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|  Alfred Brehm Edmund
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|  Brehm’s Thierleben: Die Säugethiere 1
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   Alfred Brehm
   BREHM’S THIERLEBEN: DIE SÄUGETHIERE 1


   Einleitung

   »Wir hatten unweit des linken Ufers Asrat einen Regenteich aufgefunden, welcher vom Strome während seines Hochstandes gefüllt worden und noch bei unserer Ankunft im Februar ziemlich wasserreich war. Außer einer Menge von Vögeln lebten in ihm auch Krokodile und mehrere Flußpferde mit ihren Sprößlingen. Wahrscheinlich hatten letztere die noch ihre kleinen und verhältnismäßig niedlichen Jungen in ihm zur Welt gebracht; wenigstens schien mir der stille, ruhige, rings von Wäldern und an einer Seite sogar von Feldern eingefaßte See zu einem Wochenbette für Nilpferde wohl geeignet. Unsere Aufmerksamkeit und Jagdlust fesselten vorzüglich die Schlangenhalsvögel, obgleich wir, um auf diese geschickten Taucher feuern zu können, oft bis tief an die Brust in das Wasser waten mußten – trotz der Krokodile und Nilpferde, um welche wir uns heute gar nicht kümmerten. Mein Jäger Tomboldo, welcher die Jagd in Vater Adams Kleidung ausführte, hatte eben den vierten Schlangenhalsvogel glücklich durch den Hals getroffen und watete auf ihn zu, um ihn aufzufischen. Da schreit plötzlich vom anderen Ufer her ein Sudaner laut auf und winkt und geberdet sich wie toll; Tomboldo schaut sich um und sieht ein wuthschnaufendes Nilpferd mit mächtigen Sätzen auf sich losstürmen. Das Vieh hat bereits festen Grund unter den Füßen und jagt wie ein angeschossener Eber durch die Fluten; der Nubier ergreift in Todesangst die Flucht und erreicht, bis zum Uferrande von seinem furchtbaren Feinde verfolgt, glücklich den Wald. Ich war mit meiner trefflichen, leider aber bloß leichte Kugeln schießenden Büchse dem treuen, höchst brauchbaren Diener zu Hülfe geeilt und fand ihn im Gebete und stöhnend auf der Erde liegen: ›La il laha il Allah, Mahammed rassuhl Allah! – Es gibt nur einen Gott, und Mahammed ist sein Prophet! – Nur bei Allah, dem Starken allein ist die Stärke; allein nur bei Gott, dem Helfenden, ist die Hülfe! – Behüte, o Herr, deinen Gläubigen vor den aus deinen Himmeln zur Hölle hinabstürzenden Teufeln! – Du Hund, du Hundesohn, Hundeenkel und Hundeurenkel, du von einem Hund Erzeugter und von einer Hündin Gesäugter – du willst einen Muslim fressen –! Verdamme dich der Allmächtige, und werfe er dich in das Innere der Hölle!‹ Diese und ähnliche Stoßseufzer und Flüche entrangen sich seinen bebenden Lippen. Dann aber sprang er wütend auf, lud eine Kugel in sein Gewehr und sandte sie dem Nilpferde nach, welches noch immer vor uns tobte und lärmte. Die Kugel tanzte lustig auf dem Wasser hin und – an dem Ungethüme vorüber.
   ›Bei dem Barte des Propheten, bei dem Haupte deines Vaters, Effendi‹, bat er mich, ›sende du dem nichtswürdigen Gottesleugner aus deiner Büchse eine Kugel zu; – denn auch mein schöner Taucher ist ja verloren!‹
   Ich willfahrte seiner Bitte, schoß und hörte die Kugel auf den Schädel einschlagen. Das Nilpferd brüllte laut auf, tauchte einige Male unter und schwamm nach der Mitte des Sees zu, wie es schien, ohne durch den Schuß wesentlich gestört zu sein. Nur seine Wuth nahm von Stunde zu Stunde zu. Freilich ließ uns unsere Rachsucht fortan die hier und da erscheinenden Köpfe als Scheiben ansehen, nach denen wir ja, so oft es anging, eine Kugel entsendeten. Ich wußte aus Erfahrung, daß meine schwache Büchsenkugel selbst bei einer Entfernung von noch nicht vierzig Schritten kaum die Haut des Kopfes durchbohren konnte, wollte mir aber gleichwohl das Vergnügen nicht versagen, dem ›Abgesandten der Hölle‹ unseren Ärger fühlen zu lassen«.
   Diese Zeilen könnten einem Abenteuerroman entnommen sein. Doch sie stammen aus der Feder Brehms, aus seinem Lebenswerk, dem »Thierleben«. Die Lektüre dieses Werkes wäre unbefriedigend, würde man nicht wenigstens in groben Zügen auf die Personen von »Altvater Brehm« eingehen.
   Alfred Edmund Brehm wurde am z. Februar 1829 in Renthendorf bei Neustadt an der Orla in Thüringen geboren. Sein Vater war Pastor des Ortes und gleichzeitig einer der bedeutendsten Ornithologen des damaligen Deutschlands. Schon früh begleitete Alfred Brehm seinen Vater auf vogelkundliche Exkursionen im Thüringer Land. Als er 1847 im Alter von 18 Jahren das Gymnasium verließ, wollte er Naturwissenschaften studieren.
   Doch dazu kam es nicht. Er erhielt von Baron W. von Müller aus Württemberg eine Einladung, an einer naturwissenschaftlichen Jagdreise über Griechenland nach Ägypten und Kleinasien teilzunehmen. Am 6. Juli 1847 verließen die beiden Triest an Bord des Postdampfers »Mamuhdie«, der sie nach Griechenland brachte, und setzten von hier aus nach Alexandrien über. Am 29. Juli betrat Brehm dort zum erstenmal afrikanischen Boden: »Das Märchenland der tausend und einen Nacht liegt vor uns.« Doch schon bald mußte er erfahren, daß die Wirklichkeit anders aussah. Am 12. Januar 1848 schrieb er in sein Tagebuch: »Heute kam ein Transport Dingasklaven hier an. Gott! Welch ein trauriger Anblick! Sie sangen, weil man sie dazu zwang; wie hätten sie wohl sonst singen können, die Hälse in Holzgabeln gepreßt. Die im Kreise sitzenden Männer und Weiber mochten bei sechzig sein; Kinder waren auch dabei, und unter ihnen ein Säugling, dessen Haut in großen Falten auf dem Knochengerippe lag; seine Mutter war krank und mit Tränen in den Augen sah sie das arme zu sich herangekrochen kommen, das die Mutterbrust verlangte, die jetzt ohne zu laben, schlaff am Körper herabhing. Viele der Männer, die man alle in Gabeln gepreßt hatte, waren verwundet und ihre Wunden nicht verheilt; – kurz es war eine Scene des tiefsten und schrecklichsten Elends, die sich nicht beschreiben läßt.«
   Obwohl einige europäische Staaten die Sklaverei bereits verboten hatten, blühte der Menschenhandel nach Übersee. Allein nach Brasilien wurden in jenem Jahr 1848 60000 Sklaven transportiert, die höchste Zahl in der Geschichte des Landes.
   Es war die Zeit, in der der »große alte Mann der Afrikaforschung«, der damals erst 35jährige schottische Missionar David Livingstone zu seinen Forschungsreisen durch Zentralafrika aufbrach, die ihn in das noch weitgehend unerforschte Innere des schwarzen Kontinents führten und bei denen er als erster Europäer Zentralafrika von West nach Ost durchquerte.
   Brehm bereiste kein Neuland. Ägypten, das damalige Nubien und der Sudan waren längst von Europäern besiedelt. Für einen Naturforscher aber gab es immer noch genug zu entdecken. Wie in jener Zeit üblich, wurde möglichst viel »gesammelt«, das heißt geschossen und präpariert. Nur der ausgestopfte Balg besaß wissenschaftlichen Wert.
   Brehms Sammeleifer kannte kaum Grenzen. In seinem Tagebuch beschreibt er die Begehung einer Höhle am 23. Oktober 1848: »Wir . . . schickten unseren Diener in die Stadt, um Einkäufe zu machen, die wir zu unserer bevorstehenden Fahrt in die Krokodilhöhlen nötig hatten, teils auch um zu fragen, wo denn eigentlich Ababdi liege...
   Nach manchem Schweißtropfen kamen wir auf der Spitze der ersten Hügelreihe an . . . Unser Führer zeigte uns einen schwarzen Punkt – die Mündung der Höhlen. Nach einer halben Stunde kamen wir dort an. Es war ein kleiner senkrechter Schacht von ungefähr 12 oder 15‘ Tiefe und von einem großen Stein größtenteils überdeckt. Ringsumher lagen eine Menge Knochen, Mumienbrocken, alte Fetzen Leinwand, Dattelbast und Datteläste. Unsere Führer entkleideten sich und stiegen den Schacht hinunter. Wir folgten ihnen und zündeten unsere Lichter an.
   Ein scharfer, widerlicher Geruch kam uns entgegen. Der eine der Führer legte sich jetzt auf den Boden und begann in ein staubiges Loch hineinzukriechen. Obgleich wir fast von Staub erstickten, mußten wir doch seinem Beispiel folgen. – Der Gang war sehr niedrig, und wir stießen uns öfter an den Ecken des Gesteins. Doch hörte der Staub bald auf, und wir kamen in einen zweiten Gang, der höher und breiter war. Alle Steine waren mit einer schmierigen Substanz überzogen, und der erwähnte Gestank nahm furchtbar zu.
   Tausende und Tausende von Fledermäusen bewohnten diese Räume und verursachten ein Geräusch, das sich wie leiser Donner durch die ganze Höhle verbreitete. Wir erbeuteten mehrere von ihnen, mußten aber die meisten wieder frei lassen, die wehrhaft um sich bissen. Sie löschten uns mehrere Male die Lichter aus. Unser Gang mündete in ein ungeheures Gemach, welches wir mit unserer dürftigen Beleuchtung nicht zu erhellen vermochten und in das viele andere Gänge einmündeten. Das Ende des Gewölbes erreichten wir nicht, sondern traten vielmehr in einen Nebengang ein und begannen unserm Kriechmarsch von Neuem. Dieser Gang war sehr eng. Wir blieben mehrere Male stecken und wurden nur mit großer Mühe wieder frei. Doch auch er wurde weiter, war jedoch so uneben, daß man sich sehr in acht zu nehmen hatte, denn hüben und drüben gähnte ein dunkler Abgrund herauf. Durch ein enges Loch kamen wir in einen anderen Gang, der ebenso uneben und felsig war. Wir fanden hier schon viel Dattelbast und viele Lumpen. Auch war der Geruch nicht zum Aushalten. Einer der Führer zeigte uns eine Stelle, wo zwei Engländer durch die mephistischen Dünste hier umgekommen waren.
   Noch eine kleine Strecke krochen wir weiter, dann sagte der Führer, daß wir am Ziele seien. Wir befanden uns in einem weiten Gewölbe und erstiegen einen Hügel, der nach genauer Untersuchung aus nichts anderem als menschlichen Leichnamen bestand. Da fand man Stükke, wie man sie brauchte, Köpfe, Arme, Hände, Füße, kurz alle Gliedmaßen des menschlichen Körpers. Wir hatten uns bald einige vollkommene Mumien ausgesucht, die wir gern hinausgeschafft hätten. Leider hatten wir zu wenig Licht mitgenommen, um uns lange aufhalten zu können und mußten uns begnügen, ihnen die Köpfe abzureißen.
   Etwas weiter hinten lagen die Krokodile. Da waren sie in allen Größen von 10“bis 18‘ und darüber, Tausende über Tausende geschichtet und seit Jahrtausenden so liegend. Da gab es Brocken, Stücke, viertel, halbe und ganze Exemplare. Da gab es welche, die noch mit Dattelästen umgeben waren.
   Wir suchten uns aus ihnen einige schöne Stücke aus und begannen unseren Rückzug, denn unsere Lichter waren dem Verlöschen nahe. Nur langsam ging es vorwärts, alle waren beladen. Mit lautem Hurra begrüßten wir das Tageslicht, die freundliche Sonne und unsere außen wartenden Diener.
   Dann kochten wir unseren Kaffee mit Mumiengebein und betrachteten unsere Köpfe. Es waren ihrer sieben, und alle hatten rotes Haar am Schnurrund Backenbärte. Sie waren alle sehr gut erhalten.
   Ermüdet von den Beschwerden des Tages kamen wir nach ½ stündigem Marsch auf unserer Barke an. Der Abend brach herein, die untergehende Sonne bestrahlte die Berggipfel, von denen wir herabgestiegen waren, und als der Ruderschlag und Gesang unserer Matrosen schon lange verstummt war, hing ich noch in wachen Träumen den Erlebnissen des Tages nach. Die Nacht war eine der herrlichen Ägyptens, kein Laut war hörbar, unsere Barke glitt langsam den Strom hinan, und meine Gedanken schweiften weit über Land und Meer nach dem teuren Vaterlande, zu den fernen Lieben hin.«
   Nachdem sich Brehm ein Jahr in Ägypten aufgehalten hatte, folgte ihm sein älterer Bruder Oskar. Für Alfred Brehm begann eine herrliche Zeit gemeinsamer Forschung. Doch ein halbes Jahr später, am B. Mai 1850, ertrank der Nichtschwimmer Oskar beim Baden im Nil. Erst 16 Tage später war Alfred Brehm fähig, dieses Geschehnis in seinem Tagebuch zu schildern. Doch weder der Tod des Bruders noch die schweren Zerwürfnisse, die Brehm mit seinem Brotherrn und Begleiter Baron von Müller hatte, bewegten ihn zur Rückkehr in die Heimat. Insgesamt fünf Jahre lang bereiste er die nördlichen Nilländer.
   Als er 1852 zurückkehrte, veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Reise in einem dreibändigen Werk, das den Titel »Reiseskizzen aus Nordafrika« trägt.
   In den Folgejahren holte er sein Studium nach und schloß es mit der Promotion ab. Er heiratete und nahm eine Lehrtätigkeit an einer höheren Schule auf. Doch zum seßhaften Leben war er nicht geboren. Reisen nach Spanien, Norwegen und Schweden folgten. 1861 erschien sein Werk »Das Leben der Vögel«. Es brachte dem inzwischen 32jährigen 1862 die Aufforderung des Herzogs Ernst von Sachsen Coburg-Gotha ein, ihn auf einer Reise nach Abessinien zu begleiten.
   1863 veröffentlichte er das Buch »Ergebnisse einer Reise nach Habesch«. Im Vorwort zu diesem Buch schreibt er:
   »Es gereicht mir zur Beruhigung, daß ich hinsichtlich der Geringfügigkeit, Dürftigkeit und Unvollständigkeit meiner ›Ergebnisse‹ im Voraus der Nachsicht meiner Leser, einschließlich der Fachgenossen, sicher sein darf. Zwei böse Feinde haben mich während der Reise gehindert und gequält: Der Mangel an Zeit und das Fieber! Ich bin nicht lässig gewesen. Von Bord des Schiffes und vom Rücken des Maulthiers aus habe ich rastlos nach Rechts und Links gespäht und mit dem Merkbuche in der Hand die reichhaltigen Gegenden durcheilt, welche zu durchforschen mir nicht vergönnt war. Hätten mich meine Reisegefährten und zwar seine Hoheit selbst und mein eifriger und liebenswürdiger Freund Leibarzt Dr. Hassenstein nicht wesentlich unterstützt: es würde mir nicht möglich gewesen sein, auch dies Wenige zu bieten.«
   Nach seiner Rückkehr wurde Brehm zum Direktor des Zoologischen Gartens nach Hamburg berufen. Doch er konnte sich an das Beamtenleben nicht gewöhnen; es gab Schwierigkeiten persönlicher Art, und Brehm wechselte seine Stellung. Er wirkte an der Errichtung des Berliner Aquariums mit, das 1869 eröffnet wurde. Aber auch Berlin wurde ihm zur Qual. Krank und zerschlagen von unendlichen Reibereien kehrte er mit seiner Familie in seinen Heimatort Renthendorf zurück.
   Nun wirkte er für den Rest seines Lebens als freier Schriftsteller und Forscher. Sein berühmtestes Werk, das »Illustrirte Thierleben«, war 1864 erschienen. Die Nachfrage war so groß, daß schon bald eine zweite, auf zehn Bände erweiterte Auflage herauskam. Brehm bereiste viele Länder Europas, hielt Vorträge in den größeren Städten.
   Nach dem Tod seiner Frau nahm er eine Vortragsreise nach Nordamerika an, um seinen fünf Kindern eine finanziell gesicherte Zukunft zu bieten. Nur ungern trat er die Reise an, da die Kinder an Diphtherie erkrankt waren. In Amerika erreichte ihn dann die nächste Hiobsbotschaft: Sein jüngster Sohn war gestorben.
   Als er 1884 nach Europa zurückkehrte, war er ein gebrochener Mann, gebeugt und grauhaarig. Seine Kräfte ließen immer mehr nach, und am 11. November starb er an einem Nierenleiden. Alfred Edmund Brehm war nur 56 Jahre alt geworden, doch durch sein »Thierleben«, das heute respektvoll als »Der alte Brehm« bezeichnet wird, hat er sich unsterblich gemacht.


   Kloakentiere (Gabelthiere)


   Ameisenigel

   Der Ameisenigel (Echidna hystrix) [Heute: Tachyglossus aculeatus], kennzeichnet sich durch seinen plumpen, größtentheils mit Stacheln oder Borsten bedeckten Leib, den walzenförmigen, nur am untern Ende gespaltenen Schnabel, den kurten Schwanz, die freien, unvollkommen beweglichen Zehen und die langgestreckte, dünne, wurmartige Zunge, welche, wie bei den Ameisenfressern, weit aus dem Munde hervorgestoßen werden kann. In seiner äußern Erscheinung weicht er viel mehr von dem Schnabelthiere ab als im innern Leibesbaue. Von Zähnen findet sich keine Spur; im Gaumen aber stehen sieben Querreihen kleiner, derber, spitziger, rückwärts gerichteter, hornartiger Stacheln, welche den Warzen der Zunge entsprechend gelegen sind und die Stelle der Zähne vertreten. Die Milchdrüsen haben ungefähr sechshundert Ausführungsgänge.
   Wenn man einen Ameisenigel ergreift, rollt er sich augenblicklich in eine Kugel zusammen, und es ist dann sehr schwer, ihn festzuhalten, weil die scharfen Stacheln bei der heftigen Bewegung des Zusammenkugelns gewöhnlich empfindlich verwunden. Ein zusammengerollter Ameisenigel läßt sich nicht leicht fortschaffen, am besten noch, wenn man ihn an den Hinterbeinen packt und sich um alle Anstrengungen und Bewegungen nicht weiter kümmert. Hat er einmal eine Grube von wenigen Centimetern fertig gebracht, so hält es außerordentlich schwer, ihn fortzuziehen. Nach Art der Gürtelthiere spreizt er sich aus und drückt seine Stacheln so fest gegen die Wände, daß er an ihnen förmlich zu kleben scheint. Die starken Klauen seiner Füße werden hierbei selbstverständlich auch mit angewendet, um sich soviel als möglich zu befestigen.
   Ueber die Fortpflanzung des Thieres ist noch höchst wenig bekannt. Das Weibchen soll im December mehrere Junge werfen und sie längere Zeit säugen, wie man annehmen muß, in ganz absonderlicher Weise. wir werden bei Schilderung des Schnabelthieres sehen, wie.


   Schnabelthier

   Das Schnabelthier (Ornithorhynchus paradoxus) [Heute: Ornithorhynchus anatinus], ist der einzige bekannte Vertreter der zweiten Familie unserer Ordnung. Wir verdanken dem englischen Naturforscher Bennett die beste Schilderung dieses in der That »auffallenden« Geschöpfes, welches noch lange nach seiner Entdeckung Forscher und Laien in Erstaunen setzte. Gestalt und Lebensweise erschienen so seltsam, daß Bennett einzig und allein zu dem Zwecke nach Neuholland reiste, um dieses Thier kennen zu lernen. Bis dahin waren bloß unbestimmte Nachrichten zu uns gekommen. Man erfuhr eben nur, daß das Schnabelthier im Wasser lebe und von den Eingebornen eifrig gejagt werde, weil es einen schmackhaften Braten liefere.
   Nun entstanden allerlei Fabeln, welche zum Theile den Berichten der Eingeborenen ihre Entstehung verdankten. Man sagte, daß das Schnabelthier Eier lege und diese nach Entenart ausbrüte, wußte aber im übrigen so gut als nichts mitzutheilen: und so hatte jener englische Naturforscher Ursache genug, durch eigene Anschauung die Sache aufzuklären. Er reiste also zuerst im Jahre 1832 und dann noch einmal 1858 nach Australien, und theilte seine Erfahrungen zuerst in einer gelehrten englischen Zeitschrift und später (1860) in einem besondern
   Werke sehr ausführlich mit. Seine Arbeit ist bis jetzt die einzige sichere Quelle über die Lebensweise des Schnabelthieres.
   Das Schnabelthier ist nicht größer als der Ameisenigel. Die Männchen sind regelmäßig größer als die Weibchen. Der platt gedrückte Leib ähnelt in gewisser Beziehung dem des Bibers oder des Fischotters. Die Beine sind sehr kurz, alle Füße fünfzehig und mit Schwimmhäuten versehen. An den Vorderfüßen, welche die größte Muskelkraft besitzen und ebensowohl zum Schwimmen wie zum Graben dienen, erstreckt sich die Schwimmhaut etwas über die Krallen, ist dort sehr biegsam und dehnbar und schiebt sich, wenn das Thier gräbt, zurück. Der Kopf ist ziemlich flach, klein und durch seinen breiten Entenschnabel so ausgezeichnet, daß er unter den Säugethieren einzig in seiner Art dasteht. Beide Kinnladen strecken sich und werden in ihrer ganzen Ausdehnung von einer hornigen Haut umgeben, welche sich noch nach hinten in einem eigenthümlichen Schilde fortsetzt.
   Der Pelz des Schnabelthieres besteht aus dichten, groben Grannen von dunkelbrauner Färbung mit silberweißer Schattirung; darunter liegt ein sehr weiches, dem des Seehundes und des Seeotters ähnliches Wollhaar von graulicher Färbung. An der Kehle, der Brust und dem untern Leibe sind Pelz und Haar viel feiner und seidenartiger.
   Am liebsten bewohnt das Schnabelthier ruhige Stellen der Flüsse, in denen zahlreiche Wasserpflanzen stehen, und deren Ufer laubige Bäume beschatten. Hier legt es sich am Uferrande einen mehr oder weniger künstlichen Bau an. Ein etwa sechs Meter langer, vielfach gewundener Gang mündet in einen geräumigeren Kessel, welcher wie der Gang mit trocknen Wasserpflanzen bestreut war.
   Besondere Mühe gab sich Bennett, um die Fortpflanzung des Schnabelthieres kennen zu lernen. Erließ viele Baue aufgraben, in der Hoffnung eines trächtigen Weibchens oder einer Mutter mit säugenden Jungen habhaft zu werden. Dabei hatte er den Vortheil, mehrere Schnabelthiere in der Gefangenschaft zu beobachten. Die Meinungen der Eingebornen über die Fortpflanzung des Thieres sind getheilt. In der einen Gegend behauptet man, daß das Schnabelthier Eier lege, in der andern bezeichnet man es als lebendig gebärend. Bennett verschaffte sich mit großer Mühe mehrere Weibchen, ehe er hierüber ins Klare kam. »Ich ließ«, sagt er, »einen Bau aufgraben, trotz allen Abredens eines trägen Eingebornen, welcher mir versicherte, daß vom Weibchen noch ›keine Jungen gepurzelt‹ wären, und welcher gar nicht begreifen konnte, wie ich bei allem Ueberflusse an Rindern und Schafen doch Schnabelthiere zu haben wünsche. Der Eingang oder die Vorhalle des Baues war groß im Verhältnisse zur Breite des fernem Ganges; denn dieser wurde um so enger, je weiter wir vorrückten, bis er zuletzt der Stärke des Thieres entsprach. Wir verfolgten ihn bis auf drei Meter Tiefe. Plötzlich tauchte der Kopf eines Schnabelthieres aus dem Grunde hervor, just, als wenn es eben im Schlafe gestört worden, und herunter gekommen wäre, um zu sehen, was wir wünschten. Doch schien es der Ueberzeugung zu leben, daß unsere lärmende Arbeit nicht zu seinem Besten gemeint sei; denn es zog sich eiligst wieder zurück. Beim Umdrehen wurde es am Hinterfuße ergriffen und herausgezogen.«
   Auf einer neuen Reise gelang es Bennett, sich wieder ein Weibchen zu beschaffen, welches er noch genauer untersuchen konnte. Er fand, daß die Brustdrüsen kaum zu bemerken waren, obgleich das Thier in der linken Gebärmutter deutlich entwickelte Eier hatte, konnte aber wiederum nichts genaues entdecken. Einige Zeit später erhielt er nach langer Mühe ein anderes Weibchen, fand aber bei der Untersuchung, daß es eben geworfen hatte. Hier waren die Brustdrüsen sehr groß; doch ließ sich aus ihnen keine Milch mehr ausdrücken. Eine hervorragende Saugwarze war noch nicht zu bemerken, und selbst das Pelzwerk an der Stelle, wo die Drüsen sind, nicht mehr abgerieben als sonst wo anders. Endlich gelang es dem unermüdlichen Forscher, einen Bau mit drei Jungen zu entdecken, welche etwa 5 Centim. lang waren. Nirgends fand man etwas auf, was auf die Vermuthung hätte führen können, daß die Jungen aus Eiern gekommen, und die Eier von.den Alten weggetragen worden wären. Man konnte nicht mehr im Zweifel sein, daß das Schnabelthier lebendige Jungen gebiert.


   Beuteltiere

   Unter den Beutelratten ist das Opossum (Didelphis marsupialis) wohl das bekannteste. Weder die Färbung, noch irgend welche Anmuth oder Annehmlichkeit in seinen Sitten zeichnen es aus, und so gilt es mit Recht als ein höchst widriges Geschöpf. Die Leibeslänge des Opossums beträgt über 50 Centim., die des Schwanzes etwa 30 Centim. Der Leib ist wenig gestreckt und ziemlich schwerfällig, der Hals kurz und dick, der Kopf lang, an der Stirne abgeflacht und allmählich in eine lange, zugespitzte Schnauze übergehend; die Beine sind kurz, die Zehen von einander getrennt und fast von gleicher Länge, die Hinterfüße mit einem den übrigen Zehen entgegensetzbaren Daumen versehen; der ziemlich dicke, runde und spitzige Schwanz ist bloß an seiner Wurzel behaart und von da bis zu seinem Ende nackt und von seinen Schuppenhaaren umgeben, zwischen denen nur hier und da einige kurze Haare hervortreten. Das Weibchen hat einen vollkommenen Beutel.
   Nordamerika, von Mejiko an bis in die kälteren Gegenden der nördlichen Vereinigten Staaten, bis Pennsylvanien und an die großen Seen Kanadas ist die Heimat des Opossums. In den mittleren Theilen dieses gewaltigen Landstrichs wird es überall häufig gefunden, und zwar keineswegs zur Freude der Menschen. Wälder und Gebüsche bilden seine Aufenthaltsorte, und je dichter dieselben sind, um so lieber hält sich das Opossum in ihnen auf.
   »Mir ist«, sagt Andubon, »als sähe ich noch jetzt eines dieser Thiere über den schmelzenden Schnee langsam und vorsichtig dahintrippeln, indem es am Boden hin nach dem schnoppert, was seinem Geschmack am meisten zusagt. Jetzt stößt es auf die frische Fährte eines Huhnes oder Hasens, erhebt die Schnauze und schnüffelt. Endlich hat es sich entschieden und eilt auf dem gewählten Wege so schnell wie ein guter Fußgänger vorwärts. Nun sucht es und scheint in Verlegenheit, welche Richtung es weiter verfolgen soll; denn der Gegenstand seiner Verfolgung hat entweder einen beträchtlichen Satz gemacht oder wohl einen Haken geschlagen, ehe das Opossum seine Spur aufgenommen hatte. Es richtet sich auf, hält sich ein Weilchen auf den Hinterbeinen, schaut sich um, spürt aufs neue und trabt dann weiter. Aber jetzt, am Fuße eines alten Baumes, macht es entschieden Halt. Es geht rund um den gewaltigen Stamm über die schneebedeckten Wurzeln und findet zwischen diesen eine Oeffnung, in welche es im Nu hineinschlüpft. Mehrere Minuten vergehen, da erscheint es wieder, schleppt ein bereits abgethanes Erdeichhörnchen im Maule heraus und beginnt den Baum zu ersteigen. Der erste Zwiesel scheint ihm nicht anzustehen: es denkt wohl, es möchte hier allzusehr den Blicken eines bösen Feindes ausgesetzt sein, und somit steigt es höher, bis es die dichteren Zweige bergen können, welche mit Weinranken durchflochten sind. Hier setzt es sich zur Ruhe, schlingt seinen Schwanz um einen Zweig und zerreißt mit den scharfen Zähnen das unglückliche Eichhörnchen, welches es dabei immer mit den Vorderpfoten hält.
   Biederer Bauer! warum hast du vorigen Winter so viele Krähen weggeschossen und Raben dazu? Nun, du hast deinen Spaß gehabt: jetzt aber eile ins nahe Dorf und verschaffe dir hinreichenden Schießvorrath, putze deinen rostigen Kuhfuß, stelle deine Fallen auf und lehre deine trägen Köter, um dem Opossum aufzulauern. Dort kommt es! Die Sonne ist kaum schlafen gegangen, aber des Strolches Hunger ist längst wach. Hörst du das Kreischen deiner besten Henne, welche es gepackt hat? Das listige Thier ist auf und davon mit ihr. Jetzt ist nichts weiter zu thun; höchstens kannst du dich hinstellen und auch noch auf Füchse und Eulen anstehen, welche bei dem Gedanken frohlocken, daß du ihren Feind und deinen Freund, die arme Krähe, weggeputzt hast. Die werthvolle Henne, welcher du vorher so gegen ein Dutzend Eier untergelegt hast, ist diese jetzt glücklich losgeworden. Trotz all ihres ängstlichen Geschreies, trotz ihrer gesträubten Federn hat das Opossum die Eier verspeist, eins nach dem andern. Das kommt also von deinem Krähenschießen her. Wärst du barmherziger und gescheiter gewesen, so wäre das Opossum wohl im Walde geblieben und hätte sich mit einem Eichhörnchen begnügt oder mit einem Häslein, mit den Eiern des Truthahns oder mit den Trauben, welche so reichlich die Zweige unserer Waldbäume schmücken: aber ich rede dir vergeblich vor!
   Doch auch angenommen, der Bauer hätte das Opossum über der That ertappt? dann spornt ihn sein Aerger an, das arme Thier mit Fußtritten zu mißhandeln. Dieses aber, wohlbewußt seiner Widerstandsunfähigkeit, rollt sich zusammen wie eine Kugel. Je mehr der Bauer rast, desto weniger läßt sich das Thier etwas von seiner Empfindung merken. Zuletzt liegt es da, nicht todt, aber erschöpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt, und so würde es daliegen, bis die Schmeißfliege ihre Eier auf den Pelz legte, wenn nicht sein Quälgeist fortginge. ›Sicherlich‹, sagt der Bauer, ›das Vieh muß todt sein.‹ Bewahre, Leser, es ›opossumt‹ ihm nur etwas vor. Und kaum ist sein Feind davon, so macht es sich auf die Beine und trollt sich wieder in den Wald.«
   Das Opossum ist, wie seine ganze Ausrüstung beweist, ein Baumthier, auf dem Boden dagegen ziemlich langsam und unbehülflich. Es tritt beim Gehen mit ganzer Sohle auf. Alle Bewegungen sind träge und selbst der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprüngen besteht. In den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und ziemlich hurtig umher. Dabei kommen ihm der abgesonderte Daumen seiner Hinterhände, mit welchem es die Aeste umspannen und festhalten kann, und der Rollschwanz gut zu statten. Nicht selten hängt es sich an letzterem auf, und verbleibt stundenlang in dieser Lage. Sein schwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derselben Schnelligkeit und Gewandtheit zu klettern, wie Vierhänder oder Nager es vermögen; doch ist es auf dem Baume so ziemlich vor Feinden geborgen. Unter seinen Sinnen ist der Geruch besonders ausgebildet und das Spürvermögen soll sehr groß sein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermeidet es deshalb sorgfältig.
   Man hat durch Beobachtung an Gefangenen mit hinlänglicher Sicherheit festgestellt, daß das Weibchen ungefähr nach vierzehntägiger Tragzeit seine Jungen wirft oder, besser gesagt, aus dem Mutterleibe in den Beutel befördert. Die Anzahl der Jungen schwankt zwischen vier und sechszehn, die Keimlinge sind anfänglich noch ganz formlos und klein. Sie haben ungefähr die Größe einer Erbse und wiegen bloß fünf Gran. Augen und Ohren fehlen, nicht einmal die Mundspalte ist deutlich, obwohl sie natürlich hinlänglich ausgebildet sein muß, um als Verbindungsmittel zwischen ihnen und der Mutter zu dienen. Der Mund entwickelt sich auch viel eher als alle übrigen Theile des Leibes; denn erst später bilden sich die Augen und Ohren einigermaßen aus. Nach etwa vierzehn Tagen öffnet sich der Beutel, welchen die Mutter durch besondere Hautmuskeln willkürlich verengern oder erweitern kann, und nach etwa fünfzig Tagen sind die Jungen bereits vollständig ausgebildet. Sie haben dann die Größe einer Maus, sind überall behaart und öffnen nun auch die Augen.


   Beutelteufel

   Häßlich und im höchsten Grade abstoßend und widerlich ist der Teufel der Ansiedler (Dasyurus ursinus) [Heute: Sarcophilus harrisi]. Diesen bedeutungsvollen Namen erhielt das Thier wegen seiner unglaublichen Wildheit und Unzähmbarkeit. Alle Beobachter sind einstimmig, daß man sich kaum ein ungemüthlicheres, tolleres, unsinnigeres und wüthenderes Geschöpf denken könne als diesen Beutelteufel, dessen schlechte Laune und Aerger niemals endet und dessen Zorn bei der geringsten Gelegenheit in hellen Flammen auflodert. Nicht einmal in der Gefangenschaft und bei der sorgfältigsten Pflege verliert er seine Eigenschaften, und niemals lernt er den kennen oder lieben, welcher ihn mit Nahrung versieht und Pflege angedeihen läßt, sondern greift auch seinen Wärter mit derselben Gehässigkeit und sinnlosen Wuth an wie jedes andere Wesen, welches sich ihm zu nahen wagt.
   Im Anfange machte der Beutelteufel den Ansiedlern aus Vandiemensland viel zu schaffen, weil er ihre Geflügelzucht beinah vereitelte. Nach Marderart brach er allmählich in den Hühnerhof ein und wüthete hier mit einer Blutgier, wie sie sonst nur ein Marder zeigen kann. Er wurde daher von allem Anfange an grimmig gehaßt und auf das rachsüchtigste verfolgt, und dies um so mehr, als man sein Fleisch wohlschmeckend oder wenigstens genießbar gefunden hatte. Fallen aller Art wurden gelegt, große Jagden veranstaltet, und so kam es, daß auch dieser Teufel sehr bald die Herrschaft und den Verstand des Menschen erkennen und fürchten lernte und sich in die dicksten, unzugänglichsten Wälder in den Gebirgen zurückzog. In vielen Gegenden ist er bereits ausgerottet, und auch da, wo er noch vorkommt, wird er jetzt ziemlich selten bemerkt.
   Er ist ein echtes Nachtthier und scheut das Tageslicht im gleichen Grade wie der Beutelwolf oder wie eine unserer Eulen. Das Licht scheint ihm wirklich Schmerzen zu verursachen; wenigstens hat man an Gefangenen beobachtet, daß sie, wenn man sie ins Helle brachte, augenblicklich mit einer gewissen Hast oder Aengstlichkeit die dunkelste Stelle ihres Käfigs aufsuchten, sich mit lichtabgewandtem Gesichte zusammenkauerten und auch hier noch durch beständiges Bewegen ihrer Nickhaut die Augen gegen die ihnen höchst unangenehme Einwirkung des Lichtes zu schützen suchten. Auch der Beutelteufel zieht sich, so lange die Sonne am Himmel steht, in die dunkelsten und tiefsten Höhlen im Geklüfte und unter Baumwurzeln zurück und fällt hier in einen fast todtenähnlichen Schlaf, aus welchem ihn nicht einmal der Lärm einer Jagd zu erwecken vermag. Nach Einbruch der Nacht verläßt er sein Lager und streift nun nach Raub umher; dabei zeigt er sich verhältnismäßig rasch und behend in seinen Bewegungen und ausdauernd in seinem Laufe, obgleich er an Gewandtheit und Gelenkigkeit noch immer unendlich weit zurücksteht hinter den altweltlichen Schleichkatzen und Mardern. Seine Haltung und manche Sitten erinnern an die des Bären. Beim Gange tritt er mit voller Sohle auf, im Sitzen ruht er wie ein Hund auf dem Hintertheile.
   Mit seiner gewöhnlichen Wuth fällt er über alle Thiere her, welche er erlangen kann. Er sucht sich seine Beute ebensowohl unter den Wirbel? wie unter den niederen Thieren. Alles, was das im ganzen arme Land oder das Meer ihm bietet, ist ihm recht; denn seine Gefräßigkeit wetteifert mit seiner Wuth. Bei seinen Raubzügen läßt er auch seine Stimme vernehmen, welche zwischen einem hellen Bellen und Knurren ungefähr in der Mitte liegt. Seine Gefräßigkeit ist die Ursache, daß man sich seiner ziemlich bemächtigen kann. Er geht ohne Besinnen in jede Falle und nimmt jeden Köder weg, gleichviel ob derselbe ein Stückchen Fleisch von Wirbelthieren oder aber eine Muschel oder ein anderes niederes Thier ist. Schwieriger soll seine Jagd mit Hunden sein; denn er entwickelt, wenn er sich verfolgt sieht, im Kampfe eine unglaubliche Wildheit und vertheidigt sich gegen jede Uebermacht bis zu seinem Ende. Die große Kraft seiner Kiefern, das furchtbare Gebiß und die rasende Wuth und Furchtlosigkeit machen ihn zu einem Feinde, welcher dem Hunde oft siegreich widersteht. Und wirklich gibt es kaum einen Jagdhund, welcher sich mit ihm in einen Kampf einläßt.
   In der Gefangenschaft bleibt er sich beständig gleich, d. h. ist nach Jahren ebenso rasend und wüthend wie am ersten Tage, an welchem man ihn eingefangen hat. Ohne die geringste Ursache stürzt er zuweilen gegen die Stangen seines Käfigs und haut mit den Tatzen um sich, als wolle er den sich ihm Nähernden auf der Stelle zerreißen. Seine Zornesausbrüche sind zuweilen geradezu unbegreiflich, weil sie selbst bei der besten Pflege oder gegen die wohlwollendsten und unschuldigsten Thiere erfolgen. Uebelgelaunt und gereizt scheint er überhaupt stets zu sein, und bei der geringsten Veranlassung gibt er seinem Aerger durch Knurren, Niesen, Schnaufen und unterdrücktes Brüllen, welches fast wie ein Stöhnen klingt, Ausdruck, sperrt dabei den
   Rachen auf und weist die Zähne. Erst nach vollkommen eingebrochener Nacht ermuntert er sich und entfaltet dann eine Behendigkeit, welche man ihm nicht zugetraut hätte.


   Beutelwolf

   Der Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus), der einzige jetzt lebende Vertreter einer besondern Sippe, trägt seinen Namen nicht mit Unrecht; denn er scheint in der That ein wilder Hund zu sein. Sein gestreckter Leib, die Gestalt des Kopfes, die stark abgesetzte Schnauze, die aufrechtstehenden Ohren und die Augen sowie der aufrechtgetragene Schwanz erinnern an letztem; nur sind die Glieder verhältnismäßig kurz, und das Gebiß weicht wesentlich von dem der Hunde ab.
   Der Beutelwolf ist das größte aller fleischfressenden Beutelthiere. Seine Leibeslänge beträgt über 1 Meter, die Länge des Schwanzes 50 Centim., alte Männchen sollen, wie man behauptet, noch merklich größer werden und im ganzen etwa 1,9 Meter in der Länge messen. Der kurze, locker anliegende Pelz ist graubraun, auf dem Rücken zwölf? bis vierzehnmal quergestreift. Der Gesichtsausdruck des Thieres ist ein ganz anderer als beim Hunde, und namentlich das weiter gespaltene Maul sowie das größere Auge fallen auf.
   Der Beutelwolf bewohnt Tasmanien. In den ersten Tagen der europäischen Ansiedlung fand er sich sehr häufig, zum größten Nachtheile und Aerger der Viehzüchter, deren Schafherden und Geflügelbeständen er fleißig Besuche abstattete. In der Folge vertrieb ihn das Feuergewehr mehr und mehr, und gegenwärtig ist er in das Innere zurückgedrängt worden. Felsspalten in dunklen, dem Menschen fast unzugänglichen Schluchten, natürliche oder selbstgegrabene tiefe Höhlen bilden seine Zufluchtsorte während des Tages, und von hier aus unternimmt er seine Raubzüge. Er ist ein nächtliches Thier und scheut das helle Licht im hohen Grade. Die außerordentliche Empfindlichkeit seiner Augen gegen die Tageshelle verräth das unaufhörliche Zucken der Nickhaut: keine Eule kann das Auge sorgsamer vor dem widerwärtigen Glanze des Lichtes zu schützen suchen als er. Wahrscheinlich wegen dieser Empfindlichkeit ist er bei Tage langsam und ungeschickt, bei Nacht dagegen munter, rege und sogar wild und gefährlich. Wenn er auch nicht der wildeste alle Raubbeutler ist, übertrifft er doch seine sämmtlichen Familienverwandten an Stärke und Kühnheit und verdient schon aus diesem Grunde seinen Namen. Er ist wirklich ein Wolf und richtet im Verhältnisse zu seiner Größe ebensoviel Schaden an wie sein nördlicher Namensvetter.
   Seine Nahrung besteht aus allen kleineren Thieren, welche er erlangen und überwältigen kann, und zwar aus Wirbelthieren ebensowohl wie aus wirbellosen. Aber der Beutelwolf unternimmt auch schwierige Jagden. Auf den grasreichen Ebenen und in den niedrigen, parkähnlichen Waldungen verfolgt er das schnelle Buschkänguru und in den Flüssen und Tümpeln das Schnabelthier, trotz dessen Schwimmund Tauchfertigkeit.
   Ueber das Gefangenleben des Beutelwolfes ist wenig zu berichten. Wie seine ganze Verwandtschaft dumm und geistlos, vermag er kaum mehr als flüchtige Theilnahme zu erregen. Frisch gefangene sollen sich im Anfange sehr trotzig und widerspenstig geberden. Bei langer Gefangenschaft legt sich wie die Beweglichkeit so auch das wilde Wesen angesichts eines Menschen; doch befreunden sich Beutelwölfe niemals wirklich mit ihrem Wärter, lernen denselben nur mangelhaft kennen und kaum von anderen Leuten unterscheiden, verhalten sich ihm gegenüber auch vollkommen gleichgültig und gerathen höchstens angesichts des ihnen dargereichten Fleisches einigermaßen in Aufregung. Im übrigen laufen sie stundenlang in ihrem Käfige umher, ohne um die Außenwelt sich viel zu kümmern, oder liegen ruhend und schlafend ebenso theilnahmlos auf einer und derselben Stelle.


   Zuckereichhorn

   Als den bekanntesten Flugbeutelbilch darf man wohl das Zuckereichhorn(Petaurusbreviceps)betrachten ; dennschonaus dem Namengeht hervor, daß diese Art ein volksthümliches Thier geworden ist. Man kann nicht leugnen, daß der Name, welchen die ersten Einsiedler gaben, passend gewählt ist; denn nicht bloß in der Gestalt, sondern auch in der Größe ähnelt dasThier unserem Eichkätzchen und noch mehr dem Taguan. Der gestreckte und schlanke Leib erscheint durch die Flughaut, welche sich zwischen beiden Beinen ausspannt, ungewöhnlich breit; der Hals ist kurz und ziemlich dick; der flache Kopf endet in eine kurze, etwas spitzige Schnauze; der Schwanz ist sehr lang, rundlich, schlaff und buschig. Die aufrechtstehenden Ohren sind lang, aber stumpfspitzig, die Augen groß und halbkugelförmig vorstehend. Die Beine sind kurz, die Zehen des Vorderfußes getrennt, die des Hinterfußes durch fast vollständige Verwachsung der zweiten und dritten Zehe und einen den übrigen Zehen entgegensetzbaren Daumen ausgezeichnet. Dieser Daumen ist nagellos; alle übrigen Zehen dagegen tragen sichelförmig gekrümmte Krallen. Das Weibchen besitzt einen vollständigen Beutel. Der Pelz ist sehr dicht, außerordentlich fein und weich, die Flatterhaut behaart, und nur die Ohren sind auf der Innenseite nackt, auf der Außenseite dagegen wenigstens gegen die Wurzel hin mit Haaren bedeckt. Das Thierchen erreicht eine Gesamtlänge von 46 Centim., wovon etwas über die Hälfte auf den Schwanz kommt.
   Man findet das Zuckereichhorn hauptsächlich in Neusüdwales. Es ist ein echtes Baumthier und, wie die meisten der ihm ähnlich gestalteten Geschöpfe, bei Nacht lebendig. Während des Tages verbirgt es sich in den dichtesten Baumkronen, wo es entweder eine Höhlung oder einen Gabelast aufsucht und, zu einer Kugel zusammengerollt und gleichsam in seine Flatterhaut eingewickelt, dem Schlafe sich hingibt; mit der Nacht beginnt seine Thätigkeit. Nunmehr klettert es mit der Gewandtheit eines Eichhorns auf den Bäumen umher, immer von unten nach oben; denn von oben nach unten zu springt es mit Hülfe seiner Flatterhaut, welche es wie einen Fallschirm ausbreitet. Bei Tage erkennt man das Thier, welches man während der Nacht beobachtet, nicht wieder. Es scheint eher ein lebloses Wesen als der behende Baumbewohner zu sein. Mürrisch und lichtscheu schläft es; nur gelegentlich wacht es auf, um etwas zu fressen; wankend, unsicher bewegt es die Glieder, und ängstlich meidet es die Strahlen des ihm verhaßten allbelebenden Lichtes. Ganz anders zeigt es sich in einer jener klaren, zaubervollen Mondnächte seiner Heimat. Das Auge folgt überrascht seinem Treiben. Alle Bewegungen sind jetzt ebenso lebhaft, behend und gewandt wie die des übermüthigsten Affen, wie die des erregtesten Eichhorns. Nur auf dem Boden erscheint es tölpisch und schwankt hier unsichern Schrittes dahin; aber es betritt die ihm fast feindliche Erde auch nur in der höchsten Noth, bloß dann, wenn die Bäume so weit von einander stehen, daß nicht einmal seine Flughaut die Brücke bilden kann. Es ist im Stande, außerordentlich weite Sprünge auszuführen und dabei die Richtung beliebig zu ändern.
   Schon wenn es aus einer Höhe von zehn Meter abspringen kann, ist es fähig, einen zwanzig bis dreißig Meter von ihm entfernten Baum zu erreichen. Am Bord eines an der Küste Neuhollands segelnden Schiffes befand sich ein Flugbeutler, welcher bereits so gezähmt war, daß man ihm gestatten durfte, frei auf dem Schiffe umher zu laufen. Das muntere Geschöpf, die Freude der ganzen Schiffsmannschaft, war am Bord so vertraut geworden, daß es bald auf den höchsten Mastspitzen, bald unten im Raume gesehen werden konnte. Eines Tages kletterte es bei heftigem Wehen nach seinem Lieblingsplatze, der Mastspitze, empor. Man besorgte, daß es während eines seiner Sprünge vom Sturme erfaßt und in das Meer geworfen werden möchte, und einer der Matrosen entschloß sich, seinen Liebling von oben herunter zu holen. Als er dem Thiere nahe auf den Leib rückte, suchte sich dieses der ihm unangenehmen Gefangennahme zu entziehen und vermittels eines seiner herrlichen Luftsprünge das Deck zu erreichen. In demselben Augenblicke legte sich das Schiff, von einem heftigen Windstoße erfaßt, derart auf die Seite, daß aller Berechnung nach der Flugbeutler in die Wellen geschleudert werden mußte. Man gab ihn bereits verloren, er aber wußte sich zu helfen. Plötzlich änderte er durch eine geschickte Wendung seines vortrefflichen Steuerruders die Richtung seines Fluges und schoß, in großen Bogen sich drehend, weit aus nach vorn, glücklich das sichere Deck erreichend. Ueberhaupt ist der Flugbeutler ein sehr nettes Thier, wenn auch nicht gerade harmlos, so doch leicht zähmbar, dabei in der Nacht überaus lebendig, munter und lustig, nur leider immer etwas furchtsam. Ohne große Mühe gewöhnt es sich an allerlei Kost, wenn ihm auch Früchte, Knospen und Kerbthiere das liebste bleiben, schon weil diese Stoffe seiner natürlichen Nahrung entsprechen. Besonders gern frißt er den Honig der Eucalypten oder Gummibäume, und sicherlich bilden auch die Kerbthiere einen nicht unbedeutenden Theil seines Futters.
   Die Geselligkeit ist bei dem Zuckereichhorn sehr ausgeprägt. Man findet in den Wäldern immer mehrere derselben Art vereinigt, obgleich es nicht scheint, als ob eines das andere besonders freundschaftlich und liebevoll behandele.
   Ueber seine Fortpflanzung scheint noch nichts bekannt zu sein, wenigstens finde ich in keinem der mir zugänglichen Werke darüber etwas sicheres mitgetheilt.


   Koala

   Eines der merkwürdigsten aller Beutelthiere, ist der Koala (Phascolarctus cinereus). Der schwanzlose Leib ist gedrungen, der Kopf sehr dick, kurtschnauzig, das Ohr groß und buschig behaart; die vorn und hinten fünfzehigen Pfoten bilden wahre Greiffüße.
   Der wissenschaftliche Name, welcher »Beutelbär« bedeutet, ist bezeichnend; denn wirklich hat der Koala in der Gestalt wie in seinem Gange und in der ganzen Haltung entschiedene Aehnlichkeit mit einem jungen Bären. Seine Länge beträgt etwa 60 Centim., die Höhe am Widerriste ungefähr die Hälfte. Der Gesammteindruck ist ein eigenthümlicher, hauptsächlich wegen des dicken Kopfes mit den auffallend rauh behaarten, weil auseinander stehenden Ohren, den lebhaften Augen und der breiten und stumpfen Schnauze. Die Zehen der Vorderfüße sind wie bei dem Chamäleon in zwei Bündel getheilt und die Hinterfüße durch die Verwachsung der zweiten und dritten Zehe sehr merkwürdig. Der Schwanz besteht aus einem warzenartigen Höcker, welcher leicht übersehen werden kann. Die Behaarung ist sehr lang, fast zottig und dicht, dabei aber fein, weich und wollig, das Gesicht längs des Nasenrückens und von der Schnauze bis zu den Augen beinahe nackt, die Behaarung der Außen? und Innenseite der Ohren und die des übrigen Leibes um so dichter, die Färbung der Oberseite rötlichaschgrau.
   Neusüdwales und zwar die südwestlich von Port Jackson gelegenen Wälder sind die Heimat des Beutelbären. Paarweise, mit seinem Weibchen, bewegt er sich auf den höchsten Bäumen mit einer Langsamkeit, welche ihm auch den Namen »Australisches Faulthier« eingetragen hat. Was ihm an Schnelligkeit abgeht, ersetzt er reichlich durch die unglaubliche Sorgsamkeit und Sicherheit, mit welcher er klettert, und welche ihn befähigt, selbst die äußersten Aeste zu betreten. Er ist ein halb nächtliches Thier, wenigstens verschläft er die größte Helle und Hitze des Tages tief versteckt in den Kronen der Gummibäume, welche seinen bevorzugten Aufenthalt bilden. Gegen Abend beginnt er seine Mahlzeit. Ruhig und unbehelligt von den übrigen Geschöpfen der Wildnis, weidet er äußerst gemächlich die jungen Blätter und Schößlinge der Aeste ab, indem er sie mit den Vorderpfoten festhält und mit seinen Schneidezähnen abbeißt. In seinem ganzen Wesen und Treiben offenbart er eine mehr als gewöhnliche Stumpfheit. Man nennt ihn ein überaus gutmüthiges und friedliches Thier, welches nicht so leicht in den Harnisch zu bringen ist und schweigsam seinen Geschäften nachgeht. Höchstens dann und wann läßt er seine Stimme vernehmen, ein dumpfes Gebell, welches bloß, wenn er sehr hungerig ist oder hartnäckig gereizt wird, in ein gellendes, schrillendes Geschrei übergeht. Bei großem Zorne kann es wohl auch vorkommen, daß er eine wilddrohende Miene annimmt; dann funkeln auch die lebhaften Augen böswillig dem Störenfriede entgegen. Aber es ist nicht so schlimm gemeint, denn er denkt kaum daran, zu beißen oder zu kratzen.
   So viel man weiß, wirft das Weibchen bloß ein Junges. Es schleppt dieses, nachdem es dem Beutel entwachsen, noch lange Zeit mit sich auf dem Rücken oder den Schultern herum und behandelt es mit großer Sorgfalt und Liebe. Das Junge klammert sich fest an den Hals der Mutter an und sieht theilnahmslos in die Welt hinaus, wenn die Alte mit anerkennenswerther Vorsicht in den Kronen der Bäume umherklettert.


   Wombat

   Der Breitstirnwombat (Phascolomys latifrons) [Heute: Lasiorhinus latifrons] ist meist etwas größer als der Wombat, reichlich 1 Meter lang, sein Haar weicher als bei dem Verwandten und von licht mausgrauer Färbung. Die großen, vorstehenden Ohren endigen in eine ziemlich scharfe Spitze.
   Die Südküste von Neusüdwales ist die Heimat des Wombats. Beide Arten leben in dichten Wäldern, graben sich hier weite Höhlen und sehr tiefe Gänge in den Boden und verbringen in ihnen schlafend den ganzen Tag. Erst nachdem die Nacht vollständig eingetreten ist, humpelt der Wombat ins Freie, um Nahrung zu suchen. Diese besteht zumeist aus einem harten, binsenartigen Grase, welches weite Strecken überzieht, sonst aber in allerlei Kräutern und Wurzeln, welch letztere durch kraftvolles Graben erworben werden.
   Der Wombat sieht noch unbehülflicher aus, als er ist. Seine Bewegungen sind langsam, aber stätig und kräftig. Ein so stumpfsinniger und gleichgültiger Gesell, wie er ist, läßt sich nicht leicht aus seiner Ruhe bringen. Er geht seinen Weg gerade und unaufhaltsam fort, ohne vor irgend einem Hindernisse zurückzuschrecken. Es hält wirklich schwer, einen Wombat irgendwie zu erregen, obgleich man ihn unter Umständen erzürnen kann. So viel ist sicher, daß man ihn einen Trotzkopf ohne gleichen nennen muß, falls man es nicht vorziehen will, seine Beharrlichkeit zu rühmen. Eine Höhle, welche er einmal begonnen, gräbt er mit Ruhe eines Weltweisen hundertmal wieder aus, wenn man sie ihm verstopft. Die australischen Ansiedler sagen, daß er höchst friedlich wäre und sich, ohne Unruhe oder Aerger zu verrathen, vom Boden aufnehmen und wegtragen ließe, dagegen ein nicht zu unterschätzender Gegner würde, wenn ihm plötzlich einmal der Gedanke an Abwehr durch seinen Querkopf schösse, weil er dann wüthend und in gefährlicher Weise um sich beiße. Ich kann diese Angabe bestätigen. Gefangene, welche ich pflegte, benahmen sich nicht anders. Namentlich wenn man ihnen die Füße zusammenschnürte oder sie auch nur an den Füßen packte, zeigten sie sich sehr erbost und bissen, wenn ihnen die Sache zu arg wurde, sehr boshaft zu.
   Wie die meisten australischen Thiere, hält auch der Wombat bei uns in der Gefangenschaft vortrefflich aus. Bei guter Pflege und geeigneter Nahrung scheint er sich sehr wohl zu befinden, wird dann auch leidlich zahm, d. h. gewöhnt sich insofern an den Menschen, daß man ihm gestatten darf, frei im Hause umherzulaufen. Seine Gleichmüthigkeit läßt ihn die Gefangenschaft vergessen und macht ihn mit seinem Loose bald zufrieden; wenigstens kommt er nie auf den Gedanken, zu entfliehen. Doch darf man deshalb nicht glauben, daß er sich jemals mit seinem Pfleger befreunde. Der Mensch ist ihm ebenso gleichgültig wie die ganze übrige Welt. Wenn er zu fressen hat, kümmert er sich um nichts; jeder Ort ist ihm dann recht und jede Gegend angenehm.
   Bei uns zu Lande ernährt man den blöden, geistig theilnamlosen Gesellen mit grünem Futter, Möhren, Rüben, Früchten, Körnern und Getreide ohne Mühe, und wenn man ihm etwas Milch geben will, verschafft man ihm einen besonderen Genuß. In England hat man beide Arten bereits zur Fortpflanzung gebracht und dabei beobachten können, daß das Weibchen drei bis vier Junge wirft und sie, wenigstens so lange sie noch im Beutel sich befinden, mit großer Sorgfalt und Liebe pflegt und erzieht.


   Riesenkänguru

   Unter den wenigen Sippen, in welche die Familie zerfällt, stellt man die Kängurus im engem Sinne (Macropus) obenan. Der hinterste breite Schneidezahn ist bei ihnen gefurcht, der obere Eckzahn, wenn vorhanden, stets sehr klein. Die Vorderbeine sind regelmäßig schwach.
   Das Riesenkänguru (Macropus giganteus) [Heute: Macropus rufa] der »Boomer« der Ansiedler, gehört zu den größten Arten der Familie. Sehr alte Männchen haben in sitzender Stellung fast Manneshöhe; ihre Länge beträgt gegen drei Meter, wovon etwa 90 Centim. auf den Schwanz gerechnet werden müssen, ihr Gewicht schwankt zwischen 100 bis 150 Kilogramm. Das Weibchen ist durchschnittlich um ein Drittheil kleiner als das Männchen. Die Behaarung ist reichlich, dicht, glatt und weich, fast wollig, die Färbung ein schwer zu bestimmendes Braun, gemischt mit Grau.
   Cook entdeckte das Känguru 1770 an der Küste von Neusüdwales und gab ihm nach einer Benennung der dortigen Eingeborenen den Namen, welcher später zur Bezeichnung der ganzen Familie gebraucht wurde. Das Thier lebt auf grasbewachsenen Triften oder in spärlich bestandenen Buschwaldungen, wie solche in Australien häufig gefunden werden. In das Gebüsch zieht es sich namentlich im Sommer zurück, um sich vor der heißen Mittagssonne zu schützen. Gegenwärtig ist es durch die fortwährende Verfolgung weit in das Innere gedrängt worden, und auch hier beginnt es seltener zu werden. Es lebt in Trupps, ist jedoch nicht so gesellig, als man anfangs glaubte, getäuscht durch Vereinigung verschiedener Familien. Gewöhnlich sieht man nur ihrer drei oder vier zusammen, und diese in so losem Verbande, daß sich eigentlich keines um das andere kümmert, sondern jedes unabhängig seinen eigenen Weg geht. Früher glaubte man, in den Männchen die Leitthiere eines Trupps annehmen zu dürfen, wahrscheinlich, weil sie ihrer bedeutenden Größe wegen zu solchem Amte geeignet erscheinen mochten; aber auch diese Annahme hat sich als unrichtig herausgestellt. Alle Beobachter stimmen darin überein, daß das Känguru im hohen Grade scheu und furchtsam ist und dem Menschen nur selten erlaubt, ihm in erwünschter Weise sich zu nähern. z3Gould sagt über die flüchtigen Kängurus folgendes: »Ich erinnere mich mit besonderer Vorliebe eines schönen Boomers, welcher sich in der offenen Ebene zwischen den Hunden plötzlich aufrichtete und dann dahin jagte. Zuerst warf er seinen Kopf empor, um nach seinen
   Verfolgern zu schielen und gleichzeitig zu sehen, welche Seite des Weges ihm offen war; dann aber jagte er, ohne einen Augenblick zu zögern, vorwärts und gab uns Gelegenheit, das tollste Rennen zu beobachten, welches ein Thier jemals vor unseren Augen ausgeführt hat. Vierzehn (englische) Meilen in einem Zuge rannte der vogelschnelle Läufer, und da er vollen Spielraum hatte, zweifelte ich nicht im geringsten, daß er uns entkommen würde. Zu seinem Unglück aber hatte er seinen Weg nach einer Landzunge gerichtet, welche ungefähr zwei Meilen weit in die See hinauslief. Dort wurde ihm der Weg abgeschnitten und er gezwungen, schwimmend seine Rettung zu suchen. Der Meeresarm, welcher ihn vom festen Lande trennte, mochte ungefähr zwei Meilen breit sein, und eine frische Brise trieb die Wellen hart gegen ihn. Aber es blieb ihm keine andere Wahl, als entweder den Kampf mit den Hunden aufzunehmen, oder seine Rettung in der See zu suchen. Ohne Besinnen stürzte er sich in die Wogen und durchschwamm sie muthig, obgleich die Wellen halb über ihn hinweggingen. Schließlich wurde er genöthigt, umzukehren, und abgemattet und entkräftet, wie er war, erlag er nunmehr seinen Verfolgern in kurzer Frist. Die Entfernung, welche er auf seiner Flucht durchjagt hatte, konnte, wenn man die verschiedenen Krümmungen hinzurechnen wollte, nicht unter achtzehn Meilen betragen haben, und sicherlich durchschwamm er deren zwei.
   Gegenwärtig sieht man das Känguru seltener bei uns in der Gefangenschaft als früher, da es in seiner Heimat weit häufiger war. Bei guter Pflege dauert es bei uns lange aus; einzelne lebten zehn bis funfzehn Jahre in Europa.



