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| Waldröschen VII. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 2
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Karl May
WALDRÖSCHEN VII. DIE ABENTEUER DES SCHWARZEN GERARD 2
1. Kapitel
Es war einige Tage später, da erzitterte die Ebene, die sich nördlich von Santa Katharina ausbreitete, unter dem Hufschlag galoppierender Pferde.
Eine Anzahl von dreihundert Reitern sprengte im Galopp über die freie, von kurzem, dünnem Gras bewachsene Prärie. Sie waren verschieden gekleidet und verschieden bewaffnet, schienen aber eine zusammengehörige Truppe zu bilden.
An der Spitze ritten drei Männer, zwei ältere und ein jüngerer. In dem älteren erkennen wir Pablo Cortejo, der jüngere war Josefa, seine Tochter, in Männertracht gekleidet und auch nach Männerart im Sattel sitzend. Es schien ihr dies nicht leicht zu werden, wie man aus ihrer unsicheren Haltung ersah. Der dritte war nicht ganz so alt wie Cortejo, hatte aber ebensoviel Erfahrung wie dieser. Sein Gesicht war nicht nur kein Zutrauen erweckendes, sondern geradezu ein häßliches und abschreckendes. Er war bewaffnet bis an den Hals und hatte ganz das Aussehen eines Mannes, mit dem nicht ungestraft verkehrt werden kann. Gerade jetzt schien sein Gesicht einen noch finstereren Ausdruck zu besitzen als gewöhnlich. Seine stechenden Augen musterten den Horizont und kehrten immer wieder mit einem unbefriedigten Blick auf die nächste Umgebung zurück.
Endlich stieß er einen lauten, gotteslästerlichen Fluch aus und fügte hinzu:
»Wann hat endlich dieser verdammte Ritt ein Ende, Señor Cortejo?« – »Geduldet Euch nur noch kurze Zeit«, antwortete dieser. »Wir werden sogleich links einbiegen und absitzen können.« – »Wo? Ich sehe doch die Hazienda nicht!« – »Blickt da scharf nach links hinüber! Seht Ihr den dunklen Streifen?« – »Ja. Was ist das?« – »Ein Wald.« – »Ein Wald? So meint Ihr, daß wir in einem Wald absitzen sollen?« – »Ja.« – »Warum?« – »Um uns auszuruhen und zugleich einen Kundschafter auszusenden.« – »Ihr seid wohl nicht recht bei Sinnen, ich bin kein Mann, der sich gern im Wald herumdrückt. Wozu einen Kundschafter, he?« – »Aus Vorsicht. Wir müssen erst sehen, wie es auf der Hazienda steht.« – »Das sehe ich nicht ein. Wozu diese lange Einleitung? Wir sind fast dreihundert Mann und brauchen nichts zu fürchten. Wir reiten einfach vor die Hazienda, dringen ein, töten, was sich uns widersetzt und sind dann die Herren des Ortes. Ich habe Euch meine Leute zugeführt, um in Eurem Dienst gute Beute zu machen, nicht aber, um uns in den Wäldern herumzudrücken.« – »Wer sagt Euch denn, daß Ihr das letztere tun sollt?« – »Ihr soeben.« – »So habt Ihr mich ganz verkehrt verstanden. Es handelt sich nur um einen kurzen Aufenthalt, nicht aber um ein längeres Bleiben im Wald.« – »Auch dieser kurze Aufenthalt ist unnötig.« – »Meint Ihr? Wie nun, wenn sich Franzosen auf der Hazienda befinden?« – »Alle Teufel, das ist wahr! Die kriechen überall herum. Aber ich denke, die Hacienda del Erina liegt so sehr einsam. Was wollen die Franzosen dort?« – »Ja, sie liegt einsam, aber doch immer auf dem großen Reitweg nach Coahuila. Da ist es sehr leicht denkbar, daß der Feind sich ihrer bemächtigt hat, um ein Etappenkommando hineinzulegen.« – »Dieses würde wohl nicht sehr stark sein.« – »Das steht allerdings zu erwarten; aber es ist zugleich höchst wahrscheinlich, daß in diesem Fall der Feind die Hazienda befestigt haben wird.« – »Hm, Ihr mögt recht haben. Senden wir also einen Boten ab, der Erkundigungen einzieht; aber wir wollen scharf reiten, damit wir rasch den Wald erreichen.«
Der vor den Reitern liegende Streifen trat deutlicher hervor und ließ sich schließlich als ein Forst erkennen, auf den die Pferde zuflogen. Es war derselbe Wald, in dem die früher erzählten Ereignisse geschehen waren. Als er erreicht wurde, drangen die Reiter ein Stück in denselben ein und ließen die Pferde unter Aufsicht weiden. Sie selbst lagerten sich auf dem Boden und zogen Lebensmittel hervor, die sie bei sich führten.
Die drei, die vorhin an der Spitze des Zuges geritten waren, saßen beieinander.
»Jetzt sucht einmal einen Mann heraus, auf den wir uns verlassen können«, sagte Cortejo. »Er muß Gewandtheit und Schlauheit besitzen.« – »Da kann ich den ersten besten nehmen. Meine Kerle sind alle gescheit. Vorher aber gilt es, uns klarzuwerden über das, was ich haben soll.« – »Ich denke, darüber sind wir bereits im klaren? Ihr bekommt ja Euren Sold.« – »Sold und Beute habe ich verlangt. Den Sold habt Ihr ehrlich bezahlt, die Beute aber hat bisher auf sich warten lassen. Wie steht es in dieser Beziehung auf del Erina?« – »Ganz gut für Euch. Ihr könnt alles nehmen, nur eins will ich für mich, und zwar die Kaufakten über die Besitzung.« – »Alle Teufel, Ihr seid kein dummer Kerl. Mit diesen Akten kommt ja wohl die ganze Besitzung in Eure Hände. Nun, mir und den Meinigen würde sie doch keinen Nutzen bringen. Die Gebäude können wir auch nicht in die Tasche stecken, aber von dem, was sich darin befindet, wird für Euch wohl nicht viel bleiben.« – »Das ist mir gleich, wenn ich nur die Kaufakten bekomme.« – »Und wie ist es mit den Bewohnern? Geben wir ihnen eine Kugel?« – »Das macht ganz, wie Ihr wollt.« – »Besser ist es, sie sind tot, dann können sie nicht mehr reden.« – »Meinetwegen! Zwei Personen aber müßt Ihr mir überlassen, den Haziendero Pedro Arbellez und eine alte Frau namens Hermoyes.« – »Was wollt Ihr denn mit ihnen?« – »Ich habe ein ganz besonderes Hühnchen mit ihnen zu rupfen.« – »So rupft nur zu, ich will Euch nicht im Weg stehen. Im Gegenteil, wo es sich um eine alte Frau handelt, bleibe ich gern so weit wie möglich entfernt. Wie weit ist es von hier bis nach der Hazienda?« – »In einer kleinen Stunde ist sie zu erreichen.« – »Wird man den Mann aufnehmen, den ich hinschicke?« – »Jedenfalls, wenn er sich nicht etwa vor den Franzosen fürchtet.« – »Das wird ihm nicht einfallen. Als was aber soll er sich ausgeben? Etwa für einen Vaquero, der in die Dienste des Haziendero treten will?« – »Nein, Pedro Arbellez ist ein Anhänger von Juarez, dem er es zu verdanken hat, daß ihm auch noch die Hacienda Vandaqua zugefallen ist. Der Mann mag sich für einen Boten ausgeben, der zu Juarez will.« – »Ah, nach El Paso del Norte?« – »Ja.« – »Von wem soll er denn gesandt sein?« – »Von einem der bekannten Anhänger des Juarez, vielleicht vom General Porfirio Diaz, der der berühmteste Parteigänger des Indianers ist.« – »Gut. Was aber dann weiter?« – »Der Mann wird als Bote des Generals das Vertrauen des Haziendero erringen und alles erfahren. Er wird hören, in welcher Weise die Franzosen, falls welche da sind, überrumpelt werden können. Um Mitternacht mag er also die Hazienda verlassen und vom Tor aus in ganz schnurgerader Richtung vorwärts schreiten. Da wird er uns finden, und wir können tun, was den Umständen nach das beste ist.« – »Dieser Plan ist nicht übel; ich werde gehen, um jemanden auszuwählen.«
Der Sprecher erhob sich und entfernte sich. Josefa hatte sich bisher schweigsam verhalten, jetzt sagte sie:
»Dieser Mann gefällt mir je länger, desto weniger. Dir auch, Vater?« – »Du hast recht. Er spielt den Anführer, der ich doch bin.« – »Man muß sich seiner entledigen.« – »Habe keine Sorge, Kind. Er wird mich nicht lange mehr mit seiner Dreistigkeit ärgern. Erst muß ich den Engländer haben, dann brauche ich den Kerl nicht mehr. Er verdirbt mir auch die Leute, die ich vorher bei mir hatte.« – »So glaubst du wirklich, daß wir den Engländer erwischen werden?« – »Ganz gewiß. Meine Nachrichten sind zu sicher.« – »Welch eine Wonne! Diese stolze Amy soll vor mir niederknien und mich weinend um Gnade bitten; ich aber werde sie mit Füßen treten. Diese Brut muß vernichtet werden. Was jedoch tun wir mit Pedro Arbellez?« – »Er muß die Kaufurkunde herausgeben und wird dann unschädlich gemacht.« – »Tot?« fragte Josefa, indem ihre Eulenaugen funkelten. – »Ja. Nur dann sind wir seines Schweigens sicher.« – »Und diese Marie Hermoyes?« – »Auch sie muß sterben. Sie ist zu tief in unser Geheimnis eingedrungen, als daß wir sie leben lassen könnten.« – »Du hast recht, Vater. Sterben müssen sie, aber nur nicht gleich.« – »Warum nicht?« – »Ist ein rascher Tod eine Strafe für sie? Können wir uns keine größere Genugtuung bieten? Können wir uns nicht an ihren Qualen weiden?« – »Ich nicht, du aber kannst es.« – »Warum du nicht?« – »Weil ich die Hazienda sofort verlasse, um nach dem Rio Grande zu reiten und Lindsay zu suchen. Ich lasse auf del Erina eine Besatzung zurück. Es werden sich auch diejenigen hinzufinden, die von meinen Agenten angeworben wurden. Du bleibst dann in der Hazienda zurück und vertrittst meine Stelle, bis ich wiederkomme. Ich hoffe, daß wir in kurzer Zeit genug Leute haben werden, um losbrechen zu können. Wenn ich die Franzosen angreife und als der Retter Mexikos auftrete, werden mir Tausende zuströmen.« – »Ja, Vater, du der Retter und ich die Retterin. Ich werde von ganz Mexiko verehrt und angebetet werden, denn ich werde mir eine Fahne machen und eine Rüstung kaufen, um mich wie die Jungfrau von Orleans an die Spitze der Armee zu stellen und in den blutigen Kampf zu ziehen.« – »Mädchen, bist du toll? Da wirst du ja erschossen!« – »Fällt mir nicht ein. Wenn das Schießen beginnt, geht man auf die Seite.«
Vater und Tochter konnten dieses höchst interessante Gespräch leider nicht fortsetzen, denn der Mexikaner kehrte zurück, nahm wieder bei ihnen Platz und benachrichtigte sie, daß der Bote, den er nach der Hacienda del Erina bestimmt habe, bereits abgeritten sei.
2. Kapitel
Die uns so wohlbekannte Hazienda hatte gegenwärtig noch ganz dasselbe Aussehen wie in früheren Jahren, bot aber heute einen nicht ganz friedlichen Anblick dar.
An einer jeden Ecke war eine Art Verschanzung aufgeworfen, auf der ein französischer Posten Wache hielt, und im Hof lagen eine ziemliche Anzahl Soldaten herum, die unter dem Befehl des Hauptmannes dazu bestimmt waren, die Hazienda zu beschützen.
Dieser Hauptmann saß droben in dem Speisesaal, den wir auch bereits kennen, und unterhielt sich mit dem Haziendero und dessen Freundin Marie Hermoyes.
Der Haziendero lag müde in einer Hängematte. Er war, seit er sein Kind verloren hatte, fürchterlich gealtert. Sein Haar war lang und schneeweiß, ja, es hatte fast den durchsichtigen Schein des Eises. Seine Gestalt war eingetrocknet und zusammengebogen. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der weit über hundert Jahre zählte.
Auch die alte Marie war ergraut, aber sie erschien weit rüstiger als ihr Herr.
Der Hauptmann war ein nicht zu alter Mann, aber ein Dutzendmensch, nicht gut und nicht böse, nicht klug und auch nicht dumm. Soeben hatte ihn ein Soldat verlassen, der ein versiegeltes Schreiben, das von einem Kavalleristen gebracht worden war, überreicht hatte.
»Verzeihung, daß ich öffne!« sagte er zu Arbellez. »Dienst geht allem vor.«
Damit machte der Hauptmann den Brief auf. Während er las, nahm sein Gesicht einen höchst gespannten Ausdruck an. Er legte endlich das Schreiben wieder zusammen, steckte es zu sich und sagte:
»Da erhalte ich eine Nachricht, die mir ebenso lieb wie unlieb ist.«
Arbellez blickte ihn an, ohne ihn durch eine Frage zum Sprechen aufzufordern. Er hatte während der Anwesenheit der Franzosen sich sehr wohl gehütet zu zeigen oder ahnen zu lassen, daß er ein Freund des Vaterlandes, ein Anhänger von Juarez sei.
»Ich weiß«, fuhr der Franzose fort, »daß Sie uns nicht feindlich gesinnt sind, und darum darf ich Ihnen sagen, um was es sich handelt. Sie wissen wohl, wie weit unsere Truppen das Land besetzt haben?« – »Bis Chihuahua«, antwortete der Haziendero mit einem unterdrückten Seufzer. – »Ja. Wir haben ein Bündnis mit den Komantschen geschlossen, die bereit sind, als irreguläre Kavallerie unserer Sache zu dienen. Nun haben Sie vielleicht gehört, daß der Expräsident Juarez bis an die äußerste Grenze des Landes geflohen ist?« – »Ja, bis El Paso del Norte.« – »Ihn auch von dort zu vertreiben, war unsere Aufgabe. Er mußte entweder gefangen oder hinüber nach Nordamerika getrieben werden. Das ist nun geschehen.« – »Ah, wirklich?« fragte Arbellez rasch. »Er ist – gefangen?« – »Nein, leider nicht.« – »Also vertrieben?« – »Ja. Paso del Norte befindet sich in unserem Besitz, wie mir hier gemeldet wird. Außerdem kennen Sie vielleicht ein Fort, das am Puercosfluß liegt und Guadeloupe heißt?« – »Ja, ich kenne es«, antwortete der Haziendero, noch aufmerksamer werdend. – »Auch dieses ist in unsere Hände gefallen.« – »Ich gratuliere, Señor.« – »Ich danke, Monsieur. Es befindet sich also die Nordgrenze ganz in unseren Händen. Wir haben da, wie ich gelesen habe, mehrere Siege erfochten. Paso del Norte und Guadeloupe sind unser. In einer Schlucht, die Teufelsschlucht genannt, haben wir einen Trupp von fast tausend Jägern und feindlichen Apachen aufgerieben, und endlich ist uns auch ein General der Union, ein gewisser Hannert, in die Hände gefallen, der Juarez Geld bringen sollte.«
Der Haziendero hatte Mühe, seinen Schreck zu verbergen.
»So haben Sie das Geld?« fragte er. – »Natürlich.« – »War es viel?« – »Man schreibt mir, daß es viele Millionen seien.« – »So gratuliere ich abermals, Señor Capitano.« – »Ich danke, Monsieur! Es steht ja gar nicht anders zu erwarten, als daß wir überall siegen müssen. Unsere glorreiche Armee hat an allen Orten der Erde ihre Schule erhalten. Wir haben in Afrika, Asien und Amerika gesiegt; Europa zittert vor uns; ein Juarez und ein Haufen wilder Apachen wird von uns einfach niedergetreten und zermalmt.«
Da trat ein Unteroffizier ein, der einen einfach und harmlos aussehenden Mann geführt brachte, und meldete:
»Mein Kapitän, dieser Mann ist soeben angekommen; er gab vor, mit dem Besitzer sprechen zu wollen.«
Während dieser Meldung war das Auge des Hauptmanns auf den Unteroffizier gerichtet. Dadurch gewann der Fremde Zeit, dem Haziendero einen unbemerkten Wink zu geben. Arbellez verstand diesen Wink allerdings nicht, aber er sagte sich, daß den Mann eine Absicht, die den Franzosen verborgen bleiben solle, herbeiführte, und beschloß, sich danach zu verhalten.
Der Offizier wandte sich an den Mann:
»Wir sind hier auf Etappe und dürfen also nicht jeden frei passieren lassen. Wer bist du?« – »Ich bin ein armer Vaquero, Señor«, antwortete der Gefragte. – »Woher?« – »Aus der Gegend von Castannola.« – »Was willst du hier?« – »Mein Herr hat Unglück gehabt Einige seiner besten Herden sind ihm mit den Büffeln davongegangen, und er braucht nun nicht mehr so viele Hirten als vorher. Er hat eine Anzahl derselben entlassen, und ich bin leider auch dabei. Ich kenne Señor Arbellez als einen Mann, der gut bezahlt und seine Leute gut behandelt; darum kam ich her, um zu fragen, ob ich nicht bei ihm in Dienst treten kann.« – »Hast du eine Legitimation, einen Entlassungsschein?«
Ein eigentümliches Lächeln ging über das Gesicht des Mannes, aber er antwortete bescheiden:
»Señor, das mag in Frankreich so gehalten werden, in Mexiko aber fragt man nicht nach solchen Dingen. Wollte ich ein Zeugnis verlangen, so würde ich ausgelacht« – »Ja, ich habe mich leider nicht nach Euren Gebräuchen, sondern nach meiner Instruktion zu richten. Ich darf hier nur solche Leute zulassen, die sich legitimieren können.«
Da legte sich der Haziendero ins Mittel. Er kannte zwar den Mann nicht sagte aber doch:
»Señor, bei diesem Mann ist eine Legitimation unnötig. Ich garantiere für ihn.« – »So kennen Sie ihn?« – »Ja.« – »Das ist etwas anderes, Señor. Kennen Sie auch seinen Namen?«
Der Haziendero beschloß, den ersten besten Namen zu nennen.
»Natürlich!« antwortete er. »Dieser Vaquero heißt Pablo Rebando. Sein Bruder hat bei mir in Dienst gestanden, und ich bin sehr mit ihm zufrieden gewesen.« – »So haben Sie vielleicht die Absicht ihn zu engagieren, Monsieur?« – »Allerdings.« – »Gut ich gebe Ihnen meine Erlaubnis dazu und werde seinen Namen in die Hausstandsliste, die ich über die Hazienda zu führen habe, eintragen.« – »Ich danke, Monsieur, und bitte um Verzeihung, daß ich Ihnen so viel Mühe bereite.« – »Ah, wenn man weiter keine Mühe hätte«, erwiderte der Offizier, indem er sich zum Gehen erhob, »so wäre es sehr bequem und leicht, Etappenkommandant zu sein. Was ich Ihnen noch sagen muß, ist daß ich vielleicht recht bald Abschied von Ihnen zu nehmen habe.« – »Das würde mir unendlich leid tun, Señor!« zwang sich Arbellez zu sagen. – »Es scheinen Truppenzusammenziehungen bevorzustehen, vielleicht eines großen, kräftigen Vorstoßes wegen. Es wurde mir in dem Brief der Befehl, mich bereitzuhalten.« – »Ist dies bald zu erwarten, Señor?« – »Heute und morgen noch nicht. Es vergehen ja Tage, ehe so ein Befehl aus Chihuahua oder Coahuila hier anlangen kann. Adieu jetzt, Señor!«
Der Offizier ging. Es war ihm gar nicht eingefallen, daß der große Truppenvorstoß und seine eigene Marschbereitschaft mit den erfochtenen Siegen, von denen er erzählt hatte, nicht in Einklang zu bringen seien.
Jetzt befanden sich Arbellez und Marie Hermoyes mit dem angeblichen Vaquero allein.
»Nun, mein Freund, ich hoffe, daß du mit mir zufrieden bist«, sagte der Haziendero zu ihm. »Ich habe deinetwegen eine Unwahrheit gesagt, was ich sonst niemals tue.« – »Ich danke Euch, Señor«, antwortete der Mann. »Ich denke, diese kleine Unwahrheit rechtfertigen zu können. Es war mir nicht gleichgültig, zu sehen, daß Eure Hazienda von den Franzosen besetzt ist.« – »Du wußtest das nicht?« – »Nein. Und als ich es erfuhr, glaubte ich doch nicht, von den Franzosen förmlich verhört zu werden. Eine Legitimation, ein Zeugnis in Mexiko. Es ist unerhört.« Der Mann lachte herzlich, und Arbellez stimmte ein. – »Nun sage mir aber auch, wer du bist«, meinte der letztere. – »Mein Name ist Armandos, Señor. Ich komme aus Oaxaca.« – »Aus Oaxaca? Ah, wo jetzt der helle Aufstand herrscht?« – »Ja. Ihr habt doch von General Porfirio Diaz gehört?« – »Viel, sehr viel, mein Freund. Er ist der tüchtigste und bravste General, den es jemals in Mexiko gegeben hat, und ein ehrlicher Mann dazu, was leider eine Seltenheit ist.« – »Nun, so wißt Ihr vielleicht auch, daß Diaz die Fahne gegen Frankreich erhoben hat.« – »Ich weiß es. Wie man erzählt, ist er siegreich gewesen?« – »Ja. Diaz hat überhaupt noch nie ein Treffen verloren. Er faßt die Franzosen im Süden des Landes an und wünscht nun, daß Juarez im Norden losbreche.« – »Wenn Gott nur geben wollte, daß dies möglich ist.« – »Warum sollte dies nicht möglich sein? Diaz hat mir wichtige Depeschen anvertraut, die ich dem Präsidenten bringen soll.« – »Ah, so bist du ein Bote des Generals?« fragte Arbellez erstaunt. – »Ja, Señor. Ich komme aus dem Süden und bin in einer Tour bis hierhergeritten.« – »Mann, das ist ein Meisterstück!« – »Da habt Ihr recht. Es war nicht wenig Schlauheit und Vorsicht nötig, um unentdeckt durch die von den Feinden besetzten Provinzen zu kommen. Ich bin vor Anstrengung halbtot und bedarf einen oder zwei Tage der Ruhe. Ihr wurdet mir als ein guter und treuer Patriot geschildert, und so beschloß ich, Euch um Gastfreundschaft anzusprechen.« – »Daran hast du sehr recht getan. Du bist mir willkommen, und ich denke, daß für dich und deine Depeschen nichts zu befürchten ist, trotzdem du bei mir mitten unter den Franzosen bist. Soll ich dir die Depeschen verwahren?« – »O nein, Señor. Das ist nicht notwendig. Sie sind bei mir so gut versteckt, daß sie niemand finden wird. Ich danke Euch sehr für euren guten Willen.« – »Es war gut gemeint; wo gedenkst du Juarez zu treffen?« – »In El Paso del Norte.« – »Dort ist er nicht mehr.« – »Wo sonst?« – »Ich weiß es nicht. Der Capitano hat vorhin die Nachricht erhalten, daß der Präsident aus El Paso vertrieben worden ist« – »Durch wen, Señor?« – »Durch die Franzosen.« – »Der Teufel soll sie holen. Nun wird meine Aufgabe doppelt schwer.« – »Das ist sehr richtig, lieber Freund. Willst du erfahren, wo Juarez sich befindet?« – »Ich muß nach El Paso und hoffe, es dort zu hören.« – »Dies ist aber sehr gefährlich für dich.« – »Ich bin die Gefahr gewöhnt, Señor.« – »Das will ich glauben. Wärst du furchtsam, so hätte Diaz dir nicht eine so sehr wichtige Angelegenheit anvertraut. Bist du gut beritten?« – »So leidlich, aber mein Pferd ist durch den weiten Ritt sehr heruntergekommen.« – »Nimm dir aus meiner Herde ein besseres.« – »Ich danke Euch, Señor, und werde euer Verhalten gegen Juarez zu rühmen wissen. Wollt Ihr mir sagen, wo ich mich hier aufzuhalten habe?« – »Das kommt ganz auf dich an. Bist du wirklich nur ein Vaquero?« – »Hm! Ich mußte mich für einen solchen ausgeben.« – »Gut, so mußt du dich auch in dieser Rolle zeigen. Ich habe dich in Dienst genommen, du wirst also bei meinen Vaqueros sein. Sie liegen entweder in einem Raum des Erdgeschosses oder draußen vor dem Haus.« – »Wird man mich ungehindert heraus– und hineinpassieren lassen?« – »Jedenfalls. Da du als Vaquero auftrittst, darf ich dich auch nicht bedienen lassen. Für Speise und Trank werden deine Kollegen sorgen. Hast du sonst noch einen Wunsch, so brauchst du ihn mir nur mitzuteilen.« – »Ich danke Euch, Señor. Ich brauche nichts als Ruhe und ein besseres Pferd. Beides habt Ihr mir bereits gewährt; ich bin zufrieden.«
Er zog sich zurück. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte Marie Hermoyes:
»Wißt Ihr, Señor, daß Ihr Euch da in eine gefährliche Sache eingelassen habt?« – »Gefährlich? Wieso?« – »Wenn nun die Franzosen entdecken, daß der Mann ein Bote von Diaz ist?« – »Das wäre sehr zu beklagen; aber was sollte es mir schaden?« – »Ihr habt ja gesagt daß Ihr ihn und seinen Bruder kennt« – »Das ist wahr. Aber ich sehe da noch keine Gefahr voraus. Kann ich denn wissen, daß dieser Mann, der in meine Dienste treten will, sozusagen ein Spion ist?« – »Hm. Habt Ihr ihn Euch richtig betrachtet?« – Ja.« – »Wie gefiel er Euch?« – »Wie er mir gefiel? Oh, ich bin kein Frauenzimmer, Señora«, lachte Arbellez.
Marie Hermoyes zuckte lächelnd die Achseln, fuhr aber in besorgtem Ton fort:
»So ist es natürlich nicht gemeint. Habt Ihr sein Auge betrachtet? Sein Blick war nicht gut, gar nicht gut.« – »Inwiefern?« – »So unstet.« – »Hm, ja. Sein Auge war sehr unruhig, es fuhr im Zimmer herum, als ob er etwas suche und doch nicht finden könne; das habe ich allerdings auch bemerkt.« – »Er hatte ein falsches, treuloses Auge. Ich könnte ihm kein Vertrauen schenken.« – »Das ist auch gar nicht nötig. Er ist ein Bote; er ruht sich bei uns aus und wird wieder gehen. Ob er einen guten oder bösen Charakter hat, das geht uns nichts an.«
Damit war die Sache abgemacht. Der gute Arbellez ahnte nicht, wie sehr Marie Hermoyes mit ihrem Mißtrauen recht hatte. Er sollte es leider erfahren.
Der Vaquero, der sich Armandos genannt hatte, gesellte sich unterdessen zu den Rinderhirten, die ihren Aufenthalt im Erdgeschoß hatten. Er erhielt zu essen und zu trinken und erfuhr im Laufe des Gesprächs alles, was er zu wissen beabsichtigte.
Später verließ er das Haus und begab sich hinaus auf das Feld, wo andere Hirten nach ihrer Gewohnheit am Feuer saßen. Hier vervollständigte er seine Erkundigungen, so daß er am Abend genügend orientiert war.
Nun streckte er sich in das Gras, wickelte sich in seine Decke und tat, als ob er schlafe. Niemand kümmerte sich um ihn, und das war ihm recht.
3. Kapitel
So kam Mitternacht heran. Die Vaqueros schliefen, und Armandos konnte sich entfernen, ohne daß sein Gehen auffiel. Er schlug, um von den französischen Posten nicht bemerkt zu werden, einen Bogen, bis er sich dem Eingang gegenüber befand, und schritt dann in schnurgerader Richtung in die Nacht hinein.
Er war noch gar nicht weit gegangen, so bemerkte er eine dunkle Masse vor sich.
»Halt. Wer da?« fragte halblaut eine Stimme.
Die dunkle Masse bestand aus den Leuten, die er suchte.
»Ich bin es«, antwortete er. – »Endlich.«
Dieses letztere Wort kam von Cortejo, der in der Nähe hielt und jetzt mit seiner Tochter und dem Mexikaner, der heute an seiner Seite geritten war, näher trat.
»Wie steht es?« fragte er. – »Schlecht und gut zu gleicher Zeit«, antwortete der Mann. – »Warum schlecht?« – »Weil die Hazienda von den Franzosen besetzt ist« – »Alle Teufel, das ist höchst unangenehm. Ich habe also recht gehabt. Sind es viele?« – »Ich habe gegen dreißig Mann gezählt« – »Dann ist es ja gar nicht so schlimm. Wer ist ihr Anführer?« – »Ein Capitano, der durchaus nicht wie ein großer Held aussieht.« – »Ich werde mit ihm fertig werden. Aber hast du nicht gehört, warum man auf den Gedanken gekommen ist, gerade die Hazienda zu besetzen?« – »Sie ist Etappenstation.« – »Das ist nicht gut. Es ist so, wie ich dachte. Die Hazienda liegt am großen Reitweg nach Coahuila. Wenn wir sie wegnehmen, werden wir bald wieder Besuch erhalten und uns tüchtig herumzuschlagen haben.«
Da meinte der mexikanische Anführer, der bisher geschwiegen hatte:
»Das müssen wir mit in den Kauf nehmen. Die Sache hat auch ihr Gutes. Indem wir diese Etappe fortnehmen, zerreißen wir die Verbindungslinie des Feindes. Das ist ein großer Vorteil für uns.« – »Recht habt Ihr. Es ist nur notwendig, eine so starke Besatzung in die Hazienda zu legen, daß diese uns nicht wieder genommen werden kann. Sie soll ja den Punkt bilden, von dem meine Operationen ausgehen. Wird sie gut bewacht?« – »Sehr nachlässig«, antwortete der Spion. »Es sind an den vier Ecken Schanzen aufgeworfen; auf jeder steht ein Posten; das ist alles.« – »Und die anderen?« – »Die liegen im Hof und schlafen.« – »Der Capitano auch?« – »Nein; der bewohnt ein Zimmer im Gebäude.« – »Kennst du es?« – »Nein. Ich wollte nicht unvorsichtig fragen. Der Kerl kann uns ja nicht entwischen.« – »Und wie steht es mit den Vaqueros?« – »Einige schlafen im Erdgeschoß und einige im Freien.« – »Hast du mit dem Haziendero selbst gesprochen?« – »Ja. Er ist ein sehr einfältiger Mensch; er glaubte alles, was ich ihm sagte. Übrigens brauchen wir uns vor seiner Tapferkeit nicht zu fürchten. Er ist krank und schwach, er sieht aus, als ob der Tod bereits hinter ihm stehe.« – »Wir werden keine schwere Arbeit haben«, meinte der Anführer. »Wir lassen die Pferde einstweilen zurück und schleichen uns vor. Die vier Posten werden mit dem Messer erstochen, daß sie keinen Lärm machen können, und dann geht es über die anderen her, alles möglichst ruhig mit dem Messer. Aber wie steht es mit den Vaqueros? Töten wir sie auch?« – »Natürlich!« meinte Josefa. – »Eigentlich ist es nicht nötig«, versetzte Cortejo. »Ich werde Besitzer der Hazienda und brauche diese Leute zum Schutz der Herden.« – »So lassen wir sie meinetwegen leben«, meinte der Mexikaner. »Wir brauchen nicht gerade zum bloßen Vergnügen zu morden. Die Hauptsache ist, daß wir Beute machen, und da bleibt es natürlich bei unserer Abmachung, daß alles uns gehört, was sich in dem Gebäude befindet.« – »Den Haziendero und Marie Hermoyes ausgenommen«, sagte Josefa. – »Zugestanden! Laßt uns also beginnen.«
Einige Minuten später rückten die Leute gegen die Hazienda vor. Diese wurde umzingelt, und dann begannen die Mexikaner, die Planken vorsichtig zu übersteigen. Es sollte ihnen dies aber nicht so ganz unbemerkt gelingen.
Eben stand einer der Posten auf der Erhöhung und blickte in das beinahe undurchdringliche Dunkel hinaus, da war es ihm, als ob er ein unbestimmtes, eigentümliches Geräusch vernehme. Sehen konnte er bei dieser Finsternis nichts, daher legte er sich auf die Erde und horchte. Das Geräusch wurde jetzt stärker und bestimmter; es war ganz nahe, es klang wie Schritte vieler Menschen, und – da knackte es auch gerade vor ihm an den Planken.
»Halte-là. Qui vive?« rief er laut. »Halt, wer da?«
Er blieb vorsichtig am Boden liegen, hielt aber sein Gewehr schußbereit und lauschte auf eine Antwort. Es erfolgte keine. Einige Sekunden lang war alles still; dann war das Knacken der Planke von neuem zu hören.
»Wer da?« fragte er abermals. »Antwort, oder ich schieße!«
Da sah er gerade vor sich einen Kopf über der Planke erscheinen. Ein Mensch wollte hereinklettern. Rasch richtete er sein Gewehr empor und drückte ab.
Der Schuß knallte laut durch die Nacht. Die Soldaten, durch ihn alarmiert, sprangen von ihren primitiven Lagern auf und griffen zu den Waffen, aber bereits zu spät, denn als der Schuß erschollen war, rief draußen eine laute Stimme:
»Zum Teufel! Wie dumm! Aber hinein, vorwärts!«
Es war der mexikanische Anführer. Seine Leute gehorchten. Kaum hatten sie den Ruf gehört, so sprangen sie von allen Seiten über die Planken und fielen über die Franzosen her, die trotz der Dunkelheit leicht von den eigenen Leuten zu unterscheiden waren. Einige vergebliche Schüsse krachten; Flüche erschollen; ein Todesschrei ertönte hier und da; dann war es still.
An einigen Fenstern der Hazienda wurde es licht. Eins derselben wurde geöffnet. Der Kapitän, vom Schlaf aufgeschreckt, hatte schnell Licht angebrannt und blickte herab. Sein Kopf war im Schein des Lichtes deutlich zu sehen.
»Was gibt es da unten? Warum wird geschossen?« rief er herab. – »Um deinen Kopf zu sehen, Tölpel!« rief der Mexikaner von unten hinauf.
Bei diesen Worten zielte er empor und drückte ab. Seine Kugel fuhr dem Offizier mitten durch den Kopf. Es lebte kein einziger Franzose mehr.
Die Vaqueros, die im Erdgeschoß lagen, hatten sich beim ersten Schuß erhoben und sofort einige Kienspäne angebrannt. Sie eilten hinaus; aber bereits an der Tür trat ihnen Cortejo entgegen und sagte:
Zurück! Wir sind Freunde!« – »O Dios! Señor Cortejo!« rief ein alter Hirte, der ihn kannte. – »Ja, ich bin es. Wir haben die Franzosen niedergemacht Ich hoffe, ihr seid gute Mexikaner und haltet euch zu uns. Wo ist Arbellez?« – »In seinem Schlafzimmer jedenfalls.« – »Gib mir den Span!«
Der Alte ließ sich den langen, brennenden Span aus der Hand nehmen. Als er sah, wer hinter Cortejo folgte, rief er überrascht
»Señorita Josefa! Welch ein Wunder!«
Das Mädchen beachtete sein Erstaunen gar nicht. Sie folgte ihrem Vater nach oben.
Pedro Arbellez war natürlich von dem Schießen erwacht Er sprang aus dem Bett und brannte Licht an. Es ertönten mehrere Schüsse; es handelte sich also um ein ernstes Ereignis. Er warf sich, so schnell es ging, in seine Kleider und wollte seine Stube verlassen, als Marie Hermoyes eintrat
»Oh, Señor, was mag los sein?« fragte sie beängstigt – »Ich weiß nicht«, antwortete er. – »Das ist ja ein Kampf! Hört Ihr die Rufe?« – »Ein Kampf? Mit wem sollten die Franzosen kämpfen? Wer sollte die Hazienda überfallen? Es wird sich um ein Mißverständnis handeln.« – »Oh, dann wäre das Schießen bereits aus. Hörtet Ihr diesen Schrei? Mein Gott!« – »Santa Madonna, das war ein Todesschrei!« – »Jetzt wieder einer und noch einer!« – »Man kommt jetzt die Treppe empor. Wer mag es sein?«
Der Haziendero wollte hinaus, aber die Tür wurde bereits vorher geöffnet. Zwei Personen standen unter derselben, von einem Kienspan beleuchtet.
»Cortejo!« rief Arbellez erschrocken. – »Josefa!« rief Marie Hermoyes.
Sie hatte das Mädchen trotz der Verkleidung sofort erkannt.
Cortejo hatte ein gespanntes Pistol in der Hand, seine Tochter ebenfalls. Hinter ihnen wurden die finsteren Gestalten seiner Mexikaner sichtbar.
»Ja, ich bin es«, sagte er, eintretend und die Tür hinter sich und Josefa verschließend. – »Mein Gott, was wollt Ihr?« fragte Arbellez. – »Das werdet Ihr sogleich sehen. Setzen wir uns.« – »Ja, setzen wir uns!« fügte Josefa hinzu, indem sie auf einem Stuhl Platz nahm und mit ihren runden, kalten Eulenaugen die beiden erschrockenen Leute triumphierend betrachtete. »Wer soll das Verhör führen, Vater?« – »Ah, du willst dir einen Spaß machen«, sagte er. »Gut, sprich du!«
Damit lehnte Cortejo sich in eine Hängematte und warf den brennenden Span zu Boden. Dieser war hier unnütz, da ja ein Licht brannte. Während er mit der Pistole spielte, ruhte sein Auge mit dem Ausdruck des Hohnes und des Hasses auf Arbellez und Marie.
Seine Tochter setzte inzwischen den Hahn ihrer Pistole in Ruhe und sagte zu dem Haziendero:
»Ihr fragt, was wir hier wollen? Gericht halten wollen wir!« – »Gericht?« fragte er. »Über wen?« – »Über Euch und diese da.«
Bei diesen Worten zeigte Josefa auf Marie Hermoyes.
»Ihr scherzt, Señorita«, meinte Arbellez. »Wir haben Euch ja nichts getan. Ich bin erstaunt, Euch hier zu sehen, Señor Cortejo. Wollt Ihr nicht die Güte haben, mir Euer Erscheinen auf meiner Hazienda zu erklären?« – »Diese Erklärung werde ich Euch an Stelle meines Vaters geben«, erwiderte Josefa. »Habt Ihr in jüngster Zeit von uns gehört?« – Ja«, antwortete der Haziendero. »Darf ich es jedoch sagen? Ich habe es nicht geglaubt.« – »Sagt es! Ich befehle es Euch!«
Der Alte trat einen Schritt zurück und erwiderte:
»Ihr sprecht vom Befehlen? Jedenfalls bin ich es, der hier zu befehlen hat!« – »Da irrt Ihr Euch sehr«, antwortete Josefa stolz. »Ich bin jetzt Herrin der Hacienda del Erina, um welche Ihr uns betrügen wolltet!« – »Wenn Ihr in diesem Ton sprecht, werde ich meine Vaqueros rufen!« – »Ruft sie!« sagte Josefa höhnisch.
Arbellez trat wirklich an die Tür. Aber als er sie öffnete, blickten ihm die wilden Gesichter einiger Mexikaner entgegen, die von Cortejo den Befehl erhalten hatten, sich hierher zu postieren. Er fuhr erschrocken zurück:
»Wer ist das? Was wollen diese Leute?« – »Das ist meine Ehrengarde«, antwortete Josefa. »Ich will Euch sagen, daß wir mit dreihundert Mann die Hazienda überfallen haben. Die Franzosen sind getötet, und Ihr befindet Euch in meiner Hand.« – »Ich? In Eurer Hand? Ihr irrt Euch, Señorita. Ihr mögt die Franzosen überfallen und töten; ich aber bin ein freier Mexikaner, dem Ihr nichts anhaben könnt!« – »Ihr seid es, der sich irrt. Ihr seid kein freier Mexikaner, sondern unser Gefangener. Merkt Euch das! Beantwortet mir meine Frage von vorhin: Was ist es, was Ihr in jüngster Zeit von uns gehört habt?«
Pedro Arbellez konnte sich nur schwer in die Situation finden, sie war ihm fast unbegreiflich. Er sollte der Gefangene dieser beiden Leute sein? Früher hätte er sich zur Wehr gesetzt, jetzt aber war er alt, schwach und krank, es fehlte ihm die Energie der jüngeren Jahre; er sah die Waffen, die sich in den Händen der beiden befanden, er hörte ein wüstes Schreien, Rufen und Jauchzen, das jetzt durch die Räume der Hazienda erschallte, und das vermehrte seine Bestürzung.
»Antwortet!« gebot Josefa.
Und als Arbellez nicht sofort gehorchte, spannte sie den Hahn ihrer Pistole.
»Oh, Señor, redet, gebt Antwort! Ihr werdet sonst erschossen!« bat Marie Hermoyes. – »Ja, wenn Ihr beide mir nicht unbedingt gehorcht, werdet Ihr ohne Barmherzigkeit erschossen«, drohte Josefa, die sich in der Rolle eines Räuberhauptmanns ganz behaglich fühlte. »Also, was habt Ihr gehört?« – »Daß Señor Cortejo Präsident werden will«, antwortete Arbellez. – »Präsident? Pah! König will er werden! Ganz Mexiko soll ihm und mir gehören! Diese Hazienda wird von uns zuerst besetzt, denn sie ist unser Eigentum.« – »Sie ist das meinige!« – »Ihr lügt!« – »Ich habe sie gekauft!« – »Beweist es!« – »Ich habe es bereits bewiesen, ich besitze das Dokument des Kaufes.« – »Dieses Dokument ist gefälscht Ihr habt die Hazienda nicht gekauft Ihr habt sie vielmehr geschenkt erhalten, und die Kaufakten sind nur zum Schein ausgestellt worden.« – »Selbst wenn Ihr das Richtige erraten hättet, wäre die Hazienda mein Eigentum. Und selbst wenn mein Recht ein nichtiges wäre, fiele die Hazienda an den Grafen Rodriganda zurück, aber nicht an Euch.« – »Pah! Was dem Grafen gehört, gehört auch uns! Ihr versteht das freilich nicht!« – »Oh, ich verstehe und begreife das schon!« entgegnete Arbellez.
Der Zorn hatte ihn erfaßt, er begann daher mutiger zu werden.
»Ihr begreift es? Wirklich?« höhnt sie. »Wie unendlich klug von Euch!« – »Ja, ich begreife es«, antwortete er. »Ich kenne Eure volle Schlechtigkeit, ich durchschaue den ganzen, ungeheuren Schwindel.« – »So seid doch so gut, es uns mitzuteilen«, lachte Josefa boshaft. – »Der untergeschobene Graf Alfonzo ist ein Cortejo; darum glaubt Ihr, was den Rodrigandas gehört, gehöre auch Euch. Oder wollt Ihr leugnen?« – »Leugnen? Euch gegenüber? Ihr seid nicht bei Sinnen. Was ein Verrückter sagt, braucht weder bestätigt, noch geleugnet zu werden. Also Ihr habt die Hazienda wirklich gekauft, mein teurer Señor Arbellez?« – »Ja.« – »Ihr habt ein Dokument darüber?« – »Ja.« – »Wo?« – »Es ist gut aufgehoben.« – »Ich frage, wo!« – »Das ist lediglich meine Sache, nicht die Eurige.« – »Ihr irrt Euch abermals. Ich bin gekommen, das Dokument von Euch zu fordern.« – »Ah, Ihr wollt das Papier in Eure Gewalt bringen und mich dadurch um mein Eigentum betrügen? Das wird Euch nicht gelingen!« – »Ich werde Euch zwingen.« – »Versucht es.«
Da wurden Josefas Eulenaugen größer, und ihre Züge zeigten einen unaussprechlichen Haß. Sie sagte:
»Bringt mich nicht in Zorn, Alter! Eure Strafe würde fürchterlich sein. Ich verlange das Dokument. Wo habt Ihr es?« – »Ich wiederhole, daß Ihr es nicht erhaltet.« – »Ich werde es suchen.« – »Ihr werdet es nicht finden.« – »Ich stürze das ganze Haus danach um.« – »Es befindet sich nicht im Haus. Euer Suchen wird vergeblich sein.«
Da sprang Josefa vom Stuhl auf, ballte die Faust und zischte Arbellez entgegen:
»Ah, Ihr habt es nicht hier auf der Hazienda? Wo sonst?« – »Es liegt mit meinem Testament in sicheren Händen. Bemüht Euch nicht.«
Josefas Zorn wuchs, ihre Augen sprühten Blitze.
»Ein Testament habt Ihr gemacht? Ah, ist das wahr?« – Ja«, antwortete er. – »Und Ihr habt einen Erben eingesetzt, dem die Hazienda gehören soll?« – »Die Hazienda und alles, was dazugehört.« – »Wer ist es?« – »Testamentsgeheimnisse pflegt man nicht auszuplaudern, Señorita.«
Da stampfte Josefa mit dem Fuß auf und rief:
»Ich befehle Euch aber, es zu sagen.« – »Ihr habt mir nichts zu befehlen.« – »Das wird sich finden. Wenn Ihr mir nicht freiwillig antwortet, so werde ich Euch zum Reden zu zwingen wissen.«
Arbellez‘ ganze Energie war erwacht Er antwortete verächtlich:
»Ihr seid nicht die Person, die mich zu etwas zwingen könnte.« – »Nicht? Ah, Ihr glaubt wohl gar nicht daß sich die Hazienda in unserer Gewalt befindet?« – »Ich glaube es. Ich muß es ja, denn ich höre das Freudengeheul Eurer wüsten Bande, die bereits zu plündern beginnt« – »Hört Ihr es? Hört Ihr es wirklich? Ja, unsere Burschen sind nicht faul. Alles, alles, was sie finden, gehört ihnen, nur Pedro Arbellez und Marie Hermoyes sind unser Eigentum; diese beiden haben wir uns ausbedungen. Glaubt nicht, daß Ihr uns entfliehen oder entgehen könnt!« – »Ich weiß es. Wir befinden uns in der Gewalt zweier Teufel.« – »Zweier Teufel, ja, das ist der richtige Ausdruck. Ihr sollt sehen, wie es ist, wenn der Teufel mit einem umgeht Ich frage Euch zum letzten Mal, ob Ihr mir sagen wollt, wo sich das Kaufdokument befindet.« – »Ihr erfahrt es nicht.« – »Auch nicht, wer Euer Erbe ist?« – »Nein.« – »Ich werde Euch in den tiefsten Keller stecken.« – »Tut es!« – »Ich werde Euch foltern und auf alle Weise peinigen und quälen!« – »Versucht es! Gott wird uns schützen.« – »Gott wird sich um Euch nicht bekümmern. Ihr werdet verhungern müssen, langsam verhungern.« – »Ich fürchte den Tod nicht!« – »Oh, mein Alter, du sollst ihn fürchten lernen. Dein Tod wird ein schrecklicher sein. Ich werde dich peitschen lassen. Du sollst alle Qualen erleiden, die es nur geben kann!« – »Es wird sich ein Rächer finden!« – »Glaube das nicht. Wer will es wagen, sich an der Tochter des Königs von Mexiko zu vergreifen oder zu rächen!« – »Noch ist Euer Vater nicht König. Er wird es niemals werden!« – »Wurm, der du bist! Du bleibst also bei deiner Halsstarrigkeit?« – »Ja. Ich bin ein alter Mann. Ihr habt mir mein einziges Kind geraubt Ihr habt mit satanischer List das Glück ganzer Familien untergraben. Wenn Ihr mich zu Tode martert, wird Euer Gewissen nicht schwerer werden, aber ich verfluche Euch, und mein Fluch wird Euch treffen, wenn Ihr es nicht denkt!«
Josefa stieß ein höhnisches, aber gezwungenes Lachen aus.
»Ja, du bist ein alter Mann«, sagte sie, »du bist altersschwach, du weißt nicht mehr, was du redest. Aber wenn ich dir den Rücken zerfleischen lasse, so wirst du wenigstens das noch reden können, was ich von dir hören will. Mit dir bin ich nun fertig. Jetzt zu der anderen.«
4. Kapitel
Die alte, brave Marie Hermoyes hatte inzwischen mit Zittern und Beben dieser Unterredung zugehört. Sie kannte dieses Mädchen, sie wußte, was von Josefa zu erwarten war, die vor keiner Grausamkeit zurückschreckte. Jetzt kam die Reihe an sie. Sie erwartete mit Angst, was man ihr sagen werde.
»Warum bist du von Mexiko fortgegangen?« fragte Josefa. – »Ich wollte nach der Hazienda«, antwortete Marie. »Señor Arbellez war mein Freund.« – »Ah, in Mexiko hattest du keine Freunde? Hattest du denn nicht uns?«
Die Alte schlug verlegen die Augen nieder. Konnte sie sagen, daß sie durch die Angst von Mexiko vertrieben worden war? Aber Josefa kam ihr zu Hilfe:
»Du hattest Angst vor uns? Nicht wahr?«
Marie schwieg. Josefa aber fuhr fort:
»Du hattest recht, Alte. Wärst du in Mexiko geblieben, so lebtest du heute nicht mehr. Mexiko ist ein schlimmer, ungesunder Ort für Leute, die sich in die Geheimnisse anderer drängen. Es war klug, daß du flohst. Aber mit wem bist du gegangen?« – »Mit zwei Indianern.« – »Mit Indianern? Da hast du gute Gesellschaft gehabt. Doch das geht mich alles jetzt nichts an. Für heute habe ich einige Fragen für dich. Beantwortest du sie mir der Wahrheit gemäß, so wird dein Schicksal wenigstens kein so grausames sein, wie dasjenige dieses halsstarrigen Alten. Hast du gewußt, daß er ein Testament gemacht hat?« – »Ja«, antwortete Marie. – »Hat er mit dir darüber gesprochen?« – »Ja.« – »Weißt du, wer der Erbe wird?« – »Nein.«
Dieses »Nein« war in einem auffallend unsicheren Ton gesprochen, der Josefa auffiel. Darum fuhr sie die Alte an:
»Lüge nicht! Weißt du, wem er die Hazienda vermacht hat?« – »Ja«, antwortete jetzt die Gefragte zögernd. »Einer Verwandten.« – »Er hat noch Verwandte? Das habe ich gar nicht gewußt. Wo sind diese Verwandten?« – »Ganz im Norden des Landes.«
Marie Hermoyes blickte bei jeder ihrer Antworten Arbellez an. Er tat nicht, als höre er, was sie sagte.
»Im Norden?« wiederholte Josefa. »Wo?« – »In Fort Guadeloupe.« – »Das kenne ich nicht. Wo liegt das?« – »Am Rio Puercos.« – »Ah, dort oben. Weißt du, wer diese Verwandten sind?« – »Es ist ein Kaufmann, er heißt Pirnero.« – »Pirnero, den Namen wird man sich merken müssen. Und dieser Pirnero soll die Hazienda erben?« – »Er nicht, sondern seine Tochter.« – »Was du sagst! Er hat also eine Tochter, oder gar mehrere?« – »Nur eine einzige, namens Resedilla.« – »Ein schöner, poetischer Name. Man wird dafür sorgen, daß diese Resedilla auch Poetisches erlebt Weiß sie denn, daß sie Erbin werden soll?« – »Ja.« – »So ist sie hier gewesen?« – »Nein. Señor Arbellez bat vor kurzer Zeit einen Boten, einen Vaquero, zu ihr geschickt« – »Wirklich? Vor kurzer Zeit erst? So ist der Mann wohl noch gar nicht zurück?« – »Nein.« – »Das ist gut. Man wird ihn erwarten müssen. Welche Botschaft hatte er denn auszurichten?«
Marie blickte verlegen zu Arbellez hinüber. Dieser bemerkte es und sagte:
»Antwortet nur immer zu. Was Ihr wißt, mögt Ihr ruhig sagen. Ihr sollt meinetwegen nicht auch gepeinigt werden, Señora.« – »Du hast es gehört, also antworte!« drängte Josefa. – »Der Vaquero hat Señorita Resedilla zu bitten, nach der Hazienda zu kommen.«
Da machte Josefa eine triumphierende Miene.
»Ah, die Erbin kommt nach del Erina?« fragte sie rasch. – »Ja.« – »So soll sie würdig empfangen werden. Ich werde ihr zu dieser Erbschaft gratulieren. Warst du dabei, als Arbellez sein Testament machte? Wo hat er es getan?« – »Hier in diesem Zimmer.« – »Und wer war dabei?« – »Drei Señores, die geritten kamen und zwei Tage hier verweilten.« – »Woher waren sie?« – »Ich weiß es nicht« – »Lüge nicht Alte!« – »Señorita, ich kann es mit dem heiligsten Eid beschwören, daß ich es nicht weiß.« – »Hat Arbellez nicht davon gesprochen?« – »Nein.« – »Und du hast nicht danach gefragt?« – »Nein. Sie waren so vornehm, ich getraute mir nicht sie zu fragen.« – »Aber ihre Namen hast du doch gehört?« – »Nein.« – »Ihr müßt sie doch gerufen oder genannt haben!« – »Der eine wurde Señor Mandatario genannt.« – »Und die anderen?« – »Der erste war der Señor Advocatore und der andere der Señor Secretario.« – »So habt Ihr alle drei nur nach ihrem Stand benannt. Hat vielleicht einer von ihnen das Testament mitgenommen?« – »Ja, der Señor Mandatario.« – »Woher weißt du das?« – »Als er Abschied nahm, sagte er zur Señor Arbellez, daß das Testament ganz sicher liege.« – »Es könnte doch einer der Dienstboten oder Vaqueros ihn gekannt haben?« – »Keiner hat ihn gekannt« – »Er ist auch nicht wieder hier gewesen?« – »Nein.«
Cortejo hatte sich bisher behaglich in seiner Hängematte geschaukelt und den stillen Zuhörer gespielt, jetzt begann auch er, sich zu beteiligen.
»Laß das, Josefa«, sagte er. »Auf diese Weise wirst du nichts erfahren. Dieses Weib weiß nichts, aber Arbellez wird reden müssen. Wir sperren ihn in den Keller und geben ihm nichts zu essen und zu trinken. Hunger und Durst tun weh, sie werden ihn schon zum Sprechen bringen. Er wird uns sagen, wo sich die Kaufakten befinden, er wird uns sogar die schriftliche Bescheinigung aufsetzen, daß diese Akten uns ausgehändigt werden sollen.« – »Und damit willst du warten, bis ihn der Hunger oder der Durst zwingt?« fragte sie. – »Ja. Oder weißt du etwas Besseres?« – »Gewiß. Ich hoffe, daß du mich tun läßt, was ich will, Vater!« – »Erst muß ich wissen, was es ist.« – »Du sollst es erfahren. Zuerst aber noch eine Frage an den da.«
Josefa wandte sich abermals zu Arbellez:
»Hat der Mandatario wirklich Euer Testament?« – »Ja.« – »Woher ist er, und wo wohnt er?« – »Das werdet Ihr nicht erfahren. Mein Unglück hat mich vorsichtig gemacht, ich ahnte, daß es noch nicht zu Ende sei, und bat daher jene drei Señores, keinem Menschen wissen zu lassen, wer sie seien. Sie haben diesen Wunsch erfüllt.« – »So ist es wohl auch dieser Mandatario, der die Kaufakten aufbewahrt?« – »Das werde ich Euch nicht sagen.« – »In zehn Minuten werde ich es dennoch wissen, denn ich werde Euch jetzt so lange prügeln lassen, bis Ihr redet. Ich frage Euch also zum letzten Mal!« – »Laßt mich alten Mann schlagen! Ihr seid eine Furie, ein nichtswürdiges Geschöpf, das nicht wert ist, von der Sonne beschienen zu werden.« – »Hörst du es, Vater?« fragte Josefa ergrimmt. »Er soll Hiebe haben.« – »Das hat ja noch Zeit, Josefa. Wir wollen es vorher mit dem Hunger versuchen.« – »Nein, Vater. Hierein lasse ich mir nicht reden. Du mußt mir meinen Willen lassen. Was man sogleich erfahren kann, soll man nicht erst später hören wollen.«
Damit schritt Josefa zur Tür, öffnete sie und ließ zwei Mexikaner eintreten.
»Dieser Mann hier soll Schläge bekommen«, sagte sie. »Ihr werdet das besorgen.«
Die beiden Männer blickten einander an, dann fragte der eine:
»Wo soll es geschehen?« – »Gleich hier im Zimmer.« – »Wie viele Hiebe?« – »Ihr schlagt so lange zu, bis ich Euch aufzuhören gebiete.« – »Gut. Aber, Señorita, Ihr werdet zugeben, daß wir Eure Diener nicht sind.«
Ihre Brauen zogen sich zusammen.
»Was sonst?« fragte sie barsch. – »Wir haben versprochen, für Eure Sache zu kämpfen, aber zu solchen Diensten haben wir uns keineswegs verpflichtet Das ist das Amt eines Dienstboten oder Henkers.« – »So werde ich es Euch bezahlen.« – »Das läßt sich eher hören. Wieviel bietet Ihr uns, Señorita?« – Jeder erhält ein Goldstück.« – »Das ist genug. Aber Ihr vergeßt noch ein weiteres: Ihr habt uns aufgefordert da vor der Tür zu stehen und für Euch bereit zu sein. Unterdessen plündern die anderen das Haus, wir aber erhalten nichts von dem, was sie sich nehmen.« – »Ihr meint daß ich Euch zu entschädigen habe?« – »Ja, das meinen wir.« – »Ich werde es tun. Wenn Ihr mir gehorcht so sollt Ihr nicht zu kurz kommen.« – »Wieviel werden wir erhalten, Señorita?« – »Ich werde erst sehen, welche Beute die anderen machen. Ihr werdet mit mir zufrieden sein. Glaubt Ihr, daß Stöcke im Haus zu finden sind?«
Der Sprecher nickte listig, zwinkerte mit den Augen und zeigte nach den Fenstern.
»Seht die Rollos, Señorita«, sagte er. »Ich glaube, es sind Rohrstäbe, die darin stecken. Man könnte sie sehr gut gebrauchen.« – »Und Stricke zum Binden?« – »Oh, wir haben ja unsere Lassos!« – »Gut so könnt Ihr beginnen!«
Da trat Marie Hermoyes näher, faltete die Hände und bat mit Tränen in den Augen:
»Um Gottes willen, tut es nicht, Señorita! Ihr werdet ihn töten!« – »Packe dich, Alte!«
Josefa stieß die Dienerin von sich. Aber Marie machte noch einen Versuch.
»Bedenkt wie treu ich Euch gedient habe. Ich habe Euch auf den Armen getragen, gepflegt und gewartet so lange Ihr ein Kind waret. Vielleicht hätte ich es verdient daß Ihr mir eine solche Bitte erfüllt.« – »Mir treu gedient? Geflohen bist du! Schweige, denn sonst erhältst du ebenso deine Prügel wie er.« – »Aber, Señorita, Ihr könnt doch nicht ernstlich wollen, daß …« – »Still!« rief, Marie unterbrechend, das unweibliche Mädchen. »Sagst du noch ein Wort, so lasse ich dich schlagen, bis das Blut kommt!« Und zu den beiden Mexikanern gewandt fuhr Josefa fort »Bindet der Alten den Mund zu, daß sie nicht schreien kann. Ich vermute, daß sie jammern wird, wenn er die Hiebe erhält.« – »Wollen wir sie nicht lieber hinwegschaffen lassen?« fragte Cortejo. – »Nein. Sie soll zusehen. Das hat sie ja mehr als reichlich verdient.« – »So will wenigstens ich fortgehen. Laßt es mich wissen, wenn Ihr fertig seid!«
Cortejo verließ das Zimmer.
Die beiden Mexikaner aber banden Marie Hermoyes an Händen und Füßen und befestigten ihr auch ein Tuch um den Mund. Sie ließ es geschehen, ohne sich zu wehren, da sie sah, daß ein jeder Widerstand vergeblich sei und die Sache nur verschlimmern werde.
Jetzt traten die zwei Henker zu Pedro Arbellez.
»Willst du beichten?« fragte Josefa, sich nochmals an ihn wendend. – »Nie, selbst wenn ich sterben sollte!« antwortete er. – »Ich werde dich totprügeln lassen, Mensch!« drohte sie. – »Tut es meinetwegen. Aber meine Hazienda erhaltet Ihr nicht; die bleibt meiner Erbin.« – »So beginnt! Aber ja keine Schonung!«
Auf diesen Befehl bemächtigten sich die beiden Mexikaner des Hazienderos. Er wurde entblößt, gebunden und zu Boden geworfen. Dann zogen sie die Stöcke aus den Rollos, um die Exekution zu beginnen.
Einer stand hüben und der andere drüben neben Arbellez, der regungslos am Boden lag. Er hatte sich in sein Schicksal ergeben und versuchte keinen Widerstand.
»Vorwärts!« befahl Josefa.
Der erste Streich fiel. Pedro zuckte zusammen. Der zweite Hieb folgte, und es entstand sofort ein blutiger Striemen. Pedro gab keinen Laut von sich.
So folgte Schlag auf Schlag. Das Blut floß über die Diele hin. Marie Hermoyes war gezwungen, zuzusehen. Sie konnte sich unter ihren Fesseln nicht bewegen, aber man sah ihr die fürchterliche Qual an, die sie empfand.
Josefa zählte die Schläge. Ihre Augen leuchteten in grimmigem Entzücken. Es war kein Zweifel, die Exekution verursachte ihr ungeheures Vergnügen.
Arbellez bewegte sich nicht. Da hielt der eine Mexikaner inne und sagte:
»Der Alte tut ja nicht dergleichen. Ich glaube, er ist tot.« – »Oder wenigstens ohne Besinnung«, fügte der andere hinzu. – »Seht nach!« gebot Josefa.
Die beiden Buben drehten den Alten mit dem Gesicht nach oben. Seine Augen waren geschlossen, vor seinem Mund stand blutiger Schaum.
»Er hat genug!« sagte der eine. – »Ist er tot?« fragte Josefa. – »Wollen einmal sehen.«
Der Mexikaner bückte sich und untersuchte den Haziendero.
»Tot ist er noch nicht«, sagte er dann. »Es ist noch Atem in ihm.« – »So können wir später die Hiebe wiederholen, wenn er bei seinem Schweigen verharrt. Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Hier ist Euer Lohn.«
Josefa zog eine seidene Börse und nahm zwei Goldstücke daraus.
»Danke, Señorita!« sagte der Sprecher. »Was tun wir mit ihm?« – »Wir schließen ihn ein.« – »Wo?« – »Es wird wohl im Keller einen Platz geben, wo man ihn sicher halten kann.« – »Und diese alte Frau hier?« – »Oh, die schließen wir zu ihm. Sie mögen beide hungern, bis ihnen der Atem ausgeht« – »So wartet ein wenig, Señorita. Ich werde gehen und einmal im Keller nachsehen, ob dort ein geeigneter Ort vorhanden ist«
Der Mann ging und kehrte bereits nach kurzer Zeit zurück. »Es ist da unten ein Verschluß, in dem zur Not drei Menschen stecken könnten«, meldete er. »Sollen wir sie hinunterschaffen?« – »Ist der Ort sicher?« – »Ja.« – »Die Tür gut und fest?« – »Mit Eisenblech beschlagen und zwei große Riegel davor.« – »Ein Fenster?« – »Nein. Es gibt nur ein kleines Luftloch, nicht größer als eine Kinderhand. Flucht ist absolute Unmöglichkeit.« – »So faßt an, ich werde mitgehen.«
Der eine nahm nun Arbellez und der andere Marie Hermoyes auf die Arme, und Josefa folgte. So begaben sie sich mitten durch das plündernde Gesindel nach dem Keller, wo das unmenschliche Mädchen das bezeichnete Loch untersuchte und es für wie geschaffen zu ihren Zwecken erklärte.
»Werft sie hinein!« gebot es dann. »Den Schlüssel nehme ich zu mir.« – »Lassen wir ihnen die Fesseln?« fragte der eine Mexikaner. – »Ja. Das ist sicherer für mich und doppelte Qual für sie.«
Jetzt raffte Marie sich auf. Das, was sie hatte ansehen müssen, hob sie über jede Furcht hinweg. Sie trat vor Josefa hin und sagte:
»Señorita, Ihr seid ein Ungeheuer. Tut mit uns, was Ihr wollt aber es gibt einen Gott im Himmel, der alles sieht und hört; er wird uns an Euch rächen und alles vergelten, was Ihr verbrochen habt!« – »Schweig!« rief Josefa. »Oder willst du, daß ich dir die Lippen abschneiden lasse, damit du nicht mehr reden, sondern nur krächzen kannst?« – »Versündigt Euch nicht! Was Ihr mir androht kann sehr leicht Euch geschehen. Gott kann geben, daß meine Augen Euch in derselben Lage sehen, in der sie vorhin den guten Arbellez erblicken mußten.« – »Ich kann dafür sorgen, daß dies nicht geschieht. Selbst wenn es mir einfallen sollte, dich wieder freizugeben, werde ich dich vorher blenden lassen, daß du nichts mehr sehen kannst« – »Scheusal!« – »Immer schimpfe! Du bist mir ungefährlich. Du konntest es gut bei mir haben; aber du hast die Spionin und Verräterin gemacht. Du glaubtest, uns entwischen zu können; nun aber wirst du unter unseren Händen sterben und verderben wie ein Wurm, den man in den Kot tritt, so daß er sich nicht wieder loszuwinden vermag! Steckt sie hinein!«
Der eine Mexikaner, der immer gesprochen hatte, schob Marie in das Loch, warf die Tür zu und zog die beiden Riegel vor. Außerdem gab es ein Hängeschloß, das vorgelegt wurde. Den Schlüssel nahm Josefa.
»Ihr werdet noch heute Eure Entschädigung erhalten«, sagte sie. »Es ist nicht notwendig, daß jedermann erfährt, was gesprochen worden und überhaupt geschehen ist. Seid Ihr verschwiegen, so belohne ich doppelt gut.«
Josefa stieg die dunklen Stufen empor, und die Männer folgten ihr langsam. Als sie verschwunden war, blieb der Sprecher stehen und sagte;
»Ich bin begierig, was sie uns bezahlen wird.«
Der andere schwieg. Darum fuhr der erstere fort:
»Warum antwortest du nicht, he?«
Da holte der Gefragte tief Atem und erwiderte:
»Der Teufel hole die ganze Geschichte!« – »Warum? War dir das Goldstück zu wenig? Es war rasch verdient.« – »Ich wollte, ich hätte es nicht verdient!« – »Kerl, ich glaube gar, du wirst sentimental und fängst Grillen!« – »Höre, du kennst mich. Ich bin nicht von Pfefferkuchen und habe gar manches auf mich geladen, vor dem einem anderen das Ding, was sie Gewissen nennen, brüllen würde. Ich habe dem Alten meine Hiebe mit dem größten Vergnügen aufgezählt, denn sie wurden gut bezahlt. Als wir ihn aber herumdrehten und ich ihm in das Gesicht sah, da war es mir gerade so, als ob mich einer mit einer Keule in das Genick schlüge.« – »Unsinn!« – »Kein Unsinn! Der Schlag ging durch und durch. Was muß es doch gewesen sein?« – Einbildung!« – »Ich sage dir aber, daß ich den Schlag wirklich gefühlt habe.« – »Du wirst am Hexenschuß leiden.« – »Fällt mir gar nicht ein. Der Schlag ging nicht durch den Körper, sondern durch die Seele. So ist es mir in meinem ganzen Leben noch nicht gegangen.« – »Was du sagst, ist geradezu lächerlich.« – »Denke, was du willst Was ich gefühlt habe, das habe ich gefühlt Ich glaube fast es ist das gewesen, was sie das böse Gewissen nennen.« – »Nun höre auf, sonst denke ich, du bist übergeschnappt! Übrigens hat die Señorita recht Es braucht nicht jeder zu wissen, was geschehen ist.« – »Von mir erfahrt es sicherlich niemand.« – »Von mir auch nicht Dieses Mädchen ist eine richtige Teufelin.« – »Darum wird der Teufel es auch sicher einmal holen!« – »Ich glaube, er könnte von ihm noch manches lernen.« – »Wehe dem Volk, wenn sein Vater Präsident würde!« – »Präsident?« lachte der andere. »Fällt ihm gar nicht ein!« – »Donnerwetter. Was faselst du? Ich denke doch gerade, daß wir ihn zum Präsidenten machen wollen?« – »Ja, aber er wird es in seinem ganzen Leben nicht. Wir folgen ihm, um guten Sold zu bekommen und Abenteuer zu erleben. Wer Präsident wird, das ist mir ganz gleich, wenn ich nur dabei leben kann nach meinem Wohlgefallen. Ich glaube gar, du hast die Sache ernst genommen!« – »Allerdings. Doch, jetzt sind wir fertig. Nun können wir sehen, ob wir auch einen Teil von der Beute wegschleppen können.« – »Das versteht sich. Es wird sich wohl etwas finden lassen, obgleich wir unsere Entschädigung erhalten werden.«
Die Männer trennten sich.
Der eine ging, um nach Raub und Beute zu suchen. Der andere aber schlich still und finster durch die hin– und herrennenden Plünderer, schritt um die Ecke des Hauses, blieb dort stehen und brummte:
»Dieses Gesicht ich werde es in meinem ganzen Leben nicht vergessen. Ich glaube, daß es mir im Traum erscheinen wird.«
Nachdenklich ging er weiter, schüttelte sich und fuhr fort
»Im Traum? Hm, vielleicht sogar in meiner letzten Stunde.«
Endlich blieb er stehen, blickte sich um, als ob er denke, es folge ihm jemand, und sagte zu sich:
»Die letzte Stunde? Einige sagen, dann sei alles aus, und andere, daß da erst ein neues Leben beginne. Donnerwetter, wenn man alles, was man hier auf sich geladen hat mit in dieses Leben nehmen müßte! Wieviel hätte ich da zu tragen! Dieser Arbellez läge dann oben darauf und sähe mich immerfort an, weil ich ihn – ah, und weil er dann verhungert ist Verhungert? Das braucht doch nicht zu geschehen. Ich werde einmal sehen.«
Damit schritt er an der hinteren Seite des Hauses hin und suchte, und als er ein Loch erreichte, das sich unten an der Mauer befand, blieb er abermals stehen und murmelte:
»Dieses ist ganz bestimmt das Loch, das in das Gefängnis geht. Wie nun, wenn ich etwas zu essen hinunter ließe? Auch einige Flaschen voll Wasser brächte man ganz gut hinab, wenn man vorsichtig genug wäre, sie an eine Schnur zu binden. Das reicht ganz gut für einige Zeit. Ja, heute abend, wenn alles dunkel ist, werde ich es tun, wegen der Todesstunde und wegen des Gesichts, das ich sonst in meinem ganzen Leben nicht wieder aus dem Gedächtnis bringe.«
5. Kapitel
Die Hazienda befand sich in der Gewalt Cortejos; aber alles, was nicht niet– und nagelfest war, erklärten die Mexikaner für ihr Eigentum. Erst als jeder das seinige beiseite geschafft hatte, dachte man daran, die toten Franzosen zu entfernen. Sie wurden am Bach eingescharrt.
Am nächsten Tag trafen Nachzügler ein, die von dem Agenten Cortejos diesem nachgeschickt worden waren. Er hatte festen Fuß gefaßt, und es galt nun, sich im Norden zu behaupten. Darum machte er sich mit hundert Reitern auf den Weg nach dem Rio Grande, um sein gegen Lord Lindsay gerichtetes Vorhaben auszuführen. Josefa blieb zurück, um möglichst seine Stelle zu vertreten, soweit ihr dies möglich war.
Einige Tage später trabte ein Reiter durch die Ebene, die am rechten Ufer des Quanobal liegt. Man hatte von diesem Fluß aus gar nicht mehr weit bis zur Hacienda del Erina.
Der Mann sah verstaubt und angegriffen aus, und auch sein Pferd schien ermüdet, als ob es einen weiten Weg und eine große Anstrengung hinter sich habe. Und dies war auch wirklich der Fall, denn dieser Reiter war kein anderer, als jener Vaquero, der im Fort Guadeloupe gewesen war, um Señorita Resedilla zu Pedro Arbellez einzuladen.
Er hatte sich am Morgen nach dem Kampftag auf den Weg gemacht, um seinem Herrn, noch ehe die anderen auf der Hazienda eintrafen, die Nachricht zu bringen, daß aller Gram zu Ende sei, indem die so lange Zeit Beweinten noch am Leben und sogar auf dem Heimweg seien.
Er war glücklich, diese Nachricht bringen zu können, und spornte sein Pferd trotz dessen Müdigkeit zur Eile an. Aber der Nachmittag verging, erst am Abend kam er in die Nähe der Hazienda.
Jetzt gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte geradewegs bis vor das Tor, das er verschlossen fand. Er klopfte laut an.
»Wer ist draußen?« fragte eine fremde Stimme.
Der Vaquero nannte seinen Namen.
»Kenne ich nicht«, brummte es drinnen. – »So bist du wohl erst kurze Zeit hier?« fragte der Vaquero von außen. – »Ja.« – »Nun, so mache nur auf. Ich bin Vaquero des Señor Arbellez und komme von Fort Guadeloupe, wo wir die Franzosen geschlagen haben.« – »Fort Guadeloupe? Die Franzosen geschlagen? Ja, da bist du einer der Unsrigen. Komm herein!«
Das Tor wurde geöffnet und hinter dem Vaquero wieder verschlossen. Er blickte sich nicht groß um, es war ja dunkel, daher bemerkte er nichts von den Veränderungen, die seit seiner Abwesenheit hier vorgegangen waren.
Er sprang vom Pferd, ließ es, wie er es gewöhnt war, frei laufen und begab sich zunächst nach dem Raum im Erdgeschoß, wo sich die Vaqueros aufzuhalten pflegten. Er wollte diesen zeigen, daß er zurückgekehrt sei, und sich dann hinauf zu Arbellez begeben, um diesem Bericht zu erstatten.
Schon öffnete er die Tür, da blieb er erstaunt stehen, als er den Raum mit fremden, bewaffneten Männern erfüllt sah. Auch er wurde sofort bemerkt.
»Holla, wer ist das?« rief einer. »Wohl wieder ein neuer?«
Damit wurde er angefaßt und hereingezogen. Ganz verblüfft sah er sich im Kreis um und wurde deswegen ausgelacht.
»Das Pulver hat er nicht erfunden«, meinte der vorige Sprecher. »Kerl, um für Cortejo zu kämpfen, bedarf es anderer Männer, als du bist.« – »Cortejo?« fragte er ganz erstaunt – »Ja. Oder kommst du um einer anderen Ursache willen?« – »Natürlich.« – »So! Zu wem willst du denn?« – »Zu meinem Herrn natürlich.« – »Ganz recht. Aber wer ist denn dein Herr?«
Das Gespräch schien sich in ein Verhör verwandeln zu wollen. Die anderen hörten zu.
»Señor Pedro Arbellez«, antwortete der Gefragte. – »Pedro Arbellez? Das war der vorige Besitzer der Hazienda, ja.« – »Der vorige?« fragte der Vaquero ganz betroffen. »Gibt es denn jetzt einen anderen?« – »Natürlich. Weißt du das noch nicht?« – »Kein Wort weiß ich. Wer ist es denn?« – »Cortejo.« – »Cortejo? Cortejo aus Mexiko?« fragte der Vaquero erschrocken. – »Ja, Señor Pablo Cortejo aus Mexiko.« – »Donnerwetter.« – »Kerl, ich glaube, du erschrickst. Paßt dir dieser Señor nicht?« – »Ah, ich möchte nur wissen, auf welche Weise er hier so plötzlich Herr geworden ist.« – »Auf welche Weise? Nun, sehr einfach: Er ist mit uns nach del Erina geritten und hat die Hazienda diesem Arbellez weggenommen.« – »Santa Madonna! Und wo befindet sich jetzt Señor Arbellez?« – »Der? Hm, wer weiß es? Niemand weiß es. Er ist weg und verschwunden.« – »Mein Gott, so muß ich wieder fort.«
Der Vaquero wollte sich schleunigst entfernen, aber zehn Fäuste hielten ihn fest.
»Halt, Bursche. Mit dir ist etwas nicht richtig. So entkommst du uns nicht. Man wird dich erst ein wenig ins Verhör nehmen müssen.« – »Ins Verhör? Weshalb? Ich bin ein ehrlicher Kerl.« – »Das sagt ein jeder. Sage einmal, für wen kämpfst du?« – »Wunderliche Frage. Für wen soll ich kämpfen?« – »Für Bazaine, Max, Juarez oder Cortejo?« – »Für keinen. Ich bin ein Vaquero meines Señors Arbellez und habe nur ihm allein zu gehorchen. Was gehen mich die anderen Sachen an?« – »Hört Ihr‘s, Kameraden? Der Mann ist für Arbellez. Man muß ihn hinauf zur Señorita führen. Haltet ihn fest. Ich werde ihn anmelden.«
Der brave Vaquero gab sich zwar Mühe, von den Leuten loszukommen, aber es gelang ihm nicht. Durch Widerstand konnte er seine Lage nur verschlimmern. Er ergab sich daher darein und war nun nur neugierig, wer die Señorita sein werde, zu der er geführt werden sollte.
Josefa saß in dem Gemach, das sie für sich ausgewählt hatte, in einer Hängematte und rauchte eine Zigarette. Sie trug heute wieder Frauenkleidung, von der sie einen ganzen Packsattel mitgebracht hatte. Da trat der Mexikaner ein, der soeben unten das Wort geführt hatte.
»Verzeihung, Señorita«, sagte er, »ich habe eine Meldung zu machen. Es ist einer gekommen, der für Arbellez kämpfen will.« – »Für Arbellez kämpfen? Das klingt wunderbar. Wer ist der Mann?« – »Ein Vaquero dieses Arbellez.« – »Schickt ihn mir herauf.« – »Señorita, man muß vorsichtig sein. Er hat sich zur Wehr gesetzt.« – »So wird er entwaffnet, und zwei bringen ihn mit herein.« – »Ich werde ihn selbst mitbringen.«
Der Mexikaner ging und kehrte mit einem zweiten zurück. Sie führten den Vaquero, dem sie die Hände gefesselt hatten.
Dieser warf einen forschenden Blick auf das Mädchen. Er kannte es nicht persönlich, und da man ihm seinen Namen nicht genannt hatte, so befand er sich im unklaren darüber, bei wem er eigentlich sei.
»Señorita, ich ersuche Euch, mir zu helfen«, bat er. »Es handelt sich hier um ein Mißverständnis.« – »Wer seid Ihr?« fragte sie. – »Ich bin Vaquero im Dienst des Señors Pedro Arbellez.« – »Das hat man mir bereits gesagt« – »Mein Herr schickte mich mit einer Botschaft fort, und nun ich zurückkehre, finde ich ihn nicht mehr vor, wohl aber fremde Leute, die ich nicht kenne.«
Bei diesen Worten fiel Josefa ein, was Marie Hermoyes ihr von einem Vaquero gesagt hatte, der nach Fort Guadeloupe geschickt worden sei, und sie fragte:
»Ihr wart in Fort Guadeloupe?« – »Ja«, antwortete er.
Da wandte Josefa sich an die beiden Mexikaner und sagte:
»Tretet hinaus und wartet vor der Tür; dieser Vaquero scheint ein braver Mann zu sein, ich werde allein mit ihm sprechen.«
Die Männer gingen hinaus, und Josefa beschloß, sich durch List in Kenntnis dessen zu setzen, was dieser Mann seinem Herrn hatte mitteilen wollen.
»Ich will meine Frage wiederholen«, sagte sie. »Ihr wart in Fort Guadeloupe?« – »Ja«, antwortete er. – »Es ist indessen eine kleine Veränderung eingetreten. Ist Euch ein gewisser Cortejo bekannt?« – »Ja«, erwiderte er. – »Woher kennt Ihr ihn?« – »Ich habe sehr viel von ihm gehört und ihn auch hier gesehen. Er war einmal da.« – »Was ist das für ein Mann?«
Der Vaquero war aufrichtig und unvorsichtig genug, diese Frage zu beantworten:
»Ein braver, ehrlicher Mann mag nichts von ihm wissen«, entgegnete er.
Josefas große, runde Eulenaugen zogen sich zusammen. Er bemerkte gar nicht, welch ein Blick ihn aus denselben traf. Aber ihre Selbstbeherrschung und Verstellungskunst war so groß, daß sie mit der freundlichsten Stimme sagen konnte:
»Da gebe ich Euch ganz recht. Dieser Cortejo ist ein Mensch, dem nichts heilig ist. Wißt Ihr vielleicht irgend etwas Besonderes über ihn?« – »Genug, Señorita.« – »Was denn zum Beispiel?« – »Es läßt sich nicht von solchen Dingen sprechen«, antwortete er, dieses Mal vorsichtiger. – »Ja, ich bin Euch fremd, und Ihr könnt mir solche Sachen natürlich nicht sogleich anvertrauen. Aber, wenn Ihr wüßtet … Ich hasse diesen Cortejo. Er hat mich und meine Familie unglücklich gemacht und ich folge ihm bloß, um ihn zu verderben.«
Josefa machte ein so ehrlich erzürntes Gesicht, daß der Vaquero ihr glaubte.
