zuzuführen.
   Eine Probe davon erhielten wir gleich am folgenden Tag in der Art und Weise, wie er uns zu seiner Hausordnung bekehrte. Es war Sonntag, und das erste, was wir nach dem Frühstück taten, war, uns eines Stoßes Zeitungen zu bemächtigen, die auf einem Schrank in der Ecke der Stube aufgeschichtet waren. Sie waren von verschiedenen Orten der Union und versprachen gerade die Unterhaltung, die uns an einem puritanischen Sonntag am besten die Zeit vertreiben konnte.
   Mistreß Strong sah ein wenig finster drein, als wir uns der weltlichen Blätter bemächtigten. Wir ließen uns jedoch nicht irremachen und teilten brüderlich den Stoß, gerade als Nathan vom Hof in die Stube trat. Ohne ein Wort zu sagen, schritt er zum Schrank, über dem sich ein Laden mit der Hausbücherei befand, streckte bedächtig einen seiner langen knöchernen Arme nach einer mit erzenen Klappen versehenen Bibel und legte diese vor uns hin. Dann ergriff er eine zweite, setzte sich und wartete ruhig, bis Mistreß Strong und die Familie, mit dem Aufräumen fertig, gleichfalls Platz nahmen, alle Gesangbücher in der Hand.
   Wir hatten die Zeitungen weggeschoben und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Nathan schlug die Bibel auf, warf uns einen bedeutsamen Blick zu, nannte ein Kapitel aus dem Alten Testament und begann vorzulesen. Als das Kapitel beendigt war, gab er das Lied an, das folgen sollte. Es wurde abgesungen. Wieder folgte ein Kapitel aus dem Neuen Testament, wieder ein Lied und hierauf ein Gebet.
   Die häusliche Andacht ging langsam, peinlich genau vor sich. Aber sie hatte ein Etwas, das sie vorteilhaft auszeichnete, sie stand mit der planmäßigen Hausordnung im Einklang. Als sie vorüber war, erhob sich Nathan und trat vor uns hin.
   »Das ist die Zeitung, die wir an Sabbatsvormittagen lesen«, sprach er und deutete auf die Bibel. »Und eine so gute Zeitung, als je geschrieben wurde. Werdet wohl tun, wenn ihr sie an solchen Tagen lest. Ist die Zeitung, die uns lehrt, ein ruhig achtbares Haus und uns selbst und unsere Leute in Zucht und Ordnung zu halten. Gibt euch und ihnen den Halt, kalkuliere, ihr versteht, was ich unter dem Halt meine. Gibt euch und ihnen den Halt, und ist eine Hauptsache dieser Halt! Ist das Ruder, der Kompaß dieser Halt, und habt ihr diesen nicht, dann helfen keine Segel und kein Wind! Will euch aber nichts vorschreiben, nur meine Notion sagen und die Ordnung zeigen, die in meinem Hause ist. Mögt in dem eurigen tun, was ihr wollt, aber besser schwerlich!«
   Wir hatten in der Folge oft Ursache, ihm für den gegebenen Fingerzeig zu danken. Nirgends mehr als in der Einsamkeit der Hinterwälder empfindet man die Wohltat, die der Menschheit durch dieses göttliche Buch zuteil wird. Es gewährt eine wahre Erquickung und Erholung.
   Nachmittags machten wir Besuche bei Nachbarn, und den Abend brachten wir bei Regulator Nollins zu. Den folgenden Tag wollten wir das ersteigerte Land und die Baulichkeiten besichtigen. Nathan, hatten wir gehofft, werde sich als Begleiter antragen. Er hatte jedoch so dringende Arbeiten, daß sich daran nicht denken ließ. Das einzige, was er tun konnte, war, uns seinen Sohn Joshua mitzugeben.
   Wir hatten im Sinn, uns von dem ersteigerten Land sogleich in die Attacapas zu begeben, dort unsere Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und die Übersiedlung zu veranstalten. Nathan jedoch schüttelte den Kopf und meinte, wir würden wohl zu Mittag wieder zurück sein. Doch möchten wir tun, wie wir am besten fänden. Sein Haus stehe uns immer offen, auch wenn wir ein Jahr blieben.
   Wir dankten ihm für sein Anerbieten und ritten gleich nach dem Frühstück mit Amadée und Jean ab. Der Major, dessen Begleitung uns sehr lieb gewesen wäre, war auf einem Ritt durch die Niederlassung.
   Die Entfernung von der Pflanzung Nathans betrug zwölf Meilen. In anderthalb Stunden hatten wir Sorrels Pflanzung, wie sie genannt wurde, vor uns. Die Lage war entzückend. Ein kleiner Fluß, etwa fünfzig Fuß breit, durchlief sie, und was bei uns ein seltener Fall ist, er führte das ganze Jahr hindurch Wasser. Er kam aus den Kieferwaldungen der oberen Opelousas. Das eine Ufer war etwa fünfzig Fuß höher als das andere und hatte schöne Gruppen von Immergrüneichen und Magnolien. Das andere war undurchdringlicher Urwald von Plaquemines, Pecans und Bohnenbäumen. Im Vordergrund auf einer Lichtung, die etwa einen Acre betragen mochte, stand eine Hütte.
   »Aber wo ist das Haus?« fragten wir Joshua.
   »Das ist es!« sagte der Junge.
   »Das ist es? Dieses das zweistöckige Haus?«
   Uns wurde grün und blau vor Augen und trostlos im Herzen, und so wurde es auch Amadée und Jean. Zwanzig Fuß hohe Zpyressenpfähle waren so in die Erde eingerammelt, daß sie ein Viereck, dreißig Fuß lang und ebenso breit, bildeten. Diese palisadenartig eingerammelten Pfähle waren durch kleine Balken und Sparren verbunden, die Zwischenräume mit Lehm und spanischem Moos ausgefüllt. Das Ganze war mit Schindeln gedeckt. Die Türen und Fenster bestanden gleichfalls aus diesen rohen, acht Fuß langen Schindeln, die mit Querhölzern zusammengehalten waren. Der Schornstein bestand aus vier langen Brettern, die mit Lehm überworfen waren. Das war das zweistöckige Haus. Baulichkeiten! Kein eiserner Nagel, kein Schloß, kein Riegel oder Fensterglas waren zu sehen.
   Wir lachten laut auf vor Ärger. Hätten wir das Land und die Gebäulichkeiten und alles zusammen in die Hände ballen und dem Versteigerer und seinen Hinterwaldgenossen an den Kopf werfen können, mit Lust hätten wir es getan!
   »Aber in dem Haus können wir doch nicht wohnen, Herr Graf?« meinte Amadée.
   »Wohnen – in dieser Bärenhöhle?« lachte ich. »Der Teufel mag da wohnen!«
   Noch vor zwei Stunden schien es uns so leicht, eine Pflanzung anzulegen, ein wahres Kinderspiel. Jetzt ... ich stand wie sinnlos.
   »Was läßt sich da tun? Wollen wir einziehen?« fragte Lassalle.
   Und wir brachen in ein lautes Gelächter aus.
   »Hab‘ die Notion, ihr geht wieder heim mit mir«, sagte der Junge, der uns kopfschüttelnd angesehen. »Vater wird wissen, was zu tun ist.«
   Abermals schauten wir einander an. Es war das klügste, was wir tun konnten, und wir taten es. Ohne Verzug ritten wir zurück. Viel weniger Zeit nahm es uns, heim– als herzukommen.
   Als wir vor Nathans Haus abstiegen, rief er aus dem Tabaksfeld heraus:
   »Habe wohl kalkuliert, ihr würdet bald wieder zurück sein! Wußte, das Ding würde euch so, wie es ist, nicht zweimal gefallen!«
   »Aber um Himmels willen, Nathan, das Ganze ist ja eine furchtbare Wildnis! Und das Haus!«
   »Ja, für tausend Dollar müßt ihr nicht erwarten, ein Schloß zu finden. Und wer hat euch geraten, tausend Dollar zu bieten? Solltet geschaut und gehört haben, wie weit andere gehen! Aber ist nichtsdestoweniger glorreiches Land!«
   »Glorreiches Land?! Wollten, es wäre ...«
   »Ist glorreiches Land!« bekräftigte Nathan. »Und könnt ihr da eine Pflanzung herstellen, die euch in drei Jahren dreitausend Dollar abwirft!«
   »Das ist leichter gesagt als getan!«
   »Hab‘ die Notion, es ist! Kalkuliere aber nichtsdestoweniger, könnt mit einem Kapital von zehntausend Dollar, wenn ihr die Sache richtig anfangt, in zehn Jahren zehntausend Dollar jährliche Einkünfte erringen. Und wenn ihr sie schlecht anfangt, in zwei Jahren irgendwo in New York oder Baltimore einem Barbierladen vorstehen, wie viele eurer Landsleute.«
   Wir wußten das, hatten solcher trostloser Begegnungen in London mehrere gehabt. Grafen und Barone, die in den Theatern für John Bull die Geige spielten, selbst einen, der ihm den Bart abnahm. Das war es eben, was uns so gefügig gemacht und noch machte.
   »Will euch sagen, was sich – kalkuliere ich – tun läßt. Will euch meine Notion auf einmal sagen: bleibt alle vier hier bei mir und seht euch die Wirtschaft an und geht in die Lehre! Das ist der beste Weg, den ihr einschlagen könnt. Sehen dann, ob sich etwas mit euch anfangen läßt.«
   »Was? In die Lehre gehen?« lachten wir.
   »Ei, jeder muß in die Lehre gehen, der Meister werden will«, versetzte Nathan. »Kommt nur auf den Anfang an.«
   Wir fanden nach einigem Überlegen den Vorschlag doch so gar übel nicht. Aber zu einem Hinterwäldler in die Lehre gehen, zwei hoffähige Kavaliere! Es war ein bißchen stark.
   »Kommt jetzt bis zum Mittagessen herunter in das Tabakfeld«, meinte Nathan.
   Und wir gingen zu Nathan in das Tabakfeld. Es dürfte wohl nicht bekannt sein, daß der bedeutende Ruf, den unsere Tabakblätter und die von Natchitoches sowie vom Red River überhaupt genießen, von dieser Zeit her datiert. Und ich habe alle Ursache zu glauben, daß dieser Ruf vorzüglich dieser Niederlassung und insonderheit Nathan Strong und George Nollins zu verdanken ist. Die Sorgfalt der beiden in der Auswahl des Bodens, des Anbaus, der Wässerung und besonders der Blätter war außerordentlich. Sie waren geborene Virginier, diese Arbeiten für sie folglich ein Lieblingsgeschäft. Und sie betrieben sie so. Man konnte wirklich nichts Feineres genießen als eine Zigarre von diesen herrlichen Blättern.
   Nathan war gerade mit dem Pflücken der Blätter beschäftigt. Natürlich ergriffen wir diese Gelegenheit, um uns in einem der wichtigsten Zweige der Pflanzerwirtschaft zu unterrichten, und halfen nach seiner Anleitung mit.
   »Amadée und Jean!« meinte er mit einem Kopf ruck nach dem angrenzenden Baumwollenfeld, in dem die Familie sammelte. »Hab‘ die Notion, Mistreß Strong schielt auf euch herüber!«
   Amadée und Jean verstanden den Wink und hatten in der nächsten Viertelstunde jeder einen Korb, in dem sie von nun an täglich ihre hundert Pfund Baumwolle einsammelten.
   Alles das gab sich durch Rucke, durch Winke so leicht weg, in einer gewissen vertraulich befehlenden und doch wieder bescheidenen Weise. Nur wenig wurde während der Arbeit gesprochen. Nathan war der Mann von Taten, nicht von Worten, obwohl er wieder zuzeiten wahrhaft parlamentarisch weitschweifig werden konnte.
   Unsere Anfängerarbeiten hatten unterdessen seine volle Zufriedenheit.