   Insektenfresser (Kerfjäger) 


   Igel

   Wenn an den ersten warmen Abenden, welche der junge, lachende Frühling bringt, Alt und Jung hinausströmt, um sich in den während des Winters verwaisten und riun neu erwachenden Gärten, Hainen und Wäldchen neue Lebensfrische zu holen, vernimmt der Aufmerksamere vielleicht ein eigenthümliches Geräusch im trockenen, abgefallenen Laube, gewöhnlich unter den dichtesten Hecken und Gebüschen, wird auch, falls er hübsch ruhig bleiben will, bald den Urheber dieses Lärmens entdecken. Ein kleiner, kugelrunder Bursche, mit merkwürdig rauhem Pelze, arbeitet sich aus dem Laube hervor, schnuppert und lauscht und beginnt sodann seine Wanderung mit gleichmäßig trippelnden Schritten. Kommt er näher, so bemerkt man ein sehr niedliches, spitzes Schnäuzchen, gleichsam eine nette Wiederholung des gröberen und derberen Schweinsrüssels vorstellend, ein Paar klare, freundlich blickende Aeuglein und einen Stachelpanzer, welcher die ganzen oberen Theile des Leibes bedeckt, ja auch an den Seiten noch weit herabreicht. Das ist unser, oder ich will eher sagen mein lieber Gartenfreund, der Igel, ein zwar beschränkter, aber gemüthlicher, ehrlicher, treuherziger Gesell, welcher harmlos in das Leben schaut und nicht begreifen zu können scheint, daß der Mensch so niederträchtig sein kann, ihn, welcher sich so hohe Verdienste um das Gesammtwohl erwirbt, nicht nur mit allerlei Schimpfnamen zu belegen, sondern auch nachdrücklich zu verfolgen, ja aus reiner Bubenmordlust sogar todtzuschlagen. Man muß das Entsetzen gesehen haben, mit welchem eine Gesellschaft von Frauen aufspringt, wenn sich plötzlich der Stachelheld zwischen sie drängt oder auch nur von ferne zeigt. Sie thun gerade, als wäre dies ein Feind, welcher das Leben bedrohen oder ihnen wenigstens Verletzungen beibringen könnte, an denen sie jahrelang zu leiden hätten! Keine einzige der aufschreienden aber hat sich jemals die Mühe genommen, das Thier selbst zu beobachten. Hätte sie dies gethan, so würde sie bemerkt haben, daß der scheinbar so muthig auf den Menschen zutrabende Held, sobald er sich von der Nähe des gefährlichen Feindes überzeugt hat, im höchsten Entsetzen einen Augenblick lang stutzt, die Stirne runzelt und plötzlich, Gesicht und Beine an den Leib ziehend, zu einer Ku gel sich zusammenrollt und in dieser Stellung verharrt, bis die vermeintliche Gefahr vorüber ist. Der Harmlose ist froh, wenn er selbst nicht behelligt wird und geht gern jedem größeren Thiere, und zumal dem Menschen, aus dem Wege.
   Der Igel (Erinaceus europaeus) ist ein drolliger Kauz und dabei ein guter, furchtsamer Gesell, welcher sich ehrlich und redlich, unter Mühe und Arbeit durchs Leben schlägt. Wenig zum Gesellschafter geeignet, findet er sich fast stets allein oder höchstens in Gemeinschaft mit seinem Weibchen. Unter den dichtesten Gebüschen, unter Reisichhaufen oder in Hecken hat sich jeder einzeln sein Lager aufgeschlagen und möglichst bequem zurechtgemacht. Es ist ein großes Nest aus Blättern, Stroh und Heu, welches in einer Höhle oder unter dichtem Gezweige angelegt wird. Fehlt es an einer schon vorhandenen Höhle, so gräbt er sich mit vieler Arbeit eine eigne Wohnung und füttert diese aus. Sie reicht etwa 30 Centim. tief in die Erde und ist mit zwei Ausgängen versehen, von denen der eine in der Regel nach Mittag, der andere gegen Mitternacht gelegt ist. Allein diese Thüren verändert er wie das Eichhorn, zumal bei heftigem Nord? oder Südwinde. In hohem Getreide gräbt er sich selten eine Höhle, sondern macht sich bloß ein großes Nest. Die Wohnung des Weibchens ist fast immer nicht weit von der des Männchens, gewöhnlich in einem und demselben Garten. Es kommt wohl auch vor, daß beide Igel in der warmen Jahreszeit in ein Nest sich legen; ja zärtliche Igel vermögen es gar nicht, von ihrer Schönen sich zu trennen, und theilen regelmäßig das Lager mit ihr. Dabei spielen sie allerliebst miteinander, necken und jagen sich gegenseitig, kurz, kosen zusammen, wie Verliebte überhaupt zu thun pflegen. Wenn der Ort ganz sicher ist, sieht man die beiden Gatten wohl auch bei Tage ihre Liebesspiele und Scherze treiben, an halbwegs lauten Orten aber erscheinen sie bloß zur Nachtzeit. Man hört, wie ich oben andeutete, ein Geraschel im Laube und sieht den Igel plötzlich in schnurgerader Richtung weglaufen, trotz der schnell trippelnden Schritte langsam und ziemlich schwerfällig. Dabei schnuppert er mit der Nase wie ein Spürhund auf dem Boden und beriecht jeden Gegenstand, welchen er unterwegs trifft, sehr sorgfältig. Bei solchen Wanderungen trieft ihm beständig Speichel aus Mund und Nase, und man behauptet, daß er den Rückweg nach seiner Wohnung durch das Wittern dieser Flüssigkeit wieder auffinde. Ich glaube nicht daran, weil ich die große Ortskenntnis des Thieres oft bemerken konnte. Hört unser Stachelheld auf seinem Wege etwas verdächtiges, so bleibt er stehen, lauscht und wittert, und man sieht dabei recht deutlich, daß der Sinn des Geruchs bei weitem der schärfste ist, zumal im Vergleiche zum Gesicht. Nicht selten kommt es vor, daß ein Igel dem Jäger auf dem Anstande geradezu bis vor die Füße läuft, dann aber plötzlich stutzt, schnüffelt und nun eiligst Reißaus nimmt, falls er nicht vorzieht, sogleich seine Schutz? und Trutzwaffe zu gebrauchen, nämlich zur Kugel sich zusammenzuballen. Von der früheren Gestalt des Thieres bemerkt man sodann nichts mehr; es bildet jetzt vielmehr einen eiförmigen Klumpen, welcher an einer Seite eine Vertiefung zeigt, sonst aber ringsum ziemlich regelmäßig gerundet ist. Die Vertiefung führt nach dem Bauche zu, und in ihr liegen dicht an denselben gedrückt die Schnauze, die vier Beine und der kurze Stummelschwanz. Zwischen den Stacheln hindurch hat die Luft ungehinderten Zutritt, und somit wird es dem Igel leicht, selbst bei längerem Aushalten in seiner Stellung zu athmen. Diese Zusammenrollung verursacht ihm keine Anstrengung; denn Hautmuskeln, welche dieselbe bewirken, sind bei ihm in einer Weise ausgebildet wie bei keinem anderen Thiere und wirken gemeinschaftlich mit solcher Kraft, daß ein an den Händen gehörig geschützter Mann kaum im Stande ist, den zusammengekugelten Igel gewaltsam aufzurollen. Einem solchen Unternehmen bieten nun auch die Stacheln empfindliche Hindernisse. Während bei der ruhigen Bewegung des Thieres das Stachelkleid hübsch glatt aussieht und die tausend Spitzen, im ganzen dachziegelartig geordnet, glatt übereinander liegen, sträuben sie sich, sobald der Igel die Kugelform annimmt, nach allen Seiten hin und lassen ihn jetzt als eine furchtbare Stachelkugel erscheinen. Einem einigermaßen Geübten wird es gleichwohl nicht schwer, auch dann noch einen Igel in den Händen fortzutragen. Man setzt die Kugel in die Lage, welche das Thier beim Gehen einnehmen würde, streicht von vorn nach hinten leise die Stacheln zurück und wird nun nicht im mindesten von ihnen belästigt. Will man sich einen Spaß machen, so setzt man den Igel auf einen Gartentisch und sich still daneben, um das Aufrollen zu beobachten. Nicht leichter kann man eine größere Abwechslung in den Gesichtszügen wahrnehmen, als sie jetzt stattfindet. Obgleich der Geist natürlich sehr wenig mit diesen Veränderungen des Gesichtsausdrucks zu thun hat, sieht es doch so aus, als durchliefen das Igelgesicht in kürzester Zeit alle Ausdrücke von dem finstersten Unmuthe an bis zur größten Heiterkeit. Falls man sich ruhig verhält, denkt der zusammengerollte Igel nach geraumer Zeit daran, sich wieder auf den Weg zu machen. Ein eigenthümliches Zucken des Felles verkündet den Anfang seiner Bewegung. Leise schiebt er den vorderen und hinteren Theil des Stachelpanzers auseinander, setzt die Füße vorsichtig auf den Boden und streckt sachte das Schweineschnäuzchen vor. Noch ist die Kopfhaut dick gefaltet, und finsterer Zorn scheint auf seiner niederen Stirne sich auszudrücken; selbst das so harmlose Auge liegt unter buschigen Brauen tief versteckt. Mehr und mehr glättet sich das Gesicht, weiter und weiter wird die Nase vorgeschoben, weiter und weiter der Panzer zurückgedrängt, endlich hat man auf einmal das gemüthliche Gesicht in seiner gewöhnlichen, behäbigen oder harmlosen Ruhe vor sich, und in diesem Augenblicke beginnt auch der Igel seine Wanderung, gerade so, als ob es für ihn niemals eine Gefahr gegeben hätte.
   Der Igel ist keinesweges ein ungeschickter und tölpischer Jäger, sondern versteht Jagdkunststücke auszuführen, welche man nimmermehr ihm zutrauen möchte. Allerdings besteht die Hauptmasse seiner Nahrung aus Kerbthieren, und eben hierdurch wird er so nützlich. Allein er begnügt sich nicht mit solcher, so wenig nährenden Kost, sondern erklärt auch anderen Thieren den Krieg. Kein einziger der kleinen Säuger oder Vögel ist vor ihm sicher, und unter den niederen Thieren haust er in arger Weise. Außer der Unmasse von Heuschrecken, Grillen, Küchenschaben, Mai? und Mistkäfern, anderen Käfern aller Art und deren Larven, verzehrt er Regenwürmer, Nacktschnecken, Wald? und Feldmäuse, kleine Vögel und selbst Junge von großen. Man sollte nicht denken, daß er wirklich im Stande wäre, die kleinen, behenden Mäuse zu fangen; aber er versteht sein Handwerk und bringt selbst das unglaublich scheinende fertig. Ich habe ihn einmal bei seinem Mäusefang beobachtet und mich über seine Pfiffigkeit billig gewundert. Er strich im Frühjahre im niederen Getreide hin und blieb plötzlich vor einem Mäuseloche stehen, schnupperte und schnüffelte daran herum, wendete sich langsam hin und her und schien sich endlich überzeugt zu haben, auf welcher Seite die Maus ihren Sitz hatte. Da kam ihm nun sein Rüssel vortrefflich zu statten. Mit großer Schnelligkeit wühlte er den Gang der Maus auf und holte sie so auch wirklich nach kurzer Zeit ein; denn ein Quieken von Seiten der Maus und behagliches Murmeln von Seiten des Igels bewies, daß dieser sein Opfer gefaßt hatte. Nun wurde mir freilich sein Mausefang klar; wie er es aber anstellt, in Scheunen und Ställen das behende Wild zu übertölpeln, erfuhr ich erst neuerdings durch meinen Freund Albrecht. Beim Umherlaufen im Zimmer wurde ein von diesem Beobachter gepflegter Igel plötzlich eine naseweise Maus gewahr, welche sich aus ihrem Loche hervorgewagt hatte. Mit unglaublicher Schnelligkeit, obschon mit einem gewissen Ungeschick, schoß er auf dieselbe los und packte sie, bevor sie Zeit hatte, zu entrinnen. »Die fabelhaft flotte Bewegung des anscheinend so plumpen Thieres, welche ich später noch öfters beobachtete«, schreibt mir mein Freund, »brachte mich stets zum Lachen; ich weiß sie mit nichts richtig zu vergleichen. Fast war es wie ein abgeschossener Pfeil von Rohr, welcher vom Winde rechts und links getrieben wird, aber trotzdem wieder an die rechte Bahn kommt.«
   »Doch wir gehen zur Hauptsache über und folgen unserem Helden zum Otterkampfe. Staunend über seine Thaten, müssen wir zugestehen, daß wir nicht den Muth haben, ihm es nachzuthun. Am 30. August ließ ich eine große Kreuzotter in die Kiste des Igels, während er seine Jungen ruhig säugte. Ich hatte mich im voraus davon überzeugt, daß diese Otter an Gift keinen Mangel litt, da sie zwei Tage vorher eine Maus sehr schnell getödtet hatte. Der Igel roch sie sehr bald (er folgt nie dem Gesicht, sondern immer dem Geruch), erhob sich von seinem Lager, tappte unbehutsam bei ihr herum, beroch sie, weil sie ausgestreckt dalag, vom Schwanze bis zum Kopfe und beschnupperte vorzüglich den Rachen. Sie begann zu zischen und biß ihn mehrmals in die Schnauze und in die Lippen. Ihrer Ohnmacht spottend, leckte er sich, ohne zu weichen, behaglich die Wunde und bekam dabei einen derben Biß in die herausgestreckte Zunge. Ohne sich beirren zu lassen, fuhr er fort, das wüthende und immer wieder beißende Thier zu beschnuppern, berührte sie auch öfter mit der Zunge, aber ohne anzubeißen. Endlich packte er schnell ihren Kopf, zermalmte ihn, trotz ihres Sträubens, sammt Giftzähnen und Giftdrüsen zwischen seinen Zähnen und fraß dann weiter bis zur Mitte des Leibes. Jetzt hörte er auf und lagerte sich wieder zu seinen Jungen, die er säugte. Abends fraß er das noch übrige und eine junge, frischgeborene Kreuzotter. Am folgenden Tage fraß er wieder drei frischgeborene Ottern und befand sich nebst seinen Jungen sehr wohl. Auch war an den Wunden weder eine Geschwulst noch sonst derartiges zu sehen.«
   Diese Beobachtungen sind unzweifelhaft in jeder Hinsicht merkwürdig. Nach physiologischen Gesetzen läßt es sich nicht einsehen, wie ein warmblütiges Thier so ruhig Bisse aushalten kann, deren Wirkung bei anderen seiner Klasse sogleich Zersetzung des Blutes hervorruft und dadurch den Tod nach sich zieht. Man muß nur bedenken, daß der Biß einer Kreuzotter Säugethiere tödtet, welche wenigstens die dreißigfache Größe und das dreißigfache Gewicht des Igels haben, anscheinend also auch weit stärker sein müßten, als er es ist. Aber unser Stachelheld scheint wirklich giftfest zu sein; denn er verzehrt nicht bloß Giftschlangen, deren Gift bekanntlich nur dann schadet, wenn es unmittelbar in das Blut übergeführt wird, sondern auch Thiere, welche dann giftig wirken, wenn sie in den Magen kommen, wie z. B. die allbekannten spanischen Fliegen, deren Leib ja schon auf der äußeren Haut heftige Entzündungen hervorruft, und deren Genuß anderen Thieren unfehlbar den Tod bringen würde.
   Die Paarzeit des Igels währt von Ende März bis zu Anfang Juni. Auch erzeigt sich, wenn er mit seinem Weibchen zusammen ist, sehr erregt. Erspielt nicht nur mit seiner Gattin, sondern stößt außerdem Laute aus, welche man sonst nur bei der größten Aufregung vernimmt. Ein dumpfes Gemurmel oder heiser quiekende Laute oder auch ein helles Schnalzen scheint behagliche Stimmung auszudrücken, während ein eigenthümliches Trommeln, wie der Dachs es hören läßt, ein Zeichen von gestörter Gemüthlichkeit, Wuth oder Angst ist. Alle diese Laute werden aber gerade bei der Paarungszeit vernommen; denn der Igel hat ebenfalls seine Noth, um ein Weib an sich zu fesseln. Unberufene Nebenbuhler drängen sich auch in sein Gehege und machen ihm den Kopf warm, zumal sein Weibchen sich keineswegs in den Schranken einer gebührenden Treue hält. Sieben Wochen nach der Paarung wirft letzteres seine drei bis sechs, in seltenen Fällen wohl auch acht, blinden Jungen in einem besonders hierzu errichteten, schönen, großen und gut ausgefütterten Lager unter dichten Hecken, Zäunen, Laub? und Mooshaufen oder in Getreidefeldern. Die neugeborenen Igelchen sind etwa 6,5 Centim. lang, sehen anfangs weiß aus und erscheinen fast ganz nackt, da die Stacheln erst später zum Vorschein kommen. Daß sie schon bei der Geburt vorhanden sind, hat Lenz bei den Igeln gesehen, welche in seinem Zimmer geboren wurden. »Die Sache«, sagt er, »gibt auch bei der Geburt gar keinen Anstoß. Die Stacheln stehen auf einer sehr weichen, federnden Unterlage; der Rücken ist noch ganz zart, und jeder Stachel, den man z. B. mit dem Finger berührt, sticht Einen gar nicht, sondern drückt sich rückwärts in den weichen Rücken, aus dem er jedoch gleich wieder hervorkommt, sobald man die Fingerspitze wegthut. Nurwenn man den Stachel von der Seite mit dem Nagel oder mit einem eisernen Zängelchen faßt, fühlt man, daß er hart ist. Da nun die Thierchen gewöhnlich mit dem Kopfe vorweg geboren werden und die Stacheln etwas nach hinten gerichtet sind, ist an eine Verletzung der Alten nicht zu denken.«
   Gegen den Herbst hin sind die jungen Igel soweit erwachsen, daß sich jeder einzelne selbst seine Nahrung aussuchen kann, und ehe noch die kalten Tage kommen, hat jeder sich ein Schmerbäuchlein angelegt und denkt jetzt, wie die Alten, daran, sich seine Winterwohnung herzurichten. Diese ist ein großer, wirrer, aus Stroh, Heu, Laub und Moos bestehender, im Innern aber sehr sorgfältig ausgefütterter Haufen. Die Stoffe trägt der Igel auf seinem Rücken nach Hause und zwar auf sehr sonderbare Weise. Er wälzt sich nämlich in dem Laube herum, dort, wo es am dichtesten liegt, und spießt sich hierdurch eine Ladung auf die Stacheln, welche ihm dann ein ganz großartiges Ansehen verleiht. In ähnlicher Weise schafft er auch Obst nach Hause. Man hat dies oft bezweifelt, Lenz aber hat es gesehen, und einem solchen Beobachter gegenüber wäre fernerer Zweifel ein Frevel, dessen wir uns nicht schuldig machen wollen. Mit Eintritt des ersten, starken Frostes vergräbt sich der Igel tief in sein Lager und bringt hier die kalte Winterzeit in einem ununterbrochenen Winterschlafe zu.
   Um einen Igel zu zähmen, braucht man ihn bloß wegzunehmen und an einen ihm passenden Ort zu bringen. Hier gewöhnt er bald ein und verliert in kürzester Zeit alle Scheu vor dem Menschen. Nahrung nimmt er ohne weiteres zu sich, sucht auch selbst in Haus und Hof oder noch mehr in Scheunen und Schuppen nach solchen umher. Unangenehm wird der im Hause gehaltene Igel durch sein langweiliges Gepolter bei Nacht. Sein täppisches Wesen zeigt sich bei seinen Streifereien wie bei jeder Bewegung. Von dem geisterhaften Gange der Katzen bemerkt man bei ihm nichts. Auch ist er ein unreinlicher Gesell, und der widrige, bisamähnliche Geruch, den er verbreitet, ist keineswegs angenehm. Dagegen erfreut er wieder durch seine Drolligkeit. Leicht gewöhnt er sich an die allerverschiedenartigste Nahrung und ebenso an ganz verschiedenartige Getränke. Milch liebt er ganz besonders, verschmäht aber auch geistige Getränke nicht und thut nicht selten hierin des Guten zu viel. Dr. Ball erzählt von seinen gefangenen Igeln mancherlei lustige Dinge, unter anderen auch, daß er dieselben mehr als einmal in Rausch versetzte. Er gab einem starken Wein oder Branntwein zu trinken, und der Igel nahm davon solche Mengen zu sich, daß er sehr bald vollkommen betrunken wurde.
   Der Igel hat außer dem unwissenden, böswilligen Menschen noch viele andere Feinde. Die Hunde hassen ihn aus tiefster Seele und verkünden dies durch ihr anhaltendes, wüthendes Gebell. Sobald sie einen Igel entdeckt haben, versuchen sie alles mögliche, um dem Stachelträger ihren Grimm zu zeigen. Der aber verharrt in seiner leidenden Stellung, solange sich der Hund mit ihm beschäftigt, und überläßt es diesem, sich eine blutige Nase zu holen. Der Fuchs soll, wie versichert wird, dem Igel eifrig nachstellen und ihn auf niederträchtige Weise zum Aufrollen bringen, indem er die Stachelkugel mit seinen Vorderpfoten dem Wasser zuwälzt und sie da hineinwirft oder sie so dreht, daß der Igel auf den Rücken zu liegen kommt, und ihn sodann mit seinem stinkenden Harn bespritzt, worauf sich der arme Geselle verzweifelt aufrollt, im gleichen Augenblicke aber von dem Erzschurken an der Nase gefaßt und getödtet wird. Auf diese Weise gehen viele Igel zu Grunde, zumal in der Jugend. Aber sie haben einen noch gefährlicheren Feind, den Uhu. »Nicht weit von Schnepfenthal«, erzählt Lenz, »steht ein Felsen, der Thorstein, auf dessen Höhe Uhus ihr Wesen zu treiben pflegen. Dort habe ich öfters außer dem Miste und den Federn dieser Eulen auch Igelhäute, und nicht bloß diese, sondern selbst die Stacheln der Igel in den Gewöllen, welche die Uhus ausspeien, gefunden.«
   Auch noch nach seinem Tode muß der Igel dem Menschen nützen, wenigstens in manchen Gegenden. Sein Fleisch wird wahrscheinlich bloß von Zigeunern und ähnlichem umherstreifenden Gesindel verzehrt, also doch gegessen, und man hat sogar eine eigne Zubereitungsweise erfunden. Der Igel wird von dem wahren Kochkünstler mit einer dicken Lage gut durchgekneteten, klebrigen Lehms überzogen und mit dieser Hülle übers Feuer gebracht, hierauf sorgfältig in gewissen Zeiträumen gedreht und gewendet. Sobald die Lehmschicht trokken und hart geworden ist, nimmt man den Braten vom Feuer, läßt ihn etwas abkühlen und bricht dann die Hülle ab, hierdurch zugleich die sämmtlichen Stacheln, welche in der Erde stecken bleiben, entfernend. Bei dieser Zubereitungsart wird der Saft vollkommen erhalten und ein nach dem Geschmacke der genannten Leute ausgezeichnetes Gericht erzielt. In Spanien wurde er früher, zumal während der Fastenzeit, häufig genossen, weil ihm von den Pfaffen seine Stellung in der Klasse der Säugethiere abgesprochen, und er, wer weiß für welches Thier erklärt wurde. Bei den Alten spielte er auch in der Arzneikunde seine Rolle. Selbst heutzutage wird sein Fett noch als besonders heilkräftig angesehen.


   Wasserspitzmaus

   Die Wasserspitzmaus (Crossopus fodiens) [Heute: Neomys fodiens], ein bezüglich ihrer Färbung vielfach abänderndes Thier, gehört zu den größeren Arten der bei uns vorkommenden Spitzmäuse. Ihre Gesammtlänge beträgt 11,8 Centim., wovon 5,3 Centim. auf den Schwanz kommen. Der feine, dichte und weiche Pelz ist gewöhnlich auf dem Oberkörper schwarz, im Winter glänzender als im Sommer, auf dem Unterkörper aber grauweiß oder weißlich, zuweilen rein, manchmal mit Grauschwarz theilweise gefleckt. Die Haare des Pelzes stehen so dicht, daß sie vollkommen an einander schließen und keinen Wassertropfen bis auf die Haut eindringen lassen. Die Schwimmhaare, welche nach dem Alter der Jahreszeit länger oder kürzer sind, lassen sich so ausbreiten, daß sie wie die Zinken eines Kammes auf jeder Seite der Füße hervorstehen, und auch wieder so knapp an die Seiten dieser Theile anlegen, daß man sie wenig bemerkt. Sie bilden, gehörig gebreitet, ein sehr vollkommenes Ruder und leisten vortreffliche Dienste. Nach Belieben können sie entfaltet und wieder zusammengelegt und beim Laufen so angedrückt werden, daß sie hinlänglich gegen die Abnutzung geschützt sind.
   Wie es scheint, ist die Wasserspitzmaus über fast ganz Europa und einen Theil Asiens verbreitet und an geeigneten Orten überall häufig zu finden. Ihre Nordgrenze erreicht sie in England und in den Ostseeländern, ihre Südgrenze in Spanien und Italien. In den Gebirgen steigt sie zu bedeutenden Höhen empor, in den Alpen etwa bis zu 2000 Meter über dem Meere. Sie bewohnt vorzugsweise die Gewässer gebirgiger Gegenden und am liebsten solche, in denen es auch bei der größten Kälte noch offene Quellen gibt, weil diese ihr im Winter, um frei aus? und ein zu gehen, ganz unentbehrlich sind. Bäche gebirgiger Waldgegenden, welche reines Wasser, sandigen oder kiesigen Grund haben, mit Bäumen besetzt sind und von Gärten oder Wiesen eingeschlossen werden, scheinen Lieblingsorte von ihr zu sein. Ebenso gern aber hält sie sich in Teichen mit hellem Wasser und einer Decke von Meerlinsen auf. Zuweilen findet man sie hier in erstaunlicher Menge. Oft wohnt sie mitten in den Dörfern, gern in der Nähe der Mühle; doch ist sie nicht an das Wasser gebunden, läuft vielmehr auch auf den an Bächen liegenden Wiesen umher, verkriecht sich unter Heuschobern, geht in Scheuern und Ställe, selbst in das Innere der Häuser, und kommt manchmal auf Felder, welche weit vom Wasser entfernt sind. In lockerem Boden nahe am Wasser gräbt sie sich selbst Röhren, benutzt aber doch noch lieber die Gänge der Mäuse und Maulwürfe, welche sie in der Nähe ihres Aufenthaltsortes vorfindet. Ein Haupterfordernis ihrer Wohnung ist, daß die Hauptröhre verschiedene Ausgänge hat, von denen der eine in das Wasser, die anderen über der Oberfläche desselben und noch andere nach dem Lande zu münden. Die Baue sind Schlaf? und Zufluchtsorte des Thierchens und gewähren ihm bei Verfolgung der Katzen und anderer Raubthiere eine sichere Unterkunft.
   In dieser Wohnung bringt die Wasserspitzmaus an belebten Orten gewöhnlich den ganzen Tag zu; da aber, wo sie keine Nachstellung zu fürchten hat, ist sie, besonders im Frühjahre, zur Paarungszeit, auch bei Tage sehr munter. Selten schwimmt sie an dem Ufer entlang, lieber geht sie quer durch von dem einen Ufer zum anderen. Will sie sich längs des Baches fortbewegen, so läuft sie entweder unter dem Ufer weg oder auf dem Boden des Baches unter dem Wasser dahin. Sie ist ein äußerst munteres, kluges und gewandtes Thier, welches dem Beobachter in jeder Hinsicht Freude macht. Ihre Bewegungen sind schnell und sicher, behend und ausdauernd. Sie schwimmt und taucht vortrefflich und besitzt die Fähigkeit, bald mit vorstehendem Kopfe, bald mit sichtbarem ganzen Oberkörper auf dem Wasser zu ruhen, ohne dabei merklich sich zu bewegen. Wenn sie schwimmt, erscheint ihr Leib breit, platt gedrückt und gewöhnlich auch mit einer Schicht glänzend?weißer, sehr kleiner Perlen überdeckt, den Bläschen nämlich, welche aus der von den dichten Haaren zurückgehaltenen Luft sich bilden. Gerade diese gestaute Luftschicht über dem Körper scheint ihr Fell immer trocken zu halten.
   Wenn man an einem Teiche sich versteckt und hier Wasserspitzmäuse beobachtet, welche nicht beunruhigt worden sind, kann man ihr Treiben sehr gut wahrnehmen. Schon früh vor oder gleich nach Sonnenaufgang sieht man sie zum Vorschein kommen und im Teiche umherschwimmen. Oft halten sie inne und legen sich platt auf das Wasser oder schauen halben Leibes aus demselben hervor, so daß ihre weiße Kehle sichtbar wird. Beim Schwimmen rudern sie mit den Hinterfüßen so stark, daß man nach der Bewegung des Wassers ein weit größeres Tier vermuthen möchte; beim Ausruhen sehen sie sich überall um und fallen, wenn sie eine Gefahr ahnen, pfeilschnell in das Wasser, so geschwind, daß der Jäger, welcher sie erlegen will, sehr nahe sein muß, wenn sie der Hagel seines Gewehres erlegen soll: denn sie stürzen sich wie Steißfüße oft in dem Augenblick in die Tiefe, in welchem sie den Rauch aus dem Gewehr wahrnehmen, entkommen so auch wirklich dem ihnen zugedachten Tode. In früheren Zeiten, als man noch keine Schlagschlösser an den Gewehren hatte, hielt es sehr schwer, Wasserspitzmäuse zu erlegen: sie waren verschwunden, sowie das Feuer auf der Pfanne aufblitzte.
   Das volle Leben des schmucken Thieres zeigt sich am besten bei der Paarung und Begattung, welche im April oder Mai vor sich zu gehen pflegt. Unter beständigem Geschrei, welches fast wie »Sisisi« klingt und, wenn es von mehreren ausgestoßen wird, ein wahres Geschwin genannt werden kann, verfolgt das Männchen das Weibchen. Letzteres kommt aus seinem Verstecke herausgeschwommen, hebt den Kopf und die Brust über das Wasser empor und sieht sich nach allen Seiten um. Das Männchen, welches den Gegenstand seiner Sehnsucht unzweifelhaft schon gesucht hat, zeigt sich jetzt ebenfalls auf dem freien Wasserspiegel und schwimmt, so bald es die Verlorene wieder entdeckt hat, eilig auf sie zu. Dem Weibchen ist es aber noch nicht gelegen, die ihm zugedachten Liebkosungen anzunehmen. Es läßt zwar das Männchen ganz nahe an sich heran kommen; doch ehe es erreicht ist, taucht es plötzlich unter und entweicht weit, indem es auf dem Grunde des Teiches eine Strecke fortläuft und an einer ganz anderen Stelle wieder emporkommt. Das Männchen hat dies jedoch bemerkt und eilt von neuem dem Orte zu, an welchem seine Geliebte sich befindet. Schon glaubt es, am Ziele zu sein, da verschwindet das Weibchen wieder und kommt abermals anderswo zum Vorscheine. So geht das Spiel Viertelstunden lang fort, bis sich endlich das Weibchen dem Willen des Männchens ergibt. Dabei vergißt keines der beiden Gatten, ein etwa vorüberschwimmendes Kerbthier oder einen sonstigen Nahrungsgegenstand aufzunehmen, und nicht selten werden bei dieser Liebesneckerei auch alle Gänge am Ufer mit besucht. In einem der letzeren legt das Weibchen sein Wochenbett in einem kleinen Kessel an, welcher mit Moos und trockenem Grase wohl ausgekleidet wurde. Hier bringt es um die Mitte des Mai seine sechs bis zehn Junge zur Welt. Unmittelbar nach der Geburt sehen diese fast nackten Thierchen mit ihren stumpfen Nasen und halb durchsichtigen fleischfarbenen Leibern äußerst sonderbar aus und zeigen so wenig Aehnlichkeit als denkbar mit ihren Eltern; bald aber wachsen sie heran, erlangen allmählich das Aussehen der Erzeuger und machen sich nunmehr, zunächst wohl unter Führung der Mutter, auch bald zu selbstständiger Jagd auf, in der Nähe der Brutröhre sich schmale Pfädchen im Grase austretend und in allerliebster Weise mit einander spielend.
   Im Verhältnis zu ihrer Größe ist die Wasserspitzmaus ein wahrhaft furchtbares Raubthier. Sie verzehrt nicht bloß Kerfe aller Arten, zumal solche, welche im Wasser leben, Würmer, kleine Weichthiere, Krebse und dergleichen, sondern auch Lurche, Fische, Vögel und kleine Säugethiere. Die Maus, welcher sie in ihren Löchern begegnet, ist verloren; die vor kurzem ausgeflogene Bachstelze, welche sich unvorsichtig zu nahe an das Wasser wagt, wird plötzlich mit derselben Gier überfallen, mit welcher sich ein Luchs auf ein Reh stürzt, und in wenigen Minuten abgewürgt; der Frosch, welcher achtlos an einer Fluchtröhre vorüberhüpft, fühlt sich an den Hinterbeinen gepackt und trotz seines kläglichen Geschreies in die Tiefe gezogen, wo er bald erliegen muß; Schmerlen und Elleritzen werden in kleine Buchten getrieben und hier auf eigene Weise gefangen: die Wasserspitzmaus trübt das Wasser und bewacht den Eingang der Bucht; sobald nun einer der kleinen Fische an ihr vorüberschwimmen will, fährt sie auf denselben zu und fängt ihn gewöhnlich; sie fischt, wie das Sprichwort sagt, im Trüben. Aber nicht bloß an kleine Thiere wagt sich die Wasserspitzmaus, sondern auch an solche, deren Gewicht das ihre um mehr als das Sechszigfache übertrifft; ja man kann sagen, daß es kein Raubthier weiter gibt, welches eine verhältnismäßig so große Beute überfällt und umbringt.
   Die Feinde der Wasserspitzmaus sind fast dieselben, welche der gemeinen Spitzmaus nachstellen. Bei Tage geschieht jenen gewöhnlich nichts zu Leide; wenn sie aber des Nachts am Ufer herumlaufen, werden sie oft eine Beute der Eulen und Katzen. Nur die ersteren verzehren sie, die letzteren tödten sie bloß und werfen sie, ihres Moschusgeruches wegen, dann weg. Der Forscher, welcher Wasserspitzmäuse sammeln will, braucht bloß jeden Morgen die Ufer der Teiche abzusuchen; er findet in kurzer Zeit soviel Leichname dieser Art, als er braucht.


   Maulwurf

   Der Maulwurf oder Mull (Talpa europaea), das Urbild der Familie und einer auf Europa und Asien beschränkten Sippe, läßt sich, nach den vorstehend gegebenen Merkmalen der Familie, mit wenigen Worten beschreiben. Die Leibeslänge beträgt, einschließlich des 2,5 Centim. langen Schwanzes, 15, höchstens 17 Centim., die Höhe am Widerrist ungefähr 5 Centim. Das Gebiß besteht aus 44 Zähnen und zwar im Oberkiefer sechs, im Unterkiefer acht einfachen unter sich nicht wesentlich verschiedenen, einwurzeligen Vorderzähnen, großen, zweiwurzeligen Eckzähnen und oben sieben, unten sechs Bakkenzähnen jederseits, von denen die ersten drei und beziehentlich zwei klein und einwurzelig, daher als Lückzähne anzusprechen, die darauf folgenden vier aber mehrwurzelig, theilweise auch mehrspitzig, also Mahlzähne sind. Von der Leibeswalze stehen die sehr kurzen Beine ziemlich wagerecht ab; die sehr breite, handförmige Pfote kehrt die Fläche, welche bei anderen Thieren die innere ist, immer nach au Maulwurf ßen und rückwärts. Unter den kurzen, durch breite, stark abgeplattete und stumpfschneidige Krallen bewehrten Zehen ist die mittelste am längsten, die äußeren aber verkürzen sich allmählich und sind fast vollständig mit einander durch Spannhäute verbunden, ja beinahe verwachsen. An den kleinen und kurzen Hinterfüßen sind die Zehen und die Krallen spitzig und schwach. Die Augen haben etwa die Größe eines Mohnkornes, liegen in der Mitte zwischen der Rüsselspitze und den Ohren und sind vollkommen von den Kopfhaaren überdeckt, besitzen aber Lider und können willkürlich hervorgedrückt und zurückgezogen, also benutzt werden. Die kleinen Ohren haben keine äußeren Ohrmuscheln, sondern werden außen bloß von einem kurzen Hautrande umgeben, welcher ebenfalls unter den Haaren verborgen liegt und zur Oeffnung und Schließung des Gehörganges dient. Die gleichmäßig schwarze Behaarung ist überall sehr dicht, kurz und weich, sammetartig; auch die glänzenden Schnurren und Augenborsten zeichnen sich durch Kürze und Feinheit aus. Mit Ausnahme der Pfoten, der Sohlen, der Rüsselspitze und des Schwanzendes bedeckt der Pelz den ganzen Körper. Sein bald mehr ins Bräunliche, bald mehr ins Bläuliche oder selbst ins Weißliche schillernder Glanz ist ziemlich lebhaft. Die nackten Theile sind fleischfarbig, die Augen schwarz wie kleine einfarbige Glasperlen, denn man kann an ihnen den Stern von der Regenbogenhaut nicht unterscheiden. Das Weibchen ist schlanker gebaut als das Männchen, und junge Thiere sind etwas mehr graulich gefärbt. Dies sind die einzigen Unterschiede, welche zwischen den Geschlechtern und Altern bestehen. Es gibt aber auch Abarten, bei denen die aschgraue Färbung des Jugendkleides eine bleibende ist, oder welche am Bauche auf der aschgrauen Grundfarbe breite, graugelbe Längsstreifen zeigen, auch solche, welche mit weißen Flecken auf schwarzem Grunde gezeichnet sind. Aeußerst selten findet man gelbe und weiße Maulwürfe.
   Von seinem Aufenthalte gibt er selbst sehr bald die sicherste Kunde, da er beständig neue Hügel aufwerfen muß, um leben zu können. Diese Hügel bezeichnen immer die Richtung und Ausdehnung seines jedesmaligen Jagdgrundes. Bei seiner außerordentlichen Gefräßigkeit muß er diesen fortwährend vergrößern und daher auch beständig an dem Ausbaue seines unterirdischen Gebietes arbeiten. Ohne Unterlaß gräbt er wagerechte Gänge in geringer Tiefe unter der Oberfläche und wirft, um den losgescharrten Boden zu entfernen, die bekannten Hügel auf. »Unter allen einheimischen, unterirdischen Thieren«, schildert Blasius, »bereitet sich der gemeine Maulwurf am mühsamsten seine kunstreichen Wohnungen und Gänge. Er hat nicht allein für die Befriedigung seiner lebhaften Freßlust, sondern auch für die Einrichtung seiner Wohnung und Gänge, für Sicherheit gegen Gefahr mancherlei Art zu sorgen. Am kunstreichsten und sorgsamsten ist die eigentliche Wohnung, sein Lager, eingerichtet. Gewöhnlich befindet es sich an einer Stelle, welche von außen schwer zugänglich ist, unter Baumwurzeln, unter Mauern und dergleichen und meist weit entfernt von dem täglichen Jagdgebiete. Mit letzterem, in welchem die täglich sich vermehrenden Nahrungsröhren mannigfaltig sich verzweigen und kreuzen, ist die Wohnung durch eine lange, meist ziemlich gerade Laufröhre verbunden. Außer diesen Röhren werden noch eigenthümliche Gänge in der Fortpflanzungszeit angelegt. Die eigentliche Behausung zeichnet sich an der Oberfläche meist durch einen gewölbten Erdhaufen von auffallender Größe aus. Sie besteht im Innern aus einer rundlichen, reichlich acht Centim. weiten Kammer, welche zum Lagerplatze dient, und aus zwei kreisförmigen Gängen, von denen der größere, in gleicher Höhe mit der Kammer, dieselbe ringsum in einer Entfernung von ungefähr 16 bis 25 Centim. einschließt, und der kleinere, etwas oberhalb der Kammer, mit dem größeren ziemlich gleichartig verläuft. Aus der Kammer gehen gewöhnlich drei Röhren schräg nach oben in die kleinere Kreisröhre und aus dieser, ohne Ausnahme abwechselnd mit den vorhergehenden Verbindungsröhren, fünf bis sechs Röhren schräg abwärts in die größere Kreisröhre; von letzterer aus strecken sich strahlenförmige und ziemlich wagerechte nach außen, und ebenfalls wieder abwechselnd mit den zuletzt genannten Verbindungsröhren etwa acht bis zehn einfache oder verzweigte Gänge nach allen Richtungen hin, die aber in einiger Entfernung meist bogenförmig nach der gemeinsamen Laufröhre umbiegen. Auch aus der Kammer abwärts führt eine Sicherheitsröhre in einem wieder ansteigenden Bogen in diese Laufröhre. Die Wände der Kammer und der zu der Wohnung gehörigen Röhren sind sehr dicht, fest zusammengestampft und glatt gedrückt. Die Kammer selbst ist zum Lager ausgepolstert mit weichen Blättern von Gräsern, meist jungen Getreidepflänzchen, Laub, Moos, Stroh, Mist oder zarten Wurzeln, welche der Maulwurf größtentheils von der Oberfläche der Erde herbeiführt. Kommt ihm Gefahr von oben, so schiebt er das weiche Lagerpolster zur Seite und fällt nach unten, sieht er sich von unten oder von der Seite bedroht, so bleiben ihm die Verbindungsröhren zu der kleineren Kreisröhre theilweise offen. Die Wohnung bietet ihm zu Schlaf und Ruhe unter allen Umständen Sicherheit dar und ist deshalb auch sein gewöhnlicher Aufenthalt, wenn er nicht auf Nahrung ausgeht.«
   Das Innere der Baue steht nie unmittelbar mit der äußeren Luft in Verbindung; doch dringt diese zwischen den Schollen der aufgeworfenen Haufen in hinreichender Menge ein, um dem Thiere den nöthigen Sauerstoff zuzuführen. Außer der Luft zur Athmung bedarf der Maulwurf aber auch Wasser zum Trinken, und deshalb errichtet er sich stets besondere Gänge, welche zu nahen Pfützen oder Bächen führen, oder gräbt, wo solche ihm mangeln, besondere Schächte, worin sich dann Regenwasser sammelt. Ein alter Maulwurfsfänger hat häufig an der untersten Stelle tiefer Röhren ein senkrechtes Loch gefunden, welches den Brunnen bildet, aus dem der Maulwurf trinkt. »Manche dieser Löcher«, beschreibt er, »sind von beträchtlicher Größe. Sie waren oft anscheinlich trocken; allein wenn ich ein wenig Erde hineinwarf, überzeugte ich mich, daß sie Wasser enthielten. In diesen Röhren kann der Maulwurf sicher hinab? und heraufrutschen. Bei nassem Wetter sind alle seine Brunnen bis an den Rand gefüllt und ebenso in manchen Arten von Boden auch bei trockner Witterung. Wie sehr der Maulwurf des Wassers benöthigt ist, ergibt sich übrigens aus dem Umstande, daß man bei anhaltender Trockenheit in einer Röhre, welche nach dem Loche oder Wasserbehälter führt, ihrer sehr viele fangen kann.«
   Das Graben selbst wird dem Maulwurf sehr leicht. Mit Hülfe seiner starken Nackenmuskeln und der gewaltigen Schaufelhände, mit denen er sich an einem bestimmten Orte festhält, bohrt er die Schnauze in den lockeren Boden ein, zerscharrt um sich herum die Erdschollen mit den Vorderpfoten und wirft sie mit außerordentlicher Schnelligkeit hinter sich. Durch die Schließfähigkeit seiner Ohren ist er vor dem Eindringen von Sand und Erde in dieselben vollkommen geschützt. Die aufgescharrte Erde läßt er in seinem eben gemachten Gange so lange hinter sich liegen, bis die Menge ihm unbequem wird. Dann versucht er an die Oberfläche zu kommen und wirft die Erde nach und nach mit der Schnauze heraus. Dabei ist er fast immer mit einer 12 bis 15 Centim. hohen Schicht lockerer Erde überdeckt. In leichtem Boden gräbt er mit einer wirklich verwunderungswürdigen Schnelligkeit. Oten hat einen Maulwurf ein Vierteljahr lang in einer Kiste mit Sand gehabt und beobachtet, daß sich das Thier fast ebenso schnell, wie ein Fisch durch das Wasser gleitet, durch den Sand wühlt, die Schnauze voran, dann die Tatzen, den Sand zur Seite werfend, die Hinterfüße nachschiebend. Noch schneller bewegt sich der Maulwurf in den Laufgängen, wie man durch sehr hübsche Beobachtungen nachgewiesen hat.
   Die Hauptnahrung des Maulwurfs besteht in Regenwürmern und Kerbthierlarven, welche unter der Erde leben. Namentlich der Regenwürmer halber legt er seine großen und ausgedehnten Baue an, wie man sich sehr leicht überzeugen kann, wenn man einen Pfahl in lockeres Erdreich stößt und an ihm rüttelt. Die Würmer wissen, daß sie an dem Maulwurfe einen Feind haben. Sobald sie die Bewegung verspüren, kommen sie von allen Seiten eilfertig aus der Erde hervor und versuchen, auf der Oberfläche sich zu retten, ganz offenbar, weil sie glau ben, daß die Erschütterung von einem wühlenden Maulwurfe herrührte. Außer diesen Würmern und Larven frißt dieser noch Käfer, namentlich Mai? und Mistkäfer, Maulwurfsgrillen und alle übrigen Kerbthiere, welche er erlangen kann, wie ihm auch Schnecken und Asseln besonders zu behagen scheinen. Sein ungewöhnlich feiner Geruch hilft ihm die Thiere aufspüren, und er folgt ihnen in größeren oder kleineren Tiefen, je nachdem sie selbst höher oder niedriger gehen. Aber er betreibt nicht bloß in seinen Bauen die Jagd, sondern holt sich auch ab und zu von der Oberfläche, ja wie man sagt, sogar aus dem Wasser eine Mahlzeit. Die Spitzmaus oder die Wühlmaus, der Frosch, die Eidechse oder Blindschleiche und Natter, welche sich in seinen Bau verirren, sind verloren. »Ich habe«, sagt Blasius, »mehrere Male im Freien beobachtet, daß ein Frosch von einem Maulwurfe überlistet und an den Hinterbeinen unter die Erde gezogen wurde; bei welcher unfreiwilligen Versenkung das unglückliche Opfer ein lautes, klägliches Geschrei ausstieß.« Lenz erfuhr, daß er ebenso auch mit den Schlangen verfährt.
   Schon aus dem bis jetzt Mitgetheilten ist hervorgegangen, daß der Maulwurf im Verhältnis zu seiner Größe ein wahrhaft furchtbares Raubthier ist. Dem entsprechen auch seine geistigen Eigenschaften. Er ist wild, außerordentlich wüthend, blutdürstig, grausam und rachsüchtig, und lebt eigentlich mit keinem einzigen Geschöpfe im Frieden, außer mit seinem Weibchen, mit diesem aber auch bloß während der Paarungszeit, und so lange die Jungen klein sind. Während des übrigen Jahres duldet er kein anderes lebendes Wesen in seiner Nähe, am allerwenigsten einen Mitbewohner in seinem Baue, ganz gleichgültig, welcher Art dieser sein möge. Falls überlegene Feinde, wie Wiesel oder Kreuzotter, seine Gänge befahren, und zwar in der Absicht, auf ihn Jagd zu machen, muß er freilich unterliegen, wenn er auf diese ungebetenen Gäste trifft; mit ihm gleich kräftigen oder schwächeren Thieren aber kämpft er auf Leben und Tod. Nicht einmal mit anderen seiner Art, seien sie nun von demselben Geschlecht wie er oder nicht, lebt er in Freundschaft. Zwei Maulwürfe, die sich außer der Paarungszeit treffen, beginnen augenblicklich einen Zweikampf miteinander, welcher in den meisten Fällen den Tod des einen, in sehr vielen anderen Fällen aber auch den Tod beider herbeiführt. Am eifersüchtigsten und wüthendsten kämpfen erklärlicherweise zwei Maulwürfe desselben Geschlechts miteinander, und der Ausgang solcher Gefechte ist dann auch sehr zweifelhaft. Der eine unterliegt, verendet und wird von dem anderen sofort aufgefressen. So ist es sehr begreiflich, daß jeder Maulwurf für sich allein einen Bau bewohnt und sich hier auf eigne Faust beschäftigt und vergnügt, entweder mit Graben und Fressen oder mit Schlafen und Ausruhen. Fast alle Landleute, welche ihre Betrachtungen über das Thier angestellt haben, sind darin einig, daß der Maulwurf drei Stunden »wie ein Pferd« arbeite und dann drei Stunden schlafe, hierauf wieder dieselbe Zeit zur Jagd verwende und die nächstfolgenden drei Stunden wieder dem Schlafe widmen.
   Ein anderes Leben beginnt um die Paarungszeit. Jetzt verlassen die liebesbedürftigen Männchen und Weibchen zur Nachtzeit häufig ihren Bau und streifen über der Erde umher, um andere Maulwurfspaläste aufzusuchen und hier Besuche abzustatten. Es ist erwiesen, daß es weit mehr Männchen als Weibchen gibt, und daher treffen denn auch gewöhnlich ein Paar verliebte Männchen eher zusammen als ein Maulwurf mit einer Maulwürfin. So oft dies geschieht, entspinnt sich ein wüthender Kampf und zwar ebensowohl über als unter der Erde oder hier und dort nacheinander, bis schließlich der eine sich für besiegt ansieht und zu entfliehen versucht. Endlich, vielleicht nach mancherlei Kampf und Streit, findet der männliche Maulwurf ein Weibchen auf und versucht nun, es mit Gewalt oder Güte an sich zu fesseln. Er bezieht also mit seiner Schönen entweder seinen oder ihren Bau und legt hier Röhren an, welche den gewöhnlichen Jagdröhren ähneln, aber zu einem ganz anderen Zwecke bestimmt sind, nämlich um das Weibchen darin einzusperren, wenn sich ein anderer Bewerber für dasselbe findet. Sobald er seine liebe Hälfte derartig in Sicherheit gebracht hat, kehrt er sofort zu dem etwaigen Gegner zurück. Beide erweitern die Röhren, in denen sie sich getroffen haben, zu einem Kampfplatze, und nun wird auf Tod und Leben gefochten. Das eingesperrte Weibchen hat inzwischen sich zu befreien gesucht und, neue Röhren grabend, weiter und weiter entfernt; der Sieger, sei es jetzt der erste oder zweite Bewerber, eilt ihm jedoch nach und bringt es wieder zurück, und nach mancherlei Kämpfen gewöhnen sich die beiden mürrischen Einsiedler auch wirklich aneinander. Jetzt graben sie gemeinschaftlich Sicherheits? und Nahrungsröhren aus, und das Weibchen legt ein Nest für ihre Jungen an, in der Regel da, wo drei oder mehr Gänge in einem Punkte zusammenstoßen, damit bei Gefahr möglichst viele Auswege zur Flucht vorhanden sind. Das Nest ist eine einfache, dicht mit weichen, meist zerbissenen Pflanzentheilen, hauptsächlich mit Laub, Gras, Moos, Stroh, Mist und anderen derartigen Stoffen ausgefütterte Kammer und liegt gewöhnlich in ziemlich weiter Entfernung von dem früher geschilderten Kessel, mit dem es durch die Laufröhre verbunden ist. Nach etwa vierwöchentlicher Tragzeit wirft das Weibchen in dieses Nest drei bis fünf blinde Junge, welche zu den unbehülflichsten von allen Säugern gerechnet werden müssen. Sie sind anfangs nackt und blind und etwa so groß wie eine derbe Bohne. Aber schon in der frühesten Jugend zeigen sie dieselbe Unersättlichkeit wie ihre Eltern und wachsen deshalb sehr schnell heran. Die Mutter gibt die größte Sorgfalt für die Erhaltung ihrer Kinderschar kund und scheut keine Gefahr, wenn es deren Rettung gilt. Wird sie zufällig mit den Jungen aus dem Boden gepflügt oder gegraben, so schleppt sie dieselben im Maule in ein nahes Loch oder in einen Moos?, Mist? oder Laubhaufen u. a., und verbirgt sie hier vorläufig so eilig als möglich. Aber auch das Männchen nimmt sich, wie behauptet wird, ihrer an, trägt ihnen Regenwürmer und andere Kerbthiere zu, theilt bei Ueberflutungen redlich die Gefahr und sucht die Jungen im Maule an einen sicheren Ort zu schaffen. Nach etwa fünf Wochen haben diese ungefähr die halbe Größe der Alten erreicht, liegen jedoch immer noch im Neste und warten, bis eines von den Eltern ihnen Atzung zuträgt, welche sie dann mit unglaublicher Gier in Empfang nehmen und verspeisen. Wird ihre Mutter ihnen weggenommen, so wagen sie sich wohl auch, gepeinigt vom wüthendsten Hunger, in die Laufröhre, wahrscheinlich um nach der Pflegerin zu suchen; werden sie nicht gestört, so gehen sie endlich aus dem Neste heraus und selbst auf die Oberfläche, wo sie sich necken und miteinander balgen. Ihre ersten Versuche im Wühlen sind noch sehr unvollkommen: sie streichen ohne alle Ordnung flach unter der Oberfläche des Bodens hin, oft so dicht, daß sie kaum mit Erde bedeckt sind, und versuchen es nur selten, Haufen aufzuwerfen. Aber die Wühlerei lernt sich mit den Jahren, und im nächsten Frühjahre sind sie schon vollkommen geschult in ihrer Kunst. Ungeachtet man junge Maulwürfe vom April an bis zum August und noch länger findet, darf man doch nicht annehmen, daß das Weibchen zweimal im Jahre wirft, hat vielmehr Ursache zu vermuthen, daß die Paarungs? und demzufolge auch die Wurfzeit in verschiedene Monate fällt.
   Der Maulwurf hält keinen Winterschlaf wie manche andere Kerbthierjäger, sondern ist Sommer und Winter in ewiger Bewegung. Er folgt den Regenwürmern und Kerbthieren und zieht sich mit ihnen in die Tiefe der Erde oder zur Oberfläche des Bodens empor, gerade so, wie sie steigen oder fallen. Nicht selten sieht man Maulwürfe im frischen Schnee oder in tief gefrorenem Boden ihre Haufen aufwerfen, und unter dem weichen Schnee unmittelbar über dem vereisten Boden machen sie oft große Wanderungen. Glaubwürdige Fänger haben berichtet, daß sie sich sogar Wintervorräthe anlegen sollen: eine große Menge Würmer nämlich, welche theilweise, jedoch nicht lebensgefährlich verstümmelt würden, und ebenso, daß in strengen Wintern diese Vorrathskammern reicher gespickt wären als in milden u. a. Diese Thatsache bedarf der Bestätigung, wie es überhaupt über den Maulwurf noch viel zu beobachten gibt.
   Es läßt sich nicht leugnen, daß der Maulwurf durch Wegfangen der Regenwürmer, Maulwurfsgrillen, Engerlinge und anderer verderblicher Kerbthiere großen Nutzen stiftet, und er wird deshalb an allen Orten, wo man seine aufgeworfenen Haufen leicht wegschaffen kann, immer eines der wohlthätigsten Säugethiere bleiben. Allein ebenso gewiß ist, daß er in Gärten nicht geduldet werden darf, weil er hier durch das Durchwühlen der Erde, aus welcher theure Pflanzen ihre Nahrung ziehen, oder durch das Herauswerfen der letzteren den geordneten Pflanzenstaat wesentlich gefährden kann. Auf Wiesen, in Laubwäldern, in Feldfruchtstücken ist er ein Gast, welcher unbedingt geschützt werden sollte, an anderen Orten verursacht er unsäglichen Aerger und Schaden. Man kennt viele Mittel, um ihn zu vertreiben, thut aber jedenfalls am besten, wenn man letzteres einem alten, erfahrenen Maulwurfsfänger überträgt, da dieser bekanntlich auf jedem Dorfe zu finden ist, und die Kunst, ihn auszurotten, weit besser versteht, als Beschreibungen sie lehren können.
   Der Maulwurf hat ebenfalls zu fabelhaften Geschichten Anlaß gegeben. Die Alten hielten ihn für stumm und blind und schrieben seinem Fette, seinem Blute, seinen Eingeweiden, ja selbst dem Felle wunderbare Heilkräfte zu. Heutigen Tages noch besteht an vielen Orten der Aberglaube, daß man von dem Wechselfieber geheilt werde, wenn man einen Maulwurf auf der flachen Hand sterben lasse, und manche alte Weiber sind fest überzeugt, daß sie Krankheiten durch bloßes Auflegen der Hand heilen könnten, wenn sie diese vorher durch einen auf ihr sterbenden Maulwurf geheiligt hätten.
   Ich finde es sehr erklärlich, daß ein Thier, welches in seinem Leben so wenig bekannt ist, dem gewöhnlichen Menschen als wunderbar oder selbst heilig erscheinen muß: denn eben da, wo das Verständnis aufhört, fängt das Wunder an.



   Herrentiere (Halbaffen)


   Komba

   Zu den uns am besten bekannten Halbaffen überhaupt gehören die Ohrenmakis oder Galagos, über deren Leben und Treiben schon ältere Reisende uns Kunde gegeben haben. Während bei den Zwergmakis der Sinn des Gesichtes obenan steht, überwiegt bei ihnen das Gehör, entsprechend den sehr großen häutigen Ohren, welche an die einzelner Fledermäuse erinnern. Der Leib der Galagos darf eher schmächtig als gedrungen genannt werden, sieht aber infolge der reichen Behaarung stärker aus als er ist; der verhältnismäßig große Kopf zeichnet sich außer den ungewöhnlich entwickelten, nackten Ohren, durch die einander genäherten großen Augen aus; Vorder– und Hinterglieder sind mittellang, Hände und Füße noch wohlgebildet, Zeigefinger und zweite Zehe, bei einzelnen auch Mittelfinger und mittlere Zehe mit krallenartigen, alle übrigen mit platten Nägeln versehen.
   Der auf Sansibar lebende Ohrenmaki, welcher sich von dem des nahe gelegenen Festlandes zu unterscheiden scheint, der Komba der Suaheli (Otolicnus [Otolemur] agisymbanus) [Heute: Galago crassicaudatus], übertrifft den Galago an Größe: seine Leibeslänge beträgt 20 bis 30, die Schwanzlänge 22 bis 25 Centim. Die vorherrschende Färbung des Felles ist gelblich– oder bräunlichgrau, da die Haare an der Wurzel aschgrau, an der Spitze braun aussehen. Auf der Schnauzen– und der Nasengegend sowie auf den Fingern und Zehen dunkelt die Farbe, auf Kinn und Wangen lichtet sie sich zu Grauweiß; auf Brust, Bauch und Innenseite der Glieder geht sie in ein helleres Grau über. Der an der Wurzel braunrothe Schwanz ist in der hinteren Hälfte schwarzbraun. Die großen, beinahe kahlen Ohren sehen aschgrau aus. Auf Sansibar hat man, laut Kersten, ein sehr einfaches Mittel, sich des Komba zu bemächtigen; man fängt ihn, ohne eigentlich Jagd auf ihn zu machen: seine Leckerhaftigkeit wird ihm zum Verderben. Ungeachtet der Gier nach dem warmen Blute höherer Wirbelthiere nämlich, ist der Komba süßen Genüssen nicht abhold, ja im Gegentheile denselben in einer Weise zugethan, für welche es nur noch in der Lebensweise der Affen und einzelner Nagethiere anderweitige Belege gibt. »Wenn der Palmenwein abgeschöpft wird, stellt gar nicht selten unser Ohrenmaki als ungebetener Gast zu dem ihm in hohem Grade behagenden Schmause sich ein, schlürft von dem süßen Labetrunke und erprobt auch an sich die Wahrheit, daß zu viel des Geistes den Geist umnebelt.
   Mit nicht geringer Verwunderung und entschiedenem Misbehagen sieht sich das Kind des Waldes beim Erwachen im Käfige oder doch gefesselt, mindestens eingeschlossen im beengenden Raume. Für die Freundlichkeit, mit welcher der Pfleger ihm entgegenkommt, zeigt es nicht das geringste Verständnis, vielmehr nur Widerwillen, Unlust und Bosheit. Sein schwaches Gehirn vermag sich in die veränderten Umstände nicht so bald zu fügen; es vergilt die ihm gewährte Liebe mit Haß, thut, als ob es willentlich geschähe, regelmäßig das Gegentheil von dem, was sein Gebieter beabsichtigte, verschmäht Speise und Trank und regt sich nur, wenn es gilt, die Zähne zu zeigen. Allgemach befreundet sich der Störrische mit seinem Wohltäter. Als entschiedener Freund berauschender Getränke meidet er das Wasser, auch wenn man ihn in der Absicht, seinen Trotz zu brechen, längere Zeit dürsten ließe. Das ihm endlich vorgesetzt Schälchen Sorbet ist aber doch gar zu verlockend, als daß er es unberührt stehen lassen sollte. Bis auf die Neige schlürft er es, sein Behagen durch Laute bekundend, welche an das Schnurren der Katze erinnern, und dankbar gleichsam leckt er auch noch den mit der süßen Flüssigkeit befeuchteten Finger ab. Nachdem einmal das Eis gebrochen, hält es nicht schwer, ihn weiter zu zähmen.
   Im Verlaufe der Zeit vergilt er die ihm gewidmete Sorgfalt durch gute Dienste. In dem Raume, welcher einen Komba beherbergt, endet alle Gemüthlichkeit des Lebens einer Maus, in dem Zimmer oder auf dem Schiffe, welches er bewohnt, stellt er den so lästigen großen Schaben mit unermüdlichem Eifer nach.
   Ein wirklich gezähmter Komba ist weit liebenswürdiger und anmuthiger als ein Affe, Störung seines Tagesschlafes berührt natürlich auch den frömmsten höchst unangenehm; abends hingegen, nachdem er sich vollständig ermuntert, beweist er seinem Gebieter eine große Anhänglichkeit und warme Zuneigung, obschon er hierin hinter seinen Ordnungsverwandten, den Makis, noch zurücksteht. Aber er gestattet, daß man ihn angreift, gibt sich mit Vergnügen den ihm erwiesenen Schmeicheleien hin und denkt gar nicht mehr daran, von seinem scharfen Gebiß Gebrauch zu machen. Mit Seinesgleichen verträgt er sich von Anfang an vortrefflich, auch an andere Hausthiere gewöhnt er sich. Wenn er erst gelernt hat, verschiedenerlei Nahrung zu sich zu nehmen, hält es nicht schwer, ihn nach Europa zu bringen.«


   Koboldmaki

   Das Gespenstthier oder der Koboldmaki (Tarsius spectrum) ist, falls man sich so ausdrücken darf, eine Wiedergabe des Frosches in der Klasse der Säugethiere. Unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Gesichte eines Laubfrosches zeigt das seinige, und ebenso erinnern die Hände und Füße durch gewisse, später zu beschreibende Eigenthümlichkeiten an die des gedachten Lurches, mit dessen Bewegungen die seinigen ebenfalls bis zu einem gewissen Grade übereinstimmen. Der große Kopf würde kugelig sein, wenn nicht die Schnauze als ein kurzer, ziemlich breiter Kegel aus der Gesichtsfläche hervorträte. Hierdurch gerade und durch die im Verhältnis zur Schnauzenlänge ungemein weite, bis unter die Augen sich ziehende Mundspalte und die dicken Lippen erhält das Gesicht den Ausdruck des Froschartigen. Dieser Ausdruck wird durch die ungemein großen, eulenartigen Augen, verhältnismäßig wohl die größten, welche ein Säugethier überhaupt besitzt, noch wesentlich vermehrt. Sie nehmen buchstäblich den größten Theil des ganzen Gesichtes ein, stehen ziemlich nahe bei einander und haben einen Durchmesser von mindestens 1,5 Centim. Minder eigenthümlich, weil auch bei anderen Säugethieren vorkommend, erscheinen die Ohren, welche großen, weiten, auf einem kurzen röhrenförmigen Stiele sitzenden Löffeln gleichen, am Vorderrande eine außen scharfkantige, nach innen eine durch den Anfang der Ohrleiste abgesetzte schmale Fläche, am Hinterrande einen durch die Gegenleiste abgegrenzten, vertieften Saum und im Innern der Muschel vier über einander stehende Querbogen zeigen. Der Hals hat nur geringe Länge und läßt sich kaum als selbständigen Theil unterscheiden; der Rumpf ist vorn am breitesten, weil die Schultern stark hervortreten; der Rücken erscheint eingesunken, die Brust schmäler als der Rücken. Die Vorderglieder fallen wegen des sehr kurzen Oberarmes ebenso sehr durch ihre Kürze wie die hinteren durch ihre Länge auf, da letztere sogar den Rumpf übertreffen. Im Verhältnis zur Länge der Arme müssen die Hände als sehr lang bezeichnet werden. Das Verhältnis der einzelnen Finger ist ein anderes als bei den meisten Lemuren, da der Mittelfinger der längste ist und äußerlich fast dreimal länger als der Daumen erscheint, welcher seinerseits noch ziemlich bedeutend hinter dem Kleinfinger zurücksteht. Wie bei einigen Galagos sind in der Handfläche und an den Fingerenden große polsterartige Ballen ausgebildet. Einer von ihnen liegt unter dem Handtheile des Daumens, zwei unter der Wurzel des Mittel– und Goldfingers und je Koboldmaki einer an den Fingerspitzen.
   Die Oberschenkel haben beträchtliche Stärke, und die Unterschenkel erscheinen ihnen gegenüber schlank, die bis auf die eigentliche, d. h. erst an der Theilungsstelle der Zehen beginnende Fußsohle dünn behaarten Fußwurzeln sogar klapperdürr. Der Fuß entspricht bis auf die Bildung der Nägel der zweiten und dritten Zehe im allgemeinen der Hand, nur daß die Daumenzehe vollkommener als der Daumen den anderen Fingern den übrigen Zehen entgegengestellt werden kann und die Ballen an den Zehenspitzen beträchtlich größer sind; auch ist nicht die dritte, sondern die vierte Zehe die längste. Alle Finger tragen dreiseitige, flache, nur längs der Mitte etwas gewölbte, an den Rändern gebogene, an der Spitze ausgezogene Nägel, die große und die beiden äußeren Zehen durchaus ähnlich gebildete, die beiden inneren Zehen dagegen anstatt des Plattnagels aufrecht stehende, wenig gekrümmte, spitze und scharfe Krallen. Der Schwanz endlich ist drehrund und gleichmäßig sanft verjüngt. Das Gebiß unterscheidet sich von dem aller übrigen Halbaffen da– durch, daß es nicht die schmalen, wagerecht vorgezogenen unteren Schneidezähne, sondern aufrecht stehende, fast ebenso sehr an die der Kerbthierräuber wie an die anderer Halbaffen und Affen erinnernden Schneidezähne, verhältnismäßig breite, scharfe schneidend zackige Lücke und Mahlzähne besitzt.
   Ueber die Lebensweise des Gespenst– oder Koboldmaki‘s liegen Berichte von Raffles, Cumming und Salomon Müller vor, denen ich noch einige wichtige Angaben von Rosenberg und Jagor hinzufügen kann. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich, laut Wallace, über alle malaiischen Inseln westlich bis Malakka; doch tritt das Thierchen nirgends häufig auf. Sein Namenreichthum und noch mehr die über ihn umlaufenden Fabeln beweisen, daß er allen Eingeborenen als ein in hohem Grade auffallendes Geschöpf erscheint. Auf Sumatra heißt er nach Raffles »Singapua«, auf der zu den Philippinen gehörigen Insel Bohal, laut Cumming, »Malmay«, bei den Dojakers, nach Angabe von Salomon Müller, »Ingger«, auf Celebes, laut Rosenberg, »Tarrdabana«, auf Samar, laut Jagor »Majo«. Zum Aufenthaltsorte wählt sich der Gespenstmaki, nach Angabe von Rosenberg, ebene Wälder, woselbst er sich am Tage an dunkeln, feuchten Stellen im dichten Laube oder in Baumlöchern verbirgt. Nach Cumming lebt er im Gewurzel der Bäume, besonders der großen Bambusstämme, ausschließlich in den dichtesten Waldungen, überall einzeln und selten. Männchen und Weibchen werden gewöhnlich zusammen gesehen, weshalb die Eingeborenen, nachdem sie eines der Thierchen erlangt haben, Sorge tragen, auch das andere zu bekommen. In der Art und Weise, wie er sitzt und springt, erinnert er, laut Salomon Müller und Rosenberg, unwillkürlich an einen Laubfrosch, nimmt oft eine ähnliche Stellung an, springt wie ein Frosch und macht Sätze von fast einem Meter Weite. Ueber Tags ist er so wenig scheu, daß er zuweilen von einem hohen Baume oder Strauche herab den Vorübergehenden auf den Leib springt und sich mit der Hand greifen läßt. Seine unverhältnismäßig großen, kugelig vorspringenden Glotzaugen, deren Stern sich je nach den einfallenden Lichtstrahlen schnell vergrößern und verkleinern kann, haben ihn bei den Eingeborenen zu einem gespensterhaften Wesen gestempelt. Man betrachtet ihn als ein verzaubertes Thier und nach den Grundsätzen der Seelenwanderung als den Geist eines Missethäters, welcher Zauberkräfte besitzt. »Singapua« bedeutet, nach Raffles, »kleiner Löwe« und hängt ebenfalls mit einer Fabel der Eingeborenen zusammen, welche berichtet, daß das Thier ursprünglich so groß wie ein Löwe war, aber in neuerer Zeit zu der Größe herabsank, welche es jetzt besitzt. Die Eingeborenen Sumatra‘s haben eine solche Furcht vor ihm, daß sie ihre Reisfelder augenblicklich verlassen, wenn sie einen Gespenstmaki auf einem Baume neben demselben erblicken, weil ihrer Meinung nach sonst ohne Zweifel ein Unglück über sie oder ihre Familie kommen müsse. Diese Fabelei erstreckt sich auch auf die Angaben über die Nahrung unseres Thierchens. Schon Peter Camel bemerkt Anfang des vorigen Jahrhunderts, daß das Gespenstthierchen nach Ansicht der Eingeborenen von Holzkohle lebe, daß dies aber falsch sei, da es sich von Bananen und anderen Früchten ernähre. Jagor, welcher zwei Koboldmakis lebend erhielt, wurde in gleicher Weise berichtet und erfuhr erst durch eigene Versuche, daß das Thierchen selbst Pflanzenkost verschmäht und hauptsächlich Kerbthiere, letztere jedoch mit großer Auswahl, frißt. Cumming behauptet, daß die Nahrung unseres Halbaffen aus Eidechsen bestehe, und daß er diese Kriechthiere aller übrigen Kost vorziehe, bei großem Hunger jedoch auch kleine Krebse und Küchenschaben zu sich nähme; Salomon Müller gibt neben den Kerbthieren noch verschiedene Früchte als Nahrung an.
   Cumming ist der erste, welcher über einen gefangenen Gespenstmaki Ausführlicheres mittheilt. »Er ist sehr reinlich in seinen Gewohnheiten«, sagt er; »niemals berührte er ein Nahrungsmittel, welches schon theilweise verzehrt war, und niemals trank er zum zweiten Male aus demselben Wasser. Im Verhältnis zu seiner Größe frißt er sehr viel. Beim Trinken schlappt er das Wasser wie eine Katze, aber sehr langsam. Die für ein so kleines Thierchen auffallend große Losung gleicht der eines Hundes. Ueber Tags schläft er sehr viel und bekundet den größten Abscheu gegen das Licht, weshalb er sich stets nach den dunkelsten Stellen begibt. Nähert man sich seinem Käfige, so heftet er seine großen, offenen Augen lange Zeit auf den Gegenstand, ohne eine Muskel zu bewegen; kommt man näher, oder wirft man etwas nahe an ihn heran, so fletscht er die Zähne gleich einem Affen, indem er die Gesichtsmuskeln auseinanderzieht. Selten macht er Geräusch, und wenn er einen Ton hören läßt, so ist es ein einfacher, kreischender Laut. Bei geeigneter Pflege wird er sehr bald zahm und ungemein zutraulich, beleckt Hände und Gesicht, riecht am Leibe seines Freundes herum und bemüht sich, geliebkost zu werden.«
   Nicht minder günstig spricht sich Jagor aus. »In Loquilocun und Boranjen hatte ich Gelegenheit, zwei Gespenstmakis zu erwerben. Diese äußerst zierlichen, seltsamen Thierchen sollen, wie man in Luzon versicherte, nur in Samar vorkommen. Mein erster Majo mußte anfänglich etwas hungern, weil er Pflanzenkost verschmähte, verzehrte dann aber lebende Heuschrecken mit großem Behagen. Es sah äusserst drollig aus, wie das Thier, wenn es bei Tage gefüttert wurde, aufrecht stehend, auf seine beiden dünnen Beine und den kahlen Schwanz gestützt, den großen kugelrunden, mit zwei gewaltigen gelben Augen versehenen Kopf nach allen Richtungen hin bewegte, wie eine Blendlaterne auf einem Dreibeingestell mit Kugelgelenk sich dreht. Nur allmählich gelang es ihm, die Augen auf den dargebotenen Gegenstand richtig einzustellen; hatte es ihn aber endlich wahrgenommen, so reckte es plötzlich beide Aermchen seitwärts und etwas nach hinten aus, wie ein Kind, welches sich freut, griff schnell mit Händen und Maul zu und verzehrte dann bedächtig seine Beute.
   Bei Tage war der Maki schläferig, blödsichtig, wenn man ihn störte, auch mürrisch; mit abnehmendem Tageslichte aber wurde er munter und sein Augenstern erweiterte sich. Nachts bewegte er sich lebhaft und behend mit geräuschlosen Sprüngen, am liebsten seitwärts. Er wurde bald zahm, starb aber leider schon nach wenigen Tagen; und ebenso konnte ich das zweite Thierchen nur kurze Zeit am Leben erhalten.«