»Ihn verderben?« fragte er. »Das wird Euch wohl schwerlich gelingen. Er ist eine so schlaue Kanaille, daß er fast unmöglich zu täuschen ist. Aber sagt, wo ist Señor Arbellez?« – »Der ist geflohen.« – »Geflohen? Ah! Vor wem?« – »Eben vor Cortejo.« – »Aber warum?« – »So wißt Ihr diese Sache gar nicht?« – »Ich weiß von nichts. Ich bin nach Hause gekommen, und man hat mich sofort festgenommen und mir die Hände gebunden. Ich kann das ganz und gar nicht begreifen.« – »Nun, so will ich es Euch erklären. Aber ich muß leiser sprechen, damit die beiden, die draußen vor der Tür stehen, mich nicht hören.«
Mit dieser Bemerkung beabsichtigte Josefa, den Vaquero sicher zu machen.
»Señor Arbellez ist ein Anhänger des Präsidenten Juarez. Das wißt Ihr wohl?« – »Ja.« – »Cortejo aber will selbst Präsident werden. Auch das wißt Ihr wahrscheinlich?« – »Ich hörte davon sprechen, aber ich kann es beinahe nicht glauben.« – »Ihr könnt es glauben. Er hat eine ziemliche Zahl Anhänger um sich versammelt und ist nach dem Norden des Landes gegangen, um sich denselben zu unterwerfen. Mit der Hacienda del Erina hat er begonnen.« – »So hat er die Hazienda überfallen?« fragte der Vaquero finster. – »Ja.« – »Und Señor Arbellez hat fliehen müssen?« – »Ja; es gelang ihm, glücklicherweise zu entkommen.« – »Wohin?« – »Er hat es mir mitgeteilt, mir aber verboten, es jemandem zu sagen.« – »Auch mir sollt Ihr es nicht sagen?« – »Er hat von keiner Ausnahme gesprochen.« – »Wie kommt es, daß er gegen Euch so aufrichtig gewesen ist, Señorita?« – »Das ist sehr einfach. Er und mein Vater waren gute Bekannte. Mein Vater verlor durch Cortejos Schuld das Leben. Ich aber tat, als wüßte ich dies nicht, und schloß mich dem letzteren an, um mich an ihm zu rächen. Ich habe bei seiner Truppe einige brave Männer, die heimlich zu mir halten und nur den Augenblick erwarten, gegen Cortejo aufzutreten. Als wir nach der Hazienda kamen, erkannte ich Señor Arbellez und ließ ihn mit Hilfe dieser Männer entkommen. Vorher aber bat er mich, ihm alles Nötige wissen zu lassen.« – »So steht Ihr im Verkehr mit ihm?« – »Ja, aber heimlich natürlich.« – »So habt Vertrauen zu mir und sagt mir den Ort, wo er sich befindet. Ich habe ihm verschiedene, wichtige Mitteilungen zu machen.« – »Ich weiß nicht, ob Euch dies möglich sein würde, selbst wenn Ihr seinen Aufenthalt wüßtet.« – »Warum nicht?« – »Ihr seid ja hier Gefangener. Man wird Euch nicht gleich freilassen.« – »Alle Teufel, das ist unangenehm. Könntet Ihr mir nicht zur Freiheit verhelfen?« – »Ich werde es versuchen, kann aber für das Gelingen nicht garantieren. Am besten wird es sein, Ihr teilt mir mit, was Ihr Señor Arbellez zu sagen habt. Durch mich erfährt er es am schnellsten und am sichersten. Ich stand eben heute im Begriff, einen Boten an ihn abzusenden.« – »Ah, könnte ich das nicht sein, Señorita?« – »Wo denkt Ihr hin. Cortejo ist für einige Zeit abwesend. Man wird Euch festhalten, bis er zurückkehrt und über Euer Schicksal entscheidet. Ob es mir bis dahin gelingt, Euch zu befreien, weiß ich nicht. Ihr aber müßt am besten wissen, ob das, was Ihr Eurem Herrn zu sagen habt, einen so langen Aufschub erleidet. Überlegt es Euch.«
Der Vaquero begann nachdenklich zu werden, er wiegte den Kopf und sagte:
»Hm. Darf ich Euch denn auch wirklich trauen, Señorita?« – »Macht das ganz, wie es Euch beliebt«, antwortete sie mit gekränktem Stolz. – »Darf ich Euren Namen erfahren?« – »Mein Vater war Oberst Ramirez.«
Der Oberst, ein bekannter Anhänger von Juarez, war vor einiger Zeit wahrend einer Reise ermordet worden. Dieser Umstand kam Josefa so gelegen, daß sie sich seiner bediente, um den braven Vaquero zu betrügen.
»Oberst Ramirez?« fragte er. »Das war ein braver Mann.« – »Überhaupt«, bemerkte sie, »kann ich Euch beweisen, daß Señor Arbellez mir sein Vertrauen schenkt. Er hat mir alles von Euch erzählt.« – »Ah, wirklich!« – »Ja. Oder wüßte ich sonst, daß Ihr in Fort Guadeloupe bei Pirnero gewesen seid?« – »Das ist wahr.« – »Ich kann Euch sagen, daß Ihr dort zu tun hattet.« – »Nun, was?« – »Señor Arbellez hat sein Testament gemacht und die Tochter Pirneros als Universalerbin eingesetzt. Das solltet Ihr dort melden und zugleich die Señorita ersuchen, Eurem Herrn auf der Hazienda ihre Visite zu machen.« – »Wahrhaftig, Ihr wißt es. Das kann nur mein Herr Euch gesagt haben.« – »Natürlich. Er bat mich, ihn sofort wissen zu lassen, was Ihr ausgerichtet und erfahren habt.« – »So bleibt mir nichts anderes übrig, als es Euch mitzuteilen.« – »Macht das, wie Ihr wollt. Ich bettle nicht um Euer Vertrauen.« – »Gut Ihr sollt alles wissen, Señorita. Nehmt es mir nicht übel, daß ich bedenklich war. Man muß in der jetzigen Zeit sehr vorsichtig sein.« – »Ich entschuldige Euch. Wird die Señorita kommen?« – »Möglich ist es, daß sie zum Besuch kommt, jedoch als Erbin nicht.« – »Ah, so hat sie die Erbschaft abgelehnt?« – »Das eigentlich nicht. Sie konnte sie nicht annehmen, weil die eigentliche Erbin gekommen ist.« – »Die eigentliche Erbin? Wie meint Ihr das?« fragte Josefa. – »Nun, die Tochter meines Herrn. Sie ist doch die eigentliche Erbin.« – »Ihr meint Señorita Emma Arbellez?« – »Ja.« – »Aber ich denke, daß sie nicht mehr lebt, daß sie verschwunden ist!« – »Ja, das meinten wir, aber denkt Euch, sie hat sich wiedergefunden.« – »Unmöglich!« rief das alte Mädchen. – »Wir hätten es allerdings für unmöglich gehalten, aber Gott lebt noch, er tut noch immer Wunder über Wunder.« – »Ihr werdet Euch jedenfalls irren. Wiedergefunden nach so vielen Jahren!« – »Ich irre mich nicht; ich werde doch die Tochter meines Herrn kennen.« – »So habt Ihr sie gesehen und mit ihr gesprochen?« – »Ja.« – »Und sie ist es wirklich? Es ist keine Täuschung möglich? Ihr habt sie erkannt?« – »Ich habe sie wiedererkannt, augenblicklich, als ich sie sah. Sie hat sich gar nicht verändert.«
Der gute Mann beachtete gar nicht, welche Gefühle sich auf dem Gesicht Josefas ausdrückten. Erst Unglauben, dann Zweifel, Bangen, Überzeugung, Schreck und Grimm zuckten nach und nach über ihre Züge. Aber sie hatte dieselben doch so sehr in ihrer Gewalt, daß es ihr gelang, sich leidlich zu beherrschen. Dies letztere war nötig. Das Wiedererscheinen von Emma Arbellez brachte die größte Gefahr mit sich; Josefa mußte alles erfahren, um gegen alles gerüstet zu sein, und das konnte sie nur, wenn sie vermied, bei dem Vaquero Verdacht zu erregen. Darum schlug sie wie in höchster Überraschung die Hände zusammen und rief im freudigsten Ton, der ihr möglich war:
»Mein Gott, welch ein Glück! Welch eine Freude! Wo befindet sich denn die gute Emma?« – »Ich habe mich im Fort Guadeloupe von ihr getrennt.« – »So habt Ihr sie dortgelassen?« – »Ja. Sie kam plötzlich mit allen an, die mit ihr verschwunden waren.«
Der Atem schien dem Mädchen zu stocken. Sie riß die runden Augen auf und fragte:
»Mit allen?« – »Ja, Señorita.« – »Wen meint Ihr da?« – »Zunächst Señor Sternau…«
Bei diesem Namen wurde Josefa totenbleich. Henrico Landola hatte ja gemeldet, daß die ganze Gesellschaft untergegangen sei. Hatte er sich geirrt? War er getäuscht worden, oder hatte er absichtlich gelogen? Mit diesem Sternau erwuchs den Brüdern Cortejo der grimmigste Feind von neuem. Sie fragte, vor Erregung stockend:
»Señor Sternau? Ich denke, der ist längst tot?« – »Nein, er lebt Ich erkannte auch ihn sogleich wieder.« – »Ihr habt ihn gesehen und gesprochen?« – »Ja.« – »Und wer war noch mit dabei?« – »Jener Señor Mariano, der mit Señorita Emma und Sternau verschwand.«
Hätte Josefas Schreck sich steigern können, so wäre es jetzt sicher geschehen. Also der echte Graf Rodriganda lebte noch? Vielleicht war jetzt, da sie alles bereits gewonnen geglaubt hatte, nun im Gegenteil alles verloren!
»Und wer noch?« erkundigte sie sich weiter. – »Büffelstirn …« – »Ah, der Häuptling der Mixtekas?« – »Ja. Und Bärenherz …« – »Der Häuptling der Apachen?« – »Ja. Ferner die beiden Helmers, von denen der eine Donnerpfeil genannt wurde.« – »Es ist unglaublich!« sagte Josefa fast ächzend, was aber der brave Vaquero für den Ausdruck freudigsten Erstaunens nahm. »Was Ihr mir da sagt, klingt ja fast wie ein Märchen, wie ein Wunder!« – »Ihr scheint die Personen alle sehr genau zu kennen«, sagte er. – »Ja. Señor Arbellez hat mir alles erzählt.« – »Vor seiner Flucht?« – »Ja. Er hatte noch so viel Zeit, mich mit allem bekannt zu machen. Mir ist es lieb, daß er dies getan hat, denn dadurch wird es nur möglich, ihm und den Wiedergefundenen meine Dienste anzubieten. Ich werde mein Möglichstes tun, um ihnen von Nutzen zu sein. Aber sagt, wo haben diese Leute denn so lange Zeit gesteckt?« – »Auf einer wüsten Insel im Meer.« – »Unglaublich! Wie sind sie denn dorthin gekommen?« – »Ein gewisser Kapitän Landola hat sie gefangengenommen und dort ausgesetzt.«
Jetzt hatte Josefa Mühe, ihren Grimm zu verbergen. Also nicht tot waren sie, sondern von Landola ausgesetzt worden! Dieser hatte also mit falschen Karten gespielt. Zu welchem Zweck aber? Jedenfalls, um seinen Vorteil zu suchen, um eine Waffe gegen die Brüder Cortejo zu haben, falls er sie aussaugen wollte. Etwas anderes war ja gar nicht denkbar. Auch er mußte also schleunigst unschädlich gemacht werden!
»Und auf dieser Insel haben die Personen so lange gelebt?« fragte sie weiter. – »So viele Jahre. Denkt Euch nur, Señorita.« – »Wie traurig. Welch ein Unglück! Aber wie sind sie gerettet worden?« – »Das klingt auch fast unglaublich. Ein Graf hat sie gerettet.« – »Ein Graf? Welcher?« – »Oh, Ihr kennt ihn, wenn Señor Arbellez Euch alles erzählt hat« – »Ihr macht mich immer neugieriger.« – »Wißt Ihr, wem vor Señor Arbellez die Hazienda gehört hat?« – »Ich denke, dem Grafen Rodriganda.« – »Ja.« – »Er ist gestorben.« – »Nein, Señorita. Er ist nicht gestorben; er lebt noch; ich habe auch ihn gesehen.«
Josefa trat einen Schritt zurück.
»Ihr lügt!« rief sie. – »O nein«, antwortete der Vaquero triumphierend, »ich sage die Wahrheit. Man hat dem Grafen eine Medizin gegeben, die Starrkrampf hervorbringt. Er wurde begraben, ist aber auch aus dem Grab genommen worden. Dann hat man ihn als Sklaven verkauft. Es ist ihm geglückt, nach Jahren sich zu befreien. Er hat dabei meine Señorita Emma getroffen. Diese führte ihn darauf zu der wüsten Insel, und so wurden die Gefangenen alle befreit.« – »Was taten sie dann?«
Josefa hauchte diese Frage nur noch. Es war ihr vor Schreck fast unmöglich, laut zu sprechen.
»Sie gingen nach Mexiko, und zwar zunächst nach Fort Guadeloupe.« – »Warum dorthin?« – »Ich weiß es nicht, wohl, um den Präsidenten Juarez zu treffen.« – »Und haben sie ihn getroffen?« – »Ja«, antwortete der Gefragte. – »Er war dort? Er war in Fort Guadeloupe?« – »Ja; ich selbst habe ihn gesehen.« – »Ich hörte doch, er sei in El Paso del Norte.« – »Nein. Er ist nicht mehr dort. Er kam nach Fort Guadeloupe, um die Franzosen zu vernichten, die das Fort erobern wollten.« – »Ah, das ist mir neu. Ist es wirklich zu einem Kampf gekommen?« – »Zu einem fürchterlichen sogar. Es sind dreihundert Franzosen und noch mehr mit ihnen verbündete Komantschen vollständig aufgerieben worden, nachdem bereits vorher im Teufelspaß eine ganze Kompanie vernichtet worden ist.« – »Welch ein Glück! So gebietet also Juarez wieder über eine bedeutende Macht?« – »Er hat weiße Jäger bei sich, ist mit den Apachen verbündet und wird auch aus den Vereinigten Staaten zahlreiche Freiwillige erhalten.« – »Aber dazu gehört ja Geld, viel Geld!« sagte Josefa schlau. »Und das hat er nicht.« – »Geld? Oh, das hat er, und er bekommt auch noch viel mehr. Er hat kürzlich von dem Präsidenten der Union Millionen geschickt erhalten, und eben jetzt bringt ihm ein Engländer wieder Geld, Kanonen und Waffen.«
Josefa horchte auf. Sollte der Vaquero etwa Lord Lindsay meinen? Sie fragte:
»Von einem Engländer? Wie wollte der mit solchen Vorräten nach Fort Guadeloupe kommen? Das Land ist ja von den Franzosen dicht besetzt.« – »Das wird keine Schwierigkeiten machen. Der Engländer befindet sich in El Refugio an der Mündung des Rio Grande und hat einen Boten an Juarez geschickt. Dieser ist Geierschnabel, ein berühmter Jäger und Pfadfinder. Er hat Juarez in Guadeloupe getroffen. Ich habe auch mit ihm gesprochen. Dort ist verabredet worden, wie und wo das Geld und die Waffen in die Hände des Präsidenten kommen werden.« – »Aber Ihr wißt dies nicht; Euch hat man nichts davon gesagt?« meinte sie lauernd. – »Warum nicht?« fragte er mit Selbstbewußtsein. »Ich habe ja dabeigestanden, als Señor Mariano dem Boten des Engländers sagte, daß er mit nach El Refugio fahren werde.« – »Señor Mariano? Warum wollte er mit?« – »Hm, weil die Tochter des Engländers seine Verlobte ist.«
Jetzt wußte Josefa genau, woran sie war.
»Hat denn dieser Engländer eine Dame bei sich?« fragte sie.– »Ja. Geierschnabel erzählte es.« – »Nannte er auch ihren Namen?« – »Ja. Sie heißt Amy Lindsay, und ihr Vater ist Lord Henry Lindsay, Graf von Nothingwell.« – »Ah, diese beiden! Ich habe von ihnen gehört und weiß, daß sie Freunde von Juarez sind. Señor Mariano will zu ihnen? Gewiß, um behilflich zu sein, das Geld und die Waffen dem Präsidenten zu bringen.« – »Er wollte, aber es ist anders geworden. Geierschnabel hat ihn nicht mitgenommen.« – »Warum nicht?« – »Sein Boot war für zwei Männer zu klein. Darum wird Señor Mariano sich Juarez anschließen und bei ihm bleiben, bis der Lord kommt.« – »Und die anderen? Ich meine Señor Sternau und die übrigen.« – »Sie bleiben auch bei Juarez. Sie machen seinen Kriegszug mit!«
Der Vaquero sprach nur in kurzen Bemerkungen, denn diese Leute sind nicht gewöhnt, lange Reden zu halten, darum mußte Josefa ihm jede Antwort abkaufen.
»Was Ihr sagt!« meinte sie. »Juarez will einen Kriegszug unternehmen?« – »Ja. Er hat ihn bereits begonnen, indem er Fort Guadeloupe befreite.« – »Und wohin wird er nun gehen?« – »Erst nach Chihuahua und dann nach Coahuila. In Chihuahua wird er bereits jetzt sein. Kommt er dann nach Coahuila, so wird er dort den Lord und die Lady treffen.« – »In der Stadt selbst?« – »Nein, in der Nähe, eine Tagereise von der Stadt.« – »Kennt Ihr den Ort der Zusammenkunft?« – »Ja, ich hörte davon sprechen. Man wird sich da treffen, wo östlich von Coahuila der Sabinafluß sich mit dem südlichen Arm vereinigt.« – »Und da werden alle dabeisein – Sternau, Mariano, Büffelstirn und die anderen?« – »Alle, außer dem Grafen Rodriganda, der in Fort Guadeloupe zurückbleibt, weil er krank ist.« – »Ah! Krank! Ist‘s gefährlich?« fragte Josefa schnell. – »Ich glaube nicht. Er hat von einem Franzosen einen Hieb auf den Kopf erhalten. Er war betäubt, aber Señor Sternau gab alle Hoffnung, daß er bald wieder hergestellt sein werde. Er ist unter guter Pflege im Fort zurückgeblieben.« – »So wird er also den anderen nachreisen?« – »Jedenfalls.« – »Aber nicht allein! Diese Gegend dort soll eine ziemlich gefährliche sein.« – »Allein allerdings nicht. Juarez hat ihm eine Bedeckung von Apachen zurückgelassen, die ihn dann begleiten werden. Es wird ihm also nichts geschehen können.« – »Habt Ihr nicht vielleicht gehört, wie der alte Graf auf Cortejo zu sprechen ist?« – »Nein. Er lag ja ohne Bewußtsein in seinem Zimmer. Ich habe nur gehört, was die anderen sprachen, und auch das war nur wenig, da es ganz zufällig geschah.« – »Nun, was habt Ihr denn da gehört? Ich interessiere mich für Señor Arbellez und dessen Freunde so sehr, daß ich gern so viel wie möglich wissen möchte.« – »Es ist nichts von Bedeutung, was ich Euch da sagen könnte, Señorita. Ich war ja meist in der Küche, und befand ich mich ja im Gastzimmer, so waren da eine solche Menge von Jägern und Indianern beisammen, daß man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte. Die eigentlichen Herren und Señores nebst den Señoritas hatten ihre Zimmer, wo ich keinen Zutritt hatte. Wichtiges habe ich also ganz und gar nicht gehört. Nur als ich Anstalt machte, aufzubrechen, kamen sie alle zu mir, um mir ihre Botschaften an Señor Arbellez aufzutragen.« – »Nun, wie lauteten diese Botschaften?« – »Señorita Emma und Señor Helmers ließen ihm sagen, daß sie sich herzlich sehnten, ihn wiederzusehen. Sie würden sogleich mit mir geritten sein, um nach der Hazienda zu kommen, da aber die Gegend von Franzosen besetzt und außerdem sehr unsicher sei, so seien sie gezwungen, sich dem Präsidenten anzuschließen. Doch sollte ich tausend und aber tausend Grüße überbringen. Sie alle seien wohlauf.« – »Was vertraute Euch Señor Sternau an?«
Es war klar, daß Josefa Sternau für die bedeutendste und gefährlichste Person der ganzen Gesellschaft hielt. Deshalb stellte sie diese Frage.
»Er gebot mir«, antwortete der Vaquero, »meinem Herrn zu sagen, daß er sich nicht sorgen solle. Chihuahua und Coahuila würden sicher in die Hände des Präsidenten fallen, und bald. Dann wäre es von der letzteren Stadt ja gar nicht weit bis zur Hazienda, und das Wiedersehen würde nicht auf sich warten lassen.« – »Und Señor Mariano?« – »Von dem soll ich sagen, daß in der Angelegenheit des Grafen jetzt alles gut stehe. Die Verbrecher würden bald entlarvt und bestraft werden.« – »Versteht Ihr, was er damit meinte?« fragte Josefa, indem sie ihre Eulenaugen mit einem stechenden Blick auf den Vaquero richtete. – »Hm!« meinte er nachdenklich. »Man könnte da manches sagen oder wenigstens vermuten.« – »Ah, ich habe auch so einiges gehört« – »Von dem falschen Grafen, nicht wahr, Señorita?«
Josefas Augen schlossen sich, um nicht bemerken zu lassen, welch ein lauernder Raubtierblick ihnen sonst entschlüpft wäre. Als sie sie wieder öffnete, hatten sie nur den Ausdruck einer freundlichen, mitfühlenden Neugier.
»Allerdings von dem falschen Grafen«, antwortete sie. »Aber was wißt Ihr davon?« – »Viel oder wenig, je nachdem man es nimmt. Ihr habt doch wohl gehört, daß die Señores Sternau, Mariano und Helmers bereits einmal in del Erina waren?« – »Freilich, Señor Arbellez hat es mir erzählt«, log Josefa. – »Nun, damals haben diese Herren mehrere ganz absonderliche Abenteuer erlebt. Cortejo trachtete ihnen nämlich nach dem Leben, und daß sie später verschwanden, daran ist er ganz allein schuld gewesen; das weiß man jetzt genau.« – »Was sollte er dabei denn wohl für Gründe gehabt haben?« – »Oh, die kenne ich vielleicht. Habt Ihr von Graf Alfonzo gehört?« – »Ja. Er ist doch wohl der junge Graf von Rodriganda?« – »Er wurde als solcher ausgegeben, aber er ist es nicht« – »Was Ihr da sagt!« rief Josefa unter gut gespieltem Erstaunen. – »Es ist aber die Wahrheit«, meinte der Vaquero. »Dieser Alfonzo muß untergeschoben sein. Señor Mariano ist der richtige Graf de Rodriganda.« – »Ah, ich entsinne mich. Es ist mir, als ob Señor Arbellez etwas Ähnliches gesagt hätte. Es schien mir das aber doch zu phantastisch zu sein.« – »Oh, Señor Mariano soll dem Grafen höchst ähnlich sein, hörte ich damals.« – »Das beweist gar nichts. Menschen sind sich oft ähnlich.« – »Das ist sehr wahr, Señorita. Aber es muß doch noch andere, sehr triftige Gründe gegeben haben, von denen unsereiner allerdings nicht viel zu hören bekommt.« – »Nicht viel, aber doch wohl etwas?« fragte Josefa lauernd. – »Hm! Ich habe einmal den Haziendero mit Señora Marie Hermoyes über diese Angelegenheit sprechen hören. Sie wußten allerdings nicht, daß ich in der Nähe war.« – »Was habt Ihr da erfahren?« – »Señora Marie hat den jungen Grafen nach Mexiko gebracht« – »Nun, so muß sie doch wissen, ob es der rechte ist oder nicht.« – »Sie hat das erstere geglaubt, ist aber später anders überzeugt worden. Ich hörte nur, daß die Tochter dieses Cortejo mit im Komplott gewesen sei. Diese Josefa muß ein Ausbund von Schlechtigkeit sein.«
Josefa hatte Mühe, sich zu beherrschen, doch zwang sie sich zu der ruhigen Frage:
»Ihr kennt sie also nicht und habt sie auch nie gesehen?« – »Nein. Es handelt sich um ein Testament, das verschwunden ist. Das wird ihnen aber nichts nützen, da der alte Graf ja nun wieder erschienen ist.« – »Das ist richtig. Wenn der Testator noch lebt, hat das Testament natürlich keine Gültigkeit. Aber er mag sich nur in acht nehmen, daß er am Leben bleibt.«
Aus diesen Worten klang ein nicht mehr ganz verborgener und kaum noch zurückgehaltener Grimm heraus, so daß der Vaquero Josefa betroffen anblickte und fragte:
»Wie meint Ihr das, Señorita?« – »Nun, wenn der Graf noch lebt, und wenn alle noch leben, die verschwunden waren und auch tot zu sein schienen, so leben doch auch ihre Feinde noch.« – »Oh, die sind ja nicht zu fürchten!« – »Ah, waren sie etwa früher nicht zu fürchten?« – »Ja, das war etwas anderes. Man kannte sie nicht, man wußte nicht, was sie taten und beabsichtigten; jetzt aber sind sie ja alle völlig entlarvt, und da wird man sich wohl vorsehen, ihnen abermals in die Hände zu fallen.«
Josefas hageres Gesicht nahm einen offenbar höhnischen Ausdruck an.
»Ihr sprecht sehr klug«, meinte sie. »Nur schade, daß Ihr Euch gewaltig irrt!« – »Wieso, Señorita?« – »Nun, wenn diese Feinde entlarvt sind, so sind sie jetzt viel mächtiger als früher.« – »Ah, wer sollte sie fürchten?« – »Nicht? Auch Cortejo etwa nicht?« – »Nein.« – »Aber er ist jetzt ein gewaltiger Parteigänger; er wird in kurzer Zeit Präsident oder gar König von Mexiko sein, also der mächtigste Mann im ganzen Staat.« – »Oh, bildet Euch das nicht ein, Señorita! Noch ist General Bazaine da.« – »Bazaine? Den wird man fortjagen.« – »Und Maximiliano von Österreich?« – »Der Scheinregent? Der Flimmerkaiser? Der wird endlich von selbst ausreißen!« – »Aber Juarez, der Präsident?« – »Der Indianer vom Stamm der Zapoteken? Den wird man sehr einfach an einem Strick aufhängen und von den Geiern fressen lassen.«
Josefas Gesicht hatte einen finsteren, fast diabolischen Ausdruck angenommen. Der Vaquero bemerkte das wohl, und er wurde sichtlich unschlüssig, was er von ihr denken solle.
»Glaubt das nicht, Señorita!« sagte er. »Habt Ihr Juarez schon einmal gesehen?« – »Ja, oft sogar, in Mexiko, in der Hauptstadt.« – »Als er noch Oberrichter war?« – »Ja, und dann später als Präsident.« – »Nun, damals war er ein Mann, den man anerkannte. Später wurde er vertrieben; er mußte fliehen, und das ändert den Menschen. Was früher Knorpel war, das wird dadurch zum Knochen. Juarez ist jetzt ein anderer als früher. Ich glaube nicht, daß er sich hängen lassen wird; ich glaube vielmehr, daß diejenigen hängen werden, die ihm den Strick zugedacht haben, am ersten dieser Cortejo, der die Hanfschlinge tausendmal verdient hat.«
Da trat Josefa einen Schritt auf ihn zu und zischte den Vaquero an:
»Das wünscht Dir wohl von ganzem Herzen?«
Der Gefragte fuhr um einen Schritt zurück, blickte erstaunt die Sprecherin an und erwiderte:
»Ja, natürlich! Ihr doch auch?« – »Ich? Ah, ich sage Euch, weil Ihr wünscht, Cortejo am Strick zu sehen, werdet Ihr der erste sein, den man hängen wird.«
Josefas Augen sprühten, ihre Selbstbeherrschung und ihre Verstellung waren vorüber.
»Aber, Señorita«, sagte der Vaquero verwundert »ich begreife Euch nicht!« – »Oh, Ihr sollt mich und alles andere sogleich begreifen! Nicht wahr, Ihr habt gesagt, daß Ihr mit Eurem Haziendero zu Juarez haltet?« – »Ja, freilich!« – »Nun, wenn alle Anhänger dieses Juarez so dumm sind wie Ihr und Euer Herr, so wird er ohne allen Zweifel in sehr kurzer Zeit hängen. Wißt Ihr, wo Arbellez ist?« – »Nun, geflohen, denke ich«, antwortete der Vaquero, ganz betreten von der plötzlichen Veränderung, die mit diesem Mädchen vorgegangen war. – »Und das laßt Ihr Euch weismachen? Ihr seid wirklich dümmer als dumm!«
Der Vaquero zögerte, zu antworten; er war zu ehrlich, um an eine solche Verlogenheit sogleich glauben zu können, dann aber sagte er langsam und zögernd:
»Aber Ihr habt es mir ja selbst gesagt!« – »Ja, aber ich dachte nicht, daß Ihr so einfältig wäret, es zu glauben. Haltet Ihr Cortejo wirklich für so unvorsichtig, Arbellez entkommen zu lassen?« – »Es ist ja mit Eurer Hilfe geschehen!« – »Nein, mit meiner Hilfe ist im Gegenteil Arbellez gefangengenommen worden!« – »Gefangengenommen?«
Die Augen des Vaquero vergrößerten sich; seine Lippen preßten sich zusammen.
»Ja. Er steckt unten im Keller. Er ist verurteilt, langsam zu verhungern.« – »Treibt keinen so grausamen Scherz, Señorita!« – »Oh, wenn Ihr wüßtet, wer ich bin, so würdet Ihr es nicht für Scherz halten!« – »Wer seid Ihr denn? Ihr habt es mir ja gesagt!« – »Um Euch zu täuschen, um aus Euch herauszulocken, was ich erfahren wollte. Und das ist mir glänzend gelungen. Ratet, wer ich bin!«
Bei dieser Aufforderung ruhte Josefas Auge mit einem triumphierenden Blick auf dem Vaquero.
Dieser war zwar ein einfacher, ehrlicher Mann, aber doch keineswegs ein Idiot. Es ging ihm eine plötzliche Ahnung durch die Seele.
»Mein Gott, ahne ich recht?« rief er erschrocken. Ihr seid … Ihr seid … Himmel, wenn es wahr wäre!« – »Nun, heraus damit!« – »Ihr seid Señorita Josefa … – »Ja!« entgegnete sie frohlockend, »ich bin die Tochter Cortejos.« – »So sei mir die heilige Madonna gnädig! Was habe ich getan!« – »Ja, sie mag Euch gnädig sein! Ich habe alles erfahren, alles, was ich nicht erfahren sollte. Und wißt Ihr, was ich nun tun werde?« – »Nun?« fragte er in höchster Bestürzung. – »Ich werde nach Fort Guadeloupe senden und den Grafen ermorden lassen …« – »Mein Gott!« – »Ich werde nach El Refugio senden und den Engländer nebst seiner Tochter ebenso ermorden lassen …« – »Das möge Euch nicht gelingen!« stöhnte der Alte. »Ich wäre schuld daran!« – »Ja, Ihr tragt die Schuld daran! Ich werde ferner Juarez und allen, die bei ihm sind, auflauern lassen. Sie müssen sterben, alle – alle – alle!«
Es glühte auf Josefas sonst so bleichem Gesicht eine so boshafte, höllische Freude, daß der Vaquero sich entsetzte. Beschwörend erhob er die gefesselten Arme und sagte:
»Señorita, bedenkt, daß es einen Gott im Himmel gibt!« – »Einen Gott? Ah!« lachte sie, den Kopf schüttelnd. – »Der alles belohnt oder bestraft, je nachdem es gut oder böse ist!« – »Das sind Ammenmärchen!« – »Oh, lästert nicht!« – »Ammenmärchen!« wiederholte sie. »Seht Ihr denn nicht, daß gerade Gott mich beschützt? Er hat mich Eure Anschläge wissen lassen. Aber ich brauche seine Hilfe gar nicht; ich weiß allein, was ich tue. Sie werden alle fallen. Und Ihr, wißt Ihr, was mit Euch geschieht?« – »Ich stehe in Gottes Hand«, antwortete er. – »Nein, Ihr befindet Euch zunächst in meiner Hand. Ihr werdet hängen, wirklich hängen, so wie ich es Euch versprochen habe. Ich pflege Wort zu halten.« – »Ich habe lange genug gelebt. Meine Tage waren ja bereits gezählt. Wollt Ihr um eines alten Vaquero willen Eure Schuld vergrößern, so tut es.« – »Ja, ich werde es tun!« – »Ihr seid eine Teufelin!« – »Nicht wahr? Ihr habt recht; das sollt Ihr an Euch selbst erfahren. Ihr sollt nämlich nicht sogleich gehangen werden, ich will Euch erst ein kleines Vergnügen gönnen.« – »Dieses Vergnügen wird eine Folter sein?« – »Meint Ihr? Ja, das ist möglich. Ihr sollt nämlich Arbellez verhungern sehen.« – »Meinen Haziendero? Ah, das werdet Ihr doch nicht tun, Señorita!« – »O doch! Auch diese Marie Hermoyes wird vor Euren Augen verschmachten.« – »Ihr wollt mich nur martern!« – »Hofft auf keine Schonung! Ihr habt vorhin gesagt, daß ich ein Ausbund von Schlechtigkeit sei, und ich werde Euch den Gefallen tun, Euch zu beweisen, daß ich dies auch wirklich bin. Arbellez und Marie Hermoyes sind unten im Keller eingeschlossen. Sie erhalten weder Speise, noch Trank. Ihr werdet zu ihnen gesteckt werden und Nahrung erhalten, bis sie tot sind. Dann werdet Ihr gehängt.« – »Das wäre höllisch.« – »Meinetwegen! Ihr werdet übrigens da unten sehr gute Unterhaltung haben. Arbellez wird musikalische Vorträge halten mit Stöhnen und Wimmern. Er kann kein Glied regen, denn ich habe ihn schlagen lassen, daß das Blut in der Stube umherlief und ihm der Atem ausging.«
Da färbte sich das Gesicht des Vaqueros rot und seine Muskeln spannten sich.
»Ist dies wahr?« fragte er. »Ihr habt ihn wirklich schlagen lassen?« – »Ja.« – »Bis aufs Blut?« – »Freilich!« – »Mein Gott! Wäret Ihr doch ein Mann und nicht ein Weib, dann würde ich Euch für diese freche Grausamkeit bestrafen!« – »Ihr mich?« rief sie. – »Ja«, antwortete er drohend. »Oder glaubt Ihr, daß ein Vaquero machtlos ist, weil ihm die Hände gebunden sind? Ihr seid ein Weib, ich verachte Euch. Aber das Blut meines Herrn schreit zum Himmel auf, und Gott wird es hören und rächen.« – »Packt Euch fort, Alter! Dieses Blut schreit höchstens zu dem Ast auf, an dem Ihr hängen werdet Herein!«
Dieser letzte Ruf galt den beiden Männern, die vor der Tür standen, und die jetzt eintraten. Josefa fragte sie:
»Habt ihr gehört, was gesprochen wurde?« – »Nein, Señorita«, antwortete der eine. – »Gut. Bringt diesen Menschen in den Keller hinab, wo sich die beiden anderen Gefangenen befinden. Diese müssen hungern und dürsten, er aber erhält täglich soviel, daß er gerade am Leben bleibt. Verstanden?« – »Ja.« – »Aber er erhält Speise und Trank nicht in das Loch hinein, sonst würde er den anderen davon geben. Er wird vor der Kellertür gefüttert.« – »Ich werde das genau besorgen, Señorita!« – »Gut. So schafft ihn fort! Morgen aber wird diese Marie Hermoyes herausgeholt, um fünfzig Hiebe zu erhalten.«
Josefa sagte dies nur, um den alten Vaquero zu ärgern; dieser aber nahm es für ernst. Er wandte sich zu ihr und fragte:
»Wie, Ihr wollt auch diese schlagen lassen?« – »Ja.« – »Oder droht Ihr bloß?« – »Pah, Alter! Es ist mein Ernst!«
Da schwoll die Ader an seiner Stirn.
»So seid Ihr allerdings kein Weib, das man schonen muß, sondern ein Satan, den man vertilgen muß. Fahrt zur Hölle!«
Damit erhob der Vaquero den Fuß. Die Männer sahen es und fielen über ihn her; aber dennoch gelang es ihm, dem Mädchen mit solcher Gewalt gegen den Unterleib zu treten, daß es über das Zimmer hinüber an die Wand flog.
»Kerl, was hast du gemacht!«
Mit diesen Worten wurde der Vaquero von den Kreaturen Josefas niedergerissen. Sie nahmen ihre Lassos ab und banden ihn fester als vorher.
Von der Wand her aber erscholl ein Wimmern. Rasch trat einer der beiden Männer zu Josefa, die die Augen geschlossen hielt und stöhnte.
»Fehlt Euch etwas, Señorita?«
Josefa öffnete die Lider, sah ihn an, holte schmerzlich Atem, antwortete aber nicht.
»Tut Euch etwas weh?« fragte er. – »Ja«, hauchte sie. »Die Brust.«
Bei diesen Worten hob sie leise die Hand und legte sie auf die schmerzende Stelle.
»Donnerwetter, Ihr werdet doch nichts gebrochen haben!« rief er. – »Ich weiß es nicht«, lispelte sie. – »Habt Ihr denn irgendwo Schmerzen?« – »Da«, entgegnete Josefa und legte die Hand auf die Stelle, wohin der Tritt des Vaquero sie getroffen.
»Ja, das war ein Fußtritt. Und wir haben keinen Doktor hier. Was macht man da? Señorita, versucht doch einmal, ob Ihr aufstehen könnt.«
Der Mann umfaßte die Verletzte und versuchte, sie emporzurichten.
»O Gott!« rief Josefa da, denn diese Bewegung hatte ihr große Schmerzen verursacht. – »Jetzt ruft sie zu Gott«, höhnte der Vaquero. – »Still, du Schuft!« rief sein Wächter. »Du wirst den Tritt teuer bezahlen müssen.« – »Wo tut es jetzt weh, Señorita?« fragte der andere. – »Hier«, erwiderte sie, nach der linken Brust zeigend. – »An, so habt Ihr einige Rippen gebrochen. Wollen einmal sehen, wie es mit den Armen und Beinen steht.«
Der nicht eben sanfte Samariter zerrte an den erwähnten Gliedern hin und her und sagte dann beruhigend:
»Na, die sind noch ganz, und das mit den Rippen hat nichts zu bedeuten. Man drückt und quetscht ein wenig daran herum, und sie sind zurechtgeschoben. Kommt! Ich lege Euch da auf die Hängematte.«
Josefa schüttelte den Kopf.
»Wohin sonst?« – »Setzt mich dort auf den Stuhl … an den Tisch!«
Sie sprach nur mit Mühe. Das Atmen und infolgedessen auch das Reden fielen ihr schwer! Der Mann faßte sie an, hob sie empor und ließ sie auf den Stuhl nieder. Sie wimmerte dabei, er aber sagte:
»Na, es geht ja. Haltet Euch nur aufrecht Ich werde Euch eine Magd schicken. Vorher aber müssen wir diesen Kerl nach dem Loch bringen. Welche Strafe soll er für den Tritt erhalten, Señorita?«
Josefa schüttelte mit dem Kopf und winkte mit der Hand von sich ab.
»Keine?« fragte er verwundert. – »Doch«, antwortete sie leise. »Aber jetzt nicht.« – »Ah, das ist etwas anderes. Also später. Fort mit dir, Halunke, du wirst bald erfahren, was du dir da für einen Braten an den Spieß gesteckt hast«
Der Vaquero wurde von den Männern erfaßt und hinausgestoßen. Sie schleppten ihn zwei Treppen tiefer, bis vor die Tür des Loches. Erst als sie die Riegel zurückgeschoben hatten, bemerkten sie das Hängeschloß.
»Donnerwetter, das habe ich vergessen, ich muß wieder hinauf«, rief der eine.
Mit diesen Worten eilte er zurück.
»Nun, was macht die Señorita?« fragte ihn sein Kamerad, als er wiederkam. – »Sie lag mit dem Kopf auf dem Tisch und spuckte Blut.« – »Ah, so sind wirklich Rippen entzwei. Mein Oheim war Bader, weißt du das?« – »Nein. Also Bader! Da konnte er wohl gebrochene Rippen wieder ganz machen?« – »Ja, natürlich.« – »Aber was kann das uns hier nützen?« – »Siehst du denn das nicht ein?« – »Hm. Lebt denn dein Oheim noch, und ist er hier auf der Hazienda?« – »Nein, er ist tot. Er hat den Hals gebrochen, und den konnte er sich selbst nicht einrichten.« – »Nun also, was haben wir da von deinem Oheim?« – »Kannst du das nicht einsehen?« – »Nein.« – »Ich will es dir sagen. Wenn er mein Oheim war, was war ich da von ihm?« – »Ach, doch nicht etwa sein Lehrjunge?« – »Oh, gerade das bin ich gewesen!« – »Donnerwetter, so bist du ja auch Bader!« – »Nein.« – »Was denn sonst?« – »Ich war nur eine Woche in der Lehre. Da zog ich einem statt des kranken zwei gesunde Zähne aus und bekam dafür solche Prügel, daß ich auf und davon lief. Mit der Baderei war es also für immer zu Ende.« – »O weh!« – »Warte es ab. Während meiner Lehrzeit nun kam es gerade vor, daß einer zwei oder drei Rippen brach …« – »Ah, während dieser acht Tage?« – »Ja.« – »Welch ein Glück.« – »Das nennst du Glück? Wohl für den, der die Rippen gebrochen hatte?« – »Unsinn. Was gehen mich die Rippen dieses Kerls an? Ich meine für uns.« – »Da kannst du allerdings recht haben, denn mein Oheim mußte diese Rippen einrichten.« – »Und du warst dabei?« – »Natürlich. Ich mußte mithelfen. Der Kerl brüllte zwar etwas, aber daraus darf man sich nicht viel machen. Die Rippen wurden eingerichtet.« – »Wie fingt ihr dies an?« – »Sehr einfach. Der Kerl mußte sich auf die Erde legen. Mein Oheim hielt ihm dann die Arme fest, und nun mußte ich ihm auf die Rippen treten.« – »Was? Auf die gebrochenen Rippen?« – »Unsinn! Auf die gesunde Seite. Sobald man nämlich auf dieser Seite acht– bis zehnmal auf– und niederspringt, kommt die Brust in eine solche Bewegung, daß die herausgebrochenen Rippen wieder einschnappen.« – »Das wäre allerdings höchst einfach. Der Kerl wurde also gesund?« – »Leider nicht; er war in vierzehn Tagen tot.« – »Ah! Also gelang die Heilung der Rippen nicht?« – »Unsinn, sie gelang vollständig. Als er nämlich tot war, stellte es sich heraus, daß der Kerl die Rippen gar nicht gebrochen hatte.« – »Donnerwetter! Was denn?« – »Das Bein, unweit der Hüfte. Da kam der Brand dazu, und so mußte er ins Gras beißen. Hätte er dem Oheim nicht weisgemacht, daß er die Rippen gebrochen habe, so hätten wir ihm anstatt der Rippen das Bein eingerichtet; der Brand wäre nicht gekommen, und der Mann lebte heute noch.« – »Das ist gewiß. Und solche Leute wollen Patienten sein. Hast du dir das mit den Rippen genau gemerkt?« – »Sehr genau!« – »Getraust du dir, sie auch der Señorita einzurichten?« – »Ganz gewiß. Ganz ausgezeichnet. Nur eins muß ich sicher wissen, ob es nämlich auch wirklich die Rippen sind, die sie gebrochen hat.« – »Was anderes soll sie denn gebrochen haben?« – »Vielleicht den Hals?« – »Da wäre sie tot.« – »Oder ein Bein!« – »Nein; an den Beinen habe ich sehr stark gezogen und gezerrt.« – »Oder einen Arm.« – »Sie kann sie ja alle zwei bewegen.« – »Nun, so können es also nur die Rippen sein.« – »Es fragt sich, ob sie es erlaubt, daß du auf sie trittst und springst.« – »Das ist gar nicht nötig.« – »Nicht? Warum denn nicht?« – »Eine Señorita ist viel zarter gebaut wie ein Mann; da braucht man nicht zu treten und zu springen. Es genügt, wenn man mit den Fäusten tüchtig drückt und trommelt. Dann schnappen die Rippen von selber ein.« – »Und einer muß halten.« – »Ja, natürlich; damit sie mich nicht stört.« – »Wen wirst du dazu nehmen?« – »Ich weiß noch nicht Du hättest wohl Lust?« – »Ja. Die Señorita wird jedenfalls ein gutes Geschenk geben, wenn sie wieder gesund ist. Willst du mich ihr vorschlagen?« – »Ja; aber nur unter der Bedingung, daß du sie festhältst. Sie mag schreien, weinen, bitten, räsonnieren, wie sie will; du darfst nicht darauf hören, sondern du mußt festhalten, bis du die Rippen schnappen hörst« – »Hört man dies denn?« – »Ja; sie geben einen lauten Knacks, den man nicht gut überhören kann.« – »Gut Ich werde so festhalten, daß zehn Pferde nichts machen könnten.« – »So sind wir also einig. Du gehst nun zu ihr und sagst daß ich ein Bader bin.« – »Ja. Und du sagst ihr nachher, daß ich dir helfen soll.« Während dieses grotesk-komischen Gesprächs hatten die beiden Kerle sich Mühe gegeben, das Hängeschloß zu öffnen. Jetzt endlich gelang es. Die Tür wurde aufgetan und, nachdem der Vaquero hineingestoßen worden war, wieder hinter ihm verschlossen. Dann hörte man, daß die Männer sich entfernten.
6. Kapitel
Gleich im ersten Augenblick war der Alte auf eine Gestalt getreten, die zusammengekauert an der Mauer zu sitzen schien. Bei dem zweiten Schritt stieß er an eine Person, die auf dem Boden lag. Erkennen konnte er nichts, denn es war vollständig dunkel.
Er wartete nun, bis die Schritte verhallt waren, dann sagte er:
»Señor Arbellez.«
Ein leises Stöhnen antwortete.
»Señor Pedro Arbellez.«
Das Stöhnen wiederholte sich, aber ein Wort hörte man nicht. »Señora Marie Hermoyes!« – »Das bin ich«, antwortete die an der Mauer sitzende Gestalt. »Wer seid Ihr?« – »Wer ich bin? Ah, kennt Ihr mich denn nicht an der Stimme?«
Der Vaquero nannte seinen Namen. Da fuhr Marie von ihrem kalten, feuchten Sitz so schnell auf, als es ihre Fesseln zuließen, und rief:
»Du bist es? Du? Ist das möglich! Wie kommst du herein zu uns?« – »Ich bin Gefangener«, antwortete er. – »Mein Gott! Bereits glaubte ich, Rettung durch dich erwarten zu können.« – »Wenn Gott kein Wunder tut, ist Rettung unmöglich.« – »Santa Madonna! Auch du verzweifelst?« – »Verzweifeln? Nein, denn Gott lebt noch, er allein kann uns retten.« – »Oh, möchte er es bald tun, sonst sind wir verloren. Wie hast du es in Fort Guadeloupe gefunden, und wie bist du in Cortejos Hand gefallen?« – »Das werde ich später erzählen. Laßt uns zunächst über die Gegenwart sprechen. Der hier liegt, ist Señor Arbellez?« – »Ja.« – »Steht es schlimm mit ihm?« – »Er ist am ganzen Körper blutrünstig und fällt aus einer Ohnmacht in die andere. Weißt du schon, was mit ihm geschehen ist?« – »Ja. Gott vergelte es diesem Satan am Tag des Gerichts. Ihr sollt verhungern!« – »Ja, und verdursten.« – »So habt Ihr gar nichts zu essen und zu trinken?« – »O doch! Irgendein Mitleidiger hat uns täglich Brot und Wasserflaschen durch das Luftloch herabgelassen. Auch andere Dinge scheinen dabei zu sein. Leider aber kann uns das alles nichts helfen, denn wir sind ja gefesselt. Ich kann die Hände nicht gebrauchen.« – »Ebenso wie ich. So habt Ihr noch nichts genossen?« – »Noch gar nichts.« – »Mein Gott! Und dieser enge Raum? Drei Personen können hier kaum stehen, geschweige denn liegen. Ah, da fällt mir ein, ich habe ja mein Messer bei mir.« – »Dein Messer? Hat man dich nicht entwaffnet?« – »Freilich, aber man hat vergessen, mir die Taschen auszusuchen. In der linken Tasche meiner Hose steckt mein Klappmesser, es ist scharf wie Gift, aber ich kann die Hand nicht in die Tasche bringen.« – »Vielleicht gelingt dies mir, wenn du zu mir trittst.« – »Laß es uns versuchen.«
Der Vaquero trat ganz nahe zu Marie Hermoyes heran, so daß es ihr gelang, eine ihrer gefesselten Hände in seine Tasche zu bringen und das Messer herauszunehmen.
»Aber was nun?« fragte sie. »Ich kann es nicht öffnen.« – »Halte den Griff nur fest, ich werde die Klinge mit den Zähnen packen«, erwiderte er.
Dies geschah, und nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es.
»So«, sagte endlich der Vaquero. »Jetzt nehme ich das Messer in meine rechte Hand, und du reibst deine Fesseln an der Schneide hin und her. Hast du einmal deine Hände frei, so schneidest du auch meine Riemen durch.«
Auch dies geschah; wenngleich eine lange, Zeit verging, ehe sie zum Ziel gelangten, standen sie endlich doch fessellos da.
»Gott sei Lob und Dank!« rief Marie. »Nun kann ich doch nach unserem guten Señor sehen oder wenigstens nach ihm greifen. Nimm dich in acht, daß du nichts von dem zertrittst, was uns der unbekannte Wohltäter herabgelassen hat.« – »Laß uns zunächst sehen, was es ist!« entgegnete der Vaquero.
Beide knieten nieder und fühlten mit den Händen um sich.
»Ein kleines Brot«, sagte Marie. – »Eine Wasserflasche«, meinte der Vaquero. – »Noch ein Brot. Ah, und hier finde ich ein Talglicht!« – »Ist‘s wahr, Señora?« – »Ja.« – »Nun, so hat man jedenfalls auch Zündhölzer herabgelassen. Leider werden sie wohl naß geworden sein. Ah, hier liegt ein kleines Lederpaket.«
Der Vaquero öffnete es, betastete den Inhalt und fuhr fort:
»Wirklich Zündhölzer, noch ganz trocken, und ein Zettel dabei! Laßt uns das Licht anbrennen, Señora Marie, damit wir uns umsehen können.«
Das Licht war bald in Brand gesteckt, und so fanden sie noch ein zweites Licht und noch eine dritte und vierte Wasserflasche.
»Gott sei Dank, verdursten können wir nun doch nicht«, rief Marie erfreut, »Jetzt muß ich vor allen Dingen sehen, ob etwas aus dem Zettel steht.«
Sie hielt nun denselben etwas näher an das Licht und las:
»Von einem, der sich an Euch versündigt hat. Heute muß ich fort, aber ich habe einen anderen gefunden, der Euch an meiner Stelle täglich Licht Brot und Wasser geben wird. Betet für mich und vergebt mir.«
»Wer mag das sein?« fragte Marie. – Jedenfalls der, der den Señor geschlagen hat« – »Ja, jedenfalls. Gott verzeihe es ihm! Er mußte gehorchen. Aber, heilige Maria, wir denken ja gar nicht an unseren Herrn.«
Jetzt beleuchtete sie Pedro Arbellez. Er bot einen traurigen Anblick dar.
Seine Augen waren geschlossen, und sein Gesicht glich dem eines Toten. Er bewegte sich nicht. Die beiden braven Leute brachen in das heftigste Weinen aus.
»O heiliger Himmel, mein lieber, lieber Señor!«
Während Marie diese Worte schluchzte, nahm sie den Kopf des in dieser Weise Gemarterten in den Arm, und der Vaquero ballte die Faust.
»Das hätte ich vorhin wissen sollen, als ich bei dieser Josefa war!« sagte er. – »Oh, du warst bei ihr? Wie kamst du zu ihr? Was sagte sie?« – »Später davon! Ich habe ihr einen Tritt versetzt, daß sie einige Rippen gebrochen hat. Hätte ich aber vorher gesehen, was ich hier sehe, so hätte es ihr ganz sicher das Leben gekostet.« – »Was ist da zu tun?« rief Marie. »Unser guter Herr wird sicherlich sterben.« – »Das Beste und Notwendigste, was wir brauchen, hat uns Gott bereits beschert!« – »Wasser, nicht wahr?« – »Ja. Und hätte ich Leinwand an mir, ein Hemd oder …« – »Oh, ein Hemd habe ich, und auch einen übrigen Rock«, rief Marie. »Hier darf man keine Komplimente machen. Wir brauchen Verbandzeug.« – »Lösen wir das geronnene Blut erst auf.« – »Aber mit nassen Lappen, sonst verbrauchen wir zu viel Wasser.«
Marie zerriß nunmehr einen ihrer Röcke und entledigte sich auch des Hemdes. Dann wurden Lappen befeuchtet und dem Verwundeten aufgelegt. Es war eine langwierige Arbeit, und als endlich Arbellez verbunden war, war auch das zweite Licht fast ganz verbrannt.
Der Haziendero hatte während des Verbindens nur Zeichen des Schmerzes von sich gegeben, aber kein Wort gesprochen. Jetzt lag er ruhig atmend da. Die beiden Unglücksgefährten glaubten, daß er schlafe, und sprachen daher leise miteinander.
»Denkst du, daß er sterben wird?« fragte Marie. – »Das steht in Gottes Hand. Jammerschade wäre es.« – »Ja, der gute, liebe Señor!« schluchzte sie. – »Oh, nicht nur, weil er so lieb und gut ist, sondern auch aus einem ganz anderen Grund.« – »Aus welchem denn?«
Der Vaquero brannte vor Begierde, seine frohe Botschaft an den Mann zu bringen, aber er gab, wie diese Leute zu tun pflegen, seine Arznei in kleinsten Dosen.
»Es gibt Leute, die uns wohl befreien würden, wenn es uns gelänge, uns einige Zeit zu halten.« – »Wirklich? Glaubst du das? Wer sollte das sein?« – »Rate einmal!« – »Das könnten nur solche sein, denen Cortejo ein Feind ist. Etwa die Franzosen?« – »Nein.« – »Die Österreicher?« – »Nein.« – »Juarez?« – »Dieser eher. Wenn er wüßte, was hier vorgeht, käme er sicherlich. Aber es gibt noch ganz andere Leute hier. Da weiß ich zum Beispiel einen Señor Sternau …«
Der Vaquero hielt mit Vorbedacht inne und wartete.
»Sternau?« fragte Marie rasch. »Wer ist das?« – »Ein Mann, den ich in Fort Guadeloupe getroffen habe. Er ist Arzt und zugleich ein außerordentlicher Jäger und Krieger.« – »Mein Gott, da muß ich an jenen großen, deutschen Arzt denken, der damals auf der Hazienda so vieles erlebt hatte. Er hieß auch Sternau. Also der, den du meinst, würde kommen, um uns zu retten?« – »Ganz sicher.« – »Warum? Kennt er uns denn?« – »Freilich, du sagtest ja soeben selbst, daß jener Arzt Sternau hiergewesen sei.« – »Gewiß. Aber das ist doch nicht derjenige, den du meinst. Der ist tot!« – »Weißt du das genau?« – »Ja, denn lebte er noch, so hätte man längst etwas von ihm gehört.« – »So! Hm! Ferner war da auf dem Fort ein gewisser Señor Mariano.« – »Mariano?« fragte die Alte schnell. – »Ja, ferner ein gewisser Señor Helmers mit seinem Bruder …« – »Helmers? Geh, du schwärmst.« – »In meinen alten Tagen etwa? Es war ferner da ein gewisser Señor Büffelstirn, ein gewisser Señor Bärenherz, ferner ein …«
Da ergriff Marie die Hand des Vaqueros und sagte:
»Höre, willst du zu allem auch noch Spott mit mir treiben?«
Er aber hielt ihre Hand fest und fuhr fort:
»Ferner war da eine gewisse Señorita Emma Arbellez …«
Nun entriß Marie ihm mit Gewalt ihre Hände und zürnte:
»Schweig! Unser Unglück ist groß genug. Deine Phantasie ist gar nicht imstande, es durch trügerische Bilder zu mildern.«
Er aber fuhr unbeirrt fort:
»Ferner sah ich da einen gewissen Grafen Ferdinando de Rodriganda, von dem man gesagt hat, daß er gestorben sei; er aber lebt noch und kehrt nach Hause zurück, um seine alte, treue Marie Hermoyes zu belohnen.«
Das war der Alten denn doch zu viel.
»Ich bitte dich um Gottes Barmherzigkeit willen«, bat sie, »mir ehrlich zu gestehen, daß du dies alles nur sagst um mich hier zu trösten!« – »Fällt mir gar nicht ein!« – »Nicht trösten? Du willst dich also bloß lustig machen?« – »Fällt mir noch viel weniger ein!« – »Aber, mein Gott, wahr kann es doch nicht sein!« – »Warum nicht?«
Da faßte Marie dieses Mal beide Hände des Vaqueros, hielt sie fest und sagte:
»Höre, ich fordere dich auf, mir bei der heiligen Madonna zuzuschwören, daß du auf alle Fragen, die ich dir jetzt vorlegen werde, die Wahrheit antworten wirst.« – »Gut, ich schwöre es!« – »Nun, so sage mir, war Graf Ferdinando wirklich in Fort Guadeloupe?« – »Ja.« – »Es ist wirklich wahr, gewißlich wahr?« – »Bei Gott und allen Heiligen, es ist wahr!«
Da stieß die alte, treue Seele trotz ihrer gegenwärtigen, unglücklichen Lage einen Schrei aus, der fast einem Jauchzen glich.
»Er ist da! Er ist nicht tot!« rief sie. »Und wer war noch dort?« – »Señor Mariano …« – »Der echte Graf Alfonzo de Rodriganda!« fügte sie hinzu. – »Señorita Emma …« – »Die verloren geglaubte Tochter unseres guten Herrn! Oh, hätte er doch seine Besinnung, um es zu vernehmen. Weiter, weiter! Wer war noch da?« – »Die Señores Helmers …« – »Der Bräutigam von Señorita Emma und sein Bruder!« – »Büffelstirn und Bärenherz …« – »Die mich aus Mexiko nach der Hazienda retteten!« – »Und natürlich Sternau, der Fürst des Felsens.« – »Du hast sie gesehen?« – »Ja, alle zusammen.«
Die alte Marie schwieg; sie hätte gern gesprochen, ja, laut geschrien und gejubelt, aber sie brachte dies nicht fertig. Sie saß sprachlos da und weinte leise vor sich hin. Was sie gehört hatte, war zu groß für sie, stürmte zu mächtig auf sie ein. Sie fühlte sich förmlich erdrückt unter der Masse des Glücks, vor welcher der Gedanke an ihre gegenwärtige Lage zurücktreten mußte.
Und nun, während sie so weinte, begann der Vaquero seine so folgenschwere Unterredung mit Josefa zu erzählen. Er sprach in halblautem Ton, und Marie lauschte jedem seiner Worte.
Da erklang wie der Ton eines unsichtbaren Geistes eine leise Stimme neben ihnen:
»Sorgt Euch nicht. Ich sehe Euch frei. Die Guten siegen, sie haben dann noch eine schwere Prüfung, aber der Vater im Himmel führt sie zum Ziel.«
Der verwundete Haziendero hatte diese Worte gesprochen.
»Señor Pedro!« rief Marie
Er antwortete nicht.
»Señor Arbellez!«
Auch jetzt schwieg er.
Das Licht war niedergebrannt, darum konnten sie den Kranken nicht sehen.
»Hat er im Wachen gesprochen?« fragte sie leise. – »Dann wäre er ja sofort wieder eingeschlafen«, meinte der Vaquero. – »So hat er im Traum geredet.« – »Und der Traum hat ihm die Zukunft gezeigt.« – »Oder es ist noch anders«, sagte Marie zagend. »Hast du nicht schon einmal gehört, daß sich vor dem Auge mancher Sterbenden die Zukunft öffnet? Sie sagen dann Dinge vorher, die anderen verborgen sind.« – »So meinst du, daß unser Señor im Sterben liegt? Nein, das glaube ich nicht, der Tod ist anders. Wir haben ihn verbunden; das hat ihm wohlgetan. Er ist erwacht und hat meine Erzählung gehört, aber so, wie man etwas halb im Traum hört, so hat er auch gesprochen, und dann ist er sofort wieder eingeschlummert.«
Dieser Ansicht schloß sich schließlich auch Marie Hermoyes an.
7. Kapitel
Unterdessen hatte der eine der Mexikaner, die den Vaquero nach dem Keller gebracht hatten, eine Magd hinauf zu Josefa geschickt. Diese fand das Mädchen in der oben bereits erwähnten Stellung. Sie saß auf dem Stuhl, hatte die Stirn auf der Kante des Tisches liegen und hustete in einzelnen, schwachen Stößen Blut aus dem Mund.
»Um aller Heiligen willen, was ist mit Euch, Señorita?« fragte die Magd. »Ihr spuckt ja Blut. Seid Ihr verletzt?«
Josefa hob langsam den Kopf in die Höhe und erwiderte leise:
»Ich muß schreiben. Gib Kissen her.« – »Schreiben? Das geht unmöglich.« – »Es muß gehen.« – Aber man sagte mir, Ihr hättet mehrere Rippen gebrochen.« – »Wer sagte es?« – »Einer von den zweien, die dabeigewesen sind.«
Da fuhr sie langsam mit der Hand nach der Brust. Dann entfuhr ein Wehlaut ihrem Mund, ihr Gesicht wurde erst leichenblaß, dann blutrot, und nun hustete sie wieder so, daß das Blut ihr aus dem Mund floß.
»Seht Ihr es, Señorita, daß der Mann recht hatte?« rief das Mädchen. – »Hole ihn!«
Die Magd ging, und bald trat der ein, von dem sie soeben gesprochen hatte.
»Ihr sagtet vorhin, daß ich einige Rippen gebrochen hätte?« fragte ihn Josefa.
Man sah und hörte ihr an, daß ihr jede Silbe schwerfiel.
»Ja, Señorita«, antwortete er. – »Wißt Ihr, wo der nächste Arzt zu finden ist?« – »Vielleicht in Saltillo oder Castannela. Gewiß weiß ich es nicht.« – »Wie weit ist dies?« – »Einen und einen halben Tag und ebensolange wieder her, also drei Tage.« – »So lange kann ich nicht warten.« – »Ja, näher gibt es keinen Arzt.« – »Kennt Ihr alle Männer genau, die sich jetzt hier befinden?« – »Ich denke, so ziemlich alle.« – »Gibt es nicht zufälligerweise einen unter ihnen, der Arzt gewesen ist?«
Diese Frage war nicht so außerordentlich, als es einem Deutschen scheinen möchte. Da drüben in jenen Ländern spielt das Schicksal sonderbar mit dem Menschen.
»Arzt nicht, aber – Chirurg«, antwortete der Mann zögernd.
Er wollte das Wort Bader denn doch lieber nicht gebrauchen.
»Chirurg? Das ist ja, was ich nötig habe. Wer ist es?« – »Mein Kamerad, der vorhin mit bei Euch war.« – »Der den Vaquero hielt?« – »Ja.« – »Versteht er sich auf Rippenbrüche?« – »Oh, ausgezeichnet. Er hat schon als Lehrling Rippenbrüche geheilt.« – »So holt ihn herauf.«
Der Mann ging und brachte in kurzer Zeit seinen Kameraden herbei, der mit selbstbewußter Miene in das Zimmer trat.
Josefa hatte Mühe, sich auf dem Stuhl zu halten.
»Ihr seid Chirurg?« fragte sie ihn. – »Nein«, antwortete er. – »Dummkopf«, raunte ihm der andere zu. – »Was denn?« fragte sie. »Der da sagte, daß Ihr Chirurg wäret.« – »Chirurg nicht, sondern Bader bin ich, Señorita.« – »Bader? Das ist ja ein sehr großer Unterschied, denke ich.«
Der gute Mann sah ein, daß er einen Fehler gemacht hatte, und antwortete:
»Jawohl, Señorita. Nämlich die Chirurgen heilen die Bein– und Leistenbrüche, die Bader aber heilen die Rippen– und Wasserbrüche.«
Er glaubte, damit seinen Fehler wieder gutgemacht zu haben. Josefa litt zu große Schmerzen, als daß sie über diesen Unsinn nachgedacht hätte.
»Also Ihr versteht, mit Rippenbrüchen umzugehen? Ihr könnt sie einrichten, verbinden und kurieren?« – »Das meine ich.« – »So untersucht mich einmal genau.« – »Legt Euch in die Hängematte.« – »Schafft mich hin.«
Die beiden Männer griffen zu und legten Josefa in die Matte. Da sie nach Art des Landes nur leicht gekleidet war, so konnte die Untersuchung ohne große Schwierigkeiten vorgenommen werden. Sie biß die Zähne zusammen, mußte aber doch einige Male einen Schmerzensschrei ausstoßen.
Endlich war der Mann fertig. Er verstand von dem Bau und den Krankheiten des menschlichen Körpers nicht mehr, als jeder andere Abenteurer, dennoch aber gab er sich den Anschein eines Mannes der Wissenschaft.
»Nun, wie steht es denn?« – »Schlimm, sehr schlimm«, antwortet er. – »Wirklich?« fragte sie voller Angst – »Ja, es steht so schlimm, daß es Euer Tod sein würde, wenn Ihr Euch an einen Pfuscher wendetet. Davon rate ich Euch ab.« – »Nun, was seid Ihr denn da? Ein Pfuscher?« – »Pfui Teufel«, antwortete er stolz. – »Also ein erfahrener Bader?« – »Ja. Fragt nur den da, der weiß es. Der hat Kuren von mir gesehen, Kuren, daß sich einem die Haare sträuben würden.« – »Vor Angst und Schreck?« – »Unsinn! Vor Erstaunen und Bewunderung.« – »Nun also, wie steht es mit mir?« – »Das muß ich Euch erklären. Habt Ihr die Rippen studiert, Señorita?« – »Nein.« – »So muß ich Euch sagen, daß es dreierlei Rippen gibt; solche, die zusammenstoßen, das sind die verheirateten Rippen, solche, die nicht zusammenstoßen, das sind die unverheirateten Rippen, und solche, die nur zuweilen zusammenstoßen, das sind die Konkubinatsrippen. Eine jede Frau hat sechs verheiratete, fünf unverheiratete und vier Konkubinatsrippen auf jeder Seite, macht also zusammen dreißig Rippen vorn und dreißig Rippen hinten. Der Mann hat einige Konkubinatsrippen mehr und eine verheiratete weniger.« – »Wozu das alles?« – »Um Euren Zustand zu begreifen. Der Fußtritt hat eine sehr große Verwüstung bei Euch angerichtet Es sind nicht nur neun Rippen gebrochen, nämlich auf der linken Seite, sondern die gebrochenen und ungebrochenen sind vollständig untereinander geraten – verheiratete, unverheiratete und Konkubinatsrippen. Alles befindet sich bunt durcheinander. Darum stehen Sie so große Schmerzen aus. Das alles auseinanderzubringen, ist wahrhaftig nicht jedermanns Sache.« – »Werdet Ihr es fertigbringen?« – »Das versteht sich«, antwortete er, sich in die Brust werfend. – »Wie lange wird es dauern?« – »Vier bis fünf Stunden.«
Josefa wurde leichenblaß.
»Fünf Stunden«, hauchte sie, »das ist ja unerhört.« – »Unerhört? Bei neun Rippen? Wo denkt Ihr hin. Ich habe in Durango zugesehen, wie ein Kolleg nur drei gebrochene Rippen einrichtete, was bei ihm elf volle Stunden dauerte, und als die Patientin gesund war, stellte es sich heraus, daß er zwei von diesen Rippen so dumm eingerichtet hatte, daß sie zwei Fuß lang hinten zum Rücken hinausstanden.« – Aber die Schmerzen«, sagte sie bang. – »Pah, das tut nicht sehr weh, das ist ungefähr so, als wenn Euch ein ziemlich großer Floh sticht. Und tut es einmal weher, so ist es am besten, man beißt die Zähne zusammen und fällt in eine Ohnmacht. Werdet Ihr das können?« – »Ich denke.« – »Nun, so kann es wohl losgehen?« – »Halt. Zuvor eine Frage. Darf ich dann gleich schreiben?« – »Wo denkt Ihr hin. Es würden Euch ja alle neun zum Rücken hinausfahren, wie der Frau in Durango. Ihr müßt im Bett liegenbleiben.« – »Gut, so werde ich vorher schreiben.« – »Ist das so notwendig?« – »Ja.« – »Aber Ihr werdet dabei große Schmerzen ausstehen.« – »Das muß ich ertragen.« – »Ganz, wie Ihr wollt. Ich muß Euch aber sagen, daß ich mit diesen neun Rippen nicht allein fertig werden kann.« – »So braucht Dir also Hilfe?« fragte sie erschrocken. – »Ja.« – Aber woher diese nehmen?« – »Ist schon gefunden. Hier mein Kamerad.« – »Ist er denn auch Chirurg oder Bader?« – »Nein, das ist gar nicht notwendig. Ich brauche nur einen Mann, der aufpaßt, daß die verheirateten, unverheirateten und Konkubinatsrippen nicht wieder zusammenfahren, wenn ich sie auseinandergelesen habe. Er muß sie festhalten, bis ich eine nach der anderen eingerichtet habe.« – »Nun gut, er mag Euch helfen. Ich werde Euch rufen lassen, wenn ich Euch brauche. Schickt mir die Magd und noch eine zweite dazu.«
Die beiden Männer gingen. Unten sagte der Bader zum anderen:
»Habe ich das nicht gut gemacht?« – »Famos! Sind wirklich neun entzwei?« – »Unsinn; es sind nur sechs. Drei habe ich dazugelogen, um ein besseres Trinkgeld zu erhalten. Verstehst du mich?« – »Sehr gut. Du bist ein Schlaukopf. Aber war das mit den dreierlei Rippen auch wirklich wahr?« – »Hm, darüber bin ich noch selbst im Zweifel. Ich glaube, das hat mir einmal ein Spaßvogel aufgebunden, und nun habe ich es auch glücklich wieder abgeladen.« – »Und sie hat es geglaubt?« – »Ah, Weiber glauben alles, wenn sie ein paar Rippen gebrochen haben, sonst aber glauben sie verdammt wenig, das kann ich dir sagen.« – »Hm, das ist meine Erfahrung auch. Aber ich will nach den Mägden sehen, damit sie nicht so lange zu warten braucht.«
Eine Viertelstunde später saß Josefa, von Kissen unterstützt und von den zwei Mägden gehalten, vor dem Tisch und schrieb. Es ging nur langsam, und es war viel, was sie schrieb. Endlich war sie fertig und schickte die Mädchen fort, zugleich ließ sie einen der Unteranführer rufen und fragte ihn:
»Hat Euch mein Vater seine Route mitgeteilt?« – »Ja, im geheimen, Señorita«, antwortete er. – »Ihr würdet ihn also treffen, wenn ich Euch ihm nachschickte?« – »Sicher.« – »Wann?« – »Er reitet schnell. Vier Tage würde ich brauchen.« – »Wenn Ihr ihn von jetzt an in vier Tagen erreicht und ihm diesen Brief übergebt, erhaltet Ihr dreihundert Duros ausgezahlt. Wollt Ihr diese Botschaft übernehmen?« – »Ja«, antwortete der Mann, indem sein Gesicht strahlte. – »Aber mein Vater braucht noch mehr Leute. Könnten wir fünfzig Mann entbehren?« – »Ja, ganz gut.« – »So nehmt fünfzig wohlbewaffnete Männer mit. Ihr werdet später erfahren, weshalb. Nur so viel kann ich Euch sagen, daß es einen Zug gilt, der Euch Auszeichnung und gute Beute bringen wird. Diesen Brief aber gebt ja in keine anderen Hände, als in die meines Vaters.«
Der Brief lautete wie folgt:
»Lieber Vater!
Ich habe kurz nach deinem Wegritt höchst Wichtiges erfahren. Ein alter Vaquero, derjenige, den Arbellez nach Fort Guadeloupe geschickt hatte, kam zurück, wurde festgehalten und von mir verhört. Es gelang mir, ihm folgendes zu entlocken:
Henrico Landola hat ein falsches Spiel mit uns getrieben. Keiner unserer Feinde ist tot sie leben alle noch. Sie wurden auf einer wüsten Insel ausgesetzt von der sie sich jetzt gerettet haben. Gegenwärtig befinden sie sich in Fort Guadeloupe, um unter Juarez‘ Schutz gegen uns loszubrechen. Es sind: Sternau, Mariano, Graf Ferdinando, die beiden Helmers, Büffelstirn, Bärenherz, Emma Arbellez und Karja. Graf Ferdinando bleibt auf dem Fort, weil er verwundet ist; er wird unter Apachenbedeckung später den anderen nachreiten. Diese sind mit Juarez nach Chihuahua aufgebrochen, von wo sie dann nach Coahuila gehen werden, um auch dieses zu erobern.
Juarez hat vier Kompanien Franzosen vernichtet und ebenso viele Komantschen. Östlich von Coahuila, am Zusammenfluß des Sabinaflusses mit dem anderen Arm, wollen sie Lord und Amy Lindsay treffen.
Du weißt nun, wie die Sachen stehen, und wirst dir selbst sagen, was geschehen muß. Sie müssen natürlich alle sterben, sonst sind wir verloren. Triff deine Maßregeln schnell, ich sende dir zu diesem Zweck noch fünfzig Männer nach.
Handle schleunigst, daß du bald zurückkehren kannst. Ich bedarf deiner, denn ich habe neun Rippen gebrochen, die mir jener Vaquero eingetreten hat, aus Rache, daß ich ihn überlistet und ausgehorcht habe.
Deine Josefa.«
Noch vor Abend sprengte die Truppe von fünfzig Mann zum Tor der Hazienda hinaus. Der Anführer trug den Brief wohlverwahrt bei sich.
Um dieselbe Zeit lag Josefa auf einem über den Boden ausgebreiteten Teppich. Die Operation hatte begonnen. Während der eine Mexikaner sie mit seinen Fäusten hielt, arbeitete der andere an ihren sechzig Rippen in einer Weise herum, daß ihr der blutige Schaum vor dem Mund stand.
Man hörte in der ganzen Hazienda ihr Schmerzgeschrei, das einem tierischen Gebrüll ähnlicher klang, als menschlichen Wehlauten. Man wollte bei ihr eintreten, um zu sehen, ob das nicht zu ändern sei, aber die beiden Operateure hatten von innen die Tür verschlossen und ließen keinen Menschen ein.
Erst nach mehreren Stunden hörte das Brüllen auf, und wer an der Tür horchte, konnte ein halblautes, ununterbrochenes Wimmern vernehmen. Die Tochter Cortejos litt unsägliche Schmerzen. In diesem Augenblick hätte sie den Tod willkommen geheißen. Und doch ahnte sie nicht, daß sie diese Schmerzen nun stets empfinden werde als Begleiter für das ihr noch zugemessene Leben. Die Rache des gerechten Richters hatte mit heute begonnen.
8. Kapitel
Gehen wir zurück in die Zeit, mit der das Nachfolgende sich im innigsten Zusammenhang befindet, so treten wir durch das Portal des Palacio imperiale – des kaiserlichen Palastes – in Mexiko, steigen die Treppe empor und begeben uns in das Audienzzimmer, in dem Max die Spitzen seiner Behörden zu empfangen pflegte.
In diesem Augenblick lehnt der Kaiser mit dem Rücken an einem Tisch. Sein Auge ruht auf einem großen Schriftstück, das er in den Händen hält. Dieses Auge blitzt, die Wangen sind gerötet, sein Inneres scheint in gewaltiger Bewegung zu sein.
Vor ihm steht einer seiner Minister und hält den Blick mit einem fast lauernden Ausdruck auf den Gebieter gerichtet.
Unweit des Fensters, in einem Fauteuil, sitzt die Kaiserin in all ihrer Jugend und Schönheit. Sie scheint mehr Männliches als der Kaiser selbst zu besitzen. Er schwärmerisch, träumerisch und weich, sie nach Glanz und Ehren strebend, er ein Poet, sie feurig trachtend nach materiellen Werten.
Der Minister schien gesprochen zu haben, denn Kaiser Max antwortete:
»Sie verlangen meine endgültige Entscheidung? Jetzt gleich?« – »Ich muß um dieselbe bitten, Majestät.« – »Ich bin entschlossen …« – »Abzulehnen etwa?« fragte die Kaiserin schnell.
Max drehte sich ihr mit lächelnder Miene zu und erwiderte:
»Wie ich höre, sind Sie mit der Entscheidung bereits zustande?« – »Allerdings.« – »Darf ich fragen, wie sie lautet?« – »Bei dem siegreichen, überzeugenden Eifer, mit dem diese hochwichtige Angelegenheit soeben vorgetragen wurde, kann die Entscheidung nicht zweifelhaft sein. Ich stimme bei.«
Max nickte und sagte, zu dem Minister gewandt:
»Sie hören, wie man sich beeilt, meiner Anerkennung vorzugreifen. So will ich Ihnen denn sagen, daß ich nicht bloß bereit bin, dieses Dekret zu unterschreiben, sondern ich werde, Wort für Wort, es selbst zu Papier bringen und den Herren Ministern zur Signatur unterbreiten.« – »Ich danke, Majestät«, erwiderte der Minister mit einer tiefen Verneigung. »Es ist die Aufgabe meines Berufes und Lebens, all mein Sinnen und Denken für das Wohl Mexikos und seines Kaisers einzusetzen. Ich bin überzeugt, daß wir mit diesem Schritt siegreich über alles hinwegschreiten, was sich uns bisher hindernd und störend in den Weg gestellt hat. Mit einem vulgären deutschen Wort zu sagen: Wir ›räumen auf‹. Das war doch endlich einmal sehr notwendig.« – »Sie haben recht mein Lieber. Ich werde …«
Da erschien der Diensthabende. »General Mejia!« meldete er. – »Sogleich eintreten!« befahl der Kaiser.
Eigentümlich war es, daß die Kaiserin sich sofort erhob und durch eine Tür verschwand, während Max den Minister verabschiedete. Dieser traf mit dem berühmten General unter der Tür zusammen. Beide machten einander eine kalte Verneigung, ohne aber einen Blick auszutauschen.
»Willkommen, General!« begrüßte Max den Eintretenden. »Sie kommen heute gerade zur guten Stunde.«
Das ernste Gesicht des Mexikaners zeigte ein schönes, aufrichtiges Lächeln, als er die heiteren Züge seines Herrschers bemerkte.
»Ich bin ganz glücklich, dies zu hören, Majestät«, erwiderte er. »Wollte Gott, es wären Eurer Majestät und dem Reich lauter solche Stunden beschert.« – »Ich hoffe, daß es von jetzt ab geschehen werde.« – »Darf ich fragen, ob diese Hoffnung eine gewisse Veranlassung hat?« – »Ja. Ich stehe im Begriff, ein wichtiges Dekret zu erlassen.« – »Wenn es die erwähnte Wirkung haben soll, so ist es allerdings wichtig.« – »Da, überzeugen Sie sich selbst. Lesen Sie.«
Der Kaiser reichte Mejia den Entwurf hin und trat an das Fenster. Während er durch dasselbe hinabblickte, um dem General Muße zu lassen, die Lektüre mit Sammlung vorzunehmen, warf dieser sein Auge auf die Zeilen.
Je weiter er las, desto mehr zogen sich seine Brauen zusammen, seine Augen blitzten zornig, seine Lippen zuckten. Dann hörte Max ein lautes Papierrascheln hinter sich, und als er sich umblickte, sah er den General dastehen, ein Bild des höchsten Zorns, das zerknitterte Papier in der Faust.
»Majestät, wer hat dieses – dieses Machwerk verfaßt?« fragte er.
In seinem Zorn hatte er nicht an die Regeln der Etikette gedacht.
Der Kaiser, sonst so gütig, konnte so etwas nicht gut übergehen.
»General!« sagte er in ernstem Ton. – »Majestät!« erwiderte Mejia und verneigte sich bei diesen Worten, wie um sich zu entschuldigen. – »Wo ist mein Entwurf?« – »Hier, Majestät.«
Der General nahm das Papier, glättete es so gut wie möglich und reichte es dem Kaiser hin.
»Ah, in welchem Zustand! Sind meine Diarien etwa Kottillonzeichen?«
Max war jetzt wirklich zornig, da entgegnete Mejia:
»Ich bitte alleruntertänigst um Gnade, Majestät. Was hier gesündigt wurde, das ist nur meinem Eifer für das Wohl des Kaisers zur Schuld zu schreiben.« – »Aber dieser Eifer darf nichts anderes als nur Eifer sein.«
Über Mejias Gesicht zuckte ein undefinierbarer Zug. Max kannte denselben. Wenn er sich zeigte, so brannte der Vulkan im Innern des Generals.
»Kann mir nicht vergeben werden, so diktiere ich mir selbst die größte Strafe«, sagte er. »Erlauben mir Eure Majestät, mich zurückzuziehen!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er, sich rückwärts nach der Tür zu bewegen.