   »Sehe, habt den Takt!« entfuhr es ihm am Abend.
   Am folgenden Tag wurden wieder Blätter sortiert, den folgenden wieder. So ging es acht Tage lang. Wir verstanden nun die Behandlung des Tabaks bald so gut wie der Sohn des alten Virginia.
   Nach Verlauf der Woche ging es ans Baumwollepressen. Die damaligen Baumwollpressen waren noch sehr unvollkommen. Die Zylinder, mit Haken versehen, ließen einen großen Teil der Körner in der Wolle. Eine Verbesserung im Mechanismus mußte den Flaum reiner und schneller liefern. Wir machten Nathan auf die Mängel seiner Cottonpresse aufmerksam. Er ließ sich von uns erklären, mit dem Pressen innehalten, und wir machten uns an die Verbesserung der Maschine. Es gelang uns, durch eine einfache Vorrichtung die Baumwolle reiner zu liefern, und das Pressen ging um so vieles leichter, daß wir unsere Vorrichtung am Ende der Woche an der zweiten Presse, die noch in der Gemeinde war, anbringen mußten. Nun beaufsichtigte Lassalle die eine der Pressen, ich die andere.
   So verging wieder eine Woche. Wir standen nun mit der ganzen Gemeinde in einem Verhältnis, so gastlich freundlich, so zwanglos und doch wieder so anhaltend beschäftigt, daß uns die Wochen wie Tage, die Tage wie Stunden verflossen.
   Die Abende brachten wir in Nathans Familie oder bei den ausgezeichneteren Gemeindegliedern zu, erzählten unsere Abenteuer, sie die ihrigen. Wir waren nun die geachteten Lieblinge der ganzen Gemeinde geworden, von deren zunehmendem Wohlstand nur die einzige Bemerkung eine Vorstellung geben möge, daß mehr denn achthundert Ballen Baumwolle in diesem Herbst gepreßt wurden, von denen auf Strong und Nollins allein hundertundachtzig kamen.
   So waren wir bis in die letzten Tage des Oktober gekommen. Die Pflanzerwirtschaft war uns nun eine Lust, wir hatten ganz die Attacapas, selbst unsere eigene Niederlassung vergessen. Es war eines Abends bei einer Flasche Madeira, daß uns Nathan eröffnete, wie er nun der Notion sei, es wäre Zeit, auch an uns zu denken. Die wichtigste Arbeit sei nun abgetan, und er halte es für Pflicht und Schuldigkeit, auch für uns etwas zu tun. Die Gemeinde sei einverstanden.
   Wir erwiderten ihm, der Genuß seiner Gastfreundschaft sei ja ohnehin Entschädigung, und wir wären eigentlich seine Schuldner.
   »Will euch sagen, will euch meine Notion auf einmal sagen«, meinte er. »Habt uns einunddreißig Tage geholfen mit vier Händen, sind euch dafür hundertvierundzwanzig Hände schuldig.«
   Wir verstanden nicht, was er mit seinen Händen meinte.
   »Ist Sitte bei uns«, fuhr er fort, »wenn ein Ankömmling sich bei uns niederläßt, der für die Zukunft etwas verspricht, ihm eine Frolic zu veranstalten.«
   »Doch keine Taring– oder Feathering-Frolic – Teer– und Befiederungs-Unterhaltung —, hoffen wir?«
   »Nein, das nicht!« sagte Nathan mit einem trocknen Lächeln. »Ist eine andere Art Frolic. Ist eine Frolic, die euch ein Haus aufblockt, und wozu die Gemeinde eingeladen wird. Und hab‘ die Notion, ihr tut das morgen.«
   »Aber was sollen wir eigentlich?«
   »Je nun, nichts weiter, als bei jedem Haus anrufen und die Männer freundlich ersuchen, bei der Frolic ihre Äxte mitzubringen. Und bei einem Dutzend Weibern mögt ihr euer Bittgesuch gleichfalls anbringen. Sie werden schon wissen, was ihr meint.«
   »Und das ist alles?«
   »Alles! Das weitere werdet ihr sehen. Doch wie groß wollt ihr eigentlich euer Haus haben? Hab‘ die Notion, vierzig bis fünfzig Fuß.«
   »Und die Gemeinde will uns wirklich ein Haus aufblocken?«
   »Ei, will sie das! Und übermorgen abend soll es dastehen, so weit Äxte es bringen können. Wollen übermorgen daran, ist bereits abgemacht. Aber müßt die Nachbarn einladen und vergeßt die Frauen nicht!«
   Und wir ritten am nächsten Tag herum, die Nachbarn einzuladen, und vergaßen die Frauen nicht. Noch immer wußten wir nicht, was das Ganze sollte, obwohl wir im Hause große Vorbereitungen treffen sahen. Eine Kuh wurde nämlich geschlachtet, Pfannen, Kessel zurechtgerichtet, im ganzen Hause war alles eifrigst tätig.
   Das Muschelhorn gab am folgenden Morgen das Zeichen zum Aufbruch. Sein weittönender, posaunenartiger Schall hallte aus dreißig Pflanzungen zurück. Als wir unsere Pferde bestiegen, war die ganze Niederlassung auf den Beinen. Nathan mit Mistreß Strong und Miß Mary waren reisefertig. Er zu Pferde, die beiden Frauen auf dem Wagen, auf dem Fleisch, Brot, Whisky, Kessel, Pfannen und alle möglichen Geräte wie zu einem Auszug aufgepackt waren. Wir bildeten mit Nathan und seinen zwei älteren Söhnen den Vortrab.
   Wir hatten etwas mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt, als uns bereits die scharf knallenden Schläge zahlreicher Äxte an die Ohren gellten. Als wir näher kamen, wurden diese Schläge lauter und stärker. Wir ritten rascher und sahen endlich an die fünfzig Hinterwäldler im Wald beschäftigt, Bäume zu fällen. Noch immer kamen Reiter mit ihren Äxten von allen Seiten heran.
   »Sind uns zuvorgekommen!« meinte Nathan. »Ist Zeit, daß wir endlich auch dabei sind!«
   Und es war hohe Zeit. Die unbarmherzigen Squatters hatten in ihrer Arbeitswut schon einige der schönsten Magnolien und Immergrüneichen auf der Anhöhe gefällt, auf die wir unser Haus hinzustellen gedachten. Eine Stunde später, und sie wäre so kahl gewesen, daß sich kein Kaninchen mehr hätte verbergen können. Wir taten natürlich Einhalt, was sich die Squatters um so lieber gefallen ließen, als die Bäume bloß des Platzes wegen umgehauen worden waren.
   Diesen Platz, auf den das Haus nun zu stehen kommen sollte, bestimmten wir vereint mit Nathan. Er war auf dem Scheitel der Anhöhe, die sich etwa fünfzig Fuß über dem Creek erhob und die umliegende Gegend beherrschte.
   Das Treiben wurde nun immer lebendiger. An die fünfzig Nachbarn waren mit dem Umhauen der Stämme beschäftigt, fünfzig andere mit dem Zuhauen. Im ganzen Wald hallte es wider. Auf der Prärie zu unsern Füßen weideten über hundert Pferde, denn alle waren zu Pferde gekommen. Und nicht bloß Männer, auch Frauen, Mädchen. An die dreißig Frauen und Mädchen rollten teils auf Wagen, teils galoppierten sie auf Pferden einher schüttelten uns die Hände und begannen ihr Kochgeschäft, sobald die Männer die Küche aufgeschlagen hatten.
   Drei Stangen wurden pyramidenartig in die Erde getrieben, von der Spitze herab der Kessel aufgehängt, darunter das Feuer angezündet. In weniger denn einer Stunde prasselte und knisterte es aus zwanzig Pfannen und Kesseln. Rostbeafs, Beefsteaks, Puddings, Keks bräunten in den Pfannen, Whiskyfässer rollten im Gras. Es war ein Bild, so malerisch, aufregend, der fröhliche Tumult war so überraschend!
   Um vier Uhr stand das Gebäude aufgeblockt, sechzig Fuß lang, fünfzig breit. Ein viereckiges Bauwerk aus fußdicken Zypressen, dreißig Fuß hoch aufgezimmert. Die Arbeit war ungeheuer, unglaublich. Hätten wir sie nicht mit eigenen Augen geschaut, wir hätten uns die Möglichkeit nimmer träumen lassen. Als alles soweit fertig war, wandte sich Nathan an uns und die Umstehenden:
   »Habt jetzt das Haus! Das Dach mag später folgen, und die innere Einrichtung und Einteilung müßt ihr selber besorgen. Damit ihr dies aber könnt, wollen wir euch das Ding da« – er deutete auf die Hütte des Syndikus Sorrel – »heraufbugsieren. Könnte euch sonst das Fieber da unten einen Streich spielen. Wollen aber zuerst eine Brücke haben!«
   Und gesagt, getan! Die hundert oder – buchstäblich zu reden – zweihundert Hände ergriffen die vom Aufblocken übriggebliebenen Zedernstämme, brachten sie über den Fluß, legten darüber Querbalken. Und nachdem die Brücke so fertig war, legten sie das Bauwerk Sorrels auseinander, brachten Balken, Sparren, Schindeln vom jenseitigen Ufer auf die Anhöhe herauf, rammten sie wieder ein, und in zwei Stunden stand die Hütte fix und fertig.
   Jetzt ging es über das Essen. Obwohl die Squatters während ihrer Arbeit manchen Schluck versucht und allenfalls ein Beefsteak oder einen Kuchen zur Gesellschaft mitgenommen, so war das Hauptessen doch bis zum Ende verspart worden. Wir waren die Gastgeber, denn die Lebensmittel, die immer vom Veranstalter einer Frolic gegeben werden, waren auf unsere Rechnung vorgeschossen worden.
   Ein fröhlicheres, vergnügteres Waldmahl wurde nie genossen. Zwanzig Wachfeuer, um diese unsere Squatters und ihre Weiber, wir die geschäftigen Gastgeber. Es war ein einzigartiges Ereignis. Seelenvergnügt trennten wir uns. Der Mond stand schon hoch über den Bäumen, als wir mit Nathans Familie die Pferde bestiegen.
   »Und wißt ihr, Colonel, daß die Bürger großen Gefallen an euch finden?« begann Nathan, nachdem wir eine Weile stillschweigend geritten waren.
   Wir bezeigten natürlich unsere Zufriedenheit mit dem Gefallen der Bürger.
   »Gefallt ihnen, Colonel!« fuhr Nathan fort. »Könnt euch Glück wünschen zu diesem Gefallen. Wollen euch noch ein paar Frolics geben.«
   »Wie? Noch ein paar Frolics?«
   »Hab‘ euch schon gesagt, daß wir, nämlich Mister Nollins und ich, eure Schuldner für hundertvierundzwanzig Tagwerke sind, die ihr bei uns geschafft, im Hause und an den Pressen. Wir wollten diese Schulden redlich nach Gelegenheit abzahlen. Haben sich aber die Bürger angetragen, dieses mit einem Mal zu tun und sich dafür mit uns auszugleichen. Ist dies freilich das beste.«
   »Aber Sie werden doch nicht glauben, daß wir für Tagelohn bei Ihnen und Ihrem Schwager gearbeitet haben, Mister Strong?«
   »Kalkuliere, ihr habt nicht. Kalkuliere aber, würde Nathan ebensowenig anstehen, wenn er sich die Arbeit von vier Fremdlingen zugute kommen lassen würde, ohne ihnen dafür wieder seinen Arm zu leihen.«
   »Wenn Sie‘s so nehmen, dann ist‘s freilich etwas anderes. Aber wir genossen Ihre Gastfreundschaft.«
   »Und wir die eurige«, versetzte Nathan. »Schenken euch nichts! Die Frolic geht auf eure Rechnung, wie‘s sich bei Frolicgebern gehört und gebührt. Müßt aber Mistreß Strong ein gutes Wort geben, daß sie euch morgen wieder die Frolic herrichtet.«
   Und wir gaben Mistreß Strong ein gutes Wort, unsere Frolic für den folgenden Tag herzurichten.