   Herrentiere (Neuweltsaffen)


   Brüllaffe

   Okens Ausspruch, daß die größten Thiere innerhalb einer Familie oder Sippe auch immer die vollkommensten seien, findet wie bei den altweltlichen Affen, so auch bei den neuweltlichen seine Bestätigung. Den Brüllaffen (Mycetes) [Heute: Alouatta] wird in der dritten Familie unserer Ordnung der erste Rang eingeräumt. Ihr Körper ist schlank, aber doch gedrungener als bei den übrigen Sippen der neuweltlichen Affen; die Gliedmaßen sind gleichmäßig entwickelt, die Hände fünffingerig; der Kopf ist groß und die Schnauze vorstehend, die Behaarung dicht und am Kinn bartartig verlängert. Als eigenthümliches Merkmal der Brüllaffen muß vor allem der kropfartig verdickte Kehlkopf angesehen werden. Alexander von Humboldt war der erste Naturforscher, welcher dieses Werkzeug zergliederte. »Während die kleinen amerikanischen Affen«, sagt er, »die wie Sperlinge pfeifen, ein einfaches dünnes Zungenbein haben, liegt die Zunge bei den großen Affen auf einer ausgedehnten Knochentrommel. Ihr oberer Kehlkopf hat sechs Taschen, in denen sich die Stimme fängt, und wovon zwei taubennestförmige große Aehnlichkeit mit dem unteren Kehlkopfe der Vögel haben. Der dem Brüllaffen eigene klägliche Ton entsteht, wenn die Luft gewaltsam in die Knochentrommel einströmt. Wenn man bedenkt, wie groß die Knochenschachtel ist, wundert man sich nicht mehr über die Stärke und den Umfang der Stimme dieser Thiere, welche ihren Namen mit vollem Rechte tragen.« Der Schwanz der Brüllaffen ist sehr lang, am hinteren Ende kahl, nerven– und gefäßreich, auch sehr muskelkräftig und daher zu einem vollkommenen Greifwerkzeuge gestaltet.
   Weit verbreitet, bewohnen die Brüllaffen fast alle Länder und Gegenden Südamerikas. Dichte, hochstämmige und feuchte Wälder bilden ihren bevorzugten Aufenthalt; in den Steppen finden sie sich nur da, wo die einzelnen Baumgruppen zu kleinen Wäldern sich vergrößert haben und Wasser in der Nähe ist. Trockene Gegenden meiden sie gänzlich, nicht aber auch kühlere Landstriche. So gibt es in den südlicheren Ländern Amerika‘s Gegenden, in denen der schon merkliche Unterschied zwischen Sommer und Winter noch gesteigert wird durch die Verschiedenheit in der Hebung über den Meeresspiegel. Hier stellen sich, laut Hensel, im Winter heftige Nachtfröste ein, und am Morgen ist der Wald weiß bereift; die Pfützen frieren so fest zu, daß das Eis die schweren Bisamenten der Ansiedler trägt, und man selbst mit faustgroßen Steinen auf dasselbe werfen kann, ohne es zu zerbrechen. »Freilich hält eine solche Kälte nicht lange an, und die warme Mittagssonne zerstört wieder die Wirkungen der Nacht. Empfindlicher als diese Fröste sind die kalten Winterregen, welche nahe am Gefrierpunkte oft mehrere Tage, ausnahmsweise auch Wochen, anhalten und von einem durchdringend kalten Südwinde begleitet werden. Während das zahme Vieh, wenn es nicht gut genährt ist, diesen Witterungseinflüssen leicht unterliegt, befindet sich die wilde Thierwelt ganz wohl dabei; und sobald an heiteren Tagen die Sonne zur Herrschaft gelangt, ertönt auch wieder die Stimme des Brüllaffen als Zeichen seines ungestörten Wohlbefindens. Wenn man an solchen Tagen des Morgens, sobald die Wärme der Sonnenstrahlen anfängt sich bemerkbar zu machen, einen erhöhten Standpunkt gewinnt, so daß man das ganze Blättermeer eines Gebirgsthales vor sich ausgebreitet sieht, entdeckt man auf demselben auch mit unbewaffnetem Auge hier und da rothleuchtende Punkte: die alten Männchen der Brüllaffen, welche die trockenen Gipfel der höchsten Berge erstiegen haben und hier, behaglich in einer Gabel oder auf dichtem Zweige ausgestreckt, ihren Pelz den wärmenden Strahlen der Sonne darbieten. Das Aeußerste erreicht die Winterkälte von Rio-Grande-do-Sul auf der Hochebene der Sierra, wo keine Orange mehr gedeiht und die Wirkungen der Winterstürme, welche aus den Pampas und von Patagonien her wehen, besonders hart empfunden werden. Hier fällt nicht selten Schnee in dichten Lagen und bleibt mehrere Tage liegen; niemals aber hat man bemerkt, daß die Kälte den Brüllaffen Abbruch gethan hätte.«
   In unseren Lehrbüchern werden gegen ein Dutzend Arten von Brüllaffen aufgeführt; doch ist jetzt ausgemacht, daß gerade diese Thiere vielfach abändern, und daher so gut als entschieden, daß alle auf wenige Arten zurückgeführt werden müssen.
   Der Aluate oder rothe Brüllaffe (Mycetes seniculus) [Heute: Alouatta seniculus] hat röthlichbraunen, auf der Rückenmitte goldgelben Pelz; die Haare sind kurz, etwas steif und am Grunde einfarbig; Unterhaare fehlen. Die Länge beträgt etwa 1,5 Meter, wovon freilich 70 Centim. auf den Schwanz kommen. Das Weibchen ist kleiner und dunkelfarbiger.
   Beim Caraya oder schwarzen Brüllaffen (Mycetes caraya) [Heute: Alouatta caraya] ist das Haar bedeutend länger und einfarbig schwarz, nur an den Seiten etwas röthlich, beim Weibchen auch auf der Unterseite gelblich, und beträgt die Länge etwa 1,3 Meter, wovon die Hälfte auf den Schwanz kommt. Ersterer bewohnt fast den ganzen Osten Südamerika‘s, letzterer Paraguay.
   Der Brüllaffe ist eines derjenigen amerikanischen Thiere, welches schon seit der ältesten geschichtlichen Zeit den Reisenden, immer aber nur unvollständig, bekannt wurde und deshalb zu vielen Fabeln Veranlassung gab. Solche haben heutigen Tages noch unter den nicht selbst beobachtenden Weißen und Indianern Geltung. Wir lassen sie gänzlich bei Seite und halten uns dafür an unsere Gewährsmänner. »Nach meiner Ankunft«, sagt der trefflich beobachtende Schomburgk, »hatte ich bei Auf– und Untergang der Sonne aus dem Urwalde das schauerliche Geheul zahlreicher Brüllaffen herübertönen hören, ohne daß es mir bei meinen Streifereien gelungen wäre, die Thiere selbst aufzufinden. Als ich eines Morgens nach dem Frühstücke, mit meinem Jagdzeuge versehen, dem Urwalde zuschritt, schallte mir aus der Tiefe desselben abermals jenes wüste Geheul entgegen und setzte meinen Jagdeifer in volle Flammen. Ich eilte also durch Dick und Dünn dem Gebrülle entgegen und erreichte auch nach vieler Anstrengung und langem Suchen, ohne bemerkt zu werden, die Gesellschaft. Vor mir auf einem hohen Baume saßen sie und führten ein so schauerliches Koncert auf, daß man wähnen konnte, alle wilden Tiere des Waldes seien in tödtlichem Kampfe gegen einander entbrannt, obschon sich nicht leugnen ließ, daß doch eine Art von Uebereinstimmung in ihm herrschte. Denn bald schwieg nach einem Taktzeichen die über den ganzen Baum vertheilte Gesellschaft, bald ließ ebenso unerwartet einer der Sänger seine unharmonische Stimme wieder erschallen, und das Geheul begann von neuem. Die Knochentrommel am Zungenbeine, welche durch ihren Wiederhall der Stimme eben jene mächtige Stärke verleiht, konnte man während des Geschreies auf und nieder sich bewegen sehen. Augenblicke lang glichen die Töne dem Grunzen des Schweines, im nächsten Augenblicke aber dem Brüllen des Jaguars, wenn er sich auf seine Beute stürzt, um bald wieder in das tiefe und schreckliche Knurren desselben Raubthieres überzugehen, wenn es, von allen Seiten umzingelt, die ihm drohende Gefahr erkennt. Diese schauerliche Gesellschaft hatte jedoch auch ihre lächerlichen Seiten, und selbst auf dem Gesichte des düstersten Menschenfeindes würden für Augenblicke Spuren eines Lächelns sich gezeigt haben, wenn er gesehen, wie diese Koncertgeber sich mit langen Bärten starr und ernst einander anblickten. Man hatte mir gesagt, daß jede Herde ihren eigenen Vorsänger besäße, welcher sich nicht allein durch seine schrillende Stimme von allen tiefen Bassisten unterscheide, sondern auch durch eine viel schmächtigere und feinere Gestalt auszeichne. Ich fand die erstere Angabe bei dieser Herde vollkommen bestätigt; nach der feineren und schmächtigen Gestalt sah ich mich freilich vergeblich um, bemerkte dafür aber auf dem nächsten Baume zwei schweigsame Affen, welche ich für ausgestellte Wachen hielt: –waren sie es, so hatten sie ihre Dienste schlecht genug versehen; denn unbemerkt stand ich in ihrer Nähe.«
   Diese anmuthige Schilderung beweist uns hinlänglich, daß wir es bei den Brüllaffen mit höchst eigenthümlichen Geschöpfen zu thun haben. Man kann, ohne einer Uebertreibung sich schuldig zu machen, behaupten, daß ihr ganzes Leben und Treiben eine Vereinigung von allerhand Absonderlichkeiten ist und deshalb der Beobachtung ein ergiebiges Feld bietet, während man andererseits anerkennen muß, daß die Indianer zu entschuldigen sind, wenn sie die Brüllaffen ihres trübseligen Aeußeren und ihres langweiligen Betragens halber misachten und hassen. Selbst die Verleumdungen, welche man sich zu Schulden kommen ließ, sind erklärlich, wenn man bedenkt, daß unsere Thiere weder im Freileben noch in der Gefangenschaft irgend welche Anmuth, ja selbst irgend welche Abwechselung in ihrer Lebensweise zeigen.
   »Der Brüllaffe«, sagt Hensel, »lebt in dem Urwalde von Rio-Grande-do-Sul in großer Menge; er ist dasjenige wilde Thier, welches man am leichtesten finden und jagen kann, ja das man zu vermeiden sogar Mühe hat. Erlebt in kleinen Trupps von fünf bis zehn Stücken, welche ein bestimmtes, ziemlich kleines Gebiet haben, das sie nicht zu verlassen pflegen. In jedem Trupp findet sich wenigstens ein altes Männchen, welches gewissermaßen die Aufsicht zu führen scheint; in den meisten Fällen jedoch enthält der Trupp, wenn er nicht zu schwach ist, mehrere erwachsene Männchen, unter denen wahrscheinlich eines, das stärkste oder älteste, den Vorrang behauptet. Dabei geht es ohne Zweifel nicht immer ganz friedfertig zu, wie die Narben beweisen, welche man oft in den Gesichtern der Männchen, zuweilen auch in denen der Weibchen erblickt. Doch sind die Thiere im ganzen sehr harmlos und im Vergleiche zu anderen Affen ruhig und gleichgültig.« Diese Angaben stimmen mit früheren Beobachtungen vollkommen überein. Doch mag noch erwähnt sein, daß unsere Affen in manchen Waldungen so häufig auftreten, daß Humboldt ihrer vierzig zu einer Bande vereinigt sah und schätzen durfte, es möchten auf einer Geviertmeile des Waldes wohl gegen zweitausend von ihnen leben.
   Während des Tages bilden die höchsten Bäume des Waldes den Lieblingsaufenthalt der Brüllaffen; bei anbrechender Dämmerung ziehen sie sich in das dichte, von Schlingpflanzen durchflochtene Laub der niedrigen Bäume zurück und überlassen sich hier dem Schlafe. Langsam, fast kriechend klettern sie von einem Aste zu dem anderen, Blätter und Knospen auswählend, langsam mit der Hand sie abpflückend und langsam sie zum Munde bringend. Sind sie gesättigt, so setzen sie sich in zusammengekauerter Stellung auf einem Aste nie– der und verharren hier regungslos, wie uralte schlafende Männchen erscheinend; oder sie legen sich der Länge nach über den Ast hin, lassen die vier Glieder zu beiden Seiten steif herabhängen und halten sich eben nur mit dem Wickelschwanze fest. Was der eine thut, wird von den anderen langsam und gedankenlos nachgemacht. Verläßt eines der erwachsenen Männchen den Baum, auf welchem die Familie sich gerade aufhält, so folgen ihm alle übrigen Glieder der Gesellschaft rücksichtslos nach. »Wahrhaft erstaunlich« sagt Humboldt, »ist die Einförmigkeit in den Bewegungen dieses Affen. So oft die Zweige benachbarter Bäume nicht zusammenreichen, hängt sich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Fassen bestimmten schwieligen Theile des Schwanzes auf, läßt den Körper frei schweben und schwingt ihn hin und her, bis es den nächsten Ast packen kann. Der ganze Zug macht an derselben Stelle genau dieselbe Bewegung.« Für die Brüllaffen ist der Schwanz unzweifelhaft das wichtigste aller Bewegungswerkzeuge; sie brauchen ihn, um sich zu versichern –und das thun sie in jeder Stellung– sie benutzen ihn, um etwas mit ihm zu erfassen und an sich zu ziehen. Immer und immer dient er hauptsächlich dazu, jeder ihrer langsamen Bewegungen die ihnen unerläßlich dünkende Sicherheit zu verleihen. Man kann nicht behaupten, daß sie schlecht klettern: sie sind im Gegentheile sehr geschickt; aber niemals machen sie wie andere Affen weite, niemals gewagte Sprünge.
   Wenig andere Thiere sind so ausschließlich an die Bäume gebunden wie die Brüllaffen. Sie kommen höchst selten auf die Erde hernieder, wahrscheinlich bloß dann, wenn es ihnen unmöglich ist, von den niederen Aesten und Schlingpflanzen herab zu trinken. Humboldt sagt, daß sie nicht im Stande wären, Wanderungen oder auch nur Wandelungen auf ebenem Boden zu unternehmen, und Rengger erklärt die Behauptung der Indianer, nach welcher die Brüllaffen manchmal über breite Ströme setzen sollen, für ein Märchen, welches den Fremden aufgebürdet wird. »Sie fürchten sich«, sagt er, »so sehr vor dem Wasser, daß, wenn sie durch das schnelle Anschwellen des Stromes auf einem Baume abgeschieden werden, sie eher verhungern als durch Schwimmen einen anderen Baum zu gewinnen suchen. So traf ich einst eine solche Affenherde auf einem von Wasser rings umgebenen Baume an, welche, ganz abgemagert, sich vor Schwäche kaum mehr bewegen konnte. Sie hatte nicht nur alle Blätter und zarten Zweige, sondern sogar einen Theil der Rinde des Baumes verzehrt. Um den nahen Wald zu erreichen, hätte sie nur eine Strecke von sechszig Fuß zu durchschwimmen gehabt.« Derselbe Naturforscher versichert, niemals einen Brüllaffen auf freiem Felde gesehen oder seine Fährte irgendwo auf dem Boden angetroffen zu haben.
   Alles, was der Brüllaffe bedarf, bietet ihm sein luftiger Aufenthalt in Fülle. Die Mannigfaltigkeit und der Reichthum der verschiedenen Früchte lassen ihn niemals Mangel leiden. Neben den Früchten frißt er Körner, Blätter, Knospen und Blumen der verschiedensten Art, wahrscheinlich auch Kerbthiere, Eier und junge, unbehülfliche Vögel. Den Pflanzungen wird er niemals schädlich, wenn er sich auch tagelang am Saume derselben aufhält: er zieht Baumblätter dem Mais und den Melonen vor. Zuweilen sieht man ihn, nach Hensel, mit der Spitze des Wickelschwanzes an einem Zweige hängen und die Blätter eines unter ihm befindlichen Astes pflücken, um sie noch im Herabhängen in den Mund zu stopfen und zu verzehren. Daß die Nahrung vorzugsweise in Blättern besteht, beweisen nicht nur die stets schwarzen Zähne, sondern auch der Magen der Erlegten, welcher immer einen grünlichen Speisebrei wie von zerkauten Blättern enthält.
   In Südamerika wirft das Weibchen im Juni oder Juli, manchmal auch schon zu Ende Mais oder erst anfangs August ein einziges Junges. Hensel versichert, daß die Fortpflanzung der Brüllaffen an keine bestimmte Jahreszeit gebunden ist; denn man findet neugeborene Junge das ganze Jahr hindurch und kann also auch an einem und demselben Tage Keimlinge und Junge der verschiedensten Entwickelungs– und Altersstufen sammeln. Niemals scheinen sie mehr als ein Junges zu haben. Während der ersten Woche nach der Geburt hängt sich der Säugling wie bei den altweltlichen Affen mit Armen und Beinen an den Unterleib der Mutter an; später trägt diese ihn auf dem Rücken. Sie legt ihre Gefühle nicht durch Liebkosungen an den Tag, wie andere Affen es thun, verläßt aber doch das Pfand ihrer Liebe wenigstens in der ersten Zeit niemals, während sie später das schon bewegungsfähiger gewordene Kind bei ängstlicher Flucht manchmal von sich abschüttelt oder gewaltsam auf einen Ast setzt, um ihren eigenen Weg zu erleichtern. Indianer, welche letzteres sahen, haben behauptet, daß die Brüllaffenmutter überhaupt lieblos und gleichgültig gegen ihre Jungen wäre; der Prinz von Wied sagt aber ausdrücklich: »Gefahr erhöht die Sorge der Mutter, und selbst tödtlich angeschossen, verläßt sie ihr Junges nicht.« Dieses ist ebenso langweilig wie die Alte und, zumal wegen des großen Kehlkopfes, wo möglich noch häßlicher.
   »Der Brüllaffe«, fährt Hensel fort, »besitzt eine große Lebensfähigkeit und flüchtet noch nach Verwundungen, unter denen andere Thiere unfehlbar von den Bäumen herabstürzen müßten. Ich traf einst unter einem Trupp ein sehr großes Männchen von heller, fast gelber Färbung, dessen Besitz mit wünschenswerth erschien. Die erste Kugel zerschmetterte dem Thiere, welches schon auf der Flucht war, einen Hinterschenkel und die Wurzel des Schwanzes, so daß es den Baum nicht mehr verlassen konnte; eine zweite Kugel ging durch den Bauch, so daß die Eingeweide eine Spanne lang heraushingen; eine dritte durchbohrte etwas höher den Magen und einen Theil der Brust; eine vierte traf, da die bedeutende Höhe des Baumes und die Unruhe des Thieres ein sicheres Zielen nicht gestattete, die Kehle, ging durch den hohen Winkel des Unterkiefers und zerstörte den Brüllapparat, ohne daß das unglückliche Geschöpf, welches auf jede der Kugeln mit einem heftigen Grunzen geantwortet hatte, herabgefallen wäre. Endlich machte ein glücklicher Schrotschuß seinem Leiden ein Ende. Es geht hieraus eine Lebenszähigkeit hervor, wie man sie sonst nur bei Raubthieren, nicht aber bei Pflanzenfressern anzutreffen pflegt.«
   In einem großen Theile von Paraguay bilden die Brüllaffen einen Gegenstand eifriger Jagd. Ihr Fell ist gesucht und das Fleisch bei den Indianern beliebt. Aus dem Pelze des schwarzen Brüllaffen ließ Dr. Francia einmal über hundert Grenadiermützen verfertigen. Außerdem verwendet man es zu Beuteln, Satteldecken u. a. Von dem Fleische lebten Reisende, so z. B. der Prinz von Wied, oft lange Zeit fast ausschließlich. Sie versichern, daß es wohlschmeckend sei und eine sehr kräftige Brühe gebe. Die Nahrung hat aber unter allen Umständen ihr Abschreckendes, zumal wenn die Indianer dem Affen das Haar abgesengt oder ihn abgebrüht in den Topf gesteckt oder ihn zum Braten an einen spitzen Stab befestigt haben.»Aller Widerwille«, sagt Schomburgk,»wird in Dem rege, welcher solchen Braten zum ersten Male sieht; denn er kann nicht anders glauben, als daß er an einem Mahle von Kannibalen theilnehmen solle, bei welchem ein kleines Kind vorgesetzt wird, und es gehört wahrlich bei einem nur irgend reizbaren Magen eine starke Willenskraft dazu, um Gabel und Messer nach solchem Braten auszustrecken.«



   Herrentiere (Altweltsaffen)


   Pavian 

   Die Gruppe der Paviane (Cynocephalus) [Heute: Papio] ist zwar eine der merkwürdigsten, nicht aber auch eine der anziehendsten und angenehmsten. Wir finden in ihr vielmehr die häßlichsten, rüdesten, flegelhaftesten und deshalb widerwärtigsten Mitglieder der ganzen Ordnung; wir sehen in ihnen den Affen gleichsam auf der tiefsten Stufe, welche er einnehmen kann. Jede edlere Form ist hier verwischt und jede edlere Geistesfähigkeit in der Unbändigkeit der scheußlichsten Leidenschaften untergegangen.
   Wir nennen die Paviane mit Aristoteles»Hundsköpfe«, weil ihr Kopfbau dem eines groben, rohen Hundes etwas mehr ähnelt als dem des Menschen, an welchen die übrigen Affen entfernt erinnern. In Wahrheit ist die Aehnlichkeit zwischen beiden Thierköpfen nur eine oberflächliche und zugleich unbefriedigende; denn der Hundekopf des Pavian ist ebenso gut eine Verzerrung seines Vorbildes wie der Kopf des Gorilla eine solche des Menschenhauptes ist. Allein den anderen Affen gegenüber ist eben das Schnauzenartige des Paviangesichts ein hervorstechendes Merkmal: und deshalb können wir auch dem alten Aristoteles seine Ehre lassen.
   Die Hundsköpfe sind neben den Menschenaffen die größten Glieder ihrer Ordnung. Ihr Körperbau ist gedrungen, ihre Muskelkraft ungeheuer. Der schwere Kopf verlängert sich in eine starke und lange, vorn abgestutzte, oft wulstige oder gefurchte Schnauze mit vorstehender Nase; das Gebiß erscheint raubthierähnlich wegen seiner fürchterlichen Reißzähne, welche auf ihrer hinteren Seite scharfe Kanten haben; die Lippen sind sehr beweglich, die Ohren klein, die Augen hoch überwölbt und in ihrem Ausdrucke das treueste Spiegelbild des ganzen Affen selbst – listig und tückisch ohne Gleichen. Alle Gliedmaßen sind kurz und stark, die Hände fünfzehig; der Schwanz ist bald kurz, bald lang, bald glatthaarig, bald gequastet; die Gesäßschwielen erreichen wahrhaft abschreckende Größe und haben gewöhnlich äußerst lebhafte Färbung. Die lange und lockere Behaarung verlängert sich bei einigen Arten am Kopfe, Hals und an den Schultern zu einer reichen Mähne, und hat gewöhnlich unbestimmte Erdoder Felsenfarben, wie Grau, Graugrünlichgelb, Bräunlichgrün u. a.
   Der Verbreitungskreis der Hundsköpfe erstreckt sich über Afrika und die hart an diesen Erdtheil grenzenden Länder Asiens, namentlich das glückliche Arabien, Jemen, Hadramaut und Indien. Afrika muß unbedingt als derjenige Erdtheil angesehen werden, welcher ihnen die wahre Heimat bietet. Verschiedene Gegenden besitzen ihre eigenthümlichen Arten, welche übrigens weit verbreitet und deshalb mehreren Ländern gemein sind. So leben im Osten und namentlich um Abessinien herum drei, in der Kapgegend zwei und in Westafrika ebenfalls zwei Arten.
   Die Paviane sind echte Felsenaffen und bewohnen Hochgebirge oder wenigstens höhere Gebirgsgegenden. Diesem Aufenthaltsort der Paviane entspricht ihre Nahrung. Sie besteht hauptsächlich aus Zwiebeln, Knollengewächsen, Gräsern, Kraut, Pflanzenfrüchten, welche auf der Erde oder wenigstens nur in geringer Höhe über derselben wachsen oder von den Bäumen abgefallen sind, Kerbthieren, Spinnen, Schnecken, Vogeleiern u. a. Eine Pflanze Afrika‘s, welche diese Affen besonders lieben, hat gerade deshalb ihren Namen»Babuina«nach einer Art unserer Sippe erhalten. In den Anpflanzungen, zumal in den Weinbergen, richten sie den allergrößten Schaden an; ja man behauptet, daß sie ihre Raubzüge förmlich geordnet und überlegt unternähmen. Sie sollen oft noch eine gute Menge Früchte wegnehmen und auf die höchsten Gipfel der Berge schleppen, um dort für ungünstigere Zeiten Vorräthe anzusammeln. Daß sie Schildwachen ausstellen, ist sicher; als übertrieben aber müssen Erzählungen gehalten werden, wie die von Geßner herstammenden, in denen uns gesagt wird, daß die Affen in gerader Linie hinter einander anrücken und sich in einer Reihe aufstellen, damit einer dem anderen das abgerissene Obst zuwerfen könne. Käme dann Jemand, welcher die Gaudiebe an ihrer Arbeit verhindern wolle, so rissen sie alle Kürbisse, Gurken, Melonen, Granatäpfel und dergleichen ab und brächten sie so schleunig wie möglich in Sicherheit, indem sie die Früchte eine gute Strecke vom Garten entfernt auf einen Haufen würfen und diesen dann in derselben Weise weiter und weiter beförderten, bis sie ihre Schätze endlich auf einen Berggipfel gebracht hätten. Die Schildwache (welche bei den Raubzügen wirklich ausgestellt wird) solle die plündernden Schelme jedesmal durch einen Schrei von der Ankunft des Menschen in Kenntnis setzen; und ihre Wachsamkeit sei schon aus dem Grunde sehr groß, weil sie von den anderen zu Tode geprügelt werde, wenn sie ihre Pflicht versäumt habe! So viel ist jedenfalls richtig, daß alle Hundsköpfe als eine wahre Landplage betrachtet werden müssen, weil sie den Landleuten ihrer Heimat außerordentlichen Schaden zufügen.
   Ihre geistigen Eigenschaften widersprechen ihrer äußeren Erscheinung nicht im geringsten. Ich will, um sie zu beschreiben, mit Scheitlins Worten beginnen:»Die Paviane sind alle mehr oder minder schlechte Kerle, immer wild, zornig, unverschämt, geil, tückisch; ihre Schnauze ist ins gröbste Hundeartige ausgearbeitet, ihr Gesicht entstellt, ihr After das Unverschämteste. Schlau ist der Blick, boshaft die Seele. Dafür sind sie gelehriger als die kleineren Affen und zeigen noch mehr Verstand, jedoch immer mit List. Erst an diesen kommt die zweite Affeneigenschaft, d. h. die Nachahmungssucht, vor, wodurch sie ganz menschlich werden zu können scheinen, es aber nicht werden. Ihre Geilheit geht über alle Begriffe; sie geberden sich auch Männern und Jünglingen gegenüber schändlich. Kinder und Frauen darf man nicht in ihre Nähe bringen. Aber Fallstricke und Gefahren merken sie leicht, und gegen die Feinde vertheidigen sie sich mit Muth und Eigensinn. Wie schlimm jedoch ihre Natur ist, so kann man sie doch in der Jugend ändern, zähmen, gehorsam machen; nur bricht ihre schlimme Natur im Alter, wenn ihr Sinn und Gefühl stumpf werden, in den alten Adam zurück. Der Gehorsam hört wieder auf, sie grinsen, kratzen und beißen wieder. Die Erziehung griff nicht tief genug ein. Man sagt, daß sie im Freien geistreicher und geistig entwickelter seien, in der Gefangenschaft hingegen milder und gelehrter werden. Ihr Familienname ist auch Hundskopf. Hätten sie zum Hundskopfe nur auch die Hundeseele!«
   In ihrer sinnlichen Liebe sind die Paviane wahrhaft scheußlich. Die vorhin erwähnte Geilheit und Frechheit zeigt sich bei keinem anderen Thiere in so abschreckender Weise wie bei ihnen. Ich möchte sagen, daß die Größe ihrer Leidenschaftlichkeit erst hierbei sich offenbare. Die Männchen sind nicht bloß lüstern auf die Weibchen ihrer Art, sondern auf alle größeren Säugethiere weiblichen Geschlechts überhaupt. Es wird wiederholt und von allen Seiten versichert, daß sie zuweilen Mädchen rauben oder wenigstens überfallen und mishandeln. Daß sie Männer und Frauen sofort unterscheiden, habe ich hundertfach beobachtet, und ebenso, daß sie den Frauen durch ihre Zudringlichkeit und Unverschämtheit im höchsten Grade lästig werden können. Die Männchen sind beständig brünstig, die Weibchen nur zu gewissen Zeiten, alle dreißig bis fünfunddreißig Tage etwa. Die Brunst zeigt sich auch äußerlich in häßlicher Weise: die Geschlechtstheile schwellen bedeutend an und erhalten eine glühendrothe Farbe; man meint, daß das Gesäß in bedenklicher Weise erkrankt sei. Nach meinen Beobachtungen währt die Brunstzeit der Paviane so weit äußerlich ersichtlich, vierzehn bis zwanzig Tage. Sie beginnt mit einem merklichen Anschwellen der Geschlechtstheile, welches sich im Verlaufe der Zeit fast über das ganze Gefäß erstreckt und die Schwielen blasig auftreibt. Diese röthen sich gleichzeitig, als ob sie entzündet wären, und das ganze Gesäß erhält dadurch ein wahrhaft abschreckendes Aussehen. Nach etwa acht Tagen verkleinern sich die Blasen, schrumpfen mehr und mehr zusammen und verschwinden gegen Ende der angegebenen Zeit vollständig. Im Anfange der Brunst sind die Weibchen ebenso erpicht auf die Männchen wie diese während der ganzen Jahreszeit auf jene. Obgleich sich die Hundsköpfe in der Gefangenschaft fortpflanzen, weiß man doch noch nicht bestimmt, wie lange ihre Tragzeit dauert.
   In den Sagen und Erzählungen der Araber spielen die Paviane eine hervorragende Rolle. Sie sind es, welche die Geschichtschreiber am besten kennen, weil sie in Jemen vorkommen, sie auch, welche am häufigsten lebend nach Egypten und Syrien gebracht werden; und auf sie insbesondere bezieht sich die Behauptung des Propheten und seiner Freunde, daß Allah sie in seinem Zorne aus Menschen zu Affen verwandelt habe. Schech Kemal Edin Demiri, welcher um das Jahr 1405 unserer Zeitrechnung starb, und ein großes Werk unter dem Namen Heiät el Heiwän (zu deutsch»Leben der Thiere«) geschrieben hat,»nicht weil dasselbe von irgend einem hohen Gönner bestellt worden wäre, sondern nur wegen der großen Unwissenheit der Menschen über alles, was die Thiere angeht«, erzählt als gläubiger Sohn seines Volkes die Geschichte, ohne daß er wagt, daran zu mäkeln. Die Stadt hieß Aila und lag am Rothen Meere, und ihre Bewohner waren selbstverständlich Juden, in den Augen der Mohammedaner ebenso wenig angesehene Leute als in denen der gebildeten, über Vorurtheile hoch erhabene Europäer, insbesondere der Deutschen. Ursache der Verwandlung war eine große Ungebührlichkeit, welche sich die betreffenden Juden zu Schulden kommen ließen, indem sie nämlich an einem Sonnabende mit dem Fischfange sich beschäftigten, also den Sabbath entheiligten. Einige weise und fromme Bewohner Aila‘s suchten den Frevel zu stören, und verließen endlich, als man ihrer Warnungen nicht achtete, verhüllten Antlitzes die gottlose Stadt. Nach drei Tagen kehrten sie wieder, fanden die Thore verschlossen, kletterten über die Mauer und sahen sich umringt von Pavianen, von denen einzelne traurigen Blickes zu ihnen herankamen, sich an sie schmiegten und bittend zu ihnen empor sahen. Da kam Einem der Gedanke, daß die Affen wohl ihre Verwandten sein möchten, und auf die hingeworfene Frage:»Sage mir Pavian, bist du vielleicht mein Bruderssohn Ibrahim oder Achmed oder Musa-«antworteten die Thiere mit traurigem Kopfnicken. So ward denn Allen offenbar, daß hier ein entsetzliches Strafgericht vollzogen worden war. Schech Demiri, welcher im übrigen so vernünftig ist, wie ein Buchstabengläubiger es sein kann, meint, daß man diese Erzählung hinnehmen müsse, obwohl es sich doch vielleicht beweisen ließe, daß es früher als Juden Paviane gegeben habe.
   Unter den mantellosen Pavianen ist mir der Babuin (Cynocephalus babuin) [Heute: Gelber Babuin (Papio cynocephalus)] am besten bekannt geworden, wenn auch nur in seinem Gefangenleben. Mit den eben beschriebenen Sippschaftsverwandten oder mit den Mantelpavianen kann der Babuin allerdings nicht verwechselt werden, wohl aber mit anderen Hundsköpfen und zumal mit dem am Kap lebenden Tschakma (Cynocephalus porcarius) oder der Sphinx (Cynocephalus Sphinx) aus Westafrika, welche ihm sehr ähnlich sind. Der glatte, gleichmäßige, nirgends verlängerte Pelz ist oben olivengrünlichgelb, jedes Haar abwechselnd schwärzlich und gelb geringelt, unterseits lichter, auf den Backen weißlichgelb. Gesicht und Ohren haben schwärzlich bleigraue, die oberen Augenlider weißliche, die Hände braungraue, die Augen hellbraune Färbung. Erwachsene Männchen erreichen bei 65 bis 70 Centim. Schulterhöhe eine Gesammtlänge von 1,50 Meter, wovon der verhältnismäßig dünne Schwanz allerdings ein Drittel wegnimmt. Der Tschakma ist beträchtlich größer, plumper gebaut und dunkler gefärbt, die Sphinx eher kleiner, aber entschieden kräftiger gestaltet, ihre Schnauze kürzer und durch eine absonderliche Verdickung der Backenknochen sehr ausgezeichnet, ihr Pelz, dessen Haare schwärzlichgraue und röthlichbraune Ringel zeigen, anstatt gelbbraun, röthlichbraun mit einem Stich ins Oelgrüne.
   Hinsichtlich der Lebensweise und des Betragens ist zwischen diesen drei Pavianen kaum ein Unterschied zu bemerken; ich werde deshalb vorzugsweise von der mir bekannteren Art reden.
   Der Babuin lebt so ziemlich in der Heimat des Hamadryas, dringt aber weiter in das Innere Afrika‘s vor als dieser. Abessinien, Kordofän und andere mittelafrikanische Länder beherbergen ihn, und wo er vorkommt ist er häufig.
   Hartmann hat mir über das Freileben unseres Affen nur folgende Mittheilung geben können:»Auf dem Djebel-Guli lebt der Babuin in ziemlicher Anzahl; er findet daselbst Knollen von Liliengewächsen, Früchte von wilden Feigen, Tamarinden, Beeren des Cissus– und in benachbarten Ebenen auch solche des Khetamstrauches u. a., und lebt äußerst gemüthlich in den Tag hinein, falls nicht einmal ein Leopard in seine Berge kommt, ihn aufstört und, wenn es möglich ist, einen oder den anderen auffrißt. Die Eingeborenen bekümmern sich im ganzen wenig um ihn, obschon sie gelegentlich ein Junges fangen und aufziehen. In einer Hinsicht aber scheinen diese Paviane den Fungis doch lästig zu werden, wenn jene nämlich Wasser holen wollen. Die Paviane steigen von den Bergen, aus denen einige dünne Wasserfäden abwärts rieseln, zur Ebene herab und trinken hier aus den kleinen Quellteichen und Regenwasserpfützen. Nun versichern die Fungis allen Ernstes, daß ihre jungen Mädchen beim Wasserholen nicht selten von alten Babuinen angegriffen und geschlechtlich gemishandelt werden. An eine Ausführung der Absicht gedachter Paviane läßt sich bei dem Misverhältnis der Geschlechtstheile bei Affe und Weib nicht wohl denken, und die Fungis weisen dies auch aufs entschiedenste zurück; aber das geile Vieh kann die noch sehr jungen Mädchen wohl überwältigen, sie zerbeißen, zerkratzen und würgen. Deshalb gehen, sobald man noch halbe Kinder auf die Wasserplätze sendet, stets einige mit Lanzen und Schleudereisen bewaffnete junge Männer zu deren Schutze mit.«
   Der erste Babuin, welchen ich besaß, erhielt den Namen Perro. Er war ein hübscher munterer Affe und hatte sich schon nach drei Tagen vollkommen an mich gewöhnt. Ich wies ihm das Amt eines Thürhüters an, indem ich ihn über unserer Hofthüre befestigte. Hier hatte er sich bald einen Lieblingsplatz ausgesucht und bewachte von dort aus die Thüre auf das allersorgfältigste. Nur uns und ihm Bekannte durften eintreten, Unbekannten verwehrte er hartnäckig den Eingang und geberdete sich dabei so toll, daß er stets gehalten werden mußte, bis der Betreffende eingetreten war, weil er sonst wie ein wüthender Hund auf denselben losgefahren sein würde. Bei jeder Erregung zeigte er sich als Pavian vom Wirbel bis zur Sohle, mit allen Gewohnheiten und Sitten, Arten und Unarten seiner Sippschaft, deren Glieder in ihrem Gebaren überhaupt die größte Uebereinstimmung bekunden. Im Zorne erhob er den Schwanz und stellte sich auf beide Füße und eine Hand; die andere benutzte er, um damit heftig auf den Boden zu schlagen, ganz wie ein wüthender Mensch auf den Tisch schlägt, nur daß er nicht die Faust ballte wie dieser. Seine Augen glänzten und blitzten, er ließ ein gellendes Geschrei hören und rannte wüthend auf seinen Gegner los. Nicht selten verstellte er sich mit vollendeter Hinterlist, nahm eine sehr freundliche Miene an, schmatzte mehrmals rasch hinter einander, was immer als Freundschaftsbetheuerung anzunehmen war, und langte sehnend mit den Händen nach Dem, welchem er etwas versetzen wollte. Gewährte ihm dieser seine Bitte, so fuhr er blitzschnell nach der Hand, riß seinen Feind an sich heran und kratze und biß ihn. Erlebte mit allen Thieren in Freundschaft, mit Ausnahme der Strausse, welche wir besaßen. Diese trugen jedoch die Schuld des feindlichen Verhältnisses, welches zwischen beiden bestand. Perro saß, wenn seine Wächterdienste unnöthig waren, gewöhnlich ruhig auf seiner Mauer und hielt sich gegen die sengenden Sonnenstrahlen eine Strohmatte als Schirm über den Kopf. Dabei vernachlässigte er es, auf seinen langen Schwanz besondere Rücksicht zu nehmen und ließ diesen an der Mauer herabhängen. Die Straußen nun haben die Unart, nach allem möglichen, was nicht niet– und nagelfest ist, zu schnappen. Und so geschah es denn sehr oft, daß einer oder der andere dieser Vögel schaukelnd herankam, mit seinem dummen Kamelkopfe sich dem Schwanze näherte und, ohne daß Perro es ahnte, plötzlich demselben einen tüchtigen Biß versetzte. Die Strohmatte wegwerfen, laut schreien, den Strauß mit beiden Händen am Kopfe fassen und tüchtig abschütteln, war dann gewöhnlich Eins. Es kam oft vor, daß der Affe nachher eine ganze Viertelstunde lang seine Gemüthserschütterung nicht bemeistern konnte. Nun war es kein Wunder, daß er dem Strauße, wo er ihn nur immer erreichen konnte, einen Hieb oder Kniff versetzte.
   Während unserer Rückreise nach Egypten wurde Perro, welcher mit allem Schiffsvolke gute Freundschaft hielt, am Bord der Barke angebunden. Er fürchtete das Wasser in hohem Grade, war aber doch gescheit genug, sich, wenn er durstete, demselben so zu nähern, daß er keine Gefahr zu besorgen brauchte. Zuerst probirte er seinen festen Strick, dann ließ er sich an diesem bis nah über den Wasserspiegel hinab, streckte seine Füße in den Strom, näßte sie an und leckte sie ab, auf diese Weise seinen Durst stillend.
   Gegen junge Thiere zeigte er warme Zuneigung. Als wir in Alexandrien einzogen, hatten wir ihn auf den Wagen gebunden, welcher unsere Kisten trug; sein Strick war aber so lang, daß er ihm die nöthige Freiheit gewährte. Beim Eintreten in die Stadt erblickte Perro neben der Straße das Lager einer Hündin, welche vor kurzer Zeit geworfen hatte und vier allerliebste Junge ruhig säugte. Vom Wagen abspringen und der Alten ein säugendes Junges wegreißen, war die That weniger Augenblicke; nicht so schnell gelang es ihm, seinen Sitz wieder zu erreichen. Die Hundemutter, aufs äußerste erzürnt über die Frechheit des Affen, fuhr wüthend auf diesen los, und Perro mußte seine ganze Kraft zusammennehmen, um dem andringenden Hunde zu widerstehen. Sein Kampf war nicht leicht; denn der Wagen bewegte sich stetig weiter, und ihm blieb keine Zeit übrig, hinaufzuklettern, weil ihn sonst die Hündin gepackt haben würde. So klammerte er nun den jungen Hund zwischen den oberen Arm und die Brust, zog mit demselben Arme den Strick an sich, weil dieser ihn würgte, lief auf den Hinterbeinen und vertheidigte sich mit der größten Tapferkeit gegen seine Angreiferin. Sein muthiger Kampf gewann ihm die Bewunderung der Araber in so hohem Grade, daß keiner derselben ihm sein geraubtes Pflegekind abnahm; sie jagten schließlich lieber die Hündin weg. Unbehelligt brachte er den jungen Hund mit sich in unsere Behausung, hätschelte, pflegte und wartete ihn sorgfältig, sprang mit dem armen Thiere, welches gar keinen Gefallen an solchen Tänzerkünsten zu haben schien, auf Mauern und Balken, ließ es dort in der gefährlichsten Lage los und erlaubte sich andere Uebergriffe, welche wohl an einem jungen Affen, nicht aber an einem Hunde gerechtfertigt sein mochten. Seine Freundschaft zu dem Kleinen war groß; dies hinderte ihn jedoch nicht, alles Futter, welches wir dem jungen Hunde brachten, selbst an dessen Stelle zu fressen und das arme hungerige Pflegekind auch noch sorgfältig mit dem Arme wegzuhalten, während er, der räuberische Vormund, das unschuldige Mündel beeinträchtigte. Ich ließ ihm noch an demselben Abend das Junge abnehmen und es zu seiner rechtmäßigen Mutter zurückbringen. Der Verlust ärgerte ihn dergestalt, daß er mehrere Tage sehr mürrisch war und verschiedene lose Streiche verübte.


   Mantelpavian

   Mit den anderen Thieren, welche ich lebendig hielt, vertrugen sie sich sehr gut. Eine zahme Löwin, von der ich weiter unten berichten werde, ängstigte zwar die Meerkatzen auf das höchste, nicht aber die muthigen Hundsköpfe. Sie flohen wohl auch, wenn sich das gefürchtete Thier nahte, hielten ihm aber tapfer Stand, sowie die Löwin einen Versuch machte, einen Pavian wirklich anzugreifen. Dasselbe habe ich später stets beobachtet. Meine zahmen Paviane flohen z. B. vor Jagdhunden, welche ich auf sie hetzte, trieben dieselben jedoch augenblicklich in die Flucht, wenn einer der Hunde es wirklich gewagt hatte, sie am Felle zu packen. Der flüchtende Affe sprang dann unter furchtbarem Gebrülle blitzschnell herum, hing sich mit unglaublicher Gewandtheit an den Hund an und maulschellirte, biß und kratzte ihn derartig, daß der Gegner in höchster Verblüffung und gewöhnlich heulend das Weite suchen mußte. Um so lächerlicher war ihre jedes Maß übersteigende Furcht vor Kriechthieren und Lurchen aller Art. Eine unschuldige Eidechse, ein harmloser Frosch brachten sie geradezu in Verzweiflung! Sie rasten förmlich, suchten die Höhe zu gewinnen und klammerten sich krampfhaft an Balken und Mauern fest, so weit es ihr Strick zuließ. Gleichwohl war ihre Neugierde so groß, daß sie nie umhin konnten, sich die ihnen entsetzlichen Thiere in der Nähe zu betrachten. Ich brachte ihnen unter anderen mehrmals giftige Schlangen in Blechschachteln mit. Sie wußten aus Erfahrung, was für gefährliche Wesen diese Schachteln beherbergten, konnten aber doch nicht widerstehen, die geschlossenen Gefängnisse der Schlangen aufzumachen und weideten sich dann gleichsam an ihrem eigenen Entsetzen. In dieser Furcht vor Kriechthieren sind meiner Erfahrung nach alle Affen gleich.
   Der Babuin wird im Sudan oft gefangen, auf dem Nile herunter nach Egypten und von dort nach Europa gebracht, muß jedoch auch von anderer Seite hierher gelangen, weil man ihn ziemlich häufig in Gefangenschaft sieht. In Egypten dient er Gauklern ziemlich zu denselben Zwecken wie der Hamadryas, der gegenüber abgebildet ist. In Europa ist er ein ständiger Bewohner der Affenhäuser in den Thiergärten und der Affenkäfige in den Thierschaubuden, ebenso regelmäßig auch auf dem Affentheater zu finden, weil sein biegsamer Schwanz leicht in der Kleidung versteckt werden kann und Klugheit und gutmüthiges Wesen ihn in derselben Weise zur Abrichtung geeignet erscheinen lassen. Wie leicht er lernt, ist aus dem Vorstehenden ersichtlich geworden; wie treu er behält und wie willig er »arbeitet«, zeigt sich bei jeder Vorstellung auf der Affenbühne. Er zählt unter die größten Künstler derselben.
   Afrika beherbergt nicht nur die größten, die klügsten und die häßlichsten Affen der alten Welt, sondern auch die schönsten, nettesten und gemüthlichsten. Zu diesen gehört unzweifelhaft die zahlreiche Gruppe, welche uns unter dem Namen »Meerkatzen« bekannt ist. Wir sehen dieses oder jenes Mitglied der betreffenden Sippe häufig genug in jedem Thiergarten oder in jeder Thierschaubude und finden es auch öfters als lustigen Gesellschafter irgend eines Thierfreundes.
   Die Meerkatzen erhielten ihren Namen schon im sechszehnten Jahrhundert, jedenfalls weil sie zuerst von dem Westen Afrika‘s, nämlich von Guinea zu uns kamen und entfernt an die Gestalt einer Katze erinnern. Ihre Aehnlichkeit mit unserem nützlichen Hausthiere ist übrigens nur eine sehr oberflächliche, denn alle Meerkatzen sind echte Affen in Gestalt und Wesen. Bewohner der Wendekreisländer des genannten Erdtheils, beschränken sie sich, mit Ausnahme einer einzigen Art, welche auf Madagaskar vorkommt, auf das afrikanische Festland. Wo sich Urwälder finden, zeigen sich auch diese Affen in großer Anzahl. Manche Arten erhalten wir ebenso wohl aus dem Osten wie auch aus dem Westen und aus der Mitte des Erdtheils; die meisten aber kommen aus Westafrika, ziemlich viele auch aus Abessinien und den oberen Nilländern.
   Sie zeichnen sich durch leichte und zierliche Formen, schlanke Gliedmaßen, feine, kurze Hände mit langen Daumen, auch durch einen langen Schwanz ohne Endquaste aus und besitzen weite Backentaschen und große Gesäßschwielen. Ihre Farben sind meistens ziemlich lebhaft, bei einzelnen Arten oft recht angenehm bunt. Man kennt ungefähr zwanzig Arten. In den Nilländern findet man zuerst unter dem sechszehnten Grade nördlicher Breite Meerkatzen; im Westen und Osten reichen sie bis hart an die Meeresküste. Feuchte oder wenigstens von Flüssen durchschnittene Waldungen werden von ihnen trockenen Berggegenden stets vorgezogen; in der Nähe von Feldern siedeln sie sich außerordentlich gern an. Recht deutlich bemerkt man bei ihnen die eigenthümliche Erscheinung, daß sich Affen und Papageien nicht bloß in Gestalt, Lebensart und Wesen, sondern auch hinsichtlich der Verbreitung entsprechen. Man darf mit Sicherheit darauf rechnen, daß man in Afrika da, wo man Papageien findet, auch unseren Meerkatzen begegnen wird, oder umgekehrt Papageien zu vermuthen hat, wo sich Meerkatzen aufhalten.
   Die Meerkatzen gehören zu den geselligsten, beweglichsten, lustigsten und, wie bemerkt, gemüthlichsten aller Affen. Man findet sie fast stets in ziemlichen Banden; Familien kommen kaum vor. Es ist eine wahre Lust, wenn man einer Herde dieser Thiere im Walde begegnet. Da kann man ein Leben, ein Schreien und Kämpfen, ein sich Zürnen und Versöhnen, ein Klettern und Laufen, Rauben und Plündern, Gesichterschneidenund Gliederverrenken bemerken! Sie bilden einen eigenen Staat und erkennen keinen Herrn über sich an, als den Stärkeren Ihresgleichen; sie beachten kein Recht, als das, welches durch spitze Zähne und kräftige Hände von dem alten Affenstammvater geübt wird; sie halten keine Gefahr für möglich, aus welcher es nicht auch einen Ausweg gebe; sie machen sich jede Lage behaglich, fürchten niemals Mangel und Noth und verbringen so ihr Leben in beständiger Regsamkeit und Fröhlichkeit. Ein grenzenloser Leichtsinn und ein höchst spaßhafter Ernst im Vereine ist ihnen eigen; mit beiden beginnen und vollbringen sie alle ihre Geschäfte. Kein Ziel ist zu weit gesteckt, kein Wipfel zu hoch, kein Schatz sicher genug, kein Eigenthum achtbar. So darf es uns nicht Wunder nehmen, daß die Eingeborenen Ostsudahns nur mit grenzenloser Verachtung und mit Zorn von ihnen sprechen; ebenso wenig aber wird man es dem unbetheiligten Beobachter verdenken, wenn er sie als höchst ergötzliche Wesen betrachtet. Aeußerst anziehend für den Beobachter ist es, wenn er eine auf Raub ausziehende Gesellschaft belauschen kann. Mich hat die Dreistigkeit, welche sie dabei zeigen, ebenso ergötzt, wie sie den Eingeborenen empörte. Unter Führung des alten, oft geprüften und wohlerfahrenen Stammvaters zieht die Bande der Thiere dem Getreidefelde zu; die Aeffinnen mit kleinen Kindern tragen diese in der oben beschriebenen Weise am Bauche, die Kleinen haben aber noch zum Ueberflusse auch mit ihrem Schwänzchen ein Häkchen um den Schwanz der Frau Mutter geschlagen. Anfangs nähert sich die Rotte mit großer Vorsicht, am liebsten, indem sie ihren Weg noch von einem Baumwipfel zum anderen verfolgt. Der alte Herr geht stets voran; die übrige Herde richtet sich nach ihm Schritt für Schritt und betritt nicht nur dieselben Bäume, sondern sogar dieselben Aeste wie er. Nicht selten steigt der vorsichtige Führer auf einem Baume bis in die höchste Spitze hinauf und hält von dort aus sorgfältige Umschau; wenn das Ergebnis derselben ein günstiges ist, wird es durch beruhigende Gurgeltöne seinen Unterthanen angezeigt, wenn nicht, die übliche Warnung gegeben. Von einem dem Felde nahen Baume steigt die Bande ab, und nun geht es mit tüchtigen Sprüngen dem Paradiese zu. Hier beginnt jetzt eine wirklich beispiellose Thätigkeit. Man deckt sich zunächst für alle Fälle. Rasch werden einige Maiskolben und Durrahähren abgerissen, die Körner enthülst und mit ihnen die weiten Backentaschen so voll gepfropft, als nur immer möglich; erst, wenn diese Vorrathskammern gefüllt sind, gestattet sich die Herde etwas mehr Lässigkeit, zeigt sich aber auch zugleich immer wählerischer, immer heikler in der Auswahl der Nahrung. Jetzt werden alle Aehren und Kolben, nachdem sie abgebrochen worden sind, erst sorgsam berochen, und wenn sie, was sehr häufig geschieht, diese Probe nicht aushalten, sofort ungefressen weggeworfen. Man darf darauf rechnen, daß von zehn Kolben erst einer wirklich gefressen wird; in der Regel nehmen die Schlecker bloß ein paar Körner aus jeder Aehre und werfen das Uebrige weg. Dies ist es eben, welches ihnen den grenzenlosen Haß der Eingeborenen zugezogen hat.
   Wenn sich die Affenherde im Fruchtfelde völlig sicher fühlt, erlauben die Mütter ihren Kindern, sie zu verlassen und mit Ihresgleichen zu spielen. Die strenge Aufsicht, unter welcher alle Kleinen von ihren Erzieherinnen gehalten werden, endet deshalb jedoch nicht, und jede Affenmutter beobachtet mit wachsamen Blicken ihren Liebling; keine aber bekümmert sich um die Sicherheit der Gesammtheit, sondern verläßt sich, wie alle übrigen Mitglieder der Bande, ganz auf die Umsicht des Herdenführers. Dieser erhebt sich selbst während der schmackhaftesten Mahlzeit von Zeit zu Zeit auf die Hinterfüße, stellt sich aufrecht wie ein Mensch und blickt in die Runde. Nach jeder Umschau hört man beruhigende Gurgeltöne, wenn er nämlich nichts Unsicheres bemerkt hat: im entgegengesetzten Falle stößt er einen unnachahmlichen, zitternden oder meckernden Ton zur Warnung aus. Hierauf sammelt sich augenblicklich die Schar seiner Untergebenen, jede Mutter ruft ihr Kind zu sich heran, und im Nu sind alle zur Flucht bereit; jeder aber sucht in der Eile noch so viel Futter aufzuraffen, als er fortbringen zu können glaubt. Ich habe es mehrmals gesehen, daß Affen fünf große Maiskolben mit sich nahmen. Davon umklammerten sie zwei mit dem rechten Vorderarme, die übrigen faßten sie mit der Hand und mit den Füßen, und zwar so, daß sie beim Gehen mit den Kolben den Boden berührten.
   Da die Leute keine Feuergewehre besitzen, wissen sie sich nur durch oftmaliges Verjagen der Affen zu schützen; denn alle anderen Kunstmittel zur Vertreibung fruchten bei diesen losen Geistern gar nichts – nicht einmal die sonst unfehlbaren Kraftsprüche ihrer Heiligen oder Zauberer; und eben deshalb sehen die braunen Leute Innerafrika‘s alle Affen als entschiedene Gottesleugner und Glaubensverächter an. Ein weiser Schech Ostsudahns sagte mir: »Glaube mir, Herr, den deutlichsten Beweis von der Gottlosigkeit der Affen kannst Du darin erblicken, daß sie sich niemals vor dem Worte des Gesandten Gottes beugen. Alle Thiere des Herrn achten und ehren den Propheten – Allahs Frieden sei über ihm! – die Affen verachten ihn. Derjenige, welcher ein Amulet schreibt und in seine Felder aufhängt, auf daß die Nilpferde, Elefanten und Affen seine Früchte nicht auffressen und seinen Wohlstand schädigen, muß immer erfahren, daß nur der Elefant dieses Warnungszeichen achtet. Das macht, weil er ein gerechtes Thier, der Affe aber ein durch Allahs Zorn aus dem Menschen in ein Scheusal verwandeltes Geschöpf ist, ein Sohn, Enkel und Urenkel des Ungerechten, wie das Nilpferd die abschreckende Hülle des scheußlichen Zauberers«.
   In Ostsudahn jagt man die Meerkatzen nicht, wohl aber fängt man sie, und zwar gewöhnlich in Netzen, unter denen man leckere Speisen aufstellt. Die Affen, welche den Köder wegnehmen wollen, werden von den Netzen bedeckt und verwickeln sich dergestalt in diese, daß sie nicht im Stande sind, sich frei zu machen, so wüthend sie auch sich geberden. Wir Europäer erlegten die Thiere mit dem Feuergewehre ohne alle Schwierigkeit, weil sie erst dann fliehen, wenn einige aus ihrer Mitte ihr Leben gelassen haben. Sie fürchten sich wenig oder nicht vor dem Menschen. Oft habe ich beobachtet, daß sie Fußgänger oder Reiter, Maulthiere und Kamele unter sich wegziehen ließen, ohne zu mucksen, während sie dagegen beim Anblicke eines Hundes sofort ihr Angstgeschrei ausstießen.
   Bei der Affenjagd ging es mir wie so vielen Anderen vor mir: sie wurde mit einmal gründlich verleidet. Ich schoß nach einer Meerkatze, welche mir gerade das Gesicht zudrehte; sie war getroffen und stürzte von dem Baume herab, blieb ruhig sitzen und wischte sich, ohne einen Laut von sich zu geben, das aus den vielen Wunden ihres Antlitzes hervorrieselnde Blut mit der einen Hand so menschlich, so erhaben ruhig ab, daß ich, aufs äußerste erregt, hinzueilte und, weil beide Läufe meines Gewehres abgeschossen waren, dem Thiere mein Jagdmesser mehrere Male durch die Brust stieß, um es von seinen Leiden zu befreien. Aber ich habe von diesem Tage an nie wieder auf kleine Affen geschossen und rathe Jedem davon ab, welcher nicht seiner wissenschaftlichen Arbeiten wegen auf die Affenjagd gehen muß. Mir war es immer, als habe ich einen Menschen gemordet, und das Bild des sterbenden Affen hat mich förmlich verfolgt.
   Von Raubthieren haben die freilebenden Meerkatzen nicht viel zu leiden. Den Raubsäugethieren gegenüber sind sie viel zu behend; höchstens der Leopard dürfte dann und wann ein noch unvorsichtiges Aeffchen sich erlisten. Den Raubvögeln widerstehen sie durch vereinigte Kraft. Einer der kühnsten Stößer ihrer Heimat ist unstreitig der gehäubte Habichtsadler (Spizaötos occipitalis). Er nimmt die bissigen Erdeichhörnchen ohne weiteres vom Boden weg und kümmert sich nicht im geringsten um ihre scharfen Zähne und um ihr Fauchen; an die Affen aber wagt er sich nur selten und wohl niemals ein zweites Mal. Davon habe ich mich selbst überzeugen können. Als ich eines Tages in den Urwäldern jagte, hörte ich plötzlich das Rauschen eines jener Räuber über mir und einen Augenblick später ein fürchterliches Affengeschrei: der Vogel hatte sich auf einen noch sehr jungen, aber doch schon selbständigen Affen geworfen und wollte diesen aufheben und an einen entlegenen Ort tragen, um ihn dort ruhig zu verspeisen. Allein der Raub gelang ihm nicht. Der von dem Vogel erfaßte Affe klammerte sich mit Händen und Füßen so fest an den Zweig, daß ihn jener nicht wegziehen konnte, und schrie dabei Zeter. Augenblicklich entstand ein wahrer Aufruhr unter der Herde, und im Nu war der Adler von vielleicht zehn starken Affen umringt. Diese fuhren unter entsetzlichem Gesichterschneiden und gellendem Schreien auf ihn los und hatten ihn sofort auch von allen Seiten gepackt. Jetzt dachte der Gaudieb schwerlich noch daran, die Beute zu nehmen, sondern gewiß bloß an sein eigenes Fortkommen. Doch dieses wurde ihm nicht so leicht. Die Affen hielten ihn fest und hätten ihn wahrscheinlich erwürgt, wenn er sich nicht mit großer Mühe frei gemacht und schleunigst die Flucht ergriffen hätte. Von seinen Schwanz– und Rükkenfedern aber flogen verschiedene in der Luft umher und bewiesen, daß er seine Freiheit nicht ohne Verlust erkauft hatte. Daß dieser Adler nicht zum zweiten Male auf einen Affen stoßen würde, stand wohl fest.
   Vor derartigen Raubthieren fürchten sich die Meerkatzen also ebenso wenig wie vor dem Menschen. Um so größeres Entsetzen bereiten ihnen Kriechthiere und Lurche, namentlich Schlangen. Ich habe zu erwähnen vergessen, daß unsere Affen Vogelnester jederzeit unbarmherzig ausnehmen und nicht bloß die Eier, sondern auch die jungen Vögel leidenschaftlich gern fressen. Wenn sie aber das Nest eines Höhlenbrüters ausplündern wollen, verfahren sie stets mit der größten Sorgfalt, eben aus dieser Furcht vor den Schlangen, welche oft in solchen Nestern ihrer Ruhe pflegen. Mehr als einmal habe ich gesehen, daß, wenn sie eine Baumhöhlung entdeckt hatten, sie stets sorgfältig untersuchten, ob nicht etwa eine Schlange darin wäre. Zuerst wurde hineingeschaut, so weit dies möglich war, hierauf nahmen sie das Ohr zur Hülfe, und wenn auch dieses ihnen nichts Ungewöhnliches mittheilte, streckten sie zögernd den einen Arm in die Höhle. Niemals tauchte ein Affe mit einem einzigen kühnen Griff in die Tiefe, sondern stets in Absätzen, immer ein Stückchen tiefer, und immer horchte und schaute er dazwischen wieder in das Loch hinein, ob sich darin das gefürchtete Kriechthier verrathe. In der Gefangenschaft habe ich ihre Angst vor den Schlangen noch ausführlicher beobachten können, – doch davon später.
   Als ich auf dem Blauen Flusse reiste, brachten mir die Einwohner eines Uferdorfes einmal fünf frischgefangene Meerkatzen zum Verkaufe. Der Preis war sehr niedrig; denn man verlangte bloß zehn Groschen unseres Geldes für eine jede. Ich kaufte sie in der Hoffnung, eine lustige Reisegesellschaft an ihnen zu bekommen, und band sie der Reihe nach am Schiffsbord fest. Meine Hoffnung schien jedoch nicht in Erfüllung gehen zu sollen; denn die Thiere saßen traurig und stumm neben einander, bedeckten sich das Gesicht mit beiden Händen wie tiefbetrübte Menschenkinder, fraßen nicht und ließen von Zeit zu Zeit traurige Gurgeltöne vernehmen, welche offenbar Klagen über das ihnen gewordene Geschick ausdrücken sollten. Es ist auch möglich, daß sie sich über die geeigneten Mittel beriethen, aus der Gefangenschaft wieder loszukommen; wenigstens schien mir ein Vorfall, welcher sich in der Nacht begab, Ergebnis ihrer Gurgelei zu sein. Am anderen Morgen nämlich saß bloß noch ein einziger Affe an seinem Platze, die übrigen waren entflohen. Kein einziger der Stricke, mit denen ich sie gefesselt hatte, war zerbissen oder zerrissen; die schlauen Thiere hatten vielmehr die Knoten sorgfältig gelöst, an ihren Gefährten aber, welcher etwas weiter von ihnen saß, nicht gedacht und so ihn in der Gefangenschaft sitzen lassen.
   Dieser übriggebliebene war ein Männchen und erhielt den Namen Koko. Ertrug sein Geschick mit Würde und Fassung. Die erste Untersuchung hatte ihn belehrt, daß seine Fesseln für ihn unlösbar seien, und ich meinestheils sah darauf, ihm diese Ueberzeugung noch mehr einzuprägen. Als Weltweiser schien sich Koko nun gelassen in das Unvermeidliche zu fügen und fraß schon gegen Mittag des folgenden Tages Durrahkörner und anderes Futter, welches wir ihm vorwarfen. Gegen uns war er heftig und biß Jeden, der sich ihm nahte; doch schien sein Herz nach einem Gefährten sich zu sehnen. Er sah sich unter den anderen Thieren um und wählte sich unbedingt den sonderbarsten Kauz, welchen er sich hätte aussuchen können: einen Nashornvogel nämlich, welchen wir aus seinem heimatlichen Walde mitgebracht hatten. Wahrscheinlich hatte ihn die Gutmüthigkeit des Vogels bestochen. Die Verbindung beider wurde bald eine sehr innige. Koko behandelte seinen Pflegling mit unverschämter Anmaßung; dieser aber ließ alles sich gefallen. Er war frei und konnte hingehen, wohin er wollte; gleichwohl näherte er sich oft aus freien Stücken dem Affen und ließ nun über sich ergehen, was diesem gerade in den Sinn kam. Daß der Vogel Federn anstatt der Haare hatte, kümmerte Koko sehr wenig: sie wurden ebenso gut nach Läusen durchsucht wie das Fell der Säugethiere, und der Vogel schien wirklich bald so daran sich zu gewöhnen, daß er später gleich von selbst die Federn sträubte, wenn der Affe sein Lieblingswerk begann. Daß ihn dieser während des Reinigens hin– und herzog, ihn beim Schnabel, an einem Beine, an dem Halse, an den Flügeln und an dem Schwanze herumriß, brachte das gutmüthige Geschöpf ebenso wenig auf. Er hielt sich zuletzt regelmäßig in der Nähe des Affen auf, fraß das vor diesem liegende Brod weg, putzte sich und schien seinem Freund fast herausfordern zu wollen, mit ihm sich zu beschäftigen. Die beiden Thiere lebten mehrere Monate in engster Gemeinschaft zusammen, auch später noch, als wir nach Chartum zurückgekehrt waren und der Vogel im Hofe frei umherlaufen konnte. Erst der Tod des letzteren löste das schöne Verhältnis. Koko war wieder allein und langweilte sich.
   Ein junger, mutterloser Affe gewährte Koko‘s Herzen endlich die nöthige Beschäftigung. Gleich als er das kleine Thierchen erblickte, war er außer sich vor Freude und streckte verlangend die Hände nach ihm aus; wir ließen den Kleinen los und sahen, daß er selbst sofort zu Koko hinlief. Dieser erblickte den angenommenen Pflegesohn fast mit Freundschaftsbezeigungen, drückte ihn an sich, gurgelte vergnügt und begann sodann vor allen Dingen die allersorgfältigste Reinigung seines vernachlässigten Felles.
   Leider starb dieses Aeffchen trotz aller ihm erwiesenen Sorgfalt nach wenigen Wochen. Koko war außer sich vor Schmerz. Ich habe oft tiefe Trauer bei Thieren beobachtet, niemals aber in dem Grade, wie unser Affe jetzt sie zeigte. Zuerst nahm er seinen todten Liebling in die Arme, hätschelte und liebkoste ihn, ließ die zärtlichsten Töne hören, setzte ihn dann an seinem bevorzugten Platze auf den Boden, sah ihn immer wieder zusammenbrechen, immer unbeweglich bleiben, und brach nun von neuem in wahrhaft herzbrechende Klagen aus. Die Gurgeltöne gewannen einen Ausdruck, welchen ich vorher nie vernommen hatte; sie wurden ergreifend weich, ton– und klangreich, und dann wieder unendlich schmerzlich, schneidend und verzweiflungsvoll. Immer und immer wiederholte er seine Bemühungen, immer wieder sah er keinen Erfolg und begann dann wieder zu klagen und zu jammern. Sein Schmerz hatte ihn veredelt und vergeistigt; er rührte uns und bewegte uns zu dem tiefsten Mitleide. Ich ließ endlich das Aeffchen wegnehmen, weil schon wenige Stunden nach dessen Tode die Fäulnis begann, und die kleine Leiche über eine hohe Mauer werfen. Koko hatte aufmerksam zugesehen, geberdete sich wie toll, zerriß in wenig Minuten seinen Strick sprang über die Mauer hinweg, holte sich den Leichnam und kehrte mit ihm in den Armen auf seinen alten Platz zurück. Wir banden ihn wieder fest, nahmen ihm den Todten nochmals und warfen ihn weiter weg; Koko befreite sich zum zweiten Male und that wie vorher. Endlich vergruben wir das Thier. Eine halbe Stunde später war Koko verschwunden. Am anderen Tage erfuhren wir, daß in dem Walde eines nahen Dorfes, welcher sonst nie Affen beherbergte, ein menschengewöhnter Affe zu sehen gewesen sei.