»Halt!«
Auf diesen Zuruf des Kaisers blieb der General stehen. »Haben Sie das Dekret bis zu Ende gelesen?« – »Ja. Majestät.« – »Sie nannten es ein Machwerk; es hat also Ihren Beifall nicht?« – »Nein.« – »Warum nicht?« – »Darf ich meine Meinung aufrichtig sagen, Majestät?« – »Ich ersuche Sie darum.« – »Hätten Ihre ärgsten Feinde in Ihrem Namen ein Dekret erlassen, um Sie sicher zu verderben, so hätten sie dieses hier wählen müssen.« – »Ah, welch eine Anschauung!« – »Die richtige, Majestät.« – »Ich habe meinen Untertanen einmal zu zeigen, daß ich Kaiser bin.« – »Sie werden es doch nicht glauben.« – »Ah, General, das klingt ja fast wie eine Beleidigung.« – »Majestät haben mir befohlen, die Wahrheit zu sagen. Mexiko wird bei jedem Dekret meinen, daß es von den Franzosen diktiert sei.« – »So mag man es auch von diesem sagen; ich aber werde es ausführen.« – »Majestät, ich bitte, mir den Kopf zu nehmen, aber dieses Schriftstück in der Mappe zu lassen. Ich kenne mein Volk, kenne Mexiko und weiß, welche Folgen die Bekanntmachung des Schriftstückes nach sich ziehen würde.« – »Nun, welche?« – »Es wird ein Schrei der Entrüstung durch das ganze Land gehen.« – »General!«
Die Augen des Kaisers blitzten zornig.
»Majestät!«
Die Augen des Generals blitzten auch.
Max wußte, was er Mejia dankte; er besann sich und sagte:
»Hören Sie meine Verteidigung!« – »Oh, Majestät, wenn das Dekret einer Verteidigung bedarf, so …« – »Sie wollen mich wirklich ernstlich erzürnen!« – »Nein, ich schweige.« – »So hören Sie.«
Der Kaiser begann nun, was bei einem Herrscher allerdings Selbstüberwindung genannt werden muß, sich zu verteidigen.
»Sie wissen, General«, sagte er, »daß sich alle Hauptstädte und Häfen des Landes in unserer Gewalt befinden …« – »In der Gewalt der Franzosen, Majestät.« – »Das ist gleich. Sie sind unsere Verbündeten.« – »Ich sehe es aber kommen, daß sie das Land verlassen und die Hauptstädte und Häfen nicht uns, sondern den Republikanern überlassen werden.« – »Sie sehen zu schwarz, wie immer. Das Land ist in unserer Gewalt. Juarez ist nach El Paso entwichen; ja, man sagt, daß er den mexikanischen Boden ganz verlassen habe. Es ist Zeit, durch eine feste, ernste Kundgebung die Stellung zu nehmen, die wir für immer festhalten wollen.« – »Zugegeben, Majestät. Was wird dies für eine Stellung sein?« – »Eine beruhigende und zugleich vernichtende.« – »Ah.« – »Ja. Trotzdem sich das Land in meiner Gewalt befindet, wagen es gewisse Maulwürfe, im Boden fortzuwühlen. Da ist dieser Panther des Südens, dieser Cortejo und noch einige andere. Ich erkläre in meinem Dekret, daß ich von heute an jeden Republikaner gleich einem Banditen, Straßenräuber und gemeinen Verbrecher bestrafen werde. Von heute ab sind die Republikaner vogelfrei; sie stehen außerhalb des Gesetzes. Jede republikanische Truppe erkläre ich für eine Bande, und jedes ergriffene Mitglied einer solchen Bande soll binnen vierundzwanzig Stunden erschossen werden.«
Mejia schüttelte den Kopf.
»Banditen, Straßenräuber? Vogelfrei – erschossen? O Majestät, ich wiederhole meine Bitte: Nehmen Sie meinen Kopf, aber geben Sie den Gedanken auf, dieses Dekret zu sanktionieren.« – »Behalten Sie Ihren Kopf; ich behalte mein Dekret; es ist in allen seinen Teilen von erfahrenen Männern sorgfältig überlegt.« – »Oh, diese erfahrenen Männer kennen Mexiko nicht. Sie haben alles überlegt, nur das eine nicht.« – »Was?« – »Ich fürchte nichts als nur die Ungnade meines Kaisers.« – »Sprechen Sie ohne Furcht, General.« – »Nun wohl! Majestät sind wirklich entschlossen, dieses Dekret zu unterzeichnen?« – »Fest entschlossen!« – »So werden Sie sich Ihr eigenes Todesurteil damit ausfertigen.«
Das Blut wich aus den Wangen des Kaisers zurück. Es war fast, als ob er heftig erschrocken sei. Aber er faßte sich schnell und erwiderte:
»Mein Todesurteil? Sie sprechen von einer Unmöglichkeit, die zugleich eine Ungeheuerlichkeit ist, wie von etwas ganz Selbstverständlichem.« – »Allerdings, denn was ich sagte, ist mir ganz selbstverständlich.« – »Erklären Sie das!« – »Das wird nicht schwer sein, Majestät. Zugegeben, daß der echte, geborene Mexikaner der rechtmäßige Besitzer dieses Bodens ist …« – »Ich gebe dies zu«, fiel der Kaiser ein. – »… muß er auch das Recht haben«, fuhr der General fort, »diesen Boden gegen eine fremde, ungerechte Invasion zu verteidigen.« – »Invasion? Ungerecht? Das sind starke Ausdrücke, die sich ganz sicher bedeutend mildern lassen.« – »Ich spreche jetzt, wie jeder Republikaner spricht. Denken Majestät sich an die Stelle dieser Leute. Sie sagen: Das Land ist unser. Was wollen die Franzosen? Unser Geld, unsere Früchte, unsere Frauen und Töchter. Sie sind Räuber. Was bringen sie uns dafür? Einen Kaiser! Wozu? Wir brauchen keinen, wir haben einen Präsidenten. Napoleon hat Angst vor seinem Volk; er muß die Unzufriedenen beschäftigen. Er kommt auf den Einfall, der Phantasie seiner Untertanen durch ein großes Ausstattungsstück zu schmeicheln. Er bringt zur Aufführung eine kriegerische Zauberei durch den Kaiser Max von Mexiko. Das schmeichelt der Eigenliebe der Franzosen; das gibt dem Ruhm neuen Glanz. Und weil dies Napoleon einfällt, muß Mexiko bluten, dulden und verwüstet werden.« – »So arg ist‘s nicht«, fiel der Kaiser ein. – »O doch! Ich weiß am besten, wie die Herren Franzosen hausen. Der echte Mexikaner ist Republikaner; er verteidigt sein Land, sein Heim, seinen Herd gegen fremde Eindringlinge. Ist er deshalb ein Bandit, der binnen vierundzwanzig Stunden erschossen werden muß?« – »Wir sind durch das Schwert Herren des Landes. Jeder Mexikaner hat sich den Umständen zu fügen.« – »Gut, Majestät! Ich spreche jetzt nicht zu meinem Kaiser, sondern zu dem, für den ich mein Leben tausendmal opfern würde. Angenommen, dieser Satz wäre das richtige: Das Schwert entscheidet; wer siegt, ist Herr; der Überwundene hat zu gehorchen. Folgt aber daraus wirklich, daß man den Gegner als Banditen betrachten muß?« – »Nachdem die anderen die Waffen streckten. Ja.« – »Gut, so soll auch dieses als richtig angenommen werden. Wer aber sagt, daß der Besiegte sich nicht erheben und zum Sieger werden kann?« – »Im allgemeinen ist diese Möglichkeit vorhanden.« – »Nun, dann wird er den Spieß umdrehen und den früheren Sieger als Banditen betrachten und behandeln.« – »Das ist für Mexiko niemals zu befürchten.« – »Wollte Gott, daß Majestät nicht irren. Für kein Land ist dies eher zu befürchten, als für Mexiko. Das Land ist ein Vulkan. Und Juarez …« – »Er ist unschädlich.« – »Er ist noch löwenstark selbst an der äußersten Grenze des Reiches.« – »Ich werde ihn amnestieren.« – »Er wird die Amnestie verschmähen; er wird sie für ein Unding erklären, er wird sagen, daß er als Präsident des Landes das Recht habe, einen gewissen Max von Habsburg zu amnestieren, nicht dieser aber ihn.« – »Ich werde ihn zu mir rufen.« – »Er wird nicht kommen.« – »Auch nicht, wenn ich ihn als Präsident des obersten Gerichtshofes anstelle?« – »Das war er bereits. Er ist jetzt Präsident des ganzen Landes.« – »Sie machen mir wirklich heiß, General.« – »Besser, als wenn Majestät später kaltgemacht werden.« – »Sie reden wirklich in mehr als kühnen Bildern!« – »Ich bin überzeugt, nur die Wahrheit zu sagen. Wenn Majestät jetzt den Besiegten als Banditen behandeln, so darf Majestät sich nie besiegen lassen, denn man würde Revanche nehmen und Sie auch als Banditen behandeln.« – »Man müßte selbst in diesem Fall bedenken, wer und was ich bin!« – »Kaiser? Ah, Sie würden als solcher von den Republikanern nicht anerkannt.« – »Erzherzog von Österreich!« – »Was fragt Juarez nach Österreich.« – »Ich dächte doch, daß Österreich eine Macht wäre, welche …« – »Welche selbst den Erzherzog Max aufgeben wird, wenn es so der Wille Napoleons, des Allmächtigen, ist.« – »General, Sie beleidigen jetzt wirklich!« – »So will ich nichts mehr sagen; nur die eine Frage gestatte ich mir noch: Wird das Dekret unterzeichnet?« – »Ja, bereits morgen.«
Da zog Mejia seinen Dolch und sagte:
»Majestät, sagen Sie, daß dies nicht geschehen soll, und ich stoße mir diesen Stahl mit Freuden in mein Herz. Ich will noch sterbend Ihre Großmut segnen.« – »Es ist beschlossen, es ist notwendig; es wird geschehen, General.«
Da beugte Mejia, noch immer den Dolch in der Hand haltend, sein Knie vor dem Kaiser und sagte:
»Majestät, von dem Augenblick an, wo das Dekret erscheint, steht das Grab Ihnen offen an der Festungsmauer, hinter dem Sandhügel, auf dem man kniet mit der Binde um die Augen. Ich werde Sie nicht verlassen und daher von diesem Tag an ein Sterbender sein. Nicht für mich flehe ich, nicht für andere, nicht für Mexiko, sondern ich flehe für Sie. Bereiten Sie der Welt nicht das Schauspiel, daß ein deutscher Kaisersohn standrechtlich von mexikanischen Bandilleros erschossen wird.« – »Stehen Sie auf, General«, entgegnete Max zürnend. – »Nein, ich bleibe liegen, bis …« – »Sie stehen auf: ich befehle es! Sie phantasieren ja!«
Des Kaisers Stimme klang kalt und frostig, fast ein wenig höhnisch. Dies letztere konnte Mejia, der ehrliche Held und Kämpe, am wenigsten vertragen. Er sprang also auf, warf einen mitleidigen Blick auf den Kaiser und sagte:
»So muß ich alle Hoffnungen aufgeben, Majestät?« – »Alle. Selbst die Kaiserin stimmt mir bei.«
Das Gesicht des Generals wurde um einen Schatten bleicher.
»Dann habe ich allerdings zu schweigen«, erwiderte er. »Aber damit diese Stunde nicht vergessen werde, und die Worte, die ich gesprochen habe, will ich sie festspießen mit dem Stahl, den ich mit Freuden in mein Herz gesenkt hätte.«
Mit diesen Worten erhob er den Arm und schleuderte den Dolch mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß er bis an das Heft in das Tafelwerk fuhr, verbeugte sich vor dem Kaiser und schritt davon.
Max blickte ihm nach und dann nach der Stelle, wo der Dolch steckte.
»Sollte dies ein Omen sein?« sagte er. »Sollte ich mich geirrt haben?«
Er hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken, denn soeben trat ein anderer General ein, Miramon, der Unehrliche, der ihn in seinem Vorsatz bestärkte.
Das berüchtigte Dekret erschien wirklich. Max hatte es mit eigener Hand geschrieben und damit sein Todesurteil unterzeichnet.
Der Krieg war bisher mörderisch geführt worden, wenigstens von seiten der Franzosen, die mit ihren republikanischen Gefangenen wirklich wie mit Räubern umgingen, während es eine unbestreitbare Tatsache ist, daß Juarez und die meisten seiner Generäle ihre Gefangenen mit großer Milde und Freundlichkeit behandelten.
Von Bazaine weiß man nur, daß er die Ausführung des Dekrets sehr energisch forderte. Zu Dutzenden, zu Hunderten wurden nun die Republikaner getötet. Erbarmungslos wurden hohe Generale erschossen, wie Salazar und Arteago, vielbetrauerte Märtyrer für die Unabhängigkeit ihres Landes.
Aber der Gang der Nemesis, der gewöhnlich ein sehr langsamer und hinkender ist, war dieses Mal sehr rasch und fest.
9. Kapitel
Auf der Ebene, die zwischen San Jose de Barral und Chihuahua liegt, ritt ein Trupp Reiter. Es waren zwei Schwadronen französischer Chevaulegers. Sie hatten jedenfalls einen weiten Ritt hinter sich, denn die Pferde waren ermüdet und auch den Reitern war keine sichere, elegante Haltung nachzurühmen.
Da tauchten in der Ferne die Umrisse von Chihuahua auf, und sofort war die Wirkung zu erkennen. Die Reiter richteten sich empor, die Pferde wieherten und warfen den Schwanz, die Degen klirrten lustiger.
Voran ritt ein narbenreicher, nicht sehr alter Offizier. Er trug die Abzeichen eines Obersten. An der ersten Straße der Stadt ließ er halten, fragte nach dem Hauptquartier, schickte einen Boten voraus und rückte dann, die Musik an der Spitze, mit klingendem Spiel ein. Hier und da ließ sich ein neugieriger Frauenkopf sehen, der aber bei der Entdeckung, daß es sich um Franzosen handle, sofort wieder verschwand.
Vor dem Hauptquartier ritten die beiden Schwadronen auf. Es war dasselbe Gebäude, aus dem der Schwarze Gerard entsprungen war. Eben war die Aufstellung vollendet, da trat der Oberstkommandierende hervor. Auch er trug die Abzeichen eines Obersten, war aber weit älter als sein Kamerad. Es war der, der vom Schwarzen Gerard eine so nachdrückliche Lehre erhalten hatte.
Man präsentierte vor ihm, und dann trat ihm der Kamerad entgegen.
»Oberst Laramel, Herr Kamerad«, meldete er. »Auf dem Durchritt nach Villa del Fuerte. Bringe Depeschen vom Generalkommando.« – »Willkommen! Sie werden doch einige Tage Quartier nehmen?« – »Gewiß. Zwei oder drei, wenn Sie erlauben. Nur weiß ich nicht, wo meine Leute unterzubringen wären.« – »Nichts leichter als das. Ich habe nur eine Schwadron in der Stadt. Die anderen Quartiere sind leer. Sie stehen Ihnen zur Verfügung.« – »Das paßt vortrefflich. Darf ich Ihnen meine Offiziere vorstellen?« – »Ich bitte darum.«
Dies geschah; dann saßen die Mannschaften ab, um sich nach ihren Quartieren zu begeben, die ihnen sehr schnell angewiesen wurden.
Der Kommandant war so höflich, die Offiziere zunächst zu einem Glas Wein einzuladen. Sie nahmen dies an und saßen bald in demselben Saal, in dem damals Gerard gestanden hatte.
»Wie kommt es, Herr Kamerad«, fragte Oberst Laramel, »daß Sie die Stadt so von Truppen entblößen? Sie befinden sich auf einem der gefährlichsten Posten des Landes.« – »Sie haben recht, doch muß ich nach den Instruktionen handeln, die ich erhalte, das ist leider nicht immer angenehm.« – »Hatten Sie da böse Erfahrungen zu machen?« – »Nicht nur böse, sondern sogar schlimmer.« – »Alle Teufel, wie wäre dies gekommen?« – »Ich hatte vier Kompanien und einige Schwadronen Besatzung. Ich habe in einer Nacht eine ganze Kompanie verloren, bis auf den letzten Mann.« – »Ah! Fast unglaublich!« – Aber doch wahr. Es liegt da im Norden von uns ein kleines Fort, Guadeloupe genannt; das sollte ich fortnehmen. Ich detachierte die betreffende Kompanie; sie wurde von den Apachen überfallen und niedergemacht.« – »Niemand entkommen? Gar niemand?« – »Nur ein Mädchen, das mit dem Junker gelaufen war, hat sich wiedergefunden.« – »War denn der Zug nicht geheimgehalten worden?« – Auf das allerstrengste. Aber es gibt in dieser Gegend einen Menschen, der für Juarez und die Apachen den Spion macht. Er ist ein unglaublich verwegener und listiger Mensch. Man hat sich alle Mühe gegeben, ihm beizukommen, aber es ist nicht gelungen. Er ist überall und nirgends; er weiß alles; er scheint allwissend und allgegenwärtig zu sein.«
Oberst Laramel schüttelte den Kopf.
»Dies klingt sehr unglaublich, Herr Kamerad«, sagte er. »Ein Mensch ist und bleibt ein Mensch, selbst wenn er die hervorragendsten Eigenschaften besitzen sollte. Ich halte es für kein großes Kunststück, noch viel weniger aber für unmöglich, einen Spion zu fangen.« – »Ich glaube Ihnen dies; aber Sie kennen den Schwarzen Gerard nicht.« – »Den Schwarzen Gerard? Ah, dieser ist es?« – »Ja, dieser und kein anderer.« – »Da haben Sie allerdings einen schlimmen Gegner. Ich habe viel von ihm gehört; sein Name wurde sogar im Hauptquartier oft genannt. Also dieser Mensch ist jetzt in der Gegend von Chihuahua zu finden?« – »Bereits seit längerer Zeit. Wir wissen ganz genau, daß er sogar in der Stadt selbst verkehrt und Verbündete in derselben hat.« – »Ah, woher wissen Sie das?« – »Er hat es uns ja selbst gestanden.« – »Er selbst?« fragte der Oberst verwundert. »Sonderbar! Wie konnte das zugehen?« – »Er war hier in Chihuahua, hier in diesem Zimmer.« – »Unmöglich.« – »Ja. Wir hatten ihn gefangen.« – »Also doch. Ist nicht ein Preis auf seinen Kopf gesetzt?« – »Ja, ein sehr bedeutender.« – »Nun, den haben Sie sich also verdient?«
Der Kommandant befand sich in einer ziemlichen Verlegenheit. Er war gezwungen, einzugestehen, daß er diesen Preis nicht erhalten hatte.
»Ja, beinahe hätten wir uns ihn verdient«, sagte er. – »Beinahe? Nun ich denke, Sie hatten den Kerl festgenommen?« – »Ja, festgenommen und gebunden in einer zahlreichen Versammlung von Offizieren und anderen Herrschaften hier in diesem Zimmer. Ich verhörte ihn; der Mensch betrug sich sehr frech und renitent, und … wissen Sie, Herr Kamerad … plötzlich gelang es ihm, sich zu befreien. Er schlug mich nieder vor allen anwesenden Leuten und sprang zum Fenster hinab.« – »Donnerwetter! Er entkam?« – »Leider!« – »Das wäre mir wohl nicht passiert!«
Da warf sich der Kommandant in die Brust und versetzte in stolzem Ton:
»Das sagen Sie; das glauben Sie; aber Sie irren sich. Haben Sie schon einmal mit so einem echten, rechten Präriejäger zu tun gehabt?« – »Noch nicht!« – »Da dürfen Sie auch nicht behaupten, daß Ihnen so etwas nicht passieren könne. Diese Kerle haben den Teufel im Leib. Sie haben jahraus, jahrein mit Gefahren zu kämpfen, sie sehen den gewaltsamen Tod stets vor ihren Augen, sie rechnen mit anderen Ziffern als wir. Ich sage Ihnen, ein Savannenmann nimmt es mit zwanzig unserer besten Unteroffiziere auf.« – »Herr Kamerad, nehmen Sie wirklich an, daß ich dies glauben soll?« – »Glauben Sie es oder nicht. Nun Sie nach dem Norden kommen, werden Sie es bald erfahren. Ich habe jetzt eine ganz bedeutende Mannschaft nach dem Fort Guadeloupe detachiert; dies ist der Grund, daß Sie hier so offene Quartiere fanden. Diese Leute sind wacker und stehen unter guter Anführung, aber doch muß ich gewärtig sein, daß sie das Nest nur unter großen Opfern nehmen können.« – »Ist Guadeloupe so fest?« – »Gar nicht. Aber dieser Schwarze Gerard hat jedenfalls bereits ausspioniert, was wir wollen, und liegt mit irgendeinem Trupp Apachen im Hinterhalt, wo man dies am allerwenigsten erwartet. Hätten wir unsere Señorita Emilia nicht, so hätten wir Chihuahua längst räumen müssen.« – »Señorita Emilia? Wer ist das?« – »Ah, Sie kennen unsere beste und scharfsinnigste Spionin nicht?« – »Nein.« – »Nun dann ist Ihnen die größte Schönheit Mexikos unbekannt.« – »Alle Teufel! Was Sie sagen!« – »Es ist die Wahrheit!« – »Die größte Schönheit Mexikos? Wird man sie sehen können, Herr Kamerad?«
Oberst Laramel war als einer der rücksichtslosesten und grausamsten Offiziere der französischen Armee bekannt. Er und sein Regiment gaben nie Pardon. Er war der Mörder zahlreicher Mexikaner geworden, die in seine Hände gefallen waren. Tollkühn bis zum Exzeß, galt bei ihm ein Menschenleben nichts; daher war er es, den man jetzt über Chihuahua nach Villa del Fuerte schickte, wo es galt, unter den Republikanern aufzuräumen und das blutige Dekret in Ausführung zu bringen. Dazu war er der richtige Mann.
Oberst Laramel war aber auch ein leidenschaftlicher Bewunderer des schönen Geschlechts. Darum elektrisierte es ihn förmlich, hier von einem Mädchen zu hören, das die schönste Dame Mexikos sein solle.
»Es kommt ganz auf Sie an«, antwortete der Kommandant. »Wenn Sie wünschen, Ihre Bekanntschaft zu machen, so ist nichts leichter als das.« – »Ah, sie ist also nicht so schwer zugänglich?« – »Gar nicht. Ich hatte ja die Absicht, Sie nebst den anderen Herren Kameraden heute abend bei mir zu sehen. Ich werde mehrere Herren und Damen der Stadt bitten lassen, und dabei soll Señorita Emilia sein.« – »Ich danke Ihnen. Ich möchte nicht in die Heimat zurückkehren, ohne dort erzählen zu können, daß ich die Dame gesehen habe, der unter allen Mexikanerinnen der Preis der Schönheit gebührt. Señorita Emilia wird sie genannt. Wie ist ihr weiterer Name?« – »Den kennt man nicht« – »Ah, das wäre ja sonderbar.« – »Allerdings. Es breitet sich nämlich über diese Dame ein Geheimnis, das aufzuklären sie sich keine Mühe gibt. Vielleicht hat sie die Ansicht, daß dadurch das Interesse, das man an ihr nimmt, noch bedeutend erhöht werde. Während die einen sie für eine geborene Mexikanerin halten, sagen andere, sie sei eine Italienerin, Spanierin oder gar eine Französin.« – »Welche Meinung haben Sie denn, Herr Kamerad?« – »Ich stimme der letzteren Ansicht bei, denn sie spricht das Französisch wie eine echte Pariserin. Übrigens werde ich in meiner Meinung durch den außerordentlichen Eifer bestärkt, den sie unseren Angelegenheiten widmet.« – »Das wäre, wenn sie eine Mexikanerin sein sollte, allerdings zu verwundern. Diese Damen sind im Herzen alle echt republikanisch gesinnt.« – »Sie ist gerade das Gegenteil davon, obwohl es stets mein Prinzip gewesen ist, der Frauenwelt nicht zu großes Vertrauen zu schenken. Sie hat uns zahlreiche Beweise gegeben, daß wir uns auf sie verlassen können.
Der gute Mann ahnte nicht, daß diese »Beweise« nur scheinbar gewesen waren und nur dazu gedient hatten, die Franzosen ins Verderben zu locken. Von dem vollständigen Untergang der abermals nach dem Fort Guadeloupe gesandten Truppen hatte er noch gar nichts erfahren. Oberst Laramel sagte:
»Man muß zugeben, daß ein weiblicher Spion, wenn er schön ist und den nötigen Scharfsinn besitzt, ganz andere Erfolge erzielt als ein männlicher Spion. Wir sogenannten Herren der Schöpfung lassen uns von einem Paar schöner Augen mehr oder weniger schwach finden. Doch, um auf den Untergang Ihrer Kompanie zurückzukommen, haben Sie denn nicht Anstalten getroffen, Repressalien anzuwenden oder diesen schauderhaften Mord in der gehörigen Weise zu rächen?« – »Ich habe mein Möglichstes getan. Die jetzt von neuem nach dem Fort detachierten Truppen haben den Befehl, jeden Apachen, den sie treffen, ohne Gnade und Barmherzigkeit niederzuschießen. Außerdem habe ich mich einer Anzahl von Einwohnern dieser Stadt bemächtigt, von denen ich sicher weiß, daß sie republikanisch gesinnt sind.« – »Diese Leute sind Ihre Gefangenen?« – »Ja, meine Maßregel hat hier viel Sturm erregt.« – »Das darf einen braven Soldaten nicht kümmern. Was werden Sie mit ihnen tun?« – »Was kann ich tun? Man sollte diese Verräter über die Klinge springen lassen, dann wäre man sie ein für allemal los.« – »Warum tun Sie das nicht?« – »Aus zweierlei Gründen. Die Hinrichtung von beiläufig dreißig bis vierzig Personen würde hier geradezu einen Aufruhr hervorbringen, dem gegenüber ich mich jetzt zu schwach fühle. Ich sagte Ihnen bereits, daß ich hier wenige Truppen besitze.« – »Ich stelle Ihnen die meinigen zur Verfügung.« – »Das würde nur eine augenblickliche Unterstützung sein. Sie marschieren ja weiter.« – »Oh, meine Vollmacht verbietet mir nicht, so lange hierzubleiben, bis die Ruhe wiederhergestellt oder Ihr Detachement zurückgekehrt ist.« – »Das würde mir allerdings eine höchst willkommene Hilfe sein. Aber mein zweiter Grund bezieht sich auf die Ungewißheit, in der ich mich in diesem Fall befinde. Ich weiß nicht, ob ich über Leben und Tod so vieler frei verfügen kann. Ich stehe da vor einer Verantwortung, die ich vielleicht nicht zu tragen vermag.« – »Was das betrifft, so kann ich Sie von allen Sorgen befreien. Sie haben nicht nur das Recht, sondern auch die strengste Verpflichtung, jeden Republikaner auf der Stelle füsilieren zu lassen.« – »Ich weiß davon nichts.« – »Ich habe den Auftrag, es Ihnen mitzuteilen.« – »Ah! Erstreckt sich diese Mitteilung vielleicht auf die Überbringung einer schriftlichen Bevollmächtigung, Herr Kamerad?« – »Ja. Haben Sie nichts von dem Dekret des dritten Oktober gehört?« – »Nein, kein Wort.« – »Nun, Kaiser Max hat in diesem Dekret befohlen, jeden Republikaner, gleichviel, ob derselbe General oder Bettler sei, einfach als Bandit zu betrachten und als solchen zu behandeln, das heißt, ihn auf der Stelle strangulieren oder überhaupt töten zu lassen.« – »Liegt da nicht vielleicht ein Irrtum vor, Herr Kamerad? Vom dritten Oktober bis jetzt ist eine lange Zeit Das Dekret müßte längst in meinen Händen sein.« – »Sie irren. Bedenken Sie die Entfernung zwischen der Hauptstadt und hier; bedenken Sie ferner die Unzulänglichkeit der Verbindungen in diesem Land und die Unsicherheit der Wege. Ich bin beauftragt, Ihnen eine Abschrift des Dekrets nebst einer vom Generalkommando ausgefertigten Ausführungsverordnung zu überbringen. Diese beiden Dokumente werden bezüglich der Pflichten, die Sie zu erfüllen haben, jeden Zweifel beseitigen. Gestatten Sie mir, Ihnen dieselben zu überreichen!«
Der Oberst zog aus der Tasche seines Uniformrocks ein großes, mehrfach versiegeltes Kuvert, das er dem Kommandanten überreichte. Dieser nahm es entgegen und sagte:
»Diese Angelegenheit ist mir so wichtig, daß ich um Entschuldigung bitte, wenn ich sofort und in Ihrer Gegenwart zur Lektüre schreite.« – »Lesen Sie immerhin, Herr Kamerad.«
Der Kommandant öffnete und las es. Sein Gesicht nahm einen ernsten und entschlossenen Ausdruck an. Dann, als er die Dokumente zusammenfaltete, sagte er.
»Jetzt kann allerdings kein Zweifel mehr herrschen. Ich fühle mich sehr erleichtert.« – »Was werden Sie also tun?« – »Meine Pflicht«, antwortete der Gefragte kurz. – »Und diese lautet?« – »Ich werde die Gefangenen erschießen lassen.« – »Wann?« – »Hm! Bin ich Ihrer Hilfe wirklich sicher? Darf ich auf Sie bestimmt rechnen?« – »Vollständig. Ich bleibe hier, bis Sie unserer nicht mehr bedürfen.« – »Sie meinen, daß das Urteil so bald als möglich zu vollstrecken sei?« – »Ja. Sie kennen mich vielleicht oder haben doch von mir gehört. Von mir hat noch kein Mexikaner Pardon erhalten. Ich hasse diese Nation zwar nicht, aber ich verachte sie. Sie ist nicht wert, zu existieren. Sie tun mir wirklich den größten Gefallen, wenn Sie mich Zeuge der Hinrichtung dieser Menschen sein lassen.« – »Diesen Genuß kann ich Ihnen gewähren.« – »Aber wann? Hoffentlich morgen schon.« – »Das wird nicht gehen. Man muß doch vorher zu Gericht sitzen und ein Urteil sprechen.« – »Nicht nötig, Herr Kamerad. Diese Bande verdient eine solche Rücksicht nicht.« – »Sie mögen recht haben. Und überdies lautet meine Vollmacht so, daß ich ganz nach Belieben handeln kann. Banditen schießt man nieder, wie sie vor das Gewehr kommen.« – »Also morgen?« – »Doch nicht. Man muß ihnen Zeit gönnen, sich auf den Himmel vorzubereiten. Hier in diesem Land ist man so bigott, so übermäßig schwarz und fromm, daß die Nachricht, die Leute seien in ihren Sünden gestorben, tausendmal schlimmer wirken würde als die Kunde von der Hinrichtung selbst. Beichte und Absolution muß ihnen gewährt werden.« – »Nun gut. Dazu wird ein Tag genügen. Also übermorgen?« – »Ja, übermorgen, und zwar in aller Frühe, womöglich noch vor Anbruch des Tages.« – »Sie meinen des Publikums wegen?« – »Ja. Diese Angelegenheit soll in aller Stille vor sich gehen. Kein Mensch darf vorher wissen, was geschehen soll. Nur der Beichtvater und die sonst nötigen Personen werden unterrichtet. Eine vollendete Tatsache, an der nichts mehr zu ändern ist, wird das Volk verblüffen. Man wird einsehen, daß jeder Widerstand zu spät kommt. Das ist es, was ich beabsichtige.«
10. Kapitel
Während die Franzosen von der Südseite her in die Stadt eingeritten waren, hatte sich von Norden her ein einzelner Reiter genähert. Er ritt ein keineswegs schönes Pferd, hatte höchst unscheinbare Waffen an sich herumhängen und machte, alles in allem, nicht etwa den Eindruck eines tüchtigen Präriemannes, obgleich man auf den ersten Blick erkennen mußte, daß er ein Jäger sei. Er war von kleiner, hagerer Statur.
Er hatte nicht einen bestimmten Weg vor sich, sondern ritt langsam parallel mit den Grenzen der Stadt, und die forschenden Blicke, die er derselben zuwarf, ließen erraten, daß es ihm darum zu tun war, Chihuahua kennenzulernen, ohne hineinzukommen.
Es war der Kleine André, der von Juarez ausgesandt worden war, die Verhältnisse der Franzosen in der Stadt zu erkunden.
Er hielt sein Pferd an und richtete sein Auge auf die Türme der Hauptkirche. Langsam mit dem Kopf schüttelnd, brummte er vor sich hin:
»Verdammte Geschichte! Treibe mich Tag für Tag in dieser Gegend umher, um zu erfahren, was der Präsident wissen will, und finde doch keinen Menschen, den ich ausfragen kann. Ich glaube, diese Franzosen haben sogar den Einwohnern verboten, aus der Stadt zu gehen. Das ist ja der reine Belagerungszustand.«
Er rückte eine Zeitlang ungeduldig im Sattel hin und her und fuhr dann fort:
»Ich muß gewärtig sein, Juarez kommt bereits heute angerückt. Was soll ich ihm sagen? Ich weiß nichts und bin schauderhaft blamiert. Aber hineintreiben? Hm!«
Er schüttelte bedenklich den Kopf.
»Das ist gefährlich. Wie nun, wenn die Messieurs mich wirklich für einen Spion hielten? Das könnte dem guten Andreas Straubenberger sehr schlecht bekommen.«
Da schüttelte auch sein Pferd, natürlich ganz zufälligerweise, den Kopf und wieherte.
»Nicht schlecht?« sagte der Jäger. »Du bist anderer Ansicht? Hm! Vielleicht hast du recht. Wenn ich vor der Stadt bleibe, erfahre ich nichts, es bleibt mir also nichts übrig, als hineinzureiten. Übrigens«, fügte er mit einem gewissen Stolz hinzu, »bin ich der Kleine André und habe meine Waffen. Wir werden ja sehen.«
Er untersuchte seine Waffen sehr sorgfältig und lenkte das Pferd der Stadt entgegen. Der kleine Mann wagte es wirklich, den Feind geradezu aufzusuchen.
Streng genommen war dieses Wagnis allerdings nicht so groß wie vorher bei dem Schwarzen Gerard. Dieser war den Franzosen als Feind bekannt, Bazaine hatte auf seinen Kopf sogar einen Preis von fünftausend Franken gesetzt. Ferner hatte er sich bei Nacht und Nebel heimlich einschleichen müssen.
Anders aber lag es bei André. Kein Franzose hatte ihn jemals als Feind gesehen, höchstens konnte man seinen Namen als denjenigen eines nördlichen Jägers kennen. Faßte man ja gegen ihn den Verdacht, ein Spion des Präsidenten Juarez zu sein, so konnte man ihm doch nicht das mindeste beweisen. Sein Leben wenigstens stand vermutlich nicht auf dem Spiel.
Am Eingang zur ersten Straße, wo früher Posten gestanden hatten, befand sich heute keine Schildwache. Der Kommandant hatte geglaubt, diese Sicherheitsmaßregel unterlassen zu können. Er hatte ein zahlreiches Detachement gegen seine Feinde ausgeschickt und nahm aus diesem Grund an, daß die rückwärts liegende Stadt nichts zu befürchten habe. André konnte also unexaminiert und unbelästigt in die Stadt einreiten.
Er fand gleich in der zweiten Gasse, in die er, um die Hauptadern des Verkehrs zu meiden, einbog, eine kleine Venta, deren breites Tor ihm gastlich entgegenblickte.
Er ritt vor das Tor und stieg ab. Indem er den Sattel verließ, bemerkte ein hohes, breites Gebäude, das der Venta gegenüberlag. Es hatte einen Balkon, auf dem sich soeben eine Dame befand, deren Gesicht gegen den Einfluß der Luft und Sonne leicht verschleiert war. Wäre es ihm möglich gewesen, durch diese Verhüllung zu blicken, so hätte er bemerken können, daß ihr Auge mit einer gewissen Spannung auf ihm ruhte, denn als er mit seinem Pferd unter dem Tor verschwunden war, trat sie in das Zimmer zurück und griff zur Klingel. Auf das mit dieser gegebene Zeichen trat die Zofe ein.
»Ich wünsche den Wirt der Venta zu sprechen, aber ohne Aufsehen.«
Auf diese Worte der Herrin entfernte sich die Zofe wieder, und bald sah man einen alten, grauköpfigen Mexikaner hinüber nach der Venta gehen. Dieser Mann war der Hausmeister des erwähnten großen Gebäudes. Er fand nach einigem Suchen den Wirt im Hof stehen, der, als er ihn bemerkte, ihm entgegenkam.
»Ah, Señor, wen sucht Ihr?« fragte er. – »Euch«, antwortete der Alte. – »Mich? Womit kann ich Euch dienen?« – »Ich habe Euch zu bitten, zu unserer Señorita zu kommen.« – »So wird sie vielleicht Gesellschaft bei sich sehen und das Mahl bei mir bestellen wollen.« – »Nein. Ich habe Euch zu sagen, daß sie Euch ohne Aufsehen sprechen will.« – »Das ist etwas anderes.«
Der Wirt trat näher an den Alten heran und fragte, dieses Mal mit flüsternder Stimme:
»Sind etwa Nachrichten gekommen?« – »Von woher meint Ihr?« – »Von Juarez.« – »Ich habe nichts gehört.« – »Nun, dann werde vielleicht ich es erfahren. Sagt der Señorita, daß ich erscheinen werde.«
Der Alte nickte und entfernte sich. Der Wirt aber trat in die Gaststube, wo André ganz allein saß.
»Willkommen, Señor«, grüßte der Wirt.
André warf einen raschen, forschenden Blick auf ihn und antwortete in gebrochenem Spanisch:
»Danke, Señor. Was habt Ihr zu trinken?« – »Alles, was Euer Herz begehrt.« – »Ah, das ist gut! Also Bier?« – »Nein.« – »Wein?« – »Nein.« – »Kaffee?« – »Nein.« – »Schokolade?« – »Nein. Heute morgen gab es welche, sie ist aber alle geworden.« – »So gibt es wenigstens eine Limonade?« – »Nein, der Zucker ist mir ausgegangen.« – »Oder einen Julep?« – »Leider auch nicht. Die Flasche ist mir zerbrochen, ich muß erst eine andere kaufen.« – »Aber, zum Donnerwetter, Ihr sagtet doch, daß ich alles erhalten könnte, was mein Herz begehrt.« – »Ja, das sagte ich allerdings, Señor.« – »Nun, jetzt, da ich Euch mitteile, was ich will, ist gar nichts vorhanden.«
Der Wirt schüttelte den Kopf und erwiderte in vorwurfsvollem Ton:
»Daran seid Ihr selbst schuld, Ihr ganz allein, Señor. Warum begehrt Euer Herz denn gerade das, was nicht da ist!«
André lachte.
»Ah, so ist das nicht gemeint! Nun, so sagt einmal, was Ihr habt.« – »Alles habe ich, nur ist mir gerade jetzt verschiedenes ausgegangen. Mit einem Glas Pulque aber könnte ich Euch recht gut dienen.« – »Nun, so bringt es, Señor. Es ist immer besser als gar nichts.«
Der Wirt nahm ein Glas und schenkte es aus einem großen Krug voll. Als er es André gegeben hatte, setzte dieser es an die Lippen. Kaum aber hatte er einen Zug getan, so verzog er sein Gesicht auf eine Weise, als ob er Feuer verschluckt hätte und rief:
»Verteufeltes Zeug!« – »Ah, wollt Ihr etwa sagen, daß dieser Pulque nicht gut sei?« fragte der Wirt.
André war vorsichtig. Er antwortete:
»Oh, jedenfalls ist er sehr gut; ja, sogar ganz vorzüglich für einen Mexikaner.« – »Aber für Euch nicht?« – »Nein. Man ist diesen Trank nicht gewöhnt.« – »So seid Ihr kein Mexikaner?« – »Nein. Habt Ihr das nicht bereits aus meiner Sprache gehört?« – »Allerdings; aber man kann sich täuschen. Darf ich Euch fragen, was Ihr seid?« – »Ein Jäger bin ich.« – »Das dachte ich. Aber was für ein Jäger? Ein Büffeljäger, ein Tigerjäger, ein Schlangenjäger oder so etwas?« – »Ja, ich hatte vergessen, daß in diesem schönen Land die Jägerei auf mexikanische Weise betrieben wird. Bei uns schießt ein Jäger eben alles, was ihm vorkommt.« – »So seid Ihr ein Nordländer?« – »Ja.« – »Ein Yankee?« – »Nein.« – »Also ein Kanadamann?« – »Auch nicht.« – »Was sonst, wenn Ihr aus dem Norden seid?« – »Laufen denn nur Yankees und Kanadamänner in den Felsenbergen umher? Es gibt da doch ehrliche Kerle und Lumpen von allen Nationalitäten. Was mich betrifft, so bin ich ein Deutscher.« – »Ein Deutscher? Ah! Also ein Anhänger unseres guten Kaisers Maximiliano?«
Der kleine Jäger warf einen scharfen Blick in das hagere Gesicht des Mexikaners.
»Spielt keine Komödie!« sagte er. – »Komödie? Wie kommt Ihr zu diesem Ausdruck, Señor?« – »Ich weiß ganz genau, daß Ihr, wenn Dir unter Euch seid, diesem ›guten Kaiser Maximiliano‹ einen ganz anderen Titel geben werdet.« – »O Dios! Glaubt dies nicht! Wir sind hier alle gut kaiserlich gesinnt!« – »Das heißt, gut französisch?« – »Ziemlich, denn wir verdanken den Franzosen ja unseren guten Emperador.« – »Das freut mich von Euch, Señor, ganz ungeheuer freut es mich, und ich hoffe, daß Ihr Euch bestreben werdet, den Franzosen dankbar für diese Wohltat zu sein.« – »Natürlich! Wir sind von ganzem Herzen dankbar.« – »Wißt Ihr, wie Ihr das am besten beweisen könnt?« – »Nun?« – »Fabriziert so viel Pulque wie möglich, aber ganz von derselben Sorte wie dieser hier ist, und gebt ihn den Franzosen fässerweise zu trinken. Verstanden?« – »Verstanden habe ich es, aber es wird nicht gehen, denn die Franzosen lieben den Pulque nicht, sie wollen nur Wein, immer wieder Wein.« – »Und sie bekommen ihn?« – »Ja. Was will man machen? Wenn sie ihn nicht erhalten, nehmen sie ihn sich selbst.« – »Das heißt, sie nehmen ihn mit Gewalt?« – »Hm, das wollte ich nicht sagen! Man muß in seinen Worten sehr vorsichtig sein.« – »Ah, ist es so? Der Emperador Maximilian ist so gut, so vorzüglich, daß Ihr Euch bereits gezwungen seht, in Euren Ausdrücken sehr vorsichtig zu sein?« – »Um Gottes willen leise, Señor«, bat der Wirt. – »Und leise muß man bereits sprechen?« – »Hört, Master, ich bin kein Hundsfott. Merkt Euch das. Ich pflege das, was man mir anvertraut, nicht mit Kanonen in die Welt hinauszudonnern.« – »Das ist es, was ich wünsche. Solche Leute kann man gebrauchen. Also Ihr seid kein Freund der Franzosen?« – »Hört einmal, wir kommen da auf ein schlüpfriges Gebiet. Es gibt jedenfalls unter den Franzosen sehr anständige Kerle; denen wünsche ich alles Gute; was aber die anderen anbelangt, die kann der Teufel holen. Nicht wahr? Denkt an die Tausende, die gefallen sind; denkt an die mutigen Männer, die man in die Kerker steckt. Erst vor einigen Tagen hat der hiesige Kommandant wieder gegen vierzig Familienväter hinter Schloß und Riegel gebracht.« – »Weshalb?« – »Oh, nur deshalb, weil sie zu einem unschuldigen Privatverein gehören, von dem ein Mitglied leider unvorsichtigerweise öffentlich gesagt hat, daß wir eigentlich ganz gut imstande seien, uns selbst zu regieren, und daß es besser sei, für sich selbst zu arbeiten, als für andere.« – »Was wird man diesen Leuten tun?« – »Ich weiß es nicht, aber man ist sehr gespannt darauf. Man glaubt hier, daß es nicht länger so fortgehen könne. Man hofft ganz bestimmt auf – auf …«
Der Sprecher hielt vorsichtig inne.
»Nun, worauf oder auf wen hofft man denn?« fragte der Kleine André. – »Auf Juarez.«
Diese Antwort gab der Wirt mit vor den Mund gehaltenen Händen und so leise, daß der Jäger sie kaum verstehen konnte.
»Auf Juarez?« fragte der letztere, sich unwissend stellend. »Warum auf ihn?« – »Er ist ja unser rechtmäßiger Präsident. Wir haben ihn gewählt und uns unter seiner Regierung ganz wohl befunden.« – »Er ist ja aber ausgerissen.« – »Er mußte, wenn er nicht das ganze Land mit Blut überschwemmen wollte.« – »Ah, deshalb. Aber wird es weniger Blut kosten, wenn er zurückkehrt?« – »Gewiß. Die Usurpatoren kennen das Land nicht. Das Land wird viel schneller wieder unser sein, als es in ihren Besitz gelangt ist. Als sie kamen, standen wir ohne Heer, ohne alle Hilfe da. Jetzt ist das anders. Jetzt helfen uns die Vereinigten Staaten, jetzt ertönen auch aus anderen Ländern Stimmen, die dieser Napoleon zu respektieren hat. Juarez hat uns schonen wollen, er wartet die Zeit ab. Und bricht er einmal hervor, so ist es sicher, daß diese Zeit gekommen ist.« – »Wo befindet er sich denn?« – »In Paso del Norte, wie man sagt.« – »Sagt man nicht, daß er das Land ganz und gar verlassen hat?« – »Man sagt es, aber wir glauben nicht daran. Er verläßt uns auf keinen Fall. Ist er fort aus Paso del Norte, so befindet er sich irgendwo, wo seine Anwesenheit zu unserem Heil notwendig ist. Kürzlich ist eine Kompanie Soldaten aufgerieben worden. Ich glaube, daß da Juarez seine Hand im Spiel gehabt hat. Daß sein Vertrauter dabeigewesen ist, wissen wir genau.« – »Wer ist dieser Vertraute?« – »Ein Jäger, auf dessen Kopf ein Preis von fünftausend Franken gesetzt worden ist.« – Ah, der Schwarze Gerard.« – »Ihr kennt ihn?« fragte der Wirt erstaunt, »Genau? Habt Ihr mit ihm gesprochen? Habt Ihr ihn getroffen?« – »Ja.« – »Um Gottes willen, laßt das hier nicht wissen! Ihr wäret sonst ohne Rettung verloren.« – »Pah, kann ein Jäger dafür, daß er hier oder da einen anderen Jäger trifft?« – »Man würde glauben, daß Ihr im Einvernehmen mit ihm seid.« – »Man müßte mir dies beweisen.« – »Man würde fragen, was Ihr hier in Chihuahua zu tun habt.« – »Munition und Kleidung will ich mir kaufen. Auch ein Jäger braucht Patronen und einen Rock oder eine Hose. Seht mich an. Brauche ich das etwa nicht?« – »Ja, gar zu gut seht Ihr allerdings nicht aus. Übrigens sind wir für einige Zeit von der größten Zahl der Franzosen befreit.« – »Wieso?« – »Es sind einige hundert Mann ausgerückt.« – »Wohin?« – »Man weiß es nicht genau. Es geschah in aller Stille, aber man vermutet doch.« – »Wie viele sind noch hier?« – »Eine Kompanie.« – »Alle Teufel! Das sollte Juarez wissen!« rief der kleine Jäger erfreut. – »Leise, leise, Señor! Wüßte ich, wo er sich befindet, ich liefe selbst hin, um es ihm zu sagen. Und so wie ich, gibt es Hunderte von Männern hier.« – »Nun, vielleicht erfährt er es auch ohne Euch.«
Diese Worte waren so nachdrücklich gesprochen, daß der Wirt aufmerksam wurde. Er ergriff die Hand des Jägers, bog sich zu ihm hinüber und sagte:
»Wißt Ihr, Señor, was ich denke? Ihr wißt genau, wo Juarez ist! Ihr seid von ihm abgeschickt.« – »Unsinn!« – »Ihr sollt in Chihuahua Erkundigungen einziehen.« – »Macht Euch keine zu horriblen Gedanken, Master; Ihr könntet danebenschießen.« – »Ich glaube nicht, daß ich mich täusche.« – »Welche Veranlassung habt Ihr denn, dies zu denken?« – »Ihr seht mir ganz aus wie der Mann, dem man so etwas anvertrauen kann.« – »Pah! Juarez wird ganz andere Leute haben. Ich bekümmere mich um solche Sachen nicht; ich bin vielmehr froh, wenn man mich ungeschoren läßt.« – »Und doch kennt Ihr den Schwarzen Gerard.« – »Nur so, wie sich Jäger kennenlernen.« – »Es tut mir leid, daß Ihr kein Vertrauen zu mir habt. Aber fragen will ich Euch dennoch, wie lange Ihr hier in Chihuahua zu bleiben gedenkt.« – »Wahrscheinlich nur bis heute abend.« – »Ihr bleibt nicht über Nacht bei mir?« – »Nein. Ich kaufe mir Munition und gehe dann wieder fort.« – »So scheine ich mich allerdings getäuscht zu haben. Ich hätte Euch nötigenfalls ein verborgenes Quartier angeboten und dann dafür gesorgt, daß Ihr alles erfahren hättet, was Ihr wissen wolltet.« – »Ich danke Euch, Master, ich bin kein Spion. Wäre ich einer, so würde mir Euer Quartier natürlich sehr willkommen sein.« – »Hm, so kann der Mensch sich irren. Aber verzeiht, wollt Ihr nicht noch ein Glas Pulque trinken?« – »Nein. Ich bin noch gar nicht mit diesem ersten fertig.« – »Es war nur aus Vorsicht. Ich hätte Euch nicht bedienen können, da ich gerade jetzt einmal fortzugehen habe. Ich bin gern aufmerksam gegen meine Gäste.« – »Geht in Gottes Namen. Ich kann Euch die Versicherung geben, daß ich dieses Glas noch nicht ausgetrunken haben werde, wenn Ihr zurückkehrt, selbst wenn dies erst am Jüngsten Tag geschehen sollte. Der Gebrannte scheut das Feuer.«
11. Kapitel
Der Wirt ging und eilte, um so wenig wie möglich gesehen zu werden, mit raschen Schritten über die Gasse hinüber und trat in das Tor des großen Hauses. Dort erwartete ihn bereits der Hausmeister.
»Geht hinauf, Señor«, sagte dieser. »Die Zofe ist im Vorzimmer.«
Der Wirt folgte diesem Gebot und wurde von der Zofe nach einem Zimmer geführt, das wir bereits kennen. Es war dasjenige, in dem der Schwarze Gerard seine Zusammenkunft mit der Jugendgefährtin gehabt hatte.
Die Dame war Señorita Emilia, die schöne Verbündete von Juarez.
»Verzeiht, daß ich Euch störe, Señor!« sagte sie zu dem Wirt. – »Oh, Señorita, Ihr wißt ja, daß ich stets zu Eurer Verfügung stehe«, antwortete er. – »Ihr habt jetzt einen fremden Gast empfangen?« – »Ja.« – »Ist er ein Mexikaner?« – »Nein, Señorita. Er ist ein Jäger aus dem Norden.« – »Ah, ein Yankee!« – »Nein, sondern ein Deutscher.« – »Hat er Euch vielleicht seinen Namen genannt?« – »Nein. Ich habe, wie mir jetzt einfällt, ihn leider gar nicht danach gefragt.« – »Aber gesprochen habt Ihr mit ihm? Was will er in Chihuahua?« – »Er will Munition kaufen, vielleicht auch Kleidungsstücke.« – »Wie lange Zeit bleibt er hier?« – »Nur bis zum Abend.« – »Dann habe ich mich jedenfalls getäuscht!«
Da zwinkerte der Wirt verständnisinnig mit den Auge und sagte:
»Señorita, glaubt Ihr etwa, daß er einer der Unserigen ist?« – »Ja, ich dachte es.« – »Da irrt Ihr Euch allerdings. Ich habe ihn scharf ausgeforscht, aber vergebens. Dieser Mann ist entweder verschwiegen oder uns sehr gleichgültig.« – »Dennoch will ich sicher gehen. Fragt ihn doch einmal, ob er der Kleine André ist« – »Der Kleine André? Das läßt sich merken. Wer ist der Mann?« – »Ein Bote von Juarez, den ich erwarte.« – »Ah, klein ist dieses Männchen.« – »Allerdings, und auch die übrige Beschreibung, die man mir gemacht hat, stimmt. Ich sah ihn zufälligerweise kommen; darum schickte ich zu Euch.« – »Gut ich werde ihn also fragen. Und dann?« – »Wenn er es ist, muß ich baldigst mit ihm sprechen. In diesem Fall schickt ihn zu mir herüber.« – »Das werde ich besorgen. Habt Dir vielleicht noch einen Auftrag, Señorita?« – »Jetzt nicht. Adios, Señor!« – »Adios, Señorita.«
Der Wirt ging. Als er unten die Gasse erreichte, bemerkte er eine bedeutende Anzahl französischer Soldaten, die soeben im Begriff waren, sich in die einzelnen Häuser zu verteilen. Auch auf das seinige kam ein Unteroffizier zugeschritten. Derselbe hatte während seines Aufenthaltes in Mexiko gelernt, ein wenig spanisch zu radebrechen.
»Venta des Señors Montarios?« fragte er. – »Richtig, der Wirt bin ich.« – »Einquartierung!« – »Auf wie lange?« – »Wer weiß es!« – »Wohl jetzt erst angekommen?« – »Ja.« – »Wieviel Mann?« – »Genug, um die Provinz zu massakrieren. Oberst Laramel kommandiert.«
Der Wirt zog die Brauen zusammen, hielt jedoch an sich.
»Den Oberst kenne ich; er soll ein sehr – tapferer Mann sein, habe ich gehört.« – »Tapfer? Ah, jeder Franzose ist tapfer. Also mein Quartier, Señor.« – »Tretet in das Gastzimmer.« – »Habt Ihr kein separates Zimmer für mich?« – »Ihr werdet eins bekommen; bis dahin aber bitte ich, mit der großen Stube vorliebzunehmen.«
Der Franzose trat stolz und waffenklirrend ein. Er musterte den Raum; als er den kleinen Jäger bemerkte, warf er einen verächtlichen Blick auf ihn. Nachdem er in selbstbewußter Haltung auf einem Stuhl Platz genommen hatte, brachte der Wirt ihm ein Glas Pulque. Er kostete, spie das Gekostete sofort wieder aus und warf das Glas samt dem noch übrigen Inhalt zu Boden, daß es zerbrach.
»Fi donc!« rief er. »Welch ein Trank! Wirt, Wein!« – »Es ist keiner da, Señor«, entschuldigte sich der Wirt. – »So holt welchen«, befahl der Franzose. – »Das kann ich tun; aber erlaubt mir vorher eine Frage, Señor.« – »Welche? Rasch, ich habe Durst!« – »Wollt Ihr den Wein trinken als Einquartierung oder als Gast, der bezahlt?« – »Tausend Donner! Meint Ihr etwa, daß ich den Wein bezahlen soll?« – »Ja, das meine ich allerdings.« – »So wißt Ihr nicht, daß Ihr mich zu verpflegen habt?« – »Das weiß ich recht gut. Aber ebenso weiß ich, daß Wein nicht zu Eurer Verpflegung gehört. Ihr habt zu essen und zu trinken, was ich selbst esse und trinke.« – »Aber wenn ich Wein verlange!« – »So werdet Ihr ihn bekommen, sobald Ihr ihn bezahlt. Oder habt Ihr etwa eine Ahnung, wie teuer in Mexiko und zumal jetzt und hier in Chihuahua Wein ist?« – »Der Wein von Bordeaux oder von der Mosel ist billig.« – »Bordeaux bezahle ich hier für die Flasche fünfzehn Peseta oder fünfundsiebzig Franken. Wein von der Mosel ist gar nicht zu haben. Ihr wißt wohl gar nicht, daß selbst der Kaiser Maximilian vergebens nach einer Flasche Wein fragt?« – »Was geht mich Euer Maximilian an! Ich bin Franzose und trinke Wein. Zeigt mir mein Zimmer, und wenn ich keinen Wein bekomme, so werdet Ihr sehen!« – »Euer Zimmer ist eine Treppe hoch. Der Hausknecht ist jetzt oben. Geht hinauf und laßt es Euch zeigen. Wenn das Essen fertig ist, werde ich Euch rufen lassen. Wollt Ihr aber wirklich Wein von Bordeaux, so zahlt fünfundsiebzig Franken dafür.« – »Das wird sich finden.«
Mit diesen Worten schritt der weindurstige Vertreter der großen Nation zur Tür hinaus. Der Wirt machte eine Geste hinter ihm her und sagte:
»Der war abgeblitzt« – »Noch nicht«, antwortete André. »Ich bin überzeugt, daß ein Nachspiel kommt.« – »Ich werde es ruhig abwarten, doch sagt mir, wie heißt Ihr eigentlich?« – »Ich heiße Andreas Straubenberger.« – »An – dereas Str – rrr – rau … der Teufel hole diese deutschen Namen! Kein Mensch kann sie aussprechen! Ich dachte, Ihr würdet anders heißen.« – »Anders? Wie denn?« – »André.« – »André? Hm, ja, so heißt man mich auch zuweilen. André und Andreas ist ganz dasselbe.« – »Sapperlot, so seid Ihr wohl gar der Kleine André?«
Jetzt war die Reihe des Erstaunens an dem kleinen Jäger.
»Donnerwetter, woher wißt Ihr, wie ich heiße?« fragte er überrascht – »Ihr seid es also wirklich?« – »Ja.« – »So habt Ihr mir also vorhin doch die Unwahrheit gesagt, als ich meinte, daß Ihr ein Anhänger von Juarez seid.« – »Was fällt Euch ein! Was habe ich mit Juarez zu schaffen?« – »Leugnet es nicht! Ich weiß es ganz genau.« – »Ihr werdet mir wohl zugeben, Señor, daß ich es am allerbesten wissen muß.« – »Und Ihr werdet mir wohl erlauben, anzunehmen, daß Ihr die Wahrheit nur deshalb nicht eingesteht weil Ihr glaubt, es konnte Euch schaden.« – »Nun, ist dieser Grund nicht ein sehr ernster und stichhaltiger?« – »Unter gewöhnlichen Umständen ja, hier bei mir aber nicht. Ich bin ein begeisterter Anhänger meines Vaterlandes und seines Präsidenten Juarez.« – »Das kann ein jeder sagen.« – »Jawohl! Ihr müßt dies bereits aus der Art und Weise sehen, wie ich vorhin den Franzosen behandelt habe, trotzdem derselbe mir gefährlich werden kann. Aber ich will Euch noch einen besseren Bescheid geben. Habt Ihr einmal von einer Señorita Emilia gehört?« – »Señorita Emilia? Es gibt jedenfalls viele Damen dieses Namens.« – »Aber nur eine einzige mit solchen Eigenschaften.« – »Bezeichnet sie näher.« – »Das ist schnell geschehen. Sie ist eine Freundin des Schwarzen Gerard.«
Da machte André eine Bewegung der Überraschung.
»Was ist mit dieser Emilia?« fragte er gespannt. – »Sagt erst, ob Ihr sie kennt.« – »Ich habe von ihr gehört.« – »Sie aber noch nicht gesehen?« – »Nein.« – »Nun gut, Ihr werdet sie sogleich zu sehen bekommen, Señor André.« – »Ah, wo?« – »In ihrer Wohnung. Ihr sollt zu ihr kommen.« – »Wohnt sie vielleicht gegenüber in dem großen Haus? Eine Dame stand auf dem Balkon, als ich ankam. Aber woher kennt sie mich?« – »Ich weiß es nicht. Tut mir den Gefallen und geht sogleich hinüber zu ihr.« – »Wie habe ich zu gehen?« – »Ihr werdet im Flur den Hausmeister finden, der Euch unterrichten wird.« – »Donnerwetter! Und in meiner alten Trapperkleidung hier!« – »Das tut nichts, Señor. Wenn Ihr ein Freund von Juarez seid, so werdet Ihr geehrt, selbst wenn Ihr in die schlechtesten Lumpen gekleidet wäret.« – »Nun, so will ich gehen.« – »Wollt Ihr nicht Eure Büchse und die anderen Waffen hierlassen?« – »Fällt mir nicht ein. Ein Westmann trennt sich von seinen Waffen nie.«
Mit diesen Worten warf der Kleine das Gewehr über die Schulter und ging.
Drüben traf er den Hausmeister, der ihn nach oben wies, wo er von der Zofe empfangen wurde, die ihn in dasselbe Zimmer brachte, in dem vorher der Wirt gewesen war. Als er Emilia erblickte, blieb er ganz erstaunt stehen, denn die Schönheit macht selbst auf den simpelsten Menschen Eindruck. Als sie sich erhob und nun in der ganzen Fülle ihrer Herrlichkeit vor ihm stand, rief er, sich ganz vergessend:
»Kreuzbataillon, Señorita, Ihr seid wahrhaftig ganz verteufelt schön.« – »So? Wirklich?« fragte sie lächelnd.
Der Ausspruch dieses einfachen Menschen war ihr ein größeres Kompliment als die geschnörkeltste Höflichkeit eines faden Salonhelden.
»Ja«, antwortete er. »So schön habe ich bei Gott noch kein Mädchen gesehen.« – »Das gilt mir mehr, als wenn es mir ein Graf oder General sagte. Nicht wahr, der Wirt von da drüben schickt Euch zu mir?« – »Ja.« – »So seid Ihr der Kleine André?« – »Der bin ich. Aber, Señorita, woher kennt Ihr mich?« – »Das soll Ihr sogleich hören. Habt nur zuvor die Güte, Euch niederzulassen.« – »Wenn Ihr dies befehlt, so muß ich gehorsam sein.«
André traf Anstalt, sich auf einen an der Tür stehenden Stuhl zu setzen.
»Nein, dort nicht«, sagte sie. »Ihr sollt hier neben mir auf dem Diwan sitzen.«
»Señorita, ich? Dort auf der Seide, mit meinen alten Lederhosen?« – »Das versteht sich.« – »Nehmt es mir nicht übel, aber das paßt ganz und gar nicht zusammen.« – »Ihr werdet sehen, daß es ganz prächtig harmoniert.« – »Aber, von der Seide abgesehen – ich neben Euch.« – »Was ist da weiter?« – »Das fragt Ihr noch? Ich, der Andreas Straubenberger, neben Señorita Emilia? Das wäre doch ganz dasselbe, als ob man einen Kiebitz oder Wiedehopf neben einen Kolibri oder gar Paradiesvogel setzen wollte.« – »Versucht es nur einmal.« – »Oh, laßt mich lieber hier an der Tür. Denn dort neben Euch, da – da – da …« – »Nun, was da?« – »Da kann ich mich nicht halten, da kann ich mich nicht retten.« – »Wieso?« – »Ich glaube bei Gott, ich werde verliebt bis über die Ohren!« platzte er heraus.
Da ließ Emilia ihr prächtiges, metallenes Lachen hören und sagte:
»Das ist ja durchaus nicht verboten. Es ist mir weit lieber und angenehmer, geliebt als gehaßt zu werden. Kommt in Gottes Namen näher.« – »Nun, so will ich es wagen.«
Damit trat Andreas langsam und zögernd näher, wischte mit den Händen über denjenigen Teil seiner alten Hosen, der mit der Seide in Berührung kommen sollte, und setzte sich so, daß er nur die Kante des Diwans berührte.
»Nein, so nicht, sondern ordentlich!« rief sie und faßte ihn an, zog ihn empor und drückte ihn tief in den weichen Sitz hinein. – »Donnerwetter!« rief er, halb emporspringend. »Hier geht man ja unter wie im Wasser. Ich glaube, auf diesem Sitz könnte man schwimmen lernen.« – »Habt keine Angst, Señor, ertrinken könnt Ihr nicht, was aber das Trinken anbelangt, so könnte gesorgt werden. Darf ich Euch etwas anbieten?« – »Hm«, schmunzelte er, »etwa Pulque?« – »Wie kommt Ihr auf dieses Getränk?« – »Ich habe mein Glas voll noch drüben in der Venta stehen.« – »Es schmeckt Euch nicht?« – »Oh, es schmeckte, aber wie. Ein Gemisch von Alaun, Süßholz, Aloe, Kupfervitriol, Salmiakgeist, Holunderbeeren und Seifenwasser würde wohl ähnlich schmecken.«
Sie lachte herzlich über dieses Rezept und erwiderte:
»Gab es denn nichts anderes?« – »Gar nichts als Wein, aber der war ja nicht zu bekommen.« – »Warum nicht?« – »Erstens ist er zu teuer, und zweitens sollte er bis zum Freudenfest aufgehoben werden.« – »Ah, ich kenne das. Der Wirt meint das Juarezfest, er ist ein treuer Anhänger des Präsidenten. Also Wein trinkt Ihr gern?« – »Sehr, Señorita. Ein Jäger bekommt von dieser Sorte Getränk so äußerst selten einen Schluck, daß man fast den Namen desselben vergessen möchte.« – »Nun, so wollen wir ein Fläschchen …« – »Um Gottes willen!« fiel er ein. »Alles, nur dieses nicht, Señorita. Fünfundsiebzig Franken die Flasche.« – »Ja, er ist sehr teuer, aber beruhigt Euch. Er kostet mich keinen Pfennig. Er ist ein Geschenk.« – »Aber meinetwegen dürft Ihr doch keine Flasche anreißen. Ich bin nicht der Kerl danach.« – »Warum nicht? Ihr seid ein Anhänger von Juarez, also mein Freund, und für einen Freund hat man stets ein Fläschchen Wein zu Hause.« – »Hm, wenn es so ist, dann lasse ich mir allerdings die Freundschaft gefallen.«
Emilia schellte, und bald stand ein feuriger Tokaier vor ihnen. Sie schenkte ein, und André trank, langsam und nur leise nippend.
»Wie ist er?« – »Besser, viel besser als unser Pfälzer Gewächs.« – »Ah, Ihr seid aus der Rheinpfalz?« – »Ja, Señorita.« – »Nun, da mögt Ihr recht haben mit dem ›Gewächs‹. Ratet einmal, welche Sorte wir trinken.« – »Oh, ich verstehe mich verdammt wenig auf das, was man Sorten nennt.« – »Es ist Tokaier.« – Alle Teufel!« – Aus dem Keller des Kaisers.« – »Max?« fragte er erstaunt. – »Ja, des Kaisers Max. Wundert Euch nicht, daß sogar der Wein des Kaisers sich bis an diesen entlegenen Punkt verirrt. Diese Herren Franzosen wissen für sich zu sorgen. Max hat selbst große Not um eine Flasche guten Weins. Dieser Kaiser ist ein herzlieber, braver Mann, der sich zu seinem Unglück dem Kaiser Napoleon anvertraut hat. Napoleon ist ein Emporkömmling, und er wird ganz gewiß als ein solcher enden. Er hat vieles auf seinem Gewissen. Gebe Gott, daß er nicht auch noch diesen Kaiser Max von Mexiko darauf bekommt. Doch nun vor allen Dingen zu unserer Angelegenheit, Señor. Ich hörte, Ihr würdet Euch nur bis heute abend hier aufhalten?« – »Allerdings; ich muß wieder fort.« – »Warum so schnell?« – »Ich hoffe, man darf zu Euch mit vollem Vertrauen sprechen?« – »Natürlich. Wenigstens glaube ich, daß Ihr kein Mißtrauen gegen mich habt.« – »Nach dem, was mir Gerard sagte, seid Ihr sicherer als jede andere.« – »Ah, Ihr habt mit Gerard selbst gesprochen?« fragte Emilia erfreut. – »Ja. Er wäre an meiner Stelle gekommen, aber er mußte nach Fort Guadeloupe, um die Verteidigung dort zu übernehmen.« – »Ja. Juarez schätzt ihn hoch und schenkt ihm sein vollstes Vertrauen. Wie wird es mit dem Fort stehen? Habt Ihr noch nichts gehört?« – »Kein Wort. Ich bin jedoch vollständig überzeugt, daß die Franzosen abermals aufgerieben werden. Sie waren ja ahnungslos, das Fort verteidigt zu finden und gar mit Juarez und seinen Apachen zusammenzutreffen. Übrigens gibt es außerdem dort Leute, die so tapfer und kriegserfahren sind, daß ein einziger von ihnen zwanzig Franzosen aufwiegt.« – »Etwa weiße Jäger? Wer ist es?«
André erzählte Emilia nun sein letztes Zusammentreffen mit Sternau und seinen Begleitern. Sie hörte ihm aufmerksam zu und erwiderte dann:
»Hier scheint ja ein förmlicher Roman sich abzuspinnen.« – »Allerdings. Übrigens bin ich überzeugt, daß Sie diese Leute sehen werden, und deshalb wird nach meiner Berechnung Benito Juarez entweder bereits heute oder spätestens morgen mit seinen Leuten hier eintreffen.« – »Ah! So bald?« – Ja.« – »Habt Ihr ein sicheres Rendezvous verabredet?« – »Das versteht sich. Ich habe zwei Stunden am Flüßchen abwärts auf die Truppe zu warten.« – »Daß er bald kommt, ist mir lieb. Wißt Ihr schon, daß der Kommandant eine bedeutende Anzahl von Bürgern gefangengesetzt hat?« – »Der Wirt erzählte es mir.« – »Für diese Leute ist alles zu fürchten.« – »Ihr meint doch nicht etwa, daß sie sich in Todesgefahr befinden?« – »Gerade dies meine ich.« – »Ohne Recht und Gericht kann man doch nicht handeln.« – »Welcher Franzose hat in Mexiko nach dem Recht oder der Gerechtigkeit gefragt? Ich sage Euch, mein guter Señor André, daß ich fest glaube …«
Emilia wurde in diesem Augenblick unterbrochen. Die Zofe trat herein und überbrachte ein in ein zierliches Kuvert eingeschlossenes Kärtchen, worauf sie sich wieder entfernte. Emilia öffnete den Umschlag und las die folgenden Worte:
»Teure Señorita!
Zu Ehren meines soeben hier eingetroffenen Kameraden, des Obersten Laramel und seines Offizierskorps, stehe ich im Begriff, heute abend eine glanzvolle Tertullia zu geben. Da zu derselben die hervorragendsten Sterne des hiesigen Damenhimmels geladen werden, so hege ich die beglückende Erwartung, daß Sie, als die Sonne dieses glänzenden Firmaments, von der jene Planeten ja erst ihr Licht erhalten, mir Ihre Gegenwart nicht versagen werden, zumal es der Oberst mit größter Ungeduld herbeisehnt, Sie kennenzulernen.
Der Kommandant.«
Emilia ließ ein unbeschreiblich stolzes, geringschätziges Lächeln über ihre schönen, vollen Lippen spielen. Dann fragte sie den neben ihr sitzenden Jäger:
»Könnt Ihr Französisch lesen?« – »Ja, so leidlich, Señorita«, antwortete er. »Mein Heimatort lag so nahe an der französischen Grenze, daß ich wenigstens diese Fertigkeit profitiert habe.« – »Nun, so lest!«
Emilia gab ihm die Karte, und er las sie.
»Donnerwetter«, sagte er dann. »Dieser Kerl von Kommandant hat aber recht, wenn er sagt, daß Ihr die Sonne seid!«
Bei diesen Worten blickte André dem schönen Weib mit so aufrichtiger, treuherziger Bewunderung in die Augen, daß es ihr unmöglich wurde, seinen Enthusiasmus zu belächeln. Vielmehr sagte sie sehr ernst:
»Ich weiß es, daß ich ungewöhnlich schön bin, Señor. Dies mag aus meinem Munde unsinnig klingen, aber ich sage Euch, daß gerade diese Schönheit stets mein Unglück gewesen ist.« – »Das ist ja gar nicht möglich.« – »Oh, wie Sie sich irren!« erwiderte sie jetzt beinahe traurig. – »Ich habe im Gegenteil stets geglaubt, daß die Schönheit eine Dame nur glücklich machen müsse. Ich kann nicht denken, daß ich unrecht habe.« – »Und dennoch irrt Ihr. Habt Ihr einmal geliebt, Señor?« – »Hm, ja! Das Ding, das damals hinter meinen Rippen rumorte, wird wohl die Liebe gewesen sein, anders ist es nicht gut möglich.« – »Und wurdet Ihr wiederbelebt?« – »Ich dachte es, aber der Kuckuck hole die Weiber und Mädchen! Ich bin bald eines anderen belehrt worden, und das hat mich in die weite Welt hinaufgetrieben.« – »Nun seht, so ist es mir gerade auch gegangen.«
Emilia hatte sich erhoben und schritt in sichtlicher Erregung im Zimmer hin und her. André folgte ihren Bewegungen mit glänzenden Augen und sagte:
»Wie, Ihr seid einst jemand wirklich gut gewesen, Señorita?« – »Ja«, antwortete sie kurz und rauh. – »Und dieser Kerl hat Euch einen Korb gegeben?« – »Ja.«
Da sprang André auf und rief:
»Da schlage doch sogleich das Wetter drein! Lebt dieser Urian vielleicht noch?« – »Allerdings.« – »Bitte, Señorita, so sagt mir seinen Namen, aber sogleich, sogleich, auf der Stelle, damit ich ihm eine Kugel durch den verrückten Schädel jagen kann. Wer Euch nicht liebt, wer Euch einen Korb gibt, der ist verrückt und hat es mit mir zu tun!«
Er hatte dabei seine Pistole gezogen und spannte den Hahn so, als ob er den Betreffenden vor sich habe. Dies entlockte Emilia doch ein leises Lächeln.
»Ich danke Euch, Señor«, sagte sie, ihm begütigend die Hand auf den Arm legend. »Ich sehe soeben, daß Ihr noch nicht geliebt habt.« – »Nicht? Ah, ich war ja ganz weg! Ich habe mich dieser famosen Liebe wegen mit meinem eigenen Bruder entzweit. Als sie mich nicht wollte, war ich so traurig, als ob ich ein ganzes Sargmagazin samt Totengräber und Leichenfrau im Leibe hätte. Und da sagt Ihr auch noch, ich wäre nicht verliebt gewesen? Da kennt Ihr die Liebe schlecht!« – »Nein, Ihr kennt sie nicht. Die wahre Liebe kann niemals zürnen.«
André zog die Augenbrauen empor und erwiderte:
»Hm, es ist wirklich etwas Wahres daran.« – »Nicht wahr? Habt Ihr das auch erfahren?« – »Ja. Erst war ich ganz fuchsteufelswild auf das Mädchen. Ich wollte es erschießen, aber ich hatte damals kein Gewehr. Dann wollte ich es ins Wasser stürzen, aber es war kein Teich in der Nähe. Sodann hatte ich es gern vergiftet, aber ich hatte nichts als einen Viertelbogen Fliegenpapier, das reichte nicht zu, und aufhängen, das war zu umständlich.«
Über das Gesicht Emilias flog ein halbunterdrücktes Lächeln. André sprach mit einer solchen Lebhaftigkeit, als ob er die Treulosigkeit seines Mädchens soeben erst erfahren hätte. Jetzt war er es, der im Zimmer auf– und niederschritt.
»Ich befand mich in einer unendlichen Wut in einem Jammer, gegen den der größte Katzenjammer die reine Lappalie ist«, fuhr er fort. »Ich wollte das Mädchen umbringen, da dies aber in keiner Weise klappte, so gab es kein Mittel, meinen Zorn zu kühlen, als mich selbst aus der Welt zu schaffen.« – »Ihr wolltet Euch töten?« lachte sie. – »Ja. Aber lacht nicht, Señorita. Mir war es damals nicht wie lachen. Ich ging darum in die Apotheke und kaufte mir für zwei Gulden Rattengift.« – »Pfui Teufel!« – »Rattengift oder Insektenpulver, das ist alles eins, wenn man einmal sterben will. Der Apotheker sah mich prüfend an und fragte mich, was ich mit dem Zeug wollte. Er mochte ahnen, was ich vorhatte. Ich sagte ihm, daß wir den Keller voll Ratten hätten, und darauf gab er mir für zwei Gulden Gift. Es war eine Tüte, so groß, daß eigentlich zwanzigtausend Ratten daran hätten sterben können. Nun ging ich nach Hause, aß das Zeug löffelweise und machte dabei mein Testament.« – »Wie schmeckte es?« – »Süß, wie jedes Rattengift. Nach dem letzten Löffel legte ich mich in das Bett und erwartete den Tod. Darüber schlief ich ein. Als ich erwachte, hatte ich Bauchweh, denn ich hatte mir den Magen gründlich verdorben. Der Apotheker hatte mir nämlich reinen, gestoßenen Zucker gegeben. Die zwei Gulden waren zum Teufel, aber ich nicht.« – »Seid froh!« sagte Emilia mit mühsam unterdrücktem Kichern. – »Froh? Das war ich damals nun allerdings nicht. Ich beschloß, in das Wasser zu springen, da konnte mich kein Apotheker betrügen.« – »Das ist wahr, aber Ihr sprangt nicht.« – »Oh, ich sprang doch!« – »Aber Ihr lebt ja noch.« – »Allerdings, aber was kann ich dafür? Ich holte sehr weit aus, um einen tüchtigen Sprung hinüber in das Wasser zu tun. Am Ufer standen Bäume. Ich blieb mit dem Fuß an einer Wurzel hängen und schlug mit dem Kopf so gewaltsam gegen einen Baumstamm, daß mir der Verstand abhanden kam. Als ich aufwachte, weiß Gott, da lag ich wieder im Bett. Man hatte mich gefunden und nach Hause geschafft. Einige Tage brummte mir der Kopf noch so gewaltig, daß ich das Bett hüten mußte. Als ich dann endlich aufstand, traf ich einen Bekannten, der in die weite Welt ging und mir so lange zuredete, bis ich mich ihm anschloß. Ihr seht also, Señorita, daß auch ich weiß, was Liebe ist. Jetzt würde es mich dauern, wenn ich damals das Mädchen erschossen und mich selbst vergiftet hätte.«
Jetzt brach Emilia in ein helles Lachen aus.
»Ihr seht also, daß die Liebe keine Rache kennt«, sagte sie. – »Ja«, antwortete er sehr ernsthaft. »Es ist ganz dasselbe wie in Tharandts heiligen Hallen, dort kennt man die Rache auch nicht. Also wollen wir ihn leben lassen, der Euch einen Korb gegeben hat. Aber begreifen kann ich den Kerl nicht. Ich könnte für einen Händedruck, für ein freundliches Wort von Euch durchs Feuer gehen.«
Es war André sehr ernst mit dieser Versicherung, das sah Emilia ihm an. Darum reichte sie ihm ihr schönes, volles Händchen und sagte: »Ich danke Euch, Señor! Man weiß nicht, vielleicht wird einmal die Gelegenheit kommen, daß Ihr mir Eure Ergebenheit unumstößlich beweisen könnt.«
Der Jäger drückte, ganz hingerissen von ihrer Freundlichkeit, ihre Hand mit beiden Händen und erwiderte im überzeugendsten Ton:
»Oh, ich wollte, diese Gelegenheit käme jetzt gleich. Ich würde mein Leben für Euch geben.« – »Das fordere ich nicht. Das Leben eines braven Mannes ist viel wert. Darum bitte ich Euch auch, Euch zu schonen. Habt Ihr ein besonderes Zimmer da drüben in der Venta genommen?« – »Nein. Der Wirt hat mir eins angeboten.« – »So nehmt sein Anerbieten an, er meint es gut mit Euch. Am Abend werden jedenfalls viele Franzosen dort zusammenkommen, was nicht ohne Gefahr für Euch ist, wenn Ihr im allgemeinen Gastzimmer bleibt.« – »Oh, am Abend werde ich ja bereits fort sein.« – »Nein. Ihr werdet noch in Chihuahua sein.« – »Wieso?« – »Weil ich Euch ersuche, zu bleiben.« – »Ah, das ist etwas anderes. Aber wenn unterdessen Juarez kommt?« – »So bleibt Euch immer noch Zeit, während der Nacht zu ihm zu stoßen. Ihr habt diese Einladung gelesen. Ich werde zur Tertullia gehen, und es ahnt mir, daß ich dort etwas erfahren werde, was dem Präsidenten von großem Vorteil ist.« – »Jetzt begreife ich, warum ich bleiben soll. Wann kommt Ihr aber nach Hause?« – »Um Mitternacht.« – »Dann komme ich zu Euch?« – »Ja. Nachdem wir uns gesprochen haben, könnt Ihr die Stadt verlassen.« – »Gut, dabei mag es bleiben, Señorita.« – »Gibt es früher etwas Wichtiges, so werde ich es Euch sagen lassen. Auf jeden Fall aber werde ich schon kurz nach Mitternacht auf Euch warten. Adieu, Señor.« – »Adieu, Señorita.«
André nahm die Hand, welche Emilia ihm entgegenstreckte, und drückte einen Kuß darauf. Zu einer solchen Galanterie hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht verstiegen.
12. Kapitel
Als Andre drüben in das Gastzimmer trat, befand sich der Wirt noch allein in demselben. Er nickte dem Jäger verständnisinnig zu und fragte:
»Nun, habt Ihr mit ihr gesprochen?«
Der Jäger nahm Platz, nickte mit dem Kopf und antwortete:
»Ja.«
Das war ein sehr einfaches Wort, aber seine Augen glänzten dabei so hell, als spreche er von einem außerordentlichen Glück. »So gesteht mir offen, daß Ihr ein Bote des Präsidenten seid!« – »Nun meinetwegen! Die Señorita hat mir gesagt, daß man sich auf Euch verlassen kann, und so will ich Euch denn nicht länger belügen.« – »Also doch! Juarez hat Euch gesandt?« fragte der Wirt sehr leise, aber mit einem Gesicht, in dem sich die lebhafteste Freude spiegelte. – »Ja.« – »Wo befindet er sich? Noch in Paso del Norte?« – »Nein. Als ich ihn verließ, zog er nach Fort Guadeloupe, um dort die Franzosen zu empfangen, die ausgezogen sind, das Fort zu nehmen.« – »Da haben wir doch richtig vermutet, als wir ahnten, daß dieser Zug abermals gegen das Fort gerichtet sei. Aber wird es Juarez gelingen?« – »Es ist ihm jedenfalls geglückt. Jetzt befindet er sich wieder unterwegs nach Chihuahua.«
Der Wirt sprang vor Freude empor, nahm aber sofort wieder Platz und fragte:
»Nach hier? Ist das wahr, Señor?« – »Ja.« – »Gott sei Lob und Dank! Endlich geht diese Not zu Ende. Wann wird er kommen?« – »Vielleicht morgen oder übermorgen schon.« – »So bald? Señor, Ihr bereitet mir da eine Freude, für die ich Euch gar nicht genug danken kann. Ich werde eine Flasche von meinem Festwein holen.« – »Ich danke Euch; ich habe soeben Wein getrunken.« – »Bei der Señorita? Ah, Ihr sollt nicht sagen, daß ich dem Präsidenten weniger ergeben bin als sie. Ich werde zwei Flaschen holen. Aber hier können wir sie unmöglich trinken. Wollt Ihr wirklich nun hierbleiben?« – »Die Señorita hat mir geraten, ein separates Zimmer zu nehmen.« – »Das ist klug. Da können wir unbeobachtet sprechen und trinken. Leider bleibt Ihr nur bis zum Abend hier. Ich wollte, Eure Zeit erlaubte es, daß…« – »Ich werde länger dableiben«, unterbrach ihn der Kleine. – »Ah, wirklich?« – »Ja; ich habe nach Mitternacht noch eine Unterredung mit der Señorita.« – »Das ist gut. Ich werde Euch bis dahin so gut unterbringen, daß kein Mensch etwas von Eurer Anwesenheit ahnt, mein lieber Señor.« – »Aber mein Pferd…« – »Oh, nach dem wird kein Franzose fragen, und es soll gut abgewartet werden. Wollt Ihr die Güte haben, mir zu folgen? Wir sind gerade jetzt unbeobachtet.«
Es gab über dem Stall eine kleine, ziemlich verborgene Stube, nach der sich die beiden begaben. Der Wirt brachte zwei Flaschen seines Festweines herbei, und so plauderten sie beim Glas, bis die Nachricht kam, daß sich die Gaststube nach und nach mit französischen Gästen füllte.
»Jetzt muß ich leider fort«, meinte der Mexikaner. »Es tut mir herzlich leid, Euch so einsam hier zurücklassen zu müssen.« – »Darüber betrübt Euch ja nicht, Señor«, lachte der Jäger. »Unsereiner weiß sich schon gut zu unterhalten.« – »Aber Ihr habt doch keinen Gesellschafter hier.« – »O doch, und zwar einen höchst guten und anständigen.« – »Wen denn?« – »Na, mich selbst Ich werde mich mit diesem Kerl ganz gut unterhalten. Ich werde nämlich schlafen. Aber ich bitte Euch, dafür zu sorgen, daß ich die Mitternacht nicht verschlafe.« – »Habt keine Sorge; ich werde zur rechten Zeit kommen, um Euch zu wecken.«
Sie trennten sich. – Die Sonne war eben im Untergehen. André blickte zum Fenster hinaus und murmelte:
»Dem heutigen Tag geht es ganz so, wie hier unserer zweiten Flasche, er und sie werden alle. Hinunter mit dem letzten Tropfen! Mir ist ganz eigentümlich zumute, ganz anders als damals, als ich in die Apotheke ging, um mir das Rattengift zu holen. Im Kopf ist es, als ob ich eine Pferdeherde drin hätte, die im Kreis herumgaloppiert, und in den Beinen – oh, die werden immer krümmer und krümmer und immer dümmer und dümmer. Emilia, Señorita Emilia, entweder bin ich verliebt, oder – oder – oder betrunken.«
Er schwankte, nachdem er die Tür verriegelt hatte, zum Lager, das aus Heu bestand, legte sich nieder und war bald entschlafen. Der ungewohnte Wein war rasch Herr des wackeren Jägers geworden, der in einem Zug fort schlief, bis ihn ein Klopfen an der Tür erweckte.
»Señor, Señor!« rief es halblaut draußen.
Der Jäger richtete sich auf. Es war vollständig dunkel um ihn, doch besann er sich augenblicklich, wo er sich befand, erhob sich, schritt zur Tür und fragte:
»Wer ist da?« – »Ich. Macht auf.«
Er erkannte die Stimme des Wirts und öffnete. Der letztere trat ein, eine kleine Laterne in der Hand, und fragte:
»Habt Ihr gut geschlafen, Señor?« – »Ausgezeichnet bis jetzt. Welche Zeit haben wir?« – »Soeben ist Mitternacht vorüber.« – »Sind Eure Gäste fort?« – »Ja. Es hat eine arge Prügelei gegeben, aber das tut nichts. Der Präsident ist in der Nähe, und dann werden wir diese Gäste los. Wollt Ihr mir folgen?« – »Ja. Aber – hm, wollt Ihr nicht vorher so gut sein und mir das Heu von dem Habit putzen? Ihr wißt, wenn man zu einer Dame geht …« – »Weiß, weiß es, Señor.«
Rasch reinigte der Wirt seinen kleinen Freund von den Halmen und führte ihn dann bis auf die Gasse.
»Drüben ist die Tür geöffnet«, sagte er leise. – »Ob sie bereits daheim sein wird?« – »Ja. Ich habe aufgepaßt. Sie ist vor fünf Minuten zurückgekehrt.« – »So muß ich mich beeilen.« – »Ja, geht. Ich werde in der Gaststube Eure Rückkehr erwarten.«
André schritt über die dunkle Gasse hinüber. Als er in den Flur trat, wurde die Tür sofort hinter ihm geschlossen.
»Wer ist da?« fragte er betroffen. – »Ein Freund«, antwortete es. »Ich bin es, der Hausmeister. Ich mußte Euch erwarten.«
Zu gleicher Zeit wurde ein Zündholz angebrannt und an demselben eine Kerze. Jetzt erkannte André den Alten, der ihn nach oben brachte, wo ihn dieselbe Zofe erwartete, die ihn abermals in das Zimmer führte, wo er bereits gewesen war.
Dort saß Emilia. Sie trug noch den Anzug, in dem sie zur Tertullia gewesen war. Der brave André hatte noch nie eine Dame in solcher Toilette gesehen. Er stand wie geblendet, wie bezaubert vor ihr, die ihm ihre Hand entgegenreichte.
»Da seid Ihr wieder«, sagte sie, »was habt Ihr unterdessen angefangen?« – »Geschlafen«, antwortete er.
Das war ein höchst prosaisches Wort, während es ihm doch so hochpoetisch zumute war. Sie lächelte gütig und meinte mit einem bezaubernden Kopfnicken:
»Daran habt Ihr sehr recht getan, da Ihr die Nacht zum Ritt braucht.« – »So meint Ihr also, daß ich jetzt fortreiten kann?« – »Ja, Ihr müßt sogar.«
Emilia sagte dies in einem so ernsten Ton, daß er sofort fragte:
»Es ist etwas passiert, Señorita?« – »Ja, etwas sehr Schlimmes.« – »Sagt schnell, was? Betrifft es den Präsidenten?« – »Direkt glücklicherweise nicht, sondern die vierzig Gefangenen.« – »Alle Teufel! Will man ihnen an das Leben?« – »Gerade dieses ist es. Ihr habt es erraten. Seht, das ist der einzige Vorteil, den mir meine Schönheit bringt. Man kann mir nicht widerstehen, wenn ich etwas erfahren will. So habe ich heute gehört, daß dieser Oberst Laramel der Überbringer eines Befehls ist, daß jeder Republikaner als Bandit zu behandeln sei und sofort erschossen werden soll, nachdem man seiner habhaft geworden ist.« – »Wer hat ihn gegeben?« – »Das Generalkommando, also Bazaine. Er ist heute dem Kommandanten überbracht worden, und übermorgen, kurz vor Tagesanbruch, werden infolgedessen vierzig Familienväter von Chihuahua ermordet werden.«
Der kleine, aber sonst kühne Mann war bleich geworden.
»Mein Gott, wer kann, wer soll das verantworten!« rief er. – »Das geht uns nichts an. Für uns ist vielmehr die Frage, wie wir es verhüten können. Von morgen vormittag an werden die Verurteilten heimlich, ohne daß es ein Bewohner der Stadt oder einer ihrer Angehörigen ahnt, zum Tode vorbereitet. Nachts zwei Uhr werden sie dann in aller Stille vor die Stadt geführt und erschossen. Kann Juarez bis dahin eingetroffen sein?« – »Ja, möglich ist es.« – »Ob aber wahrscheinlich?« – »Señorita, ich werde sofort reiten und ihm alles mitteilen.« – »Sollte er nicht am Rendezvous eingetroffen sein, so reitet Ihr ihm entgegen.« – »Ja.« – »Gut. Ich werde warten bis nächste Mitternacht. Habe ich bis dahin noch keine Nachricht von dem Präsidenten, so werde ich die Armen auf andere Weise zu retten suchen.« – »Wie wollt Ihr dies anfangen?« – »Ich werde in aller Eile ihre Verwandten und alle treuen Anhänger des Präsidenten aufsuchen. Wir haben zwei Stunden Zeit. Dies genügt, um so viele bewaffnete Männer zusammenzubringen, als nötig sind, die Exekutionstruppe zu bewältigen.« – »Wie stark ist diese?« – »Nur eine Kompanie. Aber alle in Chihuahua anwesenden Offiziere sind dabei. Sie wollen freiwillige Zeugen dieses Exempels sein, das statuiert wird.« – »Wenn Juarez nicht eintreffen kann, wäre es da nicht besser, Ihr suchtet diese Hilfe zusammenzubringen?« – »Ich muß so lange wie möglich warten, ehe ich die Bürger in offene Empörung und Blutvergießen stürze. Juarez kann ja noch im letzten Moment kommen.« – »Ihr habt recht. Ich werde sofort aufbrechen.« – »Tut dies, Señor, und denkt daran, daß das Leben von vierzig Männern an Eurer Zuverlässigkeit hängt Bedürft Ihr vielleicht etwas?« – »Nein, ich danke, Señorita. Darf der Wirt wissen, um was es sich handelt?« – »Nein. Er ist treu, aber diese Angelegenheit ist zu wichtig.« – »Ich werde meine Pflicht tun. Verlaßt Euch auf mich.«
Emilia streckte André zum Abschied die Hand entgegen und sah ihm mit einem eigentümlichen Blick in das wetterharte, aber aufrichtige Gesicht.
»Ihr sagtet mir heute, daß Ihr für mich durch das Feuer gehen könntet. Ist dies wahr, Señor?« fragte sie. – »Ja.« – »Nun, so geht einmal für mich, wenn auch nicht durch das Feuer, sondern durch Bäche und Flüsse, über Berg und Tal, um Juarez herbeizuschaffen. Ich kann es Euch, der Ihr so anspruchslos seid, nicht lohnen – ah, und doch. Bringt Ihr mir rechtzeitig Hilfe zur Stelle, so werde ich Euch den Dienst bezahlen.« – »Señorita«, erwiderte er eifrig, »ich würde jede Bezahlung zurückweisen.« – »Oh, diejenige, die ich im Sinn habe, vielleicht nicht. Oder dennoch?« – »Was meint Ihr?« – »Bringt Ihr Juarez zur rechten Zeit, so gebe ich Euch hier in diesem Zimmer drei Küsse, so herzlich, so innig, als ob ich Eure Braut wäre.«
Da leuchteten seine Augen auf, und über seine ehrlichen, angenehmen Züge verbreitete sich ein freudiges Glänzen.
»Ist dies wahr, Señorita?« fragte er schnell. – »Ja. Ich gebe Euch mein Wort, und das werde ich halten.« – »So werde ich mir die Küsse holen, selbst wenn Juarez in Kalifornien wäre. Hilfe wird geschafft. Also spätestens bis Mitternacht?« – »Bis Mitternacht«, nickte sie. – »Gut! Adios, Señorita!«
Ehe Emilia antworten konnte, war André zur Tür hinaus, stürzte draußen an der Zofe vorüber und flog förmlich die Treppe hinunter.
»Schnell, um Gottes willen schnell!« rief er dabei dem Hausmeister zu, der herbeikam, um die Tür zu öffnen.
In gleicher Eile ging es über die Straße hinüber und in das Gastzimmer der Venta, wo der Wirt noch ganz allein bei der trüben Flamme eines Talglichtes saß.
»Nun?« fragte er. »Bleibt Ihr da?« – »Nein.« – »Ihr geht fort?« – »Ja, und zwar augenblicklich.« – »Habt Ihr noch etwas Neues erfahren?« – »Nur wenig. Wurde mein Pferd gefüttert und gehörig getränkt?« fragte André in fliegender Hast. – »Natürlich«, antwortete der Wirt. »Aber was habt Ihr? Ihr seid ja ganz aufgeregt und ganz und gar außer Atem.« – »Ich muß fort, schnell, schnell. Mein Pferd!«
Damit riß er dem Wirt das Licht aus der Hand und eilte mit demselben nach dem Hof.
»Wo ist das Pferd?« fragte er. – »Im Stall«, antwortete der nacheilende Mexikaner.
André sprang nach dem Stall.
»Um der Heiligen Jungfrau willen, Ihr werdet mir den Stall anzünden«, rief der Wirt. – »Schadet nichts! Er mag wegbrennen. Wenn ich nur mein Pferd habe.«
Er setzte das Licht nieder. Im Nu war der Gaul gesattelt und gezäumt und vor die Tür in den Hof gezogen.
»Was für ein Teufel ist denn in Euch gefahren, Señor?« fragte der Wirt verwundert. – »Der Reitteufel. Weshalb, das werdet Ihr später erfahren. Hier ist die Zeche.«
André griff in die Tasche und zog den Beutel.
»Unsinn«, meinte der Mexikaner. »Ich werde von Euch nichts nehmen.« – »Ah! Da!«
Bei diesem Wort drückte André dem Wirt etwas in die Hand und gab dem Pferd die Sporen, daß es hoch aufbäumte und dann über den Hof und zum Tor hinaus auf die Straße schoß. Als der nachspringende Wirt an das Tor kam, verklangen die Hufschläge des Pferdes bereits in der nächsten Straße.
»Was war das?« murmelte er. »Hatte dieser Mann Eile. Er kann sich und dem Pferd in dieser Dunkelheit den Schädel einrennen. Da muß etwas ganz Neues und Besonderes passiert sein.«
Jetzt hielt er die Hand an das Licht.
»O Santa Madonna – ein Nugget, so groß wie eine Haselnuß. Das ist unter Brüdern zwanzig Duros wert. Der Mann hat Gold. Gott behüte ihn heute nacht, daß er nicht den Hals bricht und die Beine dazu.«
13. Kapitel
Dieser fromme Wunsch war nicht ganz ohne Berechtigung. Der kleine Mann flog, sobald er die Stadt hinter sich hatte, wie der wilde Jäger längs des Chihuahua-Flusses dahin. Ein Glück war es, daß er während der Streifereien der letzten Tage die Gegend genau kennengelernt hatte.
Das Rendezvous, zwei Wegstunden von der Stadt gelegen, erreichte er in kaum einer halben Stunde. Hier hielt er an und ließ einige Male den lauten Ruf der Baumeule erschallen. Es ertönte keine Antwort.
»Sie sind noch nicht da. Vorwärts! Ihnen entgegen.«
Er ritt in ganz derselben Eile weiter, immer am Fluß hin. Gegen zwei Uhr begann es wenigstens so klar zu werden, daß er weiter als vorher blicken konnte, und eine Stunde später erreichte André die Stelle, wo der Fluß sich in den Rio Conchas ergießt. Dort hielt er an und sagte:
»Hier ist der verabredete Übergang. Ich muß nachsehen.«
Gleich darauf begann er, so gut es das Dunkel gestattete, die Umgebung zu untersuchen.
»Noch nicht dagewesen«, lautete das Ergebnis.
Dann stieg er wieder auf, ritt durch den Rio Conchas hindurch nach dem anderen Ufer und schlug eine Richtung ein, die zwischen diesem Ruß und dem Ort Chiricote nach Nordnordosten führt. Schon brach der Tag an.
Jetzt konnte er die Ebene, durch die er kam, genau beobachten. Er bemerkte nicht die geringste Spur der Gesuchten. So ritt er fort, bis in die späteren Stunden des Vormittags, still und einsam, und nur zuweilen flüsterte er:
»Drei Küsse! Ah, ich muß sie erhalten.«
Sein Pferd war dem Zusammenbrechen nahe. Es fand kaum noch Atem. Er merkte, daß es dem Tod nahe sei, daß es umstürzen werde, sobald er im Ritt einhalten werde, darum spornte er es immer wieder von neuem an.
Jetzt näherte er sich den Vorbergen, hinter denen der Rio Grande del Norte fließt. Da erblickte er eine lange, dunkle Linie, die aus einem Tal zwischen zwei Bergen sich hervorschlängelte. Er erhob sich in den Bügeln, um besser sehen zu können, und rief jauchzend:
»Sie sind es, sie sind es!«
Zu gleicher Zeit drückte er dem armen Pferd die Sporen tief, tief in die Weichen, es galoppierte nun nicht mehr, sondern es schoß vielmehr dahin.
Die Linie wurde deutlicher, kam immer näher. Jetzt waren die einzelnen Gestalten genau zu erkennen.
Voran ritten die Häuptlinge Büffelstirn, Bärenauge und Bärenherz als Eklaireure, eine Strecke weiter zurück folgte Juarez, der soeben mit Sternau in ein ernstes Gespräch vertieft war. Hinter ihnen die weißen Jäger und roten Indianer in einer langen, langen, schlangengleichen Gänsemarschlinie.
Man hatte den Reiter längst bemerkt.
»Wer mag es sein?« fragte Juarez. – »Uff!« rief Bärenherz. »Der kleine Mann!«
Sternau blickte schärfer hin und stimmte bei.
»Ja, wirklich, es ist der Kleine André, den Sie nach Chihuahua sandten, Señor.« – »Was will er hier? Warum kommt er uns entgegen?« fragte Juarez. – »Es muß etwas Wichtiges passiert sein.« – »Jedenfalls. Man wird es sogleich hören.«
Jetzt war der kleine Mann ganz nahe. Die Zunge hing seinem Pferd lang aus dem Maul; die Augen des Tieres waren mit Blut unterlaufen; es stöhnte wie eine Lokomotive und schnellte sich nur noch in einzelnen, konvulsivischen Sätzen vorwärts. Da, ganz nahe vor Juarez, tat es den letzten Satz.
»Um Gottes willen, herunter«, rief dieser.
Aber der Kleine André hatte den Sattel bereits verlassen und sprang mit unglaublicher Kühnheit seitwärts zur Erde, während sein Pferd sich überschlug und dann liegenblieb. Kaltblütig zog er darauf seine Pistole und jagte dem zu Tode gehetzten Tier eine Kugel durch das brechende Auge.
»Was fällt Euch ein, Señor André?« fragte der Präsident. »Das muß ja ein wahrer Höllenritt gewesen sein.« – »Allerdings, Señor«, antwortete der kleine Jäger. »Aber in einigen Minuten wird unsere ganze Truppe einen ähnlichen Ritt beginnen.« – »Wieso?« – »Señorita Emilia sendet mich. Vor neun Stunden ritt ich von ihr weg.« – »Unmöglich.« – »Seht mein Pferd an. Ich habe es zu Tode geritten.« – »So sagt den Grund.«
Die weißen Jäger hatten schnell einen Kreis gebildet, während die Indianer gleichmütig von weitem hielten.
»Kaiser Max hat ein Dekret erlassen, daß ein jeder Republikaner als Räuber zu behandeln und zu töten sei«, berichtete der kleine Jäger.
Die Augen des Präsidenten leuchteten auf.
»Ist dies wahr?« fragte er. – »Ja, Señor.« – »Das ist Wahnsinn. Er hat damit sein eigenes Todesurteil unterschrieben.« – »Aber zunächst dasjenige anderer Leute. Gestern kam nach Chihuahua der Befehl von Bazaine, alle gefangenen Republikaner zu töten.« – »Ah, sind Gefangene da?« fragte Juarez schnell. – »Ja, vierzig Familienväter.« – »Weiter! Weiter!« – »Diese vierzig Familienväter sollen nächste Nacht zwei Uhr erschossen werden.« – »Mein Gott! Was ist da zu tun? Sie müssen gerettet werden! Aber wie? Die Zeit ist ja viel zu kurz.« – »Darum darf eben keine Zeit verloren werden, Señor Juarez«, sagte Sternau schnell. »Wollen Sie mir die Fragen und das Weitere überlassen?« – »Ja, gern.«
Da wandte Sternau sich an den kleinen Jäger.
»Bitte kurze und bestimmte Antwort! Heute nacht zwei Uhr werden sie erschossen?« – »Ja.« – »Wo?« – »Vor der Stadt, am Fluß jedenfalls.« – »Wie lange seid Ihr geritten?« – »Neun Stunden.« – »So brauchen wir elf Stunden, wenn wir die Pferde nicht gerade totreiten wollen. Wie viele Truppen kommen zur Exekution?« – »Eine Kompanie und außerdem sämtliche Offiziere.« – »Ah, das ist gut. Es geschieht im geheimen?« – »Ja. Nur Señorita Emilia weiß es.« – »Sie ist‘s, die Euch gesandt hat?« – »Ja.« – »Wenn Ihr uns nun nicht zur rechten Zeit getroffen hättet?« – »Sie will warten bis Mitternacht, dann aber die Republikaner alarmieren.« – »Das würde ein großes Blutbad hervorbringen, denn diese guten Señores von Chihuahua scheinen keine großen Helden zu sein. Wie weit liegt unser Rendezvous von der Stadt?« – »Zwei Stunden.« – »Könnt Ihr den Ritt zurück aushalten?« – »Ja, Señor Sternau.« – »Gut! Hört, Señores, was ich Euch als das beste, was zu tun ist, vorschlage.«
Sie drängten sich alle um Sternau, und er begann:
»Zunächst muß Señorita Emilia schleunigst benachrichtigt werden, daß Hilfe kommt, damit sie keinen Stadtaufruhr erregt. Dann müssen die schnellsten unserer Reiter sich beeilen, noch vor zwei Uhr vor der Stadt anzulangen, um die Exekution zu verhindern. Und dann kommen die anderen nach, um sich mit diesen zu vereinigen. Die Botschaft an die Señorita wird Señor André übernehmen, und weil sie so wichtig ist und ihm leicht etwas zustoßen kann, werde ich selbst ihn begleiten. Kennt mein Bruder Bärenauge Chihuahua?« – »Mein Auge kennt das ganze Land«, antwortete der Häuptling. – »Nun, so mag mein Bruder unter Hilfe der anderen Häuptlinge die schnellsten Krieger bis vor Mitternacht an die Stadt bringen, wo ich sie am Wasser treffen werde. Die anderen, die nicht so schnelle Pferde haben, werden unter der Anführung von Señor Juarez nachkommen.« – »Nein!« rief Juarez. »Das kann ich nicht zugeben.« – »Warum?« fragte Sternau. – »Sie wollen, ich soll mich schonen; ich soll nicht mit kämpfen?« – »Allerdings. Ihr Leben ist zu kostbar, als daß es einer Kugel ausgesetzt werden darf.« – »Und dennoch reite ich mit dem ersten Trupp. Vielleicht wirkt mein bloßes Erscheinen mehr als alle Kugeln.« – »Das ist möglich, und darum mag es sein. Übrigens bleibt uns vor der Stadt noch immer Zeit, uns zu besprechen. Wer den letzten Trupp anführen soll, mag noch bestimmt werden. Ich habe keine Zeit dazu, ich muß fort. Hier, Señor André, nehmt mein Handpferd. Es ist noch frisch und wird den Ritt gut aushalten.«
André hatte seinem toten Pferd bereits Sattel und Zügel abgenommen und begann sogleich, dies dem angebotenen Pferd anzulegen.
Da drängte Juarez sein Pferd an dasjenige Sternaus heran.
»Señor«, sagte er halblaut, »könnten Sie mir eine Bitte erfüllen?« – »Reden Sie, Señor.« – »Ich möchte nicht so unerwartet über die Franzosen herfallen …« – »Ah, Sie sind edler als jene!« – »Ich achte das Völkerrecht. Sie kommen eher als ich nach Chihuahua. Wollen Sie dies mit übernehmen?« – »Sie meinen, ich soll den Kommandanten als Ihr Abgesandter aufsuchen?« – »Natürlich.« – »Wird man mich als solchen respektieren?« – »Ich hoffe es.« – »Was soll ich sagen?« – »Ich schlage ihnen freien Abzug vor. Alles andere überlasse ich Ihnen.« – »Gut. Aber soll ich verraten, daß wir von der Exekution wissen, die stattfinden soll?« – »Nein, kein Wort.« – »Und wie nahe wir sind?« – »Noch viel weniger.« – »So begreife ich meine Instruktion vollständig und hoffe, daß Sie mit mir zufrieden sein werden.« – »Ich bin überzeugt davon. Aber, Señor Sternau, gesetzt den Fall, den Sie erwähnten, daß man Sie nicht respektiert. Was dann?« – »Bah, das wird sich finden.« – »Wenn man Sie festnimmt, gefangenhält?« – »Das macht mir keine Sorge. Sollte mir aber dennoch so etwas passieren, so kann ich mich auf meine Freunde verlassen. Adieu, Señores.«
Sternau gab seinem Roß die Sporen und sprengte davon, an der Seite Andrés.
Diese beiden Männer boten einen eigentümlichen Anblick dar, Sternau, der hohe, breite, riesenhafte Mann neben dem kleinen Jäger; aber es war sich ein jeder seines Wertes bewußt und achtete den anderen.
Da sie beide Deutsche waren, so redeten sie in der heimatlichen Sprache miteinander; doch wurde nur das Nötigste besprochen.
Als sie bereits einige Minuten geritten waren, drehte Sternau sich um und bemerkte den Trupp der Besserberittenen, der ihnen bereits folgte.
»Jetzt ist es vormittags zehn Uhr«, sagte er. »Elf Stunden reiten wir; also werden wir abends neun Uhr in Chihuahua sein. Das genügt. Wissen Sie den Platz genau, auf dem die Exekution vorgenommen werden soll?« – »Nein«, antwortete André. – »Aber man wird ihn erfahren können?« – »Die Señorita wird es wissen.« —»Ich gehe mit zu ihr. Ich hätte Sie manches in Beziehung auf die Heimat zu fragen, aber es ist nicht die Zeit dazu. Bei der ungeheuren Schnelligkeit unseres Rittes ist es geraten, zu schweigen. Reiten wir hintereinander.«
So ging es fort, genau denselben Weg zurück; den Andreas herwärts gekommen war. Der Vormittag verging, die Sonne erreichte den Zenit; sie senkte sich wieder, ohne daß die beiden Reiter ihren Pferden Ruhe gönnten. Es war gewiß, daß die beiden Tiere vollständig unbrauchbar wurden, aber darauf durfte man heute nicht sehen.
Schon wurde es Abend, doch erst, als die beiden den Rio Conchas erreichten, hielten sie an, um die Pferde verschnaufen zu lassen und sie nicht so heiß in die Flut zu treiben. Dann aber ging es im Galopp weiter.
Als sie sich in der Nähe der Stadt befanden, fragte Sternau:
»Gibt es hier ein sicheres Versteck für die Pferde?« – »Ja. Aber wollen wir zu Fuß die Stadt erreichen?« – »Ja. Es ist besser, wir kommen möglichst unbemerkt.« – »So ist dort rechts ein Wald, in dem wir die Tiere anbinden können.«
Dies wurde getan. Dann ergriffen die beiden Männer ihre Waffen und schritten der Stadt entgegen, die sie an derselben Straße erreichten, durch welche gestern André ein– und ausgeritten war.
Dieser bog schweigend in die Seitengasse ein, und Sternau folgte ihm.
»Hier links ist die Venta, wo ich abstieg, Señor«, flüsterte der kleine Mann. – »Und das Haus der Señorita?« – »Hier rechts, das hohe, breite Gebäude.« – »Man sieht kein Licht, doch lassen Sie uns eintreten.« – »Die Zimmer haben Läden, die des Abends verschlossen werden.«
Es war sehr dunkel auf der Gasse. Die beiden Männer waren bisher keinem Menschen aufgefallen. Sie fanden das Tor des Hauses zugeklinkt, aber nicht verschlossen, und traten ein. Im Flur war es vollständig finster, aber ihr Eintritt wurde doch bemerkt, denn eine Stimme fragte:
»Wer kommt?« – »Wer ist da?« erwiderte der kleine Jäger. – »Der Hausmeister.« – »Ich bin es, André.« – »Oh, Gott sei Dank, Señor. Wir haben mit Schmerzen auf Euch gewartet. Habt Ihr das Tor wieder zugemacht?« – »Ja.« – »So kann ich das Licht anbrennen. Ich habe, Euch erwartend, seit Anbruch des Abends hier gestanden und glaubte, Ihr würdet nicht kommen.« – »Ist die Señorita daheim?« – »Ja. Sie befindet sich in einer beinahe fieberhaften Aufregung.«
Jetzt flammte das Licht auf, und der Alte beleuchtete die beiden Männer.
»Ah, noch ein Señor!« sagte der Hausmeister. »Ich soll nur Euch bringen, Señor André.« —»Dieser Señor ist ein guter Freund. Er hat mit der Señorita zu sprechen.« – »So folgt mir nach oben!«
14. Kapitel
Der Diener führte André und Sternau die Treppe empor. Als sie in das Vorzimmer traten, in dem sich die Zofe befand, öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und Emilia erschien in derselben. Sie hatte die Schritte vernommen, und ihre Ungeduld trieb sie, den Kommenden entgegenzueilen.
André hatte Sternau den Vortritt gelassen; sie erblickte daher zunächst nur diesen letzteren. Als ihr Auge aber auf die hohe Gestalt mit dem männlich schönen, ernsten Gesicht und dem prächtigen, bis herab auf den Gürtel reichenden Bart fiel, blieb sie halb erstaunt und halb überwältigt stehen.
»Wer ist das?« fragte sie. »Wer kommt da? Ein Fremder?«
Sternau verbeugte sich leicht und antwortete:
»Ja, ein Fremder, Señorita; hier aber ist einer, der mich entschuldigen wird.«
Bei diesen Worten trat er zur Seite. Jetzt sah Emilia seinen Gefährten.
»Señor André!« rief sie da erfreut und tief aufatmend. »Willkommen, tausendmal willkommen. Tretet ein. Nur schnell herein zu mir.« – »Erlaubt zuvor, Euch diesen Herrn vorzustellen!« sagte er. »Es ist Señor Sternau, von dem ich Euch bereits gestern erzählt habe.« – »Señor Sternau? Ah, auch Ihr seid mir willkommen. Tretet ein!«
Emilia führte die Männer in das Zimmer, wo sie gestern André zweimal empfangen hatte. Dasselbe war viel heller erleuchtet als das Vorzimmer, und hier konnte man sich deutlich sehen.
Sternaus Auge ruhte bewundernd und wehmütig auf den beinahe unvergleichlichen Reizen dieses wunderschönen Mädchens. Sie aber erblickte ihn erst jetzt vollständig in seiner ganzen, mächtigen Erscheinung, die durch die reiche, mexikanische Tracht hervorgehoben wurde. Die helle Bewunderung leuchtete aus ihren Augen; doch beherrschte sie sich bald und bat ruhig:
»Nehmt Platz, Señores, und sagt, welche Botschaft Ihr mir bringt.« – »Es ist eine gute«, antwortete André, um ihre Besorgnis sogleich mit einem Mal zu zerstreuen. – »Gott sei Dank!« entgegnete sie, die Hände zusammenschlagend. »Also Juarez kommt?« – »Ja.« – »Wann?« – Jedenfalls noch vor der Exekution.« – »Hat er genug Leute bei sich?« – »Mehr als genug. Die Verurteilten sind gerettet.« – »Das haben sie Euch zu verdanken, Señor André. Denkt Euch, welche Todesangst, welche Schrecken und Qualen diese Ärmsten ausgestanden haben und noch ausstehen! Sie glauben, daß sie dem sicheren Tode entgegengehen, daß es keine Rettung gibt, daß sie still und heimtückisch hingemordet werden, ohne ihre Angelegenheiten ordnen, ja, ohne die Ihrigen noch sehen zu können. Aber ist es auch sicher, daß die Rettung kommen wird?« – »So sicher, als ich mich hier bei Euch befinde.« – »Weilte Juarez bereits auf dem Rendezvous?« – »Nein, ich mußte ihm entgegenreiten.« – »Wohl weit?« – »Es war eine ziemliche Strecke«, entgegnete der kleine Mann bescheiden.
Da aber ergriff Sternau, der noch nicht gesprochen hatte, das Wort und sagte:
»Ich muß Euch sagen, was unter dieser ziemlichen Strecke zu verstehen ist, schöne Señorita. Señor André traf uns am Rio Grande del Norte, also beinahe fünfzehn geographische Meilen von hier, und diese Strecke ist er in neun Stunden, meist bei Nacht, geritten, worauf er sie mit mir in elf Stunden nochmals zurückgelegt hat. Das ist eine fast übermenschliche Leistung. Als er uns erreichte, brach sein Pferd unter ihm zusammen. Er hat sich um die Verurteilten den größten Dank erworben. Ohne diese Leistung wären wir nicht imstande, Hilfe zu bringen.«
Emilia hatte den Sprecher ruhig angehört. Jetzt streckte sie André beide Hände entgegen.
»Ich danke Euch, Señor«, sagte sie, indem ihre Augen feucht schimmerten. »Ihr habt bewiesen, daß ein kleiner Mann ein großes Herz haben kann. Ich werde Euch dies niemals vergessen. Aber nun darf ich vielleicht fragen, welche Anstalten zur Rettung der Bedrängten getroffen werden müssen?«
Sternau antwortete:
»Zunächst sind wir vorausgeritten, um Euch zu sagen, daß die Hilfe naht. Das übrige muß sich aus den Umständen ergeben. Ist Euch der Platz genau bekannt, wo die Hinrichtung stattfinden soll?« – »Ja.« – »Wo liegt er?« – »Wenn Ihr von der Straße aus, durch die Ihr in die Stadt gekommen seid, dieselbe verlaßt und an der Stadtgrenze hin rechts nach dem Fluß geht, so macht dieser letztere eine Biegung, die einem Halbkreis gleicht. Das Feld also bildet an dieser Stelle des Flusses eine Art Halbinsel, und diese ist es, auf der die Leute erschossen werden sollen.« – »Ist der Fluß dort tief?« – »Tief und reißend. Daher beabsichtigen die Franzosen, die Leichen der Erschossenen in das Wasser zu werfen und sie fortschwemmen zu lassen.« – »Ist es wahr, was Señor André uns von dem Dekret erzählte?« – »Es ist die volle Wahrheit.« – »So ist für die Gefangenen keine Gnade, keine Nachsicht zu hoffen?« – »Nicht die mindeste, zumal Oberst Laramel anwesend ist.« – »Oberst Laramel? Welch ein Mann ist dieser Offizier?« – »Er ist berüchtigt wegen seiner Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit. Er findet ein Vergnügen an der Ermordung der Feinde; er gibt niemals Pardon und könnte mit Recht der Henker der Republikaner genannt werden.« – »Das genügt!«
Sternau sagte nur diese beiden Worte, aber aus seinem Ton klang etwas, was Emilia aufhorchen und fragen ließ:
»Wie meint Ihr das, Señor?« – »Ich meine, daß ich diesen Mann sehen und sprechen werde.« – »Natürlich nach dem Kampf, wenn er ihn überlebt?« – »Wahrscheinlich auch vor dem Kampf.« – »Das wird wohl unmöglich sein, Señor.« – »Warum? Wird er nicht beim Kommandanten zu treffen sein?« – »Gewiß. Ich hatte heute alle Ursache, mich genau zu informieren, und habe gehört, daß die sämtlichen Offiziere beim Kommandanten sitzen, um die Stunde der Hinrichtung bei ihm zu erwarten.« – »Ah, das ist gut! Ich werde sie also alle beisammen sehen.« – »Wie? Ihr wollt doch nicht hin?« fragte sie aufs heftigste erschrocken. – »Allerdings«, antwortete Sternau ruhig. – »Das dürft Ihr nicht! Ihr wäret ja verloren!« – »Das glaube ich nicht. Ich komme ja als Beauftragter von Juarez und darf also freies Geleit erwarten.« – »Ihr täuscht Euch, Señor! Man wird Euch sagen, daß Juarez ein Verräter sei und Ihr infolgedessen auch. Man wird Euch sagen, daß man weder mit Juarez, noch mit einem Vertreter von ihm unterhandelt, da er ein Republikaner, ein Bandit ist. Ihr liefert Euch selbst an das Messer.«
Da erhob Sternau sich von seinem Sitz, blickte an sich herab und fragte:
»Señorita, sehe ich etwa aus wie einer, nach dem man nur die Hand auszustrecken braucht, um ihn festnehmen und erschießen zu können?«
Emilias Blick ruhte mit aufrichtiger Bewunderung auf ihm, indem sie sagte:
»O nein! Ihr kommt mir vor, wie eine jener Gestalten, von denen uns die alten Heldensagen erzählen. Aber was ist der stärkste Riese gegen eine kleine, heimtückische Flinten– oder Pistolenkugel?« – »Solche Bedenken können mich nicht beeinflussen. Ich habe Juarez mein Wort gegeben, zum Kommandanten zu gehen, und werde es halten.« – »Aber man wird Euch festnehmen!« – »Ich werde mich wehren.« – »Man wird Euch erschießen!« – »Meine Freunde werden dies zu verhindern wissen.« – »Man wird Euch vielleicht sofort töten!« – »Meine Freunde werden mich rächen. Übrigens werden erst viele Feinde fallen, ehe es ihnen gelingt, mich zu töten!« – »So werdet Ihr zum mindesten unser Vorhaben, die Verurteilten zu befreien, verraten, Señor Sternau.« – »Habt keine Sorge! Ich werde nicht ein Wort darüber fallenlassen.« – »So wird man es aus Eurer bloßen Gegenwart erraten!« – »Desto besser; dann wird man die Hinrichtung unterlassen.« – »Man wird höchstens unterlassen, sie vor der Stadt zu vollziehen und anstatt dessen die Gefangenen in ihren Kerkern heimlich hinmorden.« – »Es werden sich auch hier Gegenmaßregeln finden lassen. Ich werde jetzt aufbrechen. Darf ich fragen, ob ich Euch später wieder aufsuchen kann?« – »Ich bitte Euch um alles dessen willen, was Euch heilig und teuer ist, bleibt zurück! Ihr geht wahrhaftig in den sicheren Tod!« – »Señorita, ein Mann muß unter allen Umständen sein Wort halten!«
Sternau sprach diese Worte so ernst und bestimmt, daß Emilia fühlte, daß an seinem Entschluß wirklich nichts zu ändern sei.
Darum sagte sie nach kurzem Nachdenken:
»Ich sehe, daß Ihr meine Bitte nicht erfüllen könnt; aber gewährt mir wenigstens einen kleinen Wunsch, den ich jetzt aussprechen werde.« – »Gern, wenn er der Erfüllung meines Wortes nicht zuwiderläuft.« – »Er ist derselben nicht entgegen; er ist sogar geeignet, dieser Erfüllung einen großen Teil der Gefahr zu benehmen.« – »So sprecht ihn aus.« – »Begebt Euch unter den Schutz eines Bekannten von mir!« – »Wer ist dieser Mann?« – »Es ist kein hochgestellter Herr; es ist nur der alte Schließer des Stadthauses.«
Sternau ahnte sofort, was sie beabsichtigte. Er antwortete: »Ist dieser Mann sicher und Euch ergeben?« – »Oh, er ist ein ehrliches, treues Gemüt«, meinte Emilia mit Wärme. »Er ist der Bruder meines Hausmeisters, ein unverbrüchlicher Anhänger des Präsidenten. Er sehnt den Augenblick herbei, wo Juarez Herr von Chihuahua ist, und wird gern alles tun, diesen Augenblick herbeizuführen. Er ist es auch, von dem ich gehört habe, daß die Offiziere beim Kommandanten sitzen.« – »Ihr denkt, er könnte mir sicheren Aus– und Eingang verschaffen?« – »Ja, gewiß. In seiner Hand befinden sich alle Schlüssel des großen Gebäudes.« – »Nun gut; es kann ja nichts schaden, wenn ich mit ihm spreche; aber dies müßte sehr bald geschehen, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.« – »So erlaubt, daß ich vorher meinen Hausmeister rufen lasse, derselbe soll Euch begleiten, es ist der Bruder des Schließers.«
Emilia gab den bezüglichen Befehl, auf den der Alte sogleich kam.
Es wurde nun alles Nähere besprochen, und bald darauf verließ Sternau mit seinem Führer das Haus.
15. Kapitel
Emilia blickte ihm nach, bis er hinter der Eingangstür verschwunden war. Dann wandte sie sich wieder zurück, wo der Kleine André saß.
»Welch ein schöner Mann!« rief sie bewundernd aus. – »Ja«, antwortete er neidlos, »ich habe nie einen ähnlichen gesehen.« – »Wenn er gefangen oder gar getötet würde!« – »Oh, habt um diesen keine Angst, Señorita. Der quetscht zehn Franzosen nur mit den Händen tot. Und bei dieser Stärke so gewandt! Er ist die ganze Strecke vom Rio Grande del Norte aus bis hierher mit mir in einem Atem geritten.« – »Aber Ihr habt den doppelten Weg gemacht, Señor«, sagte Emilia, jetzt nun auch an ihn denkend. »Seid Ihr denn nicht krank davon?« – »O nein, Señorita«, antwortete er. »Übrigens hat das gar nicht so viel zu bedeuten. Señor Sternau hat viel mehr Wesens davon gemacht, als es eigentlich wert ist. Mein Ritt ist gar nicht so etwas Großes.« – »Wirklich nicht?« fragte sie, seine Bescheidenheit bewundernd. – »Nein. Wenn so ein kleiner Kerl, wie ich bin, auf dem Pferd sitzt, so läuft das Tier ja, als ob es gar keinen zu tragen hätte. Man wird nur so nebenbei mit fortgeschleppt, das ist alles.« – »So, das ist alles! Hört, Señor, Ihr seid ein sonderbarer Kauz. Erstens seid Ihr gar nicht so klein, wie Ihr Euch macht, ich zum Beispiel bin höchstens um einen Zoll länger. Und zweitens weiß ich ganz genau, was Ihr geleistet habt. Wißt Ihr noch, was ich Euch versprochen habe?«
Der wetterfeste Jäger errötete wie eine Nähmamsell.
»Oh, Señorita, das war ja nur Euer Spaß«, erwiderte er. – »Nein, ich versichere Euch, daß es mein Ernst war.« – »Aber die Rettung ist ja noch gar nicht da!« – »Sie ist in der Nähe und wird sicher kommen. Mein Wort halte ich. Ihr sollt den versprochenen Lohn haben.«
Da wich André einen Schritt zurück, streckte die Hände vor und sagte:
»Ihr seid so außerordentlich lieb und gut, Señorita, aber ich darf eine solche Güte unmöglich annehmen.« – »Warum nicht?« fragt sie, auf ihn zutretend. – »Seht mich an und Euch dagegen.« – »Oh, das Kleid tut nichts, Señor; auf das Herz kommt es an. Und Euer Herz ist wohl besser und reiner als das meinige.«
Dabei streckte sie die Hand nach ihm aus, wie um die seinige zu erfassen, bis er abermals erschrocken einen Schritt zurückwich und rief:
»Mein Gott, Señorita!«
Unterwegs hatte er sich zugeschworen, daß er die drei Küsse erhalten müsse. Er hatte bei dem wilden Jagen Leben und Gesundheit gewagt; er hatte ein Pferd tot und das andere zu Schanden geritten. Und nun er das Ersehnte erhalten sollte, schien es ihm ganz unmöglich, es in Empfang zu nehmen.
»Wollt Ihr mich beleidigen?« fragte sie. – »O nein, gewiß nicht!« beteuerte er.
Da blickte sie ihn mit einem halb lustigen, halb forschenden Ausdruck an und fragte:
»Ah, Señor, Ihr habt wohl niemals geküßt?« – »Hol‘s der Teufel, niemals!« antwortete er. – »Auch diejenige nicht, wegen der Ihr Euch das Rattengift kauftet?« – »Auch die nicht!« – »Und seid auch nicht geküßt worden?« – »Von meiner Mutter einige Male, weiter wüßte ich niemand.« – »Drum ist Euch so angst und bange dabei!« lachte sie. »Jetzt werde ich Euch aber zeigen, daß es einem gar nicht angst zu werden braucht. Kommt doch einmal hierher auf diesen Stuhl!«
Sie faßte ihn bei beiden Händen und zog ihn nach einem Stuhl, auf den er sich setzen mußte. Er gehorchte dieses Mal ohne Widerstreben.
Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn, und es war ihm wie im Traum, als das schöne Mädchen den vollen Arm um seinen Hals und seine Lippen weich und warm auf seinen Mund legte.
Es war ihm, als ob er träumte. Er hätte aufjauchzen mögen vor Wonne.
»So«, sagte Emilia. »Jetzt habe ich mein Wort gehalten. Seid Ihr zufrieden mit mir, Señor?« – »Oh, Señorita!« war alles, was er antworten konnte. – »Ich verstehe Euch«, erwiderte sie ernst. »Ihr seid glücklich, und das ist es, was ich wollte. Da man aber mit der Erfüllung eines Versprechens nicht so geizig sein darf, so sollt Ihr noch einen Kuß haben, freiwillig gegeben, und dann wollen wir von den Dingen sprechen, denen wir heute abend entgegengehen.«
16. Kapitel
Unterdessen war Sternau mit dem alten Hausmeister durch einige Straßen gegangen, ohne daß sie von jemand beachtet worden wären. Es war dunkel, daß sie kaum gesehen werden konnten. Endlich gelangten sie an eine Tür, vor der der Hausmeister stehenblieb.
»Wir sind hier an der hinteren Seite des Stadthauses, Señor«, sagte er. – »Und dies ist wohl die Tür, an der Ihr mich erwarten werdet?« fragte Sternau. – »Ja. Bleibt kurze Zeit hier! Ich will mit meinem Bruder sprechen.«
Er verschwand um die Ecke, und Sternau blieb allein zurück. Es verging wohl eine Viertelstunde, ehe der Hausmeister zurückkehrte.
»Habt Ihr ihn getroffen?« fragte Sternau. – »Ja.« – »Aber er kommt nicht mit. Er hat es wohl vorgezogen, nicht auf unser Vorhaben einzugehen, jedenfalls weil es sowohl für ihn, als auch für uns gefährlich ist?« – »O nein, Señor. Er hat sofort mit tausend Freuden seine Zusage gegeben; er schlägt nur einen anderen Weg ein. Hört Ihr‘s? Jetzt endlich kommt er.«
Wirklich hörte man jetzt jenseits der Tür ein Geräusch, als wenn jemand eine Treppe herabgestiegen käme. Dann wurde leise ein Schlüssel in das Schloß gesteckt und die Tür geöffnet.
»Kommt herein«, flüsterte es.
Sofort trat Sternau ein, und der Hausmeister folgte. Nun wurde die Tür wieder verschlossen, und es kam ein Blendlaternchen zum Vorschein, das der Schließer unter seinem Gewand trug. Er ließ den Lichtschein auf Sternau fallen und sagte:
»Mein Bruder hat mir eine Botschaft gebracht, die ich kaum glauben kann. Ist es wahr, Señor, wirklich wahr, daß Benito Juarez in der Nähe ist?« – »Das ist allerdings wahr.« – »Er kommt nach Chihuahua?« – »Ja.« – »Ihr könnt das beschwören?« – »Mit dem besten Gewissen. Ich habe ihn noch heute vormittag gesprochen; ich eilte voraus, um sein Bote zu sein. Ihr werdet ihm vielleicht noch heute nacht dieses Haus hier öffnen.« – »So segne Euch die Heilige Jungfrau für ein jedes Wort, was Ihr jetzt sagtet. Ich aber will Euch zu Diensten sein, so viel und gut ich kann.« – »Ihr wißt, um was es sich handelt?« – »Ja. Mein Bruder hat es mir bereits mitgeteilt.« – »Stimmt Ihr seinem Plan bei?« – »Vollkommen. Während er Euch hier erwartet, gehe ich wieder diese Treppe empor. Kommt mit! Ich werde Euch den Weg zeigen.«
Der Hausmeister führte Sternau mit Hilfe des Laternchens die Treppe empor und durch vier Zimmer, bis sie vor einer Tür standen, an der er stehenblieb, um zu horchen.
»Es ist niemand draußen«, sagte er. »Blickt hinaus!«
Er öffnete dabei die Tür ein wenig, und Sternau sah nur einen spärlich erleuchteten Korridor, auf dem sich kein Mensch befand. Gegenüber lag auch eine Tür.
»Seht«, sagte der Schließer, »hinter jener Tür stecken die Offiziere. Dort hinein wird man Euch führen, und hier erwarte ich Euch. Müßt Ihr fliehen, so dreht Ihr drüben schnell den Schlüssel um und springt schnell hier herein. Ich trete hinaus, um später drüben zu öffnen. Ihr aber schließt hier alle Türen hinter Euch ab und verlaßt über die Treppe das Haus. Den Hauptschlüssel und die Laterne könnt Ihr meinem Bruder geben.« – »Schön!« entgegnete Sternau. »Das ist alles so deutlich, daß ein Kind es verstehen müßte. Wir können also beginnen? Nicht?« – »Ja. Aber eins bitte ich Euch, Señor. Nehmt Euch vor dem Schießen in acht.« – »Habt keine Sorge um mich.« – »Und verratet mich nicht, wenn es anders abläuft, als wir hoffen.« – »Ihr könnt Euch ganz und gar auf mich verlassen. Jetzt also werde ich gehen.« – »Geht in Gottes Namen.«
Sternau kehrte über die Treppe hinab zu dem Hausmeister zurück und schritt dann nach der anderen Seite des Hauses. Dort war das Tor geöffnet und der breite Flur erleuchtet. Posten standen nicht vor der Tür. Dies hatte man in Chihuahua für überflüssig gehalten. Im Flur befand sich die Tür des Wachtlokales offen, und als er vorüber wollte, trat ein Unteroffizier vor und fragte höflich:
»Verzeihung, Monsieur, wohin wollen Sie?«
Sternau machte den Eindruck eines seltenen und vornehmen Mannes.
»Ist der Kommandant zu sprechen?« fragte er. – »So spät?« – »Das ist für Sie gleichgültig! Ich frage, ob der Kommandant zu Hause ist!«
Diese Grobheit imponierte.
»Ja, Monsieur«, antwortete der Mann. – »Wollen Sie mich melden, Señor?« – »Gern. Welchen Namen soll ich nennen?« – »Doktor Sternau.«
Sternau sah keinen Grund, hier seinen guten Namen zu verheimlichen.
»Sehr wohl! Folgen Sie mir!«
Droben saßen die Herren bei einer Ananasbowle und trieben Politik nach Art der Franzosen, leicht und lustig, und bauten Kartenhausschlösser, die keinen Wert haben. Da trat der Unteroffizier ein und meldete:
»Draußen ist ein Herr, der den Herrn Kommandanten sprechen will.« – »So spät?« sagte der Erwähnte unwillig. – »Ich erlaubte mir, dies ebenso zu bemerken.« – »Was meinte da der Mann?« – »Er fuhr mich an, wie ein Hund die Katze.« – »Ah! Wer ist es?« – »Er nannte sich Doktor Sternau.« – »Ein deutscher Name. Es wird der Feldscher oder Chirurg einer der belgischen oder kaiserlichen Bataillone sein. Höchst unangenehm und langweilig; aber wir wollen ihm den Zutritt gestatten. Er mag hereinkommen.« – Eintreten!« schnarrte der Unteroffizier, das Zimmer verlassend.
Aller Augen richteten sich nach der Tür. Anstatt des erwarteten, untertänigen Pflastermannes trat eine hohe, herkulisch gebaute Figur ein, die in der reichsten mexikanischen Weise gekleidet war. Sternau sah wirklich gebieterisch aus.
»Guten Abend, meine Herren«, grüßte er, sich verbeugend.
Von dem Eindruck seiner Persönlichkeit ergriffen, erhoben sich die Offiziere und erwiderten seinen Gruß.
»Ich bin an den Herrn Kommandanten von Chihuahua adressiert.« – »Der bin ich«, sagte der Genannte. »Wollen Sie Platz nehmen? Vorher jedoch erlaube ich mir, Ihnen die Namen dieser Herren zu nennen.«
Sternau nickte bei jedem Namen leicht und vornehm mit dem Kopf; als aber Oberst Laramel genannt wurde, nahm er die Physiognomie und das Äußere desselben genauer in Augenschein. Dann setzte er sich nieder.
»Was verschafft mir die unerwartete Ehre, den Herrn Doktor bei mir zu sehen?« fragte der Kommandant. – »Ein ganz eigentümlicher Zufall, der mir ebenso unerwartet gekommen ist, wie Ihnen heute meine Gegenwart, Herr Kommandant«, antwortete Sternau. »Zunächst die Bemerkung, daß ich ein Deutscher bin.«
Der Offizier nickte kalt mit dem Kopf.
»Ich erriet dies aus dem Klang Ihres Namens«, sagte er. – »Ich befand mich aus Gründen, die den Gegenstand nicht berühren und also nicht hierhergehören, längere Zeit in der Südsee. Ich hatte Veranlassung familiärer Art, von da nach Mexiko zu gehen, und schlug die Route ein, die sich gegen die Grenze von Neumexiko neigt.« – »Eh bien!« sagte der Franzose neugierig werdend. – »Während eines Rasttages hatte ich das unerwartete Vergnügen, einen Mann kennenzulernen, dessen Name mit der Geschichte von Mexiko sehr innig verbunden ist. Die Herren erraten vielleicht, wen ich meine?« – »Donnerwetter, jedenfalls Juarez!« rief Oberst Laramel aufspringend. »Habe ich richtig geraten?« – »Ja, Herr Oberst.« – »Famos! Endlich, endlich hört man etwas Genaues. Wo steckt er?« – »Ich bitte zunächst um die Erlaubnis, in meiner Einleitung fortfahren zu dürfen«, sagte Sternau im höflichsten Ton. – »Das hat Zeit. Beantworten Sie mir zunächst meine Frage. Das ist die Hauptsache.«
Diese Worte wurden in einer rücksichtslosen, fast groben Weise gesprochen, daß Sternau ihnen gar keine Beachtung schenkte. Er fuhr also fort:
»Ja, Juarez war es, den ich kennenlernte, und zwar während …« – »Ich habe Sie gefragt, wo sich Juarez befindet!« rief, ihn unterbrechend, der Oberst Laramel in gebieterischem Ton.
Da drehte Sternau sich lächelnd zu ihm herum, aber in diesem Lächeln lag alles ausgedrückt, was einen Laramel beleidigen konnte, und sagte:
»Herr Oberst, Sie befinden sich nicht vor der Front einer Strafkompanie, sondern Sie sitzen vor einem Mann, der gewohnt ist zu sprechen, wie es ihm gefällt. Ich liebe nicht, unterbrochen zu werden; ist dies dennoch der Fall, so erfordert die Sitte, daß es in höflicher Weise geschieht. Finde ich diese Höflichkeit nicht, die doch bereits unter den gewöhnlichsten Straßenkehrern anzutreffen ist, so habe ich festzuhalten, daß ich nur kam, um mit dem Herrn Kommandanten zu sprechen.«
Das war eine Zurechtweisung, wie sie dem Obersten wohl noch nie geworden war. Er erhob sich und griff an seinen Degen.
»Monsieur, wollen Sie mich beleidigen?« rief er. – »Keineswegs«, antwortete Sternau ruhig. »Ich habe nur die Absicht gehabt, mir die einem jeden gebildeten Mann gebührende Rücksicht zu verschaffen.«
Der Kommandant mochte einen ernsten Auftritt befürchten und erwiderte:
»Das genügt jedenfalls. Der Herr Doktor hat erklärt, daß er den Herrn Obersten Laramel nicht beleidigen wollte, und den Herrn Obersten ersuche ich freundlichst, den Herrn Doktor aussprechen zu lassen. Somit ist alles gut. Bitte, fortzufahren.«
Diese Worte waren an Sternau gerichtet, und da sie in einem freundlichen Ton gesprochen waren, so verbeugte sich dieser höflich und fuhr fort:
»Ich sagte also, daß ich Benito Juarez kennenlernte. Es geschah dies während einer kleinen Exkursion, die er von Paso del Norte aus unternahm. Ich glaube nicht ein politisches Verbrechen zu begehen, wenn ich gestehe, daß ich ein lebhaftes Interesse für diesen Mann empfand, und ich hatte das Glück, diese Teilnahme in freundlichster Weise von ihm erwidert zu sehen.« – »Wollen Sie damit sagen, daß Sie ein Freund von Juarez sind?«
Diese Frage sprach der Kommandant in einem sehr ernsthaften Ton aus.
»Ja, dies und nicht anderes will ich sagen«, antwortete Sternau furchtlos.
Da runzelte der Kommandant die Stirn.
»Sie scheinen eine große Aufrichtigkeit zu besitzen«, sagte er. – »Ich bin gewöhnt, Aufrichtigkeit als eine Tugend zu betrachten.« – »Das ist sie auch; aber diese Tugend kann unter gewissen Verhältnissen verhängnisvoll werden, sobald sie zur Unvorsichtigkeit wird.« – »Ich hoffe, bis jetzt noch nicht unvorsichtig geworden zu sein«, bemerkte Sternau unter einem gleichmütigen Lächeln.« – »O doch! Sie haben sich ja als ein Anhänger von Juarez legitimiert.« – »Davon weiß ich nichts. Es ist sehr leicht möglich, der persönliche Freund eines anderen zu sein, ohne gerade dessen politischen Grundsätzen zu huldigen. Gehen wir also in friedlicher Weise über diesen Punkt hinweg. Ich wiederhole, daß ich das Glück hatte, Juarez kennenzulernen und mir sein Vertrauen zu erwerben. Meine Anwesenheit ist ein Beweis für diese Behauptung, denn ich komme als Abgesandter des Zapoteken zu Ihnen.« – »Ah!« rief da der Kommandant erstaunt. »Als sein Abgesandter?« – »Ja.« – »Vielleicht gar als sein Bevollmächtigter?« – »Allerdings. Ich besitze die Vollmacht, mit Ihnen zu unterhandeln.«
Da stieß Oberst Laramel ein höhnisches, verächtliches Lachen aus, doch ohne ein Wort zu sagen. Sternau beachtete es nicht, und der Kommandant meinte:
»Ich schließe mich meinem Kameraden an, der durch sein Gelächter beweist, daß er Ihre Worte mehr als sonderbar findet. Glauben Sie wirklich, daß Juarez der Mann ist, mit dem ein Franzose unterhandeln würde?« – »Das glaube ich allerdings«, antwortete Sternau ruhig. – »Dann machen Sie sich freilich eines riesigen Irrtums schuldig. Es kann niemals einer Behörde einfallen, mit einem Majestätsverbrecher und Landesverräter zu unterhandeln. Das weiß ein jeder leidlich gebildeter Mann.« – »Ich schließe mich dieser Ansicht gern an, möchte aber doch fragen, ob Sie unter diesem Majestätsverbrecher und Landesverräter Juarez verstehen.« – »Natürlich«, antwortete der Kommandant erstaunt. – »Aus welchem Grund?« – »Er konspiriert gegen uns, er leistet uns bewaffneten Widerstand.« – »Eigentümlich«, meinte Sternau mit leisem Kopfschütteln. »Juarez hat ganz dieselbe Meinung von Ihnen.« – »Ah!« rief es ringsum aus aller Munde. – »Ja«, antwortete Sternau unerschrocken. »Juarez behauptet, noch Präsident zu sein. Er wurde von Mexiko an diesen Posten berufen und nicht wieder abberufen. Er behauptet, daß die Franzosen gegen ihn konspirieren und ihm bewaffneten Widerstand leisten. Er behauptet, daß ein Majestätsverbrecher doch immerhin ein politischer, nicht aber ein ehrloser Verbrecher sei, daß aber die Franzosen gewaltsam in Mexiko eingedrungen seien, wie es zum Beispiel Einbrecher in einem nicht hinreichend bewachten Haus tun würden.«
Da sprang Oberst Laramel auf, legte die Hand an den Degen und rief zornig dem Kommandanten zu:
»Herr Kamerad, wollen Sie sich diese Beleidigung gefallen lassen?«
Auch der Kommandant stand von seinem Sitz auf.
»Allerdings nicht«, antwortete er. Und zu Sternau gewandt, fuhr er fort: »Sie haben uns mit Ihren Worten als gemeine Einbrecher bezeichnet?« – »Das fällt mir nicht ein«, entgegnete der Gefragte. »Sie bezeichneten Juarez mit einem Namen, den er ganz entschieden zurückweist, und ich gestattete mir darauf nur, Ihnen anzudeuten, in welcher Weise er den betreffenden Gegenstand beurteilt. Von meiner Meinung ist keine Rede gewesen.« – »Das wollen wir uns auch sehr verbitten. Ich betrachte Ihren Besuch als einen sehr nutzlosen und entschieden gefahrvollen. Nutzlos ist er für Juarez, da wir nicht mit ihm verhandeln, und gefahrvoll ist er für Sie, Monsieur.«
Sternau nahm eine ungläubige Miene an.
»Gefahrvoll für mich?« fragte er. »Inwiefern, Monsieur?« – »Weil Sie dabei Ihre Freiheit, ja, sogar Ihr Leben wagen.« – »Ah! Unmöglich!« – »Und doch! Juarez ist vogelfrei. Ich habe erst gestern den strengen Befehl erhalten, jeden seiner Anhänger als Banditen zu betrachten und zu behandeln, das heißt, ihn erschießen zu lassen.« – »Alle Teufel«, lachte Sternau, »so wird mir wohl das Vergnügen, von Ihnen auch als Bandit betrachtet zu werden?« – »Sie stehen sehr nahe an dieser Gefahr. Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich erstens einen Bevollmächtigten des Expräsidenten nicht als diplomatische Person anerkenne, und daß ich zweitens Sie als meinen Gefangenen festhalten werde.«
Da legte Sternau das eine Bein über das andere und antwortete ruhig:
»Über den zweiten Punkt wollen wir jetzt nicht rechten, dazu ist ja später noch Zeit. Was aber den ersten Punkt betrifft, so werde ich auf alle Fälle und trotz Ihrer Weigerung den mir gewordenen Auftrag ausrichten. Ich habe Ihnen nämlich zu sagen, daß …«
Er wurde unterbrochen. Oberst Laramel trat nämlich einen Schritt näher und rief zornig:
»Halt! Kein Wort weiter! Jede Silbe wäre eine Beleidigung.«
Sternau zuckte die Achseln.
»Ich habe bereite gesagt, daß ich gekommen bin, um mit dem Kommandanten von Chihuahua, nicht aber mit einem anderen zu sprechen. Will man von einem Bevollmächtigen seitens Juarez nichts wissen, so kann es doch nichts schaden, einen Mann anzuhören, dessen Mitteilungen nur Nutzen bringen können.« – »Ihre Mitteilungen können mir nichts nutzen!« entgegnete der Kommandant streng. – »Sie könnten wenigstens weiteren und größeren Schaden verhüten, wenn sie allerdings auch nicht imstande sind, Geschehenes ungeschehen zu machen. Wollen Sie Juarez nicht als eine Person anerkennen, mit der Sie amtliche Verhandlungen pflegen, so wird er sich durch die Macht der Tatsachen Anerkennung verschaffen.« – »Welche Tatsachen sind das?« fragte der Kommandant spöttisch. »Meinen Sie etwa seine Flucht, seine Ohnmacht, seine Hilflosigkeit?« – »Flucht? Er ist nicht geflohen, er hat sich zurückgezogen. Ohnmacht? Nennen Sie einen Mann ohnmächtig, der alle Ihre Unternehmungen vereitelt?« – »Herr, wahren Sie Ihre Zunge!« brauste der Kommandant auf. »Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Vereitelung meinen. Allerdings ist eine meiner Kompanien abgeschlachtet worden, aber es sind bereits Vorkehrungen getroffen, diesen Unfall zu rächen.« – »Glauben Sie, daß diese Rache Ihnen gelingen wird?« – »Unbedingt.« – »So sage ich Ihnen, daß jetzt Sie es sind, der sich eines gewaltigen Irrtums schuldig macht. Ihr Unternehmen ist nämlich bereits vollständig mißlungen.«
Der Offizier machte eine Bewegung des Schrecks.
»Wieso? Was wissen Sie von meinem Unternehmen?« – »Oh, Juarez war bereits längst von demselben unterrichtet und hatte seine Vorkehrungen getroffen. Der Angriff auf Fort Guadeloupe hat allerdings stattgefunden, aber er ist abgeschlagen worden.«
Da sprangen auch sämtliche Offiziere auf, die bisher noch gesessen hatten.
»Unmöglich!« rief der Oberst. »Wer hat ihn abgeschlagen?« – Juarez.« – »So befand er sich in Guadeloupe?« – »Er begab sich dorthin, sobald er von Ihrer Absicht unterrichtet wurde.« – »Sie wissen das genau?« – »Ich befand mich bei ihm.« – »Sie waren bei dem Angriff zugegen?« – »Ja.« – »Nun, dann wird der Erfolg des Expräsidenten nur ein augenblicklicher und kurzer gewesen sein. Wir haben es nicht erreicht, ihn zu überraschen, aber meine tapferen Truppen werden dennoch das Fort nehmen und ihn, wenn nicht fangen, so doch wenigstens aus demselben vertreiben.« – »Ich muß Ihnen leider sagen, daß dies nicht geschehen wird.« – »Warum nicht?« – »Weil Sie keine Truppen mehr haben.«
Der Kommandant erbleichte.
»Wie meinen Sie das?« fragte er stockend. – »Ihre Truppen sind vollständig vernichtet.« – »Herr, beabsichtigen Sie etwa, mir eine Falle zu stellen, eine Schlinge zu legen?« – »Nein, sondern ich sage Ihnen die Wahrheit. Von Ihren Truppen, Franzosen sowie auch Komantschen, lebt nur noch ein einziger Mann, und dieser liegt skalpiert in einem Haus in Guadeloupe.«
Einige Augenblicke lang herrschte tiefes Schweigen, dann rief Oberst Laramel:
»Das ist eine Lüge, eine ganze abscheuliche Lüge!«
Sternau würdigte ihn keines Blickes, sagte aber zum Kommandanten:
»Ich bitte, mich gegen derartige Beleidigungen in Schutz zu nehmen, sonst bin ich gezwungen, zur Selbsthilfe zu greifen.« – »Eine Lüge!« wiederholte Laramel wütend. »Dieser Mensch ist ein Lügner!«
Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, so lag er auch bereits regungslos am Boden. Sternau hatte sich blitzschnell erhoben und ihm die Faust so an den Kopf geschlagen, daß er zusammenbrach.
Der Schreck über diese Tat machte alle momentan starr, dann faßte sich der Kommandant zuerst und rief drohend:
»Monsieur, was wagen Sie! Sie schlagen einen französischen Regimentskommandeur nieder? Wissen Sie, daß wir das mit dem Tode bestrafen?«
Sternau warf den Kopf stolz zurück und antwortete:
»Pah, ich habe noch ganz andere Kerle niedergeschlagen. Und ich sage Ihnen, daß ich auch jeden zweiten, dritten, fünften und zehnten niederschlagen werde, der es wagen sollte, mich in ähnlicher Weise zu beleidigen.« – »Ah, Sie haben noch dazu die Frechheit, zu drohen?« rief der Kommandant, indem sein Auge aufflammte. »Ich werde Sie sofort festnehmen lassen.«
Damit tat er einen Schritt nach der Tür.
»Bleiben Sie!« rief da Sternau in gebieterischem Ton
Der Offizier hielt in seiner Bewegung inne und starrte Sternau an.
»Herr, sind Sie etwa wahnsinnig, sich dieses Tones zu bedienen?« rief er und zog den Degen, und auch die anderen entblößten ihre Klingen. – »Lassen Sie Ihre Waffen in Ruhe, meine Herren!« entgegnete Sternau. »Ich kam, um von Ihnen gehört zu werden, und ich werde mir Gehör verschaffen. Ihre Degen fürchte ich nicht. Wohl aber haben Sie meine Kugeln zu fürchten, die jedenfalls schneller und gefährlicher sind, als Ihre Klingen.«
Bei diesen Worten zog er zwei Revolver hervor und richtete die Mündungen derselben auf die Franzosen. Sein mächtiges Äußeres, sein blitzendes Auge und der gebieterische Ton seiner Stimme machten in diesem Augenblick einen Eindruck, dem keiner widerstehen konnte. Der Kommandant fuhr erschrocken zurück.
»Mensch, Sie wollen wirklich schießen?« fragte er. – »Ja. Ich gebe Ihnen mein Wort daß ich jedem sofort, auf der Stelle, eine Kugel geben werde, der Miene machen wird, mich anzugreifen oder nach Hilfe zu senden. Sie sind mit Ihren Degen bewaffnet, ich bin Ihnen also mit meinen Revolvern überlegen.«
Die Herren sahen die Wahrheit dieser Worte ein.
»Unerhört!« sagte der Kommandant den vorher drohend erhobenen Degen senkend. »Sie sehen doch jedenfalls ein, daß Sie verloren sind!« – »Noch nicht. Vielmehr habe ich die Ansicht, daß Sie selbst verloren sind, wenn Sie nicht meiner Aufforderung folgen, ruhig Platz zu nehmen.«
Sternau hatte dabei ein so drohendes, gebieterisches Aussehen, daß sämtliche Offiziere ganz unwillkürlich sich wieder niedersetzten.
»Sie bedrohen uns mit bewaffneter Hand?« knirschte der Kommandant. – »Allerdings.« – »Sie schlugen bereits einen von uns nieder!« – »Gewiß.« – »Man wird dies streng bestrafen.« – »Versuchen Sie dies. Vorher jedoch haben Sie die Güte, mich zu hören und mir zu antworten.« – »Reden Sie!«
Sternau hielt noch immer die Revolver zum Schuß bereit.
»Sie sprachen von einem Befehl, jeden Anhänger von Juarez als Banditen zu behandeln. Werden Sie diesem Befehl gehorchen?« – »Unbedingt.« – »So läßt Juarez Sie warnen. Er wird Repressalien gebrauchen.« – »Wir fürchten ihn nicht.« – »Er läßt Ihnen dennoch sagen, daß er auch jeden Franzosen, der in seine Hände fällt, als Bandit behandeln wird.« – »Er soll dies um Gottes willen nicht wagen.« – »Er wagt nicht mehr als Sie. Ferner habe ich Sie aufzufordern, Chihuahua augenblicklich mit Ihren Truppen zu verlassen.«
Der Kommandant stieß ein fast heiseres Gelächter aus.
»Das klingt ja possenhaft!« rief er. – »Ist aber doch sehr ernst gemeint. Juarez wird Sie ruhig abziehen lassen, wenn Sie seine Forderungen respektieren.«
Da erhob sich der Kommandant abermals.
»Respektieren? Welche Ausdrücke wagen Sie zu gebrauchen!« rief er. »Sie sind ein verwegener Mensch, dessen Revolver mich für einen Augenblick überraschen konnte, aber ich bin französischer Offizier und fürchte Ihre Kugeln nicht. Ich werde Sie festnehmen lassen trotz Ihrer Revolver. Vorher aber will ich Ihnen meine Antwort geben.« – »Ich bin begierig, sie zu hören.« – »Ich sage Ihnen, daß ich den überkommenen Befehl auf das strengste erfüllen werde.« – »Das ist mir leid, zumeist um Ihrer selbst willen.« – »Pah! Ich werde bereits heute beginnen, meine Pflicht zu tun. Und wissen Sie, wer der erste ist, den ich noch diese Nacht als Bandit erschießen lasse?« – »Ich ahne es«, erwiderte Sternau lächelnd. »Sie meinen natürlich mich?« – »Allerdings. Sie sind mein Gefangener. Ergeben Sie sich freiwillig! Ihr erster Schuß wird vielleicht einen von uns töten, dann aber haben wir Sie fest, ehe Sie den zweiten abfeuern können.« – »Das zu beweisen dürfte Ihnen schwer gelingen, aber ich liebe es nicht, auf eine unnütze Weise Menschenblut zu vergießen, darum will ich meine Waffen wieder zu mir stecken.«
Mit diesen Worten schob Sternau die Revolver in die Tasche.
»Gut. Sie ergeben sich also?« – »O nein, das kann mir gar nicht einfallen.« – »Aber ich erkläre Ihnen, daß jeder Widerstand unnütz ist« – »Oh, es ist auch meine Absicht gar nicht, Ihnen Widerstand zu leisten. Ich wünsche nur, mich Ihnen zu empfehlen.«
Er machte eine tiefe, ironische Verbeugung und hatte dann mit drei raschen, weiten Schritten die Tür erreicht
»Halt! Faßt ihn! Haltet ihn fest!« rief der Kommandant und sprang selbst eiligst nach der Tür, aber als er sie erreichte, hatte sie sich bereits hinter Sternau wieder geschlossen.
»Er flieht! Er entkommt! Ihm nach!«
Unter diesen Rufen drängten sich die Herren Franzosen nach dem Ausgang, aber sie fanden zu ihrem Ärger die Tür verschlossen. Keiner dachte daran, ein Fenster zu öffnen, um einen Befehl hinabzurufen, sondern ein jeder vereinigte sich mit den anderen, um die Tür mit den Fäusten zu bearbeiten. Erst nach verhältnismäßig langer Zeit wurde sie geöffnet. Der alte Schließer stand draußen. Er machte ein ganz erstauntes Gesicht und sagte:
»Dios mio! Wer hat denn die Señores eingeschlossen?« – »Mensch, wo warst du denn jetzt?« fragte der Kommandant. – »Unten an der Tür, Señor«, antwortete der Gefragte. – »Hast du jemand das Haus verlassen sehen?« – »Ja, Señor.« – »Wer war es?« – »Der Fremde, der vorhin eintrat.« – »Du meinst den hohen, breiten Menschen in mexikanischer Tracht?« – »Ja, denselben.« – »Nach welcher Richtung ging er fort?« – »Er ging nicht, sondern er ritt.« – »Er ritt?« klang die erstaunte Frage. »Er hatte ein Pferd in der Nähe?« – »Ja, Señor. Ich stand am Tor. Er kam sehr schnell an mir vorübergeeilt und stieß, als er die Straße kaum erreicht hatte, einen Pfiff aus. Da hörte ich Pferdegetrappel. Ein Reiter, der noch ein lediges Pferd führte, kam herbei, er sprang rasch auf und ritt davon.« – »Ah, das hätten wir hören müssen.« – »Ich habe es ja selbst kaum gehört. Die Señores klopften hier so derb und stark an, daß anderes nur schwer zu vernehmen war.« – »Das mag sein. In welcher Richtung ritt er davon?« – »Nach links.« – »So wird er uns doch nicht entkommen. Es muß ihm sofort ein gut berittenes Piquet folgen. Wer will das übernehmen?«
Es meldeten sich mehrere der jüngeren Offiziere. Der Kommandant traf seine Wahl, und bald ritt der betreffende in Begleitung von zehn Kavalleristen in der angegebenen Richtung davon.
17. Kapitel
Sternau hatte, als er den Schlüssel der Tür umdrehte, den auf ihn wartenden Schließer sofort bemerkt. Dieser trat aus der gegenüberliegenden Tür auf ihn zu und drückte ihm sein Laternchen in die Hand.
»Schnell, Señor!« flüsterte er. »Mein Bruder nimmt die Schlüssel in Empfang.«
Sternau trat nun drüben ein und eilte durch die bereits angegebenen Räume, indem er alle Türen hinter sich verschloß. Der Hausmeister stand auf seinem Posten.
»Gott sei Dank!« sagte er. »Ich hatte schon die größte Sorge.« – »Sie war überflüssig. Ich gehe fort. Hier sind die Schlüssel.«
Sternau ging und verließ ungesehen die Stadt. Er fand sein Pferd noch da, wo er es angebunden hatte. Noch überlegte Sternau, ob er hier warten solle oder nicht, da hörte er Schritte, die sich leise näherten. Er drückte sich an einen Baum. Der Mann, der kam, ließ ein leises Räuspern hören, woran Sternau ihn erkannte.
»Andreas!« sagte er. – »Ah, Sie sind bereits da?« antwortete der Angerufene. »Verzeihung, daß ich mich entfernt habe! Ich konnte es vor Sorge um Sie nicht länger bei der Señorita aushalten. Es trieb mich aus der Stadt hinaus.« – »Das war unnötig, mein Lieber!« – »Hol‘s der Teufel! Sie waren in die Höhle des Löwen gegangen. Welche Garantie hatte ich, daß er Sie nicht zerriß?« – »Oh, ich bin von einem Stoff, der sich nicht so leicht zerreißen läßt.« – »Das weiß ich, aber viele Hunde sind des Hasen Tod! Man konnte Sie festhalten und mit den anderen erschießen wollen.« – »Dies beabsichtigte man allerdings.« – »Sehen Sie! Ich eilte also fort, um zu erkunden, ob die Unsrigen nicht nahe seien.« – »Das ist kaum denkbar.« – »Oh, diese Apachen reiten famos, und Juarez hat es ihnen gleichgetan.« – »Wie? So ist er mit ihnen bereits hier?« – »Ja. Sie haben ihre Pferde halbtot geritten.« – »Wer ist es alles?« – »Juarez, die beiden Apachenhäuptlinge, ihre sämtlichen Gefährten und gegen hundert der bestberittenen Krieger. Die weniger gut berittenen sind noch zurück.« – »Hundert Krieger? Ah, das genügt! Kommen Sie schnell!«
Die beiden Männer banden ihre Pferde los und verließen das Wäldchen. Bereits nach kurzer Zeit erreichten sie die Apachen. Man konnte sich bei der Dunkelheit nur an der Stimme erkennen. Juarez trat auf Sternau zu und sagte:
»Ah, Señor, das war der fürchterlichste Ritt, den ich in meinem Leben gemacht habe. Ich bin wie gerädert.« – »So muß man Ihnen Ruhe gönnen. Ich denke, Sie können uns die Arrangements, die jetzt nötig sind, wohl überlassen.« – »Nein, nein, Señor! Ich will bei allem, was geschieht, dabeisein.« – »Auch wenn Ihre Freiheit, Ihr Leben in Gefahr kommen sollte?«– »Auch dann. Ich bin es meinen Mexikanern schuldig, den fremden Eindringlingen zu zeigen, daß wir bereit sind, der Freiheit unseres Vaterlandes alles zum Opfer zu bringen. Señor André sagte mir bereits, daß Sie beim Kommandanten waren.« – »Ja. Ich habe mit ihm in Gegenwart aller seiner Offiziere gesprochen.« – »Mit welchem Erfolg?« – »Mit demjenigen, der vorauszusehen war. Das gegen die Republikaner erlassene Dekret ist Tatsache. Man wird Sie und Ihre Anhänger als Banditen behandeln. Man erkennt Sie nicht als eine Person an, mit der man sich in Unterhandlungen einlassen kann. Auch mich wollte man festnehmen und noch heute nacht erschießen.« – »Haben Sie gesagt, daß ich Repressalien anwenden werde?« – »Ja, aber man lachte darüber.« – »So wußte man noch nicht, was in Fort Guadeloupe geschehen ist?« – »Man hatte keine Ahnung davon. Ich teilte es ihnen natürlich mit, konnte aber den vollen Eindruck nicht erwarten, da ich bedacht sein mußte, meine Person schleunigst in Sicherheit zu bringen.« – »Und wie steht es mit den Gefangenen, die erschossen werden sollten?« – »Sie haben keinen Pardon zu erwarten. Man ist entschlossen, die Exekution auszuführen. Ich sollte ja mit ihnen erschossen werden.« – »So ist nichts zu tun, als den Augenblick zu erwarten und diesen Mord dann zu vereiteln. Wir umzingeln im geeigneten Moment die Exekutionsmannschaft und hauen oder schießen sie nieder. Es tut mir allerdings leid um diese Leute, die ja unschuldig sind, aber es geht wohl nicht anders.« – »Wenn Sie Unschuldige schonen wollen, so weiß ich vielleicht einen sichereren und kürzeren Weg, die Exekution zu vereiteln.« – »Das würde mir außerordentlich lieb sein, Señor. Darf ich Ihren Plan erfahren?« – »Gewiß. Wir nehmen einfach sämtliche Offiziere der Besatzung gefangen und zwingen sie dadurch, Chihuahua zu übergeben.« – »Caramba! Wenn das möglich wäre!« – »Oh, es ist gar nicht schwer, Señor! Die Offiziere sind jetzt beim Kommandanten versammelt. Wir schleichen uns ein und bemächtigen uns ihrer. Ich höre, daß hier hundert Krieger zugegen sind. Bereits die Hälfte genügt, um das ganze Quartier gefangenzunehmen.« – »Würde das Einschleichen gelingen?« – »Vollständig. Der Schließer des Stadthauses steht mit mir im Bunde. Er ist es, dem ich zu verdanken habe, daß ich vorhin entkommen bin.« – »Ah, wie kamen Sie zu diesem Mann?« – »Der Hausmeister der Señorita Emilia ist sein Bruder.« – »So läßt es sich begreifen. Kann man die Señorita Emilia ohne Gefahr sprechen?« – »Ja. Ich mache mich verbindlich, Sie zu ihr und auch sicher wieder zurückzubringen, wenn Sie sich ihr anvertrauen wollen.« – »Wirklich? So gehen wir. Es liegt mir daran, mit ihr zu sprechen, ehe ich einen bestimmten Entschluß fasse.«
Die beiden Männer verließen die Truppe und schritten der Stadt entgegen. Sie gelangten nach dem Haus der Señorita, ohne in irgendeiner Weise belästigt zu werden. Es war ihnen nicht einmal jemand begegnet.
»Das sieht nicht aus wie eine feindlich besetzte Stadt«, sagte Juarez. »Ich beginne zu glauben, daß es nicht schwer sein wird, die Herren Franzosen auszuheben.«
Im Flur, wo es dunkel war, stand der Hausmeister.
»Wer kommt? fragte er. – »Ich bin es wieder, Sternau. Wie ist es im Stadthaus gegangen?« – »Sehr gut, Señor. Mein Bruder hat dem Kommandanten gesagt, daß Sie ein Pferd bereitstehen hatten und südwärts davongeritten sind. Man hat Ihnen Verfolger nachgesandt.« – »Das war ein kluger Einfall, der die Spur von uns abgelenkt hat. Ist Señorita Emilia noch zu sprechen?« – »Sie wird für Sie jede Minute zu sprechen sein, Señor. Soll ich Ihnen die Laterne anbrennen?« – »Nein; ich kenne ja den Weg.«
Er stieg mit Juarez die Treppe empor. Oben traten sie an der Zofe vorüber sogleich in das Zimmer der Señorita. Als diese den Präsidenten erblickte, stieß sie einen Ruf der Freude aus, streckte ihm die Hand entgegen und sagte:
»Ich heiße Sie willkommen in der Hauptstadt des Presidio, und ich bin stolz darauf, die erste zu sein, die dies tun kann. Möge Ihr Einzug die Früchte bringen, die Land und Volk von Ihnen erwarten.« – »Ich danke Ihnen, Señorita«, antwortete Juarez mit dem an ihm gewöhnlichen milden Ernst. »Dazu, daß ich endlich kommen kann, haben auch Sie redlich beigetragen. Eigentlich sollte ich Ihnen Ruhe gönnen, aber ich bin zur Undankbarkeit gezwungen, indem ich Sie in immer neue Kämpfe sende.« – »Sie bringen mir neue Aufgaben?« fragte sie erfreut. – »Ja. Ich habe die Absicht, Sie nach Mexiko zum Kaiser zu senden.«
Ihre Wangen röteten sich vor Entzücken.
»Öffentlich?« fragte sie. – »Öffentlich werden Sie auftreten; Ihr Auftrag aber, und infolgedessen auch Ihre Wirksamkeit, wird ein geheimer sein. Doch ehe wir hiervon sprechen, müssen wir an den gegenwärtigen Augenblick denken. Was für ein Mann ist der Kommandant von Chihuahua?« – »Ein Dutzendmensch, Señor«, antwortete sie. »Ein wenig tapfer und ein wenig feig; ein wenig ehrgeizig und ein wenig leichtsinnig. Er ist kein Licht und weder ein selbständiger Charakter, noch ein gewissenhafter Untergebener.« – Also nicht zu fürchten?« – »Nein.« – »Gibt es unter seinen Offizieren Leute, die den Geist besitzen, in einer außerordentlichen Lage sich auch außerordentlich zu benehmen?« – »Nein. Selbst Oberst Laramel, der erst angekommen ist, muß mehr ein Wüterich als ein militärisches Talent genannt werden. Er ist ein Großsprecher.«
Juarez runzelte die Stirn.
»Ich habe von ihm gehört«, sagte er. »Ich werde den Mann genau betrachten. Sie müssen nämlich wissen, daß Señor Sternau mir den Vorschlag gemacht hat, gar nicht die Stunde der Hinrichtung abzuwarten, sondern die französischen Offiziere gleich jetzt im Stadthaus zu überfallen.«
Emilias Augen leuchteten hell auf.
»Recht so«, entgegnete sie. »Mit den Offizieren fällt ja die ganze Besatzung, die ganze Stadt in Ihre Hand. Sie werden mit diesem Streich Herr der Provinz.« – »Das ist richtig, falls es gelingt.« – »Es wird gelingen«, sagte Sternau. »Es ist nur nötig, den Hausmeister zu seinem Bruder zu senden, damit dieser uns das hintere Tor öffnet.«
Er erzählte dem Präsidenten, wie er aus dem Stadthaus entkommen war. Dieser neigte nachdenklich den Kopf und meinte:
»Wie viele Franzosen sich in der Stadt befinden, weiß ich bereits durch den kleinen Jäger. Es sind ihrer nicht viele. Meine hundert Apachen genügen, die Offiziere zu fangen und die Besatzung im Zaun zu halten, bis die übrigen herangekommen sind.« – »Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, Señor?« fragte Sternau. – »Sprechen Sie!« – »Wir verwenden fünfzig Mann, um die Hauptausgänge der Stadt zu besetzen, Anführer für diese Posten haben wir ja. Ich nenne den kleinen Jäger, Mariano, Büffelstirn, die beiden Apachenhäuptlinge. Nachdem diese Maßregel getroffen worden ist, schleichen wir mit den übrigen vierzig in das Stadthaus ein und nehmen die Offiziere gefangen. Wir werden sie in der Weise überraschen, daß sie keinen Widerstand zu leisten vermögen. Die Drohung, daß sie auf der Stelle getötet werden sollen, falls sie sich nicht in unsere Forderungen fügen, wird alle ihre Truppen in unsere Hände bringen.« – »Das ist sehr richtig; das ist der rechte Weg, um Blutvergießen zu vermeiden«, erwiderte Juarez.
Sternau fuhr fort:
»Während wir bis zum Morgen das Stadthaus besetzt halten und dann mit Anbruch des Tages leichter sehen können, was zu tun ist, werden sich unsere Nachzügler einfinden und die Einschließung der Stadt vervollständigen.« – »Oh, Sie brauchen sich ja nicht ganz allein auf sich selbst zu verlassen«, fiel die Señorita ein. »Unter den vierzehntausend Einwohnern der Stadt gibt es tausende von treuen Männern, die auf die Kunde, daß der Präsident zurückgekehrt ist, sofort zu den Waffen greifen werden. Ich kenne sie alle. Ich werde, obgleich es Nacht ist, sofort ein Zirkular erlassen, um sie zu benachrichtigen, wenigstens die hervorragendsten von ihnen.« – »Auch dieser Plan ist gut«, stimmte Juarez bei; »nur wünsche ich, daß Sie dabei aus dem Spiel gelassen werden, Señorita. Ich habe meine bestimmte Absicht dabei. Schlagen Sie mir lieber einen Mann vor, an den ich mich in dieser Beziehung wenden und auf den ich mich verlassen kann.« – »Dann nenne ich Ihnen einen sehr einfachen Mann, der aber bereit ist, für Sie zu sterben. Er kennt alle nationalgesinnten Einwohner.« – »Wer ist es?« – »Der Wirt der Venta, die meinem Haus gegenüberliegt.« – »Ah, derselbe, von dem mir der kleine Jäger erzählt hat?« – »Ja, derselbe.« – »Wird er jetzt noch wach sein?« – »Vielleicht. Aber auch im anderen Fall ist er leicht zu wecken.« – »Gut, so werde ich jetzt beginnen, meine Maßregeln zu treffen. Señor Sternau, ich und Mexiko gehen Sie zwar weniger an, aber Sie haben mir bisher eine so rege Teilnahme gewidmet, daß ich auch jetzt hoffe, auf Ihre Hilfe rechnen zu dürfen.« – »Gewiß«, antwortete Sternau, »ich stelle mich Ihnen zur Verfügung. Bestimmen Sie, was ich für Sie tun soll.« – »So bitte ich Sie, jetzt zu den Unsrigen zu gehen und die Vorkehrungen zu treffen, von denen Sie gesprochen haben. Versuchen Sie, die fünfzig Mann hierherzubringen, ohne daß es bemerkt wird; dann begeben wir uns nach dem Stadthaus. Im Fortgehen haben Sie die Güte, mir den Hausmeister heraufzuschicken.«
Sternau ging, und kurze Zeit darauf trat der Hausmeister ein. Dieser hatte, da es im Flur dunkel war, Juarez nicht gesehen. Als jetzt sein Auge auf ihn fiel, machte er eine Bewegung der freudigsten Überraschung.
»Gott, der Präsident!« rief er. »Oh, Señor, ist das die Möglichkeit?«
In seinem Gesicht spiegelte sich das ungeheucheltste Entzücken ab. Dies mußte Juarez erkennen. Er reichte dem Alten die Hand und sagte:
»Ja, ich bin es. Sie kennen mich also persönlich?« – »Ja, ich habe Sie gesehen, als Sie von hier nach Paso del Norte gingen. Aber, Señor, wissen Sie, was Sie wagen, so allein nach Chihuahua zu kommen?« – »Das Wagnis ist nicht groß. Ich hoffe im Gegenteil, die Stadt noch heute in meine Hand zu bekommen, und dabei rechne ich auf Ihre Hilfe.« – »Oh, was ich tun kann, das soll mit der größten Bereitwilligkeit geschehen.« – »Gut. Sind Sie Ihres Bruders sicher, der Schließer des Stadthauses ist?« – »Vollständig, Señor. Er ist ein ebenso guter Republikaner wie ich.« – »So gehen Sie jetzt, um ihm zu sagen, daß er mir, gerade so wie vorher Señor Sternau, die Hintertür öffnen soll.« – »Sie wollen zu den Offizieren?« – »Ja.« – »Welch eine Kühnheit! Man wird Sie gefangennehmen, Señor.« – »Man hat Señor Sternau auch nicht gefangengenommen, obgleich er allein war, ich aber werde fünfzig Indianer mitbringen und, ganz im Gegenteil, die Herren Offiziere gefangennehmen.« – »Fünfzig Indianer? Oh, das genügt; das ist etwas anderes. Dieser Streich wird gelingen, und dann gehört Chihuahua uns. Ich eile, meinen Bruder zu benachrichtigen, Señor. Er wird Ihnen alle Türen öffnen.« – »Schön. Vorher aber gehen Sie nach der Venta und sagen dem Wirt, aber so, daß es niemand hört, daß er jetzt gleich herüberkommen soll.«
Der Hausmeister ging, und bald trat der Wirt ein, mit allen Zeichen einer freudigen Aufregung im Gesicht. Er war ganz glücklich, Juarez zu sehen und den Auftrag zu erhalten, die Namen der hervorragendsten Republikaner aufzuschreiben.
Es war nach seiner Entfernung noch keine lange Zeit vergangen, so kehrte Sternau zurück, um zu melden, daß die Apachen bereit seien.
»So wollen wir aufbrechen. Sie werden unser Führer sein«, sagte Juarez.
Emilia bat, sich der größten Vorsicht zu befleißigen, und schon schritt Juarez der Tür zu, als er sich rasch wieder umdrehte und zu ihr sagte:
»Da kommt mir ein Gedanke, Señorita. Hätten Sie den Mut, uns zu begleiten?« – »Gewiß«, antwortete sie schnell. »Wenn ich mitgehen kann, werde ich nicht diese Sorge auszustehen haben, als wenn ich zurückbleiben muß.« – »Ihr Mitgehen hat einen anderen Zweck. Sie werden nach Mexiko zum Kaiser gesandt werden, und da gilt es, Sie als Anhängerin desselben zu legitimieren. Ihre Instruktionen erhalten Sie morgen. Jetzt gehen Sie mit uns und treten vor uns bei den Offizieren ein. Sie sagen denselben, daß Sie von einem Ihrer Spione gehört haben, daß ich nach Chihuahua marschiere und jeden Augenblick hier sein kann, ferner, daß ich sofort durch die Stadt nach dem Rathaus eilen würde, um mich in den Besitz desselben zu setzen. Sie raten, sogleich Maßregeln zur Vorsicht zu ergreifen. Was Sie sonst noch sagen werden, überlasse ich Ihrem Scharfsinn. Es versteht sich von selbst, daß ich im geeigneten Augenblick erscheinen werde. Mit Ihrer Toilette Zeit zu versäumen, haben Sie nicht nötig. Es muß scheinen, als ob Sie sich nach Empfang dieser Nachricht gleich auf den Weg gemacht hätten.« – »So genügt es, eine Mantille umzunehmen; dann bin ich bereit.«
Als einige Augenblicke später die drei das Haus verließen, war es ihnen unmöglich, einen der Indianer zu erkennen.
»Wo sind sie?« fragte Juarez. – »Sie liegen an der Häuserreihe entlang am Boden«, antwortete Sternau. »Gehen wir nur fort, sie werden uns folgen, ohne daß wir uns darum zu kümmern brauchen.«
Sie gingen mit möglichst gedämpften Schritten vorwärts durch mehrere Gassen, bis sie die hintere Seite des Stadthauses erreichten. Dort stand der Hausmeister wartend an der Tür.
»Ist alles in Ordnung?« fragte Juarez. – »Alles, Señor«, antwortete der Alte. – »Wo befindet sich Ihr Bruder?« – »Er steht mit der Blendlaterne auf der Treppe, um Sie zu führen, während ich den letzten mache, um die Tür zu schließen.« – »Die Offiziere sind noch beisammen?« – »Ja. Aber Sie kommen allein! Wo sind die Indianer?« – »Allerdings, wo sind sie?« wandte Juarez sich an Sternau.
Er hatte bis jetzt noch keinen der Apachen erblickt; kaum aber hatte er diese Frage, und noch dazu mit sehr gedämpfter Stimme, ausgesprochen, so richtete sich neben ihm eine dunkle Gestalt empor und antwortete leise:
»Hier sind wir!«
Im Nu standen alle fünfzig Rothäute neben diesem einen.
»Dann aber ja so leise wie möglich.«
Dieses Gebot war eigentlich den Indianern gegenüber nicht nötig.
Hätte jemand eine Minute später das obere Stockwerk des Stadthauses sehr genau beobachtet, so hätte er einen blassen Lichtschein gedankenschnell durch dieses oder jenes Fenster blitzen sehen. Dieser Schein kam von der Blendlaterne des Schließers, der die ganze Kolonne führte.
18. Kapitel
Zu derselben Zeit hatte sich Oberst Laramel von dem Faustschlag erholt, der ihm von Sternau versetzt worden war. Die Besinnung war ihm zwar bereits längst zurückgekehrt, aber sein Gehirn war doch so erschüttert, daß er noch immer mit einer Art von Betäubung zu kämpfen hatte.
»Hätte ich diesen Kerl da!« zürnte er. »Ich ließe ihn totpeitschen!« – »Wir fangen ihn jedenfalls«, tröstete der Kommandant, »und dann soll er eine Strafe erhalten, deren Strenge Sie befriedigen wird.«
In diesem Augenblick wurde sehr höflich an die Tür geklopft, und als sie sich gleich darauf öffnete, erhoben sich alle die Herren vor Verwunderung von ihren Stühlen. Emilia war es, die eintrat.
»Señorita, Sie hier?« fragte der Kommandant »Zu so später Stunde?« – »Es ist allerdings jetzt nicht die gebräuchliche Besuchszeit«, antwortete sie; »aber die Pflicht gebietet mir, Sie dennoch aufzusuchen.« – »Die Pflicht? Das klingt sehr ernsthaft« – »Es ist auch sehr ernsthaft, Señores. Ich habe Ihnen Wichtiges mitzuteilen.« – »Nehmen Sie Platz und sprechen Sie.«
Der Kommandant bot Emilia einen Sessel an; sie aber wies denselben zurück und sagte:
»Verzeihen Sie, Señor, daß ich gar nicht erst Platz nehme. Wie Sie mich hier sehen, komme ich in höchster Eile, um Ihnen zu sagen, daß Sie von einer sehr großen Gefahr bedroht werden.«
Die höflich lächelnde Miene des Kommandanten verwandelte sich in eine sehr ernste.
»Von einer Gefahr? Welche könnte das sein?« – »Ich will Ihnen mit einem Wort sagen, daß Juarez im Anzug ist.« – »Ah! Das beruhigt mich!« antwortete er. – »Wie, das beruhigt Sie?« fragte sie erstaunt. – »Ja; ich dachte erst, Sie brächten uns eine viel schlimmere Nachricht.« – »Sie sehen mich ganz und gar überrascht. Ist dies nicht die allerschlimmste Nachricht, die Ihnen gebracht werden kann?« – »Nein. Übrigens bin ich auf diese Kunde bereits vorbereitet. Man sagte mir heute abend schon einmal, daß Juarez El Paso del Norte verlassen habe, um sich der Provinz Chihuahua wieder zu bemächtigen.« – »Nun, so sehen Sie, daß meine Warnung eine dringliche ist.« – »Nicht so sehr, wie Sie denken. Dieser Indianer, der sich einbildet, Präsident von Mexiko zu sein, ist uns nicht gefährlich.« – »Sie irren, Herr Oberst. Man sagte mir vorhin, daß Juarez Ihre Truppen geschlagen habe.« – »Das sagte man auch mir bereits«, antwortete er. – »Und Sie nehmen das mit einem Lächeln hin?« – »Ja, denn es ist eine Lüge, die man ausspricht, um mich zu schrecken.«
Der Kommandant glaubte zwar selbst nicht, daß es eine Lüge sei, aber wollte dies der Señorita gegenüber nicht eingestehen oder zugeben. Sie fuhr in dringlichem Ton fort:
»Ich bin überzeugt, daß es nicht eine Lüge, sondern die Wahrheit ist. Der Mann, der mir die Nachricht brachte, ist zuverlässig.« – »Wer ist er?« – »Sie wissen, daß ich überall meine Verbindungen habe; die mich befähigen, Ihnen nützlich zu sein. Unter diesen Leuten befindet sich auch ein mexikanischer Goldsucher. Er war in der letzten Zeit in Fort Guadeloupe und ist Zeuge des dort stattgehabten Kampfes gewesen.« – »Ah! Wo ist er jetzt?« – »In meiner Wohnung. Er traf heute abend bei mir ein.« – »Könnte man ihn vielleicht sehen und sprechen?« – »Ja; ich werde ihn morgen zu Ihnen schicken, wenn es dann noch Zeit ist.« – »Das klingt ja außerordentlich eilig.« – »Es ist auch Gefahr im Verzug. Der Mann ist von Fort Guadeloupe aus bis hierher in einer Tour geritten und sagt, daß Juarez ihm auf dem Fuß folge.« – »Das kann nur ein Goldsucher sagen. Juarez wird sich nicht in die Gefahr begeben, von uns gefangengenommen und erschossen zu werden.« – »Sie denken, er kommt in geringer Begleitung?« – »Es könnten sich ihm doch nur einige Abenteurer anschließen.« – »Da irren Sie wieder. Er hat mehrere hundert Apachen bei sich.« – »Pah! Mehrere tausend von ihnen wären nicht imstande, Chihuahua zu nehmen. Der Indianer ist unfähig, eine Stadt zu erobern, zumal eine Stadt von der Größe und Einwohnerzahl der unsrigen.« – »Aber beschleichen kann er sie.« – »Was will das sagen!« meinte der Kommandant unter einem geringschätzigen Achselzucken. – »Oh, wer gibt Ihnen Sicherheit, daß Juarez sich mit seinen Apachen nicht bereits in der Stadt befindet? Er hat zahlreiche Anhänger hier.«
Da nahm auch Oberst Laramel das Wort und sagte:
»Ihre Nachricht in Ehren, Señorita, aber wenn Juarez sich auch jetzt schon in der Stadt befände, so genügte ein Kommando von mir, und meine Rothosen putzten ihn mit seinen Anhängern hinweg.« – »Versucht es doch einmal!« klangen in diesem Moment lautgesprochene Worte von der Tür her. Unter derselben stand ein in mexikanische Tracht gekleideter Mann, dessen Gesicht die indianische Abkunft nicht verleugnen konnte. Sein Auge überflog blitzend die Gesellschaft und um seine Lippen spielte ein stolzes, selbstbewußtes Lächeln. – »Ah! Wer wagt es, einzutreten?« fragte der Kommandant »Wer sind Sie?« – »Ich bin Juarez, der Präsident von Mexiko«, antwortete der Mann einfach. – »Alle Teufel!« rief da Oberst Laramel, indem er den Degen zog. – »Ja, er ist es! Ich habe sein Bild gesehen. Nehmt ihn gefangen!« – »Wer hier Gefangener sein soll, habe ich zu bestimmen«, antwortete Juarez. »Señores; ergeben Sie sich freiwillig. Widerstand hilft nichts.« – »Unsinn! Ergreift ihn!«
Mit diesen Worten schritt Laramel auf Juarez zu. Dieser trat zur Seite, so daß man sehen konnte, was sich, während er unter der Türöffnung gestanden hatte, hinter ihm befand.
»Vorwärts!« gebot er.
Dieses Wort war kaum ausgesprochen, so hatte sich das Zimmer auch schon mit Apachen gefüllt. Sie quollen förmlich herein, und zwar mit einer Schnelligkeit, die ganz unbegreiflich erscheinen mußte. Ehe die Offiziere es sich nur versahen, befanden sie sich zwischen den Roten so zusammengedrückt, daß an eine Gegenwehr gar nicht zu denken war. Ein jeder von ihnen war von dem anderen im Nu abgeschnitten worden und befand sich zwischen vier oder fünf Rothäuten, die kurzen Prozeß mit ihm machten; ein jeder sah sich im Handumdrehen seiner Waffe beraubt und dann gebunden und geknebelt am Boden liegen.
»Señor Sternau!« rief jetzt Juarez.
Der Gerufene trat ein. Er hatte sich noch außerhalb des Zimmers befunden. Als Laramel ihn sah, bäumte er sich unter seinen Fesseln hoch auf und stieß durch die Nase ein Röcheln der Wut aus. Hätte er den Mund öffnen können, so wäre ihm gewiß ein grimmer Fluch entfahren.
»Lassen Sie mir zehn Mann«, sagte Juarez zu Sternau, »ich habe genug an ihnen, und begeben Sie sich mit den übrigen nach dem Wachtlokal, um die dort befindlichen Franzosen festzunehmen. Vorher aber wollen wir sehen, was mit diesem Mädchen zu tun sein wird.«
Er wandte sich darauf mit strenger Miene zu Emilia, die in die hinterste Ecke gedrängt worden war und von der größten Angst beherrscht wurde, und sagte:
»Ich habe einige Ihrer Worte gehört. Wer sind Sie?«
Emilia schwieg, scheinbar in tiefster Verlegenheit.
»Antworten Sie!« fuhr er sie an. – »Man nennt mich Emilia«, entgegnete sie in jenem halblauten, heiseren Ton, der deutlich verriet, daß sie sich fürchtete. – »Señorita Emilia? Ah, dieser Name ist mir sehr wohl bekannt«, meinte Juarez, indem sein Blick befriedigt aufleuchtete. »Sie sind eine meiner größten Feindinnen. Sie haben mir mehr geschadet als eine ganze Brigade Franzosen. Ich werde mich beeilen, Sie unschädlich zu machen. Wo befindet sich Ihre Wohnung?« – »In der Strada del Emyrado.« – »Man wird diese Wohnung genau untersuchen. Findet sich Verdächtiges vor, so lasse ich Sie hängen wie den ersten besten Spion. Señor Sternau, nehmen Sie dieses Frauenzimmer mit. Es wird gebunden und in strenger Haft gehalten, bis ich weiter über dasselbe entscheide.«
Sternau nahm seinen Lasso und schlang und band ihn so um Emilia, daß es den Anschein hatte, als ob sie sehr fest gefesselt sei.
»Marsch hinaus!« gebot er ihr in rauhem Kommandoton.
Dabei stieß er sie zur Tür hinaus und winkte den Apachen, ihm zu folgen. Draußen aber nahm er ihr den Lasso sofort wieder ab und bat:
»Verzeihen Sie, Señorita. Ich mußte etwas barsch verfahren.« – »Ich hatte es nicht anders erwartet, Señor«, entgegnete sie. »Wie aber werden Sie nun über mich verfügen?« – »Sie sind natürlich frei.« – »So darf ich bei Ihnen bleiben?« – »Ich bitte Sie, davon abzusehen. Man weiß nicht, ob sich die, die wir jetzt überrumpeln wollen, zur Wehr setzen werden. Dort steht der Schließer. Lassen Sie sich von ihm in seine Wohnung geleiten, wo Sie bald erfahren werden, ob uns der Handstreich geglückt ist oder nicht.«
Emilia befolgte dieses Gebot, während Sternau sich nach dem Wachtlokal begab.
Dort hatte man keine Ahnung von dem, was eine Treppe höher geschehen war. Die Überrumpelung der Offiziere war eben mit einer solchen meisterhaften Schnelligkeit geschehen, daß keiner von ihnen hatte daran denken können, einen Hilferuf auszustoßen.
Die Leute saßen auf ihren Bänken, Kasernenwitze reißend, und erschraken nicht wenig, als sich plötzlich die Tür öffnete und dreißig Apachen hereinkamen, die sich im Nu der an den Wänden hängenden Gewehre bemächtigt hatten. Bei der Gurgel gepackt oder vor den Kopf geschlagen, wurden die Soldaten mit ungeheurer Geschwindigkeit widerstandslos gemacht und dann gebunden.
Hierauf ließ Sternau das Tor schließen, so daß alles, was in dem Stadthaus geschehen war und noch vor sich ging, unbemerkt bleiben konnte.
Oben hatte Juarez indessen mit dem Kommandanten eine ernsthafte Verhandlung eingeleitet. Diesem letzteren war der Knebel abgenommen worden, daß er sprechen und antworten konnte. Er durfte sich auf einen Stuhl setzen, während die anderen am Boden lagen. Juarez sagte zu ihm:
»Ich habe einen Teil Ihres Gespräches mit der Señorita belauscht und glaube, daß Sie Kommandant von Chihuahua sind. Ist das richtig?« – »Ja«, antwortete der Gefragte kurz. – »Gut, so werde ich mir eine kleine Auseinandersetzung erlauben.«
Da fiel jedoch der Kommandant schnell ein:
»Erwarten Sie nicht, daß ich ein Wort sage, bevor mir die Fesseln abgenommen worden sind. Es ist nirgends als bei Barbaren Gebrauch, Offiziere zu binden.« – »Sie haben sehr recht, Monsieur«, antwortete Juarez ruhig. »Die Franzosen haben meine Offiziere, unter denen sich sogar zwei Generäle befanden, gefesselt und ohne Recht erschossen, also ermordet; ich habe infolgedessen alle Veranlassung, diese große Nation als Barbaren zu betrachten und zu behandeln. Ein vernünftiger Mensch wird das einsehen und sich nicht im geringsten darüber beschweren.« – »Der Vergleich ist falsch. Diese Erschossenen waren Aufrührer.« – »Bin ich ein Aufrührer, wenn ich einen Menschen verjage, der sich in mein Haus, sei es mit Gewalt oder List, eindrängt, um mich um mein Eigentum zu bringen? Machen Sie sich nicht lächerlich! Es kann mir sehr gleichgültig sein, ob Sie mit mir sprechen wollen oder nicht. Ich hatte die Absicht, so schonend wie möglich zu verfahren, eben weil ich kein Franzose, kein Barbar bin. Wollen Sie die Betätigung dieser Absicht vereiteln, so haben Sie die Folgen zu tragen.« – »Ich furchte diese Folgen nicht!« knurrte der andere. – »Das ist eine höchst unglückliche Verblendung, Monsieur. Sie scheinen sich ganz und gar über meine Hilfsmittel und Ihre gegenwärtige Lage im unklaren zu befinden. Ich bin nicht so machtlos, wie Sie anzunehmen scheinen.« – »Ich antworte hierauf nicht, meine Truppen werden es tun.« – »Ihre Truppen? Pah; ich halte in diesem Augenblick Chihuahua umzingelt, so daß kein Mensch ohne meinen Willen aus– oder einpassieren kann. Die ganze Hauptwache und Sie alle befinden sich in meiner Gewalt. Die gegen mich ausgesandten Truppen sind geschlagen. Die Bürgerschaft von Chihuahua wird auf die Kunde von meiner Anwesenheit sich wie ein Mann erheben. Stehen Ihnen etwa Tausende zur Verfügung? Ihre paar hundert Mann werden in fünf Minuten von mir erdrückt sein. Prahlerei würde ganz vernunftlos sein. Jetzt frage ich Sie, ob Sie mit mir reden wollen oder nicht.« – »Ich kann Sie aber nicht als eine Person anerkennen, mit der ich unterhandeln darf.«
Die Brauen des Zapoteken zogen sich finster zusammen. Er entgegnete:
»Diese Bemerkung haben Sie bereits meinem Bevollmächtigten gemacht. Sie haben es sogar gewagt, ihm mit Gefangenschaft und Tod zu drohen. Sie haben gewagt, ihn und mich, den rechtmäßigen Beherrscher von Mexiko, als Banditen behandeln zu wollen. Und doch ist der Fall ein umgekehrter. Sie sind die Eindringlinge, Sie könnte ich Banditen nennen. Und wenn Sie mich als keine Ihnen politisch und rechtlich ebenbürtige Person anerkennen wollen, so habe ich Ihnen zu bemerken, daß ich es bin, der sich tief erniedrigt, sobald ich überhaupt mit Ihnen spreche und verkehre.« – »Ah!« rief der Kommandant. »Das müssen Sie beweisen.« – »Dieser Beweis fällt mir nicht schwer. Sie sind entehrt, vollständig entehrt.« – »Donnerwetter! Wäre ich nicht gebunden, so würde ich Ihnen zeigen, wie ein französischer Offizier eine solche Beleidigung straft.« – »Pah! Es kann von einer Beleidigung keine Rede sein. Der Schwarze Gerard hat Ihnen einen Faustschlag versetzt. Dies wäre bei einem Zivilisten ohne alle Folgen für sein Ansehen, ein Offizier aber wird dadurch entehrt. Gerard hat Ihnen sogar die Epauletten abgerissen, die größte und unheilbarste Schmach, die einem Offizier widerfahren kann. Sie sind dadurch infam geworden, und ich steige tief hernieder, wenn ich Sie überhaupt eines Blickes würdige. Mit Oberst Laramel ist es ganz ähnlich. Er ist von Señor Sternau mit der Faust niedergeschlagen worden. Ich habe allen Grund, überzeugt zu sein, daß ich mich gegenwärtig keineswegs in einer hochfeinen Gesellschaft befinde. Jetzt frage ich Sie abermals: Wollen Sie mit mir reden oder nicht?«
Der Offizier schwieg. Er fand kein Wort, die Erklärungen des Präsidenten zu entkräften; er fühlte, daß er von Gerard beschimpft worden sei.
»Ihr Schweigen scheint anzudeuten, daß Sie mir recht geben«, fuhr Juarez fort. »Übrigens kommt es hier gar nicht in Frage, wer von uns beiden verhandlungsfähig ist. Die Tatsachen haben zu sprechen. Sie befinden sich in meiner Gewalt, und Sie werden wohl tun, so lange Sie mein Gefangener sind von aller Selbstüberhebung und Selbstverherrlichung abzusehen. Sagen Sie mir also, ob das Dekret vom dritten Oktober in Ihre Hände gekommen ist!«
Der Kommandant sah ein, daß er sich im Nachteil befand und daß es besser sei, sich wenigstens scheinbar in das Unvermeidliche zu fügen.
»Ja«, antwortete er. – »Wer hat es Ihnen übermittelt?« – »Oberst Laramel.« – »In diesem Dekret sind die Republikaner als vogelfrei erklärt!« – »Ich kann es nicht leugnen.« – »Es war Ihnen der Befehl gegeben worden, uns als Banditen zu behandeln, uns zu erschießen, überhaupt zu töten?« – »So ist es.« – »Sie waren bereit, zu gehorchen?« – »Gehorsam ist die Pflicht des Soldaten.« – »Sie hatten sogar bereits den Befehl gegeben, meine treuen Anhänger, die sich in Ihrer Hand befinden, heute nacht erschießen zu lassen?« – »Donner! Woher wissen Sie das?« – »Das ist mein Geheimnis. Aber daß ich es überhaupt weiß, muß Ihnen ein sicheres Zeichen sein, daß Sie sich selbst auf Ihre eigenen Leute nicht verlassen können. Ich wäre einige Tage später hier eingetroffen, um jedoch die Armen vor dem unverdienten Tode zu retten, kam ich schon heute. Ich sandte Ihnen vorher meinen Bevollmächtigten. Sie haben ihn nicht nur als solchen abgewiesen, sondern ihm das Leben nehmen wollen. Hat er Ihnen gesagt, daß ich Repressalien gebrauchen will?« – »Allerdings.« – »Sie haben trotzdem bei Ihrem Verhalten verharrt Nun erkläre ich jeden Fremden, der mit der Waffe in der Hand in Mexiko eingedrungen ist, für einen Banditen. Mexiko schuldete an England, Spanien und Frankreich Summen. Ein Teil dieser Schuld war das Ergebnis eines raffinierten Schwindels. Man forderte dennoch Bezahlung. Das Land befand sich in Anarchie, und ich wurde durch die Stimme des Volkes zum Präsidenten erwählt. Ich nahm diese Würde an. Sie war sehr schwer, aber ich fühlte die Kraft in mir, die Wirren zu lösen. Es gelang. Ich brachte dem Land Frieden und Ruhe, bezahlte die Schulden regelmäßig; als ich mich jedoch weigerte, die Schwindelmillionen zu bezahlen, traten England, Frankreich und Spanien zusammen, um mich zur Zahlung zu zwingen. England und Spanien traten aber zurück, denn sie erkannten, daß ich recht hatte. Frankreich jedoch wollte sein Unrecht nicht eingestehen; es sandte seine Legionen, gegen welche ich augenblicklich zu schwach war; es borgte für seine Horden hunderte von Millionen Dollar zusammen, die wir bezahlen sollten und leider gezwungenerweise bezahlen müssen. Und nun der Mexikaner dies nicht dulden will, wird er zu einem Banditen gemacht, den man stranguliert. Ist denn aller Sinn für Recht und Gerechtigkeit in Euch erloschen? Kann eine fremde Stadt den Bürgermeister einer anderen absetzen? Kann ein französischer Regent, der sich selbst rechtlos auf den Thron geschwungen hat, einen amerikanischen Regenten absetzen? Nein! Niemals! Man kann der Macht der Roheit, der Gewalt der Waffen weichen, man kann seine Zeit abwarten, aber wer mir sagt, daß ich nicht mehr Präsident von Mexiko sei, der ist entweder unzurechnungsfähig oder er hat kein Gewissen und gehört zu den Räubern unseres rechtmäßigen Eigentums. Im alten Testament steht: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹ Soll ich dieses Gesetz auf Sie anwenden, Señores? Soll ich die Toten rächen, die gefallen sind, seit Sie den Fuß in mein Land setzten? Soll ich die Unschuldigen rächen, die infolge dieses Dekrets ermordet worden sind? Soll ich den Inhalt des Dekrets auf seine Verfasser zurückfallen lassen? Soll ich Sie, Bazaine und den, welchen Sie den Kaiser von Mexiko nennen, sobald sie in meine Hand fallen, zur gerechten Vergeltung als Banditen behandeln und strangulieren oder erschießen lassen? Sie nennen sich Kinder eines Volkes, das an der Spitze der Zivilisation steht; mich aber nennen Sie den Indianer, den Zapoteken, die Rothaut. Sie, die Söhne der Zivilisation, säen Mord. Was werden Sie von dem Zapoteken ernten? Sie dauern mich. Ich schenke Ihnen mein Mitleid, denn die Selbstliebe und die Ruhmsucht haben Ihre Begriffe verwirrt, und Sie wanken am Gängelband eines Mannes, der einer der größten Schauspieler und Egoisten der Weltgeschichte ist. Aber die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Nicht das Jahrtausend, nicht dieses Jahrhundert und auch nicht dieses Jahrzehnt, sondern das gegenwärtige Jahr wird über Sie zu Gericht sitzen und Ihre Sucht nach Glorie, Ihre Selbstsucht, Ihre Mißachtung aller Gesetze und Rechte mit einem Urteil belegen, das den rothäutigen Zapoteken seinem Volk wiedergibt und den Völkern in das Gedächtnis rufen wird, daß Gott noch immer der Gerechte ist, der zu belohnen und zu bestrafen weiß. Werden Sie aber von der Weltgeschichte gerichtet, so brauche nicht ich Ihr Richter zu sein. Der Zapoteke steht vor den Mördern seines Volkes und den Verwüstern seines Landes. Wollen Sie meine Stimme hören, ist es gut, wenn nicht, wird meine Hand mit aller Schwere auf Ihnen ruhen. Ich bin jetzt Herr von Chihuahua. Wollen Sie mich als solchen anerkennen und sich nach dem Hauptquartier Bazaines zurückziehen, natürlich mit dem Versprechen, daß weder Sie, noch die hiesigen Truppen wieder gegen mich kämpfen werden, so gewähre ich Ihnen und den Ihrigen, nachdem die Soldaten entwaffnet worden sind, freien Abzug. Gehen Sie nicht darauf ein, so vernichte ich die Besatzung. Sie selbst aber werden nicht erschossen, sondern im Fluß ertränkt, und zwar zur Stunde und am Ort, wo die Bürger dieser Stadt erschossen werden sollten. Ich gebe Ihnen zehn Minuten Zeit, sich zu besprechen. Ich werde mich bis dahin zurückziehen und Ihre Knebel entfernen lassen; aber neben einem jeden steht ein Indianer mit dem Messer in der Hand. Wer mehr als halblaut redet oder gar einen Versuch wagt, sich zu befreien, der hat im nächsten Augenblick die Klinge in der Brust. Ich biete Ihnen die Hand zur Rettung und bitte Sie um Gottes willen, sie nicht zurückzuweisen. Denken Sie nicht, daß ich ein Jota von meiner Forderung abgehe. Trete ich wieder ein, so verlange ich ein kurzes Ja oder Nein; weiteres höre ich gar nicht an!«
Der Mann mit dem glühend patriotischen Herzen und dem eisernen Willen gab den Indianern einen Befehl. Sofort stand je einer von ihnen neben jedem Offizier, und mit der Linken dieselben von ihren Knebeln befreiend, zogen sie mit der Rechten die Messer, sie zum Stoß bereithaltend. Hierauf verließ Juarez das Zimmer und ging nach der Wachtstube. Dort lagen gegen dreißig Soldaten gefesselt am Boden.
19. Kapitel
Sternau saß, den Präsidenten erwartend, am Tisch; in seiner Nähe, teils auch im Flur, standen Apachen, in tiefer Schweigsamkeit die Fortsetzung der Ereignisse erwartend.
Sternau erhob sich, als Juarez eintrat.
»So schnell sind Sie fertig geworden, Señor?« fragte er verwundert. – »Fertig? O nein!« antwortete der Gefragte. »Ich habe mich entfernt, damit die Señores ungestört miteinander verhandeln können.« – »Sie haben ihnen also eine Wahl gestellt?« – »Ja. Ich will Blutvergießen vermeiden. Ich will meinen Namen nicht in der Weise beflecken, wie es die Namen meiner Feinde sind.« – »Darf ich fragen, welche Wahl Sie ihnen gelassen haben?« – »Die Offiziere werden entweder ertränkt und die Truppen erschossen, oder man zieht nach der Entwaffnung der letzteren mit dem Versprechen, nicht wieder gegen mich zu kämpfen, nach Mexiko, um zum Hauptquartier zu stoßen.« – »Das ist eine schwere Wahl: Auf der einen Seite ein ehrloser, schändender Tod und auf der anderen ein Rückzug ohne Kampf, ohne alle Waffen. Ich glaube, die Herren werden den Versuch machen, zu verhandeln.« – »Ich habe ihnen gesagt, daß ich keinen solchen Versuch dulde. Ich gab ihnen zehn Minuten Zeit, sich zu entscheiden, und füge keine Sekunde hinzu. Hätten Sie vielleicht anders gehandelt?« – »Wohl schwerlich.« – »So mag es dabei bleiben. Wo befindet sich Señorita Emilia?« – »Im Zimmer des Schließers.« – »Aber natürlich fesselfrei?« – »Versteht sich!« – »Ich habe gesagt, daß die Offiziere im Verweigerungsfall an demselben Ort ertränkt werden sollen, wo heute die Exekution stattfinden sollte. Auch die Zeit wird dieselbe sein. Die Gerechtigkeit erfordert diese Bestimmung. Wird dies angehen?« – »Ja. Ich mache mich verbindlich, mit Hilfe von zwanzig Apachen die Offiziere nach dem Fluß zu transportieren, ohne daß es bemerkt wird.« – »Señor, einen so brauchbaren Mann, wie Sie, wird man selten finden. Ich wollte, Sie blieben im Land. Ich bin überzeugt, daß Sie einer meiner hervorragendsten Offiziere sein würden. Wollen Sie es sich nicht überlegen?« – »Ich danke Ihnen für dieses Vertrauen, Señor«, antwortete Sternau höflich, »aber ich bin Arzt; mein Beruf ist, Wunden zu heilen, nicht aber, sie zu schlagen. Außerdem bin ich durch Bande der Liebe an die Heimat gefesselt, von der ich, wie Sie wissen, so lange Jahre getrennt wurde.«
Juarez drückte dem Deutschen warm die Hand.
»Sie haben recht, Señor. Ich wünsche Ihnen Glück und vollste Entschädigung für das Furchtbare, was Sie gelitten haben. Sollte es in meiner Macht liegen, Ihnen nützlich zu sein, so wissen Sie, daß Sie zu jeder Stunde über mich verfügen können. Vergessen Sie das niemals.« – »Ich werde daran denken, und zwar gleich jetzt, Señor.« – »Ah! Sie haben einen Wunsch?« – »Ja, und einen sehr dringenden.« – »So sprechen Sie!« – »Die zum Tode verurteilten Bürger befinden sich in einer schrecklichen Lage. Es ist unsere Pflicht, sie schleunigst von ihrer Todesangst zu befreien.«– »Sie haben recht. Wo befinden sich diese Leute?« – »Ich weiß es nicht, werde aber sofort den Schließer fragen.« – »Tun Sie das, denn ich selbst habe keine Zeit dazu. Es sind neun und eine halbe Minute verflossen; ich muß also nach oben gehen.«
Juarez entfernte sich, und Sternau suchte den Schließer auf. Dieser saß mit seiner Frau ängstlich in seinem Zimmer. Emilia befand sich bei ihnen.
»Wie steht es, Señor Sternau?« fragte letztere schnell, als Sternau eintrat. – »Gut, hoffe ich«, antwortete er. Und sich an den Schließer wendend, fuhr er fort: »Wo stecken die Gefangenen, die nachher erschossen werden sollten? Im Gefängnis?« – »Nein. Sie waren bis gestern abend dort; doch als es dunkel ward, hat man sie hierher transportiert, weil sich hier die Hauptwache befindet und man sie infolgedessen besser bewachen kann.« – »Also hier im Stadthaus? Das ist gut. In welchem Raum?« – »In einem Gewölbe, wo sie an den Wänden festgebunden sind.« – »Haben sie Wächter bei sich?« – »Ja. Es befinden sich fünf Soldaten und drei französische Militärgeistliche bei ihnen, die auch mit eingeschlossen sind.« – »Französische Geistliche? Welch eine Grausamkeit! Der Sterbende will beichten und Vergebung seiner Sünden haben; hier aber können Beichtvater und Beichtkind sich wohl kaum oder gar nicht verstehen. Ich werde einige Indianer holen, und dann führen Sie mich hinab.« – »Sie wollen sie befreien?« fragte der Schließer. – »Ja.« —»Das lohne Ihnen Gott, Señor!« – »Oh, es leitet mich hierbei nicht bloß Mitgefühl, sondern auch Klugheit. Wenn diese Männer befreit sind, bewaffne ich sie mit den Gewehren der Franzosen. Wir haben dann eine ansehnliche Unterstützung an ihnen.« – »Sie werden für die gute Sache ihr Leben lassen.«
Nach Verlauf einer kurzen Zeit brachte Sternau zehn Indianer, die mit allem versehen waren, was zum Fesseln eines Menschen erforderlich ist. Man stieg eine steinerne, massive Treppe hinab und gelangte an eine starke, eiserne Tür, vor der sich zwei große, dicke Riegel befanden.
»Es ist natürlich Licht in dem Gewölbe?« flüsterte Sternau dem Schließer zu. – »Ja, Señor.« – »So verlöschen oder verschließen Sie Ihre Laterne. Der Schein derselben würde sonst auf meine Indianer fallen, und es ist besser, sie werden erst dann erkannt, wenn es für die Soldaten bereits zu spät ist.«
Der Schließer schob die Laterne in die Tasche und zog die Riegel zurück. Als er die Tür öffnete, sah man einen weiten Raum, der nur durch eine von der Decke herabhängende Lampe notdürftig erhellt wurde.
In dieses Halbdunkel hinein huschten die zehn Indianer. Ein, zwei, drei, vier, fünf laute Schreie ertönten fast zu gleicher Zeit; ein kurzes Rascheln und Rauschen folgte; dann war es still.
»Ugh!« rief einer der Indianer.
Er wollte damit sagen, daß ihre Arbeit vollendet sei. Sternau trat ein und gebot dem Schließer, seine Laterne wieder hervorzuholen. Dies geschah, und nun war es möglich, die Insassen des Raumes besser zu erkennen. An den Wänden ringsum waren eiserne Haken eingeschlagen, an die man die Gefangenen mittels Stricken befestigt hatte. Am Boden aber lagen die fünf Soldaten und die drei Geistlichen gefesselt.
»Macht die Gefangenen los«, gebot Sternau, »aber so, daß die Stricke nicht verletzt werden, denn wir brauchen dieselben sogleich für andere Leute.«– »Santa Madonna! Sollen wir schon zur Schlachtbank geführt werden?« fragte einer der Mexikaner. – »Nein! Sie sind frei!« antwortete Sternau. – »Frei?« erklang es von den Lippen einiger. – »Ja, frei. Ich habe Ihnen zu sagen, daß Juarez gekommen ist, um Sie vom sicheren Tode zu erretten. Er ist zur rechten Zeit eingetroffen.« – »Juarez!« jubelte es aus dem Mund von mehr als dreißig Menschen.
Und hundert Ausrufe und Fragen drängten sich durcheinander.
»Schweigen Sie jetzt, Señores!« bat Sternau. »Noch ist die Stadt nicht ganz in unseren Händen, wir müssen vorsichtig sein. Würden Sie, wenn ich Sie sofort bewaffnen würde, bereit sein, für den Präsidenten zu kämpfen?«
Ein allgemeines freudiges Ja erscholl.
»Nun gut! Schnell fort mit den Fesseln! Wer losgebunden ist, mag helfen, die anderen zu befreien. Oben liegen gefesselte Soldaten. Wir schaffen sie herab, um sie nebst ihren hierliegenden Kameraden an Ihrer Stelle zu fesseln. Die Waffen derselben aber erhalten Sie. Beeilen wir uns!«
Mit nach solcher Todesangst vor Freude und Entzücken zitternden Händen befreiten die Mexikaner einander und folgten Sternau nach oben, wo sie auf Juarez stießen, der Sternau gesucht und erst jetzt erfahren hatte, wo dieser sich befand.
Als der Präsident bei den Offizieren eingetreten war, nahmen diese, von den Apachen im Zaum gehalten, noch genau dieselbe Stellung ein wie vorher. Er gab einen Wink, und sofort erhielten sie, den Kommandanten ausgenommen, ihre Knebel wieder in den Mund. Die Apachen hatten darin eine solche Übung, daß kein Zusammenbeißen der Zähne dagegen half.
»Die Zeit ist vorüber, Señor«, sagte Juarez. »Wollen Sie sich ergeben?«– »Ihre Bedingungen sind zu hart. Ich hoffe, daß Sie sich…« – »Halt! Kein Wort weiter!« fiel ihm Juarez in die Rede. »Ich habe Ihnen bereits gesagt daß ich keine Minute zugebe und mich auf keine weiteren Verhandlungen einlasse. Jedes weitere Wort wird ebenso wie Ihr Schweigen von mir dahin gedeutet, daß Sie sich nicht ergeben wollen. Also reden Sie! Ja oder nein!« – »Unser Tod würde sofort gerächt werden!« – »Ich verachte diese Drohung. Sie verzichten also auf meine Langmut. Gut. Sie denken wohl, daß ich nicht den Mut habe, französische Offiziere mexikanisches Wasser kosten zu lassen, bis sie tot sind? Oh, wir Mexikaner haben französische Behandlung genossen, bis uns das Wasser am Hals stand. Wir verzichten aber darauf, es zu schlucken, und überlassen dies lieber Ihnen. Damit Sie aber sehen, daß es mein Ernst ist, und daß ich nicht Komödie spiele, will ich nicht bis zur angegebenen Stunde warten, sondern Ihnen bereits jetzt einen Vorgeschmack Ihres Schicksals geben.« – »Sacré! Was wollen Sie tun?« fragte der Kommandant.
Es wurde ihm jetzt wirklich angst.
»Oberst Laramel«, antwortete der Präsident, »ist der Mörder von hunderten meiner Landsleute. Er hat selbst im ehrlichen Kampf niemals Pardon gegeben; er trägt die Schuld, daß in dieser Nacht abermals eine Massenexekution gegen wackere Bürger stattfinden sollte. Er hat sich wie ein Bandit betragen und wird wie ein solcher behandelt. Ich werde ihn ohne vorheriges Gericht und ohne Urteilsspruch an diesem Haken aufhängen lassen.« – »Das werden Sie nicht wagen!« rief der Kommandant. – »Ah! Warum nicht?« – »Ein französischer Oberst!« – »Ist unter diesen Verhältnissen ein größerer Schurke als jeder andere Bösewicht. Er hat auf seinem Gewissen die Grausamkeiten aller seiner Untergebenen.« – »Ich verlange ein ordentliches Gericht!« – »Über einen Banditen? Pah! Selbst wenn ich ein Gericht konstituierte, so würde das Urteil auf Hängen lauten; darauf können Sie sich verlassen.«
Damit wandte sich Juarez an den Indianer, der neben dem Oberst stand, und sagte zu ihm in der Mundart der Apachen:
»Ni ti salkhi lariat akaya – hänge diesen mit dem Lasso da hinauf!«
Bei diesen Worten deutete er nach dem krummen Haken, der in der Mitte der Zimmerdecke zu dem Zweck eingeschraubt war, bei festlichen Gelegenheiten einen Leuchter zu tragen.
»Uff!« antwortete der Apache.
Im Nu hatte er seinen Lasso losgeschlungen und an dem einen Ende desselben eine Schleife gebunden. Dann erfaßte er den Oberst und schob ihn in die Mitte des Zimmers. Mit derselben Geschwindigkeit legte er ihm die Schlinge um den Hals. Da rief der Kommandant:
»Halt! Das ist Mord! Ich erhebe allen Ernstes Widerspruch!« – »Dieser Ernst kommt mir lächerlich vor!« antwortete Juarez. »Sie können ihn nur dadurch retten, daß Sie erklären, sich ergeben zu wollen.«
Der Kommandant warf einen fragenden Blick auf Laramel. Dieser antwortete dadurch, daß er unter den Fesseln die Fäuste ballte und mit dem Kopf schüttelte. Dieser verblendete Mensch hielt es jetzt noch für unmöglich, daß man es wagen werde, einen französischen Oberst aufzuknüpfen.
»Wir ergeben uns nicht, werden aber eine solche Behandlung nicht länger dulden«, erklärte der ebenso verblendete Kommandant. – »Das ist geradezu eine Verrücktheit. Hier meine Antwort darauf!« erwiderte Juarez und gab dem Apachen einen Wink, der nun den mittleren Teil des Lassos mit solcher Geschicklichkeit emporwarf, daß der achtfach zusammengeflochtene Riemen in den Haken zu liegen kam. Dann zog er den Lasso an – ein Ruck, ein zweiter und dritter, und der Oberst hing an der Decke. Seine konvulsivischen Bewegungen boten einen schauderhaften Anblick dar. – »Mord! Mord! Mord!« rief der Kommandant.
Auch die anderen bewegten sich im höchsten Grimm unter ihren Fesseln.
»Dieses Schreien will ich Ihnen unmöglich machen«, sagte Juarez.
Ein Wink von ihm genügte, und der Kommandant bekam den Knebel wieder in den Mund. Der Apache aber, der seinen Lasso mit beiden Händen festhalten mußte, band das Ende desselben an das Kamingitter fest, so daß er sich nicht mehr anzustrengen brauchte.
Jetzt verließ Juarez das Zimmer, um Sternau aufzusuchen. Er fand ihn nicht in der Wachtstube, hörte aber dort, daß er nach dem Gewölbe gegangen sei, um die Gefangenen zu befreien. Er stieß auf die letzteren, als diese eben zur Treppe heraufkamen.
Der Schein von der Laterne des Schließers war nicht hinreichend, den weiten Flur zu erleuchten; darum wurde der Präsident nicht erkannt.
»Ah, diese braven Leute waren hier im Haus eingesperrt?« fragte er. – »Glücklicherweise, ja«, antwortete Sternau. »Es ist uns ohne allzugroße Mühe gelungen, sie zu befreien.« – »Wurden sie bewacht?« – »Von fünf Soldaten und drei Beichtvätern. Diese acht Señores befinden sich jetzt, selbst gebunden, an dem Ort, den sie vorher bewachten.« – »Gut Aber ich sehe ja hier einige, die Gewehre tragen?« – »Ich habe die Absicht, diese Señores mit den Gewehren der Soldaten zu bewaffnen. Sie sind bereit, für Sie zu kämpfen und zu sterben.« – »Ich danke Ihnen, Señores!« sagte der Präsident. »Das ist eine große, willkommene Hilfe, die wir wohl noch nötig haben werden.«
Dabei streckte er ihnen die Hände entgegen, und nun merkten sie, wer vor ihnen stand. Ausdrücke der Freude und Ehrfurcht erschollen aus aller Munde, und alle Hände griffen nach den seinigen, um sie zu drücken. Aber diesem Enthusiasmus konnte keine lange Frist gestattet werden. Juarez sagte:
»Bewaffnen Sie sich zunächst Señores, und dann werde ich Ihnen zeigen, wie ich die an Ihnen begangene Unbill zu bestrafen weiß.«
20. Kapitel
Juarez führte die Befreiten nach dem Wachtlokal, wo die Mexikaner mit Flinten und Seitengewehren versehen wurden. Die dort postierten Indianer erhielten den Auftrag, die von ihnen bewachten Franzosen nach dem Gewölbe zu schaffen, und dann begab sich Juarez mit Sternau und den Mexikanern nach oben zurück, wo sich die Offiziere befanden.
Dort konnten die Eintretenden einen Ausruf des Entsetzens nicht unterdrücken, als sie den Oberst an der Decke hängen sahen. Sein Todeskampf war vorüber. Er hing steif und ohne zu zucken an dem Lasso.
»Hier, Señores, sehen Sie den Beginn des Gerichtes, das ich halten werde«, sagte Juarez. »Dieser tote Franzose ist unser erbittertster Feind gewesen; er trug den größten Teil der Schuld daran, daß Sie erschossen werden sollten. Dennoch war ich bereit, ihm und diesen anderen das Leben zu schenken; sie waren aber so verblendet, meine Forderung, die Stadt zu verlassen, nicht anzunehmen, und so habe ich ihn hängen lassen, um ihnen zu zeigen, daß ich nicht gesonnen bin, Scherz mit ihnen zu treiben.«
Trotz des schauderhaften Anblicks, den der Gehängte bot, ließen sich doch nur Ausdrücke der Befriedigung hören.
»Diese anderen«, fuhr Juarez fort, »werden in kurzer Zeit ertränkt werden, und zwar in derselben Krümmung des Flusses, an der Sie erschossen werden sollten. Diesen Akt der Gerechtigkeit bin ich denen schuldig, die unter den Händen der französischen Mörder sich verblutet haben, und ebenso allen, die sich noch in der Gefahr befinden, für gemeine Banditen ausgegeben zu werden, weil sie von dem uns allen angeborenen Recht Gebrauch machen, sich zu wehren, wenn man ihnen ihren heimatlichen Herd zerstören und ihr wohlerworbenes Eigentum gewaltsam rauben will.«
Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf alle Anwesenden. Sternau sagte:
»Sie nennen die gefangenen Offiziere verblendet, Señor? Es ist mehr als Verblendung; es ist Wahnsinn, sich gegen uns zu sträuben. Wir haben das Hauptquartier in unserer Gewalt, wir haben die Stadt besetzt. Was haben die zwei Hände voll Franzosen zu bedeuten gegen unsere fünfhundert Apachen, von denen jeder mehrere Franzosen spielend auf sich nimmt, wie wir bewiesen haben. Rechnen wir noch dazu unsere weißen Jäger und Waldläufer, ebenso die guten Bürger der Stadt, die nur unseres Rufes warten, um die Waffen zu ergreifen, so ist ein Widerstand unklug. Hier stehen dreißig Bürger, und wie schwer ein Jäger wiegt, das haben die Herren Franzosen an dem Schwarzen Gerard bemerkt.«
Diese Worte, die Sternau nicht zwecklos ausgesprochen hatte, verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Kommandant deutete durch sein Mienenspiel und eine Bewegung seines Körpers an, daß er sprechen wolle.
Auf einen Wink des Präsidenten nahm ihm ein Indianer den Knebel ab.
»Was wollen Sie sagen?« fragte ihn Juarez. – »Werden Sie Ihre Drohung, uns zu ertränken, wirklich ausführen?«
Auf diese Frage zuckte Juarez mitleidig die Achsel.
»Wenn Sie jetzt noch daran zweifeln«, antwortete er, »so bin ich berechtigt, ebenso zu zweifeln, nämlich an der Gesundheit Ihres Verstandes.« – »Bedenken Sie, welche Verantwortung Sie auf sich laden.«
Da ging die Geduld des Präsidenten zu Ende.
»Schweigen Sie!« rief er mit donnernder Stimme. »Sie haben mein Land überfallen und mein Volk ermordet. Wer kann hier von Schuld und Verantwortung reden, ich oder Sie?«
Diese Worte ließen den Kommandanten einsehen, daß er von einer Fortsetzung seines bisherigen Verhaltens ganz und gar nichts zu erwarten habe. Er sagte:
»Würden Sie den uns gemachten Vorschlag aufrecht halten?« – »Ich gab Ihnen zehn Minuten Zeit und Sie ließen diese Frist verstreichen, ohne sie zu benutzen. Die Folgen kommen über Sie!«
Jetzt sah der Offizier den schimpflichen Tod unabweislich vor Augen. Dies brach den letzten Rest seines Selbstvertrauens.
»Und wenn ich Sie nun bäte, nicht um meinet-, sondern um der Soldaten willen, die sterben sollen?«
Juarez zögerte mit der Antwort. Dann wandte er sich an Sternau:
»Was meinen Sie dazu, Señor?« – »Meine Ansicht ist«, antwortete der Gefragte, »daß Verzeihung christlicher ist als Rache. Doch berühren diese Verhältnisse mich am wenigsten.« – »Ich will dennoch Ihre Ansicht gelten lassen«, erwiderte Juarez.
Und sich zu dem Kommandanten wendend, fuhr er in ernstem Ton fort:
»Sie hören, daß ich mich zur Milde stimmen lasse; aber ich rate Ihnen, mir nicht ferner zu widersprechen; Sie würden dann unbedingt dem angedrohten Schicksal verfallen. Also Sie übergeben mir Chihuahua?« – »Ja.« – »Ohne den Versuch zu machen, Ihre Untergebenen zum Widerstand zu bewegen?« – »Ja.« – »Sie übergeben mir Ihre Waffen und alle Kriegsvorräte, die sich in Ihrem Gewahrsam befinden?« – »Ja.« – »Sie verlassen die Provinz und ziehen sich in Eilmärschen durch die Presidios Durango Guanaxuato direkt nach Mexiko zurück?« – »Ja.« – »Sie versprechen, nie wieder gegen mich zu kämpfen? Unter diesem Sie verstehe ich nämlich nicht nur Ihre Person, sondern alle französischen Truppen, die sich gegenwärtig in Chihuahua befinden.« – »Ich verspreche es.« – »Wir stellen über diese Punkte ein Dokument aus, und Sie verbürgen die exakte Erfüllung derselben schriftlich mit Ihrem Ehrenwort, wobei auch alle übrigen Offiziere ihre Unterschrift geben?« – »Ja.« – »Sie treten endlich meinen Befehlen in Beziehung auf die Entwaffnung Ihrer Truppen in keiner Weise entgegen?« – »Nein. Doch hoffe ich, daß dabei jede Gewalttätigkeit vermieden wird.« – »Tragen Sie keine Sorge! Bisher sind nur die Franzosen gewalttätig gewesen, und ich mag diesen traurigen Ruhm nicht auf mich laden. Aber da fällt mir eins noch ein. Die Dame, die ich bei Ihnen traf, befindet sich in meiner Gewalt. Sie haben dieselbe als Spionin benutzt?«
Der Gefragte schwieg verlegen.
»Ihr Schweigen ist mir die deutlichste Antwort. Sie hat als Spionin den Tod des Stranges verdient; aber es bringt mir keinen Ruhm, ein verführtes Frauenzimmer getötet zu haben. Doch darf ich sie auch nicht in meinem Bereich dulden.« – »Darf ich eine Bitte aussprechen?« – »Reden Sie!« – »Ich ersuche Sie für diese Dame um die Erlaubnis, sich uns anschließen zu dürfen.« – »Wohin wollen Sie sie bringen?« – »Ich nehme sie mit nach Mexiko.« – »Hm! Und unterwegs werden Sie sie irgendwo stationieren, damit sie von neuem gegen mich agitieren kann?« – »Das werde ich nicht tun. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Mademoiselle Emilia nur in der Hauptstadt entlassen werde.« – »Nun gut, ich will auf Ihren Vorschlag eingehen. Erklären Sie sich bereit, bereits am Morgen Chihuahua zu verlassen?« – »Ja.« – »So werde ich Ihnen und Ihren Kameraden jetzt die Fesseln abnehmen lassen. Dieser Laramel soll das einzige Opfer sein, das Ihrem Eigensinn gebracht worden ist. Das Dokument wird sofort ausgefertigt.«
Auf seinen Befehl nahmen die Apachen den Offizieren die Fesseln und Knebel ab. Papier war vorhanden, und so wurde augenblicklich zur Aufsetzung der Kapitulation geschritten. Als dieselbe unterzeichnet war, sandte Juarez Indianer ab, um alle Mannschaften, die die Ausgänge der Stadt besetzt hielten, herbeizuholen. Sie nahmen vor dem Stadthaus Aufstellung.
Jetzt mußte der Kommandant die Reveille trommeln lassen, und in kurzer Zeit befanden sich die französischen Soldaten mit ihren Ausrüstungsgegenständen auf dem Weg zum Hauptquartier. Da sie zu so ungewöhnlicher Zeit geweckt wurden, so war ein jeder überzeugt, daß dies nur infolge eines ganz ungewöhnlichen Ereignisses geschehen sein konnte.
»Sollen sie sich auf dem Platz in Front aufstellen?« fragte der Oberst. – »Nein«, antwortete Juarez. »Es ist dunkle Nacht, der man nicht trauen darf. Postieren Sie zwei Ihrer Offiziere an den Eingang. Diese Señores mögen jeden Soldaten, sobald er sich einstellt, hinauf in den Saal kommandieren, den ich sogleich erleuchten lassen werde.«
Das geschah, und unterdessen schickte Juarez den kleinen Jäger, der sich natürlich auch mit eingefunden hatte, zu dem Wirt der Venta, um ihn rufen zu lassen.
Er kam sofort und erhielt den Auftrag, diejenigen Personen, die er als zuverlässige Männer notiert hatte, herbeizurufen.
Der Saal war groß genug, um sämtliches französisches Militär zu fassen. Diese Leute staunten nicht wenig, als sie sahen, um was es sich handelte. Man merkte es ihnen an, daß sie nur mit Widerstreben ihre Waffen auslieferten. Bei der Zahl der anwesenden Indianer aber wagten sie keinen offenen Widerstand, sondern verarbeiteten ihren Zorn im Innern.
Unterdessen befand sich, da Sternau die Entwaffnung leitete, Juarez bei Señorita Emilia, um derselben seine Instruktionen für Mexiko zu geben.
Es ist nicht nötig, dieselben hier auszuführen, da sie sich ja ganz von selbst aus den später folgenden Ereignissen ergeben werden.
Die Einwohner der Stadt waren natürlich von dem Schlag der Trommeln erwacht. Sie ahnten irgendein für sie unheilvolles Ereignis, und die Mutigen von ihnen wagten es, sich, wenn auch mit Scheu, dem Stadthaus zu nahem. Vor demselben war es jetzt ziemlich hell geworden. Das Licht, das aus den erleuchteten Fenstern strahlte, fiel auf die Gruppe der Indianer und Jäger, die unten postiert standen. In vorsichtiger Entfernung von ihnen fanden sich jene Leute zusammen, um die Situation zu beobachten.
Da trennte sich eine Gestalt von der Masse der Indianer und kam auf die Leute zugeschritten. Es war Mariano. Als er bei ihnen war, sagte er:
»Sie möchten gern wissen, was hier vorgeht, Señores?« – »Ja«, antworteten einige Stimmen.
Mariano schilderte ihnen nun die ganzen Vorgänge, und eine überaus freudige Stimmung bemächtigte sich des Volkes.
»Hoch Juarez! Hurra die Republik! Eilt fort, ihr Leute, um es allen zu sagen, die es noch nicht wissen. Eilt! Und wer ein guter Republikaner ist, der hole seine Waffen und stelle sich dem Präsidenten zur Verfügung. Es gilt, gegen die Feinde der Republik zu kämpfen!« – »Hoch, Juarez!« erscholl es da von aller Lippen. »Hurra die Republik!«
Die Sendung des Wirtes der Venta wäre gar nicht nötig gewesen, denn als der Morgen graute, standen in der Nähe des Stadthauses und in den angrenzenden Straßen fast an die tausend Mann, die alle bereit waren, sich als Kämpfer für die Sache der Republik dem Präsidenten zur Verfügung zu stellen.
Um kein Aufsehen zu erregen, ritt durch ein Nebengäßchen eine kleine Truppe dem südlichen Tor zu. In ihrer Mitte befand sich eine verschleierte Dame. Es war Emilia, die auf diese Weise die Stadt verlassen mußte, um von den Anhängern der Republik nicht verkannt und von den Franzosen nicht nachteilig beurteilt zu werden. Sie mußte vermeiden, von beiden Seiten als Verräterin betrachtet zu werden.
Kurze Zeit später zogen auch die Franzosen zu demselben Tor hinaus, ihre Offiziere an der Spitze. Es war dies ein nicht leichter Weg für sie, denn hüben und drüben hatten sich die Mexikaner in langen Reihen aufgestellt, um dieses Schauspiel mit triumphierenden Blicken zu betrachten.
Von manchem Mund erscholl ein Fluch oder eine Verwünschung, doch kam es zu keiner Tätlichkeit.
Somit war der Anfang gemacht und die nördliche Grenze des Landes von den Feinden gesäubert. Der berühmte Siegeszug des Zapoteken hatte jetzt begonnen.
In demjenigen mexikanischen Blatt der Hauptstadt aber, das unter französischem Einfluß stand, konnte man einige Zeit später folgendes lesen:
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»Zur Vermeidung von böswilliger Entstellung der Tatsachen wird hiermit veröffentlicht, daß strategische Rücksichten den Oberstkommandierenden veranlaßt haben, Chihuahua und Coahuila nach und nach zu räumen. Diese Provinzen sind zwar ein Teil des Kaiserreiches, doch herrscht dort ungestörte Ruhe und Ordnung, und die Bewohner sind dem Thron so treu ergeben, daß man sich leicht entschließen konnte, die dort stationierten Truppen dahin zu ziehen, wo eine kräftige, militärische Hilfe notwendiger gebraucht wird.«
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Coahuila war nämlich auch nach kurzer Zeit in die Hände des Präsidenten Juarez gefallen.
Dieser dachte jetzt natürlich an Lord Henry Lindsay, mit dem er ja am Sabinafluß zusammentreffen wollte.
Die Schar seiner Treuen war auf mehrere tausend gewachsen, daher tat er seiner Sache keinen Schaden, indem er zweihundert Reiter zu seiner Begleitung beorderte. Es schloß sich ihm Sternau mit allen seinen Freunden an, während eine bedeutende Anzahl von Hirten beauftragt wurde, mit Ochsenwagen nachzufolgen, auf denen alle von Lindsay zu erwartenden Requisiten verladen und nach der Stadt gebracht werden sollten.
Der, welcher sich am meisten nach der Zusammenkunft mit dem Engländer sehnte, war natürlich Mariano. Die Geliebte war ihm so lange Zeit treu geblieben, sie befand sich jetzt an der Seite ihres Vaters. Er sollte sie wiedersehen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Entzücken und mit einer Unruhe, die ihn antrieb, den Ritt auf jede Weise zu beschleunigen.
21. Kapitel
Die Provinz Coahuila ist außerordentlich waldig, und es gibt Gegenden, wo nur an den Flüssen für größere Scharen ein Fortkommen möglich ist.
Von der Stadt bis zum Sabinafluß ist es ungefähr einen Breitengrad weit. Direkt bis an die Vereinigung der beiden Wasserläufe, wo Lindsay ankern wollte, breiten sich Wälder aus, während gerade nach Osten hin Präriestreifen sich zwischen den tausendjährigen Forsten hinziehen, die dann ihre Richtung nach Norden nehmen.
Daher war es geraten, diese Prärien zu benutzen, und zwar einen scheinbaren Umweg einzuschlagen, der die Reiter aber nichtsdestoweniger viel schneller an das Ziel brachte, als die direkte Richtung durch die Wälder.
Fast die ganze Gesellschaft hatte frische Pferde unter sich, und da man in den Gegenden gewohnt ist, Galopp zu reiten, so schwanden die Entfernungen förmlich unter den Hufen der dahinsausenden Tiere.
Man war am frühen Morgen aufgebrochen, und jetzt begann die Sonne bereits wieder zu sinken. An der Spitze ritten die beiden Apachenhäuptlinge mit Büffelstirn, während Sternau mit Juarez und Mariano folgte. Diese drei letzteren waren in ein angelegentliches Gespräch vertieft, das sie aber schnell einstellten, als Bärenherz plötzlich sein Pferd anhielt und aus dem Sattel sprang, um den Boden genau zu betrachten.
»Halt! Nicht weiter!« rief Sternau den ihm folgenden Mexikanern zu. »Es handelt sich hier um eine Fährte, die wir nicht zerstören dürfen!«
Er ritt langsam zu den Häuptlingen heran und stieg auch vom Pferd.
»Sieht mein weißer Bruder diese Spur?« fragte ihn Bärenherz und zeigte auf eine außerordentlich breite Fährte. – »Ja«, antwortete Sternau. »Man kann sie ja von weitem sehen.« – »Sie ist so breit, wie sie nur die weißen Männer hinterlassen.«
Bärenauge hatte die Breite abgemessen. Er entgegnete:
»Es sind über zehnmal vier Reiter gewesen.« – »Sie kamen von Süd nach Nord«, fügte Büffelstirn hinzu. »Sie haben unseren Weg und werden den Engländer treffen. Wer mögen sie sein?«
Jetzt betrachtete auch Sternau die Hufspuren genauer.
»Sehen meine roten Brüder«, sagte er, »daß nur eine kurze Zeit vergangen ist, seit diese Leute hier vorüberkamen?« – »Ja«, antwortete Bärenauge. »Es ist höchstens die Hälfte der Zeit vergangen, die die Bleichgesichter eine Stunde nennen.« – »Richtig. Wir hätten uns erst später nach Norden gewandt; aber wir dürfen diese Reiter nicht unbeachtet lassen, sondern müssen ihnen folgen.«
Der Ritt wurde von neuem begonnen, ging aber jetzt nach Norden, statt wie früher nach Osten. Nach und nach wurden die Spuren immer frischer, das war ein sicherer Beweis, daß die Truppe schneller ritt als die Verfolgten.
Sternau beugte sich im Galopp vom Pferd herab und betrachtete die Eindrücke sehr aufmerksam.
»Sie sind jetzt höchstens zehn Minuten voraus«, sagte er zu Juarez, »und ich glaube gar, daß sie im Schritt geritten sind.«
Es verging wieder etwa eine Viertelstunde. Die Sonne hatte sich hinter dem Horizont niedergesenkt, und in kurzer Zeit mußte die Nacht hereinbrechen. Da erhob sich Bärenherz im Sattel, deutete nach vorn und rief:
»Uff! Das sind sie!« – »Wollen wir sie schnell einholen?« fragte Juarez. – »Nein«, antwortete der Gefragte. – »Warum nicht?« – »Wir müssen sie belauschen, um zu erfahren, was sie vorhaben. Ich werde dies übernehmen.«
Damit gab er seinem Pferd die Sporen.
Die anderen teilten sich und folgten ihm in einzelnen Abständen so, wie Sternau es angedeutet hatte. In dieser Weise war es unmöglich, zu sehen, daß sie eine Überzahl von Reitern hinter sich hatten.
So ging der Ritt noch einige Zeit fort. Da hielt Bärenherz sein Pferd an, ließ die anderen herankommen und sagte:
»Sind weg.«
Sternau blickte nach vorn, konnte aber, so sehr er sein Auge auch anstrengte, die Reitertruppe nicht mehr sehen.
»Wohin?« fragte er. – »In den Wald hinein.« – »Wurden sie verscheucht?« – »Nein. Sie werden sich ein Lager suchen.« – »So dürfen wir nicht weiter. Lassen Sie uns absteigen, Señor Juarez.« – »Hier? Mitten in der Prärie?« – »Ja. Es bringt uns keine Gefahr. Während Sie hier zurückbleiben, werde ich mit Bärenauge fortgehen, um zu sehen, wo die Leute sind.« – »Señor, das ist eine Unvorsichtigkeit. Nehmen Sie mehr Leute mit.« – »Sie irren. Je weniger, desto besser.«
Damit warf Sternau Helmers den Zügel seines Pferdes hin und schritt fort. Bärenauge, der auch abgestiegen war, folgte ihm.
Die Prärie war hier nicht breit; sie bildete nur einen schmalen Streifen, dessen linker Rand sehr nahe lag und von Unterholz gebildet wurde, das zwischen den Stämmen riesiger Bäume wucherte. Darin waren die Verfolgten verschwunden.
Sternau schritt auf den Rand zu und schlich denselben entlang, den Apachenhäuptling hart hinter sich. Es war hier unter den Bäumen beinahe vollständig dunkel, und da in jenen Gegenden die Dämmerung äußerst kurz ist, so brach nach einigen Minuten die Nacht herein.
»Uff«, sagte der Häuptling, Sternau mit der Hand berührend. – »Was?« flüsterte dieser. – »Man hat gesprochen.«
Sternau hatte nichts gehört. Er blieb stehen und horchte.
»Wo?« fragte er. – »Da vorn.« – »Weit von uns?« – »Nein.«
Die beiden Männer horchten schweigend in das Dunkel hinein, und bald darauf hörten sie allerdings in ziemlicher Nähe eine Stimme, die rief:
»Alfredo, komm. Wir haben Holz genug. Die Feuer brennen schon.«
Von jetzt an war es wieder still. Die beiden warteten eine Weile und schlichen sich dann wieder vorwärts. Nach kurzer Zeit hörte Sternau, daß Bärenauge die Luft prüfend durch die Nase zog. Auch er bemerkte einen brenzlichen Geruch.
»Riecht mein weißer Bruder etwas?« fragte der Apache. – »Rauch«, antwortete Sternau. – »Die Feuer brennen. Gehen wir dem Geruch nach.«
Indem sie dies taten, bemerkten sie bald gerade vor sich einen hellen Schein, der zwischen den Bäumen bei jedem Schritt sichtbar wurde.
»Dort ist es«, sagte der Häuptling. – »Trennen wir uns, so geht es schneller.« – »Wo treffen wir uns?« – »Unter dem Baum, an dem wir jetzt stehen, wenn wir uns nicht vorher jenseits begegnen.« – »Wie gehen wir?« – »Du rechts und ich links. Suchen wir vor allen Dingen zu erfahren, wo die Pferde stehen. Ihr Schnauben kann uns verraten.«
Einen Augenblick später war der Apache verschwunden.
Sternau pirschte sich jetzt allein vorwärts. Von Baum zu Baum huschend, horchte er, ob das Lager noch in Bewegung sei oder ob man sich bereits niedergelassen habe. Es schien das letztere der Fall zu sein.
So kam er näher und näher, bis er alles deutlich vor sich liegen sah.
Er zählte fünfzig Männer, die sich in einem Kreis gelagert und zwei Feuer zwischen sich hatten, über denen Fleisch gebraten wurde. Sie waren in die Tracht des Landes gekleidet, schienen aber aus verschiedenen Provinzen zusammengewürfelt zu sein.
Jetzt legte er sich auf die Erde nieder und schob sich kriechend fort, bis er so weit an sie herangekommen war, daß nur noch einige Bäume zwischen ihm und ihnen standen und er jedes Wort hören konnte.
Zwei, die nicht weit von ihm saßen, sprachen sehr laut miteinander.
»Und ich sage dir, daß wir uns verirrt haben«, meinte der eine. – »Wo denkst du hin«, antwortete der andere. »Wir sind sehr weit rechts von Candela.« – »Und ich behaupte, daß wir uns zu weit westlich befinden. Vielleicht hatten wir schon Naria zur Rechten. Wir müßten den Rio San Juano längst erreicht haben.« – »Unsinn! Ich war einmal bereits in dieser Gegend und kenne sie.« – »Dennoch wäre es besser, wenn wir uns erkundigt und nicht allein auf dich verlassen hätten. Was soll Señor Cortejo sagen!«
Sternau zuckte beinahe erschrocken zusammen, als er diesen Namen hörte. Gab es hier einen Cortejo? Und wer war denn dieser Mann?
»Cortejo? Pah!« antwortete der andere ziemlich verächtlich. – »Oder was soll seine Tochter sagen, Señorita Josefa, die Holde.«
Es ging Sternau wie ein Stich durch das Herz. Sie hatten Cortejo genannt und seine Tochter Josefa.
»Was mache ich mir aus ihr«, hörte er den anderen sagen. – »Ich denke, du bist verliebt in sie?« erklang es lachend. – »Dann müßte ich verrückt sein.« – »Du trägst aber doch ihre Fotografie bei dir.« – »So, wie ihr alle, um mich als seinen Anhänger ausweisen zu können.« – »Ja, und Minister zu werden, sobald er Präsident von Mexiko geworden ist.« – »Scherze nicht. Ich bin auch nicht dümmer als andere, und zu Ministern werden gewöhnlich nicht die Klügsten ausgewählt. Übrigens ist es gar nicht unmöglich, daß er etwas erreicht. Warum ist er nach dem Norden gekommen?« – »Doch zunächst, um diesem Engländer sein Geld abzunehmen.« – »Und die Gewehre.« – »Welche für Juarez bestimmt sind, hahahah. Der Zapoteke wird sich ganz verteufelt ärgern, wenn er erfährt, daß ihm sein Rivale zuvorgekommen ist. Aber, alle Teufel, es war mir, als ob ich dort hinter dem dritten Baum ein Paar Augen hätte leuchten sehen.«
Er erhob sich, griff zu seinem Messer und kam herbei.
Sternau hatte im ungeheuren Interesse für das, was er hörte, den Kopf etwas zu weit hervorgeschoben; er war bemerkt worden. Sobald er sah, daß der Mann auf ihn zuschritt, glitt er blitzschnell rückwärts, erhob sich vom Boden und entfernte sich schleunigst eine Strecke. Ein Glück, daß er sich im Dunkeln befand.
»Hm«, brummte der Mann. »Ich dachte, die Augen deutlich gesehen zu haben.« – »Wem sollten sie gehören?« fragte sein Kamerad. »Welcher Mensch sollte sich gerade hierher verlaufen. Du hast dich geirrt« – »Möglich. Aber besser ist besser.«
Er ging zurück, zog einen brennenden Ast aus dem Feuer und kam wieder, um die Stelle zu untersuchen. Sternau hatte jedenfalls eine Spur zurückgelassen; wurde diese gefunden, so war seine Anwesenheit verraten.
Zum Glück schien der Mann nicht zu den Scharfsinnigen zu gehören oder keine Erfahrung zu besitzen. Er fuhr mit dem Brand einige Zeit zwischen den Bäumen herum, ohne dem Boden die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, und sagte dann:
»Es ist niemand hier.« – »O doch«, lachte der andere. – »Nun, wer denn?« – »Du doch selbst.« – »Albernheit. Die Augen habe ich gesehen. Vielleicht ist der Kerl, dem sie gehören, ausgerissen, als ich kam. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Ich werde jetzt besser aufpassen.«
Nach diesen Worten kehrte er an seinen Platz zurück.
Sternau hatte einstweilen genug gehört, um zu wissen, woran er war. Er wollte sich nicht unnötig einer weiteren Gefahr aussetzen, und darum begab er sich nach dem Baum, unter dem er den Apachen treffen wollte.
Für einen anderen wäre es schwierig gewesen, in der Finsternis diesen Baum zu finden; aber man glaubt gar nicht, welche Fertigkeit ein tüchtiger Jäger in dieser Beziehung besitzt. Er wird von einem gewissen Instinkt geleitet, der in vielen Fällen dem Scharfsinn trefflich zu Hilfe kommt.
Er brauchte nicht lange zu warten, so kam Bärenauge.
»Mein Bruder mag kommen«, flüsterte dieser.
Sie schlichen sich aus dem Wald hinaus auf die Prärie, wo sich unterdessen auch die Finsternis der Nacht eingestellt hatte.
»Fünfmal zehn Männer«, sagte der Apache. – »Ich habe ebenso viele gezählt«, antwortete Sternau. »Und die Pferde?« – »Sie sind schlecht. Kein einziges hat geschnauft.« – »Mein Bruder war bei ihnen.« – »Ja, es sind lauter Haziendapferde.« – »Wo befinden sie sich?« – »Sie sind angebunden zweimal zehnmal zehn Schritte vom Feuer weg in den Wald hinein.« – »Hat mein Bruder die Leute belauscht?« – »Ja.« – »Hat er etwas Wichtiges gehört?« – »Der eine sprach von einem Haziendero, der gepeitscht worden ist.« – »Das scheint nichts Wichtiges!« – »Er sagte, daß er das Gesicht des Gepeitschten immer sehe.« – »Der Mann ist jedenfalls ein Schurke, der eine Missetat begangen hat und nun von seinem Gewissen gefoltert wird. Hörte mein Bruder sonst etwas?« – »Nein. Ich mußte die Pferde suchen und kam dann wieder zu dir.« – »So wollen wir schnell die Unsrigen aufsuchen.« – »Hat mein weißer Bruder mehr vernommen, als sein roter Freund?« fragte der Apache, indem sie weiterschritten. – »Ja, viel mehr. Ich werde es Juarez berichten, so wird mein Bruder es auch hören.«
Damit gab Bärenauge sich zufrieden.
Sie stießen nach kurzer Zeit zu ihren Leuten, von denen sie bereits mit Ungeduld erwartet wurden.
»Haben Sie die Leute entdeckt?« fragte Juarez. – »Ja, sehr leicht. Sie sprachen so laut im Wald, daß man sie bereits von weitem hörte«, antwortete Sternau. – »Für was halten Sie dieselben, oder bleiben Sie darüber im unklaren?« – »Nein. Ich weiß, wer sie sind. Wenn Sie es erfahren, so werden Sie sich wundern oder vielleicht gar erschrecken.« – »Ah! Sprechen Sie! Schnell!« – »Es sind Anhänger von Cortejo.« – »Meinen Sie Pablo Cortejo, meinen lächerlichen Nebenbuhler?« – »Ja.« – »Wie kämen diese Leute hierher? Ich denke, Cortejo befindet sich im Süden!« – »O nein. Er ist nach dem Norden gekommen.« – »Welcher Wahnsinn!« – »Nach dem, was ich erlauscht habe, ist das, was er vorhat, nicht so sehr wahnsinnig.« – »Was könnte dies sein? Konkurrenz will er mir machen. Er gleicht dem Frosch in der Fabel, der so groß sein wollte, wie ein Ochse, dabei aber zerplatzte.« – »Oh, Señor, es ist sehr ernst. Dieser Cortejo weiß nämlich, daß Sir Lindsay kommt, um Ihnen Geld und anderes zu bringen.« – »Alle Teufel!« rief Juarez jetzt erschrocken. – »Er hat diese Truppe abgesandt, um sich des Engländers zu bemächtigen.« – »Unglaublich!« – »Ich habe es deutlich gehört. Zwei sprachen davon.« – »Dann müssen wir uns unbedingt dieser Leute bemächtigen.« – »Natürlich. Wie gut also, daß wir darauf verzichteten, sie in der Prärie einzuholen und nach ihren Absichten zu fragen. Wir hätten nichts erfahren. Übrigens scheint es, als ob sie sich verirrt haben.« – »Wohin wollten sie?« – »Nach dem Rio San Juano.« – »Ah, dort haben sie dem Engländer auflauern wollen. Aber sie wären doch zu spät gekommen, denn er ist längst an der Mündung des Flusses vorüber, da er uns bereits am Sabina erwartet.« – »Dies ist noch nicht ganz sicher. Cortejo muß nicht ohne eine ziemliche Anzahl von Anhängern sein, da er fünfzig Mann detachieren kann.« – »Das ist eine Dummheit von ihm. Diese Leute haben ja gar keine Transportmittel mit, um gelungenenfalls ihren Raub in Sicherheit zu bringen.« – »Das ist wahr. Etwas abenteuerlich unternommen scheint mir dieser Zug zu sein, doch ist immer abzuwarten, ob sich noch etwas Weiteres herausstellt.« – »Sie werden uns beichten müssen.« – »Das werden sie. Wann wünschen Sie, daß wir sie festnehmen?« – »So bald wie möglich. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn eigentlich sollte unser Zusammentreffen mit Sir Lindsay noch diesen Abend stattfinden.« – »So bitte ich um Ihre Befehle.« – »Meine Befehle? Ich bin kein Kriegsmann und noch weniger ein Jäger. Ich werde wieder Ihnen das ganze Arrangement überlassen.« – »Dann bitte ich, daß die Pferde hier zurückbleiben dürfen.« – »Warum?« – »Sie finden hier besseres Futter. Im Wald, wo sie nichts zu fressen haben, könnten sie uns verraten.« – »Das ist richtig.« – »Wir pflöcken sie an und lassen zehn Mann bei ihnen, das genügt. Wir anderen teilen uns. Die Hälfte wird von mir und die andere von Bärenauge angeführt, da wir beide das Lager genau kennen. Wir umzingeln dasselbe, und dann wird sich das übrige von selbst ergeben.« – »Wenn die Kerls klug sind, so lassen sie es gar nicht zum Kampf kommen. Ich möchte nicht gern Blut vergießen, besonders deshalb nicht, weil wir von den Toten nichts erfahren könnten.« – »Dann will ich einen Vorschlag machen, Señor. Einer oder zwei von uns begeben sich nach dem Lager und geben sich für Jäger aus. Ich glaube nicht, daß sie irgendwelche Gefahr laufen. Dann ahme ich den Ruf der Eule nach; das ist das Zeichen, daß die Umzingelung gelungen ist. Die beiden geben sich darauf zu erkennen und fordern, daß die Truppe sich ergibt. Auf diese Weise umgehen wir eine Überrumpelung, die viel Blut kosten würde.« – »Sie mögen recht haben, Señor. Aber die Rolle dieser beiden ist doch eine höchst gefährliche. Wer würde sich zu einer solchen hergeben!« – »Ich!« rief es aus vieler Munde. – »Sie sehen, daß wir genug mutige Leute besitzen«, sagte Sternau. – »So treffen Sie selbst die Wahl«, entgegnete Juarez. – »Das ist schwierig, da ich keinen beleidigen will. Indianer sind natürlich ausgeschlossen. Ich selbst möchte zwar gern dabeisein, aber ich habe ja meine Truppen anzuführen. Ich glaube, daß es am besten sein würde, unseren Mariano mit Donnerpfeil zu schicken.«
Die beiden erklärten sich mit Freuden bereit dazu.
»Gut! So können Sie aufbrechen.« – »Zu Pferde?« fragte Mariano. – »Natürlich«, antwortete Sternau. »Überlasse dich nur der Leitung deines Gefährten. Er ist in solchen Dingen erfahrener als du.« – »Wo ungefähr befindet sich das Lager?« fragte Helmers. – »Dreiviertel englische Meilen von hier, nur einige Schritte in den Wald hinein. Ich glaube, man muß das Feuer von der Prärie aus sehen können.« – »Das ist höchst unvorsichtig von diesen Leuten, aber sehr gut für uns, denn es wird unser Erscheinen so ziemlich legitimieren. Kommen Sie, Señor Mariano!«
Die beiden pflöckten ihre Pferde los, stiegen auf und ritten davon.
»Für was geben wir uns denn aus?« fragte Mariano während des kurzen Rittes. – »Für Jäger natürlich«, antwortete Helmers. – »Allerdings. Aber welcher Nationalität?« – »Nun, ich bin ein Deutscher; und dabei bleibe ich.« – »Und ich bin ein französischer Fallensteller.« – »Und merken Sie sich, ich heiße Helmers; ich verändere dieser Kerls wegen meinen Namen um keinen einzigen Buchstaben.« – »Und ich, ich heiße Lautreville, ich bin ja bereits früher so genannt worden. Aber woher kommen wir und wohin wollen wir?« – »Das müssen wir uns allerdings überlegen. Ich bin früher, als ich mit Bärenherz jagte, einmal hier im Presidio gewesen und weiß also glücklicherweise ein wenig Bescheid. Es ist am besten, wir geben eine andere Richtung an, als sie verfolgen.« – »So kommen wir aus Texas herüber.« – »Ja, gut. Wir sind in Laredo über den Rio del Norte gesetzt und wollen hierauf nach – nach, ah, wir wollen zu den Franzosen, um gegen diesen verfluchten Juarez zu kämpfen.« – »Vortrefflich«, lachte Mariano. »Also vorwärts jetzt!«
22. Kapitel
Die Männer ritten im Galopp einen Bogen, so daß sie scheinbar von der entgegengesetzten Seite, von Norden, kamen, und hielten dann langsamer reitend, ihre Pferde dicht am Rand des Waldes hin.
Da, wirklich, erblickten sie einen Lichtschein, der zwischen den Bäumen hindurch auf die Grasfläche herausschimmerte. Auch Stimmen, die miteinander sprachen, konnte man hören. Sie hielten an, und Helmers rief mit lauter Stimme:
»Holla! Was ist das für ein Feuer im Wald?«
Sofort verstummte das Gespräch, und nach einigen Augenblicken wurde gefragt:
»Wer ist da draußen?« – »Zwei Jäger sind wir.« – »Nur zwei?« – »Ja. Darf man zu Euch kommen?« – »Wartet erst.«
Es erhoben sich mehrere Männer vom Lager, nahmen Feuerbrände in die Hand und kamen herbei, um die beiden Ankömmlinge zu beleuchten. Einer von ihnen, der eine sehr stolze, finstere Miene machte, fragte:
»Sind etwa mehrere hinter Euch?« – »Fällt gar niemandem ein!« lachte Mariano. – »Ich kann Euch doch nicht gebrauchen.« – »Aber wir Euch!« – »Wozu?« – »Donnerwetter!« fluchte Helmers. »Wozu, fragt Ihr? Freut man sich denn nicht, wenn man in dem wilden Wald Menschen trifft?« – »Da freut Ihr Euch umsonst!« – »Seid kein Tor. Wir sind den ganzen Tag geritten und wollten uns soeben hier irgendwo zur Ruhe legen. Da sahen wir Euer Feuer. Wenn wir uns mit daran wärmen, wird es Euch wohl keinen Schaden machen.«
Der Mann beleuchtete die beiden abermals genau und erwiderte dann:
»So kommt! Aber hütet Euch! Handelt Ihr mit faulen Fischen, so macht Ihr bei uns jedenfalls ein sehr schlechtes Geschäft.«
Die beiden stiegen ab und zogen ihre Pferde hinter sich her, den voran schreitenden Mexikanern nach. Als sie bei den Feuern anlangten, hatten sich mittlerweile auch die übrigen erhoben, um den ungewöhnlichen Besuch in Augenschein zu nehmen. Helmers und Mariano grüßten furchtlos, dann fragte der erste:
»Wo ist der Platz für Eure Pferde, Señores, damit wir auch die unserigen hinführen?« – »Das werden wir selbst besorgen«, entgegnete der frühere Sprecher.
Er gab zweien seiner Leute einen Wink, und diese machten Miene, die Pferde fortzuführen. Helmers aber wehrte mit der Hand ab und sagte:
»Halt, Señores; so schnell geht das nicht. Wir sind Jäger und wissen, was wir uns und den Pferden schuldig sind. Sie brauchen Ruhe und wir ein Kopfkissen; also zunächst mit den Sätteln herab. Dann könnt Ihr sie fortführen.«
Die beiden Männer schnallten die Sättel herunter und legten sie in die Nähe des Feuers, um sie als Kopfkissen zu gebrauchen. Dann streckten sie sich behaglich nieder.
Derjenige, der sie ausgefragt hatte, war derselbe, dem Josefa Cortejo den Brief übergeben hatte. Auf seinen Wink entfernte man die Pferde, und alle legten sich wieder nieder. Dann wandte er sich an Helmers:
»Ihr werdet mir wohl einige Fragen erlauben, Señor?« – »Fragen? Warum gerade Euch?« – »Weil ich der Capitano dieser Männer bin.« – »Ah! Ihr seid der Anführer? Das ist etwas anderes! So fragt einmal los.« – »Ihr seid Jäger?« – »Ja.« – »Woher?« – »Von überall her. Man sucht sich ein Wild, wo man es findet. Nicht?« – »Ich meine es anders. Wo seid Ihr geboren?« – »Ich bin ein Deutscher und heiße Helmers.« – »Und Euer Kamerad?« – »Ist ein Franzose und heißt Lautreville.« – »Woher kommt Ihr?« – »Von drüben, über den Rio Grande herüber.« – »Ah, so seid Ihr Yankees, die der Teufel heute lieber holen mag als morgen.«
Da lachte Helmers lustig auf und antwortete:
»Señor, mit Eurer Geographie scheint es auch nicht besonders gut zu stehen!« – »Donnerwetter! Warum?« – »Seit wann werden denn Deutsche und Franzosen zu den Yankees gerechnet?« – »Wenn Ihr da drüben herumjagt, so seid Ihr Yankees. Ihr kommt mir überhaupt verdächtig vor. Seit wann seid Ihr über den Fluß herüber?« – »Seit gestern.« – »Das stimmt. So weit kann es ungefähr sein. Wo seid Ihr übergesetzt?« – »In Laredo.« – »Und wohin wollt Ihr?« – »Müßt Ihr das genau wissen?« – »Ja.« – »Nun, ich kann Euch den Gefallen tun. Seid Ihr aber etwa Leute des Juarez?« – »Fällt uns gar nicht ein. Wir dienen keinem Indianer.« – »Mein Kamerad ist also ein Franzose und hat Sehnsucht nach seinen Landsleuten. Ich aber habe von früher her mit dem Juarez noch ein Ei zu schälen, wie man zu sagen pflegt, und so sind wir auf den Gedanken gekommen, nach Mexiko zu gehen, um zu sehen, in welcher Weise man dem Zapoteken an das Leder kann.« – »Das heißt, Ihr wollt Euch anwerben lassen?« – »So ähnlich.« – Aber warum gerade bei den Franzosen?« – »Weil sie die Landsleute meines Kameraden sind.« – »Das wäre allerdings ein Grund. Aber der Bazaine braucht keine Leute.« – »Dann wäre ja der ganze weite Ritt umsonst.« – »Ja, umsonst wird er wohl sein, wenn Ihr nicht einen guten Rat annehmt.«
Der sogenannte Capitano schien sein Mißtrauen verloren zu haben.
»Einen guten Rat hört man gern«, meinte Mariano. – »Nun, ich könnte Euch sagen, wo Ihr sofort Unterkommen finden würdet.« – »Wo denn?« – »Hier, bei uns.« – »Bei Euch? Hm! Wer seid Ihr denn?« – »Habt Ihr vielleicht einmal von dem Panther des Südens gehört?« – »Oh, oft genug.« – »Und von Cortejo?« – »Könnte mich nicht sogleich besinnen.« – »Nun, diese beiden haben sich zusammengetan, damit Cortejo Präsident wird.« – »Alle Wetter. Der Mann scheint nicht dumm zu sein!« sagte Helmers. – »Er wirbt Leute an. Gelingt es ihm, so kann ein jeder, der ihm jetzt dient, auf irgendeine gute Stelle oder sonst etwas Ähnliches rechnen.« – »Das läßt sich hören.« – »Und außerdem führt man ein prachtvolles Leben bei ihm. Da gibt es kein Exerzieren und Drillen, wie bei den Franzosen, keinen Kasernen– und Gamaschendienst. Man lebt wie ein Prälat und nimmt das, was man braucht, da, wo es ist.« – »Das ist höchst bequem.« – »Ja. Nun seht Ihr wohl ein, daß wir im Dienst dieses Cortejo stehen?« – »Ja; ich beginne allerdings es zu ahnen.« – »Habt Ihr keine Lust einzutreten?« – »Hm. Das müßte man sich doch vorher ein wenig überlegen. Wir kennen Euch nicht.« – »Ich Euch ja auch nicht. Die Hauptsache ist, daß man sich gutsteht.« – »Und das ist also bei Euch der Fall?« – »Ja.« – »Wo befindet sich denn dieser Cortejo?« – »Auf seiner Hazienda.« – »Ihr antwortet sehr undeutlich, Señor. Es gibt Tausende von Haziendas.« – »Nun, so will ich sagen, auf der Hacienda del Erina.«
Fast wäre Helmers vor Überraschung emporgesprungen. Er mußte alle Selbstbeherrschung anwenden, um scheinbar ruhig zu bleiben. Mariano ging es ebenso.
»Del Erina?« fragte Helmers. »Die ist sein Eigentum?« – »Natürlich. Kennt Ihr sie?« – »Ja. Ich habe da vor Jahren eine Nacht geschlafen. Damals aber war der Besitzer ein anderer. Ich glaube, er hieß – hieß …« – »Arbellez«, fiel der Mann ein. – »Ja, richtig! Arbellez. Der Mann ist wohl tot?« – »O nein, aber doch so ähnlich.« – »Nicht tot, oder ähnlich? Also krank?« – »Vielleicht. Wir haben ihm einfach die Hazienda weggenommen. Cortejo bekam das Haus, und wir anderen erhielten alles, was sich darin befand.« – »Donnerwetter!«
Die Augen des Jägers blitzten. Am liebsten hätte er diesem Menschen augenblicklich eine Kugel durch den Kopf gejagt. Der verstand ihn aber falsch und sagte:
»Nicht wahr, das wäre auch etwas für Euch?« – »Natürlich. Aber was sagte denn dieser – dieser Arbellez dazu?« – »Viel Kluges nicht, denn er ist ganz gehörig ausgepeitscht worden.« – »Ausgepeitscht?« fuhr Helmers auf. »Ist das wahr, Señor?« – »Natürlich. Fragt den Mann, der da neben mir sitzt. Der hat ihn mit gepeitscht.«
Helmers schwieg. Er mußte sich Gewalt antun, um seine Gefühle zu bezwingen. Der Mann aber, den der Anführer gemeint hatte, sagte:
»Ja, ich habe ihn mit geschlagen.« – »Auf wessen Befehl?« fragte Mariano, der sich Helmers Wut denken konnte. – »Auf den Befehl der Señorita Josefa.« – »Ah! Wer ist das?« – »Die Tochter Cortejos.« – »Sie befindet sich auf der Hazienda?« – »Ja.« – »Seit wann?« – »Nur erst seit einigen Tagen.« – »Und Cortejo auch?« – »Nein. Er hat die Hazienda für einige Zeit verlassen.« – »Wohin ist er gegangen?«
Da ertönte, scheinbar aus der Ferne, der Ruf der Eule, die beiden Jäger wußten also ihre Gefährten in der Nähe.
»Ihr fragt mich da zu viel«, meinte der Capitano zurückhaltend. »Ihr seid Fremde. Tretet bei uns ein, dann könnt Ihr fragen.« – »Da müßte man doch vorher wissen, wohin Ihr jetzt reitet.« – »Das könnte ich Euch noch sagen. Wir gehen an den Rio del Norte.« – »In welcher Absicht?« – »Um einen Engländer zu peitschen, wenn er sein Geld nicht hergibt.« – »Ihr scheint große Freude am Peitschen zu haben, Señores!« – »Warum nicht? Prügel sind die beste Medizin. Dieser Arbellez zum Beispiel ist jedenfalls vollständig kuriert. Er wurde so lange geschlagen, bis man die Knochen sah.«
Helmers biß die Zähne zusammen, murmelte kaum hörbar:
»Und dann? Was geschah dann mit ihm?« – »Er wurde in den Keller geworfen. Da liegt er noch.« – »Und Ihr waret dabei?« – »Warum nicht?« – »Ah! So fahre zur Hölle und zum Teufel, Halunke!«
Er konnte sich nicht mehr halten. Indem er diese Worte aussprach, riß er den Revolver hervor, hielt dem Capitano den Lauf an die Schläfe und drückte ab. Der Schuß krachte, und der Mann brach tot zusammen.
Die anderen saßen einige Augenblicke ganz erstarrt da. Das gab Helmers Zeit, noch einige Kugeln zu versenden. Auch Mariano schoß, dem Beispiel des Gefährten folgend, mehrere Male ab. Dann aber rissen die Überraschten auch ihre Waffen hervor und sprangen auf, um diesen unerwarteten Angriff blutig zu rächen.
Sie kamen jedoch nicht dazu, denn in diesem Augenblick ertönte Sternaus Stimme:
»Gebt Feuer!«
Nun krachten so viele Schüsse, daß es schien, als sei eine Kanone entladen worden. Eine zweite Salve blitzte auf, und dann gab es kein Ziel mehr – die Leute lagen alle tot am Boden. Zweihundert Schüsse und mehr auf fünfzig Mann aus nächster Nähe gefeuert – es war kein Wunder.
Jetzt raschelte es in dem Unterholz, und die unsichtbaren Schützen traten hervor.
»Warum schossen Sie?« fragte Sternau Helmers. – »Hörten Sie nicht, was der Mensch erzählte?« entgegnete der Gefragte. – »Nein. Ich war bei den Pferden und kam gerade wieder zurück, als Ihr erster Schuß fiel. Dann gab ich mein Kommando.« – »Nun, so will ich Ihnen sagen, daß diese Kerle den Tod zehnfach verdient haben.« – »Weshalb?« – »Sie haben die Hacienda del Erina überfallen und meinen Schwiegervater gepeitscht. Dann ist er in den Keller geworfen worden.«
Der Sprecher zitterte förmlich vor Grimm. Sternau erschrak sichtlich.
»Ist denn dies wahr?« fragte er schaudernd. – »Ja. Der Schurke von Anführer hat es mir erzählt.« – »So war es eine Räuberbande? Ich dachte, sie gehörten zu Cortejo.« – »Das ist auch der Fall. Cortejo hat die Hazienda überfallen und plündern lassen, und seine Tochter Josefa hat befohlen, Arbellez zu schlagen.« – »So befindet sie sich auf der Hazienda?« – »Ja.« – »Mein Gott, welch eine Nachricht! Aber darüber nachher. Jetzt vor allen Dingen müssen wir sehen, ob diese Menschen wirklich tot sind.«
Juarez wurde jetzt, am Stamm eines Baumes lehnend, sichtbar. Er sah schweigend zu, wie man die Besiegten hin– und herwandte, um zu sehen, ob noch eine Spur von Leben in ihnen sei. Sie waren alle tot. Viele von ihnen hatten mehr als eine Kugel erhalten. Ein einziger stöhnte auf, als er berührt wurde, blickte mit gläsernen Augen den an, der ihn gefaßt hielt, und röchelte:
»Oh, oh, das ist das Gesicht des Haziendero.« – »Was sagt dieser Mann?« forschte Juarez. – »Er spricht vom Gesicht des Haziendero«, antwortete der gefragte Mexikaner. – »Es ist derjenige, der meinen Schwiegervater gepeitscht hat«, fügte Helmers hinzu, indem er dem Verwundeten einen Fußtritt versetzte. – »Ah, davon sprach bereits Bärenauge«, meinte Sternau. »Es ist einer dabei, der gesagt hat, daß ihm immer das Gesicht des gepeitschten Haziendero erscheine. Dieser Mann muß es sein.« – »Er ist es«, bestätigte der Apache. – »Sucht ihn am Leben zu erhalten. Vielleicht können wir von ihm etwas erfahren. Wie ist er verwundet?« – »Er erhielt eine Kugel durch die Brust.« – »Zeigt her.«
Sternau bog sich zu dem Mann nieder und öffnete ihm Jacke und Hemd. Nach einer kurzen Untersuchung meinte er:
»Leider keine Rettung!« – »Nein!« röchelte der Verwundete, halb bewußtlos. »Oh, dieses Gesicht!«
Seine Mienen drückten ein furchtbares Entsetzen aus. Nach einigen Augenblicken öffnete er die Augen. Sein Blick fiel auf den neben ihm liegenden Capitano.
»Tot! Auch tot!« gurgelte er. »Oh, der Brief! Wer besorgt den Brief?« – »Welchen Brief?« fragte Sternau. – »An Cortejo«, erklang es, wie aus dem Munde eines Ertrinkenden. – »Wo ist Cortejo?« – »Am – am – am San Juano.« – »Und der Brief?«
Das Feuer beleuchtete den Sterbenden. Seine Wangen wurden fahl. Er schwieg. Er war nicht imstande, eine Antwort zu geben. Nun faßte Sternau ihn fest und rief laut, ihn derb schüttelnd:
»Der Brief. Wo ist er?«
Da öffnete der Mann langsam das Auge.
»Im Stiefel«, lispelte er. – »In wessen Stiefel?«
Der Gefragte schloß das Auge wieder. Der Tod streckte seine Hand nach ihm aus. Kein Rütteln und kein Fragen half. Ein Blutstrom quoll aus seinem Munde. Schon schien er sich strecken zu wollen, aber da war es, als sei plötzlich noch einmal die volle Lebenskraft in ihn zurückgekehrt. Er richtete sich halb empor und rief mit lauter, angstvoller Stimme: »Gott – Gott – vergib! Ich – habe ihnen – ja Wasser – Wasser und – Brot gegeben!«
Dann fiel er nieder. Er war eine Leiche.
»Was muß er gemeint haben?« fragte Mariano nach einer Pause, während der alle schweigend dagestanden hatten. – »Wer weiß es. Das Geheimnis geht mit ihm zu Grabe«, meinte Helmers. – »Vielleicht nicht«, sagte Sternau. »Sein Gewissen ließ ihm das Gesicht des Gepeitschten erscheinen, und als Entlastung sagte er, daß er Wasser und Brot gegeben habe. Señor Arbellez ist in den Keller geworfen worden. Dieser Tote hat ihn vielleicht mit Lebensmitteln versehen. Er hätte verdient, daß wir sein Leben schonten. Jetzt ist‘s leider zu spät.« – »Was aber war es mit dem Brief?« fragte Juarez. – »Ein Brief an Cortejo«, antwortete Sternau. »Cortejo befindet sich am San Juanofluß, um Sir Lindsay abzufangen. Diese Leute haben die Aufgabe gehabt, ihn aufzusuchen und einen Brief zu überbringen.« – »Von wem?« – »Jedenfalls von seiner Tochter, die sich auf der Hazienda befindet.« – »Also in einem Stiefel befindet er sich, aber in wessen Stiefel?« – Jedenfalls müssen wir beim Capitano suchen. Er war der Anführer, dem man vermutlich das Schreiben anvertraut hat.«
Jetzt wurden der Leiche des Genannten die Stiefel ausgezogen, und wirklich, in dem Schaft des einen fand sich Josefas Schreiben vor.
»Hier, Señor«, sagte Sternau zu Juarez. »Lesen Sie.«
Juarez öffnete das Schreiben und trat an das Feuer. Nachdem er es gelesen hatte, meinte er:
»Señores, ich muß Ihnen diese Zeilen vorlesen. Hören Sie.«
Er las mit lauter Stimme vor und sagte dann:
»Dieser Brief muß aufgehoben werden. Er enthält das Eingeständnis schwerer Verbrechen. Alles ist uns klar, alles. Aber was jetzt tun?« – »Wir können nichts Eiligeres tun, als nach dem Sabinafluß aufbrechen«, antwortete Sternau. »Wir müssen vor allen Dingen wissen, ob Sir Lindsay eingetroffen ist.« – Aber Arbellez, mein gefangener Schwiegervater?« fragte Helmers. – »Nach der Hazienda kommen wir noch. Die Sendung des Lords ist zu retten und Cortejo gefangenzunehmen, dann haben wir gewonnen. Bis an den Sabinafluß reiten wir höchstens noch zwei Stunden. Nehmt diesen Toten die Waffen und alles Brauchbare ab! Dann aber weiter.«
23. Kapitel
Wie wir bereits wissen, war Sir Henry Lindsay im Hafen von El Refugio gelandet, wo der gewaltige Rio Grande del Norte sich als Grenzstrom zwischen Mexiko und Texas in den Meerbusen ergießt.
Trotz der Größe des Rio Grande und der vielen Hilfsmittel, mit denen El Refugio von der Natur aus bedacht wurde, ist diese Stadt dem Verkehr noch fernliegend geblieben. Es hat dies seinen Grund teils in den ungeordneten Zuständen jener Gegenden und teils darin, daß die Binnenlande, die der Strom durchfließt, sich dem Handel, das heißt dem Welthandel, bisher noch verschlossen haben.
So kam es, daß in dem Hafen, als der Engländer ankam, außer einer elenden, brasilianischen Barke keine größeren Schiffe lagen.
Wie wir wissen, hatte Lindsay den Inhalt seines Fahrzeugs umladen lassen, doch hatte Geierschnabel sich in Fort Guadeloupe einer Ungenauigkeit schuldig gemacht. Lindsay hatte zwei kleine Schraubendampfer an Bord, die auf wenig Tiefgang berechnet waren, und dazu eine Anzahl von Booten, die zum Flußtransport seiner Waren bestimmt waren.
Jetzt lagen diese Fahrzeuge ein Stück von der Mündung des Stromes aufwärts vor Anker und warteten auf die Rückkehr Geierschnabels, bereit abzufahren, indem die Lastboote von den beiden Dampfern bugsiert werden sollten.
Jeder von diesen hatte eine kleine, bequem eingerichtete Kajüte. In der einen wohnte Sir Henry und in der anderen Miß Amy.
Beide warteten mit Ungeduld auf ihren Boten und gaben sich der Sorge hin, daß ihm ein Unglück widerfahren sei. Sie saßen in Lindsays Kajüte und sprachen darüber. Es war Abend und bereits dunkel geworden.
»Nach der Berechnung, die er mir machte, müßte er bereits dasein«, meinte Lindsay. »Ich darf keine Zeit verlieren. Wenn er nicht kommt, so lasse ich nur noch den morgigen Tag verstreichen, dann fahre ich.« – »Ohne Führer?« fragte Amy. – »Es sind unter den Leuten zwei, die den Fluß eine Strecke aufwärts genau kennen. Übrigens hoffe ich, Geierschnabel unterwegs zu treffen.« – »Aber wenn ihm auf dem Rückweg ein Unfall zugestoßen ist?« – »So muß ich versuchen, ohne ihn fertigzuwerden.« – »Oder wenn dies auf dem Hinweg geschah und er also gar nicht nach Fort Guadeloupe und zu Juarez gekommen ist?« – »Das wäre allerdings schlimm, denn dann würde Juarez von meiner Anwesenheit gar nichts wissen, und meiner Sendung droht Gefahr. Ich kann aber unmöglich hier liegenbleiben. Wenn die Franzosen Wind bekommen, steht zu erwarten, daß sie hierher eilen und alles konfiszieren.« – »Das soll ihnen vergehen, kalkuliere ich!«
Diese Worte wurden am halb offenstehenden Eingang der Kajüte gesprochen, und als Vater und Tochter ihre Blicke dorthin richteten, erkannten sie den so sehnlichst Erwarteten.
»Geierschnabel«, rief Lindsay sichtlich erleichtert. »Gott sei Dank!« – »Ja, Gott sei Dank!« sagte der Jäger, indem er nähertrat. »Das war eine Fahrt Sir, es ist kein Spaß, so eine Fahrt hinauf und wieder herunter zurückzulegen. Und nun ich ankomme, finde ich Sie ewig nicht. Ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie hier an dieser Stelle liegen.« – »Jetzt aber haben Sie mich doch gefunden. Nun sagen Sie mir auch, wie es Ihnen ergangen ist.« – »Danke, Sir, ganz gut.« – »Und Ihr Auftrag?« – »Ist ausgerichtet. Sind Sie zur Fahrt gerüstet?« – »Ja. Zwanzig Mann. Ich denke, das wird genug sein.« – »Ich meine es auch, wenn diese Leute zuverlässig sind.« – »Ich hoffe es. Sie haben also Juarez getroffen?« – »Ja.« – »So waren Sie wirklich bis El Paso del Norte?« – »Nein. Ich versäumte in Guadeloupe einige Tage, um den Schwarzen Gerard zu treffen, wurde aber reichlich befriedigt, denn Juarez kam selbst.« – »Ah! So wußte er von Ihnen und kam Ihnen entgegen?« – »Nein, Sir. Er wußte gar nichts, schätze ich. Er kam sozusagen aus eigenem Antrieb. Da oben sind nämlich eigentümliche Dinge vorgegangen, die ich Ihnen erzählen muß, Sir.«
Seine Augen schweiften dabei suchend in der Kajüte herum. Lindsay bedeutete, dies bemerkend, nach einem Feldsessel und sagte:
»Setzen Sie sich und erzählen Sie!« – »Hm! Ich bin für so lange Erzählungen nicht eingerichtet, Sir. Meine Kehle trocknet beim Reden so leicht ein und würde, wenn Sie…« – »Gut!« unterbrach ihn Lindsay lachend. »Ich werde sogleich für einen Tropfen sorgen, dem es eigen ist, trockene Kehlen anzufeuchten.«
Er öffnete einen Wandschrank, nahm aus demselben eine Flasche nebst einem Glas, goß das letztere voll und sagte:
»Hier, trinken Sie, Herr Geierschnabel. Sie werden übrigens wohl auch Hunger empfinden!« – »Ich leugne das nicht, Sir, doch mag der Hunger warten. Das Essen pflegt mich im Sprechen zu stören. Die Worte wollen heraus und die Schlucke hinab; sie treffen unterwegs zusammen, woraus natürlich nichts Gescheites entstehen kann, schätze ich. Einen Tropfen Rum aber darf man auf die Zunge nehmen, ohne daß er stört.«
Damit nippte er genügsam von seinem Glas. Ein echter Westmann ist niemals ein Trinker wie zum Beispiel ein Matrose.
»Ich bin begierig, was Sie mir erzählen werden«, sagte Lindsay.
Der Yankee nickte mit schlauem Lächeln.
»Und ich bin begierig, wie Sie es aufnehmen werden«, meinte er. – »Also wirklich wichtige Dinge?« – »Ja.« – »Wichtig für unser Unternehmen?« – »Ja, aber auch wichtig in anderer Beziehung.«
Er machte ein höchst geheimnisvolles und dabei schelmisches Gesicht. Da er aber sich nicht sofort weiter erklärte, fragte Lindsay:
»Welche Beziehung meinen Sie?« – »Nun, ich habe gehört, daß es persönliche Beziehungen geben soll.« – »Sie wollen sagen, daß mich das, was Sie mir zu berichten haben, auch persönlich interessieren wird, vom jetzigen Unternehmen abgerechnet?« – »Ja, Sir; gerade dieses meine ich.« – »So erzählen Sie schnell!« – »Also ich kam nach Fort Guadeloupe, zum alten Pirnero – ein prachtvoller, alter Kerl, aber dennoch ein ganz bedeutender Esel, Sir.«
Der Sprecher drehte sich dabei zur Seite, spitzte den Mund und spuckte, jedenfalls in Erinnerung an seine Szenen mit Pirnero, mit einer solchen Sicherheit aus, daß der Strahl hart an Lindsay vorüber und zu dem offenen Fensterchen der Kajüte hinausflog.
Lindsay fuhr mit dem Kopf zurück.
»Bitte«, sagte er. »War es mit diesem Schuß auf mich abgesehen?« – »Keine Sorge, Sir!« antwortete der Jäger ruhig. »Ich pflege dahin zu treffen, wohin ich will, es geht kein Tropfen verloren. Sie befanden sich nicht im geringsten in Gefahr! Also ich kam nach Guadeloupe und fand den Schwarzen Gerard. Ich dachte, er solle mich nach Paso del Norte bringen, aber das war nicht nötig, denn Juarez kam mir zuvor. Das hatte seine Gründe. Wissen Sie, daß der Kampf bereits begonnen hat?« – »Kein Wort.« – »Nun, Juarez beginnt sich zu regen. Er hat die Apachen zur Seite. Diese haben in der Teufelsschlucht eine ganze Kompanie vernichtet, und dann hat Juarez in Fort Guadeloupe den Feind so auf das Haupt geschlagen, daß nur ein einziger entkommen ist, der aber auch skalpiert wurde. Nun ist der Präsident nach Chihuahua, um es zu nehmen…« – »Ah! Hat er dazu genug Mannschaften bei sich?« – »Keine Sorge, Sir! Von Chihuahua wird er nach Coahuila gehen, um dieses zu nehmen, und dann kommt er, um sich mit Ihnen zu treffen.« – »Wo?« – Am Zusammenfluß des Rio Sabina.« – »Wann?« – »Es ist so berechnet, daß wir am Rendezvous zu gleicher Zeit ankommen, wenn Sie morgen früh aufbrechen, Sir.« – »Ich werde noch heute abend aufbrechen, wenn die Finsternis kein Hindernis ist.« – »Sie hindert uns nicht. Der Strom ist breit genug, und das Wasser glänzt auch im Dunkeln, so daß man es vom Land unterscheiden kann.« – »Wird Juarez selbst kommen oder einen Vertreter senden?« – »Er kommt selbst, kalkuliere ich.« – »Natürlich mit hinreichender Bedeckung?« – »Das versteht sich! Es wird kein Mangel an Leuten sein, denn sobald er in Chihuahua erscheint, wird ihm alles zuströmen.« – »Sie wissen also wirklich genau, daß er die Franzosen vernichtet hat?« – »Sehr genau, denn ich war dabei und habe mitgeholfen.« – »Führte Juarez die Seinen persönlich an?« – »Eigentlich ja, obgleich er am Kampf nicht selbst teilgenommen hat. Die Hauptpersonen waren, wenigstens zunächst, der Schwarze Gerard, der das Fort zu verteidigen hatte, und dann Bärenauge, der Häuptling der Apachen.«
Geierschnabel hatte diesem Wort eine kräftige Betonung gegeben. Amy hob schnell das Köpfchen höher und sagte:
»Bärenauge? Welch ein ähnlicher Name!« – »Mit Bärenherz, nicht wahr?« fragte der Jäger. – »Ja, allerdings«, antwortete sie. »Haben Sie diesen letzteren gekannt?« – »Früher nicht, aber jetzt«, erwiderte er in ziemlich gleichgültigem Ton. – »Sie meinen vom Hörensagen?« – »O nein, ich meine persönlich.« – »Was Sie sagen! Sie kennen einen Häuptling namens Bärenherz? Wo haben Sie ihn getroffen?« – »Eben jetzt in Fort Guadeloupe.« – »So ist das ein Zufall. Die Indianer legen sich sehr oft Tiernamen bei. Irgendeiner hat diesen berühmten Namen angenommen.« – »O nein! Ein Indianer nimmt keinen Namen an, der einem anderen gehört.« – »Auch nicht, wenn er von einem anderen Stamm ist?« – »Dann erst recht nicht.« – »Zu welchem Stamm gehörte Bärenherz, den Sie in Guadeloupe sahen?« – »Er ist ein Apache, und Bärenauge ist sein Bruder.« – »Mein Gott, Papa, ist das nicht höchst eigentümlich?« – »Allerdings«, antwortete der Lord, auf dessen Gesicht sich ein außerordentliches Interesse abzuspiegeln begann. – »Herr Geierschnabel, ich muß Ihnen sagen, daß jener Bärenherz seit langen Jahren verschwunden ist.« – »Das stimmt, Sir. Sein Bruder Bärenauge hat deshalb in jeder Woche einen Weißen skalpiert. Er hat ihn lange vergeblich gesucht und war der Meinung, daß der Häuptling von Weißen getötet worden sei.« – »Aber jetzt sagen Sie ja, daß Sie Bärenherz gesehen haben!« – »Allerdings, Sir.« – »Den Verschwundenen?« – »Ja, ihn selbst, keinen anderen.«
Da sprangen beide, Vater und Tochter auf, und der erstere rief:
»Welch eine Nachricht! Herr Geierschnabel, Sie wissen gar nicht, was Sie uns dadurch bringen!«
Der Jäger verbarg ein schlaues Zucken seiner Lippen und beteuerte:
»Es ist der richtige, Sir!« – »Haben Sie nicht erfahren, wo er während dieser Zeit gewesen ist?« – »Wo soll er gewesen sein? Er wird sich in der Savanne oder irgendwo umhergetrieben haben. Diese Rothäute sind ja die reinen Vagabunden.« – »Oh, er war keiner! Sie meinen, daß er bei dem Präsidenten bleibt?« – »Ja.« – »Und vielleicht mit nach dem Sabinafluß kommt?« – »Ich denke es, Sir.« – »Gott sei Dank! Wir werden ihn sehen und mit ihm sprechen. Wir werden erfahren, was er von seinen damaligen Gefährten weiß, und wie es ihm selbst ergangen ist. Haben wir erst eine Spur gefunden, so verfolgen wir dieselbe, soweit es nur möglich ist. Hatte er denn nicht jemanden bei sich, Master Geisterschnabel?«
Der Gefragte machte das unbefangenste Gesicht von der Welt.
»O doch«, antwortete er. »Es war dabei ein Mann, ein gewisser Bernardo Mendosa, eine Indianerin, namens Karja, eine Señorita Emma und…«
Da flog Amy auf ihren Vater zu, warf ihm die Arme um den Hals und rief:
»Hörst du es, Papa! Oh, wir werden Nachrichten erhalten!« – »Diese Señorita Emma schien verlobt zu sein«, fuhr Geierschnabel ruhig fort. »Wenigstens gab es da einen Señor, mit dem sie außerordentlich zärtlich tat.« – »Hörten Sie vielleicht seinen Namen?« – »Ja. Er hatte einen Bruder mit, der Kapitän oder Steuermann gewesen war. Sie heißen Helmers. Der andere Bruder war übrigens ein berühmter Jäger und hatte sich als solcher den Namen Donnerpfeil erworben.«
Da legte der Lord dem Jäger die Hand fest auf die Schulter. Aber diese Hand zitterte, und seine Stimme zitterte auch, als er fragte:
»Waren das alle, alle, die dort beisammen waren?« – »Ich muß nachsinnen, Mylord. Ja, da fällt mir noch einer ein, ein Kerl von einer riesigen Figur, mit einem Bart, der bis zum Gürtel reichte.« – »Wie hieß er? Schnell, schnell!« – »Hm! Er war eigentlich ein Arzt, aber auch ein berühmter Jäger gewesen. Sie hatten ihn sogar den Fürsten des Felsens genannt.« – »Sternau?« fragte oder vielmehr jauchzte Amy. – »Sternau«, nickte der Jäger. »Ja, so hieß er.« – »Weiter, weiter! Gab es nicht noch einen, einen einzigen?« – »Noch einen sehr alten Mann, den sie Don Ferdinando nannten. Ich glaube, der alte Pirnero sagte, daß dieser Señor ein Graf Rodriganda sei.«
Da konnte sich der Lord nicht mehr länger halten.
»Wunderbar, höchst wunderbar!« rief er, seine Tochter fest in die Arme schließend. »Was werden wir alles erfahren, Amy!«
Sie aber wandte sich mitten in der Umarmung mit dem Gesicht zu dem Jäger und fragte:
»Gibt es sonst keinen mehr zu nennen, keinen?« – »Noch einen, Miß, aber der ist nun auch der letzte.« – »Wer ist es? Wer? Um Gottes willen, reden Sie.« – »Das war ein sehr schöner, junger Mann, der trotz der Verschiedenheit der Jahre dem alten Grafen sehr ähnlich sah, ganz außerordentlich ähnlich.«
Die Augen Amys öffneten sich fast unnatürlich weit. Ihr Busen wogte, und die Blässe des Todes breitete sich über ihr schönes Angesicht. Sie wollte sprechen, aber sie brachte vor Erregung kein Wort hervor.
»Wie hieß dieser junge Mann?« fragte der Lord. – »Sternau nannte sich sogar mit ihm ›du‹. Ich glaube, er sagte ›Mariano‹ zu ihm.« – »Ma – ri – ano!« hauchte Amy.
Sie glitt an dem Vater nieder auf die Knie, schlang die Arme um seine Knie und brach in ein herzbrechendes, aber erlösendes Schluchzen aus. Da bog der Lord sich zu ihr herab, legte ihr die Hand auf das Haupt und sagte, während auch ihm die Tränen über die Wangen rollten:
»Mein Kind, mein liebes, liebes Kind! Das ist eine große Erschütterung. Gebe Gott, daß du sie zu überwinden vermagst!«
Geierschnabel schlich sich durch die halbgeöffnete Tür hinaus. Draußen spuckte er sein Priemchen über die ganze Breite des Decks hinweg in das Wasser der Stromes, zog aus der Tasche ein anderes Stückchen Kautabak, schob es langsam in den Mund und murmelte selbstgefällig:
»Das hat du gut gemacht, Alter! Ganz ausgezeichnet gut. Ich bin doch eigentlich ein kluger Kerl! Hätte ich die Nachricht mit einem Male gebracht, so wäre Miß Amy in alle möglichen Ohnmachten gefallen oder gar vor Ärger über diese große Freude gestorben. Diese Frauen sind aus ganz anderem Holz wie wir; aber, hole mich der Teufel, dennoch steht auch mir das Wasser in den Augen. Ei, ei, Geierschnabel, du bist trotz deiner riesigen Klugheit doch auch nichts weiter als eine alte Frau.«
Er schritt auf dem Deck hin und her und spuckte rechts und links in das Wasser hinab, als könne er auf diese Weise seiner Rührung den geeignetsten Ausweg verschaffen, dann schlich er sich wieder zur Kajüte, vor deren Tür er stehenblieb, um zu warten, bis man ihn rufen würde.
Drinnen ertönten halblaute Stimmen wie im Gebet; dann aber hörte er Amy fragen:
»Wo aber ist Geierschnabel?« – »Hier bin ich, Mylady«, sagte er, schnell eintretend. – »Wir müssen noch einige Fragen an Sie tun. Haben Sie über die genannten Personen weiter nichts erfahren, als was Sie uns mitteilten?«
Er schob das Priemchen von einer Seite auf die andere, fuhr sich kratzend mit der Hand in die Haare und antwortete:
»Oh, Mylady, ich kann keine Ohnmacht sehen. Ich falle sonst gar selbst mit um!« – »Ah, Sie wollten mich schonen?« – »Ja, das wird vielleicht das richtige sein, kalkuliere ich.« – »Sie wissen also mehr?« – »Möglich!«
Da faßte sie ihn bei der rauhen Hand und bat im dringendsten Ton:
»Sprechen Sie, sprechen Sie! Jetzt können Sie alles, alles sagen, denn ich bin nun vorbereitet, alles zu hören.« – »Auch von diesem Mariano?« fragte er mit schalkhaftem Lächeln. – »Auch von ihm«, antwortete sie errötend. »Aber warum sprechen Sie da gleich diesen Namen aus?« – »Weil Señor Mariano das reine Pulver war, als ich sagte, daß ich ein Bote von Sir Henry Lindsay sei.« – »Was sagte er?« – »Hm, als er erfuhr, daß Miß Amy sich bei ihrem Vater befinde, da wollte er mit mir in mein Kanu, um mit nach El Refugio zu gehen.« – »Warum brachten Sie ihn nicht mit?« – »Weil mein Kanu nur für einen Mann gebaut ist, und weil die anderen ihm abredeten. So werden Sie ihn erst bei Juarez sehen, aber er hat mir so viele Grüße aufgetragen, daß ich glaube, ich habe unterwegs einige Millionen davon verloren. Es bleiben aber noch so viele übrig, daß man die ganze Erde damit tapezieren könnte.« – »War er gesund? Wie sah er aus? Wie war er gekleidet?« – »Er war gesund; er sah aus wie der Erbe eines gräflichen Hauses und war ganz so gekleidet, wie es hier in Mexiko Sitte ist.« – »Haben die genannten Personen sich auch mit an dem Kampf beteiligt?« fragte der Lord. – »Ja. Ich glaube, ohne ihre Hilfe wäre es gar nicht gelungen, der Franzosen Meister zu werden. Das weiß Juarez auch anzuerkennen.« – »Gott!« sagte Amy ängstlich. »Sie gehen mit nach Chihuahua. Sie werden jedenfalls dort auch zu kämpfen haben und in Coahuila abermals.« – »Tragen Sie keine Sorge um diese Leute, Mylady. Sie scheinen sich freiwillig unter das Kommando Sternaus begeben zu haben, und der ist ein Kerl, der sehr genau weiß, was er tut. Er wird sich und die Seinen keiner unnötigen Gefahr aussetzen, davon bin ich überzeugt.« – »Aber wo haben denn nur die Verschwundenen während dieser langen Zeit gesteckt?« – »Es ist am besten, ich erzähle Ihnen gleich alles, was ich darüber erfahren habe. Aber, Mylord, meine Gurgel ist wieder so hart und spröde, daß…« – »Hier steht ja die Flasche«, fiel Sir Lindsay ein. »Schenken Sie sich nur ein!«
Geierschnabel tat, wie ihm geheißen war, nippte leise und begann dann seinen Bericht.
Es ist unnötig zu sagen, daß die beiden Zuhörer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf jedes seiner Worte lauschten. Alle ihre Sinne waren sozusagen jetzt im Gehör vereint. Als der Jäger geendet hatte, fügte er hinzu:
»So, das ist alles, was ich weiß. Das Ausführliche werden Sie von den Herren selbst erfahren, wenn wir den Sabina erreicht haben.« – »Also Señorita Emma und Karja kommen auch mit nach Coahuila?« fragte Amy. – »Jedenfalls.« – »Und nach dem Sabinafluß?« – »Das glaube ich nicht. Aber man reitet in einem Tag hin. Sie können also die Damen sehr leicht zu sehen bekommen.« – »Ich habe Sie noch viel, viel zu fragen…« – »Oh, Mylady, ich weiß nichts mehr!« versicherte er.– »Nein, Sie wissen noch vieles. Man muß nur danach fragen.« – »Sie können mich aufschneiden, so weiß ich nichts mehr!« – »O doch! Ihr Männer denkt nur nicht gleich an alles. Es gibt so viele Nebenumstände, die Ihr für überflüssig haltet, die aber für uns Damen von großer Wichtigkeit sind. Ihr besinnt Euch nicht darauf; wenn man Euch aber daran erinnert, so erhält man dennoch eine Antwort.« – »Es gibt gewiß und wahrhaftig nichts weiteres, worauf ich mich besinnen könnte«, beteuerte er. »Sie können mir das glauben, kalkuliere ich.« – »Nun, so will ich es Ihnen beweisen. Was für Augen hat jene Señorita Resedilla, von der Sie erzählten?« – »Blaue.« – »Und die beiden jungen Mexikanerinnen Pepi und Zilli?« – »Schwarz, sehr schwarz.« – »Wo hatte jener kleine André, den Sie einen Deutschen nannten, seine Heimat?« – »In Rheinbayern. Und ein Bruder von ihm ist ein Jäger bei einem alten Hauptmann und Oberförster in Mainz.« – »Vielleicht in Rheinswalden?« fragte sie schnell. – »Ja, so heißt das Ding.« – »Der Hauptmann heißt Rodenstein?« – »Ich glaube fast, daß dies der richtige Name ist.« – »Welch ein Umstand! Man sieht so recht deutlich, daß Gott der Herr die Fäden in seiner allmächtigen Hand hält. Sie aber bemerken, daß es doch noch vieles gibt, was Sie mir mitteilen können.« – »Hm, es scheint so. Wer denkt auch daran, bei einer Erzählung zu sagen, von welcher Farbe die Augen eines Menschen sind!« – »Nach solchen Dingen eben werde ich mich erkundigen; sie haben für mich einen hohen Wert. Könnten wir doch aufbrechen! Ist es nicht möglich?« – »Mylord fragte bereits. Es ist nicht schwer.« – »Aber Sie werden ermüdet sein?« – »Pah, ein guter Jäger kennt keine Müdigkeit. Wenn Sie aufbrechen wollen, Mylord, so stehe ich zur Verfügung. Sind Ihre Leute beisammen?« – »Alle. Auch die Kessel sind geheizt, wie Sie wohl bemerkt haben.« – »Sie verteilen die Frachtboote an die beiden Dampfer?« – »Natürlich.« – »So gibt es also zwei Züge. Das ist unangenehm, geht aber nicht anders. Ich werde als Pilot auf dem vordersten Dampfer sein. Und Sie?« – »Auf demselben Dampfboot.« – »Und Mylady?« – »Ihre Kajüte befindet sich auf dem anderen Dampfer.« – »Das gefällt mir nicht. Könnte nicht Mylady auf unserem Dampfer sein?« – »Warum? Es würde das die Bequemlichkeit stören.« – »Aber Myladys Sicherheit erhöhen.« – »Sie trauen also nicht?« – »Ich bin glücklich auf und ab gekommen; aber in diesem Land und bei diesen Zeiten darf man nicht unvorsichtig sein. Wir werden daher niemals, wie man es sonst tut, des Abends am Ufer vor Anker gehen, sondern stets in der Mitte des Stromes bleiben. Sind Ihre Leute gut bewaffnet?« – »Ja, alle. Übrigens habe ich Geschütze auf den Booten stehen. Wir haben also gar nichts zu befürchten, Master Geierschnabel.« – »Das sollte man denken, doch wollen wir trotzdem nichts versäumen. Treffen Sie die Vorbereitungen zur Abfahrt, ich werde nach den übrigen sehen.«
Der Jäger begab sich von Boot zu Boot und traf unter den für die Fahrt angeworbenen Leuten mehrere Bekannte. Auch die anderen machten den Eindruck auf ihn, daß man sich auf sie verlassen könne. Er erteilte dem Steuermann des zweiten Dampfbootes den Befehl, sich möglichst dicht hinter dem ersten Train zu halten, und kehrte dann zu dem Lord zurück.
Nun wurden die Schlepptaue ausgegeben und die Kähne aneinandergehängt. Die Bootspfeife gab das Zeichen, die Anker zu heben, und bald setzten sich die beiden Züge, einer hinter dem anderen, stromaufwärts in Bewegung.
Es war zwar dunkel, aber einige Sterne leuchteten, und der eigentümliche Glanz des Wassers bot Anhalt genug, sich zu orientieren.
Vorn am Bug stand Geierschnabel, um fleißig auszuschauen, und neben ihm hatte Amy Platz genommen. Sie fragte ihn nach hundert und aber hundert Kleinigkeiten, und jetzt sah der Jäger ein, daß es noch außerordentlich viel zu berichten gab, was er gar nicht für der Rede wert gehalten hatte.
24. Kapitel
Wenn man vom Rio Grande de City, welche Stadt am linken Ufer des Flusses liegt, stromaufwärts fährt, so trifft man am rechten Ufer bald auf den Ort Mier. Von da an aber legt der Strom eine Strecke von wohl fünfzehn deutschen Meilen zurück, ehe man nach Revilla und Bellevilla gelangt, wo der Sabinafluß in den Rio Grande fällt.
Auf dieser langen Strecke sieht man fast nur Wald an beiden Ufern stehen. Dieser Wald ist mit dichtem Buschwerk eingesäumt, aber in nur geringer Entfernung vom Fluß hört dasselbe auf, und der Hochwald erhebt seine riesigen Stämme wie gigantische Säulen gen Himmel.
Unter diesem Säulendach ist das Fortkommen selbst zu Pferde leicht, während das Ufergestrüpp die Schnelligkeit außerordentlich beeinträchtigt.
Im tiefen Schatten dieses Waldes ritt eine ansehnliche Reiterschar parallel mit dem Flußufer stromaufwärts. Sie waren alle sehr gut bewaffnet, aber ihre Pferde schienen ungewöhnlich angegriffen zu sein.
Zwei ritten an der Spitze. Der eine von ihnen war Pablo Cortejo, der lächerliche Prätendent der Präsidentschaft von Mexiko. Seine Züge waren düster, er schien sich in sehr schlechter Stimmung zu befinden. Auch jedem einzelnen seiner Leute sah man es an, daß sie die üble Laune ihres Anführers teilten. Dieser führte mit seinem Nachbar eine halblaute Unterhaltung, bei der sich mancher Fluch hören ließ.
»Verdammter Einfall, zwei Dampfer vorzuhängen!« sagte Cortejo. – »Das möchte noch sein, Señor«, meinte der andere. »Noch verdammter aber ist der Einfall, niemals an das Ufer zu legen. Wir hatten auf eine nächtliche Überrumpelung gerechnet. Damit aber ist es nichts!« – »Der Teufel hole diesen Engländer! Reiten wir von San Juano mit ihm um die Wette, treiben unsere Pferde fast in den Tod, und alles ohne Erfolg.«– »Wir können ihn nur durch List fangen, Señor.« – »Dein Vorschlag taugt auch nichts. Der Engländer legt doch nicht an.« – »Das soll er auch nicht. Er soll nur selbst an das Ufer kommen.« – »Er wird es nicht tun.« – »Das laßt nur meine Sorge sein, Señor.« – »Also du wolltest das wirklich wagen?« – »Ja; aber natürlich gegen die versprochene Belohnung.« – »Die sollst du haben. Wann kommen wir an den Ort?« – »In einer halben Stunde. Er ist ganz geeignet zu unserem Vorhaben. Ich bin einmal vorübergekommen und habe eine Nacht dort kampiert.« – »Deine Ansicht scheint mit nicht ganz unrichtig zu sein. Fangen wir den Engländer, so ist das andere auch unser. Aber ihn nur erst haben.« – »Wir bekommen ihn, Señor, ich bin überzeugt davon.«
Der Mann hatte die Zeit richtig bestimmt. Nach Verlauf einer halben Stunde erreichten sie eine Stelle, wo der Fluß eine sehr scharfe Krümmung machte. Die dadurch entstandene, in das Wasser hineinragende Halbinsel bestand, wie man sich denken kann, aus felsigem Boden und war nur mit einem niedrigen Pflanzenwuchs besetzt. Diese Stelle bot einen freien Ausblick über die ganze Breite des Flusses, konnte aber auch von diesem aus deutlich überblickt werden. Erst etwa fünfzig Schritt von dem Ufer begann der Wald. Was innerhalb desselben vorging, konnte man vom Fluß aus nicht sehen.
Hier im Wald machte die Truppe halt.
Unterdessen war Lord Lindsay in die Nähe dieser Stelle gelangt, ohne zu ahnen, daß auf dem rechten Ufer ihm eine so bedeutende Schar von Männern folge, die im Sinn hatten, ihm seine Ladung fortzunehmen.
Die Sonne stand ziemlich tief, als der vorderste Dampfer die Krümmung erreichte. Der Lord stand mit Geierschnabel neben dem Steuermann.
»Wie weit haben wir noch bis zur Mündung des Sabina?« fragte der erstere den Jäger. – »Wir werden sie morgen mittag erreichen und dann in den Sabina einbiegen. Wir fahren da allerdings einen Winkel. Wer den Weg kennt und ein gutes Pferd besitzt, kann den Ort, wo wir erwartet werden, in der kürzesten Zeit erreichen. Aber, sehen Sie, Mylord. Steht dort links an der kahlen, offenen Bank nicht ein Mann?« – »Allerdings«, antwortete der Gefragte. »Jetzt setzt er sich nieder.« – »O nein«, meinte der Steuermann. »Der war nicht niedergesetzt, sondern niedergesunken. Der Mann scheint verletzt zu sein.« – »Jetzt erhebt er sich wieder, aber nur höchst mühsam«, versetzte Geierschnabel. »Er winkt. Es scheint, wir sollen ihn mitnehmen.« – »Tun wir das«, bat Amy, die herbeigetreten war. »Wollen wir nicht ein Boot aussetzen, Papa?« – »Ich denke allerdings, daß wir dies tun sollten«, antwortete der Lord. »Wir dürfen einen Unglücklichen, der hilflos in der Wildnis liegt, den Beistand nicht verweigern.« – »Hören wir erst. Er ruft«, sagte Geierschnabel.
Sie sahen, daß der Mann die Hände an den Mund legte.
»Juarez!«
Nur dies eine Wort rief er herüber, und es schien die beabsichtigte Wirkung hervorzubringen.
»Ein Bote des Präsidenten«, sagte der Lord. »Wir müssen ihn aufnehmen. Ich selbst werde mit an das Ufer gehen, um mit ihm zu sprechen.« – »Das werden Sie nicht tun, Mylord. Wir befinden uns hier im Urwald, und Sie dürfen sich nicht exponieren. Es genügt, ein Boot auszusetzen und den Mann zu holen. Und das werden wir jetzt sogleich tun.«
Der Steuermann gab den Befehl, und bald ruderten zwei Männer dem Ufer zu. Man sah von dem kleinen Dampfer aus, der unterdessen beigelegt hatte, was der zweite ebenso tat, daß die beiden Ruderer an das Ufer stiegen, das Boot befestigten und sich zu dem Mann begaben, der liegenblieb. Sie sprachen mit ihm, kehrten dann ohne ihn in das Boot zurück und kamen wieder herbeigerudert. Während der eine im Boot blieb, kam der andere an Bord gestiegen.
»Nun, warum bringt ihr ihn nicht mit?« fragte der Lord. – »Er ist vom Pferd gestürzt, hat sich dabei schwer verletzt. Er leidet fürchterliche Schmerzen, wenn man ihn anfaßt; darum bat er uns, ihn liegenzulassen; er sei tödlich verletzt und werde sowieso sterben müssen. Sein Pferd ist im Wald mit ihm durchgegangen und hat ihn an einen Baum geschleudert. Als er wieder zu sich gekommen war, hat er sich bis an das Ufer geschleppt.« – »Der arme Mann. Man muß ihn dennoch holen«, sagte Amy. – »Warum aber winkte er uns, wenn er unsere Hilfe von sich weist?« fragte Geierschnabel. – »Er ist ein Bote von Juarez. Er hat den Auftrag erhalten, sich am Fluß aufzustellen und Lord Lindsay zu erwarten, um ihm eine höchst wichtige Nachricht mitzuteilen«, antwortete der Mann. – »Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Juarez weiß, wo er uns zu erwarten hat. Sendet er uns wirklich einen Boten entgegen, so kann es nur sein, weil er das Rendezvous verändert hat oder Grund findet, uns vor irgendeiner Gefahr zu warnen. Übrigens, warum richtete der Mann da drüben seine Botschaft nicht an dich aus?« – »Er verlangt, Sir Lindsay selbst zu sprechen, weil die Botschaft zu wichtig sei, als daß er sie einem anderen sagen könne.« – »Das kommt mir verdächtig vor. Hast du sein Pferd gesehen?« – »Nein. Es war ja mit ihm durchgegangen.« – »Gab es keine Fußtapfen in der Nähe?« – »Man konnte nichts sehen. Der Boden ist felsig.« – »Den nahen Waldrand hast du nicht beobachtet?« – »Doch; aber es war nichts Verdächtiges zu bemerken.« – »Ich werde wohl hinüberfahren müssen«, meinte der Lord. – »Papa, bleibe da!« bat Amy. »Ich ahne, daß du dich dabei in Gefahr befindest.« – »Ich muß aber doch wissen, was Juarez mir sagen läßt.« – »Der Bote wird es auch einem anderen mitteilen.« – »Nein, das tut er nicht«, bemerkte der Bootsmann. »Er hat mir ausdrücklich aufgetragen, daß er es keinem anderen sagen darf.« – »So muß man noch einmal versuchen, ob er nicht mit herüberkommt.« – »Er kommt nicht. Er behauptet, im Sterben zu liegen. Jede Bewegung und jede Berührung verursachten ihm so ungeheure Schmerzen, daß ein Transport herüber ganz unmöglich ist.« – »Nun, so fahre ich hinüber«, erklärte der Lord. »Ich nehme eine bewaffnete Begleitung mit, so daß ich vollständig sicher bin.«
Geierschnabel spuckte höchst ungeduldig aus.
»Wissen Sie, Mylord, wie viele Leute dort hinter den Bäumen versteckt sein können?« fragte er. – »So gehe ich gar nicht an das Land. Ich kann ja vom Boot aus mit dem Mann sprechen.« – »Aber man kann Sie vom Wald aus mit einer Kugel töten.« – »Um Gottes willen, Papa, bleibe da!« bat Amy.
Da stieß Geierschnabel ein kurzes, lustiges Lachen aus, hustete einige Male, spuckte in den Fluß hinab und sagte:
»Ah, Mylord, da kommt mir ein allerliebster Gedanke. Ich selbst werde gehen.« – »Aber er wird Ihnen nichts sagen, da er mich verlangt.« – »Pah! Ich gebe mich für Sir Henry Lindsay aus.«
Der Lord machte ein verwundertes Gesicht und erwiderte lachend:
»Sie scherzen, Geierschnabel.« – »O nein. Es ist mein völliger Ernst. Der Kerl wird Sie doch nicht kennen?« – »Ich glaube nicht. Aber es wird ein Wagnis für Sie sein.« – »Ein Wagnis? O nein, es ist im Gegenteil ein Spaß, ein Gaudium für mich. Ich kalkuliere, daß ich den Lord nicht übel spielen werde.«
Er zog dabei eine äußerst spaßhafte Miene. Amy sah seine lange Nase, seine sehnige, ausgetrocknete Gestalt, seine bloße, behaarte Brust, seine zerrissene, weit um ihn herum schlotternde Kleidung und sagte heiter:
»Ja, ich glaube auch, daß Sie ein außerordentlicher Lord sein würden.« – »Nun, an der nötigen Gravität sollte es nicht fehlen«, antwortete der Jäger. »Wir sind von ganz gleicher Länge, Mylord. Haben Sie nicht vielleicht einen Anzug, wie man ihn in London oder New York trägt, bei sich?« – »Oh, mehrere.« – »Zylinderhut, Handschuhe, Krawatte und Augenglas, vielleicht auch einen Regenschirm?« – »Das versteht sich.« – »Nun, wollen Sie mir diese Kleinigkeiten nicht gütigst einmal borgen?«
Diese Frage rief eine schnelle und heitere Verhandlung hervor, deren Resultat war, daß Geierschnabel als Lord Lindsay an das Land gehen sollte.
Er begab sich mit dem Engländer nach dessen Kajüte und erschien in kurzer Zeit auf dem Verdeck, mit den erwähnten Kleidungsstücken angetan.
Amy machte Miene, in ein lautes Lachen auszubrechen, er aber gab ihr einen schnellen Wink und sagte in warnendem Ton:
»Still, Mylady! Das Lachen einer Dame dringt sehr weit. Man könnte es drüben am Ufer hören.« – »Aber man kann da doch nicht ernsthaft bleiben«, sagte sie, indem es ihr nur mit Mühe gelang, ihre Heiterkeit zu unterdrücken.
»Haben Sie keine Sorge! Die da drüben sollen sicherlich nicht über mich lachen.« – »Aber Sie sind unbewaffnet«, warnte Lindsay. – »Ich werde mein Messer und zwei Revolver zu mir stecken; das genügt.«
Er begab sich mit langen, wichtigen Schritten nach der Stelle, die er für sich reserviert hatte, und steckte die genannten Waffen in die Taschen.
Er bildete allerdings hier im Urwald eine höchst seltsame Figur. Ein Anzug von grauem Tuch, Gamaschen, Lackschuhe, grauer Zylinderhut, gelbe Handschuhe, Regenschirm und ein Zwicker auf der langen, ungeheuren Habichtsnase gaben ihm ein Aussehen, das selbst in einer großen, belebten Stadt, um wieviel mehr aber hier, im höchsten Grade auffallen mußte.
Als er wieder zurückgekehrt war, meinte er:
»Es sind jetzt zwei Fälle möglich. Entweder der Kerl da drüben ist wirklich ein Bote von Juarez, oder die ganze Geschichte ist eine Falle, die über Ihnen zuklappen sollte.« – »Ich hoffe das erstere«, meinte der Lord. – »Und ich vermute das zweite«, behauptete der Jäger. »Haben Sie recht, so bin ich bald wieder hier. Bestätigt sich aber meine Ahnung, so weiß ich allerdings noch nicht genau, wie das alles enden wird.« – »Was hätten wir in diesem Fall zu tun, Master Geierschnabel?« – »Sie hätten hier vor Anker liegenzubleiben, bis ich wiederkomme.« – »Und wenn Sie nicht wiederkommen?« – »So warten Sie bis übermorgen früh und dampfen vorsichtig weiter. Sie werden Juarez auf alle Fälle finden. Aber ich bitte Sie, strenge Wache zu halten. Nimmt man mich da drüben fest, so hat man die Absicht, sich Ihrer Ladung zu bemächtigen; man wird Sie also während der Nacht zu überfallen versuchen.« – »Wir werden nicht schlafen, sondern wachen.« – »Laden Sie Ihre Geschütze mit Kartätschen, und zwar sofort, aber so, daß man es drüben nicht bemerkt. Die Geschütze sind übrigens mit Wachsleinwand zugedeckt. Man wird also gar nicht merken, was vorgeht.« – »Aber Sie? Ich befürchte sehr Schlimmes für Sie!« – »Haben Sie ja keine Sorge. Mich hält man nicht fest. Selbst wenn man mich gefangennehmen will, werde ich entkommen. Ich eile dann zu Juarez.« – »Aber wie wollen Sie zu diesem gelangen?«
Der Gefragte schoß einen Strahl von Tabaksbrühe über Bord und antwortete:
»Zu Pferde natürlich.« – »Aber Sie haben ja kein Pferd.« – »Ich nicht, aber die da drüben. Übrigens kenne ich die Ecke, die zwischen hier und dem Sabinafluß liegt, sehr genau. Es ist jetzt noch ziemlich licht. Ehe es Nacht wird, erreiche ich die Prärie und bin, wenn das Pferd nur leidlich ist, mit Tagesanbruch bei Juarez. Derselbe wird dann jedenfalls sofort aufbrechen, um diese Kerle beim Schopf zu nehmen.« – »Aber wie soll ich wissen, ob man Sie feindlich behandelt oder ob Sie entkommen sind?« – »Die feindliche Behandlung werden Sie mit den Augen sehen, das Entkommen aber mit den Ohren hören. Sitze ich einmal auf dem Pferd, so werde ich ganz sicher nicht eingeholt. Ist Ihnen der Schrei des mexikanischen Geiers bekannt?« – »Ja, sehr gut.« – »Nun, wenn ich einen solchen Schrei ausstoße, so bin ich frei; beim zweiten sitze ich zu Pferde, und beim dritten bin ich in der festen Überzeugung, daß ich entkommen werde. Hören Sie dann aus der Ferne noch einen vierten Schrei, so ist dies ein Zeichen, daß ich mich zu Juarez unterwegs befinde.« – »Wir werden scharf aufpassen, Master.« – »Gut. Also kann das Abenteuer beginnen.«
Geierschnabel griff in die Tasche seiner funkelnagelneuen Stoffhosen, zog eine riesige Rolle Kautabak hervor und biß sich ein gehöriges Stück herunter.
»Aber, Sir, ein Lord kaut gewöhnlich nicht«, lachte Amy. – »Pah! Ein Lord kaut auch«, antwortete er. »Warum sollte sich gerade ein Lord den feinsten Lebensgenuß versagen? Alle Lords kauen, aber sie lassen es vielleicht den Damen gegenüber nicht merken.«
Mit diesen Worten nahm er den Regenschirm unter den Arm und sprang in das Boot, dann gab er den beiden Männern, die noch wartend im Boot saßen, das Zeichen, die Ruder einzulegen.
25. Kapitel
Das kleine Fahrzeug glitt schnell durch die Flut und erreichte in kurzer Zeit das Ufer.
Der scheinbar verunglückte Mexikaner hatte diesen Augenblick mit größter Ungeduld erwartet. Seine Augen funkelten mordlustig, und er murmelte:
»Ah, endlich. Aber diese Engländer sind doch verflucht alberne Kerle. Sogar hier im Urwald können sie ihre Mucken nicht lassen; der Spleen bringt sie noch alle um den Verstand. Teufel! Hat der Kerl eine lange Nase!«
Geierschnabel stieg an das Ufer und kam, während seine beiden Ruderer im Boot zurückblieben, langsam auf den an der Erde Liegenden zugeschritten. Er hatte den Bootsleuten befohlen, sofort zu fliehen, wenn sich etwas Feindseliges zeigen sollte. Er verzichtete also in diesem Fall von vornherein darauf, sich in das Boot und mit demselben zu retten.
Der Kranke tat, als ob er sich nur mit Mühe auf den Ellbogen erheben könne.
»O Señor, welche Schmerzen habe ich zu leiden!« stöhnte er.
Geierschnabel ließ den Klemmer bis vor auf die Nasenspitze rutschen, betrachtete sich den Mann mit einem sehr schiefen Blick, stieß ihn mit dem Ende seines Regenschirms leise an und sagte in schnarrendem Ton:
»Schmerzen? Where? Tut weh?« – »Natürlich!« – »Ah! Miserabel! Sehr miserabel! Wie heißt?« – »Ich?« – »Yes.« – »Frederico.« – »Was bist?« – »Vaquero.« – »Bote von Juarez?« – »Ja.« – »Welche Botschaft?«
Der Mexikaner zog ein Gesicht und stöhnte, als ob er die fürchterlichsten Qualen zu ertragen habe. Dies gab Geierschnabel Zeit, die Umgebung zu mustern.
Es gab keine auffälligen Spuren in der Nähe, und auch am Rand des Waldes war nichts Verdächtiges zu bemerken. Endlich antwortete der Mann:
»Sind Sie denn auch Lord Lindsay?« – »Ich bin Lindsay. Was hast du zu sagen?« – »Juarez ist bereits unterwegs. Er läßt Sie bitten, an dieser Stelle anzulegen und ihn hier zu erwarten.« – »Ah! Wonderful! Wo ist er?« – »Er kommt den Fluß herab.« – »Wo aufgebrochen?« – »In El Paso del Norte vor zwei Wochen. In kürzerer Zeit kann die Fahrt nicht gemacht werden.« – »Schön! Gut! Werde aber doch weiterfahren. Kommt Juarez auf dem Fluß herab, werde ich ihn treffen. Gute Nacht.«
Er drehte sich gravitätisch um und tat, als wolle er sich wieder an das Ufer zurückbegeben. Da aber schnellte der Mann plötzlich empor und umschlang ihn von hinten.
»Bleiben Sie, Mylord, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« rief er.
Geierschnabel hätte wohl Kraft und Gewandtheit genug besessen, sich dieses Menschen zu erwehren; aber er zog ein anderes Verhalten vor. Er blieb ganz steif stehen, als ob der Schreck ihn gelähmt hätte, und rief:
»Zounds! Zum Henker, was ist das?« – »Sie sind mein Gefangener!« antwortete der Mann.
Da sperrte der Engländer den Mund eine Weile auf und fragte:
»Ah! Täuschung! Nicht krank?« – »Nein«, lachte der Mexikaner. – »Nicht mit dem Pferd gestürzt?« – »Nein.« – »Spitzbube! Warum?« – »Um Sie zu fangen, Mylord!«
Er warf dabei einen höchst verächtlichen Blick auf den Engländer, der so verblüfft und feig war, gar nicht an Gegenwehr zu denken.
»Warum fangen?« fragte Geierschnabel. – »Ihrer schönen Ladung wegen, die sich dort in den Booten befindet.« – »Meine Leute werden mich befreien!« – »Oh, glauben Sie das nicht. Dort sehen Sie, daß Ihre beiden Ruderer bereits die Flucht ergreifen. Und da, blicken Sie sich um.«
Die Bootsleute hatten sich, wie ihnen ja geheißen worden war, sofort zurückgezogen, als sie bemerkten, daß Geierschnabel sich freiwillig überrumpeln ließ. Und als dieser sich jetzt umdrehte, sah er eine Schar Reiter aus dem Wald hervorbrechen. In zwei Sekunden war er von ihnen umzingelt.
Er machte ein höchst erstauntes Gesicht und nestelte in größer Verlegenheit an seinem Regenschirm herum. Die Reiter sprangen alle von den Pferden. Cortejo näherte sich dem Gefangenen, machte aber, als er demselben gegenüberstand, ein höchst enttäuschtes Gesicht.
»Wer sind Sie?« fragte er den Engländer barsch. – »Oh, wer sind Sie?« fragte dieser in einer sehr steifen Haltung. – »Ich frage, wer Sie sind!« gebot Cortejo streng. – »Und ich, wer Sie sind!« antwortete Geierschnabel. »Ich bin ein Englishman, hochfeine Bildung, exquisite Familie, antworte erst nach Ihnen.« – »Nun gut! Mein Name ist Cortejo.«
Der Engländer machte ein höchst verwundertes Gesicht was aber bei ihm keine Verstellung war, und fragte:
»Cortejo? Ah, Pablo?« – »So heiße ich«, sagte der Gefragte in stolzem Ton. – »Thunderstorm! Das ist einzig!«
Auch dieser Ausruf kam aus einem sehr aufrichtigen Herzen. Er war auf das höchste überrascht, Cortejo hier zu sehen, und freute sich zu gleicher Zeit darüber. Denn er sagte sich, welche Genugtuung Juarez empfinden werde, diesen Mann in seine Hände zu bekommen.
»Einzig, nicht wahr?« lachte Cortejo. »Das habt Ihr nicht erwartet. Aber nun sagt mir auch, wer Ihr seid, Señor.« – »Ich heiße Lindsay«, antwortete der Gefragte. – »Lindsay? Ah, das ist eine Lüge!« – »Wer wagt das zu sagen?« – »Ich; ich kenne Lord Lindsay sehr gut. Ihr seid es nicht!«
Geierschnabel erschrak, doch faßte er sich schnell. Einen Mann wie ihn konnte so etwas nicht aus der Fassung bringen. Er spitzte den Mund, spritzte einen langen, dünnen Strahl von Tabakssaft hart an der Nase Cortejos vorbei und antwortete kaltblütig:
»Nein, das bin ich nicht.«
Cortejo war mit dem Kopf zurückgefahren. Er sagte in zornigem Ton:
»Nehmt Euch in acht, wenn Ihr ausspuckt, Señor.« – »Tue es auch. Treffe nur, wen ich will«, antwortete der andere ruhig. – »Nun, so hoffe ich, daß nicht ich es bin, den Ihr treffen wollt.« – »Kann ich dennoch machen.« – »Das will ich mir sehr verbitten. Also Ihr seid Lord Henry Lindsay nicht?« – »Nein.« – »Aber warum gab Ihr Euch für Lindsay aus?« – »Weil ich es bin.«
Geierschnabel brachte mit seiner Ruhe Cortejo doch einigermaßen aus der Fassung. Er rief:
»Zum Teufel, wie habe ich das zu verstehen? Ihr seid es nicht und seid es doch?«
Geierschnabel fragte, ohne eine Miene zu verziehen:
»Einmal in Altengland gewesen?« – »Nein.« – »Ah, dann kein Wunder, daß nicht wissen. Lord nur ältester Sohn, spätere Söhne nicht Lord.« – »So sind Sie der spätere Sohn eines Lindsay?« – »Yes.« – »Wie ist Ihr Vorname?« – »Sir David Lindsay.« – »Hm; ist es so? Aber Sie sehen Ihrem Bruder ganz und gar nicht ähnlich.«
Geierschnabel spuckte hart am Gesicht des Sprechers vorüber und antwortete:
»Nonsens, Unsinn!« – »Wollen Sie dies leugnen?« – »Yes!« nickte er. – »Sie leugnen, Ihrem Bruder nicht ähnlich zu sehen?« – »Leugne dies allerdings sehr.« – »Inwiefern? Warum?« – »Pah! Haben unrecht. Nicht ich bin Bruder unähnlich, sondern er sieht nicht aus wie ich.«
Cortejo fand zunächst zu dieser Art von Auffassung gar keine Antwort. Er wäre am allerliebsten mit einer Grobheit herausgeplatzt, aber die Sicherheit und Furchtlosigkeit des Engländers imponierten ihm. Er sagte daher nach einer kurzen Pause:
»Aber ich erwarte doch Ihren Bruder.« – »Lord Henry?« – »Ja.« – »Warum ihn erwarten?« – »Ich erfuhr, daß er es sei, der die Ladung begleiten werde.« – »Irrung; ich bin es!« – »Miß Amy sollte bei ihm sein.« – »War bei ihm.« – »Wer ist die Dame, die man von hier aus auf dem Verdeck sieht?« – »Eben Miß Amy.« – »Aber wo ist ihr Vater?« – »Bereits bei Juarez.« – »Ah! Also ist er bereits voran! Wo befindet sich Juarez?« – »Weiß nur, daß er in El Paso del Norte ist.« – »Und wie weit soll Ihre Ladung gehen?« – »Bis Fort Guadeloupe.«
Da ging ein höhnisches, siegesgewisses Lächeln über das Gesicht Cortejos.
»So weit wird sie allerdings wohl nicht kommen.« – »Wie weit sonst?« – »Sie werden sie nur bis hierher bringen. Sie werden hier landen und mir alles übergeben.«
Der Engländer warf einen Blick im Kreis herum. Dieser Blick schien außerordentlich gleichgültig, fast geistesabwesend zu sein, und dennoch besaß er eine verborgene Schärfe, mit der der Jäger sämtliche Pferde musterte. In diesem Augenblick wußte er bereits, welches Tieres er sich bemächtigen werde.
»Ihnen übergeben?« fragte er dann. »Warum Ihnen?« – »Weil ich alles sehr notwendig brauche, was Sie bei sich führen.« – »Ah, sehr notwendig? Kann aber leider nichts verkaufen. Gar nichts.« – »Oh, Señor, um das Verkaufen handelt es sich gar nicht. Ich werde vielmehr die ganze Ladung mitsamt den Dampfern und Booten geschenkt erhalten.« – »Geschenkt? Ich verschenke nichts.« – »O doch, denn ich werde Sie dazu zwingen!« – »Zwingen?« fragte der Engländer mit der gleichgültigsten Miene.
Dabei zuckte er die Achseln, spitzte den Mund und spritzte einen gewaltigen Strahl von Tabaksbrühe so kunstgerecht aus, daß dieser Saft den oberen Teil von Cortejos Hut traf und dann von der breiten Krempe desselben herabtropfte.
»Donnerwetter!« rief der Getroffene. »Was fällt Ihnen ein! Wißt Ihr, was das für eine Beleidigung ist?« – »Gehen Sie weg!« sagte Geierschnabel ruhig. »Bin Englishman. Gentleman kann spucken, wohin will. Wer nicht will sein getroffen, kann ausweichen.« – »Ah! Diese Mode werden wir Ihnen abgewöhnen! Sie haben jetzt zu erklären, daß Sie die Ladung mir übergeben wollen!« – »Tue es nicht.« – »Ich zwinge Sie! Sie sind mein Gefangener!« – »Pschtsichchchchchch!« fuhr Cortejo ein neuer Strahl gerade an der Nase vorüber. Geierschnabel aber nestelte abermals an seinem Regenschirm herum und sagte:
»Gefangen? Weiß gar nichts davon!« – »So sage ich es Ihnen hiermit.« – »Ah! Interessant! Sehr interessant! Habe längst einmal gefangen sein wollen!« – »Nun, dann ist Ihr Wunsch ja in Erfüllung gegangen. Sie haben jetzt Ihren Leuten zu befehlen, daß sie nicht weiterfahren.« – »Gut! Werde es tun!«
Der Jäger sagte dies in einem Ton, als sei er ganz und gar mit dem Mexikaner einverstanden. Er nahm den Regenschirm unter den Arm, legte die beiden Hände an den Mund und rief so laut, daß man es sehr deutlich auf dem Dampfer verstehen konnte, über das Wasser hinüber:
»Hier halten bleiben! Pablo Cortejo ist es!«
Der Genannte faßte ihn am Arm und riß ihn zurück.
»Alle Teufel! Was fällt Ihnen ein! Wozu brauchen diese Leute denn zu wissen, wer ich bin?« – »Warum haben Sie es mir denn gesagt?« fragte der Engländer höchst gleichmütig. – »Doch nicht, damit Sie es weiterbrüllen. Übrigens meinte ich nicht bloß, daß die Boote hier halten sollen. Ich meine vielmehr, sie sollen hier anlegen, um ausgeladen zu werden.«
Der Engländer schüttelte langsam den Kopf und erwiderte im treuherzigsten Ton:
»Das werden sie nicht tun; ich verbiete es ihnen.« – »Das werden wir Ihnen zu wehren wissen! Wie viele Leute haben Sie bei sich?« – »Weiß nicht!« – »Das werden Sie doch wissen.« – »Vergesse zuweilen etwas. Fällt mir später wieder ein.« – »Nun, wir werden es ja leicht erfahren. Jetzt befehlen Sie, daß die Dampfer anlegen.« – »Fällt mir nicht ein!«
Da legte Cortejo Geierschnabel die Hand auf die Schulter und sagte in drohendem Ton:
»Señor Lindsay, die Boote müssen am Ufer liegen, noch bevor es dunkel wird. Wenn Sie den betreffenden Befehl nicht sofort erteilen, werde ich Sie zu zwingen wissen!« – »Zwingen? Ah! Womit?«
Geierschnabel hatte den Regenschirm noch immer unter dem Arm und steckte jetzt die beiden Hände gleichmütig in die Hosentaschen. Es sah aus, als ob er ganz und gar keinen Begriff von der Gefährlichkeit seiner Lage habe, so unbefangen war seine Miene.
»Mit Hieben!« antwortete Cortejo. – »Hiebe? Was heißt das?« – »Ich lasse Ihnen fünfzig Hiebe aufzählen!« – »Fünfzig? Nur?« – »Señor, Sie sind verrückt!« – »Well! Sie aber auch!« – »Wenn Ihnen fünfzig zu wenig sind, so lasse ich Sie, um Ihnen einen Gefallen zu tun, so lange prügeln, bis Sie den betreffenden Befehl geben.«
Geierschnabel zog beide Achseln empor und machte ein ganz unbeschreiblich verächtliches Gesicht.
»Prügeln? Mich, einen Englishman?« fragte er. – »Ja. Sie mögen tausendmal ein Englishman und zehnmal der Sohn und Bruder eines Lords sein, ich werde Sie dennoch peitschen lassen, wenn Sie nicht sofort gehorchen!« – »Versuchen Sie es!« – »Absteigen!« kommandierte der Mexikaner.
Er sah nicht, was für ein Blick jetzt aus dem Auge des vermeintlichen Engländers zu einer prachtvollen Rotschimmelstute hinüberglitt, deren Reiter eben aus dem Sattel stieg. Er sah auch nicht, daß der Engländer die Hände schon halb aus den Taschen zog und in jeder einen Revolver hatte. Er drohte demselben vielmehr:
»Sie werden jetzt vor meinen Augen geschlagen werden wie ein gewöhnlicher Wasserträger, wenn Sie nicht sofort gehorchen.« – »Dies ist Ihr Ernst?« fragte Geierschnabel. – »Natürlich!« – »Ah! Sie drohen wirklich einem Englishman?« – »Wie Sie sehen.« – »Und wollen mich wirklich vor Ihren Augen schlagen lassen?« – »Ja, vor meinen Augen.« – »Nun, wir wollen sehen, ob Ihre Augen das wirklich erleben werden.«
Nach diesen letzten Worten folgte eine Szene, die sich gar nicht beschreiben läßt.
Geierschnabel hatte im Nu den Regenschirm zwischen die Zähne genommen. Es fiel diesem kühnen Mann nicht ein, selbst bei der Gefahr, der er sich preisgab, den Schirm zu opfern. Im nächsten Augenblick hatte er seine beiden Revolver gezogen und stieß die Läufe derselben mit aller Gewalt in die Augen Cortejos. Gleich darauf erfolgten in rasender Aufeinanderfolge seine Schüsse, und ein jeder derselben warf einen Mann zu Boden.
Cortejo lag an der Erde und konnte nicht sehen. Er stampfte mit Händen und Füßen um sich herum und brüllte wie ein Jaguar. Seine Leute waren eine Minute lang ganz fassungslos. Einen so plötzlichen Angriff hatte man diesem spleenbehafteten Engländer unmöglich zutrauen können. Aber diese an und für sich so kurze Zeit genügte für diesen vollständig.
Als er den letzten Schuß seiner Revolver abgegeben hatte, stieß er den lautschrillenden Schrei des Geiers aus. Im nächsten Moment bereits ertönte der zweite Schrei, denn Geierschnabel saß auf dem Rotschimmel. Er drückte demselben die Fersen in die Weichen, und die Stute flog dem Wald entgegen. Am Rand desselben drehte er sich noch einmal um, und als er bemerkte, daß die Mexikaner noch immer ganz starr am Platz hielten, ahmte er zum dritten Mal den Ruf des Raubvogels nach. Dann war er zwischen den säulenartigen Baumstämmen verschwunden.
Erst jetzt rafften sich die Mexikaner auf.
»Ihm nach! Ihm nach!« brüllten sie.
26. Kapitel
Während die meisten Mexikaner wieder auf ihre Pferde sprangen, blieben einige bei Cortejo zurück, um ihm den nötigen Beistand zu leisten.
»Meine Augen, meine Augen!« brüllte er.
Er sah allerdings schrecklich aus. Beide Augenhöhlen waren blutig gestoßen.
»Zum Wasser, zum Wasser!« brüllte er. »Kühlung! Kühlung!«
Die Leute erfaßten ihn und zogen ihn zum Fluß, um den Verletzten mit dem Wasser desselben Linderung der furchtbaren Schmerzen zu verschaffen.
Später stellte sich die Wirkung des kalten Wassers ein. Das Wimmern ließ nach, und nachdem die Augen mit einem nassen Tuch verbunden waren, fühlte sich Cortejo imstande, hier und da ein Wort in das Gespräch zu mischen, das seine Untergebenen in seiner Nähe führten.
Die Verfolger Geierschnabels waren nämlich sehr bald wieder zurückgekehrt. Sie sagten, daß sie nicht vermocht hätten, die Spur des Entflohenen aufzufinden. Die Wahrheit jedoch war, daß ihnen die Boote mit ihrem reichen Inhalt mehr am Herzen lagen als der verrückte Engländer, der doch außer seinen beiden Revolvern nichts bei sich getragen hatte, was sie für ihre Mühe hätte entschädigen können.
Nur den Besitzer der Rotschimmelstute ärgerte es, daß er um sein Pferd gekommen war. Doch war Ersatz vorhanden. Geierschnabel hatte mit seinen zwölf blitzschnell abgeschossenen Revolverkugeln sechs Männer getötet, fünf schwer und einen leicht verwundet. Die Pferde dieser sechs waren jetzt zu haben, und der Mann suchte das beste davon für sich aus.
Mit den sechs toten Mexikanern wurde wenig Federlesens gemacht. Man warf sie ganz einfach in den Strom. Aber die Verwundeten waren im höchsten Grade hinderlich. Es fragte sich, was mit ihnen anzufangen sei.
»Ich wüßte wohl einen Ort, wo sie Unterkunft finden könnten«, sagte der Führer. – »Wo?« fragte Cortejo, dessen Schmerzen sich gelindert hatten. – »Zunächst muß man berechnen, daß sie hier auf diesem Ufer nicht sicher sein würden. Drüben aber habe ich einen alten Bekannten, der etwa drei englische Meilen von hier am linken Ufer eine Blockhütte hat. Dort sind sie sicher und können ihre Heilung abwarten.« – »Ah, könnte ich mit?« rief Cortejo. – »Wer verbietet Ihnen das?« – »Kann ich denn hier fort?« – »Warum nicht? Sie können hier nichts sehen und auch nichts nützen.« – »Vielleicht bessert sich das eine Auge diese Nacht.« – »Möglich. Aber dennoch ist es besser, Sie pflegen sich, Señor. Lassen Sie Ihre Befehle hier. Wir werden sie genau befolgen.« – »Nein. Ich bleibe.«
Der Führer zog sich nach diesem Versuch zurück. Der Abend war hereingebrochen, und man brannte ein Feuer an. Er saß an demselben, in tiefes Nachdenken versunken. Später erhob er sich und winkte einigen seiner Kameraden, die die hervorragendsten zu sein schienen, ihm zu folgen, was diese sofort taten.
»Was willst du?« fragte ihn einer. – »Ich habe da einen außerordentlich guten Gedanken«, sagte er. »Davon braucht aber dieser Cortejo nichts zu wissen.« – »Aber wir sollen ihn erfahren?« – »Ja, ihr.« – »So rede.« – »Sagt mir zunächst, was ihr von diesem Cortejo in Wahrheit haltet.«
Sie schwiegen, unentschlossen, ob sie die Wahrheit sagen sollten. Endlich antwortete einer:
»Sage zunächst, was du von ihm hältst.« – »Nun, ich denke, daß er ein Schafskopf ist.« – »Ah! Das hast du dir ja gar nicht merken lassen.« – »Dann wäre ich ein großer Esel gewesen.« – »Wenn du es jetzt eingestehst, ist es keine Eselei mehr?« – »Nein. Habt ihr denn jemals geglaubt, daß dieser Cortejo wirklich Präsident werden könne?« – »O nein.« – »Also. Dazu ist er ja viel zu dumm. Der Panther des Südens hat sich mit ihm verbunden, um ihn auszunützen. Können wir es nicht ebenso machen?« —»Wie meinst du das?« – »Ich meine, können wir die Boote da drüben nicht für uns nehmen?« – »Ohne Cortejo?« – »Ohne ihn!« – »Alle Teufel, das wäre allerdings ein außerordentlicher Fang.« – »Nun. Was sagt ihr zu diesem meinen Gedanken?« – »Prachtvoll!« – »Ja, prachtvoll!« wiederholten die anderen. – »Und leicht auszuführen«, meinte der Führer. – »Mir scheint es nicht so. Was wird Cortejo dazu sagen?« – »Kein Wort, denn wir werden ihn gar nicht fragen.« – »Aber er wird es merken.« – »Er wird es auch nicht merken. Wenn ich nur wüßte, ob ihr die Kerle seid, mit denen man aufrichtig reden darf.« – »Das sind wir. Rede nur getrost.« – »Nun gut. Glaubt ihr wohl, daß ein Hahn danach krähen würde, wenn Cortejo plötzlich verschwände?« – »Ja, seine Anhänger.« – »Das sind ja eben wir.« – »Seine Tochter.« – »Was geht uns die Tochter an! Er ist blind und weiß nicht, was mit ihm geschieht. Ein rascher, sicherer Stoß, und die Sache ist abgemacht.« – »Ein Mord? Brr!« – »Unsinn! Es ist schon mancher gestorben. Denkt einmal, was sich alles auf den Booten befindet.« – »Man sagt, einige tausend Gewehre. Die kosten sehr viel Geld.« – »Man redet sogar von Kanonen.« – »Das ist nichts. Ich weiß sogar von Cortejo selbst, daß sich auch Hilfsgelder aus England dort befinden. Es sind viele Millionen.« – »Donnerwetter!« – »Ja. Wollen wir dieses Geld Cortejo lassen, damit er es mit seiner wahnsinnigen Idee, Präsident zu werden, zum Fenster hinauswirft?« – »Weißt du das gewiß von dem Geld?« – »Ganz gewiß. Die Spione des Panthers haben es auskundschaftet.« – »Dann wären wir fürchterliche Toren, ihm das Geld zu lassen.« – »Wir nehmen es für uns. Seid ihr einverstanden?« – »Ja«, antworteten die anderen. – »Cortejo muß auf die Seite. Wenn es Millionen zu teilen gibt, dann gibt es keine großen Bedenken. Die Hauptsache ist, daß wir im stillen vorarbeiten. Wir mischen uns unter die Kerle und horchen sie aus, ehe wir mit unseren Absichten herausrücken.« – »Aber Cortejo war unser Anführer, er hat nie geknausert und sehr oft die Augen zugedrückt. Hat er uns nicht erst kürzlich die Hacienda del Erina plündern lassen? Ich möchte doch nicht, daß er getötet würde. Wir könnten uns ja auf andere Weise seiner entledigen. Wir bauen zum Beispiel ein kleines Floß und setzen ihn darauf. Er kann den Strom hinabschwimmen, bis man ihn findet.« – »Das wäre allerdings ein Ausweg. Ich denke, daß dieser Vorschlag nicht schlecht ist. Was meint ihr anderen dazu?«
Die Gefragten waren einverstanden. Nach einer nur sehr kurzen Beratung wurde beschlossen, Cortejo auf einem Floß auszusetzen. Einer fügte hinzu:
»Was tun wir mit den Verwundeten? Teilen sie mit, so wird unser Anteil kleiner. Ich dächte, sie wären auch überflüssig.« – »Das ist wahr.« – »Wollen wir sie nicht zu Cortejo auf das Floß tun?« – »Nein«, sagte ein anderer, der doch nicht ganz gewissenlos war. »Sie sind unsere Kameraden. Vielleicht sterben sie noch diese Nacht. Laßt sie liegen, wir wollen es erst abwarten. Es genügt, Cortejo los zu sein, denn dadurch werden wir an seiner Stelle Eigentümer der Beute. Ohne einen Anführer aber geht es nicht. Es ist notwendig, einen zu wählen, und ich denke, wir besprechen uns jetzt gleich darüber und nehmen einen von uns.«
Auch dieser Gedanke wurde für gut befunden, und nach einigem Hinundherreden sah sich der, der als Lockmittel auf dem Felsen gelegen hatte, zum Anführer der Truppe gewählt.
Jetzt bildeten sich einzelne Gruppen, in denen eine leise Unterhaltung geführt wurde. Die Gruppen näherten sich nach und nach einander und flossen schließlich wieder zu einem Ganzen zusammen. Die Unterhaltung war jetzt so leise und heimlich geworden, daß es Cortejo endlich auffällig wurde.
»Was gibt es? Warum flüstert Ihr?« fragte er argwöhnisch. – »Wir fragen uns, was werden soll«, antwortete der Anführer. – »Was soll werden! Die Dampfer liegen doch noch da?« – »Ja.« – »Sie werden die Rückkehr des Engländers erwarten. Wir nehmen sie vorher weg.« – »Aber wie? Wenn wir nur Boote hätten! Meint Ihr, daß wir uns Flöße bauen?«
Cortejo sann ein wenig nach und sagte dann:
»Das ist nicht vorteilhaft. Flöße sind schlecht zu lenken. Oh, könnte ich sehen, dann wären diese Dampfer und Boote in einer Stunde unser.« – »Wohl schwerlich, Señor! Wir haben keine Boote und sollen auch keine Flöße bauen!« – »Ganz richtig! Aber wer hindert uns denn, hinüberzuschwimmen?« – »Das ist wahr. Aber nicht alle können schwimmen.« – »Ist das notwendig? Wächst hier nicht Holz und Schilf genug. Wenn sich jeder ein tüchtiges Bündel macht, auf das er sich mit dem Oberkörper legen kann, so möchte ich den sehen, der nicht hinüberkäme.« – »Aber das Pulver wird naß.« – »Nein, denn die Büchsen bleiben zurück. Wenn jeder seine Machete mitnimmt, so genügt es. Kommen wir einzeln angeschwommen, so werden wir nicht bemerkt. Wir haben die Dampfer und Boote bestiegen, ehe die Bemannung eine Ahnung hat, und stoßen sie nieder. Dann wird die Ladung an das Land bugsiert. Oh, wenn ich sehen und dabeisein könnte!« – »Dabeisein könnt Ihr ja, Señor! Wir richten für Euch ein größeres Floß her und nehmen Euch mit.« – »Ich kann es doch nicht lenken.« – »Das ist nicht nötig. Ihr nehmt Euch zwei oder drei Mann mit.« – »Das ginge. Die Schmerzen haben so ziemlich nachgelassen. Ich hoffe zwar, morgen auf dem einen Auge wieder sehen zu können, aber wenn wir mit dem Angriff bis dahin warten wollen, kann uns der Fang auch sehr leicht entgehen.« – »Darum stimmen wir Euch bei, so bald wie möglich anzugreifen.« – »Gut«, sagte Cortejo. »Seht Ihr noch Lichter auf dem Schiff?« – »Kein einziges.« – »Sie schlafen. Sie denken, die Gefahr ist vorüber. Es sind ganz dumme Menschen. Ihr müßt Euch im voraus teilen, daß jeder weiß, welchen Dampfer oder welches Boot er zu besteigen hat. Auch müssen wir das Feuer auslöschen, sonst werden wir von dem Schein desselben verraten. Geht und haut Euch Schilf und Zweige ab, und mir baut Ihr ein Floß.« – »Wohin wollt Ihr gerudert sein, Señor?« – »Nach dem vordersten Dampfer. Dort wird die Señorita, die sich auf demselben befindet, sofort gefesselt. Die Ladung bleibt natürlich bis morgen unberührt.« – »Warum, Señor?« – »Ich muß sehen können.« Die Leute warfen sich vielsagende Blicke zu und gingen an ihre Arbeit.
Es war jedenfalls von Cortejo eine Dummheit, sich in seinem Zustand nach dem Dampfer flößen zu lassen. Aber er traute seinen Leuten nicht und glaubte, den Inhalt der Boote sicherer zu haben, wenn er persönlich dabei sei, obgleich er sich an dem Kampf auch nicht beteiligen konnte.
27. Kapitel
Als das Boot, mit welchem Geierschnabel vom Dampfer stieß, an das Ufer gerudert wurde, war die ganze Besatzung in größter Spannung, was geschehen werde.
Sie beobachteten den ganzen Vorgang mit atemloser Spannung, bis plötzlich ein Schuß erscholl und gleich darauf eine ganze Reihenfolge von Schüssen.
»O Gott, sie schießen ihn nieder!« jammerte Amy. – »O nein«, antwortete der Steuermann. »Zwar habe ich kein Fernrohr, aber ich glaube im Gegenteil, daß er sie niederschießt.«
Der erste Schrei des Geiers erscholl und gleich darauf der zweite.
»Gott sei Dank, er befreit sich!« rief Amy ganz entzückt. – »Siehst du ihn dort auf dem Pferd?« fragte der Lord, die Hand ausstreckend. – »Ja. Er galoppiert gerade nach dem Wald.«
Der dritte Geierschrei erscholl und gleich darauf der vierte. Der Reiter war verschwunden.
»Er ist gerettet!« jubelte Amy. – »Er reitet zu Juarez!« fügte ihr Vater hinzu. »Dem Himmel sei Dank. Mir war sehr bange um ihn. Aber noch ist er nicht gerettet. Sieh, man verfolgt ihn.«
Die Mexikaner verschwanden im Wald.
»Oh, er wird sich nicht einholen lassen; er hat uns dies versichert«, meinte Amy. »Doch, wen bringt man dort an das Ufer, Papa?«
Der Lord richtete sein Fernrohr dorthin und antwortete nach einer Weile:
»Das ist ja Cortejo.« – »Was ist mit ihm?« – »Er muß im Gesicht verwundet sein. Man wäscht ihn. Mehr kann ich jetzt nicht erkennen.«
Die Männer in den Booten hörten das Brüllen und Wimmern Cortejos, das nach und nach leiser wurde und endlich ganz aufhörte.
»Die Verwundung muß sehr schmerzhaft sein«, sagte Amy. – »Recht so. Er hat es verdient«, antwortete der Lord. »Ich gäbe sehr viel darum, wenn der Mann in meine Hände fiele!« – »Juarez kommt und wird ihn fangen, Papa.« – »Ich hoffe es. Leider ist es jetzt dunkel. Wer weiß, was geschieht. Vielleicht verlassen sie den Platz, weil ihre Kriegslist verunglückt ist.«
Die Annahme erwies sich als unbegründet, denn bald sah man die zahlreichen Verfolger zurückkehren. Sie lagerten sich, und als der Abend hereinbrach, wurde drüben sogar ein Feuer angebrannt, dessen Schein in goldenen Strahlen auf das Wasser fiel.
»Sie bleiben, Papa«, sagte Amy. »Ist das schlimm für uns?« – »Schlimm nicht, obgleich ich vermute, daß sie uns einen Besuch machen werden.« – »Aber ihre List ist ja nicht gelungen!« – »Eben deshalb. Sie wollten mich in ihre Hand bekommen und mit meiner Person auch die Ladung. Sie haben sich geirrt und werden infolgedessen, um ihr Ziel zu erreichen, einen Angriff wagen müssen.« – »Da stehen wir doch in großer Gefahr.« – »Wir werden wachsam sein, mein Kind. Wir werden hören, wenn sie kommen, und ich lasse die Geschütze vorher richten, daß sie die ganze Oberfläche des Wassers bestreichen. Jedenfalls bauen sie sich ein Floß.«
Von jetzt an verging über eine halbe Stunde, da erlosch plötzlich das Feuer am Ufer. Die goldenen Lichtstrahlen verschwanden, und es herrschte nun die tiefste Finsternis auf der Flut.
»Nun wird es wohl beginnen«, flüsterte Amy. – »Höchstwahrscheinlich. Gehe in die Kajüte, mein Kind.«
Amy ging schweigend, kehrte aber nach einigen Augenblicken wieder zurück.
»Willst du nicht dortbleiben?« fragte ihr Vater. – »Nein. Ich habe mir einen Revolver geholt, Pa.«
Pa ist die englische Abkürzung für Papa.
»Um Gottes willen, du willst dich doch nicht etwa mit am Kampf beteiligen?« – »Ja, wenn es sein muß«, entgegnete sie mit fester Stimme. – »Nun, so will ich wünschen, daß die Geschützsalven genügen, den Angriff abzuschlagen und daß es nicht zum Handgemenge kommt.«
Da rief auch schon der Steuermann, der fortgesetzt die Wasserfläche betrachtete:
»Sie scheinen zu kommen!« – »Soll ich Licht geben?« – »Ja, es ist Zeit.«
Einige Augenblicke später zischten einige Raketen empor. Man konnte die ganze Oberfläche des Stromes deutlich überblicken. Der Steuermann hatte ganz richtig gesehen. Vom Ufer an bis zur Hälfte des Weges sah man Kopf an Kopf die Mexikaner herbeischwimmen.
»Feuer!« rief Lindsay mit lauter Stimme.
Ein lautes Gekrach war die Antwort; ein prasselndes Plätschern folgte. Die Boote schaukelten auf und nieder. Schrei auf Schrei, Ruf auf Ruf erscholl auf dem Strom, dann ward es wieder still und dunkel.
»Mehr Raketen«, bat der Steuermann.
Eine neue Feuergarbe stieg empor, und da sah man nun, daß die Schüsse nicht vergebens gewesen waren. Viel Feinde zwar schienen nicht getötet worden zu sein, doch konnte man deutlich bemerken, daß sie alle dem Ufer wieder zustrebten. Eine Art von Floß wurde stromab getrieben, und der darauf lag, schien tot zu sein. Hätte Lindsay geahnt, daß dieser Mann Cortejo war, so hätte er sicherlich ein Boot ausgesandt, um sich seiner zu bemächtigen.
»Sie fliehen dem Ufer zu, wir haben gewonnen«, jubelte Amy. – »Für dieses Mal, ja«, antwortete der Lord. »Es steht aber zu erwarten, daß sie einen zweiten Angriff unternehmen.« – »Wollen wir demselben nicht ausweichen?« fragte der Steuermann. – »Auf welche Weise?« – »Wir dampfen ganz einfach eine Strecke aufwärts.« – »Aber wir sollen Juarez hier erwarten.« – »Er wird uns auch finden. Er kann vor morgen nachmittag nicht hier sein, und da befinden wir uns längst wieder hier.« – »Sie glauben nicht, daß uns die Mexikaner folgen werden?« – »Bei diesem Dunkel, durch den Wald und das Ufergestrüpp? Das ist unmöglich. Sie werden sich die Köpfe einrennen.« – »Aber laufen wir nicht auch Gefahr?« – »Nein. Wir haben zwar eine gefährliche Krümmung vor uns, aber wir werden sehr langsam fahren.« – »So will ich Ihnen den Willen tun.«
Der Steuermann gab seine Befehle, die mit halblauter Stimme von Boot zu Boot weitergegeben wurden, und bald setzte sich der Zug in langsame Bewegung.
Drüben am Ufer standen die Mexikaner in tiefer Dunkelheit. Der Anführer ließ zunächst das Feuer wieder anschüren, so daß ein jeder seine abgelegten Oberkleider und Schießwaffen wiederfinden konnte.
Nun stellte sich auch heraus, welchen Schaden die Kartätschen angerichtet hatten. Es fehlten gegen dreißig Mann.
»Der Teufel hole diese Halunken«, knirschte der Mann. »Wie kamen sie dazu, die Raketen steigen zu lassen, gerade als wir unterwegs waren?« – »Sie haben uns gehört«, antwortete einer. – »Unmöglich, das muß eine andere Bewandtnis haben.« – »Ich kann mir denken, welche«, meinte ein anderer. »Sie sind dadurch aufmerksam geworden, daß wir unsere Feuer ausgelöscht haben. Sie haben sich denken können, weshalb wir dies taten.« – »Richtig! So ist es. Wir müssen den Angriff wiederholen, lassen aber die Feuer dieses Mal brennen.« – »Da sehen sie uns kommen.« – »Nein. Wir gehen eine Strecke stromaufwärts, schwimmen so weit wie möglich hinüber und lassen uns dann abwärts treiben, daß wir von der anderen Seite, wo sie uns gar nicht vermuten, an sie kommen.« – »Das wäre wohl praktisch, wird aber zu nichts führen. Da schaut nur hinüber.«
Aller Augen richteten sich nach dem Fluß. Aus den Essen der beiden Dampfer flogen Funken empor; dann hörte man das Rauschen der Räder.
»Donnerwetter, sie dampfen fort«, rief der Anführer. – »Ja, sie entgehen uns.« – »Nun können wir ihnen morgen abermals nachsetzen.« – »Und unsere Verwundeten mitschleppen.« – »Das ist unmöglich, das hält uns auf.« – »Ja, was soll sonst geschehen?« – »Werft sie ins Wasser. Was nützen uns diese Kerle, die doch sterben müssen!«
Dieser Vorschlag wurde angenommen, und trotz allen Bittens und Flehens wurden die Schwerverwundeten in den Strom geworfen, der ihre Körper mit sich fortnahm. Ihr Rufen und Wimmern hörte man noch einige Zeit.
Die Dampfessen warfen jetzt lange Funkenschweife, da die Maschinen mit Holz geheizt wurden. Die Mexikaner sahen diese Garben hinter der Krümmung des Flusses verschwinden.
»Was nun tun?« fragte einer.
Der Führer blickte finster zu Boden und antwortete:
»Es bleibt uns nur eins zu tun, ihnen den Weg abzuschneiden.« – »Geht dies?« – »Ja. Der Fluß macht hier eine große Biegung nach dem Sabina hin. Wenn wir diese Ecke abschneiden, kommen wir ihnen zuvor.« – »Wann brechen wir auf?« – »Heute natürlich nicht, erst mit Tagesanbruch. Jetzt wird geschlafen.«
Diese Leute hatten einen grausamen Mord an ihren eigenen verwundeten Kameraden begangen, aber dennoch schliefen sie ruhig, ohne auch nur eine Wache auszustellen, so sicher fühlten sie sich.
28. Kapitel
In ziemlicher Entfernung von ihnen, an dem Zusammenfluß des Sabina, kam um dieselbe Zeit Juarez mit den Seinen an. Trotz der Dunkelheit wurde das Ufer des Flusses abpatrouilliert, aber es fand sich keine Spur von dem erwarteten Engländer. Darum wurde das Lager errichtet, nachdem man vorher die Pferde versorgt hatte.
In diesem Lager sah es ganz anders aus, als in demjenigen der Mexikaner. Hier sorgten regelmäßige Wachen für die Sicherheit des Ganzen.
Der Ritt war ein anstrengender gewesen; darum schlief man fest und tief bis zum Anbruch des Morgens, wo die Jäger sich rüsteten, in der Umgebung jagdbares Wild aufzusuchen.
Bärenherz und sein Bruder Bärenauge waren die ersten, die sich in den Sattel schwangen. Kaum aber hatten sie eine Erhöhung erreicht, von der aus man den Blick freier hatte, so rief Bärenherz:
»Uff! Wer ist das?« – »Es kommt jemand?« fragte Juarez. – »Ja, dort!«
Der Indianer streckte seinen Arm aus, um die Richtung anzudeuten.
Der Lagerplatz war hinter Büschen versteckt, durch deren Lücken man eine weite Prärie erblickte. Über die Ebene derselben kam ein Reiter im rasendsten Galopp dahergejagt. Er war bereits so nahe, daß man alle Einzelheiten an ihm genau erkennen konnte.
»Ein sonderbarer Mensch«, lachte Juarez. »Der Mann hat wahrhaftig einen Regenschirm aufgespannt. Zu welchem Zweck denn?« – »Der Kleidung nach scheint es ein Engländer zu sein«, bemerkte Sternau. – »Vielleicht ein Bote von Sir Lindsay.« – »Hm! Sollte der Lord auch Pferde an Bord haben? Übrigens reitet dieser Mann nicht wie ein Engländer, sondern wie ein Indianer.« – »Er richtet sich im Sattel auf. Er scheint zu suchen. Wollen wir uns ihm zeigen?« – »Ja.«
Sie traten zwischen den Büschen heraus, und der Reiter erblickte sie sofort. Erst schien er zu stutzen, dann lenkte er sein Pferd gerade auf sie zu.
Als er näher gekommen war, schwang er mit der Rechten den aufgespannten Regenschirm, mit der Linken den Zylinderhut und stieß einen lauten Ruf der Freude aus.
Einige Augenblicke später hielt er vor ihnen, sprang aus dem Sattel und versuchte, unter Assistenz des Hutes und Schirmes einige noble Verbeugungen zustande zu bringen, was ihm aber schauderhaft mißglückte.
Sie erblickten die große Nase; sie starrten auf den grauen Anzug; sie wußten sich das Ding nicht zu erklären, aber aus aller Munde erklang ein Name:
»Geierschnabel.« – »Ja, Geierschnabel. Habe die Ehre, Mesch‘urs und Señores«, sagte der Reiter unter einer abermaligen Verbeugung.
Dabei klappte er den Regenschirm zu, spießte ihn in die Erde, stülpte den Hut darüber und riß den Rock herunter, den er über den Hut legte.
»Verdammte Kledage!« fluchte er. »Einmal Engländer gespielt, aber niemals wieder, meine Herren.« – »Sie haben den Engländer gespielt?« fragte Juarez erstaunt. »Warum?« – »Um mich fangen zu lassen.« – »Ah! Ich verstehe Sie nicht. Sie wollten sich fangen lassen?«
Der Mann zog seine Rolle Kautabak hervor, biß ein Stück davon ab und antwortete:
»Ja. Und ich war auch gestern am Rio del Norte gefangen.« – »Von wem?« – »Von einem gewissen Pablo Cortejo.« – »Pablo Cortejo?« fragte Sternau. »Ich denke, der ist am San Juano?« – »O nein, Sir! Wenn Sie ihn sehen und fangen wollen, so sollen Sie ihn bereits kurz nach Mittag haben.« – »Erzählen Sie, erzählen Sie! Sie haben Sir Lindsay doch in El Refugio glücklich getroffen?« – »Das versteht sich, und wir sind sofort nach dem Sabina aufgebrochen.«
Geierschnabel erzählte nun weiter bis zu seinem gestrigen Abenteuer.
»Ich bin die ganze Nacht geritten, so scharf, daß ich sogar vergessen habe, ein Stück Virginia in den Mund zu nehmen«, fuhr er fort. – »Der Lord erwartet uns also an jener Flußkrümmung?« fragte Juarez. – »Ja, Señor.« – »Er kommt nicht nach hier?« – »Nein; denn ich sagte ihm, daß ich Sie holen werde.« – »Und was sagten Sie von Cortejo? Er sei blind?« – »Ich hoffe, daß er es ist. Ich habe ihm beide Revolver mit aller Gewalt in die Augen gestoßen. Er kann Ihnen gar nicht entgehen.« – »Werden seine Leute den Lord nicht angegriffen haben?« – »Jedenfalls. Doch bin ich überzeugt, daß er sich wie ein Mann verteidigt hat.« – »Und wenn seine Ladung doch in ihre Hände gefallen ist?« – »So holen wir sie uns wieder, Señor.« – »Brechen wir auf! Können Sie uns führen, oder sind Sie zu ermüdet?« – »Ermüdet?« fragte er, indem er einen Tabakstrahl an der Nase des Präsidenten vorüberspritzte. »Geben Sie mir nur ein anderes Pferd.«
Es wurde nun ein kurzer Kriegsrat gehalten, dessen Ergebnis war, daß ein Teil der Leute bei den Pferden zurückbleiben, die anderen sofort aufbrechen sollten, um dem Lord zu Hilfe zu kommen.
Eine Viertelstunde nach Ankunft Geierschnabels brauste die Truppe im schnellsten Galopp über die Ebene dahin, Sternau mit Geierschnabel als Führer an der Spitze. Dieser letztere hatte den Zylinder wieder auf und hielt den aufgespannten Regenschirm über dem Kopf.
»Machen Sie ihn doch zu«, sagte Sternau lachend. »Es reitet sich ja schwerer.« – »Ich habe ihn aber nun einmal.« – »Deshalb ist es aber doch nicht notwendig, ihn aufzuspannen.« – »Ein Schirm ist da zum Aufspannen, aber nicht zum Zumachen. Ich habe ihn, und da nehme ich ihn auch in Gebrauch, wie es sich gehört.«
Sie mochten wohl zwei Stunden unterwegs sein, als ein Reiter vor ihnen auftauchte, der ihre Richtung durchkreuzte. Ehe er sich‘s versah, war er umringt, doch schien ihm das weder Angst noch Sorge zu bereiten. Es war ein Mann von mittlerer Statur, über fünfzig Jahre alt und von der Sonne tiefgebräunt. Juarez fragte ihn:
»Kennt Ihr mich, Señor?« – »Ja.« – »Ah, das hätte ich nicht gedacht. Wer bin ich?« – »Sie sind Juarez, der Präsident.« – »Gut. Wer sind Sie?« – »Ich bin ein Jäger. Drüben von Texas. Ich hause am linken Ufer des Stromes.« – »Wie heißen Sie?« – »Grandeprise.« – »So sind Sie ein Franzose?« – »Nein, ein Yankee französischer Abkunft.« – »Wohin wollen Sie?« – »Nach Hause.« – »Woher kommen Sie?« – »Von Coahuila.« – »Sie haben mich dort gesehen?« – »Ja.«
Juarez betrachtete den Mann noch einmal mit scharfem Auge, dann fragte er:
»Ist Ihnen der Name Cortejo bekannt?« – »Ja.« – »Woher?« – »Ich habe ihn in Coahuila gehört.« – »Den Mann selbst kennen Sie wohl auch, oder nicht?« – »Nein.« – »Wann sind Sie von der Stadt aufgebrochen?« – »Gestern früh.« – »Ist Ihnen ein bedeutender Trupp Reiter begegnet?« – »Nein.« – »Oder kam Ihnen sonst etwas Verdächtiges vor?« – »Nein.« – »Kennt einer von uns diesen Mann?« – »Ja, ich kenne ihn«, antwortete Geierschnabel. »Ich bin einmal bei ihm über Nacht gewesen. Er wird sich meiner wohl noch erinnern.« – »Das genügt. Vorwärts!«
Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung und flog brausend von dannen. Der Jäger Grandeprise blickte ihnen finster nach.
»Der Teufel hole diese großen Herren!« brummte er. »Wäre dieser Geierschnabel nicht dabeigewesen, so hätte das Examen viel länger gedauert. Was gehen mich andere Leute an? Ich habe mit mir selbst zu tun!«
Damit ritt er, ein Saumpferd neben sich führend, in etwas abweichender Richtung der Gegend zu, wo er etwas weiter unten als Juarez auf den Rio Grande del Norte treffen mußte.
Jetzt hielten sich nicht Sternau und Geierschnabel allein an der Spitze, Mariano hatte sich zu ihnen gesellt. Er war fieberhaft erregt. Er ging ja einem Wiedersehen entgegen, das er jahrelang nicht für möglich gehalten hatte. Sein Pferd lief fast über alle Kräfte, und doch war ihm der Galopp desselben noch viel zu langsam. Sternau bemerkte dies und sagte:
»Der Gaul muß ja zusammenbrechen, Mariano. Laß ihm Luft!« – »Vorwärts!« war die einzige, ungeduldige Antwort Marianos. Die Pferde der beiden Männer waren ausgezeichnete Läufer.
So kam es, daß sie den anderen eine bedeutende Strecke vorauskamen.
Es mochte fast gegen Mittag sein. Sternau musterte zufälligerweise den Horizont, und dabei bemerkte sein Auge eine Bewegung an der äußersten Gesichtslinie. Er hielt sofort das Pferd an und zog sein Fernrohr hervor.
Auch die beiden Gefährten parierten ihre Pferde.
»Was gibt es?« fragte Mariano, ärgerlich über diese Zögerung. – »Es kommen Reiter, und zwar gerade auf uns zu«, antwortete Sternau. – »Vom Fluß her?« fragte Geierschnabel schnell. »Das könnte ja nur Cortejo mit seinen Leuten sein. Geben Sie mir einmal das Fernrohr.«
Er erhielt es und blickte hindurch. Die Reiter waren unterdessen näher gekommen, und das Glas war ein ausgezeichnetes.
»Ich lasse mich hängen, wenn das nicht Cortejos Leute sind«, meinte Geierschnabel. – »Sehen Sie das genau?« fragte Sternau. – »Nicht ganz, dazu sind sie noch zu weit entfernt.« – »So warten wir es ab!«
Da langte auch Juarez mit den anderen bei ihnen an.
»Was gibt es?« fragte er. – »Da vorn kommen Leute, die ich für Cortejos Reiter halte«, antwortete Geierschnabel. – »So kämen sie zurück?« – »Ja.« – »Haben Sie sie genau erkannt?« – »Ich vermute es einstweilen, doch werde ich mich wohl nicht irren, kalkuliere ich.« – »Was tun wir, Señor Sternau?« – »Wir gehen da links hinter das Buschwerk und bilden drei Abteilungen, eine vorn, eine in der Mitte und eine hinten. Die erste und dritte hat den Feind zu umflügeln, sobald Geierschnabel das Zeichen gibt. Vorwärts!«
Die ganze Truppe zog sich nun hinter die Büsche zurück und gehorchte der Einteilung, die Sternau getroffen hatte. Geierschnabel hielt neben diesem. Er rückte unruhig im Sattel hin und her und sagte:
»Señor, darf ich mir einen Spaß machen? Ich bin diesen Leuten gestern ausgerissen. Sie sollen das Vergnügen haben, mich wieder zu fangen.« – »Das ist zu gefährlich für Sie.« – »Pah! Bitte noch einmal Ihr Rohr.«
Er fixierte jetzt hinter den Zweigen hervor die Nahenden zum zweiten Male und sagte dann, indem er das Fernrohr zusammenschob:
»Sie sind es! Der, welcher voranreitet, ist der Kerl, der sich für einen Boten des Präsidenten ausgab. Señores, laßt mir meinen Spaß!«
Damit stieg Geierschnabel ab und zog sein Pferd vor den Busch hinaus. Er selbst setzte sich in das Gras, schob den Zylinderhut in das Genick und spannte den Regenschirm über sich aus. Das hatte ganz das Aussehen, als habe er schon sehr lange Zeit hier gesessen. Übrigens kehrte er den Nahenden den Rücken zu. Den Zwicker auf der Nase, schien er ganz in sich vertieft und von den Herankommenden gar keine Ahnung zu haben.
Sie hatten ihn bis jetzt noch nicht bemerkt. Nun aber waren sie in solche Nähe gekommen, daß er gesehen werden mußte. Der Anführer hielt ganz erstaunt sein Pferd an.
»Alle Teufel!« rief er. »Schaut, dort sitzt einer auf der Erde!«
Seine Begleiter folgten seinem ausgestreckten Arm und erblickten einen großen Regenschirm, über dessen oberen Rand der Deckel eines grauen Zylinderhutes sichtbar war.
»Bei allen Heiligen, das ist ja gar der Engländer! Jetzt haben wir gewonnen.«
Mit diesen Worten setzte der Anführer sein Pferd in Bewegung, und die anderen folgten. Bei Geierschnabel angekommen, hielten sie an.
»Holla, Señor, sind Sie es, oder ist es Ihr Geist?« wurde von allen Seiten gefragt.
Jetzt erst drehte Geierschnabel sich ruhig um, erhob sich langsam, klappte den Regenschirm zu, betrachtete die Leute durch die Brille und antwortete:
»Mein Geist!« – »Ah, nicht Ihr Körper?« – »No, nein.« – »Inwiefern?« – »Bin ja gestern erschossen oder totgeprügelt worden!« – »Reden Sie keine Albernheiten, Sir. Es ist Ihnen gestern geglückt, uns zu entkommen; heute glückt Ihnen das nicht zum zweiten Male.« – »Fällt mir auch gar nicht ein.« – »Wie meinen Sie das?« – »Will Ihnen gar nicht entkommen, werde Sie vielmehr festhalten.« – »Wo waren Sie in dieser Nacht?« – »Im Wald.« – »Sie haben doch ein anderes Pferd. Wie kommt das?« – »Ist kein anderes Pferd.« – »Gestern ritten Sie auf einem Rotschimmel davon, und dieser hier ist ein Fuchs.« – »Fuchs ist auch nur Geist von Rotschimmel!« – »Scherzen Sie nicht! Sie haben gestern zwölf unserer Leute getötet und verwundet. Sie werden das heute zu büßen haben. Wissen Sie, wo sich jetzt Ihre Dampfer und Boote befinden?« – »In Ihrem Besitz. Sie wollten ja alles nehmen.« – »Das gelang gestern leider noch nicht. Ihre Leute haben mit Kartätschen unter uns geschossen. Sie werden das zu bezahlen haben. Steigen Sie auf. Sie werden uns stromaufwärts folgen, wo wir Ihre Schiffe finden werden. Sie werden uns alles übergeben oder das Leben verlieren, verstehen Sie mich wohl!«
Geierschnabel spitzte den Mund und spritzte dem Sprecher den Tabakssaft auf den Hut.
»Wo ist Ihr Anführer?« fragte er. – »Der bin ich. Übrigens lassen Sie Ihr verdammtes Spucken, sonst lehre ich Sie begreifen, welcher Unterschied zwischen einem Spucknapf und dem Sombrero eines Caballero ist!«
Der vermeinte Engländer zuckte die Achseln.
»Caballero? Pah«, sagte er. »Ich wollte nach Cortejo fragen.« – »Ihre Leute haben ihn ermordet.« – »Donnerwetter! Womit?« – »Mit den Kartätschen. Er befand sich während der Salve mit auf dem Fluß und wurde erschossen oder ist ertrunken.« – »Schade, hätte ihn gern aufgehängt.« – »Diese Prozedur werden wir mit Ihnen vornehmen. Zunächst aber kommen Sie mit uns. Vorwärts, Sir, sonst helfe ich nach.« – »Nachhelfen, in welcher Weise?« – »In dieser!«
Der Anführer zog sein Pistol, hielt es Geierschnabel vor die Stirn und fuhr fort:
»Wenn Sie nicht sofort aufsteigen, jage ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf, darauf können Sie sich verlassen!« – »Kosten Sie selbst diese Kugel!« antwortete der Bedrohte.
Mit einem gedankenschnellen Griff entriß er dem Mann die Pistole, hielt ihm die Mündung entgegen und drückte ab. Der Mexikaner stürzte durch die Brust getroffen vom Pferd. Die anderen rissen ihre Waffen hervor, um den Tod des Anführers zu rächen, aber sie kamen nicht dazu. Mehr als hundert Büchsen krachten hinter den Büschen hervor, und ebensoviele Reiter brachen heraus. Die Überfallenen wurden umzingelt und niedergemacht, ehe sie imstande waren, einem Schaden zu tun.
»So«, sagte Geierschnabel. »Jetzt sind wir mit ihnen fertig.« – »Lebt keiner mehr?« fragte Juarez. – »Keiner«, erklärte Sternau nach einer raschen Untersuchung der Gefallenen. »Das ist schade. So kann uns keiner auf unsere Fragen Rede und Antwort stehen.« – »Das ist nicht notwendig«, erklärte Geierschnabel. »Ich weiß alles.« – »Nun, wo werden wir das Schiff finden?« – »Genau da, wo ich es verlassen habe.« – »Aber wo werden die Güter gelandet werden?« – »Am Sabinafluß, wie es vorher bestimmt gewesen ist.« – »Dann wäre es ja gar nicht notwendig, daß die ganze Truppe mitreitet.« – »Nein. Sie müssen den ganzen Weg wieder zurück.« – »Aber wenn wir einen neuen Kampf zu erwarten hätten!« – »Gewiß nicht.« – »Ich stimme Geierschnabel bei«, erklärte Sternau. »ich bin darüber erfreut, daß diese Affäre so glücklich abgelaufen ist, doch gefällt es mir nicht, daß Cortejo nicht in unseren Händen ist. Ein solches Ungeziefer pflegt nicht mit einem Male zu sterben. Es wäre mir lieb, seinen Körper zu finden.« – »Suchen wir!« meinte Juarez. – »Gut. Nehmen wir nur fünfzig Reiter mit. Die anderen mögen nach dem Lager zurückkehren. Bei diesen fünfzig bleiben Señor Juarez, Mariano und ich. Die anderen erwarten uns im Lager.«
So geschah es. Während die anderen mit der soeben gemachten Beute umkehrten, setzten die fünfzig den Weg fort, mit den drei Genannten an der Spitze, die vor Verlangen brannten, die Schiffe zu erreichen.
Es war nicht mehr weit dorthin. Geierschnabel, der den Führer machte, deutete durch die Bäume und sagte:
»Jetzt wird es vor uns licht. Da ist der Fluß!«
Sie hielten nun auf demselben Platz, auf dem gestern Geierschnabel als Engländer gefangengenommen worden war. Ringsum zeigten deutliche Spuren, daß die Leute Cortejos heute nacht hier kampiert hatten. Drüben auf der Mitte des Stromes aber lagen die Boote bereits wieder vor Anker.
Mariano sprengte, ohne zu halten, bis an den äußersten Rand des Ufers. Er sah auf dem Deck des vordersten Dampfers einen Herrn und eine Dame stehen, er ahnte, wer es sei, und sprang mit einem weiten Satz in das Wasser. Die Heißgeliebte vor sich, konnte er unmöglich warten, bis ein Kahn abgeschickt wurde.
29. Kapitel
Lindsay hatte mit Amy schon stundenlang auf dem Verdeck geweilt. Als die Fahrzeuge heute vormittag nach ihrem gestrigen Ankerplatz zurückkehrten, waren die Feinde bereits aufgebrochen. Dennoch war nicht zu trauen, man hütete sich sehr, an das Land zu gehen. Aber man hielt die Kähne bereit.
»Ob sie wirklich fort sind?« fragte Amy besorgt. – »Gewiß!« antwortete ihr Vater. – »Und ob Juarez kommen wird?« – »Sicher, wenn Geierschnabel ihn wirklich gefunden hat.« – »Denkst du, daß sie bei ihm sind?« fragte sie errötend. – »Du meinst Sternau und die anderen?« – »Ja, Papa.« – »Nach allem, was Geierschnabel erzählt hat, sind sie bei Juarez. Ich kann sagen, mein liebes Kind, daß ich mich auf dieses Wiedersehen freue, mehr als das Kind auf das Christfest. Und du, Amy?« – »Ach, Papa!«
Amy schlang die Arme um den Vater und verbarg das Köpfchen an seiner Brust Er ließ sie so an sich geschmiegt stehen. Plötzlich aber schob er sie von sich ab.
»Schau, Kind!« sagte er, nach dem Ufer deutend.
Man sah aus dem Wald Reiter kommen. Unter den Voranreitenden erkannte man sehr leicht einen, der grau gekleidet war, einen grauen Zylinderhut trag und einen aufgespannten Regenschirm in der Hand hielt.
»Das ist Geierschnabel«, sagte der Lord. – »Und wer die anderen, Pa?« fragte sie mit zitternder Stimme.
Lindsay setzte das Glas an die Augen.
»Ich sehe Juarez«, entgegnete er. – »Welcher ist es?« – »Der zur Rechten von uns.« – »Und die anderen?« – »Die lange, breite Gestalt – ah, dieser herrliche Bart, der bis auf den Hals des Pferdes niederfällt, das, ja, das kann nur Sternau sein.« – »Und – der – und der dritte?« – »Welcher sofort an das Wasser reitet?« – »Ja. Mein Gott, er sprengt hinein!«
Amy schlug die Hände zusammen und wurde totenbleich.
»Papa, er muß ertrinken! Der Fluß ist zu breit!« rief sie.
Das Wasser ging dem Reiter bis an die Hüften; vom Pferd war nur der Kopf zu sehen. Amy rang die Hände.
»Hilfe, Papa! Ich kann es nicht sehen!« – »Das Boot los und ihm entgegen!« befahl der Lord.
Einige Augenblicke später schoß das kleine Boot von dem großen hinweg dem kühnen Schwimmer entgegen. Es erreichte ihn in kürzester Zeit, und er schwang sich vom Sattel aus hinein. Das erleichterte Pferd drehte sich sofort, um nach dem Ufer zurückzukehren. Er aber streckte die Hände aus und rief:
»Amy, Amy, ich bin es!«
Sie sank auf die Planken, streckte ihm die Arme entgegen. »Mariano!« hörte er es rufen.
Ja, das war diese liebe, süße Stimme, deren Klang ihm, gleich, als er sie zum ersten Male gehört hatte, so tief zu Herzen gedrungen war.
»Ich komme! Ich komme!« antwortete er.
Das Boot schoß heran. Er flog auf das Deck; er wußte gar nicht, wie er hinaufgekommen war. Sie hatte sich erhoben. Es flimmerte ihr vor den Augen. Sie sah nichts; sie hörte nichts; sie fühlte nur zwei starke Arme, die sich um ihren Leib, und zwei Lippen, die sich auf ihren Mund legten.
Der Lord stand dabei mit Tränen in den Augen. Er gönnte diesen beiden das Glück nach so langem Leid; sie sollten das Wiedersehen allein und ungestört genießen, er sprang in das Boot und befahl leise, ihn an das Ufer zu bringen, wo er die anderen begrüßen wollte.
Die beiden Liebenden hielten sich aneinander gedrückt, als ob sie nimmer wieder voneinander lassen wollten. Ihre Lippen suchten und fanden sich unzählige Male, bis endlich Mariano sich erinnerte, daß er dem Vater der Geliebten gegenüber die Höflichkeit versäume. Er blickte auf.
»Wo ist Papa?« fragte er.
Jetzt erinnerte auch sie sich an die Gegenwart.
»Hier!« antwortete sie, sich nach der Stelle wendend, wo der Lord zuletzt gestanden hatte. »Wo ist er hin?« fragte sie, als sie ihn nicht mehr sah.
»Dort! Dort draußen fährt er!«
Sie blickte nach der angedeuteten Richtung und sah ihn im Boot sitzen.
»Der Gute!« sagte sie. »Er wollte uns das Wiedersehen …«
Sie hielt inne. Ihre Augen fielen jetzt zum ersten Male mit vollem Bewußtsein auf den Geliebten, und was sie da sah, machte sie verstummen.
War dies der Mariano, den sie früher gekannt hatte? Ja, er war noch derselbe, doch um wieviel anders! Wie stark, kräftig und männlich war er geworden! Welches Selbstbewußtsein glänzte aus seinem Auge, welch eine Hoheit thronte auf seiner Stirn! Sein früher noch jugendlich rosiges Gesicht hatte jetzt eine bleiche, feine Farbe und wurde von einem dichten, prächtigen Bart umrahmt Er war schön, sehr schön, so, wie sie noch gar keinen Mann gesehen hatte, wie sie nicht geglaubt, daß es ein Mann sein könne.
Und sie? Sie stand nicht mehr in der ersten Jugendblüte, aber sie war aus der lieblichen eine blendende Schönheit geworden, voll, üppig und doch so rein und frisch wie ein Rosenblatt im Morgenhauch. Das war eine völlig unberührte Weiblichkeit Er sah es; er sah ihr Auge liebstrahlend auf sich ruhen, sah ihren Busen wogen und ihre Lippen sich halb öffnen wie zum abermaligen Kuß, und da zog er sie wieder ans Herz.
»Amy, mein Leben, meine Seligkeit!« flüsterte er. – »Mariano, mein Einziger, mein Geliebter!« antwortete sie. – »Dieser Augenblick wiegt alles, alles auf!« – »O du Armer, was habe ich anhören müssen, was du erlitten und erduldet hast!«
Und dabei perlten ihr die heißen Tränen über die Wangen.
»Und du, Gute, Treue, Geduldige! Wie wirst du gewartet haben, gehofft und geharrt auf meine Wiederkehr. Und doch konnte ich nicht kommen!« – »Aber du dachtest an mich?« – »Millionen Male! Und du?« – »Mein ganzes Leben war ein einziges großes Gebet für deine Rettung.« – »Gott hat dich erhört, denn Engel beten nie vergebens.« – »Oh, es haben noch andere für dich gebetet, Mariano.« – »Sie alle werden noch glücklich sein. Aber da kommt Papa zurück!«
Als der Lord landete, trat Geierschnabel auf ihn zu.
»Mylord, hier bringe ich Ihren Anzug zurück«, sagte er. »Es wurde gar nichts daran ruiniert, obgleich das ein wahres Wunder ist!« – »Behalten Sie ihn, wenn Sie ihn so gern haben.« – »Danke, Sir! Solche Kleider kann ich nicht gebrauchen. Ich würde mit den Beinen in die Rockärmel und mit den Armen in die Hosenbeine fahren. Meine alten Lumpen sind bequemer. Aber hier ist Señor Sternau.«
Der Genannte stand vor ihm in seiner ganzen Breite und Höhe. Das milde Auge leuchtete in reinster Freude aus dem ernsten Gesicht.
»Mylord!« – »Herr Doktor!«
Mit diesen Rufen öffneten sie beide die Arme und sanken einander ans Herz. Das waren zwei Männer, die ihren gegenseitigen Wert kannten.
»Der Herr segne Ihren Eingang in das neubegonnene Glück, Herr Doktor, und lasse Freude sprießen ohne Zahl aus den erduldeten Leiden!« – »Ich danke Ihnen, Mylord! Es kommt ein Morgen nach jeder Nacht. Ich habe mich nach diesem Morgen gesehnt, wie der reuige Sünder nach dem Trost der Vergebung. Und Gott ist barmherzig gewesen. Aber vergessen wir Señor Juarez nicht, der Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit erheben wird.« – »Oh, ich habe nichts zu tun, als um Verzeihung zu bitten, daß ich gezwungen bin, Zeuge Ihres Wiedersehens zu sein«, erwiderte der Präsident mit mildem Ernst. »Sie gehören jetzt sich, und ich ziehe mich zurück.« – »Nein!« sagte Sternau. »Der Augenblick gebietet über uns. Er ist unser aller Herr und Meister, dem wir gehorchen müssen. Sagen Sie, Mylord, wußten Sie, daß Ihnen Pablo Cortejo gegenüberstand?« – »Ja, Geierschnabel rief es mir zu.« – »Sie haben mit ihm gekämpft?« – »Ob er sich persönlich an dem Kampf beteiligt hat, weiß ich nicht.« – »Sie konnten es nicht erkennen?« – »Es war dunkel.« – »Geierschnabel glaubt, ihn blind gemacht zu haben.« – »Das ist möglich. Ich hörte ihn vor Schmerzen brüllen und sah, daß man ihm das Gesicht mit dem Wasser des Flusses kühlte.« – »In diesem Fall kann er sich nicht mit am Kampf beteiligt haben. Es liegt uns natürlich außerordentlich viel daran, über sein Verbleiben Aufklärung zu erhalten. Wir trafen vor kurzer Zeit auf den Rest seiner Truppe, welche vollständig vernichtet wurde.« – »Ah! Sie haben es verdient. Wo war es?« – »In der Prärie jenseits des Waldes. Der Anführer sagte, Cortejo sei tot, entweder von Ihren Kugeln getroffen oder im Fluß ertrunken. Ist dies wahrscheinlich?« – »Das Wahrscheinlichste ist, daß er von seinen eigenen Leuten ermordet wurde.« – »Was Sie sagen! Sie waren heute noch nicht am Ufer?« – »Nein.« – »So ist noch nicht gesucht worden?« – »Nein.« – »So mögen diese fünfzig Männer das Ufer sorgfältig absuchen. Das Resultat erwarten wir auf dem Dampfer.« – »Ich stelle Ihnen alle meine kleinen Boote zur Verfügung, Herr Doktor, damit diese Leute auch an das jenseitige Ufer gelangen können. Jetzt aber steigen Sie ein, um an Bord zu kommen.«
Als sie das Schiff erreichten, wurden sie von Amy und Mariano erwartet.
»Mein Sohn, mein lieber Sohn!« rief der Lord, indem er den letzteren innig an sein Herz schloß. »Ich hoffe, nun ist alles Leid vorbei. Wir haben später Zeit, über das einzelne zu sprechen.«
Amy streckte Sternau ihre Hände entgegen.
»Willkommen, Herr Doktor, willkommen!« rief sie, indem ihr Gesicht vor Freude und Entzücken strahlte. »Das ist ein heißersehnter Augenblick!« – »Willkommen, Mylady!« erwiderte er. »Ihr Anblick gibt mir Leben und Sonne, denn Sie kommen aus der Heimat.« – »Ja; ich habe sie alle gesehen«, nickte sie. – »Alle?« – »Ja.« – »Meine Mutter und Schwester?« – »Die Herzogin? Ja«, lächelte sie. – »Die Herzogin?« fragt er. »Wen meinen Sie?« – »Wen anders als Ihre Frau Mutter.« – »Mylady, welcher Scherz!«
Amy blickte ihm offen und voll ins Gesicht und antwortete:
»Ich scherze nicht, Señor. Ihre Mutter ist Herzogin.« – »Mein Gott, wie wäre das zu erklären?« – »Dadurch, daß sie jetzt verheiratet ist. Ihr Gemahl ist ein Herzog.« – »Unmöglich!« – »Oh, ich kann Ihnen sogar den Namen sagen. Es ist der Herzog von Olsunna!«
Es wirbelte Sternau vor den Augen. Er faßte, als habe er eine Stütze nötig, unwillkürlich nach dem Deckgeländer.
»Der Herzog von Olsunna?« fragte er wie im Traum. »Wie ist denn das zugegangen? Wie ist das gekommen?« – »Was ich davon weiß, werden Sie gern erfahren.« – »So wohnt meine Mutter in Spanien?« – »O nein, sondern in Deutschland.« – »Wo?« – »Der Herzog hat sich bei Rheinswalden ein Schloß gebaut und es Rodriganda genannt. Da wohnen sie. Aber gibt es nicht noch andere Personen?« – »Oh! Ach! Ja! Verzeihung! Diese Nachricht hat mich mehr ergriffen, als Sie vielleicht denken und ahnen. Sie meinen Rosa, meine einzige Rosita!« – »Ja, Señor.« – »Lebt sie noch? Wo befindet sie sich? Was sagt sie? Hat sie gelitten?« – »Ungeheuer hat sie gelitten, aber Gott hat ihr Kraft gegeben, es zu tragen. Wollen Sie sie im Bild sehen, Señor Sternau?« – »Haben Sie ihr Bild mit? Schnell, o schnell!« – »Kommen Sie!«
Amy zog Sternau nach der Kajüte und zeigte nach der rechten Seite der Wand.
»Hier hängt ihr Bild, vor kurzer Zeit erst nach der Natur aufgenommen. Ich mußte das Bild meiner liebsten Freundin natürlich auch während dieser Reise bei mir haben. Es ist sehr genau getroffen.«
Sternau hörte nicht mehr, was sie sagte. Er stand vor dem Bild der Heißgeliebten mit gefalteten Händen, wie vor einem Madonnenbild. Er wollte ihre Gestalt, ihre Züge mit seinem Auge verschlingen, und doch war dieses Auge von schweren Tränen verschleiert, die demselben immer von neuem entquollen und über die Wangen herniederflossen.
»Rosa, meine Rosita!« rief er schluchzend wie ein Kind. »So hast du vor mir gestanden, tröstend und versöhnend wie ein Seraph, als ich, mit Unglauben, Verzweiflung und Wahnsinn ringend, im fernen Weltmeer auf den Knien lag, nahe daran, mit Gott zu hadern und mein Dasein zu verfluchen. So bist du mir Licht und Erlösung geworden in dunkelster Nacht. Dein Bild hat bei mir gestanden im Schlafen und im Wachen. Ohne dich gab‘s für mich kein Denken und kein Atmen. Du bist mein Himmel, meine Welt, und über dir kann nur Gott allein stehen.«
Auf das tiefste ergriffen, stand Amy weinend hinter ihm. Sie sah seine Tränen; sie hörte sein Schluchzen; sie sah seine mächtige Gestalt unter der Macht der ihn beherrschenden Gefühle beben. Sie wagte nicht, ein Wort zu sagen. Sie sah sein Auge in stiller Anbetung auf den Augen der Geliebten ruhen, und das war ein Gottesdienst, den sie nicht entheiligen durfte.
Endlich aber drehte er sich zu ihr herum und gab ihr beide Hände.
»Ich danke Ihnen, Miß Amy«, sagte er. »Die Seligkeit dieses Augenblicks würde ich um alle Reichtümer der Welt nicht verkaufen. Es war die allerhöchste Wonne, die Sie mir bieten konnten.«
Sie ließ ein schalkhaftes Lächeln über ihr Gesicht gleiten und erwiderte:
»Oh, vielleicht gibt es für Sie eine Wonne, eine zweite Seligkeit, die ebensogroß ist wie die erste.« – »Das ist unmöglich!« – »Soll ich Sie in Versuchung führen?« – »Es wird ganz umsonst sein, Fräulein«, lächelte er unter Tränen. – »Nun, ich will wenigstens den Versuch machen. Kommen Sie, Herr Doktor.«
Amy nahm Sternau bei der Hand und zog ihn vor ein anderes Bild, das an der gegenüberliegenden Seite der Kajüte hing.
»Wollen Sie einmal diese junge Dame betrachten?« sagte sie.
Sternau warf den Blick auf diese Fotografie und fühlte es dabei wie einen elektrischen Schlag durch seine Seele gehen. Dieses schöne, liebliche Gesichtchen kannte er; aber wo hatte er es gesehen? Hatte es vielleicht bisher als Ideal, als unbewußtes Eigentum, Sein von seinem Sein, in seiner Seele geruht? Es war ihm, als ob sein Herz, sein Fühlen und Denken menschliche Gestalt angenommen und sich in diesem Körper, in diesen engelreinen Zügen, den schönsten, den erhabensten Ausdruck gesucht habe. Seine tiefsten Empfindungen, seine erhabensten Gedanken waren in diesem Köpfchen verkörpert. Er hätte dieses Bild von der Wand reißen mögen, um es tausendmal heiß und innig zu küssen und doch auch wieder ihm eine Verehrung zu zollen, mit der ein Parse vor der Sonne kniet, wenn sie des Morgens sich mit dem herrlichsten und jungfräulichsten ihrer Strahlen kleidet.
»Wer ist das?« fragte er fast tonlos. – »Das ist unser Waldröschen«, antwortete sie. – »Waldröschen? Ein neues Rätsel!« – »Aber ein liebes, süßes Rätsel für Sie, mein lieber Doktor. Ahnen Sie denn nichts? Fühlen Sie denn nichts beim Anblick dieses reizenden Wesens?«
Da verfärbte sich sein Gesicht. Röte und Blässe wechselten miteinander ab. Er streckte seine zitternden Hände Amy entgegen und fragte:
»Was wollen Sie damit sagen, Mylady? Doch nicht, daß – daß …«
Er stockte vor innerer Erregung.
»Nun – daß …?« wiederholte sie. – »Waldröschen! Sie heißt also Röschen – Rosa?« – »Ja.« – »Das ist der Name meiner Frau …« – »Allerdings!« – »Und sie schrieb mir einst – ach vor langen Jahren, daß meinem und ihrem Herzen eine große Freude bereitet sei.« – »Schrieb sie das? Nun ja, diese Freude ist ihr geworden, Señor!« – »In Gestalt dieses entzückenden Wesens?« – »Ja. Waldröschen ist Ihr einziges Kind, Ihre Tochter.« – »Meine Tochter!«
Sternau stand erst eine ganze Weile wie traumverloren da; dann nahm er das Bild von der Wand; es bebte in seinen sonst so starken und jetzt doch zitternden Händen. Und während seine Augen in einem fast überirdischen Glanz auf demselben ruhten, sanken seine Knie mehr und mehr zusammen, bis sie den Teppich berührten und er, ohne es zu wissen und zu wollen, die Stellung eines Betenden angenommen hatte.
»Herr«, hörte Amy ihn flüstern, »ich habe viel erlitten und erduldet, aber einer solchen Gnade bin ich doch nicht wert.«
Jetzt konnte sie nicht länger warten; sie schritt ganz leise zur Tür hinaus, um das Heilige dieses Augenblickes nicht zu entweihen.
Draußen befanden sich die Herren in einem eifrigen Gespräch. Auch hier wollte Amy nicht stören; darum nahm sie auf einem Feldstuhl Platz, der vorn am Bug stand, und von dem aus sie stets so gern das Wellenspiel beobachtet hatte. Nach einer längeren Weile hörte sie Schritte, und eine Hand legte sich leise auf ihre Schulter.
»Miß Amy«, flüsterte Sternaus Stimme. »Hat sie gesprochen, gesprochen von ihrem Vater?« – »Oh, wie oft und mit der größten Liebe und Verehrung.« – »Und ist sie so gut und so rein, wie sie auf dem Bild aussieht?« – »Sie ist es, Señor!« – »Dann hat Gott mich tausendfach gesegnet, und ich darf nun auch der anderen gedenken. Lebt mein alter Hauptmann Rodenstein noch?« – »Ja. Er ist immer noch der Alte.« – »Der Gehilfe Ludwig Straubenberger?« – »Ja.« – »Alimpo mit seiner lieben Elvira?« – »Auch sie leben noch. Aber einen vergessen Sie, Herr Doktor!« – »Wen?« – »Kurt Helmers, Ihren Schüler.« – »Sie haben recht; ich dachte nicht sogleich an ihn. Sein Vater ist übrigens bei mir. Ich hatte den Knaben sehr lieb. Er war sehr begabt. Was ist aus ihm geworden? Ich befürchte, daß nach meinem Fortgehen seine Gaben eine andere Richtung, sich zu entwickeln, erhalten haben, als ich wollte.« – »Welche Richtung war es, die Sie beabsichtigten, Herr Doktor?« – »Er war ganz außerordentlich für den Kriegerstand veranlagt.« – »Nun, dann kann ich Ihnen mitteilen, daß dieser Gedanke festgehalten worden ist. Ich habe Kurt Helmers in Berlin gesehen. Er ist Offizier und hat trotz seiner Jugend sich bereits so ausgezeichnet, daß er das Vertrauen selbst seiner höchsten Vorgesetzten genießt. Ich werde Ihnen in einer ruhigeren Stunde Ausführliches darüber mitteilen.«
Amy sprach diese letzten Worte, weil gerade jetzt der Lord mit Juarez herbeitraten.
»Mylord hat mir den Vorschlag gemacht, nicht zu Pferde zurückzukehren, sondern mit dem Schiff nach dem Sabina zu gehen. Was meinen Sie dazu?« sagte letzterer. – »Es ist bequemer für uns«, antwortete Sternau. – »Aber unsere Pferde?« – »Wir können sie ja den Apachen übergeben, die den Rückweg sofort antreten werden, nachdem sie ihre Forschung nach der Leiche Cortejos beendet haben.« – »Das geht. Aber werden die Apachen den Rückweg sicher finden?«
Sternau konnte sich eines Lächelns nicht enthalten.
»Haben Sie keine Sorge um diese Leute«, antwortete er. »Sie würden sich sogar in der tiefsten Wildnis zurechtfinden, selbst wenn sie dieselbe noch nie betreten hätten. Der Ortssinn dieser Menschen ist geradezu erstaunlich.« – »So wollen wir auch hoffen, daß sie Cortejo entdecken oder wenigstens eine Spur von ihm. Das ist für jetzt von großer Bedeutung.«
30. Kapitel
Der Lord hatte den Roten seine Boote zur Verfügung gestellt, um nach dem linken Ufer überzusetzen. Sie benutzten sie aber in einer anderen Weise. Eine Anzahl von ihnen ritt nämlich, trotz der Breite des Stromes, auf schwimmenden Pferden über denselben hinüber, um am jenseitigen Ufer forschend aufwärts zu reiten, während andere diesseits dasselbe taten. Eine dritte Abteilung hatte sich in die Boote verteilt und suchte, den Fluß hinabfahrend, die beiden Ufer desselben von der Wasserseite ab. Das Resultat dieser sorgfältigen Untersuchung mußte abgewartet werden.
Unterdessen hatte der Lord sich mit Juarez nach der Kajüte begeben, während Sternau mit Mariano und Amy auf dem Deck zurückgeblieben waren, um die beiden Erwähnten in ihren wichtigen, diplomatischen Verhandlungen nicht zu stören; denn Lindsay brachte nicht bloß Unterstützung an Geld und Waffen, sondern er hatte mit dem Präsidenten auch wichtige Abmachungen vorzunehmen, die sich auf Englands Verhalten zu dem ferneren Verweilen der Franzosen in dem Staat Mexiko bezogen.
Amy erzählte den beiden Männern von den Lieben in der Heimat. Es gab da so vieles zu fragen, zu berichten und zu erklären, daß die Zeit verschwand, ohne daß es ihnen beikam, einen Maßstab an die Minuten zu legen.
Da erschaute ein heller Ruf vom Ufer herüber.
»Ein Indianer«, sagte Mariano. »Was mag er wollen?«
Sternau trat an Bord und fragte hinüber.
»Mein weißer Bruder mag kommen«, antwortete der Mann. – »Warum? Was gibt es?« – »Eine Spur.« – »Von wem?« – »Weiß nicht. Selbst sehen. Bin Bote von den anderen.«
Da die Boote alle fort waren, machte Sternau die kleine, einruderige Gig, die für den persönlichen Gebrauch des Lords bestimmt war, los und ruderte sich an das Ufer, wo der Mann auf ihn wartete.
»Mitkommen«, sagte dieser einfach, indem er sich wieder stromabwärts wandte, von woher er gekommen war.
Sternaus Pferd stand noch da, wo er von demselben abgestiegen war. Er band es los, setzte sich auf und folgte dem Wilden im Galopp. Der Ritt war kein kurzer. Er währte lange, und der Indianer hielt erst an, als sie wohl eine Wegstunde zurückgelegt hatten. Dort hielten sämtliche Reiter, die am rechten Ufer gesucht hatten, und auch die Boote lagen am Land. Man sah es jedoch der Aufstellung dieser Leute an, daß sie einen Platz zwischen sich hatten, von dem sie ihre Pferde zurückhielten.
Dort saß ein Indianer an der Erde. Die Rabenfeder, die er im Schopf trug, deutete an, daß er unter den übrigen eine Art von Rang einnahm. Er mochte die Suche geleitet haben, und er erhob sich, als er Sternau sah.
»Der Fürst des Felsens mag zu mir kommen«, sagte er.
Sternau stieg ab, übergab die Zügel seines Pferdes einem anderen und trat zu dem Mann, der gesprochen hatte. Dieser deutete zur Erde.
»Mein weißer Bruder sehe.«
Sternau blickte zu Boden, wurde aufmerksam und bückte sich hinab.
»Ah, die Spur eines Reiters«, sagte er. – »Bemerkt mein Bruder die Anzahl seiner Pferde?« – »Ja. Eins hat er geritten, und das andere geführt. Er hatte zwei Tiere bei sich gehabt.« – »Mein Bruder gehe weiter.«
Der Indianer deutet dabei mit der Hand nach dem Ufer hin. Sternau folgte dieser Richtung, indem er dabei die Spur im Auge behielt.
»Er ist in den Fluß geritten«, sagte er, »vorher aber abgestiegen, um Schilf abzuschneiden. Er hat also über den Fluß gewollt und einige Schilfbündel gemacht, die seinem Pferd die Last erleichtern sollten, indem sie als Schwimmgürtel dienten.« – »Mein Bruder hat das Richtige geraten. Wer mag der Mann gewesen sein?« – »Vielleicht der Jäger, der uns heute begegnete. Seine Richtung ging ungefähr auf diese Stelle zu. Man müßte nach Anzeichen forschen.« – »Die roten Männer haben dies bereits getan.« – »Haben sie etwas gefunden?« – »Ja. Der Fürst des Felsens mag hier herübertreten und die Fährte betrachten.«
Der Indianer zeigte einen Ort, der von Pferdehufen ziemlich zerstampft war. Hier klug zu werden, war jedenfalls ein Meisterstück der Spürkunst, dennoch aber sagte Sternau bereits nach einigen Sekunden:
»Hier haben die Pferde geweidet, während er das Schilf abschnitt; sie sind dabei in einen kleinen Streit geraten. Es steht anzunehmen, daß sie sich gebissen haben. Vielleicht sind dabei Haare verlorengegangen. Man müßte suchen, ob welche zu finden sind.« – »Die roten Männer haben bereits gesucht. Mein Bruder betrachte dieses Haar aus dem Schwanz eines Pferdes.«
Der Indianer reichte Sternau ein Pferdehaar hin, das allerdings so lang war, daß es nur vom Schwanz stammen konnte.
»Ein schwarzes Pferd«, sagte Sternau. – »Und dieses Büschel?«
Der Rote zeigte in der anderen Hand eine Anzahl zusammengefilzter Haare, die von keiner großen Länge waren. Sternau betrachtete sie genau und erwiderte:
»Rotbraun! Dieses Büschel besteht aus unteren Kammhaaren. Das eine Pferd ist also schwarz und das andere rotbraun gewesen. Der Jäger, der uns heute begegnete, ist‘s, kein anderer. Er hatte zwei solche Pferde.« – »Uff! Die roten Männer sind noch sorgfältiger gewesen.«
Bei diesen Worten zeigte der Indianer nach dem Wald zurück, aus dem soeben zwei Apachen auf schaumbedeckten Pferden hervorkamen.
»Wo sind sie gewesen?« fragte Sternau. – »Mein Bruder spreche mit ihnen selbst.«
Als die Apachen herbeigekommen waren, fragte Sternau sie.
»Meine Brüder haben wohl die Fährte rückwärts verfolgt?« – »Der Fürst des Felsens hat es erraten«, antwortete der eine. – »Wohin führt die Fährte?« – »Genau in der Richtung der Ortes, wo wir dem Jäger begegneten.« – »So ist er es also gewesen?« – »Er war es.«
Sternau konnte sich denken, daß man ihm noch nicht alles gesagt hatte.
»Aber warum widmen meine roten Brüder diesem Jäger eine solche Aufmerksamkeit?« fragte er den Anführer. »Haben sie noch mehr entdeckt?« – »Ja. Der Fürst des Felsens denkt, der Jäger ist über den Fluß geritten?« – »Allem Anschein nach hat er es getan.« – »Die Krieger der Apachen haben es auch gedacht, aber als sie weiter abwärts ritten, haben sie seine Fährte wiedergefunden.« – »Er ist also hier in den Fluß geritten und hat ihn weiter unten wieder verlassen?« – »Ja.« – »Das ist schwer zu begreifen. Um die Tiere zu tränken, braucht man nicht in das Wasser zu reiten, und um den Fluß so bald wieder zu verlassen, wären doch die Schilfgürtel nicht notwendig gewesen. Es bleibt also nur die Ansicht, daß er übersetzen wollte, aber durch etwas abgehalten wurde.« – »Der Fürst des Felsens hat sehr scharfe Gedanken.« – »Ah! Meine roten Brüder haben etwas gefunden?« – »Ja. Mein Bruder folge mir.«
Der Indianer drängte sich in das Schilf hinein, und Sternau folgte ihm. Es war hier ein schweres Fortkommen, aber die Mühe und Anstrengung wurde auch sehr bald belohnt. Denn als sie ungefähr hundert Schritt getan hatten und der Indianer am Rand des Wassers stehenblieb, erblickte Sternau ein Floß, das aus Schilfbündeln und Baumzweigen zusammengesetzt war. Es war von einer solchen Länge und Breite, daß sich ein Mann damit recht gut über Wasser halten konnte, so lange er sich in der Balance erhielt.
»Sieht mein weißer Bruder dieses Floß?« fragte der Indianer. – »Ja. Hat mein roter Bruder ein Zeichen gefunden, woraus sich schließen läßt, wer es benutzt hat?« – »Ein sehr deutliches Zeichen. Hier!«
Der Indianer griff abermals in den Gürtel und brachte ein buntes Taschentuch hervor, das zusammengelegt und an den beiden Zipfeln durch einen Knoten verbunden war. Es hatte ganz den Anschein, als sei es von einem Menschen benutzt worden, der unter Kopf– oder Zahnschmerzen litt. Aber als Sternau das Tuch genauer untersucht hatte, sagte er:
»Hier klebt Blut im Innern. Das Tuch ist um verwundete Augen getragen worden. Wo fand man es?« – »Es hing an einem Zweig des Floßes.« – »Welche Unvorsichtigkeit von diesem Cortejo! Denn er ist es gewesen.«
Dabei betrachtete er den Boden. Er fand mehrere Fährten.
»Haben die Söhne der Apachen weiter gesucht?« fragte er.
Der Indianer nickte.
»Was haben sie gefunden?« – »Mein Bruder folge mir!«
Es war hier durch das dichte Schilf eine ziemlich gangbare Bahn gebrochen. Die beiden folgten ihr und gelangten bald an eine Stelle, an der vom Wasser herauf eine doppelte Pferdespur kam.
»Ah, da ist der Jäger wieder aus dem Wasser gekommen«, sagte Sternau. – »Und dorthin ist er geritten«, fügte der Indianer hinzu, nach rechts deutend.
Sie folgten dieser neuen Fährte bis an eine kleine Lichtung im Schilf, deren Boden ganz und gar zerstampft war.
»Haben meine Brüder hier etwas gefunden?« fragte Sternau. – »Hier hat Cortejo gelegen«, antwortete der Apache, »und da ist der weiße Jäger zu ihm gekommen.« – »Wohin führt nun die Spur?« – »Sie führt wieder in den Wald hinein.« – »Ist sie verfolgt worden?« – »Nein.« – »Warum nicht?« – »Der Fürst des Felsens sollte erst gefragt werden.« – »Gut. Mein Bruder denkt, daß der Jäger Cortejo mitgenommen hat?« – »Ja. Er hat ihn auf das andere Pferd gesetzt.« – »So mag mein Bruder mit noch einigen Männern aufbrechen und der Spur folgen, um zu sehen, ob dieselbe nach der Gegend von Candela, Naria und Saltillo führt.« – »Dazu wird man mehrere Tage brauchen.« – »Allerdings, wenn man bis Saltillo reiten wollte. Es wird aber genügen, der Spur bis morgen zu folgen, wenn die Sonne am höchsten steht. Dann weiß man bereits, in welcher Richtung sie weiterführt. Die Söhne der Apachen können mir dann Nachricht bringen?« – »Wohin?« – »Nach Coahuila.« – »Ugh!«
Der Indianer sagte dieses eine Wort und begab sich zu den Seinigen zurück. Ein Wink von ihm genügte, so saßen fünf seiner Gefährten mit ihm auf und folgten ihm, als er auf der Fährte des Jägers davonritt.
Sternau gab jetzt den Befehl, die Nachforschungen einzustellen und die Boote wieder an die Schiffe zu bringen, bestieg sein Pferd wieder und ritt zurück. Als er auf der Gig wieder am Dampfer anlangte, hatte man ihn dort bereits mit großer Ungeduld erwartet.
»Gefunden?« rief ihm Juarez schon von weitem entgegen. – »Ja«, antwortete er. – »Ihn selbst?« – »Nein, sondern leider nur seine Spur.« – »O weh! So lebt er noch?« – »Jedenfalls. Hier dieses Tuch hat er um die Augen gebunden gehabt.«
Bei diesen Worten schwang Sternau sich an Bord und zeigte das Tuch.
»Was wissen Sie nun von ihm?« fragte der Lord. – »Erstens, daß er sicher an den Augen verletzt ist. Zweitens, daß er auf einem kleinen Floß stromab geschwommen ist.« – »So mag das richtig sein, was mein Steuermann vermutete, nämlich, daß seine eigenen Leute sich seiner entledigt haben.« – »Dann wird er einige sehr böse Stunden erlebt haben. Es ist kein Spaß, blind auf einem Floß schwimmen zu müssen.« – »Sie nehmen also an, daß er wirklich erblindet ist?« – Jetzt wenigstens, ja. Hätte er nur ganz wenig zu sehen vermocht, so wäre es ihm gar nicht eingefallen, das Tuch zurückzulassen. Es ist ihm auf irgendeine Weise vom Kopf geglitten, und er konnte es nicht finden.« – »Aber was dann?« – »Sein kleines, aus Schilf erbautes Floß wurde an das Ufer getrieben. Er fühlte Boden und schlich an das Land, wo er im Schilf gefunden wurde.« – »Von wem?« – »Von dem Jäger, der uns heute begegnete, Señor Juarez.« – »Ah, von diesem! Da sind unsere Apachen leider zu spät gekommen.« – »Ja, leider; denn dieser Jäger ist mit ihm, wie es scheint, in südlicher Richtung davongeritten.« – »Das ist ja immer noch vorteilhaft. Er ist ja im Land geblieben. Wäre er aber an das andere Ufer, also nach Texas gegangen, so hätten wir die Macht über ihn verloren. Haben Sie eine Ahnung, wohin er gegangen ist?« – »Ja«, antwortete Sternau. »Nach der Hacienda del Erina.« – »Warum dorthin?« – »Weil seine Tochter dort ist. Er befindet sich als Erblindeter in einem sehr hilflosen Zustand und muß nun vor allen Dingen darauf bedacht sein, zu Leuten zu gelangen, denen er Vertrauen schenken kann. Da steht seine Tochter natürlich obenan.« – »Sie glauben, daß dieser Jäger ihn nach der Hazienda bringt?« – »Ja.« – »Was sollte derselbe für ein Interesse dabei haben?« – »Cortejo wird ihm eine hohe Belohnung versprochen haben.« – »Das ist wahrscheinlich. Möglich ist es aber auch, daß die beiden sich bereits kennen.«
Da machte Sternau eine Gebärde der Überraschung.
»Diese Ansicht bringt mich auf einen plötzlichen Gedanken«, sagte er. »Können Sie sich besinnen, Señor Juarez, welche Antwort der Jäger gab, als wir ihn nach seinem Namen fragten?« – »Ja. Er sagte, er heiße Grandeprise.« – »Und ein Grandeprise ist der Verbündete von Cortejo.« – »Sie meinen den schwarzen Kapitän?« fragte der Lord. – »Ja. Er heißt ja wohl ursprünglich Grandeprise. Sein Piratenschiff war der ›Lion‹. Jetzt nennt er sich Henrico Landola.« – »Sie meinen, daß er mit diesem Jäger verwandt sei?« – »Es ist dies immerhin möglich. Der Name Grandeprise kommt nicht so häufig vor.« – »So müßte man sich beeilen, die beiden in die Hände zu bekommen. Was für Maßregeln haben Sie getroffen?« – »Ich habe einige Apachen auf ihre Spur geschickt. Diese Leute sollen sich überzeugen, ob diese Fährte nach der Richtung von Saltillo führt, und mir dann Nachricht nach Coahuila bringen.« – »Wäre es nicht besser gewesen, anstatt dieser bloßen Kundschafter den beiden Kerlen eine Schar Verfolger nachzusenden?« – »Warum halten Sie dies für besser?« – »Weil wir dann Cortejo schnell in unsere Hände bekommen hätten.« – »Sie irren sich. Zunächst müßte die Verfolgung mit Anbruch der Nacht eingestellt werden. Grandeprise aber wird die Nacht benutzen, um einen möglichst großen Vorsprung zu bekommen.« – »Waren seine Pferde so gut?« – »Er reitet die ganze Nacht hindurch und nimmt sich von der ersten besten Herde neue Pferde. Die Verfolger würden ihn nicht erreichen.« – »Aber wollen wir Cortejo entkommen lassen?« – »Nein. Allerdings ist es nur auf der Hazienda möglich, ihn festzuhalten. Das können wir nun freilich ohne die Hilfe Señors Juarez nicht.« – »Was wünschen Sie?« fragte der Präsident. – »Aus dem aufgefangenen Brief von Cortejos Tochter geht hervor, daß sich in der Hazienda eine große Zahl von Cortejos Anhängern festgesetzt hat. Wir brauchten also Mannschaften, Señor.« – »Wieviel?« – »Wer weiß das. Ich habe keine Ahnung, wie stark die Besatzung der Hazienda ist.« – »So lassen Sie uns sehen, wie viele Leute ich entbehren kann. Ich werde mein Möglichstes tun. Die Hazienda ist ein wichtiger Punkt, da sie in der Nähe des großen Verkehrsweges zwischen Süden und Norden liegt. Sie und Cortejo in meine Gewalt zu bringen, bin ich also zu jeder Anstrengung bereit. Ich denke, es wird gut sein, möglichst bald hier aufzubrechen, damit wir schnell wieder nach Coahuila kommen.« – »Wir müssen leider die Boote erwarten.« – »Wann können dieselben zurück sein?« – »In frühestens einer Stunde.« – »Wir holen diese Zeitversäumnis schnell nach, indem wir die Dampfer schneller arbeiten lassen.«
Sternau hatte recht gehabt. Die Apachen brachten die Boote erst nach Ablauf einer Stunde zurück. Die beiden Dampfer waren geheizt und zum Aufbruch bereit. Sie setzten sich in Bewegung, nachdem die Roten die Weisung erhalten hatten, auf dem heute zurückgelegten Weg wieder in das Lager zu gehen.
Während der beginnenden Fahrt hatte Juarez Zeit, sich mit dem Lord genau zu besprechen. Ihre gegenseitigen Abmachungen wurden zu Papier gebracht und von beiden unterzeichnet. Napoleon ahnte nicht, daß heute mitten in den Wildnissen des Rio Grande del Norte ein Vertrag geschlossen wurde, der ihn in der Folge zwang, Mexiko Juarez zu überlassen und seine Truppen aus diesem Land zu entfernen.
Mariano und Amy genossen unterdessen alle Seligkeiten des Wiedersehens und gaben einander das Versprechen, sich nie wieder zu trennen.
Sternau stimmte ihnen bei.
»Noch sind wir nicht in dem Hafen der Ruhe angelangt«, sagte er. »Wir wissen nicht, was uns noch widerfahren kann. Darum ist es geraten, eng zusammenzuhalten, damit wir uns nicht wieder verlieren.« – »Juarez wird uns beschützen«, sagte Amy. – »Er bedarf selbst noch der Unterstützung«, antwortete Sternau. – »Ich denke, seine Macht steigt von Tag zu Tag?« – »Das tut sie auch, aber jetzt ist sie noch so gering, daß ich mir vorhin gar nicht getraut habe, eine Bitte auszusprechen, die doch sehr nötig war.« – »Welche?« – »Ich hätte gewünscht, die Hazienda eher zu erreichen als Cortejo.« – »Ah! Das wäre allerdings sehr gut«, meinte Mariano. – »Da man aber die Stärke der dortigen Besatzung nicht kennt, so wären immerhin tausend Mann zu diesem Unternehmen erforderlich; aber eine solche Zahl kann Juarez noch nicht entbehren.« – »So nehmen wir weniger!« rief Mariano. – »Du bist mutig, mein Freund«, entgegnete Sternau. – »Oh, warum sollte man die Hazienda nicht mit weniger Leuten nehmen können? Nicht die Zahl, sondern die Tapferkeit tut es.« – »Du hast recht. Man könnte die Hazienda auch durch List nehmen; aber die Strecke zwischen ihr und Coahuila befindet sich noch in den Händen der Franzosen, die vorher zu verdrängen sind.« – »So wird Cortejo uns entkommen.« – »Ich hoffe das Gegenteil.« – »Er wird die Hazienda viel früher als wir erreichen.« – »Du vergißt, daß er bedeutende Umwege machen muß.« – »Weshalb?« – »Weil er sich von den Franzosen ebensowenig als vor uns sehen lassen darf.« – »Das ist wahr. Wenn Juarez sich beeilt und wir einen Parforceritt unternehmen, so kommen wir Cortejo vielleicht doch noch zuvor.« – »Ich hoffe. Es ist zu berücksichtigen, daß er blind ist, das heißt hilflos, obgleich er einen Begleiter hat. Die Augen schmerzen ihm jedenfalls. Er hat sicher Wundfieber. Das vermindert die Schnelligkeit seines Rittes außerordentlich. Ich möchte nicht an seiner Stelle sein.«
Sternaus Vermutung war eine ganz richtige.
31. Kapitel
Wie wir bereits gesehen haben, hatten die Mexikaner, als sie am Abend die Schiffe sozusagen belagerten, sich vorgenommen, sich ihres Anführers zu entledigen. Dies sollte mit Hilfe eines Floßes geschehen, und Cortejo kam ihnen, ohne es zu ahnen, darin entgegen, indem er sich vornahm, sich bei dem Angriff mit zu beteiligen und sich auf einem Floß in die Nähe des Schiffes bringen lassen wollte.
Die Mexikaner hieben mit ihren Macheten Schilf und Zweige ab, um sich Bündel zu machen, die das Schwimmen erleichtern sollten; für Cortejo aber wurde ein kleines Floß gebaut.
»Wie groß ist es?« fragte er, als man ihm meldete, daß es fertig sei. – »Acht Fuß lang und sechs Fuß breit.« – »Das ist zu klein«, sagte er. – »Oh, Señor, das ist groß genug«, sagte der, den man hinter Cortejos Rücken zum Anführer gewählt hatte. – »Das ist kaum für einen Mann hinreichend.« – »Es ist ja auch nur für einen Mann.« – »Und die, welche mich rudern sollen, wo bleiben die?« – »Die schwimmen nebenher und geben dadurch dem Floß die geeignete Richtung. Ein größeres würde zu auffällig sein und von den Schiffen zu leicht bemerkt werden. Sie kämen dadurch in eine Gefahr, der wir Sie doch unmöglich aussetzen dürfen, Señor.«
Das klang so fürsorglich und leuchtete Cortejo ein.
»Gut denn«, sagte er, »so mag es bei dem Flößchen bleiben. Es gilt nur noch unsere Arrangements zu treffen. Das Nötige wißt ihr bereits. Ich habe euch nur zu wiederholen, daß ihr den Inhalt der Dampfer und Kähne nicht anzurühren habt.« – »Warum nicht?« fragte der Sprecher. – »Die Fracht gehört mir.« – »Könnten nicht auch wir einen Teil davon beanspruchen, Señor?« – »Nein. Ihr wißt ja, wozu alles verwendet werden soll.« – »Aber bedenken Sie, Señor, daß das alles doch nicht Ihr Eigentum ist. Sie nehmen es weg, und wir helfen Ihnen dabei. Das ist ganz dasselbe, als wenn zum Beispiel ein Kriegsschiff ein feindliches Schiff wegnimmt. Da setzt es auch Prisengelder.« – »Die werdet ihr auch erhalten.« – »Wie hoch? Wieviel?« – »Das kommt auf den Wert der Prise an. Ich werde den zehnten Teil des Wertes unter euch verteilen lassen.« – »Ist das nicht zu wenig, Señor?« – »Schweigt! Es befinden sich Millionen auf den Schiffen, das gibt also von einer jeden Million hunderttausend für euch. Nun rechnet aus, welche Summe da auf den Kopf kommt.« – »Ah, so haben wir uns diese Sache noch nicht betrachtet. Jetzt sieht sie sich bedeutend anders an, und ich erkläre, daß wir einverstanden sind.« – »Das denke ich auch.«
Hätte Cortejo die Mienen der Mexikaner sehen können und die Blicke, die sie sich einander zuwarfen, so wäre er ganz anderer Meinung gewesen.
»Löscht das Feuer aus!« gebot er. »Es ist Zeit, zu beginnen.«
Diesem Befehl wurde sofort Folge geleistet.
Die Mexikaner waren vom Gelingen ihres Planes vollständig überzeugt; an ein Mißlingen dachten sie nicht. Sie zitterten vor Begierde, diese Schätze in ihre Hände zu bekommen.
Die Schußwaffen, die im Wasser gelitten hatten, wurden abgelegt, und zwar so, daß jeder die seinigen leicht wiederfinden konnte. Dann griffen sie nach ihren Bündeln und gingen ins Wasser, in solchen Abteilungen, wie es ihnen anbefohlen worden war. Cortejo aber wurde auf das Floß geleitet, das von zwei guten Schwimmern dirigiert werden sollte. – »Vorwärts!« befahl er.
Infolge dieses halblauten Kommandowortes begann die Schwimmpartie.
Mit Hilfe der Schilfbündel wurde den Leuten das Schwimmen leicht, und sie hatten wohl die Hälfte der Entfernung zurückgelegt, als die Raketen vom ersten Dampfer emporstiegen. Sie erschraken, denn die ganze Szene war fast taghell erleuchtet, und sie sahen, daß die Bemannung auf ihrem Posten war.
»Feuer!« ertönte da des Lords Stimme.
Die Geschütze krachten, und einen Augenblick lang schien das Wasser des Flusses sich in Wallung zu befinden. Es spritzte unter der Gewalt der einschlagenden Kartätschen hoch auf. Unterdrückte Schreie und Flüche wurden ringsum doch noch hörbar, und die Köpfe vieler der Schwimmenden verschwanden von der Oberfläche des Flusses.
Eine Kugel hatte auch einen der beiden getroffen, die das Floß Cortejos lenkten.
»Santa Madonna, hilf!« rief er. – »Was ist‘s?« fragte Cortejo. – »Ich bin in den Arm getroffen. Ich kann nicht mehr!«
Damit ließ der Verwundete das Floß fahren, und als in diesem Augenblick die Raketen abermals stiegen, sah sein Gefährte ihn untersinken.
»Halte dich mit dem unverletzten Arm fest«, rief Cortejo. – »Es ist bereits zu spät, Señor«, antwortete der andere. »Der arme Teufel ist bereits untergegangen. Er ist jedenfalls nicht in den Arm allein getroffen worden.« – »So bleibe du nur fest am Platz. Wie sieht es aus? Ich habe nichts gesehen.« – »Man hat vom Schiff Raketen steigen lassen.« – »Donnerwetter! Und mit Kanonen geschossen? Hat es getroffen?« – »Ja, Señor.« – »So mag man sich beeilen, an Bord zu kommen.« – »Oh, damit ist nichts! Sie fliehen alle bereits dem Ufer zu, nämlich alle, die noch übrig sind.« – »Hölle und Teufel! Alle? So ist der Angriff mißlungen?« – »Vollständig, Señor!« – »Oh, daß ich nicht sehen kann! Es würde ganz anders gegangen sein!« – »Es würde nicht anders sein. Das Augenlicht schützt nicht vor Kartätschen.« – »Rudere auch mich an das Ufer!« – »Fällt mir gar nicht ein«, antwortete der Mann, auf einmal in einen ganz anderen Ton übergehend. – »Wie? Was meinst du?« fragte Cortejo erstaunt – »Daß ich Sie nicht mehr rudere.« – »Ah! Warum?« – »Weil es mir verboten ist, Sie wieder an das Ufer zu bringen.«
Cortejo war starr. Es ging ihm plötzlich eine Ahnung auf, in welcher Gefahr er sich infolge seiner Blindheit befand. Es war dies eine Gefahr, an die er bisher noch gar nicht gedacht hatte.
»Wer hat es dir verboten?« fragte er atemlos. – »Die Kameraden«, antwortete der Mann, indem er sich eine andere, dem Ufer zustrebende Richtung gab. – »Also Empörung? Meuterei?« – »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich könnte Sie schon verlassen haben; aber so lange mir das Floß noch Dienste leistet, will ich Ihnen Rede stehen.« – »Donnerwetter! Warum will man mir nicht mehr gehorchen?« – »Weil man Sie nicht mehr gebrauchen kann.« – »Weil ich blind bin? Ich habe euch doch zu der Beute verholfen.« – »Wir haben sie ja noch gar nicht.« – »Wir werden sie erhalten. Wir werden den Angriff wiederholen.« – »Das geht ohne Sie besser. Sie hindern uns nur, Señor.« – »Denke an die Prisengelder!« – »Die mögen wir nicht. Das Ganze ist uns lieber.« – »Ah! Ist es darauf abgesehen? Mann, sage mir die Wahrheit. Soll ich wirklich verlassen werden?« – »Ja.«
Eine entsetzliche Angst begann sich Cortejos zu bemächtigen.
»Was will man mit mir tun?« fragte er bebend. – »Erst wollte man Sie töten …« – »Heilige Madonna! Das ist doch ganz unmöglich!« – »Dann aber hat man beschlossen, Sie auf diesem Floß dem Strom zu übergeben. Das Weitere wird sich von selbst finden.« – »Mensch, und das wolltest du tun?« – »Ja; ich muß.« – »Daran werde ich dich denn doch verhindern.«
Cortejo hatte sich auf das Floß hingestreckt. Sein Kopf befand sich ganz in der Nähe der Stelle, wo der Schwimmer das Floß gefaßt hatte.
»Wie wollten Sie dies anfangen?« fragte der Mann. – »In dieser Weise!« entgegnete Cortejo und griff, obgleich er nichts sehen konnte, zu, um die Hand des Mannes fest zu umfassen. – »Ah«, sagte dieser, »Sie wollen mich festhalten? Das bringen Sie nicht fertig.« – »Ich werde es darauf ankommen lassen.« – »Sie werden sehen, wie leicht es ist, sich eines Blinden zu erwehren.« – »Gott, ist so etwas möglich? Was habe ich euch getan?« – »Nichts, Señor.« – »So darfst du mich auch nicht verlassen.« – »Ich muß.« – »Ich gebe dir doppeltes Prisengeld.« – »Ich werde mehr bekommen. Wir teilen die Ladung unter uns.« – »Dreifaches Prisengeld.« – »Hilft nichts, Señor.« – »Fünffaches.« – »Ist noch zu wenig. Ich lasse mich überhaupt nicht kaufen. Ich darf Sie gar nicht wieder zurückbringen.« – »So rette mich wenigstens.« – »Auf welche Weise?« – »Bringe mich an das Ufer und besorge heimlich zwei Pferde. Wenn du mich glücklich nach der Hazienda zurückbringst, werde ich es dir lohnen.« – »Dabei verliere ich meinen Anteil an der Prise.« – »Ich ersetze ihn dir.« – »Das ist ungewiß, Señor, höchst ungewiß.« – »Ich gebe dir mein Ehrenwort und versichere es dir und beschwöre es bei allen Heiligen.« – »An Ihr Ehrenwort glaube ich nicht, und an die Heiligen glauben Sie nicht.« – »Halunke.« – »Sie schimpfen?«
Cortejo sah ein, daß es unmöglich sei, hier durch Grobheiten etwas auszurichten.
»Ich bitte dich, handle nicht so unmenschlich an mir!« bat er wiederum. – »Gibt es nicht Menschen, an denen Sie noch schlechter gehandelt haben?« – »Nein.« – »Sie lügen! Ich weiß, was man sich von Ihnen erzählt.« – »Es ist die Unwahrheit. Höre, wenn du mich nach der Hacienda del Erina bringst, sollst du Eigentümer der ganzen Hazienda sein!«– »Sie können sie nicht verschenken, sie gehört ja gar nicht Ihnen.« – »Ich bin jetzt der Besitzer.« – »Wie lange? Man wird Sie dort verlassen wie hier.« – »Ich gebe dir zwanzigtausend Pesetas.« – »Pah! Viel zu wenig!« – »Fünfzigtausend.« – »Noch zu wenig!« – »Hunderttausend!« – »Woher wollen Sie diese Summe nehmen?« – »Ich bin reich.« – »Sie sind arm. Sie sind geächtet und aus dem Land verwiesen. Wenn man Sie ergreift, so werden Sie einfach aufgehängt.« – »Ich habe mir große Summen weggesteckt!« – »Ehe wir dahin kommen, wo Sie dieses Geld haben, können wir beide ergriffen und getötet worden sein. Nein, Señor, ich tue nicht mit. Lebt wohl!« – »Bleibe! Ich biete dir noch mehr!« bat er angstvoll. – »Sie haben nichts zu bieten, denn Sie besitzen selbst nichts mehr!« – »Ich biete dir mehr, als du ahnst! Kennst du meine Tochter?« – »Señorita Josefa? Ja!« – »Bist du verheiratet?« – »Nein.« – »Nun, so biete ich sie dir zur Frau an!«
Da stieß der Mexikaner ein halblautes, heiseres Hohnlachen aus.
»Sind Sie verrückt, Señor Cortejo?« fragte er. – »Verrückt? Inwiefern?« – »Ein solches Anerbieten kann nur ein Verrückter machen!« – »Du gibst also zu, daß es Wahnsinn ist, einem Vaquero, der jetzt so ziemlich ein Räuber ist, die Tochter eines Hidalgo anzubieten?«
Hidalgo ist eigentlich ein Edelmann; so aber wird in Mexiko jeder genannt, der reich ist oder in einem ansehnlicheren Rang steht
»Hidalgo?« fragte der Mann. »Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie ein Hidalgo sind? Sie sind immer nur das gewesen, was Sie von mir sagen: ein Räuber, ein Betrüger. Und Ihre Tochter? Die Vogelscheuche! Ich sage Ihnen: Wenn ich schon an der Leiter des Galgens stände und könnte mich dadurch retten, daß ich Ihre Tochter zur Frau nähme, ich würde mich lieber hängen lassen. Sie sind verrückt. Lassen Sie mich los!«
Sie waren jetzt mit dem Roß dem Ufer nahe gekommen.
»Nein, ich lasse dich nicht los!«
Mit diesen Worten klammerte Cortejo seine Finger mit doppelter Kraft um das Handgelenk des Mexikaners.
»Nun, so brauche ich Gewalt!« rief dieser.
Dabei zog er mit der anderen Hand seine Machete aus dem Gürtel und legte die Schneide des haarscharfen Messers auf die Hand Cortejos. Als dieser den Stahl fühlte, rief er erschreckt:
»Du willst mich verletzten?« – »Ich ersuche Sie, loszulassen, sonst haue ich Ihnen die Hand ab!«
Bei dieser Antwort zog Cortejo rasch seine Hand zurück.
»So!« sagte jetzt der andere. »Schwimmt wohin Ihr wollt!«
Dann gab er dem Floß einen kräftigen Stoß, so daß dasselbe wieder der Mitte des Stromes zutrieb, und schwamm an das Ufer.
Cortejo fühlte den Stoß.
»Bist du fort?« fragte er.
Keine Antwort ertönte.
»Antworte! Ich bitte dich um Gottes willen, antworte!«
Aber so sehr er auch lauschte, es ließ sich nichts hören.
»Allein! Allein! Blind und verlassen! Bei lebendigem Leibe dem sicheren Tode übergeben! Was tue ich? Wie rette ich mich?«
Cortejo besaß Tatkraft genug, um die Partie noch nicht aufzugeben.
»Ah!« sagte er. »Wer hindert mich, selbst an das Ufer zu rudern? Dann werde ich zu ihnen treten und ein strenges Gericht halten. Es wird noch viele unter ihnen geben, die zu mir halten. Vorwärts also!«
Er glitt vom Floß herab, hielt sich an demselben fest und arbeitete, wie er meinte, dem Ufer entgegen. Aber er konnte nicht sehen. Das Floß hatte sich gedreht und drehte sich noch immerfort; er merkte dies daran, daß er abwechselnd die Strömung mit sich und gegen sich hatte. Es war ihm unmöglich, die Richtung einzuhalten.
»Es geht nicht!« jammerte er, als er sich fast außer Atem gearbeitet hatte. »Ich bin verloren; es gibt keine Rettung für mich. Selbst wenn ich um Hilfe rufe, habe ich nichts zu hoffen. Dieser englische Lord wird mich hören und eins seiner Boote nach mir senden; ich falle dann in seine Hände. Nur ein günstiger Zufall kann mich retten. Ich muß abwarten, ob die Strömung mich vielleicht an das Ufer treibt.«
Der Unglückliche kroch wieder auf das Floß und streckte sich lang über dasselbe hin.
Das Arbeiten im Wasser hatte ihn geschwächt. Seine Augen schmerzten ihn wieder außerordentlich, und er nahm das Tuch herab, um sie mit Wasser zu kühlen.
So wurde er von der Strömung weitergetragen.
Trotz der in jenen Ländern herrschenden Tageswärme sind die Nächte dort kalt. Cortejos Kleidung war durchnäßt, und bald fühlte er sich vom Frost ergriffen. Dazu kamen noch das Wundfieber und der Schmerz, der auch bei Anwendung des Wassers nicht weichen wollte. Er getraute sich nicht zu wimmern, und doch hätte er vor Schmerz laut aufbrüllen mögen.
So verlebte er Viertelstunden, die ihm zu Ewigkeiten wurden, aber es kam ihm nicht eine Spur des Gedankens, daß er diese Qualen verdient habe.
Endlich fühlte er einen Ruck. Das Floß war an das Ufer gestoßen. Er tastete mit der Hand hin und ergriff einen Zweig, an dem er sich festhielt. Bei einer genaueren Untersuchung merkte er, daß das Floß so weit über das flache Ufer heraufgetrieben worden sei, daß es festsaß.
Er blieb noch liegen um seiner Augen willen, die des kalten Wassers so sehr bedurften, und der unausgesetzte Gebrauch desselben hatte wirklich zur Folge, daß der Schmerz sich verminderte. Auch das Fieber ließ nach.
Jetzt kroch er an das Land, eine ganze Strecke durch Schilf und Sträucher, um sich eine Lagerstelle zu suchen.
Zunächst muß ich mich verstecken«, murmelte er, »damit mich meine Leute nicht finden, wenn sie mich etwa suchen sollten.«
Nur durch den Tastsinn konnte er sich überzeugen, ob er an einer Stelle sei, die ihm Deckung gewährte. Dann streckte er sich hin.
»So bin ich wenigstens nicht ertrunken!« sagte er sich. »Noch habe ich Glück. Wer weiß, auf welche Art ich noch Rettung finde!«
Die Anstrengung, der Schmerz und das Fieber hatten ihn so angegriffen, daß er in einen Schlaf versank, der zwar unruhig war, ihm aber doch für diese Zeit Vergessenheit gewährte. Endlich wurde er durch die Kälte geweckt und fühlte an dem Hauch des sich erhebenden Windes und an dem eigentümlichen Nebel, daß der Morgen nahe sei.
»Was wird der Tag mir bringen?« fragte er sich.
Eine Antwort konnte er sich allerdings nicht geben. Doch bald fand sich etwas, das ihm tausendmal lieber war, als wenn er sich diese Frage hätte beantworten können. Er merkte nämlich, daß das Sehvermögen seines linken Auges noch nicht erloschen sei. Als die Sonne ihre ersten Strahlen auf das Wasser warf, so daß die Oberfläche desselben goldig glitzerte, war es ihm, als ob er dieses Gold in seinem Auge leuchten sähe. Dies war keine Täuschung. Zwar war das Auge sehr entzündet, aber von Viertelstunde zu Viertelstunde besserte es sich, und als es Mittag war, konnte er bereits seine Hände bemerken, wenn er sie nahe genug an das Auge hielt
So verging noch eine Zeit. Da horchte Cortejo auf. Es war ihm, als wenn er Pferdegetrappel gehört habe. Ja, richtig; jetzt erklang ein lautes Schnaufen, das nur von einem Pferd herrühren konnte.
Wer kam? Wer war das, wer nahte? Sollte Cortejo rufen? Es konnte ein Feind sein, aber auch einer, der bereit gewesen wäre, ihn zu retten.
32. Kapitel
Indem Cortejo noch so nachsann, hörte er in französischer Sprache die Worte:
»Immer toll, Rappe! Laß doch den Braunen gehen!«
Ein Franzose. Ah, das war gefährlich! Die Hoffnung Cortejos fiel wieder bis Null herab. Aber einige Zeit darauf erklang es abermals:
»Nur hinein ins Wasser! Drüben ist unsere Hütte und besseres Futter!«
Unsere Hütte? Der Mann wohnte also drüben am texanischen Ufer. Er war kein Feind, kein Franzose, kein Mexikaner. Cortejo beschloß, es zu wagen.
»Hallo!« rief er.
Es blieb alles ruhig, außer daß Cortejo es im Wasser plätschern hörte.
»Hallo!« wiederholte er dieses Mal lauter.
Und da ließ sich auch eine Antwort hören:
»Hallo! Wer ruft denn da am Land?« – »Ein Verunglückter, der Hilfe sucht!« – »Ein Verunglückter? Da darf man nicht zögern. Wo stecken Sie?« – »Hier!« – »Ja, wo ist das ›Hier‹? Geben Sie mir den Baum oder Strauch an; ich schwimme nämlich mit den Pferden im Wasser.« – »Ich kann das nicht angeben, denn ich bin blind.« – »Donnerwetter! Blind in dieser Wildnis? Das ist schlimm! Aber ich komme bereits. Rufen Sie noch einmal, damit ich mich nach Ihrer Stimme richten kann.« – »Hallo! Hallo!« – »Gut, jetzt weiß ich es. Na, Rappe, nimm wieder Land. Wir schwimmen später.«
Cortejo hörte ein Gestampfe von Hufen und die Tritte der Tiere, die sich ihm näherten. Dann sprang neben ihm ein Mann zu Boden.
»Mein Gott, Señor, wie sehen Sie aus?« rief derselbe. – »Schlecht, nicht wahr?« – »Zum Erbarmen! Wer sind Sie?« – »Davon später. Sagen Sie mir zunächst, wer Sie sind!« – »Eigentlich hätte ich das Recht, auf die Beantwortung meiner Frage zu dringen, da ich es bin, der Ihnen zu Hilfe kommt.« – »Sie haben recht. Aber ich kann nicht sehen, ich muß doppelt vorsichtig sein.« – »Gut, ich will das gelten lassen. Ich bin ein Jäger von drüben herüber.« – »Ein Texaner?« – Ja.« – »Wohl ein Yankee?« – Ja, aber französischer Abstammung.« – »Woher kommen Sie?« – »Von Coahuila.« – »Ah! Welcher Parteirichtung gehören Sie an?« – »Gar keiner.« – »Sie sagen die Wahrheit?« – »Ja, was kümmern mich die Parteihändel! Ich bin Mann für mich.« – »Wie heißen Sie?« – »Grandeprise.« – »Grandeprise? Ah, das ist ein höchst eigentümlicher Name.« – »Wenigstens ist er selten.« – »Und dennoch habe ich ihn bereits an verschiedenen Orten gehört. Haben Sie Verwandte?«
Das war dem Mann denn zu viel.
»Hört, Señor«, sagte er, »Sie scheinen wahrhaftig aus lauter Fragen zusammengesetzt zu sein. Ich denke aber, es würde besser sein, wir sähen einmal nach Ihren Augen, als daß wir uns mit solchen müßigen Erkundigungen beschäftigen.« – »Verzeihung, Señor Grandeprise! Sie haben recht. Sehen Sie mich einmal an.«
Der Mann bog sich zu ihm herab und erwiderte:
»Sagen Sie mir doch um Gottes willen, wie Sie zu dieser Blessur gekommen sind.« – »Man hat es förmlich darauf abgesehen, mich des Augenlichtes zu berauben.« – »Aber warum?« – »Aus politischer Mißgunst. Haben Sie einmal den Namen Cortejo gehört?« – »Ja. Sie meinen doch den sonderbaren Kerl, der das Bild seiner Tochter in alle Welt verschickt, weil er gedenkt, dadurch Präsident von Mexiko zu werden.« – »Ja, den meine ich. Was halten Sie von ihm?« – »Daß er der größte Esel ist, den es nur geben kann. Er wird überall ausgelacht«
Diese Worte gaben Cortejo einen Stich durch die Seele. Also hatte er so große Opfer gebracht, nur um sich unsterblich zu blamieren.
»Wissen Sie vielleicht, wo er sich befindet?« fragte er. – »Nein. Mir ist es ganz gleich, wo solche Kerle stecken. Wäre ich nicht ganz zufälligerweise Juarez begegnet, so wüßte ich auch nicht, wo er ist.« – »Ah, Sie sind Juarez begegnet! Wann?« – »Vor ganz kurzer Zeit hier im Wald.«
Das konnte Cortejo nicht glauben.
»Das ist ja unmöglich!« sagte er. »Wie sollte Juarez hier in den Wald kommen?« – »Wie? Nun, sehr einfach: zu Pferde. Ich habe sogar mit ihm gesprochen.« – »Aber er ist ja in Paso del Norte.« – »Wer sagt Ihnen denn das?« – »Einer, der es sehr genau weiß. Ein Engländer, der zu ihm will.« – »Ein Engländer, hm, wo haben Sie den getroffen?« – »Gestern nachmittag, hier am Fluß.« – »Alle Wetter! Es wird doch nicht etwa … Beschreiben Sie ihn mir einmal.« – »Ein hagerer, langer Mann mit einer ungeheuren Nase, einem grauen Anzug, Regenschirm, Zylinderhut und außerdem mit einem Zwicker auf der Nase.« – »Ah, das war ein Engländer? Da irren Sie sich nun allerdings gewaltig.« – »Wer sollte es denn sein?« – »Das war Geierschnabel, der Jäger und Pfadfinder, aber kein Engländer.« – »Geierschnabel? Ich dächte, von diesem Manne hätte ich schon einmal sprechen gehört.« – »Er ist berühmt hier an der ganzen Grenze herum. Aber ich sage Ihnen noch einmal, wir wollen erst nach Ihren Augen sehen, dann können wir weitersprechen. Es wird notwendig sein, Sie zu verbinden. Haben Sie kein Tuch oder so etwas bei sich?« – »Ich hatte eins, aber es ist mir verloren gegangen.« – »Nun, so kann ich Ihnen das meinige geben. Wie ich sehe, ist Ihr rechtes Auge vollständig fort. Das linke ist vielleicht noch zu retten. Die Lider sind so dick geschwollen, daß man den eigentlichen Augapfel gar nicht sehen kann. Ich werde Sie verbinden.«
Grandeprise ging an das Wasser, tauchte sein Tuch in dasselbe und band es Cortejo um die Augen.
»So, das mag einstweilen genügen«, sagte er. »Ich kenne das indianische Wundkraut. Wir werden es suchen und finden, und dann sollen Sie sehen, wie schnell sich die Verletzung bessern wird. Ich werde Sie auf meinem Pferd über den Fluß bringen, und Sie können die Heilung bei mir in Ruhe abwarten.« – »Das geht nicht, Señor. Ich muß unbedingt zu den Meinen.« – »Wo sind sie?« – »Ist Ihnen vielleicht die Hacienda del Erina bekannt?« – »Die dem alten Pedro Arbellez gehört? Ja; ich bin einige Male dort eingekehrt.« – »Nun, dort befinden sich die Leute, die mich erwarten.« – »So sind Sie wohl gar ein Verwandter von Pedro Arbellez?«
Cortejo getraute sich nicht, die Wahrheit einzugestehen. Er antwortete:
»Ja, Arbellez ist ein sehr naher Verwandter von mir. Sind Sie vielleicht einmal droben auf Fort Guadeloupe gewesen, Señor?« – »Ja, Señor.« – »So kennen Sie wohl den alten Wirt Pirnero dort?« – »Der nur von Schwiegersöhnen spricht? Oh, den kenne ich sehr gut.« – »Er ist mein Verwandter ebenso wie Arbellez. Auch ich heiße Pirnero. Ich komme von ihm, ich wollte nach Comancho hinab und dann nach del Erina. Nicht weit von hier aber wurde ich von einer Bande Apachen aufgefangen und so zugerichtet, wie Sie mich hier gefunden haben.« – »Diese Hunde! Es wundert mich, daß sie Sie nicht getötet haben.« – »Oh, sie hatten es noch schlimmer mit mir im Sinn. Ich sollte langsam verschmachten oder mit vollem Wissen dem elenden Tode des Ertrinkens entgegengehen. Darum setzten sie mich, nachdem sie mich blind gemacht hatten, auf ein Floß und übergaben es den Wogen. Wäre ich hier nicht an das Land getrieben worden und hätte Gott nicht Sie mir zugeführt, so wäre ich verloren gewesen.« – »Ja, Gott schützt den Gerechten, Señor; diese Erfahrung habe ich stets gemacht. Hat er mich Ihnen gesandt, so werde ich Sie auch nicht verlassen. Übrigens weiß ich gar nicht, was diese Apachen hier am unteren Fluß wollen. Auch ich bin einem Trupp von ihnen begegnet, und da waren eben jener Geierschnabel und auch Juarez dabei.«
Juarez in der Nähe, das mußte Cortejo noch besorgter machen, als er es bereits so schon war. Darum fragte er:
»Haben Sie mit ihm gesprochen?« – »Ja.« – »Wissen Sie, was er hier wollte?« – »Nein.«
Cortejo wußte das sehr gut. Es verstand sich ja von selbst, daß Juarez nur gekommen sein konnte, um mit dem Lord zusammenzutreffen. Er meinte:
»Es ist sehr zu verwundern, daß Juarez sich hierher wagen kann.« – »Zu verwundern? Weshalb denn?« – »Nun, weil die Franzosen diesen Ort besetzt halten.« – »Da irren Sie sich sehr. Sie wissen wohl noch gar nicht, daß Juarez Chihuahua und Coahuila genommen hat?« – »Kein Wort weiß ich davon.«
Das hatte Cortejo allerdings nicht erwartet. Die Sorge um seine Sicherheit verdoppelte, nein, sie verzehnfachte sich. Befanden die beiden Provinzen sich wirklich in der Hand dieses Mannes, so war es Cortejo unmöglich, sich auf del Erina zu halten.
»Sie wissen das genau, was Sie da sagen?« fragte er. – »Ich habe ja Juarez gesehen. Ich komme aus Coahuila, wo die Truppen, die er bei sich hat, bereits zu mehreren Tausenden zählen.« – »Mein Gott, wie schlimm!« entfuhr es Cortejo. – »Schlimm? Haben Sie von Juarez zu fürchten?« – »Ja. Ehe ich nach Fort Guadeloupe kam, war ich in El Paso del Norte, wo ich das Unglück hatte, mir Juarez zum Feind zu machen.« – »Wie ich ihn kenne, ist er weder rachsüchtig noch grausam.« – »Oh, es handelt sich hier nicht um Persönlichkeiten, sondern um politische Sachen.« – »Hm, so sind Sie der Anhänger einer anderen Partei?« – »Ja.« – »Dann müssen Sie sich allerdings in acht nehmen. Am besten ist es, Sie suchen einen Ort auf, der noch von den Franzosen besetzt ist.« – »Auch diese sind meine Feinde!« – »Das ist allerdings doppeltes Unglück. Aber Sie dauern mich. Was ich für Sie tun kann, das werde ich sehr gern tun.« – »Oh, wenn Sie mich nach del Erina bringen könnten.« – »Hm, das ist eine schlimme Geschichte. Der Weg ist weit, und Sie sind verwundet und blind. Auch dürfen Sie sich, wie es scheint, vor niemandem sehen lassen.« – »Ich werde Sie reich belohnen.« – »Sind Sie denn reich?« – »Ja.« – »Das läßt sich allerdings hören. Ich stehe zwar gern einem Hilfsbedürftigen bei, ohne zu fragen, was er ist, aber Sie nach der Hacienda del Erina zu bringen, das ist denn doch etwas Außergewöhnliches. Und wenn man sich etwas verdienen kann, so soll man nicht so dumm sein, es zurückzuweisen.« – »Gut! Wieviel fordern Sie, wenn Sie mich sicher und schnell nach der Hazienda bringen?« – »Wieviel bieten Sie?« – »Tausend Dollar. Ist das genug?« – »Tausend Dollar? Donnerwetter, da müssen Sie allerdings ein sehr reicher Mann sein. Ich gehe natürlich sofort darauf ein.« – »Wie lange werden wir brauchen, um hinzukommen?« – »Das läßt sich jetzt noch nicht sagen. Sind Sie ein guter Reiter?« – »Ja.« – »Nun, so kommt es noch darauf an, welche Hindernisse sich uns in den Weg legen.« – »Ich kann es nicht voraussehen. Sind Ihre Pferde gut?« – »Sie sind ganz leidlich, jetzt aber allerdings ermüdet.« – »Können wir unterwegs nicht andere bekommen?« – »Warum nicht? Pferdeherden gehören zu einer jeden Hazienda. Da können wir tauschen. Wollen wir aber ganz ehrlich sein, so kaufen wir. Ich habe so viel Geld bei mir, daß ich zwei Pferde bezahlen kann.« – »Oh, auch ich bin mit Geld versehen. Diese Apachen haben versäumt, es mir abzunehmen. Ich werde gerade so viel in Gold bei mir haben, wie ich Ihnen versprochen.« – »Das ist gut. Man weiß nicht, wann und wie man es gebrauchen kann.« – »Sie sind also bereit, mich zu geleiten?« – »Hm, was will man machen? Sie stecken in der Not, und ich helfe gern. Außerdem gibt es tausend Dollar zu verdienen. Ja, ich gehe mit.« – »Ich danke Ihnen. Erreichen wir die Hazienda glücklich, so kommt es mir auch noch auf eine besondere Gratifikation nicht an. Wann brechen wir auf?« – »Mir einerlei.« – »Sie müssen nicht erst nach Ihrer Wohnung hinüber?« – »Nein.« – »Das ist gut; ich besorge nämlich, daß diese Apachen das Ufer absuchen, um zu sehen, ob ihnen ihr Streich gelungen ist. Finden sie mich, so bin ich verloren.« – »Und ich mit, weil sie mich bei Ihnen treffen. Also sofort aufbrechen?« – »Ja.« – »Werden Sie aber bei Ihrem Zustand einen solchen Ritt vertragen können?« – »Man muß das abwarten.« – »Gut, so wollen wir auch keine Zeit verlieren. Forschen die Apachen nach, so finden sie ganz sicher unsere Fährte. Sie werden uns dann verfolgen. Darum schlage ich vor, die ganze Nacht hindurch zu reiten, damit wir einen tüchtigen Vorsprung erhalten. Morgen früh nehmen wir frische Pferde.«
Sie bestiegen die Tiere und ritten davon.
Cortejo fiel das Reiten außerordentlich schwer. Er fühlte jeden Schritt des Tieres in seinem verletzten Kopf, aber er wußte, daß in der Eile seine Rettung lag, und so biß er die Zähne zusammen und versuchte, die Schmerzen im stillen zu ertragen, was ihm allerdings nur schwer gelang.
Als sie den Urwald hinter sich und die offene Prärie vor sich hatten, sprach der Jäger, ihn mit besorgten Blicken musternd:
»Sie leiden Schmerzen, Señor Pirnero?« – Ja«, antwortete der Gefragte. – »Wollen wir ein wenig ausruhen?« – »Nein. Nur vorwärts.« – »Gut Jetzt sind wir Trab geritten, das erschüttert natürlich Ihr Gehirn. Da wir aber nun die freie Savanne vor uns haben, können wir galoppieren. Das wird Ihnen weniger weh tun.«
Grandeprise hatte recht. Cortejo konnte den Galopp viel besser vertragen. Zwar brannten ihm die Augenwunden, und er fieberte, aber bei jedem Wasser, an das sie kamen, wurde das Tuch von neuem genäßt, und kurz vor Einbruch des Abends gelang es dem Jäger, das gesuchte Wundkraut zu finden. Er steckte einen Vorrat davon zu sich und kaute einige Stengel der Blätter, um sie Cortejo auf die Verletzungen zu legen. Es währte auch gar nicht lange, so fühlte dieser die lindernde Wirkung derselben.
Sie ritten die ganze Nacht hindurch. Am Morgen waren die Pferde so ermüdet, daß sie anhalten mußten. Cortejo war so angegriffen, daß er fast aus dem Sattel fiel. Ohne das Wundkraut hätte er sich nicht halten können.
Sie lagerten an einem kleinen Buschwerk. In der Ferne waren die Gebäude einer Meierei zu sehen.
»Da drüben liegt eine Hazienda«, sagte Grandeprise. »Soll ich hinübergehen und Pferde holen, während Sie sich ausruhen?« – »Ja. Aber Señor, werden Sie auch wiederkommen?«
Nur die äußerste Angst konnte ihm diese Frage auf die Lippen legen.
»Halten Sie mich für einen Schuft?« antwortete Grandeprise. »Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, und ich bin nicht gewohnt, es zu brechen.« – »So gehen Sie. Werden Sie die Pferde einfangen, ohne zu fragen?« – »Man könnte es wagen, aber ich meine, daß es besser ist, ich spreche mit den Leuten. Ich nehme die unsrigen mit und vertausche sie. Auf diese Weise werde ich wenig daraufzugeben haben. Die Sättel und das Zaumzeug lasse ich Ihnen hier. Das mag Sie zugleich überzeugen, daß ich sicher wiederkomme.«
Der Jäger nahm den Pferden das Lederzeug ab und ritt davon.
Cortejo fühlte sich heute bereits viel sicherer als gestern. War er ja doch der allernächsten und größten Gefahr entgangen. Auch schien es ihm, als ob er sich auf Grandeprise verlassen könne. Dieser Jäger hatte ein zwar rauhes, aber gerades und aufrichtiges Wesen. Der Kranke fiel, als der Hufschlag verklungen war und ringsum tiefe Stille herrschte, in einen Schlummer, der sehr lange gedauert haben mußte, denn als er erwachte, hörte er Hufgestampfe neben sich. Grandeprise war also bereits zurückgekehrt.
»Endlich wachen Sie auf!« sagte der Jäger, als er bemerkte, daß Cortejo sich zu regen begann. – »Habe ich lange geschlafen?« fragte dieser. – »Eine ganze Ewigkeit. Fast ist der Mittag nahe.« – »Wetter, so müssen wir aufbrechen!« – »Nur Geduld! Selbst wenn man uns verfolgen sollte, ist unser Vorsprung groß genug, um uns zu beruhigen.« – »Haben Sie Pferde?« – »Ja, ein Paar Prachttiere. Wir werden fliegen wie die Falken. Leider aber sind wir zu einem großen Umweg gezwungen.« – »Warum?« – »Denken Sie sich! Da ist in Reinosa eine Schar von über tausend Freiwilligen aus den Vereinigten Staaten gelandet. Sie wollen zu Juarez und haben alle Haziendas besetzt, die zwischen hier und Naria liegen. Wir müssen, um nicht auf sie zu treffen, bis zum Rio del Tigre hinab und um Monterney herum, so daß wir anstatt von Norden, von Osten her auf die Hazienda gelangen.« – »Das ist schlimm. Haben wir diese Leute wirklich so zu scheuen?« – »Gewiß, Señor. Kennt man Sie hierzulande persönlich?« – »Ja.« – »Nun, es ist anzunehmen, daß Juarez diesen Freischaren Truppen entgegensendet, um sie an sich zu ziehen. Unter diesen Truppen könnten Männer sein, die Sie kennen. Übrigens bestehen diese Freischaren aus lauter geschulten Jägern, die besser aufzupassen gewohnt sind als die Mexikaner. Es geht wirklich nicht anders. Ihre Sicherheit erfordert es, diesen Umweg zu machen.« – »Wieviel Zeit verlieren wir dadurch?« – »Zwei Tage.« – »Das ist viel, sehr viel! Wir müssen sofort aufbrechen.« – »Halt, nicht sofort! Ich habe Proviant mitgebracht. Wir wollen zunächst etwas essen. Sodann lege ich Ihnen neues Wundkraut auf, und dann können wir in den Sattel steigen. Wenn man im Begriff steht, volle Tage zu verlieren, so kommt es auf eine weitere halbe Stunde nicht an.«
Obgleich Cortejo sich sehr leidend fühlte, schmeckten ihm die mitgebrachten Tortillas – kleine Maiskuchen – recht gut. Der leere Magen erhielt Nahrung und hatte kaum die Arbeit des Verdauens begonnen, so war es dem Kranken, als ob eine ganz neue Kraft durch seinen Körper gehe. Dieses wohltuende Gefühl machte ihn zu einer kurzen Unterhaltung aufgelegt.
»Sie nahmen es mir gestern übel, als ich nach Ihrer Familie fragte?« begann er. – »Übelnehmen? O nein! In der Wildnis hat ein jeder das Recht, Auskunft zu verlangen, nur schien mir diese Auskunft nicht so notwendig zu sein, wie der Verband Ihrer Wunden.« – »So darf ich heute auf meine Fragen zurückkommen?« – »Ich habe nichts dagegen.« – »Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen sagte, Ihr Name sei mir bekannt?« – »Ja, ich erinnere mich.« – »Haben Sie vielleicht Verwandte, die noch leben?« – »Nein.« – Ah, so ist alles weitere Fragen nutzlos.« – »Warum?« – »Hätten Sie einen Verwandten, der Seemann ist, so würden Sie mein …« – »Seemann?« unterbrach ihn der Jäger schnell. »Wie kommen Sie darauf?« – »Weil ich einen Seemann kenne, der Grandeprise heißt.« – »Lebt er noch?« – »Ja.« – »So ist es der nicht, den ich meine. Ich habe nämlich in Wirklichkeit einen Verwandten gehabt, der Seemann war.« – »Und auch Grandeprise hieß?« – »Nein. Er hieß anders, aber er legte sich diesen meinen Namen bei, um mich zu blamieren und um meinen moralischen Kredit zu bringen.« – »So läßt sich vermuten, daß er diesen Namen nicht mit Ehren trug?« – Allerdings. Er war Pirat – Seeräuber.« – »Donnerwetter!« rief Cortejo. »Was Sie sagen, Seeräuber?« – »Ja, Seeräuber, Sklavenhändler, alles mögliche.« – »Diente er an Bord eines Schiffes oder war er selbst Kapitän?« – »Er war Kapitän.« – »Wem gehörte das Schiff?« – »Wer weiß es.« – »Wie hieß das Schiff?« – »Der ›Lion‹ war sein Name.« – »Wirklich? Wirklich? Ah! So ist es doch der Mann, den ich meine.« – »Sie haben diesen Kapitän gekannt?« – Ja.« – »Im guten oder im bösen?« – »Wie man es nimmt«, antwortete Cortejo vorsichtigerweise. – »Hatte er nicht noch einen Beinamen?« fragte der Jäger. – »Ja. Er wurde der Schwarze Kapitän genannt« – »Wahrhaftig, Sie kennen ihn. Hatten Sie vielleicht auch eine Rechnung mit ihm auszugleichen, gerade so wie ich?«
Die Frage sagte, daß der Jäger seinem Verwandten nicht freundlich gesinnt war, darum antwortete Cortejo frisch darauflos:
»Allerdings. Diese Rechnung ist heute noch nicht ausgeglichen.« – »Verzichten Sie darauf, sie ins gleiche zu bringen. Er lebt nicht mehr.« – »Wissen Sie das genau?« – »Seine Leiche habe ich nicht gesehen, aber er ist tot. Ich habe ihm nachgeforscht wie einer nur immer kann, Tag und Nacht, mit Haß und Rache im Herzen. Ich bin auf seiner Fährte gewesen jahrelang; aber sobald ich ankam, war er schon wieder fort. Endlich hörte die Spur auf, das Schiff war untergegangen und der Kapitän jedenfalls mit.«
Seine Stimme hatte auf einmal einen ganz anderen Klang angenommen. Die Worte wurden mehr zwischen den Zähnen herausgezischt als gesprochen.
»So haben Sie ihn gehaßt?« – »Ja, ich habe ihn so gehaßt, wie nur ein Mensch den anderen hassen kann.« – »Und doch war er Ihr Verwandter?« – »Oh, er war sogar mein – Bruder, das heißt, mein Stiefbruder.«
Die Aufmerksamkeit Cortejos steigerte sich.
»So müssen Sie Schreckliches mit ihm erlebt haben«, sagte er.
Der Jäger schwieg eine Weile; dann fuhr er fort:
»Er war ein Teufel. Von dem Tag an, an dem seine Mutter das Weib meines Vaters wurde, habe ich keinen glücklichen Augenblick mehr gehabt.« – »Seine Mutter war Witfrau?« – »Ja, und mein Vater Witwer. Sie müssen nämlich wissen, daß derselbe Pflanzer war; meine Mutter ist bereits bei meiner Geburt gestorben. Ich war zwanzig Jahre alt und hatte eine Braut, schön wie eine Huri und gut wie ein Engel. Da fiel es meinem Vater ein, wieder zu heiraten. Er hatte in New Orleans die Witwe eines Spaniers kennengelernt und brachte sie mir als zweite Mutter mit nach Hause.« – »Solche Sachen sind unangenehm!« – »Oh, es ging mich ja weiter nichts an. Mein Vater war sein eigener Herr und konnte tun, was ihm beliebte. Aber diese Spanierin hatte einen neunzehnjährigen Sohn, den sie mitbrachte. Was soll ich Ihnen das alles erzählen! Ich will Ihnen nur sagen, daß er meine Braut verführte und meinen Vater erschoß, den Verdacht aber auf mich zu bringen wußte. Ich wurde verurteilt, entkam aber mit Hilfe einiger Freunde. Was er beabsichtigt, das hatte er erreicht; er war der Besitzer der Pflanzung, die eigentlich mir gehörte. Aber das hielt nicht lange vor. Er verjubelte und verpraßte das Vermögen, und als der letzte Heller vergeudet war, sah er sich gezwungen, seinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Er war nämlich Seemann.« – »Sie versuchten nicht, sich zu rächen?« – »Konnte ich? Durfte ich es wagen, mich in die Heimat einzuschleichen? Es mußten Jahre vergehen, ehe mir der Bart gewachsen war und mein Aussehen sich so verändert hatte, daß ich hoffen durfte, nicht erkannt zu werden. Und als ich dann kam, war es zu spät, denn er befand sich bereits zur See. Ich war arm und mittellos, ich konnte es nicht machen wie ein Millionär, der sich hätte eine Yacht bauen lassen, um ihm nachzujagen. Aber ich ging in die Goldminen und war glücklich. In vier Jahren war ich wohlhabend, und nun begann ich meine Jagd, um den Mörder meines Vaters, den Verführer meiner Braut, den Zerstörer meines Glückes zu züchtigen.« – »Es gelang Ihnen nicht?« – »Nein. Ich war ihm immer auf der Ferse, aber ich erwischte ihn nicht. Mein Geld wurde alle, und ich war wieder arm, ohne mich gerächt zu haben; aber der, dem meine Rache galt, war auch seit jener Nacht verschwunden.« – »Warum nannte er sich denn Grandeprise?« – »Weil dies mein Name war. Alle Welt sollte denken, ich, der Entflohene, der verfluchte Vatermörder, sei der Schwarze Kapitän.« – »Teufel! Dieser Grandeprise ist selbst in seinen Verbrechen geistreich!« – »Sie nennen das geistreich? Ich nenne es teuflisch!« – »Wie war denn eigentlich sein Name?« – »Landola, Henrico Landola.« – »Alle Wetter! Ist Ihnen denn nicht einmal der Gedanke gekommen, daß er unter diesem seinen wirklichen Namen noch leben könne?« – »Nein.« – »Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor. Dann sind Sie nicht der Mann dazu, den Schwarzen Kapitän zu fangen!« – »Glauben Sie etwa, daß er als Seeräuber seinen wahren Namen tragen wird?« – »Nein. Aber ist es denn nicht möglich, daß er von diesem schlimmen Handwerk gelassen hat? Wenn er unter einer ehrlicheren Flagge fährt, kann er auch seinen Namen tragen. Ich will es übrigens ebenso kurz machen wie Sie und Ihnen sagen, daß Ihr Stiefbruder noch lebt.« – »Heiliger Gott! Ist es wahr, Señor?« – »Ja.« – »Sie kennen ihn?« – »Oh, ich habe sehr viele Geschäfte mit ihm gemacht und hoffe, ihn bald wiederzusehen.« – »Unter dem Namen Henrico Landola?« – »Ja.«
Der Jäger befand sich in einer großen Aufregung. Seine Augen hingen an Cortejos Lippen, um die Worte gleichsam abzulesen, ehe ihr Klang noch das Ohr erreichen konnte. Er ergriff dessen Hände und sagte:
»Sie hoffen wirklich, diesen Menschen wiederzutreffen?« – »Ja.« – »Sie sind nicht sein Freund, sondern sein Feind?« – »Ich war sein Freund, bin aber jetzt sein Feind. Er hat mich getäuscht und betrogen; er hat eine Aufgabe, die ich ihm erteilte, nicht wörtlich gelöst, sondern er ist dabei mit eigener Willkür verfahren und hat mir großen Schaden gemacht.« – »Sie wollen sich an ihm rächen?« fragte der Jäger. – »Ja.« – »Darf ich Ihr Verbündeter sein?« – »Wenn ich wüßte, daß ich Ihnen trauen darf.« – »Oh, Señor, geben Sie mir Gelegenheit, mit diesem Ungeheuer abzurechnen, und ich tue für Sie alles mögliche, was in menschlichen Kräften steht Ich habe förmlich geschmachtet nach Rache und Vergeltung. Wo gedenken Sie, diesen Landola wiederzutreffen?« – »Das ist jetzt noch unbestimmt. Vor allen Dingen kommt es darauf an, daß ich die Hazienda glücklich erreiche. Bin ich in Sicherheit, so kommt ganz gewiß die Stunde, in der ich Nachricht über ihn erhalte.« – »So lassen Sie uns aufbrechen. Die Pferde sind gesattelt. Vorher aber wollen wir nach Ihren Augen sehen.«
Der Jäger nahm Cortejo die Binde ab, und dieser bemerkte dabei zu seiner größten Freude, daß er, wenn auch jetzt noch spärlich, auf dem einen Auge sehen konnte. Er bekam abermals Wundkraut aufgelegt, und dann stiegen sie zu Pferde, um ihren Ritt fortzusetzen.
33. Kapitel
Unterdessen war die Fahrt der Dampfer und ihrer Fracht gut vonstatten gegangen. Natürlich saßen Amy und Mariano während der ganzen Reise beisammen, um sich für eine so lange Zeit der Entbehrung zu entschädigen. Geierschnabel stand am Bug des ersten Dampfers. Er hatte die Führung des Schiffszuges übernommen.
Man war bereits am anderen Morgen aus dem Rio Grande del Norte in den Sabina eingefahren und näherte sich dem Punkt immer mehr, an welchem die beiden Arme desselben sich vereinigen.
Sternau stand in der Kajüte, tief in die Betrachtung der beiden Bilder versunken, als Juarez bei ihm eintrat. Dieser hatte gehört, wen die Fotografien darstellten. Er sagte:
»Allem Anschein nach sind Sie ein ebenso beneidenswerter Gatte wie Vater. Haben die Ihrigen bereits eine Ahnung von Ihrer Wiederkehr?« – »Nein. Ich hatte bei unserer Landung in Guaymas die Absicht, Ihnen zu schreiben, aber es gibt dort keine Briefbeförderung.« – »Hier leider auch nicht, wenigstens ist sie außerordentlich unsicher.« – »So werden meine Angehörigen noch lange warten müssen«, meinte Sternau in trübem Ton. – »Ich möchte Ihnen gern helfen, mein lieber Señor, aber die Franzosen machen mir dies unmöglich.« – »Inwiefern?« – »Ich habe bereits zweimal den Versuch gemacht, ganz harmlose Privatbriefe ihnen zur Beförderung anzuvertrauen, bin aber abgewiesen worden.« – »Waren Sie selbst der Absender?« – »Nein. Die Briefe waren von mir ganz unbekannten Leuten geschrieben, die mich baten, ihre Beförderung zu gestatten. Ich erlaubte dies gern; an der französischen Okkupationslinie aber wurden sie zurückgewiesen, obgleich die Schreiben offen waren, so daß sich ein jeder von ihrem unverfänglichen Inhalt überzeugen konnte. Der eine verlor dadurch sein Vermögen, und der andere erlitt auch einen bedeutenden geschäftlichen Schaden. Man muß sagen, Frankreich marschiert an der Spitze der Zivilisation. Die Nation ist die größte Beschützerin der internationalen Humanität.«
Diese Worte waren mit tiefer Erbitterung gesprochen. Doch fuhr er gleich darauf fort:
»Wie wäre es, wenn wir versuchten, ihnen ein Schnippchen zu schlagen?« – »In welcher Weise?« – »Sie schreiben nach Hause, und zwar zwei gleichlautende Briefe. Kommt der eine nicht an, so gelangt doch vielleicht der andere an seine Adresse.« – »Auf welchem Weg?« – »Sie senden den einen nach Tampico und den anderen nach Santillano. Ich habe an beiden Orten zuverlässige Vertrauensmänner, denen es große Freude machen würde, die Briefe einem Schiff zur Beförderung zu geben.« – »Und wer bringt sie hin? Das ist gefährlich!« – »O nein. Ich habe viele Leute unter meinen Truppen, die unternehmend genug sind, eine solche Aufgabe zu lösen. Übrigens ist von einer Gefahr gar nicht die Rede. Selbst wenn man einen dieser Boten auffangen und den Brief öffnen sollte, enthält dieser ja nur Privatnachrichten, die dem Überbringer nicht schaden können.« – »So muß ich in dem Schreiben von Ihnen schweigen.« – Auch das ist nicht nötig. Was kann der Bote dafür, daß der Absender sich bei mir befindet?« – »Das ist allerdings wahr. Darf ich Ihren Vorschlag annehmen, Señor?« – »Ich bitte Sie es zu tun.« – »Wann darf ich da schreiben?« – »Sogleich, wenn es Ihnen möglich ist. Sobald wir an das Lager kommen, werde ich zwei Mann auswählen, die sofort nach den genannten Orten aufbrechen.«
Sternau folgte dieser Aufforderung. Papier war nebst den nötigen anderen Schreibrequisiten vorhanden. Der Brief lautete:
»Meine Lieben und Teuren!
Mit heißen Tränen im Auge schreibe ich diese Zeilen nieder. Es sind Freudentränen, die ich vergieße bei dem Gedanken, welche Freude, welches Entzücken dieses unerwartete Lebenszeichen daheim hervorrufen wird.
Habt Ihr meine Schrift sofort erkannt, als Ihr das Kuvert erblicktet? Fast glaube ich, das Schreiben verlernt zu haben, da meine Hand beinahe zwei Jahrzehnte lang weder Feder, noch Stift berührte. Es war eine lange Zeit, eine qualvolle, trostlose Ewigkeit, die nun hinter uns liegt. Ausgesetzt und gefangen auf einer kleinen, einsamen Insel des Ozeans, haben wir ärmlicher und hilfloser gelebt als Robinson Crusoe, den doch das Wrack des Schiffes mit Waffen und anderen Hilfsmitteln versah.
Wir haben nach Rettung geschrien, wie der Sünder im Fegefeuer nach Erlösung schreit. Fast schien es, als ob alle unsere Gebete erfolglos seien, als ob es keinen Gott gäbe, der die Stimme des Jammers vernehmen will. Da endlich, endlich erbarmte sich der Allgütige unserer und sandte uns zu unserem Retter einen Mann, den auf Erden zu sehen wir nicht für möglich gehalten hätten.
Wer alles mit auf unserer Insel war, fragt Ihr? Ich nenne Euch nur Mariano, Helmers und seinen Bruder Anton. Die übrigen sind Euch nicht bekannt, und ein ausführlicher Bericht ist auch nicht der Zweck dieser Zeilen. Wer unser Retter war? Graf Ferdinando de Rodriganda, der Totgeglaubte.
Rätsel auf Rätsel, nicht wahr? Ich werde sie Euch baldigst lösen. Jetzt befinden wir uns wieder in Mexiko bei Juarez. Amy und Lord Lindsay sind da. Mariano ist entzückt, die Geliebte zu besitzen. Gott, wäre doch auch mir dies Glück beschieden!
In Amys Kajüte hängen zwei Porträts, das meiner Rosa und auch das meines – Waldröschens. Ich habe vor denselben auf den Knien gelegen, und wenn Gott wirklich Gott ist, so wird er mein Gebet erhören und Euch so viel Glück mehr gewähren, als ich Gram und Leid erdulden mußte.
Allem Anschein nach befinden wir uns auf dem Heimweg; aber es gibt hier noch einige Aufgaben zu lösen, bevor wir Mexiko verlassen können. Es gilt, das Geheimnis von Rodriganda aufzuklären und die Schuldigen zu bestrafen. Dann kommen wir alle zu Euch nach Rheinswalden.
Amy hat mir erzählt, welche ungeahnte Veränderung daheim vorgegangen ist. Ich habe einen Vater. Gott, welch ein Glück, welch eine Freude! Mutter, grüße ihn tausend und abertausend Male von mir! Nicht, daß er ein Herzog ist, macht mich so glücklich, sondern der Gedanke, daß Dein Herz ein zweites gefunden hat, an das es sich stützen und lehnen darf.
Wie gern möchte ich Euch bitten, mir zu schreiben. Aber wo sollte mich Eure Antwort treffen, wenn sie überhaupt noch während meiner Anwesenheit nach Mexiko gelangte? Begnügen wir uns also mit diesem Lebenszeichen und der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen.
Rosa, mein heißgeliebtes, teures Weib, Du Wonne meiner Seele, Du Bild meines Wachens und meiner Träume viele Jahre lang, ich flehe Dich an, lege Deine Hände auf das Haupt unseres Kindes und gib ihm an meiner Stelle den Vatersegen. Möge jede Träne, die ich vergoß, jeder Seufzer, den ich in die Lüfte hauchte, sich für Röschen in eine Stunde des Glückes verwandeln. Meine Hand zittert, und mein Herz bebt, indem ich dieses schreibe. Meine ganze Seele ist ein einziges und inbrünstiges Gebet für Euch, die ich nimmer wiederzusehen erwartete und deren Antlitz mir nach so langem Sehnen doch noch entgegenleuchten wird.
Grüße alle, alle, auch die ich einzeln nicht nenne, da mir die Zeit zum Schreiben so kurz zugemessen ist, die Schwester, Herrn von Rodenstein, den wackern Ludwig, dessen Bruder Andreas ich hier getroffen habe und mitbringen werde. Grüßt auch Frau Helmers und ihren Kurt; ich werde ihnen den Gatten und Vater in die Arme legen. Auch jenen Franzosen, der Rosa ermorden sollte, habe ich hier gefunden. Auch er muß mit zu Euch, da er uns wichtige Entdeckungen zu machen hat.
Verzeiht wenn ich eine Person oder sonst etwas vergessen habe. Meine Gedanken sind nicht hier bei dem Papier, sondern bei Euch drüben. Meine Worte sind nicht imstande, Euch mein Glück, meine Sehnsucht zu schildern. Jeder Pulsschlag gilt Euch; jede Faser zittert Euch entgegen, und jetzt gibt es trotz aller Sprachen und Dialekte der Erde nur ein einziges Wort für mich. Es heißt Wiedersehen!
Euer heiß nach Euch verlangender
Karl Sternau.«
Eben als er das Duplikat dieses Briefes angefertigt hatte, stieß der Dampfer ein lautes Pfeifen aus. Man war am Lager angekommen.
Dort herrschte, wie man bereits vom Fluß aus sehen konnte, ein außerordentlich reges Leben. Es waren da die Reiter nicht mehr allein vorhanden, sondern auch die hierher bestellten Ochsenwagen waren angekommen. Man konnte die ganze Versammlung deutlich überblicken, da man sich hier auf offenem Prärieland befand. Die Dampfer bugsierten die Boote an das Ufer, wo die letzteren angelegt wurden.
Das Ausladen begann sofort.
Da zeigte es sich nun, welche Hilfsmittel dem Präsidenten übergeben wurden; kleine Fäßchen, mit Goldstücken gefüllt, tausende von Gewehren, Messern, Pistolen und Revolvern, große Vorräte von Pulver, Blei, fertigen Patronen, telegrafische Feldapparate mit Leitungsdrähten, viele Meilen lang. Patenttragbahren für Verwundete, alle möglichen und nötigen Requisiten für Kampf und Kriegskrankenpflege. Die Boote steckten vom Kiel bis hoch über Deck voll von all diesen Sachen, und die Männer, die arbeiteten, um das alles entgegenzunehmen und auf die Karren zu laden, mußten sich sagen, daß dies für Juarez eine Unterstützung sei, deren Wert jetzt noch gar nicht taxiert werden konnte.
Der Lord leitete in Person die Ausschiffung und Juarez den Empfang und die Verpackung. Sternau war dem ersteren behilflich.
»Was wird mit den Schiffen geschehen?« fragte er. – »Sie gehen nach El Refugio zurück.« – »Und Sie mit?« – »Nein. Ich bleibe bei Juarez.« – »Als Bevollmächtigter Englands?« – »Ja.« – »Und Miß Amy?« – »Bleibt natürlich bei mir.« – »Aber haben Sie auch bedacht, welche Gefahren Ihnen und ihr drohen, Mylord?« – »Ja. Was mich betrifft, so darf ich diese Gefahren nicht achten. Meine Gegenwart sanktioniert das Verhalten des Präsidenten. Wir wollen sehen, ob diese Franzosen ein Heer, bei dem sich der Vertreter Großbritanniens befindet, wirklich wie eine Schar Banditen behandeln werden. In einigen Tagen wird sich auch der Vertreter der Vereinigten Staaten einstellen, und dann – hinaus mit den Franzosen! Und was Amy betrifft, nun, so wollte sie nicht von mir lassen. Sie nimmt teil an meinen Freuden und Leiden.« – »Wird der Umstand, daß Freund Mariano jetzt zugegen ist, nicht vielleicht etwas daran ändern?« – »Hm! Möglich, aber ich glaube es nicht.« – »Mariano wird sich natürlich Ihnen und der Braut anschließen wollen und hat doch noch andere Pflichten. Auch befindet sich Graf Ferdinando, der sein Oheim ist, noch krank in Fort Guadeloupe.« – »Ich denke, das wird sich alles sehr wohl vereinigen lassen. Bevor wir in Mexiko einziehen, wird sich in Sachen der Rodrigandas nichts tun lassen, und so ist es am besten, Sie alle bleiben mit mir bei Juarez, dessen Heer so schnell anwachsen wird, daß wir in kurzer Zeit in der Hauptstadt sein werden. Ich weiß genau, daß dem Kaiser der Franzosen ein sehr ernstes Ultimatum der Regierung der Vereinigten Staaten zugegangen ist« – »Welches Ultimatum?« – »Wenn Napoleon seine Truppen nicht aus dem Land zieht, wird die Union die ihrigen marschieren lassen.« – »Gegen die Franzosen?« – »Natürlich. Ich habe sogar eine Ahnung, daß bereits geheime Verhandlungen im Gange sind, um die Art und die Zeit zu bestimmen, in welcher die Franzosen sich nach rückwärts zu konzentrieren haben.« – »Sie meinen, daß sie Juarez das Land allmählich übergeben werden?« – »Nein, das nicht. Das können sie nicht tun, ohne sich unsterblich zu blamieren.« – »Was aber sonst?« – »Oh, sehr einfach: Sie haben den Erzherzog Max zum Kaiser gemacht Sie werden ihn bewegen, freiwillig abzudanken, und wie ich ihn, besonders die Kaiserin und seine Ratgeber kenne, wird er es nicht tun. Die Franzosen werden also gezwungen sein, ihn sich selbst zu überlassen. Sie werden sich zurückziehen und Stadt für Stadt, Provinz für Provinz ihm überlassen. Er aber wird nicht imstande sein, einen Ort für die Dauer zu behaupten, und darum wird das Land Juarez zufallen. In Wahrheit wird es allerdings ganz so sein, als ob Bazaine das Land direkt an Juarez zurückgibt.« – »Und Kaiser Max?« – »Er wird die Folgen der Tatsachen zu tragen haben. Er hat Napoleon getraut, und dieser läßt ihn fallen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit den Franzosen das Land zu verlassen oder sich bis auf den letzten Mann zu verteidigen und mit zu – sterben.« – »Mein Gott! Das letztere doch wohl nicht!«
Der Lord zuckte die Achsel.
»Welch ein Schicksal! Könnte ich bei ihm sein, um ihn zu warnen!« – »Sie würden keinen Erfolg haben, ebensowenig wie General Mejia, von dem man weiß, daß er der aufrichtigste Berater ist. Fast möchte man annehmen, Max habe sich für zu einem Kaiser bestimmt gehalten. Als er im Jahre 1851 Spanien besuchte und im Gruftgewölbe des Doms zu Granada an den Särgen seiner Ahnen Ferdinand und Isabella stand, hat er ein eigentümliches Gedicht verfaßt. Kennen Sie es?« – »Nein.« – »Nun, ich habe es gelesen und wörtlich behalten. Es lautet:
Düsterer, dumpfer Fackelschein
Führt den Enkel zu der Stätte,
Wo der Könige Gebein
Ruht im kalten, engen Bette.
An dem Sarg er sinnend steht,
Bei dem Staub der großen Ahnen,
Lispelt stille sein Gebet,
Den schon halb vergeߑnen Namen.
Da erdröhnt es in dem Grab,
Flüstert aus den morschen Pfosten
Der hier brach, der goldne Stab,
Glänzt plus ultra auch im Osten!
Leider aber hat er diesen Stab nicht im Osten, sondern im Westen gesucht. Der Glanz desselben wird verbleichen, und das Gebein des Enkels, der an einem kurzen Kaisertraum zugrunde ging, wird in keine Kaisergruft gesenkt, sondern vielleicht hinter dem Wall irgendeines mexikanischen Ortes eingescharrt werden. Gebe Gott, daß ich ein schlechter Prophet bin. Doch genug von dieser Sache! Da kommt einer, von dem es scheint, daß er Sie sprechen will.«
Der, den der Lord meinte, war Anton Helmers, der Donnerpfeil. Er warf einen forschenden Blick auf das ringsum herrschende, geschäftige Treiben und fragte:
»Wie lange wird es währen, bis man hier fertig ist, Herr Doktor?« – »Wohl gut zwei Tage.« – »Ah! Und die Hacienda del Erina?« – »Darüber sprechen wir später, mein Lieber.«
Helmers spielte an seinen Revolvern und sagte:
»Dann erst? Wäre es nicht besser, gleich darüber zu sprechen?« – »Warum?« – »Nun, ich hörte von den Apachen, daß Cortejo entkommen ist!« – »Ja, leider.« – »Er wird nach der Hazienda gehen.« – »Vermutlich.« – »Dort ist seine Tochter.« – »Allerdings.« – »Sie haben den Brief gelesen, den wir bei dem Anführer fanden. Sie haben auch jene Worte des Sterbenden gehört. Mir ist angst um meinen Schwiegervater. Ich kann nicht länger warten; ich reite zur Hazienda.«
Sternau erschrak.
»Was denken Sie! Die Gegend steckt voller Franzosen.« – »Das ist mir gleich.« – »Man wird Sie festhalten.« – »Ich glaube das nicht. Büffelstirn reitet mit.« – »Das ändert nichts.« – »O doch! Er kennt alle Schliche dieser Gegend, es wird uns niemand treffen.« – »Gut. Auch vorausgesetzt, daß Sie glücklich hingelangen, was werden Sie tun?« – »Den Haziendero befreien.« – »Sie zwei?« – »Ja. Kommen Sie mit zu Büffelstirn!«
Helmers schritt, ohne Sternaus Antwort abzuwarten, wieder über die Planken zurück, die vom Schiff nach dem Ufer führten, und Sternau folgte ihm. Drüben standen Büffelstirn und Bärenherz beisammen. Der erstere trat ihnen entgegen und fragte Helmers:
»Was will der Herr des Felsens tun?« – »Er rät mir, zu warten.« – »Unser Warten hat lange genug gedauert!« – »Mein Bruder Büffelstirn will also wirklich mit?« fragte Sternau. – »Ja«, antwortete der Gefragte. Ich bin ein freier Indianer, aber die Hazienda ist Karja, meiner Schwester, eine Heimat gewesen, und Señor Arbellez war mein Freund und Bruder. Ich gehe, ihn zu retten.«
Aus diesen Worten und dem Ernst des Häuptlings ersah Sternau, daß er fest entschlossen sei, sein Vorhaben auszuführen. Gegenreden konnten nichts daran ändern; dennoch sagte er zu ihm:
»Aber wie will mein Bruder ihn retten? Die Gegend steckt voller Franzosen!«
Der Mixteka machte eine Gebärde der Geringschätzung.
»Büffelstirn lacht der Franzosen!« antwortete er. – »Aber ihrer sind viele!« – »Der Mixtekas sind noch mehr!« – »Ah, mein Bruder will seine Stammesgenossen zusammenrufen?« – Ja.« – »Das nimmt viel Zeit in Anspruch.« – »Nein; das dauert eine Nacht. Wenn der Häuptling der Mixtekas auf dem Berg Reparo das Feuerzeichen gibt, sind am anderen Abend tausend Männer um ihn versammelt.« – »Ist das auch gewiß? Mein Bruder war so viele Jahre nicht daheim.« – »Die Söhne der Mixtekas haben ihre Pflicht niemals vergessen. Auch mein Bruder Bärenherz geht mit« – »Uff!« stimmte der Häuptling der Apachen bei. – »Wer führt dann aber die Apachen an, die bei Juarez sind?« – »Mein Bruder Bärenauge.«
Sternau sah die entschlossenen Mienen der drei Männer; er blickte einige Augenblicke lang zu Boden und sagte:
»Meine Brüder haben recht. Wir können nicht warten, bis Juarez uns Truppen zur Verfügung stellt. Unser Freund Arbellez ist in Gefahr, und es ist unsere Pflicht, ihm so schnell wie möglich beizustehen.«
Da leuchteten die Augen Büffelstirns freudig auf.
»Ich wußte, daß mein Bruder mitreiten würde«, sagte er. »Nun werden wir die Franzosen nicht zu fürchten haben, denn wenn der Fürst des Felsens bei uns ist, so können wir nicht unterliegen.« – »Also die Mixtekas werden kommen, sobald sie das Feuerzeichen sehen?« – »Ja. Das Harz und Pech liegen schon seit mehr als hundert Jahren in der Erde, aber es wird seine Wirkung tun.« – »Was aber werden Emma und Karja sagen?« – »Sie werden bei Juarez bleiben«, erwiderte Helmers. – »Nehmen wir nicht Abschied von ihnen?« – »O nein. Sie würden uns nur hindern.« – »Und was soll Juarez sagen, wenn sie ihn fragen?« – »Er mag sagen, daß wir auf Kundschaft ausgezogen sind. Das wird sie beruhigen und ist auch keine Unwahrheit, denn unser Unternehmen ist doch eigentlich ein Kundschafterritt in das vom Feind besetzte Land.« – »So wollen wir sogleich mit ihm sprechen.«
Juarez, der Lord und die anderen waren nicht wenig überrascht, als die vier Männer ihnen ihr kühnes Vorhaben mitteilten. Sie versuchten zunächst, ihnen abzureden. Als dies nicht fruchtete, boten sich Mariano und der Steuermann Helmers zur Begleitung an. Aber dies wurde abgeschlagen. Sternau wollte Mariano nicht von seiner Braut trennen, und der Steuermann war zu wenig Prärieläufer, um ihnen von großem Nutzen sein zu können. Auch der Kleine André wurde abgewiesen.
»Nehmen Sie eine Anzahl Apachen mit!« bat Juarez Sternau. – »Auch darauf werden wir verzichten«, antwortete dieser. »Zu vier Personen wird es uns leichter, unbemerkt nach der Hazienda zu kommen.« – »Hätte ich mehr Leute, so würde ich Ihnen so viel mitgeben, daß Sie Ihren Weg nicht heimlich zu machen brauchten. Doch ich hoffe, daß das Vertrauen, das Büffelstirn in seine Mixtekas setzt, in Erfüllung geht. Dann werde ich in möglichst kürzester Frist zu Ihnen stoßen.«