   Und richtig ließ sich am Morgen darauf lange vor Sonnenaufgang wieder das Muschelhorn von Nathans Porch aus hören und eine Weile nachher die Echos aus den Pflanzungen. Wir waren diesmal zeitiger, um bei der Clearing-Frolic nicht die letzten zu sein. Denn um eine solche Frolic handelte es sich heute. Es gibt dieser unterhaltenden Zusammenkünfte mannigfaltige in den Hinterwäldern, zum Beispiel Quilting-Frolics, wo Mädchen und Frauen sich zum Steppen der Bettdecken versammeln, oder Husting-Frolics zum Aushülsen des Welschkorns.
   Miß Elisabeth, die diesmal mitging, hatte, bis die Squatters kamen, noch Zeit, uns Kaffee an einem der nicht erloschenen Wachfeuer zu bereiten. Als sie endlich ankamen, kalkulierte Nathan in der ganzen Gegend herum, wo wohl am besten der Anfang des sogenannten Clearings zu machen wäre. Man stimmte fürs jenseitige Ufer, gerade dem aufgeblockten Hause gegenüber, wegen des trefflichen Bodens und Baumschlags. Am jenseitigen Ufer wurde also angefangen.
   Bei dieser Clearing-Frolic lichteten oder vielmehr ›ringelten‹ unsere vierzig Squatterfreunde neun Morgen des reichsten Schwemmlandes.
   Am folgenden Tag war abermals Clearing-Frolic, an der einundvierzig andere Squatters zehn Morgen für uns ringelten oder lichteten. Am dritten Tag wurden elf Morgen von dreiundvierzig Squatters gelichtet. Sie hatten abgewechselt, so daß uns jeder ein Tagewerk gab, wofür sich wieder Nathan mit ihnen ausgleichen mußte.
   Als die dritte und letzte Clearing-Frolic und das darauffolgende Essen vorüber waren, nahm uns Nathan vor den Nachbarn bei der Hand, zeigte auf die hölzernen Wände des Hauses und den getöteten Wald und sprach:
   »Kalkuliere, haben euch nun auf den Weg getan, auf dem ihr weiterkommen könnt, wenn ihr die euch von eurem Schöpfer verliehenen fünf Sinne zusammennehmt. Seht die Art und Weise, wie wir euch auf den Weg getan haben! Wollten zuerst sehen, ob mit euch etwas anzufangen wäre und ob ihr auch nachbarlicher Gesinnung fähig wäret. Sahen, läßt sich von euch etwas erwarten, und haben euch deshalb das Haus hergestellt und an dreißig Acker gelichtet. In die könnt ihr nun säen und pflanzen, was euch im nächsten Jahr einen tüchtigen Anfang machen soll. Habt einen guten Anfang, Mann! Und wären wir soweit quitt in dem Punkt der Hände und vielleicht noch etwas mehr. Wollen es aber nicht so genau nehmen, von wegen, kalkuliere ich, weil ihr Fremdlinge seid. Seht aber, kalkuliere ich, wir sind nicht die Leute, die einem Fremden nicht auch einen Ruck geben können, wenn dieser Anlage zur Respektabilität hat. Hoffe, habt Anlage zur Respektabilität, und werden gute Nachbarn bleiben! Haben euch wenigstens gezeigt, daß der Fehler nicht an uns liegt, wenn wir es nicht bleiben. Seid jedoch mir und Mister Nollins für Whisky und Schinken und geschlachtete Kühe fünfundfünfzig Dollar schuldig.«
   »Wir bezahlen gern das Doppelte, lieber Nathan!« sagten wir.
   »Fünfundfünfzig habe ich gesagt!« versetzte er trocken. »Und laßt euch sagen, Mann, bietet einem Bürger nie mehr als er fordert. Er wird schon von selbst nehmen, was ihm gehört, verlaßt euch drauf! Sind nicht blöde, wir Amerikaner, stehe euch dafür!«
   So war der Mann, dem wir unsern Anfang, unser bürgerliches Dasein in Louisiana zu verdanken hatten. Das abgeschlossenste, nüchternste, unzugänglichste, und doch wieder wohlwollendste, verständigste Wesen, das uns in unserem dreißigjährigen Leben vorgekommen. Seine Gedanken hatten etwas so grob Großartiges, sein Verstand etwas so durchdringend Praktisches ...


   3

   Wir waren nun wirklich auf dem Weg, den wir verfolgen mußten und kaum verfehlen konnten, wenn wir nicht vorsätzlich die Augen schlossen. Und wir verfolgten diesen Weg mit einer Freude und Lust, die unserm ganzen Wesen einen neuen Antrieb verlieh. Diesen Antrieb, diese freudig frohe Tätigkeit hätten wir nicht mit dem glänzendsten Hofleben vertauscht.
   Und in der Tat, wer sein Leben fortwährend nur in überzivilisierter, höherer Gesellschaft zugebracht, auf jedem seiner Tritte beschützt, bewacht, jedem seiner Wünsche zuvorgekommen, so gleichsam auf den Sprungfedern der bürgerlichen Gesellschaft getragen, wer so gelebt und seine eigene Kraft nie versucht hat, der kann sich unmöglich das reine Vergnügen und das Entzücken vorstellen, die das Erschaffen einer eigenen Existenz gewährt. Wenn die Werke unserer Hand allmählich vor uns erstehen, werden wir uns auf einmal neuer Kräfte bewußt, die so lange geschlummert, uns selbst unbekannt waren. Es liegt ein wunderbarer Reiz in diesem Gefühl erwachender Kräfte!
   Wir genossen dieses Entzücken in langen Zügen, und wahrlich, es machte uns diese ersten Jahre in Louisiana zu den glücklichsten unseres Lebens. Trotz der vielfältigen und mitunter großen Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen hatten, trotz der nimmer endenden Arbeiten, die allerseits unser warteten. Aber diese Squatters hatten uns, wie gesagt, zum Bewußtsein unserer Kräfte gebracht, uns auf den Weg getan.
   Von dem Haus standen zwar bloß erst die hölzernen Wände, die die Squatters aufgeblockt, ohne Dach, Fenster, Kamin, Fußboden. Für alles dieses mußten wir erst sorgen. Aber diese Sorgen waren nun vergleichsweise leicht. Akadier wurden gemietet, um uns das Dach zu decken, Amerikaner, um den Kamin aufzubauen. Fünf Meilen oberhalb von uns befand sich die Sägemühle der Gemeinde, die der Sohn des Major Gale gebaut, der zugleich Tischler, Schreiner und Zimmermann war. Mit diesem einigten wir uns, und in acht Wochen konnten wir aus unserer Hütte in das Haus einziehen und unsere Sachen endlich von den Attacapas heraufbringen lassen.
   Wir selber hatten immer noch nicht die Zeit, unsere Freunde oder unsere gepachtete Pflanzung zu sehen. Wir mußten Amadée senden, der die Heraufschaffung unserer Sachen besorgte. Hauterouge hatte den Wunsch geäußert, die von uns gepachtete Pflanzung zu übernehmen. Wir traten sie ihm ab, um unsere Aufmerksamkeit ganz auf unsere neue Wirtschaft lenken zu können.
   Wir dachten an nichts als an diese neue Wirtschaft. Musik, Lesen, Billard, Freunde – unsere Squatternachbarn ausgenommen —, selbst unser schönes Frankreich hatten wir vergessen und seine Leiden und Freuden. Kaum daß wir dazu kommen konnten, unseren Lieben von unserm Treiben Nachricht zu geben.
   Unsere liebste Unterhaltung war, abends die Arbeiten des Tages zu besprechen. Was wir getan, wie wir es getan, jeder Baum, den wir gefällt, jeder Zaunriegel, den wir gelegt, wie wir ihn gelegt, alles das wurde erörtert. Ich erinnere mich noch bei einer Gelegenheit, wo wir zehn bis fünfzehn Akadier gedungen hatten, um Zaunriegel für unsere Felder zu spalten, mit welcher Umständlichkeit wir die Geschichte einer seltsam geformten Zypresse, die wir gefällt, besprachen. Wir hatten beide einen halben Tag damit zugebracht, den sieben Fuß im Durchmesser haltenden Stamm zu fällen, und zwei Äxte zuschanden gearbeitet.
   Inmitten dieser Tätigkeit überraschte es uns zugleich nicht wenig, daß wir anfingen, über Dinge, die vor und hinter uns lagen, auf eine ganz neue Weise zu reden, auf eine republikanisch amerikanische Weise zu reden, möchte ich sagen, eine Weise, die mit unserer früheren Sprache und Denkungsart auch nicht im mindesten Zusammenhang stand.
   Wir begannen, die Verhältnisse des Lebens, unsere Lage und die anderer aus einem weniger ideellen, mehr realen Gesichtspunkt zu beurteilen, selbständiger zu beurteilen in dem Grad, als wir selbständiger zu werden begannen. Es ging eine ganze Revolution in unserer Gedankenwelt vor. Selbst die Verhältnisse des öffentlichen Lebens, die Politik Europas, unseres Königshauses erschienen uns aus einem ganz neuen Gesichtspunkt. Unsere Kavaliersansichten verloren sich in die Vogelschau.
   Es war ein psychologisches Wunder und desto unerklärbarer, da wir über diese Gegenstände kaum je mit unsern Squatternachbarn gesprochen, unsere Gedanken daher ohne fremde Einwirkung entstanden waren. Es schien uns, als wären wir aus einem langen Traum erwacht, der Kindheit, dem Leitband entwachsen, das uns bisher hin und her gegängelt hatte.
   Auch in bezug auf die Schwarzen erlitten unsere Ansichten eine starke Revolution. Wir hatten unser Haus endlich so ziemlich eingerichtet, die Felder mit Zäunen umgeben, unsere Zimmer zum Teil möbliert, die Vorplätze herzustellen angefangen. Alles das hatten wir und unsere Diener mit Beihilfe unserer Squatternachbarn und einiger der tätigeren jungen Akadier getan. Noch hatte kein Schwarzer Hand an irgend etwas in unserm Hause gelegt.
   Wir wünschten uns Glück zu diesem Umstand, aber wir begannen zugleich zu fühlen, daß wir dessen ungeachtet ohne diesen Fluch in Louisiana nicht würden bestehen können. Wir konnten uns wohl für eine Weile dem Sklavenhalten entziehen, unsere Felder durch Weiße bearbeiten lassen, aber für die Dauer, das sahen wir ein, war dies unmöglich. Trotz aller Opfer, die ein solcher Versuch uns kosten mußte, würden wir uns nur zugrunde richten, ohne der schwarzen Rasse auch nur die mindeste Erleichterung verschafft zu haben. Wenn wir dagegen Sklaven hielten, konnten wir nicht nur ihre Lage verbessern, sondern auch durch unser Beispiel und bürgerlichen Einfluß auf die bessere Behandlung aller übrigen vorteilhaft einwirken.
   Es gibt Übel, deren schlimmen Einfluß wir nicht dadurch vermeiden, daß wir ihnen aus dem Wege gehen, sondern einzig und allein durch ein kräftiges Kämpfen, Ringen mit ihnen. Ein solches Übel ist die in den südlichen Teilen der Union eingeführte Sklaverei. Ist ein Prinzip einmal zugelassen, so steht es in keines einzelnen Menschen Gewalt mehr, ihm Folge zu leisten oder sich zu versagen – er muß mit dem Strom schwimmen. Nur durch Ableitung des Stromes läßt sich dieser und mit ihm das Übel verringern.
   Diese Wahrheiten fingen damals an, bei uns zu dämmern, obwohl wir Sklaven zu kaufen oder zu halten noch immer für etwas Gräßliches hielten und jede Berührung damit so lange wie nur möglich vermeiden wollten. Der Zufall entschied auch über diese Skrupel.
   Unsere werdende Pflanzung war so weit in Ordnung, daß wir endlich an die so lange hinausgeschobene Reise nach der Hauptstadt denken konnten. Eigentlich hätten wir diese vor unserer Ansiedlung unternehmen sollen, hätten wir schon lange dem Gouverneur und den übrigen höheren Beamten unsere Aufwartung gemacht und besonders unsere Schenkungsangelegenheiten in Ordnung gebracht haben sollen. Aber das in New Orleans bis spät im November herrschende gelbe Fieber und der Drang der Geschäfte hatten uns abgehalten. Jetzt eilten wir daher um so mehr, als Lefèvre, der in meinem Regiment als Bataillonsarzt gestanden, mit Briefen von Europa angekommen war.
   Wir reisten also ab, kamen glücklich in Nouvelle Orléans an, gaben unsere Empfehlungsschreiben ab und stiegen im Hause des Barons Marigny ab, eines der vornehmsten Bürger der Kolonie und von alter Familie. Er stellte uns dem Gouverneur vor, der die Gefälligkeit hatte, mir meine Schenkung an dem Fluß, an dem unser ersteigertes Land lag, und für Lassalle noch besonders eine Strecke Landes von zweitausend Arpents ausmessen zu lassen. Damals nahm man es mit diesen Schenkungen nicht sehr genau. Erst die Regierung der Vereinigten Staaten wußte den Ländereien Wert zu verleihen.
   Wir hatten bald unsern lieben Lefèvre aufgefunden. Die gastfreundliche Fürsorge unseres trefflichen Marigny wies ihm ein Zimmer neben den unsrigen an. In Geschäften, Besuchen der um die Stadt liegenden Zuckerpflanzungen, Gefeiertwerden und Plaudern über das teure Frankreich und die europäischen Zustände waren uns so vierzehn Tage wie Stunden verlaufen. Wir hatten unsere Einkäufe besorgt, mehrere Zuckerpflanzungen besichtigt, die Verhältnisse der Sklaven zu ihren Gebietern kennengelernt. Wir dachten wieder an die Heimreise.
   Den Tag vor unserer Abreise hatte Marigny zur Eröffnung seiner Villa an der untern Levee, beiläufig fünf Meilen unterhalb New Orleans, bestimmt. Bloß sehr wenige enge Freunde und wir mit Lefèvre waren geladen.
   Wir saßen beim Nachtisch im traulichen Gespräch in einem herrlichen Gartenpavillon. Es war ein entzückender Februartag, um uns war die duftende Pflanzenwelt Louisianas, waren ganze Wälder blühender Rosen. Unser Auge konnte den gewaltigen Mississippi bis zum großen Bend, der Krümmung unterhalb New Orleans verfolgen.
   Meine Aufmerksamkeit wurde durch ein Schiff angezogen, das etwa eine Meile unterhalb des Landhauses am Ufer angelegt hatte. Der Wind war plötzlich widrig geworden und hatte es gezwungen, beinah am Ziel seiner Reise zu halten. Mir fiel dieses Schiff auf. Sein Bau, sein Sparrenwerk, seine Ausrüstung, selbst seine Stückpforten hatten etwas so eigentümlich Verdächtiges.
   »Es ist ein Sklavenschiff«, bemerkte einer der Gäste gelassen.
   »Ein Sklavenschiff? Ist die Einfuhr von Sklaven denn erlaubt? Ich hörte, sie sei unter Baron Carondelet verboten worden?«
   »Sie war es«, sagte der Baron. »Aber die Übel, die dieses Verbot nach sich zog, zeigten sich so einleuchtend, daß es wieder aufgehoben wurde. Wollen Sie etwa kaufen? Sie hätten jetzt eine gute Gelegenheit dazu.«
   Ich verneinte. Der Baron schüttelte den Kopf.
   »Hüten Sie sich, lieber Freund, hier rührseligen Abneigungen Raum zu geben. Wir sind in Louisiana, wo solche Abneigungen nur schaden können. Glauben Sie mir, bei uns besteht die Menschlichkeit nicht darin, daß wir uns von diesem Handel frei halten, sondern daß wir ihn in unsere Hände bekommen, so den Ton angeben. Nur wenn die Anständigen des Landes den Ton angeben, kann das Übel für Louisiana und selbst für die Schwarzen zum Guten werden. Darum wünschte ich, Sie kauften und jeder gebildete anständige Mann kaufte.«
   Ich schwieg. Die Gesellschaft erhob sich nach einer Weile, sie wollte zum Schiff spazieren, die Ladung besehen, wie sie sich ausdrückte. Wir gingen also dem Schiff zu, um die Ladung zu besehen.
   Ein Teil seiner lebendigen Ladung war bereits an Land geschafft worden. Wir sahen um eine der schwarzen Gruppen alte Weiber beschäftigt, die häßlichen Leiber der Transportierten zu säubern. Eine zweite Gruppe führte zum Schall zweier alter Kessel, die ein alter Neger schlug, einen Tanz auf. Sobald einer oder eine der Schwarzen aus den Händen der alten Negerinnen oder Neger entlassen wurde, schloß sich das bejammernswerte Geschöpf an die Tanzenden an.
   Dies schien der ganzen Gesellschaft so an der Tagesordnung zu sein, daß keiner ein Wort darüber verlor. Wir hatten uns unterdessen bis auf Sprechweite dem Schiff genähert. Der Kapitän war uns entgegengekommen und bot uns an, seine Ladung näher zu besehen und auszuwählen.
   Mehrere von der Gesellschaft besahen die gelandeten Neger und Negerinnen. Wir schritten über die Laufbretter auf das Schiff, das eben von dem siebenmonatigen Unrat gesäubert wurde, kehrten aber wieder zurück, die Gerüche waren nicht auszuhalten. Auf dem Verdeck bemerkten wir einen Verschlag, vor dem eine Kanone stand. Sie war mit Kartätschen geladen, wie wir später erfuhren.
   Ich konnte mich nicht enthalten, dem Kapitän über sein trauriges Gewerbe Vorstellungen zu machen. Er zuckte die Achseln.
   »Was wollen Sie? Alle diese Schwarzen wären längst tot, wenn wir sie nicht gekauft hätten. Sie waren sämtlich zum Tode verurteilte Kriegsgefangene. Zum Glück kamen wir zur rechten Zeit.«
   Und der Kapitän erzählte uns von dem furchtbaren Leben der Eingeborenen an der afrikanischen Küste.
   Noch war er in seiner Erzählung begriffen, als Doktor Lefèvre vom Verdeck zurückkam. Er war trotz der erstickenden Gerüche in das Schiff eingedrungen und kam nun auf den Kapitän zugerannt.
   »Kapitän, wenn Sie die fünfundzwanzig Elenden, die in dem Verschlag unter dem Verdeck sind, nicht sogleich in bessere Pflege bringen, so ist morgen keiner mehr am Leben!«
   Der Kapitän zuckte die Achseln.
   »Kann nicht helfen!«
   »Fünfundzwanzig!« rief ich schaudernd.
   »Der Ausschuß!« meinte der Kapitän. »Kann nicht helfen! Wäre ich in New Orleans, ließe sich vielleicht etwas tun, aber der verdammte Nordwester!«
   Wir gingen nochmals über die Bretter, bestiegen das Verdeck, stiegen die Treppen hinab. Die Ausdünstungen wurden so erstickend, daß uns der Atem verging. Lefèvre öffnete den Verschlag.
   »Mein Gott!« rief ich.
   Am Eingang lag ein Weib im Todesröcheln. Wo ihr schwarzer Körper nicht vom Unrat starrte, war er bereits von der grellen schwarzblauen Leichenfarbe überzogen. An ihren bis über die Hüften herabhängenden Brüsten zerrte ein Wurm von Säugling. Der Arzt hob sie auf und brachte sie samt dem Kind an die frische Luft. Sie schnappte.
   »Sie können diese fünfundzwanzig Schwarzen mit zehn Säuglingen für ebenso viele hundert Piaster haben«, sagte der Kapitän. »Wenn Sie auch nur den fünften Teil retten, so machen Sie ein gutes Geschäft. Ich habe nicht die Zeit dazu.«
   »Gott behüte, wer wird hier an Geschäfte denken! Ich gebe Ihnen fünfundzwanzighundert Piaster. Schaffen Sie sie mir auf das Verdeck hinauf!«
   Die Schwarzen waren mein. In meinem Leben habe ich keine scheußlicheren Gestalten gesehen. Mich rüttelt es noch fieberig, wenn ich an diesen Anblick denke. Sie wurden auf Deck und dann ans Ufer gebracht.
   Wir eilten in die Villa, der Arzt in die Stadt, um Wolldecken, Medizinen, Erfrischungen herbeizuschaffen. Zwei der Unglücklichen starben in derselben Nacht, drei den folgenden Tag, fünf auf der Mississippifahrt.
   Von den fünfundzwanzig brachten wir fünfzehn und sieben Säuglinge nach Hause. Zwölf Erwachsene und fünf Kinder wurden vollkommen hergestellt, die übrigen siechten an den Folgen der fürchterlichen Leiden, die sie während der Überfahrt erduldet, dahin und starben.
   Unsere Menschlichkeit hatte uns aber eine Bürde aufgelegt, von der wir keine Ahnung hatten und die uns beinah zum Verzweifeln brachte. Es ist wirklich zum Verzweifeln, Geschöpfe, die so wenig Menschliches an sich haben, die tierischer sind als das Tier selbst, auch nur zu Sklaven heranzuziehen.
   »Mein Gott!« fragte ich mich oft, »können diese Geschöpfe mit ihren Orang-Utan-Schädeln, diese Weiber mit ihren Hängebrüsten, diese über alle Begriffe häßlichen Geschöpfe, die Erde fressen, weder Verstand noch Gedächtnis, nicht einmal Instinkt haben, wirklich Menschen sein?«
   Wir spürten so gar nichts vom göttlichen Funken. Erst als wir mehrere der im Lande eingewöhnten Sklaven gekauft und unter sie gemengt hatten, erst dann fing sich etwas wie Instinkt zu zeigen an. Ja, wir haben erfahren, was es sagen will, diese Geschöpfe zu erziehen! Und man kann Schwarze kaufen, sie halten und doch Mensch sein und bleiben.


   4

   Ein Jahr war so vergangen.
   Das Jahr 1802 brachte uns den Frieden von Amiens und erlaubte uns an das Herüberbringen unserer Lieben zu denken. Mir war es nicht möglich, nach Europa zu reisen. Die Arbeiten auf der Pflanzung, die Sorge für vierundzwanzig Schwarze ließ es nicht zu, wenn auch unser schwächer gewordener Geldbeutel uns noch hätte zusammen reisen lassen. So fuhr denn Lassalle allein ab.
   Ich zählte unterdessen die Wochen, Tage, Stunden, die mich von meiner Eleanor trennten. Sie verflossen, und am Ende von vier Monaten schloß ich sie endlich in meine Arme.
   Wir hatten uns in New Orleans trauen lassen, aber der eigentliche Freudentag war, an dem ich die geliebte Gattin in die selbstgeschaffene Heimstätte einführen, ihr den Herd übergeben konnte, über den sie schützend wachen wollte. Meine Wünsche, meine süßesten Erwartungen waren jetzt erfüllt. Alles ließ sich zu glücklichen Tagen an.
   Und glücklich wurden sie, glücklich, wie wir sie nie zuvor gesehen! Unser Heimwesen begann unter unserer Frauen Schirm zu blühen. Unsere Schwarzen, die eine Mutter gefunden, begannen mehr und mehr menschlich zu werden. Wir waren geliebt von den Akadiern, geachtet von unseren Squatterfreunden. Unsere Bedürfnisse waren nicht nur befriedigt, wir konnten an Bequemlichkeit und allmählich an Luxusgegenstände denken.
   Wochen und Monate verflossen heiter und ungetrübt und doch wieder in reger Tätigkeit. Man mußte Nathan und Madame Vignerolles sehen und hören! Sie in ihrer fröhlichen freundlichen Anmut, die denn doch wieder einen leicht mutwilligen Anstrich hatte, ihn kalkulierend und der Notion, Mistreß Vignerolles sei die lieblichste Hinterwäldlerin, die je in Petticoats und ihren eigenen Schuhen stak.
   So war wieder ein Jahr verstrichen. Da kam 1803 die Nachricht, daß Louisiana infolge des letzten Friedens mit Spanien an Frankreich zurückgegeben werden würde. Briefe aus der Hauptstadt bestätigten bald diese Nachricht und fügten hinzu, der Übernahmekommissar der französischen Regierung werde jeden Tag erwartet.
   Einen Augenblick machte uns diese Nachricht bestürzt. Wir waren emigriert, hatten gegen Bonaparte in der Vendée gefochten. Doch beruhigte uns wieder die Anständigkeit, die der Erste Konsul gegen die Emigrierten in seiner sonst so rücksichtslosen Politik durchschimmern lassen zu wollen schien. Wir wußten, daß mehrere unserer Freunde nicht nur nach Frankreich zurückgekehrt, sondern insgeheim auch von Napoleon berücksichtigt, ja begünstigt worden waren. Wir beschlossen daher, nach New Orleans hinab zu gehen und uns an der Quelle von der Lage der Dinge zu unterrichten. Ohnedem sahen unsere Frauen ihrer Niederkunft entgegen und wollten diese in der Hauptstadt abwarten.
   Wir reisten daher ab. Den Tag vor unserer Ankunft war Monsieur Laussat, der Präfekt, eingetroffen. Zwei Stunden nach unserem Aussteigen wurden wir ihm bereits vorgestellt. Wir fanden in ihm einen Mann von Ehre, einen Franzosen durch und durch, und das war alles, was wir wünschten. Er beruhigte uns über die Gesinnung des Ersten Konsuls und teilte uns seine Anweisungen mit, allen Franzosen ohne Unterschied ihrer politischen Vergangenheit jeden möglichen Schutz angedeihen zu lassen und ihre künftige bürgerliche Existenz zu sichern. Er versprach, alles mögliche für uns zu tun.
   Er tat es trotz seiner gehäuften Geschäfte. Denn er war nicht sowohl gekommen, Louisiana für Frankreich zu übernehmen, sondern vielmehr dieses nach der Übernahme von Spanien an die Regierung der Vereinigten Staaten zu übergeben. Aber trotz seiner vielen Geschäfte fand er noch Zeit, uns unsere Schenkungen, die wohl in allen Punkten richtig und gültig, aber von der lässigen spanischen Regierung nicht fest ausgemittelt worden waren, gehörig festzulegen und so jeder künftigen Beanstandung zu begegnen.
   Am 30. November 1803 übernahm er die Kolonie von den spanischen Vertretern, dem Gouverneur de Salcedo und dem Marquis de Casa Calvo, um sie zwanzig Tage darauf, am 20. Dezember, an die amerikanischen Bevollmächtigten, den Gouverneur Claiborne vom Mississippiterritorium und den General Wilkinson, zu übergeben.
   Wer Franzose ist, wird sich den Jubel vorstellen können, der bei dem ersten Akt, der Übernahme Louisianas durch den französischen Abgeordneten, herrschte. Die bei weitem größere Mehrzahl der Kolonisten und Einwohner waren Franzosen oder französischen Ursprungs, hatten nie aufgehört, Franzosen zu sein. Es war ein wirklicher Freudenrausch, ein Taumel, der sich der Hauptstadt bemächtigt hatte. Ein Fest folgte dem andern. Festliche Beleuchtungen, Bälle, öffentliche Mahle reihten sich die zwanzig Tage aneinander.
   New Orleans hatte nie solchen Jubel, solche Verschwendung gesehen. Aber auch nie solche plötzliche Abspannung, als am einundzwanzigsten die dreifarbige Fahne vom Stadthaus und den öffentlichen Gebäuden sank, um dafür dem Sternenbanner Platz zu machen. Die amerikanische Flagge wollte lange nicht emporkommen trotz aller Bemühungen ihrer Matrosen, flatterte aber endlich unter den gellenden Hurras der anwesenden Amerikaner weit und stolz den tausenden entgegen.
   War auch unsere schöne Hoffnung, gewissermaßen auf französischem Boden zu leben, getäuscht worden, so fanden wir keine Ursache, uns über die Veräußerung Louisianas zu beklagen. Der Erste Konsul hatte mehrere für uns sehr günstige Bedingungen in dem Abtretungsvertrag vereinbart. Die Schenkungen sowohl der französischen wie der spanischen Regierung sollten anerkannt, die Einwohner Louisianas ohne Unterschied den geborenen Bürgern der Union in jeder Hinsicht gleichgestellt werden. Mit einem Wort, alles war getan worden, die bürgerliche wie die politische Existenz der Verkauften zu sichern.
   Bei den vielfältigen Geschäften, die dieser Verkauf Louisianas an eine fremde Regierung nach sich zog, bei den Festen, die ihm vorangingen und folgten, sowie über der Unzahl von Aufträgen, die uns von unseren Squatterfreunden und aus den Attacapas geworden waren, zu dem sich der Verkauf unserer eigenen Baumwolle und der der Niederlassung gesellte, verliefen zwei Monate. Wir hatten über tausend Ballen für Nathan, Nollins und Nachbarn in Kommission, nebst einigen hundert für unsere eigene Rechnung. Der Absatz forderte Zeit. So war die Entbindung unserer Frauen herangekommen, die uns nun in New Orleans zu bleiben zwang. Denn Lefèvre hatte bereits früher eine Anstellung als Arzt in der Hauptstadt erhalten, und im ganzen Umkreis unserer Pflanzung war keine Person, auf die wir uns in einem solchen Lebenspunkt wie die Entbindung unserer Frauen hätten verlassen können.
   Gern wären wir jedoch unserer lieben Heimstätte zugeeilt, ja, der Aufenthalt in der Hauptstadt wurde uns allmählich drückend. Denn das Gerücht brachte uns seltsame Dinge von dem Treiben unserer neuen Landsleute und Regenten im Lande zu Ohren. Ganze Schwärme von Abenteurern und sogenannten Landsharks – Landhaifischen, wie sie die Landspekulanten nannten – waren aus dem Norden wie Heuschrecken angekommen, waren in Gehöfte, Pflanzungen, Häuser und Hütten gedrungen, nach Ländereien schnüffelnd. Darunter waren Männer von großem politischem Einfluß. Dann gab es wieder junge, Whisky trinkende Leutnants, jetzt Kommandanten der Forts, und Tischler, Gerber und derlei ehrenwerte Leute, die zu Sheriffs und County Clerks aufgerückt waren und Gerechtigkeit verwalten sollten, in einem Land, dessen Sitten, Gebräuche und Gesetze sie nicht kannten, von dessen Sprache sie kein Wort verstanden. Mehrere Verweisungen von Ländereien, wo die Besitztitel nicht gehörig befunden worden waren, sollten gleichfalls stattgefunden haben.
   Amadée bat uns in seinen Briefen dringend, unsere Nachhausekunft zu beschleunigen. Wir würden in der Niederlassung seltsame Veränderungen finden.
   Diese wiederholten Aufforderungen hatten uns unruhig gemacht. Ungeduldig erwarteten wir die Zeit der Niederkunft unserer Frauen. Sie war kaum vorüber und unsere Frauen wieder hergestellt, als wir mit zwei Knaben bereichert und bedeutenden Wechseln nach unserer neuen Heimat hinaufschifften. Amadée war benachrichtigt worden, uns Pferde an den Red River entgegen zu senden.
   Dort angekommen, brachten wir die Frauen in den Wagen, den wir in New Orleans gekauft, und eilten, so rasch es die von den Squatters angelegte Knittelstraße gestattete, unserer Pflanzung zu. Unsere Ungeduld, Nathan zu sehen, war so groß, daß wir die Frauen nach Hause fahren ließen und die Pferde Amadées und des ihn begleitenden Negers bestiegen, um den zwölf Meilen langen Abstecher zu Nathan zu machen.
   Wir ritten, was die Pferde laufen konnten. Es war, als ob eine Ahnung uns sagte, daß wir zu spät kämen. Eine tiefe, unheimliche Stille herrschte in der Niederlassung, wir trafen keine lebendige Seele in der ersten, zweiten, dritten Pflanzung. Nathans war die vierte. Uns wurde nun wirklich bange. Wir spornten die Pferde und fanden uns endlich vor dem so wohl bekannten Blockhaus.
   James, der älteste Sohn Nathans, kam uns entgegen. Er war ungemein ernst, ja düster, als er uns die Hand schüttelte.
   »Wo ist Freund Nathan?«
   »Weit von hier bei dieser Zeit, Colonel.«
   »Weit von hier bei dieser Zeit? Seien Sie so gut, ihm zu sagen, daß wir zurück sind.«
   »Das dürfte einem guten Gaul manchen harten Tagritt nehmen, ihm das zu sagen«, versetzte der junge Squatter. »Vater ist weggezogen.«
   »Weggezogen? Wie meinen Sie das, Mister Strong?«
   »Weggezogen mit Weib und Kind. Mit Mutter und Schwester Mary und Bruder Joshua und Neger und Vieh und allem und zwanzig Familien mehr. Seht ja, daß ein Wegziehen gewesen ist.«
   Der junge Mann deutete auf den nackten Porch.
   »Weggezogen!« riefen wir. »Weggezogen, ohne ein Wort zu sagen!«
   Mir war beinah übel bei dieser Nachricht geworden.
   »Das nicht! Hat Aufträge hinterlassen, schriftlich und mündlich. Und versteht sich, daß ihr uns in deren Ausrichtung freundlich beistehen werdet.«
   »Weggezogen!« rief ich abermals.
   »Weggezogen!« wiederholte James. »Er kalkulierte, wäre Zeit zu gehen, als das Gesetz und der Sheriff sich zu melden begannen.«
   »Aber was hat Ihr Vater mit dem Gesetz, dem Sheriff zu tun? Er hat doch keinen Mord noch Diebstahl begangen?«
   »Ei, kalkuliere, er hat nicht! Aber ist den Gesetzmännern nicht um Mord oder Diebstahl zu tun, ist ihnen um das Land zu tun. Und wir haben für unser Land, wissen Sie, keine Besitztitel, keine Schenkungen, die wir vorzeigen könnten. Und kam vor sechs Wochen eine Schar, die die Niederlassung von allen Seiten abmaß und wieder maß. Und zwei Wochen darauf kam ein Sheriff mit Amtsstab, der das Land als Kongreßland ansprach und uns ein Haus weiter wies, weil wir von der spanischen Regierung keinen Besitztitel aufzuweisen hätten.«
   »Und Ihr Vater ließ sich wegweisen?«
   »Was konnten wir gegen das Gesetz? Vater sah, daß nichts helfe, als das Land zu kaufen. Hat mir deshalb Auftrag gegeben und ein Schreiben hinterlassen. Scheint, das Land gefällt einem der Regierungskommissare, der die gute Gelegenheit gern nützen möchte.«
   James zeigte mir das Schreiben oder genauer, die Vollmacht, denn dies war sie. Ich wurde darin mit Lassalle ermächtigt, das von Nathan in Besitz gehabte Land für seine Familie und Freunde, nämlich James, Geoffroy, Jonathan, Mistreß Barclay – die gewesene Miß Elisabeth – und die, die es vorzogen, in Louisiana zu bleiben, zu ersteigern und dazu die in meinen Händen befindlichen Gelder, beiläufig sechstausend Piaster, anzuwenden. Sollten wir nicht imstande sein, das Land zu ersteigern, so ersuchte er mich, die zurückgebliebenen Mobilien und Immobilien, darunter die beiden Cottonpressen, bestmöglich anzubringen. Gleiches ersuchte er für seine Freunde Nollins und Barclay, deren Kinder es gleichfalls vorzogen, in Louisiana zu bleiben.
   »Aber um Himmels willen, warum schrieb mir Ihr Vater nicht, warum wartete er nicht? Mir wäre es möglich gewesen, die Sache in New Orleans auszugleichen.«
   »Sie kennen bei alledem, Colonel, den Vater nicht«, meinte James kopfschüttelnd, »wenn Sie der Notion sind, er würde das erst kaufen, was er für sein Eigentum hält und wofür er keinem Menschen ein gutes Wort geben würde. Aber Gesetz ist ein andres. Wollte nichts mehr mit Louisiana zu tun haben. Wollte ein Land suchen, wo kein Sheriff, kein Gesetz ihn ein Haus weiter weisen kann.«
   »Dann wird er lange suchen müssen, in irgendeinem erst zu entdeckenden Weltteil suchen müssen«, versetzte ich unmutig. »Aber ich sehe, Ihr Vater zieht es vor, es lieber mit spanischen Musketen als mit dem amerikanischen Gesetz aufzunehmen.«
   »Ei, wer wird es mit dem Gesetz aufnehmen?« erwiderte der junge Mann. »Lieber mit fünfundachtzig spanischen Musketen als dem Gesetz! Der Himmel verhüte!«
   Der junge Mann sprach die Worte mit einer Art Scheu. Sie hätte uns, die wir damals das Grauen vieler Amerikaner vor dem Gesetz noch nicht kannten, notwendig auf den Gedanken bringen müssen, der alte Nathan müsse mit diesem Gesetz in seinem Land zerfallen sein, wenn wir nicht vollkommen vom Gegenteil überzeugt gewesen wären. Denn Nathan hatte nicht nur in fortwährender Verbindung mit seiner früheren Heimat gestanden, sondern sie auch zu wiederholten Malen besucht.
   »Ei«, sprach der junge Mann, der unsere Gedanken erraten mochte. »Ei, war eine trübe Stunde, Sie mögen es glauben, wie der Vater das Blockhaus zum letzten Mal so ansah und Asas Gebeine herausnahm, ohne die Muhme Barclay, die gewesene Mistreß Nollins, wissen Sie, nicht gehen wollte.«
   »Und sie haben Asas Gebeine aus dem Blockhaus mitgenommen?«
   »Ei, so haben sie!«
   Wir standen schmerzerfüllt, verdrückten eine Träne im Auge. Was mußte der eiserne Mann nicht gefühlt haben, als er denselben Landsleuten weichen, aus demselben Lande weichen mußte, das für sie zu erobern er alle seine Geisteskräfte angestrengt – zehn Jahre hindurch angestrengt hatte!
   »Sehe, Sie sind der Mann, Colonel, für den Vater Sie gehalten. Vielleicht kommt die Zeit ...«
   »Wo wir ihn wiedersehen, nicht? Sagen Sie, junger Mann, er kommt zurück? Nicht wahr?« riefen wir beide zugleich.
   James schüttelte den Kopf.
   »Wollte das nicht sagen. Wollte sagen, Vater hat sich nicht in Ihnen getäuscht, als er uns sagte, daß Sie seine Aufträge ausrichten würden.«
   »Das wollen wir so gewiß, als wir Männer von Ehre sind. Jetzt lebt wohl, James! Morgen sehen wir uns wieder!«
   Wir ritten ab, unserer Sinne kaum mächtig. So hatte uns der Schlag betäubt. Denn Nathan war uns mehr als Freund, er war uns Wegweiser, Führer, Bedürfnis geworden, uns ans Herz gewachsen. Die ganze Niederlassung erinnerte an ihn, unser Haus, alles erinnerte an ihn, aus allen Ecken sprach er. Nichts war ohne seinen Rat, seine Bestimmung getan worden.
   Als wir unser Haus betraten, kamen uns die Frauen jammernd entgegen. Sie wußten jetzt gleichfalls den Verlust, den wir, sie erlitten hatten. Dieser Abend und noch viele andere gehörten unter die traurigsten, die wir in Louisiana verlebten. Nathan fehlte uns, den Frauen, Amadée, den Dienern, allen. Immer sich gleich, war er allen alles in allem geworden, geblieben. Er war die Würze unseres Hinterwäldlerlebens gewesen, das durch ihn erst seinen rechten Geschmack erhalten hatte.
   Am folgenden Morgen kamen die Söhne Nathans, die zurückgeblieben waren, mit ihren Freunden, um sich in ihrer Eltern Namen über die uns anvertrauten Kommissionen Rechenschaft ablegen zu lassen und zugleich die Maßregeln zur Ersteigerung des Landes zu besprechen. Wie James angedeutet hatte, so war es einer der Regierungsbeamten, durch die Nathan und einige andere weggewarnt worden waren. Doch waren diese Landhaie nicht mit allen Squatters gleich verfahren. Einigen, die sich williger fanden, hatten sie ihren Beistand zur Behauptung ihrer Pflanzungen angeboten, anderen hatten sie angetragen, sie als Lehnsleute zu belassen, wieder andere weggewarnt. Man kennt ja die Kniffe dieser abgefeimten Schurken.
   Mit Nathan waren sie gleich beim ersten Zusammentreffen so hart aneinandergestoßen, daß sie eilig die Niederlassung verließen. Die Folge war Wegwarnung oder Wegweisung. Wie wir später erfuhren, hatten die Spekulanten es in New Orleans so hingestellt, als hätten sich einige unruhige Squatters die Niederlassung widerrechtlich angeeignet.
   Wir sahen wohl ein, daß wir es mit ebenso mächtigen wie gewissenlosen Feinden zu tun haben würden, und schlugen daher einen amerikanischen Weg ein. Wir setzten sogleich eine Bittschrift in englischer und französischer Sprache auf, in der wir die Territorial-Regierung angingen, so bald wie möglich zur Versteigerung des von Nathan und seinen Freunden urbar gemachten Landes zu schreiten und so seine zeitweiligen Besitzer, mehr denn achtzig achtbare Familien, aus dem Zweifel zu reißen. Wir beriefen uns auf die vielen Opfer, die diese Ansiedler gebracht, auf die Wege, die sie angelegt, das Gute, das sie dem Lande angetan, und machten es so der Regierung gewissermaßen zur Pflicht, Gerechtigkeit zu üben.
   Diese Eingabe ließen wir mit so vielen Unterschriften in den Attacapas und Opelousas versehen, als unserm Einfluß nur möglich war. Es waren ihrer an die tausend. Das Ergebnis war günstig. Die Regierung, die vor allem die öffentliche Meinung und besonders die Kreolen und Franzosen in dem neu erworbenen Territorium zu schonen hatte, bestimmte den Tag, an dem die Versteigerung stattfinden sollte. Die Landspekulanten, die ihre fein gesponnenen Netze, die Squatters zu fangen, entdeckt sahen, wurden durch die gefahrdrohenden Anzeichen des allgemeinen Mißfallens eingeschüchtert und erschienen nicht. Und unsere Freunde ersteigerten ihre Ländereien zu dem gewöhnlichen Kongreßpreis.
   Sie besitzen sie großenteils bis auf diese Stunde und gehören zu den rechtlichsten und reichsten Familien Louisianas.
   Wir hatten noch immer gehofft, Nathan möchte mit seinen Freunden zurückkommen, wenn er das Ergebnis erfahren würde. Allein unsere Hoffnung ging nicht in Erfüllung.
   Jahre verliefen. Oft dachten wir des rauhen und doch wieder so seltsam herzlich trefflichen Regulators, unter dessen Schutz und Schirm wir in den Hinterwäldern flügge geworden. Der Strom der Zeiten und Begebenheiten, Familienverluste, Sorgen, die uns die allmählich groß gewordene Pflanzung verursachte, stellten sein Andenken nach und nach in den Hintergrund, verwischt wurde es nie.


   5

   Acht Jahre waren nach dem Verschwinden Nathans vergangen. Es war im Herbst 1811, jenem unglücklichen Herbst, der mir das Teuerste entriß, meine Eleanor. Dieser Verlust, der dritte und größte, den mir Louisiana gekostet, hatte meine physische und moralische Kraft auf eine Weise gebrochen, die nur begreifen kann, wer in den Hinterwäldern gelebt hat und da seine letzte Hilfsquelle sich entrissen sieht.
   Das Leben hatte für mich allen Reiz verloren. Mit Widerwillen betrachtete ich selbst die unschuldig lächelnde Genièvre, das letzte Pfand unserer Liebe, das mich so ein großes Opfer gekostet. Um mich dieser Erschlaffung zu entziehen, schlug Lefevre einen Ausflug in die westlichen Prärien vor. James, der nun Kongreßmitglied geworden war, unterstützte freudig den Vorschlag, obwohl die Baumwollernte im Gange war. Auch einige Söhne angesehener Nachbarn schlossen sich an, und als wir am Fort von Natchitoches hielten, bat der Kommandant, uns mit mehreren seiner Leute begleiten zu dürfen.
   Bald drangen wir in das spanische Gebiet ein. Wir waren zu einem solchen Zuge sehr gut gerüstet. Und da alle Vorkehrungen durch unsere Freunde dazu getroffen waren, so genossen wir das Vergnügen mehrerer Jagden auf wilde Mustangs und Büffel ohne jene Entbehrungen, die gewöhnlich damit verbunden sind. Wir hatten Richtung auf den Rio Grande del Norte genommen und befanden uns in der mexikanischen Provinz Texas, wohl an die fünfhundert Meilen von Hause.
   Es war an einem Abend nach einer solchen Büffeljagd, daß wir an einen Hügel kamen, von dem herab wir eine herrliche Aussicht auf einen bedeutenden Fluß hatten. In einer Krümmung bildete er eine große, wohl an die zehn Meilen lange und breite Halbinsel. Wir hielten überrascht über die außerordentliche Schönheit des herrlichen Landstriches, dem selbst in Louisiana nichts vergleichbar war. Noch erstaunter aber wurden wir, als wir zwischen den Gruppen der mächtigen Bäume Wohnungen, Pflanzungen, kurz eine richtige Niederlassung erblickten.
   Ich riß das Fernrohr heraus und hatte es noch nicht vor die Augen gebracht, als unsere indianischen Führer bereits »Amerikaner!« riefen. Es war eine amerikanische Niederlassung.
   Wir verhielten nicht lange. Mit Ausrufen der Überraschung eilten wir alle, so schnell wir es vermochten, den Hügel hinab, drangen durch den Wald und kamen am Ufer des Flusses an. Einige Schüsse machten die Bewohner der nächstgelegenen Pflanzung am jenseitigen Ufer auf uns aufmerksam. Ein Boot mit zwei jungen Männern kam herüber.
   Die Männer, uns sehen, »Colonel!« und »James!« schreien, ans Ufer springen, und wir ihnen entgegen: das war eins! Einer von ihnen war Joshua, der jüngste Sohn Nathans. Eine halbe Stunde darauf schlossen wir den alten Regulator, unseren lieben, unvergeßlichen Nathan, in die Arme.
   Er war wieder mit Nollins Regulator, hatte wieder ein Blockhaus, das aber mehr Fort genannt werden konnte, erbaut und endlich hier vor allen Landspekulanten, Sheriffs und Schreibern Ruhe gefunden.
   Und lebt da als Regulator, Präsident, Gouverneur, kurz als Oberhaupt von nahe an tausend Ansiedlern, östlich von seiner Niederlassung hat ein gewisser Stephen Austin Austin gründete 1821 eine Siedlung zwischen dem Brazos und Colorado River, 1835 rief er zum »Freiheitskampf« gegen Mexico auf, 1836 starb er im Alter von 43 Jahren. eine zweite Kolonie gegründet, aber den eigentlichen Nerv des werdenden Staates bildet die seinige.



   Das Wiedersehen

   Graf de Vignerolles erhob sich, alle übrigen blieben sitzen. Während die beiden jungen Franzosen in begeistertes Lob über die köstliche Erzählung und den »Squatter admirable« und so weiter ausbrachen, blickte Howard sich um. Wohl! Diese Squattergeschichte hatte einen tieferen Hintergrund, als man beim ersten Blick gewahr wurde. Lassalle und Hauterouge schienen derselben Meinung zu sein. Sie schauten den Grafen und dann Howard an.
   »Und Nathans Pläne?« fragte dieser nach einer Weile.
   »Ah, seine Pläne!« nahm Lassalle das Wort. »Seine Pläne! Er ist wohl der Mann, es mit dem Schicksal aufzunehmen, aber nicht seine Pläne laut werden zu lassen. Die Zeit wird sie enthüllen. Sie reifen jedoch, verlassen Sie sich darauf, und werden Früchte bringen. Welche aber? – Das weiß der Himmel!«
   »Und glauben Sie, es wird ihm in Texas gelingen, was ihm in Louisiana durch das Zuvorkommen der Regierung vereitelt wurde?«
   »Gerade Texas ist der Schauplatz für solche Unternehmungen! Eine dünne Bevölkerung, im ganzen Land kaum zehntausend Seelen.«
   »Und Sie glauben, daß er einen solchen Riesenplan nährt?«
   »Ich versichere Ihnen, es ist nicht mehr Riesenplan; mehr als zur Hälfte ist er bereits verwirklicht. Die Niederlassung zählt über tausend Köpfe, ist ein förmlich eingerichteter kleiner Staat.«
   »Sahen Sie Nathan seit dieser Zeit?«
   »Zweimal. Mit Ausnahme eines Sommers, den er in Frankreich zubrachte, verlebte der Graf regelmäßig die heißen Monate bei Nathan. Er hat in der Tat eine außerordentliche Gewalt über Vignerolles und ist die Hauptursache dafür, daß der Graf nicht mehr nach Frankreich zurückgekehrt ist. Auch Demoiselle Genièvre brachte mehrere Male die ungesunde Jahreszeit dort zu, ehe sie in die Erziehungsanstalt nach Frankreich ging. Obwohl unter demselben Breitengrad wie New Orleans, ist das Klima dort eines der gesündesten und angenehmsten auf der Erde.«
   »Wie? Demoiselle Genièvre? Der Graf wagte sich mit ihr auf die rauhen Wege und unter die Indianer?«
   »Es führt eine ziemlich gute Straße, wie Sie wissen, von Nacogdoches nach Antonio de Bexar, und von da ist es nicht viel mehr als hundert Meilen. Der Weg geht über Prärien und einen prachtvollen Landstrich. Auch sandte Nathan jedesmal eine Bedeckung nach Antonio de Bexar, und gewöhnlich schloß sich der eine oder andere Offizier vom Fort der Gesellschaft an.«
   Seltsam, in der Tat seltsam diese Freundschaft, dachte Howard. Es geht jedoch Leuten, die lange in überfeinerter Gesellschaft gelebt haben, geradeso wie jenen Mägen, die, durch überwürzte Speisen verdorben, bloß in der natürlichen, einfachen Kost Wiederherstellung finden und, einmal an diese gewöhnt, mit Ekel an den Hochgeschmack ihrer vorigen Schwelgerei denken.
   Je länger er über diese Squattergeschichte nachdachte, desto sonderbarer erschien sie ihm. Er hatte von ihr schon gehört, und sie mochte Grundlage zu etwas werden, das leicht der ganzen Union ein nur zu starkes Herzklopfen verursachen, ja das Gleichgewicht zwischen Süden und Norden zerstören konnte! Eine Feder mochte jetzt das Züngelchen emporschnellen. Ein paar tausend Squatters in diese menschenarmen Gegenden geworfen, und der Strom der Auswanderung zog sich so pfeilschnell hin! In weniger denn zehn Jahren mochte es da einen neuen Staat geben, und dann?
   Doch der Graf schien unruhig zu werden. Er schritt heftig auf und ab, eilte zum Fenster, riß die Flügel auf und warf die Jalousien auseinander. Er bog den Kopf hinaus, seine Augen bohrten sich suchend in die sternenhelle Nacht.
   »Vignerolles! Was tust du? Du bist erhitzt! Die Nachtluft!« schrien Lassalle und Hauterouge und sprangen auf.
   Er sah nicht, er hörte nicht. Er wehrte die Freunde ab und starrte hinaus. Nur mit Mühe gelang es ihnen, ihn vom Fenster wegzuziehen. Im Augenblick, als sie dieses schließen wollten, ließ sich etwas wie entferntes Pferdegetrappel hören. Alle horchten. Richtig, es waren Pferdehufe, die sich im raschen Trott näherten. Der Graf horchte einen Augenblick und lief dann zur Klingel, die er heftig zog.
   »Sie kommen! Sie kommen!« rief er wie außer sich dem eintretenden Papa Menou zu.
   »Gott sei Dank!« Menou zerrte nun seinerseits an der Schnur, als ob Feuer auf dem Dach brannte. Und Hausneger und Negerinnen stürzten herbei mit Fackeln, Lichtern und Laternen. Ihnen auf den Fersen folgten Luise und Genièvre und Maman.
   »Ihr seid noch auf, Luise? So lange aufzubleiben! Das heißt doch wirklich ...«
   »Nicht wahr, George? Du dachtest mich im Bett?«
   Sie schlang den Arm um Genièvre, und beide liefen auf die Piazza hinaus. »Sie kommen! Sie kommen! Sie sind bereits am Hofgitter!« riefen sie durch die Salontür herein.
   »Sie kommen!« fielen nun alle im Chor ein und stürmten der Piazza zu, voran die Lichter und Fackeln.
   Wer zum Teufel mochte das wohl sein? Das war doch seltsam, fürwahr seltsam! Wer konnte es sein, dem zu Ehren man bis drei Uhr morgens das ganze Haus wach erhielt? Es schien ein ziemlich zahlreicher Besuch, wenigstens ein halbes Dutzend Reiter.
   »Das ist Papa!« rief Genièvre recht kindlich froh. »Papa! Willkommen, Papa!«
   »Papa? Haben Sie einen zweiten Papa gefunden, Mademoiselle Genièvre?«
   Sie sah Howard ernst an und eilte die Stufen der Piazza hinab, mitten zwischen die Pferde hinein, auf einen der abgestiegenen Reiter zu und fiel ihm um den Hals. Ihr eilte der Graf gleich hastig nach, lief, rannte – beinah ungräflich. Die Tochter hing dem Mann auf der rechten Seite des Halses, der Vater auf der linken. Er bückte sich, um sich erreichen zu lassen. Beide herzten, küßten die groteske Riesengestalt.
   »Luise, wer ist das, dem ein so beneidenswerter Empfang zuteil wird? Wer ist das, Papa?«
   Doch weder Luise noch Papa hatten Zeit, Howard zu antworten. Kaum sahen sie den Grafen der vorsintflutlichen Riesengestalt seine französische Umarmung darbieten, so eilten auch sie darauf los, ihre Begrüßung gleichfalls anzubringen. Howard lief hinterdrein.
   »Wer ist der Mann, Luise?«
   »Hast du denn nicht gehört?«
   »Was? Wer ist es?«
   »Gleich, lieber George!«
   Und fort war sie.
   Ralph Doughby lief Howard in den Weg.
   »George, lieber Schwager, wo ist Julie?«
   »Wer ist der Mann?« fragte Howard dagegen.
   »Aber ich sehe Julie nicht!«
   Und fort eilte der Tollkopf, seine Frau zu suchen. Würde sie finden – im Bett. Julie ließe sich aus ihrer geliebten Ruhe nicht aufstören, und wenn Napoleon selbst käme. Aber es schien wirklich, als ob eine Art Bonaparte dem Haus die Ehre eines Besuches antäte.
   Alles war durcheinander. Ein Rennen, Laufen und Ehrfurchtsbezeigen vor dem Nimrod. Selbst die beiden jungen Franzosen standen und verneigten und verbeugten sich, als ob hinter ihnen ein Männchen stünde, das sie am Draht zöge.
   Howard erwischte Papa Menou.
   »Aber Papa, sag mir doch, wer ist der Mann?«
   »Oh, ein Mann, der alle Achtung verdient! Ein gewaltiger Mann!«
   »Aber wer ist er?«
   »Gleich, lieber George! Muß nur sehen ...« Und fort war er.
   »Hat wohl je einer so etwas gesehen?«
   Aber da kam endlich einer, der Howard Rede stehen würde.
   »Richard! So außer Atem! Warst du fort?«
   »Gewiß! Hast du denn nicht bemerkt, daß ich hinausgerufen wurde, während der Graf einmal seine Erzählung kurz unterbrach?«
   »Ich muß gestehen ...«
   »Wie?« lachte Richard. »Du hast es gar nicht gemerkt? Es war gleich nach dem Bericht vom Zypressensumpf. Ich wurde gebeten, einen Gast aus dem Norden abzuholen und – nun, da bin ich wieder!«
   »Du hast diese Reiter hierhergebracht? Dann sag mir doch um Himmels willen: Wer ist dieser Mann im Lederwams, dem man Ehren erzeigt, als ob ...«
   »Er soll ein Regulator aus Texas sein.«
   »Ein Regulator aus Texas? Doch nicht Nathan Strong?«
   »Ein Mister Strong, ja, der gewaltige Dinge in Texas vollbracht hat. Soll ein gewaltiger Mann sein, ein alter Busenfreund des Grafen.«
   Das also war der alte Nathan!
   Nathan hier!
   George Howard mußte den Squatterhelden näher beschauen.
   Er war‘s auf alle Fälle wert.
   Eine Ehrfurcht gebietende Gestalt, an der wenigstens achtzig Jahre vorübergegangen waren. Die Züge traten stark hervor, derb antik, beinah großartig. Stirn und Wangen waren wie mit Eisenrost und Moos überzogen, aber nicht abgelebt, nicht widerlich, im Gegenteil. Man schaute tief beeindruckt in dieses bemooste wie rostige Antlitz und in die grauen Augen, deren fester Blick noch zahllosen Squatterfährlichkeiten ruhig entgegensehen zu können versprach.
   Ein wirklich herrliches Musterbeispiel eines Squatterhäuptlings!
   Und ein herrlicheres Bild, wie er jetzt, den Grafen auf der einen Seite, die Tochter auf der andern, den Stufen der Piazza zuschritt. Es war etwas ungemein Liebliches in dem Gegensatz, den die drei darboten. Alle wichen beinah ehrfurchtsvoll zurück, um dem Kleeblatt Platz zu machen.
   Als sie nun in den Salon einzogen, sprang Luise vor und häufte auf dem Sofa die Kissen zusammen, um dem alten Mann den Sitz recht weich zu machen. Und Genièvre und der Graf ließen ihn so sorgsam nieder! Wäre er ein Urgroßvater, die Zärtlichkeit könnte nicht größer sein.
   »Und nun geschwind eine kleine Erfrischung vor dem Schlafengehen! Tee, oder vielmehr ein Glas Madeira, ist dein Schlaftrunk? Nicht wahr, Papa?« lächelte Genièvre. »Du siehst, ich hab‘ es nicht vergessen. Es ist schön, daß du uns auch nicht vergessen hast!«
   »Weiß es, mein lieber Engel!« erwiderte Nathan. »Habe nicht vergessen, wie du siehst. Mußte doch kommen, obwohl zu Hause meine Gegenwart auch nicht überflüssig wäre. Kalkulierte aber, wäre hohe Zeit, wenn ich noch vor meinem Abzug dahin, wo wir alle hin müssen, um nicht wiederzukehren, euch und die Meinigen, die zurückgeblieben sind, und euer Treiben und eure Wirtschaft sehen wollte. Wollte mein Land und die Meinigen und die mir Teuren noch einmal in ihrem eigenen Hause sehen. Und kalkulierte, daß ich nicht mehr säumen dürfte. Denn, sagt unser Sprichwort, junge Leute können sterben, alte müssen.«
   »Das wird hoffentlich noch weit hinaus sein, lieber Nathan!« sagte der Graf.
   »Hab‘ die Notion, ist immer gut in meinen Jahren, sich darauf gefaßt zu machen, lieber Colonel, wenn man so die Achtzig auf den Schultern hat. Bin aber gefaßt, habe meine Schuldigkeit getan, so gut ich es vermochte, kalkuliere ich, obwohl auf meine Weise. Und ist ja das alles, was man tun kann. Sagt ja die Schrift selbst, daß einige berufen sind zu Aposteln, andere zu Evangelisten, wieder andere zu anderen Dingen. Hat mich der Herr zum Squatter berufen, und habe als solcher getan, was ich konnte, mir und meinen Mitmenschen und der künftigen Generation zum besten.«
   »Das haben Sie, teurer Freund!« fielen der Graf und alle einstimmig ein. »Das haben Sie! Viel haben Sie getan in Ihrer Art und Weise.«
   Doch der alte Nathan erhob sich jetzt vom Sofa und stieß mit dem Grafen und dann mit Lassalle und Hauterouge und allen an. Sie tranken schweigend. Die wenigen Worte zeigten bereits den Charakter des Mannes. Ein wahrer Charakter noch aus der alten Zeit, dachte Howard, nicht durch das Geldmäkeln, Wuchern der heutigen Tage verdorben. Es war etwas Patriarchalisches in seinem ganzen Wesen. So müssen die alten Patriarchen gedacht, gesprochen, gehandelt haben, mit dieser Kraft und Natürlichkeit, diesem Gott vertrauenden Sinn.
   Nathan verließ nun das Sofa, um sich zur Ruhe zu begeben. Howard sah ihm nach. Ruhe sanft, alter Mann, der du der Stürme in deinem Leben so manche erfahren, dem der Ungewitter so manche um den Scheitel gesaust sein mögen! Schlafe wohl! Der du aus dem Schlamm des Squatterlebens, in dem so viele tausende erstickt, dich emporgearbeitet hast und deinen Nächsten und den künftigen Generationen Grundstein zu einem besseren Dasein wurdest, den göttlichen Funken bewahrtest und deinen niederen Lebensbereich zu veredeln gewußt hast. Schlaf wohl!
   Die anderen blieben noch auf einige Augenblicke, um auch mit den übrigen Gästen ein paar Worte zu wechseln. Es waren noch zwei Enkel Nathans mitgekommen, stattliche junge Männer. Dann nahmen auch sie Abschied, wünschten sich allseitig gute Nacht. Gerührt, wirklich gerührt, schlichen, trippelten alle ihren Schlafgemächern zu.

 //-- * * * --// 
   Als Howard am späten Morgen die Augen rieb, fand er Luises Bett leer und sie über alle Berge. Er warf sich in den Schlafrock, und die Erzählungen der Nacht traten wieder vor den beschauenden Blick. Und während er an Nathan und Vignerolles dachte, schlüpfte Luise herein, ihr Gesicht strahlend von wichtigen Tagesneuigkeiten; ihr auf der Ferse folgte die Kammerzofe.
   »O du Siebenschläfer! Das ganze Haus ist im Salon, im Park und im Garten! Und nur du ...!«
   »... im Schlafrock! Und das werden die anderen auch noch sein.«
   »Nichts dergleichen, alle sind bereits in Gala, der Papa, die Maman, der Graf. Wir müssen uns beeilen mit Ankleiden.«
   »Was, in Gala? Der Papa, die Maman?«
   »Alles gratuliert, hat bereits gratuliert. Die Sache ist abgetan.«
   »Was ist abgetan?«
   »Mein Gott, was ist abgetan!« rief sie ungeduldig. »Mein Bruder Charles und Eleanor Ducalle feiern heute ihre Verlobung.«
   »Das hättest du mir doch schon längst erzählen können! Ich ahnte doch, daß da etwas im Gange war. Aber du und der Papa seid allen meinen Fragen ausgewichen und habt ein Geheimnis darum gemacht ...«
   »Man muß nicht alles wissen, bevor es soweit ist! Charles und Eleanor lieben sich ja schon von Kindesbeinen an, nur war sie ihm seit den letzten fünf Jahren aus den Augen gerückt, weil sie mit Genièvre in der Abtei in Paris war, wo beide ihre Erziehung erhielten. Heute ist nun die Verlobung, die Hochzeit soll zu Weihnachten stattfinden. Aber das ist noch nicht alles. Ahnst du nicht? Auch Genièvre!«
   »Genièvre? Was ist mit ihr?«
   »Auch mit ihr ist‘s richtig. Darum kam d‘Ermonvalle von Europa herüber. Sie erhält die Besitzungen des Grafen in Frankreich und eine bedeutende Summe, um die Familiengüter wieder herzustellen. Der Graf behält sich nur das vor, was er in Louisiana erworben hat.«
   »Der Graf ist wirklich ein Ehrenmann, das beweist auch seine unwandelbare, jeden aristokratischen Dünkel so ganz verleugnende Freundschaft für Nathan.«
   »Ah, Nathan! Weißt du aber, daß dieser Nathan auch ein gewaltig reicher, großer Mann ist, für den auch ein Graf Freundschaft haben kann, ohne sich etwas zu vergeben?«
   »Gewaltig reicher, großer Mann, der Squatter-Regulator?«
   »Er ist kein Squatter mehr. Er ist jetzt Besitzer eines Landstrichs von mehreren hunderttausend Acres, eines Landstrichs, größer als irgendein Parish in Louisiana.«
   »Besitzer aus eigener Machtvollkommenheit, solange ihn die Mexikaner nicht weitertreiben.«
   »Nein, er hat für sein Land, das mehrere zwanzig Stunden lang und breit ist, von der mexikanischen Regierung eine Schenkung erhalten.«
   »Das wäre! Und wie hat er dieses Wunder bewirkt?«
   »Erinnerst du dich des jungen Mexikaners, der früher in unserm Hause so zurückgezogen lebte? Er war einer der mexikanischen Generale, die in der vorletzten Revolution zu flüchten gezwungen wurden. Es gelang ihm, nach Texas zu entkommen, wo ihn aber seine Verfolger einholten. Ohne die Dazwischenkunft Nathans wären er und die Seinigen ermordet worden. Nathan vertrieb die Verfolger und behielt den General und seine Frau mehrere Wochen lang bei sich. Dann sandte er ihn zum Grafen Vignerolles, der ihn wieder Papa vermachte, weil von hier die Verbindung mit Mexico leichter ist. Gerade an unserm Trauungstag kam die Nachricht, daß eine neue Revolution seine Partei wieder an die Spitze gerufen hat. Noch am selben Tag brach er auf und ging über die Grenze. Einige der Söhne und Enkel Nathans begleiteten ihn bis tief ins mexikanische Gebiet, und zum Dank erhielt Nathan vor einigen Wochen die Schenkung.«
   Und während sie berichtete, wurde sie ungeduldig unter den Händen der Zofe. Sie zuckte und wand und drehte sich. Aber so wichtig das Schönmachen war, der Bericht war es noch mehr. Alles mußte zuerst heraus, ehe das Ankleiden zu seinem Recht kam.
   »Holla, Howard!« rief es von der Tür. »Noch nicht segelfertig?«
   »Das ist der tolle Doughby!«
   »Alles ist in Jubel und Glorie, lieber Schwager! Bräute und Bräutigams in Hülle und Fülle. Alle fragen, wo ihr steckt.«
   »Wir kommen, wir kommen, lieber Ralph! Nur einen Augenblick Geduld!«
   Endlich war die letzte Nadel angesteckt, und sie zogen aus, die Herrlichkeiten zu sehen.
   Der erste, der ihnen in den Weg kam, war der alte Amadée, in der allergrößten Gala, mit einem riesigen Blumenstrauß.
   Dann rannte Papa Menou sie an.
   »Wo seid ihr, Kinder? Geschwind, das Frühstück wird gleich aufgetragen.«
   Dann stürmte Hauterouge an ihnen vorbei.
   »Ah, teure Luise! Liebster Howard! Kommen Sie doch!«
   Und ein Dutzend mehr schwirrten an ihnen vorbei und dem Garten zu.
   Und im Garten flimmerte und rauschte es in lauter festlichen Kleidern. Genièvre und d‘Ermonvalle und Eleanor und Charles, und rund um sie eine so liebliche bewegliche Blumenwelt. Als sie sich jetzt der Piazza zu bewegte, von der die Glocke das Zeichen zum Frühstück gab, blieb Howard einen Augenblick still stehen, um sie zu betrachten.
   Der alte Nathan ragte wie eine tausendjährige Lebenseiche über die ihn umgebende Pflanzenwelt empor, ein ehrwürdiges Bild unverwüstlicher Kraft, unbezwingbarer Ausdauer. Er stach in seinem Lederwams so grell gegen die eleganten Herren und die allerliebst um ihn herumtrippelnden und schwebenden Dämchen ab, aber in den eisernen Zügen, den mild leuchtenden Augen und der unbeschreiblichen Ruhe, die über sein ganzes Wesen ausgegossen war, lag wieder etwas so eindrucksvoll Ehrwürdiges, wie die verkörperte praktische Lebensweisheit, die Selbsterziehung je zuwege gebracht. Howard wurde nun das innige Verhältnis des Grafen zu ihm klar. So schlingt sich die Rebe um den kräftigen Stamm.
   Schweigend drückte Howard dem Grafen die Hand, sein Blick sprach mehr als seine Worte. Es herrschte eine mehr feierliche als fröhliche Stimmung, wie bei Leuten, die nach langen Stürmen endlich in den Hafen eingelaufen sind und erst allmählich ihre Lustigkeit wieder gewinnen.
   So waren alle in stiller Freude in den Saal eingezogen, still hatten sie die Sitze genommen.
   Da erhob sich nach einer Weile Nathan lang und langsam, in seiner Hand das gefüllte Madeiraglas. Alle schauten den Greis erwartend an.
   »Mitbürger und Mitbürgerinnen! Freundinnen und Freunde! Erlaubt mir ein paar Worte zu sagen. Habe von achtzig Jahren fünfzig verlebt, ohne zu kennen, was man einen Herzensfreund, einen sich selbst vergessenden Freund nennt, einen Freund, treu bis in den Tod. Hatte zwei Freunde, auf die ich mich immer verlassen, und die mich auch nie verlassen. Und war der eine ... der große Freund droben, und war der andere ... mein Selbst. Und waren das die beiden einzigen wahren Freunde, und kalkulierte nicht, daß es noch einen dritten geben könnte. Gab aber einen dritten, und zwang sich dieser dritte in mein Herz ein und in meine Seele und lehrte mich etwas kennen, das ich auf dieser Erde nicht kennengelernt hatte: wahre Freundschaft. Und sind nun dreißig Jahre her, daß ich kenne, dreißig Jahre, daß ich weiß, was Freundschaft ist, was ich in meinen früher verlebten fünfzig Jahren nicht gekannt, nicht gewußt. Und preise ich diese glücklichen Kenntnisse und will sie in Ehren halten alle Tage meines Lebens, und sollen es meine Kinder. Teurer Freund, lieber Colonel! Bevor ich jetzt meinen Glückwunsch bringe auf das Wohl deines Kindes und der Brautleute hier, laßt mich trinken auf die Fortdauer unserer Freundschaft hier und dort droben!«
   »Hier und dort droben!« fielen alle gerührt ein, während die beiden schluchzenden alten Freunde sich umschlungen hielten.