   Hulman

   Unter den Schlankaffen verdient insbesondere berücksichtigt zu werden der Hulman oder Huneman, wie die Hindus ihn nennen, der Mandi der Malabaren oder der Marbur der Mahratten-der heilige Affe der Inder (Semnopithecus entellus), welcher abgöttisch verehrt wird. Er ist der gemeinste und in den meisten Gegenden Niederindiens vorkommende Affe und verbreitet sich immer mehr, weil man ihn nicht allein schützt und hätschelt, sondern in gewissen Gegenden auch einführt. Doch kommt er nur jenseit des Ganges und Dschumma, nicht im Himalaya vor. Die Gesammtlänge des ausgewachsenen Männchens beträgt nach Elliot 1,57 Meter, wovon freilich 97 Centim. auf den verhältnismäßig ungemein langen, gequasteten Schwanz kommen, das Gewicht 11 Kilogramm. Die Färbung des Pelzes ist gelblichweiß, die der nackten Theile dunkelviolett. Gesicht, Hände und Füße, so weit sie behaart sind, und ein steifer Haarkamm, welcherüber die Augen verläuft, sind schwarz; der kurze Bart dagegen ist gelblich.
   Der Hulman nimmt einen der ersten Plätze unter den dreißig Millionen Gottheiten der Hindu ein und erfreut sich dieser Ehre schon seit undenklichen Zeiten. Der Riese Ravan, so berichtet die altindische Sage, raubte Sita, die Gemahlin des Schri-Rama, und brachte sie nach seiner Wohnung auf der Insel Ceilon; der Affe aber befreite die Dame aus ihrer Gefangenschaft und führte sie zu ihrem Gemahle zurück. Seitdem gilt er als Held. Viel wird berichtet von der Stärke seines Geistes und von seiner Schnelligkeit. Eine der geschätzesten Früchte, die Mango, verdank man ihm ebenfalls, er stahl sie aus dem Garten des Riesen. Zur Strafe für seinen Diebstahl wurde er zum Feuertode verurtheilt – von wem, wird nicht gesagt –, löschte aber das Feuer aus und verbrannte sich dabei Gesicht und Hände, welche seitdem schwarz blieben. Dies sind die Gründe, welche die Brahmanen bestimmten, ihn zu vergöttern.
   Schon seit vielen Jahren hat man diesen Affen in seinem Vaterlande beobachtet; allein gerade deshalb sind wir am spätesten mit ihm bekannt geworden. Viele Reisende, selbst Naturforscher der neueren Zeit, verwechselten den Hulman mit einem den Himalaya bewohnenden Verwandten (Semnopithecus schistaceus) und riefen dadurch Verwirrung hervor. Zudem war man der Meinung, daß ein so gemeines Tier auch oft nach Europa gebracht worden sein müsse, und verschmähte es daher, unseren Hulman auszustopfen und den Balg nach Europa zu senden. Hierzu kommt noch, daß es Schwierigkeiten oder vielmehr Gefahren hat, das heilige Thier zu tödten; denn bloß die Mahratten erweisen ihm keine Achtung, während fast alle übrigen Indier ihn hegen und pflegen, schützen und vertheidigen, wo sie nur können. Ein Europäer, welcher es wagt, das unverletzliche Thier anzugreifen, setzt sein Leben aufs Spiel, wenn er der einzige Weiße unter der leichterregbaren Menge ist. Der Affe gilt eben als Gott. Eine regierende Familie behauptet, von ihm abzustammen, und ihre Mitglieder führen den Titel: »geschwänzte Rana«, weil sie vorgeben, daß ihr Ahnherr mit dem uns unnöthig erscheinenden Anhängsel begabt gewesen sei. Ein portugiesischer Vicekönig von Indien, Constantino de Braganza, erbeutete einen Affenzahn aus dem Schatze eines Fürsten von Ceilon und erhielt bald darauf eine besondere Gesandtschaft des Königs von Pegu, welche ihm 300,000 Cruzaden anbieten ließ, wenn er ihr das kostbare Kleinod überlassen wolle. Solch eine hohe Summe dürfte wohl niemals für einen Zahn geboten worden sein; um so mehr aber muß es verwundern, daß jenes Gebot von den Europäern nicht angenommen wurde. Der Vicekönig versammelte seine Räthe, und die weltlichen suchten ihn selbstverständlich zu überreden, diese bedeutende Summe anzunehmen; ein Pfaffe aber war dagegen, und zwar aus dem Grunde, weil er behauptete, daß man durch solchen Handel dem heidnischen Zauber– und anderen Aberglauben nur Vorschub leisten würde. Im Grunde könnte uns dies zwar gleichgültig sein, wäre nicht dadurch ein Ueberbleibsel zerstört worden, welches für die Geschichte der indischen Götterlehre und auch für die Naturwissenschaft von Wichtigkeit gewesen sein würde. Man hätte nach diesem einzigen Zahne recht gut bestimmen können, welcher Affe der Träger des kostbaren Kleinods gewesen sei.
   Heutzutage noch ist die Achtung gegen das heilige Thier dieselbe wie früher. Die Indier lassen sich von dem unverschämten Gesellen ruhig ihre Gärten plündern und ihre Häuser ausstehlen, ohne irgend etwas gegen ihn zu thun, und betrachten Jeden mit schelen Augen, welcher es wagt, den Gott zu beleidigen.
   Das tägliche Treiben und gesellige Leben der Hulmans ist das aller Hundsaffen. Sie bilden im Walde, ihrem eigentlichen Wohngebiete, zahlreiche Banden, denen ein aus hartnäckigen Kämpfen siegreich hervorgegangenes Männchen vorsteht, und streifen unter dessen Führung plündernd, raubend und mehr verwüstend als verbrauchend in ihm und in den benachbarten Feldern und Gärten umher, Gebrandschatzten zur Geisel, frommen Narren und unbetheiligten Forschern zur Augenweide. Ihre Vermehrung in günstigen Gegenden ist eine Besorgnis erregende; dagegen sterben sie erwiesenermaßen in höher gelegenen Gegenden Oberindiens, woselbst sie eingeführt wurden und werden, bald wieder aus. Blyth berichtet, daß hier und da alle halberwachsenen oder besiegten Männchen eine Bande von dem sein Haremsrecht wahrenden Affensultan ausgetrieben und gezwungen werden, sich eigene Vereine zu bilden, erfuhr auch von den Eingeborenen, daß des Streitens und Kämpfens unter verschiedenen Männchen kein Ende wäre; Hutton beobachtete Aehnliches von dem auf dem Himalaya lebenden Verwandten des Hulman. Beide unternehmen, wie es scheint, zuweilen größere Streifzüge oder Wanderungen, jenerbei Eintritt kalter Witterung in seinen Höhen, dieser, um nach Art bettelnder Mönche von der blindgläubigen Bevölkerung Zoll zu erheben.


   Der Orang-Utan

   Der Orang-Utan (Simia satyrus) [Heute: Pongo pygmaeus] ist seit alter Zeit bekannt. Schon Plinius gibt an, daß es auf den indischen Bergen Satyrn gäbe, »sehr bösartige Thiere mit einem Menschengesicht, welche bald aufrecht, bald auf allen Vieren gingen und wegen ihrer Schnelligkeit nur gefangen werden könnten, wenn sie alt oder krank seien«. Seine Erzählung erbt sich fort von Jahrhundert zu Jahrhundert und empfängt von jedem neuen Bearbeiter Zusätze. Man vergißt fast, daß man noch von Thieren redet; aus den Affen werden beinahe wilde Menschen. Uebertreibungen jeder Art verwirren die ersten Angaben und entstellen die Wahrheit. Bontius, ein Arzt, welcher um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts auf Java lebte, spricht wieder einmal aus eigener Anschauung. Er sagt, daß er den Waldmenschen einigemal gesehen habe, und zwar ebensowohl Männer als Weiber. Sie gingen öfters aufrecht und geberdeten sich ganz wie andere Menschen. Bewunderungswürdig wäre ein Weibchen gewesen. Es habe sich geschämt, wenn es unbekannte Menschen betrachtet hätten, und nicht nur das Gesicht, sondern auch seine Blöße mit den Händen bedeckt; es habe geseufzt, Thränen vergossen und alle menschlichen Handlungen so ausgeübt, daß ihm nur die Sprache gefehlt habe, um wie ein Mensch zu sein. Die Javaner behaupten, daß die Affen wohl reden könnten, wenn sie nur wollten, es jedoch nicht thäten weil sie fürchteten, arbeiten zu müssen. Daß die Waldmenschen aus der Vermischung von Affen und indianischen Weibern entständen, sei ganz sicher. Schouten bereichert diese Erzählung durch einige Entführungsgeschichten, in denen Waldmenschen der angreifende, malaiische Mädchen aber der leidende Theil sind. Es versteht sich fast von selbst, daß die Orang-Utans nach allen diesen Erzählungen aufrecht auf den Hinterfüßen gehen, obwohl hinzugefügt wird, »daß sie auch auf allen vier Beinen laufen könnten«. Eigentlich sind die Reisebeschreiber an den Uebertreibungen, welche sie auftischen, unschuldig; denn sie geben bloß die Erzählungen der Eingeborenen wieder. Diese wußten sich natürlich die Theilnahme der Europäer für unsere Affen zu Nutze zu machen, weil sie ihnen solche verkaufen wollten und deshalb ihre Waare nach Kräften priesen, – nicht mehr und nicht minder, als es Thierschausteller bei uns zu Lande heutigen Tages auch noch thun.
   Dank den trefflichen Forschungen Wallace‘s sind wir über das Freileben des Orang-Utan genauer unterrichtet als über das jedes anderen Menschenaffen. Der genannte Reisende hatte die beste Gelegenheit, das Thier kennen zu lernen und die Berichte der Eingeborenen mit seinen eigenen Beobachtungen zu vergleichen. Zur Ehre seiner Vorgänger, von denen mehrere namentlich Owen, Kessel und Brooke bemüht waren, ihre Schilderungen von Fabeln und Irrthümern zu reinigen, muß ich sagen, daß unser Gewährsmann, obgleich er nur eigene Beobachtungen wiedergibt, die Angaben jener in allem wesentlichen bestätigt.
   »Man weiß«, sagt er, »daß der Orang-Utan Sumatra und Borneo bewohnt, und hat guten Grund zu glauben, daß er auf diese beiden großen Inseln beschränkt ist. Jedoch scheint er auf der ersteren viel seltener zu sein als auf der letzteren. Hier hat er eine weite Verbreitung. Er bewohnt ausgedehnte Gegenden der Südwest-, Südost-, Nordost– und Nordwestküsten, hält sich aber ausschließlich in niedrig gelegenen und sumpfigen Wäldern auf. In Sadong findet man ihn bloß in flachen, wasserreichen, mit hohem Urwalde bedeckten Gegenden. Ueber die Sümpfe erheben sich viele vereinzelt stehende Berge, welche zum Theil von Dajaks bewohnt werden und mit Fruchtbäumen bebaut worden sind. Sie bilden für den Meias einen Anziehungspunkt; denn er besucht sie ihrer Früchte halber, obwohl er sich des Nachts stets in den Sumpfwald zurückzieht. In allen Gegenden, wo der Boden sich etwas erhebt und trocken ist, wohnt der OrangUtan nicht. So kommt er beispielsweise in den tieferen Thälern des Sadonggebietes häufig vor, fehlt dagegen jenseits der Grenze, innerhalb welcher Ebbe und Flut bemerkbar sind. Der untere Theil des Saravakthales nun ist sumpfig, jedoch nicht überall mit hohem Walde bedeckt, sondern meist von der Ripapalme bestanden, und nahe der Stadt Saravak wird das Land trocken und hügelig und ist in Besitz genommen von kleinen Strecken Urwald mit Dschungeln. Eine große Fläche ununterbrochenen und gleichmäßig hohen Urwaldes ist für das Wohlbefinden unseres Affen Bedingung.
   Es ist ein seltsamer und fesselnder Anblick, einen Meias gemächlich seinen Weg durch den Wald nehmen zu sehen. Er geht umsichtig einen der größeren Aeste entlang in halb aufrechter Stellung, zu welcher ihn die bedeutende Länge seiner Arme und die verhältnismäßige Kürze seiner Beine nöthigen, und zwar bewegt er sich wie seine Verwandten, indem er auf den Knöcheln, nicht wie wir auf den Sohlen geht. Stets scheint er solche Bäume zu wählen, deren Aeste mit denen des nächst stehenden verflochten sind, streckt, wenn er nahe ist, seine langen Arme aus, faßt die betreffenden Zweige mit beiden Händen, scheint ihre Stärke zu prüfen und schwingt sich dann bedächtig hinüber auf den nächsten Ast, auf welchem er wie vorher weiter geht. Nie hüpft oder springt er, niemals scheint er auch nur zu eilen, und doch kommt er fast ebenso schnell fort, wie Jemand unter ihm durch den Wald laufen kann.« – An einer anderen Stelle meint Wallace, daß er im Laufe einer Stunde bequem eine Entfernung von fünf bis sechs englischen Meilen zurücklegen könne. »Die langen mächtigen Arme sind für ihn von größtem Nutzen; sie befähigen ihn, mit Leichtigkeit die höchsten Bäume zu erklimmen, Früchte und junge Blätter von dünnen Zweigen, welche sein Gewicht nicht aushalten würden, zu pflücken und Blätter und Aeste zu sammeln, um sich ein Nest zu bauen.« Ein von unserem Forscher verwundeter Orang-Utan zeigte seinem Verfolger, in welcher Weise der Bau solches Nestes geschieht. »Sobald ich geschossen hatte«, erzählt Wallace, »kletterte der Meias höher im Wipfel des Baumes hinauf und hatte bald die höchsten Spitzen desselben erreicht. Hier begann er sofort rings herum Zweige abzubrechen und sie Kreuz und Quer zu legen. Der Ort war trefflich gewählt. Außerordentlich schnell griff er mit seinem einzigen noch unverwundeten Arme nach jeder Richtung hin, brach mit der größten Leichtigkeit starke Aeste ab und legte sie rückwärts quer übereinander, so daß er in wenigen Minuten eine geschlossene Masse von Laubwerk gebildet hatte, welche ihn meinen Blicken gänzlich entzog. Ein ähnliches Nest benutzt der Meias auch fast jede Nacht zum Schlafen; doch wird dieses meist niedriger auf einem kleinen Baume angebracht, in der Regel nicht höher als acht bis fünfzehn Meter über dem Boden, wahrscheinlich weil es hier weniger den Winden ausgesetzt ist als oben. Der Meias soll sich in jeder Nacht ein neues machen; ich halte dies jedoch deshalb kaum für wahrscheinlich, weil man die Ueberreste häufiger finden würde, wenn das der Fall wäre. Die Dajaks sagen, daß sich der Affe, wenn es sehr naß ist, mit Pandanblättern oder sehr großen Farnen bedeckt. Das hat vielleicht zu dem Glauben verleitet, daß er sich eine Hütte in den Bäumen erbaue.
   Aeußerst selten steigt der Orang-Utan auf die Erde herab, wahrscheinlich nur dann, wenn er, vom Hunger getrieben, saftige Schößlinge am Ufer sucht oder wenn er bei sehr trockenem Wetter nach Wasser geht, von welchem er für gewöhnlich genug in den Höhlungen der Blätter findet. Nur einmal sah ich zwei halberwachsene Orangs auf der Erde in einem trockenen Loche am Fuße der Sienunjonhügel. Sie spielten zusammen, standen aufrecht und faßten sich gegenseitig an den Armen an. Niemals geht dieser Affe aufrecht, es sei denn, daß er sich mit den Händen an höheren Zweigen festhalte, oder aber, daß er angegriffen werde. Abbildungen, welche ihn darstellen, wie er mit einem Stocke geht, sind gänzlich aus der Luft gegriffen.
   Vor dem Menschen scheint sich der Meias nicht sehr zu fürchten. Diejenigen, welche ich beobachtete, glotzten häufig einige Minuten lang auf mich herab und entfernten sich dann nur langsam bis zu einem benachbarten Baume.
   Die Dajaks sagen, daß der Meias niemals von Thieren im Walde angefallen wird, mit zwei seltenen Ausnahmen. Alle Dajakshäuptlinge, welche ihr ganzes Leben an Orten zugebracht haben, wo das Thier häufig vorkommt, versicherten: Kein Thier ist stark genug, um den Meias zu verletzen, und das einzige Geschöpf, mit dem er überhaupt kämpft, ist das Krokodil. Wenn er kein Obst im Dschungel findet, geht er an die Flußufer, um hier junge Schößlinge und Früchte, welche dicht am Wasser wachsen, zu fressen. Dann versucht es das Krokodil, ihn zu packen; der Meias aber springt auf dasselbe, schlägt es mit Händen und Füßen, zerfleischt und tödtet es. Der Mann fügte hinzu, daß er einmal solchem Kampfe zugeschaut habe, und versicherte, daß der Meias stets Sieger bleibe. Ein anderer Häuptling sagte mir Folgendes: Der Meias hat keine Feinde, denn kein Thier wagt es, ihn anzugreifen, bis auf das Krokodil und die Tigerschlange. Er tödtet aber das Krokodil stets durch seine gewaltige Kraft, indem er sich auf dasselbe stellt, seine Kiefern aufreißt und ihm die Kehle aufschlitzt. Greift eine Tigerschlange den Meias an, so packt er sie mit seinen Händen, beißt sie und tödtet sie bald. Der Meias ist sehr stark: kein Thier im Dschungel ist so kräftig wie er.
   Ausnahmsweise geschieht es wohl auch, daß ein Orang-Utan mit Menschen kämpft. Eines Tages kamen einige Dajaks zu mir, um mir zu erzählen, daß ein Meias am gestrigen Tage einen ihrer Genossen beinahe getödtet habe. Einige Meilen den Fluß hinab steht das Haus eines Dajak, und die Bewohner sahen einen großen Orang-Utan, welcher sich an den Schößlingen einer Palme am Ufer gütlich that. Aufgeschreckt zog er sich in das Dschungel zurück, und eine Anzahl mit Speeren und Beilen bewaffneter Männer liefen hin, um ihm den Weg abzuschneiden. Der vorderste Mann versuchte seinen Speer durch den Körper des Thieres zu rennen; der Meias aber ergriff seinen Gegner mit den Händen, packte in demselben Augenblicke den Arm mit dem Maule und wühlte sich mit den Zähnen in die Muskeln über dem Elnbogen ein, sie entsetzlich zerreißend und zerfetzend. Wären die Anderen nicht zur Stelle gewesen, er würde den Mann noch weit ernstlicher verletzt, wenn nicht getödtet haben. Die Gefährten aber machten das muthige Thier bald mit ihren Speeren und Beilen nieder. Der Verwundete blieb lange Zeit krank und erlangte den Gebrauch seines Armes niemals vollständig wieder.« Von der Wahrheit dieser Erzählung konnte sich Wallace selbst überzeugen, weil er am nächsten Tage den Kampfplatz besuchte und dem getödteten Orang-Utan den Kopf abschnitt, um diesen seinen Sammlungen einzuverleiben.
   Gelegentlich einer seiner Jagden erlangte unser Forscher auch einen jungen Orang-Utan. Von Dajaks herbeigerufen, sah er einen großen Meias sehr hoch auf einem Baume sitzen und erlegte ihn mit drei Schüssen. Während die Leute ihn zurüsteten, um ihn nach Hause zu tragen, bemerkte man noch ein Junges, welches mit seinem Kopfe im Sumpfe lag. »Dieses kleine Geschöpf«, berichtet Wallace, »war nur einen Fuß lang und hatte augenscheinlich am Halse der Mutter gehangen, als sie vom Baume herabfiel. Glücklicherweise schien es nicht verwundet zu sein, und nachdem der Mund vom Schlamme gesäubert worden war, fing es an zu schreien und schien kräftig und lebhaft. Als ich es nach Hause trug, gerieth es mit seinen Händen in meinen Bart und faßte so fest hinein, daß ich große Mühe hatte, frei zu kommen; denn die Finger sind gewöhnlich am letzten Gelenke hakenartig nach innen gebogen. Es hatte noch keinen einzigen Zahn; doch kamen einige Tage darauf die beiden unteren Vorderzähne zum Vorscheine. Unglücklicherweise konnte ich keine Milch schaffen, da weder Malaien noch Chinesen noch Dajaks dieses Nahrungsmittel verwenden, und vergeblich bemühte ich mich um ein weibliches Thier, welches mein Kleines säugen könnte. Ich sah mich daher genöthigt, ihm Reiswasser aus der Saugflasche zu geben. Dies aber war doch eine zu magere Kost, und das kleine Geschöpf gedieh auch nicht gut dabei, obgleich ich gelegentlich Zucker und Kokosnußmilch hinzufügte, um die Atzung nahrhafter zu machen. Wenn ich meinen Finger in seinen Mund steckte, saugte es mit großer Kraft, zog seine Bakken mit aller Macht ein und strengte sich vergeblich an, etwas Milch herauszuziehen, und erst nachdem es das eine Zeitlang getrieben hatte, stand es mismuthig davon ab und fing ganz wie ein Kind unter ähnlichen Umständen zu schreien an. Liebkoste und wartete man es, so war es ruhig und zufrieden; sowie man es aber ablegte, schrie es stets, namentlich in den ersten paar Nächten, welche es unter großer Unruhe verbrachte. Ich machte einen kleinen Kasten als Wiege zurecht und reichte ihm eine weiche Matte, welche täglich gewechselt und gereinigt wurde, fand es jedoch sehr bald nöthig, auch den kleinen Meias zu waschen. Diese Behandlung gefiel ihm, nachdem er sie einige Male durchgemacht hatte, in so hohem Grade, daß er zu schreien begann, sobald er schmutzig war, und nicht eher aufhörte, als bis ich ihn herausnahm und nach dem Brunnen trug. Obwohl er beim ersten kalten Wasserstrahl etwas strampelte und sehr komische Grimassen schnitt, beruhigte er sich dann doch sofort, wenn das Wasser über seinen Kopf lief. Das Abwaschen und Trockenreiben liebte er außerordentlich, und vollkommen glücklich schien er zu sein, wenn ich sein Haar bürstete. Dann lag er ganz still und streckte Arme und Beine von sich, während ich das lange Haar auf Rücken und Armen strählte. In den ersten paar Tagen klammerte er sich mit allen Vieren verzweifelt an alles, was er packen konnte, und ich mußte meinen Bart sorgfältig vor ihm in Acht nehmen, da seine Finger das Haar hartnäckiger als irgend etwas festhielten, und ich mich ohne Hülfe unmöglich von ihm befreien konnte. Wenn er aber ruhig war, wirtschaftete er mit den Händen in der Luft umher und versuchte irgend etwas zu ergreifen. Gelang es ihm, einen Stock oder einen Lappen mit zwei Händen oder mit diesen und einem Fuße zu fassen, so schien er ganz glücklich zu sein. In Ermangelung eines anderen ergriff er oft seine eigenen Füße, und nach einiger Zeit kreuzte er fast beständig seine Arme und packte mit jeder Hand das lange Haar unter der entgegengesetzten Schulter. Bald aber ließ seine Kraft nach, und ich mußte auf Mittel sinnen, ihn zu üben und seine Glieder zu stärken. Zu diesem Zwecke verfertigte ich ihm eine kurze Leiter mit drei oder vier Sprossen und hing ihn eine Viertelstunde lang an dieselbe. Zuerst schien ihm dies zu gefallen; er konnte jedoch nicht mit Händen und Füßen in eine bequeme Lage kommen und ließ, nachdem er jene verschiedene Male geändert hatte, eine Hand nach der anderen los, bis er zuletzt auf den Boden herabfiel. Manchmal, wenn er nur an zwei Händen hing, ließ er eine los und kreuzte sie nach der gegenüberliegenden Schulter, um hier sein eigenes Haar zu packen, und da ihm dieses meist angenehmer als der Stock zu sein schien, ließ er auch die andere los, fiel herab, kreuzte beide Arme und lag zufrieden auf dem Rücken. Da ich sah, daß er Haar so gern hatte, bemühte ich mich, ihm eine künstliche Mutter herzustellen, indem ich ein Stück Büffelhaut in einen Bündel zusammenschnürte und niedrig über dem Boden aufhing. Zuerst schien ihm dasselbe ausgezeichnet zu gefallen, weil er mit seinen Beinen nach Belieben umherzappeln konnte und immer etwas Haar zum Festhalten fand. Meine Hoffnung, die kleine Waise glücklich gemacht zu haben, schien erfüllt. Bald aber erinnerte er sich seiner verlorenen Mutter und versuchte zu saugen. Dazwischen zog er sich so viel als möglich in die Höhe und suchte nun überall nach der Saugwarze, bekam aber nur den Mund voll Haare und Wolle, wurde verdrießlich, schrie heftig und ließ nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen gänzlich von seinem Vorhaben ab.
   Als ich meinen jungen Meias ungefähr drei Wochen besaß, bekam ich glücklicherweise einen jungen Makaken, welcher klein aber sehr lebhaft war und allein fressen konnte. Ich setzte ihn zu dem Meias, und sie wurden sogleich die besten Freunde. Keiner fürchtete sich im geringsten vor dem anderen. Der kleinere Makak setzte sich ohne die mindeste Rücksicht auf den Leib, ja selbst auf das Gesicht des Meias, und während ich diesen fütterte, pflegte jener dabei zu sitzen und alles aufzunaschen, was daneben fiel, gelegentlich auch mit seinen Händen den Löffel aufzufangen. War ich mit der Atzung fertig geworden, so leckte er das, was an den Lippen des Meias saß, begierig ab und riß diesem schließlich das Maul auf, um zu sehen, ob noch etwas darin sei. Den Leib seines Gefährten betrachtete er wie ein bequemes Kissen, indem er sich oft darauf niederlegte, und der hülflose Meias ertrug allen Uebermuth seines Gefährten mit der beispiellosesten Geduld; denn er schien zu froh zu sein, überhaupt etwas Warmes in seiner Nähe oder einen Gegenstand zur Verfügung zu haben, um den er zärtlich seine Arme schlingen konnte. Nur wenn sein Gefährte weggehen wollte, hielt er ihn so lange, als er konnte, an der beweglichen Haut des Rückens oder Kopfes oder auch wohl am Schwanze fest, und der Makak vermochte nur nach vielen kräftigen Sprüngen sich los zu machen. Merkwürdig war das verschiedene Gebaren dieser zwei Thiere, welche im Alter nicht weit auseinander sein konnten. Der Meias benahm sich ganz wie ein kleines Kind, lag hülflos auf dem Rücken, rollte sich langsam hin und her, streckte alle Viere in die Luft, in der Hoffnung, irgend etwas zu erhaschen, war aber noch kaum im Stande, seine Finger nach einem bestimmten Gegenstande hinzubringen, öffnete, wenn er unzufrieden war, seinen fast zahnlosen Mund und druckte seine Wünsche durch ein sehr kindliches Schreien aus; der junge Makak dagegen war in beständiger Bewegung, lief und sprang umher, wann und wo es ihm Vergnügen machte, untersuchte alles, ergriff mit der größten Sicherheit die kleinsten Dinge, erhielt sich mühelos auf dem Rande des Kastens im Gleichgewichte, kletterte an einem Pfahle hinauf und setzte sich in den Besitz von allem Eßbaren, welches ihm in den Weg kam. Man konnte keinen größeren Gegensatz sich denken: der Meias erschien neben dem Makaken noch mehr denn als ein kleines Kind.
   Nachdem ich meinen Gefangenen ungefähr einen Monat besessen hatte, zeigte sich, daß er wohl allein laufen lernen würde. Wenn man ihn auf die Erde legte, stieß er sich mit den Beinen weiter oder überstürzte sich und kam so schwerfällig vorwärts. Wenn er im Kasten lag, pflegte er sich am Rande gerade aufzurichten, und es gelang ihm auch ein– oder zweimal bei dieser Gelegenheit, sich herauszuhelfen. War er schmutzig oder hungrig, oder fühlte er sich sonst vernachlässigt, so begann er heftig zu schreien, bis man ihn wartete. Wenn Niemand im Hause war, oder wenn man auf sein Schreien nicht kam, wurde er nach einiger Zeit von selbst ruhig. Sowie er aber dann einen Tritt hörte, fing er wiederum so ärger an.
   Nach fünf Wochen kamen seine beiden oberen Vorderzähne zum Vorscheine. In der letzten Zeit war er nicht im geringsten gewachsen, sondern an Größe und Gewicht derselbe geblieben wie anfangs. Das kam zweifellos von dem Mangel an Milch oder anderer ebenso nahrhafter Kost her. Reiswasser, Reis und Zwieback waren doch nur dürftige Ersatzmittel, und die ausgepreßte Milch der Kokosnuß, welche ich ihm manchmal gab, vertrug sich nicht mit seinem Magen. Dieser Nahrung hatte ich auch eine Erkrankung an Durchfall zuzuschreiben, unter welcher das arme kleine Geschöpf sehr litt; doch gelang es mir, ihn durch eine geringe Gabe Ricinusöl wieder herzustellen. Eine oder zwei Wochen später wurde er wieder krank und diesmal ernstlicher. Die Erscheinungen waren genau die des Wechselfiebers, auch von Anschwellungen der Füße und des Kopfes begleitet. Er verlor alle Eßlust und starb, nachdem er in einer Woche bis zu einem Jammerbilde abgezehrt war. Der Verlust meines kleinen Lieblings, den ich fast drei Monate besessen und groß zu ziehen gehofft hatte, that mir außerordentlich leid. Monatelang hatte er mir durch sein trolliges Gebaren und seine unnachahmlichen Grimassen das größte Vergnügen bereitet.«


   Gorilla

   Der Gorilla »Njina«, oder »Ingiine« der Eingeborenen (Anthropopithecus gorilla) [Heute: Gorilla gorilla], Vertreter einer besonderen Sippe oder doch Untersippe (Gorilla), ist zwar etwas kleiner, aber bei weitem breitschulteriger als ein starker Mann.
   Bis jetzt ist es noch nicht möglich gewesen, den Verbreitungskreis des Gorilla genau abzugrenzen, insbesondere wissen wir nicht, wie weit derselbe in das Innere des Erdtheiles sich erstreckt. Einstweilen haben wir die zwischen dem Gleicher [Äquator] und dem fünften Grade südlicher Breite gelegenen Länder der Westküste Afrikas als seine Heimat, die von den Flüssen Gabun, Muni und Fernandovaz durchschnittenen Urwaldungen als seine Aufenthaltsorte anzusehen. Abgesehen von Hanno, berichtet zuerst Andreas Battell über die großen Menschenaffen Westafrikas. Gelegentlich der Beschreibung von Majumba und des an der Loangoküste mündenden Stromes, welchen er Banna nennt, sagt er: »Die Wälder sind derartig überfüllt mit Pavianen, Meerkatzen, Affen und Papageien, daß sich jedermann fürchtet, in denselben zu reisen. Namentlich gilt dies für zwei Ungeheuer, welche in diesen Waldungen leben und im höchsten Grade gefährlich sind. Das größte dieser Scheusale wird von den Eingeborenen ›Pongo‹, das kleinere ›Ensego‹ genannt. Der Pongo hat den Gliederbau eines Menschen, ähnelt aber eher einem Riesen als einem Manne; denn er ist sehr groß und besitzt zwar das Antlitz eines Menschen, aber hohlliegende Augen, welche von langen Brauenhaaren überdeckt werden; Gesicht und Ohren sind haarlos, die Hände ebenfalls, der Leib dagegen ist, wenn auch nicht gerade dicht, mit Haaren bekleidet, welche eine düstere Färbung haben. Vom Menschen unterscheidet er sich nur durch seine Beine, welche keine Waden zeigen. Er geht stets auf seinen Füßen und hält, wenn er auf dem Boden läuft, seine Hände zusammengeklammert im Nacken. Er schläft auf Bäumen und baut sich Dächer gegen den Regen. Sein Futter besteht aus Früchten, welche er in den Wäldern findet, auch wohl aus Nüssen; Fleisch ißt er niemals. Sprechen kann er nicht, und sein Verständnis ist nicht größer als das eines Viehes. Haben die Eingeborenen, welche die Wälder durchreisen müssen, nachts ein Feuer angezündet, so erscheinen die Pongos am Morgen, sobald jene das Lager verlassen, und sitzen am Feuer, bis dasselbe ausgeht; denn sie verstehen nicht, daß man, um es zu erhalten, Holz zulegen muß. Oft vereinigen sie sich zu Gesellschaften und tödten manchen Neger im Walde, oft auch überfallen sie Elefanten, welche weidend in ihre Nähe kommen, und schlagen dieselben so mit ihren mächtigen Fäusten, daß sie brüllend davonlaufen. Niemals kann man diese Pongos lebend erhalten, weil zehn Männer nicht im Stande sind, sie festzuhalten; doch erlegt man viele ihrer Jungen mit vergifteten Pfeilen. Der junge Pongo klammert sich so fest an den Leib seiner Mutter, daß die Eingeborenen, wenn sie das Weibchen erlegen, auch das Junge erhalten, welches die Mutter nicht verläßt. Stirbt eines dieser Ungeheuer, so bedecken es die übrigen mit einem großen Haufen von Zweigen und Holz; solche Haufen findet man viele in den Wäldern.«
   Später erwähnt ein Schiffsführer, welcher längere Zeit an der Westküste Afrikas sich aufgehalten hat, derselben Affen, führt aber drei Arten von ihnen auf und bemerkt, daß der größte »Impungu« heiße. »Dieses wundervolle und fürchterliche Erzeugnis der Natur«, sagt er, »geht aufrecht wie ein Mann, ist erwachsen sieben bis neun Fuß hoch, verhältnismäßig dick und entsetzlich stark. Schwarzes Haar, welches auf dem Kopfe sich verlängert, bedeckt seinen Leib. Sein Gesicht ähnelt dem des Menschen mehr als das des Schimpanse, ist aber ebenfalls schwarz. Wenn dieses Thier einen Neger sieht, verfolgt und fängt es denselben; zuweilen tödtet es ihn auch, und manchmal packt es ihn bei der Hand und nimmt ihn mit sich fort. Einige, welche so glücklich waren, dieser Gefangenschaft zu entrinnen, sagen, daß das Ungethüm, wenn es schlafen geht, sich nicht niederlegt, sondern gegen einen Baum anlehnt; dann wartet der Gefangene bis es eingeschlafen ist, löst vorsichtig seine Hand von sich ab und stiehlt sich still hinweg, erregt aber doch zuweilen die Aufmerksamkeit des Gegners und wird zurückgeholt.«
   Erst im Jahre 1846 gelang es Wilson, einem amerikanischen Heidenprediger, den Schädel dieses Affen zu erhalten. Derselbe ließ keinen Zweifel zu, daß er einer noch unbeschriebenen Art angehöre. Nach einigen Anstrengungen wurde ein zweiter Schädel erworben; andere Theile des Gerippes konnten später erlangt werden. Die Eingeborenen, vollständig vertraut mit Wesen und Sitten dieses Thieres, gaben die eingehendsten Berichte über seine Größe, seine Wildheit, die Beschaffenheit der Waldungen, welche es bewohnt, versprachen auch in kürzester Frist ein vollständiges Geripp zu beschaffen. Wilson selbst hat einen Gorilla gesehen, nachdem er getödtet worden war. Nach seiner Versicherung ist es unmöglich, einen richtigen Begriff weder von der Scheuslichkeit seines Aussehens, noch von seiner außerordentlichen Muskelkraft zu geben. Sein tiefschwarzes Gesicht offenbart nicht allein verzerrte (der englische Text sagt »übertriebene«) Züge, sondern die ganze Erscheinung ist nichts anderes als ein Ausdruck der rohesten Wildheit. Große Augapfel, ein Schopf von langen Haaren, welcher in der Wuth über den Vorderkopf fällt, ein riesenhaftes Maul, bewaffnet mit einer Reihe von gewaltigen Zähnen, abstehende Ohren: dies alles zusammen läßt den Affen als eines der fürchterlichsten Geschöpfe der Erde erscheinen. Es ist nicht überraschend, daß die Eingeborenen sogar bewaffnet mit ihm zusammenzutreffen fürchten. Sie sagen, daß er sehr wild sei und unabänderlich zum Angriffe übergehe, wenn er mit einem einzelnen Manne zusammenkomme; »ich selbst«, versichert Wilson, »habe einen Mann gesehen, welchem eins dieser Ungeheuer die Wade fast gänzlich weggebissen hatte, und welcher wahrscheinlich in Stücke zerrissen worden wäre, hätte er nicht rechtzeitig die Hülfe seiner Gefährten erhalten. Es wird versichert, daß sie dem bewaffneten Manne das Gewehr aus der Hand reißen und den Lauf zwischen ihren Kiefern zusammendrükken ; und wenn man die ungeheure Muskelkraft der Kinnladen in Erwägung zieht, kann man nicht finden, daß dies unmöglich sei.«
   Der nächstfolgende Berichterstatter ist Du-Chaillu. Ich würde dessen Mittheilungen vorzugsweise benutzt haben, hätte die Darstellung nicht beim ersten Lesen ein unbesiegliches Mißtrauen in mir erweckt. Demungeachtet mag auch diese Schilderung hier eine Stelle finden; nur verwahre ich mich gegen die Annahme, als wolle ich sie in irgend einer Weise bekräftigen. Ich bin vielmehr durchaus der Meinung Reade‘s, daß Du-Chaillu‘s Erzählung ein wunderbares Gemisch von Wahrheit und Erdichtung ist, und stimme dem letztgenannten bei, wenn er sagt, daß jener vieles über den Gorilla geschrieben hat, welches wahr, aber nicht neu ist, und weniges, welches neu, aber nicht wahr ist. Man urtheile selbst, was wohl von einem Forscher zu halten ist, welcher sein erstes Zusammentreffen mit dem Gorilla schildert, wie folgt:
   »Schnell vorwärts bewegte es sich im Gebüsche, und mit einem Male stand ein ungeheurer männlicher Gorilla vor mir. Durch das Dickicht war er auf allen Vieren gekrochen; als er uns aber sah, erhob er sich und sah uns kühn und muthig in die Augen. So stand er etwa zwölf Schritte vor uns – ein Anblick, den ich nie vergessen werde! Der König des afrikanischen Waldes kam mir wie eine gespenstische Erscheinung vor. Aufgerichtet war der ungeheure, fast sechs Fuß hohe Körper; frei zeigten sich die mächtige Brust, die großen, muskelkräftigen Arme, das wild blitzende, tiefgraue Auge und das Gesicht mit seinem wahrhaft höllischen Ausdruck. Er fürchtete sich nicht! Dastand er und schlug seine Brust mit den gewaltigen Fäusten, daß es schallte, wie wenn man eine große metallene Trommel schlägt. Das ist die Art des Trotzbietens, das ist das Kampfeszeichen des Gorilla! Und dazwischen stieß er einmal nach dem anderen sein gräßliches Gebrüll aus –ein Gebrüll, so grauenerregend, daß man es den eigenthümlichsten und fürchterlichsten Laut der afrikanischen Wälder nennen muß. Es beginnt mit scharfem Bellen, wie es ein großer Hund hören läßt, und geht dann in tiefes Dröhnen über, welches genau dem Rollen fernen Donners am Himmel gleicht: habe ich doch mehr als einmal dieses Gebrüll für Donner gehalten, wenn ich den Gorilla nicht sah! Wir blieben bewegungslos im Vertheidigungszustande. Die Augen des Unholdes blitzten grimmiger; der Kamm des kurzen Haares, welcher auf seiner Stirn steht, legte sich auf und nieder; er zeigte seine mächtigen Fänge und wiederholte das donnernde Brüllen. Jetzt glich er gänzlich einem höllischen Traumbilde, einem Wesen jener widerlichen Art, halb Mann, halb Thier, wie es die alten Maler erfanden, wenn sie die Hölle darstellen wollten. Wiederum kam er ein paar Schritte näher, blieb nochmals stehen und stieß von neuem sein entsetzliches Geheul aus. Und noch einmal näherte er sich, noch einmal stand er und schlug brüllend und wüthend seine Brust. So war er bis auf sechs Schritte herangekommen: da feuerte ich und tödtete ihn. Mit einem Stöhnen, welches etwas schrecklich menschliches an sich hatte und doch durch und durch viehisch war, fiel er vorwärts auf sein Gesicht. Der Körper zuckte krampfhaft mehrere Minuten; dann wurde alles ruhig: der Tod hatte seine Arbeit gethan.«
   Zu vorstehender Stelle gehört ein kurzer Nachsatz von Reade: »In einem Vortrage, welchen ich in einer Sitzung der Londoner thierkundlichen Gesellschaft las, und welcher in den Schriften der Gesellschaft veröffentlich worden ist, habe ich die Gründe entwickelt, aus denen ich mit vollster Sicherheit schließen darf, daß Du-Chaillu niemals einen Gorilla erlegt hat«.
   Doch auch das Unwahrscheinliche, richtiger vielleicht, die Lüge, mag hier Erwähnung finden, um so mehr, als die Berichtigung auf dem Fuße folgen wird.
   »Mein langer Aufenthalt in Afrika«, erzählt Du-Chaillu, »erleichterte es mir, mit Eingeborenen zu verkehren, und als meine Neugierde, jenes Ungeheuer kennen zu lernen, aufs höchste erregt worden war, beschloß ich, selbst auf dessen Jagd auszuziehen und es mit meinen Augen zu sehen. Ich war so glücklich, der erste zu sein, welcher nach eigener Bekanntschaft über den Gorilla sprechen darf, und während meine Erfahrungen und Beobachtungen zeigen, daß viele Erzählungen auf falschen und leeren Einbildungen unwissender Neger und leichtgläubiger Reisenden beruhen, kann ich anderseits bestätigen, daß keine Beschreibung die entsetzliche Erscheinung, die Wuth des Angriffs und die wüste Bosheit eines Gorilla versinnlichen wird.
   Es thut mir leid, daß ich der Zerstörer vieler anmuthiger Träumereien sein muß. Aber der Gorilla lauert nicht auf den Bäumen über dem Wege, um einen unvorsichtig Vorübergehenden zu ergreifen und in seinen zangengleichen Händen zu erwürgen; er greift den Elefanten nicht an und schlägt ihn mit Stöcken zu Tode; er schleppt keine Weiber aus den Dörfern der Eingeborenen weg; er baut sich kein Nest aus Blättern und Zweigen auf den Waldbäumen und sitzt nicht unter deren Dach; er ist nicht einmal ein geselliges Thier, und alle Berichte von gemeinschaftlichen Angriffen haben nicht ein Körnchen von Wahrheit in sich.
   Der Gorilla lebt in den einsamsten und dunkelsten Stellen des dichten afrikanischen Niederwaldes, tiefe bewaldete Thäler und ebenso schroffe Höhen allen übrigen Aufenthaltsorten vorziehend. Gerade die Hochebenen, welche mit unermeßlichen Halden bedeckt sind, scheinen seinen Lieblingswohnsitz zu bilden. In jenen Gegenden Afrikas findet sich überall Wasser, und ich habe beobachtet, daß der Gorilla just an solchen Stellen sich aufhält, wo es am feuchtesten ist. Er ist ein rastloses Vieh, welches von Ort zu Ort wandert und schwerlich an einer und derselben Stelle zwei Tage lang bleibt. Dieses Umherschweifen ist zum Theil bedingt durch die Schwierigkeit, sein Lieblingsfutter zu finden. Obgleich der Gorilla vermöge seiner ungeheuren Eckzähne ohne Mühe jedes andere Thier des Waldes zu zerstückeln vermöchte, ist er doch ein echter Pflanzenfresser. Ich habe die Magen von allen untersucht, welche zu tödten ich so glücklich war, und niemals etwas anderes gefunden als Beeren, Pisangblätter und sonstige Pflanzenstoffe. Der Gorilla ist ein arger Fresser, welcher unzweifelhaft an einem Orte alles auffrißt und dann, in beständigem Kampfe mit dem Hunger, zum Wandern gezwungen wird. Sein großer Bauch, der sich, wenn er aufrecht dasteht, deutlich genug zeigt, beweist dies; und wahrlich, sein gewaltiger Leib und die mächtige Muskelentwickelung könnten bei weniger Nahrung nicht unterhalten werden.
   Es ist nicht wahr, daß der Gorilla viel oder immer auf den Bäumen lebt; ich habe ihn fast stets auf der Erde gefunden. Allerdings steigt er oft genug an den Bäumen in die Höhe, um Beeren oder Nüsse zu pflücken; wenn er aber dort gegessen hat, kehrt er wieder nach unten zurück. Nach meinen Erfahrungen über die Nahrung kann man behaupten, daß er es gar nicht nöthig hat, die Bäume zu erklettern. Ihm behagen Zuckerrohr, die weißen Rippen der Pisangblätter, mehrere Beeren, welche nahe der Erde wachsen, das Mark einiger Bäume und eine Nuß mit sehr harter Schale. Diese letztere ist so fest, daß man sie nur mit einem starken Schlage vermittels eines Hammers öffnen kann. Wahrscheinlich ihrethalben besitzt er das ungeheure Gebiß, welches stark genug ist, einen Gewehrlauf zusammenzubiegen.
   Nur junge Gorillas schlafen auf Bäumen, um sich gegen Raubthiere zu schützen. Ich habe mehrere Male die frische Spur eines Gorillabettes gefunden und konnte deutlich sehen, daß das Männchen, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt, in ihm gesessen hatte; doch glaube ich, daß Weibchen und Junge zuweilen die Krone des Baumes ersteigen mögen, während die Männchen immer am Fuße der Bäume oder unter Umständen auf der Erde schlafen. Alle Affen, welche viel auf Bäumen leben, haben an ihren vier Händen längere Finger als der Gorilla, dessen Hand mehr der menschlichen ähnelt. Infolge dieses verschiedenen Baues ist er weniger geeignet, Bäume zu erklettern. Zugleich muß ich bemerken, daß ich niemals einen Schirm oder ein Zelt gefunden habe und deswegen zu dem Schlusse gekommen bin, er führe ein derartiges Gebäude überhaupt nicht auf.
   Der Gorilla ist nicht gesellig. Von den Alten fand ich gewöhnlich ein Männchen und ein Weibchen zusammen, oft genug auch ein altes Männchen allein. In solchem Falle ist es immer ein alter, mürrischer, böswilliger Gesell, welcher nicht mit sich spaßen läßt. Junge Gorillas traf ich in Gesellschaft bis zu fünf Stück an. Sie liefen stets auf allen Vieren davon, schreiend vor Furcht. Es ist nicht leicht, sich ihnen zu nähern; denn sie hören außerordentlich scharf und verlieren keine Zeit, um zu entkommen, während die Beschaffenheit des Bodens es dem Jäger sehr erschwert, ihnen zu folgen. Das alte Thier ist auch scheu: ich habe zuweilen den ganzen Tag gejagt, ohne auf mein Wild zu stoßen und mußte bemerken, daß es mir sorgfältig auswich. Wenn jedoch zuletzt das Glück den Jäger begünstigt und er zufällig oder durch ein gutes Jagdkunststück auf seine Beute kommt, geht diese ihm nicht aus dem Wege.«
   Unter allen Berichterstattern macht Winwood Reade den Eindruck der größten Verläßlichkeit. »Als ich im Inneren der Gorillagegenden reiste«, sagt er, »pflegte ich in jedem Dorfe, welches mir zur Nachtherberge wurde, nachzufragen, ob sich hier ein Neger befinde, welcher einen Gorilla getödtet habe. Wollte das Glück, daß dies der Fall war, so ließ ich ihn zu mir bringen und befragte ihn mit Hülfe eines Dolmetschers über die Sitten und Gewohnheiten der Affen. Diesen Plan verfolgte ich unter den Belingi am Muni, unter Schikeni am Gabun und unter den Kommi am Fernandovaz. Ebenso befragte ich auch die aus dem Inneren stammenden Sklaven, welche von ihren Herren als Jäger verwendet wurden. Alle Nachrichten, welche ich empfing, habe ich verglichen und nur das behalten, welches durch das gleichlautende Zeugnis aller Jäger dieser drei verschiedenen Gegenden Innerafrikas Bestätigt wurde.
   In Bapuku ist der Gorilla unter den Küstenstämmen nicht bekannt. Der nördlichste Punkt, wo ich von seinem Vorhandensein Kunde erhielt, war das Ufer eines kleinen Flusses bei St. Jones. Am Muni findet er sich weniger häufig als um den Gabun, und in den Waldungen am Fernandovaz wiederum häufiger als dort. Glaubwürdige Berichte bestätigen, daß er in Majumba, von welchem Battell spricht, und nach Süden hin bis nach Loango vorkommt; ich bin jedoch geneigt zu glauben, daß er sich über ein weit größeres Gebiet verbreitet, als wir gegenwärtig annehmen. Der Schimpanse lebt nach Norden hin bis zur Sierra Leona, und ich nehme an, daß der Gorilla sich in demselben Gebiete wie jener findet. Der Schimpanse hält sich mehr an der Seeküste und in offeneren Gegenden auf als der Gorilla, und darin liegt die Erklärung, daß man jenen besser kennt als diesen. Die Fens erzählten mir, der >Nji< sei sehr häufig in dem weiten Lande gegen Nordosten, von welchem sie ausgewandert wären, und man höre dort seinen Schrei in unmittelbarer Nähe der Stadt; und ebenso wurde mir in Ngumbi gesagt, daß der Gorillatanz-ein Tanz der Neger, welcher die bezeichnendsten Bewegungen des Gorilla nachzuahmen versucht-in einem neunzig Tagereisen nach Osten hin gelegenen Lande seinen Ursprung habe.
   Während der Schimpanse in der Nachbarschaft kleiner Steppen haust, scheint der Gorilla das düstere Zwielicht der dichtesten Wälder zu lieben. Erläuft auf allen Vieren, und man sieht ihn zuweilen allein, zuweilen in Begleitung eines Weibchens und Jungen. Von den Bäumen bricht er sich Zweige und Blätter, welche sich in einer ihm erreichbaren Höhe über dem Boden befinden. Zuweilen erklettert er auch einen Baum, um dessen Früchte zu genießen. Eine Grasart, welche in kleinen Büschen wächst, liebt er so, daß man sein Vorkommen da, wo dieses Gras vorhanden, fast mit Sicherheit annehmen kann. Morgens und abends besucht er die Pflanzungen der Dörfer, frißt Pisang und Zuckerrohr und läßt seinen kläglichen Schrei vernehmen. Nachts erwählt er sich einen hohlen Baum, um auf ihm zu schlafen. Wenn das Weibchen trächtig ist, baut das Männchen, meist in einer Höhe von fünf bis acht Meter über dem Boden, ein Nest, d. h. ein bloßes Lager aus trockenen Stecken und Zweigen, welche es mit den Händen zusammenschleppt. Hier bringt das Weibchen sein Junges zur Welt und verläßt dann das Nest. Während der Brunstzeit (-) kämpfen die Männchen um ihre Weibchen. Ein glaubwürdiger Zeuge sah zwei von ihnen im Kampfe; einer war viel größer als der andere, und der kleinere wurde getödtet. Aus dieser Thatsache scheint mir hervorzugehen, daß die Gorillas in Vielehigkeit leben wie andere Thiere, welche um die Weibchen kämpfen. Das gewöhnliche Geschrei des Gorilla ist kläglich, das Wuthgeschrei dagegen ein scharfes, rauhes Bellen, ähnlich dem Gebrülle eines Tigers.
   Entsprechend der Neigung der Neger, alles zu übertreiben, hörte ich anfänglich die verschiedensten Geschichten bezüglich der Wildheit des Gorilla. Als ich aber die wirklichen Jäger befragte, fand ich sie, so weit ich zu urtheilen vermochte, wie alle muthigen Leute bescheiden und eher schweigsam als geschwätzig. Ihre Mittheilungen über die Wildheit der Affen reichen kaum bis an die Erzählungen von Savage und Ford heran. Sie leugnen, daß der Gorilla, ohne gereizt zu sein, den Menschen stets angreife. Laßt ihn allein, sagen sie, und er läßt euch allein. Wenn er aber beim Fressen oder im Schlafe plötzlich überrascht wird, dreht er sich in einem Halbkreise herum, heftet seine Augen auf den Mann und stößt einen unwillig klagenden Schrei aus. Versagt das Gewehr des Jägers, oder wird der Affe nur verwundet, so läuft er zuweilen davon; manchmal aber stürzt er sich mit wüthendem Blicke, herunterhängender Lippe und nach vorn überfallendem Haarschopfe auf den Gegner. Es scheint nicht, daß er sehr behend sei; denn die Jäger entkommen ihm häufig. Er greift stets auf allen Vieren an, packt den betreffenden Gegenstand, reißt ihn in seinen Mund und beißt ihn. Die Geschichte vom Zusammenbeißen des Gewehrlaufes wird allgemein erzählt, ist aber durchaus nicht wunderbar, weil die billigen Gewehre aus Birmingham von jedem starkkieferigen Thiere zusammengequetscht werden dürften. Von den verschiedensten Seiten her hörte ich erzählen, daß Leute durch den Gorilla getödtet worden seien; immer aber fand ich, daß solche Erzählungen auf Ueberlieferungen sich gründeten. Daß ein Mann von einem Gorilla umgebracht werden kann, möchte ich keinen Augenblick bezweifeln, daß aber kein Mann seit Menschengedenken umgebracht worden ist, kann ich mit Bestimmtheit versichern. Der Jäger, welcher mich in den Waldungen von Ngumbi führte, wurde einst von einem Gorilla verwundet. Seine Hand war vollständig verkrüppelt und die Narben der Zahnwunden am Gelenke noch sichtbar. Ihn forderte ich auf, mir genau die Art und Weise des Angriffes eines Gorillas zu zeigen. Ich stellte den Jäger vor, er den Gorilla. Er nahm eine gebückte Stellung an, und ich that, als ob ich ihn schießen wollte. Nun kam er auf allen Vieren auf mich zu, ergriff meine Hand am Gelenke, zog sie zu seinem Munde, biß hinein und lief davon. So, sagte er, hat der Gorilla mit mir gethan. Durch solche einfache Zeugen gelangt man unter den Negern am ersten zur Wahrheit. Der Leopard gilt allgemein für ein wilderes und gefährlicheres Thier als der Gorilla. Auch der Schimpanse greift, wenn er angefallen wird, einen Menschen an; dasselbe thut der Orang-Utan, dasselbe thun in der That alle Thiere vom Elefanten bis zu den Kerbthieren herunter. Ich kann also keinen Grund zu der Annahme finden, daß der Gorilla wilder und mehr geneigt zum Angriffe auf einen Menschen sei als andere Thiere, welche, wie unser Affe, bedächtig und furchtsam sind, und welche ihre ausgezeichnete Befähigung im Riechen und Hören sich zu Nutze machen, um vor dem Menschen zu entfliehen.
   In meiner bescheidenen Eigenschaft, als ein bloßer Sammler von Thatsachen, wünsche ich nichts weiter als zu der Wahrheit zu gelangen. Meine Angaben unterscheiden sich von denen meiner Vorgänger, und ich muß frei zugestehen, daß für die eine wie für die andere Seite gleiche Berechtigung vorliegt. Alle Neger sind geneigt, eher zu übertreiben als zu unterschätzen. Ich habe eine größere Anzahl von Zeugen befragt als vielleicht Wilson, Savage und Ford zusammen und, nachdem die Frage einmal wichtig geworden war, doppelte Vorsicht bei meinen Untersuchungen angewendet; aber jene hatten ihrerseits großen Vortheil über mich, weil sie die Sprache der Eingeborenen kannten und keiner Dolmetscher bedurften, auch besser mit dem Wesen der Eingeborenen vertraut waren als ich. Den bezüglichen Werth unserer Mittheilungen vermag ich also nicht bestimmt abzuschätzen, schon weil ich nicht weiß, von welchem Stamme jene ihre Nachrichten erhalten haben. Das, was ich aus persönlicher Anschauung versichern kann, ist folgendes: Ich habe die Nester des Gorilla gesehen und beschrieben, bin jedoch nicht im Stande, bestimmt zu sagen, ob sie als Betten oder nur als zeitweilige Lager benutzt werden. Ich habe ebenso wiederholt die Fährte des Gorilla gefunden und darf deshalb behaupten, daß der Affe gewöhnlich auf allen Vieren läuft. Niemals habe ich mehr Fährten gesehen als von zwei Gorillas zusammen. Auch habe ich einen jungen Gorilla und einen jungen Schimpansen in gefangenem Zustande beobachtet und darf versichern, daß beide gleich gelehrig sind. Endlich kann ich behaupten, daß der Gorilla wenigstens zuweilen vor dem Menschen flüchtet; denn ich war nahe genug, um zu hören, daß einer von mir weglief.
   Von den vielen Erzählungen über den Gorilla, welche mir mitgetheilt wurden, habe ich alle nicht genug beglaubigten weggelassen. Eine von diesen berichtet z. B., daß zuweilen eine Gorillafamilie einen Baum erklettere und sich an einer gewissen Frucht toll und voll fresse, während der alte Vater unten am Fuße des Baumes verbleibe. Kannst du, sagen die Eigenborenen, nahe genug herankommen, um ihn zu erlegen, so kannst du auch den Rest der Familie tödten. Die zweite Geschichte ist die, welche von allen großen Affen berichtet wird, daß sie Frauen mit sich nehmen. In einem Dorfe am rechten Ufer des Fernandovaz wurde mit erzählt, daß die Frauen, während sie zum Brunnen gingen, sehr häufig von Gorillas gejagt werden; ja, man brachte mir sogar eine Frau, welche versicherte, selbst die Leidenschaft eines Gorillas erlitten zu haben und ihm kaum entkommen zu sein. In alldem kann ich nichts wunderbares finden; denn wir wissen, daß die Affen höchst empfängliche Thiere sind. Demungeachtet wird man berechtigt sein, Zweifel zu hegen, wenn erzählt wird, daß eine Frau in die Wälder geschleppt und halbwild unter den Affen gelebt habe.«
   Winwood Reade schließt seine Mittheilungen mit der Bemerkung, daß er nicht im Stande gewesen sei, etwas zu erfahren, worin der Gorilla vom Schimpanse wesentlich sich unterscheide. Beide Thiere bauen Nester, beide gehen auf allen Vieren, beide greifen in ähnlicher Weise an, beide vereinigen sich, obschon sie durchaus nicht gesellig sind, zuweilen in größerer Anzahl u. a. »Ein weißer Mann hat bis jetzt weder einen Gorilla noch einen Schimpanse erlegt. Die Vorsicht der Thiere, die Ungewißheit ihres Aufenthaltes, die Eifersucht der eingeborenen Jäger stempelt eine derartige Jagd zu einem sehr schwierigen Unternehmen.«
   So viel wissen wir gegenwärtig über das Freileben dieses vielbesprochenen, ebenso berühmten und berüchtigten Menschenaffen. Mit dem Schimpanse hat man bisher nur seinen Balg oder seinen in Weingeist bewahrten Leichnam, nicht aber das lebende Thier, vergleichen können; denn bis jetzt soll nur ein einziger Gorilla lebend nach Europa gelangt, aber von einem Thierbändiger gehalten worden sein, welcher ihn nicht einmal kannte.


   Schimpanse

   Der Schimpanse »Barcis«, »Inschoko«, »Insiego«, »Soko«, »Nschniego«, »Baäm«, und wie er sonst noch bei den Eingeborenen heißen oder von Reisenden genannt worden sein mag (Anthropopithecus troglodytes) [Heute: Pan troglodytes] wird gegenwärtig ebenfalls als Vertreter einer gleichnamigen Sippe oder Untersippe (Pseudanthropos) betrachtet. Er ist beträchtlich kleiner, im Rumpfe verhältnismäßig viel kürzer als der Gorilla, trotzdem er dieselbe Anzahl von rippentragenden und Lendenwirbeln (dreizehn und vier) besitzt wie dieser, sein Kopf verhältnismäßig groß, die breite Schnauze wenig vorgezogen, der Vorderarm für Menschenaffen auffallend kurz, die Hand gestreckt und schmal, das Bein ebenfalls kurz, der Fuß der Hand entsprechend gebaut.
   Um zu beweisen, daß die Alten den Schimpanse gekannt haben, führt man das berühmte Mosaikbild an, welches einstmals den Tempel der Fortuna in Präneste schmückte und unter vielen anderen Thieren der oberen Nilländer auch unseren Menschenaffen dargestellt haben soll. Erwähnt wird dieser von vielen Schriftstellern der letztvergangenen Jahrhunderte meist unter den Namen »Insiego« oder »Nschniego«, welche er in Mittelafrika heute noch führt. Ein junger Schimpanse wurde in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts lebend nach Europa gebracht, von Tulpius und Tyson zergliedert und von Dapper beschrieben. Von dieser Zeit an gelangte das Thier wiederholt zu uns, und neuerlich trifft es sogar mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf dem europäischen Thiermarkte ein: im Jahre 1870 wurden fünf Stück allein nach Deutschland gebracht.
   Während man früher Ober– und Niederguinea für seine ausschließliche Heimat hielt, wissen wir gegenwärtig durch Heuglin und Schweinfurth, daß er sich bis tief in das Innere von Afrika verbreitet. »Auf dem dichtbelaubten Hochholz längs der Flüsse im Lande der Niamniam«, sagt Heuglin, »haust in Paaren und Familien der Mban (richtiger Baäm), ein Affe von der Größe eines Mannes und von wildem Wesen, welcher sich nicht scheut, den ihn verfolgenden Jäger anzugreifen. Derselbe baut sich große Nester auf den Kronen der Bäume und versieht sie mit einem dichten Schutzdache gegen den Regen. Er hat eine olivenschwärzliche, nicht dichte Behaarung, nacktes, fleischfarbenes Gesicht und weißliches Gesäß.« Vorstehende Schilderung, welche durch Schweinfurths Angaben durchaus bestätigt wird, kann sich nur auf den Schimpanse beziehen, und diese Ansicht wird unterstützt durch die Berichte des Letztgenannten und Hartmanns über die wenigen Stücke dieses mittelafrikanischen Affen, welche in schlecht zubereiteten Bälgen nach Europa gelangt sind. Schweinfurth erfuhr, daß ein Krainer Jäger, Klancznik, im Jahre 1863 außer einer Ladung Sklaven auch einen lebenden Schimpanse vom oberen Weißen Flusse mitbrachte. Der Affe starb, noch ehe er Chartum erreichte, wurde dort abgehäutet und der Hochschule für Aerzte in Kairo überlassen. Hier sah Schweinfurth den Balg; auf der Pariser Ausstellung konnte Hartmann einen zweiten untersuchen. Beide Forscher sprechen sich dahin aus, daß man das Thier als Schimpanse bestimmen müsse. »Im December 1868«, schaltet Schweinfurth hier ein, »fand ich in Chartum einen dritten, schlecht ausgestopften, aber sehr großen Balg des betreffenden Affen, welcher sich gegenwärtig im Berliner Museum befindet und nach Hartmanns Ueberzeugung von dem westafrikanischen Schimpanse sich nicht unterscheidet. Unter den von mir bereisten Ländern des tiefsten Inneren von Afrika nenne ich als Heimat dieses Menschenaffen vor allen anderen das waldreiche Land des Königs Uando, weil das Thier hier besonders häufig auftreten muß. In einem Dorfe nahm ich zwölf vollständige Schädel desselben von einem einzigen der hier gebräuchlichen Merkpfähle, welche mit Beutezeichen der Jagd behangen zu werden pflegen. In dem bevölkerten Monbuttulande dagegen, welches weite, dem Bananenbau gewidmete Lichtungen in sich schließt, scheint das menschenscheue Thier nur ein ziemlich vereinzeltes Dasein zu führen. Auch mir wurde erzählt, daß er auf den von ihm bewohnten Bäumen sich Nester errichte.« In Ober– und Niederguinea bewohnt der Schimpanse die großen Wälder in den Flußthälern und an der Küste, scheint jedoch trockene Gegenden feuchten vorzuziehen. Auf der nördlichen Seite des Kongo soll er, laut Monteiro, sehr häufig sein.
   »Man kann nicht sagen«, berichtet Savage, »daß die Schimpansen gesellig leben, da man selten mehr als ihrer fünf, höchstens ihrer zehn zusammen findet. Auf gute Gewähr mich stützend, darf ich behaupten, daß sie sich gelegentlich in größerer Anzahl versammeln, um zu spielen. Einer meiner Berichterstatter versichert, bei einer solchen Gelegenheit einmal nicht weniger als ihrer fünfzig gesehen zu haben, welche sich durch Jubeln, Schreien und Trommeln auf alten Stämmen erfreuten. Sie meiden die Aufenthaltsorte der Menschen soviel als möglich. Ihre Wohnungen, mehr Nester als Hütten, errichten sie auf Bäumen, im allgemeinen nicht hoch über dem Boden. Größere oder kleinere Zweige werden niedergebogen, abgeknickt, gekreuzt und durch einen Ast oder einen Gabelzweig gestützt. Zuweilen findet man ein Nest nahe dem Ende eines dicken blattreichen Astes, acht bis zwölf Meter über der Erde; doch habe ich auch eins gesehen, welches nicht niedriger als dreizehn Meter sein konnte. Einen festen Standort haben die Schimpansen nicht, wechseln ihren Platz vielmehr beim Aufsuchen der Nahrung oder aus sonstigen Gründen, je nach den Umständen. Wir sahen sie öfters auf hoch gelegenen Stellen, wohl nur deshalb, weil die dem Reisbau der Eingeborenen günstigeren Niederungen öfters gelichtet werden, und jenen dann passende Bäume zum Bau ihrer Nester mangeln. Selten sieht man mehr als ein oder zwei Nester auf einem und demselben Baume oder sogar in derselben Umgebung. Doch hat man einmal deren fünf gefunden.« Nester, wie solche Du-Chaillu bespricht und abbildet, wahrhaft künstliche Flechtereien nämlich, beschreibt kein einziger der übrigen Berichterstatter.
   »Der Schimpanse bekundet scharfen Verstand und warme Liebe zu seinen Jungen. Ein Weibchen, welches sich mit seinem Manne und zwei Jungen auf einem Baume befand und von dem Jäger aufgefunden wurde, stieg zuerst mit großer Geschwindigkeit herunter und versuchte mit dem Männchen und einem Jungen ins Dickicht zu entfliehen. Bald darauf aber kehrte es zur Rettung des zurückgebliebenen Jungen zurück, stieg wieder auf den Baum, nahm das Kind in seine Arme und erhielt in demselben Augenblicke die tödtliche Kugel, welche auf dem Wege zum Herzen der Mutter durch den Vorderarm des Jungen drang. In einem anderen Falle blieb die Mutter, nachdem sie entdeckt war, mit ihrem Jungen auf dem Baume und folgte aufmerksam dem Vorgehen des Jägers. Als er zielte, bewegte sie ihre Hand, genau in der Weise, wie ein Mensch thun würde, um den Gegner zum Abstehen und Fortgehen zu bewegen. Verwundete suchen das Blut durch Aufdrücken der Hand oder, wenn dies nicht ausreicht, durch Auflegen von Blättern und Gras zu stillen, schreien auch laut, nicht unähnlich einem Menschen, welcher plötzlich in große Noth geräth.« Ferner wird erzählt, daß sich die Schimpansen in ihrer geschlechtlichen Liebe weit weniger abschreckend als andere Affen zeigen, sogar eine gewisse Sittsamkeit an den Tag legen sollen. Auch von ihnen geht überall, wo sie vorkommen, das Gerücht, daß die Männchen an weiblichen Menschen Gefallen finden, und diese Behauptung erscheint denjenigen, welche das Gebaren großer männlicher Affen beim Anblicke von Frauen aus eigener Erfahrung kennen gelernt haben, durchaus nicht unwahrscheinlich. Ueber Zeit und Umstände der Paarung, Schwangerschaft und Entwickelung der Jungen u. a. sind mir keinerlei Angaben bekannt; ich weiß bloß aus Beobachtung an gefangenen Jungen, daß deren Wachsthum weit langsamer vor sich geht, als man bisher angenommen zu haben scheint. Der Zahnwechsel beginnt nicht vor dem zurückgelegten vierten Lebensjahre, wahrscheinlich noch um ein Jahr später. Ein Schimpanse, welchen ich drei Jahre lang pflegte, war, als er in meinen Besitz kam, jedenfalls älter als zwei Jahre und wechselte erst kurz vor seinem Tode die unteren Schneidezähne; der Zahnwechsel würde also, die Richtigkeit meiner Annahme vorausgesetzt, erst im sechsten Lebensjahre stattgefunden haben. Wenn man, hierauf fußend, den Schimpanse bezüglich seines Wachsthums und des zu erreichenden Alters dem Menschen annähernd gleichstellt, wird man sich schwerlich irren.
   Unter den Eingeborenen Westafrikas geht eine Ueberlieferung, nach welcher die Schimpansen einmal Mitglieder ihres eigenen Stammes gewesen seien, wegen ihrer schlechten Gewohnheiten aber aus aller menschlichen Gesellschaft verstoßen und infolge hartnäckigen Beharrens bei ihren gemeinen Neigungen allmählich auf den gegenwärtigen Zustand herabgesunken wären. Dies hindert die Eingeborenen übrigens nicht, die Herren Vettern zu essen; ja deren Leiber gelten, mit Palmöl gekocht, sogar für ein äußerst schmackhaftes Gericht. Unter allen Menschenaffen gelangt gegenwärtig der Schimpanse am häufigsten lebend zu uns, hält hier aber leider nur ausnahmsweise zwei bis drei Jahre aus, während er, wie man versichert, in Westafrika bis zwanzig Jahre in Gefangenschaft gelebt haben und groß und stark geworden sein soll. Bis jetzt hat man stets beobachtet, daß die Gefangenen sanft, klug und liebenswürdig waren. Grandpret sah auf einem Schiffe ein Weibchen, welches man gelehrt hatte, den Backofen zu heizen. Es erfüllte sein Amt zur allgemeinen Zufriedenheit, gab acht, daß keine Kohlen herausfielen, wußte, wenn der Ofen den nöthigen Grad von Hitze erlangt hatte, ging hin und berichtete den Bäcker durch sehr ausdruckvolle Geberden davon. Derselbe Affe verrichtete die Arbeit eines Matrosen mit ebenso viel Geschick als Einsicht, wand das Ankertau auf, zog die Segel ein, band sie fest und arbeitete vollkommen zur Zufriedenheit der Matrosen, welche ihn zuletzt als ihren Maat betrachteten. Brosse brachte ein Pärchen junger Schimpansen nach Europa, ein junges Männchen und ein Weibchen. Sie setzten sich an den Tisch wie ein Mensch, aßen von allem und bedienten sich dabei des Messers, der Gabel und der Löffel, theilten auch alle Getränke, namentlich Wein und Branntwein, mit den Menschen, riefen die Schiffsjungen, wenn sie etwas brauchten, und wurden böse, wenn diese es ihnen verweigerten, faßten die Knaben am Arme, bissen sie und warfen sie unter sich. Das Männchen wurde krank, und der Schiffsarzt ließ ihm deshalb zur Ader; so oft es sich unwohl fühlte, hielt es ihm stets den Arm hin. Buffon erzählt, daß sein Schimpanse traurig und ernsthaft aussah und sich abgemessen und verständig bewegte. Von den häßlichen Eigenschaften der Paviane zeigte er keine einzige, war aber auch nicht muthwillig wie die Meerkatzen, gehorchte aufs Wort oder auf ein Zeichen, bot den Leuten den Arm an und ging mit ihnen umher, setzte sich zu Tische, benutzte ein Vorstecktuch und wischte sich, wenn er getrunken hatte, damit die Lippen; schenkte sich selbst Wein ein und stieß mit anderen an, holte sich eine Tasse und Schale herbei, that Zucker hinein, goß Thee darauf und ließ ihn kalt werden, bevor er ihn trank. Niemandem fügte er ein Leid zu, sondern näherte sich jedem bescheiden und freute sich ungemein, wenn ihm geschmeichelt wurde. Traills Schimpanse hielt man einen Spiegel vor: sogleich war seine Aufmerksamkeit gefesselt; auf die größte Beweglichkeit folgte die tiefste Ruhe. Neugierig untersuchte er das merkwürdige Ding und schien stumm vor Erstaunen, blickte sodann fragend seinen Freund an, hierauf wieder den Spiegel, ging hinter diesen, kam zurück, betrachtete nochmals sein Bild und suchte sich durch Betasten desselben zu überzeugen, ob er wirkliche Körperlichkeit oder bloßen Schein vor sich habe: ganz so wie es wilde Völker thun, wenn ihnen zum erstenmal ein Spiegel gereicht wird. Leutnant Sayers erzählt von einem jungen Männchen, welches er wenige Tage nach der Gefangenschaft an der Westküste Afrikas erhielt, daß es sehr bald und im hohen Grade vertraut mit ihm wurde, noch innigere Freundschaft aber mit einem Negerknaben schloß und im höchsten Zorne zu kreischen anfing, wenn jener ihn nur für einen Augenblick verlassen wollte. Sehr eingenommen war der Affe für Kleidungsstükke, und das erste Beste, das ihm in den Weg kam, eignete er sich an, trug es sogleich auf den Platz und setzte sich unabänderlich, mit selbstzufriedenem Gurgeln, darauf, gab es auch gewiß nicht ohne harten Kampf und ohne die Zeichen der größten Unzufriedenheit wieder her. »Als ich diese Vorliebe bemerkte«, fährt der Erzähler fort, »versah ich ihn mit einem Stück Baumwollenzeug, von dem er sich dann, zur allgemeinen Belustigung, nicht wieder trennen mochte, und welches er überallhin mitschleppte, so daß keine Verlockung stark genug war, ihn zum Aufgeben desselben auch nur für einen Augenblick zu bewegen. Die Lebensweise der Thiere in der Wildnis war mir völlig unbekannt; ich versuchte deshalb, ihn nach meiner Art zu ernähren und hatte den besten Erfolg. Morgens um acht Uhr bekam mein Gefangener ein Stück Brod in Wasser oder in verdünnter Milch geweicht, gegen zwei Uhr ein paar Bananen oder Pisang, und ehe er sich niederlegte wieder eine Banane, eine Apfelsine oder ein Stück Ananas. Die Banane schien seine Lieblingsfrucht zu sein, für sie ließ er jedes andere Gericht im Stiche, und wenn er sie nicht bekam, war er höchst mürrisch. Als ich ihm einmal eine verweigerte, bekundete er die heftigste Wuth, stieß einen schrillen Schrei aus und rannte mit dem Kopfe so heftig gegen die Wand, daß er auf den Rücken fiel, stieg dann auf eine Kiste, streckte die Arme verzweiflungsvoll aus und stürzte sich herunter. Alles dies ließ mich so sehr für sein Leben fürchten, daß ich den Widerstand aufgab. Nun erfreute er sich seines Sieges auf das lebhafteste, indem er minutenlang ein höchst bedeutungsvolles Gurgeln hören ließ: kurz, jedesmal, wenn man ihm seinen Willen nicht thun wollte, zeigte er sich wie ein verzogenes Kind. Aber so böse er auch werden mochte, nie bemerkte ich, daß er geneigt gewesen wäre, seinen Wärter oder mich zu beißen oder sich sonstwie an uns zu vergreifen.«
   Ich kann diese Berichte nach eigener Erfahrung bestätigen und vervollständigen, da ich selbst mehrere Schimpansen jahrelang gepflegt und beobachtet habe. Einen solchen Affen kann man nicht wie ein Thier behandeln, sondern mit ihm nur wie mit einem Menschen verkehren. Ungeachtet aller Eigenthümlichkeiten, welche er bekundet, zeigt er in seinem Wesen und Gebaren so außerordentlich viel menschliches, daß man das Thier beinahe vergißt. Sein Leib ist der eines Thieres, sein Verstand steht mit dem eines rohen Menschen fast auf einer und derselben Stufe. Es würde abgeschmackt sein, wollte man die Handlungen und Streiche eines so hoch stehenden Geschöpfes einzig und allein auf Rechnung einer urtheilslosen Nachahmung stellen, wie man es hin und wieder gethan hat. Allerdings ahmt der Schimpanse nach; es geschieht dies aber genau in derselben Weise, in welcher ein Menschenkind Erwachsenen etwas nachthut, also mit Verständnis und Urtheil. Er läßt sich belehren und lernt. Wäre seine Hand ebenso willig oder gebrauchsfähig wie die Menschenhand, er würde noch ganz anderes nachahmen, noch ganz anderes lernen. Er thut eben so viel er zu thun vermag, führt das aus, was er ausführen kann; jede seiner Handlungen aber geschieht mit Bewußtsein, mit entschiedener Ueberlegung. Er versteht, was ihm gesagt wird, und wir verstehen auch ihn, weil er zu sprechen weiß, nicht mit Worten allerdings, aber mit so ausdrucksvoll betonten Lauten und Silben, daß wir uns über sein Begehren nicht täuschen. Er erkennt sich und seine Umgebung und ist sich seiner Stellung bewußt. Im Umgange mit dem Menschen ordnet er sich höherer Begabung und Fähigkeit unter, im Umgange mit Thieren bekundet er ein ähnliches Selbstbewußtsein wie der Mensch. Er hält sich für besser, für höher stehend als andere Thiere, namentlich als andere Affen. Sehr wohl unterscheidet er zwischen erwachsenen Menschen und Kindern: erstere achtet, letztere liebt er, vorausgesetzt, daß es sich nicht um Knaben handelt, welche ihn necken oder sonstwie beunruhigen. Er hat witzige Einfälle und erlaubt sich Späße, nicht bloß Thieren, sondern auch Menschen gegenüber. Er zeigt Theilnahme für Gegenstände, welche mit seinen natürlichen Bedürfnissen keinen Zusammenhang haben, für Thiere, welche ihn sozusagen nichts angehen, mit denen er weder Freundschaft anknüpfen, noch in irgend ein anderes Verhältnis treten kann. Er ist nicht bloß neugierig, sondern förmlich wißbegierig. Ein Gegenstand, welcher seine Aufmerksamkeit erregte, gewinnt an Werth für ihn, wenn er gelernt hat, ihn zu benutzen. Er versteht Schlüsse zu ziehen, von dem einen auf etwas anderes zu folgern, gewisse Erfahrungen zweckentsprechend auf ihm neue Verhältnisse zu übertragen. Er ist listig, sogar verschmitzt, eigenwillig, jedoch nicht störrisch; er verlangt, was ihm zukommt, ohne rechthaberisch zu sein, bekundet Launen und Stimmungen, ist heute lustig und aufgeräumt, morgen traurig und mürrisch. Er unterhält sich in dieser und langweilt sich in jener Gesellschaft, geht auf passende Scherze ein und weist umpassende von sich. Seine Gefühle drückt er aus wie der Mensch. In heiterer Stimmung lacht er freilich nicht, aber er schmunzelt doch wenigstens, d. h. verzieht sein Gesicht und nimmt den unverkennbaren Ausdruck der Heiterkeit an. Trübe Stimmungen dagegen verkündet er ganz in derselben Weise wie ein Mensch, nicht allein durch seine Mienen, sondern auch durch klägliche Laute, welche jedermann verstehen muß, weil sie menschlichen mindestens in demselben Grade ähneln wie thierischen. Wohlwollen erwiedert er durch die gleiche Gesinnung, Uebelwollen womöglich in eben derselben Weise. Bei Kränkungen geberdet er sich wie ein Verzweifelter, wirft sich mit dem Rücken auf den Boden, verzerrt sein Gesicht, schlägt mit Händen und Füßen um sich, kreischt und rauft sich sein Haar. Andere Affen bekunden ähnliche Geistesfähigkeiten; beim Schimpanse aber erscheint jede Aeußerung des Geistes klarer, verständlicher, weil sie dem, was wir beim Menschen sehen, entschieden ähnlicher ist als die Verstandesäußerung jener Thiere.
   Im hohen Grade anziehend benimmt er sich Kindern gegenüber. Er ist an und für sich durchaus nicht bösartig oder gar heimtückisch und behandelt eigentlich jedermann freundlich und zuvorkommend, Kinder aber mit besonderer Zärtlichkeit, und dies um so mehr, je kleiner sie sind. Mädchen bevorzugt er Knaben, aus dem einfachen Grunde, weil letztere es selten unterlassen können, ihn zu necken; und wenn er auch auf solche Scherze gern eingeht, scheint es ihn doch zu ärgern, von so kleinen Persönlichkeiten sich gefoppt zu sehen. Als er zum erstenmal meinem sechswöchentlichen Töchterchen gezeigt wurde, betrachtete er zunächst das Kind mit sichtlichem Erstaunen, als ob er sich über dessen Menschenthum vergewissern müsse, berührte hierauf das Gesicht überaus zart mit einem Finger und reichte schließlich freundlich die Hand hin. Dieser Charakterzug, welchen ich bei allen von mir gepflegten Schimpansen beobachtet habe, verdient besonders deshalb hervorgehoben zu werden, weil er zu beweisen scheint, daß unser Menschenaffe auch im kleinsten Kinde immer noch den höher stehenden Menschen sieht und anerkennt. Gegen Seinesgleichen benimmt er sich keineswegs ebenso freundlich. Ein junges Schimpanseweibchen, welches ich früher pflegte, zeigte, als ich ihm ein junges Männchen seiner Art beigesellte, keine Theilnahme, kein Gefühl von Freude oder Freundschaft für dieses, behandelte das schwächere Männchen im Gegentheile mit entschiedener Roheit, versuchte es zu schlagen, zu kneipen, überhaupt zu mißhandeln, so daß beide getrennt werden mußten. Ein solches Betragen hat sich keiner der von mir gepflegten Schimpansen gegen Menschenkinder zu Schulden kommen lassen.
   Heute, während ich diese Zeilen überlese, weilt das vortreffliche Thier nicht mehr unter den Lebenden. Eine Lungenentzündung, welche auf eine Halsdrüsengeschwulst folgte, hat seinem Dasein ein Ende gemacht. Ich habe mehrere Schimpansen krank und einige von ihnen sterben sehen: keiner von allen hat sich in seinen letzten Lebenstagen so menschlich benommen wie dieser eine. Das mehrfach erwähnte Männchen kam ebenfalls krank in Europa an, war, wie ein leidendes Kind in gleicher Lage, eigensinnig, klammerte sich ängstlich an dem ihm zuertheilten Wärter fest oder ruhte bewegungslos auf seinem Lager, den schmerzenden Kopf mit einer oder beiden Händen haltend, verweigerte Arzneien zu nehmen, zeigte sich auch sonst oft unfolgsam und unartig: vorstehend beschriebener Schimpanse, der gesittetste, welchen ich jemals kennengelernt habe, verleugnete auch während seiner Krankheit die ihm gewordene Erziehung nicht.



   Fledertiere (Flatterthiere)


   Noch ehe bei uns an schönen Sommertagen die Sonne zur Rüste gegangen ist, beginnt eine der merkwürdigsten Ordnungen unserer Klasse ihr eigenthümliches Leben. Aus allen Ritzen, Höhlen und Löchern hervor kriecht eine düstere, nächtige Schar, welche sich bei Tage scheu zurückgezogen hatte, als dürfte sie sich im Lichte der Sonne nicht zeigen, und rüstet sich zu ihrem nächtlichen Werke. Je mehr die Dämmerung hereinbricht, um so größer wird die Anzahl dieser dunklen Gesellen, bis mit eintretender Nacht alle munter geworden sind und nun ihr Wesen treiben. Halb Säugethier, halb Vogel, stellen sie ein Bindeglied zwischen einer Klasse zur anderen dar, und dieser Halbheit entspricht auch ihr Leibesbau und ihre Lebensweise. Sie sind eben weder das eine noch das andere ganz: sie, die Fledermäuse, sind gleichsam ein Zerrbild der vollendeten Fluggestalt des Vogels, aber auch ein Zerrbild des Säugethiers.
   Die geistigen Fähigkeiten der Flatterthiere sind keineswegs so gering, als man gern annehmen möchte, und strafen den auf ziemliche Geistesarmut hindeutenden Gesichtsausdruck Lügen. Ihr Gehirn ist groß und besitzt Windungen. Hierdurch ist schon angedeutet, daß ihr Verstand kein geringer sein kann. Alle Flatterthiere zeichnen sich durch einen ziemlich hohen Grad von Gedächtnis und einige sogar durch verständige Ueberlegung aus.
   Ein Beweis für das hochentwickelte Denkvermögen ist das häufige Vorkommen individueller Gewohnheiten bei Fledermäusen. So erzählt Kolenati, daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte, das Weibchen eines Schmetterlings verschonte, weil sie bemerkt hatte, daß dieses viele Männchen heranlockte, welche sie nun nach und nach wegschnappen konnte. Mein Bruder hatte eine Ohrenfledermaus so weit gezähmt, daß sie ihm durch alle Zimmer folgte und, wenn er ihr eine Fliege hinhielt, augenblicklich auf seine Hand sich setzte, um jene zu fressen. Solche und ähnliche Aeußerungen der Hirnthätigkeit auf die breite Faulbrücke Instinkt schieben zu wollen, erscheint geradezu widersinnig.
   Unter sich halten viele, vielleicht die meisten Flatterthiere gute Gemeinschaft. Einzelne Arten bilden zahlreiche Gesellschaften, welche gemeinschaftlich jagen und schlafen. Ganz ohne Streit und Kampf geht es dabei freilich nicht immer ab: eine gute Beute oder eine bequeme Schlafstelle ist genügend Ursache zur Zwietracht. Dafür versuchen Gesunde Kranken aber auch beizustehen und nach Kräften zu helfen, und zwar thun dies nicht allein die wehrhaften Flughunde, sondern ebenso kleinere Flatterthiere, beispielsweise Blattnasen. »Mein Diener«, erzählt Hensel, »kam einst auf den klugen Gedanken, mehrere lebende brasilianische Fledermäuse in hohe offene Glasgefäße zu thun und diese abends an geeigneten Orten aufzustellen. Am nächsten Morgen fanden sich in drei Gefäßen dreihundertfunfundzwanzig Fledermäuse derselben Art vor, welche sich, durch die Stimmender zuerst darin befindlichen Thiere angelockt, hineinbegeben hatten und nun wegen der glatten Wände der Gefäße ihr Gefängnis nicht verlassen konnten.« Auch diese Fledermäuse hatten sich offenbar nur aus dem Grunde zu den übrigen gesellt, um ihnen irgendwie zu helfen. Ungeachtet aller Geselligkeit der Fledermäuse einer und derselben Art, leben die Flatterthiere doch keineswegs mit allen Mitgliedern ihrer Ordnung in Frieden. Verschiedene Arten hassen sich auch wohl, und eine frißt die andere auf. Die blutsaugenden Blattnasen z. B. greifen, wie Kolenati beobachtete, die Ohrenfledermäuse an, um ihnen Blut auszusaugen, und diese fressen ihre Feinde dafür auf, handeln also vernünftiger als Menschen, welche sich von Blutsaugern ihres Geschlechtes ruhig brandschatzen lassen, ohne sie unschädlich zu machen.


   Flughund

   Die erste Unterabteilung und Familie wird gebildet durch die Flughunde oder fruchtfressenden Fledermäuse. Die größte aller bekannten Arten, der Kalong, fliegende Hund oder fliegende Fuchs (Pteropus edulis) [Heute: Pteropus vampyrus], lebt auf den indischen Inseln, namentlich auf Java, Sumatra, Banda und Timor, wie alle seine Familienglieder entweder in größeren Wäldern oder in Hainen von Fruchtbäumen, welche alle Dörfer Java‘s umgeben, hier mit Vorliebe die wagerechten Aeste des Kapok (Eriadendron) und des Durian (Durio zibethinus) zu seinem Ruhesitz sich erwählend. Unter Umständen bedeckt er die Aeste so dicht, daß man sie vor Kalongs kaum noch unterscheiden kann. Gegen Abend setzt die Masse sich in Bewegung, und einer fliegt in einem gewissen Abstande hinter dem anderen her; doch kommt es auch vor, daß die Schwärme in dichterem Gedränge gemeinschaftlich einem Orte zufliegen.
   Ihre Nahrung besteht aus den verschiedensten Früchten, insbesondere mehrerer Feigenarten und der Mango, denen zu Liebe sie massenhaft in die Fruchtgärten auf Java einfallen, hier oft erheblichen Schaden anrichtend. Doch begnügen sie sich keineswegs einzig und allein mit pflanzlicher Nahrung, stellen im Gegentheile auch verschiedenen Kerfen und selbst kleinen Wirbelthieren nach.
   Hier und da werden Kalongs verfolgt, weniger des von ihnen verursachten Schadens halber, als um sie für die Küche zu verwenden. Der Malaie bedient sich zu ihrer Jagd in der Regel des Blasrohres, zielt auf ihre Fittige, den empfindlichsten Theil des Leibes, betäubt sie und bringt sie so in seine Gewalt; der Europäer wendet erfolgreicher das Feuergewehr an. »Ihre Zubereitung erfordert eine große Sorgfalt, da Haut und Fell einen ranzigen, stark fuchsartigen Geruch haben. Aus diesem Grunde kocht man sie meist mit viel Gewürz und Zuthaten, und so zubereitet schmecken sie in der That vortrefflich, ähnlich wie ein gut gebratener Hase.« Gefangene fügen sich rasch in den Verlust ihrer Freiheit, werden auffallend bald zahm und lassen sich auch sehr leicht erhalten.
   Um so lächerlicher ist es, wenn Thierbudenbesitzer das harmlose Geschöpf heute noch in der abscheulichsten Weise verleumden. Die »Zeitung von Staats– und gelehrten Sachen« in der großen »Hauptstadt der Bildung« brachte unter den übrigen wissenschaftlichen Nachrichten noch im Jahre 1858 ihrem Leserkreise die überraschende Nachricht, daß der berüchtigte Vampir oder Blutsauger zum ersten Male lebend in Berlin sei, und daß dieses entsetzliche Thier in der Nacht lebendes Vieh morde und Blut sauge. Die Milch und Semmel, welche in dem Käfige des Ungeheuers aufgestellt war, um ihm als Nahrung zu dienen, wurde bei dieser Anzeige klüglich nicht erwähnt.
   Ein Flughund, welchen ich durch eigene Beobachtung wenn auch nur in Gefangenschaft kennen gelernt habe, der Flugfuchs, wie wir ihn nennen wollen (Pteropus Edwardsi) [Heute: Pteropus giganteus] erreicht eine Länge von 28 bis 32 Centim. und klaftert zwischen 1,1 bis 1,25 Meter.
   Unter allen bekannten Flughunden gelangt diese Art am häufigsten lebend nach Europa, bleibt bei geeigneter Pflege in unseren Käfigen auch geraume Zeit am Leben.
   Ueber Tags hängen die Flughunde an einem ihrer Beine sich auf, bald an dem rechten, bald an dem linken, ohne dabei regelmäßig zu wechseln. Das andere Bein wird in schiefer Richtung von oben nach unten oder von hinten nach vorne über den Bauch gelegt, der Kopf auf die Brust herab, im Hängen also heraufgebogen, so daß das Genick den tiefsten Punkt des Körpers bildet und nur die gespitzten Ohren es überragen. Nachdem das Thier diese Stellung eingenommen hat, schlägt es erst den einen Fittig mit halb entfalteter Flatterhaut um den Leib, sodann den zweiten etwas mehr gebreiteten darüber und hüllt dadurch den Kopf bis zur Stirnmitte, den Leib bis auf den Rükken vollkommen ein.
   Der Schlaf währt so lange als die Sonne am Himmel steht, wird aber zeitweilig unterbrochen, um irgend ein wichtiges oder unaufschiebliches Geschäft vorzunehmen. Zu den regelmäßigen Arbeiten gehört das Putzen der Flatterhaut. Es handelt sich dabei nicht allein um Reinigung, sondern, und mehr noch, um Einfetten und Geschmeidigmachen dieses wichtigen Gebildes.
   Erst nach wirklich eingetretener Dunkelheit sind sie zu vollem Leben erwacht. Ihre dunklen Augen schauen hell ins Weite. Noch einmal werden alle Felder der Flughaut beleckt und geglättet, die Fittige abwechselnd gedehnt, gereckt und wieder zusammengefaltet, die Haare durch Kratzen und Lecken gekrümmt und gesäubert: nunmehr versuchen sie, in ihrem engen Gefängnisse die nöthige Bewegung sich zu verschaffen. Die Fittige bald etwas gehoben, bald wieder fast gänzlich zusammengeschlagen, klettern sie ununterbrochen auf und nieder, kopfoberst, kopfunterst, durchmessen alle Seiten des Käfigs, durchkriechen alle Winkel. Es sieht zum Erbarmen aus, wie sie sich abmühen, irgendwo oder wie die Möglichkeit zu entdecken, ihrer Bewegungslust Genüge zu leisten. Man möchte ihnen auch gern helfen; leider aber ist es nicht möglich, sie so unterzubringen, daß alle ihre Eigenschaften zur Geltung kommen können. Der größte Käfig wäre für sie als flatternde Säugethiere noch viel zu klein, dürfte sie sogar gefährden, weil sie in einigermaßen ausgedehntem Raume zu fliegen versuchen, an den Wänden anstoßen und sich schädigen würden. In einem größeren Raume sind sie übrigens im Stande, von ihrem hochhängenden Käfige aus wirklich zu fliegen.
   Meine Gefangenen, ein Pärchen, lebten im vollsten Einverständnisse zusammen. Besondere Zärtlichkeiten erwiesen sie sich freilich nicht; Zank und Streit kamen jedoch ebenso wenig vor. Sie fraßen gleichzeitig aus einer Schüssel, tranken gemeinschaftlich aus einer Tasse und hingen friedlich dicht neben einander. Auf Gleichgültigkeit gegen Gesellschaft war dieses schöne Verhältnis nicht zurückzuführen; dazu sind die Flughunde zu leidenschaftlich. So gutmüthig sie zu sein scheinen, so willig sie sich von uns behandeln, berühren, streicheln lassen, so heftig werden sie, wenn Fremde sie muthwillig stören oder necken. Ein höchst ärgerliches Knurren verkündet dann deutlich, wie zornig sie sind. Ihre Leidenschaft äußert sich auch zuweilen ihres Gleichen gegenüber, und es ist immer gefährlich, zwei Flughunde, welche nicht durch eine längere Reise an einander gewöhnt, vielleicht zusammen gefangen genommen worden waren, in einem Gebauer unterzubringen.
   Leider halten sich gefangene Flugfüchse auch bei der besten Pflege nicht allzu lange Zeit. Man kann ihnen alles ersetzen, nur die ihnen so nothwendige Flugbewegung nicht. Infolge dessen bekommen sie früher oder später Geschwüre an verschiedenen Stellen ihrer Fittige und gehen an diesen schließlich zu Grunde. Gleichwohl sollen einzelne Stücke im Londoner Thiergarten mehrere Jahre gelebt und sich fortgepflanzt haben. Auch meine Gefangenen leben nunmehr seit länger als zwei Jahren im Käfige. Ihre Geschwüre an den Flügeln haben wir durch Aetzen mit Höllenstein geheilt; seitdem scheinen sie sich sehr wohl zu befinden.


   Zwergfledermaus

   Von 300 mit Sicherheit unterschiedenen Fledermausarten gehören etwa 195 zu den Glattnasen.
   Das kleinste Mitglied der Gruppe, das kleinste europäische Flatterthier überhaupt, ist die Zwergfledermaus (Nannugo pipistrellus) [Heute: Plpistrellus pipistrellus]. Ihre Gesammtlänge beträgt nur 6,7 Centim., wovon der Schwanz 3,1 Centim. wegnimmt; die Fittige klaftern 17 bis 18 Centim. Der in der Färbung wechselnde Pelz ist oben gelblichrostbraun, auf der Unterseite mehr gelblichbraun, das zweifarbige Haar an der Wurzel dunkler, an der Spitze fahlbräunlich. Die dickhäutigen Ohr– und Flughäute haben dunkelbraunschwarze Färbung.
   Die Zwergfledermaus bewohnt fast ganz Europa und den größten Theil von Nord– und Mittelasien; ihr Verbreitungsgebiet reicht von Skandinavien und Spanien bis Japan. In Rußland und Skandinavien findet man sie, laut Blasius, noch gegen den 60. Grad nördlicher Breite. In Deutschland gibt es keine Stadt, kein Dorf, ja fast kein Hofgut, auf welchem man sie nicht anträfe, falls man einmal ihre meist sehr verborgenen Aufenthaltsorte kennen gelernt hat. Während der Tagesruhe findet man sie in verschiedenen Schlupfwinkeln unter Dächern, in Mauer– und Balkenritzen, Gewölben, in Baumlöchern, unter der Rinde alter Bäume oder unter Holzgetäfel, Bildern u. a., selbst in den Aesten dichtbelaubter Bäume, Epheuranken und an ähnlichen Orten.
   Je nach der Jahreszeit kommt die Zwergfledermaus früher oder später in ihrem Jagdgebiete zum Vorscheine. Altum hat hierüber ausführliche Beobachtungen angestellt und versichert, daß ihre Pünktlichkeit im Erscheinen den Fluganfang bei gleich günstiger Witterung fast nach Minuten bestimmen läßt.
   Der Flug der Zwergfledermaus zeichnet sich durch große Gewandtheit aus, erscheint jedoch der geringen Größe des Thieres entsprechend, wie Altum passend sich ausdrückt, kleinlich behend. Die Höhe ihres Fluges ist nach Angabe dieses Beobachters sehr verschieden. Sie jagt vorübergehend niedrig über dem Wasserspiegel kleiner Teiche umher, huscht häufiger zwischen den Stämmen von Baumgruppen hindurch und flattert, namentlich an heiteren Abenden, in einer Höhe von 15 bis 20 Meter. In der Stadt, wo sie sehr zahlreich auftritt, hält sie weit die Höhe des zweiten Stockwerks inne.
   Die Fortpflanzung fällt in die ersten Monate; bisweilen begatten sich die Zwergfledermäuse schon im Monat Februar, unter ungünstigen Umständen spätestens in der ersten Hälfte des März. Im Mai bringen sie zwei, seltener nur ein einziges Junges zur Welt; Ende Juni‘s oder im Juni sieht man die schon wohl entwickelten Kinderchen vereint mit ihren Müttern fliegen und kann sie, auch abgesehen von der Größe, noch sehr wohl von den Alten unterscheiden.
   Mehr als andere Flatterthiere wird die Zwergfledermaus von allerlei Feinden bedroht. Man findet ihre Schädelreste in den Gewöllen verschiedener Tag– und Raubvögel, und nach Koch ist es namentlich der Thurmfalke, welcher ihr nachstellt und sie jeder anderen Nahrung vorzuziehen scheint. Auch Marder, Iltis und beide Wiesel nehmen gar manche weg, und selbst die Mäuse arbeiten sich im Winter zu den Aufenthaltsorten unserer Flatterthiere durch, überfallen sie und fressen sie auf.


   Blattnase

   Blattnasen oder Blutsauger (Istiophora) heißen die Mitglieder der letzten Hauptabteilung. Alle hierher gehörigen Flatterthiere unterscheiden sich von den übrigen durch häutige Nasenaufsätze, deren Form mannigfachem Wechsel unterworfen ist, im wesentlichen aber aus einem mehr oder minder entwickelten Hautblatte auf der Nase besteht.
   Die Blattnasen sind zahlreich über alle Erdtheile verbreitet, kommen aber nur in heißen und gemäßigten Ländern derselben vor. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich in Kerbthieren, zumal Abend– und Nachtschmetterlingen, Käfern, Haften, Mücken, Eintagsfliegen; wohl die meisten von ihnen aber sind Blutsauger und überfallen Vögel und Säugethiere, auch selbst den Menschen während des Schlafes. Obgleich gegenwärtig vielfache Beobachtungen über das Blutsaugen vorliegen, schwebt doch noch ein eigenthümliches Dunkel, so recht im Sinne der Vampirsage, über dieser auffallenden Thätigkeit unserer Flatterthiere.
   Genaueres berichtet der Spanier Azara, welcher den Blutsauger »Mordedor«, zu Deutsch Beißer, nennt. »Zuweilen«, sagt er, »beißen sie sich in den Kamm und in die Kinnlappen der schlafenden Hühner ein, um ihnen Blut auszusaugen, und die Hühner sterben daran gewöhnlich, zumal wenn die Wunden, wie fast immer geschieht, sich entzünden. Ebenso beißen sie Pferde, Esel, Maulthiere und Kühe regelmäßig in die Seiten, die Schultern oder in den Hals, weil sie dort mit Leichtigkeit sich festhalten können. Dasselbe thun sie mit dem Menschen, wie ich bezeugen kann, weil ich selbst vier Mal in die Zehen gebissen worden bin, während ich unter freiem Himmel oder in Feldhäusern schlief. Die Wunde, welche sie mir beibrachten, ohne daß ich es fühlte, war rund oder länglichrund und hatte eine Linie im Durchmesser, aber so geringe Tiefe, daß sie kaum die ganze Haut durchdrang. Man erkannte sie durch aufgetriebene Ränder. Meiner Schätzung nach betrug das Blut, welches nach dem Bisse floß, etwa dritthalb Unzen. Allein bei Pferden und anderen Thieren mag diese Menge gegen drei Unzen betragen, und ich glaube, daß sie schon wegen des dicken Felles größere und tiefere Wunden an ihnen hervorbringen. Das Blut kommt nicht aus den Hohl– oder Schlagadern; denn bis dahin dringt die Wunde nicht ein, sondern bloß aus den Haargefäßen der Haut, aus denen sie es unzweifelhaft schlürfend und saugend herausziehen. Obgleich die mir beigebrachten Bisse einige Tage ein wenig schmerzten, waren sie doch von so geringer Bedeutung, daß ich weder ein Mittel dagegen anzuwenden brauchte, noch an meinem Gehen verhindert wurde. Weil sie also keine Gefahr bringen und die Thiere bloß in jenen Nächten Blut saugen, in denen ihnen andere Nahrung fehlt, fürchtet und verwahrt sich Niemand vor ihnen. Man erzählt, daß sie ihr Opfer mit den Flügeln an derjenigen Stelle, wo sie saugen wollen, fächeln, damit die Thiere nichts fühlen sollen.« Die übrigen volksthümlichen Anschauungen über den Vampir bestreitet Azara auf das nachdrücklichste.
   Rengger fügt den Angaben Azara‘s das Nachstehende hinzu: »Ich habe wohl hundert Male die Verletzung der Maulesel, Pferde und Ochsen untersucht, ohne über die Art, wie sie hervorgebracht, zur Gewißheit zu kommen. Die beinahe trichterförmige Wunde hat gewöhnlich einen Viertelzoll im Durchmesser, zuweilen etwas mehr, und je nach dem Theile des Körpers eine Tiefe von einer bis zu zwei Linien. Sie reicht niemals durch die Haut hindurch bis auf die Muskeln. Man bemerkt an ihr keinen Eindruck von Zähnen wie bei Bißwunden, hingegen ist ihr Rand immer sehr aufgelockert und angeschwollen. Ich kann daher nicht glauben, daß die Blattnasen (Phyllostoma) und die Blattzüngler (Glossophaga) zugleich vermittels eines Bisses den Saumthieren diese Wunden beibringen, wobei übrigens jedes schlafende Thier erwachen und sich seines Feindes entledigen würde. Vielmehr vermuthe ich, daß sie erst durch Saugen mit den Lippen die Haut unempfindlich machen, wie dies durch Aufsetzen von Schröpfköpfen geschieht, und dann, wenn sie angeschwollen ist, mit den Zähnen eine kleine Oeffnung zu Stande bringen. Durch diese bohren sie nun, wie mir wahrscheinlich ist, ihre ausdehnbare, gleichfalls zum Saugen dienende Zunge allmählich in die Haut hinein, wodurch die trichterförmige Aushöhlung entsteht. Die Unmöglichkeit, daß die Fledermäuse zu gleicher Zeit saugen und ihre Flügel bewegen, ist uns durch die Beschaffenheit der letzteren vergegenwärtigt.«
   An diese Berichte schließen sich am besten die eingehenden Mittheilungen Hensels an:
   »Das Gebiß der meisten Blattnasen gleicht durch die Kleinheit der Schneidezähne und die Größe der Eckzähne vollkommen dem der Raubthiere, und die von ihnen herrührenden Wunden haben ganz das eben beschriebene Gepräge, wie man dies sehr leicht bei dem Fange dieser Thiere, welche sehr bissig sind, beobachten kann. Die Wunden aber, welche man an den von Blutsaugern gebissenen Pferden oder Maulthieren untersucht, sind von ganz anderer Beschaffenheit. Sie stellen eine kleine eiförmige Fläche vor, welche nur schwach vertieft ist und an Umfang etwa dem einer Linse gleicht. Die Schnittfläche ist nicht senkrecht gegen die Oberfläche der gebissenen Stelle gerichtet, wie dies bei Wunden durch Eckzähne der Fall sein würde, sondern geht ihr im ganzen parallel. Man könnte eine ähnliche Wunde hervorbringen, wenn man die Haut mit einer Greifzange etwas in die Höhe ziehen und nun, mit einem Messer wie beim Rasiren über die Haut fahrend, die hervorgehobene Stelle wegschneiden würde. Durch einen solchen Schnitt oder Biß, mit welchem immer ein Stoffverlust verbunden ist, wird eine große Anzahl seiner Hautgefäße durchschnitten, und es tritt sofort eine reichliche und lange dauernde Blutung ein. Wenn auch die Pferde am Abend oder in der Nacht von Blutsaugern gebissen wurden, so fließt nicht selten noch am nächsten Morgen das Blut in einem schmalen Streifen vom Halse der gebissenen Thiere zur Erde, oder über die Schulter und an den Vorderbeinen hinunter. Solche Wunden können nur durch große, eigenthümlich schaufelförmig gebaute und dabei scharfe Schneidezähne hervorgebracht werden. Ein solches Gebiß aber findet sich bloß bei den mit einander nahe verwandten Gattungen der Schneidflatterer (Desmodus) und Kammzahnflatterer (Diphylla). Ich habe daher die bestimmte Ueberzeugung, daß einzig und allein diese beiden Sippen unter allen Fledermäusen Blutsauger sind, und daß alle Erzählungen von anderen blutsaugenden Flatterthieren auf Irrthum oder Misverständnissen beruhen.«
   Wie aus dem Nachfolgenden mit gar nicht anzuzweifelnder Sicherheit hervorgeht, ist die Folgerung Hensels irrthümlich, und würde er es jedenfalls vermieden haben, sich so bestimmt auszusprechen, hätte er sich daran erinnert, daß auch unsere europäischen, ja selbst deutschen Arten der Blattnasenfamilie erwiesenermaßen Blutsauger sind. Doch nimmt dieser Irrthum den Angaben Hensels meiner Ansicht nach nicht das geringste von ihrem Werthe.
   Außer dem gewissenhaften Azara sind auch noch andere Reiseberichter von Blutsaugern gebissen und angezapft worden. »Vor einigen Jahren«, erzählt Waterton in seinen Wanderungen in Südamerika, »kam ich mit einem Schotten Tarbot an den Fluß Paumaron. Wir befestigten unsere Hängematten auf dem mit Stroh gedeckten Boden in dem Hause eines Pflanzers. Am nächsten Morgen hörte ich diesen Herrn in seiner Matte murmeln und dann und wann eine Verwünschung ausstoßen.
   ›Was gibts, Herr!‹ fragte ich leise, ›ist irgend etwas nicht recht –‹
   ›Was es gibt –‹ antwortete er verdrießlich, ›nun, die Fledermäuse haben mich zu Tode gesogen.‹
   Sobald es hell genug war, ging ich an seine Hängematten und fand sie sehr mit Blut bedeckt.
   ›Da‹, sagte er, seine Füße vorstreckend, ›sehen Sie, wie diese höllischen Kobolde mein Lebensblut abgezapft haben.‹
   Ich untersuchte seine Füße und fand, daß der Vampir seine große Zehe angebohrt hatte. Es war eine etwas geringere Wunde als die, welche von Blutegeln herrührt. Das Blut floß noch immer heraus, ich vermuthete, daß er zehn bis zwölf Unzen davon verloren haben konnte.«
   Ein nicht näher bezeichneter Reisender ließ sich, wie Cassell mittheilt, von einem Vampir Blut aussaugen, um ihn dabei beobachten zu können. Der Mann hatte sich in dem großen Zimmer eines Hauses zur Ruhe niedergelegt, die Mückennetze um sein Bett aber, weil die Nacht heiß war, nicht niedergelassen. Vollkommen wach, schaute er auf die Mondstrahlen, welche durch die offenen Fenster in den Raum fielen. Da erschien ein großer Vampir in dem Zimmer. Unser Beobachter blieb vollkommen ruhig, um zu sehen, was die Fledermaus thun würde. Zuerst segelte sie geräuschlosen Fluges von einem Ende des Zimmers zum anderen; nachdem sie aber verschiedene Male den gleichen Weg gemacht hatte, flatterte sie zwischen dem Betthimmel und dem Ruhenden hin und her. Nach und nach verkürzte sie ihre Windungen, senkte sich mehr und mehr hernieder, kam dicht über ihn und bewegte sich ihre Schwingen außerordentlich schnell, jedoch ohne jedes Geräusch. Sie fächerte ihrem Opfer eine höchst angenehme Kühlung zu. Dann senkte sie sich vollends hernieder. Der Erzähler versichert, daß er den Augenblick, in welchem der Vampir in seine entblößte Brust biß, nicht bestimmen konnte, so schmerzlos war der Biß und so angenehm das Fächeln der Schwingen. Nach und nach fühlte er aber doch ein leichtes Schmerzgefühl, welches an das vom Biß eines Blutegels herrührende erinnerte, griff zu und erwürgte den Blutsauger.



   Zahnlose


   Gürtelthier

   Senkte sich mehr und mehr hernieder, kam dicht über ihn und bewegte ihre Schwingen außerordentlich schnell, jedoch ohne jedes Geräusch. Sie fächelte ihrem Opfer eine höchst angenehme Kühlung zu. Dann senkte sie sich vollends hernieder. Der Erzähler versichert, daß er den Augenblick, in welchem der Vampir in seine entblößte Brust biß, nicht bestimmen konnte, so schmerzlos war der Biß und so angenehm das Fächeln mit den Schwingen. Nach und nach fühlte er aber doch ein leises Schmerzgefühl, welches an das von dem Biß eines Blutegels herrührende erinnerte, griff zu und erwürgte den Blutsauger.
   Die Gürtelthiere oder Armadille (Dasypus) haben sämmtlich mehr oder weniger dieselbe Gestalt. Der auf niederen Beinen stehende Leib ist gedrungen, der kegelförmige Schwanz mittellang, gepanzert und steif, der Schildpanzer knöchern und vollständig mit dem Leibe verwachsen. In der Mitte verlaufen sechs oder mehr bewegliche Gürtel.
   Das Sechsbindengürtelthier (Dasypus sexcinctus) [Heute: Weißborsten– oder Sechsbindengürteltier, Euphractus sexcinctus], welches unsere Abbildung darstellt, ist einschließlich des 20 Centim. langen Schwanzes 56 bis 60 Centim. lang, trägt hinter und zwischen den Ohren ein aus acht Stücken bestehendes Schilderband, hat zwischen dem Schulter– und Rückenpanzer sechs breite Gürtel und bräunlichgelbe, oberseits dunklere Panzer– und blaßbräunlichgelbe Hautfärbung.
   Gürtelthiere leben nicht in einem bestimmten Gebiete, sondern ändern öfters ihr Lager. Dieses besteht in einer gangförmigen, ein bis zwei Meter langen Höhle, welche von ihnen selbst gegraben wird. An der Mündung ist die Höhle kreisförmig und hat nach der Größe des Thieres einen Durchmesser von 20 bis 60 Centim.; gegen das blinde Ende zu wird der Gang weiter und zuletzt kesselartig, so daß das Thier im Grunde bequem sich umdrehen kann. Die Richtung des Ganges ist verschieden. Anfangs geht derselbe schief, meist unter einem Winkel von etwa vierzig bis fünfundvierzig Graden in die Tiefe hinab, dann wendet er sich halb gerade, d. h. wagerecht fort, bald biegt er sich nach dieser oder jener Seite hin. In solchen Höhlen bringen die Gürtelthiere alle Zeit zu, welche sie nicht zum Aufsuchen ihrer Beute verbrauchen. In den Wildnissen gehen sie, wenn der Himmel bewölkt und das grelle Sonnenlicht ihnen nicht beschwerlich fällt, auch bei Tage aus, in bewohnten Gegenden verlassen sie die Baue nicht vor einbrechender Dämmerung, streifen dann aber während der ganzen Nacht umher. Es scheint ihnen ziemlich gleichgültig zu sein, ob sie zu ihrer Höhle sich zurückfinden oder nicht; denn sie graben sich, falls sie den Weg verfehlt haben sollten, ohne weitere Umstände eine neue. Hiermit verbinden sie zugleich einen doppelten Zweck. Azara beobachtete, und andere Naturforscher bestätigen dies, daß die Gürtelthiere ihre Baue hauptsächlich unter Ameisen– oder Termitenhaufen anlegen, weil sie hierdurch in den Stand gesetzt werden, ihre hauptsächlichste Nahrung mit größter Bequemlichkeit auch bei Tage einzusammeln. Sie unterwühlen solche Haufen und bringen es schließlich dahin, daß der Bau, für eine gewisse Zeit wenigstens, ausgenutzt wird. Dann kann ihnen nichts mehr an der alten Höhle liegen, und sie sind gewissermaßen gezwungen, sich eine neue zu graben, um einen erschöpften Boden mit einem frischen zu vertauschen. Nächst den Ameisen oder Termiten besteht ihre Nahrung vorzüglich aus Käfern und deren Larven, aus Raupen, Heuschrecken und Erdwürmern. Rengger bemerkte, daß ein Tatu Mistkäfer, welche sich in die Erde eingegraben, herausscharrte und hervorkommende Regenwürmer begierig aufsuchte und verzehrte, berichtigt aber die Meinung von Azara, welcher glaubte, daß kleine Vögel, nämlich Erdnister, sowie Eidechsen, Kröten und Schlangen vor den Nachstellungen der Gürtelthiere nicht sicher seien, und glaubt auch, daß das Aas von ihnen bloß zu dem Zwecke aufgesucht werde, um die dort sich findenden Kerbthiere aufzufressen. Unzweifelhaft fest dagegen steht, daß Gürtelthiere Pflanzennahrung zu sich nehmen: Rengger hat solche in dem Magen der von ihm getödteten Thiere gefunden.
   Höchst wahrscheinlich geht das Gürtelthier, solange es einen ergiebigen Bau unter einem Termitenhaufen bewohnt, mehrere Nächte gar nicht nach Nahrung aus, sondern verweilt Tage lang im Baue, nimmt die von oben herabfallenden Ameisen gemächlich mit seiner Zunge auf und schluckt sie hinab. Sobald aber die Weide im Hause anfängt knapp zu werden, unternimmt es Streifzüge, besucht Gärten und Pflanzungen, um Raupen, Larven und Schnecken aufzulesen, unterwühlt einen oder den andern Ameisenhaufen u. a. Zwei verschiedene, sich gerade antreffende Gürthelthiere geben sich bei gelegener Zeit wohl auch ein Stelldichein und verweilen ein paar Minuten mit einander. Auf solchen nächtlichen Streifereien findet, wie Rengger bei Mondscheine beobachtete, die Paarung statt. Männchen und Weibchen begegnen sich zufällig, beschnuppern sich ein paar Minuten lang, befriedigen ihren Geschlechtstrieb und trollen weiter, so gleichgültig, als hätte es für das eine oder das andere kein zweites Gürtelthier in der Welt gegeben.
   Es läßt sich erwarten, daß die geschilderten Streifereien immer nur innerhalb eines kleinen Kreises stattfinden können. Der gewöhnliche Gang aller Armadille ist ein langsamer Schritt, die größte Beschleunigung, deren sie fähig sind, ein etwas schnellerer Wechsel der Beine, welcher sie immerhin so rasch fördert, daß ein Mensch sie nicht einholen kann. Sätze zu machen oder sich schnell und gewandt herum zu drehen, sind ihnen Dinge der Unmöglichkeit. Ersteres verwehrt die Schwerleibigkeit, das letztere der enge Anschluß des Panzers. So können sie also, wenn sie ihren Lauf auf das äußerste beschleunigen wollen, nur in gerader Richtung oder in einem sehr großen Bogen dahintrollen, und sie würden ihren verschiedenen Feinden geradezu widerstandslos preisgegeben sein, wenn sie nicht andere Kunststücke verständen. Was ihnen an Gewandtheit gebricht, wird durch ihre große Muskelkraft ersetzt. Diese zeigt sich besonders in der Schnelligkeit, mit welcher sie sich in die Erde eingraben, und zwar an Stellen, wo eine Haue nur mit Mühe eindringt, z. B. am Fuße von Termitenhügeln. Ein ausgewachsener Tatu, welcher einen Feind in der Nähe wittert, braucht nur drei Minuten, um einen Gang zu graben, dessen Länge die seines Körpers schon um ein beträchtliches übertrifft. Beim Graben kratzen die Gürtelthiere mit den Nägeln der Vorderfüße die Erde auf und scharren mit den Hinterfüßen den aufgelockerten Theil derselben hinter sich. Sobald sie sich über Körperlänge eingegraben haben, ist selbst der stärkste Mann nicht mehr im Stande, sie, am Schwanze sie packend, rückwärts aus dem Gange herauszuziehen. Da ihre Höhlen niemals größer sind, als zum Einschlüpfen eben erforderlich, brauchen sie nur ihren Rücken etwas zu krümmen, dann leisten die Ränder der Binden nach oben und die scharfen Klauen nach unten hin so starken Widerstand, daß alle Manneskraft vergeblich ist, ihn zu bewältigen.
   Je nach dem Zeitpunkte der Begattung wirft das Weibchen im Winter oder im Frühjahre, trotz seiner geringen Zitzenzahl, vier bis sechs Junge und hält sie während einiger Wochen sorgsam in seiner Höhle versteckt. Die Jungen lassen sich schwer unterscheiden, und die Brasilianer glauben deshalb, daß alle eines Wurfes desselben Geschlechtes seien. Wahrscheinlich dauert die Säugezeit nicht lange; denn man sieht die Jungen bald im Felde herumlaufen. Sobald sie einigermaßen erwachsen sind, geht jedes seinen eigenen Weg, und die Alte bekümmert sich nicht im geringsten mehr um ihre Sprößlinge. Ueberhaupt findet man die Gürthelthiere immer einzeln und höchstens die Mutter mit ihren saugenden Jungen in einem und demselben Baue.
   Man jagt den Tatu gewöhnlich bei Mondscheine. Der Jäger bewaffnet sich mit einem dicken Stocke von hartem Holze, welcher am Ende spitz oder auch keulenfönmig zuläuft, und sucht mit einigen Hunden das Wild auf. Bemerkt der Tatu die Hunde noch rechtzeitig, so flieht er augenblicklich nach seiner eigenen Höhle oder gräbt sich so schnell als möglich und zwar viel lieber, als er in einem fremden Baue seine Zuflucht sucht, eine neue. Kommen ihm die Hunde aber auf den Leib, ehe er die Höhle gewinnt, so ist er verloren. Da sie ihn mit den Zähnen nicht anpacken können, halten sie ihn mit der Schnauze und den Pfoten fest, bis der Jäger hinzukommt und ihn durch einen Schlag auf den Kopf erlegt.
   Bei der Unmasse von Höhlen, welche man da findet, wo die Thiere häufiger sind, würde es schwer sein, die bewohnten von den verlassenen zu unterscheiden, wüßten die geübten Indianer nicht kleine Anzeichen zu deuten. Nach den bewohnten Höhlen hin sieht man eine eigenthümliche Spur im Sande verlaufen, eine kleine seichte Rinne nämlich, welche von dem nachschleppenden Schwanze gezogen wird. Vor der Höhle findet man auch gewöhnlich den Koth des Bewohners, weil dieser nie im Innern des Baues abgelegt wird, und endlich bemerkt man in allen Höhlen, welche gerade Tatus beherbergen, eine Menge von Stechmücken schwärmen, –jedenfalls in der Absicht, dem wehrlosen Panzerträger an den nichtgeschützten Theilen seines Leibes Blut abzuzapfen. Diese Anzeichen genügen erfahrenen Jägern vollständig. Alle Gürtelthiere sind den Südamerikanern verhaßte Geschöpfe, weil sie vielfache Unglücksfälle verschulden. Die kühnen Reiter der Steppen, welche den größten Theil des Lebens auf dem Pferde zubringen, werden durch die Arbeit der Gürtelthiere hier und da arg belästigt. Das Pferd, welches in gestrecktem Galopp dahinjagt, tritt plötzlich in eine Höhle und wirft den Reiter ab, daß er in weitem Bogen dahinschießt, bricht auch wohl ein Bein bei solchen Gelegenheiten. Deshalb verfolgen die Eigenthümer aller Meiereien die armen Panzerträger auf das erbittertste und grausamste. Außer den Menschen stellen ihnen die größeren Katzenarten, der brasilianische Wolf und der Schakalfuchs nach; doch scheinen ihnen alle diese Feinde nicht eben viel Schaden zu thun, da sie an den Orten, wo der Mensch sie in Ruhe läßt, immer in großer Anzahl vorkommen.
   Selten werden in Paraguay Tatus aufgezogen. Sie sind zu langweilige und ihres Grabens wegen auch zu schädliche Hausgenossen, als daß der Mensch sich besonders mit ihnen befreunden könnte. Uebertages halten sie sich in einem Winkel ihres Käfigs ganz ruhig, ziehen die Beine unter ihren Panzer zurück und senken die spitzige Schnauze gegen den Boden; bei einbrechender Nacht dagegen beginnen sie umherzulaufen, nehmen die ihnen vorgelegte Nahrung zu sich und versuchen von Zeit zu Zeit mit ihren Nägeln ein Loch auszuscharren.
   Die Nahrung der gefangenen Gürtelthiere, welche man auch häufig nach Europa bringt und in den meisten Thiergärten mit den Affen zusammensperrte, besteht aus Würmern, Kerbthieren, Larven und rohem oder gekochtem Fleische, welches letztere man ihnen aber in kleinen Stücken vorwerfen muß, weil sie von größeren nichts abbeißen können. Sie ergreifen die Speise mit den Lippen oder mit ihrer sehr ausdehnbaren Zunge. Bei einigermaßen entsprechender Pflege halten sie sich im besten Wohlsein jahrelang, dienen willig oder willenlos den Affen zu Reitthieren und Spielkameraden, lassen sich alles gefallen, gewöhnen sich an Spaziergänge bei Tage und schreiten auch wohl zur Fortpflanzung. Junge, welche im Londoner Thiergarten geboren wurden, kamen blind zur Welt, und ihre noch weiche Haut zeigte alle Falten und Felder des erwachsenen Thieres. Ihr Wachsthum ging außerordentlich schnell vor sich; eines hatte in Zeit von zehn Wochen 52 Unzen an Gewicht gewonnen und 25 Centim. an Größe zugenommen.


   Faulthier

   Der Unau oder das Zweizehenfaulthier (Choloepus didactylus), aus Giana und Surinam erreicht eine Länge von etwa 70 Centim. Das lange Haar, welches am Kopfe nach hinten, übrigens aber von der Brust und dem Bauche nach dem Rücken gestrichen ist und hier einen Wirbel bildet, ist im Gesicht, am Kopfe und im Nacken weißlich olivengrüngrau, am Leibe olivengrau, auf dem Rücken, wo es sich gegeneinander sträubt, dunkler als auf der Unterseite, an der Brust, den Armen und auf den Schultern sowie an den Unterschenkeln olivenbraun. Die nackte Schnauze sieht bräunlich fleischfarben aus, die vollkommen nackten Hand– und Fußsohlen haben fleischrothe, die Krallen bläulichgraue Färbung. Die Iris der mäßig großen Augen ist braun.
   In der zweiten Sippe vereinigt man die Dreizehenfaulthiere (Bradypus). Sie sind gedrungen gebaut, haben einen kleinen Kopf mit schief abgestutzer, hartlippiger Schnauze und kleiner Mundöffnung, einen sehr langen Hals, deutlich hervortretenden, seitlich abgeplatteten Schwanz und ziemlich kurze, kräftige Gliedmaßen, welche vorn und hinten drei, seitlich sehr stark zusammengedrückte Sichelkrallen tragen. Das Haar ist auf dem Kopfe gescheitelt und nach unten, übrigens aber ebenfalls von unten nach oben gerichtet; die Sohlen sind fast gänzlich behaart. Im Gebiß finden sich jederseits oben wie unten fünf Zähne, deren erster verkleinert ist und wie die übrigen eine hochumrandete ausgehöhlte Kaufläche zeigt. Die Wirbelsäule besteht aus 9, nach Rapp sogar aus 10 Hals-, 17 bis 19 Rücken-, 5 bis 6 Kreuz– und 9 bis 11 Schwanzwirbeln.
   Der Ai oder das Dreizehenfaulthier (Bradypus tridactylus) aus Brasilien erreicht eine Gesammtlänge von 52 Centim., wovon 4 Centim. auf den Schwanz kommen. Der Pelz besteht aus feinen, kurzen, dichten Wollenhaaren, an denen man die wahre Zeichnung des Thieres am besten wahrnehmen kann, und langen, trockenen harten, etwas glatten, heuähnlichen Grannenhaaren. Auf jeder Seite des Rückens zieht von den Schultern bis in die Schwanzgegend ein mehr oder weniger deutlicher, breiter Längsstreifen von bräunlicher Farbe herab. Der übrige Pelz ist blaßröthlich aschgrau, am Brauche silbergrau gefärbt. Wenn man die langen Haare des Rückens bis auf die darunter befindliche Wolle abschneidet, tritt die eigentliche Zeichnung des Thieres hervor, und man bemerkt dann einen längs des Rückens hinablaufenden dunklen, schwarzbraunen Längsstreifen und zu jeder Seite desselben einen ähnlichen weißen, alle drei scharf begrenzt, während sonst durch die langen Haare die Bestimmung der genauen Abgrenzung dieser Farbenvertheilung unmöglich wird. Ueber die Augen weg verläuft eine breite weißliche Binde zu den Schläfen. Die Augen sind schwarzbraun umringelt, und ein ebenso gefärbter Streifen zieht sich von den Schläfen herab. Die Klauen haben gelbliche oder bräunlichgelbe Färbung. Gewöhnlich bemerkt man graugelbe, anders als das übrige Fell gefärbte Flecken auf dem Rücken der Faulthiere. Hier sind die Haare abgenutzt, möglicherweise durch Reibung auf Baumästen oder aber durch die Jungen, welche die Mütter auf dem Rücken tragen; denn die saugenden Faulthiere reißen, wenn sie sich anhängen, mit ihren Klauen der Mutter nicht nur das Haar aus, sondern verderben auch noch ein Stück des Pelzes durch den Harn, welchen sie der Alten ohne weiteres auf den Rücken laufen lassen.
   Das Verbreitungsgebiet der Faulthiere beschränkt sich auf Südamerika. Jene großen Wälder in den feuchten Niederungen, in denen die Pflanzenwelt zur höchsten Entwickelung gelangt, bilden die Wohnorte der merkwürdigen Geschöpfe. Je öder, je dunkler und schattiger der Wald, je undurchdringlicher das Dickicht, um so geeigneter scheinen solche Oertlichkeiten für das Leben der verkümmerten Wesen. Auch sie sind echte Baumthiere wie der Affe oder das Eichhorn; aber diese glücklichen Geschöpfe beherrschen die Baumkronen, während jene sich abmühen müssen, um kriechend von einem Zweige zum anderen zu gelangen. Eine Strecke, welche für das leichte und übermüthige Volk der Höhe eine Luftwandlung ist, muß dem Faulthiere als eine weite Reise erscheinen.
   Höchstens zu einer Familie von wenigen Mitgliedern vereinigt, führen die trägen Geschöpfe ein langweiliges Stillleben und wandern langsam von Zweig zu Zweig. Im Verhältnis zu den Bewegungen auf dem Erdboden besitzen sie freilich noch eine ausnehmende Geschicklichkeit im Klettern. Ihre langen Arme erlauben ihnen, weit zu greifen, und die gewaltigen Krallen gestatten ihnen ein müheloses Festhalten an den Aesten. Sie klettern allerdings ganz anders als alle übrigen Baumthiere. Den Leib nach unten hängend, reichen sie mit ihren langen Armen nach den Aesten empor, haken sich hier mittels ihrer Krallen fest und schieben sich gemächlich weiter von Zweig zu Zweig, von Ast zu Ast. Doch erscheinen sie träger, als sie thatsächlich sind. Als Nachtthiere bringen sie freilich ganze Tage zu, ohne sich zu bewegen; schon in der Dämmerung aber werden sie munter, und nachts durchwandern sie, langsam zwar, jedoch nicht faul, je nach Bedürfnis ein größeres oder kleineres Gebiet. Sie nähren sich ausschließlich von Knospen, jungen Trieben und Früchten, und finden in dem reichlichen Thau, welchen sie von den Blättern ablecken, hinlänglichen Ersatz für das ihnen fehlende Wasser. Eine nicht in Abrede zu stellende Trägheit bekundet sich auch beim Erwerbe und bei der Aufnahme ihrer Nahrung: sie sind genügsam, anspruchslos und befähigt, Tage lang, wie einige behaupten, sogar Wochen lang zu hungern und zu dursten, ohne irgend welchen Schaden zu nehmen. Solange ihnen ein Baum Nahrung gewährt, verlassen sie denselben nicht; erst wenn die Weide knapp wird, denken sie daran, eine Wanderung anzutreten, steigen sodann langsam zwischen die tiefen Zweige hernieder, suchen sich eine Stelle aus, wo das Geäst der benachbarten Bäume mit dem ihres Weidebaumes sich verbindet und haken sich auf der luftigen Brücke zu jenem hinüber. Beim Fressen bedienen sie sich gewöhnlich ihrer langen Vorderarme, um entferntere Zweige an sich zu ziehen und Blätter und Früchte von denselben mit den Krallen abzureißen; dann führen sie die Nahrung mit den Vorderpfoten zum Munde. Außerdem erleichtert ihnen ihr langer Hals das Abweiden der Blätter, durch welche sie sich hindurchwinden müssen, sobald sie sich bewegen. Man sagt, daß sie auf dicht belaubten Bäumen viele Nahrung und während der Regenzeit auch viel Wasser zu sich nehmen können, und dies würde mit der Stumpfheit ihrer Werkzeuge nicht im Widerspruche stehen; denn diese gestattet ihnen die beiden äußersten des Ueberflusses und der Entsagung. Je höher ein Thier ausgebildet ist, um so gleichmäßiger werden alle Verrichtungen des Leibes vor sich gehen; je tiefer es steht, um so weniger abhängig ist es von dem, was wir Bedürfnisse des Lebens nennen. So können die Faulthiere ohne Beschwerde entbehren und schwelgen in dem einzigen Genusse, welchen sie kennen, in der Aufnahme ihrer Nahrung nämlich. Sie, welche sich sonst bloß mit dem Blätterthau laben, sollen nach der Aussage der Indianer während der Regenzeit verhältnismäßig rasch von den Bäumen herabsteigen, um sich den Flüssen zu nähern und dort ihren Durst zu stillen.
   Auf dem Boden sind die armseligen Baumsklaven fremd. Ihr Gang ist ein so mühseliges Fortschleppen des Leibes, daß er immer das Mitleid des Beschauers wach ruft. Der langsamen Landschildkröte vergleichbar, sucht das Faulthier seine plumpe Leibesmasse fortzuschaffen. Mit weit von sich gestreckten Gliedern, auf die Elnbogen gestützt, die einzelnen Beine langsam im Kreise weiter bewegend, schiebt es sich höchst allmählich vorwärts; der Bauch schleppt dabei fast auf der Erde, und Kopf und Hals bewegen sich fortwährend langsam von einer Seite zur anderen, als müßten sie das Gleichgewicht des so überaus unbeholfenen Geschöpfes vermitteln. Die Zehen der Füße werden während des Ganges in die Höhe gezogen und die Krallen nach innen geschlagen; der Fuß berührt also mit dem Außenrande und fast nur mit dem Handballen den Boden. Es leuchtet ein, daß solche Bewegung mit unglaublicher Langsamkeit vor sich gehen muß. Auf dem Boden erkennt das Faulthier seine hülflose Lage wohl. Ueberrascht man es zufällig bei seinem Gange, oder setzt man ein gefangenes auf die flache Erde, so streckt es den kleinen Kopf auf seinem langen Halse empor, richtet den Vordertheil des Leibes etwas auf und bewegt langsam und mechanisch einen seiner Arme im Halbkreise gegen seine Brust, als wolle es seinen Feind mit den gewaltigen Krallen umklammern. Die Unbeholfenheit und Langsamkeit verleiht ihm einen eigenthümlich kläglichen Ausdruck. Man sollte nicht meinen, daß dieses Geschöpf, welches so traurig dahinhaspelt, fähig wäre, sich aus dem Wasser zu retten, wenn es durch irgend ein Mißgeschick in dasselbe geräth. Aber das Faulthier schwimmt leidlich gut, indem es sich rascher als beim Klettern selbst bewegt, den Kopf hoch über den Wasserspiegel emporhält, die Wellen ziemlich leicht durchschneidet und wirklich das feste Land wieder gewinnt. Bates und Wallace sahen ein Faulthier über einen Fluß schwimmen und zwar an einer Stelle, wo derselbe über dreihundert Yards breit war. Hieraus geht hervor, daß der Name Faulthier, so richtig er im Grunde auch ist, sich doch eigentlich bloß auf die Gehbewegungen unseres Thieres bezieht.
   Außerordentlich schwer hält es, ein Faulthier, welches sich fest an einen Ast geklammert hat, von demselben los zu machen. Ein Indianer, welcher Schomburgk begleitete, bemerkte ein dreizehiges Faulthier auf den hervorragenden Wurzelästen einer Rhizophora, welches dort ausruhte und, als man es ergreifen wollte, nur wehmüthig bittende Blicke zur Abwehr zu haben schien. Aber man bemerkte bald, daß die Ergreifung leichter ward als die wirkliche Gefangennahme. Es schien unmöglich, das Thier von den Wurzelästen zu trennen, an welchen es sich mit einer Kralle festgeklammert hatte. Erst nachdem man die beiden Vorderfüße, seine einzige, aber wegen der scharf hervorstehenden Klauen nicht ungefährliche Vertheidigungswaffe, gebunden hatte, gelang es drei Indianern, unter Aufbietung aller Kräfte, es von dem Baume loszureißen.
   So unempfindlich das Thier gegen Hunger und Durst zu sein scheint, so empfindlich zeigt es sich gegen die Nässe und die damit verbundene Kühle. Bei dem schwächsten Regen sucht es sich so eilig wie möglich unter die dichteste Bedachung der Blätter zu flüchten und macht dann sogar verzweifelte Anstrengungen, seinen Namen zu widerlegen. In der Regenzeit hängt es oft tagelang traurig und kläglich an einer und derselben Stelle, sicherlich im höchsten Grade durch das herabstürzende Wasser belästigt.
   Nur höchst selten, gewöhnlich bloß des Abends oder bei anbrechendem Morgen, oder auch wenn sich das Faulthier beunruhigt fühlt, vernimmt man seine Stimme. Sie ist nicht laut und besteht aus einem kläglichen, geradeaus gehaltenen, feinen, kurzen und schneidenden Tone, welcher von einigen mit einer oftmaligen Wiederholung des Lautes I wiedergegeben wird. Die neueren Beobachter haben niemals von einem Faulthiere Töne vernommen, welche Doppel-Lauten gleichen, oder gar, wie frühere Beobachter ebenfalls behaupten, aus einem auf– und absteigenden Akkord bestehen. Bei Tage hört man von dem Faulthiere höchstens tiefe Seufzer. Beim Gehen oder Humpeln auf der Erde schreit es nicht, selbst wenn es auf das äußerste gereizt wird.
   Aus dem bereits Mitgetheilten geht hervor, daß die höheren Fähigkeiten der Faulthiere nicht hoch entwickelt sein können. Die Sinne scheinen gleichmäßig stumpf zu sein. Das Auge ist blöde und ausdruckslos wie kein zweites Säugethierauge ; daß das Gehör nicht ausgezeichnet ist, ergibt sich schon aus der geringen Größe und versteckten Lage der Ohrmuscheln; von der Stumpfheit des Gefühls hat man sich mehr als einmal überzeugen können; über den Geruch haben wir kein Urtheil, und nur der Geschmack dürfte als einigermaßen entwikkelt gelten. Das schlafende Faulthier ist es, welchem sein Name gebührt; das wach und rege gewordene bewegt sich in einem engen Kreise, beherrscht diesen aber genügend. Sein wenig entwickeltes Hirn bietet einem umfassenden Verstande oder weit gehenden Gedanken und Gefühlen keine Unterlage; daß ihm aber Verständnis für seine Umgebung und die herrschenden Verhältnisse abgehe, daß es weder Liebe noch Haß bekunde, weder Freundschaft gegen Seinesgleichen noch Feindschaft gegen andere Thiere zeige, daß es unfähig wäre, in veränderte Umstände sich zu fügen, wie man behauptet hat, ist falsch.
   Es läßt sich von vornherein erwarten, daß die Faulthiere nur ein einziges Junges werfen. Vollkommen behaart, ja sogar mit bereits ziemlich entwickelten Krallen und Zehen kommt dieses zur Welt und klammert sich sofort nach seiner Geburt mit diesen Krallen an den langen Haaren der Mutter fest, mit den Armen ihren Hals umschlingend.


   Schuppenthier

   Die Schuppenthiere (Manidae) sind geharnischte Ameisenären, die zwischen beiden Gruppen bestehenden Unterschiede aber doch gewichtige und durchgreifende, so daß es gerechtfertigt erscheint, erstere in einer besondern Unterfamilie zu vereinigen. Der Leib aller in diese Gruppe gehörigen Thiere ist auf der Oberseite mit großen plattenartigen Hornschuppen bedeckt, welche dachziegelartig oder besser wie die Schilder eines Tannenzapfens über einander liegen. Diese Bedekkung, das hauptsächlichste Kennzeichen der Unterfamilie, ist einzig in ihrer Art; denn die Schilder der Gürtelthiere und Gürtelmäuse erinnern nur entfernt an jene eigenthümlichen Horngebilde, welche eher mit den Schuppen eines Fisches oder eines Lurches verglichen werden mögen als mit irgend einem andern Erzeugnis der Oberhaut eines Säugethieres.
   Zur genauem Kennzeichnung der Schuppenthiere mag folgendes dienen. Der Leib ist gestreckt, der Schwanz lang, der Kopf klein, die Schnauze kegelförmig zugespitzt, Vorder– und Hinterbeine sind kurz, ihre Füße fünfzehig und mit sehr starken Grabkrallen bewehrt. Nur an der Kehle, der Unterseite des Leibes und an der Innenseite der Beine fehlen die Schuppen, während der ganze übrige Theil des Leibes in den Harnisch eingehüllt wird. Alle Schuppen, welche mit der einen Spitze in der Körperhaut haften, sind von rautenförmiger Gestalt, an den Rändern sehr scharf und dabei ungemein hart und fest. Diese Anordnung ermöglicht eine ziemlich große Beweglichkeit nach allen Seiten hin; die einzelnen Schuppen können sich ebensowohl seitlich hinund herschieben, wie der Länge nach aufrichten und niederlegen. Die Zunge ist noch ziemlich lang und ausstreckbar; außerordentlich große Speicheldrüsen, welche fast bis zum Brustbein herabreichen, liefern ihr den nöthigen Schleim zur Anleimung der Nahrung.
   Wir können die Lebensweise aller Schuppenthiere in einem schildern, weil wir über das Treiben und Wesen derselben noch so wenig wissen, daß uns die Eigenthümlichkeiten des Lebens der einen und der andern Art kaum auffallen. Mittelafrika und ganz Südasien sowie einige Inseln des Indischen Archipels sind die Heimat dieser sonderbaren Thiere ; Steppen und Waldgegenden in Gebirgen wie in Ebenen bilden ihre Aufenthaltsorte.
   Wahrscheinlich wohnen alle in selbstgegrabenen Höhlen, einsam und ungesellig wie ihre Verwandten, bei Tage verborgen, bei Nacht umherschweifend. Mit Anbruch der Dämmerung erwachen sie und streifen nun nach Nahrung umher. Der Gang ist langsam und höchst eigenthümlich. Das Schuppenthier geht nicht auf allen Vieren, sondern bloß auf den beiden Hinterfüßen, streckt den stark gekrümmten Körper fast wagerecht nach vorwärts, senkt den Kopf zur Erde nieder, läßt die Vorderbeine hängen, daß die Krallen fast die Erde berühren, und stützt sich hinten mit dem Schwanze auf. Oft wird letzterer nicht einmal benutzt, sondern gerade ausgestreckt oder selbst mit der Spitze nach oben gekrümmt getragen; aber dennoch bleibt das Thier immer im Gleichgewichte. Bisweilen richtet es beim Gehen den Körper senkrecht in die Höhe, um sich weiter umzuschauen. Alle Bewegungen sind langsam und werden bloß manchmal durch einige schnelle, aber ungeschickte Sprünge unterbrochen. »Um die Lebensweise zu beobachten«, schreibt mir Haßkarl, »habe ich mir auf Java mehrmals Schuppenthiere gekauft, sie aber niemals lange besessen, weil mir kein passender Raum zu ihrer Unterbringung zur Verfügung stand und ich sie, nach Art der Eingeborenen, mittels einer Schnur an einer ihrer Schuppen befestigen und an einem Baume anbinden mußte. Auf letztern kletterten sie sehr schnell und geschickt; sie müssen aber auch auf dem Boden gut fortkommen können, weil ich diejenigen, welche mit Verlust ihrer durchbohrten Schuppen entflohen, niemals wieder zu erlangen vermochte.«
   Eine Stimme hat man von Schuppenthieren noch nicht gehört; der einzige Laut, den man vernommen, bestand in einem Schnarren. Gesicht und Gehör scheinen sehr schwach entwickelt zu sein, und der Geruch ist wohl auch nicht besonders, wenn auch dieser Sinn das Thier bei seiner Jagd leitet. Ueber die Fortpflanzung weiß man nur so viel, daß das Weibchen ein einziges Junges in seiner Höhle wirft, welches etwa 30 Centim. lang und gleich bei der Geburt beschuppt ist; doch sind die Schuppen weich und namentlich gegen die Schnauzenspitze hin nur wenig entwickelt.
   Die Gefangenschaft können die Schuppenthiere längere Zeit bei geeigneter Pflege ertragen. Sie gewöhnen sich auch so ziemlich leicht an Milch, Brod, ja selbst an Getreidekörner, wenn auch Kerbthiere immer ihre Lieblingsnahrung bleiben. Das Fleisch wird von den Eingeborenen gegessen und als wohlschmeckend gerühmt, der Panzer von diesem und jenem Volksstamme zum Schmucke verschiedener Geräthschaften verwendet; die Schuppen gelten bei verschiedenen innerafrikanischen Völkerschaften als Zaubermittel oder Talismane und dienen den Chinesen in der Heilkunde zu allerlei Quacksalbereien. Hier und da klagt man über den Schaden, welchen Gürtelthiere durch Unterwühlen von Nutzpflanzen verursachen, im allgemeinen aber machen sich die harmlosen Geschöpfe durch Aufzehren von Ameisen und Termiten nur verdient um das Besitzthum des Menschen.


   Erdferkel

   Das Erdferkel (Orycteropus capensis) [Heute: Orycteropus afer] erreicht eine Gesammtlänge von 1,9 Meter, wovon der Schwanz etwa 85 Centim. wegnimmt, bei einem Gewichte von 50 bis 60 Kilogramm. Die Haut ist sehr dick, mit glatt anliegenden und ziemlich spärlich vertheilten, steifen und borstenartigen Haaren bekleidet, das Haar auf der Oberseite des Körpers etwas kürzer als auf der Unterseite, wo es namentlich an den Zehenwurzeln büschelartig bervortritt, die Färbung eine sehr gleichmäßige. Rücken und Seiten sind gelblichbraun mit röthlichem Anfluge, Unterseite und Kopf licht-röthlichgelb, Hintertheil, Schwanzwurzel und Gliedmaßen braun, neugeborene Junge fleischfarben.
   Das Erdferkel bewohnt Süd– und Mittelafrika, hier von der Ost– bis zur Westküste reichend, nach Art der Gürtelthiere vorzugsweise das flache Land, Wüsten und Steppen bevölkernd, wo Ameisen und Termiten das große Wort führen. Es ist ein einsames Geschöpf, kaum geselliger als die Gürtelthiere, obgleich man zuweilen ihrer mehrere beisammen findet; denn streng genommen lebt jedes einzelne Erdschwein für sich, bei Tage in großen, selbstgegrabenen Höhlen sich verbergend, bei Nacht umherschweifend. In den Steppen Kordofäns, und zwar ebensowohl in den mit dünnem Walde bestandenen Niederungen wie in den weiten, mit hohem Grase bewachsenen Ebenen, wo nur wenige Büsche sich finden, habe ich seine Höhlen oft gesehen und viel von seiner Lebensweise vernommen, das Thier selbst jedoch niemals zu Gesicht bekommen.
   Das Erdferkel ist außerordentlich vorsichtig und scheu und vergräbt sich auch nachts bei dem geringsten Geräusche unverzüglich in die Erde. Sein Gehör läßt ihm die Ankunft eines größeren Thieres oder eines Menschen von weitem vernehmen, und so ist es fast regelmäßig in Sicherheit, ehe die Gefahr sich naht. Seine große Stärke befähigt es übrigens auch, mancherlei Gefahren abzuwehren. Der Jäger, welcher ein Erdferkel wirklich überrascht und festhält, setzt sich damit noch keineswegs in den Besitz der erwünschten Beute. Wie das Gürtelthier stemmt es sich, selbst wenn es nur halb in seiner Höhle ist, mit aller Kraft gegen die Wandungen derselben, gräbt die scharfen Klauen fest ein, krümmt den Rücken und drückt ihn mit solcher Gewalt nach oben, daß es kaum möglich wird, auch nur ein einziges Bein auszulösen und das Thier herauszuziehen. Ein einzelner Mann vermag dies nie; selbst mehrere Männer haben genug mit ihm zu thun.



   Nagetiere (Nager)


   Murmelthier

   Oben auf den höchsten Steinhalden der Alpen, wo kein Baum, kein Strauch mehr wächst; wo kein Rind, kaum die Ziege und das Schaf mehr hinkommt, selbst auf den kleinen Felseninseln mitten zwischen den großen Gletschern, wo im Jahre höchstens sechs Wochen lang der Schnee von den warmen Sonnenstrahlen schwindet: ist die Heimat eines schon seit alter Zeit wohlbekannten Mitgliedes der Familie. Die Römer nannten dieses Thier Alpenmaus, die Savoyarden nennen es Marmotta, die Engadiner Marmotella, die Deutschen, beide Namen umbildend, Murmelthier.
   Gegenwärtig ist uns Mitteldeutschen das Thier entfremdeter worden, als es früher war. Die armen Savoyardenknaben dürfen nicht mehr wandern, während sie vormals bis zu uns und noch weiter nördlich pilgerten mit ihrem zahmen Murmelthiere auf dem Rücken, um durch die einfachen Schaustellungen, welche sie mit ihrem Ein und Allem in Dörfern und Städten gaben, einige Pfennige zu verdienen. Dem Murmelthiere (Arctomys marmota) [Heute: Marmota marmota] ist es ergangen wie dem Kamele, dem Affen und dem Bären: es hat aufgehört, die Freude der Kinder des Dörflers zu sein, und man muß jetzt schon weit wandern, bis in die Alpenthäler hinein, wenn man es noch lebend sehen will. Mindestens zwei Drittel des Jahres verschläft das merkwürdige Geschöpf, oft noch weit mehr; denn an den höchst gelegenen Stellen, wo es sich findet, währt sein Wachsein und Umhertreiben vor dem Baue kaum den sechsten Theil des Jahres.
   Das Sommerleben ist, laut Tschudi, sehr kurzweilig. Mit Anbruch des Tages kommen zuerst die Alten aus der Röhre, strecken vorsichtig den Kopf heraus, spähen, horchen, wagen sich dann langsam ganz hervor, laufen etliche Schritte bergan, setzen sich auf die Hinterbeine und weiden hierauf eine Weile lang mit unglaublicher Schnelligkeit das kürzeste Gras ab. Bald darauf strecken auch die Jungen ihre Köpfe hervor, huschen heraus, weiden ein wenig, liegen Stunden lang in der Sonne, machen Männchen und spielen artig miteinander. Alle Augenblicke sehen sie sich um und bewachen mit der größten Aufmerksamkeit die Gegend. Das erste, welches etwas verdächtiges bemerkt, einen Raubvogel oder Fuchs oder Menschen, pfeift tief und laut durch die Nase, die übrigen wiederholen es theilweise, und im Nu sind alle verschwunden.
   Während des Sommers wohnen die Murmelthiere einzeln oder paarweise in ihren eigenen Sommerwohnungen, zu denen ein bis vier Meter lange Gänge mit Seitengängen und Fluchtlöchern führen. Hier paaren sie sich, wahrscheinlich im April, und das Weibchen wirft nach sechs Wochen zwei bis vier Junge, welche sehr selten vor die Höhle kommen, bis sie etwas herangewachsen sind, und bis zum nächsten Sommer mit den Alten den Bau theilen.
   Gegen den Herbst zu graben sie sich ihre weiter unten im Gebirge liegende Winterwohnung, welche jedoch selten tiefer als anderthalb Meter unter dem Rasen liegt. Sie ist immer niedriger im Gebirge gelegen als die Sommerwohnung, welche oft sogar 2600 Meter über dem Meere liegt, während die Winterwohnung in der Regel in dem Gürtel der obersten Alpenweiden, oft aber auch tief unter der Baumgrenze liegt. Diese nun ist für die ganze Familie, die aus fünf bis fünfzehn Stück besteht, berechnet und daher sehr geräumig. Der Jäger erkennt die bewohnte Winterhöhle sowohl an dem Heu, welches vor ihr zerstreut liegt, als auch an der gut mit Heu, Erde und Steinen von innen verstopften, aber bloß faustgroßen Mündung der Höhleneingänge, während die Röhren der Sommerwohnungen immer offen sind. Nimmt man den Baustoff aus der Röhrenmündung weg, so findet man zuerst einen aus Erde, Sand und Steinen wohlgemauerten, mehrere Fuß langen Eingang. Verfolgt man nun diesen sogenannten Zapfen einige Meter weit, so stößt man bald auf einen Scheideweg, von welchem aus zwei Gänge sich fortsetzen. Der eine, in dem sich gewöhnlich Losung und Haare befinden, führt nicht weit und hat wahrscheinlich den Baustoff zur Ausmauerung des Hauptganges geliefert. Dieser erhöht sich jetzt allmählich, und nun stößt der Jäger an seiner Mündung an einen weiten Kessel, oft acht bis zehn Meter bergwärts, das geräumige Lager der Winterschläfer. Er bildet meist eine eirunde backofenförmige Höhle, mit kurzem, weichem, dürrem, gewöhnlich röthlichbraunem Heu angefüllt, welches zum Theile jährlich erneuert wird. Vom August an fangen nämlich diese klugen Thierchen an, Gras abzubeißen und zu trocknen und mit dem Maule zur Höhle zu schaffen und zwar so reichlich, daß es oft von einem Manne auf einmal nicht weggetragen werden kann.
   Höchst sonderbar sieht das Thier aus, wenn es einen Kegel macht: es sitzt dann kerzengerade auf dem Hintertheile, steif, wie ein Stock, den Schwanz senkrecht vom Leibe angebogen, die Vorderarme schlaff herabhängend, und schaut aufmerksam in die Welt hinaus.
   Frische und saftige Alpenpflanzen, Kräuter und Wurzeln bilden die Nahrung des Murmelthieres. Zu seiner Lieblingsweide gehören Schafgarbe, Bärenklau, Grindwurzel, Löwenmaul, Klee und Sternblumen, Alpenwegerich und Wasserfenchel, doch begnügt es sich auch mit dem grünen, ja selbst mit dem trockenen Grase, welches seinen Bau zunächst umgibt.
   Wie die meisten Schläfer, sind die Alpenmurmelthiere im Spätsommer und Herbst ungemein fett. Vor Beginn des Winterschlafes wird der enge Zugang zu dem geräumigen Kessel auf eine Strecke von ein bis zwei Meter, von innen aus mit Erde und Steinen, zwischen welche Lehm, Gras und Heu eingeschoben werden, geschickt und fest verstopft, so daß das Ganze einem Gemäuer gleicht, bei welchem das Gras gleichsam den Mörtel abgibt. Der mit dürrem, rothen Heu ausgepolsterte und ringsum ausgefütterte Kessel bildet für die ganze Gesellschaft das gemeinsame Lager. Hier ruht die Familie dicht bei einander.


   Prairiehund

   Der in Nordamerika lebende Prairiehund (Cynomys ludovicianus) verbindet gewissermaßen die Zisel mit den eigentlichen Murmelthieren, obwohl er streng genommen zu diesen gehört. Der Leib ist gedrungen, der Kopf groß, der Schwanz sehr kurz, buschig, oben und an den Seiten gleichmäßig behaart; die Backentaschen sind verkümmert. Die Färbung der Oberseite ist licht röthlichbraun, grau und schwärzlich gemischt, die der Unterseite schmutzigweiß, der kurze Schwanz an der Spitze braun gebändert.
   Der Name »Prairiehund«, welcher mehr und mehr giltig geworden ist, stammt von den ersten Entdeckern, den alten kanadischen Trappern oder Pelzjägern her, welche unser Thierchen nach seiner bellenden Stimme benannten. Seine ausgedehnten Ansiedelungen, welche man ihrer Größe wegen »Dörfer« nennt, finden sich regelmäßig auf etwas vertieften Wiesen, auf denen ein zierliches Gras (Sesleria dactyloides) einen wunderschönen Rasenteppich bildet und ihnen zugleich bequeme Nahrung gewährt. »Zu welcher unglaublichen Ausdehnung die Ansiedelungen dieser friedlichen Erdbewohner herangewachsen sind«, sagt Balduin Möllhausen, »davon kann man sich am besten überzeugen, wenn man ununterbrochen Tage lang zwischen kleinen Hügeln hinzieht, deren jeder eine Wohnung zweier oder mehrerer solcher Thiere bezeichnet. Die einzelnen Wohnungen sind gewöhnlich fünf bis sechs Meter voneinander entfernt, und jeder kleine Hügel, welcher sich vor dem Eingange derselben erhebt, mag aus einer guten Wagenladung Erde bestehen, die allmählich von den Bewohnern aus den unterirdischen Gängen ans Tageslicht befördert worden ist. Manche haben einen, andere dagegen zwei Eingänge. Ein festgetretener Pfad führt von einer Wohnung zur anderen, und es wird bei deren Anblick die Vermuthung rege, daß eine innige Freundschaft unter diesen lebhaften kleinen Thierchen herrschen muß. Bei der Wahl einer Stelle zur Anlage ihrer Städte scheint ein kurzes, krauses Gras sie zu bestimmen, welches besonders auf höheren Ebenen gedeiht und nebst einer Wurzel die einzige Nahrung dieser Thierchen ausmacht.«
   Einen merkwürdigen Anblick gewährt eine solche Ansiedelung, wenn es glückt, von den Wachen unbeachtet in ihre Nähe zu gelangen. So weit das Auge reicht, herrscht ein reges Leben und Treiben: fast auf jedem Hügel sitzt aufrecht, wie ein Eichhörnchen, das kleine gelbbraune Murmelthier; das aufwärts stehende Schwänzchen ist in immerwährender Bewegung, und zu einem förmlichen Summen vereinigen sich die feinen bellenden Stimmchen der vielen tausende. Nähert sich der Beschauer um einige Schritte, so vernimmt und unterscheidet er die tieferen Stimmen älterer und erfahrener Häupter; aber bald, wie durch Zauberschlag, ist alles Leben von der Oberfläche verschwunden. Nur hin und wieder ragt aus der Oeffnung einer Höhle der Kopf eines Kundschafters hervor, welcher durch anhaltend herausforderndes Bellen seine Angehörigen vor der gefährlichen Nähe eines Menschen warnt.
   »Furchtlos«, bemerkt Möllhausen noch, »sucht sich der Prairiehund seinen Weg zwischen den Hufen der wandernden Büffel hindurch; doch der Jäger im Hinterhalte braucht sich nur unvorsichtig zu bewegen-und scheu und furchtsam flieht alles hinab in dunkle Gänge. Ein leises Bellen, welches aus dem Schoße der Erde dumpf herauf klingt, sowie die Anzahl kleiner, verlassener Hügel verrathen dann allein noch den so reich bevölkerten Staat.«


   Eichhorn

   Das Eichhorn (Sciurus vulgaris) erscheint sogar dem Dichter als eine ansprechende Gestalt. Dies fühlten schon die Griechen heraus, denen wir den Namen zu danken haben, welcher jetzt in der Wissenschaft die Eichhörnchen bezeichnet. »Der mit dem Schwanze sich schattende« bedeutet jener griechische Name, und unwillkürlich muß jeder, welcher die Bedeutung des Wortes Sciurus kennt, an das lebhafte Thierchen denken, wie es da oben sitzt, hoch auf den obersten Kronen der Bäume. Der Pelz ändert im Sommer und im Winter, im Norden und im Süden vielfach ab. Im Sommer ist die Färbung oben bräunlichroth, an den Kopfseiten grau gemischt, auf der Unterseite vom Kinne an weiß, im Winter oberseits braunroth mit grauweißem Haar untermischt, unterseits weiß, in Sibirien und Nordeuropa aber häufig weißgrau, ohne jede Spur von rothem Anfluge, während der Sommerpelz dem unseres Hörnchens ähnelt. Häufig sieht man auch in den deutschen Wäldern eine schwarze Abart, welche manche Naturforscher schon für eine besondere Art erklären wollten, während wir mit aller Bestimmtheit sagen können, daß oft unter den Jungen eines Wurfes sich rothe und schwarze Stücke befinden. Der Schwanz ist sehr buschig und zweizeilig, das Ohr ziert ein Büschel langer Haare, die Fußsohlen sind nackt.
   Unser Eichhörnchen ist den Griechen und Spaniern ebensogut bekannt wie den Sibiriern und Lappländern. Da, wo viele Fichten– und Kieferzapfen reifen, setzt es sich fest und erbaut sich eine oder mehrere Wohnungen, gewöhnlich in alten Krähenhorsten, welche es künstlich herrichtet. Zu kürzerem Aufenthalte benutzt es verlassene Elster-, Krähen– und Raubvögelhorste, wie sie sind; die Wohnungen aber, welche zur Nachtherberge, zum Schutze gegen üble Witterung und zum Wochenbette des Weibchens dienen, werden ganz neu erbaut, obwohl oft aus den von Vögeln zusammengetragenen Stoffen. Höhlungen in Bäumen, am liebsten die in hohlen Stämmen, werden ebenfalls von ihm besucht und unter Umständen auch ausgebaut. Die freien Nester stehen gewöhnlich in einem Zwiesel dicht an dem Hauptstamme des Baumes; ihr Boden ist gebaut wie der eines größeren Vogelnestes, oben aber deckt sie nach Art der Elsternester ein flaches, kegelförmiges Dach, dicht genug, um dem Eindringen des Regens vollständig zu widerstehen. Der Haupteingang ist abwärts gerichtet, gewöhnlich nach Morgen hin; ein etwas kleineres Fluchtloch befindet sich dicht am Schafte. Zartes Moos bildet im Innern ringsum ein weiches Polster. Der Außentheil besteht aus dünneren und dickeren Reisern, welche durcheinander geschränkt wurden. Den festen mit Erde und Lehm ausgekleibten Boden eines verlassenen Krähennestes benutzt das Hörnchen besonders gern zur Grundlage des seinigen.
   Nur höchst wenige Säugethiere dürfte es geben, welche immerwährend so munter sind und so kurze Zeit auf einer und derselben Stelle bleiben, wie das Eichhorn bei leidlicher Witterung. Mit unglaublicher Sicherheit und Schnelligkeit rutscht es an den Baumstämmen empor, auch an den glättesten. Die langen, scharfen Krallen an den fingerartigen Zehen leisten ihm dabei vortreffliche Dienste. Es häkelt sich in die Baumrinde ein, und zwar immer mit allen vier Füßen zugleich. Dann nimmt es einen neuen Anlauf zum Sprunge und schießt weiter nach oben; aber ein Sprung folgt so schnell auf den anderen, daß das Emporsteigen in ununterbrochener Folge vor sich geht und aussieht, als gleite das Thier an dem Stamme in die Höhe. Die Kletterbewegung verursacht ein weit hörbares Rasseln, in welchem man die einzelnen An– und Absätze nicht unterscheiden kann. Gewöhnlich steigt es, ohne abzusetzen, bis in die Krone des Baumes; dort läuft es dann auf irgend einem der wagerechten Aeste hinaus und springt gewöhnlich nach der Spitze des Astes eines anderen Baumes hinüber, über Zwischenräume von vier bis fünf Meter, immer von oben nach unten. Wie nothwendig ihm die zweizeilig behaarte Fahne zum Springen ist, hat man durch grausame Versuche erprobt, indem man gefangenen Eichhörnchen den Schwanz abschlug: man bemerkte dann, daß das verstümmelte Geschöpf nicht halb so weit mehr springen konnte.
   Wenn das Hörnchen sich ungestört weiß, sucht es bei seinen Streifereien beständig nach Aesung. Je nach der Jahreszeit genießt es Früchte oder Sämereien, Knospen, Zweige, Schalen, Beeren, Körner und Pilze. Tannen-, Kiefern– und Fichtensamen, Knospen und junge Triebe bleiben wohl der Haupttheil seiner Nahrung. Es beißt die Zapfen unserer Nadelholzbäume am Stiele ab, setzt sich behäbig auf die Hinterläufe, erhebt den Zapfen mit den Vorderfüßen zum Munde, dreht ihn ununterbrochen herum und beißt nun mit seinen vortrefflichen Zähnen ein Blättchen nach dem anderen ab, bis der Kern zum Vorscheine kommt, welches es dann mit der Zunge aufnimmt und in den Mund führt. Besonders hübsch sieht es aus, wenn es Haselnüsse, seine Lieblingsspeise, in reichlicher Menge haben kann. Am liebsten verzehrt es die Nüsse, wenn sie vollkommen gereift sind. Es ergreift eine ganze Traube, enthülst eine Nuß, faßt sie mit den Vorderfüßen und schabt, die Nuß mit unglaublicher Schnelligkeit hin– und herdrehend, an der Naht mit wenigen Bissen ein Loch durch die Schale, bis sie in zwei Hälften oder in mehrere Stücke zerspringt; dann wird der Kern herausgeschält und gehörig mit den Backenzähnen zermalmt.
   Aus Früchten macht es sich nichts, schält im Gegentheile das ganze Fleisch von Birnen und Aepfeln ab, um zu den Kernen zu gelangen. Leider ist es ein großer Freund von den Eiern, plündert alle Nester, welche es bei seinen Streifereien auffindet, und verschont ebensowenig junge Vögel, wagt sich sogar an alte. Schacht fand sogar einen Maulwurf im Neste eines Eichhorns.
   Sobald das Thier reichliche Nahrung hat, trägt es Vorräthe für spätere, traurigere Zeiten ein. In den Spalten und Löchern hohler Bäume und Baumwurzeln, in selbstgegrabenen Löchern, unter Gebüsch und Steinen, in einem seiner Nester und an anderen ähnlichen Orten legt es seine Speicher an und schleppt oft durch weite Strecken die betreffenden Nüsse, Körner und Kerne nach solchen Plätzen. In den Waldungen Süostsibiriens speichern die Eichhörnchen auch Schwämme und zwar in höchst eigenthümlicher Weise auf. »Sie sind«, bemerkt Radde, »so wenig selbstsüchtig, daß sie die Pilzvorräthe nicht etwa bergen, sondern an die Nadeln oder in Lärchenwäldern an die kleinen Aestchen spießen, sie dort trocken werden und zur Zeit der Hungersnoth diesem und jenem durchwandernden Artgenossen zu Nutzen kommen lassen.«
   Durch diese Vorsorgen für den Winter bekunden die Eichhörnchen, wie außerordentlich empfindlich sie gegen die Einflüsse der Witterung sind. Sobald die ersten Vorboten des schlechten Wetters sich zeigen, ziehen sie sich in ihre Nester zurück, oft mehrere in ein und dasselbe, und lassen, das Ausgangsloch an der Wetterseite sorgfältig verstopfend und behaglich in sich zusammengerollt, das Wetter vorübertoben. In dem kalten Sibirien tritt nach dem regen Leben im Herbste eine mit dem vorschreitenden Winter sich steigende Trägheit ein, welche zu einem Winterschlafe von kurzer Dauer ausarten kann. Sie verlassen ihr Nest zuerst nur wenige Stunden täglich, später tagelang gar nicht mehr, und die sie verfolgenden Jäger müssen, um ihrer ansichtig zu werden, mit dem Beile an hohle Bäume anklopfen und sie erst aufscheuchen. Auch bei uns zu Lande liegen sie oft tagelang ruhig im Neste; schließlich treibt sie der Hunger aber doch heraus und dann zunächst ihren Vorrathskammern zu, in denen sie Schätze für den Winter aufspeicherten.
   Bei uns zu Lande durchwandern die Eichhörnchen nur ausnahmsweise weitere Strecken. Im Norden dagegen, insbesondere in Sibirien treten sie alljährlich mehr oder weniger regelmäßige Wanderungen an, durchziehen dabei auch baumlose Strecken, überschwimmen reißende Flüsse und Ströme oder steigen über Gebirge hinweg, deren Höhen sie sonst meiden. Befremdend erscheint es dem in den Gebirgen Südostsibiriens sich aufhaltenden Beobachter, wenn er im Spätherbste plötzlich Eichhörnchen gewissen Oertlichkeiten, auf denen Zirbelkiefern mit gereiften Zapfen stehen, sich zudrängen sieht; denn eine geringe Abweichung von dem einzuschlagenden Wege führt die Thiere entweder in die Dickichte nahrungsarmer Tannenwälder oder in die lichten Laubholzbestände, in denen die verwandten Erdhörnchen auch nicht viel für sie übrig lassen.
   Nach Raddes Beobachtungen hält die wandernden Eichhörnchen weder Lahmheit noch ein schwer zu überwindendes Hindernis auf. Einige der von ihm untersuchten Thiere hatten eiternde Wunden an den Füßen und wanderten doch; viele wurden später von ihm ertrunken und im Amur treibend gesehen, da sie selbst bei Eisgange es noch unternehmen, über den breiten und reißenden Strom zu setzen.
   Aeltere Eichhörnchen begatten sich zum ersten Male im März, jüngere etwas später. Ein Weibchen versammelt um diese Zeit oft zehn oder mehr Männchen um sich, und diese bestehen dann in Sachen der Liebe blutige Kämpfe miteinander. Wahrscheinlich wird auch hier dem tapfersten der Minne Sold: das Weibchen ergibt sich dem stärkeren, hängt ihm vielleicht sogar eine Zeitlang mit treuer Liebe an. Vier Wochen nach der Paarung wirft es in dem bestgelegensten und am weichsten ausgefütterten Neste drei bis sieben Junge, welche ungefähr neun Tage lang blind bleiben und von der Mutter zärtlich geliebt werden. Bei Beunruhigung trägt, wie Knaben recht gut wissen, die Alte ihre Jungen in ein anderes Nest, oft ziemlich weit weg. Nachdem dieselben entwöhnt worden sind, schleppt ihnen die Mutter, vielleicht auch der Vater, noch einige Tage lang Nahrung zu; dann überläßt das Elternpaar die junge Familie ihrem eigenen Schicksale und schreitet zur zweiten Paarung. Die Jungen bleiben noch eine Zeitlang zusammen, spielen hübsch miteinander und gewöhnen sich sehr schnell an die Sitten der Eltern. Im Juni hat die Alte bereits zum zweiten Male Junge, gewöhnlich einige weniger als das erste Mal; und wenn auch diese soweit sind, daß sie mit ihr herumschweifen können, schlägt sie sich oft mit dem früheren Gehecke zusammen, und man sieht jetzt die ganze Bande, manchmal zwölf bis sechszehn Stück, in einem und demselben Waldestheile ihr Wesen treiben.
   In dem Edelmarder hat das Eichhorn seinen furchtbarsten Feind. Dem Fuchse gelingt es nur selten, ein Hörnchen zu erschleichen, und Milanen, Habichten und großen Eulen entgeht es dadurch, daß es, wenn ihm die Vögel zu Leibe wollen, rasch in Schraubenlinien um den Stamm klettert. Während die Vögel im Fluge natürlich weit größere Bogen machen müssen, erreicht es endlich doch eine Höhlung, einen dichten Wipfel, wo es sich schützen kann. Anders ist es, wenn es vor dem Edelmarder flüchten muß. Dieser mondsüchtige Gesell klettert genau ebensogut wie sein Opfer und verfolgt letzteres auf Schritt und Tritt, in den Kronen der Bäume ebensowohl wie auf der Erde, kriecht ihm sogar in die Höhlungen, in welche es flüchtet, oder in das dickwandige Nest nach. Unter ängstlichem Klatschen und Pfeifen flieht das Eichhorn vor ihm her, der gewandte Räuber jagt hinter ihm drein, und beide überbieten sich förmlich in prachtvollen Sprüngen. Die einzige Möglichkeit der Rettung für das Eichhorn liegt in seiner Fähigkeit, ohne Schaden vom höchsten Wipfel der Bäume herab auf die Erde zu springen und dann schnell ein Stück weiter fortzueilen, einen neuen Baum zu gewinnen und unter Umständen das alte Spiel nochmals zu wiederholen.


   Biber

   Marius, ein Arzt in Ulm und Augsburg, schrieb im Jahre 1640 ein eigenes Büchlein über die arzneiliche Benutzung des Bibers, welches fast ganz aus Recepten besteht; Johann Frank vermehrte es 1685 noch bedeutend. Haut und Fett, Blut und Haare, die Zähne und hauptsächlich der Bibergeil sind vortreffliche Heilmittel; namentlich das letztere ist ausgezeichnet. Aus den Haaren macht man Hüte, welche gegen Krankheit schützen; die Zähne hängt man den Kindern um den Hals, weil sie das Zahnen erleichtern; das Blut wird auf mannigfaltige Art verwendet.
   Noch heutigen Tages reicht der Wohnkreis des Bibers durch drei Erdtheile hindurch und erstreckt sich über alle zwischen dem 33. und 68. nördlicher Breite liegenden Grade, in früheren Zeiten aber muß er weit ausgedehnter gewesen sein. In Frankreich und Deutschland kam er fast überall vor. In England wurde er zuerst ausgerottet. Gegenwärtig findet man ihn in Deutschland nur sehr einzeln, geschützt von strengen Jagdgesetzen, mit Sicherheit bloß noch an der mittleren Elbe, außerdem einzeln und zufällig vielleicht noch in den Auen der Salzach an der österreichisch-bayerischen Grenze und möglicherweise ebenso an der Möhne in Westfalen. Unter den Ländern Europas beherbergen ihn noch am häufigsten Oesterreich, Rußland und Skandinavien, namentlich Norwegen. Weit zahlreicher als in Europa lebt er in Asien. Die großen Ströme Mittel– und Nordsibiriens bewohnt er in Menge, und auch in den größeren und kleineren Flüssen, welche in das Kaspische Meer sich ergießen, soll er ansässig sein.
   Der Biber (Castor fiber) ist einer der größten Nager. Der Leib ist plump und stark, hinten bedeutend dicker als vorn, der Rücken gewölbt, der Bauch hängend, der Hals kurz und dick, der Kopf hinten breit, nach vorn verschmälert, plattscheitelig, kurz– und stumpfschnäuzig; die Beine sind kurz und sehr kräftig, die hinteren etwas länger als die vorderen, die Füße fünfzehig und die hinteren bis an die Krallen durch eine breite Schwimmhaut miteinander verbunden. Der Schwanz, welcher sich nicht deutlich vom Rumpfe scheidet, ist an der Wurzel rund, in der Mitte oben und unten platt gedrückt, bis 20 Centim. breit, an der Spitze stumpf abgerundet, an den Rändern fast schneidig, von oben gesehen eirund gestaltet. Die länglich runden, fast unter dem Pelze versteckten Ohren sind klein und kurz, innen und außen behaart und können so an den Kopf angelegt werden, daß sie den Gehörgang beinahe vollständig verschließen. Die kleinen Augen zeichnen sich durch eine Nickhaut aus; ihr Stern steht senkrecht. Die Nasenlöcher sind mit wulstigen Flügeln versehen und können ebenfalls geschlossen werden. Das Fell besteht aus außerordentlich dichten, flockigen, seidenartigen Wollhaaren und dünnstehenden, langen, starken, steifen und glänzenden Grannen, welche am Kopfe und Unterrücken kurz, an dem übrigen Körper über 5 Centim. lang sind. Auf den Oberlippen sitzen einige Reihen dicker und steifer, nicht eben langer Borsten. Den an der Wurzel im ersten Drittel sehr lang behaarten, im übrigen aber nackten Schwanz bedecken hier kleine, länglichrunde, fast sechseckige, platte Hautgruben, zwischen denen einzelne, kurze, steife, nach rückwärts gerichtete Haare hervortreten.
   Bei beiden Geschlechtern finden sich im Untertheile der Bauchhöhle, nahe am After und den Geschlechtstheilen, zwei eigenthümliche, gewöhnlich von einander getrennte, in die Geschlechtstheile mündende Absonderungsdrüsen, die Geil– oder Castorsäcke. Die inneren Wandungen dieser Drüsen sind mit einer Schleimhaut überzogen, welche in schuppenähnliche Säckchen und Falten getheilt ist, sondern das sogenannte Biebergeil oder Gail (Castoreum) ab, eine dunkle rothbraune, gelbbraune oder schwarzbraune, ziemlich weiche, salbenartige Masse von eigenthümlich durchdringendem, starkem, nur wenig Leuten angenehmen Geruche und lange anhaltendem, bitterlichem, balsamischem Geschmacke, welcher in früheren Zeiten als krampfstillendes und beruhigendes Mittel vielfach angewandt wurde, gegenwärtig aber wegen seiner sehr wechselnden Stärke mehr und mehr in Vergessenheit kommt.
   Der Biber lebt gegenwärtig meist paarweise und nur in den stillsten Gegenden zu größeren oder kleineren Familien vereinigt. In allen bevölkerten Ländern haust er, wie der Fischotter, meist in einfachen, unterirdischen Röhren, ohne daran zu denken, sich Burgen zu bauen. Solche fand man aber noch in neuester Zeit an der Nuthe, unweit der Stadt Barby, in einer einsamen, mit Weiden bewachsenen Gegend, welche von einem nur sechs bis acht Schritte breiten Flüßchen durchströmt wird und schon seit den ältesten Zeiten den Namen Biberlache führt. Oberjägermeister von Meyerinck, welcher viele Jahre dort die Biberansiedelungen beobachtete, sagt folgendes darüber: »Es wohnen jetzt (im Jahre 1822) noch mehrere Biberpaare in Gruben, welche, einem Dachsbau ähnlich, dreißig bis vierzig Schritte lang und mit dem Wasserspiegel gleichhochlaufend sind und auf dem Lande Ausführungsgänge haben. In der Nähe der Gruben errichten die Biber sogenannte Burgen. Sie sind 2,5 bis 3 Meter hohe, von starken Knüppeln kunstlos zusammengetragene Haufen, welche sie an den benachbarten Bäumen abbeißen und schälen, weil sie davon sich äsen. Im Herbste befahren die Biber die Haufen mit Schlamm und Erde vom Ufer des Flusses, indem sie diese mit der Brust und den Vorderfüßen nach dem Baue schieben. Die Haufen haben das Ansehen eines Backofens und dienen den Bibern nicht zur Wohnung, sondern nur zum Zufluchtsorte, wenn hoher Wasserstand sie aus den Gruben treibt. Im Sommer des genannten Jahres, als die Ansiedlung aus fünfzehn bis zwanzig Jungen und Alten bestand, bemerkte man, daß sie Dämme warfen. Die Nuthe war zu dieser Zeit so seicht, daß die Ausgänge der Röhren am Ufer überall sichtbar wurden und unterhalb derselben nur noch wenige Centimeter tief Wasser stand. Die Biber hatten eine Stelle gesucht, wo in der Mitte des Flusses ein kleiner Heger war, von welchem sie zu beiden Seiten starke Reiser ins Wasser warfen und die Zwischenräume mit Schlamm und Schilf so ausfüllten, daß dadurch der Wasserspiegel oberhalb des Dammes mit 30 Centim. höher stand als unterhalb desselben. Der Damm wurde mehrere Male weggerissen, in der Regel aber die folgende Nacht wieder hergestellt. Wenn das Hochwasser der Elbe in die Nuthe hinauf drang und die Wohnungen der Biber überstieg, waren sie auch am Tage zu sehen. Sie lagen alsdann meist auf der Burg oder auf den nahe stehenden Kopfweiden.«
   Biberbauten üben, wie derselbe Forscher hervorhebt, in Amerika einen merklichen Einfluß auf die landschaftliche Gestaltung einer Gegend aus. Die Dämme verwandeln kleine Bäche, welche ursprünglich ruhig im dunklen Waldesschatten dahinflossen, in eine Kette von Teichen, von denen einzelne einen Flächenraum von vierzig Acker bedecken. In ihrer Nähe entstehen infolge des Fällens der Bäume durch die Biber Blößen, sogenannte Biberwiesen, von zwei– bis dreihundert Acker Flächenraum, welche oft die einzigen Lichtungen in den noch jungfräulichen Urwaldungen bilden. Am Rande der Teiche siedeln sich rasch Torfpflanzen an, und so entstehen nach und nach an allen geeigneten Stellen Torfmoore von mehr oder weniger Ausdehnung.
   Alle Arbeiten der Biber hängen mit ihren Gewohnheiten und Bedürfnissen so innig zusammen, daß man die Lebensweise schildert, wenn man diese Arbeiten beschreibt. »Kurz nach Sonnenuntergang«, sagt Meyerinck, »verlassen sie die Gruben, pfeifen laut und fallen mit Geräusch ins Wasser. Sie schwimmen eine Zeitlang in der Nähe der Burg, gegen den Strom so schnell wie abwärts, und kommen, je nachdem sie sich sicher glauben, entweder mit Nase und Stirn oder mit Kopf und Rücken über das Wasser empor. Haben sie sich gesichert, so steigen sie ans Land und gehen fünfzig Schritte und noch weiter vom Flusse ab, um Bäume zur Aesung oder zu ihren Bauten abzuschneiden. Sie entfernen sich von der Burg schwimmend bis eine halbe Meile, kehren aber immer in derselben Nacht zurück. Auch im Winter gehen sie des Nachts ihrer Nahrung nach, verlassen jedoch zuweilen acht bis vierzehn Tage die Wohnung nicht und äsen sich mit der Rinde der Weidenknüppel, welche im Herbste in die Gruben getragen, und mit denen die Ausgänge nach der Landseite zu verstopft werden.« Zweige von der Dicke einiger Centimeter beißt der Biber ohne weiteres ab, Stämme bringt er zu Falle, indem er den Stamm ringsum und dann besonders auf der einen Seite nach dem Flusse zu benagt, bis er dahin sich neigt und in das Wasser stürzt. Die Spur seiner Arbeiten besteht in unzähligen, schuppenförmigen Einschnitten, welche so glatt und scharf ausgemeiselt erscheinen, als ob sie mit einem stählernen Werkzeuge gemacht worden wären. Es kommt vor, daß der Biber selbst Stämme von mehr als mannsdickem Durchmesser abhaut und zum Fallen bringt. Die Bäume werden zuerst ihrer Aeste beraubt, dann in beliebig große Stücke zerschnitten und diese als Pfähle verwandt, während die Aeste und Zweige mehr zum Baue der Wandungen einer Burg dienen. Am liebsten wählt der Biber Weiden, Pappeln, Eschen und Birken zu seiner Nahrung und bezüglich zum Bauen; seltener vergreift er sich an Erlen, Rüstern und Eichen, obgleich auch diese seinem Zahn verfallen.
   Besser als diese und andere Mittheilungen haben mich gefangene Biber, welche ich pflegte und durch die Anlage von Geschleifen zum Erbauen von Burgen veranlaßte, über die Art und Weise ihrer Arbeiten belehrt. Einmal mit der Oertlichkeit und dem Getreibe um sie herum vertraut geworden, erschienen die in Rede stehenden Biber bereits in den letzten Nachmittagsstunden außerhalb ihres Baues, um zu arbeiten. Eingepflanzte Stämme wurden lose hingeworfenen Schößlingen vorgezogen und stets gefällt. Zu diesem Ende setzt sich der Biber neben dem betreffenden Bäumchen nieder und nagt ringsum so lange an einer bestimmten Stelle, bis der Baum niederstürzt, wozu bei einer acht Centim. dicken Weide oder Birke fünf Minuten erforderlich sind. Nunmehr packt der Biber den gefällten Baum an seinem dickeren Ende mit den Zähnen, hebt den Kopf und watschelt vorwärts. Bisweilen sieht es aus, als wolle er die Last über den Rücken werfen; doch geschieht dies niemals. Ist der Schößling leicht, so trägt ihn der Biber ohne Aufenthalt dem Ziele zu; ist die Last schwerer, so bewegt er sie absatzweise, indem er das aufgeladene Holzstück mittels eines kräftigen Ruckes des Kopfes vorwärts zu bringen sucht. Astreiche Schößlinge werden vor dem Wegschleppen genau besichtigt, unter Umständen getheilt, hindernde Aststummel weggeschnitten, alle Holzstücke aber zunächst ins Wasser geschleppt und hier entrindet oder für spätere Zeiten aufgespeichert. Erst nachdem der Knüppel geschält worden ist, verwendet der Biber ihn zum Bauen, holt ihn aus dem Wasser heraus, schleppt ihn nach der nächsten Burg und bringt ihn hier unter. Von einer regelmäßigen Anordnung der Bauhölzer läßt sich nichts wahrnehmen. Den Bedürfnissen wird in überlegter Weise abgeholfen, an eine regelmäßige Schichtung und Ordnung der Baustoffe jedoch nicht gedacht. Einige Knüppel liegen wagerecht, andere schief, andere senkrecht, einzelne ragen mit dem einen Ende weit über die Wandungen der Burg vor, andere sind gänzlich mit Erde überdeckt; es wird auch fortwährend geändert, vergrößert, verbessert. Meine Pfleglinge scharrten sich zunächst ein muldenförmiges Loch vor dem Ende des Geschleifes aus, bildeten aus der losgekratzten Erde ringsum einen festen, hohen und dichten Damm, und kleideten den Boden der Mulde mit langen, feinen Spänen aus, welche eigens zu diesem Zwekke zerschleißt wurden. Nunmehr erhielt die Mündung des Geschleifes eine Decke aus Astwerk; sodann wurde der hintere Theil der Wände erhöht und ebenfalls mit einem Kuppeldache überdeckt und, als auch dieses vollendet war, das Ganze mit Erde gedichtet. Alle erforderlichen Dichtungsstoffe, als Erde, Sand, Lehm oder Schlamm, werden in verschiedener Weise, jedoch immer nur mit dem Maule und den Händen bewegt und ausschließlich mit letzteren verarbeitet. Rasenstücke oder fette, lehmige Erde bricht der Biber ballenweise los, indem er Hände und Zähne benutzt, packt den Klumpen mit den Zähnen, drückt von unten die Hände, mit den Handrücken nach oben gekehrt, dagegen und watschelt nun, auf den Hinterfüßen gehend, zeitweilig mit der einen Vorderpfote sich stützend, bedächtig der Baustelle zu; losere Erde oder Sand gräbt er auf, scharrt sie auf ein Häufchen zusammen, setzt beide Handflächen hinten an dasselbe und schiebt es vorwärts, erforderlichen Falls mehrere Meter weit. Der Schwanz wird dabei höchstens zur Erhaltung des Gleichgewichtes, niemals aber als Kelle benutzt.
   Die Hauptnahrung der Biber besteht in Rinden und Blattwerk verschiedener Bäume. Unte allen Zweigen, welche ich meinen Gefangenen vorwerfen ließ, wählten sie zuerst stets die Weide, und nur in Ermangelung derselben Pappel, Schwarzpappel, Espe, Esche und Birke, am wenigsten gern Erle und Eiche. Sie fressen nicht bloß Rinde, sondern auch Blätter und die weichen Schößlinge und zwar mit entschiedenem Behagen. Härtere Zweige entrinden sie äußerst zierlich und geschickt, indem sie dieselben mit den Händen fassen und beständig drehen; sie schälen so sauber, daß man auf dem entrindeten Zweige keine Spur eines Zahneindrucks wahrnimmt. Dann und wann nehmen sie übrigens auch frisches Gras zu sich, indem sie dasselbe in plumper Weise abweiden, nämlich einen Grasbüschel mit den Händen packen, zusammendrücken, und so den Zähnen etwas körperhaftes zu bieten suchen.
   Ins Wasser fällt er bloß dann mit Geräusch, wenn er geängstigt wurde; beim gewöhnlichen Verlaufe der Dinge gleitet er lautlos in die Tiefe. Schwimmend taucht er das Hintertheil so tief ein, daß nur Nasenlöcher, Augen, Ohren und Mittelrücken über dem Wasser bleiben, die Schwanzwurzel aber überflutet wird. Erliegt auf den Wellen, ohne ein Glied zu rühren, hebt auch oft noch die Schwanzspitze, welche sonst gewöhnlich auf der Oberfläche ruht, in schiefer Richtung empor. Die Fortbewegung geschieht durch gleichzeitige, seltener durch wechselseitige Stöße der Hinterfüße, die Steuerung durch den Schwanz, welcher jedoch niemals senkrecht gestellt, sondern immer ein wenig schief gedreht, oft auch in entsprechender Richtung kräftig und stoßweise bewegt wird; die Vorderfüße nehmen beim Schwimmen keinen Antheil. Bei raschem Eintauchen stößt der Biber mit seinen breitruderigen Hinterfüßen kräftig nach oben aus und schlägt gleichzeitig den Schwanz auf die Oberfläche des Wassers, hebt und dreht also den Hintertheil seines Leibes, taucht den Kopf ein und versinkt rasch in fast senkrechter Richtung. Er kann fast zwei Minuten im Wasser verweilen, bevor die Athemnoth ihn zum Auftauchen zwingt.
   Je nach dem Wohnorte des Bibers fällt die Paarung in verschiedene Monate. Einige setzen sie in den Anfang des Winters, Andere in den Februar oder März. Männchen und Weibchen benehmen sich, wie man dies an gefangenen wiederholt beobachtete, sehr zärtlich, setzen sich nebeneinander hin, umarmen sich buchstäblich und wiegen sich dann mit dem Oberleibe hin und her. Die Begattung geschieht, nach Eymouth, welcher als Vorsteher der fürstlich Schwarzenbergischen Kanzlei die von seinem Gebieter im Rothenhof jahrelang gehaltenen Biber beobachten konnte, in aufrechter Stellung, indem das Männchen sein Weibchen in angegebener Weise umschlingt, wird aber auch öfters im Wasser vollzogen. Nach mehrwöchentlicher Tragzeit wirft das Weibchen in seinem trockenen Baue zwei bis drei behaarte, aber noch blinde Junge, nach acht Tagen öffnen diese die Augenlider, und die Mutter führt nunmehr schon, bisweilen aber auch erst am 10. Tage, ihre Nachkömmlinge mit sich ins Wasser. Eymouth gibt als Setzzeit April und Mai an; der späteste Wurf fand am 10. Juli statt.
   Außer dem Fürsten Schwarzenberg, welcher auf der Wiener Weltausstellung ein Biberpaar zur Anschauung brachte, befaßt sich gegenwärtig Niemand mit der Biberzucht, obwohl diese ebenso anziehend als lohnend ist und, wie aus den auf den fürstlichen Herrschaften gesammelten Erfahrungen hervorgeht, auch nicht besondere Schwierigkeiten verursacht. Ein Biberpaar, welches im Jahre 1773 im Rothenhof angesiedelt worden war, hatte sich schon sechs Jahre später bis auf vierzehn und zehn Jahre später bis auf fünfundzwanzig vermehrt, die Zucht wurde aber nunmehr beschränkt, weil man die Biber ins Freie bringen ließ, und sie hier viel Schaden anrichteten. In Nymphenburg in Bayern hielt man im Anfange der fünfziger Jahre ebenfalls Biber und erfuhr, daß einzelne von diesen fünfzig Jahre in Gefangenschaft aushielten.
   In bewohnten Gegenden nutzt dem Biber übrigens, wie die Erfahrung darthut, auch die größte Vorsicht nichts; der beharrliche Jäger weiß ihn doch zu berücken, und bei dem Werthe der Beute lohnt die Jagd viel zu sehr, als daß der Biber selbst da, wo er durch strenge Jagdgesetze geschützt wird, nicht ausgerottet werden sollte. Erzbischof Johann Ernst von Salzburg setzte auf die Erlegung eines Bibers Galeerenstrafe, und seine Biber wurden doch weggeschossen. So geht es allerorten. Die wenigen Biber, welche Europa noch besitzt, nehmen von Jahr zu Jahr ab und werden sicherlich das Loos ihrer Brüder theilen. Der Nutzen, welchen der Biber gewährt, gleicht den Schaden, welchen er anrichtet, fast aus.


   Hamster

   Unser Hamster bildet mit noch etwa einem Dutzend gleichgestalteten und gleichgesinnten Thieren die bekannteste Sippe (Cricetus), deren hauptsächlichste Kennzeichen liegen in dem plumpen, dicken Leibe mit dem sehr kurzen, dünnhaarigen Schwanze und den kurzen Gliedmaßen, von denen die Hinterfüße fünf, die Vorderfüße vier Zehen und eine Daumenwarze besitzen.
   Dieses leiblich recht hübsche, geistig aber um so häßlichere, boshafte und bissige Geschöpf (Cricetus frumentarius) (Heute: Cricetus cricetus] erreicht eine Gesammtlänge von ungefähr 30 Centim., wovon auf den Schwanz etwa 5 Centim. kommen. Gewöhnlich ist die Färbung des Oberkörpers ein lichtes Braungelb, welches wegen der schwarzspitzigen Grannen ins Grauliche spielt. Die Oberseite der Schnauze und Augengegend sowie ein Halsband sind rothbraun, ein Fleck auf den Backen ist gelb, der Mund weißlich die Unterseite, auch die Beine bis zu den Füßen herab und die Hinterbeine wenigstens innen, sowie ein Streifen über der Stirn sind schwarz, die Füße dagegen weiß. Meist stehen noch gelbe Flecken hinter den Ohren und vor und hinter den Vorderbeinen.
   Fruchtbare Getreidefelder vom Rheine bis an den Ob gewähren dem Hamster Aufenthalt und Nahrung. In Deutschland fehlt er in den südlich und südwestlich gelegenen Ländern und Provinzen, ebenso in Ost– und Westpreußen, ist dagegen häufig in Thüringen und Sachsen. Ein Boden, welcher mäßig fest, trocken und dabei fruchtbar ist, scheint die Hauptbedingung für sein Wohlbefinden zu sein. Er verlangt, daß die Baue, welche er gräbt, dauerhaft sind, und meidet aus diesem Grunde alle sandigen Gegenden; aber er will sich auch nicht sehr anstrengen beim Graben und verschont deshalb sehr festen und steinigen Boden mit seinen Ansiedelungen. Gebirge und Waldungen meidet er, auch wasserreiche Niederungen liebt er nicht.
   Seine Baue bestehen aus einer großen Wohnkammer, welche in einer Tiefe von 1 bis 2 Meter liegt, einer schrägen Ausgangs– und einer senkrechten Eingangsröhre. Durch Gänge steht diese Wohnkammer mit dem Vorrathsraume in Verbindung. Je nach Geschlecht und Alter des Thieres werden die Baue verschieden angelegt, die jungen Hamster sind die flachsten und kürzesten, die des Weibchens bedeutend größer, die des alten Rammlers die größten. Man erkennt den Hamsterbau leicht an dem Erdhaufen, welcher vor der Ausgangsröhre liegt und gewöhnlich mit Spreu und Hülsen bestreut ist. Das Fallloch geht immer senkrecht in die Erde hinein, bisweilen so gerade, daß man einen langen Stock in dasselbe stecken kann; doch fällt es nicht in die Kammer ein, sondern biegt sich nach unten bald in wagrechter, bald in schiefer Richtung nach derselben hin. Das Schlupfloch dagegen läuft selten in gerader Richtung, sondern mehr gebogen der Kammer zu. Unter den Kammern ist die glattwandige Wohnkammer die kleinere, auch stets mit sehr feinem Stroh, meistens mit den Scheiden der Halme angefüllt, welche eine weiche Unterlage bilden. Drei Gänge münden in sie ein, der eine vom Schlupf-, der andere vom Fallloche und der dritte von der Vorrathskammer kommend. Diese ähnelt der ersten Kammer vollständig, ist rundlich oder eiförmig, oben gewölbt, inwendig glatt und gegen den Herbst hin ganz mit Getreide ausgefüllt. Junge Hamster legen bloß eine an, die alten aber, namentlich die Rammler, welche den ganzen Sommer hindurch nur einschleppen, graben sich drei bis fünf solche Speicher, und hier findet man denn auch ebensoviele Metzen Frucht. Manchmal verstopft der Hamster den Gang vom Wohnzimmer aus zur Vorrathskammer mit Erde, zuweilen füllt er ihn auch mit Körnern an. Diese werden so fest zusammengedrückt, daß der Hamstergräber, wenn er die Kammern ausbeuten will, sie gewöhnlich erst mit einem eisernen Werkzeuge auseinanderkratzen muß. Früher behauptete man irrthümlicherweise, daß der Hamster jede Getreideart besonders aufschichte; er trägt jedoch die Körner ein, wie er sie findet, und hebt sie unter der Erde auf. Selten sind sie ganz rein von Aehrenhülsen oder Schalen. Wenn man in einem Baue die verschiedenen Getreidearten wirklich getrennt findet, rührt dies nicht von dem Ordnungssinne des Thieres her, sondern weil es zur betreffenden Zeit eben nur diese und dann nur jene Getreideart fand. In dem Gange, welcher nach dem Schlupfloche führt, weitet sich oft kurz vor der Kammer eine Stelle aus, wo der Hamster seinen Mist abzulegen pflegt.
   Der Hamster ist trotz seiner scheinbaren Plumpheit ein ziemlich gewandtes Thier. Sein kriechender, dem des Igels ziemlich ähnlicher Gang, bei welchem der Unterleib fast auf der Erde schleppt, besteht aus kleinen Schritten. Im Zorne bewegt er sich heftiger und vermag dann auch ziemlich weite Sprünge und hohe Sätze auszuführen. Meisterhaft versteht er das Graben. Wenn man ihn in ein Faß mit Erde steckt, geht er augenblicklich ans Werk. Er bricht mit den Vorderfüßen, oder, wenn der Grund hart ist, mit diesen und den Zähnen Erde los, wirft sie zuerst unter den Bauch, holt sie dann mit den Hinterbeinen hervor und schleudert sie hinter sich. Kommt er in die Tiefe, so schiebt er, rückwärtsgehend, ganze Haufen auf einmal heraus; niemals aber füllt er mit ihr seine Backentaschen an, wie fälschlich behauptet wurde. Der Hamster ist mit seinen Vorderfüßen ungemein geschickt und versteht sie ganz wie Hände zu benutzen. Mit ihnen führt er die Nahrung zum Munde, mit ihnen hält und dreht er die Aehren, welche er enthülsen will, um die Körner in seinen Backentaschen aufzuspeichern, und mit ihrer Hülse bringt er auch seinen Pelz in Ordnung.
   Die höheren Sinne des Hamsters scheinen ziemlich gleich ausgebildet zu sein; wenigstens bemerkt man nicht, daß der eine vor dem andern besonders entwickelt wäre. Die geistigen Eigenschaften sind nicht gerade geeignet, ihn zu einem Lieblinge des Menschen zu machen. Der Zorn beherrscht sein ganzes Wesen in einem Grade wie bei kaum einem andern Nager von so geringer Größe, Ratten oder Lemminge etwa ausgenommen. Bei der geringsten Ursache stellt er sich trotzig zur Wehre, knurrt tief und hohl im Innern, knirscht mit den Zähnen und schlägt sie ungemein schnell und heftig aufeinander. Ebenso groß wie sein Zorn ist auch sein Muth. Er wehrt sich gegen jedes Thier, welches ihn angreift, und so lange, als er kann.
   Daß ein so jähzorniges Thier nicht verträglich sein kann, ist erklärlich. Die eigenen Kinder mögen nicht mehr bei der Mutter bleiben, sobald sie größer geworden sind; der männliche Hamster beißt den weiblichen todt, wenn er außer der Paarungszeit mit ihm zusammenkommt.
   Mit anderen kleineren Thieren verträgt er sich natürlich noch weniger als mit seines Gleichen, ja, er macht förmlich Jagd auf solche; denn seine Nahrung besteht zum guten Theil auch aus lebenden Geschöpfen. Kleine Vögel, Mäuse, Eidechsen, Blindschleichen, Ringelnattern und Kerbthiere frißt er noch lieber als Pflanzenstoffe, und wenn man ihm einen lebenden Vogel in seinen Käfig wirft, springt er blitzschnell zu, zerbeißt ihm zuerst die Flügel, tödtet ihn dann mit einem einzigen Bisse in den Kopf und frißt ihn nun ruhig auf. Das Pflanzenreich muß ihm alles, was irgendwie genießbar ist, zur Nahrung liefern. Er verzehrt grüne Saat– und andere Kräuter, Hülsenfrüchte, Möhren, Kartoffeln u. dgl. auch Wurzeln von manchen Kräutern, sowie Obst, es mag unreif oder reif sein. In der Gefangenschaft nährt er sich auch von allerlei Gebackenem, wie Kuchen und Brod, von Butter, Käse u. a., kurz, er zeigt sich als wahrer Allesfresser.
   Auch der Hamster ist ein Winterschläfer. Er erwacht, sobald die Erde aufgethaut ist, oft schon im Februar, sicher im März. Gegen die Mitte des März erschließen die alten Männchen, anfangs April die alten Weibchen des Fallloch. Jetzt suchen sie sich bereits außen Nahrung, tragen auch von frischbesäeten Ackerstücken, wo sie die Körner sorgfältig auflesen, Getreide in ihren Bau ein. Ende April begeben sich die Männchen in die Behausung der Weibchen und leben, wie es scheint, friedlich einige Tage mit ihnen. Etwa vier bis fünf Wochen nach der Begattung, zum ersten Male gegen Ende des Mai, zum zweiten Male im Juli, wirft das Weibchen in seinem weich und warm ausgefütterten Neste sechs bis achtzehn Junge. Diese kommen nackt und blind zur Welt, bringen aber ihre Zähne schon mit, wachsen auch außerordentlich schnell. Unmittelbar nach der Geburt, nachdem sie abgetrocknet sind, sehen sie fast blutroth aus und lassen ein Gewimmer vernehmen, wie es kleine Hunde auszustoßen pflegen. Sie erhalten mit dem zweiten oder dritten Tage ein feines Flaumenhaar, welches sich aber bald verdichtet und den ganzen Körper einhüllt.


   Lemming

   Der Lemming (Myodes lemmus) [Heute: Lemmus lemmus] erreicht eine Gesammtlänge von 15 Centim., wovon höchstens 2 Centim. auf das Stutzschwänzchen kommen. Der reiche und lange Pelz ist sehr ansprechend gezeichnet. Von der braungelben, im Nacken gewässerten Grundfärbung heben sich dunkle Flecken ab, von den Augen laufen zwei gelbe Streifen nach dem Hinterkopfe. Der Schwanz und die Pfoten sind gelb, die Untertheile einfach gelb, fast sandfarbig.
   Der Lemming ist das räthselhafteste Thier Skandinaviens. Noch heute glauben die Bauern der Gebirgsgegenden, daß er von dem Himmel herabgeregnet werde und deshalb in so ungeheurer Menge auftrete, später aber wegen seiner Freßgier sich den Magen verderbe und zu Grunde gehen müsse.
   Ich habe Lemminge im Jahre 1860 namentlich auf dem Dovrefjeld zu meiner Freude in großer Menge angetroffen und mich durch eigene Anschauung über sie unterrichten können. Wie ich in Norwegen erfuhr, finden sie sich auf allen höheren Gebirgen des Landes und auch auf den benachbarten Inseln, falls diese bergig sind. Weiter oben im Norden gehen sie bis in die Tundra herab. In den ungeheueren Morästen zwischen dem Altenfjord und dem Tanaflusse fand ich ihre Losung auf allen trockenen Stellen in unglaublicher Menge, sah aber nicht einen einzigen Lemming mehr. Auf dem Dovrefjeld waren sie im Mai überall sehr gemein, am häufigsten im höchsten Gürtel zwischen 1000 bis 2000 Meter über dem Meere, oder von der Grenze der Fichtenwälder an bis zur Grenze des ewigen Schnees hinauf. Einige fand ich auch in Gulbrandsdalen, kaum 100 Meter über dem Meere, und zwar in wasserreichen Gegenden in der Nähe der Laugen. Auf dem Dovrefjeld wohnte einer neben dem anderen, und man sah und hörte oft ihrer acht bis zehn zu gleicher Zeit.
   Die Thiere sind ganz allerliebst. Sie sehen aus wie kleine Murmelthiere oder wie Hamster und ähneln namentlich den letzteren vielfach in ihrem Wesen. Ihre Aufenthaltsorte sind die verhältnismäßig trockenen Stellen des Morastes, welcher einen so großen Theil von Norwegen bedeckt. Sie bewohnen hier kleine Höhlungen unter Steinen oder im Moose; doch trifft man sie auch oft umherschweifend zwischen den kleinen Hügeln an, welche sich aus dem Sumpfe erheben. Selten bemerkt man ausgetretene Wege, welche von einer Höhle zu der anderen führen; größere Gänge schürfen sie sich nur im Schnee. Sie sind bei Tage und bei Nacht munter und in Bewegung. Ihr Gang ist trippelnd, aber rasch, wenn auch der Mensch sie leicht einzuholen vermag. Sie sitzen oft ruhig und wohlversteckt in ihren Löchern und würden sicherlich nicht von den Vorübergehenden bemerkt werden; aber die Erscheinung eines Menschen erregt sie viel zu sehr, als daß sie schweigen könnten. Mit lautem Grunzen und Quieken nach Meerschweinchenart begrüßen sie den Eindringling in ihr Gehege, gleichsam, als wollten sie ihm das Betreten ihres Gebietes verwehren. Nur während sie umherlaufen, nehmen sie, wenn man auf sie zugeht, die Flucht, eilen nach irgend einem der unzähligen Löcher und setzen sich dort fest. Dann gehen sie nicht mehr zurück, sondern lassen es darauf ankommen, todtgeschlagen oder weggenommen zu werden. Im Winter schürfen sie sich, wie bemerkt, lange Gänge in den Schnee, und in diesen hinein bauen sie sich auch, wie ich bei der Schneeschmelze bemerkte, große dickwandige Nester aus zerbissenem Grase. Die Nester stehen etwa 20 bis 30 Centim. über dem Boden, und von ihnen aus führen lange Gänge nach mehreren Seiten hin durch den Schnee, von denen die meisten bald bis auf die Mosdecke sich herabsenken und dann, wie die Gänge unserer Wühlmäuse, halb zwischen dem Mose und halb im Schnee weiter geführt werden. Aber die Lemminge laufen auch auf dem Schnee umher oder setzen wenigstens über die großen Schneefelder in der Höhe des Gebirges.
   Ihre Heimat ist übrigens, so arm sie auch scheinen mag, reich genug für ihre Ansprüche und bietet ihnen alles, was sie bedürfen. Nur in manchen Jahren scheint dies nicht der Fall zu sein; dann sehen sich die Lemminge genöthigt, Wanderungen anzustellen.
   Ich muß bei Erwähnung dieser allbekannten Thatsache hervorheben, daß die Leute auf dem Dovrefjeld nicht das geringste von den Wanderungen wußten, und daß die Bewohner Lapplands mir ebensowenig darüber sagen konnten. Auch Finnländer, welche ich fragte, wußten nichts, und wäre nicht Linne der Gewährsmann für die bezüglichen Angaben: ich würde sie kaum der Erwähnung werth halten.
   Meiner Ansicht nach muß die Ursache solcher Wanderungen ebenso wie bei anderen Wühlmäusen in zeitweilig sich fühlbar machendem Mangel an Nahrung beruhen. Wenn nun auf einen milden Winter ein gutes Frühjahr und ein trockener Sommer folgen, sind damit alle Bedingungen zu einer Vermehrung gegeben, welche, wie bei anderen Wühlmäusen auch, als eine grenzenlose bezeichnet werden darf. Die Trockenheit bewirkt aber gleichzeitig ebenso ein Verdorren oder doch Verkümmern der bevorzugten Nahrungspflanzen, das ausgedehnte Weideland reicht für die Menge der wie alle Nager freßgierigen Geschöpfe nicht mehr aus, und sie sehen sich nunmehr gezwungen, anderswo Nahrung zu suchen. Unter solchen Umständen rotten sich bekanntlich nicht allein Nagethiere, sondern auch andere Pflanzenfresser, in Schaaren zusammen, wandern und ziehen schließlich gleichsam sinnlos ihres Weges fort, da sie weder eine bestimmte Richtung einhalten, noch auch solchen Gegenden sich zuwenden, wo es wirklich etwas für sie zu fressen gibt. Erst nachdem hundertausende durch Mangel, Krankheiten, Reisemühen und Reisegefahren ihren Untergang gefunden haben, versuchen die überlebenden wieder die Höhen zu gewinnen, welche ihr eigentliches Wohngebiet bilden. Somit erscheinen mir die Wanderungen der Lemminge durchaus nicht wunderbarer oder minder erklärlich als die anderer Wandersäugethiere, insbesondere anderer Wühlmäuse.


   Feldmaus

   In Europa reicht die Feldmaus (Arvicola arvalis) [Heute: Microtus arvalis] bis in die nördlichen Provinzen Rußlands, in Asien südlich bis nach Persien, westlich bis jenseits des Ob. Sie gehört ebensowohl der Ebene wie dem Gebirge an, obgleich sie im Flachlande häufiger auftritt. In den Alpen steigt sie bis 2000 Meter über das Meer empor. Baumleere Gegenden, Felder und Wiesen, seltener Waldränder und Waldblößen sind ihre bevorzugten Wohnplätze. Das Graben versteht sie meisterhaft. Sie wühlt schneller als irgend eine andere Maus und scheint im Höhlenbauen unermüdlich zu sein. Ihrer Lebensweise nach ist sie fast ebensosehr Tag– als Nachtthier. Man sieht sie auch während des heißesten Sonnenbrandes außerhalb ihrer Baue, obschon sie die Morgen– und Abendzeit dem heißen Mittage vorzuziehen scheint. Wärme und Trockenheit sind für sie Lebensbedingungen; bei anhaltender Feuchtigkeit geht sie zu Grunde.
   Ihre Nahrung besteht aus allen möglichen Pflanzenstoffen. Wenn sie Sämereien hat, wählt sie nur diese, sonst begnügt sie sich auch mit frischen Gräsern und Kräutern, mit Wurzeln und Blättern, mit Klee, Früchten und Beeren. Wenn das Getreide zu reifen beginnt, sammelt sie sich in Scharen auf den Feldern, beißt die Halme unten ab, bis sie umstürzen, nagt sie dann oben durch und schleppt die Aehren in ihre Baue. Während der Ernte folgt sie den Schnittern auf dem Fuße von den Winter– zu den Sommerfeldern nach, frißt die ausgefallenen Körner zwischen den Stoppeln auf, trägt die beim Binden der Garben verlorenen Aehren zusammen und findet sich zuletzt noch auf den Hagefeldern ein, auch dort noch Vorräthe für den Winter einsammelnd.
   Im hohen Grade gesellig, lebt die Feldmaus ziemlich einträchtig mit ihres Gleichen, mindestens paarweise zusammen, häufiger aber in großen Scharen, und deshalb sieht man Bau an Bau gereiht. Ihre Vermehrung ist außerordentlich stark. Schon im April findet man in ihren warnen Nestern, welche 40 bis 60 Centim. tief unter dem Boden liegen und mit zerbissenem Grase, fein zermalmten Halmen oder auch mit Moos weich ausgekleidet sind, vier bis acht Junge, und im Verlaufe der warmen Jahreszeit wirft ein Weibchen noch vier bis sechs Mal. Höchst wahrscheinlich sind die Jungen des ersten Wurfes im Herbste schon wieder fortpflanzungsfähig, und somit läßt sich die zuweilen stattfindende erstaunliche Vermehrung erklären.
   Um für die Massen der Mäuse, welche manchmal in gewissen Gegenden auftreten, Zahlen zu geben, will ich bemerken, daß in dem einzigen Bezirke von Zabern im Jahre 1822 binnen vierzehn Tagen 1570000, im Landrathsamte Nidda 590327 und im Landrathsamte Putzbach 271941 Stück Feldmäuse gefangen worden sind. In den Jahren 1872 und 73 war es nicht anders. Fast aus allen Theilen unseres Vaterlandes erschallten Klagen über Mäusenoth. Es war eine Plage, der bekannten egyptischen vergleichbar. Selbst in dem dürren Sande der Mark zählte man auf einzelnen Feldstücken tausende von Feldmäusen; in dem fetten Ackerlande Niedersachsens, Thüringens, Hessens hausten sie furchtbar. Halbe Ernten wurden vernichtet, hunderttausende von Morgen umgepflügt, viele tausende von Mark und Thalern für Vertilgungsmittel ausgegeben. In landwirtschaftlichen Vereinen wie in Ministerien erwog man Mittel, der Plage zu steuern.
   Leider ist der Mensch diesen Mäusen gegenüber geradezu ohnmächtig. Alle Vertilgungsmittel, welche man bisher ersonnen hat, erscheinen ungenügend, der massenhaften Vermehrung jener gefräßigen Scharen gegenüber; nur der Himmel und die den Menschen so befreundeten und gleichwohl von ihm so befeindeten Raubthiere vermögen zu helfen. Man gebraucht mit gutem Erfolge Mäusebohrer, mit denen man da, wo es der Boden erlaubt, Löcher von 12 bis 18 Centim. Durchmesser etwa 60 Centim. tief in die Erde gräbt, und erzielt damit, daß die hineinfallenden Mäuse, ohne daran zu denken, sich Fluchtröhren zu graben, einander auffressen und sich gegenseitig vernichten; man läßt beim Umackern der Felder Kinder mit Stöcken hinter dem Pfluge hergehen und so viele Mäuse als möglich erschlagen; man treibt Rauch in ihren Höhlen, wirft vergiftete Körner hinein, übergießt sogar ganze Felder mit einem Absud von Brechnuß oder Wolfsmilch, kurz wendet alles an, um diese greuliche Plage los zu werden: aber gewöhnlich sind sämmtliche Mittel so gut wie vergeblich, einzelne von ihnen, namentlich das Vergiften, auch höchst gefährlich. Selbst das wirksamste Gift vertilgt nicht alle Feldmäuse eines Ackers, wohl aber regelmäßig deren ärgste Feinde, also unsere Freunde: Füchse, Iltisse, Hermeline, Wiesel, Bussarde, Eulen, Krähen und ebenso Rebhühner, Hasen und Hausthiere, von der Taube an bis zum Rinde oder dem Pferde hinauf: Grund genug, das Ausstreuen von Gift gänzlich zu verwerfen.


   Hausratte

   Die Hausratte (Mus rattus) [Heute: Rattus rattus] ist oberseits dunkel braunschwarz, unterseits ein wenig heller grauschwarz gefärbt. Das an der Wurzel schwarzgraue Haar zeigt grünlichen Metallschimmer. An dem verhältnismäßig schlanken Schwanze zählt man 260 bis 270 Schuppenringe.
   Wann diese Art zuerst in Europa erschienen ist, läßt sich mit Gewißheit nicht bestimmen. Albertus Magnus ist der erste Thierkundige, welcher sie als deutsches Thier aufführt; demnach war sie also im zwölften Jahrhundert bereits bei uns heimisch. Geßner behandelt sie als ein Thier, welches »manchem mer bekannt dann im lieb«; der Bischof von Autun verhängt, anfangs des fünfzehnten Jahrhunderts, den Kirchenbann über sie; in Sondershausen setzt man ihretwegen einen Buß– und Bettag an. Möglicherweise stammt sie aus Persien, wo sie noch gegenwärtig in unglaublicher Anzahl vorkommt. Bis in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts genoß sie in Europa die Alleinherrschaft; von dieser Zeit an hat ihr die Wanderratte das Gebiet streitig gemacht. Anfangs haben beide eine Zeitlang neben einander gewohnt; bald aber ist jene überwiegend geworden und sie in demselben Maße verschwunden, wie die Wanderratte vordrang. Doch ist sie zur Zeit noch so ziemlich über alle Theile der Erde verbreitet, kommt aber nur selten in geschlossenen Massen, sondern fast überall einzeln vor. Auch sie folgte dem Menschen in alle Klimate der Erde, wanderte mit ihm zu Lande und Meere durch die Welt. Unzweifelhaft war sie früher in Amerika, Australien und Afrika nicht heimisch; aber die Schiffe brachten sie an alle Küsten, und von den Küsten aus wanderten sie weiter und weiter ins Innere.


   Wanderratte

   Die Wanderratte (Mus decumanus) [Heute: Rattus norvegicus] ist um ein beträchtliches größer, und ihre Färbung auf der Ober– und Unterseite des Leibes verschieden. Der Obertheil des Körpers und Schwanzes ist bräunlichgrau, die Unterseite scharf abgesetzt grauweiß. Der Schwanz hat etwa 210 Schuppenringe, auch kommen Weißlinge mit rothen Augen vor.
   Mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich annehmen, daß das ursprüngliche Vaterland der Wanderratte Mittelasien, und zwar Indien oder Persien gewesen ist.
   Erst Pallas beschreibt die Wanderratte mit Sicherheit als europäisches Thier und berichtet, daß sie im Herbste 1727 nach einem Erdbeben in großen Massen aus den kaspischen Ländern und von der rumänischen Steppe aus in Europa eingerückt sei. Sie setzte bei Astrachan in großen Haufen über die Wolga und verbreitete sich von hier rasch nach Westen hin. Fast zu derselben Zeit, im Jahre 1732 nämlich, wurde sie auf Schiffen von Ostindien aus nach England verschleppt, und nunmehr begann sie auch von hier aus ihre Weltwanderung. In Ostpreußen erschien sie im Jahre 1750, in Paris bereits 1753, in Deutschland war sie schon 1780 überall häufig; in Dänemark kennt man sie erst seit ungefähr siebzig Jahren und in der Schweiz erst seit dem Jahre 1809 als einheimisches Thier. Glaubwürdige Beobachter versichern, daß sie noch gegenwärtig zuweilen in Scharen von einem Orte zum anderen zieht. »Mein Schwager«, schreibt mir Dr. Helms, »traf einmal an einem frühen Herbstmorgen im Vördenschen einen solchen wandernden Zug, den er auf mehrere tausend Stück schätzen mußte.«
   In der Lebensweise, in den Sitten und Gewohnheiten, im Vorkommen u. a. stimmen beide Ratten so sehr überein, daß man die eine schildert, indem man die andere beschreibt. Wenn man festhalten will, daß die Wanderratte mehr in den unteren Räumlichkeiten der Gebäude und namentlich in feuchten Kellern und Gewölben, Abzugsgräben, Schleußen, Senkgruben, Flethen und an Flußufern sich eingenistet hat, während die Hausratte den obern Theil des Hauses, die Kornböden, Dachkammern u. a. vorzieht, wird nicht viel mehr übrig bleiben, was beiden Arten nicht gemeinsam wäre. Die eine wie die andere Art dieses Ungeziefers bewohnt alle nur möglichen Räumlichkeiten der menschlichen Wohnungen und alle nur denkbaren Orte, welche Nahrung versprechen. Vom Keller an bis zum Dachboden hinauf, vom Prunkzimmer an bis zum Abtritt, vom Palast an bis zur Hütte, überall sind sie zu finden. An den unsaubersten Orten nisten sie sich ebenso gern ein als da, wo sie sich erst durch ihren eigenen Schmutz einen zusagenden Wohnort schaffen müssen. Sie leben im Stalle, in der Soheuer, im Hofe, im Garten, an Flußufern, an der Meeresküste, in Kanälen, den unterirdischen Ableitungsgräben größerer Städte u. a., kurz überall, wo sie nur leben können, obschon die Hausratte ihrem Namen immer Ehre zu machen sucht und sich möglichst wenig von der eigentlichen Wohnung der Menschen entfernt. Gegen sie schützt weder Hag noch Mauer, weder Thüre noch Schloß: wo sie keinen Weg haben, bahnen sie sich einen; durch die stärksten Eichenbohlen und durch dicke Mauern nagen und wühlen sie sich Gänge. Nur, wenn man die Grundmauern tief einsenkt in die Erde, mit festem Cement alle Fugen zwischen den Steinen ausstreicht und vielleicht zur Vorsorge noch zwischen dem Gemäuer eine Schicht von Glasscherben einfügt, ist man vor ihnen ziemlich sicher. Aber wehe dem vorher geschützten Raume, wenn ein Stein in der Mauer locker wird: von nun an geht das Bestreben dieser abscheulichen Thiere sicher dahin, nach dem bisher verbotenen Paradiese zu gelangen.
   Nicht zufrieden mit dem schon so reichhaltigen Speisezettel, fallen die Ratten ebenso gierig über andere Stoffe, zumal auch über lebende Wesen her. Die schmutzigsten Abfälle des menschlichen Haushaltes sind ihnen unter Umständen noch immer recht; verfaulendes Aas findet an ihnen Liebhaber. Sie fressen Leder und Horn, Körner und Baumrinde, oder besser gesagt, alle nur denkbaren Pflanzenstoffe, und was sie nicht fressen können, zernagen sie wenigstens. Es sind verbürgte Beispiele bekannt, daß sie kleine Kinder bei lebendigem Leibe angefressen haben, und jeder größere Gutsbesitzer hat erfahren, wie arg sie seinen Hofthieren nachstellen. Sehr fetten Schweinen fressen sie Löcher in den Leib, dicht zusammengeschichteten Gänsen die Schwimmhäute zwischen den Zehen weg, junge Enten ziehen sie ins Wasser und ersäufen sie dort, dem Thierhändler Hagenbeck tödtetensie drei junge afrikanische Elefanten, indem sie diesen gewaltigen Thieren die Fußsohlen zernagten.
   Wenn sie mehr als gewöhnlich an einem Orte sich vermehren, ist es wahrhaftig kaum zum Aushalten. Und es gibt solche Ort, wo sie in einer Menge auftreten, von welcher wir uns glücklicherweise keinen Begriff machen können. In Paris erschlug man während vier Wochen in einem einzigen Schlachthause 16 000 Stück, und in einer Abdeckerei in der Nähe dieser Hauptstadt verzehrten sie binnen einer einzigen Nacht fünfunddreißig Pferdeleichen bis auf die Knochen. Sobald sie merken, daß der Mensch ihnen gegenüber ohnmächtig ist, nimmt ihre Frechheit in wahrhaft erstaunlicher Weise zu; und wenn man sich nicht halb zu Tode ärgern möchte über die nichtswürdigen Thiere, könnte man versucht sein, über ihre alles Maß überschreitende Unverschämtheit zu lachen. Während meiner Knabenzeit hatten wir in unserer baufälligen Pfarrwohnung einige Jahre lang keine Katzen, welche auf Ratten gingen, sondern nur schlechte, verwöhnte, welche höchstens einer Maus den Garaus zu machen wagten. Da vermehrten sich die Ratten derart, daß wir nirgend mehr Ruhe und Rast vor ihnen hatten. Wenn wir mittags auf dem Vorsale speisten, kamen sie lustig die Treppe herabspaziert, bis dicht an unsern Tisch heran und sahen, ob sie nicht etwas wegnehmen könnten. Standen wir auf, um sie zu vertreiben, so rannten sie zwar weg, waren aber augenblicklich wieder da und begannen das alte Spiel von neuem. Nachts rasselte es unter allen Dächern und unter dem Fußboden, als ob ein wildes Heer in Bewegung wäre. Im ganzen Hause spukte es. Das waren Hausratten, also noch immer die bessere Sorte dieses Ungeziefers; denn die Wanderratten treiben es noch viel schlimmer. Seeleute sind dieser Nager halber oft sehr übel daran. Es gibt kein größeres Schiff ohne Ratten. Auf den alten Fahrzeugen sind sie nicht auszurotten, und die neuen besetzen sie augenblicklich, sobald die erste Ladung eingenommen wird. Auf langen Seereisen vermehren sie sich, zumal, wenn sie genug zu fressen haben, in bedeutender Menge, und dann ist kaum auf dem Schiffe zu bleiben.
   In allen Leibesübungen sind die Ratten Meister. Sie laufen rasch und geschickt, klettern vortrefflich, sogar an ziemlich glatten Wänden empor, schwimmen meisterhaft, führen mit Sicherheit ziemlich weite Sprünge aus und graben recht leidlich, wenn auch nicht gern ausdauernd nacheinander. Die stärkere Wanderratte scheint noch geschickter zu sein als die Hausratte, wenigstens schwimmt sie bei weitem besser. Ihre Tauchfähigkeit ist beinahe ebenso groß wie die echter Wasserthiere. Sie darf dreist auf den Fischfang ausgehen; denn sie ist im Wasser behend genug, den eigentlichen Bewohnern der feuchten Tiefe nachzustellen. Manchmal thut sie gerade, als ob das Wasser ihre wahre Heimat wäre. Erschreckt, flüchtet sie sich augenblicklich in einen Fluß, Teich oder Graben, und, wenn es sein muß, schwimmt sie in einem Zuge über die breiteste Wasserfläche oder läuft minutenlang auf dem Grunde des Beckens dahin. Die Hausratte thut dies bloß im größten Nothfalle, versteht jedoch die Kunst des Schwimmens recht gut.
   Wie bereits bemerkt, herrscht zwischen den beiden Rattenarten ein ewiger Streit, welcher regelmäßig mit dem Untergange der schwächeren Art endet; doch auch die einzelnen Ratten unter sich kämpfen und streiten beständig. Nachts hört da, wo sie häufig sind, das Poltern und Lärmen keinen Augenblick auf; denn der Kampf währt auch dann noch fort, wenn ein Theil bereits die Flucht ergreift. Recht alte, bissige Männchen werden zuweilen von der übrigen Gesellschaft verbannt und suchen sich dann einen stillen, einsamen Ort auf, wo sie mürrisch und griesgrämig ihr Leben verbringen.
   Die Paarung geht unter lautem Lärmen und Quieken und Schreien vor sich; denn die verliebten Männchen kämpfen heftig um die Weibchen. Ungefähr einen Monat nach der Begattung werfen die letzeren fünf bis einundzwanzig Junge, kleine, allerliebste Thierchen, welche jedermann gefallen würden, wären sie nicht Ratten. »Am I. März 1852«, berichtet Dehne, »bekam ich von einer weißen Ratte sieben Junge. Sie hatte sich in ihrem Drahtkäfige ein dichtes Nest von Stroh gemacht. Die Jungen hatten die Größe der Maikäfer und sahen blutroth aus. Bei jeder Bewegung der Mutter ließen sie ein feines, durchdringendes Piepen oder Quietschen hören. Am B. waren sie schon ziemlich weiß; vom 13. bis 16. wurden sie sehend. Am 18. abends kamen sie zum ersten Male zum Vorschein, als aber die Mutter bemerkte, daß sie beobachtet wurden, nahm sie eine nach der anderen ins Maul und schleppte sie in das Nest. Am 21. hatten sie schon die Größe gewöhnlicher Hausmäuse, am 28. die der Waldmäuse. Sie saugten noch dann und wann (ich sah sie sogar noch am z. April saugen), spielten miteinander, jagten und balgten sich auf die gewandteste und unterhaltendste Weise, setzten sich auch wohl zur Abwechslung auf den Rücken der Mutter und ließen sich von derselben herumtragen. Sie übertrafen an Possirlichkeit bei weitem die weißen Hausmäuse.«
   Im Freileben kommt unter den Ratten zuweilen eine eigenthümliche Krankheit vor. Mehrere von ihnen verwachsen unter einander mit den Schwänzen und bilden dann den sogenannten Rattenkönig, den man sich in früheren Zeiten freilich ganz anders vorstellte als gegenwärtig, wo man ihn in diesem oder jenem Museum sehen kann. Früher glaubte man, daß der Rattenkönig, geschmückt mit goldner Krone, auf einer Gruppe innig verwachsener Ratten throne und von hier aus den ganzen Rattenstaat regiere. Soviel ist sicher, daß man zuweilen eine größere Anzahl fest mit Schwänzen verwickelter Ratten findet, welche, weil sie sich nicht bewegen können, von Mitleidigen ihrer Art ernährt werden müssen. Man glaubt, daß eine eigenthümliche Ausschwitzung der Rattenschwänze ein Aufeinanderkleben derselben zur Folge habe, ist aber nicht im Stande, etwas sicheres darüber zu sagen. In Altenburg bewahrte man einen Rattenkönig auf, welcher von siebenundzwanzig Ratten gebildet wird; in Bonn, bei Schnepfenthal, in Frankfurt, in Erfurt und in Lindenau bei Leipzig hat man andere aufgefunden. Der letztere ist von Amtswegen genau beschrieben worden, und ich halte es nicht für überflüssig, den Inhalt der betreffenden Akten hier folgen zu lassen.
   »Am 17. Januar 1774 erscheint bei der Landstube zu Leibzig Christian Kaiser, Mühlknappe zu Lindenau, und bringt an: Was maaßen er an vergangener Mittwoche, frühe einen Rattenkönig von sechszehn Stück Ratten, welche mit den Schwänzen ineinander verflochten, in der Mühle zu Lindenau gefangen habe, welchen er, weil dieser auf ihn losspringen wollen, sofort todtgeschmissen.«
   Es ist möglich, daß derartige Verbindungen öfter vorkommen, als man annimmt; die wenigsten aber werden gefunden, und an den meisten Orten ist der Aberglaube noch so groß, daß man einen etwa entdeckten Rattenkönig gewöhnlich sobald als möglich vernichtet.


   Hausmaus

   Die Hausmaus (Mus musculus) soll schon seit den ältesten Zeiten der treueste Genosse des Menschen gewesen sein. Bereits Aristoteles und Plinius thun ihrer Erwähnung, Albertus Magnus kennt sie genau. Gegenwärtig ist sie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menschen und folgte ihm bis in den höchsten Norden und bis in die höchstgelegenen Alphütten. Ihre Aufenthaltsorte sind alle Theile der menschlichen Wohnungen. Auf dem Lande haust sie zeitweilig auch im Freien, d. h. im Garten oder in den nächsten Feldern und Wäldchen, in der Stadt beschränkt sie sich auf das Wohnhaus und seine Nebengebäude. Hier bietet ihr jede Ritze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo sie sich verstecken kann, genügendes Obdach, und von hier aus unternimmt sie ihre Streifzüge.
   Mit größter Schnelligkeit rennt sie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, springt ziemlich weit und hüpft oft längere Zeit nacheinander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man beobachten, wie geschickt sie alle Bewegungen unternimmt. Schon wenn sie ruhig sitzt, macht sie einen ganz hübschen Eindruck; erhebt sie sich aber, nach Nagerart auf das Hintertheil sich stützend, und putzt und wäscht sie sich, dann ist sie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Sie kann sich auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Mensch, und sogar einige Schritte gehen. Dabei stützt sie sich nur dann und wann ein klein wenig mit dem Schwanze.
   Man kann sich schwerlich ein naschhafteres Geschöpf denken als eine Hausmaus, welche über eine gut gespickte Speisekammer verfügen kann. Sie sucht sich sicher immer die besten Bissen aus und beweist dadurch auf das schlagendste, daß der Sinn des Geschmackes bei ihr vortrefflich entwickelt ist. Süßigkeiten aller Art, Milch, Fleischspeisen, Käse, Fette, Früchte und Körner werden von ihr unbedingt bevorzugt, und wo sie die Wahl hat, kürt sie sich unter dem Guten immer das Beste. Wo sie etwas Genießbares wittert, weiß sie sich einen Zugang zu verschaffen, und es kommt ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angestrengt zu arbeiten und selbst feste, starke Thüren zu durchnagen. Findet sie viele Nahrung, welche ihr besonders mundet, so trägt sie sich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und sammmelt mit der Hast eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze.
   Den Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfressen verschiedener Speisevorräthe anrichtet, ist im ganzen gering; ihre hauptsächliche Schädlichkeit beruht in dem abscheulichen Zernagen werthvoller Gegenstände. In Bücher– und Naturaliensammlungen hausen die Mäuse auf die verderblichste Weise und können, wenn ihrer Zerstörungslust nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, unschätzbaren Schaden anrichten.
   Die Hausmaus vermehrt sich außerordentlich stark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der Paarung vier bis sechs, nicht selten aber auch acht Junge und in Jahresfrist sicherlich fünf bis sechsmal, so daß die unmittelbare Nachkommenschaft eines Jahres mindestens dreißig Köpfe beträgt. Eine weiße Maus, welche Struve in der Gefangenschaft hielt, warf am 17. Mai sechs, den 6. Juni sechs, den 3. Juli acht Junge. Die Mutter schlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf, welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht selten findet man das Nest in ausgehöhltem Brode, in Kohlrüben, Taschen, Todtenköpfen, ja selbst in Mausefallen. Gewöhnlich ist es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen sorgfältig zusammengeschleppt.


   Haselmaus

   Die Haselmaus (Muscardinus avellanarius) ist ungefähr so groß wie unsere Hausmaus. Der dichte und anliegende, aus mittellangen, glänzenden und weichen Haaren bestehende Pelz ist gleichmäßig gelblichroth, unten etwas heller, an der Brust und der Kehle weiß.
   Mitteleuropa ist die Heimat: Schweden und England scheinen ihre nördlichste, Toskana und die nördliche Türkei ihre südlichste Grenze zu bilden; ostwärts geht sie nicht über Galizien, Ungarn und Siebenbürgen hinaus. Sie gehört ebensogut der Ebene wie dem Gebirge an, geht aber in letzterem nicht über den Laubholzgürtel nach oben, steigt also höchstens zwei tausend Meter über das Meer empor. Niederes Gebüsch und Hecken, am allerliebsten Haselnußdickichte, bilden ihre bevorzugten Wohnsitze.
   Nachts geht sie ihrer Nahrung nach. Nüsse, Eicheln, harte Samen, saftige Früchte, Beeren und Baumknospen bilden diese; am liebsten aber verzehrt sie Haselnüsse, welche sie kunstreich öffnet und entleert, ohne sie abzupflücken oder aus der Hülse zu sprengen. Auch den Beeren der Eberesche geht sie nach und wird deshalb nicht selten in Dohnen gefangen. Als echte Baumthiere klettern sie wundervoll selbst im dünnsten Gezweige herum, nicht bloß nach Art der Eichhörnchen und anderer Schläfer, sondern auch nach Art der Affen; denn oft kommt es vor, daß sie sich mit ihren Hinterbeinen an einem Zweige aufhängen, um eine tiefer hängende Nuß zu erlangen und zu bearbeiten, und ebenso häufig sieht man sie gerade so sicher auf der oberen wie an der unteren Seite der Aeste hinlaufen, ganz in der Weise jener Waldseiltänzer des Südens.
   Selten paaren sich die Geschlechter vor dem Juli. Nach ungefähr vierwöchentlicher Tragzeit, also im August, wirft das Weibchen drei bis vier nackte, blinde Junge in sein kugelförmiges, sehr zierlich und künstlich aus Moos und Gras erbautes, innen mit Thierhaaren ausgekleidetes Sommernest, welches regelmäßig im dichtesten Gebüsche und etwa meterhoch über dem Boden zu stehen pflegt. Die Kinderchen wachsen außerordentlich schnell, saugen aber doch einen vollen Monat an der Alten, wenn sie auch inzwischen schon so groß geworden sind, daß sie ab und zu das Nest verlassen können. Um die Mitte des Oktober ziehen sie sich wie letztere in den Schlupfwinkel zurück, wo sie den Wintervorrath eingesammelt, und bereiten sich aus Reisern, Laub, Nadeln, Moos und Gras eine kugelige Hülle, in welche sie sich gänzlich einwickeln, rollen sich zum Knäuel zusammen und fallen in Schlaf, tiefer noch als ihre Verwandten; denn man kann sie in die Hand nehmen und in derselben herumkugeln, ohne daß sie irgend ein Zeichen des Lebens von sich geben. Je nach der Milde oder Strenge des Winters durchschlafen sie nun ihre sechs bis sieben Monate, mehr oder weniger unterbrochen, bis die schöne, warme Frühlingssonne sie zu neuem Leben wach ruft.


   Wüstenspringmaus

   Die Wüstenspringmaus (Dipus aegyptius) [Heute: Jaculus jaculus] verbreitet sich über den größten Theil Nordostafrikas sowie das angrenzende westliche Asien und kommt nach Süden hin bis Mittelnubien vor, woselbst der Verbreitungskreis einer andern ähnlichen Art beginnt. Offene, trockene Ebenen, Streppen und Sandwüsten sind ihre Wohnplätze: sie bevölkert die dürrsten und ödesten Landschaften und bewohnt Orte, welche kaum die Möglichkeit zum Leben zu bieten scheinen. Auf jenen traurigen Flächen, welche mit dem scharfschneidigen Riedgrase, der Halfa (Poa cynosuroides) bedeckt sind, findet man sie zuweilen in größeren Gesellschaften. Sie theilt diese Orte mit dem Wüstenhuhne, der kleinen Wüstenlerche und dem isabellfarbenen Läufer, und man begreift kaum, daß auch sie dort Nahrung finden, wo jene, welche neben dem Gesäme doch auch viele Kerbthiere fressen, sich nur dürftig ernähren. In dem harten Kiesboden gräbt sie sich viel verzweigte, aber ziemlich seichte Gänge, in welche sie sich bei der geringsten Gefahr zurückzieht. Nach den Versicherungen der Araber arbeitet der ganze Trupp an diesen unterirdischen Wohnungen. Die Thiere graben mit den scharfen Nägeln ihrer Vorderfüße und benutzen wohl auch die Nagezähne, wenn es gilt, den harten Kiesboden zu durchbrechen.
   Wohl darf man sagen, daß es schwerlich ein anmuthigeres Geschöpf geben kann als diese Springmäuse. So sonderbar und scheinbar mißgestaltet sie aussehen, wenn man sie todt in der Hand hat oder regungslos sitzen sieht, so zierlich nehmen sie sich aus, wenn sie in Bewegung kommen. Erst dann zeigen sie sich als echte Kinder der Wüste, lassen sie ihre herrlichen Fähigkeiten erkennen. Ihre Bewegungen erfolgen mit einer Schnelligkeit, welche geradezu ans unglaubliche grenzt: sie scheinen zu Vögeln zu werden. Bei ruhigem Gange setzen sie ein Bein vor das andere und laufen sehr rasch dahin, bei großer Eile jagen sie in Sprungschritten davon, welche sie so schnell fördern, daß ihre Bewegung dann dem Fluge eines Vogels gleicht; denn ein Sprung folgt so rasch auf den anderen, daß man kaum den neuen Ansatz wahrnimmt. Dabei tragen die Springmäuse ihren Leib weniger nach vorn übergebeugt als sonst, die Hände mit den Krallen gegeneinander gelegt und nach vorn gestreckt, den Schwanz aber zur Erhaltung des Gleichgewichts gerade nach hinten gerichtet. Wenn man das Thier aus einiger Entfernung laufen sieht, glaubt man einen pfeilartig durch die Luft schießenden Gegenstand zu gewahren.
   Fühlt sich die Springmaus ungestört und sicher, so sitzt sie aufrecht auf dem Hintertheile wie ein Känguru, oft auf den Schwanz gestützt, die Vorderpfoten an die Brust gelegt, ganz wie Springbeutelthiere es auch zu thun pflegen. Sie weidet in ähnlicher Weise wie Kängurus: doch gräbt sie mehr als diese nach Knollen und Wurzeln, welche wohl ihre Hauptnahrung zu bilden scheinen. Außerdem verzehrt sie mancherlei Blätter, Früchte und Samen, ja sie soll selbst Aas angehen oder wenigstens den Kerbthieren gierig nachstellen.
   Die Araber erzählten mir, sie baue sich in einem tieferen Kessel ihrer Höhle ein Nest, kleide dasselbe wie Kaninchen mit Haaren ihres Unterleibes aus, und darin finde man zwei bis vier Junge: Sie stellen ihm, weil sie das Fleisch genießen und ziemlich hochschätzen, eifrig nach und fangen es ohne sonderliche Mühe lebendig oder erschlagen es beim Herauskommen aus den Bauen. Ihre Jagdweise ist sehr einfach. Sie begeben sich mit einem langen und starken Stocke nach einer Ansiedelung der Springmäuse, verstopfen den größten Theil der Röhren und graben nun einen Gang nach dem andern auf, indem sie ihren starken Stock in den Gang stecken und dessen Decke aufbrechen. Die geängstigten Wüstenmäuse drängen sich nach dem innersten Kessel zurück oder fahren durch eine Fluchtröhre nach außen und dann in ein vorgestelltes Netz oder selbst einfach in den Aermel des Obergewandes, welches der Araber vorgelegt hat. So können zuweilen zehn bis zwanzig Stück auf ein Mal gefangen werden; wenigstens macht es gar keine Mühe, eine solche Anzahl lebend zu erhalten: jagdkundige Araber bringen auf Verlangen so viele Springmäuse, als man haben will.
   Jede Springmaus schläft den ganzen Tag, vom frühen Morgen an bis zum späten Abend, kommt, wenn man sie nicht stört, auch nicht einen Augenblick aus ihrem Neste hervor, sondern schläft gute zwölf Stunden in einem Zuge fort. Aber auch während der Nacht ruht sie noch mehrere Male halbe Stündchen aus. Wenn man sie bei Tage aus dem Neste nimmt, zeigt sie sich sehr schläfrig, fällt in der Hand hin und her und kann sich längere Zeit nicht ermuntern. Ihre Stellung beim Schlafen ist eigenthümlich. Gewöhnlich sitzt sie im Neste auf den ziemlich eng zusammengestellten Fersen so, daß die weiter auseinander stehenden Fußspitzen in der Luft schweben. Den Kopf biegt sie ganz herab, sodaß die Stirn unten auf dem Boden ruht und die Schnauze an den Unterleib angedrückt wird. Der Schwanz liegt in großem Bogen über die Fußspitzen weg. So gleicht das Thier einem Balle, über dessen Oberfläche bloß die übermäßig langen Beine hervorragen. Manchmal legt sich die Springmaus aber auch auf die Seite oder selbst auf den Rücken und streckt dann die Beine sonderbar nach oben; immer aber bleibt sie in dieser zusammengerollten Stellung. Die Ohren werden beim Schlafen dicht an den Kopf gedrückt und an ihrer Spitze theilweise eingerollt, sodaß sie faltig, gleichsam wie zerknittert aussehen. Bewegungslos liegt das Thier in dem warmen Nestchen, bis der Abend ordentlich hereingebrochen. Nunmehr macht sich ein leises Rascheln und Rühren im Neste bemerklich. Die Langschläferin putzt sich, glättet die Ohren, läßt einen leisen, wie schwacher Husten klingenden Ton vernehmen, springt plötzlich mit einem einzigen Satze durch die Nestöffnung hervor und beginnt nun ihr eigenthümliches Nachtleben. Das erste Geschäft, welches sie jetzt besorgt, ist das Putzen. In der Reinlichkeit übertrifft die Springmaus kein anderer Nager. Fast alle ihre freie Zeit wird verwandt, um das seidenweiche Fell in Ordnung zu halten. Härchen für Härchen wird durchgekämmt und durchgeleckt, jeder Theil des Körpers, selbst der Schwanz, gehörig besorgt. Einen wesentlichen Dienst leistet ihr dabei feiner Sand. Dieser ist ihr überhaupt ganz unentbehrlich; sie wälzt sich mit förmlicher Wollust in ihm herum, kratzt und wühlt in ihm und kann sich gar nicht von ihm trennen. Beim Putzen nimmt sie die verschiedensten Stellungen an. Gewöhnlich sitzt sie nur auf den Zehenspitzen und gewissermaßen auf dem Schwanze. Sie hebt die Fersen etwa 4 Centim. vom Boden auf, bildet mit dem Schwanze einen großen Bogen und stemmt ihn, mit dem letzten Viertel etwa, auf den Boden auf, trägt den Leib vorn nur ein wenig erhöht und legt die Hände mit den Handflächen gegeneinander, daß die Fingerspitzen oder besser die Krallen sich berühren. Dabei hält sie diese kurzen, stummelartigen Glieder gerade nach vorn gestreckt, so daß sie auf den ersten Blick hin als Zubehör zu ihrem Maule erscheinen. Wenn sie sich aber putzt, weiß sie die zierlichen Gliedmaßen vortrefflich zu gebrauchen. Ehe sie an das Glätten des Felles geht, scharrt und wühlt sie sich eine passende Vertiefung im Sande aus. Zu diesem Ende biegt sie sich vorn hernieder und schiebt nun mit vorgestreckten, auseinander gehaltenen Händen und der rüsselartigen Schnauze den Sand, oft große Mengen auf einmal, nach vorn, und scharrt ihn da, wo er sich nicht schieben läßt, durch rasche Bewegungen der Hände los. So geht es fort, bis sie endlich ihr Lager sich zurecht gemacht hat. Jetzt legt sie zuerst den Kopf in die entstandene Vertiefung und schiebt ihn, vorwärts sich streckend, auf dem Sande dahin, dem obern Theil sowohl als den untern, die rechte wie die linke Seite, jedenfalls in der Absicht, das Fell zu glätten. Nachdem dies besorgt ist, wirft sie sich plötzlich der ganzen Länge nach in die Mulde und streckt und dehnt sich äußerst behaglich, die langen Springbeine bald gerade nach hinten, bald senkrecht vom Leibe ab oder endlich gerade nach vorne und zuletzt so ausstreckend, daß die Läufe hart an die Schnauze zu liegen kommen. Wenn sie sich in dieser Lage ordentlich eingewühlt hat, bleibt sie oft mehrere Minuten lang ruhig und zufrieden liegen, schließt die Augen halb, legt die Ohren an und streicht sich nur dann und wann einmal, als wolle sie sich dehnen, mit einem der kleinen Pfötchen über das Gesicht.
   Der ruhige Gang des Thieres ist ein schneller Schritt. Die Beine werden beim Gehen am Fersengelenk gerade ausgestreckt und so gestellt, daß sie unter das dritte Fünftel oder unter die Hälfte des vorn etwas erhobenen Leibes, welcher durch den Schwanz im Gleichgewichte gehalten wird, zu stehen kommen. Nun setzt die Springmaus in rascher Folge ein Bein um das andere vor. Die Vorderhände werden, in der gewöhnlichen Weise zusammengelegt, unter dem Kinne getragen. Da sich die gefangene Springmaus an den Menschen gewöhnt, macht sie nur höchst selten einen größeren Sprung, hauptsächlich dann, wenn es gilt, ein Hindernis zu überwinden, z. B. über ein großes ihr vorgehaltenes Buch zu springen. Dabei schwingt sie sich ohne den geringsten Ansatz durch bloßes Aufschnellen ihrer Hinterbeine fußhoch und noch mehr empor. Als ich eine bei ihren Nachtwandelungen durch eine plötzliche Bewegung erschreckte, sprang sie senkrecht über einen Meter in die Höhe. Wenn man sie auf den Tisch setzt, läuft sie rastlos umher und sieht sorgsam prüfend in die Tiefe hinab, um sich die beste Stelle zum Herunterspringen auszuwählen. Kommt sie an die Kante, so stemmt sie sich mit ihren beiden Vorderarmen auf, sonst aber nie. Die Angabe, daß sie bei jedem Sprunge einen Augenblick auf die Vorderfüße niederfalle und sich dann schnell wieder aufrichte, ist falsch. Sie kommt, selbst wenn sie aus Höhen von einem Meter und mehr zu Boden springt, immer auf die Hinterfüße zu stehen, und läuft dann, ohne sich nur nach vorne zu bücken, so ruhig weiter, als habe sie bloß einen gewöhnlichen Schritt gemacht.
   Beim Fressen setzt sie sich auf die ganzen Fußsohlen nieder, biegt aber den Leib vorn weit herab und nimmt nun die Nahrung mit einem raschen Griffe vom Boden auf. Aus einem Näpfchen mit Weizenkörnern holt sie sich in jeder Minute mehrere Körner. Sie verzehrt die erhobenen aber nicht ganz, sondern beißt bloß ein kleines Stückchen von ihnen ab und läßt sie dann wieder fallen. In einer Nacht nagt sie manchmal fünfzig bis hundert Körner an. Allerliebst sieht es aus, wenn man ihr eine Weinbeere oder ein Stückchen fein geschnittene Möhre, Apfel und dergleichen Früchte hingibt. Sie packt solche Nahrung sehr zierlich mit den Händen, dreht sie beständig hin und her und frißt sie auf, ohne sie fallen zu lassen.


   Aguti

   Der Aguti oder, wie er seines hübschen Felles wegen auch wohl heißt, der Goldhase (Dasyprocta aguti), eines der schmucksten Mitglieder der ganzen Familie, hat dichte und glatt anliegende Behaarung; das rauhe, harte, fast borstenartige Haar besitzt lebhaften Glanz und röthlich-citronengelbe, mit Schwarzbraun untermischte Färbung, ist drei– bis viermal dunkel-schwarzbraun und ebenso oft röthlich-citronengelb geringelt und endet bald mit einer hellen, bald mit einem dunklen Ringe, wodurch eben die gemischte Färbung hervorgerufen wird. An einigen Leibesstellen waltet das Gelb vor, indem das Schwarz entweder gänzlich verschwindet, oder nur einen schmalen Ring bildet. So kommt es, daß die Gesammtfärbung sich verändert, je nachdem das Thier sich bewegt, je nachdem die Beleuchtung eine verschiedene und endlich, je nachdem das Haar hier länger und dort kürzer ist. Das Gesicht und die Gliedmaßen decken bloß kurze Haare, das Hintertheil längere und das Kreuz wie die Schenkel solche von fast 8 Centim. Länge, die Kehle ist nackt.
   Guiana, Surinam Brasilien und das nördliche Peru bilden die Heimat des Guti. An den meisten Orten ist er recht häufig, besonders an den Flußniederungen Brasiliens. Hier wie überall bewohnt er die Wälder, die feuchten Urwälder ebenso wie die trockeneren des innern Landes, treibt sich aber auch an den angrenzenden grasreichen Ebenen herum und vertritt dort die Stelle der Hasen. Im freien Felde kommt er nicht vor. Gewöhnlich findet man ihn über der Erde, in hohlen Bäumen nahe dem Boden, und öfter allein als in Gesellschaft. Bei Tage liegt er ruhig in seinem Lager, und nur da, wo er sich vollkommen sicher glaubt, streift er umher. Mit Sonnenuntergang geht er auf Nahrung aus und verbringt bei guter Witterung die ganze Nacht auf seinen Streifzügen. Er hat, wie Rengger berichtet, die Gewohnheit, seinen Aufenthaltsort mehrmals zu verlassen und wieder dahin zurückzukehren; hierdurch entsteht ein schmaler, oft hundert Meter langer Fußweg, welcher die Lage des Wohngebietes verräth. Bringt man einen Hund auf diese Fährte, so gelingt es, falls das Lager sich nicht im Dickichte befindet, fast regelmäßig, des Thieres habhaft zu werden.
   Im Springen erinnert er an kleine Antilopen und Moschusthiere. Sein Lauf besteht aus Sprungschritten, welche aber so schnell aufeinander folgen, daß es aussieht, als eile das Thier im gestreckten Galopp dahin. Der ruhige Gang ist ein ziemlich langsamer Schritt.
   Die Nahrung besteht in den verschiedenartigsten Kräutern und Pflanzen, von den Wurzeln an bis zur Blüte oder zum Korn hinauf. Den scharfen Nagezähnen widersteht so leicht kein Pflanzenstoff, sie zerbrechen selbst die härtesten Nüsse. In bebauten Gegenden wird der Guti durch seine Besuche in den Zuckerrohranpflanzungen und Gemüsegärten lästig; doch nur da, wo er sehr häufig ist, richtet er merklichen Schaden an.
   Über die Fortpflanzung der freilebenden Agutis fehlen noch genaue Nachrichten. Man weiß, daß sich das Thier ziemlich stark vermehrt, daß die Weibchen in allen Monaten des Jahres trächtig werden und gleichzeitig mehrere Junge zur Welt bringen können. Ein und dasselbe Thier soll zweimal im Jahre werfen, gewöhnlich im Oktober, d. h. zu Anfang der Regenzeit oder des Frühjahrs, das zweitemal einige Monate später, doch noch vor Eintritt der Dürre. Zu dieser Zeit sucht das Männchen ein Weibchen auf und jagt ihm nach unter Pfeifen und Grunzen, bis es das anfänglich sehr spröde Weibchen seinem Willen geneigt gemacht hat. Ein Weibchen, welches ich zu zwei Männchen setzte, wurde von diesen so abgetrieben und derart zusammengebissen, daß ich es entfernen mußte, weil es sonst seinen Peinigern erlegen sein würde. Erst nach Wochen heilten die Wunden, welche die ungestümen Liebhaber ihm beigebracht hatten. Bald nach der Begattung lebt jedes Geschlecht einzeln für sich. Das Weibchen bezieht sein altes Lager wieder und richtet es zur Aufnahme der Jungen ein, d. h. polstert es möglichst dicht mit Blättern, Wurzeln und Haaren aus, bringt auf diesem weichen Lager die Jungen zur Welt, säugt sie mehrere Wochen mit großer Zärtlichkeit und führt sie schließlich noch einige Zeit mit umher, um sie bei den ersten Weidegängen zu unterrichten und zu beschützen. Bei der Geburt tragen die Thierchen gleich das Gepräge der Alten und weichen nur unbedeutend in den äußeren Formen ab.
   Rengger erzählt, daß der Guti, jung eingefangen und sorgsam aufgezogen, fast zum Hausthier wird. »Ich habe«, sagt er, »mehrere Agutis gesehen, welche man frei herumlaufen lassen konnte, ohne daß sie entwichen wären. So sah ich in den Waldungen des nördlichen Paraguay in den Hütten einiger Einwohner zwei zahme Agutis, welche den Morgen und Abend im Walde, den Mittag und die Nacht bei den Indianern zubrachten. Sie sind dem Menschen nur wenig ergeben, unterscheiden ihren Wärter keineswegs von anderen Personen, gehorchen nur selten seinem Rufe und suchen ihn nur dann auf, wenn sie der Hunger drängt. Auch lassen sie sich ungern von ihm berühren. Gewöhnlich wählen sie irgend einen dunklen Winkel zu ihrem Lager und polstern dasselbe mit Stroh und Blättern aus, zuweilen aber auch mit seidenen Frauenschuhen, Schnupftüchern, Strümpfen u. a., welche sie in kleine Stücke zernagen. Ihre Bewegungen sind sehr leicht. Sie gehen entweder in langsamen Schritten, wobei sie bloß mit den Zehen auftreten und den Rücken stark wölben, oder sie laufen im gestreckten Galopp oder machen Sprünge, welche an Weite denen unseres Hasen nichts nachgeben. Laute geben sie selten von sich, außer wenn sie gereizt werden; dann lassen sie einen pfeifenden Schrei hören; doch knurren sie zuweilen, aber nur ganz leise, wenn sie an einem verborgenen Orte irgend etwas zernagen. Werden sie in Zorn oder in große Furcht gesetzt, so sträuben sie ihre Rückenhaare, und es fällt ihnen dann oft ein Theil derselben aus.



   Waltiere (Wale)


   Finnwal

   Der Finnwal oder Finnfisch (Physalus antiquorum) [Heute: Balaenoptera physalus] verhältnismäßig der schlankeste aller Wale und das längste aller bekannten Thiere, kann eine Länge von mehr als 30 Meter erreichen. Die Länge der Brustfinnen beträgt den zehnten, die Breite derselben den fünfzigsten, die Breite der Rückenflosse den fünften Theil der Gesammtlänge. Der Leib erreicht seine größte Dikke unmittelbar hinter den Brustfinnen, nimmt nach dem Kopfe zu wenig, nach hinten bedeutend ab und ist am Schwanztheile seitlich so stark zusammengedrückt, daß seine Höhe hier die Breite fast um das Doppelte übertrifft, setzt sich auch als deutlich hervortretender Kiel über den größten Theil der Schwanzflosse fort. Die Brustflossen sind platt, vorn aus-, hinten eingebogen; die senkrecht stehende, höchstens 60 Centim. hohe Rückenfinne hat sichelförmige Gestalt. Die Augen liegen unmittelbar hinter und über dem Winkel der fast geraden Schnauze, die außerordentlich kleinen Ohröffnungen zwischen Auge und Brustflossen, die durch eine Scheidewand getheilten und schräg gerichteten Spritzlöcher in zwei gleich gekrümmten Oeffnungen, welche von einer erhabenen, rundlichen Leiste umgeben werden. Der Leib ist, mit alleiniger Ausnahme einiger wenigen Haare oder richtiger grober, büschelweise vertheilter, an der Spitze in sehr feine Theile zerschlissenen Hornfäden, welche am oberen Ende des Oberkiefers sich befinden und manchmal einen Meter lang werden, sich aber auch gänzlich abschleifen können, vollkommen nackt, die glänzende Haut oberseits tiefschwarz, unten porzellanartig reinweiß, in den tieferen Furchen bläulichschwarz. Diese Furchen beginnen am Rande des Unterkiefers und verlaufen von da aus längs der ganzen Unterseite bis gegen den Nabel hin, d. h. bis über den halben Leib weg. Die zahnlosen Kiefern tragen jederseits etwa dreihundertundfünfzig bis dreihundertfünfundsiebzig Bartenreihen, welche vorn am engsten zusammenliegen und hinten am weitesten von einander entfernt stehen. Der Seitenrand des Oberkiefers ist unten sanft ausgeschweift und bogenförmig nach dem Auge hin gerichtet, der Unterkiefer wenig gebogen, weshalb die Kiefern etwas auseinander klappen.
   Der nördlichste Theil des Atlantischen Weltmeeres und das Eismeer bilden den Aufenthalt des Finnwales. Besonders häufig zeigt er sich in der Nähe der Bäreninsel, Nowaja Semljas und Spitzbergens; aber auch in der Nähe des Nordkaps ist er nicht selten. Nach Browns Beobachtungen geht er im Norden des Eismeeres nicht über die Breite von Südgrönland hinauf. Mit Beginn des Herbstes wandert er in südlichere Gewässer herab, und somit begegnet man ihm auch in den Meeren des gemäßigten und heißen Gürtels, soll ihn sogar im südlichen Eismeere angetroffen haben.
   Er gilt als einer der schnellsten aller Bartenwale; denn er läßt, wenn er mit voller Kraft durch die Wogen schießt, jedes Dampfschiff hinter sich. Bei ruhigem Schwimmen zieht er in gerader Richtung daher und kommt sehr oft, nach eigenen Beobachtungen durchschnittlich alle neunzig Sekunden, an die Oberfläche, um zu athmen. Das brausende Geräusch beim Ausathmen und bezüglich Auswerfen des Wassers vernahm ich schon in einer Entfernung von einer Seemeile; von dem widrigen Geruche dagegen, welcher dem ausgestoßenen Wasser anhaften soll, habe ich nichts verspürt. Das beim Blasen hörbare Geräusch ist kurz und scharf, der bis zu vier Meter Höhe ansteigende Strahl doppelt. Weniger scheu als andere Ordnungsverwandte, erscheint der Finnwal nicht selten in unmittelbarer Nähe segelnder Schiffe, umschwimmt dieselben oder folgt ihnen längere Zeit, manchmal stundenlang, getreulich nach. Bisweilen legt er sich auf der Oberfläche des Wassers auf die Seite und schlägt mit den Brustfinnen auf die Wellen, dreht und wendet sich, wirft sich auf den Rücken, taucht unter und scherzt überhaupt lustig im Wasser umher, schleudert auch den gewaltigen Leib durch einen mächtigen Schlag der Schwanzflosse über die Oberfläche empor und versinkt dann mit donnerähnlichem Gepolter in der Tiefe. Er bekundet unter Umständen außerordentlichen Muth und soll, übereinstimmenden Berichten zufolge, wenn er gereizt wurde, an Wildheit und Kühnheit kaum hinter dem bösartigsten aller Wale zurückstehen. Nicht bloß Mutterliebe, sondern auch Anhänglichkeit an seine Genossen, welche er bei Gefahr nach Kräften zu vertheidigen sucht, zeichnen ihn aus; kurz, man darf ihn wohl als den edelsten aller Bartenwale ansehen.
   Seine Beute besteht größtentheils aus Fischen, welche er oft scharenweise vor sich hertreibt und in den weiten Rachen schockweise auf einmal fängt. Hierbei leisten ihm wahrscheinlich die Furchen auf der Unterseite wesentliche Dienste, indem sie eine erhebliche Erweiterung seines natürlichen Hamens ermöglichen. Der schlanke Finnwal wird beim Schwimmen nicht durch einen weit herabhängenden Kehlsack behindert und verunstaltet. Er wird aber, da er zur Ernährung seines großen Leibes reichlicher Nahrung bedarf, wenn er einem Schwarme von Fischen begegnet, die günstige Gelegenheit benutzen und möglichst viele derselben sich sichern müssen. Er erhebt dann den Kopf, senkt den Unterkiefer, dreht auch vielleicht die einzelnen Hälften desselben, welche nicht fest miteinander verwachsen sind, etwas nach außen, um den Rachen noch mehr zu erweitern. Der schon an und für sich weite Sack, welcher an dem Unterkiefer hängt, erweitert sich noch um fast die Hälfte seines Umfanges, und das gewaltsam von allen Seiten hereinstürzende Wasser reißt hunderte von unglücklichen Häringen und Dorschen in die Tiefe. Nun klappt der Oberkopf als Deckel auf den Bügel des Sackes, und es beginnt die gewaltige Fleischmasse der Zunge ihre Arbeit, die gefangenen Fische allmählich zwischen die beiden Bartenreihen und gegen den vorspringenden Kamm des harten Gaumens zu drücken, um sie dem Schlunde zuzuführen.
   Die Jagd des Finnfisches ist wegen der großen Schnelligkeit und Heftigkeit des Thieres schwieriger und der Nutzen, welchen das erlegte Thier gewährt, weit weniger als bei dem Nord– oder Grönlandswale. Deshalb stellt man ihm auch nicht regelmäßig nach wie diesen. Man sucht zwar auch jedes Finnfisches, den man bemerkt, habhaft zu werden, aber doch nur dann, wenn keine Walfische in der Nähe sind. Letzteren gegenüber gilt er in den Augen der Speckjäger beinahe als werthlos. »Ein Leichnam dieses Wales«, erzählt Brown, »welcher in der Davisstraße auf den Wellen trieb, wurde von unseren Walfängern zwar untersucht, weil man ihn für den Grönlandswal hielt, jedoch ohne weiteres im Stiche gelassen, als man ihn erkannt hatte.«


   Potwal

   Die vierte Familie der Zahnwale vertritt der Potwal oder Pottfisch (Physeter macrocephalus), Urbild der gleichnamigen Sippe, unzweifelhaft das ungeschlachteste und abenteuerlichste Mitglied der ganzen Ordnung, ausgezeichnet durch den ungemein großen, am Schnauzenende hoch aufgetriebenen und gerade abgestutzten Kopf, die getrennten, oft ungleichen, längsgerichteten Spritzlöcher sowie die absonderliche Bildung seines Unterkiefers, dessen Aeste im größten Theile ihrer Länge sich aneinander legen und mit einer Reihe kegelförmiger, unter sich fast gleich langer Zähne besetzt sind, wogegen die Zahngebilde des Oberkiefers kaum noch den Namen von Zähnen verdienen.
   Der Pottfisch steht beziehentlich seiner Größe keinem anderen Wale nach: erwachsene Männchen sollen 20 bis 30 Meter an Länge und einen Leibesumfang von 12 Meter erreichen; die Weibchen dagegen höchstens halb so groß werden. Im Verhältnis zu dieser Größe ist die Brustfinne sehr klein. Bei einem 20 Meter langen Männchen war sie nur 1 Meter lang und 60 Centim. breit; die Schwanzfinne dagegen hatte eine Breite von 6 Meter. Beide Geschlechter ähneln sich; doch wollen einige Walfischfänger einen Unterschied in der Form der Schnauze gefunden haben, welche, wie sie behaupten, bei weiblichen Thieren gerade abgestutzt, bei männlichen aber mehr gewölbt sein soll. Der überaus lange, breite, fast viereckige, vorn gerade abgestutzte Kopf hat dieselbe Höhe und Breite wie der Leib und geht ohne merkliche Abgrenzung in diesen über. Der Leib ist, von vorn gesehen, also im Querschnitte, auf der Rückenmitte etwas eingesenkt, oben seitlich fast gerade abfallend und von der Mitte an stark ausgebaucht, längs der Bauchmitte aber kielartig verschmächtigt, in den beiden vorderen Dritteln sehr dick, von da an bis zum Schwanze verschmächtigt. Im letzten Drittel erhebt sich eine niedere, höckerartige, schwielige, unbewegliche Fettflosse, welche hinten wie abgeschnitten erscheint und nach vorn zu allmählich in den Leib übergeht. Die kurzen, breiten, dicken Brustflossen stehen unmittelbar hinter dem Auge und zeigen auf ihrer Oberseite fünf Längsfalten, welche den Fingern entsprechen, während sie auf der Unterseite glatt sind. Die Schwanzfinne ist tief eingeschnitten und zweilappig, in der Jugend am Rande gekerbt, im Alter glatt. Kleine, höckerartige Erhöhungen laufen vom Ende der Fettflosse an bis zur Schwanzfinne herab. Das Spritzloch, eine S-förmig gebogene Spalte von 20 bis 30 Centim. Länge, liegt, abweichend von anderen Walen, am Schnauzenrande, entsprechend der Nase der meisten übrigen Säugethiere, das kleine Auge weit nach rückwärts, das Ohr, eine kleine Längsspalte, etwas unterhalb des Auges. Der Mund ist groß; der Kiefer öffnet sich beinahe bis zum Auge. Der Unterkiefer ist beträchtlich schmäler und kürzer als der Oberkiefer, von welchem er bei geschlossenem Munde umfaßt wird, und wie dieser mit wurzellosen, kegelförmigen Zähnen besetzt, deren Anzahl beträchtlich schwankt, weil im Alter manche ausfallen und andere von dem Zahnfleische fast ganz überdeckt werden. Verhältnismäßig groß sind nur die Zähne im Unterkiefer, neununddreißig bis fünfzig an der Zahl, in dem einem Kiefer mehr als in dem anderen, wogegen die des Oberkiefers meist gänzlich verkümmern und von Zahnfleische überdeckt werden. Bei jungen ‚Mieren sind jene scharfspitzig, mit zunehmendem Alter stumpfen sie sich ab, und bei ganz alten Thieren erscheinen sie als ausgehöhlte Kegel aus Elfenbeinmasse, deren Höhlung mit Knochen ausgefüllt ist. Der Schädel selbst fällt wegen seiner Ungleichmäßigkeit, der Kopf wegen seiner Massigkeit und sich gleich bleibenden Dicke auf. Unter der mehrere Centimeter dicken Specklage breiten sich Sehnenlagen aus, welche einem großen Raume zur Decke dienen. Derselbe ist durch eine wagerechte Wand in zwei, durch mehrere Oeffnungen verbundene Kammern getheilt. Der ganze Raum wird von einer öligen, hellen Masse, dem Walrat, ausgefüllt, welches außerdem noch in einer vom Kopfe bis zum Schwanze verlaufenden Röhre und in vielen kleinen, im Fleische und Fette zerstreuten Säckchen sich findet.
   Der Pottfisch ist Weltbürger. Alle Meere der Erde beherbergen ihn, und wenn er sich auch in den Meeren rings um die Pole südlich und nördlich des 60. Grades der Breite nur selten findet, so darf man doch annehmen, daß er hier ebenfalls zuweilen sich einstellt. Als seine eigentliche Heimat betrachtet man die zwischen dem 40. Grade nördlicher und südlicher Breite gelegenen Meere, von denen aus, warmen Strömungen folgend, er nach Norden und Süden hin unregelmäßig wandert.
   Nach Art der Delfine zieht der riesige Wal in enggeschlossenen »Schulen« oder Scharen von beträchtlich abändernder Stärke durch das Meer, die tiefsten Stellen desselben auswählend. Gern treibt er sich in der Nähe der steilen Küsten umher, ängstlich aber vermeidet er die ihm so gefährlichen Seichten. Die Walfänger berichten, daß jeder Schule immer ein großes, altes Männchen, der »Schulmeister«, vorstehe, welches den Zug leite und die Weibchen und Jungen, aus denen die übrige Herde bestehe, vor den Angriffen feindlicher Thiere schütze. Alte männliche Potwale durchschweifen wohl auch einzeln die Flut oder scharen sich wenigstens nur in kleine Gesellschaften. Die Schulen bestehen meist aus zwanzig bis dreißig Mitgliedern; zu gewissen Zeiten sollen sich aber auch mehrere Herden vereinigen und dann zu hunderten gemeinschaftlich ziehen. Scammon bestätigt im wesentlichen diese Angaben. Nach seinen Erfahrungen sieht man oft Herden von fünfzehn, zwanzig bis zu hunderten beieinander. In das Führeramt der aus männlichen, weiblichen und jungen Thieren zusammengesetzten Herden theilen sich in der Regel mehrere alte Männchen, vielleicht schon aus dem Grunde, als die Weibchen, welche Junge haben, sich um nichts anderes als um diese bekümmern. Die jungen Männchen bilden zeitweilig besondere Herden, welche sich möglicherweise bis zur Mannbarkeit nicht trennen.
   Schon von fern erkennt man den Pottfisch an seinen Bewegungen. Bei ruhigem Schwimmen gleitet er leicht unter der Wasserfläche dahin, bei schnellerem schlägt er so heftig mit dem Schwanze auf und nieder, daß sein Kopf bald tief untersinkt, bald wieder hoch emportaucht. Gar nicht selten stellt er sich senkrecht in das Wasser, entweder den Kopf oder aber die Schwanzfinne hoch über den Spiegel emporhaltend und hierdurch von den meisten anderen Walen sich unterscheidend; ja es kommt auch vor, daß er plötzlich mit großer Wucht über das Wasser emporschnellt, zwei-dreimal hintereinander, und sich dann für längere Zeit tief in die Fluten versenkt. Erschreckt läßt er sich in fast wagerechter Stellung zu Boden fallen; wiederholt gestört und belästigt, nimmt er ebenfalls eine senkrechte Stellung an, hebt den Kopf hoch über das Wasser, um zu sichern und zu lauschen, oder dreht sich, wenn er auf der Oberfläche liegt, zu gleichem Zwecke um sich selbst herum. Beim Spielen reckt er bald die eine, bald die andere Brustflosse in die Luft, schlägt hierauf mit großer Kraft gegen das Wasser und bringt die Wellen zum Schäumen, oder aber sinkt einige Faden tief unter die Oberfläche, wirft sich im mächtigen Schusse unter einem Winkel von etwa fünfundvierzig Graden über das Wasser heraus, fällt auf die Seite, daß man ihn weithin klatschen hört und bis zur Höhe einer Mastspitze ein Schwall emporsteigt, welcher an klaren Tagen zehn Seemeilen weit gesehen werden kann und erfahrenen Walfängern als erfreuliches Zeichen dient. Selten sind die Thiere ruhig; bloß wenn sie schlafen, liegen sie fast bewegungslos auf der Oberfläche des Wassers und lassen sich von der Dünung wiegen oder stekken den riesigen Kopf weit über die Wellen heraus, so daß man glauben möchte, »die Enden gewaltiger Baumstämme oder die Hälse ungeheuerer Flaschen zu sehen, welche in der hebenden Flut leise auf und nieder schaukeln«.
   Unter den Sinnen des Thieres glaubt man dem Gefühl den ersten Rang einräumen zu dürfen. Die mit zarten Nervenwarzen besetzte Haut scheint befähigt zu sein, den geringsten Eindruck zur Wahrnehmung zu bringen. Das Gesicht ist ziemlich gut, das Gehör dagegen schlecht. Hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten ähnelt der Pottfisch mehr den Delfinen als den Bartenwalen. Doch meidet er die Nähe des Menschen ungleich ängstlicher als der den Schiffern so befreundete Delfin, vorausgesetzt, daß er sich nicht verfolgt oder angegriffen sieht; denn dann tritt an die Stelle der Furchtsamkeit unbändiger Muth und eine Kampflust, wie wir sie bei anderen Walen nicht wiederfinden. Man hat beobachtet, daß ein Rudel von Delfinen im Stande ist, eine ganze Herde von Pottfischen überaus zu ängstigen und zu eiligster Flucht zu veranlassen, weiß aus Erfahrung, daß alte Bullen bei Annäherung eines Schiffes so schnell wie möglich entfliehen, und kennt Beispiele, daß eine Herde durch plötzliche Annäherung ihrer Feinde vor Schrecken bewegungslos, am ganzen Leibe bebend, an einer Stelle blieb, ganz ungeschickte, ja geradezu verwirrte Anstrengungen machte und dem Menschen hierdurch Gelegenheit gab, mehrere Stücke zu bewältigen. Die Walfänger wollen wissen, daß dies gewöhnlich der Fall ist, wenn zuerst ein Weibchen verwundet wurde, wogegen die ganze Herde die Flucht ergreift, wenn das leitende Männchen seinen Tod fand. Nach Scammons Erfahrungen bethätigen verschiedene Weibchen hingebende Anhänglichkeit an einander, sammeln sich, wenn eins von ihnen angegriffen wird, um das betreffende Boot und verweilen in der Regel geraume Zeit bei ihrem sterbenden Gefährten, obwohl auch ihnen unter solchen Umständen sicheres Verderben droht. Unterjungen Männchen bemerkt man ein so inniges Zusammenhalten nicht: sie verlassen feige den durch einen Wurfspeer verwundeten Genossen.
   Verschiedene Arten von Kopffüßlern bilden die hauptsächlichste Nahrung des Pottfisches. Kleine Fische, welche zufällig in seinen großen Rachen sich verirren, werden natürlich auch mit verschluckt; auf sie aber jagt unser Wal eigentlich nicht. Aeltere Seefahrer erzählten, daß er sich auch an Haifische, Robben, Delfine und selbst an Bartenwale wage, die neueren sorgsamen Beobachter haben jedoch hiervon nichts bemerkt. Von ihnen erfahren wir dagegen, daß der Pottfisch zuweilen pflanzliche Nahrung genießt, wenigstens verschiedene Baumfrüchte, welche durch die Flüsse in die See geführt worden waren, verschlingt. Dank seiner Begabung, länger als jeder andere Wal unter dem Wasser verweilen und dabei auch anderen Ordnungsgenossen unzugängliche Höhlen oder doch Unebenheiten des Bodens untersuchen zu können, fehlt es ihm niemals an genügender Nahrung.
   Die Jagd auf den Pottfisch ist mit weit größeren Gefahren verbunden als der Fang des Grönlandwales. Ausnahmsweise nur versucht ein Bartenwal seinem kühnen Feinde Schaden zuzufügen, während jener, wenn er angegriffen wird, sich vertheidigt, muthig auf seinen Gegner losstürmt und beim Angriffe nicht allein seines Schwanzes, sondern auch seines furchtbaren Gebisses sich bedient. Daß er so gut wie ausschließlich mit den Zähnen sich vertheidigt, geht aus verschiedenen Beobachtungen hervor: so erlegt man zuweilen einzelne alte Männchen mit gänzlich verstümmeltem Unterkiefer, welche offenbar vorher einen Kampf mit ihresgleichen oder einem noch unbekannten Leviathan der Tiefe ausgefochten haben mußten. Wie bestimmte Beobachtungen dargethan haben, ist er im Stande, seinen zähnestarrenden Unterkiefer fast bis zum rechten Winkel aus der gewöhnlichen Lage zu biegen, und mit einer Behendigkeit zu bewegen, welche geradezu in Erstaunen setzt. Wenn er nahe der Oberfläche schwimmt, kann man beobachten, wie er den Kiefer innerhalb eines einzigen Augenblickes öffnet und schließt; aber ebenso wie er ihn nach einer Richtung hin gelenkt, vermag er ihn auch seitlich überraschend weit zu bewegen. Gelingt es ihm dann, einen größeren Gegenstand aus dem Wasser zu fischen, so rollt er diesen sofort nach dem Schlunde zu oder zerfetzt ihn wenigstens bis zur Unkenntlichkeit.
   In der Regel kämpft er verzweiflungsvoll um sein Leben und sucht keineswegs immer sein Heil in der Flucht, sondern erwidert die ihm angethane Unbill mit Wuth und Ingrimm. Alle erfahrenen Seeleute wissen von Unglücksfällen zu erzählen, welche durch ihn herbeigeführt wurden. Die Mannschaft des Schiffes Essex hatte einen Pottfisch verwundet, mußte aber zum Schiffe zurückkehren, weil ihr Boot durch einen Schwanzschlag des harpunirten Thieres stark beschädigt wurde. Während die Seeleute beschäftigt waren, das Boot auszubessern, erschien ein anderer Wal derselben Art in geringer Entfernung vom Schiffe, betrachtete es eine halbe Minute lang aufmerksam und verschwand in der Tiefe. Nach wenigen Augenblicken kam er wieder an die Oberfläche, eilte in voller Hast herbei und rannte mit dem Kopfe so gewaltig gegen das Schiff, daß die Seefahrer glaubten, ihr Fahrzeug wäre in vollem Laufe auf ein Riff gestoßen. Das wüthende Tier ging unter dem Schiffe weg, streifte den Kiel, drehte sich und schwamm von neuem herbei. Der zweite Stoß schlug den Bug ein und brachte das Fahrzeug zum Sinken.


   Narwal

   Gewichtige Merkmale trennen den Narwal (Monodon monoceros), das »Seeeinhorn«, so weit von den übrigen Zahnwalen, daß man eine eigene Familie auf ihn begründet hat. Das Gebiß unterscheidet sich von dem aller übrigen Wale durch zwei mächtige, zwei bis drei Meter lange, verhältnismäßig aber schwache, von rechts nach links gewundene, innen hohle, wagerecht im Oberkiefer stehende Stoßzähne, von denen in der Regel einer, und zwar der rechtsseitige, verkümmert, und welche beim Weibchen nur ausnahmsweise zu einer beschränkten Entwicklung gelangen, kennzeichnet sich auch außerdem durch zwei kleine Vorderzähne und einen Backenzahn im Oberkiefer, welche jedoch nur bei jungen Thieren regelmäßig gefunden werden. Der Unterkiefer trägt niemals Zähne. Der walzige, vorn abgerundete Kopf nimmt etwa ein Siebentel der Gesammtlänge des langgestreckten, fast spindelfönmigen Leibes ein; die sehr kurze, breite und dicke, rechtsseitig etwas verkürzte Schnauze scheidet sich nicht von der flachen Stirne und fällt nach vorn hin fast senkrecht ab; das Auge liegt tief an den Kopfseiten, wenig höher als die Schnauzenspitze, das sehr kleine Ohr etwa 15 Centim. weiter nach hinten, das halbmondförmige Spritzloch auf der Stirnmitte zwischen den Augen. Eine Rückenfinne fehlt, wird aber durch eine Hautfalte angedeutet; die Brustflossen sind etwa im ersten Fünftel des Leibes eingelenkt, kurz, eiförmig und vorn dicker als hinten; die sehr große Schwanzfinne zerfällt, weil sie in der Mitte einen tiefen Einschnitt zeigt, in zwei große Lappen. Die Färbung der glänzenden und weichen, sammtartigen Haut scheint, je nach Geschlecht und Alter, nicht unerheblichen Veränderungen unterworfen zu sein. Beim Männchen heben sich von der weißen oder gelblichweißen Grundfärbung zahlreiche, unregelmäßig gestaltete, meist längliche, aber verhältnismäßig große dunkelbraune Flecken ab, welche auf dem Rücken am dichtesten, auf dem Bauche am dünnsten stehen und am Kopfe fast ineinander verfließen; beim Weibchen sind die Flecken kleiner und dichter gestellt als beim Männchen; junge Thiere endlich sehen noch dunkler aus als alte.
   Albertus Magnus erzählt von diesem Thiere und bezeichnet es als einen Fisch, welcher ein Horn an der Stirne trage, womit er Fische und gewisse Schiffe zu durchbohren vermöge, aber so faul sei daß diejenigen, welche er angreife, leicht entfliehen könnten. Ein späterer, unbenannter Schriftsteller versichert, daß gedachtes Meerungeheuer große Schiffe durchbohren, zerstören und dadurch viele Menschen zu Grunde richten könne; doch habe die Liebe des Schöpfers dieses Scheusal so langsam erschaffen, daß die Schiffer, wenn sie es sähen, Zeit hätten, zu entfliehen. Rochefort gibt die erste gute Abbildung und zuerst die Erzählung, laut welcher unser Wal sein Horn zum Kampfe gegen andere Walfische gebrauchen, damit aber auch das Eis zertrümmern soll, weshalb man viele mit abgebrochenen Zähnen finde. Erst Fabricius bezweifelt, daß der Narwal Schollen und andere Fische, welche seine Nahrung bilden, mit dem Zahne ansteche und denselben dann in die Höhe richte, bis seine Beute allmählich gegen das Maul rutsche, so daß er sie endlich mit der Zunge einziehen könne. Scoresby endlich stimmt mit denen überein, welche den Stoßzahn als nothwendiges Werkzeug zur Zertrümmerung des Eises ansehen. Wir unsererseits dürfen in diesem Zahne wohl nur eine Waffe sehen, wie sie das männliche Geschlecht so oft vor dem weiblichen voraus hat, wüßten es uns sonst wenigstens nicht zu erklären, wie das jener Meinung nach entschieden benachtheiligte, unbezahnte Weibchen sich helfen könnte, wenn die von den genannten Schriftstellern erdachten Nothfälle eintreten sollten.
   Der Narwal, ein Bewohner der nördlichen Meere, wird am häufigsten zwischen dem 70. und 80. Grade der nördlichen Breite getroffen. In der Davisstraße, in der Baffinsbai, in der Prinzregenten-Einfahrt, im Eismeere zwischen Grönland und Island, um Nowaja Semlja und weiter in den nordsibirischen Meeren ist er häufig. Südlich des Polarkreises kommt er selten vor: an den Küsten Großbritanniens strandeten, so viel mir bekannt, in den letzten Jahrhunderten nur vier Narwale ; an den deutschen Küsten wurden nur im Jahre 1736, aber zweimal, solche beobachtet und erlegt. In seiner Heimat begegnet man ihm fast ausnahmslos in zahlreichen Herden; denn er steht an Geselligkeit hinter keinem einzigen seiner Verwandten zurück. »Gelegentlich seiner Wanderungen«, sagt Brown, »habe ich solche Herden gesehen, welche viele tausende zählten. Zahn an Zahn und Schwanzfinne an Schwanzfinne, so zogen sie nordwärts, einem Reiterregimente vergleichbar, anscheinend mit größter Regelmäßigkeit auf– und niedertauchend und in Wellenlinien ihre Straße verfolgend. Solche Herden werden nicht immer nur von einem und demselben Geschlechte gebildet, wie dies Scoresby annahm, bestehen vielmehr aus Männchen und Weibchen, bunt durcheinander gemischt.«
   Seegurken, nackte Weichthiere und Fische bilden die Nahrung des auffallenden Geschöpfes. Scoresby fand in seinem Magen Glattrochen, welche fast dreimal so breit waren als sein Maul, und wundert sich, wie es ihm möglich wird, mit dem zahnlosen Maule eine so große Beute festzuhalten und hinabzuwürgen, glaubt deshalb, daß der Narwal diesen Rochen vorher mit seinem Stoßzahne durchbohrt und erst nach seiner Tödtung verschlungen habe. Der unhöfliche Seemann vergißt aber dabei wieder das arme Weibchen, welches doch auch leben will. Wahrscheinlich ist, daß der Narwal seine Nahrung im Schwimmen erhascht und durch den Druck seines Maules so zusammenpreßt, daß er sie hinabwürgen kann: gefangene Seehunde wikkeln die Schollen auch erst zusammen wie die Köchin einen Eierkuchen, bevor sie den breiten Bissen als mundgerecht betrachten.
   In früheren Zeiten wurden für die Stoßzähne ganz unglaubliche Summen bezahlt. Man hielt die Zähne für das Horn des Einhorns in der Bibel, und deshalb eben setzen die Engländer solchen Zahn dem fabelhaften Einhorn ihres Wappens auf. »Kaiser und Könige«, sagt Fitzinger, »ließen sich oft mit dem zierlichsten Schnitzwerke versehene Stäbe daraus verfertigen, welche ihnen nachgetragen wurden, und die kostbaren Bischofsstäbe waren aus solchen Zähnen gefertigt.« Je mehr man zu der Überzeugung kam, daß diese Zähne nicht vom Einhorn stammten, verloren sie ihre Wunderkräfte; aber nach Ende vorigen Jahrhunderts fehlten sie in Apotheken nicht, und manche Aerzte wußten ihre Unwissenheit noch immer durch Verordnung von gebranntem Narwalpulver darzulegen. Gegenwärtig betrügen die Holländer bloß noch Chinesen und Japanesen mit den früher so gesuchten Stoffen.


   Delfin

   Kein anderer Wal, kein anderes Seethier überhaupt, hat die Dichter und Naturforscher der Alten in gleicher Weise beschäftigt, zu den glühendsten Schilderungen und zu der wunderlichsten Fabelei begeistert wie der Delfin. Er ist es, welcher Arion noch Tänarium zurückbringt, bezaubert von dem herrlichen Spiele und Gesange des Dichters, den räuberische Schiffer gezwungen hatten, ins Meer zu springen; er ist es, von dem Plinius die hübsche Geschichte des Knaben erzählt, welcher durch wiederholtes Füttern mit Brod in solchem Grade die Liebe eines Delfins sich erwarb, daß dieser ihn mehrere Jahre lang täglich über den Lucrinischen See nach Puteoli in die Schule trug und auf dieselbe Weise wieder nach Hause brachte. »Als der Knabe starb, erschien der Delfin noch immer am gewohnten Orte und grämte sich bald darauf über den Verlust seines Lieblings zu Tode.« Weiter wird gefabelt, daß im Alterthume die Delfine beim Fange der Meerbarben behülflich waren, indem sie dieselben scharenweise in die Netze trieben und für diesen Dienst mit einem Theile der Beute und mit Brod belohnt wurden, welches in Wein getränkt war. Als ein König von Carien einen gefangenen Delfin im Hafen festketten ließ, erschien eine große Anzahl der noch freien und gab durch deutliche Zeichen die Bitte kund, ihren Gefährten freizulassen, so daß der König nicht widerstehen konnte.
   Der Delfin (Delphinus delphinus) [Heute: Delphinus delphis] vertritt mit einigen ihm sehr nahe stehenden Arten eine besondere Sippe und eigene Unterfamilie. Die Merkmale der letzteren sind folgende. Der verhältnismäßig kleine Kopf spitzt sich nach vorn in eine schnabelförmig verlängerte, dem Gehimtheile an Länge gleichkommende oder noch übertreffende Schnauze zu, deren Kiefer mit außerordentlich zahlreichen, kegelförmigen und bleibenden Zähnen besetzt sind; die Brustflossen stehen ganz seitlich, etwa im ersten Fünftel des Leibes; die Rückenfinne erhebt sich fast von der Mitte der Oberseite; die Schwanzflosse ist verhältnismäßig sehr groß und beinahe rein halbmondförmig gestaltet. Die Merkmale der Sippe sind die des Thieres selbst.
   Alle Meere der nördlichen Halbkugel sind die Heimat dieses berühmten Thieres, welches so erheblich zur Unterhaltung der Seefahrer und Reisenden beiträgt. In seinem Wesen und Treiben erinnert der, Delfin in jeder Beziehung an seine begabteren Verwandten, nur zeigt er sich womöglich noch spiellustiger und launenhafter als alle. Bald treibt er sich, von der Küste entfernt, im hohen Meere herum, bald steigt er weit in den Flüssen empor. Seine Trupps kommen auf die Schiffe zu, umspielen diese lange Zeit, ehe sie wieder eine andere Richtung nehmen, tauchen ohne Unterlaß auf und nieder, erheben den Rücken des Kopfes auf Augenblicke über die Oberfläche des Wassers, wechseln unter schnaubendem Geräusche, indem sie einen dampfartigen Strahl ausstoßen, Luft und verschwinden wieder in der Tiefe. Sie schwimmen so außerordentlich rasch, daß sie nicht allein dem Gange des schnellsten Dampfschiffes mit Leichtigkeit folgen, sondern dabei noch allerlei Gaukeleien treiben und, wenn sie wollen, das Schiff nach Belieben umschwärmen, ohne dabei zurückzubleiben. Nach eigenen Beobachtungen halten sie sich meist nur in geringer Tiefe unter der Oberfläche und immer in einem dichtgedrängten Trupp, so daß der eine unmittelbar neben oder vor dem anderen dahineilt. Gelegentlich schnellt dieser oder jener über das Wasser empor, fällt, ohne lautes Geräusch zu verursachen, kopflings wieder in die Tiefe hinab und nimmt eilfertig seine frühere Stellung wieder ein.
   Sie bilden enggeschlossene Schulen von zehn, hundert und auch vielen hundert Mitgliedern. Lösche hat in den Meeren unter den Wendekreisen solche gesehen, welche vielleicht viele tausende zählten. Geselligkeit ist in der That ein Grundzug ihres Wesens, scheint aber mehr auf der Gemeinsamkeit der von ihnen verfolgten Zwecke als gegenseitiger Anhänglichkeit zu beruhen. Die Alten glaubten freilich das letztere und wußten die gegenseitige Liebe und Zuneigung der Delfine nicht hoch genug zu rühmen. »Die Delphin«, sagt unser alter Freund Geßner, jene Angaben wiedergebend, »haben ein sonderbare geselschafft und liebe zusamen, nit allein sie gegeneinander, sondern gegen iren jungen, eltern, abgestorbenen, auch gegen etlichen andern Wallfischen und dem Menschen.«
   Daß die Delfine treu zusammenhalten und sich unter Umständen gegenseitig vielleicht auch vertheidigen und schützen, darf wohl nicht gänzlich in Abrede gestellt werden: ob aber die zarteren Gefühle wirklich auch den Sieg über ihre, hinter der keines anderen Delfines zurückstehende Gefräßigkeit und Raubgier in allen Fällen davontragen, dürfte sehr fraglich sein. Während unserer Reise auf dem Rothen Meere wurde unser Dampfschiff regelmäßig von Delfinen umschwärmt und mehrmals kamen diese unmittelbar vor dem Buge des Schiffes so hoch zur Oberfläche empor, daß ein erfolgreicher Schuß auf sie abgegeben werden konnte. Sogleich nach dem Schusse färbte sich das Wasser roth unvon dem gewaltsam ausströmenden Blute; der getroffene Delfin drehte sich einige Male um sich selbst herum und kam dann langsam zur Oberfläche empor. Alle übrigen Mitglieder der Bande blieben augenblicklich beim Leichname zurück, nach Versicherung unseres erfahrenen Schiffsführers aber nur in der edlen Absicht, den liebwerthen Genossen aufzufressen. Das Gebiß bekundet deutlich genug, daß der Delfin zu den schlimmsten Räubern des Meeres gehört.
   Seine Nahrung besteht aus Fischen, Krebsen, Kopffüßlern und anderen Seethieren. Am liebsten jagt er den Sardellen, den Häringen und mit besonderer Gier den fliegenden Fischen nach. Er ist es hauptsächlich, welcher diese sonderbaren Bewohner des Meeres über den Wasserspiegel emportreibt; denn gar nicht selten sieht man ihn selbst hinter den aufgestiegenen und dahinrauschenden Flugfischen emporschnellen und dann eilig in der von jenen angegebenen Richtung weiter schwimmen. Nach drei– bis viermaligem Auftreiben hat er die fliegenden Fische gewöhnlich so abgehetzt, daß sie ihm leicht zur Beute werden.
   Der Delfin hat in dem Schwertfische einen schlimmeren Feind als in dem Menschen; denn dieser verfolgt nur ihn, wenn ihn der Mangel an frischem Fleisch dazu treibt. Noch heutigen Tages genießt unser Wal seitens des Menschen eine gewisse Verehrung. Doch vereinigen sich hier und da wohl einige Fischer, umringen mit ihren Booten nach altgriechischer Fangweise eine Schar von Delfinen, erschrecken sie durch plötzliches Geschrei und versuchen, sie nach dem Strande hinzutreiben, wo sie angsterfüllt auf das Trockene laufen.Dann vernimmt man ein seufzerartiges Gestöhn von den zu Tode geängstigten Thieren. Auch Walfänger, welche sich nach frischen Fleische sehnen, erlegen dann und wann einen Delfin, während dieser in gewohnter Weise das Schiff umspielt. »Die ganze Mannschaft«, so schildert Lösche, »versammelt sich am Buge und pfeift in allen Tonarten eine wahre Katzenmusik zu dem Tanze im Wasser; denn der sehr musikliebende Delfin soll hierdurch zum Bleiben ermuntert werden, bis die Harpune tückisch an eine kurze Leine befestigt und diese durch einen im oberen Tauwerke befestigten Block gezogen ist.«


   Schwertfisch

   Der Schwertfisch (Orea gladiator) [Heute: Orcinus orca] kann eine Länge von 9 Meter erreichen, bleibt jedoch meist erheblich hinter diesen Maßen zurück, indem er durchschnittlich kaum über 5 bis 6 Meter lang wird. Dieser Länge entsprechen reichlich 60 Centim. lange und 15 Centim. breite Brustflossen, eine etwa anderthalb Meter breite Schwanzfinne und eine kaum weniger lange Rückenfinne. Der Kopf ist im Verhältnisse zur Größe des Thieres klein, der Scheitel etwas eingebuchtet, die auf ihrer Oberseite flache, auf ihrer Vorderseite schwach gewölbte Stirne gegen die ziemlich breite, kurze und niedrige Schnauze stumpf abgerundet, das kleine, langgeschlitzte Auge nicht weit hinter der Mundspalte und wenig höher als dieselbe, das äußerst kleine Ohr hinter den Augen und fast in der Mitte zwischen diesen und den Brustfinnen, das halbmondförmige Spritzloch über und hinter den Augen gelegen, der Leib spindelförmig gestreckt, auf der Rükkenseite nur wenig, seitlich und unten stärker gewölbt, der Schwanz, dessen Länge fast den dritten Theil der Gesammtlänge einnimmt, gegen das Ende hin seitlich zusammengedrückt und oben und unten scharf gekielt, die verhältnismäßig kurze und breite Brustfinne etwa im ersten Viertel des Leibes seitlich und ziemlich tief unten angesetzt, an ihrer Einlenkungsstelle verschmälert, an der Spitze abgerundet, die etwas hinter dem ersten Drittel der Länge wurzelnde Rückenfinne sensenförmig und mit der Spitze oft seitlich umgebogen, die große Schwanzflosse zweilappig, in der Mitte eingebuchtet und an den Enden in Spitzen vorgezogen. Die Färbung scheint vielfach abzuändern. Ein mehr oder minder dunkles Schwarz erstreckt sich über den größten Theil der Oberseite, ein ziemlich reines Weiß über die Unterseite, mit Ausnahme der Schnauzen– und Schwanzspitze.
   Der Schwertfisch bewohnt das nördliche Atlantische, das Eismeer und vielleicht das nördliche Stille Meer. Nach Tilesius sieht man ihn ihm Nordmeere gewöhnlich zu fünf und fünf, wie einen Trupp Soldaten, Kopf und Schwanz nach unten gekrümmt, die Rückenflosse wie ein Säbel aus dem Wasser hervorstehend, äußerst schnell dahinschwimmen und wachsamen Auges das Meer absuchen.
   Ihre Jagd gilt nicht bloß kleineren Fischen, sondern auch den Riesen des Meeres; denn sie sind nicht nur die größten, sondern auch die muthigsten, raubsüchtigsten, gefräßigsten, blutdürstigsten und deshalb gefürchtetsten aller Delfine. Schon Plinius sagt: »Der Widderwal wüthet wie ein Räuber; bald versteckt er sich in dem Schatten großer Schiffe, welche vor Anker liegen, und lauert, bis jemandem die Lust ankommt, zu baden, bald steckt er den Kopf aus dem Wasser und sieht sich nach Fischerkähnen um, schwimmt sodann heimlich hinzu und wirft sie um.« Rondelet bemerkt, daß der Schwertfisch die Walfische verfolge und sie beiße, bis »sie schreien, wie ein gehetzter Ochse«. Deshalb bitten die Fischer, welche nach der Neuen Welt segeln, die dortigen Barbaren, daß sie den Orken nichts thun mögen, weil sie mit deren Hülfe die Walfische, Robben und andere Ungeheuer leichter fangen können; »denn die Orken zwingen die genannten Thiere, die Tiefe zu verlassen und an den Strand zu ziehen, wo es dem Fischer leicht wird, sie mit Pfeil und Wurfspießen umzubringen.« Nach Anderson werden die Thiere in Neuengland »Walfischmörder« genannt. Die Grönlandsfahrer sehen sie oft bei Spitzbergen und in der Davisstraße. Mehrere von ihnen fallen den Walfisch an, ängstigen ihn und reißen mit ihrem furchtbaren Gebisse ganze Stücke aus seinem Leibe, wodurch er dermaßen entsetzt und abgemattet wird, daß er die Zunge herausreckt. Um diese ist es den Mordfischen am meisten zu tun; denn sowie er den Rachen aufsperrt, reißen sie ihm die Zunge heraus. Daher kommt es, daß die Fänger dann und wann einen todten Walfisch antreffen, welcher die Zunge verloren hat und davon gestorben ist.
   Wie aus der Steller‘schen Beschreibung hervorgeht, glaubte man früher, daß der Schwertfisch in der Rückenfinne die Hauptwaffe besäße. »Doch solches«, bemerkt unser Gewährsmann, »ist falsch, weil dieselbe, ungeachtet sie zwei Ellen hoch und sehr spitzig, auch in der See wie ein schneidiges Horn oder Knochen anzusehen, doch weich ist, aus lauter Fett besteht und überdies, um zu verwunden, nicht einen einzigen Knochen hat.« Steller ist es auch, welcher die Angabe des Plinius bestätigt. »Alle diejenigen«, sagt er »welche in der See fischen, fürchten sich ungemein vor diesem Thiere, weil solches, wenn man ihm zu nahe kommt oder es mit einem Pfeil verwundet, die Boote umwirft. Daher bekommt es, wo es entgegenkommt, Geschenke und wird mit einem besonderen Spruche perfuadirt, daß es gute Freundschaft halten und keinen Schaden zufügen wolle.«
   Jedenfalls verdient der Schwertfisch die ihm von Linne beigelegte Bezeichnung »Tyrann oder Peiniger der Walfische und Robben«. So lange ein Trupp der Mordfische sich auf der Jagd befindet, eilt er ohne Aufenthalt seines Weges dahin; gesättigt aber gefällt er sich in wilden Spielen, indem jeder einzelne abwechselnd auf– und niedertaucht, sich dreht und wendet, oft auch mit mächtigem Satze über das Wasser emporspringt oder sonstige Gaukelei treibt, dabei aber immer noch seinen Weg so rasch fortsetzt, daß die ganze Gesellschaft bald dem Auge entschwindet. Kein einziger Delfin ist im Stande, mit dem Schwertfische an Schnelligkeit zu wetteifern. Seine ungeheuere Gefräßigkeit nöthigt ihn oft, nahe der Küste sich aufzuhalten, wo er insbesondere die von Fischen wimmelnden Flußmündungen aufzusuchen pflegt; bei Verfolgung größerer Beute aber schwimmt er auch meilenweit in das hohe Meer hinaus und meidet auf Tage, vielleicht auf Wochen die Nähe des Landes. Alle Walfänger hassen seinen Anblick; denn seine Ankunft ist das Zeichen, daß jeder Wal den von ihm bejagten Theil der See meidet, sei es auch, daß er sich zwischen dem Eise verbergen müsse, um der ihm bedrohenden Verfolgung zu entgehen.
   Und nicht mit einer Beute begnügt sich das gefräßige Ungeheuer, sondern bis zum Platzen, buchstäblich bis zum Ersticken, füllt es mit ihnen und anderen Thieren seinen nimmersatten Schlund. Eschricht entnahm dem Magen eines fünf Meter langen Schwertfisches dreizehn Meerschweine und vierzehn Robben, dem Rachen aber den fünfzehnten Seehund, an welchem das Ungethüm erstickt war. Drei oder vier solche Ungeheuer werfen sich ohne Bedenken selbst auf den größten Bartenwal, welcher bei Wahrnehmung seiner furchtbarsten Feinde geradezu von Furcht gelähmt zu sein scheint und zuweilen kaum sich anstrengt, ihnen zu entgehen. »Der Angriff dieser Wölfe des Weltmeeres«, sagt Scammon, »auf eine so riesenhafte Beute erinnert an den von einer Meute gehetzten und niedergerissenen Hirsch. Einige hängen sich an das Haupt des Wales, andere fallen von unten über ihn her, während mehrere ihn bei den Lippen packen und unter Wasser halten oder ihm, wenn er den gewaltigen Rachen aufreißt, die Zunge zerfetzen. Im Frühlinge des Jahres 1858 wurde ich Augenzeuge eines solchen, von drei Schwertfischen auf einen weiblichen Grauwal und sein Junges ausgeführten Angriffes. Das Junge hatte bereits die dreifache Größe des stärksten Butskopfes erreicht und lag wenigstens eine Stunde mit den dreien im Kampfe. Die grimmigen Thiere stürzten sich abwechselnd auf die Alte und ihr Junges und tödteten endlich das letztere, worauf es auf den Grund des etwa fünf Faden tiefen Wassers herabsank.«
   Wahrscheinlich verschonen die furchtbaren Thiere keinen ihrer Verwandten, mit alleiniger Ausnahme des Potwales. In den Augen der Möven und anderen fischfressenden Seevögel sind sie willkommene Erscheinungen, weil bei den durch sie verursachten Schlächtereien immer etwas für jene abfällt. Nach Scammons Beobachtungen unterscheiden alle Möven die Butsköpfe sehr wohl von anderen Delfinen und begleiten sie so viel wie möglich fliegend auf weithin, in der Hoffnung, durch sie zu reicher Beute zu gelangen.
   Erst im Jahre 1841 wurde die genaue Beschreibung des Schwertfisches entworfen. Bei dem holländischen Dorfe Wyk op Zee strandete ein fünf Meter langes Weibchen und gab einem tüchtigen Naturforscher Gelegenheit, es zu beobachten. Als dieser es zuerst sah, prangte es noch in einem eigenthümlichen Farbenglanze. Das Schwarz spielte in allen Farben des Regenbogens, und das Weiß glich an Reinheit und Glanz dem Porzellan. Aber schon nach wenigen Tagen war von dem Farbenschimmer nichts mehr zu sehen; die oberste Haut trennte sich nach und nach ab, und nach Verlauf einer Woche war das Thier durch die eingetretene Fäulnis gänzlich verstümmelt und entstellt. Jetzt wurde es versteigert. Es fanden sich viele Kauflustige ein, und einer erstand es für die Summe von 140 Gulden. Der gute Mann hatte sich verrechnet; denn er gewann bloß 40 Gulden aus dem Thrane und nicht mehr aus dem Gerippe, welches dem reichen Museum zu Leyden zu ganz besonderer Zierde gereicht.



   Landraubtiere I


   Civette

   Die Zibetkatze oder Civette (Viverra civetta) hat ungefähr die Größe eines mittelgroßen Hundes, aber ein mehr katzenartiges Aussehen und steht in ihrem gesammten Bau zwischen einem Marder und einer Katze mitten inne. Wie die meisten Arten ihrer ganzen Familie, ist sie mehr Nacht– als Tagthier. Den Tag verschläft sie; abends geht sie auf Raub aus, und sucht kleine Säugethiere und Vögel, welche sie bewältigen kann, zu beschleichen oder zu überraschen. Namentlich die Eier der Vögel sollen ihre Leibspeise bilden, und man behauptet, daß sie im Aufsuchen der Nester großes Geschick zeige und dieser Lieblingsnahrung wegen selbst die Bäume besteige. Im Nothfalle frißt sie auch Lurche, ja selbst Früchte und Wurzeln.
   In der Gefangenschaft hält man sie in besonderen Ställen oder Käfigen und füttert sie mit Fleisch, besonders aber mit Geflügel. Wenn sie jung eingefangen wird, erträgt sie nicht nur den Verlust ihrer Freiheit weit besser, als wenn sie alt erbeutet wurde, sondern zeigt sich bald auch sehr zahm und zutraulich. Alt eingefangene lassen sich nicht leicht zähmen, sondern bleiben immer wild und bissig. Sie sind sehr reizbar und heben sich im Zorne nach Art der Katzen empor, sträuben ihre Mähne und stoßen einen heißeren Ton aus, welcher einige Aehnlichkeit mit dem Knurren des Hundes hat. »Dabei glühen die Augen, bewegen sich die Ohren, schnüffelt die Nase, werden die Zähne gefletscht, die Haare gesträubt, daß das Thier wie ein Kehrbesen aussieht; es faucht und knurrt und verbreitet einen Zibetgeruch, daß man es in der Nähe kaum aushalten kann, daß im wahren Sinne des Wortes ein ganzes Haus davon erfüllt und verpestet wird.«
   Der Beutel ist es, welcher ihm die Aufmerksamkeit des Menschen verschafft hat. Früher diente der Zibet als Arzneimittel; gegenwärtig wird er noch als sehr wichtiger Stoff verschiedenen Wohlgerüchen beigesetzt. Um den Zibet zu erhalten, bindet man das Thier mit einem Stricke an den Stäben des Käfigs fest, stülpt mit den Fingern die Aftertasche um und drückt die Absonderung der Drüsen aus den vielen Abführungsgängen heraus, welche in jene Tasche münden. In der Regel nimmt man zweimal in der Woche Zibet ab und gewinnt dabei jedesmal etwa ein Quentchen. Im frischen Zustande ist es ein weißer Schaum, welcher dann braun wird und etwas von seinem Geruche verliert.
   Bis jetzt haben sich die Zweckmäßigkeitsprediger vergeblich bemüht, den Nutzen dieser Drüsenabsonderung für das Thier zu erklären. Daß dieses den Zibet nicht in derselben Weise benutzt wie das amerikanische Stinkthier seinen höllischen Gestank, zur Abwehr seiner Feinde nämlich, steht wohl fest. Warum und wozu es ihn sonst gebrauchen könnte, ist aber nicht recht einzusehen.


   Mungo

   Unter allen Mangusten eignet sich der Mungos (Herpestes griseus) [Heute: Herpestes edwarsi], welcher seiner ganzen Sippschaft den Namen verliehen hat, am meisten zur Zähmung, weil er ein überaus sauberes, reinliches, munteres und verhältnismäßig gutmüthiges Thier ist. Man findet ihn deshalb in vielen Wohnungen seiner heimatlichen Länder als Hausthier, und er vergilt die ihm gewährte Gastfreundschaft durch seine ausgezeichneten Dienste tausendfach. Wie der Ichneumon, versteht auch er es, das Haus von Ratten und Mäusen zu säubern; aber er tritt ebenso dem abscheulichen Ungeziefer südlicher Länder, Giftschlangen und Skorpionen, mit bewunderungswürdigem Muthe entgegen. Wenn man ihn zuerst in eine fremde Wohnung bringt, läuft er behend umher und hat in der kürzesten Zeit alle Löcher, Spalten und andere Schlupfwinkel untersucht und vermittels seines scharfen Geruchs auch bald ausgefunden, in welcher Höhle sich eines seiner Jagdthiere aufhält. Diesem strebt er nun mit unermüdlichem Eifer nach, und selten misglückt ihm seine Jagd. Bei schlechter Laune zeigt das sonst gemüthliche Thier Jedem, welcher sich ihm nähert, wie ein bissiger Hund die Zähne; doch hält sein Zorn nicht lange an. Berühmt und geehrt ist der Mungo vor allem wegen seiner Kämpfe mit Giftschlangen. Er wird trotz seiner geringen Größe sogar der Brillenschlange Meister. Seine Behendigkeit ist es, welche ihm zum Siege verhilft. Die Eingeborenen behaupten, daß er, wenn er von der Giftschlange gebissen sei, eine sehr bittere Wurzel, Namens Mungo, ausgrabe, diese verzehre, durch den Genuß solcher Arznei augenblicklich wieder hergestellt werde und den Kampf mit der Schlange nach wenigen Minuten fortsetzen könne.
   Eher noch als jene Heilpfuscherei des Thieres läßt sich annehmen, daß der Mungos und andere Ichneumonen, wenn nicht geradezu unempfindlich gegen, so doch minder empfänglich für die Wirkungen des Schlangengiftes sind. Der Naturforscher, welchem alles wunderbare von vorn herein verdächtig scheint, sträubt sich freilich gegen solche Annahme, kann indessen nicht ohne weiteres in Abrede stellen, daß sie als möglich gedacht werden darf.


   Ichneumon

   Wie billig, wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst dem Ichneumon zu, der »Ratte der Pharaonen«, dem heiligen Thiere der alten Egypter (Herpestes ichneumon), eingedenk seines aus den ältesten Zeiten auf die unserigen herübergetragenen Ruhmes und der Achtung, welche er früher genoß. Schon Herodot sagt, daß man die Ichneumonen in jeder Stadt an heiligen Orten einbalsamire und begrabe. Strabo berichtet, daß jenes vortreffliche Thier niemals große Schlangen angreife, ohne einige seiner Gefährten zu Hülfe zu rufen, dann aber auch die giftigsten Würmer leicht bewältige. Aber die Sage ist hiermit noch nicht zufrieden, sondern theilt dem muthigen Kämpfer für das öffentliche Wohl noch ganz andere Dinge zu, wie Plinius mittheilt. Das Krokodil nämlich legt sich, wenn es sich satt gefressen hat, gemüthlich auf eine Sandbank und sperrt dabei den zähnestarrenden Rachen weit auf, Jeglichem Verderben drohend, der es wagen wollte, sich ihm zu nähern. Nur einem kleinen Vogel ist dies gestattet – und zwar, wie ich selbst beobachtet habe, in der That und Wahrheit! –er ist so frech, zwischen den Zähnen heraus sich die Speise abzupicken, welche dort hängen geblieben ist. Außer ihm fürchtet aber jedes andere Thier die Nähe des Ungeheuers, nur der Ichneumon nicht. Er naht sich leise, springt mit kühnem Satze in den Rachen, beißt und wühlt sich die Kehle hindurch, zerfleischt dem schlafenden Krokodil das Herz, tödtet es auf diese Weise und öffnet sich nun, blutbedeckt, vermittels seiner scharfen Zähne einen Ausweg aus dem Leibe des Ungethüms. Daß auch die Egypter solche Sagen geglaubt haben, daß sie von ihnen aus erst jenen Schriftstellern berichtet wurden, ist unzweifelhaft. Allerdings ist es erst der Neuzeit vorbehalten gewesen, genaues über die Sitten und Lebensweise des Ichneumon zu erforschen; aber schon seit einigen Jahrhunderten haben mehrere Reisebeschreiber ihren Zweifel über den überwiegenden Nutzen des Ichneumon ausgesprochen, und die Sagen könnten somit als erledigt gelten.
   Den Namen Ichneumon, welcher soviel als »Aufspürer« bedeutet, verdient unser Thier in jeder Hinsicht. In seinen Sitten und im geistigen Wesen ähnelt der Aufspürer den gestaltverwandten Mardern, deren unangenehmen Geruch und deren Listigkeit, Diebesgewandtheit und Mordlust er besitzt. Er ist im höchsten Grade furchtsam, vorsichtig und mißtrauisch. Niemals wagt er sich aufs freie Feld, sondern schleicht immer möglichst gedeckt und mit der größten Vorsicht dahin. Einen Ort, den er nicht kennt, besucht er nicht, ohne die größte Besorgnis zu zeigen; gleichwohl streift er ziemlich weit umher.
   Er frißt alles, was er erlisten kann, die Säugethiere vom Hasen bis zur Maus herab, die Vögel vom Huhn oder der Gans bis zum Riedsänger (Drymoica). Außerdem verzehrt er Schlangen, Eidechsen, Kerbthiere, Würmer u. a. und wahrscheinlich auch Früchte. Seine Diebereien haben ihm den größten Haß und die vollste Verachtung der egyptischen Bauern zugezogen, weil er deren Hühner– und Taubenställe in der unbarmherzigsten Weise plündert und den Hühnernestern, welche dort von den Hühnern ganz nach freier Vögel Art angelegt werden, sehr gefährlich wird.


   Tüpfelhiäne

   Die Tüpfel– oder gefleckte Hiäne, Tigerwolf der Kapländer (Hyaena crocuta) [Heute: Crocuta crocuta] unterscheidet sich durch ihren kräftigen Körperbau und den gefleckten Pelz von der viel häufiger als sie zu uns kommenden Streifenhiäne und dem einfarbigen Strandwolfe.
   Ihre ganze Lebensweise ähnelt der ihrer Verwandten; sie wird aber ihrer Größe und Stärke halber weit mehr gefürchtet als diese und wohl deshalb auch hauptsächlich als unheilvolles, verzaubertes Wesen betrachtet. Die Araber nennen sie Marafil. Viele Beobachter versichern einstimmig, daß sie wirklich Menschen angreife, namentlich über Schlafende und Ermattete herfalle. Dasselbe behaupten, wie wir von Rüppell erfahren, die Abessinier. »Die gefleckten Hiänen«, sagt genannter Forscher, »sind von Natur sehr feige, haben aber, wenn sie der Hunger quält, eine unglaubliche Kühnheit. Sie besuchen dann selbst zur Tageszeit die Häuser und schleppen kleine Kinder fort, wogegen sie jedoch nie einen erwachsenen Menschen angreifen.«
   Ich habe die Tüpfelhiäne in den von mir durchreisten Gegenden überall nur als feiges Thier kennen gelernt, welches dem Menschen scheu aus dem Wege geht. Den Kopf trägt sie niedrig mit gebogenem Nacken; der Blick ist boshaft und scheu.
   Die gefleckte Hiäne ist diejenige Art, mit welcher sich die Sage am meisten beschäftigt. Viele Sudänesen behaupten, daß die Zauberer bloß deshalb ihre Gestalt annehmen, um ihre nächtlichen Wanderungen zum Verderben aller Gläubigen auszuführen. Die häßliche Gestalt und die schauderhaft lachende Stimme der gefleckten Hiäne wird die Ursache dieser Meinung gewesen sein. Auch wir müssen dieser Hiäne den Preis der Häßlichkeit zugestehen. Unter sämmtlichen Raubthieren ist sie unzweifelhaft die mißgestaltetste, garstigste Erscheinung; zu dieser aber kommen nun noch die geistigen Eigenschaften, um das Thier verhaßt zu machen. Sie ist dümmer, böswilliger und roher als ihre gestreifte Verwandte, obwohl sie sich vermittels der Peitsche bald bis zu einem gewissen Grade zähmen läßt. Wie es scheint, erreicht sie jedoch niemals die Zahmheit der gestreiften Art.
   Stundenlang liegt sie auf einer und derselben Stelle wie ein Klotz; dann springt sie empor, schaut unglaublich dumm in die Welt hinaus, reibt sich an dem Gitterwerke und stößt von Zeit zu Zeit ihr abscheuliches Gelächter aus, welches, wie man zu sagen pflegt, durch Mark und Bein dringt. Mir hat es immer scheinen wollen, als wenn dieses eigenthümliche und im höchsten Grade widerwärtige Geschrei eine gewisse Wollust des Thieres ausdrücken sollte; wenigstens benahm sich die lachende Hiäne dann auch in anderer Weise so, daß man dies annehmen konnte.
   Ungeachtet solcher Unzüchtigkeiten kommt es selten vor, daß sich ein Hiänenpaar im Käfige fortpflanzt. Hierbei muß freilich in Betracht gezogen werden, daß es ungemein schwer hält, ohne handliche Untersuchung Männchen und Weibchen zu unterscheiden, solche Untersuchung aber wegen der Störrigkeit, Bosheit und Wehrhaftigkeit des Thieres nicht immer ohne Gefahr ausgeführt und somit nicht bestimmt werden kann, ob man ein Paar oder Zwei eines und desselben Geschlechtes zusammensperrt. Wo ersteres geschehen, hat man auch Junge erzielt, so im Londoner Thiergarten.


   Wildkatze

   Unter den altweltlichen Katzen geht uns die Wild– oder Waldkatze, der Waldkater, Kuder, Baumreiter (Felis catus) am nächsten an, weil sie die einzige Art ihrer Familie ist, welche selbst in unserem Vaterlande noch nicht ausgerottet wurde. Eine erwachsene Wildkatze erreicht ungefähr die Größe des Fuchses und ist also um ein Drittheil größer als die Hauskatze. Von dieser unterscheidet sie sich auf den ersten Blick durch die stärkere Behaarung, den reichlicheren Schnurrbart, den wilderen Blick und das stärkere und schärfere Gebiß. Als besonderes Kennzeichen gilt die schwarzgeringelte Ruthe und der gelblichweiße Fleck an der Kehle.
   Dichte, große, ausgedehnte Wälder, namentlich dunkle Nadelwälder, bilden ihren Aufenthalt; je einsamer ihr Gebiet ist, um so ständiger haust sie in ihm. Felsreiche Waldgegenden zieht sie allen übrigen vor, weil die Felsen ihr die sichersten Schlupfwinkel gewähren. Außerdem bezieht sie Dachs– und Fuchsbauten oder große Höhlungen in starken Bäumen, und in Ermangelung von derartigen Schlupfwinkeln schlägt sie ihr Lager in Dickichten und auf trockenen Kaupen in Sümpfen und Brüchen auf.
   Mit Eintritt der Dämmerung tritt die Wildkatze ihre Jagdzüge an. Ausgerüstet mit trefflichen Sinnen, vorsichtig und listig, unhörbar sich anschleichend und geduldig lauernd, wird sie kleinerem und mittelgroßem Gethier sehr gefährlich. »Im scharfen Aeugen selbst bei Nacht, zu welcher Zeit ihre Seher wie brennende Kohlen funkeln«, sagt Dietrich aus dem Winckell, »in ebenso scharfen Wittern (-) und im höchst leisen Vernehmen wird sie von keinem Thiere übertroffen«, im unbemerklichen Anschleichen, beharrlichen Auflauern und sicheren Springen, füge ich hinzu, gewiß auch nicht. »Wer kennt nicht«, so drückt sich entrüstet Winckell aus, »das spitzbübische Schleichen der zahmen Katze, wenn es ihr darauf ankommt, ein armes Vögelchen zu erhaschen? Genau ebenso benimmt sich auch die Wildkatze«, wenn sie auf Beute ausgeht.
   Im Verhältnisse zu ihrer Größe ist die Wildkatze überhaupt ein gefährliches Raubthier, zumal sie den Blutdurst der meisten ihrer Gattungsverwandten theilen und mehr Thiere, als sie verzehren kann, tödten soll. Aus diesem Grunde wird sie von den Jägern grimmig gehaßt und unerbittlich verfolgt; denn kein Weidmann rechnet den Nutzen, welchen sie durch Vertilgung von Mäusen bringt, ihr zu Gute. Wie viele von diesen schädlichen Thieren sie vernichten mag, geht aus einer Angabe Tschudi‘s hervor, welcher berichtet, daß man in dem Magen einer Wildkatze die Ueberreste von 26 Mäusen gefunden hat. Die Losung, welche Zelebor vor den von Wildkatzen bewohnten Bauen sammelte und untersuchte, enthielt größtentheils Knochenüberreste und Haare von Marder, Iltis, Hermelin und Wiesel, Hamster, Ratte, Wasser-, Feld– und Waldmäusen, Spitzmäusen und einige unbedeutende Reste von Eichhörnchen und Waldvögeln. Kleine Säugethiere also bilden den Haupttheil der Beute unseres Raubthieres, und da unter diesen die Mäuse häufiger sind als alle übrigen, erscheint es sehr fraglich, ob der Schaden, welchen die Wildkatze verursacht, wirklich größer ist als der Nutzen, welchen sie bringt.
   Die Zeit der Paarung der Wildkatze fällt in den Februar, der Wurf in den April; die Tragzeit währt neun Wochen.
   Die Jagd der Wildkatze wird überall mit einer gewissen Leidenschaft betrieben; handelt es sich doch darum, ein dem Weidmann ungemein verhaßtes und dem Wilde schädliches Raubthier zu erbeuten. Bei uns zu Lande erlegt man sie gewöhnlich auf Treibjagden. Im Winter, nach einer Reue, wird sie abgespürt, bis zum Baue oder einem Baume verfolgt, mit Hülfe des Hundes ausgetrieben oder festgemacht und dann erlegt; außerdem kann man ihrer habhaft werden, indem man sie durch Nachahmen des Geschreies einer Maus oder des Piepens eines Vogels reizt. Der Fang ist wenig ergiebig, obgleich die Wildkatze durch eine Witterung aus Mäuseholzschale, Fenchel– und Katzenkraut, Violenwurzel, welche in Fett oder Butter abgedämpft werden, sich ebenfalls bethören und ans Eisen bringen lassen soll. Verwundete Wildkatzen können, wenn man sie in die Enge treibt, sehr gefährlich werden. »Nimm dich wohl in Acht, Schütze«, so schildert Tschudi, »und faß die Bestie genau aufs Korn! Ist sie bloß angeschossen, so fährt sie schnaubend und schäumend auf, mit hochgekrümmtem Rücken und gehobenem Schwanze naht sie zischend dem Jäger, setzt sich wüthend zur Wehr und springt auf den Menschen los; ihre spitzen Krallen haut sie fest in das Fleisch, besonders in die Brust, daß man sie fast nicht losreißen kann, und solche Wunden heilen sehr schwer. Die Hunde fürchtet sie so wenig, daß sie, ehe sie den Jäger gewahrt, oft freiwillig vom Baume herunter kommt; es setzt dann fürchterliche Kämpfe ab. Die wüthende Katze haut mit ihrer Kralle oft Risse, zielt gern nach den Augen des Hundes und vertheidigt sich mit der hartnäckigsten Wuth, solange noch ein Funke ihres höchst zähen Lebens in ihr ist. So kämpfte im Jura ein wilder Kater, auf dem Rücken liegend, siegreich gegen drei Hunde, von denen er zweien die Tatzen tief in die Schnauzen gehauen hatte, während er den dritten mit den Zähnen festgepackt hielt – eine Vertheidigung, zu der er den äußersten Muth und die größte Gewandtheit bedurfte, und welche gleichzeitig eine hohe Klugheit verräth, da er nur so der Hundebisse sich erwehren konnte. Ein starker Schuß des herbeieilenden Jägers, der die Bestie durch und durch bohrte, errettete die schwer verwundeten Thiere, welche sonst sämmtlich erlegen wären.«
   Von der eigentlichen Wildkatze sind die bloß verwilderten Hauskatzen wohl zu unterscheiden. Solche trifft man nicht selten in unseren Waldungen an; sie erreichen aber niemals die Größe der eigentlichen wilden, obwohl sie unsere Hauskatzen um vieles übertreffen. In der Zeichnung und an Bosheit und Wildheit ähnelt sie durchaus der Wildkatze.


   Luchs

   Unter den übrigen Mitgliedern der Sippe, welche sich durch starken Bart und kurzen, stummelhaften Schwanz auszeichnen, steht der Luchs oder Thierwolf (Lynx vulgaris) [Heute: Lynx lynx] an Schönheit, Stärke und Kraft oben an. Erst durch das Museum von Christiania bin ich über die Größe belehrt worden, welche ein Luchs wirklich erreichen kann; denn in unseren deutschen Sammlungen findet man gewöhnlich nur mittelgroße Thiere. Ein vollkommen ausgewachsener Luchs ist mindestens ebenso stark, nur etwas kürzer und hochbeiniger als die Leoparden, welche wir in unseren Thierschaubuden zu sehen bekommen. Die Länge seines Leibes beträgt reichlich 1 Meter und kann wohl auch bis zu 1,3 Meter steigen, der Schwanz ist 15 bis 20 Centim. lang, die Höhe am Widerriste beträgt bis 75 Centim. An Gewicht kann der Luchskater bis 30, ja, wie man mir in Norwegen sagte, sogar bis 45 Kilogr. erreichen. Das Thier hat einen außerordentlich kräftigen, gedrungenen Leibesbau, stämmige Glieder und mächtige, an die des Tiger oder Leoparden erinnernde Pranken, verräth daher auf den ersten Blick seine große Kraft und Stärke. Die Ohren sind ziemlich lang und zugespitzt und enden in einen pinselförmigen Büschel von vier Centimeter langen, schwarzen, dichtgestellten und aufgerichteten Haaren. Der Schwanz, welcher überall gleichmäßig und gleich dicht behaart ist, hat eine breite, schwarze Spitze, welche fast die Hälfte der ganzen Länge einnimmt; die andere Hälfte ist undeutlich geringelt, mit verwischten Binden, welche unten aber nicht durchgehen. Im Sommer ist der Balg kurzhaarig und mehr röthlich, im Winter langhaarig und mehr grauweißlich gefärbt; allein die ganze Färbung verändert sich in der mannigfaltigsten Weise, und auch die Flecken wechseln bei verschiedenen Thieren erheblich ab.
   Noch im Mittelalter bewohnte er ständig alle größeren Waldungen Deutschlands und ward allgemein gehaßt, auch nachdrücklichst verfolgt. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts galt er, laut Schmitt, in Pommern als das schlimmste Raubthier. »Den Luchs«, so heißt es in Petersdorps Verordnung, »wiel he de aergste ist, moth man flitig by Wintertieden nahstellen, ein mit Ketten fangen, scheten.« Von dieser Zeit an hat er in Deutschland stetig abgenommen und kann gegenwärtig hier als ausgerottet gelten. In Bayern, dem an sein Wohngebiet, die Alpen, angrenzenden Lande Süddeutschlands, war er noch zu Ende des vorigen und zu Anfang unseres Jahrhunderts eine zünftigen Jägern wohlbekannte Erscheinung. Laut Kobell, dem wir so viele anziehende Jagdbilder verdanken, wurden in den Jahren 1820 bis 1821 allein im Ettaler Gebirge siebenzehn Luchse erlegt und gefangen; im Jahre 1826 fing man im Riß ihrer fünf, bis 1831 noch ihrer sechs. In Westfalen endete der letzte Luchs erweislich im Jahre 1745 sein Leben; auf dem Harze erlegte man die letzten beiden in den Jahren 1817 und 1818, in Deutschland, mit Ausnahme der an Rußland grenzenden Theile überhaupt, im Jahre 1846. Anders verhält es sich in den deutsch-österreichischen Ländern und in den an Rußland grenzenden Theilen Preußens. Hier wird fast alljährlich noch ein oder der andere Luchs gespürt; dort hat man noch in der Neuzeit so viele erlegt, daß von einer Ausrottung desselben noch nicht gesprochen werden darf.
   Bedingung für ständigen Aufenthalt dieses Raubthieres sind weite geschlossene, an Dickungen oder überhaupt schwer zugänglichen Theilen reiche, mit Wild der verschiedensten Art bevölkerte Waldungen. In dünn bestandenen Wäldern zeigt sich der Luchs, laut Nolcken, dem wir die beste Lebensschilderung des Thieres verdanken, nur ausnahmsweise, namentlich im Winter, wenn es sich für ihn darum handelt, einen solchen Wald nach Hasen abzusuchen, oder aber, wenn ihn ein allgemeiner Nothstand, ein Waldbrand z. B., zum Auswandern zwingt. Unter solchen Umständen kann es vorkommen, daß er, wie es im Jahre 1868 im Petersburger Gouvernement geschah, bis in die Obstgärten der Dörfer sich flüchtet. Im Gegensatze zum Wolfe, welcher fast jahraus, jahrein ein unstätes Leben führt, hält sich der Luchs oft längere Zeit in einem und demselben Gebiete auf, durchstreift dasselbe aber nach allen Richtungen, wandert in einer Nacht meilenweit, nicht selten ohne alle Scheu befahrene Wege annehmend, bis in die Nähe der Dörfer sich wagend und selbst einsam liegende Gehöfte besuchend, kehrt auch nach mehreren Tagen wieder in eine und dieselbe Gegend zurück, um sie von neuem abzuspüren.
   An Begabung leiblicher und geistiger Art scheint der Luchs hinter keiner einzigen anderen Katze zurückzustehen. Der trotz der hohen Läufe ungemein kräftige Leib und die ausgezeichneten Sinne kennzeichnen ihn als einen in jeder Hinsicht trefflich ausgerüsteten Räuber. Er geht sehr ausdauernd, so lange es die Noth nicht fordert, nur im Schritt oder im Katzentrabe, niemals satzweise, springt, wenn es sein muß, ganz ausgezeichnet in wahrhaft erstaunlichen Sätzen dahin, klettert ziemlich gut und scheint auch mit Leichtigkeit Gewässer durchschwimmen zu können. Unter seinen Sinnen steht unzweifelhaft das Gehör obenan, und der Pinsel an seinen Ohren darf demnach als eine wohlberechtigte Zierde gelten. Kaum weniger vorzüglich mag das Gesicht sein, wenn auch die neuzeitlichen Beobachter keine unmittelbaren Belege für die Entstehung der alten Sage gegeben haben. Der Geruchsinn aber ist, wie bei allen Katzen, entschieden schwach; der Luchs vermag wenigstens nicht auf größere Entfernungen hin zu wittern und sicherlich nicht durch seinen Geruch irgend ein Wild auszukundschaften. Daß er Geschmack besitzt, beweist er durch seine Leckerhaftigkeit zur Genüge, und was Tastsinn und Empfindungsvermögen anlangt, so bekunden Gefangene deutlich genug, daß sie hierin den Verwandten nicht nachstehen. Die geistigen Eigenschaften unseres Raubthieres sind niemals unterschätzt worden: »Ist sunst ein röubig thier gleich dem Wolff, doch vil listiger«, sagt der alte Geßner und scheint vollständig Recht zu haben, da auch alle neueren Beobachter, welche mit dem Luchse verkehrten, ihn als ein außerordentlich vorsichtiges, überlegendes und listiges Thier schildern, welches niemals seine Geistesgegenwart verliert und in jeder Lage noch bestmöglichst seinen Vortheil wahrzunehmen sucht und wahrzunehmen weiß.
   Frühere Beobachter vergleichen die Stimme des Luchses mit dem Geheule eines Hundes, bezeichnen sie damit aber sehr unrichtig. Ich habe nur Gefangene schreien hören und muß sagen, daß die Stimme sehr schwer beschrieben werden kann. Sie ist laut, kreischend, hochtönig, der verliebter Katzen entfernt ähnlich.
   Der Luchs ist, laut Nolcken, ein durchaus nächtliches Raubthier, versteckt sich mit Tagesanbruch und liegt, wenn er nicht gestört wird, bis zur Dunkelheit, wodurch er vom Wolfe, welcher meist schon gegen Mittag wieder zu wandern beginnt, wesentlich sich unterscheidet. Zu seinem Lagerplatze wählt er eine Felsenkluft oder ein Dickicht, unter Umständen vielleicht auch eine größere Höhlung, selbst einen Fuchs– oder Dachsbau. Am tiefsten scheint er in den Früh– und Mittagsstunden zu schlafen; nachmittags reckt er sich gern, wenn ihm dies möglich ist, im Strahle der Sonne, legt sich dabei auch, falls er es haben kann, stundenlang auf den Rücken wie ein fauler Hund. Bei eintretender Dämmerung wird er munter und lebendig.
   Nach den gegebenen Mittheilungen kann man sich von der Jagd des Luchses ein ziemlich richtiges Bild machen. Möglichst gut sich deckend, jeden hierzu dienenden Gegenstand benutzend und alles Geräusch vermeidend, schleicht er, unter Umständen tief gebückt, an sein Wild heran, springt mit einem oder mit mehreren gewaltigen Sätzen auf dasselbe zu, faßt glücklichenfalls die Beute, sich einbeißend, im Genicke, schlägt seine Krallen tief ein, hält sich so fest und beißt nun mit seinen scharfen Zähnen die Schlagadern des Halses durch. Bis das Thier verendet, bleibt er auf ihm sitzen; ja man kennt ein Beispiel, daß ein solcher furchtbarer Reiter wider seinen Willen mit seinem Reitthiere und Schlachtopfer weiter getragen worden ist, als ihm lieb war. Eine norwegische Zeitung berichtete, daß eines Tages eine Herde Ziegen mitten am Tage aus dem benachbarten Walde in höchster Eile nach dem Gute zugelaufen kamen. Ein Thier der Herde trug auf seinem Rücken einen jungen Luchs, welcher seine Klauen so tief und fest in den Hals der Ziege eingeschlagen hatte, daß er nicht wieder loskommen konnte. