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|  Balduin Mollhausen
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|  Der Vaquero
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   Balduin Möllhausen
   DER VAQUERO


   Erstes Kapitel

   Kansas, einer der jüngeren Staaten der nordamerikanischen Union, wird von dem in den Missouri mündenden Strome gleichen Namens von Westen nach Osten durchschnitten. Auf dem östlichen Fünftel schmücken dichte Waldungen mit kurzen Unterbrechungen seine Ufer und Thäler. Je weiter westlich, um so mehr schwinden sie, bis endlich die unbegrenzte Prairie in ihrer Eintönigkeit sich vor dem ermüdeten Auge ausdehnt. Auch der Arkansas ragt im Südwesten in den genannten Staat hinein und vermehrt mit seinen ungezählten Zuflüssen dessen Wasserreichtum.
   Heute ist Kansas, so weit die Bodengestaltung es begünstigt, verhältnismäßig dicht bevölkert. Außerhalb dieser Gebiete ziehen kluge Spekulanten ihren Gewinn aus zahlreichen Rinderherden, die auf den endlosen Grassteppen unter der Aufsicht verwegener Hirten, der sogenannten Vaqueros oder Cowboys, eine Art Wanderleben führen.
   Schon frühzeitig hatte Kansas mit seinen verheißenden Fluren Ansiedler, vorzugsweise Squatter, angelockt, die auf die von ihnen nach Willkür in Besitz genommenen Ländereien das Vorkaufsrecht behaupteten, sobald die Regierung sie zu dem gesetzlichen Preise auf den Markt brachte. Da aber die Spekulanten vielfach nach Quadratmeilen zu berechnende Bodenflächen über die Köpfe der Squatter hinweg an sich brachten, diese dagegen nicht willens waren, Jahre hindurch im Schweiße des Angesichts eine Heimstätte zur Blüte gebracht zu haben, um schließlich vertrieben oder, bei Vereinbarung über Entschädigungssummen, in schamloser Weise geprellt zu werden, so konnte nicht ausbleiben, daß Zusammenstöße erfolgten, bei denen Büchse und Revolver nur zu oft das entscheidende Wort führten.
   Derartige Feindseligkeiten verschärften sich und gewannen an Umfang, als die südlichen Sklavenbarone, begünstigt durch die Präsidenten Pierce und Buchanan, den Gesetzesparagraphen, laut dessen die Sklaverei nicht über den sechsunddreißigsten Grad nördlicher Breite ausgedehnt werden durfte, zur Schmach des ganzen Kontinents umstießen. Solches geschah im Jahre 1855.
   Um nach voraussichtlicher Aufnahme des »Kansasterritoriums« in den Staatenbund bei der Verfassungsfrage die Mehrzahl der Stimmen auf ihrer Seite zu haben, überschwemmten die Sklavenbarone nunmehr das Territorium mit gedungenen Abenteurern und Freibeutern. Diese galten als Ansiedler und waren dazu berufen, die bereits ansässigen Kolonisten zu bedrängen, bis endlich der Norden zu einem ähnlichen, jedoch auf ehrenwertere Elemente gestützten Verfahren sich aufraffte. Das Jahr 1859 brachte darauf die Entscheidung. Kansas wurde nicht nur von der eigenen Bevölkerung, sondern auch von dem Kongreß in Washington als Staat der freien Arbeit anerkannt.
   Es war in einem der letzten Jahre, in denen die Südstaatler zur Eroberung eines neuen Feldes für die Sklaverei ihre ungesetzlichen, von Raub, Mord und Brand begleiteten Anstrengungen verdoppelten. Dem Mai hatte der erste Sommermonat sich angereiht, und in ihrem prächtigsten Schmuck prangten Wälder und Fluren, als ein einsamer Reiter von Süden her dem Smoky-Hill-Fork, dem südlichen Hauptarm des Kansasstromes, sich näherte.
   Auf dem Rande der Prairie anhaltend, sandte er einen forschenden Blick über das tiefer gelegene, sich weithin erstreckende liebliche Thal. Länger betrachtete er eine steil in den Aether emporsteigende dünne Rauchsäule, die gegen anderthalbtausend Schritte stromaufwärts der Uferwaldung zu entsteigen schien. Mehrere eingefriedigte Aecker, die hinter einem Hain hervor in das Wiesenland hineinragten, eine Anzahl weidender Rinder und ein Dutzend Pferde legten Zeugnis davon ab, daß hier, fern jeder Nachbarschaft, ein Squatter schon vor einer längeren Reihe von Jahren mit bestem Erfolg seinen Herd gegründet hatte. Nachdenklich sah der Reiter zur Sonne hinauf, die bereits vor einer Stunde über den Zenith hinweggeschlichen war, dann lenkte er sein Pferd den steilen, unwegsamen Abhang hinunter.
   Ueppig grünendes und blühendes Wiesenland, nur hie und da mit Baum– und Strauchgruppen besetzt, dehnte sich dort bis zur Uferwaldung vor ihm aus. Deren Saum sich nähernd, wendete er sich, die Umgebung fortgesetzt aufmerksam prüfend, stromaufwärts. Plötzlich richtete er sich etwas höher auf. Er war eines Baumschößlings ansichtig geworden, dessen vertrocknetes und zum Teil abgefallenes Laub der Vermutung Raum gab, daß ihm die Wurzeln fehlten. Ungesäumt ritt er darauf zu, das nach langem Marsch ermüdete Pferd unwillkürlich zu schnellerer Gangart spornend.
   Dieses gehörte zu jenen unansehnlichen Tieren, die, ursprünglich verwildert, allen vom Wetter und den Jahreszeiten abhängigen Einflüssen ausgesetzt bleiben, bis sie endlich einen Herrn finden, der es versteht, sie zu bändigen und ihre wunderbare Zähigkeit, Ausdauer und Schnelligkeit sich dienstbar zu machen.
   Beim ersten Anblick erzeugte es den Eindruck, als hätte es unter der ihm aufgebürdeten Last zusammenbrechen müssen, schritt aber einher, als wäre sein Reiter nicht schwerer gewesen, als die vertrockneten Blätter, die trübselig an dem abgestorbenen Schößling hingen. Und ein gewichtiger Reiter war er. Eine Handbreite über die gewöhnliche Größe hinausgewachsen, zeigte er einen Körperbau, der einem Preisringer zur Ehre gereicht hätte. Gekleidet war er nach Art der Steppenjäger. Ein verschossenes blaues Flanellhemd hing lose um die breiten Schultern. Die Aermel hatte er bis über die Ellenbogen aufgerollt, dadurch Muskeln bloßlegend, die wie aus Stahl zusammengeschweißt erschienen. Indianisch befranste Lederbeinkleider reichten bis zu den büffelledernden Mokassins und den schweren mexikanischen Schnallsporen nieder. Ein formloser grauer Filzhut mit breiter Krempe beschattete sein sonnenverbranntes, jugendlich mannhaftes Gesicht, dessen gefällige, wenn auch unregelmäßige Formen durch einen verwitterten hellblonden Vollbart noch gewannen.
   Ein eigentümlicher Ausdruck trotzigen Selbstbewußtseins, wie es bei weniger geschulten Gemütern durch das Gefühl außergewöhnlicher Körperkratt bedingt wird, charakterisierte das Antlitz des wohl kaum fünfundzwanzigjährigen Reiters. Aehnliche Regungen verrieten seine blauen Augen, die zuversichtlich und zufrieden vor sich hin blickten. Das Seltsame seiner Erscheinung wurde dadurch erhöht, daß eine blonde lockige Mähne unter dem Hut hervorquoll und mit dem unteren verblichenen Ende bis auf die Schultern niederfiel. Vor ihm auf dem Sattel ruhte eine Büchse. Revolver, Beil und Messer beschwerten seinen Gurt. Außerdem führte er hinter sich auf der Kruppe des Tieres eine zusammengeschnürte, grellfarbig gestreifte Decke mit sich, die zugleich Mantelsack, wie in den geräumigen Satteltaschen Mundvorrat und Schießbedarf. Das war seine ganze Ausrüstung, darauf berechnet, die Prairie von einem Ende bis zum anderen zu kreuzen.
   Vor dem verdorrten Schößling sprang er zur Erde. Mit flüchtigen Griffen entledigte er das Pferd des Sattels und Zaumzeugs. Nur den Lasso befestigte er an seinem Halse, so daß er in ganzer Länge nachschleifte, und die feuchte Rückenhaut zärtlich streichend, sprach er in tiefem Schmeichelton:
   »Billy, Billy, wenn du nicht der feinste vierbeinige Gentleman bist, der je in zweimal vierundzwanzig Stunden seine hundertundzwanzig englische Meilen zurücklegte, will ich zum letztenmal den Fuß in einen Steigbügel gestellt haben.«
   Das Pferd wieherte leise und kehrte die Nüstern dem Flusse zu.
   »Deine Zunge ist trocken; kann's mir denken,« hieß es weiter, »so mach, daß du hinkommst, und übernimm dich nicht.«
   Ein leichter Schlag mit der flachen Hand traf das Pferd, welches alsbald in die vor ihm befindliche, tief ausgewühlte Regenfurche hinabglitt und eilfertig dem Wasser zuschritt.
   Auch der Reiter begab sich hinunter, und vor den Schößling hintretend, legte er genau sechsunddreißig Schritte in entgegengesetzter Richtung zurück. Dort betrachtete er das linke Ufer aufmerksam. Er brauchte nicht lange zu suchen. Ein aus dem Erdreich hervorragender Stein gab dem auf ihn ausgeübten Druck nach und fiel ihm entgegen. Es wurde dadurch eine in die Uferwand ausgescharrte Aushöhlung bloßgelegt. Wilde Begeisterung sprühte aus seinen Augen, indem er, wie zuvor zu dem Pferde, eigentümlich sanft vor sich hin sprach:
   »Schon allein um des braven Viehs willen sollst du tausendmal gesegnet sein.«
   Er griff in die Höhle hinein und zog zunächst einen zerknitterten Streifen altes Packpapier hervor. Nachdem er ihn geglättet hatte, las er die wenigen Zeilen, die groß und unbeholfen, wie von Kinderhand, mit einer zugespitzten Holzkohle niedergeschrieben waren: »Gleichviel, wann du kommst, suche mich nicht vor Sonnenuntergang,« lauteten die Worte.
   Vernehmlich lachte der Reiter vor sich hin. Der Zettel verschwand in den Falten des Flanellhemdes, und weiter beschäftigte er sich mit dem Inhalt der Höhle. Achtzehn aus ihren Hülsen geschälte Maiskolben zählte er vor sich hin, ohne indessen den Vorrat zu erschöpfen. Behutsam schloß er das Versteck wieder, und die Maiskolben zusammenraffend, begab er sich nach der Stelle hinüber, wo er das Sattelzeug niedergelegt hatte. Mit einem gewissen Behagen ordnete er sie im Schatten des über ihn hinwegragenden Baumwiptels, als das kreischende Wiehern, Schnauben und Stampfen seines Pferdes ihn störte. Wie ein Blitz schnellte er empor, und die Büchse ergreifend, eilte er an den Fluß. Zunächst hatte er einen Gehölzstreifen zu durchschneiden. Kaum aber erhielt er die Aussicht über eine bis zum Ufer reichende Lichtung, als er einen wilden Fluch ausstieß, dem alsbald lautes höhnisches Lachen folgte. Er war zweier Strolche der verworfensten Art ansichtig geworden, wie solche damals jene Gegend in Fülle durchstreiften, die eben im Begriff waren, sich seines Mustangs zu bemächtigen. Beide hielten den Lasso, jedoch mit keinem anderen Erfolg, als daß das gewürgte Tier sich wie rasend gebärdete und sie mit den stets schlagfertigen Hufen bedrohte, so oft sie versuchten, sich ihm zu nähern.
   Auf das höhnische Lachen ließen sie den Lasso fallen, und dem jungen Reiter sich zukehrend, waren sie im Begriff, ihre zuvor niedergelegten Büchsen wieder an sich zu nehmen, als jener ihnen mit nicht mißzuverstehendem Ernst zurief:
   »Stehen geblieben, in der Hölle Namen! Wer den ersten Schritt thut, ist ein toter Mann!«
   »Keine Ursache zum Schießen, wenn jemand 'nen herrenlosen Gaul um das Woher und Wohin betragt,« antwortete der eine Wegelagerer herausfordernd.
   »Erstens ist ein Gaul mit 'ner Fangleine am Halse nicht herrenlos,« versetzte der Reiter gelassen, »dann aber, da er selbst keine Auskunft erteilen kann, werd' ich's an seiner Stelle thun. Legte ich euch beide mit durchlöcherten Schädeln auf den Rasen, so befände ich mich in meinem Recht, und euch wäre geschehen, wie's zwei Pferdedieben der verruchtesten Sorte gebührte – stillgestanden, sag' ich, wenn euer Leben euch nur so viel wert ist, wie 'n ausgelaugter Tabaksknoten! Im übrigen bin ich nicht blutdürstig. Ich schenke euch sogar den Gaul, und der ist unter Brüdern seine zweihundert Dollars wert, sofern es euch gelingt, die Hand drauf zu legen, des Besteigens nicht zu gedenken.«
   »Ein gutes Angebot,« meinte der eine Strolch nunmehr lachend, »auch möcht' ich dich beim Wort nehmen, steckte weniger von 'nem Satan in dem Vieh drinnen. Und jetzt noch ein Wort in aller Freundschaft: Pferdestehlen ist nicht unser Metier; aber da erlegten wir ein Stück Wild,« und er wies nach der anderen Seite der Lichtung, »und weil der Gaul uns gerade entgegenkam, hielten wir dafür, es möchte ihm leichter werden, das Fleisch vor unser Kampfeuer zu schaffen, als uns beiden.«
   »Eine feine Ausrede,« erwiderte der trotzige Bursche, in die bezeichnete Richtung schauend, »aber des Henkers will ich sein, wenn ich je in meinem Leben von 'nem scheckigen Hirsch hörte.«
   »Wild ist Wild,« spottete der Strolch sorglos, »gleichviel, ob's in 'nem Kuhstall geworfen wurde oder im Gehölz.«
   »Ich vermute, Daniel Howitt, der 'ne kleine halbe Stunde Weges von hier auf seiner Scholle sitzt, denkt anders darüber.«
   »Wer ist Howitt? Was kümmert uns der samt seiner Scholle?«
   »Nicht mehr und nicht weniger, als daß das Rind bald genug in seiner Herde vermißt wird, und ich euch von Herzen gönne, von ihm und seinen Jungens eingeholt zu werden. Die knüpfen euch nämlich mit einer Gemütsruhe und Gewandtheit an den nächsten Baumast, als hätten sie's von 'nem richtigen Hängemann gelernt.«
   »Das eilt nicht,« hieß es wieder höhnisch zurück, »nebenbei gehören zum Aufknüpfen mindestens zweie; nämlich einer, der stillhält, und einer, der 's Hängen besorgt, oder ich will verdammt sein. Scheint gut befreundet mit dem verrufenen Squatter zu sein.«
   »So gut befreundet, wie mit jedem ehrlichen Manne, der Haare auf den Zähnen hat und sein Eigentum zu verteidigen weiß. Im übrigen reicht meine Freundschaft nicht so weit, daß ich die Verantwortlichkeit auf mich nähme, wenn von seiner Herde ein Stück abstreift und 'nem Unrechten in die Hände fällt. Verdammt! Auch möchte's ihm nicht gefallen, steckte ich meine Nase in seine Angelegenheit.«
   Die letzten Worte sprach er mit scharf hervortönender Erbitterung, so daß der eine Strolch sich bewogen fühlte, zu fragen:
   »Scheinst ebenfalls gegen klingende Entschädigung für die Südlichen zu reisen?«
   Schärfer betrachtete der junge Reitersmann die gegen zwanzig Ellen entfernten Freibeuter. Wie erwachendes Verständnis lugte er aus seinen ehrlichen Augen; zugleich verriet sich in dem seltsamen Blinzeln ein hoher Grad von Verschlagenheit.
   »Ich, als einzelner Mann?« fragte er nach kurzem Sinnen gedehnt.
   »Weshalb nicht? Bei allen sieben Todsünden, auf deren jeder einzelnen der Galgen steht, kommen 'ne Anzahl gesunder Jungens zusammen, so wird schließlich eine Compagnie daraus, oder ich will mir den Tod an des alten Howitt Kalb anfüttern.«
   »Da könnte ich in dieser Gegend lange suchen, um in solche ehrenwerte Gesellschaft zu geraten,« meinte der junge Hüne listig.
   »Gerade so lange, wie du Zeit gebrauchst, um mit nach unserem Kamp zu kommen, und das dauert keine drei Viertelstunden.«
   »Wieviel seid ihr eurer schon?« fragte jener, jetzt aber mit einem Ausdruck von Einfalt.
   »Ungefähr anderthalb Dutzend. Wir erwarten indessen Nachschub.«
   »Und was treibt ihr da?«
   »Wir bauen 'ne Blockhütte. Da hinein setzen sich zwei von uns, um als ansässig zu gelten. Ist die fertig, ziehen wir weiter, um auf 'ner anderen Stelle ebenso zu verfahren. Acht Farmen gründeten wir schon, und die sind am Wahltage so viel wert wie sechzehn Stimmen.«
   »Verdammt schlau,« erklärte der junge Steppenreiter, und mit der linken Hand in seiner Mähne wühlend, sah er wie unentschlossen um sich. Plötzlich belebten seine ruhigen Züge sich im Erstaunen seltsam, doch nur auf zwei, drei Sekunden, um ebenso schnell sich wieder zu glätten. Mit seinen geübten scharfen Augen hatte er hinter einem Strauch des die Lichtung begrenzenden Waldsaumes das Gesicht eines jungen braunen Eingeborenen entdeckt, der, offenbar näher bekannt mit ihm, durch ein unzweideutiges Zeichen ihn warnte, seine Anwesenheit zu verraten. »Verdammt schlau«, wiederholte er gedehnt, indem er sich den ihn sorglos überwachenden Freibeutern wieder zukehrte, »da kann es freilich nicht ausbleiben, daß die Südlichen mit dem schwarzen Arbeitsvieh festen Fuß hier gewinnen.«
   »Was ihnen sicher zu gönnen für das viele Geld, das sie unter die Jungens von unserer Sorte verteilen.«
   Abermals anscheinend zweifelnd um sich spähend, und dem versteckten braunen Jäger einen flüchtigen Blick schenkend, antwortete der Reiter, wie nach langem tiefen Sinnen, endlich verschmitzt:
   »Euch begleiten? Hol mich der Teufel, wenn das nach meinem Geschmack ist. Denn erstens ist das Holzfällen und Häuserbauen nicht von mir erfunden worden, und ferner liegt mir an Blasen in den Händen blitzwenig.«
   »Wir überarbeiten uns nicht,« warf der eine Strolch lachend ein, »und ein Bursche von deinem Gliederbau wäre gerade eine Zierde für unsere Compagnie.«
   »Mag sein, allein wie auf der einen Seite geschundene Hände mir verhaßt sind, lobe ich mir auf der anderen statt der Sklaverei freie Arbeit. Müßte ich mich indessen ernstlich an eurem Unternehmen beteiligen, so könnte es nur geschehen, um zu beobachten, wie ihr alle miteinander, eure südlichen Herren an der Spitze, gehangen werdet.«
   »Was nicht stattfindet, bevor du selber dreimal zur Hölle gefahren bist.«
   »Was zweimal zu oft wäre,« erklärte der Reiter, in sorglosem Lachen seine Mähne schüttelnd, »auch würde ich dem Teufel selber die Hölle bald so heiß machen, daß er froh wäre, mich auf gute Art wieder los zu werden. – Doch jetzt ein letztes Wort: Ist euch an einer gesunden Windpfeife gelegen, dann beeilt euch, mit eurer Beute fortzukommen, bevor der alte Howitt und seine Jungens euch den Weg verlegen. Die sind nämlich verdammt viel weniger friedlich gesinnt, als ich.« Er pfiff auf dem Finger, was zur Folge hatte, daß sein Pferd, welches hinter der Uferwand des Flusses verschwunden war, plötzlich wieder oben erschien und neben ihn hin trabte. Spöttisch grinsend sah er den beiden Strolchen nach, die auf seine Warnung zu ihrer Beute hinübereilten. Dem Indianer sich wieder zukehrend, wechselte er einige Zeichen mit ihm, auf die jener tiefer in das Gebüsch zurückschlich. Die Büchse auf der Schulter und den Mustang hinter sich, schlug der Reiter alsdann die Richtung nach seiner Raststätte ein.
   Dort eingetroffen, überwachte er eine Weile wohlgefällig, wie die harten Maiskörner zwischen den Zähnen des Pferdes krachten. Dann warf er sich auf den Rasen, und die Satteltaschen zu sich heranziehend und öffnend, hielt nunmehr auch er sein aus gedörrtem Büffelfleisch und einem steinharten Schiffszwieback bestehendes Mahl. Ein mäßiger Trunk aus der Branntweinflasche bildete den Schluß, worauf er mit einem Ausdruck des Behagens die Arme unter den Kopf schob, um sich von dem mahlenden Geräusch der Zähne des Pferdes in den Schlaf singen zu lassen. Die Strolche schien er vergessen zu haben. Noch weniger fürchtete er einen hinterlistigen Angriff. In dem Mustang besaß er eine Schildwache, die nicht hintergangen werden konnte.
   Die Sonne brannte unterdessen noch immer mit besten Kräften auf die stille Landschaft nieder. Was dem einen zu viel wurde, gewährte dem anderen Befriedigung. Senkten die Blüten erschöpft ihre Kelche, und neigten an Baum und Strauch die Blätter sich träge, so erfüllten Bienen und Käfer, rastlos einherschwirrend, die Atmosphäre mit endlosem einschläfernden Summen. Die Eidechsen hatten ihre Schlupfwinkel verlassen und sonnten sich auf Steinen, sogar auf dem glühend heißen Sattel, von dem der Schatten allmählich heruntergeglitten war, während Falter hie und da mit den gefallsüchtig gespreizten Schwingen die Sonnenstrahlen in Empfang nahmen. Der Mustang hatte sein Körnermahl beendigt und graste emsig. Der junge Reitersmann schlief noch immer fest. Erst als das abwärts weidende Pferd mißtrauisch wieherte, rieb er sich die Augen. Auf den Ellenbogen sich autrichtend, sah er dahin, wohin der Mustang spähte.
   Zweier Reiter wurde er ansichtig, die von unten heraufkamen, also das Lager der Freibeuter berührt haben mußten. So viel er in der Entfernung von etwa vierhundert Schritten zu unterscheiden vermochte, gehörten sie nicht zu den eigentlichen Steppenreisenden. Sie führten wenigstens keine Büchsen; außerdem verriet ihre Bekleidung, daß sie in Städten sich heimischer fühlten, als in der erst spärlich von Squattern belebten Wildnis. Mit dem Erfolg seines Spähens zufrieden, sank er wieder auf den Rücken. Die beiden Reiter kümmerten ihn augenscheinlich nicht mehr, als die Eidechsen, die bei seiner ersten Bewegung von dem Sattel hinunterhuschten. Erst als sie ihre Pferde vor ihm anhielten, unterzog er sich der Mühe, jedoch ohne seine Lage zu ändern, sie herablassend zu betrachten.
   Ein älterer und ein jüngerer Mann waren es, die mit ihren bis auf den Kinnbart glatt geschorenen Gesichtern den Eindruck von Leuten machten, die gewandter mit der Feder und Berechnungen umzugehen verstehen, als mit den von ihren Hüften niederhängenden Pistolen. Zutrauen erweckend erschienen sie sicher nicht; weit eher gewohnt, unter der Maske größter Menschenfreundlichkeit ihrem weniger pfiffigen Nächsten die Haut über die Ohren zu streifen. So blickte der Aeltere mit den dunklen Augen so listig unter dem breiten Panamahut hervor, wie ein ausgefeimter Beutelschneider, der geübt, jeden ihm Begegnenden betreffs des Inhaltes seiner Börse abzuschätzen. Der andere, vielleicht dreißig Jahre alt, eine kleine unansehnliche Gestalt, stand nicht hinter ihm zurück, indem, für einen aufmerksamen Beobachter erkennbar, Tücke und Habgier aus seinen wässerigen grauen Augen verstohlen hervorleuchteten, und ein Zug von Lüsternheit und Grausamkeit gemeinschaftlich mit einem abstoßenden Lächeln der Ueberlegenheit die schmalen Lippen umlagerte.
   »Hallo, Fremder!« redete ersterer den rastenden Reiter freundschaftlich an, »Sie sind wohl in dieser Gegend zu Hause?«
   »Befragte ich Sie schon, wo Sie in die Welt gesetzt wurden?« antwortete der junge Hüne wie gelangweilt, die Arme wieder unter den Kopf schiebend.
   »Das freilich nicht. Meiner Neugierde lag nur die Hoffnung zu Grunde, durch Sie über die umliegenden Ländereien etwas Auskunft zu erhalten.«
   »So gehört ihr zu den verwünschten Südlichen, die darauf aus sind, den Boden hier herum für die Sklavenzucht klar zu machen. Zwei von euren Leuten lernte ich schon kennen. Sie hatten eines ehrlichen Mannes Rind über den Haufen geschossen; da setze ich voraus, ihr kostet selber ein geröstetes Stück davon.«
   »Mit demselben Recht könnten wir mutmaßen,« versetzte der Jüngere verbissen, »daß Sie zu den Desperados zählen, die im Lande herumstreifen und den einsamen Wanderer mit den Worten: Geld oder Blut! begrüßen.«
   Ohne Mißmut zu verraten, entgegnete der trotzige Bursche: »Wäret ihr beide nicht solche jämmerliche Kreaturen, könnte mich die Lust anwandeln, euch etwas näher zu betrachten. Ich rief euch nicht, und noch weniger verspüre ich die Neigung, mich von dem ersten besten Unbekannten ins Verhör nehmen zu lassen.«
   »Wohlan denn,« nahm der Aeltere wieder das Wort, »ich bin der Landagent Baxter, und mein Freund hier ist der Richter Margin.«
   »Und ich heiße Robert King,« erwiderte dieser sichtbar ergötzt, »zwischen hier und Neumexiko bekannt als King Bob, der König aller Vaqueros, nebenbei ein Mann, der mit seinen Kindern verdammt viel barmherziger verkehrt, als ihr und euresgleichen mit den zweibeinigen Ochsen und Eseln, die dumm genug sind, euren Rat zu suchen.«
   »Rauhe Worte, Mr. King Bob,« fuhr Baxter, seinen Verdruß niederkämpfend, fort, »doch wir befinden uns hier auf einem freien Territorium, wo man keine Ansprüche an große Zuvorkommenheit erheben darf. Aber, Scherz beiseite, ich wünsche zu erfahren, ob der Rauch, der da hinter dem Waldvorsprung aufsteigt, von dem Herdfeuer eines gewissen Daniel Howitt herrührt, und die dort weidende Herde zu seiner Farm gehört.«
   Bei Nennung des Namens Howitt schnellte King Bog [Bob?] in eine sitzende Stellung empor. Argwöhnisch prüfte er die beiden Reiter eine Weile, bevor er in die Worte ausbrach:
   »Da kann ich nur mutmaßen, daß ihr mit dem Gedanken umgeht, den Daniel Howitt mit euren verfluchten Teufelsränken von seiner Besitzung zu vertreiben. Bei dem kommt ihr aber an den Unrechten, und wenn ihr mit unzerbrochenen Schädeln von seinem Hofe herunterreiten wollt, dann haltet eure glatten Zungen im Zaume.«
   »Sie kennen ihn genauer?«
   »Wenigstens hinlänglich, um euch zu gönnen, daß er seine Faust auf euch legt. Die ist nämlich verdammt knochig, und trifft die eine ihm unbequeme Nase, so gleitet sie mit der Spitze so tief in den Kopf hinein, daß sie zeitlebens den Weg nicht wieder herausfindet. Doch zieht eure Leine jetzt; ich sah und hörte genug, um euch beide zur Hölle zu wünschen.«
   Baxter zuckte die Achseln und trieb sein Pferd an. Zähneknirschend und doch von heimlicher Scheu vor dem trotzigen Gesellen beseelt, folgte Margin seinem Beispiel. Nachdem sie weit genug geritten waren, um von King Bob, der sich wieder auf den Rücken geworfen hatte, nicht mehr verstanden zu werden, bemerkte Margin mit bösem Hohn: »Dieser ungeschlachte Strauchdieb! Gerade so, wie die beiden Esel, die sich von ihm ins Bockshorn jagen ließen, ihn schilderten. Trieben sich viele von der Sorte hier herum, möchte unseren Leuten die Lust vergehen.«
   »Ist die Zeit da, so erhalten sie so starken Nachschub, daß ein paar Dutzend von seinem Kaliber nicht ins Gewicht fallen,« versetzte Baxter zuversichtlich; »man braucht ihnen nur ausreichend Whisky und eine Handvoll Dollars zu bieten, und sie stimmen für Tod und Teufel, um mit Begeisterung obenein.«
   Und weiter ritten sie in eifrigem Gespräch am Waldsaum hin, der vor ihnen eine Biegung nach Norden beschrieb.


   Zweites Kapitel

   Als die beiden Landspekulanten um das vorspringende Gehölz herumbogen, lagen vor ihnen eingefriedigte Felder mit grünenden Saaten, und im Hintergrunde ein kleines Gehöft. Da nach beendigter Frühjahrsbestellung die Ackerarbeit ruhte, hatten die Bewohner der Farm sich einer anderen Beschäftigung unterzogen, welche die beiden nahenden Reiter mit heimlichem Argwohn erfüllte. Man war nämlich ans Werk gegangen, die Zwischenräume zwischen Blockhütte, Stall und Schuppen durch starke Palissaden abzuschließen, ebenso den Vorplatz bis auf eine schmale Einfahrt fest einzufrieden.
   »Wie gefällt Ihnen das?« fragte Margin gehässig. »Hat es nicht den Anschein, als rüste man sich, irgend welchen Angriffen zu begegnen? Es müssen doch wohl beunruhigende Gerüchte hierher gedrungen sein.«
   »Den Anschein hat es allerdings,« gab Baxter zu, »allein um einen Angriff abzuschlagen, muß er zuvor unternommen werden. Ist der Mann erst darüber aufgeklärt, daß er auf meinem Grund und Boden haust, also nur noch geduldet ist, wird er sich schon bekehren. Gesetz bleibt Gesetz, oder das ganze Weltall ginge aus den Fugen.«
   Mißmutig betrachtete Margin ein halbes Dutzend älterer und jüngerer Burschen, die munter ihre Aexte schwangen und Löcher für die Pfähle gruben.
   »Er soll eine wilde, störrische Natur sein,« erwiderte er, »einer von jener granitenen Sorte, die keinen Herrn über sich anerkennt. Da seine Begriffe von Recht und Gesetz andere sind, als die der Mehrzahl vernünftiger Menschen, ist schwerlich viel Nachgiebigkeit von ihm zu erwarten.«
   »Auch der Störrischeste muß sich zum Schluß vor der Gewalt beugen,« meinte Baxter, der sich als Herr auf seinem Eigentum fühlte, leichtfertig; »und er wäre nicht der erste, der, um seine Heimstätte zu einem mäßigen Preise zu retten, für Einführung der Sklaverei stimmte, sogar seinen Einfluß bei den Nachbarn, und den soll er in hohem Grade besitzen, ausnutzte, daß sie sich ihm anschlössen.«
   »Was heißt Nachbar, wenn es eine Stunde guten Reitens erfordert, um den nächsten zu besuchen?«
   »Um so besser. Säßen sie so nahe bei einander, wie die Bienen in ihrem Bau, möchten sie sich zusammenrotten und bald hier, bald hört den Unserigen das Leben sauer machen.«
   Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Um so aufmerksamer beobachteten sie, wie die jugendlichen Arbeiter in eine Gruppe zusammentraten. Die noch offene Seite des Palissadenzaunes lag gerade vor ihnen und damit die Vorderseite einer umfangreicheren Blockhütte. Es konnte ihnen also nicht entgehen, daß ein höchstens vierzehnjähriger Knabe die Axt zur Seite warf und ins Haus eilte.
   Gleich darauf trat aus der Thür ein hochgewachsener Mann, eine echte Kentuckygesalt, um deren breiten Oberkörper ein weites blaues Hemd schlotterte. Ihm auf dem Fuße folgten mit dem Knaben zwei Frauen, deren eine sichtbar ebenfalls eine reiche Zahl von Jahren auf dem Rücken trug, wogegen die andere ein großes, kräftig herausgewachsenes Mädchen war.
   Die Brauen finster gerunzelt, betrachtete der alte Mann die Ankömmlinge nachdenklich, dann schritt er ihnen bis zu der durch die Befestigungsarbeiten bezeichneten Hofgrenze entgegen. Der Knabe begleitete ihn, während die beiden Frauen in der Hausthür zurückblieben. Als er bei den jungen Leuten eintraf, lauter wettergebräunten, zum Teil barfüßigen Burschen, deren kraftvolle Körper durch schwere Arbeit gestählt waren, sahen diese mit ehrerbietiger Spannung zu ihm auf. Keiner hätte gewagt, mit seinem Urteil dem des Vaters vorzugreifen oder auch nur auf das hinzuweisen, was ihm selbst vor Augen lag. Dieser beachtete sie nicht, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf die Fremden, die zur Zeit kaum noch hundert Ellen weit entfernt waren. Sein hageres, von Runzeln tief gefurchtes und verwittertes Gesicht mit dem dünnen ergrauten Bart und den vorspringenden Backenknochen blieb dabei so unbeweglich, als wäre es aus dem härtesten Hickoryholz geschnitzt gewesen. Einen ähnlichen Eindruck erzeugte der lange, anscheinend nur aus Knochen und Sehnen bestehende Körper, dessen Nacken wohl etwas gebeugt, der aber noch immer eine Kraft verriet, um die ihn jüngere Männer hätten beneiden können.
   Je näher die Reiter kamen, um so mehr verhärteten sich seine Züge, um so spitzer und durchdringender schauten seine blauen Augen. Es war, als hätte eine Ahnung ihm gesagt, daß er mit Menschen in Verkehr treten sollte, die störend in sein patriarchalisches Leben einzugreifen gedachten und daher ihm als Todfeinde galten.
   »Besten Gruß euch allen,« redete Baxter ihn und seine Söhne endlich freundschaftlich an, »ich müßte mich sehr irren, wäre es nicht der ehrenwerte Daniel Howitt, den ich auf eine Stunde um seine Gastfreundschaft ersuche.«
   »Daniel Howitt heiße ich,« antwortete dieser ausdruckslos, »und was die Gastfreundschaft anbetrifft, da wurde sie auf dieser Stätte noch nie einem Fremden verweigert, sofern er sich deren nicht als unwürdig erwies. Steigt ab und überlaßt die Gäule den Burschen. Jung, wie sie sind, wissen sie doch, daß unvernünftiges Vieh ebenso berechtigt zu 'ner gastlichen Aufnahme, und wohl noch berechtigter, als mancher, der den Rock eines Gentleman auf den Schultern trägt, rechne ich.«
   »Und das Herz eines wahren Gentleman in der Brust,« fügte Baxter, anscheinend gut gelaunt, hinzu, und wie Margin, schwang auch er sich aus dem Sattel.
   »Das mag der Henker jemand ansehen, bevor man ein paar Prisen Salz mit ihm aß,« meinte der alte Squatter mit unerschütterlichem Gleichmut. »Es geschieht übrigens nicht of, daß jemand hier vorspricht, der nicht in 'nem Hickoryhemd und mit der Axt in den Fäusten groß geworden. Die letzten waren Feldmesser, die im verflossenen Herbst mit ihren Ketten Linien in der Nachbarschaft schlugen.«
   »Vereinigte-Staaten-Beamte,« versetzte Baxter wie beiläufig, und gleißnerisch fuhr er fort, indem er auf die jungen Männer wies, deren zwei sich mit den Pferden entfernten: »Eine verheißende Nachkommenschaft, bei Gott! Angehende Hünen. Ich beschwor's, Daniel Howitt, Sie haben Ursache, stolz darauf zu sein.«
   »Gut genug sind sie,« bestätigte Howitt kühl, »wuchsen die Jüngsten noch nicht ordentlich heraus, so verstehen sie doch, ihren hundertjährigen Baum binnen kurzer Frist umzulegen und 'nem Eichhorn auf hundert Ellen 'ne Kugel durch den Kopf zu jagen. Ben,« kehrte er sich dem zunächst stehenden Sohne zu, »geh ins Haus und sage der Mutter und Bell, sie möchten eine gehörige Mahlzeit anrichten. Du selber stelle die Korbflasche auf den Tisch und lege ein paar gesäuberte Hammelhörner daneben. Ich rechne nämlich, wenn jemand den weiten Weg über die Ebenen hier heraus nicht scheut, muß er auch 'ne richtige Ursache dazu haben.«
   »Sicher, Freund Howitt,« versetzte Baxter, während er und sein Gefährte an des Alten Seite sich auf die Blockhütte zu bewegten, »nebenbei bezweifle ich nicht, daß, wenn wir die Köpfe der Pferde heimwärts wenden, Sie mit unserem Besuch hier ebenso zufrieden sind, wie wir selber. Ich erstaune übrigens, Sie bei einem Werk zu finden, das die Vermutung der Unsicherheit in diesem Teil des Landes wachruft. Hoffentlich sind die schuftigen Eingeborenen, dieses Ungeziefer, nicht aufsässig geworden.«
   »Die nicht,« erklärte Howitt gelassen, »denn mit denen läßt sich's schon leben, sofern man sie den Hunden nicht gleichstellt. Aber da giebt es andere, die für die Ruhe eines friedliebenden Ansiedlers gefährlicher sind, als die verschlagenste Rothaut, die je von Rachedurst auf den Kriegspfad gedrängt wurde. Da kann es sich freilich ereignen, daß wir die Palissaden dazu benutzen, hinter ihnen hervor unser Eigentum zu verteidigen.«
   Baxter wechselte mit Margin einen bezeichnenden Blick, worauf er erwiderte:
   »Ueberflüssige Vorsicht! Es stehen allerdings mancherlei Veränderungen im Territorium bevor, jedoch nicht solche, die notgedrungen Hader und Feindschaft im Gefolge haben müssen.«
   »Die Nachrichten, die hierher gelangten, lauteten anders,« versetzte Howitt etwas entschiedener, »schon die Kettenträger redeten von Dingen, die in den Ohren eines rechtschaffenen Farmers nicht wie Drosselschlag klingen.«
   »So waren die Nachrichten gefälscht oder mindestens übertrieben.«
   »Weisen sie sich als gefälscht oder übertrieben aus, soll die Mühe des Verpalissadierens mich nicht gereuen. Ein Dummkopf erster Klasse, der sich von den Ereignissen überraschen läßt, rechne ich, und jetzt rücken Sie heraus mit der Sprache. Ein ehrlicher Mann braucht keine Umwege zu beschreiben, wie 'n Oppossum, das 'nen Hühnerstall im Auge hat. Doch beim Sitzen redet sich's leichter, und dieses hier ist eine Bank, auf der ich schon vor siebzehn, achtzehn Jahren den Schweiß auf meiner Stirn trocknen ließ.« Dann, nachdem alle drei auf dem vor der einen Haushälfte hinlaufenden, aus sechs eingerammten Pfählen und einer roh bearbeiteten Plankenlage hergestellten Gerüst sich niedergelassen hatten, nahm Baxter wieder das Wort.
   »Vor allen Dingen bauen Sie auf meine Versicherung,« hob er an, »daß ich die weite und nicht unbeschwerliche Reise einzig und allein zu dem Zweck unternahm, um über etwaige Meinungsverschiedenheiten mich freundschaftlich mit Ihnen zu einigen. Klingt die erste Ankündigung wirklich hart in Ihren Ohren, so beweist das nicht, daß Sie auch nur im geringsten geschädigt oder übervorteilt werden sollen. Es stände das in häßlichem Widerspruch mit der Achtung, die ich aus vollem Herzen jedem schwer ums Dasein arbeitenden Ackerbauer zolle. Ich muß Sie nämlich in Kenntnis davon setzen, daß ich hier, Ihre Farm mit eingeschlossen, sechs Quadratmeilen Land ankaufte und im Begriff stehe, es in Parzellen abzuteilen und diese für zuziehende Ansiedler mundgerecht herrichten zu lassen.«
   »Von wem kauften Sie das Land?« fragte Howitt wie von ungefähr.
   »Von der Regierung. Hier ist der Kontrakt. Auch die Karte will ich Ihnen vorlegen.«
   »Also vom Uncle Sam« meinte der alte Squatter ruhig, das Dokument durch eine nachlässige Handbewegung zurückweisend, »verhandelte der aber Land, ohne die darauf angesessenen Squatter an ihr Vorkaufsrecht zu mahnen, so ist er ein ebenso niederträchtiger Schurke, wie Sie selber, der Sie darauf ausgehen, freie Arbeiter durch menschliches schwarzes Vieh zu verdrängen.«
   »Wer spricht von verdrängen?« fragte Baxer, die Beschimpfung überhörend, gleißnerisch entrüstet; »das wäre erst der letzte Ausweg, und dazwischen liegen solche Bedingungen, wie sie Ihnen nur willkommen sein können.«
   Da Howitt unbeweglich über den Hof hinsah und kein Verlangen verriet, die gepriesenen Bedingungen kennen zu lernen, fuhr er nach einer Pause zuvorkommend fort:
   »Zunächst sollen Ihnen also, in gewissenhafter Berücksichtigung der Lage dieses Gehöftes, zweimal sechzig Morgen Land, jeden zu fünf Dollars berechnet, als freies Eigentum verschrieben werden. Dafür verpflichten Sie sich, meinen Grundsätzen Rechnung zu tragen und nicht nur selbst für die segensreiche Institution der Sklaverei zu stimmen, sondern auch Ihre Nachbarn, die zu Ihnen aufblicken wie zu einem Gouverneur, dazu zu bewegen. Dadurch sichern Sie sich und den Ihrigen den ungestörten Besitz der mit so viel Fleiß und Mühe emporgebrachten Farm; außerdem aber ziehen Sie Ihren Vorteil aus dem mit der schnelleren Besiedelung wachsenden Verkehr, zumal es mit dem Kaufgelde nicht eilt, und Sie es nach Bequemlichkeit abtragen mögen.«
   »Fein ausgeklügelt,« meinte Howitt mit einem bösen Lächeln, »so fein, daß ein Einfältigerer darauf anbeißen könnte. Ich rechne indessen, nachdem Sie Ihre Bedingungen stellten, hören Sie auch gern die meinigen. Ich besitze sieben Kinder, sechs Söhne und eine Tochter. Auf Grund dieser Zahl fordere ich also, daß Sie siebenmal sechzig Morgen aus Ihren sechs Quadratmeilen für mich herausschneiden, und zwar so, daß dieser komfortable Winkel der Mittelpunkt bleibt. Ferner berechnen wir den Morgen mit drei und dreiviertel Dollars, also zum Regierungspreise, eine Summe, die ich beim Abschluß berichtige, und drittens verpflichten Sie sich, auf dem von Ihnen angekauften Lande keine Sklaverei zu dulden.«
   »Auch Ihre Bedingungen erscheinen nicht übel,« versetzte Baxter, sein Mißvergnügen hinter sorgloses Lachen verbergend, »Sie übersehen nur eines dabei, nämlich daß wir uns hier auf meinem Grund und Boden befinden, Sie also gewissermaßen mein Gast sind, es daher in meiner Gewalt liegt, Käufer und Pächter heranzuziehen, wie sie mir am meisten zusagen.«
   »Bell,« riet Howitt vollständig leidenschaftslos ins Haus hinein, »rücke Speck und Maiskuchen vom Feuer fort und stelle den Whisky für bessere Leute zur Seite!« Und über den Hof: »Jungens, führt den Fremden die Pferde zu! Sie haben große Eile, fortzukommen!« Er kehrte sich seinen Gästen zu, die erstaunt auf sein hartes Gesicht sahen: »Das ist meine Antwort auf eure Zumutung. Noch stelltet ihr die Füße nicht unter meinen Tisch; da hindert mich nichts, dringend zu raten, mein Gehöft so bald und so weit wie möglich hinter euch zu legen. Was ihr euer Recht nennt, wurde mir hinterrücks entzogen, also gestohlen, rechne ich. Mein Recht aber ist geheiligt durch achtzehnjährigen Besitz, das kann kein spekulativer Gauner, sogar der Onkel Sam selber mit seinem großen Gewissen nicht aus der Welt schaffen; und mein Recht verteidige ich in Gemeinschaft mit den Meinigen bis zum letzten Blutstropfen. Zweifeln Sie noch, so versuchen Sie doch, wie viele von Ihren feilen Schurken sich die verruchten Schädel an meinem Palissadenzaun einrennen. Denn ich bin, bei Gott, nicht der einzige hier herum, der sich dagegen auflehnt, wenn das ursprüngliche Gesetz, das uns allen bekannt ist, umgeworfen und unser freies Territorium in einem Zuchtstall für Farbige umgewandelt werden soll.«
   Die Pferde wurden vorgeführt. Die beiden Herren hatten sich erhoben. Ihre Gesichter schwammen in Wut und Hohn.
   »Sie selbst sind verantwortlich dafür, wenn ein schweres Verhängnis auf Sie hereinbricht,« bemerkte Baxter schneidend, »zählen Sie aber auf den Beistand vogelfreier halbwilder Viehtreiber, wie wir nicht weit von hier einem begegneten, so möchten Sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben –«
   Bei den letzten Worten trat Bell, beunruhigt durch die erregten Stimmen, auf die Thürschwelle. Ihre Erscheinung machte Baxter verstummen. Wie er, sah auch Margin verstört auf sie hin. Denn kein gewöhnliches Farmermädchen war es, welches da vor ihnen stand, sondern mit dem hohen, kräftigen, tadellosen Wuchs und der herausfordernden Haltung, trotz des ländlich aufgeschürzten einfachen Anzugs, das Bild einer erzürnten waffenkundigen Amazone, die im Begriff, sich zu Kampfe zu rüsten. Derselbe Ausdruck wiederholte sich in dem regelmäßig geformten Antlitz mit den weich abgerundeten, wettergebräunten Wangen, den unerschrocken blickenden Augen und den schwellenden Lippen des feingeschnittenen Mundes. Das starke blonde Haar hatte sie hinter die Ohren zurückgestrichen und dicht am Kopf zusammengeschnürt, von wo es wie ein Roßschweif tief über den Rücken niederwallte. Obwohl der Jahre höchstens zwanzig über das selbstbewußt getragene Haupt hingegangen waren, ruhte doch der tiefe, beinahe düstere Ernst eines weit höheren Alters auf dem jugendfrischen Antlitz. Nicht die leiseste Spur schlummernden Frohsinns war darauf zu entdecken. Es machte sich sogar ein eigentümlich herber Zug zu beiden Seiten des festgeschlossenen Mundes bemerklich. Hatte der Zufall gefügt, daß sie Baxters letzte Bemerkunge hörte, so war die nächste Wirkung, daß sie die Farbe wechselte. Dann aber sprach sie mit der vollen Feindseligkeit, welche durch das Auftreten der Fremden dem Vater gegenüber geweckt worden war:
   »Reden Sie verächtlich von Rinderhirten und trauen Sie dem Vater zu, mit ruchlosen Gesellen Gemeinschaft zu pflegen, so können Sie mit solchen sich nur selbst gemeint haben.«
   »Gut gegeben, Bell,« versetzte Howitt billigend, fügte aber streng hinzu: »Hast nur vergessen, daß dein Vater Manns genug ist, mit jedem, auch mit diesen beiden zweifelhaften Gentlemen, selber fertig zu werden.«
   Bell, weniger durch den Vorwurf des Vaters eingeschüchtert, als erbittert über Margin, der seine Bewunderung unverhohlen an den Tag legte und sie mit frechen Blicken betrachtete, kehrte sich kurz um und trat in die Hütte zurück.
   »Ein schönes Kind,« erklärte Margin unter dem vollen Eindruck des eigentümlichen Zaubers, der die charakteristische Erscheinung auszeichnete, und formlos fiel Howitt ein:
   »Darum befragte ich Sie nicht. Wähnen Sie, daß Anstand und gute Sitte hier im wilden Westen weniger zu Hause sind, als in euren vergoldeten Parlours, so irren Sie mächtig. Lassen eure Weiber sich unziemliches Anstarren von jedem elenden Laffen gerne gefallen, so folgt daraus nicht, daß man dergleichen hier duldet. Und jetzt beeilt euch, wenn ihr nicht vorzieht, daß meine Söhne euch in den Sattel helfen und euren Mähren die Peitschen um die Ohren knallen, um zu prüfen, wie fest ihr auf 'nem Pferderücken klebt.«
   »Nur aufrichtige Bewunderung –« hob Margin, bis zur Verwirrung scheu, entschuldigend an, allein des alten Squatters Geduld war erschöpft.
   »Aufrichtiger Tod und Teufel!« fiel er drohend ein. »Geschah euch, wie's euch nicht behagt, so wolltet ihr's nicht anders, und wenn ihr nach Hause kommt, rühmt euch, für eure niederträchtigen Ränke wie schlechte Hunde von dem Hofe eines ehrlichen Mannes fortgejagt zu sein.«
   »Noch ein Wort in Güte,« hob Baxter nunmehr besänftigend an, »nicht in gereizter Stimmung möchte ich von Ihnen scheiden. Walteten Mißverständnisse –«
   »Keine Mißverständnisse,« schnitt Howitt das weitere ab, »das liest ein Blinder durch 'ne dreizöllige Planke. Mein letztes Wort habt ihr gehört, und das eurige brauch' ich nicht zu wissen,« und seinen Gästen den Rücken kehrend, schritt er ebenfalls ins Haus hinein.
   Baxter und Margin säumten nicht länger und bestiegen ihre Pferde. Im Davonreiten rief Baxter, auf dem Gipfel seiner Wut, über die Schulter in die offene Thür hinein: »Auf Wiedersehen zu geeigneterer Zeit. Vielleicht halten Sie für ratsam, vorher meinen Grund und Boden zu verlassen!«
   Eine Antwort erfolgte nicht. Baxter knirschte mit den Zähnen.
   »Vom eigenen Besitztum heruntergewiesen zu werden – bei Gott, das soll nicht vergessen sein,« sprach er zu dem Gefährten, »verdammt! Noch giebt es Mittel, das kollerigste Stück Vieh ins Joch zu spannen.«
   »Ich für meine Person möchte mich nicht vor die Mündungen ihrer Büchsen stellen,« versetzte Margin spöttisch, »weit lieber schlösse ich Blutsbruderschaft mit dem Alten um seiner Tochter willen. Bei Gott, ein schöneres Mädchen sah ich nie, selbst nicht in den Staaten. Stand sie nicht auf den kleinen nackten Füßen wie eine Heldin des Altertums?«
   »Ich vermute, ein zweiter zärtlicher Blick in die funkelnden Augen des wilden Dinges würde Ihnen gefährlicher werden, als ein halbes Dutzend Gewehrmündungen.«
   »Wenn kein warmes Blut in ihren Adern kreiste,« höhnte Margin, »und das zum Sieden zu bringen kann nicht schwer werden bei einer, die bisher nichts anderes kennen lernte, als rohe Landtölpel. Wir werden ja sehen, wenn es mir zufallen sollte, zwischen Ihnen und dem knorrigen Alten zu vermitteln.«
   Sie ritten zwischen den zur Zeit auf Axt und Spaten gestützten jungen Männern hindurch. Da sie nicht grüßten, hielten jene für überflüssig, die geringste Höflichkeit an sie zu verschwenden. Aber die Blicke aus den jungen Augen trafen sie mit einer Feindseligkeit, daß sie ihnen zu begegnen scheuten.
   Solange die Scheidenden den Brüdern sichtbar blieben, spähten sie ihnen schweigend nach. Sobald sie aber um die Waldecke herumbogen, sandte der Aelteste eine wilde Verwünschung hinter ihnen her. Mit einem zweiten Fluch schleuderte er die Axt weit von sich.
   »Das ist kein gutes Zeichen, wenn unser alter Governor einen Gast ziehen läßt, ohne ihm zuvor einen festen Trunk angeboten zu haben,« sprach er ingrimmig, »was aber dem Vater die Laune verdirbt, braucht vor seinen Söhnen nicht verheimlicht zu werden,« und gefolgt von den Brüdern, begab er sich nach der Blickhütte [Blockhütte?] hinüber.
   Als sie in das Gemach eintraten, das zugleich als Küche, Wohnzimmer und Schlafraum der beiden Alten diente, sahen sie den Vater am Tisch sitzen, die eine Hand auf die Platte gelegt, mit der anderen das Haupt stützend. In seiner starren Haltung und mit dem knochigen Körper erinenrte [erinnerte ?] er nicht wenig an die rohbehauenen Baumstämme, die sich ringsum zu Wänden übereinander reihten. Seine Frau kauerte vor dem Kaminfeuer, mit dem Rösten von Mehlkuchen beschäftigt. Bell stand abseits vor dem einzigen Fenster und sah ernst auf den Hof hinaus.
   Bis dahin hatte Howitt kein Wort gesprochen. Mutter und Tochter wären die letzten gewesen, ihn zur Zeit in seinem Gedankengange zu stören. Erst beim Eintritt seiner Söhne richtete er sich auf. Wie begutachtend, betrachtete er die kernige Nachkommenschaft. Er mochte sich fragen, inwieweit sie geschaffen, mit Leib und Leben für ihre Heimstätte einzutreten; aber auch, ob der eine oder der andere dazu auserkoren, durch seinen Fall die Rache des Himmels gegen eine Gesellschaft herauszufordern, die es als ihr Privilegium ansah, Recht und Gesetz unter die Füße zu treten.
   »Keine gute Zeit hier, kalkulier' ich,« meinte Ben, ein Mann, dem bereits der Bart ums Kinn gesproßt war, und der als Aeltester gewöhnlich das Wort führte.
   Da schlug Howitt mit der eisernen Faust auf den Tisch, daß es klang wie der dröhnende Fall eines Schmiedehammers.
   »Nein, Jungens, keinen guten Zeiten gehen wir entgegen,« rief er aus, »vielleicht Zeiten, in denen ihr beweist sollt, daß ihr Schößlinge eines gesunden Stammes seid, und der Jüngste so viel wert ist, wie jeder andere, der eine Büchse zu heben und die Kugel ins Bullenauge zu zirkeln versteht, rechne ich. Ihr möchtet die Ursache wissen, und die darf jetzt nicht länger vor euch verheimlicht werden. Was wir so lange befürchteten, soll sich nämlich erfüllen, und da mögen wir jeden Tag gewärtigen, daß die verruchten Sendlinge der südlichen Schurken eintreffen, um uns von der friedlichen Scholle zu vertreiben, wo wir die vielen Jahre ein gottesfürchtiges Leben führten.«
   »Da werden sie wohl eine harte Nuß zu knacken finden,« meinte Adam, der Zweitälteste, trotzig.
   »Eine Nuß, an der die Lumpen sich die Zähne ausbeißen,« fügte der Jüngste erbittert hinzu.
   Der Alte warf einen strengen, zugleich wohlgefälligen Blick auf die entschlossenen jungen Männer und sprach weiter: »Mit dem Reden locken wir keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Hier heißt's handeln, sollen wir nicht eines Tages, mag's Wochen oder Monate bis dahin dauern, von der Rotte Kora heimgesucht werden, um demnächst zum Wanderstab zu greifen. Adam, sattle dir 'nen Gaul und reite bei den Nachbarn herum. Erzähle ihnen, was wir heut erlebten, befrage sie um das, was sie selber erfuhren. Bestelle mit 'nem Gruß von mir, ich ließe raten, wenn zu viele sie bedrängten, sich hierher zurückzuziehen. Sag ihnen, binnen wenigen Tagen seien die Palissaden fertig, und hinter denen hervor könnten zwei Dutzend handfeste Männer ein ganzes Regiment zusammenschießen. Reitest du die ganze Nacht, so bist du morgen abend wieder hier. – Du, Ben, reitest unterdessen nach Fort Riley hinunter. In drei Tagen machst du's. Du bist befreundet mit dem Kaufmann White. Von dem kaufe so viel Pulver und Blei, wie du bequem fortschaffst. Mutter wird dir Geld geben. Steckt Brot und Fleisch zu euch, daß ihr unterwegs nicht schwach werdet; thut auch den Tieren keine Ueberlast. Haltet die Augen offen und achtet auf alles, das um euch her vorgeht. Redet mit den Leuten, denen ihr begegnet, und befragt sie um ihre Meinung. Es müßte mit dem Henker zugehen, befänden sich viele unter ihnen, die ohne Widerstand duldeten, daß unser Territorium mit Niggers überschwemmt würde.«
   Bereitwillig rüsteten sich die beiden Sendboten. Ob sie dreimal vierundzwanzig Stunden im Sattel zubringen sollten oder ebenso viele Minuten, fiel bei ihnen nicht ins Gewicht. Sie waren es nicht anders gewohnt seit den Tagen, in denen sie noch nicht lange zum erstenmal die Beine über einen Pferderücken spreizten. Unterstützt durch ihre Brüder, waren sie binnen kurzem reisefertig. Eine kräftige Mahlzeit bildete den Schluß.
   Als sie die Pferde bestiegen, trat Bell, die ihnen das Geleite auf den Hof hinaus gab, neben Ben hin. Leiste raunte sie ihm zu: »Ohne es zu wollen, verriet der eine Fremde, daß King Bob in der Nachbarschaft weilt. Du findest ihn bei der großen Regenfurche, wo wir den Maisvorrat für seinen Mustang anlegten. Du bist sein Freund, und dir traut er. Im Vorbeireiten sage ihm, ich erwarte ihn beim Arrowmaker, aber nicht vor Sonnenuntergang.«
   Ben antwortete zustimmend. Gleich darauf ritten die beiden Brüder vom Hofe hinunter. Ben wendete sich stromabwärts, während Adam die entgegengesetzte Richtung einschlug.
   Die Zurückbleibenden nahm alsbald ihre Arbeit wieder auf. Die bedrohlichen Nachrichten hatten ihren Eifer erhöht. Sogar der alte Howitt beteiligte sich an dem Werk. –
   Kurz vor Sonnenuntergang erschien Bell bei ihrem Vater.
   »Ich gehe zum Arrowmaker,« redete sie ihn an, »um ihm etwas Maisbrot zuzutragen. Das hat er nicht alle Tage. Ich höre ihn gern sprechen. Da mag er mir aus alten Zeiten erzählen. Hast du eine Botschaft an ihn?«
   Durchdringend, sogar mit verstecktem Argwohn sah Howitt ihr ins Antlitz. Beinahe regungslos, wie das seinige, verriet nichts in demselben, daß sie sich mit Nebenabsichten trug. Nur der herbe Zug um die Lippen schien sich noch vertieft zu haben.
   »Erzähle du ihm lieber, was sich heut hier zutrug,« antwortete Howitt nach kurzem Sinnen in seiner gewohnten ernsten Weise, »bereite ihn darauf vor, daß, wenn es mit uns hier zu Ende ginge, auch seines Bleibens nicht länger wäre. Das giebt ihm zu denken, rechne ich.«
   Bell entfernte sich. Grübelnd blickte Howitt ihr nach. Die Brauen tief gerunzelt, beobachtete er, wie sie mit natürlicher Anmut einherschritt. Unbeugsamer Eigenwille offenbarte sich in ihrer Haltung. Lebhafter wirkte es in des Alten Augen. Mitleid und tyrannische Strenge schienen in ihnen um den Vorrang zu kämpfen. Endlich schüttelte er den Kopf zweifelnd. Dann hob er die Axt, und sie ums Haupt schwingend, führte er nach dem vor ihm liegenden Baumstamm einen Hieb, daß er die Schneide nur mit einiger Anstrengung aus dem festen Holz zu lösen vermochte. Gleich darauf gesellten vom Walde her seine beiden jüngsten Söhne sich zu ihm. Sie berichteten, auf der Suche nach dem vermißten jungen Rinde Spuren entdeckt zu haben, die davon zeugten, daß es gewaltsam fortgeführt worden.
   »Warum verfolgtet ihr sie nicht bis ans Ende?« forschte Howitt rauh.
   »Es wäre überflüssig gewesen,« entschuldigten sich die Burschen, »wir begegneten Rabbit, der war ihnen bereits nachgegangen und wußte, daß es von zwei der weiter unten hausenden Landstreicher geschlachtet worden ist.«
   Howitts Gesicht verfinsterte sich. Heftig nagte er auf den Lippen; dann bemerkte er anscheinend gleichmütig: »Wir wollen annehmen, der Hunger habe die Schurken zu dem Raub getrieben, und ihnen das Fleisch gönnen. Das war der erste Eingriff in unser Eigentum. Der zweite wird mit Bleikugeln bezahlt. Das merkt euch und haltet bessere Wache.«
   Bell war unterdessen hinter dem Gehöft verschwunden. In die dort beginnende Waldung eindringend, gelangte sie nach Zurücklegung einer kurzen Strecke an den Fluß, auf dessen Ufer ein Pfad ausgetreten war. In denselben einbiegend, folgte sie ihm stromaufwärts nach.


   Drittes Kapitel

   Gegen sechshundert Schritte weit von der Stelle, wo Bell den Pfad betrat, öffnete sich eine Lichtung von mäßigem Umfange, die, ringsum vom Walde begrenzt, nördlich bis an den Fluß reichte. Doch auch dort war sie durch die auf dem jenseitigen Ufer hoch emporstrebenden Baummassen gegen winterliche Schneestürme erträglich geschützt. Auf der Westseite, in einer von hundertjährigen Waldriesen und Buschwerk eingeengten kleinen Wieseneinbuchtung erhob sich eine aus Pfahlwerk, Geäst und Erde hergestellte Hütte, die mit einem Hause gerade so viel Aehnlichkeit besaß, wie der Maulwurfshaufen mit einem aufgeführten dreistöckigen Biberbau. Mit der kaum sechs Fuß hohen gewölbten Bedachung und der in deren Mitte befindlichen Oeffnung, dazu bestimmt, den im Inneren erzeugten Rauch abzuleiten, hätte man sie mit einem unförmlichen Backofen vergleichen können. Auf dem Vorplatz war ein auf Pfählen ruhendes einfaches Zweigdach errichtet worden. Eine Feuerstelle unterhalb desselben, dazu ein schwerer runder Granitblock, Hammer, Zange und mehrere Feilen, wie ein Handblasebalg bekundeten, daß daselbst das Schmiedehandwerk im denkbar bescheidensten Maßstabe betrieben wurde.
   Das war das Heim Arrowmakers oder Pfeilverfertigers, eines alten Kawindianers. Durch einen Schaden in der Hüfte gehindert, größere Jagdausflüge zu unternehmen, hatte er sich darauf verlegt, Pfeilschäfte zu schnitzen und aus Bandeisen die entsprechenden Spitzen herzustellen, gelegentlich ein Beil oder Messer neu vorzuschärfen und Pfeifenrohre auszubohren, lauter Dinge, die ihm weit und breit unter den Eingeborenen eine gute Kundschaft eingetragen hatten. Die Nachbarschaft Howitts hatte ihn bewogen, sich gerade dort niederzulassen. Eine längere Reihe von Jahren war seitdem verstrichen, und so kam es allmählich, daß er auf der Farm gewissermaßen als Familienmitglied galt und vor allem die heranwachsenden Kinder sich eng mit ihm befreundeten. Bei ihm wohnte ein achtzehnjähriger Mandane, den er einst, nachdem dessen Eltern den Blattern zum Opfer gefallen waren, zu sich nahm, und der nunmehr, neben Ausübung der Jagd, als gelehriger Gehilfe eifrig mit in das Handwerk eingriff.
   Die Sonne neigte sich dem Untergange zu, und wenn Arrowmaker, zur indianischen Trägheit hinneigend, während des Tages überhaupt beschäftigt gewesen, so hatte er jetzt Feierabend gemacht. Vor dem Höhleneingang auf einem Holzblock saß er, das Bild eines selbstzufriedenen Eingeborenen, mit unverkennbarem Behagen den süßlich duftenden Rauch seiner Tabakspfeife in die Lugen einziehend und durch die Nüstern wieder von sich blasend. Ein farbiges Kalikohemd nebst Ledergamaschen und Mokassins bildete seine Bekleidung. Lang und schlicht fiel das schwarze Haar zu beiden Seiten seines runzeligen Gesichtes nieder. Neben ihm auf der Erde kauerte, vor kurzem erst heimgekehrt, Rabbit, sein junger Gefährte, ein schlanker brauner Bursche mit kahlgeschorenem Kopf, auf dessen Wirbel nur die sorgfältig geflochtene Skalplocke stehen geblieben war. Bis auf den Schurz vollständig unbekleidet, beschäftigte er sich damit, das gesäuberte Schloß seiner Büchse wieder an den Schaft zu schrauben, als er plötzlich hoch aufhorchte.
   »Jemand kommt,« bemerkte er in der Kawsprache zu dem Alten.
   »Einer von der Farm,« heiß es nachlässig zurück; »wer kann es sein? Ich vermute, Howitt selber.«
   »Der nicht,« versetzte der scharfsinnige junge Mandane zuversichtlich, »ein Reis brach. Schritte hör' ich nicht. Howitt und die jungen Männer haben schwere Füße. Das Mädchen tritt leise auf, wie der Luchs in seinen Pelzschuhen.«
   »So erfahren wir, was die Fremden brachten. Gutes nicht, wenn sie ohne einen Trunk umkehren mußten. Du sagtest so.«
   »Ich sagte es und ich sah es. Und mehr sah ich: den King Bob. Er bedrohte die Räuber, die Howitts Rind niederschossen. Er warnte mich durch Zeichen. Ich sollte seine Nähe nicht auf der Farm verkünden. Ich ging gar nicht hin. Niemand konnte mich fragen.«
   »Ist King Bob da, mag er sich hüten, Howitts Pfad zu kreuzen. Die beiden sind wie Stahl und Stein. Stoßen sie aufeinander, fliegen Funken.«
   »Aber das Mädchen steht zu ihm. Ich weiß es,« meinte Rabbit bedächtig.
   »Gerade deshalb. Howitt trägt großen Haß gegen ihn. Er mag ihn nicht sehen. Er giebt ihm schlechte Namen. Er behauptet, King Bob gehöre nach Neumexiko. Das sei ein Land der Räuber.«
   »Neumexiko ist sehr weit,« wendete Rabbit nachdenklich ein.
   »Das kümmert den King Bob nicht,« versetzte Arrowmaker grämlich, »der reitet einen Tag und eine Nacht, ohne abzusitzen. Er reitet Wochen und Monate und wird nicht müde. Er ist ein gewaltiger Mann. Er ist stark genug, seinen Mustang auf dem Rücken zu tragen, wenn ihm der Atem ausgeht. Viele sagen, ein böser Geist säße in ihm drinnen.«
   Gegenüber öffnet sich das den Uferpfad einengende Gebäusch. Belle, die, mißtrauisch rückwärts lauschend, daselbst gesäumt hatte, trat auf die Lichtung heraus und schritt auf die Hütte zu.
   »Guten Abend, Arrowmaker, guten Abend, Rabbit,« begrüßte sie die beiden braunen Freunde vertraulich, und letzterem ein Körbchen mit Maiskuchen und geröstetem Salzfleisch einhändigend, fügte sie hinzu: »Heut komme ich mit einem Anliegen.«
   »Ich weiß es,« versetzte Arrowmaker in verständlichem Englisch gleichmütig, »King Bob ist da.«
   Bell runzelte die Brauen. »Redetest du mit ihm?« fragte sie argwöhnisch. »Ich kann's nicht glauben. Ich schrieb ihm auf, nicht bei Tage zu kommen.«
   »Er kam nicht. Rabbit sah ihn. Er redete nicht mit ihm. Es war nicht angänglich. Das weitere sagt mir der Kopf.«
   »Gut, Arrowmaker. Ritt er den weiten Weg, so kann ihm nur daran gelegen sein, mich zu sprechen; da will ich ihn nicht warten lassen. Geh ihm entgegen, Rabbit, und sage ihm, ich schaute nach ihm aus; er möchte sich beeilen. Wo du ihn triffst, bleibst du zurück. Sollte der Vater oder ein anderer mir folgen, dann säume nicht, mich zu warnen. Ein Unrecht liegt ja nicht drinnen, wenn ich einen alten Freund wiedersehe.«
   Rabbit sprang auf, eilte über die Lichtung und verschwand im Dickicht. Bell hatte sich zu dem Alten gesetzt.
   »Es ist ein Unglück, daß der Vater gegen uns ist,« redete sie düster auf ihn ein, »verliere ich vor Gram und Sorge die letzte Lebenslust, ist's seine Schuld. Die Jahre vergehen. Wärest du nicht da mit deinem guten Willen, möchte ich mich längst ins Grab gelegt haben.«
   »Erst zwanzig Winter liegen hinter dir,« versetzte Arrowmaker auf seine Art tröstlich, »du bist noch jung; du kannst warten. Einmal muß dein Vater sich bekehren. Ein Bach bleibt oft sehr lange trocken; dann füllt ein guter Regen ihn in einem Tage.«
   »Ich glaube nicht daran,« hieß es erbittert zurück, »ein Bach ist kein Mensch; und so viel vertraue ich dir an: soll ich wählen zwischen dem Hause des Vaters, wo es keine Freude mehr für mich giebt, und dem Leben auf dem Rücken eines Pferdes an King Bobs Seite, gleichviel, wie rauh und gefährlich der vor mir liegende Weg, so zaudere ich nicht mit der Entscheidung.«
   »Du bist ein starkes Mädchen,« erklärte der Kaw; »dein Herz ist das eines Mannes. Kann es aber dem Sturm gebieten? Nein, Kann es den bösen Willen töten, wenn alle gegen dich sind?«
   »Das nicht. Aber es sehnt sich nach hellem, warmem Sonnenschein. Jetzt lebe ich wie in einem dumpfigen Keller. Ja, ungetrübten Sonnenschein will ich genießen, wenn auch nur auf einen Tag, und müßte ich es mit dem Leben bezahlen. Daran denke, so oft jemand versucht, dich gegen King Bob und mich aufzubringen.«
   Der Kaw antwortete nicht. Auch Bell schwieg. Angestrengt lauschte sie in den gegenüberliegenden Wald hinein. Die Sonne war zur Rüste gegangen. Es verdichteten sich die über die Lichtung hinschleichenden Schatten. Nur kleine und große Fledermäuse belebten die stille Atmosphäre. In der Ferne rüstete sich der Uhu mit dumpfem Ruf zur nächtlichen Jagd. Endlich unterschied Bell das Geräusch eilfertig einherschreitender Hufe. Rauschen und Knicken hindernder und zurückschnellender Zweige drang herüber. Dann noch eine halbe Minute, und auf die Lichtung ritt King Bob. In der unbestimmten Beleuchtung schien seine Gestalt noch mächtiger geworden zu sein. Man hätte ihn mit einem Recken vergleichen mögen, der von der sagenhaften wilden Jagd abgewichen, zur Erde gekommen, um die Sterblichen zu bedräuen. Bell hatte sich erhoben und ging ihm entgegen. King Bob entdeckte sie sofort. Einen eigentümlich gedämpften Jubelruf ausstoßend, spornte er sein Pferd, daß es sich aufbäumte und wild nach vorn stürmte. In drei, vier Sätzen trug es ihn neben Bell hin. Mit der Gewandtheit eines Jaguars schwang er sich aus dem Sattel. Die Büchse warf er zur Seite, und fast ebenso schnell hielt er Bell in seinen Armen.
   »Bell, meine Bell,« sprach er mit vor Innigkeit zitternder Stimme, während die Geliebte sich eng an seine breite Brust schmiegte, »wäre der Weg dreimal so lang gewesen, hätte er durch Feuer und Wasser geführt und müßte ich sofort wieder aufsitzen, um ihn ohne Rast zum andernmal zu reiten, so hätte ich keinen reicheren Lohn finden können. Ich hab' dich gesehen und in meinen Armen gehalten; ich weiß, daß du im Tode wie im Leben zu mir stehst – da mag alles kommen, wie es will. Denn müßte ich mit Himmel und Hölle um dich ringen: du würdest schließlich dennoch die Meine.«
   »Ja, Bob, im Leben wie im Tode,« wiederholte Bell ergriffen, »lieber an der Seite des stolzen Königs aller Vaqueros in der Erde, als neben einem König sitzen auf goldenem Thron. Denn du bist mein schöner, mein kühner und verwegener Bob; bei dir allein fühle ich mich gesichert gegen alle Unbilden. Und was die Leute von dir reden mögen: du bist und bleibst mein einziger Trost, mein einziges Hoffen und Glück.«
   »Laß sie reden,« versetzte King Bob geringschätzig, »hör' ich's nicht, brauch' ich keinen zu strafen,« und sie im Arm haltend, bewegte er sich auf die Hütte zu. »Was sie mir aber anhängen, will ich nicht wissen. Auch nenne keinen Namen, oder jeder Tropfen Gift, den sie in dein Blut flößen, kostet eines Mannes Leben – nicht doch, Bell, erschrecke nicht. Ich bin wohl rauh und wild, aber du bist meine Königin, die Königin aller Vaqueros zwischen hier und bis tief nach Neumexiko hinein; meine Königin, auf die ich höre und die nur mit den Augen zu winken braucht, um mich in ein Lamm zu verwandeln.«
   Sie waren vor dem Kaw eingetroffen. King Bob begrüßte ihn freundschaftlich. »Sorge für mein Pferd,« sprach er zu ihm, »laß es aber unter dem Sattel und aufgezäumt. Trittst du ihm näher, rufe es mit »Billy Ho« an, oder es schlägt um sich, wie vom Teufel besessen. Da liegt auch meine Büchse, die nimm an dich und halte sie bereit. Man weiß oft nicht, wie schnell man in den Sattel muß. Naht Gefahr, dann gieb ein Zeichen. Wir sitzen da drüben auf dem Ufer,« und den Arm um Bells Schultern legend, schritt er mit ihr davon.
   Auf einer Stelle, wo der Fluß das gegen fünfzehn Fuß hohe Ufer bespülte, benutzten sie den grasigen Rand als Bank. Der Mond war eben aufgegangen. Die oberen Luftschichten erhellend, sandte er noch die Schatten der Waldmauer über sie hin. Ihnen zu Füßen gurgelte und sprudelte der zur Zeit seichte Fluß, indem er seinen Weg zwischen Wurzeln hindurch und um bloßgewaschenes Gestein herum suchte. Wie geheimnisvolles Räumen und Plaudern klang es, daß es mit den gedämpften Stimmen der jungen Leute gleichsam ineinander verschwamm.
   »Du bist also bereit, mich zu begleiten?« fragte King Bob.
   »Zu jeder Stunde, ob bei Tag oder Nacht,« beteuerte Bell aus überströmendem Herzen. »Ich liebe meine Eltern und Brüder sicherlich, daß ich mein Leben für sie hingeben möchte, allein unglücklich fühle ich mich hier über alle Maßen. Dich immer wieder geschmäht zu hören, raubt mir den Verstand. Sehe ich in die Augen des Vaters, lese ich darinnen die bittersten Vorwürfe. Er ist unbarmherzig, hart wie die Steine da unten, die dem Wasser nicht nachgeben. Möchte die Mutter aber auch gern vermitteln, so wagt sie es doch nicht. Sage daher, wann du mich abholst, und freudig gehe ich mit dir bis ans Ende der Welt.«
   »Das Versprechen soll dir so oft gesegnet sein, wie da unten im Wasser sich Sterne spiegeln,« versetzte King Bob sanft, wie ein gut geartetes Kind, »und am liebsten sagte ich jetzt: Sitze hinter mir auf. Denn der Billy trägt uns beide, und bevor die Sonne wieder über die Prairie leuchtete, wären wir weit von hier. Allein noch ist die Zeit nicht gekommen. Mit einer Anzahl Kameraden überwache ich an die sechstausend Rinder. Drei große Herden sind's. Die ließen wir von Neumexiko bis an den Arkansas herauf weiden. Unser Ziel liegt noch etwas weiter nördlich und dann westlich. Da erwarten wir die Besitzer. Die gehen mit dem Plan um, die Hälfte der Tiere nach den Staaten oder nach Kalifornien zu treiben. Mit der anderen Hälfte und der Mehrzahl der Hirten kehre ich langsam an den Rio Grande zurück. Anfang September muß ich da sein. Vielleicht überwintern wir dort, um im Frühling auf der Gilastraße nach Kalifornien zu ziehen. Ich selbst gehe nicht mit. In Neumexiko besitze ich nämlich eine hübsche Weidefläche und einen ordentlichen Rancho. Das bezahlte ich mit zweitausend Dollars, die ich von dem jedesmal auf mich entfallenden Gewinnanteil ersparte. Nebenbei trieb ich etwas Viehhandel auf eigene Faust, und das Geschäft setzen wir fort, sobald wir unter unser eigenes Dach gezogen sind.«
   »Das mag lange dauern bis dahin,« klagte Bell; »hielte die Hoffnung mich nicht aufrecht, müßte ich sterben.«
   »Nur noch einige Monate Geduld,« tröstete King Bob, »kann ich doch nicht, wie ich wohl möchte. Nur einige Monate, und du sitzest so warm am eigenen Herd, daß deine Eltern gern mit dir tauschten und ihre Freude an dir haben.«
   »Ich kann's nicht glauben, Bob, das Glück wäre zu groß, und der Vater ist unerbittlich, er würde niemals seine Zustimmung erteilen.«
   »So geht es auch ohne sie, damit beruhige dich. Sollte es dir aber zu schwer hier werden, sollte man dich mitleidslos martern und quälen, daß du nicht mehr aus oder ein weißt, wohl gar dich zwingen wollen, einen anderen zu freien, dann flüchte getrost zu mir. Vielleicht begleitet dich Rabbit. Mit den Herden rücke ich allmählich näher, und befolgst du meinen Rat pünktlich, so kannst du mich nicht verfehlen. – Hier hast du meinen Kompaß,« und er nestelte das einer Taschenuhr ähnliche Instrument von seinem Halse, »den bewahre und betrachte als deinen zuverlässigsten Freund. Als mir heute nachmittag die Zeit bis zum Wiedersehen zu langsam verstrich, überlegte ich alle möglichen Fälle genau. Dann ritzte ich mit dem Messer ein Merkmal auf den Rand des Dinges. Bei Licht wirst du es sofort entdecken. Drehst du es, daß die Nadel mit der Spitze gerade vor dem N steht, also gegen Mitternacht weißt, so bezeichnet das Merkmal die Richtung, die du innezuhalten hast. Kommt also die Stunde, in der du keinen anderen Ausweg mehr weißt, dann sattle euer flinkstes Pferd, stecke Lebensmittel auf drei, vier Tage zu dir und reite auf die Prairie hinaus. Dort ist das Merkmal dein Wegweiser. Reite langsam oder schnell, weiche rechts oder links ab, wenn du Hindernissen begegnest, nur achte darauf, daß du stets wieder in die vorgeschriebene Richtung kommst, wobei Rabbit dir von großem Nutzen sein wird, und du kannst mich nicht verfehlen. Denn ob du eine halbe Tagereise zu weit gegen Morgen oder gegen Abend verschlagen wirst, macht keinen Unterschied. Die Herden weiden gesondert voneinander und erstrecken sich zuweilen über die Breite einer Tagereise hinaus, da mußt du auf die eine oder die andere stoßen; wirst sie auch schon aus der Ferne entdecken. Belästigen dich aber die Hirten – die sind nämlich mutwilliges Gesindel – dann zeige ihnen den Kompaß, und du wirst erstaunen, wie höflich und gefällig sie werden. Wir sind dann nicht weit vom Rio Grande, wo es Notare und Geistliche in Fülle giebt, die uns zusammensprechen können.«
   »Keines deiner Worte vergesse ich,« erklärte Bell eifrig, und die letzte Spur von Bitterkeit war aus ihrem Wesen verschwunden, »und baue darauf: ist die Zeit zum Handeln da, lass' ich mich nicht säumig finden. Doch anderes beunruhigt mich noch. Die beiden Fremden, die heut bei uns ankehrten –«
   »Ich sah sie,« schaltete King Bob aufbrausend ein, »die nichtswürdigsten Schurken, die je mit dem Schweiß und Blut ihrer Mitmenschen sich mästeten.«
   »Was du sagst, Bob, ist Wahrheit, und ich fürchte, der Tag ist nicht fern, an dem wir von unserer Farm vertrieben werden.«
   »Das heißt, wenn ihr gutwillig geht. Denn begegnet ihr Gewalt mit Gewalt, da möchten die Sklavenmänner sich doch besinnen, ihre verräterischen Schädel zur Zielscheibe für eure Büchsen herzugeben,« versetzte King Bob hohnlachend. »Verdammt!« und seine Stimme erhielt einen eigentümlichen Ausdruck zügelloser Begeisterung, »dein Vater baut starke Palissadenzäune, ich gewahrte es aus der Ferne, und das verrät einen bedachtsamen Mann. Bei Gott, Bell, mit anderthalb Dutzend zuverlässigen Schützen hinter der Brustwehr zu stehen und den feilen Hunden gemächlich eine Kugel nach der anderen zuzuschicken, das müßte eine wahre Herzenslust sein –«
   »Wozu ich deine Beihilfe am wenigsten gebrauche,« ertönte hinter ihnen eine tiefe harte Stimme.
   Beide sprangen auf, und vor ihnen stand Howitt. Von Argwohn erfüllt, war er nicht auf dem Pfade gekommen, den Rabbit bewachte, sondern auf einem Umwege aus entgegengesetzter Richtung. So behutsam war er auf dem Ufer hinter dem ihn bergenden Gebüsch einhergegangen, daß Arrowmaker sowohl wie die mit ganzer Seele in ihr ernstes Gespräch vertieften jungen Leute seine Nähe nicht eher ahnten, als bis er seine Stimme erhob.
   Bell, von Entsetzen ergriffen, verharrte regungslos. Keinen Laut vermochte sie von sich zu geben, als sie des Vaters ansichtig wurde. Was sie fürchten, was sie hoffen sollte, wußte sie nicht. Wohl aber war sie im klaren darüber, daß zwei Männer einander gegenüberstanden, die, gleich starrköpfig und leidenschaftlich, gleich hoch gewachsen und von gleichem trotzigen Vertrauen auf ihre Körperkraft erfüllt, das Aergste nicht als ausgeschlossen erscheinen ließen. King Bob, zwar ebenfalls erschrok– ken, gewann indessen alsbald seine Besonnenheit zurück, und die heftige Erregung niederkämpfend, erwiderte er in ehrerbietigem Tone:
   »Das sollte mich nicht hindern, Daniel Howitt, wenn Not vorhanden wäre, Ihnen meine Arme und mein Blut zur Verfügung zu stellen und Ihnen eine Verstärkung zuzuführen, vor der Ihre verworfenen Feinde zusammenknickten wie die verbrannten Grasstoppeln auf der Prairie unter einem vollwichtigen Fuß.«
   Howitt beachtete seine Erklärung nicht, sondern, sich Bell zukehrend, hob er mit erbarmungsloser Stimme an: »Das nennst du also einen Besuch beim alten Arrowmaker? Trotz meiner ernsten Warnung schämtest du dich nicht der Sünde, heimlich mit jemand zusammenzukommen, von dem du weißt, daß er meine Schwelle nicht überschreiten darf?«
   Auf Howitts Vorwurf ermannte Bell sich zu dem flehentlich sanften, jedoch festen Ausspruch: »Der einzige Mensch in der Welt, der über alles hinweg treu zu mir steht, dem ich mit heiligen Eiden mich versprochen habe, ritt zwei Tage und zwei Nächte, um mir ein freundliches Wort zu sagen; sollte ich ihm da ein kurzes Wiedersehen verweigern?«
   Wäre er um die Welt geritten, so hätte ihm das kein Recht gegeben, auch nur einen Blick von Dir zu erbetteln,« entschied der Alte jedoch unbeugsam. »Du hast gegen mein Gebot gehandelt, hast dich an Vater und Mutter versündigt, daß allein Elternliebe dich davor bewahrt, auf ewig aus dem Hause gewiesen zu werden. Was aber denjenigen betrifft, der mit seinen Schmeichelreden dich bethörte, da sage ich dir zum letztenmal: Flehtet ihr beide auf euren Knieen um meine Billigung eures hinterlistigen Verrates, so würde ich antworten: Jedem anderen ehrlichen Manne, und wär's ein verhungerter Knecht, der um meine Tochter anhält, gebe ich sie, doch nie einem Pferdedieb –«
   »Pferdedieb?« schrie King Bob wie in Raserei auf, vergegenwärtigte sich aber im nächsten Augenblick, daß es Bells Vater, der vor ihm stand, und besonnener sprach er weiter: »Sagte das ein anderer zu mir, so wäre unter meiner Faust das letzte Wort in seiner Kehle erstickt. Ihnen dagegen will ich jetzt hier in Bells Gegenwart eine Erklärung erteilen, deren ich mich nicht zu schämen brauche –«
   »Auch nicht des Vorwurfs, einen friedlichen Mann über den Haufen geschossen zu haben?« fiel Howlitt schneidend ein.
   »Auch nicht dieses Vorwurfs. Sind Sie aber ein rechtschaffener Mann und Christ, dem's widerstrebt, falsch Zeugnis abzulegen, so werden Sie mich zu Ende hören und mir Glauben schenken. Trifft auch mancher gerechte Tadel mich, so darf ich mich doch wohl rühmen, mit der Wahrheit nie frevelhaftes Spiel getrieben zu haben. Daran gedenken Sie, während ich rede. Denn wer mich einen Lügner nennt, der beleidigt mich auf den Tod, und dafür giebt es nur eine Sühne, der ihrer zwei zum Opfer fallen.« Wie in der Besorgnis, vielleicht zu weit gegangen zu sein, zögerte er. Er fühlte, wie Howitts Blicke sich in seine Augen gleichsam einbohrten; aber auch er selbst sah auf ihn hin, wie auf jemand, von dem er einen Angriff auf Leben und Tod zu gewärtigen habe. Nur ein Schritt trennte die beiden mächtigen Gegner voneinander. Mochte indessen das Blut in den Adern beider kochen, so verstanden sie es doch, sich zu beherrschen.
   Sekunden verstrichen. Bell zitterte. Die Hände ineinander ringend, vermochte sie kaum, sich aufrecht zu erhalten. Noch weniger wagte sie, ihre Stimme zu erheben. Es folterte sie die Angst, dadurch, daß sie an ihre Anwesenheit erinnerte, eine furchtbare Katastrophe herbeizuführen. Endlich atmete Howitt tief auf. Es klang wie das Röcheln eines gefesselten Raubtieres dortiger Waldungen, jedoch heiseren Tones begann er:
   »Ich strafe keinen Lügen, dem ich die Falschheit nicht beweisen kann. Jeden freien Mannes Recht ist, das von seinem Mitmenschen zu fordern. Jetzt rede und mache ein Ende.«
   »Mehr als Gerechtigkeit verlange ich nicht,« versetzte King Bob wieder besänftigt, halb zu der verzweifelnden Geliebten gewendet, »und so hören Sie: Aufgestachelt von den Vaqueros weit und breit, die mich als den Stärksten zu ihrem Vormann ernennen wollten, verstand ich mich dazu, eine Probe meiner Gewandtheit und Todesverachtung abzulegen. Es handelte sich darum, einem der schärfsten Herdenbesitzer ein Pferd zu rauben. Es gelang mir trotz aller Hindernisse, trotz der Gefahr, den mißlungenen Versuch mit dem Leben bezahlen zu müssen. Als ich eine Woche später mit meiner Beute bei den Kameraden eintraf, hieß ich nicht mehr Robert King, sondern King Bob. Doch schon folgenden Tages ritt ich denselben Weg, den ich gekommen war, zurück. Zweihundert Dollars, beinahe meine ganzen Ersparnisse, hatte ich zu mir gesteckt. So trabte ich vor das Haus des Beraubten, und ohne vom Sattel zu steigen, erklärte ich ihm die ganze Angelegenheit. Zum Schluß sagte ich, daß das Pferd für ihn verloren sei, ich aber gekommen, den geforderten Preis dafür zu bezahlen. Da nannte er mich den hinterlistigsten Räuber, der je verdiente, gehangen zu werden. Das Pferd sei ihm zu keinem Preis feil, behauptete er, ich aber sollte für meine Schandthat mindestens im Gefängnis büßen. Nach diesem bösen Hohn warf ich ihm die zweihundert Dollars vor die Füße – der Gaul war nicht halb so viel wert – und schwor ihm zu, daß, wenn er ebenso ehrlich wäre wie ich, sein Urteil anders gelautet hätte. So kam ein Wort zum anderen, und lauter schrieen wir, daß alle Leute seiner Farm zusammenliefen und uns beobachteten. Er allein hätte sich nicht an mich herangetraut. Angesichts der sieben, acht Männer achwoll ihm dagegen der Kamm, daß er sie aufforderte, mich zu verhaften. Damit ging auch meine Geduld auf die Neige. Ich zog den Revolver und drohte, jeden niederzuschießen, der Hand an mich lege. Die Leute wichen zurück. Der Farmer aber riß nunmehr ebenfalls den Revolver aus dem Gurt und feuerte auf mich.
   Die Kugel flog so dicht an meiner Schläfe vorbei, daß sie das Haar mit fortnahm, und die zweite hätte sicher ein Ende mit mir gemacht. Doch bevor er Zeit zu einem neuen Schuß gewann, brach er unter dem meinigen zusammen. Gleichzeitig spornte ich mein Pferd, und gefolgt von einigen gut gemeinten Kugeln, suchte ich das Weite. Wie ich später erfuhr, wurde der Verwundete binnen wenigen Wochen vollständig ausgeheilt. Ich hätte mich also unbesorgt dem Gericht stellen können, und meine Freisprechung wäre erfolgt. Es liegt daher für Sie kein Grund vor, mich zu einem Verbrecher zu stempeln.«
   »Und was beweist das?« fragte Howitt geringschätzig. »Den Diebstahl kannst du nicht ableugnen, ebensowenig den Angriff auf den rechtmäßigen Herrn des gestohlenen Pferdes. Und so rate ich dir, deines Weges zu ziehen, solange es noch Zeit ist.«
   »Ja, meines Weges will ich ziehen,« antwortete King Bob, und seine Stimme zitterte vor der in ihm gärenden Leidenschaftlichkeit, »doch nicht, bevor ich Ihnen einen ehrlichen Vorschlag gemacht habe. Und meine Ehrlichkeit ist schon allein dadurch in ein klares Licht gestellt worden, daß man mir die Oberaufsicht über Hunderttausende von Dollars anvertraute. Keine vier Monate dauert es, und ich bin wieder hier, um Ihre Tochter zur Frau zu begehren. Ein trotziger, wilder Geselle mag ich sein, das leugne ich nicht. Sitze ich aber erst friedlich auf meiner eigenen Scholle, so schleift sich das ab, und da werden weder Sie noch Bell jemals Ursache finden, dem offenen Wort eines rechtschaffenen, auf seine Ehre bedachten Mannes Glauben geschenkt zu haben.«
   »Vater!« hob Bell, in Thränen ausbrechend, nunmehr mit dem Mute der Verzweiflung an, »höre auf ihn! Sei barmherzig und treibe mich nicht zum Aeußersten –«
   »Schweige,« gebot Howlitt hart, »schweige mit deinem Aeußersten und gehe nach Hause! Deinen Partner sahst du zum letztenmal. – Fort, sage ich!« herrschte er der noch Zögernden erbittert zu, »und sei eingedenk, daß ich Mittel besitze, eine pflichtvergessene, aufsässige Tochter gefügig zu machen, und wäre ich gezwungen, sie mit dem ersten besten Landstreicher zusammenschreiben zu lassen.«
   Bell schritt davon. Ihre Haltung war eine herausfordernde geworden. Es regte sich in ihr das Blut des Vaters. Bis auf den Tod gekränkt durch die dem Geliebten zugeschleuderten Anklagen, reifte in ihr der Entschluß, scheinbar dem Willen des Vaters sich zu unterwerfen, jedoch nur bis zu der Stunde, in welcher der Weg zu ihrer Vereinigung mit King Bob sich vor ihr öffnen würde.
   Dieser wartete, bis sie zwischen dem Buschwerk verschwunden war; dann richtete er, den auf seine Entfernung wartenden eisernen Squatter noch etwas überragend, sich selbstbewußt auf.
   »Sie verweigern mir Ihre Tochter. Dazu besitzen Sie ein Recht. Doch auch mir steht ein unantastbares Recht zu, und das begründet sich auf die heiligen Eide, die zwischen Bell und mir gewechselt wurden –«
   »Bist du fertig?« fragte Howitt schneidend.
   »Noch nicht,« antwortete King Bob kaltblütig, »und so erkläre ich feierlich, daß Bell trotz aller ungerechten Schmähungen und uns grausam in den Weg geworfenen heillosen Hemnisse dennoch die Meinige wird, und müßte ich bei dem Versuch, sie zu erringen, elend zu Grunde gehen.«
   »So gehe zu Grunde und fahre zur Hölle,« versetzte Howitt nicht minder gelassen, »damit dürfte der Zwiespalt zwischen uns breit genug geworden sein, daß Menschenkräfte ihn nicht mehr zu überbrücken vermöchten.«
   »Einem rechten Manne ist nichts unmöglich,« erwiderte King Bob, und in seiner Stimme verriet sich unerschütterliche Willenskraft. »Was sich hier ereignen mag: Sie selbst sind verantwortlich dafür, wenn ein schweres Verhängnis auf Sie und Ihre Familie hereinbricht.«
   Gleich darauf befand er sich bei dem Kawindianer. Schweigend nahm er seine Büchse, und ohne Benutzung des Steigbügels sprang er in den Sattel. Klirrend trafen die großen Sporenräder den Mustang, der in wilden Sätzen über die Lichtung stürmte und, ähnlich seinem Herrn, den Kopf geneigt und nach vorn gestreckt, in das Gebüsch eindrang.
   Finster lauschte Howitt ihm nach, wie die Zweige vor ihm rauschten, einknickten und wieder zurückschnellten. Arrowmaker führ den Vorschub zur Rede zu stellen, welchen er den jungen Leuten leistete, verschmähte er.
   »Steckte der leibhaftige Satan nicht in ihm drinnen, möchte er vielleicht ein ganzer Mann geworden sein,« grollte er vor sich hin, indem er langsam heimwärts wandelte. »Zum Teufel mit ihm! Ich war's nicht, der ihn rief.«
   Gleichzeitig mit Bell traf er vor dem offenen Palissadenzaun ein.
   »Woher kommst du? Längst hättest du zu Hause sein müssen,« fragte er streng.
   Bell, die so lange geneigten Hauptes gegangen war, richtete sich auf. Deutlich unterschied Howitt, daß ein unheimlicher Ausdruck der Entschlossenheit sich über ihr Antlitz ausgebreitet hatte. Es leuchtete förmlich im Mondschein, so bleich war es geworden.
   Ich wartete auf King Bob,« antwortete sie unerschrocken, sogar trotzig. »Um mich zu sehen, ritt er Tag und Nacht. Ich war's ihm schuldig, ihn nicht scheiden zu lassen, ohne ihm lebewohl gesagt zu haben. Meinen heißesten Segen gab ich ihm mit auf den Weg.«
   »Es ist gut,« versetzte Howitt weniger hart, als hätte der Anblick des schönen, stattlichen Mädchens ihm eine gewisse Achtung eingeflößt, »das Lebewohl gönne ich ihm, vorausgesetzt, daß es eins auf ewig gewesen.«
   Mit ruhiger Entschiedenheit erklärte Bell: »Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Mann deiner Wahl folgen, steht geschrieben. Neben dem Segen erneuerte ich den Schwur meiner Treue.«
   Howitts Zorn bäumte sich wieder auf. »Wer des Vaters Fluch auf sich ladet, dem blüht kein Glück,« knüpfte er in seiner tiefen Verbitterung an, »dessen sei eingedenk bei allem, was du unternimmst.«
   »Ich werde es sein. Aber auch eingedenk, daß ein Herr über uns allen ist, der die Herzen der Menschen prüft,« fügte Bell bitter hinzu, und an dem Vater vorbei schritt sie über den Hof.
   Howitt blieb noch eine Weile draußen. Finster betrachtete er den Mond. Der Besuch der Landspekulanten hatte ihn feindlich aufgeregt. Was galten ihm alle durch sie wachgerufenen Sorgen im Vergleich mit dem Bewußtsein, mit der einzigen Tochter unheilbar zerfallen zu sein. Gewiß gönnte er ihr von ganzem Herzen ein fest begründetes dauerndes Glück, aber nur ein solches, wie es im Einklange mit seinen eigenen Anschauungen stand. Wie als Herrn seiner Farm, betrachtete er sich auch als Herrn und Gebieter seiner Familie. Seinem Willen gegenüber gab es keinen anderen. Er hatte gesprochen; an seinem Wort konnte nicht mehr gerüttelt oder gedeutelt werden.
   »Das war ein schwerer Tag,« stöhnte er unbewußt, wie dem Monde seine Gedanken anvertrauend, und langsam kehrte er sich der Hütte zu. Tief auf seufzte er beim Anblick des kleinen matt erleuchteten Fensters. Was hätter er nicht darum gegeben, wäre der wilde Steppenreiter seiner Tochter nie in den Weg geführt worden. Sollte hinfort Zwietracht in seiner Familie die Herzen trennen, so schrieb er King Bob allein die Schuld zu. Dunkel lag die Zukunft vor ihm. Was mochte sie bringen? Den heimtückischen Feinden, die sein vieljähriges, patriarchalisch, wenn auch streng regiertes Reich bedrohten, fühlte er sich gewachsen. Wie ein Alp lastete dagegen auf ihm der Gedanke an den gestörten Frieden unter seinem Dach.


   Viertes Kapitel

   »Thomas King, Kunstschlosser,« las man oberhalb der Thür eines aus Balken und Brettern fest errichteten einstöckigen, verwitterten Hauses auf einem Schilde mäßigen Umfanges. Das Haus lag am äußersten Ende der Stadt St. Charles. Mit dem Rücken lehnte es sich gewissermaßen über einen Gemüsegarten hinweg an einen Hain großer Waldbäume, die trotz der Nähe der Stadt bisher von der lichtenden Axt verschont geblieben waren. Von der Vorderseite betrug die Entfernung bis zum Rande des Missouriufers kaum dreißig Schritte. Auch hier war ein Schild mit der bedeutsamen Inschrift angebracht worden. Heute erstreckt sich St. Charles längst über jene bescheidene Heimstätte hinaus. Damals hörte man vom frühen Morgen bis zum späten Abend aus der rechtsseitigen Hälfte des Hauses mit kurzen Unterbrechungen das Pinken und Klopfen meist leichter Hämmer auf Hof und Gemüsegarten herausschallen, oder das Knirschen und Kreischen, womit scharfe Feilen das bildsame Eisen benagten.
   Anfangs, also sechzehn, siebzehn Jahre früher, hatte der Hausbesitzer oft schwer um Arbeit zu kämpfen gehabt. Seine Kundschaft wuchs indessen in demselben Grade, in dem die Leute zu der Erkenntnis gelangten, daß ein nur mit einem bestimmten Schlüssel zu öffnendes Schloß allen vorzuziehen sei, die, aus Fabriken hervorgegangen, es namentlich in den Farmlandschaften einem marodierenden Landstreicher ermöglichten, mit einem und demselben Schlüssel sich überall in jedes Haus, in jede Hütte Zutritt zu verschaffen. Dann verringerte sich die Kundschaft wieder durch eigenes bedachtsames Dazuthun. Das Pinken, Hämmern, Feilen und Schnurren einer neu beschafften Drehbank nahm indessen seinen ungestörten Fortgang. Die an sich schon geräumige Werkstatt erfuhr sogar noch eine Erweiterung durch Anlage eines fensterlosen Nebenraumes, in dem der Meister, gleichviel ob am Tage oder zu nächtlichen Stunde, bei Lampenlicht diese oder Arbeit fortsetzte oder vervollständigte.
   Zu diesem stets verschlossen gehaltenen Raume hatte außer ihm kein anderer Zutritt. So ruhte etwas Geheimnisvolles auf dem Treiben des stillen Mannes. Dieser Eindruck wurde dadurch erhöht, daß hin und wieder einzelne Herren ihn besuchten, mit denen er sich zuweilen auf Stunden einschloß, ferner, daß kaum noch Kunden vorsprachen und dessenungeachtet niemals Not bei ihm einkehrte. Was er hämmerte, was er drehte, feilte und pinkte, ahnten nicht einmal seine Hausgenossen, die sich übrigens auch nicht viel um seine Thätigkeit kümmerten.
   Für einträglich hielten sie dieselbe allerdings, denn ihren scharfen Ohren entging nicht, daß bei Gelegenheit der rätselhaften Besuche Geldstücke in erheblicher Menge klirrend aufgezählt wurden, und das genügte ihnen. In den Verdacht der Falschmünzerei geriet er bei ihnen nicht; dazu kannten sie ihren Hausherrn zu genau. Und daran, daß er, außer einem Lehrling, dessen Verschwiegenheit über alle Zweifel erhaben, keinen Gehilfen um sich duldete, hatten sie sich im Laufe der Jahre gewöhnt. Denn sein einziger Gehilfe war und blieb jener Lehrling, ein großer weißer Spitzköter, den er abgerichtet hatte, innerhalb eines leicht beweglichen Rades einherzuschreiten und dadurch zeitweise den Blasebalg in Bewegung zu erhalten.
   Thomas King selber war ein ursprünglich hoch und schlank gewachsener Mann von etwa achtundfünfzig Jahren, mit weißem Haupthaar und Bart. Sein tief gerunzeltes hageres Gesicht zeigte nur den einzigen Ausdruck ernsten, sogar schwermütigen Sinnens. Auch seine Augen blickten, als ob Jugendfrohsinn und Lebenslust ihnen unbekannte Dinge geblieben wären. Weitere Merkmale einer getrübten Stimmung verheimlichte der starke Vollbart.
   Er hatte eben vor dem mit Instrumenten bedeckten Werktisch sein Frühstück beendigt, als vor dem nach dem Hausflur sich öffnenden Fensterchen ein verwittertes altes Gesicht auftauchte und ihn mit einer gewissen prüfenden Teilnahme betrachtete. Ueberragt wurde es von emporstrebendem kurzem graulockigen Haar. Die kleine runde, fleischige Nase bildete gewissermaßen den Grenzstein zwischen zwei gutmütig schauenden Augen und den Lippen eines erträglich großen Mundes, die einer üppig dampfenden Thonpfeife zum Halt dienten. Zu diesem wunderlichen Haupte gehörte eine nicht minder wunderliche Frauengestalt. Wie das Gesicht schien auch sie ursprünglich für einen Mann bestimmt gewesen zu sein, so hoch und breitschulterig war sie gebaut, so aufrecht und zuversichtlich war ihre Haltung.
   Zufrieden mit dem Erfolg ihres Spähens, legte die seltsame Erscheinung die brennende Pfeife auf eine Stelle des Fensterbrettchens, die durch vieljährige Benutzung bereits braun angesengt war, und nach einem flüchtig ordnenden Griff mit den gespreizten Fingern durch das Scheitelhaar trat sie in die Werkstatt ein. King sah auf.
   »Was bringen Sie, meine liebe Frau Hickup?« fragte er träumerisch und daher ausdruckslos.
   »Nichts Schlechtes, Mr. King,« antwortete Frau Hickup in dienstlichem Meldeton, »seit beinahe acht Jahren führe ich Ihnen die Wirtschaft, und wenn bis jetzt nicht alles auseinanderfiel, so haben Sie das nur meiner stets hochgehaltenen militärischen Ordnung zu verdanken, wie mein seliger Knockhimdown sie mir als Hauptlebenszweck einprägte.«
   »Gewiß erkenne ich Ihre große Ordnungsliebe und treue Fürsorge dankbar an,« versetzte King wohlwollend auf die unzähligemal gehörte Einleitung, deren Endergebnis er vorhersah, »und daß ich Sie um keinen Preis verlieren möchte, brauch' ich wohl nicht zu beteuern.«
   »Nein, Mr. King, sicher nicht. Aber auch ich darf behaupten, lieber einem Goldschmied mit den vornehmen Manieren eines Colonels zu dienen, als einem Gouverneur mit dem Anstande eines Niggers. Das waren die Grundsätze meines seligen Korporals, und die sind in mein Fleisch und Blut übergegangen. Also militärische Pünktlichkeit: Heut ist der Erste, mithin Traktamentstag.«
   »Schon wieder. Wie die Zeit hingeht, und das Geld mit ihr! Ich werde alt, und an Sparen ist nicht mehr zu denken.«
   »Was wollen Sie noch sparen? Geht's mit der Arbeit nicht mehr, so verkaufen Sie die vier Morgen Land hier herum. Die sind jetzt dreißigmal so viel wert, wie vor fünfzehn Jahren, und von dem Erlös können Sie behaglich leben, wie ein Major auf Halbsold. Hätte der Bob, der Taugenichts, nur nicht so viel verthan –«
   »Nicht weiter, Frau Hickup, ich bitte darum. Mir fällt am wenigsten zur Last, wenn er mißriet. Am liebsten ist mir, wenn ich gar nicht mehr an ihn erinnert werde.«
   »Und doch war er ein prächtiger Junge, ein geborener Flügelmann,« erklärte Frau Hickup mit großer Wärme, »nur Subordination und Disziplin fehlten ihm, die ersten Tugenden eines gebildeten Mannes. Und was für ein Paar wäre es geworden, hätte der Schlingel das Kind, meine Independence, geheiratet.«
   »Ein sehr schönes Paar,« bestätigte King gefällig.
   »Nun, vielleicht kehrt er zurück, und gebessert obenein. Das Kind ist ja noch da, und nebenbei hängt es heut noch mit rechter Liebe an ihm.«
   »Nein, nimmermehr geschieht das,« erklärte King mit scharf hervorklingender Erbitterung, »er besitzt einen Eisenschädel, und wäre ich wirklich geneigt, zu verzeihen, so ginge er lieber zu Grunde, bevor er ein gutes Wort an mich verlöre.«
   »Sie sind immerhin der Vater und nicht der erste, der Kummer an seinem Sohne erfuhr. Doch solange der Mensch lebt, soll er die Hoffnung nicht verlieren, und heut ist Traktamentstag.«
   »Ja, das Geld,« ging King sofort auf die zarte Anspielung ein, »schicken Sie nach zehn Minuten Independence, und es liegt bereit. Sie soll sich das Schurzfell umhängen, um mit dem großen Hammer einige Schläge auf ein unhandliches Stück Eisen zu thun.«
   Frau Hickup, an die Seltsamkeiten ihres Brotherrn ebenso gewähnt, wie er an die ihrigen, entfernte sich mit einem Blick, in dem aufrichtige Teilnahme und Verehrung sich einten. Er selbst begab sich in sein Schlafzimmer, wo er eine Weile mit verschiedenen Schlüsseln klirrte.
   Er war eben in die Werkstatt zurückgekehrt und hatte eine kleine Reihe Goldstücke auf den Tischrand gezählt, als nach bescheidenem Klopfen das Kind des Hauses eintrat, dieselbe Independence, wie ihr patriotischer Vater sie hatte taufen lassen, von der ihre Mutter behauptete, daß unwiderstehliche Reize sie schmückten. Und Reize besaß sie in der That. Zunächst einen Körper von tadellosem Ebenmaß, einer Größe und einem Gliederbau, daß mancher Farmerbursche gewiß gern mit ihr getauscht hätte. Ihr Gesicht war rund und strotzend in dreiundzwanzigjähriger Gesundheit. Die etwas nach oben weisende veredelte Stumpfnase der Mutter hätte durch keine andere ersetzt werden können, die besser zu den vollen Wangen und den üppigen Lippen des hübsch geschnittenen Mundes mit den blendend weißen Zähnen passend gewesen wäre. Dazu kamen zwei große hellbraune Augen, von denen unentschieden war, ob sie mehr Gutmütigkeit oder Schlauheit ausstrahlten.
   Auf ihren zutraulich höflichen Gruß wies King auf das Geld, und ohne es zu beachten bemerkte Independence munter:
   »Ich hörte, Sie hätten ein gröberes Stück Arbeit für mich,« und bezeichnend traf die große Hand das von ihrem Halse niederhängende Schurzfell.
   »Die Stütze einer Nähmaschine versprach ich zu erneuern, und die verlangt schon die Nachhilfe eines schwereren Hammers,« erklärte King, und während er aus dem Eisenvorrat ein geeignetes Stück hervorsuchte, rollte Independence die Aermel auf, und neben den Amboß hintretend, ließ sie den zur Hand liegenden Hammer probeweise auf demselben klingen. Bei diesem Geräusch sprang Kornett, wie Frau Hickup den Spitz getauft hatte, unter dem Werktisch hervor und in das Rad hinein und beobachtete von dort aus aufmerksam die Bewegungen seines Herrn. Kaum aber schürte dieser die Glut, als er seinen endlosen Weg schweifwedelnd antrat. Gleichzeitig begann das Fauchen des Blasebalgs und das Sprühen der Funken. Bis zum Erglühen des Eisens dauerte es indessen eine Weile, und die füllte Independence mit lebhaften Mitteilungen aus.
   »Ich will es nur bekennen,« begann sie munter, »der Mutter traue ich in manchen Dingen nicht über den Weg. Immer und immer wieder hechelt sie an mir herum. Daher stellte ich mich neben der Thür auf, um zu horchen –«
   »Was nicht das erste Mal gewesen ist,« schaltete King gelassen ein.
   »Hoffentlich auch nicht das letzte Mal, Mr. King, und das gereut mich nicht. Denn alles, was sie über mich redete, war Unsinn. Dachte ich doch ebensowenig daran, Ihren ungeratenen Jungen zu heiraten, wie da den Kornett. Gut war ich ihm zwar von Herzen, oder ich hätte seine Quälereien nicht so geduldig ertragen; aber heiraten? Brrr! Was sollte ich mit einem Manne, der stärker wäre als ich, den ich also fürchten müßte?«
   »Sie sprach wohl nur im Scherz,« meinte King mit dem matten Anfluge eines Lächelns.
   »Nein, ihr blutiger Ernst war's, und den Plan mit uns beiden hat sie heut noch nicht aufgegeben. Dabei weiß keiner besser als sie, daß er vor zwei, drei Jahren in der Ferne mit einem halbwilden Squattermädchen anbändelte. Das mag ein schönes Ding sein!«
   Die Unterhaltung stockte, indem King das Eisen in der zischenden und schnaubenden Glut drehte, Wasser über die Kohlen spritzte und das sich rötende Metall prüfte. Endlich packte er es mit der Zange fester, legte es auf den Amboß, und unter der Wucht des Hammers, den Independence mit der Gewalt und Sicherheit eines Vulkan schwang, bebte die ganze Werkstatt. Aber als hätten die umherspritzenden Funken ihren frohen Lebensmut erfrischt, begann sie ohne große Anstrengung ein Lied zu singen, nach dessen Takt sie die Schläge regelte:
   »Und der Grobschmied ist schwarz,
   Seine Dollars sind weiß;
   Er verdient sie bei Tag,
   Nachts verthut er sie mit Fleiß!
   Quenkedillo, Quenkedillo dillo dillo dillo –«
   hieß es dann immer wieder mit einem Atem, den sie von dem Blasebalg entlehnt zu haben schien.
   »Sei nur froh, daß es mit dir und dem Robert nichts geworden ist,« nahm King bei der ersten Pause das Gespräch mit heimlichem Widerwillen wieder auf, »der wäre nimmermehr ein Mann für dich gewesen. Du bist eine stattliche Person und wirst schon einen anderen und besseren finden –«
   »Ich heirate nie,« fiel Independence zutraulich ein, wie vor Jahren, wenn sie den stillen Hausherrn mit ihrem endlosen Geplauder bei der Arbeit störte, »ich will Ihnen auch sagen, weshalb. Ich hatte nämlich einen Schatz – Sie entsinnen sich vielleicht des lustigen Jerry – und seitdem der mir untreu wurde und als Söldling Handgeld nahm, schlug ich mir das Freien gänzlich aus dem Kopf.«
   »Schade; du wärest sicher eine vortreffliche Hausfrau geworden.«
   »Mag sein, Mr. King; aber lieber mein Brot als Grobschmied verdienen –« sie brach ab. Nachlässig durch das offene Fenster spähend, wurde sie eines Fremden ansichtig, der, von dem Hain her den Gemüsegarten durchschreitend, eben nach dem Hofe hinaufbog.
   »Da kommt einer,« bemerkte sie leise, denn sie wußte, daß King, außer im Geschäftsverkehr, jeden Umgang ängstlich mied, »der sieht freilich nicht wie jemand aus, der große Bestellungen auf dem Herzen trägt.«
   King stellte die Arbeit ein, für Kornett ein Zeichen, das Rad zu verlassen, sich zu schütteln und behaglich auszustrecken. Dann traten die beiden Arbeitsgefährten neben das Fenster hin, von wo aus sie, ohne selbst bemerkt zu werden, den Fremden zu überwachen vermochten. Ein vielleicht dreißigjähriger Mann war es, in der Blüte der Jugendkraft, mit einnehmendem sonnverbrannten Gesicht, braunem Vollbart und einer Haltung, die ihn als den bevorzugteren Gesellschaftskreisen angehörend kennzeichnet. Während des Einherschreitens behielt er das oberhalb der Hausthür angebrachte Schild im Auge, bemerkte daher nicht sogleich das eben auf die Schwelle tretende Mannweib. Erst als ihn nur noch wenige Schritte von dem Eingange trennten, sah er auf die seltsame Erscheinung, und den Hut lüftend, fragte er höflich, ob Herr King zu Hause und zu sprechen sei.
   Und herein zu King und Independence schallten die herrischen Worte:
   »Zu Hause? Ja. Ob aber zu sprechen, ist eine andere Frage. Bei Gingo! Eine Sünde wär's, ihn um Kleinigkeiten bei seiner schweren Arbeit zu stören.«
   »Um Kleinigkeiten kam ich nicht den weiten Weg von Deutschland herüber –« begann der Fremde.
   Die Pfeife aus dem Munde nehmend, fiel Frau Hickup unwirsch ein: »Einerlei. Ist Ihr Anliegen so schrecklich wichtig, mein junger Mann, so reden Sie herunter von Ihrer Leber. Hier ist alles militärisch geordnet. Sagen Sie, wer Sie sind, was Sie wünschen, sag' ich, und ich werde es pflichtschuldigst dem Herrn melden.«
   »Was würden Sie antworten, meine verehrte Dame, befragte ich Sie um Ihr Herkommen, um Namen und das, was Sie in Gedanken führen?« erwiderte der Fremde, durch die formlose Abfertigung gereizt.
   Frau Hickup betrachtete den nunmehr vor ihr Stehenden mit einer Miene, wie etwa der selige Knockhimdown zuzeiten einen ihm zugewiesenen krummbeinigen Rekruten. Er übte indessen offenbar einen erträglichen Eindruck auf sie aus; denn sich etwas straffer aufrichtend, ließ sie sich zu der Erwiderung herbei:
   »Was ich antworten würde, brauche ich vor keinem Menschen zu verheimlichen,« und die Gelegenheit, sich einem Unbekannten in ihrer ganzen Glorie vorzustellen, willkommen heißend, fuhr sie mit einer gewissen Feierlichkeit fort: »Mein ehrlicher Name ist Hickup, würde ich sagen, Witwe eines der berühmtesten Korporale, der durch einen fürchterlichen Hieb, mit dem er einem Apachewilden den Schädel spaltete, sich den ehrenvollen Beinamen Knockhimdown erwarb. Einer der berühmtesten Korporale, der jemals mit Weib und Kind an die Indianergrenze kommandiert und dort von den hündischen Rothäuten regelrecht skalpiert wurde.«
   »Wie traurig –« hob der Fremde an.
   Achselzuckend unterbrach ihn die stolze Korporalswitwe mit den Worten: »Traurig, aber immerhin kein unrühmliches Ende. Dagegen jetzt, nach den vielen langen Jahren, noch darüber zu winseln, wie ein verzogenes Muttersöhnchen, das unversehens in die Söldlingsjacke geriet, kann von mir nicht erwartet werden.« Zu ihrer Befriedigung entdeckte sie nach dieser Erklärung in den Zügen des Fremden ungeheuchelte Teilnahme, und dadurch aufgemuntert, gab sie ihrer Neigung, von sich selbst zu sprechen, weiteren Spielraum: »Weichmütigkeit lag nie in meiner Natur, wäre auch der Witwe eines Korporal Knockhimdown unwürdig gewesen; und da meine Pension nicht ausreichte, mich und meine Tochter, ein liebliches Soldatenkind, anständig zu ernähren, so entschied ich mich dafür, als Haushälterin bei dem weit und breit bekannten und geachteten Kunstschlosser King anzumustern, was zu bereuen ich nie Ursache fand, und er noch weniger. Sie ersehen daraus, daß ich berechtigt bin, nicht nur über sein leibliches Wohl zu wachen, sondern auch dafür zu sorgen, daß er ungestört bleibt.«
   »Und ich bekenne ebenso gern, daß ich auf den Namen Bertrand höre und mich auf dem Wege befinde, jemand zu suchen, über den Herr King mir vielleicht Auskunft erteilen kann.«
   »Und wer erlaubte sich, Sie in dieser Angelegenheit auf den Herrn King zu hetzen, wie 'ne Bulldogge auf 'nen wütigen Stier?«
   Zu dem wenig schmeichelhaften Vergleich lächelte Bertrand ergötzt, antwortete aber ernst: »Von der Stadt Kansas komme ich herunter. Dort verbrachte ich längere Zeit mit Nachforschungen nach der betreffenden Persönlichkeit, erfuhr indessen nur, daß ein gewisser Thomas King in St. Charles, wenn er noch lebe und nicht verzogen sei, der einzige sei, von dem vielleicht nähere Aufschlüsse zu erwarten seien. Gestern abend traf ich mit dem Dampfer ein. Bin ich aber trotz zeitraubender Erkundigungen nach dem Herrn King und seiner Wohnung schon hier, so zeugt das sicher für die Dringlichkeit meines Anliegens.«
   »Wie heißt die Persönlichkeit? Wie lautet Ihr Anliegen?« fragte Frau Hickup.
   Bis dahin hatten King und Independence dem deutlich zu ihnen hereindringenden Gespräch gelauscht, ersterer mit verheimlichter Unruhe, Independence brennend vor Neugierde und strahlend im Triumph über die Art, wie ihre Mutter den vermeintlichen Störenfried abfertigte. Bei der letzten Wendung aber, welche das hochnotpeinliche Verhör nah, kehrte King sich mit einer gewissen Entschiedenheit dem Mädchen zu.
   »Geh hinaus und führe den Fremden zu mir,« befahl er. »Gieb das Geld der Mutter, das stimmt sie milder, und wenn ich dein Freund bleiben soll, sorgst du dafür, daß keine unberufenen Ohren, auch die dienigen nicht, an Thür und Fenster horchen.«
   Independence strich ihr braunes krauses Haar, das beim Hämmern wild geworden, hinter die Ohren zurück und schlüpfte hinaus. Ein kurzer, durch die Geldstücke günstig beeinflußter Wortwechsel folgte; die Thür der Werkstatt wurde geöffnet, herein schritt Bertrand, und hinter ihm schlug die Thür krachend in ihre Fugen.
   »Ich hörte Ihr Gespräch mit meiner Haushälterin,« erklärte King nach der ersten Begrüßung in dem fließenden Englisch eines Deutschen, dem die Muttersprache bereits unbequem geworden, und mit unverkennbarem Mißtrauen suchte er in Bertrands Zügen; »wir sind dadurch der gegenseitigen Vorstellung überhoben; außerdem wurde ich vertraut mit dem Zweck Ihrer Anwesenheit hier, so weit Sie für gut befanden, ihn vor der Frau Hickup zu offenbaren. Es hindert daher nichts, ohne weitere Einleitung auf Ihr Anliegen einzugehen.«
   Er verriegelte die Thür und führte seinen Gast in das Schlafzimmer, dessen Einrichtung sehr anspruchslos und nur durch einen großen diebs– und feuersicheren eisernen Geldschrank der kunstvollsten Arbeit sich auszeichnete. Nachdem sie vor einem mit Briefschaften und Federzeichnungen bedeckten Tisch Platz genommen hatten, knüpfte er un– verweilt an das abgebrochene Gespräch mit den Worten an:
   »Da Sie nicht als Geschäftsmann kommen, halte ich für angemessen, Sie zu bitten, mit der dürftigen Umgebung vorlieb zu nehmen. Mehr kann von einem schlichten Handwerker nicht erwartet werden.«
   Eine gewisse steife Zurückhaltung lag in dem Tone, in welchem King sprach. Bertrand glaubte sogar herauszufühlen, daß er wenig willkommen sei, und ebenfalls verschmähend, sich der deutschen Sprache zu bedienen, antwortete er zwar höflich, jedoch nicht verbindlich:
   »Forscht man nach jemand, so dürfte das nicht minder als Geschäftssache zu betrachten sein, deren Erledigung keine lästigen und daher störenden Formen bedingt.«
   »Keine Störung,« versetzte King nach Art der Amerikaner, denen Zeit gleichbedeutend mit Geld, kurz und ausdruckslos. »Haben Sie nur die Güte, denjenigen zu nennen, dem Ihre Bemühungen gelten. Liegt es im Bereich meines Könnens, sollen Sie sicher befriedigt werden.«
   »Ich muß auf einem Umwege ans Ziel gelangen,« erwiderte Bertrand. »Als ich mich zur Reise nach den Vereinigten Staaten entschloß, wurde ich beauftragt, in der Stadt Kansas die Spuren eines gewissen Felix v. Pardelstein auszukundschaften und ihnen bis zu ihm selbst nachzufolgen. Was ich dort erfuhr, klang nur wenig ermutigend. Die mühevoll errungenen und daher unverbürgten Nachrichten beschränkten sich nämlich darauf, daß in der That vor vielen Jahren ein Pardelstein dort in tiefer Zurückgezogenheit gelebt habe, jedoch nach kurzer Zeit ohne Angabe seines Zieles weitergewandert sei. Seiner Person entsann sich keiner mehr. Dagegen erwähnte man einen ungefähr vierjährigen Knaben, der sich in seiner Begleitung befunden habe. Man hätte beide längst vergessen gehabt, wäre die Erinnerung an ihn nicht durch einen gewissen King lebendig erhalten worden, der später zureiste und bei einem Schlossermeister sich in dessen Handwerk vervollkommnete. Auch der besaß einen Knaben, in dem man – so berichtete des Schlossermeisters noch lebende Witwe mir selber – den kleinen Pardelstein erkannt haben wollte. Inwieweit ich richtig belehrt wurde, vermag ich nicht zu beurteilen; hoffe aber, daß Sie in der Lage sind, mich über den wahren Sachverhalt zu unterrichten.«
   Solange Bertrand sprach, hatte King regungslos gesessen. Nur die rechte Hand rührte sich mechanisch, indem sie mit einem Federmesser an dem Rande des alten, viel benutzten Tisches schnitzte. Aufmerksam überwachte Bertrand ihn, suchte aber vergeblich auf seinem hageren Gesicht nach einem Merkmal der Ueberraschung.
   So antwortete King auch erst nach einer Pause nachlässig: »Das ist so lange her, daß die Geschichte meinem Gedächtnis beinah gänzlich entschwand. Zugeben muß ich freilich, daß ich in freundschaftlichen Beziehungen zu jenem Pardelstein getreten war; dann aber, nachdem wir uns trennten, hörte ich nie wieder von ihm. Ebensowenig empfing ich Briefe von ihm oder solche, die für ihn bestimmt gewesen wären und die zurückzubehalten er mir aufgetragen hatte. Wo er sein Ende nahm, mag Gott wissen; und so ist es mir vollständig unmöglich, betreffs seiner Person die gewünschten Anhaltspunkte zu bieten. Er war überhaupt ein menschenscheuer, schweigsamer Mann, von dem ich nachträglich den Eindruck gewann, daß er mich zu irgend einem geheimnisvollen Zweck zu benutzen gedachte.«
   »Das ist beklagenswert,« versetzte Bertrand mit einem Ausdruck, der die Aufrichtigkeit seiner Worte verbürgte; »sollte er sich wirklich außerhalb des Bereiches aller Nachforschungen befinden, wohl gar gestorben sein, so würde ich meinen ganzen Eifer darauf zu verwenden haben, wenigstens seinen Sohn zu ermitteln. Das ist Ehrensache für mich geworden, und sein Sohn war der erwähnte Knabe unzweifelhaft, dasselbe Kind, welches er einst mit fortnahm, ohne jemals die geringste Nachricht über ihn nach Europa gelangen zu lassen.«
   King sann wieder nach, bevor er zögernd bemerkte: »Die Mittheilungen, die Ihnen wurden, treffen in den Hauptsachen zu. Ein Knabe begleitete ihn in der That. Ob es sein Sohn war, weiß ich nicht, muß es aber voraussetzen. Richtig ist ferner, daß der Knabe später bei mir gesehen wurde. Mein Verkehr mit Pardelstein fiel in die Zeit zwischen seiner und meiner Anwesenheit in Kansas. In einer südlichen Stadt lernten wir uns kennen. Als wir voneinander schieden, vertraute er mir den Knaben mit der dringenden Bitte an, ihn als meinen eigenen Sohn gelten zu lassen. Er hoffte, ihn dadurch vor Neigungen zu bewahren, die, durch das Bewußtsein, seine Herkunft auf ein altadeliges Geschlecht zurückführen zu dürfen, gefördert, nachteilig auf seine Zukunft einwirken könnten. Vereinsamt, wie ich in der Welt dastand, ging ich bereitwillig auf das Ansinnen ein, aber noch heut soll er kommen, um seinen Sohn zurückzufordern oder sich auch nur von seinem Ergehen zu überzeugen.«
   »Da der junge Mann – zur Zeit ist er ja herangereift – nicht bei Ihnen weilt, darf ich wohl darauf rechnen, daß Sie meinen Verkehr mit ihm anbahnen. Ich gebe zu bedenken, daß sehr Wichtiges für ihn auf dem Spiele steht.«
   »Was ich über ihn weiß, sollen Sie erfahren,« versetzte King mit sichtbarem Widerstreben, »zuvor möchte ich indessen darüber belehrt sein, wer Sie mit der gewiß schwierigen Aufgabe betraute, und was man mit dem jungen Mann beabsichtigt. Sie begreifen, daß Pardelstein, dessen volles Vertrauen ich besaß, als er die Zukunft seines nächsten Angehörigen in meine Hände niederlegte, mir auch Bedingungen vorschrieb, die rechtlicherweise nicht umgangen werden können.«
   »Ein billiges Verlangen, dem ich mit Freude entgegenkomme. Beauftragt wurde ich von einem Fräulein Wolfrade Ecke, der hochangesehenen Eigentümerin umfangreicher Besitzungen. Die Ursachen, die ihre tiefe Teilnahme für den verschollenen Felix v. Pardelstein begründen, möchte ich unerwähnt lassen. Sie sind ernst genug, um zu rechtfertigen, daß ihre Teilnahme sich auch auf seinen Sohn übertrug. Die Möglichkeit ist daher nicht ausgeschlossen, daß sie sein Glück zu ihrer Lebensaufgabe machte.«
   King wiegte das Haupt, und wie im Traum gesprochen klang es, als er erwiderte: »Also Wolfrade Ecke. Mir ist, als hörte ich den Namen heute zum erstenmal. Nannte Pardelstein ihn nicht oder vielleicht nur beiläufig, so stand dies im Einklang mit seiner scharf ausgeprägten Neigung, sich in Geheimnisse zu hüllen, sogar einem bewährten Freunde gegenüber mit seinem Vertrauen nicht über eine bestimmte Grenze hinauszugehen. Gewiß wäre ich gern bereit, dem jungen Manne, der mich heut noch Vater nennt, den Weg zu Glück und Reichtum anzubahnen, muß aber leider bekennen, daß er nicht nur meinem Einfluß unzugänglich, sondern sich auch außerhalb meines Bereiches befindet. Er trennte sich böswillig von mir, wodurch meine Anhänglichkeit an ihn erkalten mußte. Kurz, er erfüllte nicht die Erwartungen, die ich glaubte von ihm hegen zu dürfen, und damit schwand der letzte Grund, mich fernerhin um ihn zu kümmern.«
   Bertrand zögerte mit einer Erwiderung. Hatte anfänglich der Verdacht ihn beschlichen, in dem alten Handwerker mit dem gemessenen Wesen den gesuchten Pardelstein vor sich zu sehen, so schwand er alsbald angesichts dieser Teilnahmlosigkeit, die im Falle der nächsten verwandtschaftlichen Beziehungen widernatürlich gewesen wäre.
   »Ihre Andeutungen leisten dem traurigen Argwohn Vorschub, daß der junge Mann verwahrloste, wohl gar zu den Verlorenen gezählt werden muß,« brach er nach kurzem Sinnen das eingetretene Schweigen.
   Die Gelegenheit benutzend, hatte King das Gesicht Bertrands mit verstecktem Mißtrauen geprüft. Die es beherrschende peinliche Spannung berührte ihn offenbar wohlthuend, denn er entgegnete beschönigend: »Zu einem Verworfenen sank er nicht herab. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß er sich dennoch zu einem gesitteten Lebenswandel bekehrt. Ob diese Möglichkeit sich jemals verwirklicht, erscheint freilich zweifelhaft. Von Kindheit an eigenwillig und trotzig, diente sein Verkehr mit gleichgesinnten unabhängigen Amerikanern dazu, die ihm innewohnende Zügellosigkeit bis zur Wildheit zu steigern. Diese gefährliche Eigenschaft fand ihre reichste Nahrung in dem Vollgefühl einer unüberwindlichen Kraft und Gewandtheit. Es bot der hünenhafte Körper gewissermaßen einen Rückhalt für die Ueberzeugung, keinen Herrn über sich zu dulden zu brauchen, nicht einmal denjenigen, den er Vater nannte. Den kleinen Zerwürfnissen folgten ernstere. In seiner Verblendung glaubte er, über die Früchte meines unermüdlichen Schaffens frei verfügen zu dürfen, und so waren Schulden die nächste Folge. Dann aber, als ich nach den ersten bösen Erfahrungen nicht mehr für ihn eintrat, ging er davon und planlos in die westlichen Wildnisse hinein. Zu seinem Verderben mochte mit beigetragen haben, daß er schon frühzeitig auf Monate verschwand, um sich mit Gesinnungsgenossen, Jägern, Viehtreibern und sonstigen Abenteuerern in der Prairie umherzutreiben. Meine ernsten, wohlgemeinten Vorstellungen beantwortete er schließlich mit der Erklärung, mich nicht weiter belästigen zu wollen. Trotzig stellte er mir anheim, ihn mit einigen hundert Dollars abzufinden und dadurch in die Lage zu versetzen, einen seinen Neigungen entsprechenden Beruf zu wählen. Gleichmütig fügte er hinzu, daß er auch ohne meinen Zuschuß in den Besitz eines guten Pferdes und sonstiger Ausrüstungsgegenstände gelangen würde. –
   Seinem Uebermut stellte ich ruhige Entschiedenheit entgegen. Seine Forderung erfüllte ich zwar; wenn ich aber glaubte, ihn über kurz oder lang als reuigen Sünder wieder bei mir eintreten zu sehen, so hatte ich seine Störrigkeit unterschätzt. Er war und blieb fort. Nur einmal noch hörte ich von ihm. Er schrieb, daß es ihm gut ergehe, und er ein Mädchen gefunden habe, mit dem er sich zu verheiraten gedenke, wobei er auf meine väterliche Beihilfe zur Begründung eines ländlichen Hausstandes rechne. Auch nannte er des Mädchens Vater, einen Squatter, an den ich die betreffenden Nachrichten für ihn übermitteln sollte. Selbstverständlich ging ich nach den vielen bösen Erfahrungen auf seine Zumutung nicht ein. Was dann aus ihm geworden ist, und ob er überhaupt noch lebt, weiß ich nicht.«
   »Sollte es mit der Verheiratung sein Ernst gewesen sein, so würde ich das für das denkbar größte Unglück halten, das ihn hätte betreffen können,« wandte Bertrand nachdenklich ein. »Fand sie hingegen noch nicht statt, dann müßte das Aeußerste aufgeboten werden, sie zu hintertreiben. Seine letzten Beziehungen zu der Heimat würden durch einen derartigen Schritt abgebrochen werden, und das darf, wenn es noch zu verhüten ist, nicht geschehen.«
   »Wie wollen Sie etwas hintertreiben, das der wilde Bursche einmal in seinem aufsätzigen Schädel zurechtlegte?« fragte King verdrossen. »Eher möchte Sie einen Felsblock in schmiegsames Wachs verwandeln, als seinen Starrsinn brechen. Nein, nein; gönnen Sie seinem tollen Treiben ungehemmten Lauf, bis er, wenn auch erst spät, zur Vernunft kommt. Da ferner Ihre Auftraggeberin unstreitig in den vornehmsten Kreisen zu suchen ist, haben Sie doppelte Ursache, ihn seinem Schicksal zu überlassen. In solche Gemeinschaft gehört er nicht hinein; denn anstatt freundliche Teilnahme zu erwecken, würde er abfällige Urteile gegen sich herausfordern, und das hieße bei einem Charakter, wie dem seinigen, den Untergang besiegeln.«
   »Ihre Bedenken erkenne ich an,« versetzte Bertrand zweifelnd, »wo man aber seinem Vater ein so treues Andenken bewahrte, eine so unzweideutige Zuneigung, da läßt sich erwarten, daß das Urteil über den jungen Mann sich mildert und es nur allein in seinem Willen liegt, ein Glück einzuheimsen, wie es selten einem Sterblichen geboten wird.«
   War bisher in Kings Zügen tiefe Schwermut zum Ausdruck gelangt, so blickte er jetzt auf Bertrand, als hätte er unter Aufbieten des äußersten Scharfsinns in seinem Inneren lesen wollen.
   »Das klingt rätselhaft,« begann er zögernd, »doppelt rätselhaft für mich, der ich den jungen Mann kenne und daher weiß, daß er mit seinem Erscheinen drüben dem verschollenen Pardelstein keinen guten Dienst leistete. Einen Schatten würde er heraufbeschwören, der das Andenken an ihn verzerrte. Doch, immerhin: haben Sie ernste Gründe zu dem Versuch, in des Burschen Geschick einzugreifen, dann darf ich es Ihnen nicht wehren oder verleiden, obgleich ich den Mißerfolg Ihrer Mühe vorhersehe. Ich will sogar, soweit es in meiner Gewalt liegt, Ihnen zu dem zweifelhaften Unternehmen die Hand bieten, muß aber im voraus die Verantwortlichkeit ablehnen, wenn Sie bitter enttäuscht werden.«
   »Mehr konnte ich nicht hoffen,« beteuerte Bertrand, »auf alle Fälle gewinne ich für mich die Befriedigung, mein Alles an die Lösung einer Ehrenpflicht gesetzt zu haben.«
   »Warnen muß ich Sie noch,« riet King düster, »meinen Beistand nicht zu überschätzen. Er beschränkt sich auf die Bezeichnung der Stelle, wo Sie, sofern des jungen Mannes Angaben Wahrheit zu Grunde lag, auf seine Spuren gelenkt werden können.«
   »Damit wäre wenigstens ein Weg angebahnt,« bemerkte Bertrand ermutigt, »das weitere hinge von der Gunst des Glückes ab.«
   »Leider bin ich selbst nicht im stande, Ihnen über eine bestimmte Grenze hinaus zu dienen,« versetzte King, »denn Sie können kaum unbekannter mit dem fernen Westen sein, als ich es geblieben bin. Dafür darf ich Ihnen mit gutem Gewissen meine Haushälterin empfehlen. – Sie lernten sie ja bereits kennen. Fremd blieb Ihnen dagegen, daß hinter ihren zahlreichen Schrullen und Absonderlichkeiten wie in den rauhen Formen eines Korporals ein ehrliches Herz verborgen ist. Besonders wertvoll für Sie ist, daß sie viele Jahre das Feldleben mit ihrem Gatten teilte und es kaum ein Fort auf der Indianergrenze giebt, wo sie nicht längere oder kürzere Zeit verbrachte. Vollständig vertraut mit dem will– den Westen, wird sie zu der beabsichtigten Reise Sie in einer Weise vorbereiten, wie es schwerlich von einem zweiten zu erwarten wäre. Erfährt sie aber die Ursache Ihrer Wüstenfahrt, so ist die nächste Folge, daß sie Ihre Aufgabe zu der eigenen macht. Denn die Vorliebe für den Taugenichts, den Bob, wie sie ihn nennt, den sie natürlich zu seinem Nachteil mit ihrer Zärtlichkeit gründlich verzog, ist eine Triebfeder, stark genug, sie zu den abenteuerlichsten Entschlüssen zu bestimmen. Setzten Sie sich daher baldigst mit ihr ins Einvernehmen.«
   »So dürfte ich vielleicht heute schon Gelegenheit suchen, in näheren Verkehr mit ihr zu treten?«
   »Seien Sie unbesorgt. Wie ich die Alte kenne, macht sich das ganz von selbst. Nur um eines bitte ich dringend« – hier warf King einen argwöhnischen Blick auf das Fenster und fuhr etwas gedämpfter fort: »sie ist nämlich neugierig, wie ein Eichhorn. Nennen Sie den Namen Pardelstein, so findet sie nicht eher Ruhe, als bis sie Ihr ganzes Herz umgekehrt hat, wie – nun, die Frau Korporal würde sagen: wie einen frisch gewaschenen Kommißhandschuh, und das möchte Ihr Unternehmen doch nachteilig beeinflussen. Sie braucht überhaupt nicht mehr zu wissen, als daß Sie von Verwandten oder Taufpaten des jungen Menschen beauftragt wurden, sich von seinem Leben und Wohlergehen zu überzeugen.«
   »Ich darf wieder hier vorsprechen?«
   »So oft es Ihnen beliebt. Im übrigen werde ich von der Alten auf dem Laufenden erhalten, denn kein Wort hört sie von Ihnen, das sie mir nicht schleunigst hinterbrächte.«
   Bertrand erhob sich. King begleitete ihn bis vor die Hausthür hinaus, wo sie mit höflichem Gruß voneinander schieden. Gleich darauf saß King wieder vor seinem Werktisch. Die Feile kreischte und schnarrte, als hätte er ein Versäumnis einzuholen gehabt. Wie um ihn an die halb fertig geschmiedete Nähmaschinenstütze zu erinnern, sah Kornett verständnisvoll zu ihm auf.


   Fünftes Kapitel

   Sinnend war Bertrand in den durch den schattigen Hain nach der Stadt führenden Pfad eingebogen. Was er von dem seltsamen Schlosser erfahren hatte, beschäftigte ihn ausschließlich. Jedes seiner Worte wiederholte er in Gedanken. Befriedigte ihn einerseits, auf eine unzweifelhafte Spur des jungen Pardelstein gestoßen zu sein, so stand dem entmutigend gegenüber, daß derjenige, der gewiß der nächste gewesen wäre, Nachsicht walten zu lassen, ihn als eine Art Unhold schilderte. Doch ob verwildert, verkommen und gesunken, gleichviel, wie er ihn fand: für ihn gab es keinen anderen Ausweg. War überhaupt eine Möglichkeit vorhanden, ihn seiner jetzigen Lage, vielleicht den widerwärtigsten Verhältnissen zu entreißen, so mußte er, dem aus überströmendem Herzen erteilten Versprechen getreu und durchdrungen von den Empfindungen tiefer Dankbarkeit, ihn jener Wolfrade Ecke zuführen. Mochte sie selbst dann entscheiden, inwieweit er der ihm zugedachten Wohlthaten wert sei.
   Vor sich niederschauend, war er in den Hain eingetreten, als eine gebieterische Stimme ihn aus seinem Brüten aufschreckte.
   »Sie da, mein junger Mann,« hieß es mit unverkennbarem Wohlgefallen, »nachdem Sie den Herrn King so lange störten, haben Sie für mich vielleicht ebenfalls einige Minuten übrig.«
   Beim ersten Wort hatte Bertrand aufgesehen, und vor ihm stand Frau Hickup. Während sie mit der linken Hand die brennende Pfeife in der Schwebe hielt, streckte sie ihm die rechte herablassend entgegen.
   »Der Frau Korporal Knockhimdown stehe ich zu Diensten,« antwortete Bertrand höflich, und das anerkennende Nicken der Alten belehrte ihn über die günstige Aufnahme der glänzenden Anrede; »nach den Schilderungen des Herrn King erfreue ich mich doppelt der näheren Bekanntschaft mit Ihnen.«
   Abermals neigte Frau Hickup das Haupt geschmeichelt und fügte hinzu: »Herr King verfährt zuweilen etwas verschwenderisch mit seinen Lobpreisungen; aber immerhin: Disziplin und Subordination waren die Glaubensartikel meines seligen Knockhimdown und sind auch die meinigen geworden; das kommt Herrn King am meisten zu gute. Doch das nebenbei. Legte ich mich gerade nicht aufs Horchen, so meinte ich im Vorübergehen doch den Namen seines Sohnes verstanden zu haben, oder sollte ein Irrtum walten?«
   »Sicher nicht; und sehr dankbar wäre ich Ihnen, vervollständigten Sie das, was Herr King mir über ihn anvertraute.«
   »Wie ich vermutete,« erwiderte Frau Hickup befriedigt; »doch hier ist eine Bank, mein junger Mann, auf der ich die schönen Sommerabende mit den Erinnerungen aus meiner Militärzeit zu verbringen pflege, und das erhält mich jung,« und nach einem kunstgerechten ordnenden Griff durch das Scheitelhaar sich niederlassend, forderte sie Bertrand auf, neben ihr Platz zu nehmen, und weiter hieß es belehrend: »Zunächst ist Herr King in seinem Urteil über den Bob zu streng, und das wirkte von jeher nachteilig auf den Schlingel ein. Vater und Sohn paßten eben mit ihren verschiedenartigen Temperamenten genau so zu einander, wie Flintenkugeln statt der Rosinen in den Puddingteig. Mit einem Wort: aus dem Bob ließe sich heute noch mit Geduld und Zärtlichkeit etwas Ordentliches herausdrillen, behaupte ich.«
   »Aehnliche Eindrücke empfing ich in meinem Verkehr mit Herrn King und bin beglückt, solch freundliches Urteil von Ihnen zu hören,« erklärte Bertrand bedachtsam. »Ich befinde mich nämlich auf dem Wege, Ihren Bob auszukundschaften, und wurde darüber verständigt, daß Ihre Ratschläge von hohem Wert für mich sein würden.«
   Frau Hickup drückte die hervorquellende Asche in den Pfeifenkopf zurück, blies einige kräftige Rauchwolken von sich und hob an:
   »Ein wahres Wort, mein junger Mann; denn hat man seine achtzehn Jahre in der Armee heruntergerasselt, so kann man von Erfahrungen reden, behaupte ich.««
   »Bei Ihrem Wohlwollen für Bob hoffe ich keine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie ersuche, bei meinen Nachforschungen mir etwas zur Hand zu gehen.«
   Frau Hickup schloß das eine Auge und warf mit dem anderen Bertrand einen prüfenden Blick zu. »Da müßten Sie ja mitten in die Wildnis hinein,« bemerkte sie nach kurzem Sinnen.
   »Darauf bin ich gefaßt.«
   »So? Nun, eine Kleinigkeit ist das nicht, namentlich nicht für einen Ausländer. Doch zunächst die Frage: Was ist Ihr Metier? Womit verdienen Sie Ihre Dollars?«
   »Ich studierte Astronomie.«
   »Was?«
   »Astronomie oder Sternkunde.«
   »Brotlose Künste, mit denen Sie in der Wildnis keinem Kaninchen Salz auf den Schwanz streuen. Denn erstens sind die Sterne zu weit von hier, um genauer mit ihnen bekannt zu werden, und dann mag der Henker sie alle zählen, zumal einer genau so aussieht, wie der andere. Es giebt überhaupt nur zwei Sorten von Sternen, vor denen ich Respekt habe. Erstens die Sterne, die zu den Streifen des Unionsbanners gehören, und dann diejenigen, wie sie den Offizieren auf Kragen und Achselstücke genäht werden.«
   »Durchaus praktische Anschauungen; und dennoch gewährt es dem Berufenen hohen Genuß, zu beobachten, wie die Gestirne von Ewigkeit zu Ewigkeit unabänderlich ihre vorgeschriebenen Bahnen wandeln.«
   »Disziplin, behaupte ich, mein junger Mann, Disziplin, ohne welche die vielen tausend Sterne am Himmel durcheinander tanzten, wie die Reiskörner in einem brodelnden Kessel; das würde mein seliger Knockhimdown sicher bestätigen, säße er hier bei uns; aber auch, daß Sie mit Ihrem Sternenkrempel in der Wildnis eine jämmerliche Institution wären, ständen Ihnen keine anderen Hilfsmittel zu Gebote. Vom Soldatenstande verstehen Sie nichts?«
   »Auch Soldat bin ich gewesen. Ich diente ein Jahr bei der Reiterei.«
   »Ein ganzes Jahr? Das wäre gerade lange genug, um das Wort Subordination richtig aussprechen zu lernen. Aber immerhin: es ist wenigstens ein kleiner Anfang, und befindet man sich erst auf dem Marsch, lernt sich das weitere durch praktischen Dienst.«
   »An gutem Willen fehlt es mir freilich nicht; allein fremd, wie ich den hiesigen Verhältnissen gegenüberstehe, würde ich auf einem Boden, den ich nur aus Schilderungen kenne, ohne einen zuverlässigen Ratgeber auf große Schwierigkeiten stoßen.«
   »Ohne Zweifel, mein junger Mann, und diese Selbsterkenntnis ist schon viel wert.«
   »In erster Reihe würde es sich darum handeln, den Squatter ausfindig zu machen, an den die für Ihren Bob bestimmten Nachrichten gesendet werden sollten –«
   »Howitt heißt er,« fiel Frau Hickup lebhaft ein, »und am Smoky– Hill-Fork haust er, noch eine gute Strecke über Fort Riley hinaus. Hab's im Gedächtnis behalten, was Bob damals schrieb, als es sich um 'ne Heiratsangelegenheit drehte. Ich weiß da herum Bescheid, wie in Herrn Kings Werkstatt. Denn in Fort Riley stand ich ein volles Jahr, und manches lustige Gefecht hatten wir mit den Prairiewilden, die sich damals noch fühlten. Aber wir machten ihnen Beine, daß die Schurzlappen hinter ihnen her flatterten, als hätten sie bei 'ner handlichen Brise auf 'ner Waschleine gehangen. Also zum Howitt wollen Sie?«
   »Er ist wohl der einzige, durch den ich über den Verbleib des jungen King Näheres in Erfahrung bringen könnte.«
   »Richtig, mein junger Mann; wenn nicht durch ihn, so doch sicher durch das Frauenzimmer, das er zu freien gedachte.«
   »Hoffentlich ist er noch nicht verheiratet.«
   »Sicher nicht. Denn vom Verlieben bis zur Hochzeit ist oft ein langer Weg, sagte schon Korporal Knockhimdown, als mein Vater sich dagegen sträubte, mich in die Armee eintreten zu lassen. Doch das nebenbei. Denn wäre dem Schlingel viel am Freien gelegen gewesen, hätte er das Kind, die Independence, genommen, und die ist sicher dazu geschaffen, den ärgsten Taugenichts in einen seßhaften Mann umzuwandeln.«
   »Eine allzuschwierige Aufgabe wäre es also nicht, jenen Howitt aufzusuchen,« meinte Bertrand zweifelnd, »wer aber bürgt dafür, daß ich den Punkt finde, wohin ich von dort aus gewiesen werde? Ist die Prairie doch keine Stadt, wo auf jeder Straßenecke deren Name verzeichnet steht.«
   »Abermals ein wahres Wort, mein junger Mann. Und dennoch giebt es Leute, die ihren Weg in der Wildnis so leicht ausmachen, wie der verbohrteste Rekrut schon am dritten Tage seiner Dienstzeit den von der Wachtstube nach dem Eßraum.«
   »Wo aber und wie wäre ein solcher Mann für meine Dienste zu gewinnen?«
   Frau Hickup pflügte mit den gespreizten Fingern ihr ergrautes Gelock, widmete der Pfeife etwas ernstere Aufmerksamkeit, und sie wieder seitwärts schwingend, sah sie unter den gerunzelten Brauen hervor ins Leere. Eine Minute verstrich in Schweigen.
   Plötzlich kehrte sie sich mit einer heftigen Bewegung dem sie gespannt beobachtenden Gefährten zu: »Junger Mann, ich wüßte wohl einen, aber die Sache will zuvor ordentlich überlegt sein. Sehne ich mich danach, vor meinem Altwerden die Ebenen noch einmal zu kreuzen, zumal es sich darum handelt, den Taugenichts, den Bob, einzufangen, wie 'nen wilden Mustang, so ist es doch bedenklich, unseren guten Herrn so lange unbeaufsichtigt zu lassen. Die Independence ist zwar nicht nur ein liebliches, sondern auch ein handfestes Soldatenkind – doch immerhin: die Angelegenheit will zuvor überlegt sein, behaupte ich.«
   »Zu einem derartigen Wagestück wollten Sie sich verstehen?«
   Frau Hickup warf einen Blick unsäglicher Geringschätzung auf Bertrand. »Wagestück?« sagte sie. »Für einen gesunden Mann giebt es überhaupt kein Wagestück, am wenigsten für jemand, der, wie ich, bei Monterey und Buena Vista mitfocht,« und ihre Augen sprühten förmlich in kriegerischem Feuer, nachdem sie im Geiste bereits Prairieluft einatmete und nach der Magnetnadel ihren Weg über die endlosen Grasfluren suchte. »Doch ich wiederhole nochmals, die Sache will überlegt sein, und dann fragt es sich, ob Sie Vertrauen zu einer alten Korporalswitwe besitzen.«
   »Blindes Vertrauen,« beteuerte Bertrand, und er atmete erleichtert auf. »Meine Dankbarkeit, doch auch die anderer würde endlos sein, trügen Sie dazu bei, daß ich den jungen Mann kennen lernte, vorausgesetzt, er lebt noch und wurde von seiner Abenteuerlust nicht in unbekannte Fernen verschlagen.«
   »Galgenholz ist zähe und Unkraut vergeht nicht, mein junger Mann, behaupte ich, und so wird auch der Bob heute noch aufrecht in seinen Schuhen stehen. Bändelte er wirklich mit einem einfältigen Dinge an, so bewahrte ihn das vor den unbekannten Fernen. Also guten Mut. Fünf Monate offene Jahreszeit liegen noch vor uns, und die reichen aus, ein gut Stück Prairie abzuklappern. Wann sprechen Sie wieder vor?«
   »Zu jeder von Ihnen anberaumten Stunde.«
   »Gut, sagen wir: morgen um diese Zeit. Bis dahin habe ich alles in meinem Kopf zurechtgelegt und mit Herrn King vereinbart. Dann höchstens noch eine Woche, und wir sind marschfertig.«
   Bertrand erhob sich. Mit einem Händedruck, den er eine Weile nachher noch fühlte, entließ ihn der weibliche Korporal.
   Frau Hickup aber begab sich ungesäumt zu King nach der Werkstatt. Lange und ernst sprachen sie miteinander. Als sie schieden, war die Reise über die Steppen eine beschlossene Sache, und mit rastlosem Eifer wurden die entsprechenden Vorbereitungen getroffen.


   Sechstes Kapitel

   Eine liebliche Sternennacht hatte sich auf die Prairie gesenkt. Es war gerade so dunkel, daß man aus mäßiger Entfernung eine lagernde Rinderherde nicht von Strauchwerk oder kleinen Bodenerhebungen zu unterscheiden vermochte. Feierliche Stille herrschte auf der unbegrenzten Ebene, feierliche Stille in den mit Hainen und Baumgruppen geschmückten Thälern der kleinen Nebenflüsse, die von der großen nördlichen Biegung des Arkansasstromes bis in die Nachbarschaft des Smoky– Hill-Fork hinaufreichten. Das Tierleben schwieg. Nur die nimmersatten Prairiewölfe ließen bald hier, bald dort, vereinzelt oder im Chor ihre kläffenden und jauchzenden Stimmen vernehmen. Zuweilen drang der schrille Ruf eines wandernden Regenpfeifers aus Wolkenhöhe nieder.
   Kaum vernehmbar war das Geräusch, mit dem zwei kräftige Gäule einen leichten, jedoch festgebauten Planwagen über den weichen Rasen zogen. Ein unbelastetes Reservepferd, an kurzer Leine befestigt, schritt neben dem Handpferde einher. Von kundiger Hand gelenkt, verfolgten sie ihren Weg an einer von Wolkenniederschlägen gerissenen Furche hin. Sie vertiefte und erweiterte sich allmählich zu einer Schlucht mit schroffen Uferwänden. Die Bewegungen der Pferde zeugten von einem langen und heißen Tagesmarsch. Zugleich erheischten die Dunkelheit wie die Nähe des hie und da durch Regengüsse zerwühlten Erdbodens Vorsicht.
   Das Ziel der unterhalb des gewölbten Leinwandverdecks sitzenden beiden Reisenden war ein matter, rötlicher Schein, der, einem im Thal des in den Arkansas mündenden Pawnee-Fork geschürten Feuer entströmend, oberhalb desselben in der Atmosphäre lagerte. Bald nach Einbruch der Dunkelheit hatten sie ihn entdeckt und seitdem im Auge behalten. Ein anderer hellerer Schein zeigte sich gegen anderthalb englische Meilen weiter stromaufwärts, und ein dritter, kaum zu unterscheidender, abermals um so viel weiter. Von dem nächsten befanden sie sich vielleicht noch fünfhundert Schritte entfernt, als abseits eine Anzahl schwarzer Unebenheiten, anscheinend Stauden, Gestrüpp oder Hügel einer Prairiehundekolonie ihre Aufmerksamkeit erregte. Wie weit die mutmaßlichen Hindernisse reichten, verhüllte die Dunkelheit. Die äußeren Formen gingen in dem dort hohen Grase vollständig verloren.
   Plötzlich, als die Räder das nächste Hindernis beinahe streiften, begannen die Pferde heftig zu schnauben. Wie der Blitz schnellte die schwarze, unförmliche Masse empor, um als gescheuchtes Rind das Weite zu suchen. Andere folgten seinem Beispiel, und gleich darauf erdröhnte der Erdboden unter dem Stampfen Tausender von flüchtigen Hufen. Beinahe gleichzeitig drangen Bellen, Heulen, Fluchen und Peitschengeknall aus größerer Entfernung herüber, begleitet von dem schärferen Getöse zum tollen Rennen unbarmherzig gestachelter Pferde. Es war, als ob die Hölle sich geöffnet und die wilde Jagd zum Kreuzen über die Ebene ausgespieen habe.
   Die Reisenden hielten an. Sie begriffen, daß sie längst von den Hirten an der Fortsetzung der Fahrt gehindert worden wären, hätten diese die unzugängliche Schlucht wie den schroffen Abhang des Flußhals nicht als sichere Einfriedigung betrachtet und daher den beiden anderen Seiten um so schärfere Aufmerksamkeit zugewendet.
   »Da sind wir in eine richtige Falle geraten, bei Gingo!« meinte Frau Hickup verdrossen, »und wir mögen noch von Glück sagen, wenn wir halb so komfortabel herausschlüpfen, wie wir hineinpilgerten, behaupte ich.«
   »Umkehren wäre wohl am ratsamsten,« erwiderte Bertrand nachdenklich; denn aus den Stimmen, wie dem fortdauernden Gepolter ließ sich heraushören, daß zügellose Wut sich der Hirten bemächtigt hatte und die nach vielen Hunderten, sogar Tausenden zählenden Rinder durch den von ihnen selbst erzeugten Lärm nur noch unbändiger wurden.
   »Umkehren, mein junger Mann?« fragte Frau Hickup geringschätzig, »das röche nach feiger Flucht vor dem Feinde und würde obendrein als Schuldbewußtsein ausgelegt. Denn keine zehn Minuten dauerte es, bis ein halbes Dutzend von der Sorte uns umringten und mit den Pistolen vor unseren Nasen herumfuchtelten, als handelte es sich darum, mit 'nem Ladiesfächer die Fliegen von einem gesunden Stück Fleisch abzuwehren. Nein, hier bleiben wir. Menschenfresser sind es nicht, die uns stellen. Gehört die Herde aber zu denen King Bobs, wie sie ihn beim Howitt nannten, giebt's überhaupt nichts zu fürchten.«
   Bertrand antwortete nicht, und wie er, lauschte nunmehr auch seine mannhafte Gefährtin auf die bedrohliche Bewegung, die durch sie ins Leben gerufen worden war. Deutlich unterschieden sie, daß der Lärm sich mit großer Schnelligkeit entfernte, erst nach einiger Zeit wieder wuchs, und das Bellen und Peitschengeknall von Minute zu Minute schärfer hervortrat. Man war mithin der Flüchtlinge wieder Herr geworden, aber eine Weile dauerte es noch, bevor dem dumpfen Getöse zu entnehmen war, daß sie in ihren Winkel zurückkehrten. Endlich ertönte das Gepolter, unter dem zwei zur äußersten Eile gegeißelte Pferde der Regenschlucht zustürmten. Dann schoß es klirrend, schnaubend und keuchend herbei, daß es wie ein Wunder erschien, wenn die Tiere auf dem schwarzen Erdboden nicht stolperten und samt ihren wilden Reitern das Genick brachen.
   »Hier sind sie, bei allen zehntausend Heiligen!« brüllte eine Stimme, in der sich unbezähmbare Wut verriet, und vor dem grausamen Griff in die Zügel gelangte das eine Pferd aus dem Rennen neben dem Wagen zum plötzlichen Stillstand. »Hier heran, Antonia, und die Hölle über jeden, der Miene macht, seinen niederträchtigen Unfug noch zu rechtfertigen!«
   Ein zweiter Reiter sprengte , um ihm den Weg zu verlegen, vor den Wagen hin, und grimmig schrie der zuerst eingetroffene unter das aufgeschürzte Wagenverdeck:
   »Mille Caramba! Was in des Satans Namen bewog euch, mit eurer verdammten Karrete mitten in die Herde hineinzufahren und eine Stampede zu erzeugen, die uns die Hälfte der Tiere kosten kann?!«
   »Hölle und Verdammnis über euch selber,« erwiderte der weibliche Korporal unverzagt, »seid ihr eselhart genug, eure Herde auf der einen Seite unbeaufsichtigt zu lassen, so verdient ihr's nicht besser, als daß euer Viehzeug bis auf den letzten Schweifbüschel zum Henker geht, ohne daß es uns zur Last gelegt werden dürfte!«
   »Ein Frauenzimmer!« rief der alte Vaquero verwundert aus. »Caramba! Das schützt dich dagegen, die eigenen Zähne zu verschlucken! Wärst du aber das hübscheste Mädchen, das je einen verliebten Burschen um eine Stunde Nachtschlaf prellte, so hinderte das nicht, dich samt deinem Partner da für allen Schaden verantwortlich zu machen!«
   »Bei Gingo! Die Verantwortlichkeit wollen wir gern auf unser Gewissen nehmen, ohne daß wir schwerer daran trügen, als ich hier an meinem Pfeifenstummel,« versetzte Frau Hickup herausfordernd. »Die Prairie wurde für jedermann unter dem Himmel ausgebreitet, und denjenigen möchte ich sehen, der uns wehrte, zu fahren, wohin wir gute Lust haben.«
   »Zum Fahren sind die alten Geleise da, die führen nicht in eine abseits lagernde Herde hinein. Mit solcher Ausrede rettet ihr nicht ein Haar auf euren verdammten Schädeln.«
   »Meint ihr?« höhnte Frau Hickup. »So zeigt mir den Weg zu dem, den ich suche, und der heißt King Bob. Der ist der Mann dazu, euch Augen und Ohren aufzuknöpfen, daß ihr zeitlebens daran zu denken habt!«
   »Zum King Bob? Hol's der Teufel! Dergleichen kann jeder sagen, dessen Zunge zum Lügen zugespitzt wurde.«
   »Könnt ihr mit euren Blechschädeln das nicht fassen, so führt uns der Sicherheit halber selber zu ihm, und ihr werdet Wunder erleben.«
   »King Bob ist überhaupt nicht hier,« hieß es etwas weniger feindselig zurück, »den habt ihr auf 'ner anderen Stelle zu suchen; da weiter oben, wo der Feuerschein in der Luft schwebt. Doch zuvor müssen wir hier miteinander fertig werden – verdammt! da kommen die Rinder! Fort mit euch in gerader Richtung auf den Creek zu, und langsam und ohne Hallo, oder die Stampede bricht von neuem los.«
   Während Frau Hickup die Pferde antrieb und zügelte, ritten die beiden Vaqueros ihnen zur Seite, fortgesetzt die von schweren Drohungen begleiteten Warnungen wiederholend.
   »Das scheint eine heitere Gesellschaft zu sein, in die wir gerieten,« wendete Bertrand sich an die alte Gefährtin, »ich selbst komme mir vor, wie ein Junge, der eben erst lernte, sich an der Schürze seiner Mutter aufrecht zu erhalten.«
   »Durchaus reglementsmäßig,« erklärte Frau Hickup sorglos lachend, »ein Weib kann dem Gesindel schon eher ein kräftiges Wort an den Hals werfen, als ein Mann, und wären ihm die Haare faustdick auf den Zähnen gewachsen. Ich kenne die Sorte. Die ist gerade wie ihre tückischen Katzen von Gäulen. Verspricht man denen Zuckerbrot, so schlagen und beißen sie um sich, wogegen ein ordentlicher Fußtritt ihnen Achtung einflößt.«
   »Auf alle Fälle ist King Bob nicht weit.«
   »Ob weit oder nahe, bei Gingo! Was hilft's, wenn die Esel uns nicht von dannen lassen, behaupte ich. Und denen ist alles zuzutrauen. Die fühlen sich nämlich auf der Prairie so frei und unabhängig, wie die Geier, die so hoch fliegen, daß die feinste Büchsenkugel sie nicht erreicht.«
   Schweigen folgte. Nur die beiden Reiter sprachen zu einander, indem sie aus dem von der Herde erzeugten Geräusch Schlüsse auf deren Bewegungen zu ziehen suchten und mehr Verwünschungen mit einflochten, als zur Bekräftigung ihres Grimmes unumgänglich notwendig. So erreichte der Wagen den Uferrand des Thales zu derselben Zeit, zu der hinter ihm die vordersten Mitglieder der Herde durch die Regenschlucht aufgehalten wurden und in der Richtung nach dem Flüßchen zu sich ausbreiteten.
   Nachdem Frau Hickup und Bertrand einen Blick in die Niederung hinabgesendet hatten, wo zwei oder drei Hirten als Wachen vor einem lodernden Scheiterhaufen sich zu schaffen machten, wendete die tapfere Korporalswitwe sich an den älteren Vaquero mit den Worten:
   »Da möchten wir also stromaufwärts fahren und den Uferrand halten, um zum King Bob zu gelangen.«
   »Und ich will verdammt sein, wenn ihr das nicht bleiben laßt, und wäre ich gezwungen, einen eurer Gäule über den Haufen zu schießen,« lautete die bedrohliche Erwiderung; »wollt ihr zum King Bob, dann gebraucht eure eigenen Beine. Pferde, Wagen und Inhalt bleiben hier, und ihr mögt darauf schwören, daß wir uns schadlos daran halten, sollte durch eure Schuld auch nur ein Huf zum Teufel gegangen sein. Zieht ihr vor, da unten bei uns zu übernachten, seid ihr willkommen dazu.«
   »Da suchen wir lieber den King Bob auf, vorausgesetzt, ihr bürgt dafür, daß von unserem Eigentum nichts verloren geht.«
   »Nicht 'n verwünschter Radnagel oder ein Haar aus den Mähnen eurer Bestien,« höhnte der Vaquero, »es soll sogar für die Tiere gesorgt werden, als wären sie bereits die unserigen.«
   Sich aus dem Sattel schwingend, begaben die beiden Reiter sich ans Werk, die Pferde aus den Geschirren zu lösen.
   »Eine andere Wahl giebt es freilich nicht, sagte der hungrige Fischreiher zum Frosch, da schluckte er ihn herunter,« meinte Frau Hickup, indem sie mit dem Gefährten den Wagen verließ, und die Büchsen auf die Schultern werfend, schritten sie davon.
   Eine größere Strecke legten sie schweigend zurück, ohne daß sie von den mit der Herde beschäftigten Männern weiter belästigt worden wären. Plötzlich lachte Mutter Hickup vor sich hin.
   »Was meinen Sie, mein junger Mann, wenn der Schlingel, der Bob, überhaupt nicht zur Hand wäre?« fragte sie gut gelaunt.
   »So müßten wir uns in das Unabänderliche fügen und das Beste davon machen,« antwortete Bertrand in demselben Ton; um Ihretwillen würde ich es beklagen.«
   »Gut gesprochen, mein junger Mann, obwohl ich das Beklagtwerden von jeher verabscheute, selbst damals, als sie meinen seligen Knockhimdown mit ganz unvorschriftsmäßig verschnittenem Skalp ins Lager trugen. Daran zu denken ist übrigens früh genug, wenn wir erst in der Falle drinnen sitzen,« und weiter wanderten sie auf dem Uferrande dem Lichtschein zu, der offenbar einem mächtigen Feuer entströmte.
   Indem die Strecke bis dahin sich allmählich verringerte, schallte Jauchzen, Bellen, Singen und Kreischen deutlicher zu ihnen herüber. Eine Höllenorgie schien daselbst gefeiert zu werden, vertrauenerweckend klang es am wenigsten. Die beiden Wanderer wurden einsilbiger, bis sie sich endlich dafür entschieden, anstatt sogleich ins Thal hinabzusteigen, zuvor einen Blick auf das unheimlich belebte Lager zu werfen.
   Vorsichtig einherschleichend, gelangten sie auf einen Punkt, von dem aus sie es bequem zu überschauen vermochten. Gerade vor ihnen und durch eine gegen vierzig Fuß hohe Erdwand von ihnen getrennt, war es aufgeschlagen worden. Was sie aber da unten gewahrten, war wenig geeignet, ihnen einen hohen Begriff von Bobs Königswürde und der guten Sitte der von ihm Beherrschten zu verschaffen.
   Ein mit halben Baumstämmen genährtes Feuer beleuchtete die Stätte in weiterem Umkreise. In dessen flackerndem Schein erblickten sie vierzehn oder sechzehn Männer, die sich in lebhaftem Gewirre um den Scheiterhaufen herumbewegten. Leute der verschiedensten Altersstufen waren es, vom schlanken Burschen, dem der Bart erst ums Kinn wachsen sollte, bis zum alten Vaquero, der in einem langen Leben der Mühe und Entbehrungen ergraute. Doch diese wie jene trugen im Aeußeren dieselben Merkmale der Verwahrlosung. Räubergestalten veranschaulichten sie in den verschiedenartigsten Aufzügen, je nachdem man Gelegenheit gefunden hatte, abgetragene Kleidungsstücke durch die seltsamsten Zutaten zu ergänzen oder zu ersetzen. Unordentlich, wie es kaum anders zu erwarten, lagen ihre Habseligkeiten umher. Deren Hauptbestandteile bildeten die sowohl als Mäntel wie als Betten dienenden gestreiften Wolldecken. Nur die in Säcken und Fässern geborgenen Lebensmittel waren sorgfältig übereinander geschichtet oder in künstlich aus Zweigen hergestellten Lauben untergebracht worden. Doch welcher Art die Erscheinungen der einzelnen Männer sein mochten, von welcher Art die Umgebung: die allgemeine sorglose Stimmung konnte dadurch nicht beeinflußt werden. Es verriet sich in dem Gesänge, dem taktmäßigen Händeklatschen und dem Rasseln eines Tamburins, womit man die Tanzbewegungen eines halben Dutzends der wilden Gesellen begleitete.
   Sich so niederlassend, daß der Lichtschein sie nicht verräterisch streifte, sahen die beiden Gefährten auf das tolle Treiben nieder. Vergeblich aber sucht Frau Hickup nach demjenigen, den sie auf den ersten Blick als King Bob bezeichnet hätte. Was sie dachte, prägte sich verständlich in ihren verwitterten Zügen aus. Eine gewisse Begeisterung hatte sie angesichts der grell beleuchteten Scene ergriffen und in die glücklichsten Tage ihres bewegten Lebens auf den Außenposten der Zivilisation zurückversetzt.
   Bertrand schaute, wenn auch überrascht durch das Fremdartige, doch ernst darein. Welcher Art seine Betrachtungen sein mochten, in den Vordergrund trat immer wieder das Bewußtsein, den jungen Pardelstein in Verhältnissen suchen zu müssen, die so himmelweit verschieden waren von allem, was seiner Gönnerin, als sie ihn zum Träger einer abenteuerlichen Aufgabe erkor, nur vorschweben konnte.
   In seinem planlosen Sinnen störte ihn ein ungeahnter Wechsel des vor seinen Blicken sich entwickelnden Bildes. Wie häufig bei solchen Gelegenheiten, brachen auch heute Zwistigkeiten aus. Anfänglich in bösen Hohnreden und Schmähungen sich ergehend, erhitzten die Gemüter sich schnell mehr und mehr, bis endlich die Messer aus den Scheiden flogen und man sich anschickte, den fröhlich begonnenen Abend in einen blutigen umzuwandeln. Zwei der an dem Streit Beteiligten zeichneten sich besonders dadurch aus, daß sie zu ihren Decken griffen, sie um den linken Arm wanden und mit dem geschwungenen Messer auf den geeigneten Zeitpunkt harrten, dessen Schneide dem Gegner durchs Gesicht oder über die Brust zu ziehen.
   Die übrigen Anwesenden waren ruhiger geworden. Zurücktretend, gaben sie den Kämpfern freien Raum, abwechselnd durch Spottreden sie reizend, oder sie warnend, die Spitzen der Klingen nicht zum Stoß zu benutzen, während andere wieder das Feuer schürten, daß die Flammen hoch emporloderten.
   Doch wie im Kreise der Vaqueros lebhafte Spannung erwacht war, sah auch Mutter Hickup regungslos auf die beiden ergrimmten Gegner nieder. Ihr sonst holzähnliches Gesicht war braunrot angelaufen; Begeisterung leuchtete aus ihren ehrlichen Augen. Sie hatte vergessen, daß jemand neben ihr saß, der sie mit einem eigentümlichen Ausdruck des Erstaunens und Unglaubens betrachtete. Und so entschlüpfte ihr auch hin und wieder unbewußt, je nachdem das Vorspiel des Kampfes sich abspann, eine darauf bezügliche kurze Bemerkung.
   »Bei Gingo! gut gegeben und noch besser pariert,« hieß es da gedämpft aus übersprudelndem Herzen. »Diese Finte – bei Gott, würdig eines Korporal Knockhimdown, behaupte ich – nicht zu hitzig – der Satan über die Schlingel – sie packen die Messer zum Stoß –«
   Und so geschah es. Bis dahin hatte King Bob in einer grünen Reisiglaube auf dem Rücken gelegen. Den Oberkörper etwas erhöht, die Arme unter den Kopf geschoben und gemächlich eine Zigarette rauchend, beobachtete er gleichmütig die beiden Gegner. Sobald er aber gewahrte, daß der Kampf eine Wendung über die gewöhnlichen, wenigstens nicht lebensgefährlichen Grenzen hinaus nahm, schnellte er auf die Füße empor. In drei, vier sprungartigen Schritten erreichte er die plötzlich von zügelloser Mordgier Befallenen. Ebenso schnell packte er sie im Genick, und sie mit den Köpfen zusammenstoßend, schleuderte er sie unter dem Beifallsgejauchze aller Anwesenden mit einer Gewalt den einen rechts, den anderen links, daß sie sich überschlugen und eine Weile liegen blieben, bevor sie sich herumwälzten und nach ihren Messern suchten.
   »Bei Gingo! King Bob selber,« entwand es sich in verhaltenem Triumph gepreßt den Lippen der mannhaften Korporalswitwe im Selbstgespräch. »King Bob, wie er leibt und lebt, und Gentleman vom Kopf bis zu den Zehenspitzen herunter. Ich sagte schon immer, der Schlingel sei nicht für 'nen Stickstrumpf oder für 'ne Tintenflasche geschaffen.«
   Die letzten Worte galten Bertrand, der seinen Augen und Ohren kaum trauen zu dürfen glaubte. Dann kehrten beide ihre ungeteilte Aufmerksamkeit den beiden Gegnern wieder zu. Diese standen einander gegenüber, abwechselnd sich gegenseitig und King Bob mit funkelnden Blicken messend, als wären sie in Zweifel gewesen, gegen wen sie zunächst ihren Angriff richten sollten. Zugleich erhoben sich vermittelnde Stimmen, deren einzelne für diesen, andere für jenen sprachen oder ihn als Urheber des vom Zaun gebrochenen Streites bezeichneten.
   »Danach frage ich nicht,« schnaubte King Bob sie an, »sie trachteten einer nach des anderen Leben, und das ist gegen unser Gesetz. Seid ihr erst wieder auf dem heimatlichen Rancho, dann schlitzt euch gegenseitig die Bäuche auf, daß die Sonne klar durch euch hindurchscheint; hier aber dulde ich dergleichen nicht. Und was hätten die Dummköpfe davon, läge der eine mit durchstochener Lunge da, und der andere wartete darauf, gehangen zu werden? Baumäste die Fülle hier herum, die stark genug, solche unreife Frucht zu tragen. Und euren ausstehenden Lohn – wer hätte den im Winter auf den Fandangos verjubeln sollen? Danken solltet ihr mir es, daß ich euch vor dem Aergsten bewahrte, anstatt auf mich zu stieren, als möchtet ihr am liebsten beide über mich herfallen. Ist euch daran gelegen, so versucht's doch einmal mit mir, in der Hölle Namen.«
   »Wenn freie Männer in Streit geraten, ist's ihr gutes Recht, die Sache auszurichten,« versetzte der eine Kämpfer ingrimmig.
   »Ja, solange die Messerschneide entscheidet,« wendete Bob leidenschaftslos ein, »denn solcher Schnitt ist bald ausgeheilt mit Salzwasser und 'nem Talglappen. Aber da kuriere einer, wenn die ganze Klinge zwischen den Rippen verschwindet, und dergleichen dulde ich nicht, das wiederhole ich. Zu eurem König habt ihr mich erwählt, und euer König bleibe ich bis zum letzten Augenblick, oder ihr mögt alle zur Hölle fahren, und ich selber reite meines Weges.«
   »Wer erlebte je, daß um solche Kleinigkeiten zwei gesunde Burschen kopfüber gesendet wurden und eine Woche vergeht, bevor sie ihre Glieder wieder ordentlich rühren können,« meinte der andere bereits versöhnlicher unter dem Beifallslachen der Genossen.
   »Das klingt schon anders,« versetzte King Bob leichtfertig, »es hätte euch auch ein paar Rippen kosten können, ihr mögt also noch euer Glück preisen. Caramba! Trotzdem will ich euch 'ne Einreibung geben, die kuriert euch in einem Tag und 'nem halben,« und er kehrte in seine Laube zurück. Dort öffnete er einen wohlverschnürten Ballen, und demselben eine Korbflasche entnehmend, trat er wieder ins Freie heraus. »Kommt hierher alle,« rief er über das Feuer hin, »bringt eure Blechtassen zu 'nem Schluck für jeden. Die beiden Rowdies zuerst, um sich das Fell einzubalsamieren. Ihr anderen könnt's halten, wie ihr wollt.«
   Kurzes Gewirre folgte. Jeder empfing ein Mäßchen Whisky, das unter tollen Scherzreden hinuntergespült wurde. King Bob warf sich unterhalb des Laubdaches auf sein Lager, und alsbald glimmte die Zigarette zwischen seinen Zähnen. Gleichmütig, als hätte es sich nur um eine Kurzweil gehandelt gehabt, beobachtete er die bestaubten, zottigen Gesellen, deren eine Hälfte ans Werk ging, ihre Schlafstätten herzurichten, während die andere Pferde herbeiholte und sich rüstete, die oben bei der Herde weilenden Wachen abzulösen.
   »Das war er selber,« brach Frau Hickup das Schweigen, sobald unten sich die Gemüter zu beruhigen begannen. »Sie sahen ihn, mein junger Mann, ein Bursche, wie er nicht stattlicher und kraftvoller von unserem Herrgott auf die Erde entsendet wurde, um sogar unter den verrückten Mexikanern militärische Ordnung und Disziplin zu verbreiten, behaupte ich.«
   Bertrand, noch immer unter dem vollen Eindruck des Erlebten, antwortete nicht. Wohl gestand er sich, daß man lange hätte suchen können, um einen zweiten zu entdecken, der, wie King Bob, alle Eigenschaften eines auch äußerlich bevorzugten jungen Centauren in sich vereinigte; allein sein Bild verzerrte sich ebenso schnell, wie er sich geistig über das Weltmeer in das Heimatland zurückversetzte, liebe, freundliche Gestalten ihn grüßten, ihn gewissermaßen an die ihm zugefallene schwere Aufgabe mahnten.
   Als hätte Mutter Hickup an seine Betrachtungen anknüpfen wollen, bemerkte sie unzufrieden: »Und dieser King Bob, von dem auserwählt zu werden der Tochter eines Senators zur Ehre gereichte, dieser querköpfige Taugenichts, wie konnte der nur darauf verfallen, mit einem Squattermädchen anzubändeln, um obenein von deren Vater schnöde abgewiesen zu werden? Bei Gingo! Ein hübsches kerniges Ding ist die Bell allerdings, allein ich mein', der Bob sei doch zu etwas Höherem bestimmt –«
   Aus dem Thal tönte der Galopp eines scharf getriebenen Pferdes zu ihnen herauf.
   »Es erscheint jemand, uns anzumelden,« erklärte Mutter Hickup gelassen, »da wär's überflüssig, länger hier oben zu verweilen,« und sich erhebend, schritt sie Bertrand voraus auf dem Uferrand einer Stelle zu, wo der niedergespülte Abhang ihnen das Hinuntersteigen ermöglichte.
   Auch im Lager waren alle auf das Geräusch aufmerksam geworden. Mit reger Spannung sah man der Ankunft des Reiters entgegen. Die meisten griffen zu den Waffen, um gerüstet zu sein, im Falle von räuberischen Eingeborenen ein Auseinanderjagen der Herde geplant wurde. Nur King Bob, der wieder ins Freie hinausgetreten war, bewahrte seine zuversichtliche Ruhe. Erst als ein schwarzbärtiger bräunlicher Vaquero in den Schein des Feuers sprengte, dort sein anscheinend nur aus Sehnen, Muskeln und Knochen bestehendes Pferd mit heftigem Zügeldruck anhielt, blickte er erregter unter den gerunzelten Brauen hervor.
   »Hallo, José!« rief er dem Eintreffenden zu, dessen schlanker Körperbau an den seines Mustangs erinnerte, »ist der Teufel los bei euch da unten, daß du's so eilig hast?«
   »Caramba! Der Teufel nicht,« lautete die trotzige Antwort, »aber zwei Fremde, die der Teufel besser schon vor Stunden geholt hätte. Mitten in die Herde fuhren sie mit ihrer Karrete hinein und verursachten eine Stampede, als wäre ein Rudel Wölfe eingebrochen. Die Tiere haben sich jetzt noch nicht ganz beruhigt.«
   »Waret ihr nicht Mannes genug, sie zur Hölle zu senden?« fragte King Bob gleichmütig. »Brauchtet ihr doch nur ihre Gäule zu wenden und ihnen auf 'ne halbe Legua Weges Peitschen und Lassos mit 'nem gehörigen Nachdruck auf den Rücken zu legen. Traf der eine oder der andere Hieb die Reisenden, war's kein Unglück.«
   »Das wäre sicher geschehen, aber da saß ein Frauenzimmer auf dem Wagen und erkundigte sich nach dem King Bob.«
   »Ein Frauenzimmer?« fragte dieser bestürzt, denn er gedachte Bells und der ihr erteilten Ratschläge. »Wie sah es aus? Sag's schnell und sinne nicht lange. Ein junges hübsches Ding, vermute ich.«
   »In der Dunkelheit mag der Henker ein hübsches Mädchen herauserkennen; aber alt genug war's, um deine Großmutter zu sein, das hörte man aus der Stimme heraus, und unverzagt und großmäulig genug, um's im Finstern nicht von einem handfesten Dragoner zu unterscheiden.«
   »Wo blieben sie?«
   »Hierher schickten wir sie. Wagen und Gäule behielten wir als Pfand zurück. Brachen sie nicht das Genick in 'ner Regenfurche, hätten sie längst hier sein müssen.«
   »Ist sonst alles in Ordnung bei euch?«
   »In Ordnung so weit, daß wir uns die Nacht um die Ohren schlagen müssen. Der Schrecken will nicht heraus aus dem verdammten Viehzeug.«
   »So reite dahin, wo du nötiger bist, als hier.«
   Der Mexikaner warf sein Pferd herum, und bald darauf verhallte dessen Hufschlag in der Ferne.
   King Bob sah nachdenklich ins Feuer. Beunruhigte es ihn nicht, so befremdete ihn doch, daß ein weibliches Wesen, um sich mit ihm in Verbindung zu setzen, seinen Weg so weit auf die Prairie heraus gefunden hatte. In seinen Betrachtungen störten ihn die Hirten. Mit den Blicken der Richtung ihrer Bewegung folgend, wurde er zweierlei Gestalten ansichtig, die, am Fuße des schroffen Uferabhanges hinschreitend, zum Teil noch von dem Schatten einzelner höheren Sträucher bedeckt wurden. Sobald sie aber ins Freie traten, wo die volle Beleuchtung des Feuers sie überströmte, war es, als ob er zu Stein erstarrte sei. Namenloses Erstaunen prägte sich in seinem Gesicht aus. Er schien die Wirklichkeit nicht fassen zu können. Erst als Frau Hickup, auf dem Kopf einen zerknitterten grauen Filzhut, auf der Schulter die Büchse, um die Hüften den Ledergurt mit Revolver und Messer, an einem breiten Trageriemen Pulverhorn und Kugeltasche, bis auf einige Schritte vor ihm eingetroffen war, rief er schallend aus:
   »Verdammt meine Augen, wenn das der alte Hausdrache nicht selber ist! Bei Gott! das muß ein böser Wind gewesen sein, der dich hierher wehte!«
   »Ja, ich selber, Bob, oder King Bob, wie die Leute hier herum dich heißen,« bestätigte Mutter Hickup aufgeräumt. »Ob ein guter Wind mich hierher fegte, oder einer von der schlechtesten Sorte, bei Gingo! wenn ich nur leibhaftig da bin, um dir 'nen schönen Gruß von deinem Vater zu bestellen.«
   Und mit einer gewissen Herablassung streckte sie ihm die Hand entgegen.


   Siebtes Kapitel

   Nach dieser Begrüßung sah King Bob durchdringend in der alten Freundin lachende Augen, bevor er ihre Hand zögernd nahm, dann aber kräftig schüttelte.
   »Obwohl du von jemand abgeschickt wurdest, mich hinterlistigerweise nach Hause zu schaffen, soll dein gutes altes Korporalsgesicht mir doch herzlich willkommen sein,« sprach er dabei übermütig; »wähnst du aber, daß es dir glückt, mich auch nur einen Schritt weit von hier fortzu– locken, so überschätzte ich bisher deine Schlauheit. Und erschiene dein seliger Knockhimdown selber mit 'ner vierspännigen Fuhre Subordination und Disziplin, um dir beizustehen, so müßte er unverrichteter Sache in seine himmlische Heimat zurückkehren.«
   Triumphierend wendete Mutter Hickup sich mit den Worten an Bertrand: »Wie ich's voraussetzte, bei Gingo! Immer noch der alte Taugenichts: unverschämt, großmäulig und gottesfürchtig –«
   »Bis auf die Disziplin,« warf King Bob, seiner wirklichen Gutmütigkeit nachgebend, ergötzt ein.
   »Richtig, Junge, und wenn nicht mehr, so verstehst du wenigstens, unter deinen Rowdies der Disziplin ihr Recht zu verschaffen, und das beobachtete ich von da oben herunter. Nebenbei wäre dein ehrenwerter Vater der letzte gewesen, mir noch einen besonderen Auftrag an dich zu erteilen. Aber hier ist der Herr Bertrand, der kam von weit her, um dich ausfindig zu machen, ihm zuliebe versuchte ich's noch einmal mit dem Prairieleben, und bei Gingo! die alten Knochen bewährten sich ja noch so ziemlich.«
   Den ruhigen Gruß Bertrands beantwortete King Bob mit einem flüchtigen Neigen des Hauptes. Dann betrachtete er ihn mißtrauisch, als hätte er die ihn beherrschenden Regungen aus seinen Zügen herauslesen wollen.
   »Mich suchen Sie?« frage er achselzuckend. »Und von weit her kommen Sie? Vermutlich von der anderen Seite des Ozeans, wo ich geboren sein soll. Ist das wirklich der Fall, und da drüben kümmert sich noch jemand um mich oder wünscht gar meine Bekanntschaft zu machen, so möchte ich Ihnen in aller Freundschaft raten, Ihre Vorschläge für sich zu behalten. Im übrigen soll Ihnen sowohl, wie der Mutter Knockhimdown Gastfreundschaft erwiesen werden, so weit unsere Mittel reichen.«
   »Deren bedürften wir nicht,« versetzte Bertrand, durch die formlose Begegnung verletzt, ablehnend, »währen wir im Besitz unseres Fuhrwerks geblieben –«
   »Zum Henker, Mann, wer hieß Sie unsere Herden scheuchen?« fiel King Bob ein. »Seien Sie indessen unbesorgt; bevor die nächste Sonne lange über die Prairie schien, ist Ihr Wagen zur Hand mit allem, was drum und dran hängt.«
   »Was ich bisher nicht bezweifelte,« erwiderte Bertrand etwas wärmer. »Liegt Ihnen aber nicht daran, aus Ihrer ursprünglichen Heimat zu hören, so kann mich das nicht hindern, der mir erteilten Aufträge mich zu entledigen.«
   »Das lass' ich gelten, vorausgesetzt, Sie gehen mit Ihren Neuigkeiten nicht über das Maß einer munteren Plauderei hinaus,« erklärte King Bob nachlässig. Und lauter zu den das Feuer umlagernden Hirten: »Hallo, Boys! Hier sind zwei ehrenwerte Gäste, die verpflegt sein wollen. Wer so weit über die Ebene kam, ist nicht verzärtelt und nimmt vorlieb mit dem, was vorhanden.«
   Nachdem er darauf zwei Decken vor dem Feuer ausgebreitet hatte, lud er die beiden Reisenden ein, sich niederzulassen.
   Während Mutter Hickup nichts Auffälliges darin fand, daß der überseeischen Heimat King Bobs so ernst gedacht wurde, hatte Bertrand den jungen Hünen fortgesetzt aufmerksam beobachtet. Befremdete ihn kaum, daß er des alten King mit ausgeprägter Teilnahmslosigkeit gedachte, so neigte er andererseits zu dem durch seine Andeutungen begründeten Verdacht hin, daß er dennoch über seine Herkunft unterrichtet sei.
   Bevor er diese Betrachtungen weiterspann, hob King Bob zu Mutter Hickup gewendet an: »Wenn jemand seinen Weg, und wäre er mit brennendem Pech und Schwefel gepflastert, überallhin zu finden weiß, so bist du es. Um aber auf den Ebenen jemand auszukundschaften, der mit seinen Herden bald hier, bald dort weilt, bedarf es schon eines verdammt schlauen Pfadfinders.«
   »Richtig, Bob,« bestätigte Mutter Hickup arglos, »aber gesunder Menschenverstand ist oft mehr wert, als zwei Dutzend der feinsten Führer. Das sagte schon mein seliger Knockhimdown, als an dich überhaupt noch nicht gedacht wurde. Da war nämlich der Brief, in welchem du von deinem Schatz schriebst. Es gehörte also gerade nicht viel Scharfsinn dazu, um herauszurechnen, daß beim alten Howitt oder seiner Tochter Bell am sichersten Auskunft über dich zu erlangen sei –«
   »Dort warst du samt deinem Gefährten?« fuhr King Bob sie grimmig an.
   »Natürlich, Bob, und wir fanden in den Howitts recht umgängliche Leute. Wenn aber der alte Daniel, sobald er deinen Namen hörte, sein Gesicht verzog, als hätte er statt eines Schluckes Brandy ein Gläschen Scheidewasser über die Zähne gespült, so war seine Tochter um so mitteilsamer, das heißt hinter dem Rücken des queren Alten. Die beschrieb mir nicht nur umständlich den Weg auf hier, sondern gab mir auch 'nen Kompaß, den du selber für sie mit 'nem Merkmal versehen hattest – hier ist er –«
   »Hölle und Verdammnis! Den vertraute sie dir an, trotzdem ich ihr gebot, ihn als ein Heiligtum zu betrachten und nie aus den Händen zu geben?« fuhr King Bob, seiner alten Freundin das unscheinbare Instrument entreißend, heftig auf.
   »Immer sanft, mein Jüngelchen,« erwiderte Mutter Hickup kaltblütig, und den Tabaksbeutel hervorziehend, schickte sie sich an, ihre Pfeife zu füllen, »denn mich erschreckst du noch lange nicht. Und mit Wildheit hat mancher in fünf Minuten mehr verdorben, als zehn Sanftmütige in fünf Wochen wieder ausflicken konnten. Außerdem möchte es uns aber schwer geworden sein, ohne viele Umwege zu dir zu gelangen.«
   »Sonst nichts?«
   »Nur noch die besten Grüße soll ich dir bestellen, das raunte das arme Ding mir heimlich zu, und in seinem Namen beschwören, es baute so fest auf dich, wie auf das heilige Evangelium.«
   King Bob seufzte tief auf. »Schon allein um des Grußes willen solltest du eine gute Aufnahme finden,« sprach er eigentümlich weich. »Steckt auch weiter nichts dahinter, so hast du sie wenigstens kennen gelernt, wirst daher in der Ordnung finden, daß ich nicht von ihr lasse, und böten sie mir auf der anderen Seite des Weltmeeres ein Königreich.« Ein funkelnder Blick aus seinen großen Augen traf Bertrand.
   »Aber der quere alte Squatter, als ich begütigend auf ihn einredete, verschwor er sich in grausamer Weise, dich lieber gehangen zu sehen, als in dir ein Mitglied seiner Familie zu begrüßen.«
   King Bob lachte grimmig auf. »Auch ich verschwor mich,« erwiderter er zähneknirschend, »und da soll sich erst ausweisen, wer von uns einen falschen Eid leistete. Doch davon will ich nichts mehr hören. Erzähle mir lieber, wie es Independence ergeht und deinem alten Kunstschlosser. Besaß er nie viel Zärtlichkeit für mich, so mag ich's verschuldet haben,« und ein Ausdruck unheimlichen Hohnes trat auf seine Züge, »aber nimmermehr werde ich vergessen, daß ich ihn so lange Vater nannte, und er seinen Sohn in gutem Brot erhielt.«
   »Independence schickt dir ebenfalls die besten Grüße, und zehnmal hätte sie heiraten können, aber sie will nicht,« nahm Mutter Hickup wieder das Wort, und verstohlen sandte sie dem jungen Hünen einen Blick bitteren Vorwurfs zu. »Was aber deinen Vater anbetrifft, bei Gingo! der sitzt nach wie vor bei seiner Schlosserei, und die Dollars rieseln nur so in seine Tasche, wie die Tropfen aus 'ner lecken Dachrinne bei 'nem mäßigen Regenguß. Kämest du zu ihm als ein reuiger Sohn –«
   »Zum Satan mit deiner Weisheit, alter Drache! Bei mir giebt's nichts zu bereuen, und denjenigen gesunden jungen Burschen möcht' ich kennen lernen, der, sofern er eine herzhafte Natur besäße nicht mancherlei auf dem Kerbholz hätte. Und gar heimkehren? Ich, der ich nicht nur als König angeschrieen werde, sondern auch ein Leben führe wie ein König? Hast du also noch irgend welche Vorspiegelungen im Hintergrunde, so erspare alles für jemand, der empfänglicher dafür ist; denn ich für meine Person verweigere alles im voraus, um das du mich angehen könntest.«
   Solange er unbeachtet blieb, hatte Bertrand keinen Blick von dem trotzigen Vaquero gewendet. Wohl begriff er, daß der ihm innewohnende Starrsinn unbeugsam, seine Liebe zu Bell Howitt sogar den Regungen eines Jaguars ähnlich, der in blinder Todesverachtung seine Partnerin verteidigt, und doch fühlte er sich verpflichtet, nicht von ihm zu scheiden, ohne wenigstens den Versuch gewagt zu haben, ihn zur Gesittung zurückzuführen und für das vorzubereiten, wozu jene Wolfrade Ecke ihn, von heiligem Willen durchdrungen, auserkoren hatte. Wie und wann er sein peinliches Werk zu beginnen habe, ahnte er nicht, hoffte aber, während seines Aufenthaltes unter den Vaqueros Bobs Vertrauen hinlänglich zu gewinnen, um ihn wenigstens zugänglich für seine Enthüllungen zu machen. Willkommen war ihm daher, daß King Bob dem Gespräch plötzlich eine andere Wendung gab, indem er finster bemerkte:
   »Es ist nicht unmöglich, daß Bell Ursache findet, sich zu mir zu flüchten. Wie aber soll sie den Weg, nachdem sie den Kompaß aus den Händen gab, über die pfadlose Prairie finden? Das hätte sie bedenken und dich lieber sechs Monate in der Wildnis umherirren lassen sollen.«
   »Womit mir wenig gedient gewesen wäre,« erklärte Frau Hickup, »aber auch dir und dem Daniel Howitt samt seinem Mädchen, behaupte ich. Danken werdet ihr es mir dagegen wie meinem Kameraden Bertrand, daß wir dir eine Botschaft zutrugen, die zu übernehmen das Ding, die Bell, ungeachtet ihres mannhaften Willens, weder Zeit noch Gelegenheit gefunden hätte. Denn da oben hat sich seit deiner Anwesenheit vieles geändert, das soll ich dir ausdrücklich von dem Mädchen bestellen, und das sah nicht aus, wie eine, die sich kein Gewissen daraus macht, ehrliche Leute auf eine Wildgänsejagd zuschicken. Der junge Mann hier ist aber ein lebendiger Zeuge dafür, daß nicht viele Tage vergehen, bevor da oben Nüsse geschüttelt werden, die aus gutem weichen Blei in Formen gegossen, wie mein seliger Knockhimdown es nannte –«
   »Zum Henker mit deinem seligen Knockhimdown,« unterbrach King Bob ihren Redefluß polternd, »schwebt Unheil in der Luft, so schreie es klar herunter von deinem Gewissen, anstatt Umwege zu beschreiben, wie ein verirrtes Kind im ersten Schnee.«
   »Da rede einer, wenn ihm um jede Kleinigkeit unversehens das Garn abgeschnitten wird,« fuhr die Alte unbeirrt, jedoch in einer Anwandlung von Aerger fort. »Auch erlebte ich noch nie, daß ein vernünftiger Mensch seine Erzählung am Ende anfing und sich rückwärts durcharbeitete, behaupte ich. Also Geduld, mein Jüngelchen, und sperr deine Ohren auf, oder wir werden bis morgen früh nicht fertig. – Also: Eine Stunde Weges betrug es noch bis zur Farm des alten Daniel Howitt, und gemächlich trotteten die Mähren auf dem ebenen Prairierande einher. Seitwärts von uns erstreckte sich das Thal des Smoky-Hill-Fork, so daß wir die Augen nur rechts zu nehmen brauchten, um es weit aufwärts und abwärts zu überblicken. Es war um die Mittagszeit, und schon längst hatten wir mehrere schwache Rauchsäulen beobachtet, die unstreitig von Kochfeuern herrührten. Verwunderlich war mir das von Anbeginn; als wir aber gegenüber eintraten, da hatten wir 'ne freie Aussicht auf ein richtiges Feldlager, in dem mindestens anderthalb Dutzend Männer umherlungerten oder sich vor den Feuern zu schaffen machten. Auch ein einzelnes Zelt stand da, und Pferde weideten in der Nachbarschaft. Aber die Männer – bei Gingo! – das war eine Sorte, so viel wir zu unterscheiden vermochten, von denen mein seliger Knockhimdown behauptet hätte, daß sie keinen Schuß Pulver wert seien und daher einige Fouragierleinen für den kleinen Dienst genügt hätten. Ich sprach eben meine Meinung darüber aus, daß die Bande wohl zu den Dienstleuten der Sklavenmänner gehöre, als einer der wüsten Gesellen ein Pferd herbeiholte und sattelte. Bevor der Lump aufstieg, trat ein Mann in breitem Strohhut zu ihm heran. Auch war er gekleidet wie jemand, der vertrauter mit staubigem Straßenpflaster, als mit rechtschaffenem Prairieboden. Nur wenige Worte redeten sie mitsammen. Dann trieb der Reiter sein Pferd an und hielt 'ne Richtung, die ihn zu uns führen mußte. Obwohl ich ihm keinen hinterlistigen Angriff zutraute, machten wir uns doch schußfertig; denn Vorsicht ist besser, als zu spät eine Faust aufs Auge. Wir gaben uns indessen das Ansehen, den Strolch nicht zu bemerken, achteten auch nicht auf seinen Ruf, als er nähertrabte und uns aufforderte, anzuhalten. Endlich traf er neben uns ein, bei Gingo! – ein Kerl, den man nur aufzuspießen brauchte, um ihn in die feinste Vogelscheuche umzuwandeln, die je ein reifes Gerstenfeld gegen das Auspicker der Körner schützte, und dazu ein ganzes Arsenal von Waffen auf seinem ruchlosen Körper.
   »Straf mich Gott,« rief er uns mit frechem Lachen zu, »wenn ich nicht eher des Teufels Großmutter unter dem Linnendach vermutet hätte, als 'ne Lady aus den Staaten!«
   »Aber eine Lady, die es versteht, einem rohen Gesellen das ungewaschene Maul zu stopfen, sofern er es an dem gebührenden Anstande fehlen läßt,« antwortete ich stolz, und zum Beweise meines kalten Blutes pinselte ich mit der Peitschenschnur die Bremsen vom Rücken der Gäule.«
   Der Strolch besann sich eine Weile, lachte abermals häßlich auf und meinte: »Des Henkers will ich sein, wenn Ihre Rede mir nicht besser gefällt, als das Gewinsel des hübschesten Mädchens, das sich beim Anblick eines ehrenwerten Prairiereisenden entsetzt.«
   »Des Henkers werden Sie früh genug sein, und dann ist das Winseln an Ihnen,« gab ich zurück.
   »Das hindert nicht, ein kleines Handelsgeschäft mit Ihnen abzuwickeln, wenn Sie doch einmal der Vormann sind. Da betrachte ich den Gaul da neben dem Handpferd und mein', es sei zu schade, um wie 'n gemeiner Zugochse vor den Wagen gespannt zu werden. Daher schlage ich aus reiner Barmherzigkeit vor, mir das Vieh zu überlassen. Ich biete Ihnen dafür meinen Vollblutpony. Legen Sie noch fünfzig Dollars drauf, so gelangen Sie in den Besitz des feinsten Renners, der je an hartem Prairiegras seine Zähne stumpf feilte.«
   Flüchtig sah ich auf den Schatten von ausgedörrter Mähre, die bereits ihre vier Wochen im Rauchfang gehangen zu haben schien, und erklärte dem schuftigen Wegelagerer mit aufrichtiger Verachtung: »Ein zu feines Geschäft, um viel darüber zu reden. Ich gebe Ihnen aber zu bedenken, daß Sie nur die Hand auf den Zügel des Tieres zu legen brauchen, um zu erleben, daß in der nächsten Sekunde genug Sonnenschein seinen Weg in Ihren sündhaften Rumpf hineinfindet, um ihn als Laterne aufhängen zu können.«
   Dazu lachte der Unhold wieder lästerlich, mochte aber begreifen, daß mit einer Korporalswitwe nicht zu spaßen sei. Denn er sandte einen Blick nach dem Lager hinüber, worauf er unter das Verdeck fragte:
   »Da weiter keine Ansiedler in der Nachbarschaft hausen, rechne ich, ihr befindet euch auf dem Wege zum Daniel Howitt?«
   »Ob Sie's nicht kümmert, sehe ich doch keinen Grund, es nicht zu bekennen: Ja, unser Besuch gilt dem ehrenwerten Howitt,« sagte ich herausfordernd.
   »Gut,« erwiderte er, »da können Sie mir wenigstens einen Weg ersparen.« Darauf zog er einen Brief aus der Tasche, und den warf er mir auf den Schoß, wozu er etwas höflicher bemerkte: »Der wurde mir von einem Gentleman übergeben, auf daß ich ihn dem Howitt einhändige, und zwar mit der Bemerkung, es würden zu seiner Zeit Leute kommen und die Antwort abholen. Es soll sehr Wichtiges drinnen stehen. Verlieren Sie ihn also nicht,« und dabei verzerrte das Grinsen eines Alligators sein wüstes Gesicht.
   »Den Brief soll er haben,« erklärte ich nunmehr gemächlich, »und da es für Sie hier nichts weiter zu holen giebt, rat' ich Ihnen, so schnell wie möglich dahin zu reiten, wo Sie zu Hause gehören.«
   Was jetzt noch folgte, waren Komplimente, die nicht nach Ladies– parlours dufteten, ihn aber bewogen, umzukehren. Ich selbst dagegen trieb unsere Tiere ebenfalls schärfer an und verkürzte uns die Zeit, indem ich mit meinem Kameraden die Angelegenheit nach allen Seiten beleuchtete.«
   »Aber der Brief, alter Hausdrache, der Brief, in des Teufels Namen, was hat es mit dem auf sich, daß du so viel Staub um ihn aufwirbelst?« fragte King Bob, der immer wieder mit seiner Ungeduld kämpfte.
   »Selbstverständlich händigte ich ihn dem Daniel Howitt ein,« versetzte Frau Hickup, »doch erst nachdem wir mit ihm und seiner ganzen Familie ordentlich bekannt geworden waren. Bevor der ihn aber öffnete, drehte er ihn eine Weile zwischen den Fingern, als war's ein falscher Dollar gewesen. Dann gab er ihn an meinen Freund hier, wobei er mürrisch eingestand:
   »Mit dem Lesen von Geschriebenem geht's mir schlecht von Händen, und das beeinträchtigt das Verständnis,« sagte er; »dankenswert wär's daher, wollten Sie mir den Inhalt kundthun. Hab' ich doch keine Geheimnisse, die ich vor den Leuten verborgen halten müßte.«
   So ungefähr sagte er, und da Herr Bertrand seinen Wunsch erfüllte, wird er dir am besten wiederholen können, was in dem Wisch drinnen stand.«
   King Bob richtete die vor Spannung funkelnden Augen auf Bertrand; doch bevor er fragte, hob dieser an:
   »Der Inhalt lautete etwa folgendermaßen: »Lieber Daniel Howitt! Von dem ernsten Willen durchdrungen, in Frieden und Freundschaft mit Ihnen mich auseinanderzusetzen, gebe ich Ihnen zehn Tage Zeit. Bis dahin können Sie meinen Grund und Boden bequem geräumt haben. Eine entsprechende Entschädigungssumme für Gehöft, Einfriedigungen und Aussaat zahle ich gern, nachdem auch Sie durch freundschaftliches Entgegenkommen Ihren guten Willen bewiesen haben. Ein schneller Entschluß ist um so ratsamer, weil ich den so lange von Ihnen widerrechtlich ausgebeuteten Boden bereits an andere vergab, die ungeduldig darauf warten, den Besitz anzutreten. Ich setze voraus, Sie sind ebenso geneigt wie ich selber, Mißhelligkeiten, deren Verlauf nicht absehbar, zu vermeiden. Mit bestem Gruß. Baxter.«
   Eine Nachschrift war beigefügt, die wie Hohn klang,« endigte Bertrand, in der Erinnerung noch entrüstet, »ich wüßte wenigstens nicht, wie ich es anders bezeichnen sollte, wenn es am Schluß der unzweifelhaft feindseligen Kundgebung heißt: »Mein Freund Margin, von aufrichtiger Teilnahme beseelt, sendet Ihnen und allen den Ihrigen, besonders aber Ihrer schönen und energischen Tochter seine herzlichsten Grüße und Wünsche.«
   So lange hatten King Bobs Blicke mit einer Spannung an Bertrands Lippen gehangen, die ihm fast den Atem raubte. Das letzte Wort der Nachschrift war indessen kaum verklungen, als er durch einen wütenden Fußtritt einen Funkenregen emporsendete. Dann, seine Erregtheit mit äußerster Gewalt unterdrückend, fragte er unheimlich ruhig: »Das alles stand in dem Brief?«
   »Alles; wenn auch nicht ganz genau wörtlich, so doch dem Sinn nach,« bestätigte Bertrand.
   »Auch der Gruß an das Mädchen?«
   »Keine Silbe fügte ich hinzu. Unter dem Eindruck des Ungehörigen mußte er sich meinem Gedächtnis um so fester einprägen.«
   »So segne ich die Stunde, in der Sie beide beim Daniel Howitt vorsprachen, und tausendfach das kluge Mädchen, das Ihnen die Mittel an die Hand gab, mich aufzufinden. Jetzt sagen Sie: Wie lange blieben Sie dort, und wie lange waren Sie unterwegs?«
   »Nur einen Tag rasteten wir, dann folgten drei und ein halber Tag scharfen Fahrens,« antwortete Mutter Hickup mit einem Blick zärtlicher Bewunderung auf ihren Liebling.
   »Gut,« versetzte dieser, »so ist es noch nicht zu spät. Soll Howitt samt den Seinigen nicht einer verruchten Raubbande zum Opfer fallen und mit dem nackten Leben auf die Prairie hinausflüchten, so müssen wir einschreiten. Dieser schurkische Baxter und sein verbrecherischer Genosse Margin! Verdammt! Ich lernte beide kennen, und schon damals zuckte es mir in den Armen, daß ich sie von den Sätteln hätte herunterreißen und zertreten mögen. Doch wir begegnen uns vielleicht noch; dann aber wollen wir erproben, auf wessen Seite das Recht liegt, ob auf ihrer, die da einen hart arbeitenden rechtschaffenen Ansiedler um des schwarzen Sklavenviehs willen fürs Verderben bestimmten, oder auf der Howitts, der bereit ist, die Früchte vieljährigen schweren Schaffens nachdrücklich zu verteidigen.«
   »Und hinter regelrechten Palissaden obenein,« fügte die tapfere Korporalswitwe entschlossen hinzu, »und die sah ich mit meinen leiblichen Augen, und mit meinen leiblichen Ohren hörte ich, wie der Daniel Howitt sich schwor, lieber mit allen den Seinigen sich unter den brennenden Balken seines Hauses zu begraben, als gutwillig einen Verrat zu dulden, wie er nicht schwärzer und niederträchtiger von den südstaatlichen Senatoren ersonnen und von einem gewissenlosen Präsidenten gutgeheißen werden konnte.«
   Finster starrte King Bob vor sich in die Flammen. Den Ausbruch der kriegerischen Begeisterung seiner alten Freundin schien er nicht gehört oder beachtet zu haben. Aber in seinem Inneren wogte es feindselig. In dem heftig geröteten Gesicht prägte sich aus, wie er die verhaßten Feinde sich vergegenwärtigte, vor ihm im Staube sich wälzend, händeringend um ihr fluchbelastetes Leben flehend, um dann unter seinen eisernen Fäusten zu verenden. Mit heimlicher Scheu überwachte Bertrand ihn. Meinte er in dem einen Augenblick, nie einen Mann gesehen zu haben, der mehr die Urkraft eines Recken verbildlichte, der neben der zwar verwitterten und bestaubten, jedoch bestechenden äußeren Erscheinung gewisse Regungen der Ritterlichkeit durchblicken ließ, so zitterte er gleich darauf wieder bei dem Gedanken, ihn, vielleicht notdürftig mit den Farben höherer Gesittung übertüncht, in die ihm geöffnete Stellung eintreten zu sehen. Seinen Ideengang förderte King Bob, indem er plötzlich wiederum mit einer wilden Verwünschung die flackernden Feuerbrände durcheinander stieß. Damit schien indessen seine volle Kaltblütigkeit zurückgekehrt zu sein, denn frostig klang seine Stimme, indem er anhob:
   »Ich will dem Daniel Howitt beweisen, daß seine bösen Reden mich nicht abhalten, ihm meinen Kopf und meine Arme – ja, mein bestes Herzblut zu Diensten zu stellen. Ich will redlich versuchen, seine gute Meinung zu gewinnen. Ist aber auch das vergeblich, dann sollen Himmel und Hölle mir nicht wehren, mit List oder Gewalt mir das anzueignen, was zu mir gehört.«
   Weder Bertrand noch Frau Hickup antworteten. Wie eine Erleichterung erschien ihnen, als ein junger Vaquero auf einer Blechschüssel und in einer rußigen Kanne die zubereiteten Speisen herbeitrug und vor ihnen auf dem Rasen ordnete. Gleich darauf erhob King Bob sich, um ein Fläschchen Branntwein herbeizuholen. Zuvorkommend lud er seine Gäste zum Essen ein. Aus Höflichkeit beteiligte er sich an dem Mahl. Alles Vorhergegangene hatte er gewissermaßen aus seinem Gedächtnis gestrichen. Scharfsinnig herausfühlend, daß Bertrands Stimmung wenig geeignet zu einer heiteren Unterhaltung, vertiefte er sich mit seiner alten Freundin in ein Gespräch über vergangene Zeiten. Dabei gelangten Eigentümlichkeiten beider zur vollsten Geltung. Bald auf der einen, bald auf der anderen Seite riefen sie herzliches Lachen hervor. In der Werkstätte des alten Kunstschlossers hätten sie nicht sorgloser miteinander verkehren können, als hier in der unbegrenzten nächtlichen Wildnis.


   Achtes Kapitel

   Während des Mahls hatten zwei Vaqueros das Lager für die Gäste bereitet. Mutter Hickup war King Bobs Laube eingeräumt worden, wogegen man für diesen und Bertrand im Freien mehrere Decken nebeneinander und übereinander ordnete.
   »Sitzen wir länger hier, wird's überhaupt nichts mehr mit dem Schlaf,« meinte King Bob, indem er sich erhob. »Dein Bett ist gemacht und wartet auf dich,« bedeutete er Mutter Hickup. »Auch Herr Bertrand und ich sind der Ruhe bedürftig, und so wünsche ich dir eine sanft zu schlafende Nacht, so viel noch davon übrig ist.«
   Bereitwillig verfügte die Alte sich in die Laube.
   »Ich hätte bis zum hellen Morgen vor dem Feuer gesessen und meine Zeit abgegrübelt,« begann King Bob, nachdem er sich neben Bertrand ausgestreckt hatte, »allein da Sie voraussichtlich länger mein Gast sind, war mir daran gelegen, vor allen Dingen mit Ihnen mich gehörig auszusprechen. Es schwindet dadurch die Gefahr, daß wir uns gegenseitig mit Argwohn betrachten. Sie sind zwar älter als ich und gelehrter obenein; wissen wir aber erst, woran wir miteinander sind, so stört uns nichts, als gute Freunde zusammenzuhalten.«
   Er sann eine Weile nach und sprach leichten Tones weiter: »Nicht ohne Bedacht schickte ich die Alte fort; denn bei aller Gutherzigkeit ist sie geschwätzig, und was noch ärger, neugierig, wie Mutter Eva, als sie in den Apfel biß. Und was wir beide reden, ist nichts für ihre Ohren, oder sie schreit es beim ersten Wiedersehen schon auf zehn Pferdelängen dem alten King in die Ohren. Ich hätte nur halb so gerieben zu sein brauchen, wie der quere alte Drache von mir voraussetzt, um bei Ihrem ersten Anblick und der Mitteilung, daß Sie von Europa herüberkamen, nicht sofort zu argwöhnen, daß Sie auf dem Wege sind, den Sohn eines gewissen Felix v. Pardelstein auszukundschaften.«
   »Woher wissen Sie das? Wer verriet es Ihnen?« fragte Bertrand erstaunt, obgleich er nur die Bestätigung einer lebhafteren Ahnung vernahm. »Erklärte Ihr väterlicher Freund doch ausdrücklich, daß dieser Umstand Ihnen wie allen anderen Menschen verborgen geblieben sei.«
   »Keiner verriet mir, was ich heimlich erforschte,« entgegnete King Bob spöttisch. »Der alte King hatte es sicher sehr gut mit mir im Sinne, und ich bin ihm dankbar für die große Nachsicht mit einem Burschen, der ihm durch Aufsätzigkeit und den unbesiegbaren Hang zu einem wilden, unabhängigen Leben viel Aerger bereitete. Dagegen fühlte ich schon frühzeitig heraus, daß er nicht die Liebe zu mir besaß, wie sie sonst Väter sogar ihren ungeratenen Söhnen gegenüber an den Tag legen. Daraus bildete sich allmählich der Verdacht, daß er in der That nicht mein Vater sei und besondere Gründe habe, mich über meine Herkunft im Dunklen zu erhalten. Nachdem dieser Argwohn einmal Wurzeln geschlagen hatte, gönnte er mir keine Ruhe mehr, weder bei Tag noch bei Nacht, und das trug nicht wenig dazu bei, daß ich unter verwegenen Gesinnungsgenossen mich zufriedener fühlte, als unter dem heimatlichen Dach. Denn da brauchte ich mich nur zu zeigen, um mit Vorwürfen über meine Verwahrlosung – und verwahrlost war ich von jeher – überschüttet zu werden. Unter solchen Verhältnissen mußte allmählich der Plan reifen, auf die eine oder die andere Art mir Klarheit über mein Herkommen zu verschaffen, und den führte ich schließlich bei der ersten günstigen Gelegenheit aus. Wie ich es anstellte, Einsicht in die Papiere meines Pflegevaters zu gewinnen, ist Nebensache. Es wird Ihnen genügen, zu hören, daß ich einige Dokumente entdeckte, die sich auf einen Felix v. Pardelstein bezogen. Denen angeschlossen waren die eines gewissen Thomas King, also meines Pflegevaters. Dann fielen mir der Geburtsschein und andere beglaubigte Papiere in die Hände, welche die Persönlichkeit eines jetzt vor etwa fünfundzwanzig Jahren geborenen Lothar v. Pardelstein feststellten. Damit waren alle Rätsel gelöst. Sogar bei weniger Vernunft, als ich besaß, hätten für mich die letzten Zweifel schwinden müssen, daß ich selber jener Lothar v. Pardelstein, mithin ein hochgeborener Edelmann sei. Ob mein wirklicher Vater noch lebte, vielleicht heute noch lebt, oder wo und wie er im Falle seines Todes starb, gelang mir nicht, aus den mir zugänglichen Papieren zu ermitteln; denn um meinen Pflegevater darum zu betragen, hätte ich mich des Eingriffes in seine Geheimnisse anklagen müssen, und diese Kränkung wollte ich ihm nicht bereiten. Wohl peinigte es mich, zu erfahren, aus welchen Ursachen man mir den Namen raubte; da ich sie aber für ernst genug hielt, um der Verweigerung jeglicher Auskunft gewärtig sein zu müssen, betrachtete ich alle Versuche weiterer Nachforschungen als vergeblich und daher als überflüssig. Dagegen gelangte eine andere Regung in mir zum Durchbruch, und die blieb nicht ohne Einfluß auf mein ganzes künftiges Dasein. Zunächst faßte ich eine tiefe Abneigung gegen meinen wirklichen Vater. Ich konnte ihm nicht vergessen, werde ihm sogar im Grabe nicht verzeihen, daß er mich, seinen leiblichen Sohn, im zartesten Kindesalter fremden Händen anvertraute, ohne zugleich irgend welche Bedingungen betreffs meiner Zukunft gestellt und gesichert zu haben. Ich war zwar in gute Hände geraten; da aber der alte King unzweifelhaft im Einverständnis mit ihm gehandelt hatte, übertrug meine Abneigung sich auch auf ihn. Ich ging davon aus, daß wenn mein Vater sich seit zwanzig Jahren nicht um mich gekümmert hatte, es Kings Pflicht gewesen wäre, mich, nachdem ich heranreifte, über alles aufzuklären. Ob ich Robert King heiße oder Lothar v. Pardelstein, berührt mich jetzt freilich nicht mehr, als die Ursache, weshalb unter den Tausenden von Kindern da oben mehr schwarze als rote vertreten sind. Als King Bob lebe ich zufrieden und entbehre nichts. Glückte es mir aber erst, das Mädchen – Sie lernten es ja kennen – für mich zu erobern, anders kann ich es doch nicht bezeichnen, so tausche ich mit keinem wirklichen König. Sie gaben zu, in mir einen Pardelstein zu vermuten. Ich bestätige Ihre Voraussetzung durch ein offenes Bekenntnis. Jetzt aber ist die Reihe an Ihnen, ebenso ehrlich und unumwunden herauszusagen, was Sie eigentlich mit Ihrem Besuch bezwecken.«
   »Bevor ich diese Frage beantworte, muß ich auf diejenige zurückgreifen, auf deren Veranlassung ich hier auftauchte,« versetzte Bertrand zögernd, denn er bezweifelte nicht, daß er mit seinen Plänen unbesiegbarem Widerstand begegne. »Vorausschicke ich, daß ich vor allen Dingen das harte Urteil über Ihren Vater wie Herrn King, Ihren Wohlthäter, gemildert wissen möchte. Ersterer verscholl vor einer langen Reihe von Jahren, wogegen Ihr Pflegevater sich verpflichtete, das ihm aus bestimmten, wohlerwogenen Gründen auferlegte Schweigen über Ihre Persönlichkeit gewissenhaft zu bewahren. Das vertraute King selber mir an. Entzogen Sie sich seinem Einfluß, und weilt Ihr Vater nicht mehr unter den Lebenden, so giebt es dafür eine andere, die an dessen Stelle trat – Ihre Mutter starb in den ersten Jahren Ihrer Kindheit – und zu sühnen wünscht, was ein übelwollendes Geschick an Ihnen verbrach –«
   »Und beauftragte Sie daher, mich einzufangen, wie ein verwildertes Rind, und ihr zuzuführen,« schaltete King Bob spöttisch ein; »ohne zu ahnen, ob ich auch, wie ein Rind, mich am Strick würde leiten lassen, verfügte sie über mich, wie über einen Knecht.«
   »Jene großmütige, wohlwollende Dame setzte nur voraus, daß Sie meinen Schilderungen der drüben Ihrer harrenden glänzenden Lage nicht unzugänglich sein würden.«
   »Den Schilderungen eines Berges Goldes,« meinte King Bob wieder höhnisch, »wohl gar der Aussicht, als ein geschniegelter und gebügelter Herr v. Pardelstein vor den Leuten einherzugehen und mich von betreßten Lumpen bedienen zu lassen. Es sollte mich kaum wundern, hätte Ihre großmütige Auftraggeberin nicht auch ein Edelfräulein für mich auf Lager, vergoldete Kutschen und wer weiß, was sonst noch. Doch um mich mit dergleichen zu locken, müßte ich nicht als ein Mann, der sich vor niemand zu beugen braucht, so lange Prairieluft eingeatmet haben, müßte ich nicht König einer Sorte von Gesellen sein, die ebenso verwegen wie gewandt im Dienst, und denen ich nur einen Blick zu geben brauche, um sie vor meinem Willen fliegen zu sehen, als ginge es auf Tod und Leben.«
   »Ich räume ein,« entgegnete Bertrand vorsichtig, »daß man mit den Ihnen zu erweisenden Bevorzugungen bis zur äußersten Grenze zu gehen beabsichtigt –«
   »Ein weißnäsiges, hoffärtiges, klapperdürres Edelfräulein mit eingerechnet?« fragte King Bob boshaft.
   »Unmöglich wäre es nicht –«
   »Schon gut, schon gut, Herr Bertrand,« unterbrach King Bob ihn geringschätzig, »denn böten Sie mir drei Dutzend solcher Dinger zur Auswahl, so wögen alle miteinander für mich nicht halb so schwer, wie ein einziges Haar vom Haupte der Bell Howitt. Und gerade weil ich sie erst über die ärgsten Hindernisse hinweg erkämpfen soll, ist sie mir doppelt ans Herz gewachsen und ich ihr ebenfalls. – Verdammt! Gebrauche ich eine Frau, wähle ich sie mir selber aus; dazu bedarf es keiner guten Freunde, Vettern und Basen.«
   Hier sann er, wie in Zweifel, eine Weile nach, ohne daß Bertrand ihn in seinen Betrachtungen zu stören wagte.
   Plötzlich lachte er grimmig über seine Decke hin, worauf er wieder anhob: »Und ferner der Gedanke, meinen Lederrock mit 'ner Leibschere zu vertauschen, das weiche Flanellhemd mit einem weißleinenen, so steif obenein, daß man Pokerkarten draus schneiden könnte – Hölle und Verdammnis! Da möchten sie mich verlachen, wie einen Pavian, der in roten Hosen auf dem Seil tanzt. Nein, Herr Bertrand, geben Sie es auf mit Ihren Verführungskünsten. Denn hier bin ich ein ganzer Mann, wogegen ich drüben ein erbärmliches Institut wäre, gut genug, von jedem elenden Gassenjungen gehänselt und verspottet zu werden, um ihm hinterher die Nase einzuschlagen. Denn die Manieren, die solche auf Draht gezogenen weibischen Junker auszeichnen, mir jetzt noch anzueignen, wär's zu spät, schämte ich mich auch. Ebensowenig mutete ich meinem Squattermädchen zu, ein so stattliches, kerniges und vornehmes Frauenzimmer, wie kein zweites auf seinen nackten Füßen über Aecker und Wiesen hintrottet, in den seidenen Kleidern und dem Aufputz einer Edelfrau – und die würde sie, ginge ich in die Falle – sich zu 'ner Vogelscheuche herabzuwürdigen. Würde man doch mit Fingern auf sie weisen, wie auf eine Unehrliche oder Verrückte, wenn sie sich nicht nach der Mode drehte und wendete und in ihrer Verlegenheit Dummheiten beginge. Bei Gott! Wie mir's Blut zu Kopfe steigt, indem ich mir dergleichen vorstelle und ausmale.«
   Wunderbarerweise wuchs Bertrands Verlangen, den verwilderten, trotzigen Steppenreiter einer höheren Gesittung zuzuführen, in demselben Grade, in welchem er bei ihm Widerstand begegnete, und so begann er nach einer längeren Pause des Ueberlegens: »Es handelt sich bei Ihnen um viel, um sehr viel; um so Wichtiges, daß mein Vorschlag wenigstens des Erwägens wert wäre. Und wer weiß, wie Sie urteilten, wenn Sie den Dingen in der Heimat persönlich gegenüberständen und sie genauer kennen lernten.«
   »Die brauche ich nicht kennen zu lernen, will ich nicht kennen lernen,« erwiderte King Bob mit rauher Entschiedenheit. »Warum sollte ich meinem jetzigen freien, unabhängigen Leben ohne jegliche Not entsagen? Einem Leben voller Genüsse und Freuden, um wie mit bösem Gewissen zwischen den hochgeborenen Verwandten mich ängstlich hindurchzuwinden? Verdammt, Herr Bertrand, das können Sie nicht von mir verlangen, und noch weniger diejenigen, von denen Sie an mich abgeschickt wurden. Kurz und gut: Ich heiße King und will ein King bleiben!«
   Bertrand überlegte wieder, bevor er begütigend entgegnete: »Um späteren Selbstvorwürfen den Boden zu entziehen, wäre es vielleicht ratsam, den Stätten Ihrer frühesten Kindheit wenigstens einen kurzen Besuch abzustatten und erst nach voraufgegangenem Prüfen und gewissenhaftem Erwägen eine endgültige Entscheidung zu treffen –«
   »Und mit Zweifeln belastet wieder hierher zurückzukehren,« warf King Bob boshaft lachend ein. »Hol's der Teufel! Daraus wird nichts. Versprächen Sie mir einen Goldberg so hoch, wie der Pik von Laramie, so machten Sie mich hier nicht los. Zur Hölle mit allen Verwandtschaften, die seit mehr als zwanzig Jahren nicht nach mir fragten und jetzt plötzlich auf den Gedanken gerieten, meinen guten Frieden zu stören. Schreiben Sie ihnen, Sie hätten den Lothar v. Pardelstein gefunden, einen Steppenreiter und Viehtreiber, der in ihre Gesellschaft genau so passe, wie der lahme Esel in eine Herde wohlgenährter Ochsen; das wird sicher für alle Zeiten abkühlend wirken.«
   »Entsinnen Sie sich vielleicht noch Ihrer verstorbenen Mutter?«
   »Darüber nachgedacht habe ich im reiferen Alter oft genug. Es schwebt mir auch vor, daß ein freundliches Frauengesicht mit großen Augen mich betrachtete und bis zum Ersticken küßte. King erzählte mir, daß sei meine Mutter gewesen, die frühzeitig starb. Zeigte man sie mir im Sarge, was unwahrscheinlich, so verwischte die Erinnerung daran sich vollständig.«
   »Nach Kings Aussagen zählten Sie etwa vier Jahre, als Ihr Vater Sie seiner Fürsorge anvertraute. Vielleicht können Sie sein Bild vergegenwärtigen?«
   »Auch das versuchte ich, nachdem ich hinter das Geheimnis meiner Geburt gekommen war, allein immer vergeblich. Glaubte ich wirklich einmal einen Anhalt gefunden zu haben, so wurde des Vaters Gesicht alsbald wieder von dem Kings verdrängt. Kein Wunder; denn unter Kings Pflege, der damals noch mein Alles war, lernte ich zuerst denken.«
   »Sonstige Ereignisse aus jenen Tagen schweben Ihnen nicht vor?«
   »Kein anderes, als die Reise übers Meer. Klar ist mir noch, daß ich vor dem vielen Wasser mich entsetzte, und der Vater – nur er konnte es gewesen sein – mich auf den Knien hielt, und ich verwundert in seine Augen sah, aus denen Thränen liefen. Ich mein' auch gehört zu haben, daß er mich Bob, seinen lieben Sohn nannte. Das mag aber auch später gewesen sein, als ich bereits unter dem Schütze Kings lebte. War es aber dennoch mein leiblicher Vater, so mußte er schon damals beschlossen haben, mich als Robert King durch die Welt laufen zu lassen. So verschwimmt alles in meiner Erinnerung und kann daher weiter keinen Wert haben, am wenigsten für mich selber. Ihnen vertraute ich alles an, weil Sie im Auftrage der fernen Verwandten mich drum befragten. Machen Sie davon jeden beliebigen Gebrauch, mich soll's nicht kümmern, welchen. Nur um eines bitte ich: Treffen Sie wieder mit King zusammen, so lassen Sie ihn in dem Glauben, daß Sie es waren, der mir die Augen öffnete. Erführe er Näheres über meine Einsicht in seine Papiere, möchte es ihm nachträglich noch Aerger verursachen, und das hat der alte Mann nicht um mich verdient.«
   »Hier meine Hand darauf,« versetzte Bertrand mit unzweideutig hervorklingender Wärme, und seine Finger knackten unter dem festen Griff der eisernen Faust, »Ihre Wünsche werde ich achten und streng berücksichtigen. Und mehr noch: Sie werden zu seiner Zeit erfahren, wie Ihr Entschluß – sollten Sie wirklich zu eng mit der Prairie verwachsen sein, um einige Monate fern von ihr zu verbringen – von Ihren Verwandten auf der anderen Seite des Weltmeeres beurteilt wird.«
   »Mit dem Squattermädchen und der Prairie hätten Sie sagen sollen, und Sie traten das Richtige. Doch gleichviel, vermelden Sie drüben, was Ihnen gefällt. Hör' ich von Ihnen, daß es Ihnen selbst gut ergeht, soll es mir eine Freude sein. Mehr zu schreiben ist unnötig. Damit halte ich die ganze Angelegenheit für erledigt. Wollen Sie mir aber einen Beweis Ihrer freundschaftlichen Gesinnungen bieten, dann rühren Sie nicht mehr an die Geschichte, solange Sie mein Gast sind.«
   »Auch nicht mit einem letzten Wort am Tage des Scheidens?« fragte Bertrand mit ernster Spannung.
   »Zum Henker denn: ja, wenn Ihnen so viel daran liegt,« polterte King Bob mit erwachender Wildheit, und sich auf die andere Seite werfend, zog er die Decke über sich hin. Bald darauf verrieten die tiefen Atemzüge, daß die vorhergegangene Erregung keinen Einfluß auf seinen gesunden Schlaf ausübte.
   Bertrand lag noch lange wachend. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen wollten ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Hatten die wilde Entschlossenheit und das trotzige Selbstbewußtsein des an seiner Seite Schlummernden etwas Beängstigendes, so vermochte er der ihm innewohnenden eisernen Willenskraft wie den versteckten Regungen einer gewissen Ritterlichkeit seine Achtung nicht zu versagen. Er begriff, daß diese ihn zu allem Edlen treiben konnten, aber auch zu Handlungen, die, wie ein Wetterstrahl, vernichtend auf andere wie auf ihn selbst herniederfuhren.
   Seine Blicke schweiften träumerisch an dem magisch erleuchteten Firmament hin. Wie liebe Freunde grüßten ihn die vertrauten Sternbilder, wie Freunde, mit denen er in der fernen Heimat so manche Stunde in nimmer veraltendem genußreichen Verkehr verbrachte. Doch nicht zu gewagten, zauberisch fesselnden Schlüssen über den Weltenbau regten sie ihn heute an, sondern zur Vergegenwärtigung seines Weilens in dem stillen Hause seiner Gönnerin. Freundliche Gestalten, geschmückt mit den Farben der Wirklichkeit, riefen sie vor sein geistiges Auge hin. Es lebten in seinen Ohren herzliche Stimmen, die ihn mit treuem Rat versahen. Auf rosigen Lippen schwebte ein süßes Geständnis, schwebten wehmutsvolle Bitten, ein inniges »Auf Wiedersehen«.
   Das Feuer war niedergebrannt. Gedämpftes rötliches Licht verbreiteten die glimmenden und kohlenden Holzblöcke. Ringsherum regten sich die verwitterten Gestalten der Hirten, die zur Ablösung der Wachen sich rüsteten oder von der Herde zurückkehrten. Im Osten meldete mit halbem Schein der junge Tag sich an. Aus der Ferne drang der Gesang zweier sorglosen Vaqueros herüber, die auf ihren unermüdlichen Mustangs die gemächlich wiederkäuenden Rinder umkreisten. Bis in den Schlaf hinein vernahm er die heitere Melodie. Es kühlte seine Stirn der schwere nächtliche Tau und verscheuchte störende Träume.
   Als Bertrand erwachte, hatte die Sonne sich bereits dem dampfenden Osten entwunden. Indem er sich aufrichtete fiel sein Blick auf den Wagen, der in der Nähe des Feuers hielt. Die Pferde waren ausgespannt worden. Auf dem einen Vorderrad stand Mutter Hickup. Hinter ihr warteten zwei bräunliche Burschen darauf, die von ihr dargereichten Gegenstände in Empfang zu nehmen. Wie das Herz des seligen Korporals Knockhimdown wohl gelacht hätte, wäre er Zeuge der Unverfrorenheit gewesen, mit der seine hinterlassene Witwe, zu King Bobs Entzücken, sich auch hier die Oberherrschaft anmaßte und die dienstfertigen rauhen Gesellen hierhin und dorthin hetzte, daß die Sohlen ihres Schuhzeugs davonzufliegen drohten.


   Neuntes Kapitel

   Seit der Zusammenkunft King Bobs mit Bell und dem Besuch der beiden Landspekulanten lastete es auf den Gemütern der Bewohner von Howitts Farm wie ein böser Bann. Nur ernste Gesichter sah man noch. Verklungen waren Lachen und heitere Scherzchen, die so lange die friedliche Blockhütte und deren Umgebung freundlich belebten.
   Zum Kummer der Eltern und Befremden der Brüder war Bell vollständig unzugänglich geworden. Kein Wort, das über die dringendste Notwendigkeit hinausreichte, hörte man von ihr. Entschlossenheit prägte sich wohl um ihre blühenden Lippen aus, dagegen schaute es aus ihren Augen wie eine Mahnung an Tod und Grab. Die Störrigkeit des Vaters hatte sich auf sie vererbt. Wie jener den einmal ausgesprochenen Willen als unerschütterlich hoch hielt, weder durch schüchtern gewagte Vorstellungen, noch durch eigene mildere Regungen zu einer anderen Entscheidung bewegt werden konnte, so erfüllte Bells ganze Seele der Entschluß, auf die eine oder die andere Art mit King Bob vereinigt zu werden, gleichviel, was sie auf der anderen Seite als Preis dafür einsetzte und verlor, ob die Heimat und den letzten Zusammenhang mit den Ihrigen oder das Leben.
   Eine ernstere Steigerung erfuhren die Besorgnisse um die Zukunft, als der Inhalt des von Baxter entsendeten Briefes kund geworden war. Die darin enthaltenen Andeutungen konnten nicht mißverstanden werden. Es hätte ebensogut heißen können: »Ist zu der bestimmten Zeit die Farm nicht geräumt, wird zu Gewaltmaßregeln geschritten,« und was nur geschehen konnte, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen, das war seither von Howitt und den Seinigen bedachtsam vorbereitet und eingeleitet worden.
   Und abermals hatten sie, nur noch wenige Tage vor dem angekündigten verhängnisvollen Termin, den Verlust eines Rindes zu beklagen. Trotz der angestrengten Wachsamkeit war der Raub eine Stunde vor Tagesanbruch ausgeführt worden. Die Gelegenheit dazu hatten die hinterlistigen Freibeuter durch das unbemerkte Ausheben mehrerer Einfriedigungsriegel selbst geschaffen, infolgedessen die Herde verfrüht ins Freie hinausdrängte und sich um das Gehöft zerstreute. Diese Mal sollte indessen bewiesen werden, daß man fernere Eingriffe in das mühsam erworbene Eigentum wenigstens nicht ungestraft dulde.
   Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als man beim Zusammentreiben der Tiere eine junge Kuh vermißte. Ohne Zeitverlust schickten die beiden ältesten Söhne, Ben und Adam, sich an, deren Spuren, wenn erforderlich, bis in das Lager der verruchten Horde nachzufolgen. Sie rechneten darauf, daß, wie schon früher geschah, das erbeutete Tier auf dem Wege dahin geschlachtet worden, um es stückweise an Ort und Stelle zu schaffen. Die Hoffnung der jungen Männer gipfelte darin, die Frevler beim Zerlegen zu überraschen und dann, im Falles des Widerstandes, freien Gebrauch von ihren Büchsen zu machen. Da seit Fertigstellung des Palissadenzaunes Arrowmaker und der junge Mandane nach der Farm übergesiedelt waren, wodurch die Besatzung einen Zuwachs von zwei sicheren Büchsen erhielt, erklärte Rabbit sich sofort bereit, an dem Unternehmen teilzunehmen.
   Mit ernsten Mahnungen zur Vorsicht entlassen, drangen die jungen Leute in den Wald ein. So viel wie möglich die Fährten des Rindes haltend, blieben sie in der Nähe des Flußufers, wo es ihnen, begünstigt durch Bäume und Buschwerk, erleichtert war, sich feindlichen Späherblicken zu entziehen. Anfänglich schritten sie hintereinander einher. Erst nach Ablauf einer halben Stunde, als sie durch die Spuren darüber belehrt wurden, daß das Rind, wahrscheinlich um der Herde sich wieder zuzugesellen, mehrfach von der Hauptrichtung abgewichen und kreuz und quer gelaufen war, gelangten sie zu der Voraussetzung, daß es nicht weit mehr bis zu der Stelle, wo es getötet worden. Von da ab wurden sie in ihren Bewegungen noch vorsichtiger; zugleich trennten sie sich voneinander, um, jeder seinen eigenen Weg wählend, die Räuber einzukreisen und demnächst aus verschiedenen Richtungen zu bedrohen.
   So schlichen sie abermals eine Viertelstunde einher, Adam auf dem Flußufer, Ben in der ungefähren Mitte des Gehölzes, während Rabbit den äußeren Waldessaum hielt, von wo aus er die sich stromabwärts erstreckende, unregelmäßig begrenzte Wiesenfläche zu überblicken vermochte. Wo sie sich befanden, wußte einer vom anderen wenigstens nicht genau. Als geübte Jäger wanden sie sich zu leise zwischen Gesträuch und hindernden Ranken hindurch, um selbst auf kürzere Entfernungen ihre Anwesenheit zu verraten. Desto gespannter lauschten sie nach vorne auf Zeichen, die von den Bewegungen der Räuber gezeugt hätten. Doch alles blieb still. Nur ein Nußhäher ließ nach einiger Zeit, wie angesichts eines ihn störenden Gegenstandes, seine krächzende Stimme erschallen.
   Bens Argwohn erwachte. Vertraut mit den Eigentümlichkeiten des unruhigen Vogels, legte er sich nieder, und geräuschlos glitt er durch das hohe Gras einer kleinen Waldblöße und der Stelle zu, wo der Häher durch erneutes und lauteres Schreien unverkennbar Mißtrauen verriet. Nach einigen Minuten nahm dichtes Buschwerk den jungen Jäger wieder in sich auf. Dort war er gezwungen, zumal er die schußfertige Büchse vor sich her schieben mußte, seine Behutsamkeit bis aufs Aeußerste zu steigern.
   Da drang das Geräusch einknickender Zweige zu ihm herüber, für ihn ein Signal, sich regungslos zu verhalten. Er sann noch über die Ursache nach, als in der Entfernung von ungefähr zweihundert Ellen ein Schuß fiel. Unmittelbar darauf folgte, begleitet von dem Geschrei des Hähers, ein notdürftig zu unterscheidender dumpfer Fall, dann herrschte wieder Stille. Nur das Krächzen des Vogels, der sich eiligst entfernte, fand seine Fortsetzung. Schneller glitt Ben nunmehr durch das Gebüsch. Nach Zurücklegung einer kurzen Strecke dehnte ein schmaler Wiesenstreifen sich vor ihm aus, der zugleich das Flußufer bildete. Sein erster Blick fiel auf das geraubte Rind. Da man es vor dem Töten mit den Hörnern an einen Baumstamm gefesselt hatte, war es, zusammenbrechend, unnatürlich zu liegen gekommen, so daß es mit dem Kopf über das Gras hinausragte. Vergeblich aber sah er sich nach demjenigen um, der, wie er nur glauben konnte, es kurz zuvor niederschoß. Da erneuerte sich das Knistern. In Zweifel, ob das Geräusch von seinem Bruder oder einem der Räuber herrühre, schob er sich in das ihn mehr überdeckende Kraut und Gestrüpp zurück, jedoch nur gerade so weit, daß er die getötete Kuh im Auge behielt.
   Endlich trat es auf die Lichtung, doch nicht Adam, sondern ein Mann, der sich durch sein ganzes Aeußere als ein Mitglied der weiter unterhalb lagernden Bande verriet. Bevor er das Gebüsch verließ, spähte er sichtbar argwöhnisch in alle Richtungen, auch zu Ben hinüber. Achtlos glitten seine Blicke über das ihn bergende Kraut hinweg. Ben dagegen sah zu derselben Zeit in ein mit schwarzem Bartwuchs bedecktes häßliches Gesicht, dem Verworfenheit ihr unauslöschliches Gepräge aufgedrückt hatte. Mit von Haß verschärften Blicken unterschied er auf die Entfernung von sechzig Ellen deutlich jeden einzelnen Zug, sogar die kleinen Schlitzaugen, die, etwas schielend, gemeinschaftlich mit den unter der Oberlippe stark hervorragenden weißen Zähnen ihm den Ausdruck eines tückischen Ebers verliehen. Auf dem wirren Haupthaar hing ein fettiger grauer Filzhut, der als solcher kaum noch zu erkennen, während seinen Oberkörper ein rot und schwarz gewürfeltes Kalikohemd umschloß.
   Erst nachdem er sich überzeugt zu haben glaubte, von niemand beobachtet zu werden, trat er ganz ins Freie heraus, und die abgeschossene Büchse neben sich in der Faust tragend, begab er sich in schräger Richtung nach dem Uferrande hinüber. Dadurch, daß er Ben den Rücken zukehrte, gegen Entdeckung gesichert, hob dieser das Haupt empor. Erbittert spähte er dem Räuber nach. Jede einzelne seiner Bewegungen prägte sich wie mit Feuerschritt seinem Gedächtnis ein. Er meinte sogar zu erraten, daß die Herkunft der schlanken Gestalt nicht in den Kreisen zu suchen sei, in denen der Mann sich jetzt heimisch fühlte. Ungeduldig wartete er auf das Eintreffen Adams und Rabbits, um, anstatt sofort zum Aeußersten zu schreiten, gemeinschaftlich mit ihnen unter Androhung eines augenblicklichen Todes, ihn wehrlos zu machen. Und so vertieft hatte er sich in das Anschauen des unheimlichen Gesellen, daß ihm entging, wie es von der Seite her wie mit den lautlosen Windungen einer durch das Gras kriechenden Schlange sich ihm näherte.
   Nur noch drei, vier Schritte befand der Räuber sich von dem Uferrande entfernt, als Ben, wie selbst von einem tödlichen Geschoß getroffen, plötzlich den Kopf auf den Rasen sinken ließ. Doch nur einige Sekunden blieb er in dieser Lage, und als er sein Gesicht wieder aufrichtete, glich es dem eines Gestorbenen, so blutleer und fahl war es geworden. Sein Atem stockte. Ein Schrei des Entsetzens wand sich in seiner Brust empor, um indessen zurückgehalten zu werden, bevor er die Lippen verließ. An den Kleidern, die nur ein wenig über das Gras hinausragten, hatte er seinen Bruder erkannt. Auf dem Rücken lag er, neben ihm, von stärkeren Halmen in der Schwebe gehalten, der Filzhut, der beim Hinstürzen von seinem Haupt geglitten war. Vor ihm stand der Räuber, der ihn aus sicherem Hinterhalt meuchlings erschossen hatte. Anscheinend neugierig sah er auf sein unglückseliges Opfer nieder. Ihn rührte nicht die im Tode erstarrende Jugend, nicht das Erkalten des Herzens, in welchem so viel warme Liebe, so viel Glück und heitere Zufriedenheit gewohnt hatten. Selbst gedeckt durch Buschwerk, war er seiner ansichtig geworden, als er, die schußfertige Büchse vor sich tragend, auf dem anderen Ende der Lichtung auftauchte und, den Uferrand haltend, das geschlachtete Rind ins Auge faßte. Angesichts des kampfgerüsteten jungen Mannes zögerte er nicht. In ihm einen Verräter fürchtend, der alle Bewohner der Farm auf seine und der Raubgenossen Spuren lenken würde, bevor sie Zeit gewannen, die Beute ins Lager zu schaffen, entledigte er sich seiner kaltblütig auf die einfachste Weise.
   Endlich atmete Ben wieder lang und tief. Der ersten Regung nachgebend, hob er die Büchse, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten, ließ sie aber alsbald zurücksinken. Die furchtbare Erschütterung hatte ihm die Arme gelähmt, den Blick seiner sonst so scharten Augen getrübt. Und abermals ermannte er sich. Doch bevor er den Gewehrschaft an die Schultern zog, um zwischen Kraut und Gezweig hindurch sein Ziel zu suchen, glitt eine braune Hand vor seine Augen hin. Erschrocken sah er zur Seite und in Rabbits ruhiges Gesicht. Keiner gab einen Laut von sich. Während aber der junge Mandane vier Finger warnend erhob und durch eine Kopfbewegung nach der getöteten Kuh hinüberwies, erreichten auch schon die Stimmen von Männern die lebhaft zu einander sprachen, aus mäßiger Entfernung ihre Ohren.
   »Ihrer viere kommen,« raunte der bedachtsame Bursche Ben leise wie ein Hauch zu, »der fünfte folgt mit einem Pferde. Es soll das Fleisch tragen helfen. Ich sah alle. Auf der Wiese gingen sie am Waldessaum. Schießt du den Hund nieder, wartet dein Vater vergeblich auf dich und auf mich. Er soll sterben, wie die gestohlene Kuh. Aber nicht jetzt. Seine Zeit kommt. Wir müssen ihn lebendig fangen,« und ein unheimliches Gepräge dämonischer Grausamkeit und Rachsucht eilte über das braune Gesicht hin.
   Obwohl nach Rückkehr seiner Kaltblütigkeit unbezähmbare Sucht nach Vergeltung und Jammer um den Bruder die Brust Bens zusammenschnürten, blieb er nicht unempfänglich für die Warnung. Und so lagen die beiden Gefährten, wie der auf seine Beute lauernde Panther, gleichsam starr, zwischen den sie deckenden Hindernissen hindurch den Mörder fortgesetzt scharf überwachend. Reue war es am wenigsten, was ihn erfüllte; und doch erzeugte es den Eindruck, als hätte er die Blicke nicht von dem vor ihm liegenden armen Opfer loszureißen vermocht.
   Näher ertönten unterdessen die Stimmen, bis endlich einzelne Worte und gleich darauf zusammenhängende Bemerkungen zu den beiden Spähern in ihr Versteck drangen. Sie glaubten ihnen zu entnehmen, daß es ursprünglich ihrer zwei gewesen, die den Raub ausführten, dann aber, nachdem sie das störrisch gewordene Rind geräuschlos mit dem Messer getötet hatten, sich voneinander trennten. Während der eine zurückblieb, um die Umgebung zu überwachen und den etwa Nachsetzenden keine Gelegenheit zu geben, sich in der Nachbarschaft unbemerkt in den Hinterhalt zu legen, eilte der andere ins Lager, um Beistand zu schleuniger Bergung des Fleisches herbeizurufen.
   Der Anblick des bei dem Ermordeten stehenden Genossen befestigte den Wahn der Eintreffenden, daß bis jetzt noch keine Gefahr drohe, und so fragte einer sorglos hinüber, zu was er unnötigerweise den Schuß abgefeuert habe.
   Der Mörder hatte eben begonnen, seine Büchse zu laden. Statt eine Antwort zu erteilen, winkte er die Genossen zu sich. Bevor sie herangelangten, sahen sie, um was es sich handelte, und mit einem Ausdruck tierischer Roheit schallte über die Lichtung:
   »Da will ich in dieser Stunde zur Hölle fahren, wenn der Doktor nicht einem den Weg zur ewigen Seligkeit zeigte!«
   »Einer von des stierköpfigen Howitt Jungens!« versetzte ein anderer erstaunt. »Verdammt! Das lockt uns die ganze Sippschaft auf den Hals. Ich kalkuliere, das war ein überflüssiger Trick.«
   »Besser, er trottet auf dem Wege zur ewigen Seligkeit, als hätte er mir dazu verholfen,« erwiderte der ehemalige, jetzt vollständig heruntergekommene, entmenschte Arzt verdrossen.
   »Möchtest auch den richtigen Pfad verfehlt haben,« wendete ein anderer gleichmütig ein, »führen doch zu viele breite Nebenstraßen zur Hölle. Aber war's denn durchaus notwendig mit dem jungen Blut?«
   »So notwendig, wie dir selber 'ne gesunde Lunge zum Atmen.«
   »Du als Doktor und Medizinmann solltest das freilich am besten wissen.«
   »Nun ja denn, kam ich ihm nicht zuvor, so lag' ich jetzt hier an seiner Stelle. Ich denke, wir schaffen ihn beiseite, damit er nicht zu bald gefunden wird.«
   »Beiseite schaffen?« hieß es im Durcheinander. »Laßt die Hände davon, sag' ich. Und wohin mit ihm vor den Augen der Brut des alten Querkopfes? Die ist nämlich schlau wie 'ne Fischotter im Wasser und spürt wie mit Hundenasen. Rührt ihn nicht an. Den kann jeder andere erschossen haben. Indianer giebt's genug in diesem Landesteil.«
   »Aber die Kuh da? Wer die schlachtete, weiß jeder, sobald er ein Auge auf die zurückgebliebenen Merkmale legt, und dem fällt auch der Mord zur Last.«
   »Das soll erst bewiesen werden. Wer den Schuß auf den Jungen abfeuerte, kam erst, nachdem wir längst zum Teufel waren.«
   »Das weitere mögen wir unterwegs vereinbaren,« riet einer, der bis dahin noch nicht gesprochen hatte, »jetzt heißt's, das Tier zerlegen und auf den Sattel packen. Was für die Mähre zu viel ist, nehmen wir selber. Und noch 'nen Rat für euch alle: Schnürt eure Zungen fest. Von Reden kommt Reden –«
   Die letzten Worte sprach er auf dem Wege nach der Beute hinüber. Was die verworfene Gesellschaft weiter verhandelte, ging den beiden Spähern verloren. Sie warteten daher nicht länger. Mochte es Ben das Herz zerreißen, den Bruder in seinem Blute liegen zu lassen, so gab es doch keinen anderen Ausweg. Zugleich trieb es ihn, die erschütternde Trauerbotschaft den Eltern zu überbringen und gemeinschaftlich mit den Brüdern den Ermordeten schleunigst aus dem Bereich von Raubtieren und unter das elterliche Dach zu befördern. Behutsam zogen sie sich zurück. Die Räuber waren zu eifrig mit ihrem Werk beschäftigt, um der Umgebung viel Aufmerksamkeit zu schenken. So gelangten sie bald dahin, wo weitere Vorsicht überflüssig und sie ihre Schritte beschleunigen konnten.
   Atemlos erreichten sie die heimatliche Lichtung. Als Ben das kleine Gehöft so still und friedlich daliegen sah, sich vergegenwärtigte, wie bald es von verzweiflungsvollem Klagen und Jammern erfüllt werden würde, verließ ihn die Fassung. Sich niederwerfend und sein entstelltes Gesicht auf den Rasen pressend, krallte er in rasender Wut und wildem Schmerz die Finger in das Erdreich ein. Dabei seufzte und stöhnte er, als hätte er ersticken wollen. Vergeblich redete Rabbit in seiner Weise ermutigend auf ihn ein. Erst als er ihm verkündete, daß der Vater vom Thorwege aus herübersehe, gewann er die Herrschaft über sich zurück. Hastig sprang er empor, und die Büchse auf die Schulter werfend, eilte er auf die Palissaden zu, wo Howitt ihn in der That erwartete. Schneller und schneller bewegte er sich einher, bis er endlich in vollen Lauf verfiel.
   Obwohl mit seinen vierundzwanzig Jahren ein Mann im vollen Sinn des Wortes, hatte er bisher doch nie einen Schmerz geahnt, wie ein solcher jetzt seine Brust zerriß und ihm die letzte Besinnung zu rauben drohte. Es durchströmte ihn die Empfindung, als ob er nicht leben noch atmen könne, solange er sich mit der verhängnisvollen Kunde trug. Und als er dann vor dem Vater eintraf, der, aus seinem Aeußeren ein furchtbares Unglück erratend, mit der Starrheit eines Erzgebildes auf ihn hin sah, da versagte ihm die Sprache. Keuchend, wie selbst dem Tode verfallen, stand er da. Die Zunge, die den vernichtenden Schlag nach dem Vaterherzen führen sollte, klebte ihm am Gaumen.
   Howitts Gesichtsfarbe hatte sich verändert: tiefer waren die Furchen in die verwitterte Haut eingesunken. Unheimlich funkelten seine Augen unter den buschigen Brauen hervor. Als Ben immer noch zögerte, packte er ihn mit eiserner Faust an der Schulter, und wie Donnerton schallte in seine Ohren: »Kain! Wo ist dein Bruder?!«
   Da ermannte sich Ben. Durch Mark und Bein war ihm die fürchterliche Anklage gedrungen.
   »Vater!« rief er laut klagend im Vorwurf aus, »er ist tot – er wurde von dem Räuber des Rindes erschossen!«
   »Und du lebst? Du lebst, um mir die Nachricht zu hinterbringen?« fuhr Howitt fort, ohne den Griff der Faust zu lockern, und sein Gesicht verwandelte sich in das eines versteinerten Rachegeistes.
   »Höre mich Vater,« antwortete Ben ehrerbietig, aber fest, »Gott ist mein Zeuge, daß ich Adams Leben freudig mit dem eigenen durchschossenen Kopf bezahlt hätte, allein bevor ich herankam, war das Gräßliche geschehen.«
   Howitt zog seine Hand zurück. »Aber du kamst zur rechten Zeit, deinen Bruder zu rächen?« fragte er finster zwischen den aufeinander knirschenden Zähnen hindurch.
   »Von meiner Hand soll der Mörder sterben,« beteuerte Ben schaudernd. »Ich sah ihn deutlich genug, um ihn unter Tausenden heraus zu erkennen. Ihn sofort niederzuschießen blieb mir sowohl wie Rabbit versagt. Geschah es dennoch, so beklagtest du statt eines Sohnes deren zwei. An mir und Rabbit war nichts gelegen, wer aber hätte dich zu dem Ermordeten führen sollen? Du weißt, wie treu ich zu Adam stand. Liegt er erst in der Erde, dann giebt es für mich nur eine Aufgabe. Nicht Tag oder Nacht will ich ruhen, bis der Verbrecher unter meiner Hand sein fluchbelastetes Leben aushauchte.«
   »Ben, ich glaube dir,« sprach der zähe, alte Squatter, und seine Stimme zitterte trotz seines Willens, wenigstens äußerlich eine gewisse Ruhe zu bewahren; »ich war nicht zugegen, kann also nicht wissen, inwieweit dich ein Vorwurf trifft. Aber ich halte dich beim Wort. Wer unschuldig Blut vergießt, das Blut soll vergossen werden, steht geschrieben, und du sollst zu seiner Zeit diesen heiligen Wahrspruch an dem Mörder vollziehen. Geh zu deinen Brüdern und unterrichte sie über den unersetzlichen Verlust, der uns betroffen hat. Sag ihnen, es sei jetzt keine Zeit zu nutzlosem Klagen und Jammern. Ein schweres Werk liegt vor uns, und das darf nicht aufgeschoben werden. Wie weit ist es bis zum Ort der Blutthat?«
   »Beinah eine halbe Stunde.«
   »Zu weit, um den Toten auf den Armen hierher zu tragen. Sattelt daher zwei Pferde und befestigt zwei Stangen, auf jeder Seite eine, von Sattel zu Sattel, so daß die Tiere hintereinander gehen, aber zwischen ihnen Platz für unseren Adam bleibt. Du, als der Aelteste, und Rabbit, dazu ich selber werden etwaigen Angriffen wohl gewachsen sein, wenn die Schurken es mit uns wagen sollten. Die anderen bleiben zum Schutze der Mutter und des Gehöftes zurück. Jetzt rührt euch. Ich gehe zur Mutter, um sie darauf vorzubereiten, daß sie ihren Adam nur noch als Leiche wiedersieht. In zehn Minuten bin ich bei euch. Bis dahin könnt ihr fertig sein,« und sich umkehrend, schritt er nach der Blockhütte hinüber.
   Erschüttert sah Ben ihm nach. Ihm entging nicht, daß der eiserne Alte, wie nie zuvor, den Nacken beugte. Gleich darauf traten die Brüder zu ihm. Schienen sie auf die unfaßliche Schreckenskunde anfänglich die Denkkraft eingebüßt zu haben, so ermannten sie, des Vaters strengen Gebotes eingedenk, sich doch alsbald zu eifrigem Schaffen. Schweigend verrichteten sie ihr Werk. Eine rauhe Erziehung war ihnen zu teil geworden; das hinderte indessen nicht, daß die Liebe zu den Angehörigen um so üppiger wucherte, hie und da Thränen über die gebräunten jugendlichen Wangen schlichen.
   Als Howitt sich ihnen zugesellte, prägte die gewohnte Unbeugsamkeit sich wieder in seiner Haltung aus. Nur sein verwittertes Gesicht schien noch hagerer geworden zu sein. Die Mutter hatte er weinend und die Hände ringend ihrem Schmerz überlassen. Auch Bells Augen entwanden sich schwere Thränen. doch angesichts der verzweifelnden Mutter gelang es ihr notdürftig, sich zu beherrschen.
   Ohne Zeitverlust trat der kleine Zug seine schwere Wanderung an. Ben schritt voraus und führte das vordere Pferd. Ihm folgt Howitt, mit der Büchse auf der Schulter, und Rabbit, der das zweite Pferd beaufsichtigte. Als sie bereits eine Strecke in das Gehölz eingedrungen waren, tauchte plötzlich Bell neben Howitt auf. Finster sah dieser auf sie hin.
   Bell verstand die stumme Frage und erklärte: »Die Mutter war damit einverstanden, daß ich ging, um unseren Adam heimwärts zu geleiten. Ich wünschte von Herzen, ich könnte mit ihm tauschen.«
   »Ein hartes Wort, Bell. Dich möchte ich ebensowenig verlieren, wie jeden einzelnen deiner Brüder.«
   Dann folgte Schweigen. Kein Wort mehr wurde gewechselt, bevor sie bei dem Toten eintraten. Dem Beispiel des Vaters folgend, hielt jeder Aeußerungen des Jammers zurück. Erst nachdem Ben den Hergang des furchtbaren Ereignisses mit wenigen Worten erklärt hatte, Bell trockenen Auges neben dem toten Bruder niederkniete und beide Hände zärtlich auf die blutleeren Wangen legte, brachen die so lange gewaltsam eingedämmten Gefühle sich Bahn.
   »Vater,« wendete sie sich an diesen, und fest umspannte sie die erkalteten Hände Adams, »hier liegt dein bester Sohn, er war ein treuer Freund Bobs. In deiner Gewalt liegt es, die leere Stelle an deinem Tisch wieder auszufüllen« – und die Stimme drohte ihr vor dem ihre Brust zerwühlenden Schmerz zu versagen – »Vater, er wird dir ein nicht minder treuer Sohn sein und in deinen Gram sich mit dir teilen –«
   »Adams Stelle einnehmen sollte er?« fragte Howitt mit erbarmungsloser Härte, daß es klang wie angeschlagenes Erz. »Wer vermöchte den leer gewordenen Platz auszufüllen? Wer? Wer? Du aber, wenn du den Namen desjenigen aussprichst, der als Störer meines häuslichen Friedens bei uns eindrang, nimm zuvor die Hand fort von der deines gemordeten ehrenwerten Bruders.«
   Beils Farbe wurde noch fahler. Es prägte sich in ihren Zügen aus, daß sie laut hätte aufschreien mögen. Dann bemächtigte sich ihrer die Ruhe der Verzweiflung. Wie Eis fühlte sie es durch ihre Adern rieseln. Lautlos und die in den Augen zusammenrinnenden Thränen bekämpfend, beugte sie sich über den Entseelten hin, und ihn küssend, lispelte sie ihm zu:
   »Du lieber, lieber Bruder – du dachtest anders. Wenn du reden könntest, würdest du jetzt noch den Bob auf deine Stelle rufen.«
   Mit dem letzten Wort erhob sie sich. Ihre Bewegungen waren die einer Schlaftrunkenen. Keinen Blick wendete sie von dem Toten; aber auch keine Hand legte sie an, als man ihn sanft emporhob und auf die Bahre bettete, die durch Stricke, Ranken und Gezweig zwischen den beiden Stangen hergestellt worden war.
   Stumm trat Howitt nunmehr selber an die Spitze und ergriff die Zügel des Pferdes. Stumm überwachten Ben und Rabbit die Bahre und die Bewegungen des anderen Pferdes. Bell beschloß den Zug. In ihren Augen war der letzte Lebensmut erloschen. Ein fremder Ausdruck lagerte um die festgeschlossenen Lippen. Es regte sich in dem zerrissenen Herzen mehr und entschiedener die von dem Vater ererbte Unbeugsamkeit. Wer ahnte, wann und wie sie mit unwiderstehlicher Gewalt zum Durchbruch gelangen sollte!
   Langsam, ganz langsam schritten die Pferde auf dem gewundenen Uferpfade einher. Langsam, ganz langsam begleiteten sie die Leidtragenden. Es war, als hätte man befürchtet, ihn, der so grausam in der Blüte fröhlicher Jugendkraft aus dem Kreise der Seinigen gerissen worden, im seligen Schlaf zu stören. Aber die Vögel des Waldes, die kannten kein Schweigen, gleichviel, was sich unter ihren Augen abspann, kein Schweigen, solange sie selbst nicht litten und die kleinen Kehlen noch eine klingende Note von sich zu geben vermochten. Hier sang ein zierlicher Blauvogel sein von Liebeslust zeugendes heiteres Liedchen; dort sendete ein leuchtend roter Kardinal seine schwermütige Weise in die Welt hinaus oder lockte mit süßen Tönen eine Spottdrossel. Freundlichen Schatten spendeten die hohen, breit verzweigten Bäume, und ernst schauten sie darein, wie um ihren reichsten Blätterschmuck zu dem toten Jüngling niederzusenden, während bald hier, bald dort ein Eichhorn hinter schützendem Ast hervor neugierig die stillen Menschen beobachtete. Und die Atmosphäre war voll Sonnenschein, wie an jedem anderen Tage; wie an jedem anderen Tage summten und schwirrten Bienen und Käfer, einen leisen, geheimnisvollen, endlosen Accord erzeugend. Was wußten sie von den Leiden der Menschen, von ihren Freveln?
   Und eine Stunde später, da lag Adam, von zitternden Händen gebettet, mit Thränen benetzt, unter dem heimatlichen Dach. Ihm zu Häupten saßen die trostlose Mutter und ihre Tochter, mit grünen Zweigen den Fluginsekten wehrend, die keinen Unterschied kannten zwischen Lebenden und Toten. Dabei überwachten sie unablässig die geschlossenen Augen des entschlafenen Lieblings, als hätten sie für unmöglich gehalten, daß sie zum herzlichen Gruß sich nicht mehr öffnen sollten.
   Während aber die Brüder sich nach der Prairie hinausbegaben und im Schatten mehrerer das Ufer schmückender Bäume das Grab auf einer Stelle schaufelten, die an jedem klaren Morgen, ob Winter oder Sommer, von den ersten Sonnenstrahlen überströmt wurde, arbeitete Howitt still für sich. Aus behauenen Planken und Kistenbrettern zimmerte er ein einfaches kleines Häuschen, welches dem verlorenen Sohn als letzte Heimat dienen sollte. Er übereilte sich nicht; denn auf die Bitten der verzweifelnden Mutter hatte er mit der zähen Urwaldnatur sich widerstrebend dazu verstanden, wenn auch nur noch auf eine Nacht den Sohn in der Blockhütte zu beherbergen.
   So war es Nachmittag geworden, und die Sonne neigte sich dem Westen zu, als abermals zwei Reiter sich dem Gehöft näherten. Schon als sie um die Waldecke herumbogen, wurden sie als Baxter und Margin erkannt. Bei ihrem Anblick schwollen Howitts Adern auf den Schläfen mächtig an. Doch was in ihm gären mochte, er bezwang sich. Darauf hinweisend, daß der Todestag eines Mitglieds der Familie nicht entweiht werden dürfe, untersagte er den bei ihm weilenden Söhnen jede Kundgebung von Feindseligkeit. Er ging sogar darauf ein, als Ben riet, wenn der Todesfall überhaupt zur Sprache kommen sollte, die Kenntnis seiner Ursache zu verschweigen. Denn jetzt, nachdem die erste Erschütterung ruhigerer Ueberlegung gewichen war, kannte man nur noch das Verlangen, den Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Anstatt durch Verraten eines Argwohns dem Verbrecher Veranlassung zu geben, in der Flucht aus der gefährlichen Nachbarschaft sein Heil zu suchen, sollte er in Sicherheit gewiegt werden.
   Den höflichen Gruß der beiden Sklavenmänner beantwortete Howitt mit den klanglosen Worten: »Sie betreten eine Stätte der Trauer. Einer meiner Söhne starb in vergangener Nacht. Wollen Sie geschäftlich mit mir verkehren, so wählen Sie einen anderen Tag.«
   »Woran starb er?« fragte Baxter verstört. »Uebten die jungen Leute bei unserem letzten Besuch doch den Eindruck auf mich aus, daß ihnen, einem wie dem anderen, ein hundertjähriges Erdendasein beschieden sei.«
   »Was ihn verfrüht aus unserer Mitte riß, wird Ihnen wohl gleichgültig sein,« antwortete Howitt eintönig; »er ist tot, das besagt alles.«
   »Wohlan, so wollen wir nicht weiter stören,« versetzte Baxter, unheimlich angeweht von dem finsteren Ausdruck, der jüngere wie ältere Gesichter in gleichem Maße auszeichnete, und herzlos fuhr er fort: »Die Ursache unseres Besuches beschränkt sich überhaupt auf eine nur kurze Mitteilung. Uebermorgen im Laufe des Tages, also zu dem brieflich anberaumten Termin, werden zwei ehrenwerte Ansiedler hier eintreffen, um Besitz von der Farm zu ergreifen. Der eine ist ein wohlberufener Arzt, der neben großer Vorliebe für den Ackerbau darauf rechnet, aus dem schnellen Wachsen der Bevölkerungszahl eine gute Praxis zu ziehen. In seinen Händen befindet sich der gesetzlich beglaubigte Kontrakt, der auf seinen und seines Partners Namen verschrieben wurde. Es kann also nichts mehr daran geändert werden. Sie sind übrigens verpflichtet, sich mit Ihnen über die Entschädigungssumme zu einigen, die, nachdem von Ihrer Seite die Uebergabe erfolgte, von mir selbst unverkürzt ausgezahlt wird.«
   Während des letzten Teils dieser Erklärung hatte Howitt an den beiden Reitern vorbei einen Blick auf Ben geworfen. Es befremdete ihn nicht, zu gewahren, daß sich sein Gesicht wie unter heftigem Blutandrange glühte, aus seinen Augen dagegen eine Gehässigkeit hervorleuchtete, die unzweifelhaft bewies, daß ihm das Wort »Arzt« nicht entgangen war. Kaum merklich, jedoch bezeichnend, wiegte er das Haupt, worauf er, zu Baxter gewendet, gelassen fragte:
   »Wo sind Sie zu finden, wenn Ihre Anwesenheit hier erwünscht wäre?«
   »Eine Stunde Weges von hier steht mein Zelt. In meiner Nachbarschaft weilt eine Anzahl friedlicher Ackerbauer, die sich anschicken, die auf den verschiedenen Parzellen errichteten Häuser zu beziehen und hier herum neue zu gründen.«
   »Friedliche Ackerbauer,« wiederholte Howitt und nickte mehreremal nachdenklich, während ein seltsamer Zug des Hohnes um seine schmalen Lippen schärfer hervortrat, »nun ja; sollten Ihre Leute kommen, so bin ich hier. Doch was dann, wenn wir uns nicht einigen?«
   »Ich würde es tief beklagen, müßte um das Hausrecht gestritten werden,« erklärte Baxter erheuchelt teilnahmsvoll. »Sie entsinnen sich, daß ich mit wohlgemeinten Vorschlägen vor Sie hin trat, Sie dagegen alle verwarfen. Sie hausen zur Zeit mit Ihrer Familie unzweifelhaft auf einem Boden, der Ihnen nicht gehört. Andererseits sind die Männer, die ihn erstanden, begierig, festen Fuß zu fassen und demnächst ihre Angehörigen nachkommen zu lassen. Auf wessen Seite das Recht liegt, bedarf keiner weiteren Frage. Ich selbst habe keine Hand mehr darinnen, bin also unfähig, zu vermitteln, wenn die rechtlichen Besitzer zu Gewaltmaßregeln greifen und schlimmsten Falles den Beistand der Besatzung von Fort Riley anrufen.«
   »Und wohin könnte ich mich wenden?« fragte Howitt eigentümlich hart.
   »Weiter oberhalb am Smoky-Hill-Fork erstrecken sich umfangreiche freie Ländereien, wie ein Squatter sie nicht geeigneter für seine Zwecke wünschen kann.«
   »Wo ich einer schuftigen Regierung gegenüber ebenso schutzlos wäre, wie jetzt hier, rechne ich.«
   »Sie brauchten nur Ihre Besitzergreifung rechtzeitig anzumelden und sich dadurch das Vorkaufsrecht zu sichern.«
   »Das glaubte ich, wenn auch nicht schriftlich, so doch durch achtzehnjähriges Wohnen auf dieser Scholle bewirkt zu haben. Doch was zahlten Ihre Männer für den Morgen meines Landes?«
   »Den üblichen Preis von fünf Dollars.«
   »Den Judaslohn hätte ich ebenfalls aufzählen können, aber freilich – doch was reden wir lange? Schicken Sie Ihre Knechte oder nicht: fertig werde ich mit ihnen auf alle Fälle. Das ist mein letztes Wort, und jetzt reiten Sie dahin, woher Sie gekommen sind.«
   Mit kurzem Gruß schieden die beiden Landspekulanten. Einen Blick des wildesten Hasses, der seinen Widerschein in den Augen jedes einzelnen seiner Söhne fand, schickte Howitt ihnen nach; dann begab er sich ins Haus, um den Platz vor Adams Leiche neben seiner Frau einzunehmen.


   Zehntes Kapitel

   Zwei Tage waren verstrichen, und seit vierundzwanzig Stunden schlief Adam in seinem Grabe auf dem Prairierande. Mit peinlicher Spannung sah man auf Howitts Farm der Ankunft der beiden angemeldeten Kolonisten entgegen. Trotzige Zuversicht beseelte alle, prägt sich sogar in den Zügen des vierzehnjährigen Knaben aus. Der Vater hatte den Entschluß offenbart, Gewalt mit Gewalt zu begegnen, und das galt jedem als heiliges Gebot. In der Ueberzeugung, frevelhaft hintergangen worden zu sein, konnte nichts seinen Willen erschüttern, das ihm hinterlistig verkürzte Recht bis zum letzten Atemzuge zu verteidigen. Seine Hoffnung auf Erfolg begründete sich darauf, daß auch die Bevölkerung der Nordstaaten sich rüstete, durch Entsenden achtbarer Ansiedler bei Gelegenheit der Abstimmung über die Verfassungsfrage den Horden der Sklavenbarone nicht nur das Gleichgewicht zu halten, sondern sie auch zu besiegen.
   Jetzt war es eine Stunde nach Mittag. Ein Teil der streitbaren Bewohner der Farm befand sich auf dem Hofe, während die anderen die weidenden Pferde und Rinder bewachten, als hinter der Waldspitze hervor zwei Reiter auftauchten und die Richtung auf das Gehöft zu einschlugen. Mit sich führten sie an Leinen jeder ein beladenes Packpferd. Bei ihrem ersten Erscheinen hatte Howitt die Palissaden verlassen und sich vor der noch offenen Einfahrt autgestellt. Bei ihm befanden sich Ben und Daniel, sein dritter Sohn, ein kraftvoller zwanzigjähriger Bursche. Innerhalb der Umzäunung weilten Arrowmaker und Rabbit. Die Aufmerksamkeit der jungen Männer wechselte zwischen den Fremden, durch die sie verdrängt werden sollten, und dem Vater, dessen hageres Antlitz in gefährlicher Entschlossenheit sich versteinert hatte. So viel sie zu unterscheiden vermochten, sprach das Aeußere der Reiter für das Gewerbe ehrbarer Ackerbauer. Zwar mit Büchsen bewaffnet, erzeugten sie durch Haltung wie Bekleidung doch den Eindruck friedliebender Männer. Sie waren unterdessen auf etwa anderthalbhundert Ellen herangekommen, als Ben plötzlich eine wilde Verwünschung zwischen den aufeinander knirschenden Zähnen hervorstieß. Gespannt sah Howitt auf ihn hin. Er gewahrte, daß sein Gesicht sich entfärbt hatte, seine Augen in unbezähmbarer Leidenschaftlichkeit glühten.
   »Und dennoch derselbe Mann, den sie Doktor nannten, der Mörder unseres Adam,« sprach er gedämpft. »Ich erkenne ihn trotz des schwarzen Rockes, den er überstreifte – nein, kein anderer ist es.« Auf seinen Ruf eilte der junge Mandane herbei. »Rabbit,« fragte er mit seltsam gedämpfter Stimme, »sag mir, ob meine Augen blind geworden sind. Wer kommt dort?«
   »Der Hund, der deinen Bruder niederschoß,« antwortete Rabbit, sich Howitt zukehrend.
   »Ist es wirklich wahr?« fragte dieser beinahe tonlos, während es in seinem Gesicht unheilverkündend aufleuchtete.
   »So wahr, wie ich dein Sohn bin,« beteuerte Ben.
   Howitt seufzte tief auf. Wie im Uebermaß der Erregung entwand sich seiner Brust röchelnd:
   »Gott sei Dank, so brauche ich noch nicht an der Gerechtigkeit des Himmels zu zweifeln.« Dann zu seinen Söhnen gewendet: »Achtet auf mich. Verratet keine Gehässigkeit, aber haltet euch bereit. Ben, du bleibst hier. Ihr anderen geht und rüstet euch mich Schlingen aus. Sage ich: »Vorwärts in Gottes Namen!« so wißt ihr, was ihr zu thun habt.« Die Fremden waren bis auf fünfundzwanzig Schritte herangekommen. Howitt fand nur noch Zeit, zu fragen: »Welcher ist es?«
   »Der im schwarzen Rock und mit dem schiefen Blick,« antwortete Ben fest.
   »Einen guten Gruß zu euch,« redete der eben Bezeichnete, heranreitend, den Squatter vertraulich an, und mit dem letzten Wort schwangen die beiden Genossen sich aus den Sätteln. »Mein Name ist Doktor Harveß. Es thut mir leid, wenn ich ungelegen erscheine, allein das Hemd ist dem Menschen verdammt viel näher, als der Rock. Da möchte ich Sie denn ohne Umschweife ersuchen, sofern Sie der Daniel Howitt sind, Haus und Hof mir als mein Eigentum zu übergeben. Hier ist der Kontrakt, der zugleich als Ausweis dient,« und er streckte dem Alten ein zusammengefaltetes Papier entgegen. »Möchten Sie indessen noch einen oder zwei Tage bleiben, um sich mit aller Bequemlichkeit zum Abzug zu rüsten, soll's mir recht sein. Wir sind keine Unmenschen, und vertragen werden wir uns wohl so lange unter demselben Dach.«
   Während Doktor Harveß mit einer gewissen Ueberstürzung diese Ansprache hielt und dabei immer wieder den Blicken Howitts auffällig auswich, hatte dieser anscheinend empfindungslos dagestanden. Wie mit einem Meißel tief ausgeschnitten, zeichneten die doppelten Furchen zu beiden Seiten des Mundes sich aus. Die Lippen verschwanden fast vor der Gewalt, mit der er sie seine Erbitterung knechtend, aufeinander preßte. Starr und doch unheimlich scharf blickten seine Augen unter der gerunzelten Stirnhaut hervor. Den Mörder seines Sohnes vor sich zu sehen, zu hören, wie er gleißnerisch seinen guten Willen anrief, war mehr, als er zu begreifen vermochte. Zu unfaßlich, zu unnatürlich erschien ihm eine derartige, in einem verstockten Gemüt wurzelnde Frechheit. Da er nicht antwortete, die beiden Abenteurer aber nicht blind dafür waren, wie es in seinem Inneren wogte und kämpfte, nahm des Doktors Begleiter das Wort:
   »Muntert Euch auf, alter Gentleman,« bemerkte er leichtfertig, »sind Sie doch nicht der einzige, der in solche Ungelegenheit gerät, und wir wären die letzten, obwohl das Recht auf unserer Seite liegt, unbillig zu verfahren.«
   »Nicht der einzige,« gab Howitt eintönig zu und wies mit einer ablehnenden Handbewegung den Kontrakt zurück, »auch mache ich eure Personen nicht verantwortlich dafür, daß Baxter und Margin, diese ausgefeimten Schurken, mir hinterrücks mein Recht stahlen,« und um seinen Söhnen Zeit zu verschaffen, sich mit der vor ihnen liegenden Aufgabe einigermaßen vertraut zu machen, fügte er nachdenklich hinzu: »Wissen möchte ich wohl, wie hoch Sie die an mich zu zahlende Entschädigungssumme berechnen.«
   »Nun, alter Gentleman,« entgegnete der Doktor bereitwillig, wir wurden beauftragt, mit unserem Angebot bis auf zweihundert Dollars zu gehen und nicht darüber hinaus.«
   »Zweihundert Dollars,« wiederholte Howitt verwundert, und um sich von der Nähe seiner Söhne und Rabbits zu überzeugen, sah er wie ratlos um sich, »also für zweihundert Dollars soll ich die Gebäude hier errichtet, die Einfriedigungen gezogen und die Aecker unter den Pflug gebracht haben? Das nenne ich eine harte Zumutung. Doch was stehen wir hier? Jungens, nehmt die Pferde und führt sie in den Schuppen. Sie haben keinen Anteil daran, wenn es uns schlecht ergeht; da soll wenigstens ihnen Gastfreundschaft erwiesen werden.« Seine Blicke flogen von Auge zu Auge, um sich zu vergewissern, daß sein versteckter Befehl verstanden wurde. Gleich darauf befanden die jungen Leute sich zwischen den beiden Fremden und ihren Pferden. Wie Messerklingen funkelte es aus den Augen des erbitterten alten Squatters, indem er deren Bewegungen heimlich überwachte, wogegen die Aufmerksamkeit seiner mißtrauischen Bedränger ihm ausschließlich zugewendet war. Er sah, daß hinter deren Rücken geöffnete Schlingen zum Vorschein kamen, hörte, wie die Burschen schmeichelnd zu den Pferden sprachen, und ruhigen, unbeweglichen Antlitzes gebot er:
   »Säumt nicht, Jungens. Vorwärts, in Gottes Namen!«
   Bei dem letzten Wort fielen zwei Schlingen über die Köpfe der Fremden, und bevor diese begriffen, was mit ihnen vorging, lagen sie auf dem Rücken, krampfhaft um sich schlagend und vergeblich nach Luft ringend. Jeder Versuch, sich zu erheben oder die Schlingen vom Halse zu lösen, hatte zur Folge, daß diese sich fester zuzogen und sie, außer widerwärtigem Krächzen, keinen Laut hervorzubringen vermochten.
   Doch auch Howitt war plötzlich regsam geworden, und so dauerte es nur wenige Minuten, bis die beiden verbrecherischen Sendlinge einer verbrecherischen Genossenschaft an Händen und Füßen scharf gefesselt dalagen. Auf einen Wink des seine Kaltblütigkeit jederzeit bewahrenden Squatters wurden die um ihren Nacken geschlungenen Leinen so weit gelockert, daß ihnen wenigstens der Atem nicht versagte; dann aber schrieen sie, schäumend vor Wut, über Verrat, von dem sie wähnten, daß er nur den verhaßten Eindringlingen gelte.
   Da hob Howitt die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle, und von bösen Ahnungen beschlichen lauschten die Gefesselten, als er mit feierlichem Ausdruck begann:
   »So wahr, wie ich bereit bin, mein Leben für jeden Hilfsbedürftigen einzusetzen, so wahr wird mein Thun von demjenigen nicht als Verrat gerechnet, der euch in meine Hände gab. Der Herr hat euch geschlagen, und ich bin nur ein elendes Werkzeug in seiner Hand –«
   Was er hinzufügen wollte, wurde übertönt von neuen Wutausbrüchen. Wilde Drohungen einten sich mit Verwünschungen, was indessen keinen anderen Erfolg hatte, als daß Howitt die Knoten der Fesseln bedachtsam prüfte. Des Doktors von tierischen Leidenschaften ohnehin gezeichnetes Gesicht hatte sich grauenhaft verzerrt. Die Leichenfarbe, die nach dem Zurücktreten des wieder frei kreisenden Blutes sich über dasselbe ausgebreitet hatte, wie die verstörten Blicke zeugten dafür, daß er seine Lage nicht unterschätzte. Heiser klang seine Stimme, als er, gefoltert von seinem belasteten Gewissen, nach der Ursache der hinterlistigen Ueberwältigung fragte, wogegen sein Genosse in wahrer Raserei immer neue Flüche auf die Häupter der ihn Umringenden herabbeschwor. Niemand antwortete. Erst nachdem Howitt seine Opfer eine Weile mit eiserner Ruhe betrachtet hatte, rief er Ben und Rabbit neben sich hin.
   »Ben,« redete er seinen Sohn finster an, »zeige mir den Mörder deines Bruders und rufe den Allmächtigen zum Zeugen an, daß du keinen Irrtum begehst.«
   »Der ist es,« antwortete Ben, auf den Doktor weisend, »hinterrücks erschoß er deinen Sohn, so wahr mir Gott helfe!«
   »Rabbit,« hieß es weiter, du kennst nicht die Bedeutung eines christlichen Eides, aber du kennst Wahrheit. Jetzt sage: Ist der da der Mörder unseres Adam?«
   »Derselbe Mann,« erklärte Rabbit mit überzeugendem Ausdruck.
   »Lüge! Alles Lüge!« schrie der Doktor in seinem Entsetzen auf. »Ich bin unschuldig – ich kenne Ihren Sohn nicht – sah ihn nie – Beweise, Beweise –«
   Er verstummte, als Ben vor ihn hin trat und haßerfüllt anhob: »Keine fünfzig Ellen weit lagen der Mandane und ich hinter dir im Gebüsch verborgen. Du standest vor dem Ermordeten und betrachtetest ihn. Kamen deine fünf Genossen nicht mit dem Pferde, so hätte ich dich neben dein Opfer hingestreckt. Ist das nicht Beweis genug, aber soll ich wiederholen, was deine Raubgenossen zu dir sagten und du antwortetest?«
   Bei dieser Ankündigung schienen die Augen des Elenden ihre Höhlen verlassen zu wollen. Er war so bestürzt, so vollständig niedergeschmettert, daß ihm die Stimme versagte. Erst als Howitt befahl, die beiden Genossen über die Pferde zu hängen und an die Sättel festzuschnüren, ermannten sie sich wieder zu sinnlosen Vorstellungen und Wutausbrüchen. Doch ob der Doktor die Rache des Himmels und der Hölle auf Howitt und die Seinigen herabbeschwor, der andere unablässig seine Unschuld beteuerte: sie begegneten nur düsterem Schweigen und feindseligen Blicken.
   Bis zur Ohnmacht lähmte dann wieder ihre Zungen, als Howitt seine Söhne beauftragte, einige Schaufeln und Hacken mit auf den Weg zu nehmen. Ausdruckslos klang dabei seine Stimme, wie von einer künstlich belebten Maschinerie erzeugt. Er hätte seine Wirtschaftsanordnungen nicht kaltblütiger treffen können. Weder Mitleid noch Barmherzigkeit fanden in seiner Brust Raum. Seit frühester Kindheit, und die entfiel auf die Zeiten blutiger Kämpfe der Ansiedler mit den Eingeborenen, daran gewöhnt, mit der Büchse auf dem Rücken hinter dem Pflug einherzuschreiten, hatte die granitene Hinterwaldnatur sich in ihm ausgebildet. Da, wo es ihm von keinem anderen gewährleistet wurde, verschaffte er, unbeugsam in seinem Willen, sein Recht sich selber. So hatte er es von seinem Vater gelernt, so war es den eigenen Söhnen, sobald sie Verständnis dafür besaßen, von ihm selbst eingeprägt worden. Gottesfürchtig und zähe in seinen tiefgewurzelten Anschauungen, betrachtete er sich in den gesetzlosen Wildnissen gewissermaßen als das verkörperte Gesetz, dem freier Lauf gelassen werden mußte.
   Von Grauen erfüllt sahen Bell und ihre Mutter, denen auf des Vaters Geheiß die beiden jüngsten Söhne sich zugesellt hatten, dem unheimlichen Zuge nach, als er die Richtung nach dem Waldesvorsprung einschlug. Doch auch sie befanden sich zu sehr unter dem strengen Einfluß der beherrschenden Gewalt des Gatten und Vaters, als daß sie hätten wagen dürfen, milden Regungen nachgebend, ihr Stimmen vermittelnd zu erheben.
   Die gezwungene peinvolle Lage der beiden Verbrecher, die ihrer Begleitung nur noch als Sachen galten, hinderte sie, mit ihren Kundgebungen über wütendes Aechzen, Stöhnen und dazwischen gestreute Flüche hinauszugehen. Ihr Grausen wurde dadurch auf den Gipfel gesteigert, daß niemand sie beachtete oder einen Laut von sich gab. Vor der Waldecke eingetroffen, sah Howitt noch einmal zurück. Das Gehöft, wo, wie er wußte, bange Augen nach ihm ausschauten, befand sich noch in seinem Gesichtskreise, und weiter schritt er voraus, bis Baum und Strauch sich zwischen ihn und die gefährdete Heimstätte schoben. Wiederum spähte er um sich. Mehrere vereinzelte Eichen, die abgesondert von dem Gehölz standen, wählte er zu seinem Ziel. Auf seinen Wink wurden die Gefesselten von den Sätteln gelöst und einander gegenüber jeder am Fuße eines Baumes niedergesetzt. Dann bezeichnete er in der Entfernung weniger Schritte eine Stelle, auf der seine Söhne alsbald den Rasen auszustechen und die Erde aufzuwühlen begannen. Eine halbe Stunde ging damit hin, und als die Burschen sich so tief in den nachgiebigen Wiesenboden hineingearbeitet hatten, daß nur ihre Köpfe noch hervorragten, gebot Howitt, innezuhalten.
   Eine Weile hatten die Gefangenen noch unter äußerster Anstrengung gewütet und getobt, bis Erschöpfung und Grauen sie übermannten. Indem sie wie geistesabwesend auf die ausgeworfene schwarze Erde hinstierten, war es, als hätte das Leben sie bereits verlassen gehabt. Erst als die jungen Männer die Grube verließen, trat Howitt vor den Mörder hin. Dieser sah mit verglasten Augen zu ihm auf. Tödliche Spannung verriet sich in denen seines Raubgenossen. Die vorwiegende dumpfe Stille, die finster verschlossenen Physiognomien wie die geschäftsmäßig getroffenen Vorbereitungen waren für beide gleichbedeutend mit hundertfachem qualvollem Sterben.
   »Wochen ist es her, da stahlt ihr eines meiner Rinder,« begann Howitt in kaltem Erzählerton, »ich hätte es verzeihen können, rechne ich, weil vielleicht Not bei euch eingekehrt war. Auch der Raub des zweiten wäre von eurer Seite mit gutem Willen auszugleichen gewesen. Denn sollte jemand wegen Diebstahls hängen, so hätte es von Rechts wegen euren schurkischen Auftraggebern, dem Baxter und dem Margin, gebührt, die wohl hundertmal den Galgen verdienten. Die aber waren zu schlau. Sie verstanden es, die Köpfe aus den Schlingen zu ziehen und die anderer hineinzustecken. Da erschossest du meinen Sohn meuchlings aus dem Hinterhalt, ein unschuldiges junges Blut, das weiter nichts verbrach, als daß es dich bei der gestohlenen und geschlachteten Kuh überraschte. Ein Rind kann ersetzt werden, ein Meuchelmord dagegen nimmermehr rückgängig gemacht werden. Wer aber Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden. Also steht es aufgezeichnet in der Heiligen Schrift, und das Wort wird jetzt erfüllt werden. Sieh dort die Grube. Bevor viele Minuten vergehen, liegst du da unten, und Erde bedeckt dich. Hast du noch ein Gebet zu verrichten, die Bitte um Vergebung deiner Sünden, so beeile dich. Wenn aber der Allmächtige jedem verzeiht, so wäre das von mir zu viel verlangt. Und so tritt denn hin vor Gottes Thron mit der Erinnerung an meine letzten Worte: Mögest du von Ewigkeit zu Ewigkeit die Qualen erdulden, die zwei gramgebeugten Eltern durch dich aufgebürdet wurden. Beschließt der Allmächtige trotzdem milder über dich, soll es mir recht sein, denn ich bin sein getreuer Knecht.«
   Solange Howitt sprach, war kein anderer Laut vernehmbar. Selbst die beiden verbrecherischen Genossen wagten in ihrer Todesangst kaum zu atmen. Wie ein Patriarch aus sagenhaften Zeiten, der zugleich Richter über alles, das zu ihm gehörte, stand der alte Squatter hoch aufgerichtet da. Auf die lange Büchse gelehnt, leuchteten seine Augen im düsteren Feuer der Begeisterung. Sogar als er endigte, dauerte die Stille noch fort. Nur der Kardinal sang in der Nachbarschaft seine schwermütige Weise; es zwitscherte der fröhliche Blauvogel, es sandte die melodienreiche Spottdrossel ihr süßes Lied in den goldenen Sonnenschein hinaus. Es waren vielleicht dieselben Sänger, die vor Tagen dem entseelten Liebling seiner Eltern die letzten Grüße zusandten.
   Barsch unterbrach Howitt das Schweigen wieder mit den Worten:
   »Bist du bereit zum Sterben?«
   »Barmherzigkeit – nur noch eine Woche – einen Tag –« flehte der feige Mörder schaudernd.
   Howitt kehrte sich ab. Ben stand seitwärts von ihm, die schußfertige Büchse in den Händen.
   »Tritt zurück, mein Sohn,« wehrte der Alte ihm eigentümlich sanft, als er gewahrte, daß seine Züge sich krampfhaft anspannten und die Mündung der Büchse schwankte. »Tritt zurück. Dein Wort betrachte ich als gelöst. Meine alten Schultern tragen es leichter als die deinigen, rechne ich.«
   Erschrocken sah Ben auf den Vater. Dieser beachtete ihn nicht weiter, sondern hob die Büchse. Der wilde Schrei, den der Mörder ausstieß, fiel mit dem Knall des Schusses zusammen. Mitten vor die Stirn hatte die Kugel ihn getroffen.
   Howitt kehrte sich ab. »Übergebet ihn der Erde,« befahl er streng. »Sprecht ein Gebet über ihn hin um unseretwillen; denn ihm würde es schwerlich viel helfen.«
   Während die jungen Leute sich beeilten, den Gerichteten aus den Augen zu schaffen, wendete er sich selbst an den zweiten Gefangenen.
   »Bettete ich dich da neben deinen Genossen,« sprach er finster, »so wäre es ein gottesfürchtiges Werk; denn die Erde zählte einen Verbrecher weniger. Du magst indessen frei ausgehen. Da stehen eure Pferde; die nimm mit fort. Vermelde deinen Brotherren, was du hier erlebtest. Sage ihnen, daß die Flüche, die sie aussäten, auf ihre eigenen Häupter zurückfallen würden. Sage ihnen aber auch, daß ich hinter den Palissaden mein gutes Recht verteidigen, jeden unbarmherzig niederschießen würde, der sich dem Gehöft bis auf hundert Ellen näherte. Der begangene Mord fällt ihnen zur Last; ich brauche daher keine Rücksichten mehr mit ihnen und ihren Helfershelfern zu nehmen, rechne ich.« Er hob den Kontrakt auf, der neben dem Gefesselten auf der Erde lag, zerriß ihn in vier Stücke und warf sie ihm auf den Schoß, indem er hinzufügte: »So viel gebe ich auf ein Recht, das durch Raub und Mord besiegelt wurde.«
   Der Gefesselte atmete auf, wagte aber nicht, aus Besorgnis, den unerbittlichen Squatter zu einer anderen Entscheidung zu bestimmen, ein Wort zu erwidern.
   Howitt kehrte sich seinen Söhnen zu und überwachte das Zuwerfen der Grube. Als einer den Hut des Mörders ebenfalls hinabsenden wollte, wehrte er ihm. Er wartete, bis der Hügel mittels einiger Schaufelschläge geglättet worden war, und legte den Hut zu Häupten darauf.
   »Der Grabstein ist nicht zu verkennen, wenn Baxter und Margin oder einzelne ihrer verruchten Werkzeuge dieses Weges kommen sollten,« bemerkte er wie im Selbstgespräch, und eigenhändig löste er die Fesseln des Gefangenen.
   »Geh samt deinen Tieren,« riet er streng, »gehe und verkünde, was ich dir auftrug. Deine Büchse und die deines gerichteten Freundes bleiben in unserem Besitz. In euren Händen könnten sie uns schaden, und wir mögen sie vielleicht noch gebrauchen.«
   Gefolgt von seinen Söhnen und Rabbit entfernte er sich.
   Schwankend, nachdem er sich so lange in der gezwungenen Lage befunden hatte, erhob sich der Erlöste. Die Todesangst, die er erduldete, schien ihn der letzten Kraft beraubt zu haben. Die ihn verzehrende Wut erstickte in dem Bewußtsein, sich als gerettet betrachten zu dürfen. Doch erst nachdem Howitt und die Seinigen hinter dem Waldessaum verschwunden waren, befestigte er die vier Pferde aneinander, und das seinige besteigend, schlug er die nächste Richtung nach dem Lager der Freibeuter ein.


   Elftes Kapitel

   Bedrückten Gemütes bogen Howitt und seine Begleiter um den Vorsprung des Gehölzes herum. Nur Rabbit schaute so gleichmütig drein, als hätte der furchtbare Gang dem Ausräuchern eines Waschbären aus hohlem Baum gegolten. Der Anblick der heimatlichen Farm hatte den erheiternden Reiz für jeden einzelnen Bewohner verloren. Trauer herrschte in den engen Räumen der Blockhütte: Trauer umwebte die Baulichkeiten, lagerte auf den grünenden Saatfeldern, eine Trauer, von der niemand ahnte, ob sie allmählich gemildert werden oder noch eine Steigerung erfahren sollte.
   Bevor sie die Einfahrt des Hofes erreichten, ließ Howitt seine trüben Blicke über Felder, Wiesen und die weidende Herde hinschweifen. Indem sie die Stelle auf dem Prairierande suchten, wo sein Sohn Adam der Ewigkeit entgegenschlummerte, fesselte eine unbestimmte Bewegung seine Aufmerksamkeit. Schärfer hinüberspähend, entwickelte sich vor seinen Augen ein anscheinend mit drei Pferden bespannter Wagen, der auf dem steilen Abhang sich vorsichtig ins Thal hinabwand. Das Gefährt Bertrands und Mutter Hickups erkannte er. Hoffte er nicht auf Hilfe von außerhalb, so beschlich ihn angesichts der freundlich gesinnten Menschen doch ein Gefühl der Erleichterung. Als er sich aber vergegenwärtigte, daß sie, wenn sie ihn überhaupt fanden, von King Bob kamen, verfinsterte sein Antlitz sich wieder. Doch welcher Art die Erfahrungen sein mochten, die sie während ihrer Abwesenheit sammelten: für ihn gab es keinen Grund, ihnen anders als mit aufrichtiger Befriedigung zu begegnen. Um sie zu erwarten, blieb er in der Einfahrt stehen. Im scharfen Trabe führten die Pferde den Wagen näher. Noch bevor er zum Stillstand gelangte, tönte der tapferen Korporalswitwe rauhes Organ mit dem Ausdruck ungeheuchelter, schmerzlicher Teilnahme zu ihm herüber.
   »Um Gottes willen – Daniel Howitt!« rief sie aus, daß es weit über den Hof hinschallte, »wir kamen da oben an einem frisch aufgeworfenen Grabe vorbei –«
   »Still, still!« beschwichtigte Howitt, neben den Wagen hintretend, um der alten Freundin zur Erde zu helfen, »was ich vorhersah, es ist eingetroffen. Noch vor dem anberaumten Termin ist Blut geflossen. Mein Sohn Adam endigte sein junges Leben unter der Hand eines Meuchelmörders –«
   Mutter Hickup war, jede Unterstützung veschmähend, unter Benutzung des Vorderrades neben Howitt hingelangt. »Arme, arme Eltern!« sprach sie, seine beiden Hände ergreifend, tröstlich, »ich kenne dergleichen und gedenke der Stunde, in der sie meinen seligen Knockhimdown mit geschundenem Schädel herbeitrugen; aber wir bezahlten die Missethäter, und so wird es auch hier den Schuldigen treffen –«
   »Es traf ihn, Frau Hickup,« unterbrach Howitt sie düsteren Blickes, »es traf ihn des Himmels Rache in einer Weise, daß er schon auf Erden einen Vorgeschmack der ewigen Verdammnis erhielt.«
   »Das ist herzerhebend, das ist tröstlich, bei Gingo!« erwiderte Mutter Hickup förmlich begeistert, und abermals ergriff sie Howitts Hände, sie mit festem Druck haltend. »Gedenkt man doch eines lieben Toten, nachdem er gerächt wurde, um so beruhigter, als wenn der Verbrecher noch auf Erden umherstrolchte und auf neue Schandthaten sänne.«
   Nachdenklich sah Howitt in ihre ehrlichen Augen. Er verstand sie, wie sie ihn. Die glänzendste, salbungsvollste Ansprache hätte keinen wirkungsvolleren Eindruck auf ihn ausgeübt, als die dem goldenen Herzen gleichsam entsprudelnden ungekünstelten Worte.
   Einige Sekunden verharrten sie in Schweigen, worauf Frau Hickup wieder anknüpfte: »Und hier ist Herr Bertrand, der gemeinschaftlich mit mir zu Ihnen steht auf Tod und Leben, wenigstens so lange, bis hier alles entschieden ist.« Und weiter sprach sie zu den jungen Männern, während Bertrand den alten Squatter freundschaftlich begrüßte: »Munter, Jungens, fahrt den Wagen in 'nen sicheren Winkel, spannt die Gäule aus und jagt sie auf die Weide. Nehmt auch die Gewehre herunter, aber vorsichtig. Sie sind geladen, sag' ich, und solch Ding geht zuweilen los, wenn man nur einen schärferen Blick drauf legt, und die Kugel fliegt ihren eigenen Kurs.« Dann wieder zu Howitt gewendet: »Ich gehe zu Ihrer Frau, um ein gottgefälliges Wort mit ihr zu reden, daran sie sich aufrichten soll.«
   Ueber den Hof bewegte sie sich festen Schrittes auf die Blockhütte zu, wo Bell und ihre Mutter sie bereits erwarteten. Die Hälfte des Weges hatte sie zurückgelegt, als Bell ihr entgegentrat. In ihrem abgehärmten Antlitz verriet sich schmerzliche Spannung. Eine ergreifende Frage offenbarte sich in ihren Augen.
   »Er lebt, ist gesund und sendet dir tausend Herzensgrüße,« raunte Mutter Hickup ihr zu, indem sie das Mädchen in die Arme schloß. »Er ist nicht weit, und droht ein Unglück, läßt seine Hilfe nicht auf sich warten. Also Mut, Bell! Was in meinen Kräften steht, das soll geschehen, um alles zu einem guten Ende zu führen. Gieb mir nur Gelegenheit, heimlich mit dir zu reden. Hab' viel zu erzählen von dem Schlingel, dem Bob, und manches, das du gern hörst,« und gleich darauf stand sie vor der trauernden Mutter, deren Augen bei ihrem Anblick Thränen entstürzten.
   Howitt näherte sich mit Bertrand der Hütte zögernd. »Wären wir nur früher gekommen,« bemerkte letzterer, als Howitt die Schilderung der jüngsten Ereignisse abschloß; »wir fußten eben auf dem festgesetzten Termin.«
   »Wären Sie überhaupt nicht fortgegangen, so hätte das nichts geändert,« wendete Howitt ein, »und wer weiß, was uns noch bevorsteht. Denn die Sorte, die da stromabwärts kampiert, wird nicht abziehen, ohne wenigstens den Versuch unternommen zu haben, sich der Farm zu bemächtigen. Die Hinrichtung eines ihrer vornehmsten Genossen diente am wenigsten dazu, ihr Ruchlosigkeit einzudämmen, rechne ich. Eine Schmach ist's für die Menschheit, aber auch für eine Regierung, die nicht einschreitet, wenn eine Gesellschaft der verworfensten Spekulanten unser Territorium mit ihren Bluthunden überschwemmt. Müssen wir schließlich dennoch weichen, soll es indessen sicher nicht geschehen, ohne das ausgeführt zu haben, wozu der gewaltsame Tod meines Sohnes uns berechtigt.«
   »Sie sehen zu schwarz,« versetzte Bertrand vorsichtig, »Sie vergessen, daß gerade oft dann, wenn die Not am höchsten, die Hilfe am nächsten.«
   Howitt warf ihm einen Blick des Argwohns zu. Eine Erwiderung schwebte ihm auf den Lippen, die Frage, woher ihm Hilfe kommen solle; doch, wie die Antwort darauf fürchtend, meinte er gelassen: »Sie sind also gesonnen, noch einige Zeit mein Gast zu bleiben?«
   »Vorausgesetzt, Sie sind einverstanden damit.«
   »Aber wie, wenn das Pfeifen von Kugeln in Aussicht stände?«
   »So befände ich mich an der Seite meines Gastfreundes.«
   »Gesprochen wie ein Mann, dem an der Achtung von Männern mehr gelegen, als an Weiberthränen, rechne ich,« erwiderte Howitt und drückte Bertrands Hand. »Bleiben Sie nur eingedenk, daß das Ende jedes einzelnen jener Mordbande, Baxter und Margin in erster Reihe, eine Wohltat für die Menschheit. Wie giftiges Gewürm müssen sie zertreten werden, die da kommen, um des Fluches der Sklaverei willen rechtschaffene freie Bürger in ihrem Besitz zu stören.«
   Die Hausthür lag dicht vor ihnen. Summen drangen zu ihnen heraus. Bedachtsam lenkten sie das Gespräch auf andere, weniger beunruhigende Dinge über.
   Der Abend war hereingebrochen. Ein Teil der Bewohner weilte in der Blockhütte. Andere versahen den Wachtdienst bei der Herde, die der Sicherheit halber auf das nächste eingefriedigte Feld getrieben worden war. Unter den letzteren befand sich Bell. Schweigend hatte sie die Hütte verlassen. Dort, wo dumpfe Stille herrschte, tiefe Sorgen den Pulsschlag des Blutes regelten, war ihre Entfernung nicht beachtet worden. An ihre düstere Wortkargheit gewöhnt, hätte keiner sie um ihre Absicht befragt. Noch weniger sprach sie selbst zu jemand. Seit dem heimlichen Verkehr mit der Frau Hickup war sie zwar unruhiger, aber auch noch verschlossener geworden. Nur kurze Zeit leistete sie Ben Gesellschaft. Eindringlich sprach sie zu ihm. Dann suchte sie Rabbit auf und drang mit ihm hinter dem Gehöft in den dort beginnenden Wald ein. Zehn Minuten später erreichten sie die Heimstätte Arrowmakers.
   Der vereinsamten Hütte zuschreitend, hatten sie die Hälfte des Weges über die Lichtung zurückgelegt, als neben dem seltsamen Bau aus der durch die Bäume verdichteten Dunkelheit ein schwarzer Schatten auftauchte. Gleich darauf fühlte Bell sich von den Armen King Bobs umschlungen. Seine kosenden Worte vermochte sie nur mit heftigem Schluchzen zu beantworten. Erst nachdem er erklärte, durch Rabbit bereits von allem Vorgefallenen unterrichtet zu sein, sprach sie mit vor Wehmut bebenden Lippen:
   »Ja, Bob, wir erlebten Schreckliches, so Schreckliches, daß es mir schwer würde, es vor dir zu wiederholen. Was ich aber außerdem erduldete, war genug, mich um den Verstand zu bringen.«
   »Und der Vater,« fragte King Bob, »hat der furchtbare Schlag, der euch traf, sein Herz nicht erweicht, ihn nicht versöhnlicher gestimmt? Erwachte in ihm nicht die Regung, einen ehrlichen Mann, der nichts gegen ihn verbrach, als daß er seine Tochter ins Herz schloß, in seine Familie aufzunehmen?«
   »Er blieb hart wie ein Fels. Vor der blutigen Leiche unseres armen Adam rief ich seine Barmherzigkeit an, und er verwies es mit grausamen Worten.«
   King Bob knirschte mit den Zähnen. »Und das um alter, vergessener Dinge willen, die nur in den Augen eines Herzlosen mir zum Vorwurf gereichen,« hob er erbittert an.
   Flehentlich fiel Bell ein: »Nicht doch, Bob. Er ist und bleibt doch immer mein Vater, für den ich auch heute noch mein Leben bereitwillig opfere. Er besitzt eben eine störrische Natur, die zwingt ihn, an einem einmal gefaßten Entschluß festzuhalten. So war es von jeher mit ihm, und das ist entscheidender, als sein böser Wille gegen deine Person.«
   »Liegt es so, dann läßt er sich nie und durch nichts besänftigen,« wendete Bob heftig ein, daß Bell vor ihm zitterte.
   »Das mag sein,« gab sie klagend zu, »und doch will ich dir angehören über alle Feindseligkeiten und Hemmnisse hinweg. Denn fernerhin unter seinen Augen zu gehen und an meinem Gram zu zehren, ertrage ich nicht länger. Lieber lege ich mich freiwillig ins Grab. Bin ich ihm aus dem Wege und er sieht mich nicht mehr, wird auch seine Stimmung eine andere. Denn unter der haben meine Brüder sowohl, wie die Mutter unablässig zu leiden, und ich trage die Schuld daran. Ich kann mir das Herz nicht aus der Brust reißen und dafür ein unempfindliches Felsstück einfügen. Nennt der Vater es unkindlich und gewissenlos, wenn ich das elterliche Haus ohne seinen Willen verlasse, so gewöhnt er sich bald an meine Abwesenheit. Bin ich ihm doch nur ein Stein des Anstoßes. Sage also, wann ich mit dir ziehen soll: zu jeder Stunde, ob Tag oder Nacht, bin ich bereit.«
   »So will ich denn nicht ohne dich von hier scheiden,« versetzte King Bob leidenschaftlich, »wie lange es aber bis dahin dauert, kann ich nicht vorhersagen. Zuvor muß ich einen letzten Versuch wagen, den Vater zu einer Aenderung seines Sinnes zu bewegen, und dazu wird mir in den nächsten Tagen sicher Gelegenheit geboten. Wie ich es anstelle, darum befrage mich nicht. Weiß ich es selbst doch kaum. Nur so viel: Nach dem Vorausgegangenen ist nicht zu bezweifeln, daß man gewaltsam gegen ihn vorgeht, und damit ist die Zeit zum Handeln gekommen. Eine gute halbe Stunde stromaufwärts im Thal des Smoky-Hill-Fork habe ich mein Lager aufgeschlagen. Bei mir befinden sich acht gewandte Burschen, die jederzeit bereit sind, mit dem Leben für mich einzutreten. Das zu wissen, muß dir genügen. Das weitere ist von den Bewegungen der verruchten Raubbande abhängig. Entschlage dich daher aller Sorgen. Die Deinigen vor schwerem Mißgeschick zu bewahren, ist meine nächste Aufgabe. Ist die erfüllt, dann führt unser Weg südlich, gleichviel, wie dein Vater denkt und entscheidet.«
   »Bob, mein Bob,« klagte Bell unter hervorbrechenden Thränen, und fester schmiegte sie sich an seine breite Brust, »ich kann nicht ohne dich leben, nicht atmen, wenn ich dich fern und in Gefahr weiß. Und einen gefährlichen Weg willst du betreten – ich errate es – das gönnt mir keine Ruhe. Und ich will es nur eingestehen: Schon seit Wochen verfolgen mich schwere Träume des Nachts, wenn ich auf Stunden die Augen schließe; die schrecklichsten Ahnungen lasten am Tage auf mir. Mir ist, als bedrohe mich ein furchtbares Verhängnis. Bob, ich schwör' dir's, ergeht es dir wie dem armen Adam, dann sollen sie mich an deiner Seite verscharren. Ich kann nicht, ich will nicht ohne dich auf Erden zurückbleiben –«
   »Was sind Träume, was Ahnungen?« beschwichtigte King Bob einfallend. »Beides wiegt nicht halb so schwer, wie der Nagel deines kleinen Fingers. Fasse daher Mut, streife ab die leeren Sorgen. Was ich thue, was ich unternehme, es geschieht für dich und für mich, aber auch für alle deine Angehörigen.«
   »Lieber Bob,« fuhr Bell wieder fort, »solange ich dich reden höre, kenne ich keine Angst, keine Not. Bist du aber aus meinen Augen, bricht es mit verdoppelter Gewalt auf mich herein. Und doch muß ich nach Hause jetzt, mich zufrieden geben mit dem Gedanken, dich überhaupt gesehen zu haben. Ich muß zurück sein, bevor der Vater mich vermißt. Er würde die Wahrheit sofort erraten, wissen, wo er mich zu suchen hätte.«
   »So beeile dich,« versetzte King Bob zärtlich, »auch mir genügt vorläufig, mich überzeugt zu haben, daß du gesund und wohlbehalten. Das weitere ist meine Sorge. Gern begleite ich dich bis an eure Lichtung, fürchtete ich nicht, deinem Vater zu begegnen. Mit Rabbit sprach ich; er wird mir zur Seite bleiben, damit ich einen zuverlässigen Boten zur Hand habe, sofern es Wichtiges zu melden giebt. Und so gehe denn, ja, gehe. Bevor ich dich nicht auf dem Hofe weiß, finde ich keine Ruhe.«
   Er küßte sie, und wie einem höheren Gebot folgend, begab Bell sich unverweilt auf den Heimweg.
   Auf ein Zeichen King Bobs gesellte Rabbit, der so lange auf dem Flußufer gesessen hatte, sich ihm wieder zu. Nur wenige Worte wechselten sie; dann folgten sie dem Uferpfaden, der nach dem Lager der südstaatlichen Sendlinge führte. Der Mandane schritt voraus. Vertraut mit jedem Fußbreit des Bodens, beschleunigte er anfänglich seine Bewegungen. Erst als Sie den wüsten Lärm unterschieden, mit dem die zu Scheinansiedlern bestimmten Freibeuter unter sich verkehrten, mäßigten sie ihre Eile. Vorsichtiger schlichen sie einher, und aufmerksamer achteten sie auf ihre Umgebung, bis endlich hie und da Lichtstreifen zwischen Bäumen und Buschwerk hindurch ihnen entgegenschimmerten. Dort legten sie sich nieder, und behutsam nach vorne gleitend, erreichten sie nach kurzer Zeit den Waldessaum, der, einen unregelmäßigen Halbkreis beschreibend, die unheimlich belebte Lichtung auf drei Seiten begrenzte.
   Der noch junge Mond war eben aufgegangen. Schwarz erschienen die hohen Waldmauern im Gegensatz zu dem gestirnten Himmel, zu den Kochfeuern in dem gegenüberliegenden Winkel und dem von ihnen über die Wiese entsendeten rötlichen Schein. Träge schlich der Rauch über die Bäume hinaus. Mit dem den beiden Kundschaftern zuwehenden Lufthauch einte sich der Duft brennenden Holzes und röstenden Fleisches, ein Beweis, daß es den dort Lagernden gelungen war, aus einer anderen Richtung geraubtes Vieh herbeizuschaffen. Nicht an eine bestimmte Zeit gebunden, gaben sie sich ihren Genüssen hin, wie und wann sie geboten wurden. Sie schienen die ganze Nacht hindurch schwelgen zu wollen.
   Mindestens fünfundzwanzig Männer waren es, die dort kauerten, lagerten oder sich mit den allereinfachsten Küchengeräten beschäftigten. Zugleich wurde von Feuer zu Feuer über kleinere und größere Zwischenräume hinweg eine geräuschvolle Unterhaltung geführt. King Bob gewann den Eindruck, daß man sich in Gruppen voneinander gesondert habe, je nachdem Gleichgesinnte auf Grund der mehr oder minder tiefen Stufe der Gesunkenheit sich vereinigten. Abenteuerliche Gestalten der verschiedensten Art waren es, vom ungetreuen Buchhalter und bankerotten Kaufmann bis herunter zu dem im Verbrechen verhärteten Gauner und Pferdedieb. Doch welcher Grad von Sittenlosigkeit und Verworfenheit ihren Wert bestimmen mochte: Hatten sie ihre Aufgabe erfüllt, dann konnten sie gehen, wohin es ihnen gefiel, oder bleiben, bis sie schließlich als gefährliche oder auch nur lästige Nachbarschaft einen Fußtritt erhielten und verjagt wurden. Wie aber ihre hinterlistigen Brotherren die Lust zu dem sträflichen Werk in ihnen rege zu halten verstanden, das bewiesen die Flaschen, die fortgesetzt kreisten und bereits eine von Raubgier getragene kriegerische Stimmung erzeugt hatten.
   Wie King Bob zu erraten glaubte, handelte es sich um Meinungsverschiedenheiten, die eine Einigung als ausgeschlossen erscheinen ließen. Deutlicher klang bei allen mehr oder minder Erbitterung hervor, als deren Ursache hie und da die Hinrichtung eines Mitgliedes der Bande in Begleitung des Namens Howitt hervorgehoben wurde.
   Bevor King Bob zum weiteren Kundschaften die Lichtung umschlich, begab er sich nach einem Zelt hinüber, das in geringer Entfernung auf dem äußersten Rande der Lichtung hart am Saume des Gehölzes aufgeschlagen worden war. Der durch die Zeltwand hindurchdringende Lichtschein verriet, daß dessen Bewohner sich in das Innere zurückgezogen hatten. Näher kriechend, bemerkten die Gefährten ein vor dem Zelt gepflöcktes, gesatteltes und aufgezäumtes Pferd. Innerhalb des Zeltes sprachen zwei Männer zu einander, jedoch nicht laut genug, um von King Bob verstanden zu werden. Er meinte indessen, die Stimmen Baxters und Margins zu erkennen, derselben Reisenden, die ihn bei seiner letzten Anwesenheit in dem Thal anredeten. In der Hoffnung und dem dringenden Verlangen, wenn auch nur das Geringste über ihr geplantes Treiben zu erfahren, schlich er so nahe an das Zelt heran, wie es ohne die Gefahr des Entdecktwerdens angänglich. Dort hatte er nicht lange auf der Lauer gelegen, ohne mehr als einzelne zusammenhanglose Worte zu erlauschen, als die beiden Bewohner plötzlich ins Freie heraustraten und dort ihre Unterhaltung fortsetzten. Da der eine sich nach dem Pferde hinüberbegab, waren sie gezwungen, ihre Stimmen zu erheben. Nur kurze Bemerkungen wechselten sie, sie genügten aber, King Bob Schlüsse auf ihre ferneren Absichten zu ermöglichen.
   »Die Nacht ist kühl, da schaffe ich in einer Stunde mehr, als in drei unter sengender Sonnenglut,« erklärte Baxter, während er sich mit dem Sattelzeug zu schaffen machte. »Reite ich scharf, so bin ich übermorgen in Fort Riley, und nach abermals zwei Tagen kann ein Kommando Dragoner hier sein.«
   »Ob der Kommandant auf Ihr Anliegen eingeht, ist eine andere Frage,« erwiderte Margin zweifelnd.
   »Er muß. Schon allein des Beispiels wegen ist es notwendig, das erste Auflehnen gegen das Gesetz niederzuschlagen. Es darf keine Schwäche verraten werden, keine Nachsicht, oder die Leute verlieren den Glauben an unser Unternehmen. Das nächste wäre, daß sie auseinanderliefen, und das darf nicht geschehen. Setze ich mich persönlich mit dem Kommandanten in Verkehr, erziele ich eine andere Wirkung, als durch briefliche Benachrichtigung.«
   »Unter den Leuten gärt es,« meinte Margin; sie sind aufgebracht über den Verlust ihres besten Mannes. Ich selbst besitze nicht hinlänglich Einfluß, sie zu zügeln, sollten sie die Sache selbst in die Hand nehmen.«
   »Die Einsichtsvolleren werden klug genug sein, sich daran zu erinnern, daß der begangene Mord den Squatter und die Seinigen zu der Gegenwehr berechtigte.«
   »Wir wollen's hoffen. Schließlich wäre nichts daran gelegen, würden etliche der Lumpen, die uns über den Kopt zu wachsen drohen, niedergeschossen, ginge nicht mit jedem eine Stimme zum Teufel, die am Wahltage gerade so viel wert ist, wie die eines Gouverneurs.«
   »Als auf Wiedersehen,« versetzte Baxter, indem er das Pferd bestieg und davontrabte.
   Sobald Margin sich in das Zelt zurückgezogen hatte, erhob sich King Bob. Schweigend betrachtete er das Zelt eine Weile, bevor er, von Rabbit geführt, im Waldessaum um die Lichtung herumschlich. Vor ihrem Ziel eingetroffen, befanden sie sich dem Lager gerade gegenüber. Kaum dreißig Schritte von dem Gehölz brannten die beiden nächsten Feuer. Sie durften daher furchtlos wagen, bis zur äußersten Grenze vorzukriechen, wo, selbst überdacht von Zweigen, ein freier Ueberblick über die ganze Lichtung sich vor ihnen eröffnete. Außerdem schützte sie gegen Entdeckung die branntweinselige Stimmung der verrohten Horde, wie der Lärm, den sie im zügellos leidenschaftlichen Verkehr erzeugte.
   »Ich bleibe dabei,« hieß es vor dem nächsten Feuer, laut genug, um auch von den anderen verstanden zu werden, »warten wir, bis das Militär hier ist, so geht uns der Profit verloren. Die Squatterbrut hat auf leeren Verdacht hin den Doktor gelyncht, da hindert uns nichts, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und den Howitt mindestens zu einer ordentlichen Entschädigungssumme zu zwingen. Dazu entfällt ein gutes Schmerzensgeld auf Jim für die ausgestandene Todesangst. Wie sich herumsprach, soll der alte Bursche einen ziemlichen Vorrat Silberdollars autgespeichert haben.«
   »Und ich stimme dafür, daß ich selber an des Doktors Stelle trete,« brüllte ein anderer über den wüsten Lärm hinaus, »und verdammt will ich sein, wenn ich nicht einen Farmer ausspiele, wie nur je ein Mäßigkeitsapostel, der sich im stillen an klarem Whisky beduselte. Daher rate ich, so bald wie möglich ans Werk zu gehen. Bevor Baxter zurück ist, muß ich auf dem Gehöft installiert sein, oder er gaunert wieder um den Preis für unsere Mühe.«
   »Ich lasse die Hände davon,« erklärte Jim, derselbe Strolch, der mit genauer Not dem Richterspruch des erbitterten alten Squatters entschlüpfte, »hab' übermäßig genug von dem Geschäft. An meine Stelle mag treten, wer Lust dazu hat!«
   »Das Gewinsel eines alten Weibes,« höhnte einer von dem benachbarten Feuer herüber.
   »Und ich möchte denjenigen sehen,« beteuerte ersterer wieder, »der Verlangen nach mehr trüge, nachdem der Teufelskerl von Squatter mit seinen boshaften Augen ihn gründlich betrachtete. Verdammt! Ich sage euch, in denen glüht die lebendige Hölle samt der ganzen Satanssippschaft. Der schneidet euch die Kehlen mit demselben Gleichmut durch, wie unsereins sein Priemchen von 'nem Tabakpflock.«
   »Bevor er auf die Gelegenheit dazu wartet,« hieß es aus einer anderen Richtung, »zieht er mit Sack und Pack ab, und hängen will ich, wenn ihm nicht mehr daran gelegen, mit den Seinigen gesund zu entkommen, als sich viel Blei um die Ohren fliegen zu lassen.«
   »Knallen ihrer sechs, sieben Büchsen nur einmal zwischen dem Pfahlwerk hindurch, so kommt auf jede Kugel einer von uns, und zu denen möchte ich nicht zählen,« höhnte wieder ein anderer, »denn diese Squatter zielen wie die leibhaftigen Teufel. Lernten sie doch nichts anderes, als die Axt schwingen und ein Gewehr hantieren. Daher mein letztes Wort: Ich beteilige mich nicht an dem Trick!«
   »Ich auch nicht! Ich auch nicht!« brüllte es auf verschiedenen Seiten.
   »So verliert ihr das Anrecht an die Entschädigung und mögt verdammt sein obenein!«
   »Die Dollars gönne ich euch, wenn mir dafür das Mädchen nicht streitig gemacht wird. Ein verhenkert feines Ding. Ich sah's mit meinen lebendigen Augen. Steht es doch auf seinen nackten Füßen wie eine Porzellanpuppe im Schaufenster.«
   »Wenn der Margin dir nicht zuvorkommt. Der hat nämlich ein Auge auf das Frauenzimmer. Ich hörte es aus seinem eigenen Munde, als er mit Baxter drüber redete.«
   In dem nunmehr folgenden Brüllen, Lachen, Fluchen und Heulen ging das Geräusch verloren, mit dem King Bob die Büchse vor sich hin schob und fester packte. Es war, als ob ein zur Wut gereizter Panther zum Sprunge auf seinen Gegner sich zusammengekrümmt habe. Doch nur auf Sekunden konnte die Besonnenheit ihm versagen, nur auf so lange, wie der grauenhafte Lärm dauerte, dann lag er wieder regungslos, und weiter lauschte er auf die in die Nacht hinausgesendeten Kundgebungen der vertierten Horde.
   »Sind wir unserer fünfzehn, achtzehn beisammen, jagen wir den Teufel aus der Hölle,« ließ sich eine kreischende Stimme vernehmen, »die anderen Jungens mögen hier bleiben und schlafen, bis die Augäpfel ihnen am Gehirn festtrocknen. Verdammt! Wer 'ne Hand mit drinnen haben will im Geschäft, mag's ausschreien,« und das darauf folgende Gejohle und Gebrülle war kaum verhallt, als es weiter hieß: »Rund, rund, rund die Flasche und ein frommes Lied dazu:
   He, Landlord, füll' die Bowle auf
   Und laß sie strömen über.
   Heute woll'n wir lustig, lustig sein,
   Heute woll'n wir lustig, lustig sein,
   Und nüchtern morgen lieber!«
   schallte es im grausigen Chor, und der Redner fuhr alsbald wieder fort: »Die ewige Verdammnis über jeden gesunden Gesellen, der in dieser gesegneten Nacht 'ne Minute Schlaf sucht. Wir befinden uns gerade in 'ner Heldenstimmung, da wäre es sündhaft, die unausgenutzt verrauchen zu lassen. Rund, rund, rund die Flasche und herzhaft gerüstet! Bevor der Tag anbricht, müssen wir zur Stelle sein, damit die Sonne ein fertiges Werk beleuchtet.«
   Mehr hörte King Bob nicht. Nachdem er sich durch ein Zeichen mit dem Mandanen verständigt hatte, glitten sie so weit rückwärts, wie die Vorsicht gebot, dann sich aufrichtend, begaben sie sich ungesäumt auf den Weg, den sie gekommen waren.
   Eine Viertelstunde waren sie eilfertig einhergeschritten, als King Bob sich mit den Worten an Rabbit wendete: »Hast du verstanden, was sie beabsichtigen?«
   »Ich hörte es. Zwei Stunden mag es noch dauern, und sie ermuntern die auf der Farm.«
   »Gut, Rabbit. Das heißt, wenn sie nicht schon munter sind. Jetzt vernimm: Du gehst zum Daniel Howitt und sagst ihm, er hätte einen Besuch zu erwarten, der von der Hölle entsendet worden. Verrate aber nicht, daß du mich sahst. Er darf überhaupt nicht wissen, daß ich in der Nachbarschaft weile, oder mit seinem Eigensinn verdirbt er im letzten Augenblick alles.«
   »Ich sage, was ich sah.«
   »Mehr braucht's nicht, Junge. Dann haltet euch tapfer; kein Schuß darf umsonst knallen, und laßt euren Mut nicht ausgehen, sollte ich nicht pünktlich zur Hand sein. Ein langer Weg liegt nämlich vor mir, und der will abgeschritten sein. Kehre ich zurück, schafft's freilich schneller.«
   Weiter wanderten sie auf dem Ufer des Flusses, bis sie Howitts Farm gegenüber eingetroffen waren. Dort trennten sie sich voneinander.


   Zwölftes Kapitel

   Obwohl auf feindliche Angriffe vorbereitet, erschraken die Bewohner der Farm doch, als sie durch Rabbit Gewißheit über die hinterlistigen Pläne der durch neuen Zuzug verstärkten Bande erhielten. Die erste Beklommenheit dauerte indessen nicht lange. Unter dem Einfluß der unerschütterlichen, eisigen Ruhe Howitts traten die Gedanken an die nächste Zukunft in den Hintergrund zurück. Es erhöhte sich der Eifer, mit dem man vor allen Dingen die entsprechenden Maßregeln zur Vorbeugung eines Ueberfalls beschleunigte. Denn nicht gewöhnlichen Feinden wußte man sich gegenüber, sondern einer Rotte Abenteurer und Verbrecher, die nichts zu verlieren hatten, deren sträfliche Leidenschaften durch übermäßigen Branntweingenuß bis zur tierischen Roheit entflammt waren, und mit denen auf irgend welche Verhandlungen einzugehen vollständig ausgeschlossen blieb.
   So wurden zunächst die Rinder und Pferde, um sie der mutwilligen Vernichtung zu entziehen, auf den Hof getrieben, in den Schuppen und flüchtig eingefriedigten Winkeln untergebracht, und dann zunächst die Einfahrt mittels der bereit gehaltenen Pfähle geschlossen und verbarrikadiert. Die Schußwaffen unterwarf man einer genauen Prüfung; zugleich versah man sich mit leicht erreichbarer Munition, und als endlich die Mondsichel den westlichen Baummassen sich zuneigte, da hatte jeder den ihm von Howitt zugewiesenen Posten eingenommen. Sogar Bell und ihr jüngster Bruder, von dem Vater seit frühester Kindheit in dem Gebrauch der Büchse bedachtsam unterrichtet, wurden zu der vielleicht unabweislichen Verteidigung herangezogen. Sie erhielten den Auftrag, hie und da eine abgefeuerte Büchse in Empfang zu nehmen und dafür, unter Mitbenutzung der den beiden Räubern abgenommenen Gewehre, eine schußfertige darzureichen.
   Waren es aber nur zehn streitbare Personen, die sich auf das Pfahlwerk verteilten, so wußte dafür jeder einzelne, was im unglücklichen Falle zu befürchten stand, und daß er sich auf den nachbarlich aufgestellten Kameraden verlassen konnte. Mutter Hickup, gleichsam verjüngt, befand sich in ihrem Element. Im vollen Sinne des Wortes ein besonnener Korporal, hatte sie plötzlich ihr eigentümliche Redseligkeit abgelegt. Bald bei dem einen, bald bei dem anderen weilte sie, nach besten Kräften ihre militärischen Erfahrungen verwertend. Ihre Ratschläge gipfelten darin, daß man, wie sie es von dem seligen Knockhimdown lernte, anstatt überrascht zu werden, durch eine unvorhergesehene nachdrückliche Abwehr selber überraschen müsse.
   In der bangen Erwartung der Dinge, die sich voraussichtlich binnen kurzer Frist entwickeln würden, schlichen die Minuten träge dahin. Gespannt lauschte jedes Ohr in die Ferne auf das erste Geräusch, durch das die Feinde sich anmeldeten. Doch nichts ließ sich vernehmen. Still lagen Wald und Wiese, still Aecker und Einfriedigungen. Träumerisch zeichnete das matte Mondlicht, über Gehölz, vereinzelte Bäume und Sträucher hinwegzitternd, formlose Schatten auf dem Rasen. Wie heiliger Friede umlagerte es das Gehöft, wie Träume aus den Zeiten, in denen Störungen beängstigender Art der ländlichen Ruhe noch außerhalb jeder Berechnung lagen. Heute schnarrten die Lokustgrillen nicht weniger selbstbewußt, als in jenen Tagen, in denen die Axt zum erstenmal das Echo des Waldes wachrief, quakten die Laubfrösche keine andere Litanei von ihren Blattkanzeln herunter und erinnerte der schwermütige Ruf des nachtliebenden Ziegenmelkers nicht minder an das Klagen eines trauernden Menschenkindes.
   Die Minuten verrannen. Tiefer senkte sich der Mond. Unterstützt durch den im Osten lagernden Schein reichte seine Leuchtkraft gerade aus, Unebenheiten des Erdbodens und Gesträuch vor dem argwöhnisch spähenden Auge in verdächtige Formen zu kleiden und die Wachsamkeit zu verschärfen. Bell hatte sich vor dem westlichen Pfahlzaun aufgestellt. Einen Holzbock als Tritt benutzend, ragte sie mit Kopf und Schultern über die Palissaden hinaus. Angestrengt, oft mit angehaltenem Atem spähte sie in den vor ihr liegenden Wald hinein. Angstvoll wartete sie auf ein Zeichen von ihm, der Rettung aus der bedrängten Lage bringen sollte. Doch nichts ließ sich unterscheiden, als das gelegentliche, geheimnisvolle Knistern zwischen dem noch nicht verwesten dürren Laub des letzten Herbstes, wenn ein Kaninchen darüber hinhuschte, ein träge schreitendes oder kletterndes Opossum nach Vogelnestern suchte.
   Allmählich gewannen die Vorboten des anbrechenden Tages das Uebergewicht, als auf der Ostseite der Lichtung das Einknicken schwacher Zweige laut wurde. Es klang, als ob ein Hirsch sich Bahn durch das Dickicht gebrochen habe. Mißtrauisch richtete die Aufmerksamkeit der versteckten Schützen sich schärfer darauf hin. Da das Geräusch verstummte, sich aber in kurzen Pausen wiederholte, war man geneigt, es in der That ruhelosem Wild zuzuschreiben.
   Endlich wurden in der Nähe des Waldvorsprungs drei Gestalten sichtbar. Frei, wie ihres guten Rechtes sich bewußt, schritten sie über die Lichtung dem Gehöft zu. Bei ihrem ersten Anblick ließ Howitt das Gebot vorsichtig von Mund zu Mund gehen, ohne seine Aufforderung keine Bewegung auszuführen, keinen Laut von sich zu geben, am wenigsten übereilt von der Büchse Gebrauch zu machen. Erst als die drei Fremden, die fortgesetzt die Haltung harmloser Wanderer bewahrten, bis auf sicher Schußweite sich genähert hatten, rief Howitt ihnen ein gebieterisches Halt zu.
   »Wohnt hier ein gewisser Daniel Howitt?« hieß es zurück.
   »Was wünscht ihr von ihm?« fragte dieser rauh. »Die Zeiten in diesem Teile des Landes sind nicht solche, daß man Unbekannte, zumal im Dunkeln, bis über die Grenzen hinaus dulden dürfte, auf der man eine Kugel ins Bullenauge setzt. Habt ihr ein Anliegen, so wartet, bis euch die Sonne auf den Kopf scheint.«
   »Auch nicht, wenn wir uns mit gut gemeintem, dringlichem Rat tragen?«
   »Behaltet euren Rat für euch selber. Aber einen anderen will ich euch geben: Sofern ihr innerhalb zweier Minuten nicht hundert Schritte zurückgegangen seid, gebe ich Feuer, und ich pflege mein Ziel nicht zu fehlen.«
   »Was soll das heißen, Daniel Howitt? Sind wir doch keine Diebe und Mörder. Aber da weiter unten trafen wir mit Leuten zusammen, die Ihnen nicht wohlwollen. Ich denke, das genügt Ihnen, uns willkommen zu heißen.«
   Howitt war ein zu erfahrener Grenzer, um nicht sofort zu erraten, daß kein anderer Zweck die Fremden herbeiführte, als seine und ebenso dieses oder jenes vielleicht schon regen Bewohners der Farm Aufmerksamkeit zu fesseln und dadurch den eigentlichen Angreifern Gelegenheit zu verschaffen, auf der entgegengesetzten Seite vom Fluß her den beabsichtigten Ueberfall ins Werk zu setzen. Dort aber durften sie um so zuversichtlicher auf Erfolg rechnen, weil nur ein Garten von mäßigem Umfange das Gehöft von dem Waldessaum trennte, sie also bis beinahe an die Palissaden heran Deckung gegen ihnen zugeschickte Kugeln fanden, wohl gar, wie sie vielleicht wähnten, das Pfahlwerk zu übersteigen vermochten, bevor die vermeintlich in Schlaf versunkenen Bewohner sich ermunterten.
   Was Howitt dachte, wiederholte die neben ihm befindliche streitbare Korporalswitwe mit leisen Worten.
   »Alle nach der Rückseite herum,« raunte er ihr als Erwiderung dringlich zu, »und jeden niedergeschossen, der aus dem Gebüsch tritt,« und lauter zu den verdächtigen Fremden hinüber: »Was ihr seid, mag euch der Henker ansehen. Daher nochmals: Fort oder ihr werdet es zu bereuen haben!«
   Die Fremden säumten noch immer unschlüssig. Den Ernst ihrer Lage unterschätzend, warteten sie offenbar auf ein verabredetes Zeichen von den Genossen, um dann, die erzeugte erste Verwirrung ausnutzend, ebenfalls zum Angriff zu schreiten.
   »Ich zähle bis drei,« fuhr Howitt unterdessen fort, und die Erinnerung an den gemordeten Sohn mochte seine Erbitterung bis zum Blutdurst steigern, denn heiser klang seine Stimme, indem er hinzufügte: »Ist die drei über die Zähne, trifft's einen von euch, und ihr selber seid verantwortlich dafür.«
   »Halt an – macht keine Dummheiten!« lautete die Erwiderung.
   »Eins!« zählte Howitt, den Büchsenlauf zwischen die Pfahlspitzen legend.
   »In des Teufels Namen, Mann – so wartet wenigstens, bis wir gegangen sind!«
   »Zwei!« rief Howitt kaltblütig.
   »Zurück oder ich gebe Feuer!« ertönte Bens Summe hinter der Blockhütte.
   »Drei!« zählte Howitt. Fast gleichzeitig krachte der Schuß, und einer der Fremden, die den Ernst seiner Drohung immer noch bezweifelten, brach unter dem Feuer zusammen.
   Howitt überzeugte sich durch einen Blick, daß die beiden anderen, wütende Verwünschungen ausstoßend, in nächster Richtung dem Walde zu flüchteten, wogegen der Getroffene, mühsam kriechend, den Schutz des Gehölzes zu gewinnen trachtete. Seinem jüngsten Sohne die abgeschossene Büchse reichend, nahm er die geladene in Empfang und schickte sich an, nach der mehr gefährdeten Seite hinüberzueilen, als auch dort zwei Schüsse fielen und alsbald ein wahrer Höllenlärm fluchender, brüllender und jauchzender Stimmen laut wurde. Schuß auf Schuß folgte von seiten der Angreifer. Deren Kugeln, in sinnloser Hast entsendet, bohrten sich in die Pfähle ein oder flogen weit über sie hinaus, wogegen die Verteidiger, um nicht vorübergehend wehrlos zu werden, vereinzelt und nur dann schossen, wenn sie ihres Zieles einigermaßen sicher zu sein glaubten.
   Um diese Zeit war es so hell geworden, daß man im Gebrauch der Büchsen nur noch wenig gehindert wurde. Die Angreifer, dies nicht unterschätzend und überhaupt auf einen so zähen und überlegt geleiteten Widerstand nicht gefaßt, zogen sich schleunigst in das Gehölz zurück. Doch kaum war die letzte Kugel ihnen nachgesendet worden, als auf der Ostseite wohl fünfzehn und mehr bewaffnete Männer aus dem Walde hervorbrachen und, anstatt zu feuern, vollen Laufs über die Lichtung eilten. Ihnen stand zur Zeit nur Howitt gegenüber. Auf seinen Ruf gesellten Bertrand, Arrowmaker und sein dritter Sohn sich zu ihm, außerdem Bell, eine schußfertige Büchse auf der Schulter, während die anderen unter Mutter Hickups Befehl die gefährdete Seite hinter der Blockhütte überwachten. Wie zuvor, sollten bei diesem neuen Angriff die Schüsse ebenfalls nur in Pausen abgegeben werden und das Feuern erst dann jedem nach Willkür überlassen bleiben, wenn die Not es erheischen sollte.
   Die beiden ersten Schüsse fielen, als die Angreifer, in blinder Wut dem Gehölz enteilend, in gute Zielweite gelangt waren. Ein Mann stürzte, während ein anderer unter herausforderndem Heulen seine Kugel auf das Gehöft entsendete und mühsam in den Schutz der Waldung zurückhinkte. Anstatt aber durch den ersten Mißerfolg entmutigt zu werden, steigerte der Rachedurst die Raubgier der Angreifer bis zur Raserei. Um zu verhindern, daß die abgeschossenen Gewehre wieder geladen wurden, beschleunigten sie mit wahrer Todesverachtung ihr Eile aufs Aeußerste. Zugleich vereinigten sie ihre Stimmen zu einem wahrhaft teuflischen Heulen, und sich nach beiden Seiten hin ausbreitend, verrieten sie Verständnis dafür, daß die Umzäunung zu weit gedehnt, um sie mit einer kleinen Besatzung lange gegen eine so große Uebermacht halten zu können.
   Und abermals entluden sich hinter den Palissaden hervor zwei Büchsen. Einzelne Angreifer wichen zurück; wurden indessen durch die wütenden Zurufe der nach vorn stürmenden Genossen wieder mit fortgerissen. Bis auf fünfundzwanzig, dreißig Ellen kamen sie heran, als wiederum zwei Kugeln jede ihren Mann trafen. Doch ob verwundet oder unberührt, jetzt gab es kein Halten mehr. Zum Teil noch unter dem Einfluß des im Uebermaß genossenen Branntweins, dann aber nicht blind dafür, daß sie auf dem Rückzuge den mörderischen Geschossen noch länger ausgesetzt seien, kannten sie jetzt nur noch das einzige Trachten, mit den Verteidigern handgemein zu werden.
   Howitts und der Seinigen Lage wurde jetzt dadurch gefährlicher, daß die auf der Flußseite das Gehölz belebenden Raubgenossen zu einem neuen Angriff schritten. Vollen Laufs erreichten sie trotz neuer Verluste nicht nur die Schutzwehre, sondern suchten auch, durch diese vollkommen gedeckt, an ihr hinschleichend, sich mit der anderen Rotte zu vereinigen und demnächst die Palissaden zu stürmen und zu übersteigen. Und wer weiß, welchen verhängnisvollen Ausgang der Kampf nunmehr genommen hätte, wäre in den entscheidenden Minuten nicht eine Pause eingetreten. Denn wie keiner der Mordgesellen der erste sein wollte, den gekrümmten Rücken des Genossen als Leiter zu benutzen, so scheuten die Eingeschlossenen, die Köpfe oberhalb des Pfahlwerks zu zeigen, wo eine aus nächster Nähe entsendete Kugel ihnen gewiß gewesen wäre.
   Finster ließ Howitt die Blicke über die nunmehr wieder nach allen Richtungen verteilten Verteidiger hinschweiten. Noch war kein Verlust zu beklagen. Allein bei der jetzt noch mehr als doppelten Ueberzahl der Feinde ließ sich fast mit Gewißheit voraussetzen, daß es nicht lange so bleiben würde.
   Die Unmöglichkeit begreifend, den nunmehr dicht umlagerten Zaun in seiner ganzen Ausdehnung zu verteidigen, aber auch erwägend, daß die Seinigen bei Fortsetzung des Kampfes in erhöhtem Grade den feindlichen Geschossen ausgesetzt waren, entschloß Howitt sich dazu, seine Schützen auf den engen Raum der Hütte zu beschränken. Dort brauchten sie ihre Kräfte nicht zu zersplittern und befanden sich daher in der Lage, selbst gesichert, erfolgreicheren Widerstand zu leisten.
   Seinem durch Zeichen erteilten Gebot gehorchend, zogen diese, fortgesetzt die Palissaden scharf im Auge, sich vorsichtig in den Schutz der starken Blockwände zurück, von wo aus sie durch Thür und Fenster wie durch die geöffneten Fugen zwischen den Balkenlagen das Pfahlwerk in seiner ganzen Ausdehnung mit ihren Kugeln zu bestreichen vermochten.
   Die Angreifer waren unterdessen inne geworden, daß man die Palissaden aufgegeben hatte. Mit wildem Gejohle wurde es begrüßt. Wie dadurch ermutigt, gleichsam berauscht durch die Aussicht auf den nun nicht mehr bezweifelten Erfolg, wagte einer, von den Gefährten gehoben, den Kopf oberhalb der Pfähle zu zeigen, sank aber, von der Kugel des alten Squatters getroffen, sogleich wieder nach außen, im Sturz die sich entladende Büchse von sich werfend.
   Neues Heulen, Bellen und von den grauenhaftesten Verwünschungen begleitete Drohungen erhoben sich in der Reihe der bis zum Wahnwitz erbitterten Horde. Stimmen, die zu Brandlegung rieten, wurden hie und da laut, ohne daß jemand ernstlich darauf einzugehen gewagt hätte. Nach der empfangenen letzten Lehre hatte eine gewisse Feigheit sich der allmählich ernüchterten Bande bemächtigt. Keiner wollte seine sichere Lage am Fuße der Pfahlwand aufgeben, aber auch nicht von einem Unternehmen abstehen, das mit so viel Eifer und Siegesgewißheit eingeleitet worden war. Durch Rachedurst und Trunkenheit verblendet, dachte keiner daran, den zu erringenden Erfolg gegen den Aufwand an Mühe und Opfern abzuwägen.
   Bei dem immer wieder erneuerten Lärm und der an Sinnlosigkeit grenzenden Erregung hatte niemand darauf geachtet, daß hinter dem westlichen Waldvorsprung hervor dumpfes Poltern laut wurde und schnell näher rückte. Erst als ein Reitertrupp in wilder Jagd um die eingefriedigten Felder herumsprengte, wurde man aufmerksam auf ihn. Auf wessen Seite er sich schlagen würde, wußten außer Arrowmaker und Rabbit nur noch Bell, Bertrand und Mutter Hickup.
   Die Angreifer stutzten. Sobald aber die Reiter in guter Schußweite von den schäumenden Pferden sprangen und die ersten Kugeln unter sie entsendeten, wendeten sie sich, von panischem Schrecken ergriffen, zur Flucht. Um die Palissaden herum schlüpfend und diese als Deckung zwischen sich und die neuen Feinde bringend, verschwanden sie gleich darauf im östlichen Gehölz.
   Ihnen nachzusetzen und ein Gefecht im Walde zu eröffnen, gab man auf. Und so herrschte da, wo eben noch ein erbitterter Kampf wütete, jetzt unheimliche Stille.
   Aufatmend nach so viel Not und Sorge, war es als hätte man sich zuvor mit dem Erlebten vertraut machen müssen, um an die Wirklichkeit zu glauben. Und doch gehörte nur ein Blick über die Umgebung dazu, um schaudernd die Gefahr zu ermessen, der die Bewohner der Farm und ihre Gäste wie furch ein Wunder fast im letzten Augenblick noch entronnen. Waren die Verwundeten von ihren Genossen mit fortgeführt worden, so lagen dagegen auf der Lichtung vier Gestalten, die ihre Raublust mit dem Leben bezahlten.
   Die Vaqueros hatten ihre Pferde bestiegen und waren, King Bob voraus, um den westlichen Waldvorsprung herumgeritten, wo sie absattelten und ihr Lager aufschlugen. King Bob schien keine Neigung zu verspüren, mit den aus schwerer Bedrängnis Erlösten in Verkehr zu treten. Nur einen seiner Leute schickte er mit der Anfrage an Howitt ab, ob er und die Seinigen unverletzt geblieben und Hilfe bei der Beseitigung der gefallenen Freibeuter erwünscht werde.
   Letzteres lehnte Howitt frostig ab, gab aber zu, daß man auf dem Gehöft keinen Verlust, nicht einmal eine ernstere Verletzung zu beklagen habe. Bis ins Mark hinein wurmte ihn, gerade King Bob für die Rettung aus verhängnisvoller Lage verpflichtet zu sein.
   Bell befand sich in der Nähe. Jedes Wort hörte sie. Sie hatte nichts anderes erwartet. Leichter gelang es ihr daher, ihre äußere Ruhe zu bewahren. Wie es aber zur gleichen Zeit ihr Herz zerriß, das entnahm Mutter Hickup dem erlöschenden Glanz ihrer Augen, dem herben, sogar feindseligen Lächeln, das um ihre fest aufeinander ruhenden Lippen zum kaum bemerkbaren Ausdruck gelangte.
   Sichtbar unwillig kehrte die warmherzige Korporalswitwe sich dem Boten zu. Sie wußte, daß jeder Versuch der Einwirkung auf den starrköpfigen alten Squatter gerade das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigte, zur Folge haben würde, und so fügte sie seiner Antwort mit verheimlichter Entrüstung hinzu: »Von mir bestelle an King Bob dagegen, Bursche, daß wenn wir alle vor dem Schrecklichsten bewahrt blieben, es in erster Reihe seinem rechtzeitigen Einschreiten zu danken sei. Zweitens, daß unsere Unerschrockenheit und Umsicht ohne seine Hilfe keinen Strohhalm wert gewesen wären. Drittens aber vermelde, ich hoffte, ihn bald hier zu sehen. Meine Anerkennung müßte ich ihm persönlich aussprechen, und ich wäre nicht die einzige hier, der daran gelegen, ihm und euch allen freundlich zu danken.«
   Indem der Vaquero sich entfernte, warf sie einen forschenden Seitenblick auf Howitt. Wie eine Statue verharrte er. Nicht die leiseste Regung irgend einer Art spiegelte sich in seinen Zügen. Nur die Brauen hatte er dichter zusammengezogen. Sie erriet, daß ihre berechnenden Schläge auf ein kaltes Stück Eisen gefallen waren, ihre Einmischung am wenigsten geeignet gewesen, seinen starren Willen zu erschüttern und milderen Gesinnungen den Weg zu bahnen.
   Eine Stunde später schritt King Bob nach dem Hofe hinauf. Howitt ging ihm so weit entgegen, daß sein Gespräch mit ihm nicht von anderen verstanden werden konnte. Wohl mochte er sich eingestehen, als der junge Hüne in ruhiger, selbstbewußter Haltung sich auf ihn zu bewegte, daß nie ein stattlicherer Mann seine Heimstätte betrat; allein der einmal offenbarte Entschluß konnte auch dadurch nicht beeinflußt werden. Es beherrschte ihn unumschränkt der Gedanke, daß es King Bob, dem die Störung der in seiner Familie heilig gehaltenen Eintracht zu verdanken sei. Und als die beiden Männer dann einander gegenüberstanden, einer dem anderen durchdringend in die Augen sah, einer des anderen Regungen leicht erriet, keiner eine Hand rührte, um einen freundschaftlichen oder auch nur höflichen Gruß auszutauschen, da war es, als ob beiden die Zunge plötzlich gelähmt gewesen sei.
   Erst nach einer Pause, da Howitt immer noch mit einem Wort des Willkommens zögerte, hob King Bob leidenschaftslos an: »Daniel Howitt, ich folgte dem Ruf meiner alten Freundin. Nicht um Dank kam ich, sondern um mitzuteilen, daß die letzte Gefahr noch nicht beseitigt ist.«
   »Du hast nicht mehr gethan, als Christenpflicht dir gebot,« antwortete der alte Squatter ausdruckslos, »dafür Dankesworte zu hören, möchte dir selber nicht gefallen. Hast du gehofft, durch deinen Beistand mir näher zu treten, so begingst du einen Irrtum. Heute denke ich nicht anders, als gestern und vor Zeiten.«
   King Bob hatte sich entfärbt. Dann schoß es tiefrot in sein gebräuntes Antlitz. Seine großen, blauen Augen sprühten, um gleich darauf wieder ruhiger zu blicken. »Nur Bells Vater darf derartig zu mir reden –« begann er.
   Kühl warf Howitt ein: »Wenn Männer miteinander verkehren, finden Weiber keinen Platz in ihrem Gespräch. Was kümmert dich meine Tochter?«
   »Sie kümmert mich mehr, als meine Seligkeit,« versetzte King Bob aufbrausend, mäßigte indessen wiederum seine heftige Erregung; »als freier, unbescholtener Mann stehe ich vor Ihnen, und wenn ich je einen harten Kampf ausfocht, so geschieht es jetzt, indem ich mit mir selber um meine Selbstbeherrschung ringe. Denken Sie heute noch Arges von mir und messen Sie meinen früheren offenherzigen Erklärungen keinen Glauben bei, so darf mich das nicht hindern, Sie abermals um Ihre Einwilligung zu meiner Verheiratung mit Ihrer Tochter zu bitten. Ein sorgenfreie Zukunft habe ich ihr zu bieten –«
   »Und bötest du ihr ein Königreich, so bliebe es beim alten,« unterbrach Howitt ihn strenger; »was ich einmal sagte, besteht fort für alle Zukunft, und bräche der Himmel über uns ein.«
   »Gut Daniel Howitt, mit dieser Frage erfüllte ich eine Pflicht,« entgegnete King Bob eigentümlich gelassen; »das weitere ist meine Sache. Ihr Ohr soll nicht mehr durch Worte belästigt werden, die Ihnen zuwider sind. Doch jetzt ein anderes. Ich bin gewohnt, eine Arbeit nie halb zu thun. Zöge ich jetzt mit meinen Leuten von dannen, so bliebe ein unbeendigtes Werk hinter mir zurück. Denn ich wiederhole: Noch drohen Ihnen und Ihrer Familie schwere Gefahren. Sie werden so lange drohen, bis die Dragoner, die Baxter von Fort Reley herbeiruft, eingetroffen sind. Was dann geschieht, ob man Sie zwingt, Ihre Farm zu verlassen, oder noch Frist gewährt, vermag ich nicht zu beurteilen. Meine Aufgabe kann sich nur darauf beschränken, bis dahin darüber zu wachen, daß Sie von der Raubbande nicht überwältigt werden. – Lassen Sie mich zu Ende sprechen, Daniel Howitt, darum bitte ich; nachher sollen Sie von meiner Gegenwart befreit werden. Mein Kamp befindet sich da hinter der Waldecke. Gastfreundschaft brauchen wir nicht zu suchen. Mit dem Notwendigsten sind wir ausgerüstet: auch sollen Sie von meinen Leuten in keiner Weise bedrängt werden.«
   »Die Prairie ist frei für jedermann,« erklärte Howitt, »lagere, wo es dir gefällt. Bleibe oder gehe, mich soll's nicht kümmern. Ich habe dich überhaupt nicht gerufen, bin aber bereit, den Dienst, welchen deine Leute mir leisteten, zu bezahlen, um niemand Dank schuldig zu sein.«
   »Die Leute folgten meiner Aufforderung. Sie zu lohnen fällt mir zu und keinem anderen,« erwiderte King Bob, seine tiefe Erbitterung verheimlichend; denn er begriff, daß Howitt mit Ueberlegung darauf ausging, einen unheilbaren Bruch heraufzubeschwören, Gelegenheit zu finden, seinen Entschluß in einer Weise zu bekräftigen, daß eine Zurücknahme unmöglich wurde, und so sprach er ruhig weiter: »Ich gehe jetzt. Wollen Sie mir aber einen Gefallen erweisen, dann sagen Sie Herrn Bertrand und meiner alten mütterlichen Freundin, ich würde mich freuen, sie bei mir im Lager zu begrüßen – doch es wäre überflüssig. Auch ohne die Botschaft werden sie meiner gedenken und mich aufsuchen.«
   Mit dem letzten Wort kehrte er sich um, und wie er gekommen war, schritt er vom Hofe hinunter.
   Howitt blickte ihm finster nach, mochte aber voraussetzen, daß er von der Blockhütte aus beobachtet werde; denn sich plötzlich abwendend, rief er nach seinen Söhnen und den beiden Indianern, die von der Wiese heimkehrten, wohin sie die ihrer Haft entlassene Herde getrieben hatten. Mit ihnen begab er sich nach dem Schuppen, um zwei Pferde aufzuschirren und vor den Wagen zu spannen. Es galt ihm vor allen Dingen, die häßlichen Merkmale des überstandenen Kampfes aus dem Bereich des Gehöftes zu schaffen und neben dem gerichteten Mörder zu verscharren.
   Sorgenvolle Blicke hatten in der That auf den beiden Männern geruht, solange sie zu einander sprachen, Blicke, die leicht entdeckten, daß eine freundschaftliche Annäherung zwischen ihnen ausgeschlossen war. Schon eine Weile bevor King Bob von Howitt forttrat, hatte Bell sich heimlich nach der Rückseite der Hütte herum begeben. Dort gelangte sie durch einen leicht zu öffnenden Zwischenraum zwischen den Palissadenpfählen ins Freie hinaus. Von niemand gesehen, eilte sie an der Umzäunung hin bis zu der Ecke, wo die durch die Einfahrt unterbrochene Palissadenreihe begann. Hinter derselben blieb sie stehen, und nach der Oeffnung herumlugend, wartete sie, düstere Entschlossenheit in ihrer Haltung, auf das Erscheinen King Bobs. Als er endlich ins Freie herausschritt und die Richtung nach seinem Lager einschlug, rief sie ihn mit vorsichtig gedämpfter Stimme zu sich.
   Anfänglich vermochte er kein Wort hervorzubringen, so erschrak er bei ihrem Anblick. Der Gram, der sich in ihren abgehärmten, bleichen Zügen ausprägte, die wilde Klage, die aus ihren Augen hervorleuchtete, wie die Erbitterung, welche um die festgeschlossenen Lippen einen sprechenden Ausdruck fand – dies alles ergriff ihn in einer Weise, daß es sich wie die Weichheit eines zagenden Kindes auf dem mannhaften Gesicht spiegelte. Schweigend ergriff er die ihm gereichten Hände, und während er noch jammernden Herzens auf sie hin sah, begann sie mit vor schmerzlicher Erregung bebenden Lippen:
   »Sage nichts, Bob. Ich sah alles, weiß alles. Du hast gethan, was die Kräfte eines anderen Sterblichen überstiegen hätte. Du gabst gute Worte, wo man dir mit Grausamkeit begegnete, beugtest dich, wo böser Hohn dich reizte. Da bleibt uns kein anderer Ausweg, als daß ich das Elternhaus aufgebe, wo jede neue Stunde mir neue Martern einträgt.«
   Da küßte Bob sie auf die Stirn. »Ja, ich kam mit guten Worten,« bestätigte er mit ruhiger Entschiedenheit, »und Gehässigkeit war mein Lohn. Ziehst du jetzt mit mir, trifft uns kein Vorwurf. Fasse also Mut und gedulde dich bis zum geeigneten Zeitpunkt. Noch zwei, höchstens drei Tage, und wir wenden uns südwärts, wo eine freundliche Heimstätte unserer harrt. Halte dich daher zu jeder Stunde bereit. Wenn ich dich rufe, dann komme. Nimm nichts mit fort, das von Wert ist. Komme, wie du gehst und stehst, und baue auf meine Treue.«
   »Aber wann, Bob, wann? Drei Tage sind eine Ewigkeit. Ich fühle, wie das unablässige Bangen und Sorgen in meinem Kopf bohrt und mich um den Verstand zu bringen droht.«
   »Sobald die Dragoner eingetroffen sind,« erklärte King Bob tröstlich. »Um deinetwillen und zu meiner eigenen Befriedigung muß ich so lange säumen, bis die letzte Gefahr von den Deinigen abgewendet ist. Sie dürfen der Willkür der rachsüchtigen Schurken nicht preisgegeben werden. Es ist durchaus notwendig, die Ueberzeugung mit von hier fortzunehmen, daß entweder ihre Zukunft hier gewährleistet ist, oder sie unbelästigt von dannen ziehen, um auf geeigneter Stelle einen neuen Herd zu gründen.«
   »So viel Großmut, so viel Opferwilligkeit da, wo man dir mit Verachtung die Thür wies!« versetzte Bell weinend. »Wenn der Vater dich nur halb so durchschaute, wie ich mit deinem Denken und Sinnen vertraut bin, so müßte er dem Himmel auf den Knieen danken, dich als Sohn in seine Familie aufnehmen zu dürfen. Aber er will nicht. Er ist verblendet in seinem Starrsinn; da mag Gott mir verzeihen, wenn ich meine Liebe zu dir höher stelle, als die zum Elternhause.«
   »Ich muß fort,« erwiderte King Bob eigentümlich sanft, »auch du gehe, um nicht Ursache zu neuen Anfeindungen zu geben. In der nächsten Minute kann dein Vater erscheinen.«
   Da richtete Bell sich hoch auf. In jeder Linie ihres schönen Antlitzes wohnte ernste, heilige Entschlossenheit, daß King Bob nur Erstaunen kannte, nur Bewunderung der hohen, stolzen Erscheinung, die trotz des ländlich einfachen Aufzuges eine seltsame, achtunggebietende Würde umfloß.
   »Ich habe mit allem gebrochen,« sprach sie fest, »mag kommen, was wolle: ich befinde mich auf keinem unrechten Wege, brauche niemandes Blicke zu fürchten. Muß ich noch Böses über mich ergehen lassen, so schöpfe ich Mut und Ergebung aus dem Bewußtsein, daß das Ende meiner Qualen absehbar.«
   Förmlich überwältigt, küßte King Bob sie abermals. »Du bist ein starkes, aber auch ein mutiges Mädchen,« raunte er ihr innig zu, »und das kann nur zum Glück führen. Doch jetzt gehe. Willst du mir eine neue Zusammenkunft gewähren, so laß es mich durch Mutter Hickup wissen. Bis dahin auf Wiedersehen!«
   Und während er der Waldecke zuschritt, eilte Bell im Schutze des Pfahlzaunes nach der Rückseite des Gehöftes herum.
   Als sie vor dem Hause eintraf, begegnete sie dem Vater, der eben aus der Thür trat. Finster betrachtete er sie. Ahnte er wirklich, woher sie kam, so widerstrebte ihm doch, sie zur Rede zu stellen. Ihr sichtbarer Kummer zerriß ihm wohl das Herz; allein in demselben Grade, in dem sie sich ihm entfremdete, wuchs sein Haß gegen denjenigen, den sie höher als alles stellte, und von dem er wußte, daß sein Wille ebenso unbeugsam, wie sein eigener.
   Stumm begab Bell sich in den als Wohnzimmer dienenden düsteren Raum. Außer ihrer Mutter war niemand anwesend. In einem Winkel sich niederlassend, starrte sie dumpf grübelnd vor sich hin. Auch die vor dem Küchenfeuer beschäftigte alte Frau verhielt sich schweigend. Scheu vor der eigenen Tochter hatte sich ihrer bemächtigt. Sie verstand deren bitteres Leid, wußte aber am wenigsten, was sie zu ihrem Troste hätte sagen können. Sie war selbst zu gebeugt, zehrte selbst zu schwer an ihrer Trauer.


   Dreizehntes Kapitel

   Der dritte Tag nach dem Kampf um die Farm war dahin und der vierte angebrochen. Schwere Gewitter waren niedergegangen. Sie hatten die Atmosphäre gereinigt und nach den heißen Wochen erquickende Kühle hinterlassen. Blätter, Krauter und Gräser prangten in frischen Farben und richteten sich gekräftigt auf. Jetzt strahlte die Sonne wieder in gleichsam verjüngtem Glanze auf die reichlich befruchtete Erde herab. Nur zeitweise verschleierten Sie langsam einhersegelnde, weißliche Wolkengebilde. Es brauste der Smoky-Hill-Fork unter dem Einfluß der ihm von allen Seiten zuströmenden Wassermassen. Neuer Friede schien der einsam gelegenen Farm erblühen zu sollen. Fortgespült waren die unheimlichen Spuren, die hie und da von der Gewaltthätigkeit hadernder Sterblicher zeugten. Auch die Geschöpfe des Waldes waren neu aufgelebt. Fröhlich sang, zwitscherte, schnarrte, krächzte und hämmerte es aller Enden, je nachdem ihnen von der Natur die Fähigkeit zur Kundgebung ihrer Stimmung verliehen worden war.
   Anders auf dem Gehöft, wo bekümmerte Gemüter sich empfindungslos gegen milde Sommerluft und goldenen Sonnenschein erwiesen, andere dagegen angesichts still getragenen Leids und tiefer Verbitterung nicht aus sich heraus zu gehen wagten. Sogar im Lager der Vaqueros hätte ein mit ihren Gewohnheiten Vertrauter Gesang und geräuschvolle, lose Scherzreden vermißt. Sie standen eben unter dem entscheidenden Einfluß King Bobs, der jeden Kontrast mit der in der Blockhütte waltenden Niedergeschlagenheit zu vermeiden wünschte, dem aber auch selbst jeder Ausbruch heiterer Sorglosigkeit wie ein Mißton in den Ohren geklungen hätte.
   Von der Raubbande hatte sich bis dahin kein Mitglied wieder sehen lassen. Ebenso waren fernere Eingriffe in Howitts Eigentum unterblieben. Ob die empfangene harte Lehre sie einschüchterte, oder die dringenden Vorstellungen Margins fruchteten, wußte niemand. Am meisten mochte das bevorstehende Eintreffen des Militärkommandos dazu beigetragen haben, den zügellosen Begierden und Ausschreitungen Schranken zu ziehen. Außerdem befanden sich vier oder fünf Verwundete in ihrer Mitte und unter diesen mehrere, die voraussichtlich das Thal des Smoky-Hill-Fork nicht mehr verlassen würden. Um ihnen wenigstens Erleichterung zu verschaffen, hatte Margin einen reitenden Boten nach dem Fort abgeordnet und bitten lassen, dem Kommando einen Chirurgen beizugesellen. Wie jener aber die stattgefundenen Ereignisse schilderte, war leicht zu ermessen. Auf alle Fälle wurden sie in einer Weise gefärbt, daß die Stimmung sich gegen den aufsässigen Squatter und dessen Familie wie gegen die ungeahnt auftauchenden Vaqueros richtete. –
   Nach Zurücklegung des letzten kurzen Tagesmarsches erschienen endlich zwanzig und einige Dragoner, geführt von einem älteren Offizier, am Rande der von Howitt in Besitz gehaltenen Lichtung. Baxter und Margin hatten sich, um ihre Rechte zu vertreten, ihnen angeschlossen. Erst nachdem die Pferde abgesattelt, getränkt und gepflöckt worden waren und die Mannschaft zum Abkochen des Mittagessens sich anschickte, begab der Kapitän sich nach dem Gehöft hinüber. Howitt, der die Seinigen angewiesen hatte, fern zu bleiben, ging ihm in Bertrands Begleitung entgegen. Den kurzen Gruß des Kapitäns beantwortete er in der ihm eigentümlichen, kalten, selbstbewußten Weise. In Bertrand auf den ersten Blick einen vornehmeren Herrn erkennend, verneigte der Kapitän sich leicht, was ähnlich beantwortet wurde.
   »Das sind ja heillose Ausschreitungen, die sich hier abgesponnen haben,« redete er den alten Squatter streng an. »Menschen werden niedergeschossen, wie räudige Hunde; fremdes Eigentum wird nicht geachtet, sondern den rechtmäßigen Besitzern vorenthalten, als ob in den Territorien das Gesetz überhaupt seine Gültigkeit verloren hätte, wo soll das schließlich hinaus?«
   Howitt betrachtete den Kapitän geringschätzig vom Kopf bis zu den Füßen herunter. Erst nach einer Pause ließ er sich zu der gleichmütig erteilten Erwiderung herbei: »Ja, Kapitän, heillose Zustände herrschen hier, vollständige Gesetzlosigkeit. Wenn aber eine Rotte gebrandmarkter Landstreicher zuerst mein Vieh raubt und abschlachtet, demnächst meinen Sohn meuchlings ermordet, und schließlich mein Gehöft hinterlistig zu überfallen versucht, so bin ich der Mann dazu, mein Haus zu verteidigen und so viele Schufte zur Hölle zu senden, wie Leben in meiner und in meiner Söhne Büchsenläufe stecken.«
   »Sie vergessen,« wendete Baxter hastig ein, »daß ich vor Wochen Sie mündlich und schriftlich davon in Kenntnis setzte, daß diese Landschaft in meinen Besitz überging, und den Termin bestimmte, bis zu welchem Sie diese Stätte für Ihren Nachfolger geräumt haben müßten.«
   »Für meinen Nachfolger?« fragte Howitt spöttisch. »Nun ja, der eine der beiden Männer, die sich als meine Nachfolger aufspielten, wurde vor seinem offenen Grabe von meiner Hand vom Leben zum Tode gebracht; und wenn ich den ihn begleitenden Viehräuber nicht neben den Mörder meines Sohnes bettete, so geschah's, um ihn mit der Botschaft des Vorgefallenen an Sie abzusenden. Das ist mein letztes Wort an Sie, der Sie der Beachtung eines rechtschaffenen Mannes überhaupt nicht wert sind.« Dann zu dem Kapitän gewendet: »Er kaufte diese Scholle über meinen Kopf hinweg, um Räuber und Mörder als Stimmvieh für die Sklavenmänner einzusetzen und damit meine, durch achtzehnjährige schwere Arbeit geheiligten Rechte unter die Füße zu treten. Dadurch beging er einen Schurkenstreich; und eine Regierung, die dergleichen duldet, ist nicht um einen Strohhalm besser, als dieser Baxter samt seinem verworfenen Genossen, dem Margin, und den Lumpen, die er zu Knechten seiner Ränke erkor, rechne ich.«
   »Anstatt zur Selbsthilfe zu greifen, wäre es Ihre Pflicht gewesen, Land und Gehöft ohne Widerstand aufzugeben und Ihre Ansprüche an Entschädigung vor Gericht geltend zu machen. Es wären dadurch Angriff wie Verteidigung von selbst fortgefallen,« erklärte der Kapitän mit einem zweifelnden Blick auf die beiden Landspekulanten und demnächst mit einer gewissen Achtung zu dem langen, eisenharten Squatter aufsehend.
   Dieser lächelte mitleidig vor sich hin und bemerkte gelassen: »Kapitän, Sie verstehen nichts von solchen Angelegenheiten, oder Sie redeten nicht derartigen Unsinn. Die Farm aufgeben und hinterher der Entschädigung nachlaufen – verdammt! Um mich an der Nase herumführen zu lassen, hätte ich nicht mit meinen gesunden fünf Sinnen zur Welt gekommen sein müssen. Meinen Sie, daß dadurch der Kampf vermieden worden wäre, so behaupte ich bei meiner Seligkeit, daß schon allein die Ermordung meines Sohnes Grund genug gewesen, die Schurken da weiter unten im Thal einen nach dem anderen auf die erste beste Art abzuthun. Schade um jede Kugel, die vorbeiging. Denn das ist eine Sorte, die vom Erdboden zu vertilgen ein gottgefälliges Werk, und doppelt, wenn es gilt, das eigene Haus zu verteidigen. Das ist mein Recht, und ich wiederhol's: kämen Sie selber mit Ihren Dragonern, der Präsident der Union an der Spitze, um mich zu vertreiben, würde ich mein Hausrecht zu wahren wissen, Sie einen nach dem anderen kopfüber senden, und zwar so lange, bis der Teufel den letzten geholt hätte oder ich und die Meinigen in unserem Blute lägen.«
   Ohne den Versuch, den erbitterten Alten zu unterbrechen, hatte der Kapitän seinen Worten gelauscht und den Eindruck gewonnen, daß er es ernstlich meinte. Sobald er aber endigte, bemerkte er beschwichtigend: »Ich wurde nicht entsendet, um zu bedrohen. Meine Aufgabe kann nur sein, da, wo bereits Blut geflossen, Ruhe zu stiften –«
   »Recht so, Mann,« unterbrach Howitt ihn ingrimmig, »ist das wirklich Ihre Aufgabe, so beginnen Sie damit, daß Sie die Schurken da unten im Lager in einer Reihe aufknüpfen lassen, und die beiden heimtückischen Verräter, den Baxter und den Margin, an der Spitze.«
   »Ich bin nicht dazu da, die Schuldigen zu ermitteln und zu strafen,« versetzte der Kapitän offenbar gekränkt, jedoch den Eigentümlichkeiten des urwüchsigen Alten Rechnung tragend; »sprach ich aber von Ruhestiften, so schwebte mir vor, einen Vergleich zwischen Ihnen und den beiden Herren dadurch anzubahnen, daß eine Entschädigungssumme vereinbart wird, mit der beide Teile sich als endgültig abgefunden erklären.«
   »Der Baxter müßte viel Geld sein eigen nennen, wollte er jeden Schweißtropfen nach Gebühr bezahlen, mit dem ich und die Meinigen ringsum die Felder düngten. Und dann fragt sich noch, ob ich jemandes Geld anrühren möchte, das durch seine Besitzer unehrlich geworden – verdammt! Mr. Baxter, verziehen Sie immerhin Ihr Gesicht, als möchten Sie mir an die Kehle springen; das stört mich nicht mehr als der Sand unter meinen Stiefelsohlen. Ihre Leute da unten stehlen und morden auf die Gefahr hin, zusammengeschossen oder mit 'nem Baumast verheiratet zu werden. Sie dagegen rauben mit ränkevoller Schrift, daß niemand Ihnen an den Kragen kann, und da muß Ihr Geld freilich Blutgeld geworden sein.«
   Verzehrende Wut sprühte aus den Augen Baxters und seines Gefährten; doch keiner wagte, einen Laut von sich zu geben. Es erfüllte sie unbesiegbare Scheu vor der langen verwitterten Gestalt, die wie ein unerbittlicher Richter vor ihnen stand, Scheu, ihn zu neuen Kundgebungen zu bewegen, sie fürchteten sich sogar, Verachtung seiner Anklagen heuchlerisch zur Schau zu tragen.
   »Ich schlage vor,« nahm der Kapitän wieder begütigend das Wort, »Sie beruhigen sich vor allen Dingen und überlegen die Sache bis morgen. Dann vermögen wir mit mehr Bedacht zu prüfen, inwieweit eine Schuld Sie trifft –«
   »Mich eine Schuld trifft?« wiederholte Howitt mit einem Hohn, der sonst nicht in seiner Natur lag. »Stehen Sie zu Ihren Worten, Kapitän. Vergessen Sie nicht, daß ich ein freier Bürger der großen Republik bin, und Sie nur ein bezahlter Beamter, der blindlings nach anderer Leute Pfeife tanzen muß. Wissen Sie nichts anderes, so gehen Sie zu Ihren Dragonern, wogegen ich selber mich hinter meine Palissaden zurückziehe, und dann prüfen Sie, wie viele ich und die Meinigen hier auf den Rasen legen, bevor Sie den ersten Schritt nach meinem Hofe hinauf thun. Brauchen Sie selber Zeit, sich zu beruhigen und zu überlegen, so hindert niemand Sie daran; ich selber bedarf dessen nicht. Ich bin kein Schriftgelehrter, das weiß ich, und meine Rede mag nicht klingen, wie die eines Geistlichen im Bethause. Auch mögen Sie denken, daß, wie der Baxter für seine Lumpenhunde eintritt, ich ebenfalls zum eigenen Vorteil rede, so daß Ihnen nicht klar wird, wessen Darstellungen den meisten Glauben verdienen. Aber da sind zwei unparteiische Zeugen, die können Sie darum befragen, wie alles zusammenhängt, und was die behaupten, rechne ich, das ist so richtig, wie das heilige Evangelium. Hier steht einer,« und er wies auf Bertrand, »dem fließen die Worte leichter und verständlicher vom Munde, als mir. Der zweite befindet sich drüben auf dem Hofe, ebenfalls mein Gast, eine Korporalswitwe Knockhimdown oder Hickup, wie sie heißt, und beide hielten sich mir treu zur Seite, als es galt, das Raubgesindel von meinem Eigentum zu verscheuchen.«
   »Knockhimdown? Korporalswitwe?« fragte der Kapitän erstaunt. »Bei Gott! die lernte ich kennen, als ich noch nicht lange die Uniform trug. Eine Frau mit ehrlichem Herzen und unverzagt, wie ein braver Krieger. Nun ja, ich nehme Ihr Anerbieten bereitwillig an,« und mit einer leichten Verbeugung zu Bertrand gewendet: »vorausgesetzt, Sie sind bereit dazu?«
   »Von ganzem Herzen,« antwortete dieser, sich ebenfalls höflich verneigend, »und wie Frau Hickup wäre auch ich der letzte, zu Gunsten selbst des besten Freundes um die Breite eines Haares von der Wahrheit abzuweichen.«
   »Dann sehe ich zu jeder von Ihnen beliebten Stunde da drüben in meinem Zelt Ihrem und der tapferen Knockhimdown Besuch entgegen. Und jetzt noch eine Frage, Freund Howitt: ich hörte von einer Anzahl Steppenreiter, die ohne jede Veranlassung einen Angriff auf Baxters Leute unternahmen. Wo kamen sie her und was für Menschen sind es überhaupt?«
   Howitt schüttelte den Kopf zweifelnd und schien von dem Rasen abzulesen: »Man sollte kaum glauben, zu welchen niederträchtigen Lügen solch verworfenes Gezüchte seine Zuflucht nimmt; aber auch nicht, daß ein Gentleman von Ihrem Rang derartigen Kehlabschneidern und Gaunern – die beiden Herren da miteingerechnet – noch ein Körnchen von Gewissenhaftigkeit zutraut. Die Burschen, die im Augenblick der höchsten Not mich und die Meinigen vor einem traurigen Ende bewahrten, sind einfache Rinderhirten – da hinter der Waldecke kampieren sie. Ich selbst kenne nur ihren Vormann, und der ist einer, der in seinem schäbigen Hut mehr Ehrlichkeit mit sich herumträgt, als alle diejenigen zusammengenommen, zu deren Dienst Sie mit Ihren Dragonern herabgewürdigt wurden, in ihren verrotteten Herzen. Wollen Sie mehr von ihm erfahren, dann suchen Sie ihn auf; denn der weiß nicht nur zu reden, sondern auch sein Manneswort zu verteidigen. Ich selbst habe nichts mit ihm zu schaffen. Brachte er mir Hilfe, so geschah es unverlangt.«
   »Auch ihn will ich kennen lernen,« versetzte der Kapitän, und Bertrand entging nicht, daß er den beiden Landspekulanten, die des alten Squatters Beschimpfungen ruhig über sich ergehen ließen, höchstens die Achseln mitleidig zuckten, einen argwöhnischen Blick zuwarf, »und so hoffe ich zuversichtlich, daß bei einiger Nachgiebigkeit von beiden Seiten wir zu einem Ergebnis gelangen, das alle ferneren Zwistigkeiten ausschließt.« Er kehrte sich Baxter und Margin zu und fuhr fort: »Ich gewann übrigens den Eindruck, daß unser Freund Howitt nach den von gegnerischer Seite eröffneten blutigen Feindseligkeiten am wenigsten einen Vorwurf verdient, wenn er sich und seine Familie nach besten Kräften verteidigte.«
   »So wären wir fertig für heute,« bemerkte Howitt eintönig, »was der folgende Tag bringt, kann kein Mensch vorhersagen,« und ohne ein weiteres Wort schritt er nach dem Hofe hinauf. –
   Am Abend, nachdem Baxter und Margin ins eigene Lager zurückgekehrt waren, begaben Bertrand und Frau Hickup sich zu den Dragonern hinüber. Wie eine liebe Freundin wurde letztere von dem Kapitän empfangen, und manches heitere Wort über vergangene Zeiten wurde gewechselt, bevor man der Zwecke gedachte, zu denen das Kommando von Fort Riley aus entsendet worden war. Dann folgte ein langes, ernstes Gespräch, an welchem King Bob, der etwas später eintraf, sich lebhaft beteiligte. Das Bild, welches der Kapitän in seinem Verlauf von der Sachlage gewann, war für die beiden Spekulanten kein günstiges. Selbst ein Sohn des Nordens, neigte er um so mehr dazu hin, Howitts Verfahren milde zu beurteilen, sogar als gerechtfertigt zu erklären. Dagegen konnte er seine Meinung nur dahin äußern, daß Howitt, allerdings das Opfer schamloser Ränke, gezwungen sei, die alte Heimstätte aufzugeben, jedoch eine Entschädigung zu beanspruchen habe, die dem Wert seiner Anlagen gleichkomme. Er selbst wollte folgenden Morgens hinüberreiten, um in Howitts Vertretung über den zu zahlenden Preis sich mit Baxter zu einigen. Bertrand übernahm gern den Auftrag, gewissermaßen zwischen den beiden Parteien zu vermitteln und seinen freundlichen Einfluß auf den unzugänglichen alten Squatter nach besten Kräften auszunutzen.
   Bevor man sich trennte, richtete King Bob die Frage an den Kapitän, wie lange er in der Nachbarschaft zu weilen gedenke, und ob die Sicherheit Howitts und seiner Familie verbürgt sei. Der Kapitän erklärte, nicht eher abzumarschieren, als bis er die Ueberzeugung gewonnen habe, daß fernere Ausschreitungen nicht mehr zu befürchten seien. Damit gab King Bob sich zufrieden. Bis in die Nachbarschaft des Gehöftes begleitete er Bertrand und seine alte Freundin, worauf er selbst sich nach der verlassenen Hütte Arrowmakers begab.
   Eine halbe Stunde mochte er dort verbracht haben, als Bell sich ihm zugesellte. Sie küßte ihn zärtlich, aber ihre Augen blieben thränenleer. Etwas geisterhaft Ruhiges lag in ihrem Wesen, eine Entschlossenheit, der man finstere Absichten hätte unterschieben mögen.
   »Wenn du noch so denkst, wie bisher,« sprach sie mit tiefem Ernst, »dann sage, was ich thun soll. Ich habe jetzt nur noch dich allein. Hier hält mich nichts mehr.«
   »Und ich beteure dafür,« versetzte King Bob in innigem Tone, »daß du nie bereuen sollst, dich mir anvertraut zu haben. Und jetzt merke auf: Kannst du morgen im Laufe des Tages von hier fortgehen, oder muß die Nacht abgewartet werden?«
   »Nicht im Dunkeln, als befände ich mich auf unehrlichen Wegen, nein, im hellen Sonnenschein will ich aus dem elterlichen Hause scheiden. Ich fürchte keinen mehr. Keiner wird sich die vergebliche Mühe geben, mich halten zu wollen, nicht einmal der Vater.«
   »Gut, Bell; dann soll morgen der entscheidende Schritt gethan werden. Fürchtest du aber nichts, so müssen wir doch Vorsicht walten lassen, anstatt durch Trotz das Geschick gegen uns heraufzufordern. Halte dich daher bereit zu jeder Stunde. Meine Leute sind treu. Geben sie dir ein bestimmtes Zeichen, so glaube, es komme von mir selber. Bin ich nicht gleich zur Hand, so habe ich dafür meine unabweislichen Gründe. Thue alles, wozu man dir rät. Es ist notwendig, soll mein Plan gelingen. Mancherlei geht mir im Kopf herum, das ich jetzt noch nicht offenbaren kann. Auf alle Fälle läßt du die Deinigen nicht gefährdet zurück; darüber erhielt ich Gewißheit durch den Kapitän. Es trifft uns also auch nach dieser Richtung hin kein Vorwurf. Erfährt der Vater, daß du dich glücklich und zufrieden an meiner Seite fühlst, so wird er uns seinen Segen nicht vorenthalten.«
   »Nein, nein, Bob, darauf hoffe nicht. Sein starrer Wille kann durch nichts gebrochen werden. Verlasse ich ihn und die Mutter ohne seine Einwilligung, dann ist der Bruch unheilbar.«
   »So müssen wir uns mit dem Segen des Himmels begnügen,« versetzte King Bob ermutigend, »und der wird uns nicht vorenthalten bleiben, wenn auch nicht um meinetwillen, so doch weil du ihn tausendfach verdienst. Aber deine Zeit wird abgelaufen sein; vielleicht vermißt man dich schon,« und seinen Arm um Bells Schultern legend, schlug er mit ihr den Weg nach der Farm ein.
   »Nein, Bob, niemand vermißt mich!« klagte Bell sanft, »man ist froh, wenn ich allen aus den Augen bin. Ich rede zu keinem und keiner redet zu mir. Es ist, als hätte ich mit meiner Liebe zu dir eine Todsünde begangen, und doch weiß ich mich frei von jeder Schuld.«
   Und weiter sprachen sie zärtlich und gedämpft, als hätten sie ihre Herzensergüsse vor den sie überdachenden Bäumen verheimlichen wollen. Und die waren doch so verschwiegen und treu. Wie verstohlenes Flüstern lief es durch die schwarzen Wipfel, wie leise Klagen, daß die schöne Freundin, die schon als Kind in ihrem Schatten wandelte, nunmehr scheiden sollte, scheiden auf Nimmerwiedersehen, scheiden auf ewig. Wo sollte sie folgenden Abends sein? Sie hatte die Empfindung, ihrem Glück entgegenzugehen, und doch wollte der Alp, der nunmehr schon seit Wochen auf ihrem Gemüt lastete, nicht von ihr weichen. Aus der Richtung des Dragonerlagers drang das gelegentliche Schnauben der an Leinen grasenden Pferde herüber, gleichsam die Sicherheit der Squatterfamilie verbürgend. In entgegengesetzter Richtung machten die Mustangs der Hirten sich bemerklich. Befreundet klang es in Bells Ohren, befreundet und verheißend, aber ihre Thränen, nachdem sie sich einmal Bahn gebrochen hatten, wollten nicht versiegen.
   In der Nähe der Einfahrt des Gehöftes blieben sie stehen.
   »Habt ihr Papier im Hause, etwas Tinte und eine Feder?« fragte King Bob, bevor sie sich trennten.
   »Einige Blätter werden noch da sein,« antwortete Bell befremdet, »auch eine Feder, das weiß ich. Die Tinte in dem Fläschchen ist dagegen beinahe ganz eingetrocknet. Etwas Wasser macht sie indessen wieder flüssig.«
   »Gut,« fuhr King Bob wieder fort, »mehr bedarf es nicht. Stecke alles zu dir. Wäre es doch möglich, daß ich Ursache fände, etwas aufzuschreiben. – Wie der Tau schwer fällt! Wir werden morgen gutes Reisewetter haben.«
   Bell vermochte nicht zu antworten. Der Anblick des als schwarze, unförmliche Masse sich ausdehnenden Gehöftes wirkte erschütternd auf sie ein. Wie wurde ihr das Scheiden von allem, was sie liebte, doch so unendlich schwer. Das kleine Fenster der Blockhütte und die offene Thür waren erhellt. Traulich blinzelten sie herüber, freundlich einladend, wie in den sorglosesten Tagen ihres Lebens. Heute sollten sie ihr zum letztenmal entgegenleuchten. Still weinend hing sie an King Bobs Halse. Krampfhaftes Zittern durchlief ihre kräftige und jetzt so gebeugte Gestalt.
   King Bob küßte sie auf die Stirn. »Geh hinein jetzt,« riet er gedämpft, »es ist die letzte Nacht unter jenem Dach, die verbittere dir nicht durch Grämen und Härmen.«
   Bell riß sich von ihm los. »Morgen um diese Zeit ist alles überstanden,« flüsterte sie ergriffen, »dann ist dein Haus das meinige, ich aber will dir eine treue Magd sein für und für.«
   Hastig schlüpfte sie nach dem Hofe hinauf. Bob sah ihr nach, bis sie in der Hausthür verschwand. Das Haupt geneigt, schritt er seinem Lager zu.


   Vierzehntes Kapitel

   In den ersten Nachmittagsstunden war es, als einer der Vaqueros hinter der Waldmauer hervor auf die Lichtung sprengte und dort, wie seinen Mustang bändigend, in wilder Gangart einige Kreise beschrieb. Dann verschwand er, wie er erschienen war.
   Bell, die unablässig über die Felder und Wiesen hinspähte, hatte das Zeichen verstanden. Bleichen Antlitzes trat sie in die Blockhütte, wo ihre Mutter gerade allein anwesend.
   »Mutter, ich gehe,« sprach sie ergriffen, indem sie die in Thränen Ausbrechende umarmte und küßte, »ich gehe, wohin es mich ruft. Ich kann nicht länger bleiben, soll ich nicht sterben oder gar den Verstand verlieren. Bin ich fort, werdet ihr alle bessere Zeiten haben. Wenn der Vater mir flucht, dann schicke du mir deinen guten Segen nach.«
   »Ich segne dich – ich segne dich –« erwiderte die alte Frau heftig schluchzend, »gehe, wenn es nicht anders sein kann, und möge der Allmächtige dich geleiten auf allen deinen Wegen!«
   Gleich darauf trat Bell ins Freie hinaus, unter dem Arm ein Paket mit den notwendigsten Bekleidungsstücken. Bertrand und Mutter Hickup saßen vor der Thür auf der Bank. Sie achtete ihrer nicht, nicht des Zurufes der tapferen Korporalswitwe, ebensowenig der in dem Schuppen beschäftigten Brüder, die, aus Furcht vor dem Vater, sie nicht anzureden wagten. Gemessenen Schrittes bewegte sie sich über den Hof.
   Durch die Einfahrt tretend, sah sie plötzlich den Vater vor sich. Sie wollte ihm ausweichen, als er sie mit den Worten aufhielt: »Wohin du gehst, verrät dein Reisebündel. Du willst Vater und Mutter verlassen. Hast du dir das ordentlich überlegt?«
   »Ich überlegte seit Wochen und Monaten Tag und Nacht. Was soll ich hier länger?« antwortete sie eintönig.
   Nachdenklich sah Howitt in die zu ihm erhobenen Augen. Strenge einte sich in seinem Blick mit Trauer. Er schien sich mit dem Gedanken an das eigenmächtige Entscheiden über ihre Zukunft vertraut zu machen, bevor er anhob:
   »Ich könnte dich halten; doch damit würde deine Pflichtvergessenheit nicht aus der Welt geschafft. Wachte ich Tag und Nacht über dich, so würdest du Gelegenheit finden, zu entweichen. Handle daher nach Belieben, sag' ich; vergiß aber nicht, daß mit dem ersten Schritt, der dich über die Grenze meines Besitztums trägt, das letzte Band zwischen uns zerschnitten ist. Immerhin ziehe hinaus in die Welt, wo die Reue dich bald genug einholen wird. Gehe, gehe! Ich fluche dir nicht; wenn ich aber an dich gedenke, wird es sein, als gälte es einer Toten.«
   »Ob hier oder in weiter Ferne: eine Tote war ich hier längst,« versetzte Bell, und verzweiflungsvoll rang sie gegen den Schmerz, der sie zu überwältigen drohte. Sie säumte in der Hoffnung, daß Howitt ihr wenigstens die Hand reichen würde, doch vergeblich. Die Blicke von Vater und Tochter ruhten dabei ineinander. Unbeugsamer Wille, gleichviel wodurch begründet, sprach aus den Augen beider. Endlich seufzte Bell tief auf; dann schritt sie davon. Durch seine unerbittliche Härte hatte der Vater ihr den letzten Abschied erleichtert. Er sah ihr nicht einmal nach, sondern sich umkehrend, ging er nach dem Hofe hinauf. Was er aber zu derselben Zeit litt, ahnte keiner, wußte nur er allein, und doch wäre er lieber gestorben, als daß er seinen Entschluß geändert hätte. –
   Als Bell um den Waldvorsprung herumbog, fiel ihr erster Blick auf die Vaqueros. Einzelne saßen im Sattel, andere standen neben ihren Pferden. Bevor sie bei ihnen eintraf, führte einer der rauhen Gesellen ihr das Pferd zu, das sie zum Tragen der Lebensmittel benutzt hatten. Der Packsattel war mittels darüber geschnallter Decken in einen erträglich bequemen Sitz umgewandelt worden. Mit des Burschen Hilfe gelangte Bell leicht hinauf. Gleichzeitig bestiegen die übrigen Hirten ihre Pferde, und sie in die Mitte nehmend, schlugen sie die Richtung nach einer Stelle ein, wo der mehr niedergespülte Abhang das Ersteigen der Ebene erleichterte. Oben trieben sie ihre Mustangs schärfer an. Ihr nächstes Ziel auf der ungemessenen Prairie waren mehrere Baumwipfel, die, fernab in einem schluchtartigen Thal emporstrebend, hügelähnlich über dessen Ufer hinausragten.
   Eine Weile später näherte King Bob sich dem Zelt Baxters. Dieser sowohl wie Margin hatten sich außerhalb desselben im Schatten auf ihre ausgebreiteten Decken geworfen. Sein Erscheinen befremdete sie offenbar. Doch auch die abwärts lagernden räuberischen Abenteurer erkannten in ihm auf den ersten Blick denjenigen, der durch sein unerwartetes Eintreffen die Besitzergreifung des Gehöftes vereitelte. Rachegedanken flackerten hie und da auf. Blieb es aber bei lauten Verwünschungen, und schickte der eine oder der andere ihm nicht eine Kugel zu, so war es der Anwesenheit der Dragoner in dem Thale zuzuschreiben.
   In der Entfernung von etwa vierzig Schritten von dem Zelt hielt King Bob an: »Mr. Margin,« rief er diesen an, »ich habe ein Wort mit Ihnen zu reden, jedoch nur mit Ihnen allein.«
   Margin erhob sich. Zögernd, wie von Zweifeln befangen, bewegte er sich auf ihn zu.
   »Fürchten Sie mich?« fragte King Bob spöttisch.
   »Wie sollte ich dazu kommen?« fragte Margin zurück, blieb indessen in der ungefähren Mitte zwischen Zelt und Reiter stehen. »Im übrigen habe ich keine Geheimnisse vor meinem Freunde. Reden Sie also.«
   King Bob lachte anscheinend belustigt, spornte sein Pferd, und in kurzem Bogen um Margin herumsprengend, packte er den verstört zu ihm Aufschauenden im Vorüberreiten, bevor er auszuweichen vermochte oder seine Absicht erriet, mit eiserner Faust am Kragen, und ihn emporhebend, als wäre er nicht schwerer als ein gefüllter Tabaksbeutel gewesen, warf er ihn vor sich über den Sattel. Zugleich war seine Wildheit erwacht. Ein weithin schallender Jubelruf entwand sich seiner Brust, und die Sporen einsetzend, bewirkte er, daß der Mustang nach dem Beispiel seines Herrn ebenfalls einen unbeschreiblich, halb kreischenden, halb wiehernden Ton ausstieß, sich aufbäumte, in langem Satz nach vorn schoß und mit seiner doppelten Last davonflog. Hinter ihm her aber schallte das Hohngelächter der gesetzlosen Bande, die Margin den vermeintlichen groben Scherz von ganzer Seele gönnte. Mochten immerhin einige zu ihren Pferden eilen, um dem verwegenen Reiter nachzusetzen und, wenn möglich, den verhaßten Feind aus nächster Nähe vom Sattel zu schießen: ihm jetzt eine Büchsenkugel nachzuschicken wagte keiner, aus Besorgnis, Margin zu treffen.
   Baxter, angesichts der Riesenkraft und Gewandtheit, die King Bob gewissermaßen spielend bewies, vollständig fassungslos, stand mit geöffnetem Munde wie versteinert. Er meinte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Erst als der dumpfe Schrei, der sich stoßweise der Brust des entsetzten und in der unnatürlichen Lage doppelt gepeinigten Genossen entrang, herübertönte, kehrte seine Besonnenheit zurück.
   »Margin!« brüllte er mit aller Kraft der Lungen in seiner Verwirrung, »den Revolver! das Messer! Gebrauchen Sie beides!«
   Doch wo befand King Bob sich, als er ihm nachschrie? Weit abwärts, als wäre sein Pferd mit Flügeln ausgerüstet gewesen. Nur einmal sah er sich nach den ihn etwa Verfolgenden um. Weiter als bis zu ihren ungesattelten Pferden waren sie nicht gekommen, als sie die Jagd als nutzlos aufgaben und den hohnlachenden Genossen sich wieder zugesellten.
   Und wiederum sandte King Bob ihnen einen jauchzenden Ruf zu, der kaum noch menschlich klang, und trotzig herausfordernd schwang er den Hut ums Haupt. Dann erst kehrte er seine Aufmerksamkeit Margin zu, der nur noch ächzte und wimmerte und bei jedem neuen Satz des Mustangs die Erschütterung bis ins Mark hinein fühlte. Ihm Erleichterung zu verschaffen warf er ihn auf das Gesicht herum, wodurch er über den Hals des Pferdes zu liegen kam und Arme und Beine, nach einem Halt suchend, wie Windmühlenflügel auf beiden Seiten flogen. Erst als der Mustang sich mit seiner Last auf dem nach der Ebene hinaufführenden Abhange emporarbeitete, benutzte Margin die gemäßigtere Bewegung, King Bob anzureden.
   »Ich habe keine Hand mit darinnen gehabt,« flehte er jammervoll, »alles war Baxters Werk – ich diente ihm nur –«
   »Elender Lump,« fiel King Bob ihm höhnisch ins Wort, »meinst du, wenn du selber mit undurchlöcherter Haut davonkommst, mag die anderen der Teufel holen? Aber ängstige dich nicht. Dein Leben ist mir mehr wert, als ein Dutzend Gäule von der Sorte meines Billy. Wäre ich ein Räuber und Mörder, wie die da hinten, die dich samt dem Galgenvogel, dem Baxter, ihre Brotherren nennen, so möchte mich die Lust anwandeln, dir nach gethaner Arbeit vielleicht eine Kugel durch den verdammten Schädel zu jagen. So aber bist du so sicher, wie nur je ein Baby auf dem Schoße seiner Mutter. Ich würde sogar dein Leben bis zum letzten Blutstropfen verteidigen, wäre es immerhin kein Segen für die Menschheit –«
   »Um Gottes willen!« keuchte Margin einfallend, sein verzerrtes Gesicht von unten herauf dem hünenhaften Steppenreiter zukehrend, »Barmherzigkeit – nur eine andere Lage gönnen Sie mir –«
   »Schone deine verruchte Zunge,« schnitt King Bob ihm das weitere grimmig ab, »ist deine Lage doch verhenkert viel komfortabler, als die des Daniel Howitt, den ihr Blutsauger um sein ganzes Glück bestahlt. Oder hältst du dich für besser, als einen Hammel, den man mit gefesselten Beinen über einen Pferderücken hängt? Hölle und Verdammnis! Hätte ich nur den Baxter hier! Wie wirkliche Hammel würde ich euch traktieren, und auf jede Seite des Sattels einen festschnüren, daß einer dem anderen das Gleichgewicht hielte. Du bist doch Notar und Rechtsverdreher?«
   »Notar – sicher – jeden gewünschten Rat erteile ich Ihnen mit Freuden –«
   »Du mir Rat erteilen? Bei Gott! dein Rat mag gut genug für Halsabschneider sein, aber nicht für einen ehrlichen Mann. Verdammt! Deinen Rat verachte ich, wie den Giftzahn einer Klapperschlange.«
   Das Pferd hatte oben festen Fuß gefaßt, wo die Ebene sich unabsehbar vor ihm ausdehnte. Keuchend blieb es stehen. Seine Nüstern spreizten sich vor der Gewalt, mit welcher der heiße Atem sich den Lungen entwand.
   »Recht so, Billy,« redete King Bob ihm herzlich zu, »du weißt selber, was dir dient. Hast noch ein gut Stück Weges vor dir. Schade drum, daß du mit deiner ehrlichen Natur solch verruchtes Menschengebilde auf deinem starken Widerrist tragen mußt, aber es geht nicht anders –«
   »Erbarmen – ich ersticke – meine Qualen –« hob Margin an.
   Gleichmütig unterbrach King Bob ihn mit den Worten: »Unsinn! Galgenholz ist zähe, und Giftpflanzen leben und wuchern weiter, und wäre ein ganzes Regiment darüber hinmarschiert. So behauptete wenigstens meine alte Freundin, die Korporalswitwe Knockhimdown – du lerntest sie ja von ansehen kennen,« fügte er mit einer Anwandlung von Humor lachend hinzu, und grimmig klang der Triumph hervor, einen der erbittertsten Feinde Howitts und seiner Angehörigen in seiner Gewalt zu haben. »Hast dir freilich alles viel angenehmer gedacht, als du die schöne Squatterstochter bereits im Garn zu halten wähntest. Gerbte ich dir für diese Vermessenheit zum Schluß das Fell, bis der Wind mit den Fetzen spielte, so geschähe dir nur nach Verdienst.«
   »Mitleid – haben Sie Mitleid mit meinen gräßlichen Qualen – nur etwas Erleichterung –«
   »Von Mitleid willst du reden? Von Erleichterung? Hattest du Mitleid mit dem alten Squatter, dessen besten Sohn deine Leute mordeten? Mitleid mit der ganzen Familie, als dein Freund, dieser Auswurf der Hölle, unter deiner Mitwirkung es dahin brachte, daß er herunter muß von seiner Scholle? Verdammt! Hätte ich den Baxter hier, möchte ich meine Wut schwerlich bemeistern können – zum Henker damit! Obschon nur sein Sklave, bist du mir doch lieber, viel lieber. Jetzt schone deine verlogene Zunge; denn was ich dir zugedacht habe, das wird ausgeführt und säßen alle deine Bluthunde mir auf den Hacken.«
   Er sandte einen Blick nach dem häßlich belebten Lager zurück.
   »Die sind nicht weit gekommen mit ihrem Nachsetzen,« bemerkte er lachend, »ein Beweis, wie treu die von euch bezahlten Schurken dir und dem Baxter ergeben sind. –
   Und jetzt, Billy, was meinst du? Geht's wieder, oder soll ich dem Herrn Notar die Kleider vom Leibe ziehen, daß er um ein paar Pfund leichter wird?« die letzten Worte klangen zärtlich. Die lange Erklärung schien seinem ehrlichen Gemüt wohlgethan zu haben, denn scherzhaft aufmunternd fragte er seinen Mustang, ob es ihm jetzt gefällig sei.
   Und gefällig war es ihm, denn ohne Sporn oder Schenkeldruck setzte er sich in Bewegung. Doch schon nach den ersten hundert Schritten verfiel er in einen schnell fördernden Paßgang, der zu King Bobs heller Schadenfreude auf seinen Gefangenen eine Wirkung ausübte, als hätte er sich in einer thalwärts rollenden leeren Tonne befunden.
   Allmählich verrauchte der wilde Triumph, der King Bob über sein gelungenes Unternehmen erfüllte. Schweigsam wurde er und ernster. Ungehört verhallten für ihn die Klagelaute Margins, ungehört dessen Beschwörungen, menschlicher mit ihm zu verfahren. Sie hatten höchstens den Erfolg, daß er, um ihn verstummen zu machen, den Mustang eine Strecke traben ließ. Unausgesetzt behielt er dabei die deutlicher hervortretende Baumgruppe im Auge, die Stätte, wo Bell unter dem Schütze der Hirten seiner Ankunft sehnsüchtig harrte.
   Eine Stunde war verstrichen, und Margin gab kaum noch ein Lebenszeichen von sich, als King Bob seinen Mustang anhielt. Dicht vor ihm senkte sich ein steiler Abhang in ein liebliches Thälchen hinab, wo auf grünem Rasen Strauchgruppen mit vereinzelten Bäumen und Hainen abwechselten. Beim ersten Ueberblick wurde er der weidenden Pferde und seiner Leute ansichtig. Eine kurze Strecke abwärts rasteten sie im Schatten auf dem Ufer des die Niederung durchschneidenden Baches. Leicht unterschied er Bell. Am Fuße eines Baumes saß sie, anscheinend in trübe Gedanken versunken. Doch sie erkennen und einen weithin gellenden Jubelruf entsenden, war eins. Zugleich erwachten in ihm die ersten milderen Regungen. Margin wieder am Kragen packend, hob er ihn empor, worauf er ihn neben sich zur Erde gleiten ließ. Eine Weile hielt er den Schwankenden, um ihn vor dem Zusammenbrechen zu bewahren, seine Fürsorge mit den Worten begleitend: »Den Rest des Weges magst du auf deinen eigenen Knochen zurücklegen, und zwar schon allein um der schönen Squatterstochter willen, der ich den Anblick deiner jämmerlichen Reiterei nicht gönne. Außerdem würdest du, behielt ich dich vor mir auf dem Sattel, über den Kopf Billys hinweg den Abhang hinunterstürzen und dir das Genick oder mindestens einige Glieder ausrenken, und davor mußt du bewahrt bleiben. Zu viel ist daran gelegen, daß du munter und herzig vor die schöne Squatterstochter hintrittst und ihr deine besten Komplimente zuraunst – so, Mann, jetzt stehen Sie und klettern Sie ins Thal hinunter, oder Sie liegen wieder hier oben vor mir, und ich bürge nicht dafür, daß Sie nicht mit dem Kopf zuerst unten ankommen.«
   Margin schauderte. Kein Wort wagte er dem furchtbaren Reitersmann zu erwidern. War ihm doch, als ob ein Riese, dessen Haupt bis an die Wolken reiche, vor ihm halte, um ihn beim ersten Widerstand wie giftiges Gewürm zu zertreten. Schwerfällig ums Gleichgewicht kämpfend, schickte er sich an, hinunterzugleiten.
   »Recht so, Mann, das ist der Weg,« spöttelte King Bob ergötzt, denn er hatte entdeckt, daß Bell aufgesprungen war und ihm entgegeneilte. »Vorsicht ist 'ne verteufelt feine Tugend, die ziert sogar einen Schurken, der für Galgen und Rad reif ist – nicht in nächster Richtung, Mann, oder sie kugeln kopfüber, wie 'n Kürbis aus dem Dachfenster, und ich hätte den Schaden davon. Verdammt! Da versteht's mein Billy besser; von dem können Sie lernen,« und die Zügel lockernd, gab er dem Mustang anheim, seinen Weg sich selbst zu suchen. Dieser prüfte nur den Uferrand, sandte einen Blick in die Tiefe hinab, und ebenfalls gleitend, überwand er die ersten vier oder fünf Fuß. Dort bog er seitwärts ab, und sicheren Schrittes Zickzacklinien beschreibend, erreichte er die Thalsohle, als Margin noch auf halber Höhe des Abhanges ängstlich nach Haltpunkten suchte.
   »Das wäre gemacht,« erklärte King Bob, der ihn unten erwartete, »jetzt folgen Sie mir nach. Entspringen werden Sie mir ja nicht. Versuchten Sie es dennoch, so fingen meine Jungens Sie in 'ner Minute und 'ner halben mit dem Lasso ein, und die sind verhenkert viel weniger höflich, als Sie es an mir kennen lernten.«
   Er warf das Pferd auf derselben Stelle herum, und leicht angetrieben, stürmte es in wilder Jagd auf Bell zu. Neben ihr kam es im letzten Sprunge mit einer solchen Gewalt zum Stillstand, daß die Vorderhufe sich in die zähe Grasnarbe förmlich einbohrten. Ebenso schnell war King Bob zur Erde gesprungen; anstatt aber sie in die Arme zu schließen, packte er sie mit beiden Händen oberhalb der Hüften, und in der nächsten Sekunde saß sie auf dem Sattel. Sein Gesicht hatte zu derselben Zeit einen strahlend glücklichen Ausdruck angenommen, und so froh und freundlich, gleichsam kindlich arglos blickten seine ehrlichen blauen Augen zu ihr auf, daß alles überstandene Leid hinter ihr versank und ihr zärtlichstes Lächeln ihn für sein Ungestüm lohnte.
   »Das ist die Art, wie mein Schatz seinen Einzug in die Mitte der Vaqueros halten soll,« sprach er in heller Begeisterung. »Mich wählten die verwegenen Schlingel zu ihrem König, und keine Viertelstunde dauert's, und du bist so unzweifelhaft eine Königin, wie nur je eine hinter goldenem Thron geboren wurde.«
   Er gab dem Mustang einen leichten Schlag, und mit der einen Hand die Bells haltend, in der anderen die Zügel, bewegten sie sich gemächlich dem Lager zu.
   »Bob, einziger Bob,« erwiderte Bell, und mit Entzücken hingen ihre Blicke an dem reckenhaften Burschen, dessen wettergebräuntes, wohlgebildetes Antlitz die ihn beherrschende freudige Erregung eigentümlich verschönte, »Bob, ich verstehe dich nicht – du redest geheimnisvoll –«
   »Geheimnisvoll, wenn ich dich mit unzweideutigen Worten zur Königin ernenne? Meinst du, es sei Unsinn, weil du keine seidenen Gewänder trägst, keine goldene Krone? Wo fände man für dich eine kleidsamere Tracht, als die von deinen eigenen Hände genähte und aus starkem Wollenstoff? Wo gäbe es eine kostbarere Krone, als dein eigenes langes, dichtes Haar? Wo aber Dienerschaft, die dich pünktlicher bediente, als die tollen Gesellen, die alle bereit sind, ihr Leben für dich einzusetzen? Und dann die Tausende von Rindern! Welche Königin besäße einen zahlreicheren Hofstaat?«
   Bells Antlitz hatte sich bei den frohlockenden Kundgebungen gerötet. Wie nur je zuvor prangte es wieder in der unvergleichlichen Schönheit. Was sie durch ihre Entfernung aus dem elterlichen Hause verloren haben mochte: der Gedanke daran verwehte in dem Bewußtsein, nicht mehr von dem stolzen und verwegenen Geliebten getrennt zu werden.
   Träumerisch, als zweifelte sie an der Wirklichkeit ihres Glückes, sah sie vor sich nieder; dann bemerkte sie zaghaft, wie in der Besorgnis, King Bob zu erzürnen: »Du brachtest einen Mann. Ich glaube jenen Margin erkannt zu haben, der sich einst ungebührlich gegen mich benahm, mit frechen Augen mich beleidigend anstarrte.«
   »Margin selber, Bell, und aus dem verhaßten Verräter ist ein guter, dienstwilliger Freund geworden,« bestätigte King Bob, geheimnisvoll lachend, »auch du wirst deinen Groll gegen ihn auf kurze Zeit verlieren, ihm sogar zu Dank verpflichtet sein, gleichviel, ob er selber dazu lacht oder mit den Zähnen knirscht. – Du brachtest das Papier?«
   »Zwei Blätter, Bob. Es waren die letzten, die sich noch vorfanden. Im Kasten lagen sie zu unterst. Sie möchten sonst längst verschwunden sein.«
   »Und Feder und Tinte?«
   »Die Feder steckt in dem Bündel neben dem Papier, und hier ist die Tinte,« antwortete Bell, indem sie ein Fläschchen aus der Tasche zog und King Bob darreichte, »mit Mühe verdünnte ich sie. Hoffentlich ist es genug, um einen Brief zu schreiben.«
   »Mehr als genug,« entschied King Bob, das Fläschchen schüttelnd und vors Auge haltend, »schlecht, wie sie sein mag: für uns ist sie Goldberge wert.«
   Sie hatten sich dem Lager genähert und legten die letzte Strecke schweigend zurück. Dann umringten die Vaqueros sie, den jungen Hünen vertraulich begrüßend und sein Pferd zu besonders sorgfältiger Pflege in Empfang nehmend. Bevor King Bob ihr die Hand reichte, sprang Bell zur Erde, um von ihm auf ihren alten Platz zurückgeführt zu werden. Dort hatten sie wohl zehn Minuten, in ernstes Gespräch vertieft, gesessen, als Margin endlich eintraf. Er schien sich unter den äußersten Anstrengungen aufrecht zu erhalten. Bangigkeit beherrschte sein Gesicht, während er die Augen des trotzigen Reiters suchte.
   »Sie sind wohl etwas müde?« redete dieser ihn an. »Machen Sie sich's komfortabel hier auf dem Rasen. Nur eine kleine Gefälligkeit sollen sie uns erweisen, und Sie thun es gewiß gern für das schöne Squattermädchen, das Ihre verliebten Blicke immer noch nicht vergessen kann. Nachher mögen Sie gehen, wohin es Ihnen gefällt.« Und lauter zu den Vaqueros, die den unglückseligen Notar mit einem Ausdruck betrachteten, der ihn mit neuem Schrecken erfüllte: »Bringt meinen Sattel her und stellt ihn so auf, daß die Lederklappen sich dem Rasen anschmiegen. Das soll der Schreibtisch sein. Dazu breitet als Bank für den ehrenwerten Herrn fein säuberlich eine Decke aus, und kommt alle her, um als Zeugen zu dienen.«
   Mit Bedacht übersehend, daß Bell ihn erstaunt, wie ein unlösbares Rätsel beobachtete, wendete er sich mit den Worten an Margin: »Sie sind eingeschworener Notar und haben gewiß in Ihrem Leben schon manches junge Paar gesetzmäßig getraut. Sie werden daher diese Handlung jetzt an mir und dem von Ihnen so viel bewunderten Squattermädchen vollziehen.«
   »Mit Freuden wäre ich bereit, aber woher soll ich die erforderlichen Mittel nehmen?« wandte Margin ängstlich ein.
   »Bell, lege die beiden Blätter auf das Sattelleder und die Feder daneben,« gebot King Bob, »das Fläschchen mit der Tinte soll einer der Jungens halten, damit der ehrenwerte Herr es nicht aus Versehen umstößt und das Schreiben unmöglich macht. Der Teufel traue einem Notar. Und nun, Mr. Margin, vermeiden sie alle ferneren Einwendungen und Umschweife. Je eher die Trauung vollzogen ist, um so früher sind Sie entlassen. Setzen Sie also zwei gleichlautende Ehekontrakte auf, so daß wir nur unsere Namen beizufügen brauchen. So viele Männer außerdem noch die Feder notdürftig zu führen verstehen, so viele Zeugen werden ihre Namen daneben schreiben. Und jetzt beeilen Sie sich.«
   Margin leistete der strengen Aufforderung mit einer Hast und Pünktlichkeit Folge, als ob ein Damoklesschwert über seinem Haupte gehangen habe. Während er aber die beiden Schriftstücke verfaßte, kehrte King Bob sich Bell zu, über deren Wangen Thränen wehmütiger Freude rannen.
   »Ein Glück, daß du zwei Blätter brachtest,« beschwichtigte er ihre Trauer, die in der Erinnerung an ihre Eltern gerade jetzt neue Nahrung fand, das eine Dokument behalten wir für uns als Ausweis dem ersten Geistlichen gegenüber, der uns erreichbar ist. Das andere tragen wir selbst deinem Vater zu. Das ist die letzte Gelegenheit für ihn, unser Glück zu vervollständigen. Bleibt er auch angesichts einer vollendeten Thatsache unerschütterlich – trennen kann er uns nicht mehr – so haben wir redlich gethan, was in unseren Kräften stand.«
   Dann überwachten beide gespannt die über das Papier hingleitende Feder, auf Margins Fragen die entsprechenden Antworten erteilend.
   Nach einer Weile las King Bob die Kontrakte laut vor. Er fand nichts zu tadeln, worauf sie durch die Unterschriften beglaubigt wurden. Die beiden jungen Leute reichten sich die Hände und sahen sich gegenseitig in die Augen; damit war die Ehe geschlossen. Eine Hochzeit auf der endlosen Prairie, fern von den Stätten höherer Gesittung, und dennoch: wieviel Glück und freundliche Hoffnungen waren zugleich, wenn auch erst schüchtern, ins Leben getreten! Fehlten aber Hochzeitsgäste und Hochzeitsmahl, so streckten sich dem jungen Paare doch genug schwielige Hände entgegen, um die dargebrachten Glückwünsche gebührend zu bekräftigen.
   Zum Schluß warf King Bob dem Notar ein Zwanzigdollarstück zu. Dieser glaubte es ablehnen zu müssen, steckte es aber schnell ein, als jener ihm einen seiner wilden Drohblicke zuschleuderte.
   »Sie haben eine amtliche Handlung verrichtet,« erklärte er, »dafür sind Sie zu den Gebühren berechtigt, und ich wäre der letzte, von Ihnen ein Geschenk anzunehmen. Gehen Sie zu den Leuten jetzt. Die werden Ihnen Speisen vorsetzen, so gut sie vorhanden sind. Essen Sie nach Herzenslust und beeilen Sie sich, uns aus den Augen zu kommen.«
   Margin erhob sich. Anstatt die gebotene Gastfreundschaft anzunehmen, schritt er schwerfällig davon. Auch ihm war daran gelegen, baldigst aus dem Bereich der gefürchteten Steppenreiter zu kommen. Erst von der Höhe aus, wo Erschöpfung ihn zur Rast zwang, sah er noch einmal zurück. Seine Todesangst war verraucht, dafür erfüllte ihn unauslöschlicher Haß und Rachedurst. Zähneknirschend suchte er immer wieder die sich weithin auszeichnende Hünengestalt desjenigen, von dem er die Behandlung eines unvernünftigen Tieres erfuhr. In Erinnerung des fürchterlichen Rittes und der nicht minder fürchterlichen Worte krallte er seine Finger ineinander. Seine Augen sprühten unheimlich, wie die eines giftigen Reptils. Was hätte er nicht dafür hingegeben, seine Seligkeit und, was für ihn noch mehr, die Hälfte seines Vermögens, wäre ihm dafür die Gelegenheit geworden, den furchtbaren Todfeind zu vernichten, ihm die durch ihn erlittenen Höllenqualen hundertfach zu vergelten.
   Folgenden Morgens, die Sonne war eben aufgegangen, bestiegen King Bob, Bell und die Vaqueros ihre Pferde zur Reise südwärts. Bis zum Abend ritten sie mit kurzen Unterbrechungen, worauf sie abermals in dem Thale eines Baches übernachteten. Von dort aus schickte King Bob sechs seiner Leute mit der Aufforderung an seinen Stellvertreter, in gewohnter Ordnung mit den Herden sich langsam in Bewegung zu setzen und am Arkansasfluß hinauf zu ziehen. Er selbst und Bell wählten mit den übrigen beiden Vaqueros das Thälchen auf einige Tage zu ihrem Aufenthalt. Von dort aus sollte ein letzter Versuch unternommen werden, die Aussöhnung mit dem alten Howitt anzubahnen.
   Bell war stiller geworden. Der Bann, der sie so lange bedrückte, hatte sich wieder auf ihr Gemüt gesenkt. So viel Mühe King Bob sich gab, sie zu ermutigen: er wollte nicht von ihr weichen. Mit Thränen des Dankes lohnte sie seinen liebevollen Zuspruch; allein es bestanden fort die trüben Ahnungen, für die sie allerdings kein bestimmtes Bild besaß, die aber von King Bob dahin gedeutet wurden, daß sie ein abermaliges Zusammentreffen mit ihrem Vater fürchtete. Zu der Hoffnung, die er um ihretwillen, nachdem sie Mann und Frau geworden, an das Wiedersehen knüpfte, vermochte sie sich beim besten Willen nicht emporzuschwingen.


   Fünfzehntes Kapitel

   Nachdem Bell das Vaterhaus verlassen hatte, schien Howitt noch starrer und unzugänglicher geworden zu sein. In dem Trachten, den Eindruck zu erzeugen, daß er die Tochter, die so lange sein Liebling gewesen, nicht vermisse, sie sogar vergessen habe, prägte erhöhte Strenge sich in seinem harten Gesichte aus. Dieselbe Strenge offenbarte sich im Verkehr mit den Seinigen, von denen er argwöhnte, daß sie sein Verfahren heimlich mißbilligten, wohl gar in Gedanken auf seiten Bells und King Bobs standen. So durfte auch Bells Name nicht mehr in seiner Gegenwart genannt werden. Sogar Bertrand und Mutter Hickup scheuten sich, ihn an den Verlust eines zweiten Kindes zu erinnern. Im übrigen lebten sie im besten Einvernehmen mit ihm. Er erkannte zwar nicht dankbar, jedoch freundschaftlich den Eifer an, mit dem sie zwischen ihm und dem Kapitän vermittelten und günstigere Bedingungen für den unwiderruflich gebotenen Abzug von der vieljährigen Heimstätte zu erzielen sich bestrebten. Mit dem Kapitän oder gar mit Baxter in Verkehr zu treten weigerte er sich dagegen störrisch. Letzteren nannte er einen hinterlistigen Schurken, mit dem ein ferneres Wort zu wechseln entwürdigend, wogegen er in dem Kapitän einen Knecht der schwarzen Verrat billigenden Regierung erblickte, also einen Mann, der überhaupt keinen eigenen Willen besitze.
   Die Kunde der gewaltsamen Entführung Margins hatte durch Baxter Verbreitung gefunden. Erst zur vorgeschrittenen nächtlichen Stunde war er, bis zum Tode erschöpft, zurückgekehrt und nach dem furchtbaren Ritt auch jetzt noch nicht fähig, sich frei zu bewegen. Als Mutter Hickup den Zweck schilderte, den King Bob mit der Entführung verfolgt hatte, glitt ein Schimmer der Befriedigung über Howitts verwitterte Züge. Im übrigen gab er sich das Ansehen, der energischen Korporalswitwe Mitteilungen nicht gehört zu haben. Den Ausspruch, daß seine Tochter für ihn gestorben sei, hielt er aufrecht bis in die kleinsten Nebenumstände hinein.
   Erst am zweiten Tage gegen Abend entschloß er, auf seiner Freunde dringendes Zureden, sich dazu, den Kapitän in seinem Lager aufzusuchen. Persönlich wollte er ihn um die Bedingungen befragen, zu denen Baxter sich verstanden habe, verbat sich aber zugleich dessen Anwesenheit. Dagegen sollten Bertrand und Frau Hickup ihm als Zeugen zur Seite stehen, wenn die Verhandlungen als gescheitert betrachtet werden und demnächst die gesetzlichen Maßregeln in Kraft treten mußten.
   Höflich empfing ihn der Kapitän. Howitt, dessen unerschütterliches, stolzes Selbstvertrauen sich in seiner Haltung offenbarte, lehnte des Kapitäns Einladung, in das Zelt zu treten, kalt ab. Entschieden erklärte er, kein anderes Dach über seinem Haupte zu dulden, als das von seinen Händen errichtete oder den von seinem Herrgott über ihn ausgespannten Himmel. Gern willfahrte der Kapitän seinem Wunsch, und nachdem er mit den Gästen vor dem Zelt sich auf den Rasen niedergelassen hatte, eröffnete er das Gespräch mit den Worten:
   »Ihr Besuch gilt mir als eine gute Vorbedeutung für die Hoffnung, Sie befriedigt von hier scheiden zu sehen.«
   »Befriedigt?« fragte Howitt mit einem Anfluge von Spott. »Woher sollte jemand, den man von Haus und Hof vertreiben möchte, Befriedigung kommen? Woher die Luft, nachdem ihm sein Recht heimtückisch gestohlen wurde, sich unter einen heillosen Zwang zu beugen? Und wer bürgt schließlich dafür, daß der Rechtsspruch, den ich anerkennen soll, nicht auf lahmen Füßen steht?«
   »Ich muß und kann dafür bürgen, mein lieber Howitt, daß es für Sie keinen anderen Ausweg giebt, als – schwer, wie es mir wird, es auszusprechen – den Baxter käuflich erworbenen Grund und Boden zu räumen.«
   »Gut, Kapitän; Sie brauchen's nicht durch einen Eid zu bekräftigen, rechne ich. Ihnen glaube ich aufs Wort, und meine Freunde hier trugen durch ihre ehrlichen Vorstellungen nicht wenig dazu bei, mich zur Anerkennung Ihres guten Willens zu bestimmen. Wäre es anders, so sähen Sie mich jetzt nicht hier. Statt dessen stände ich mit meinen Söhnen hinter den Palissaden meines Gehöftes, um es so lange zu verteidigen, wie noch ein Schuß Pulver in unseren Hörnern, oder bis der letzte von uns durch feindliche Kugeln hingestreckt wäre. Und noch eins: ich erlebte in den letzten Tagen und Wochen so viel schweres Leid hier, daß es mir das Leben vergällte. In jedem auf meinem Acker von einem Maiskorn entsendeten Keim würde ich fernerhin ein bittere Mahnung an die Zeiten erblicken, in denen eine glückliche Familie mich vollzählig umringte, ein Wink meiner Augen genügte, jedes einzelne Mitglied fröhlich hierhin und dorthin fliegen zu sehen. Ja, ich will fort, das ist mein Entschluß, fort, so weit wie der Himmel blau. Wird das Grab meines Sohnes durch Regen, Schnee und darüber hinschreitende Hufe geebnet, daß es sich durch nichts mehr von dem Prairieboden ringsum auszeichnet, so schläft der arme Junge deshalb nicht minder sanft, als wenn ich seinen Hügel von Zeit zu Zeit auffrischte, und die Mutter täglich hinginge, um ihre heißen Thränen darauf herabzuweinen, rechne ich.« Hier schüttelte Howitt das Haupt, um sich einer Anwandlung von Wemut zu erwehren, und freier fuhr er fort: »Sie sprachen von einer Entschädigungssumme. Da möchte ich wenigstens deren Höhe kennen lernen, bevor ich meine endgültige Entscheidung treffe. Denn kann ich wirklich gezwungen werden, von hier fortzuziehen, so vermag doch niemand, mich zu verpflichten, Geld von jemand in Empfang zu nehmen, der besser schon vor Jahren aufgeknüpft worden wäre.«
   Mit reger Aufmerksamkeit hatte der Kapitän den Erklärungen des Alten gelauscht. Wie er, sahen auch Bertrand und Mutter Hickup auf die knorrige Gestalt, die, das Haupt geneigt, die Worte von dem Rasen eintönig abzulesen schien.
   »Ich wiederhole, was Ihr Freund Bertrand Ihnen ohne Zweifel bereits mitteilte,« erwiderte der Kapitän mit unverkennbar aufrichtigem Wohlwollen, »Baxter bietet Ihnen vierhundert Dollars für Haus, Hof und die grünenden Saaten. Außerdem stellt er Ihnen anheim, die Farm nach Ihrer Bequemlichkeit zu räumen, gleichviel, ob nach drei Tagen oder ebenso vielen Wochen. Das ist die äußerste Grenze, bis zu der gehen zu können er behauptet.«
   »Vierhundert Dollars,« wiederholte Howitt nachdenklich, ohne aufzuschauen, »doppelt so viel, wie mir früher geboten wurde. Ein schönes Stück Geld für jemand, der es mit einem Federstrich verdient, aber blutwenig für den, der seine achtzehn Jahre drum arbeitete. Doch gleichviel, an den Gedanken, noch einmal zum Wanderstabe greifen zu müssen, gewöhnte ich mich bereits, und so sage ich: je früher ich von hier aufbreche, um so eher ist es überstanden. Doch auch ich habe meine Bedingungen, die zwar leicht zu erfüllen sind, von denen aber abhängt, ob ich auf die Ihrigen eingehe. Um mich und die Meinigen zur Wanderschaft bedachtsam auszurüsten und alles auf unsere beiden Wagen zu verladen, bedarf es einer Zeit von mindestens vier Tagen. Soll uns aber die Arbeit nicht zu schwer von Händen gehen, so dürfen wir nicht durch den Anblick Ihres Lagers und der Dragoner daran gemahnt werden, daß wir uns unter ein böses Joch beugen. Dergleichen läuft mir nämlich gegen die Natur. Ich fordere daher, daß Sie mit Ihren Leuten sich weit genug zurückziehen, um mir aus den Augen zu sein. In der Nachbarschaft des Feldlagers der beiden schuftigen Sklavenmänner finden Sie gutes Gras im Ueberfluß für Ihre Gäule, und für die Sorte, die da kampiert, mag Ihre Nähe rätlicher sein als für uns. Kommen Sie am vierten Tage gegen Abend mit dem Baxter, so übergebe ich Ihnen, und nur Ihnen allein, das, was ich von meiner Habe zurücklassen muß. Ueber die Auszahlung der Entschädigungssumme will ich ebenfalls nur mit Ihnen zu schaffen haben. Sie aber bürgen dafür, daß ich bis dahin von keinem, auch nicht von dem allerelendesten Strauchdieb, belästigt und in meiner Ruhe gestört werde.«
   »Ein durchaus billiges Verlangen,« erwiderte der Kapitän, »es soll geachtet werden bis auf den Buchstaben. Morgen früh, bald nach Sonnenaufgang, marschieren wir ab. Ich setze voraus, Herr Bertrand und meine alte Freundin bleiben noch einige Tage Ihre Gäste.«
   An Howitts Stelle antwortete Frau Hickup: »Bei Gingo, Kapitän, man soll eine angefangene Sache nie halb beendigen, das sagte schon mein seliger Knockhimdown – Sie entsinnen sich seiner. Ja wir bleiben bis zu letzten Stunde. Als gute Freunde wurden wir von Daniel Howitt aufgenommen, und als gute Freunde wollen wir ihm eine Strecke das Geleite geben, wenn er dieses Thal auf Nimmerwiedersehen verläßt.«
   Sie drückte die ihr gereichte Hand Howitts kameradschaftlich, indem sie tröstlich hinzufügte: »Alter Gentleman, nehmen Sie's leicht; denn so schlecht ergeht es keinem Menschen, daß es nicht noch schlechter sein könnte.«
   Howitt nickte ihr ausdruckslos zu, ein Beweis, daß er ihren guten Willen anerkannte. Einen kurzen Abschiedsgruß richtete er an den Kapitän, und in düstere Grübeleien versunken, schritt er dem Gehöft zu. Bertrand und Mutter Hickup folgten etwas später nach.
   Wie der Kapitän versprochen hatte, war es geschehen. Als am folgenden Morgen die Sonne ihre ersten Strahlen über die Ebene in das Thal hinabsandte, befanden die Dragoner sich bereits eine Strecke abwärts. Howitt atmete auf. Ueber die seine Zukunft betreffenden Pläne verlor er kein Wort. Aber die Söhne rief er zu sich heran, und ruhig, wie in früheren Tagen, klang seine Stimme, als er ihnen die Tagesbeschäftigung zuwies.
   Zu ihrem maßlosen Erstaunen vernahmen die drei Aeltesten den Befehl, den Weizen, der eben im Begriff, Aehren anzusetzen, niederzumähen. Ihren ungläubigen Blicken begegnete er mit der Erklärung, daß die grünen Halme sich um so viel leichter vor der Sense neigten, nach dem Weizen der junge Mais an die Reihe komme und demnächst jedes Pflänzchen im Garten ausgerupft, jeder Fruchtstrauch abgeschnitten werden solle. Die beiden Jüngsten beauftragte er, die Einfriedigungen zu öffnen und die Pferde und Rinder zu einigen schwelgerischen Tagen auf die dem Verderben preisgegebenen Saaten zu treiben.
   Um ihnen den Ernst seines Willens zu beweisen, nahm er selbst eine Axt, und sich nach dem Garten verfügend, begann er die kräftigen jungen Obstbäume der Reihe nach zu fällen. Jetzt erst gingen die jungen Männer an die Arbeit. Schwer, wie es ihnen werden mochte, die verheißenden Erfolge langen, mühevollen Schaffens zu vernichten, wagte sich keiner, Widerspruch zu erheben. Wo aber unter dem Einfluß versteckten Jammers der Mut zu sinken drohte, da brauchte sich nur die im Ausdruck unbewegliche Gestalt des Vaters zu zeigen, um zu neuem Eifer anzuspornen. Sogar Bertrand und Mutter Hickup, das Vergebliche freundlicher Vorstellungen einsehend und ahnend, was der eiserne alte Squatter bezweckte, beteiligten sich gemeinsam mit Arrowmaker und Rabbit an dem Zerstörungswerk, als er nach dem Fällen der Obstbäume mit dem Einreißen der Zäune den Anfang machte.
   So war man am Abend des zweiten Tages so weit vorgeschritten, daß nur noch welke Saaten die Felder bedeckten, die Einfriedigungswerke dagegen und die dazu gehörigen Pfähle samt den schweren Ackergeräten in kurzen Entfernungen voneinander unregelmäßige Anhäufungen bildeten. Der dritte Tag wurde dazu verwendet, die Palissaden auszuheben, ebenfalls in Haufen zusammenzutragen wie das Einfriedigungsmaterial mit Stroh und Heubündeln zu durchschießen und dadurch zugleich mit dem vom Winter erübrigten Futtervorrat aufzuräumen.
   Und wiederum senkte der Abend sich auf das Thal, und wie ein Verderben atmender Rachegeist schwebte es über dem Gehöft; wie die Vorahnung eines schweren Verhängnisses lastete es auf allen Gemütern. Wenn einer zum anderen sprach, geschah es mit gedämpfter Stimme. Sogar die beiden Gäste, von schmerzlicher Teilnahme erfüllt, vermochten sich nicht zu einem längeren Gedankenaustausch aufzuraffen.
   Howitt selber verlor bis auf einzelne kurze Andeutungen kein Wort; und doch erzeugte es den Eindruck, als ob er sich jetzt freier bewege, die Vorbereitungen zur Ausführung eines mit ernster Ueberlegung gefaßten Entschlusses ihm Erleichterung gebracht hätten. Kämpfte es in seinem Inneren, zerriß es sein altes Herz, einer Heimstätte den Rücken kehren zu müssen, auf der er so viele Jahre in Zufriedenheit verbrachte, so manches mit seinen bescheidenen Ansprüchen im Einklang stehende Glück genoß, aber auch des Lebens bitterstes Leid, so hätte keiner das aus seinem Aeußeren herausgelesen. Nach wie vor charakterisierte ihn dieselbe eherne Ruhe; nach wie vor überwachten seine scharfen, klugen Augen die Ausführung seiner Befehle mit strenger Gewissenhaftigkeit. Und als dann nächtliche Stille das Gehöft umlagerte und bis auf die Wachtposten alle sich zur Ruhe begeben hatten, da mochten wohl jüngere Augen nach des Tages Mühen sich zum kräftigenden Schlummer schließen, wogegen andere sorgenvoll in die sie umringende Finsternis hineinstarrten und den sich ihnen entwindenden Thränen eines unsäglichen Schmerzes ungesehen freien Lauf gönnten.
   Der vierte Tag hatte kaum zu grauen begonnen, als die beiden Arbeitswagen vor die Blockhütte hingeschoben wurden und das Verladen der mitzuführenden Habseligkeiten seinen Anfang nahm. Der letzte Maisvorrat bedeckte die Böden der geräumigen Kasten fußhoch, auf diesem reihten die noch reichlich vorhandenen Lebensmittel in Säcken, Kisten und Fässern sich aneinander. Es folgten Betten und Kleidungsstücke, über welchen die wenigen Möbel und sonstiger Hausrat sich auftürmten. Einzeln schaffte man die mit vier Pferden bespannten Wagen nach der Höhe hinauf, wo in aller Form das Feldlager aufgeschlagen wurde, und Bertrand und seine alte Gefährtin mit ihrem Fuhrwerk ebenfalls einen Platz belegten. Auch die Herde hatte man hinaufgetrieben, um dem Abirren einzelner Rinder in den Wald hinein leichter vorbeugen zu können. In der Mitte der im Dreieck zusammengefahrenen Wagen brannte das Küchenfeuer. Um dasselbe herum auf dem Rasen sitzend, wurde das Mittagsmahl eingenommen.
   Howitt war wie umgewandelt. Anscheinend sorglos sprach er über dieses und jenes. Es verriet sich darin die versteckte Absicht, vor dem letzten zu führenden Schlage die Seinigen zu ermutigen, ihr Vertrauen auf die Zukunft wachzurufen und sie darin zu bestärken. Sobald aber das Mahl beendigt war, erhob er sich.
   »Jungens,« redete er in beinahe heiterem Tone seine Söhne an, »jetzt sollt ihr mir bei dem allerschwersten Werk helfen. Um was es sich handelt, habt ihr längst erraten. Seid ihr die echten Söhne eures Vater, so werdet ihr, wie ich, lieber unser Gehöft in Flammen sehen, als auch nur einen Cent von dem Sündengeld anrühren, das einer der verworfensten Missetäter der Erde uns, wie dem Hunde einen abgenagten Knochen, vor die Füße werfen möchte. Innerhalb einer Stunde muß alles brennen und lodern. Hernach mögen Baxter und die von ihm Eingesetzten den hinterlistig berechneten Vorteil sich aus der Asche herausscharren. Herr Bertrand und Frau Hickup leisten unterdessen der Mutter Gesellschaft. Sie mögen von hier oben aus sich an dem Feuer erfreuen und, wenn erst fern, aller Welt verkünden, wie ein freier Bürger der großen Republik in den niederträchtigsten Lagen seine Ehre zu wahren verstand.«
   Er warf die Axt auf die Schulter und stieg den Abhang hinunter.
   Seine Söhne, Arrowmaker und der junge Mandane folgten ihm auf dem Fuße. Auf dem Gehöft eingetroffen, versahen sie sich mit Strohfackeln, deren sie tags zuvor eine Anzahl angefertigt und zum sofortigen Gebrauch handgerecht hingelegt hatten. Dann dauerte es nicht lange, bis die ersten Holzanhäufungen schmale Rauchsäulen gen Himmel sandten. Von einer zur anderen schritten sie mit ihren Fackeln, deren bloße Berührung oft genügte, das trockene Stroh und seit Jahren ausgedörrte Holz in Flammen zu setzen. Ebenso verfuhren sie mit den noch sattreichen Palissaden, die sie, um ihren Widerstand gegen das Feuer abzuschwächen, an die Blockwände und Schuppenträger gelehnt, zum Teil sogar in die alten Wohnräume hineingetragen hatten. Und dies alles geschah mit so viel ruhigem Bedacht und einer Umsicht, als hätte man sich vor einer Vorteil verheißenden Aufgabe befunden.
   In der Hütte wurde der Brand zuletzt angelegt. Wenige Minuten genügten, und es flackerte im Inneren wie auf der Außenseite. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß ein Erlöschen nicht mehr möglich, schritten sie abermals von einem Scheiterhaufen zum anderen, durch Schüren die Flammen aufs neue entfachend und die glimmenden Holzreste übereinander ordnend, so daß zum Schluß nur einige angekohlte Stumpfen zurückbleiben konnten.
   Als endlich alles brannte, loderte, knisterte und krachte und die verschiedenen Rauchsäulen oberhalb des Gehöftes in der stillen Atmosphäre zu einer düsteren Wolke sich vereinigten, ließ Howitt die Blicke noch einmal über die Stätte des Verderbens hinschweifen. Er mochte sie in Gedanken mit dem Bilde vergleichen, das sie vor einigen Tagen noch bot, daß seine Augen trüber und trüber schauten und endlich ein schmerzlicher Seufzer seiner Brust sich entrang. Wie über sich selbst erschrocken, sah er um sich. Seine Söhne standen abseits und betrachteten ihr Werk ebenfalls trübselig, sie hatten, ähnlich den beiden Indianern, nicht einmal Lust, zu einander zu reden.
   Und abermals seufzte Howitt tief, jetzt aber erleichtert auf. Mit heftigem Schwunge schulterte er die Axt, und jenen voraus begab er sich nach der nunmehr fliegenden Häuslichkeit zurück. Oben fand er seine Frau auf dem Uferrande sitzend. Starr ruhten ihre Blicke auf dem weitverzweigten, flammenden Herd. Die Hände hielt sie auf dem Schoß gefaltet. Thräne auf Thräne rollte über ihre verwitterten, eingefallenen Wangen.
   »Ermuntere dich, Mutter,« redete er sie anscheinend wohlgemut an, obschon das Bild der schwergeprüften Lebensgefährtin ihm das Herz beinahe abstieß; »ermuntere dich und baue auf die Zukunft. Packt dich aber Schwermut, dann sieh auf mich. Denn seit lange war ich nicht so leichten Sinnes, wie jetzt, da die Versuchung sich von mir forthob, die Früchte unseres vieljährigen sauren Schaffens mit dem Sündengeld eines Schurken mir bezahlen zu lassen.«
   Er setzte sich neben sie. Bertrand und Mutter Hickup, die in freundlicher Rücksicht bei ihrem Wagen geweilt hatten, gesellten sich ihnen nunmehr zu. Bald darauf trafen Arrowmaker und die jungen Leute ein, sich ebenfalls auf dem Uferrande niederlassend. Dann hingen alle Blicke an den beweglichen Flammen, die hie und da bis zur Baumhöhe emporloderten, wieder zurücksanken und das ausgedörrte Holz gierig verzehrten. Zuweilen tönte dumpfes Krachen herüber, wenn der eine oder der andere Dachbalken niederbrach und einen Funkenregen erzeugte, und jedesmal war den betrübten Heimatlosen, als ob ein schartiges Messer über ihre Gebeine hingeglitten wäre. Doch weder ein Laut der Klage noch der Befriedigung wurde vernehmbar. Das Schweigen, in dem alle verharrten, verriet mehr, als mit Zungen hätte verkündet werden können. Das unbeugsame Familienoberhaupt, zu dem jeder wie zu einem Herrn über Leben und Tod aufsah, hatte entschieden, da gab es nur stummes Unterwerfen unter seinen Willen.
   Die Sonne neigte sich dem Untergange zu. Mit ihren rötlichen Strahlen floß ineinander die Beleuchtung des auf den verschiedenen Herden niedriger brennenden Feuers, und Howitt saß mit den Seinigen noch immer auf der alten Stelle. In dem über die Bäume hinaussteigenden Rauch spiegelte sich träumerisch der in Gold und Purpur prangende Westen, und nach wie vor herrschte Schweigen. Da störte der Hufschlag scharf getriebener Pferde Howitt aus seinem dumpfen Brüten. Sich danach umkehrend, erkannte er den Kapitän. Ihm folgten Baxter und zwei Dragoner. Auf der letzten kurzen Strecke hatte das brennende Gehöft in seinem Gesichtskreise gelegen. Leicht erriet er die Ursache des Entstehens des Brandes.
   »Um des Himmels willen, Howitt, was brachte Sie auf diesen unseligen Gedanken?« riet er ihm zu, noch bevor er bei ihm eingetroffen war.
   Alle hatten sich erhoben. Howitt ging dem Kapitän einige Schritte entgegen.
   »Was dort in Asche zerfällt, wie die niedergemähten Saaten war mein Eigentum, kalkulier' ich,« antwortete er rauh, »mit meinem Eigentum aber verfahre ich, wie es mir gefällt, ohne jemand Rechenschaft dafür schuldig zu sein. Als freier Mann bin ich alt geworden, als freier Mann will ich meine Tage beschließen.«
   Während er so sprach, umfloß eine eigentümliche Würde die lange, zähe Gestalt. Zu stolz, um den in seiner Brust wühlenden Schmerz auch nur mit einer Miene zu verraten, verharrte sein knochiges Gesicht in ausdrucksloser Ruhe. Auf Baxter, der hinter dem Kapitän hielt, achtete er nicht.
   »Aber, lieber Freund,« erwiderte der Kapitän, und in seinem ganzen Wesen offenbarte sich ernste Theilnahme, »Sie übersahen, daß Sie mit der Vernichtung der Farm die ausbedungene Entschädigungssumme verwirkten.«
   »Ich übersah nichts,« versetzte Howitt hart, »durch Feuer fegte ich die Merkmale vieljähriger schwerer Arbeit von der Erde fort. So war es mein Wille. Was unter meinen Händen hervorging, sollte keinem anderen zu gute kommen. Hätte es in meiner Macht gelegen, die verwüsteten Felder mit einer Grasnarbe zu überziehen und eine Faust hoch Salz darüber zu streuen, so wäre es geschehen.«
   »Und schädigten durch Ihre übereilte Handlung sich selbst wie Ihre Angehörigen am meisten.«
   »Seit meinen Knabenjahren beging ich keine übereilte Handlung. Meine Angehörigen kommen nicht in Frage. Sie ehren, was ich beschließe, und achten es. Und Schädigung nennen Sie mein Verfahren? Hätte ich etwa dem Schurken da mein Eigentum in schönster Blüte vor die Füße werfen sollen? Denn daß ich sein Blutgeld nicht anrühren würde, gab ich Ihnen schon früher zu verstehen. Als ich vor achtzehn Jahren hier zuzog, besaß ich mit denen meiner Frau vier gesunde Arbeitsarme, und nicht mehr. Jetzt aber, da ich durch Teufelsränke von meiner Scholle vertrieben wurde, verfüge ich trotz schmerzlicher Verluste noch über sieben Paare. Ich bin also reich genug, mir eine neue Häuslichkeit zu begründen. Und es giebt sicher noch Stellen, wo ich mich gegen Tücke und Verrat zu schützen vermag, rechne ich.«
   Der Kapitän kehrte sich nach Baxter um, der, bleich vor Wut und Scham, wenigstens vor ihm bessere Regungen zur Schau zu tragen suchte.
   »Was geschehen ist, kann nicht mehr geändert werden,« bemerkte er verstört »ist die Entschädigung böswillig zurückgewiesen worden, so hindert mich das nicht, dem Herrn Howitt durch Auszahlen eines zinsfreien Darlehens –«
   »Sprechen Sie das Wort nicht aus, das einem rechtschaffenen Mann das Blut der Entrüstung ins Angesicht treiben muß,« fiel Howitt ihm drohend ins Wort, »wahren Sie Ihre giftige Zunge, oder ich möchte die Rücksicht vergessen, die ich dem Kapitän schuldig bin, und Sie unter die Füße treten. Ich ziehe fort von hier mit unbeschwertem Gewissen. Hinter mir zurück aber bleibt ein Fluch, der noch in Ihrer Sterbestunde mich und die Meinigen an Ihnen rächen wird. Jetzt beeilen Sie sich, aus meinen Augen zu kommen, das ist mein letztes Wort. Und auch Sie, Kapitän, reiten Sie Ihres Weges. Dort drüben erhebt sich ein kleiner Hügel. Darunter schläft mein gemordeter Sohn. Wie wir die offene Gruft trauernd umstanden, so gönnen Sie uns jetzt, daß wir ebenso unbelästigt auf das Grab des besten Teils unserer Habe hinblicken.«
   Indem er bei den letzten Worten mit dem ausgestreckten Arm nach den rauchenden, flammenden und schwälenden Trümmerhaufen hinüberwies, hätte man ihn mit einem weit in die Zukunft hinausschauenden alttestamentarischen Propheten vergleichen mögen.
   Förmlich begeistert fuhr er fort: »Ja, reiten Sie, Kapitän, reiten Sie, sag' ich. Mich verlangt nicht nach der Teilnahme anderer. Binnen kürzester Frist schüttle ich den Staub von meinen Füßen, um eine Landschaft hinter mich zu legen, in die eine Rotte Sodomiter den Fluch der Sklaverei hereinzutragen beabsichtigt.«
   Er kehrte sich ab, und die Arme auf der breiten Brust verschränkend, trat er bis auf den äußersten Rand des Uferhanges vor. Dort heftete er die ruhigen Augen, wie deren Höhe messend, auf die oberhalb der Brandstätte in rosigen Duft verschwimmende Rauchwolke.
   Der Kapitän begriff, daß fernere Vorstellungen von dem erbitterten Squatter eine ernstere Zurückweisung erfahren würden, und ritt zu Bertrand und Frau Hickup hinüber. Mit einer bezeichnenden Gebärde reichte er ihnen die Hand. Auch die jungen Leute wollte er scheidend begrüßen, mußte aber erleben, daß sie ihm den Rücken zukehrten und neben ihren Vater hintraten. Ohne Säumen wendete er sein Pferd zur Heimkehr ins Lager.
   Baxter hielt sich ihm zur Seite. Eine größere Strecke legten sie schweigend zurück. Der Kapitän, vertraut mit dem hinterlistigen Treiber der Pioniere der Sklavenbarone, empfand in seiner Verachtung für den ungewünschten Begleiter keine Neigung, eine Unterhaltung mit ihm zu eröffnen, wogegen dieser von dem Gefühl beherrscht wurde, vollständig durchschaut worden zu sein.
   »Eine ergreifende Scene, deren Zeugen wir eben waren,« bemerkte ersterer endlich wie im Selbstgespräch; »ob diejenigen, die solch schweres Verhängnis auf eine ehrenwerte, in ihrer Anspruchslosigkeit glückliche Familie herabbeschworen, jemals Ruhe vor dem sie verfolgenden Gewissen finden werden?«
   »Eine störrische Art Menschen,« erklärte Baxter vorsichtig; »hat sich erst eine Idee in ihren Köpfen eingenistet, so sterben und verderben sie lieber, bevor sie sich eines Besseren belehren lassen. Am ratsamsten ist es, jede Erörterung mit ihnen zu vermeiden. Bei ihrer Roheit zieht man stets den kürzeren.«
   »Ich sollte denken, Sie für Ihre Person hätten gerade nicht den kürzeren gezogen,« meinte der Kapitän spöttisch. »Ihr Wunsch ist erfüllt: die beklagenswerten Menschen ziehen ab, und Sie erfreuen sich der Genugthuung, eine unbequeme Nachbarschaft los geworden zu sein.«
   »Unbequem, Kapitän? Nun ja, unbequem muß es jede, sein, auf eigenem Grund und Boden angefeindet und verlästert zu werden. Bei der geringsten Nachgiebigkeit von Seiten des Alten wäre alles anders gekommen.«
   Der Kapitän antwortete nicht. In seinem fortgesetzten Schweigen verriet sich der Widerwille gegen den unwillkommenen Gefährten. Auch Baxter schwieg. Er fürchtete, neue, ihn wie Geißelhiebe treffende Bemerkungen herauszufordern.
   Die Sonne war in die westliche Prairie hinabgetaucht. Nächtliche Schatten senkten sich auf Wald und Wiesen. Howitt und seine Söhne saßen wieder auf dem Uferrande. Vor dem Küchenfeuer regte sich die alte Frau. So groß konnte kein Schmerz sein, daß sie darüber die Sorge für ihre Familie vernachlässigt hätte. Mutter Hickup ging ihr gefällig zur Hand. Bertrand rastete auf der Deichsel seines Wagens. Er hatte sich abgesondert, um die trauernde Familie nicht durch seine Gegenwart zu beengen, aber auch um seinen eigenen Betrachtungen nachzuhängen.
   Einige Schritte abwärts hatten Arrowmaker und Rabbit sich auf ihre Decken geworfen. Ihr Gleichmut konnte durch nichts gestört werden. Am wenigsten bereitete die Zukunft ihnen Sorge. Wo Howitt und die Seinigen blieben, da fanden auch sie ihr Heim. Nachlässig sandten sie gelegentlich einen Blick in das Thal hinab. Von dem Gehöft war nichts übrig geblieben, als größere und kleinere Aschenhaufen, über welchen matter, rötlicher Schein lagerte. Hie und da, wo das Feuer einen bis dahin vergessenen Holzrest entdeckte, züngelten Flämmchen empor. Wie Irrlichter tanzten und flackerten sie, um alsbald wieder zu erlöschen.
   Und abermals drang Hufschlag herüber, jetzt aber von Pferden, die sich langsam einherbewegten. Bertrand erhob sich. Die Dunkelheit hinderte ihn, die Reiter genauer zu unterscheiden. Erst als der Schein des Feuers sie streifte und Mutter Hickup einen Ruf freudigen Erstaunens in die Nacht hinaussandte, erkannte er King Bob, dem Bell zur Seite ritt. Zwei Vaqueros hielten im Hintergrunde und warteten auf das Zeichen, sich aus den Sätteln zu schwingen.


   Sechzehntes Kapitel

   Als die Squattersfrau ihrer Tochter ansichtig wurde, war ihre erste Regung, aufzuspringen und ihr die Arme entgegenzustrecken. Doch die Nähe Howitts scheuend, sank sie zurück. Sie kannte den Gatten zu genau, um nicht zu fürchten, sogar durch ein von Muttergefühlen bedingtes Vorgreifen den Empfang der Eingetroffenen ungünstig zu beeinflussen.
   Bell und King Bob waren unterdessen abgestiegen und hatten die Pferde den Vaqueros überlassen, die sich eine kurze Strecke mit ihnen entfernten. Zögernden Schrittes näherte Bell sich der Mutter.
   »Wo ist Daniel Howitt?« fragte King Bob zu derselben Zeit freundlich.
   Die Mutter wies nach dem Uferrande hinüber. Zu sprechen vermochte sie nicht.
   »Hier ist er,« ertönte Howitts hartes Organ, und aus der Dunkelheit, welche die durch die Flamme des Kochfeuers geblendeten Augen nicht gleich zu durchdringen vermochten, tauchte die lange Gestalt des alten Sqatters in der Helligkeit auf. Bell wollte sich eben der Mutter zuneigen, doch aus den Worten des Vaters heraushörend, was ihr bevorstand, wich sie zurück, und bebenden Herzens suchte sie sein Gesicht.
   »Ich hielt es für meine Pflicht, noch einmal vor Sie hinzutreten,« hob King Bob ehrerbietig, jedoch fest an, »wir konnten und wollen nicht aus dieser Gegend scheiden, ohne Ihnen eine Beruhigung hinterlassen zu haben,« und er überreichte dem Alten die Abschrift des Ehekontraktes.
   »Was soll ich damit?« tragt Howitt geringschätzig, ohne die Hand nach dem Papier auszustrecken.
   King Bob bemeisterte seinen erwachenden Zorn und fuhr in derselben ruhigen Weise fort: »Die Schrift bezeugt, daß Bell mir gesetzlich angetraut wurde. Der kirchliche Segen fehlt zwar noch, der wird indessen eingeholt, sobald die erste Gelegenheit dazu sich bietet.«
   »Um mir das zu verraten, hättet ihr euch den Weg ersparen können,« erwiderte Howitt kalt, »ich erfuhr es bereits, aber auch welcher Mittel ihr euch bedientet.«
   »Die Mittel sind Nebensache,« versetzte King Bob etwas entschiedener, »Bell ist seit dem Tage, an dem sie das elterliche Haus verließ, meine Frau, das kann durch nichts mehr aus der Welt geschafft werden.«
   »Zu was dann noch die weiteren Reden? Und ihr elterliches Haus? Was bedeutet das jetzt noch? Ihr elterliches Haus ist von der Erde verschwunden. Glühende Asche bezeichnet den Ort, wo es stand.«
   »So hören Sie wenigstens ein wohlgemeintes letztes Wort. Ich richte es an Sie, weil Ihnen dadurch Gelegenheit geboten wird, das Glück Ihrer Tochter, mag es vorläufig immerhin ein bescheidenes sein, zu vervollständigen. – Lassen Sie mich ausreden,« schaltete King Bob auf Howitts ablehnende Gebärde ein, »Sie sind sogar heilig verpflichtet, mich anzuhören, wollen Sie nicht den Vorwurf auf sich laden, an den Ihrigen sich versündigt zu haben. Haus und Hof legten Sie in Asche. Schon aus der Ferne belehrten Rauch und Feuerschein mich darüber. Ich sah dergleichen voraus, weil ich an Ihrer Stelle nicht anders gehandelt hätte. Sie gerieten dadurch in die Lage, eine neue Heimstätte begründen zu müssen. Da schlage ich nicht vor, sondern ich bitte aus ehrlichem Herzen: Sie wissen, von meinen Ersparnissen kaufte ich in Neumexiko eine Fläche Land; die ist mehr als groß genug für zwei Familien. Ein kleiner Rancho steht bereits. Der reicht vorläufig aus zur Unterkunft für uns alle. Ihre Wagen sind beladen, Ihre Herde ist zur Hand. Wenn Sie uns begleiten, sind wir in zwei Monaten zur Stelle. Holz finden Sie im Ueberfluß, und vor dem ersten Wintermonat wohnen Sie unter Ihrem eigenen Dach.«
   Solange King Bob sprach, hatten Bells Augen mit tödlicher Spannung an dem Gesicht des Vaters gehangen, und angstvoller schaute sie nach jedem neuen Wort. Meinte sie doch aus seinen Zügen eine niederschmetternde Entscheidung herauszulesen. Sobald King Bob aber endigte, hielt sie den Atem an, um sich keinen Laut von den Lippen des Vaters entgehen zu lassen.
   Howitt zögerte. Und so herrschte eine Weile Todesschweigen. Wäre sein Entschluß wirklich schwankend geworden, so hätte das Bewußtsein, daß alle Anwesenden ihn bange überwachten, sogar Bertrand und Mutter Hickup sein Verfahren mit gemischten Empfindungen beurteilten, genügt, ihn alsbald wieder zu befestigen.
   »Die Barmherzigkeit des Mannes meiner pflichtvergessenen Tochter soll ich über mich ergehen lassen?« fragte er endlich eintönig. »Da müßte es weit mit mir gekommen sein. Ich wiederhole daher: um solcher Ursachen willen hättet ihr eure Fahrt über die Ebene nicht zu unterbrechen brauchen.«
   Da trat Bell vor ihn hin, und die gefalteten Hände zu ihm erhebend, flehte sie verzweiflungsvoll: »Vater – Vater, höre auf Bob! Er meint es treu – sein Herz kennt keine Falschheit. Gieb der Mutter eine neue Heimat, aus der ihr nie vertrieben werden könnt – entschließe dich dazu zur Wohlfahrt deiner ganzen Familie, zum Segen deiner Tochter.«
   »Als du mein Haus verließest, kündigte ich dir an, das letzte Band zwischen uns sei zerschnitten, und das Wort gilt für alle Zeiten,« erklärte Howitt, und es erzeugte den Eindruck, als hätte er in der sich selbst bereiteten Marter gleichsam geschwelgt. »Mein Liebling warst du von jeher bis zu dem Tage, an welchem der von dir Auserkorene dich von meinem Herzen riß. Mein Leben hat er verbittert. Früh genug warnte ich dich. Du wolltest nicht hören. Tragt jetzt gemeinschaftlich die Folgen deiner Pflichtvergessenheit. Ich besitze keine Tochter mehr.«
   »Vater rief Bell nunmehr entschlossener aus, und wie zum Kampfe richtete sie sich vor ihm auf, »Robert King ist mein Mann. Die Beschimpfungen, die du auf mich häufest, treffen auch ihn und unverdient. Nicht weit von hier in der Erde liegt dein bester Sohn. Er war Bobs treuer Freund, weil er ihn kannte. Stände er jetzt auf und sähe und hörte er uns, so würde er seine Bitten um Gerechtigkeit mit den meinigen –«
   »Entweihe nicht das Andenken an deinen gemordeten Bruder, in dem du ihn zum Zeugen deiner Gewissenlosigkeit anruftst,« fiel Howitt unerbittlich streng ein, »geh mir aus den Augen samt deinem Manne. Bist du erschöpft, hungrig und durstig, so wende dich an deine Mutter. Dann aber gehe, um hinfort fern zu bleiben.«
   »Vater, wer so redet, kann nie Liebe zu seinen Kindern gehabt haben,« hob Bell nunmehr leidenschaftlich an, und rauh unterbrach King Bob sie:
   »Wir sind hier fertig,« sprach er mit plötzlich veränderter Stimme, indem er ihre Hand ergriff, »du bist meine Frau, und als solche hast du deine Würde zu wahren. Komm, komm. Was zur Aussöhnung geschehen konnte, boten wir redlich auf. Komm. Jetzt bin ich dein Vater und deine Mutter. Ich bin dein Einziges und Alles. Zu mir gehörst du im Leben wie im Tode.«
   Wie von verwirrenden Träumen umfangen, ließ Bell sich mit fortziehen. Als sie an dem Feuer vorbeischritten, machte sie eine Bewegung, wie um der Mutter in die Arme zu stürzen. King Bob wollte sie zurückhalten, doch gewahrend, daß Howitt um der kummervollen alten Frau willen sich abwendete und nach dem Uferrande hinüberging, gab er sie frei. Gleich darauf weinte Bell am Herzen der Mutter. Worte wurden nicht zwischen ihnen laut.
   Erst als Bell sich losriß, sprach sie sanft und doch mit überzeugender Entschiedenheit: »Noch einmal vor die Wahl zwischen Eltern und Bob gestellt, könnte und würde ich nicht von ihm lassen.«
   Diese kurze Zwischenpause hatte Bertrand dazu benutzt, King Bob zu fragen: »Unter welchem Namen haben Sie sich trauen lassen?«
   Dieser warf ihm einen wilden Blick zu, »Was kümmert Sie das?« fragte er finster zurück. »Doch ich brauch's vor keinem Sterblichen zu verheimlichen: meine Frau heißt Bell King, und nicht anders.«
   »Und doch wäre es ratsam, die Trauung nachträglich auf Ihren wahren Namen bestätigen zu lassen. Sie können nicht ahnen, wozu man die Namensänderung vielleicht noch einmal ausnutzt.«
   »Zur Hölle mit Ihren Bedenken! Den Namen, der mir nicht gegönnt war, verachte ich. Als Robert King will ich leben und sterben. Das sagen Sie dem alten Manne am Missouri, wenn er nach mir fragen sollte, aber auch allen denjenigen auf der anderen Seite des Weltmeeres, die darauf ausgehen, durch unverlangte Einmischung meinen Frieden zu stören. – Lebe wohl, Mutter Hickup,« antwortete er dieser, als sie ihn und Bell zum Essen einlud. »Nachdem wir wie Missethäter abgewiesen wurden, möchte jeder Bissen Brot von eurem Tische sich auf meiner Zunge in Gift verwandeln. – Vorwärts, Bell,« und er ergriff wieder ihre Hand, »vergiß alles, das hinter dir liegt. Was du eben erduldetest um meinetwillen, das wird der Himmel tausendfältig an dir gut machen.«
   Schweigend begaben sie sich zu ihren Pferden. Flinker Hufschlag ertönte. Sie schienen Eile zu haben, fortzukommen. –
   Bis lange nach Mitternacht saß Howitt auf dem Uferabhang. Starr ruhten seine Blicke auf dem verglimmenden Gluthaufen. Die Söhne hatte er von sich fortgewiesen, indem er sie beauftragte, die Lagerstätten unterhalb der Wagen herzurichten. Er wollte allein sein, ungestört seinen trüben Grübeleien nachhängen.
   »Heimatlos, heimatlos,« lispelte er zuweilen unbewußt vor sich hin. Wo waren die Tage, in denen er das Wort nicht kannte? Jene Tage, in denen er den ganzen Westen, als seine Heimat betrachtete, fröhlichen Herzens die Axt da in den ersten Baumstamm zur neuen Blockhütte trieb, wo die Naturumgebung ihn lockte, ihm reichen Segen für die aufgewendeten Mühen verhieß? Jene Tage, in denen es ihn nicht kümmerte, wie bald er, vor der unwiderstehlich einherrollenden Kulturwoge flüchtend, weiter gegen Sonnenuntergang gedrängt wurde? Und heute? Er meinte nicht fassen zu können, daß das Geschick ihm in der That noch einmal den Wanderstab in die Hand gedrückt hatte. Wohin sollte er sich wenden, wo endlich Ruhe finden für seinen Lebensabend? Finsterer und verbitterter wurde er. Sein einziger Trost blieb, durch nichts beirrt, nach seiner besten, heiligen Ueberzeugung gehandelt zu haben. Was das Geschick über ihn verhängte, es mußte getragen werden; dulden mußte er, ohne zu murren, daß nach langem, pflichtgetreuem, mühseligen Walten zum Schluß eine Dornenkrone ihm auf das alternde Haupt gedrückt wurde.
   Erst nachdem Ben die beiden jüngsten Brüder bei der Herde abgelöst hatte, suchte auch er sein Lager auf. Doch der Schlaf blieb ihm ferne. »Wohin, wohin?« wiederholte er immer wieder in Gedanken. »Wohin auf der unbegrenzten Ebene, um einen stillen Winkel zu finden, wo die müden Augen sich endlich ungestört zum ewigen Frieden schließen können?«
   Von heimlicher Unruhe beschlichen, erhob er sich wieder. Das Lager durchschreitend, gelangte er auch zu Arrowmaker. Auf der Seite lag der gemächlich, das Haupt auf den einen Arm gestützt, mit der anderen Hand die brennende Tabakspfeife haltend.
   »Wo ist Rabbit?« fragte er ihn, als er dessen Platz leer fand.
   »Er ist gegangen,« lautete die gleichmütig erteilte Antwort; »seine Augen sind die eines Nachtvogels. Zwei Männer sah er. Die hatten sich herbeigeschlichen –«
   »Um einen letzten Raub an unserem Vieh auszuführen?« warf Howitt ruhig ein. »Da möchten sie schwerlich viel Glück gehabt haben. Die Jungens sind wachsam wie die Wiesel.«
   »Nicht Pferde und Rinder suchten sie. Sie spähten ins Lager. Als King Bob und Bell fortgegangen waren, verschwanden sie. Rabbit traute ihnen nicht. Er ging in ihren Spuren. Er wollte wissen, ob sie zu den Leuten des Baxter gehörten.«
   »Das auszukundschaften hat keinen Wert mehr,« versetzte Howitt im Davonschreiten, »noch einen Tag und eine Nacht, und wir ziehen stromaufwärts, rechne ich.«
   Nachdem King Bob und Bell Howitts fliegende Häuslichkeit hinter sich zurückgelassen hatten, waren sie nicht allzuweit geritten. Wie ihre Pferde, ersehnten auch sie selbst nach dem langen Tagesmarsch einige Stunden der Rast. In dem Thale, wo ihre Vereinigung geschlossen worden, und auf derselben Stelle hüllten sie sich auf dem weichen Rasen in ihre Decken. Was King Bob an tröstlichen Worten zu Gebote stand, das hatte er aufgeboten, seiner jungen Frau über die jüngsten Erfahrungen hinwegzuhelfen, allein es gelang ihm trotz ihres ernsten Willens nur bis zu einer bestimmten Grenze. Die Eltern und Brüder heimatlos, die ihnen gebotene sorgenfreie Zukunft mit Verachtung abgelehnt zu wissen, war ein Schlag, der in seiner Wirkung nicht gemildert werden konnte. Schmerzvoll wand sie sich unter schwarzen Ahnungen, die um so qualvoller waren, weil sie ihnen keine bestimmte Form zu geben vermochte.
   Dazu gesellte sich der Gedanke, wie viel anders es gewesen wäre, hätte der Vater seinen ursprünglich milden und gerechten Gesinnungen das Vorrecht vor dem starren Willen eingeräumt. Reichlicher aber flossen ihre Thränen, indem sie sich vergegenwärtigte, wie King Bob mit seinem warmen Herzen in ihrer Seele doppelt litt.
   Erst als der Tag zu grauen begann, verfiel sie in einen festen, traumlosen Schlaf. Zärtlich überwachte King Bob ihre Atemzüge. Jede Störung hielt er vorsichtig fern von ihr. Als sie endlich sich ermunterte, stand die Sonne bereits am Himmel. Eine kurze Strecke abwärts brannte ein kleines Feuer. Ueber demselben bereiteten die beiden Vaqueros das aus Maismehl und fein gestampftem, gedörrtem Fleisch bestehende Frühmahl. Als Kochgeschirr dienten ihnen die Blechnäpfe, die sie nach Prairieart am Gurt mit sich führten. Einen Trunk lieferte der nahe Bach; dann bestiegen sie ihre Pferde, um weiter aufwärts auf geeigneter Stelle das Thal zu verlassen. –
   Zur frühen Stunde, während King Bob und die beiden Vaqueros ihre Vorbereitungen zum Aufbruch trafen, und nur auf das Erwachen Bells warteten, näherten sich von Osten her vier Reiter. Mit sich führten sie ein gesatteltes Pferd. Dessen Besitzer schlich auf dem Uferrande einher, und zwar nur nahe genug, um ohne selbst bemerkt zu werden, die Windungen des Thales eine Strecke voraus überblicken zu können. Die beiden Hirten waren schon rege, als er zuerst der weidenden Pferde und dann des Lagers ansichtig wurde. Von da ab wurde er in seinen Bewegungen vorsichtiger. Ueber die von King Bob einzuschlagende Richtung konnte kein Zweifel walten. Es ließ sich voraussetzen, daß er die erste günstige Gelegenheit zur Ueberwindung des schwer zugänglichen Uferabhanges zur Weiterreise benutzen würde. Der Kundschafter verständigte daher die Genossen, sich noch weiter abwärts und in gleicher Höhe mit ihm zu halten. So kamen sie unentdeckt vorüber, und ihre Pferde schärfer antreibend, eilten sie einer zum Teil bewaldeten Regenschlucht zu, die von Norden her in das Thal einmündete. In diese ritten sie hinab. Während Margin bei den seiner Fürsorge übergebenen Tieren zurückblieb, schlichen die von ihm um hohen Preis gedungenen, mit Büchsen bewaffneten vier Mordgesellen bis beinahe in das Thal hinein, wo sie hinter Buschwerk und Gestrüpp ein sicheres Versteck fanden.
   Eine Stunde war seitdem dahingegangen, und die Sonne hatte sich eben dem rotglühenden Osten entwunden, als ein einzelner Fußwanderer, die Büchse auf der Schulter, in der Ferne auftauchte und aus nördlicher Richtung auf das Thal zuschritt. Aus seinen Bewegungen ging hervor, daß er ebenfalls unbemerkt zu bleiben wünschte; denn wo nur immer angänglich, wählte er die Seitenrinnen der Regenschlucht zum Wege. Ein kundiger Beobachter würde sogar in größerer Entfernung einen Eingeborenen in ihm erkannt haben. Und ein anderer war es in der That nicht, als der junge Mandane, der, seitdem Howitt ihn vermißte, das Lager nicht wieder betreten hatte.
   Die beiden geheimnisvollen Männer, die ihn zu dem Ausfluge bewogen, waren erst kurz vor dem Aufbruch King Bobs von ihm entdeckt worden. Sein Argwohn, daß ihr nächtlicher Besuch abermals einem von Howitts Rindern gelte, schwand wieder, sobald sie sich behutsam zurückzogen. An dessen Stelle keimte der Verdacht, daß die Absicht sie herbeiführte, sich über Howitts Aufbruch zu unterrichten und die geplante Räuberei auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, vor allen Dingen den Abmarsch der Dragoner zu erwarten. Anstatt aber die Kunde im Lager zu verbreiten und die Freunde auf vielleicht leeren Argwohn hin zu beunruhigen, entschloß er, von Arrowmaker beraten, sich dazu, den verdächtigen Männern zu folgen und über ihr ferneres Treiben sich Gewißheit zu verschaffen.
   So erreichte er allmählich die nächste Nachbarschaft von Baxters Zelt, wo er sich, wie einst in King Bobs Gesellschaft, im Gebüsch auf die Lauer legte. Die von ihm beobachteten Freibeuter hatten durch ein wenig auffälliges Zeichen Margin zu sich herausgerufen und verhandelten längere Zeit lebhaft mit ihm. Was sie sprachen, verstand er nicht; erst am Schluß drangen die Worte: »aber ohne Zeitverlust!« die Margin den beiden Genossen nachriet, zu ihm herüber, was ihn zu längerem Ausharren in seinem Versteck bewog.
   Nach Ablauf einer Viertelstunde wurde ein gesatteltes Pferd herbeigeführt und von Margin bestiegen. Etwas später tauchten vier andere Reiter bei ihm auf, mit denen er ungesäumt die Richtung einschlug, in der King Bob ihn vor einigen Tagen entführte. Damit war für den scharfsinnigen Mandanen das Rätsel gelöst. Er wußte, daß King Bob und Bell in Gefahr schwebten, und von dem Rachedurst des erbitterten Notars und seiner verworfenen Werkzeuge das Aergste befürchtend, entschloß er sich, ihnen zu Hilfe zu kommen, oder sie wenigstens zu warnen. Zeit war indessen nicht zu verlieren. Da aber der Kapitän, die Nachbarschaft der gesetzlosen Bande wie den Verkehr mit Baxter meidend, sein Lager eine Strecke stromabwärts aufgeschlagen hatte, die Entfernung bis zu Howitts Kamp dagegen eine noch größere war, so blieb er auf sich allein angewiesen, sollte jeder Versuch der Rettung überhaupt nicht scheitern.
   Als er oben auf der Ebene eintraf, waren die Reiter längst aus seinem Gesichtskreise entschwunden. Doch nicht in Zweifel darüber, wo er die Gefährdeten zu suchen habe, verfolgte er seinen Weg unverdrossen mit äußerster Eile. Erst als der Tag sich zu lichten begann, entdeckte er die Feinde, wie sie eben in die Schlucht hinabritten. Dies war für ihn eine Mahnung, ebenfalls deren Schutz zu suchen und in der zunehmenden Tiefe die Verfolgung fortzusetzen.
   Vorsichtig einherschleichend, näherte er sich dem Thal mehr und mehr, und er erwog schon, ob es nicht ratsamer sei, wieder nach oben zu steigen und sich über Kings Anwesenheit und die von ihm gewählte Oertlichkeit zu unterrichten, als das Schnauben eines Pferdes ihn warnte. Eine Weile zögerte er, bevor er wieder nach vorne schlich. Bald darauf vernahm er das Einknicken der von den Pferden benagten Zweige, dann noch einige Schritte, und zwischen dem Gesträuch hindurch wurde er Margins ansichtig. Neben den Pferden stand er und lauschte mit sichtbarer Unruhe nach der Mündung der Schlucht hinüber. Damit gab der Indianer sich vorläufig zufrieden. Den ihm wie seinen Freunden verhaßten tückischen Feind in seiner Gewalt zu haben erschien ihm als Bürgschaft für King Bobs und Beils Sicherheit.
   Um diese Zeit war es, als King Bob und seine junge Frau in den Gesichtskreis der in dem Hinterhalt liegenden Verräter traten. In traulichem Gespräch ritten sie nebeneinander. Die beiden Vaqueros folgten in einem Abstande von mehreren hundert Schritten. Den versteckten Mordgesellen beinahe gegenüber eingetroffen, schlug King Bob die Richtung nach dem von Regengüssen zerrissenen und niedergespülten Abhange hinüber ein. Dort befanden sie sich kaum hundertunddreißig Ellen weit von dem Hinterhalt entfernt.
   Trotz der Nähe warteten die lauernden Schützen mit ihrem Angriff, bis die arglosen jungen Leute eine solche Stellung zu einander genommen haben würden, daß die für den tödlich gehaßten Urheber der Niederlage vor den Palissaden bestimmte Kugel nicht auch Bell gefährdete. Der ihnen von Margin erteilte Auftrag lautete nämlich dahin, King Bob niederzuschießen, nach Beseitigung der beiden Vaqueros sich Bells zu bemächtigen und mit ihr für die nächste Zeit sich in die Prairie zu verlieren. Auf den Erfolg des listig durchdachten Anschlages glaubte er um so sicherer rechnen zu dürfen, weil das junge Paar in Howitts Lager gewissermaßen als verschollen galt, außerdem aber das Militärkommando schon folgenden Tages den Marsch nach Fort Riley antreten sollte.
   Kehrte er selbst zu Baxter zurück, so konnte in seiner nur nach Stunden zu berechnenden Abwesenheit kaum etwas Befremdendes gefunden werden; noch weniger in dem Verschwinden der vier Mitglieder der Bande, ein Ereignis, das sich oft genug unter den verrohten Abenteurern wiederholte. Die Prairie aber war dann um eines jener grauenhaften, nie gelichteten Geheimnisse reicher.
   »Wie die Morgensonne warm scheint und der Himmel so blau leuchtet,« bemerkte King Bob in dem liebevollen Trachten, Bells letzte Sorgen zu verscheuchen, »das verheißt gutes Reisewetter, doch auch eine goldene Zukunft. Zwei Tage gemächlichen Reitens, und wir stoßen auf die Herden. Dann hindert uns nichts mehr –«
   Ein Schuß erdröhnte von der Schluchtmündung herüber. Dicht an King Bobs Schulter vorbei flog die Kugel und schlug seitwärts in den Uferabhang ein.
   »Verrat!« stieß King Bob mit der ganzen ihm innewohnenden Wildheit hervor, daß seine Stimme weithin durch das Thal schallte. Zugleich packte er die Zügel des anderen Pferdes, und: »Fort! Fort!« fügte er dringlich hinzu, als er Bells Bestürzung gewahrte, und unter heftig niederklatschender Fangleine und den Sporen die erschreckten Tiere zum Rennen anhetzend, »nach oben müssen wir – da giebt es keine Gefahr mehr!«
   Stolpernd, gleitend und kletternd arbeiteten die Pferde sich auf dem schroff ansteigenden Erdreich empor.
   Eine zweite Kugel sauste unter King Bobs Arm hindurch, und bis aufs Blut gestachelt und gegeißelt, strebten die Pferde, die letzte kurze Strecke bis zum Uferrande hinauf zu überwinden. Zugleich aber boten sie den verborgenen Schützen ein bequemeres Ziel. Der dritte Schuß folgte, doch erst nach einer Pause, als die Tiere die Hufe in den äußersten Rand des Abhanges einschlugen, und King Bobs mächtige Gestalt sich um so schärfer vor dem blauen Himmel auszeichnete.
   Auf den Knall zuckte er zusammen. Sein Oberkörper neigte sich nach vorn. Trotzdem besaß er noch die Kraft und Besonnenheit, die Pferde zu einer letzten Anstrengung anzutreiben. Sie stürmten nach der Ebene hinauf; doch nur wenige lange Sätze legten sie zurück, als sie unter dem krampfhaften Griff der sie lenkenden Faust plötzlich stehen blieben, und King Bob mit den stockenden Worten: »Bell – es ist vorbei – wir müssen scheiden –« vom Sattel glitt und neben seinem Mustang liegen blieb.
   Jetzt erst ermaß Bell, deren ganze Aufmerksamkeit es bisher erforderte, sich auf dem Rücken des Pferdes zu halten, den Umfang des auf sie hereingebrochenen furchtbaren Verhängnisses. Einen durch Mark und Bein dringenden Schrei stieß sie aus, und in der nächsten Sekunde warf sie sich über King Bob hin.


   Siebzehntes Kapitel

   Die vier Mordgesellen hatten unterdessen den Hinterhalt verlassen, blieben aber noch im Schutze des in das Thal hineinragenden Strauchwerkes. Da sie vergeblich nach den beiden Vaqueros spähten, deuteten sie deren jähes Verschwinden als Flucht. Es wäre in solchem Falle ein leichtes gewesen, jetzt, nachdem sie King Bob fallen sahen, sich der Squattertochter zu bemächtigen. Im Begriff, nach dem jenseitigen Ufer hinüberzueilen, hemmten sie ihre Schritte, als aus der Schlucht ein unheimlicher Schrei zu ihren Ohren drang. Unentschlossen blieben sie stehen. Sobald aber der Schrei sich wiederholte und, wie ein entfliehendes Leben in sich bergend, verstummte, eilten sie in die Mündung zurück. Sie konnten nur argwöhnen, daß Freunde ihres unglückseligen Opfers eingetroffen seien und Margin bereits unter deren Händen sein Leben aushauche. Sich offen zu zeigen wagten sie daher nicht, sondern Deckung zwischen dem auf der Schluchtsohle wuchernden Gebüsch suchend, schlichen sie behutsam Schritt um Schritt in der Richtung davon, in der ihre Pferde standen, um, wenn es noch nicht zu spät, vor allen Dingen sich ihrer zu versichern. –
   Die beiden Vaqueros hatten am wenigsten an Flucht gedacht. Ebenfalls ihren Weg sorglos verfolgend, wurden sie durch den ersten Schuß aus ihrem Gleichmut autgeschreckt. Wo er abgefeuert worden war, verriet ihnen das oberhalb eines Strauches zerrinnende Rauchwölkchen, wem er aber gegolten hatte, ging aus den Bewegungen King Bobs unzweifelhaft hervor. Anstatt ihnen zu folgen und sich ebenfalls den aus sicherem Hinterhalt entsendeten Kugeln auszusetzen, sprengten sie nach dem nördlichen Abhange hinüber, wo sie sich außerhalb des Gesichtskreises der verräterischen Angreifer befanden. Dort trugen ihre Mustangs, jede Unebenheit des schroffen Uferwand katzenartig ausnutzend, sie binnen kürzester Frist nach der Ebene hinauf.
   Bevor sie deren Rand erreichten, fiel der zweite Schuß. Doch erst nachdem sie eine Strecke in vollem Jagen geritten waren, um den verborgenen Feinden in den Rücken zu kommen, belehrten der dritte Schuß und das darauffolgende Wehklagen Bells sie, daß King Bob tödlich getroffen worden sei. Zugleich entdeckten sie über das die Schlucht umsäumende Gestrüpp hinweg eine unbestimmte Bewegung.
   Wähnend, von dort her bedroht zu werden, spornten sie ihre Pferde darauf zu. Ein halbes hundert Schritte trennte sie noch von der verdächtigen Stelle, als sie Margins ansichtig wurden.
   Durch das Geräusch der eigenen, unruhig gewordenen Pferde gehindert, den nahenden Hufschlag zu unterscheiden, war er plötzlich mit Kopf und Schultern oberhalb des Uferrandes aufgetaucht. Das Gesicht hatte er in unverkennbarer Bestürzung rückwärts der Schluchtsohle zugekehrt, von wo aus er von Rabbit mit der angelegten Büchse bedroht wurde. Trotz der Warnung, beim ersten Schritt nach der Ebene hinauf eine Kugel zugesendet zu erhalten, strebte er verzweiflungsvoll, den Uferrand zwischen sich und den jungen Mandanen zu bringen. Sah er die beiden Reiter, die ihre Büchsen vor sich auf dem Sattel trugen, so hielt er sie für ungefährlich, oder das Entsetzen hatte ihn des Denkvermögens beraubt. Denn anstatt Rabbits Aufforderung Folge zu geben, schwang er sich über den letzten Absatz ganz nach oben, wo er, um das Gleichgewicht kämpfend, auf den Knieen liegen blieb und nach einem Halt für die Hände suchte. Rabbit hatte dagegen von ihm abgelassen, sobald der eine Vaquero eine kurze Strecke abwärts oberhalb des Ufers erschien und durch seine Bewegungen den beabsichtigten Angriff auf Margin verriet.
   Dieser mochte, da von unten kein Schuß erfolgte, sich bereits für gerettet halten, übersah aber, daß der eine Reiter, nach dem Beispiel Rabbits ebenfalls das Geräusch eines sich entladenden Gewehrs vermeidend, mit flinkem Griff den Lasso vom Sattelknopf nahm und beinahe ebenso schnell die geöffnete Schleife in Ringform über seinem Haupte kreisen ließ. Erst als er in vollem Rennen einen Kreis beschrieb, der ihn auf etwa zehn Ellen vor Margin vorüberführte, sah dieser verstört auf. Und noch immer ahnte er nicht, was ihm bevorstand, nicht einmal die Schlinge bemerkte er, die mit Blitzgeschwindigkeit die Luft durchschnitt und mit unglaublicher Genauigkeit um seinen Hals fiel.
   Dann gab es freilich kein Zweifeln mehr. Sein unabwendbares Ende vor Augen, versuchte er unter Ausstoßen eines grauenhaften Hilferufes, sich von der Schlinge zu befreien, erreichte indessen nur, daß seine Finger miteingeschnürt wurden. Ein zweiter Schrei wilder Todesangst entwand sich seiner Kehle, als der Vaquero sein Pferd herumwarf und, den Lasso um den Sattelknopf windend, durch den heftigen Stoß ihm das Genick ausrenkte und ihn noch eine Strecke hinter sich her schleppte.
   Von dem ersten Erscheinen Margins bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Vaquero, die Schleife lockernd, sein Pferd von der Last des Entseelten befreite, waren kaum zwei Minuten verstrichen. Dann griff auch er zur Büchse, und dem Gefährten sich zugesellend, ritt er mit ihm langsam der Schluchtmündung zu. Ueber das Thal hinweg unterschieden sie, daß King Bob regungslos auf dem Rücken lag, Bell sein Haupt zwischen beiden Händen hielt und in herzerschütternder Weise ihn zu ermuntern suchte. Waren sie von Hause aus verwilderte, zügellose Gesellen, die keine Furcht, aber auch kein Zaudern kannten, wenn es galt, eines tückischen Feindes sich zu entledigen, so hatte der Anblick des Gefallenen ihre Wut auf den höchsten Gipfel gesteigert. Haß und erbarmungsloser Rachedurst beseelten sie.
   In seltsamem Gegensatz zu ihrer keine Schranken kennenden Erregung stand die kalte Ruhe des jungen Mandanen, der sich zum gemeinsamen Handeln mit ihnen vereinigte. Durch ihn über die Zahl der Feinde unterrichtet, näherten sie sich behutsam der Schluchtmündung. Zu ihrer Enttäuschung waren die vier Mordgesellen schon vorbeigeschlüpft. Nur das die Sohle bedeckende Gebüsch regte sich noch in mäßiger Entfernung, indem sie unterhalb der sie deckenden Zweige ihren Pferden zuschlichen. Um nicht selbst von den Flüchtlingen zur Zielscheibe gewählt zu werden, entfernten sie sich eine kurze Strecke von der Schlucht. Dort stieg der eine Vaquero vom Pferde, und in Rabbits Begleitung vorauseilend, gewannen sie alsbald die Aussicht auf die kleine Blöße, wo die fünf Pferde unbeaufsichtigt standen. Sich niederlegend und das Haupt auf den Büchsenschaft geneigt, brauchten sie nicht lange zu warten.
   Verstört um sich spähend, tauchten die Mordgesellen aus dem Gebüsch hervor. Doch bevor sie die Hände auf die Zügel ihrer Pferde legten, krachten zwei Schüsse von oben herunter. Die beiden vordersten brachen unter dem Feuer zusammen. Fast ebenso schnell verschwanden die anderen beiden im Gebüsch, wo sie ihre Flucht ungesehen fortsetzten. Den Versuch, sich beritten zu machen, hatten sie den ergrimmten Feinden gegenüber nicht mehr gewagt.
   Durchdringender schallten Bells Hilferufe herüber. Dem Mandanen anheimgebend, die Verfolgung fortzusetzen, bestiegen die beiden Vaqueros ihre Pferde wieder, um sich zunächst von dem Zustande King Bobs zu überzeugen.
   Als sie bei ihm eintrafen, hatte er eben die Augen aufgeschlagen und sah mit einem ergreifenden Ausdruck von Ratlosigkeit zu seiner jungen Frau auf.
   Bells Hoffnung belebte sich. Ihre Verzweiflung niederkämpfend, sprach sie in rührendem Klageton: »Bob, mein armer Bob – die fürchterlichen Ahnungen – sie wollten mir das Herz brechen – mein armer Bob, geh nicht von mir, oder ich muß meinem Leben ebenfalls ein Ende machen –«
   »Unsinn, Bell,« tröstete der Verwundete sie leise und kaum noch verständlich, »was sind Ahnungen? Ahne lieber, daß ich bald wieder im Sattel sitze.«
   »Sie sind belohnt,« suchte der eine Vaquero in seiner rauhen Weise zu ermutigen; »der Vormann der Schurken, der dich mit deiner Frau zusammenschrieb, liegt mit gebrochenem Genick oben auf der Ebene; zwei andere fielen von unseren Kugeln im Gebüsch – mögen die Wölfe ihre verfluchten Knochen benagen – da, es knallt wieder. Das war Rabbits Büchse. Es wird einem vierten das Leben gekostet haben,« und indem er einen Blick über das Thal hinweg sandte, rief er: »Caramba! Wie ich sagte. Ihrer fünf waren es, und nur einer flüchtet und zu Pferde obenein. Schade um ihn. Er verdiente es nicht besser, als seine Mordgehilfen.«
   In Bobs Augen leuchtete es matt auf. Angesichts des stummen, wilden Schmerzes, unter welchem Bell ihr Hände rang, trachtete er, seiner Stimme einen freieren Klang zu verleihen, indem er bemerkte: »Wenn je einem verruchten Kehlabschneider, so gebührte dem Margin, daß ihm das Genick zehnmal ausgerenkt wurde – doch seht lieber nach meiner Wunde. Im Rücken traf's mich, und vorn ging's wieder heraus – Arme und Beine kann ich noch rühren – es mag daher nicht so arg sein.«
   Unter Bells Beistand begaben die Vaqueros sich ans Werk, seinen Wunsch zu erfüllen. Es war, wie er sagte: oberhalb des Herzens hatte die Kugel sich ihren Weg durch die Brust gebahnt. Der Blutverlust war indessen kein derartiger, daß ein jähes Ende zu befürchten gewesen wäre. Mehr konnte freilich nicht geschehen, als daß man frisches Wasser heraufholte, die Wunde auf beiden Seiten säuberte und fortgesetzt kühlte. Des weiteren wurden unter Mitwirkung Rabbits, der inzwischen eingetroffen war, Zweige herbeigeschafft, mittels deren man, um Bob gegen die sengenden Strahlen der höher steigenden Sonne zu schützen, eine Laube über ihm errichtete. Ihn ins Thal hinabzutragen, wo auf dem Ufer des Baches dichterer Schatten lockte, wagte man nicht.
   »Und doch kann ich hier nicht bleiben,« erklärte King Bob, nachdem man ihn in eine erträglichere Lage gebracht hatte; ist Hilfe überhaupt noch möglich, so finde ich sie nur bei meiner alten Freundin. Sie wird wohl noch bei den Howitts weilen. Da mag Rabbit ein Pferd besteigen und zu ihr reiten. Weiß sie erst, wie es mir ergangen ist, sorgt sie für das weitere – «
   Hier verließen ihn die Kräfte. Rabbit warf einen traurigen Blick auf ihn, einen zweiten auf Bell, die, in Jammer und Entsetzen aufgehend, sein Haupt wieder zwischen beiden Händen hielt. Dann schwang er sich auf eins der noch unter dem Sattel stehenden Pferde, und nachdem er das Thal gekreuzt hatte, eilte er in gestrecktem Galopp über die Ebene. –
   Die Mittagszeit war herangekommen. King Bob lag, wie dem Leben nicht mehr angehörend. In kaum wahrnehmbaren Zügen entwand der Atem sich seiner wunden Brust. Bell kniete neben ihm. Während sie mit einem blätterreichen Zweig ihm Kühlung zufächelte, hingen ihre großen, nunmehr thränenleeren Augen an dem bleichen Gesicht. Heiliges Mitleid, geeint mit unergründlicher Liebe und unsäglichem Schmerz, offenbarte sich in ihren starren Blicken. Bitterkeit und seltsame Entschlossenheit umlagerten die fest aufeinander ruhenden Lippen. Sie mochte sich den Zeitpunkt vergegenwärtigen, in welchem der Atem des ihre ganze Lebenshoffnung in sich bergenden Verwundeten endlich ganz stockte. Doch auch die Ursache schwebte ihr vor, auf die sie glaubte das über sie hereingebrochene namenlose Elend zurückführen zu müssen.
   Als Ermutigung erschien ihr dagegen wieder, wenn King Bob nach langer Regungslosigkeit plötzlich wie im Schrecken auffuhr, sie mit einem eigentümlichen Ausdruck des Erstaunens ansah und wieder in Bewußtlosigkeit zurücksank. Er lebte wenigstens noch. Doch wie lange konnte es nur dauern, bis auch diese Zeichen sich nicht mehr wiederholten. Laut aufschreien hätte sie mögen in wilder Verzweiflung bei dem Gedanken, daß nichts, auch nicht die geringste Kleinigkeit, zu Gebote stand, durch die dem Todwunden Erleichterung zu verschaffen gewesen wäre; nichts als klares Wasser, womit sie, unter Beimischung einiger Tropfen Branntweins, seine Lippen netzte und seine Schläfen kühlte. Sollte er denn wirklich in gänzlicher Hilflosigkeit sterben? fragte sie sich immer wieder. Dahinsterben, ohne wenigstens geeignete Pflege erfahren zu haben? Wie die Minuten so träge dahinschlichen und endlich zu Stunden anwuchsen, und wie sie den ersten Anblick der alten Freundin mit dem rauhen, militärisch entschiedenen Wesen und dem goldenem Herzen herbeisehnte!
   Nachdem die Sonne mit voller Mittagsglut auf die Laube niedergebrannt hatte, machte sich wohl eine leise Abkühlung bemerklich; allein lange dauerte es noch, bis abendliche Schatten erquickenden Tau mit sich brachten und den fiebernden Lungen Erfrischung zuführten. Die Vaqueros standen ihr wohl treu zur Seite, doch was vermochten sie mehr, als immer wieder zum Bach hinunterzusteigen und den Wasservorrat in den Feldflaschen und kleinen Gefäßen zu erneuern? Und als King Bob nach langer Bewußtlosigkeit endlich wieder mit wachsendem Verständnis zu ihr aufsah: Wie da ihre Augen sich aufs neue mit heißen Thränen füllten und tröstliche Worte von ihren bebenden Lippen flossen!
   »Bell,« erwiderte er leise, »noch lebe ich – vielleicht brauche ich gar nicht von dir zu gehen – wenn nur der alte Drache kommen wollte –«
   Verzweiflungsvoll spähte Bell über das Thal hinweg in die Ferne. Plötzlich verschärften sich ihre Blicke; dann leuchtete es in ihrem Antlitz auf, und als sei ihr eine Bürgschaft für seine Rettung zugetragen worden, rief sie aus überwallendem Herzen: »Sie kommt – Bob – sie kommt! Ich erkenne den Wagen,« und ihren Arm ausstreckend, wies sie in die Richtung, aus der er sich mit rasender Eile näherte.
   »Gott sei Dank,« lispelte King Bob, und die Augen schließend, verfiel er abermals in einen ohnmachtähnlichen Zustand. Aber seine Züge hatten sich geebnet. Wie Befriedigung schlich es über sie hin.
   Bells Aufmerksamkeit war jetzt geteilt. Oefter als bisher blickte sie von dem stillen Antlitz auf, um die Zeit bis zum Eintreffen des ersten Beistandes zu berechnen. Endlich, endlich hielt der Wagen auf dem jenseitigen Thalufer. Deutlich unterschied sie, daß zuerst Bertrand ihm entstieg. Ihm folgte Mutter Hickup, und dann – sie konnte nicht glauben, was sie sah – ihr Vater. Angstvoll überwachte sie, wie unter dem Leinwandverdeck eine vierte Gestalt sich regte, ihr jüngster Bruder, der mitgekommen war, um Wagen und Pferde zu bewachen, wogegen die drei ersteren sich mit Bündeln und einem Korb beschwerten und eiligst in das Thal hinabstiegen.
   Ja, ihr Vater war es.
   Als Rabbit ihm die furchtbare Botschaft übermittelte, hatte er anfänglich dagestanden, als wäre er zu Stein erstarrt gewesen. Die Schilderung, daß Margin die Mörder geführt habe, schien er zu überhören, ebenso die Kunde seines grauenhaften Endes. Sobald er aber vernahm, daß Bell, seine eigene, einzige Tochter, in grenzenloser Verzweiflung die Hände über dem Todwunden ringe, sich in einem Schmerz verzehre, der auch ihrem Leben ein Ende zu machen drohe, da erhielt sein hartes Gesicht eine Farbe und einen Ausdruck, als wäre er ebenfalls für ein bereits geöffnetes Grab bestimmt gewesen. Wie gebrochen sah er ins Leere. Erst als sein Blick die schnell entschlossene Korporalswitwe streifte, die mit regem Eifer und wunderbarer Umsicht die Vorbereitungen zum schleunigen Aufbruch betrieb und sich mit allem nur Verfügbaren ausrüstete, belebte seine knochige Gestalt sich wieder. Die gewohnte ernste Ueberlegung kehrte zurück.
   »Reite nach dem Lager des Kapitäns und schone die Pferdeknochen nicht,« befahl er dem jungen Mandanen. »Vermelde ihm, was du heute erlebtest. Bitte ihn in meinem Namen, er möchte dir seinen Chirurgen mitgeben und darauf achten, daß er sich mit allem versehe, was er für notwendig und heilsam bei der Behandlung eines Schwerverwundeten halte.« Und zu Ben, dessen Brüdern und Arrowmaker: »Ihr bürgt für die Sicherheit der Mutter und des Lagers. Sind wir von Räubern und Mördern umringt, so gebietet die Selbsterhaltung, jeden über den Haufen zu schießen, der sich den Wagen oder unseren Tieren auf zweihundert Ellen nähert. Das laßt euch gesagt sein. Ich selbst werde die gute alte Lady begleiten. – Und du,« wendete er sich an den jüngsten Sohn, »steigst mit auf. Wer weiß, vielleicht kannst du dich da nützlich machen.«
   Da reichte Mutter Hickup ihm treuherzig die Hand. »So recht, Mann,« hob sie sichtbar bewegt an, »wäre Ihnen nicht mehr beschieden, als mit meinem armen Bob, bevor er die Augen auf ewig schließt, ein paar versöhnliche Worte auszutauschen, so würde das in Ihrem Sterbestündchen noch eine Wohlthat für Sie sein. Doch ich hoffe das Beste. Denn solange noch ein Funken Leben vorhanden, gerade groß genug, um ein Stück Baumzunder ins Glimmen zu bringen, kann man dem Tode eine Nase drehen.«
   Howitt nickte ausdruckslos. Was zu derselben Zeit in seinem Inneren vorging, blieb sein eigenes Geheimnis. Aber erraten ließ es sich aus der an ihm ungewöhnlichen Dringlichkeit, mit der er zur Eile trieb und schließlich auf dem Wagen neben Bertrand Platz nahm. Mutter Hickup führte Leine und Peitsche, und vertraut mit dem vor ihr liegenden Wege, erhielt sie die Pferde in einer Gangart, wie es die traurige Gelegenheit gebot. –
   Als Bell ihres Vaters ansichtig wurde, wie er oberhalb des Uferrandes auftauchte und seinen Begleitern voraus auf die Laube zuschritt, fühlte sie das Blut aus ihrem ohnehin bleichen Antlitz zurücktreten. Die alte Scheu vor dem bis zur Unbarmherzigkeit strengen Familienoberhaupt regte sich; doch schon nach einigen Atemzügen beherrschte finstere Entschlossenheit sie wieder. Einen Blick herzzerreißenden Jammers warf sie auf den anscheinend Schlummernden, und sich leise erhebend, schlich sie von ihm fort. Nach einigen Schritten stand sie vor ihrem Vater.
   »Du bist gekommen, um den besten Mann der Welt sterben zu sehen,« redete sie ihn mit einer Härte an, daß Howitt die ihm auf den Lippen schwebenden Worte väterlicher Begrüßung zurückdrängte; »gehe hin und betrachte ihn. Weide dich an seinem Anblick. Von deiner Schwelle verjagt und vertrieben, ist an ihm dein Wunsch in Erfüllung gegangen. Er wird dich nicht mehr hindern –«
   »Bell, meine Tochter,« begann Howitt einfallend, und wie unter einer erdrückenden Bürde beugte er seinen Nacken, »wenn du vergißt, daß es dein Vater ist, zu dem du sprichst, so gedenke wenigstens deiner Mutter und deiner Brüder. Dein Elternhaus –«
   »Ich besitze kein Elternhaus mehr, das sagtest du selber,« unterbrach Bell ihn leidenschaftlich, und Thräne auf Thräne entstürzte ihren Augen, »keinen Vater, keine Mutter, keine Brüder. Nur ein Mann ist noch mein eigen, und dem gelobte ich Treue bis in den Tod. Zu ihm allein gehöre ich. Er ist mein Alles,« und wie beschwörend erhob sie die rechte Hand, »wo er bleibt, da ist meine Heimat. Ich bestätige es mit den heiligsten Eiden. Legen Sie ihn in die Erde, dann mögen sie das Grab breit genug schaufeln, daß ich Platz an seiner Seite finde. Denn ohne ihn giebt es kein Leben für mich; mit ihm vereint will ich von dannen gehen.«
   Sie hatte mit unheimlicher Entschiedenheit gesprochen, mit einem so erschütternden Ausdruck namenlosen Schmerzes, daß Bertrand und sogar seine alte Freundin nicht hervorzutreten wagten, ihr Vater auf sie hinsah, wie auf eine Rachegöttin, die, der Erde entstiegen, ihn mit Schlangengeißeln bedrohte. Aber auch ihre Stimme hatte sie in der gewaltigen Erregung erhoben, daß die Worte verständlich unter das Laubendach drangen. Doch bevor das plötzlich eingetretene dumpfe Schweigen von anderer Seite gebrochen wurde, ertönte King Bobs matte Stimme.
   »Bell,« rief er unter unverkennbarer schwerer Anstrengung, »kam dein Vater den weiten Weg zu dir, so führe du selber ihn die letzten Schritte bis hierher – ich will zu ihm reden, bevor es vorbei mit mir ist – ich will zu ihm reden auch für den Fall, daß ich die Verwundung überlebe –«
   Schon nach den ersten Worten kniete Bell wieder neben ihm. Seine Hände sanft ergreifend, bedeckte sie sein Gesicht mit Küssen und heißen Thränen.
   »Bell – deinen Vater rufe,« wiederholte King Bob dringender, »laß mich nicht sterben, ohne mit ihm gesprochen zu haben –«
   Und als Bell, wie einem Befehl von oben gehorchend, Howitt herbeiwinkte, ließ dieser sich auf der anderen Seite des Todwunden nieder.
   »Bob, du darfst nicht sterben,« sprach er wie nach Atem ringend, jedoch laut, als hätte er dem Tode zu gebieten vermocht, »nein, Bob, ich verlor genug an einem Sohn. Du sollst und mußt leben zu deinem und Bells Glück, zu eurer Eltern Freude. Ich war grausam gegen dich. Ich konnt's nicht ertragen, daß meine einzige Tochter von meinem Herzen gerissen werden sollte, daß sie einen Fremden über ihre Eltern stellte; damit beruhige dich. Binnen einer Stunde ist der Chirurg hier – der wird sein Bestes thun, und ein Mann wie du übersteht das Schwerste, woran hundert andere zu Grunde gehen.«
   Während Howitt sprach, sah King Bob, wie von neuem Leben durchströmt, zu ihm auf. Erstaunen prägte sich in seinen Zügen aus, zugleich erhellte sie ein eigentümlicher Ausdruck wehmütiger Freude. Bell hatte bei den versöhnlichen Worten die Hände vor ihr Antlitz geschlagen.
   »Zu spät, Vater, zu spät –« hob sie heftig schluchzend an.
   Sanft vermittelnd fiel King Bob ein: »Nein, Bell, nicht zu spät, wenn ich es überlebe, nicht zu spät, um bei deinen Eltern ein gutes Andenken zu hinterlassen und, wenn es nicht anders sein kann, mit einem letzten freundlichen Trost von dir zu scheiden.« Er reichte Howitt die Hand und fuhr nach einigen röchelnden Atmzügen leise fort: »Ich war ein wüster Geselle, aber Treue und Ehrlichkeit litten nicht darunter. Da werden Sie jetzt sicher meine vielleicht letzte Bitte erfüllen. Sollte ich sterben, so gehört mein Eigentum Bell – viel ist es nicht –«
   »Nichts will ich ohne dich – mein Leben ist das deinige – du nimmst es mit fort –« fiel Bell ein.
   Freundlich schnitt King Bob das weitere mit den Worten ab: »Laß mich endigen, bevor es wirklich zu spät ist. Du sollst und mußt leben, auch wenn ich nicht mehr bin, um den Eltern den Kummer zu sühnen, den wir ihnen bereiteten. Sie aber werden ihren guten Willen dadurch beweisen, daß sie Besitz von meinem Eigentum ergreifen und es für dich – hoffentlich auch für mich selber – in guter Ordnung halten – ja, Daniel Howitt, das versprechen Sie mir heilig, und wie auch alles verlaufen mag: ich will zufrieden sein.«
   »Wie du sagst, soll es ausgeführt werden,« versetzte der zähe alte Squatter, indem er die schwielige Hand über King Bobs feuchte Stirn hingleiten ließ und seine dichten Locken zur Seite strich, »doch gieb jetzt die Gedanken auf an traurige Möglichkeiten –«
   »Nein, Bob, davon nichts mehr,« versetzte die ehrliche Korporalswitwe, der dicke Thränen auf den sonnverbrannten Wangen perlten, »und Sie, Daniel Howitt, und du, Bell, schafft Raum jetzt. Hier giebt es Notwendigeres zu thun, als schwermütige Worte auszutauschen.«
   Howitt zur Seite drängend, begann sie mit kundigen Händen die Wunde auf beiden Seiten freizulegen und zu prüfen. »Eine dumme Geschichte allerdings,« plauderte sie unterdessen aufmunternd weiter, »allein was bedeutet ein gesunder Schuß im Vergleich mit einem regelrechten Tomahawkhieb in die Schläfe und dem Verlust eines unersetzlichen Skalps – her mit dem Korb,« befahl sie ins Freie hinaus, und nachdem er ihr gereicht worden, goß sie von dem Inhalt einer bauchigen Korbflasche in eine Blechtasse. »Das trinke, mein Jüngelchen,« riet sie zärtlich, die Tasse an King Bobs Lippen hebend, »der feinste Sherry – der ist noch von dem Vorrat deines leiblichen guten Vaters – trinke aus, Junge. Sechsundfünfzig und ein halber Tropfen davon schaden keinem kranken Säugling, wie mein seliger Knockhimdown zu sagen pflegte, wenn er sich 'nen Grog mischte und mit dem Wasser haushälterisch verfuhr – so – so, das wird dein Blut anregen und das verlorene ersetzen –«
   »Schlafen!« lispelte King Bob, die Augen wieder schließend.
   »Ja, schlafen, mein Jüngelchen. Ist der Chirurg erst da, soll's nicht lange dauern und du fühlst dich komfortabler, behaupte ich,« und nachdem sie ihm eine solche Lage gegeben hatte, daß die beiden Wundöffnungen zugänglich blieben, schlich sie mit Howitt ins Freie hinaus, Bells sorgsamen Händen die weitere Pflege anvertrauend.
   Wenn irgend etwas ermutigend auf alle Anwesenden einwirkte, so war es das zuversichtliche Auftreten der energischen Korporalswitwe. Sogar der unveränderten Redseligkeit und den von ihr unzertrennlichen wunderlichen Einschaltungen durfte ein gewisser beschwichtigender Einfluß nicht abgesprochen werden. Howitt hatte seine überlegende Ruhe zurückerkämpft; seine Haltung war eine andere geworden. Dagegen verrieten die sich schärfer ausprägenden Furchen in seinem Gesicht fortgesetzt tiefe Besorgnis, auch wohl den marternden Gedanken, daß den beiden jungen Leuten der verhängnisvolle Ritt hätte erspart bleiben können.
   Da das Kreuzen des Thales mit dem Wagen auf zu große Schwierigkeiten stieß, begaben Howitt, Bertrand und die beiden Vaqueros sich hinab, um aus geeigneten schlanken Baumstämmchen, Ranken und Zweigen eine Bahre zu King Bobs Beförderung herzustellen.
   Sie waren eben damit fertig geworden, als der Kapitän in Begleitung Rabbits, des Chirurgen und mehrerer Dragoner eintraf. Bereits vertraut mit allen Vorgängen, beobachtete er gemeinschaftlich mit Bell und Frau Hickup die Hände des Chirurgen, während er dem Verwundeten den ersten Verband anlegte. Nach dessen Ausspruch war eine unmittelbare Lebensgefahr nicht vorhanden, das weitere aber von der sorgfältigsten Behandlung und Pflege zu erhoffen. Die Reise nach Neumexiko kam überhaupt nicht in Frage. Dringend riet er dagegen, ihn baldigst nach der anderen Seite des Thales hinüberzutragen und ihn dort in dem Wagen unterzubringen.
   Als nächstes Ziel galt Howitts Lager. Von dort aus sollte er in kurzen Tagesreisen nach Fort Riley befördert werden, um vorläufig daselbst zu bleiben. Von dem Verlauf der Heilung sollte es dann abhängen, wie bald seine Uebersiedelung an den Missouri zu bewirken sei.
   Bertrand, welcher King Bob zur Seite zu bleiben wünschte, bot der Kapitän an, die ihm in dem Fort gebotene Gastfreundschaft so lange zu genießen, wie es durch seines Schützlings Befinden bedingt werde.
   Ueber das Ende Margins, des unzweifelhaften Urhebers des Mordanschlages, sprach er sich dahin aus, daß durch die schnelle Handlung der gewandten Vaqueros viele lästige Untersuchungen, Margin selber aber öffentliche Schmach und Schande wie eine langwierige Kerkerhaft erspart worden seien. Baxter sollte die Aufgabe zufallen, dafür zu sorgen, daß sein Freund wie dessen erschossene Werkzeuge nicht eine Beute der Wölfe würden. Unter Zurücklassung des Chirurgen verabschiedete der menschenfreundliche Kapitän sich mit einem wohlgemeinten »Auf Wiedersehen«.
   King Bob lag um diese Zeit so bequem gebettet, wie es die bescheidenen Mittel nur erlaubten. Die letzten Vorbereitungen zum Aufbruch waren bald beendigt. Neben King Bob saßen, stets hilfsbereit, Bell und der Chirurg. Mutter Hickup führte wieder die Zügel. Langsam, Schritt für Schritt, bewegten die Pferde sich einher. Unter der geübten Hand der bedächtigen Korporalswitwe jede Unebenheit des Erdbodens meidend, rollte der Wagen ihnen nach. In geringer Entfernung folgten die Vaqueros und Rabbit. Howitt, der Bells Pferd bestiegen hatte, ritt neben dem Wagen. Ihm zur Seite hielt sich Bertrand, den King Bobs Billy willig auf seinem Rücken duldete, wogegen Howitts jungem Sohne das Pferd des Chirurgen übergeben worden war. Das Verdeck hatte man ringsum aufgeschürzt, um den kühlen Luftzug unter ihm hindurchstreichen zu lassen. King Bob lag mit geschlossenen Augen. Todesmattigkeit hatte sich seiner bemächtigt. Er schien die Empfindung für die unvermeidlichen leichten Erschütterungen des Wagens verloren zu haben. Wie sein guter Engel überwachte Bell ihn unablässig mit thränenschweren Augen.
   Und so war es ein Trauerzug, der seinen Weg über die abendlich stille Prairie verfolgte. Ein Trauerzug, und doch begannen hie und da schüchterne Hoffnungen sich zu regen. Man klammerte sich gewissermaßen an die Ueberzeugung an, daß so viel Kraft und froher Lebensmut, wie sie King Bob von jeher auszeichneten, nicht für ein verfrühtes Grab bestimmt sein könnten, die in feierlicher Eintönigkeit sich ausdehnenden, vom Abendrot zauberisch beglänzten Grasfluren nicht des verwegensten Steppenreiters beraubt werden dürften.
   Die Nacht in Howitts Lager war für den Verwundeten verhältnismäßig günstig verlaufen, so daß man beschloß, noch selbigen Tages beim Beginn der abendlichen Kühle die Fahrt nach Fort Riley fortzusetzen. Auch Howitt und die Seinigen, denen Arrowmaker und der junge Mandane mit ihren vier Pferden sich anschlossen, rüsteten sich zum Aufbruch. Er sollte folgenden Morgen erfolgen. Sehnten sich doch alle, eine Landschaft zu verlassen, in der sie so viel Schreckliches erlebten.
   King Bobs und Bells dringendster Wunsch ging seiner Erfüllung entgegen. Unter der beiden Vaqueros Führung gedachte Howitt, sich der einen oder der anderen Herde anzuschließen und mit ihr nach Neumexiko zu wandern. Bei sich trug er ein Schreiben des Kapitäns, durch welches seine Bevollmächtigung, auf King Bobs Grund und Boden sich niederzulassen, beglaubigt wurde.
   Herzzerreißend war der Abschied Bells von Vater und Mutter, um so ergreifender, weil alle sich mühten, das sie fast überwältigende Wehgefühl zu bemeistern. King Bob, ohnehin todesmatt, vermochte vor Rührung kaum zu flüstern: »Die Freude, daß Bell ihre Eltern wiederfand, die auch die meinigen sein wollen, ist mit dem verräterischen Schuß nicht zu teuer bezahlt, gleichviel, wie alles noch endigt.«
   »Auf Wiedersehen, Bob, auf ein glückliches Wiedersehen am Rio Grande,« entgegnete Howitt mit wehmutvollem Ernst, und hastig kehrte er sich ab.
   Nachdem Baxters Zelt und das Lager der Freibeuter hinter den Reisenden zurückgeblieben waren, gesellte der Kapitän sich zu ihnen, um sie eine Strecke zu begleiten. Dem Chirurgen händigte er einen Brief an den Kommandanten des Forts ein. Dessen Inhalt betraf die Aufnahme des Verwundeten und seiner Freunde. Zugleich hatte er die Verhältnisse der von den südstaatlichen Agenten ins Werk gesetzten Besiedelung des Territoriums beleuchtet und erläutert. Einige Tage wollte er noch warten, um das Treiben der gesetzlosen Bande zu überwachen und, wenn möglich, die Hauptschuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.
   Baxter hatte sich nicht mehr bei ihm sehen lassen. Seit der letzten Begegnung mit Howitt und den bei dieser Gelegenheit in Gegenwart des Kapitäns erfahrenen Beschimpfungen wich er ihm scheu aus. Dieser wurde dadurch des Verkehrs mit jemand überhoben, der in seinen Grundsätzen sich kaum von den Mitgliedern der von ihm angeworbenen sogenannten Kolonisationsgesellschaft unterschied.


   Achtzehntes Kapitel

   Der Indianersommer, die schönste Zeit des Herbstes, hatte eingesetzt. Tag auf Tag verstrich unabänderlich unter klarem, sonnigem Himmel, Tag auf Tag ohne jede andere Trübung als die des Höhenrausches, der von den über die unermeßlichen Grasfluren hinregenden Bränden zeugte.
   Die Brombeerranken und Sumachgesträuche hatten sich gerötet. Größer wurden die gelben Flächen in den Baumwipfeln; grämlich schauten die noch grünen, jedoch des Sommerglanzes entkleideten Blätter darein. Sie schienen sich danach zu sehnen, ebenfalls ihre Farbe zu verändern, durch Nachtfröste gänzlich abgetötet und von dem ersten besten Regensturm auf schwarzem Erdreich oder vergilbtem Rasen zur Ruhe gebettet zu werden.
   Auch in den Hain hinter dem schlichten Hause des alten Kunstschlossers war der Herbst eingekehrt, ohne indessen den von den altehrwürdigen Bäumen geworfenen Schatten erheblich verkürzt zu haben. Und Schatten hieß man noch immer willkommen, wenn auch nur in den Mittagsstunden. Im Grunde war dies die rechte Zeit für Menschen, die nach langwierigem schweren Siechtum den ärztlich beschränkten Aufenthalt in freier Luft suchten. So hatte King Bob seinen gewohnten Platz auf der Bank eingenommen, wo Mutter Hickup ihre Mußestunden mit der Umschau in ihren militärischen Erinnerungen zu verbringen pflegte.
   Ja, King Bob, der wilde Steppenreiter, war es in der That, der dort auf dem durch Rücken– und Seitenlehnen verbesserten Gestelle saß, sorglich gestützt mittels Polsterkissen, um wenigstens einigermaßen eine erträglich aufrechte Haltung zu bewahren. King Bob selber, den die vertrautesten Kameraden im wilden Westen kaum wieder erkannt hätten, so hager war die Hünengestalt geworden, so bleich sein Gesicht. Nur die Augen hatten, gleichsam als Vorboten einer zwar langsamen, jedoch sicheren Heilung, ihren alten lebhaften Glanz zurückgewonnen. Auch sein Simsonhaar war durch Bells Wachsamkeit mit genauer Not vor Mutter Hickups gieriger Schere bewahrt geblieben; aber sorgfältiger gepflegt war es, daß es in weichen Locken auf die Schultern niederreichte.
   Bei ihm befand sich Bertrand, der, in der Stadt wohnend, vor einer Weile herausgekommen war. Heute trug ihn die Absicht, zur eigenen Beruhigung zum erstenmal wieder den Versuch zu unternehmen, King Bob zu einer Reise nach dem alten Erdteil zu bewegen.
   Mit freundlicher Ruhe lauschte dieser den Schilderungen der ihm fremden Verhältnisse. Wies er aber in früheren Tagen jede derartige Zumutung trotzig, sogar in Begleitung von Drohungen zurück, so beschränkte er sich jetzt auf ein bezeichnendes Lächeln.
   »Geben Sie sich keine Mühe,« erwiderte er, und Spottlust verriet sich in den ehrlichen Augen, »denn was ich damals sagte, als ich noch keine andere Heimat kannte als den Pferderücken, gilt auch heute noch. Aber gern wiederhole ich: Meine Frau steht mir zu hoch, um sie der Gefahr auszusetzen, gemeinschaftlich mit mir unter den stolzen Verwandten als lächerliche Anhängsel einherzukriechen. Nein, nein, die Vorspiegelung der glänzendsten Zukunft scheitert an meiner Sehnsucht nach den fernen Weidegründen und meinem Rancho. Und jetzt schon, da ich als gerettet gelte, mein' ich, daß die Tage Wochen dauern, die Monate Jahre, bis ich nach alter Weise auf meinem Billy hinter Pferden und Rindern einhersprenge – verdammt! wundern soll's mich, wann ich zum erstenmal wieder den Fuß in einen Steigbügel hebe.«
   In diesem Augenblick trat Bell heran, vor sich ein gefülltes Glas tragend. Wie das weibliche Geschlecht im allgemeinen sich leichter in neue Verhältnisse einlebt und aus dem Beispiel anderer erfolgreich seine Lehren schöpft, hatte auch sie in der immerhin kurzen Zeit eine überraschende Wandlung erfahren. Nicht nur in der die kräftige tadellose Gestalt knapp umschließenden Bekleidung aus besseren Stoffen machte der neue Verkehr sich geltend, sondern auch in Haltung und Wesen. Auf dem reizvollen Antlitz, überragt von dem prachtvollen Haar, wohnte das Gepräge innerer Befriedigung, jene eigentümliche Würde, die man als von der Bezeichnung »Frau« abhängig nennen möchte.
   Mit einem glücklichen Lächeln, das ihr so lange entfremdet gewesen, begegnete sie den Blicken Bertrands, und King Bob das Glas darreichend, bemerkte sie heiter: »Mutter Hickup schickt es dir mit dem besten Gruß. Bei Todesstrafe soll ich bestellen, ein kräftiger Trunk zur außergewöhnlichen Zeit sei besser als den ganzen Tag gar nichts. Damit habe schon der selige Knockhimdown sich entschuldigt, wenn er zwischen dem ersten und zweiten Frühstück einen Grog zu sich nahm.«
   »Der alte Drache,« versetzte King Bob lachend, »was der dem seligen Knockhimdown aufs Gewissen wälzt, ist genug, um eine ganze Compagnie, wenn richtig verteilt, zu Helden zu stempeln.«
   »Aber sie meint es herzlich.«
   »Sehr herzlich, und ohne ihren Knockhimdown, dem sie alle die tausend Schrullen auf die Rechnung schreibt, die in ihrem eigenen queren Kopf geboren werden, möchte ich sie nicht sehen.«
   Bertrand hatte sich erhoben. Eine Weile betrachtete er noch die beiden jungen Leute in ihrem innigen Verkehr, dann trat er fort und schritt nach dem Hause hinüber.
   In der Werkstatt traf er den alten King in voller Arbeit, doch legte dieser bei seinem Anblick die Feile sofort zur Seite und ging ihm entgegen. Mit freundlichem Gruß reichte er ihm die Hand.
   »Ein halbes Stündchen verbrachte ich bei Ihrem Schützling,« eröffnete Bertrand das Gespräch, indem sie sich vor dem Werktisch niederließen, »zusehends wird er nicht nur kräftiger, sonder seine Gemütsstimmung nähert sich auch wieder der alten fröhlichen Sorglosigkeit.«
   »Er geht augenscheinlich seiner vollständigen Heilung entgegen,« bestätigte King in seiner träumerischen Weise, »bis zum Frühling wird er freilich noch bleiben müssen, um mit gutem Gewissen der anstrengenden Reise sich unterziehen zu dürfen.«
   »Noch einmal, und wohl zum letztenmal, nahm ich Veranlassung, die Möglichkeit eines Besuches bei seinen überseeischen Verwandten in Erwägung zu ziehen, überzeugte mich aber, daß nichts in der Welt ihn bewegen könnte, mit ihnen in irgend welchen Verkehr zu treten.«
   King runzelte die Brauen, bemerkte aber gelassen: »Wozu ein durchaus richtiges Gefühl ihn bestimmt. Hätte es in der Absicht seines Vaters gelegen, die Beziehung zu ihnen durch den Sohn wieder auffrischen zu lassen, so wäre ich sicher mit den entsprechenden Weisungen und Ratschlägen versehen worden. Dies alles ist jetzt erledigt. Seine Zukunft verspricht eine glückliche zu werden, dies ist mehr, als ich jemals von ihm erwartete.«
   »Fern sei es von mir, gegen Ihr Urteil Einwendungen zu erheben,« versetzte Bertrand zögernd, »dagegen liegt anderes mir schwer auf der Seele, und Ihnen, dem Freunde des Verschollenen, gegenüber zaudere ich nicht, ein offenes Bekenntnis abzulegen. Da frage ich, was soll ich meiner gütigen Gönnerin antworten, die so zuversichtlich auf meine Treue baut, wenn sie brieflich oder mündlich die Frage erhebt: Sind Sie der mit tiefer Sorge erteilten Aufträge eingedenk geblieben?«
   »Ich dächte, es genügte, wenn Sie alle Ihre Erlebnisse auf dieser Seite des Ozeans gewissenhaft schilderten.«
   »Es genügt nicht, nein, es genügt nicht, solange ich nicht in der Lage bin, meine Schilderungen zu begründen.«
   Nachdenklich sah King vor sich nieder. Plötzlich fragte er, wie aus einem Traume erwachend: »Ist jene Wolfrade so mißtrauisch?«
   »Mißtrauen liegt nicht in ihrem Charakter. Sie ist zu edel denkend, um derartigen Regungen auch nur den kleinsten Spielraum zu gewähren. Allein wenn man erwägt, daß Sie mit ganzer Seele an die Hoffnung der Wiederkehr wenigstens des jungen Pardelstein sich anklammerte, daß die weitreichendsten Pläne zur Begründung seines Glückes sie erfüllten, Tag und Nacht beschäftigten, dann aber jene Hoffnungen mit rauher Hand jäh vernichtet werden, um eine peinvolle Leere in ihrem Innern zurückzulassen, so liegt die Befürchtung nahe, daß Mißtrauen keimt und schnell zu einer überwältigenden Macht emporwuchert. Und wie manche Zweifel, wie manche nicht unberechtigte Fragen müssen von dem ersten leisen Verdacht geboren werden und das in mich gesetzte unbegrenzte Vertrauen erschüttern. Wie aber soll ich in solcher Lage glaubhaft erklären, daß ich, gestützt auf die mir großmütig zur Verfügung gestellten Mittel, das Aeußerste aufbot, dem jungen Manne die Wege zu höherer Gesittung zu ebnen und vor allem seine Verheiratung mit der Tochter eines einfachen Squatters zu hintertreiben?«
   »Wodurch Sie ein Verbrechen an dem jungen Manne und seiner braven Frau begangen hätten,« wendete King eintönig ein.
   »Das zugegeben,« versetzte Bertrand eifrig, »könnte selbst dieser Umstand mich nicht von dem Verdacht der Vernachlässigung entlasten.«
   »Ihre Mitteilungen und Einwände bergen so viel Rätselhaftes in sich,« nahm King wieder das Wort, »daß es schwer wird, einen zur Lösung führenden Faden zu entdecken. Und wie läßt sich deuten, daß Ihre Gönnerin gerade für den Sohn des verstorbenen oder vielmehr verschollenen Pardelstein, die beide unbekannte Größen für sie geworden sein müssen, eine so auffällige, jedes verständliche Maß übersteigende Teilnahme an den Tag legt?«
   »Es giebt eine Deutung,« entschied Bertrand, »und ich stehe nicht an, vor jemand, von dem ich vielleicht weitere Aufschlüsse über die letzten Verfügungen des Verschollenen gewärtigen darf, ein der Vergessenheit entrissenes Geheimnis zu enthüllen: Fräulein Ecke war die Verlobte Ihres Freundes. Was entfremdend zwischen beide trat und schließlich den Bruch herbeiführte, erfuhr ich nicht. Wohl aber bin ich zu der Behauptung berechtigt, daß meine edelmütige Freundin nie aufhörte, den Ungetreuen mit der ganzen Kraft einer reinen Seele zu lieben. Und welchen vollgültigeren Beweis gäbe es wohl dafür, als den Umstand, daß die sicher vielumworbene alleinstehende Erbin unverheiratet blieb, dann aber das begeisterte Trachten, seinen Sohn zu sich heranzuziehen, um ihm alle diejenige Liebe zu teil werden zu lassen, die der Vater grausam verschmähte, gewissermaßen mit Füßen trat.«
   Nachdenklich, sichtbar von Zweifeln befangen, sah King durch das offene Fenster ins Leere. Erst nach einer Weile tiefen Sinnens erklärte er lebhafter: »Ich räume ein, durch den Verschollenen ausgiebiger über seine Vergangenheit unterrichtet worden zu sein, als bei unserer ersten Begegnung einem Fremden gegenüber durchblicken zu lassen sich für angemessen hielt. Ja, während unseres verhältnismäßig kurzen Beisammenseins hatten wir uns eng aneinander angeschlossen. Standen wir doch, bis auf den zwischen uns vermittelnden Knaben, beide gleich vereinsamt da. Unsere trüben Genüsse gipfelten daher in der gemeinsamen Vergegenwärtigung entschwundener Tage. Dadurch wurden wir mitteilsamer, als es sonst unserer Gewohnheit entsprach. Nachdem aber erst das Eis gebrochen war, schien es Pardelstein Bedürfnis geworden zu sein, wenigstens zu einem über seine traurigen Erfahrungen zu sprechen, und wer wäre da näher zu seinem Vertrauen gewesen als ich, der ich mich bereit erklärt hatte, Vaterstelle bei seinem Sohne zu vertreten. So entsinne ich mich genau, wie er unter dem Druck nie entschlummernden Grames mit inniger Wärme seiner Wolfrade gedachte. Er legte ihr die edelsten Eigenschaften bei, beteuerte, daß er mit ihr sehr, sehr glücklich geworden wäre, hätte sie nicht auf Grund eines durch unglückselige Fügungen herbeigeführten Zerwürfnisses ihm die Hoffnung auf ihren Besitze abgeschnitten. Wohl wäre ein Ausgleich möglich gewesen, allein da sie jeder Begegnung mit ihm absichtlich auswich, er also nur an mißverstandene Herzensregungen auf ihrer Seite glauben konnte, entschloß er sich, ein Verhältnis zu lösen, von dem vorauszusehen, daß es beiden Teilen nicht zum Segen gereiche. In diesen Anschauungen wurde er von verschiedenen Seiten bestärkt. Den sogenannten Vernunftgründen lieh er sein Ohr, und obwohl mit unverminderter Zuneigung an der Geliebten hängend, bequemte er sich auf die dringenden Vorstellungen dazu, bald nach Auflösung des Verlöbnisses gleichsam im Trotz eine andere zum Altar zu führen. Wie er beteuerte, war die Ehe eine unglückliche. Laut klagte er sich an, auf den Rat falscher Freunde gehört zu haben, die, gewissermaßen im Handel um die reiche Erbin, unzweifelhaft verwerfliche Zwecke verfolgten. Bei dem Mangel jeglichen Verständnisses zwischen den beiden Gatten wie in Erinnerung der Unvergeßlichen steigerte seine Reue sich in einem Grade, daß es ihm das Leben vergällte. Dem verbitterten Gemütszustande folgte der dumpfe Drang, die Verzweiflung um die verlorene Geliebte in einem Meer sinnloser Genüsse zu ersticken. Es endigte damit, daß er sein Vermögen wie das seiner Frau verspielte und vergeudete, und zum Schluß hätte er unfehlbar – diesem Eindruck konnte ich mich nicht verschließen – Hand an sich selbst gelegt, wäre seine Frau nicht gestorben. Dadurch hatte die Sorge für den einzigen kleinen Sohn sich auf ihn allein übertragen, ein Umstand, der ihn gewissermaßen wieder zu sich selbst brachte. Ueberraschen konnte es dann nicht, daß er unter Mitnahme des Kindes eine Umgebung floh, wo man sein Versinken in die traurigste Lage beobachtete und ihm selbst zum bittersten Vorwurf machte. Das weitere ist Ihnen bekannt. Sie werden also ermessen, daß wenn der Sohn des unglückseligen Verschollenen plötzlich dort auftauchte, außer Ihrer Gönnerin schwerlich noch jemand den verwilderten Eindringling mit freundlichen, nicht einmal mit nachsichtigen Augen betrachtete.«
   »Und doch hätte vielleicht ein einziges Wort genügt,« wendete Bertrand ein, »die zwischen zwei Menschen schwebende Wolke zu verscheuchen, deren gegenseitige Zuneigung eine ungetrübte glückliche Zukunft verbürgte.«
   »Ich kann es nicht glauben,« versetzte King zweifelnd, »zu überzeugend klangen Pardelsteins Worte. Doch was auch immer die Trennung herbeigeführt haben mag: er kann unmöglich mit dem Bewußtsein ins Grab gesunken sein, sie durch Mangel an Tiefe des Gefühls oder gar Untreue verschuldet und verdient zu haben.«
   Hier trat Schweigen ein. Sinnend betrachtete King die zwischen seinen Fingern sich spielend drehende Feile. Es war, als hätte er das Vernommene im Geist noch einmal vor sich vorüberziehen lassen, um es überhaupt begreifen zu können. Gespannt sah Bertrand auf ihn hin. Wohlthuend berührten ihn die unverkennbar freundschaftlichen Gesinnungen, die er dem Verschollenen über eine so lange Reihe von Jahren hinaus bewahrte. So scheute er auch, ihn in seinen offenbar schwermütigen Betrachtungen zu stören.
   »Armer Pardelstein,« lispelte King endlich vor sich hin, »dergleichen konntest du freilich nicht ahnen, oder dein Leben und das ihrige hätten einen anderen Verlauf genommen.« Er richtete sich auf, und Bertrand fest anschauend, sprach er etwas lebhafter: »Sie verrieten so viel warme Teilnahme für Ihre Gönnerin, bewiesen sie überzeugend durch den Eifer, mit dem Sie deren Wünsche zu erfüllen trachteten, daß die Frage nach den zwischen Ihnen schwebenden Beziehungen gewiß berechtigt erscheint.«
   Bertrand zögerte, bevor er antwortete: »Rückhaltslose Offenheit bin ich Ihnen schuldig. Bei Fräulein Ecke weilt seit frühester Kindheit eine verwaiste Nichte, deren liebevolle Ausbildung gewissermaßen die Lebensaufgabe der Vereinsamten geworden ist. Ich hatte das Glück, nicht nur in dem Hause zu verkehren, sondern auch Walheide – so lautet der Name jener Nichte – in verschiedenen Fächern zu unterrichte und ihr Wissen zu vervollständigen. Doch was soll ich sagen? Zu verwundern war es dann nicht, daß eine Neigung sich zwischen uns entwickelte, die zu einem innigen Herzensbunde führte. Mein ganzes Sinnen und Trachten war nunmehr darauf gerichtet, eine auskömmliche Stellung zu erringen. Dem Studium der Astronomie leidenschaftlich ergeben, entschloß ich mich, um meinen Gesichtskreis zu erweitern, einige der berühmtesten amerikanischen Observatorien zu besuchen. Es trug mich zugleich die Hoffnung, auf dieser Seite des Ozeans eine Professur zu gewinnen, um autrechten Hauptes vor Fräulein Ecke hintreten und um die Hand ihrer Nichte anhalten zu können. Fräulein Ecke, die das zwischen uns bestehende Verhältnis nicht ahnte, billigte meinen Plan. Und mehr noch: zu meinem Erstaunen hieß sie die Gelegenheit begeistert willkommen, durch mich Nachforschungen nach den verschollenen Pardelsteins anstellen zu lassen. Dann, nachdem sie mich über die Sachlage einigermaßen unterrichtet hatte, bot sie das Aeußerste auf, mir diese Aufgabe zu erleichtern. Um mich auf deren Spuren zu lenken, stand ihr leider nur der einzige Name Kansas zu Gebote, von woher vor vielen Jahren eine unbestimmte Nachricht nach Europa gelangte. Auf meine bereitwillig erteilte unbedingte Zusage förderte sie mit fieberhafter Unruhe meine Abreise. Dann aber gab es für mich kein Säumen mehr. Angesichts der schweren Trennungsstunde trat ich, Walheide an der Hand, mit einem offenen Bekenntnis vor sie hin. Wie ihren Sinnen nicht trauend, vernahm sie unsere beschwörenden Worte. Jede Linie ihres sonst stets freundlichen Antlitzes verriet Bestürzung, den Ausdruck einer herben Enttäuschung. Ich konnte es nur dahin deuten, daß wir ihre vielleicht schon lange gehegte Hoffnung, den jungen Pardelstein mit Walheide vereinigt zu sehen, jählings vernichtet hatten. Eine Weile verharrte sie sprachlos. Ihre strengen Blicke wechselten zwischen uns beiden. Sie schien aus unseren Zügen herauslesen zu wollen, was uns bewegte. Als aber Thränen Walheides Augen entstürzten, gelangte ihre unbegrenzte Herzensgüte voll zum Durchbruch. Sie in die Arme schließend, sprach sie sichtbar ergritten die unvergeßlichen Worte, die zugleich ein erläuterndes Licht auf ihren eigenen Seelenzustand warten. »Ehe ich dir Erfahrungen gönne, wie sie mein eigenes Leben vergifteten, entsage ich gern allen Plänen und Hoffnungen, bei denen ich vermessen nur meinen eigenen Anschauungen Rechnung trug.« Dann zu mir gewendet: »Das Geschick hat gesprochen, und segnend billige ich eure beiderseitige Wahl. Sie aber werden jetzt mit doppeltem Eifer und doppelter Gewissenhaftigkeit an die ernste Aufgabe herantreten, ohne deshalb das Ziel aus den Augen zu verlieren, das Ihnen in meinem Liebling verheißend zulächelt.«
   Zweifelnd, wie in dem Bewußtsein, in seinen Mitteilungen seine Person mit allem, was ihn einst bewegte, zu weit in den Vordergrund geschoben zu haben, brach Bertrand ab und sah vor sich nieder. Auch King, der so lange mit ernster Teilnahme lauschte, schwieg. Aber seine Blicke ruhten auf dem geneigten Haupt, wie um sich mit den in demselben webenden Gedanken zu befreunden.
   »Jene Walheide ist unzweifelhaft eine liebliche, begehrenswerte Erscheinung,« bemerkte er endlich träumerisch.
   Bertrand fuhr auf. Sein Antlitz erglühte, indem er anhob: »Lieblich wie ein sonniger Frühlingsmorgen, begehrenswert wie der tröstlichste Schatz für jeden, der einmal in ihre freundlichen Augen schaute, nur einmal ihr kindlich süßes Lachen hörte. Und dennoch, wo bleiben alle diese hohen Vorzüge gegenüber den Eigenschaften ihres goldenen Herzens und den sanften Gemütsregungen?«
   King wiegte das Haupt nachdenklich und versetzte, wie zu sich selbst sprechend: »Nein, nein, dieses holde Kind wäre sicher keine Lebensgefährtin für den rauhen, stürmischen Gesellen gewesen. Im übrigen brauchen weder Sie noch Ihre Gönnerin um ihn zu sorgen. Als ich ihn als Pflegesohn zu mir nahm, gingen die Pflichten seines Vaters auf mich über, und die sollen gewissenhaft erfüllt werden. Frei und unabhängig, durch keine fremden Verhältnisse beengt, sollen er und seine vortreffliche junge Frau nur ihren Neigungen gemäß leben, ein Glück genießen, wie ein solches ihnen schwerlich jemals in den verwegensten Träumen vorschwebte und ihnen auf keiner anderen Stelle geboten werden könnte. Von seinem verstorbenen Vater aber weiß ich, daß er betreffs der Zukunft seines Sohnes vollkommen einverstanden mit mir wäre. Doch genug für heute. Ueber das weitere beabsichtige ich zu einer anderen Zeit mit Ihnen zu sprechen und solche Aufklärungen zu erteilen, daß Sie des Wiedersehens mit Ihrer Gönnerin fernerhin nur noch mit freudiger Zuversicht gedenken.«
   Er erhob sich, für Bertrand ein Zeichen, den heutigen Besuch als beendigt zu betrachten. Bis in den Hain hinaus gab King ihm das Geleite. Als sie dort eintrafen, saßen King Bob und Bell noch immer traulich beisammen. Mutter Hickup hatte sich ihnen zugesellt und neben ersterem Platz genommen. Während ihre Blicke auf Independence, dem lieblichen Soldatenkinde, und einem stattlichen jungen Manne in Dragoneruniform ruhten, die Arm in Arm vor ihr standen, erglühte ihr ehrliches Korporalsgesicht in heller Befriedigung um die Wette mit der dampfenden Thonpfeife.
   Bei Kings und Bertrands Erscheinen grüßte der Dragoner mit militärischem Anstände, wogegen Independence vor lauter Glückseligkeit und Verschämtheit lachte, daß die Mehrzahl ihrer prachtvollen Zähne sichtbar wurde.
   »Eben erhielt ich die Nachricht,« wendete Mutter Hickup sich freudestrahlend an King, »der lustige Jerry bleibt. Auf Ihre Verwendung wurde der Abschied ihm bewilligt. Es hat alles so sein sollen. In Fort Riley mußten wir ihn als Lazarettgehilfen vorfinden. Als solcher mußte er den Bob bis unter das Dach seines berühmten Vaters eskortieren, und schließlich mußte Independence nachgeben, als er ihr mit guten Worten kam. Leider hat der Schlingel sich in den Kopf gesetzt, in einem Kaufmannsgeschäft anzumustern. Denn was ist ein Kaufmann? Bei Gingo! Den hat unser Herrgott im Zorn geschaffen, behaupte ich, als seine Arme bereits vollzählig war und für Krämer sich kein Platz mehr fand.«
   »Zu einem jungen Ehestand gehört Geld,« wendete Bertrand lachend ein, »und ein Kaufmann, der lange genug diente, um mit Subordination und Disziplin vertraut zu werden, erwirbt es leichter als jeder andere.«
   »Recht so, mein junger Mann,« bestätigte die tapfere Korporalswitwe nunmehr mit einem kühnen Strich durch ihr kurzes Gelock, »dazu würde sogar mein seliger Knockhimdown Ja und Amen sagen, und ich wäre die letzte, Hader drum zu schüren.«
   Bertrand reichte ihr die Hand und nannte sie seinen getreuen Kameraden, wofür sie geschmeichelt dankte, und eine neue Mahnung an den unsterblichen Knockhimdown wäre sicher gefolgt, hätte er sich nicht verabschiedet und eiligst den Rückzug nach der Stadt angetreten.
   Nach dem herbstlich farbenreichen Hain aber, in dem fünf glückliche Menschen der Zukunft wie eines sich vor ihnen öffnenden Paradieses gedachten, sandte die tief im Westen stehende Sonne ihre goldenen Strahlen hinüber.
   Mit abendlich gedämpften Reflexen schmückte sie Baum und Strauch, schmückte sie das moosgrüne Dach des Hauses. Zu den frohen Familienmitgliedern unter den breitverzweigten Wipfeln drang sie dagegen nicht hindurch. Was bedurften die auch solchen Schmuckes? Schöner zierten sie die glühenden Wangen, die ihre Farbe auf dem nächsten Wege von den Herzen bezogen, zierten sie Entzücken und der innere Friede, die aus ihren Augen strahlten. –
   King war nach Bertrands Entfernung fortgeschlichen, als ob er in den fröhlichen Kreis nicht hinein gehöre. In der Werkstatt befand er sich. Das Haupt geneigt und die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt, wandelte er langsam auf und ab. Was in ihm wirkte, nachdem durch das Gespräch mit Bertrand die weit zurückliegenden Erinnerungen an den verschollenen Felix Pardelstein wachgerufen worden waren, spiegelte sich wohl in seinem farblosen Gesicht, allein unverständlich für jeden anderen.


   Neunzehntes Kapitel

   Wochen und Monate gingen dahin, ohne daß die friedliche Stille im Kingschen Hause eine ernste Störung erfahren hätte. Nach wie vor regierte die energische Korporalswitwe streng militärisch darin; nach wie vor beschäftigte King sich unermüdlich in der Werkstatt, wo Bertrand ihm vielfach Gesellschaft leistete. Er war noch stiller und einsilbiger geworden. Eine gewisse träumerische Ruhe wollte nicht aus seinem Wesen weichen. Sie grenzte zeitweise an Zerstreutheit, so daß Bertrand den Eindruck gewann, als ob er bereue, mit seinen Schilderungen aus vergangenen Tagen bis zur äußersten Grenze gegangen zu sein.
   Bestärkt wurde er in diesem Verdacht dadurch, daß er offenbar geflissentlich vermied, auch nur einmal den Namen Pardelstein auszusprechen oder mit einem Wort an King Bobs Lage zu rühren.
   Dieser erholte sich inzwischen unter der treuen Pflege Bells von Tag zu Tag schneller, und die Zeit war absehbar, in der er auf einem Pferderücken sich wieder heimisch fühlen würde. Wohlthätig wirkte zugleich dies Bewußtsein auf seine Stimmung ein, die nur dann vorübergehend eine Trübung erfuhr, wenn er King gegenüber trat und durch irgend einen Umstand an sein Verhältnis zu ihm erinnert wurde. Er nannte ihn zwar Vater, allein sorglos wie einst, bevor der wilde Unabhängigkeitssinn ihn zu beherrschen begann, klang es nicht. –
   Früher als es sonst seine Gewohnheit, hatte King sich in sein Schlafgemach zurückgezogen. Bei ihm befand sich Bertrand, den er aufgefordert hatte, noch eine Stunde mit ihm zu verbringen.
   »Durch Nacht zum Licht,« hob er eintönig an, nachdem sie einander gegenüber Platz genommen hatten. »Lange habe ich um einen Entschluß gekämpft und gerungen, jetzt aber will ich keine andere Nacht darüber hingehen lassen, mag es immerhin eine traurige Aufgabe für mich sein, ohne Ihnen vorher einen klaren Blick in Verhältnisse und Ereignisse geboten zu haben, die bis zur Stunde in undurchdringlichem Dunkel zu erhalten meine Aufgabe gewesen. Geschah es nicht früher, so ist es am wenigsten auf Mangel an Vertrauen zurückzuführen, vielmehr auf die mich bewegenden Zweifel über meine fernere Handlungsweise. Ist es doch der als verschollen geltende Felix Pardelstein selber, der jetzt zu Ihnen spricht –«
   »Ich ahnte es, ich ahnte es,« fiel Bertrand in seinem maßlosen Erstaunen ein, »verwarf indessen den sich häufenden Widersprüchen gegenüber den Gedanken daran ebenso schnell wieder als ungereimt.«
   »Widersprüche,« fuhr King mit einem schmerzlichen Lächeln fort, »die bestehen zu lassen mich oft die schwerste Ueberwindung kostete. Die näheren Umstände, die mich einst von der Heimat forttrieben, kennen Sie. Wohlbehalten erreichte ich mit meinem Söhnchen England, wo ich mich zur Reise über den Ozean rüstete. Zog ich die längere Fahrt auf einem Segelschiff einer Dampfergelegenheit vor, so bestimmte mich der dumpfe Drang, nicht zu bald in das mir unbekannte Treiben hineinzugeraten, wo, wie ich wähnte, die Wogen eines sich unaufhaltsam überstürzenden Weltverkehrs über mir und dem armen Kinde zusammenschlagen würden.
   Kaum an Bord, lernte ich einen Schotten und seine Frau kennen. Auch sie besaßen einen Sohn, ein munteres Kerlchen, das, etwas jünger als mein Lothar, bei jeder Gelegenheit kindlich treuherzig mir seine Vorliebe zu erkennen gab.
   Seit vier Tagen befanden wir uns auf See, als mein armer Junge erkrankte. Ihm zuliebe, für den Frau King – das war der Name der Familie – die zärtlichste Sorge trug, schloß ich mich enger an die guten Menschen an. Getreulich teilten sie sich mit mir in meine Befürchtungen und Hoffnungen; getreulich pflegte die junge Frau mit mütterlich leichter Hand den dahinsiechenden Kleinen und vertrat mich auf Stunden neben seinem Lager, wenn Jammer und Erschöpfung mich zu übermannen drohten. Doch wozu frommte alle Liebe, zu was die nimmer rastende Sorgfalt, mit der treue Augen die Atemzüge des kleinen Dulders überwachten? Zehn Tage schwankte die kindliche Seele zwischen dem schwächlichen Körper und den Wohnungen der Seligen, und dann – dann« – ein Schauder durchrieselte Kings oder vielmehr Pardelsteins Gestalt, sein Haupt sank auf die Brust. Er mochte indessen die auf ihm ruhenden Blicke schmerzlicher Teilnahme und banger Erwartung fühlen; denn wie von einem ihm vorschwebenden erschütternden Bilde sich gewaltsam losreißend, richtete er sich hastig empor und ruhiger floß von seinen Lippen: »und dann mußte ich mein Kind, meine einzige Hoffnung und Freude, dem Meere übergeben. Damit war das letzte Band gesprengt, das mich noch an die Welt fesselte. Grenzenlos war mein Schmerz. Was ich bei dem Gedanken litt, daß der vernichtende Schlag mir hätte erspart werden können, was ich litt, indem ich Vergleiche anstellte zwischen der Wirklichkeit und dem, was die rückwärts schweifende Phantasie vor mich hin rief, ist unbeschreiblich. Wähnte ich aber, fremdes Mitleid verschmähend, meinen Gram in mich verschließen zu können, so blieb das Mutterauge der Frau King nicht lange im Ungewissen über meine geistige Verfassung. Sie erriet vielleicht, daß den gänzlich Vereinsamten, der mit Gott und sich selbst zerfallen, nur ein leichter Entschluß von seinem Liebling tief unten auf schwarzem Meeresboden trennte. Und so rieben die beiden Gatten sich förmlich auf, mir freundlichen Trost zu spenden, meinen gebrochenen Mut neu zu beleben. Sogar ihren Kleinen wählten sie als Mittel, mich allmählich wieder mit dem irdischen Dasein auszusöhnen. Ahnungslos, daß sie mir dadurch das Herz zerfleischten, setzten sie den sich rührend zutraulich Anschmiegsamen auf meine Knie. Zum Schutzgeist erkoren sie ihn gewissermaßen, der mich vor einem letzten Schritt der Verzweiflung bewahren sollte. Und doch waren sie, die so menschenfreundlich Gesinnten, selbst des Trostes so bedürftig, daß ich nicht auf sie hinsehen konnte, ohne von Jammer durchzittert zu werden.
   King, ein geschickter Mechaniker und Kunstschlosser, der daheim mit schweren Sorgen zu kämpfen gehabt hatte, befand sich nämlich in dem letzten Stadium einer unheilbaren Brustkrankheit. Beseelte ihn die Hoffnung, auf dem neuen Kontinent ergiebigeren Erwerb zu finden, so hatte die Zuversicht auf die heilende Wirkung einer langen Seereise seinen Entschluß, auszuwandern, zur Reife gebracht. Doch es sollte nicht sein. Denn Woche auf Woche ging zwischen Himmel und Wasser dahin, und mit jedem Tage wurde er elender und hinfälliger, bis er mir endlich heimlich eingestand, sein Ende nahen zu fühlen. Herzzerreißend waren die Klagen, daß nach seinem Hinscheiden die hinterlassene Witwe und ihr Kind in dem großen fremden Lande gänzlich hilflos daständen, herzzerreißend sein Flehen, mich ihrer zu erbarmen, sie mit Rat zu unterstützen, ohne den sie dem traurigsten Lose anheimfallen müßten.
   Obwohl selbst bis zum Sterben gebeugt und belastet, hätte ich, ohnehin in Dankbarkeit den guten Menschen ergeben, die Empfindungslosigkeit eines Felsens besitzen müssen, um bei solchen Vorstellungen ungerührt zu bleiben. Es schwebte mir sogar vor, in der Sorge für die unglückliche Mutter und ihr Kind, in dessen zärtlich blickenden Augen ich die meines eigenen Sohnes zu erkennen glaubte, Ablenkung von meinem düstern Brüten zu finden, zugleich eine Aufgabe zu übernehmen, die meinem Leben einen Zweck und damit einen neuen, wenn auch nur geringen Wert verlieh. Feierlich gelobte ich dem Aermsten, seinen letzten Wunsch und Willen gewissenhaft zu erfüllen, zur Bekräftigung darauf hinweisend, daß mir selbst daraus eine wohlthätige Befriedigung erwachsen werde.
   Von da an schloß ich noch herzlichere Freundschaft mit dem Kleinen. Wie auf King, blieb dies auch auf die ihre bangen Sorgen verheimlichende Mutter nicht ohne beschwichtigenden Einfluß. Unter heißen Thränen dankte sie mir immer wieder, so oft ich den munteren Knaben überwachte, während sie selbst in der Pflege des seinem Ende schnell entgegensiechenden Gatten sich verzehrte. Unendlich wohlthuend wirkte dann wieder auf mich ein, wenn ich beobachtete, daß King, schon seit Wochen ans Lager gefesselt, sich mehr und mehr beruhigte und mit dem Gedanken an das Unvermeidliche aussöhnte. Der Dank aber, den er mir in seinen traurigen, entsagenden Blicken darbrachte, wird mir unvergeßlich bleiben bis zum letzten Atemzuge.
   Wie das Befinden derartig dem Tode Geweihter, je näher dem Abschluß, zuweilen um so lebhafter, sogar verheißend aufflackert, erging es auch King. Da benutzte er denn eine dieser guten Stunden dazu, abermals über seine bevorstehende Auflösung mit mir zu sprechen. Während seine Frau auf meinen Rat draußen auf Deck mit ihrem Liebling frische Luft schöpfte, händigte er mir seine und der Seinigen Familienpapiere ein. Beigefügt waren eine Anzahl Zeichnungen und Beschreibungen, die sich auf Erfindungen bezogen, wie solche bei Ausübung des Gewerbes aus seinem Kopf hervorgegangen waren. Nur eine war vollständig erläutert, wogegen andere noch des Prüfens und Vervollständigens bedurften. Alle übergab er mir mit der Bitte, zu versuchen, ob sie in dem neuen Weltteil eine günstigere Beurteilung erfahren würden, als ihnen in der Heimat zugewendet wurde. Auch das sicherte ich ihm zu, mich zu seiner Befriedigung darauf berufend, schon im Knabenalter, zwar nur spielend, mit Mechanik mich eifrig beschäftigt zu haben.
   Abermals gingen einige Tage dahin, und die Fahrt zweier Wochen trennte uns noch von New York, als ich des Nachts an das Lager des Sterbenden gerufen wurde. Ich kam gerade noch früh genug, um einen letzten matten Händedruck von ihm in Empfang zu nehmen und das ihm erteilte Versprechen aus vollem Herzen zu erneuern. Er hatte mich verstanden; das verkündete der eigentümliche Zug des Friedens, der auf seinem abgezehrten Antlitz erstarrte.
   Der Knabe schlief. Es störte mich also nichts, der verzweifelnden Witwe meine Aufmerksamkeit ausschließlich zuzuwenden und sie vor allen Dingen über die Zukunft ihres Kleinen zu beruhigen. Auf meine Beteuerung, ihn an Kindesstatt anzunehmen, wurde sie gefaßter, so gefaßt, daß es mich beängstigte. Sie herzte und küßte ihn wohl, jedoch trockenen Auges und wie geistesabwesend. Dann übergab sie ihn mir, um bei den Vorbereitungen zur Bestattung des Toten mit Hand anzulegen und ihm den letzten Liebesdienst zu erweisen.
   Es war unterdessen Tag geworden und das unabweisliche Ereignis, dessen ich mit Bangigkeit gedachte, sollte stattfinden. Als man die in Segeltuch eingenähte Leiche auf Deck schaffte, nahm ich den Knaben auf den Arm, bevor er deren ansichtig geworden. Um ihn nicht Zeuge des Versenkens und der etwaigen Wehklagen der Mutter werden zu lassen, ging ich mit ihm nach dem Vorderschiff hinüber. Ich hörte noch das kurze Gebet, das der Kapitän über den auf einem Brett nach der Brüstung hinaufgeschobenen Toten hin verlas. Es folgte das Brausen, unter dem die Fluten sich über dem Hinabgesendeten schlossen. Gleich darauf wiederholte sich das unheimliche Geräusch, und über das Schiff hin schallte der durch Mark und Bein dringende Ruf: »Mann über Bord!«
   Wem er galt, ich brauchte nicht danach zu fragen. Jede andere Rücksicht, selbst die Liebe zu ihrem Kinde mißachtend und den Eingebungen wilder Verzweiflung nachgebend, war die Mutter dem Gatten in die Ewigkeit gefolgt, ich selbst aber der väterliche Beschützer des verwaisten Knaben geworden.
   Als wir vierzehn Tage später landeten, hatte der kleine Robert sich bereits so eng an mich angeschlossen, daß er nach Mutter und Vater kaum noch fragte. Es verwischten sich die Erinnerungen an sie um so schneller, nachdem er sich daran gewöhnt hatte, mich Vater zu nennen. Und was im Bereich meines Könnens lag, ihm die Eltern zu ersetzen, das bot ich redlich auf.
   Ich übergehe, zu welchen Mitteln ich griff, die letzten Spuren hinter mir zu verwischen und in der Heimat zu den Verschollenen gezählt zu werden. Aus der Doppelgestalt, in der ich anfänglich auftrat, ging ich schließlich als der Kunstschlosser Thomas King hervor. Dann bewirkte ich durch den Wechsel meines Wohnsitzes ohne Mühe, daß die anfänglich bedachtsam geschürten Gerüchte, den Sohn des verschwundenen Pardelstein angenommen zu haben, verstummten. Der junge Robert King fuhr freilich am besten dabei; denn nichts verabsäumte ich, das auch nur entfernt zu seiner Wohlfahrt und Sicherstellung seiner Zukunft beitragen konnte. Zu statten kam mir nebenbei, daß ich, um die Hinterlassenschaft des verstorbenen King mit Gewinn auszunutzen, gewissermaßen gezwungen war, das Schlosserhandwerk zu erlernen. Dann gingen die Jahre ziemlich eintönig dahin. Die Arbeit mit ihren überraschenden Erfolgen wehrte dem Versinken in düstere Grübeleien. Es erquickte mein Auge der Anblick meines Schützlings, der zu einem Hünen heranzureifen versprach, wovon freilich die herbe Frage an das Schicksal unzertrennlich blieb, weshalb es nicht mein eigener Sohn, der die Leere an meiner Seite ausfüllte.
   Das ist also der vermeintliche Lothar v. Pardelstein. Ließ ich Sie bis zur jetzigen Stunde in der irrigen Ueberzeugung, so weiß ich, daß Sie der letzte wären, mein Verfahren vielleicht nachträglich noch zu verurteilen.«
   Bertrand, noch immer unter dem förmlich betäubenden Eindruck der ungeahnten Aufschlüsse, verneigte sich zustimmend. Vor seinem Geiste zogen die Ereignisse vorüber, die ihn in nähere Beziehung zu King Bob brachten. Es erstand vor ihm die Gestalt des verwegenen Steppenreiters. Er vergegenwärtigte sich das Rätselhafte in dem Verkehr des stillen Kunstschlossers mit seinem Pflegesohn, wie in dem Wesen des jungen Mannes, der seiner Herkunft sich bewußt zu sein glaubte und die ihm durch Geburt vermeintlich zugefallenen Rechte und Bevorzugungen mit Hohn zurückwies, und dahin sank die heimliche Scheu vor dem ersten Zusammentreffen mit seiner Gönnerin.
   »Die reichen Mittel, die mir aus den patentierten Erfindungen heute noch zufließen,« nahm Pardelstein nach einer Pause trüben Sinnens seine Mitteilungen wieder auf, »boten nur dürftigen Ersatz für das, was während der vielen Jahre unablässig an meinem Gemüt nagte und zehrte. Um so höher schätze ich dafür, durch sie befähigt worden zu sein, das dem verstorbenen King und seiner Frau mit in den Tod hinein gegebene Versprechen verhältnismäßig glänzend zu lösen.
   Durch Nacht zum Licht. Meine Aufgabe auf dieser Seite des Ozeans ist gelöst, eine andere trat an deren Stelle, eine Aufgabe, die erheischt, sie zu begleiten. Bringe ich aber durch mein Erscheinen vor der Teuren nur oberflächlich verharschte Wunden wieder zum Bluten, so steht dem der unheilbare Gram gegenüber, der sich täglich erneuerte, so oft ich meinen Pflegesohn, dieses Urbild männlicher Kraft und Schönheit, bewunderte und ihn unwillkürlich mit einem zarten hinfälligen Kinde verglich, dem ich einst mit zitternder Hand die erloschenen Augen zudrückte. Ein stilles Winkelchen in ihrer Nachbarschaft, wo ich Gelegenheit finde, zeitweise im Verkehr mit ihr den ermüdeten Geist zu erquicken und das gealterte Herz zu erfrischen, ist das einzige, das ich noch ersehne. Verrauschten aber die einst glückverheißenden Hoffnungen, verwehten die holden Träume unter den über sie hinwegströmenden Zeiträumen, so blickt dafür um so klarer das geistige Auge. Nicht mehr gehemmt durch jugendliche Ueberschwenglichkeit, entscheidet der Kopf, wo früher das Herz allein sprach. Sind es aber keine duftenden Blüten, aus denen wir Kränze der Erinnerung winden, so mögen es unverwelkliche Immortellen sein, mit denen wir die Gräber unserer holdesten Lebenshoffnungen schmücken.«
   Mit dem letzten Wort erhob er sich. Bertrand verstand ihn und schickte sich zum Gehen an. Bis vor die Hausthür hinaus gab Pardelstein ihm das Geleite. Schweigend trennten sie sich. Was sie bewegte, verriet der Druck, mit dem ihre Hände sich suchten.
   Der Winter war dahin, der Weckruf des Frühlings sollte erklingen, und es nahte der Tag, an dem die in Kings Hause Vereinigten zum letztenmal Auge in Auge einander gegenüber treten sollten. Westlich zog es King Bob und Bell mit unwiderstehlicher Sehnsucht; östlich stand der Sinn Pardelsteins und Bertrands, wogegen Mutter Hickup ihre Häuslichkeit so weit vergrößerte, daß Independence und ihr Auserkorener zu jeder Stunde ihre gemeinschaftliche Wohnung bei ihr fanden. Eine Woche vor dem zum Aufbruch bestimmten Termin wurde ihre Hochzeit in würdiger Stille gefeiert. Die eindringlichen Worte des Geistlichen erhielten demnächst noch eine besondere Bekräftigung durch Mutter Hickup, die unter Thränen der Rührung die guten Lehren über die einer jungen Frau geziemende Subordination und die Ehestandskriegsartikel im allgemeinen mit einem angemessenen Vorrat charakteristischer Weisheitssprüche aus dem Goldschatz des unsterblichen Korporals Knockhimdown durchschoß. Dann ging alles seinen gewohnten ruhigen Gang weiter, als ob höchstens ein milder befruchtender Regenschauer über das Haus und dessen Umgebung hingezogen wäre. Nur die Vorbereitungen zur Abreise beider Parteien wurden mit erhöhtem Eifer betrieben.
   King Bob und seine schöne junge Frau waren die ersten, die ihre Fahrt den Missouri hinauf antraten. Zwei Tage vorher hatte Pardelstein seinen nunmehr wieder gänzlich hergestellten Schützling zur späten Abendstunde zu sich entboten. Zunächst händigte er ihm zu seinem starren Erstaunen einen auf seinen Namen und Santa Fe in Neumexiko lautenden Wechsel über achtzehntausend Dollars ein, mit dem Rat, das Geld in Grundbesitz oder zur Vergrößerung seines Viehstandes anzulegen. Dann vertiefte er sich in eine lange Erzählung, da beginnend, wo er ihn als hilflosen Knaben an sich kettete. Ueber seine Geburt erteilte er ihm die weitreichendste Auskunft. Zugleich übergab er ihm die darauf wie auf seine Eltern bezüglichen Papiere. Ferner rief er ihm ins Gedächtnis, wie er seiner Erziehung die peinlichste Aufmerksamkeit zugewendet habe, die Erfolge seiner Mühen und Sorgen zwar hinter den gehegten Erwartungen zurückgeblieben seien, er aber trotz mancherlei Täuschungen die Wendung nicht beklage, die sein Leben genommen habe. Er sei glücklich geworden, das genüge. Gelöst sei das seinen Eltern verpfändete Wort, und um die letzte Bitterkeit von ihm auszuscheiden, beteuerte er, was auch immer an bösen Erfahrungen er über sich habe ergehen lassen: es sei vergeben und vergessen. Ein herzliches, freundliches Andenken sei alles, was er von ihm erwarte.
   Während dieser Mitteilungen hatte King Bob anfänglich schüchtern, dann aber mit wachsendem Erstaunen gelauscht. Ernste Teilnahme prägte sich in seinen Zügen aus. Je weiter Pardelstein mit seinen Schilderungen gelangte, um so auffälliger trat ein eigentümliches Gepräge aufrichtiger Bewunderung und Dankbarkeit auf seinem Antlitz zu Tage, bis endlich Rührung es nur noch allein beherrschte. Immer wieder drückte er des väterlichen Freundes Hände, aus überströmendem Herzen beteuernd, daß nunmehr die letzten Zweifel von seinem Gemüt gewichen seien, kein beglückenderes Los ihm habe zufallen können, als es ihm von dem treuen Beschützer über alle Hindernisse hinweg bereitet worden.
   »Das höre ich gern von dir,« versetzte Pardelstein schwermütig, »es bedarf daher wohl nur einer Andeutung, um zu erreichen, daß du weder Mutter Hickup noch Independence mit dem vertraut machst, was zwischen uns zur Sprache kam. Von dem Gelde magst du ihnen erzählen, und ich weiß, sie freuen sich darüber; dagegen bleibst du vorläufig noch für sie mein leiblicher Sohn, schon allein um der unzähligen Fragen willen, mit denen sie in ihrer Teilnahme uns umbringen würden. So sollen sie auch erst nach meiner Abreise erfahren, daß dieses Grundstück ihr unumschränktes Eigentum geworden ist.«
   Mitternacht war längst vorüber, als sie sich voneinander trennten. Draußen strichen die ersten Frühlingslüfte durch die kahlen Wipfel des Hains. Der nahe Missouri rauschte geheimnisvoll, indem er, durch Aufnahme unberechenbarer Schneegewässer bis beinahe zu den Uterrändern emporgewachsen, die nachgiebigen Lehmwände eifrig benagte. Hin und wieder krachte und polterte es dumpf, wenn die auf seinem langen Wege entwurzelten Baumstämme wie die Trümmer zerstörter Treibholzinseln heftig zusammenstießen, gleichsam Arm in Arm weiterglitten oder, von der Strömung fester gepackt, herumschwangen und sich wieder voneinander trennten. Das Haus lag still. Es schien zu träumen von den nicht allzufern vor ihm liegenden Zeiten, in denen massive Bauwerke und Kunststraßen es gewissermaßen verschlingen sollten.
   Es ist Sonntag. Bruthitze verkündend, entsendet die Frühsonne ihre schrägen Strahlen über die Provinz Neumexiko. Der nächtliche Tau ist noch nicht vollständig verdunstet. Die von Pferden und Rindern belebten weitgedehnten Grastluren scheinen zu dampfen. Wie ein Flor hängt es vor dem blauen Santa Fe-Gebirge. Nahe der unregelmäßigen Waldgrenze taucht hie und da ein Rancho auf. Ein größeres Gehöft lehnt sich gewissermaßen an einen gesonderten Hain.
   Vor dem aus ungebrannten Ziegeln errichteten geräumigen, würfelähnlichen Wohnhause im Schatten der breiten Veranda sitzen Howitt und seine alternde Lebensgefährtin. Schon zur frühen Morgenstunde sind sie von ihrem, eine Viertelstunde entfernten Rancho herübergekommen. Andächtig waren sie einhergeschritten, als hätten sie sich auf dem Wege zur Kirche befunden. Zwischen den Knieen Howitts, noch immer das Urbild eines granitenen Squatters, steht ein vierjähriger blondgelockter Knabe, in kindlich zutraulicher Weise plaudernd und erzählend. Aufmerksam, als wären die kleinen Rosenlippen des Born ewiger Weisheit gewesen, lauscht Howitt. Immer wieder gleitet die harte Hand schmeichelnd über das dichte weiche Seidenhaar des Kleinen, und wo nur immer thunlich, nennt er ihn seinen eigenen Adam. Ein noch jüngerer Knabe sitzt auf der Großmutter Schoß und läßt als King Bob deren Liebkosungen mit unerhörtem Gleichmut über sich ergehen. Vor den alten Leuten steht Bell, auf den Armen ein liebliches kleines Mädchen, Bell in der vollen Anmut einer glücklichen Hausfrau und Mutter. Der Stolz, der sie angesichts der freundlichen Gruppe erfüllt, weicht allmählich vor einem träumerischen Ausdruck. Sie mag sich die Stunde vergegenwärtigen, in der sie mit ihrem Auserkorenen aus dem elterlichen Hause fortgewiesen wurde, sich fragen, ob der vor ihr sitzende alte Mann wirklich derselbe, der einst seine Vatergefühle grausam verleugnete.
   Wohl hatte die Trauer um den ihm meuchlerisch entrissenen Sohn an seinem Herzen genagt und dem verwitterten Gesicht das Gepräge tiefer Schwermut verliehen, doch nur so lange, bis sie ihm ihren Erstgeborenen darreichte, und dieser wie ein vom Himmel entsendeter Ersatz gerührt in Empfang genommen wurde.
   »Wo mag Bob zur Zeit weilen?« fragt sie, eine kurze Pause in dem Geplauder der beiden Knaben ausnutzend.
   »Er muß am Missouri eingetroffen sein,« antwortet Howitt. »Zwei Monate wird er so ziemlich mit dem Ochsengespann gebraucht haben.«
   »Ob aber wohlbehalten?« meint Bell besorgt.
   »Wohlbehalten,« entscheidet Howitt, »wer um die Wohlfahrt eines King Bob bangt, unterschätzt ihn, rechne ich.«
   Durch die Entfernung gedämpft, tönt das Läuten der Kirchenglocken von Santa Fé herüber.
   Howitt neigt das Haupt und sieht ernster auf seinen Liebling. Wie segnend ruht die schwielige Hand auf den lichtblonden Locken. Nachdem ihm im Laufe vieler Jahre in abgeschiedener Wildnis das Glockengeläute fremd geworden, kann er es nicht mehr hören, ohne jedesmal tief ergriffen zu werden. Umringen ihn nicht die schweren Mauern des Gotteshause und hört er nicht die frommen Worte des Geistlichen, so ist ihm doch, als habe er, in andächtiges Gebet versunken, vor einem Altar gekniet. Und der Himmel wölbt sich ja so blau und klar über ihm, und die Luft ist voll Sonnenschein. In dem nahen Hain singen und zwitschern die sorglosen Vögel ihre Jubellieder. Wie aus lichten Höhen, den Wohnungen der Seligen entsendet, schmiegen die kosenden Kinderstimmen sich zärtlich an sein altes Herz an.
   Der Tag, der in weiter Ferne King Bobs Angehörige unter dessen Dach einte, neigt sich dem Ende zu. Die sinkende Sonne blickt über den Missouri hinüber und vergoldet das Schindeldach des Hauses des alten Kunstschlossers und über dieses hinweg die Wipfel des schattigen Hains. Einzelne Strahlen sendet sie zwischen den Stämmen hindurch, wie die glücklichen Menschen suchend, die sich in heiterem Verkehr um den Tisch reihen.
   Den Ehrenplatz in der rechten Bankecke hat Mutter Hickup eingenommen. Neben ihr sitzt King Bob, das Bild eines selbstbewußten Karawanenführers. Von Kansas, der Endstation, hat er sich auf einige Tage fortgestohlen, um seinem alten Drachen einen kurzen Besuch abzustatten. Ihnen sitzen gegenüber der lustige Jerry, zur Zeit Prokurist, und seine Frau, das mannhafte liebliche Soldatenkind. Abseits auf dem Rasen tummeln sich ein vierjähriger Knabe und ein dreijähriges Mädchen mit dem noch immer erträglich rüstigen Kornett.
   King Bob hat eben die letzten, nicht mehr ganz jungen Briefe Pardelsteins vorgelesen, die von seinem und der zu ihm Gehörenden Wohlergehen zeugten. Daran anknüpfend, bemerkt er:
   »Mir erscheint es noch immer wie ein Märchen, daß der stille, anspruchslose Schlossermeister sich plötzlich in einen hochgeborenen Herrn umwandelte.«
   Mutter Hickup nimmt die Pfeife aus dem Munde, streicht ihr kurzes, fast ganz weißes Gelock mit einer ähnlichen Würde wie einst der berühmte Korporal seinen Schnurrbart und erklärt gelassen: »Ob Edelmann oder Grobschmied: auf das Innere kommt es an, wie schon der selige Knockhimdown zu sagen pflegte, wenn er eine erblindete schäbige Flasche auf ihren Inhalt prüfte.«
   »Und darin war er groß, was ihm sogar im Himmel noch angerechnet wird,« fügt King Bob verschmitzt lächelnd hinzu.
   Mutter Hickup wirft Independence einen bezeichnenden Blick zu, die alsbald ins Haus eilt, und mit der Pfeife über die Schulter auf King Bob weisend, fährt sie zu Jerry gewendet fort: »Immer noch der alte: verwegen, großmäulig und gottesfürchtig, und so wird's bleiben bis zum letzten Appell. – Knockhimdown!« ruft sie zu den Kindern hinüber.
   Der Name ist kaum ihren Lippen entflohen, als der Knabe emporschnellt, spornstreichs zu ihr eilt und sich militärisch in die Brust wirft.
   Mutter Hickup kehrt sich King Bob zu, und mit einer Strenge, aus der ihr inniges Behagen hervortönt, hebt sie an: »Das nennt man Disziplin, wie ich wünsche, daß das Goldkind, die Bell, sie dir allmählich eindrillen möge. Von dem unschuldigen Bürschchen aber magst du lernen, wie man beim Aussprechen eines großen Ehrennamens salutiert. Aber freilich, mancher lernt's nie, behaupte ich.«
   Noch lacht man, Beifall spendend, als Independence erscheint und eine Flasche nebst Gläsern auf den Tisch stellt. Die letzten Worte der Mutter hat sie gehört, und deren Seltsamkeiten freundliche Rechnung tragend, bemerkt sie zuvorkommend: »Ein kräftiger Trunk außer der Zeit ist besser als den ganzen Tag gar nichts.«
   Den Hut höflich lüpfend, fügt King Bob feierlich hinzu: »Wie schon der selige Knockhimdown behauptete, wenn er zwischen dem ersten und zweiten Frühstück einen Grog mischte.«
   Mutter Hickup nickt geschmeichelt. »Ein großes Wort, ein wahres Wort,« bestätigt sie, während sie die Flasche entkorkt und die Gläser füllt, und nach der Pause einer Minute das ihrige ergreifend, fährt sie fort: »Der erste Tropfen dieses edlen Madeiras gilt dem Andenken unseres unvergeßlichen Wohlthäters King v. Pardelstein, ihm und seinem jungen Freund Bertrand, dessen lieblicher Frau und ihrem hübschen Kindersegen. Dann aber der Erfüllung meines Wunsches, das Goldkind samt der ganzen Nachkommenschaft vor meinem Altwerden noch einmal wiederzusehen.«
   Die Gläser klirren. Der kleine Knockhimdown und dessen herbeigeeilte Schwester arbeiten sich unter dem Jubelgebell Kornetts nach dem Schoß der Großmutter hinauf, und dann folgt ein Herzen, Würgen und Mißhandeln, daß die tapfere Korporalswitwe, vor Wonne halb erstickt, in ihrer Not nicht weiß, wo sie mit der hochgehobenen brennenden Pfeife und dem in der anderen Hand gehaltenen halbvollen Glase bleiben soll.
   Die Sonne ist unterdessen tiefer hinabgesunken, infolgedessen sie zwischen den Stämmen hindurch eine freiere Aussicht gewinnt. Jetzt scheint sie still zu stehen, um, nachdem sie im Laufe des Tages auf ihrer Wanderung so viel Leid und Verrat unter dem ewig hadernden Menschengeschlecht beobachtete, vor dem Schlafengehen sich noch einmal so recht mit Muße an einer Scene heiligen Friedens und ungetrübten Glückes zu weiden. Sie hat ihren blendenden Strahlenkranz abgelegt, ist vor Freude ganz rot geworden.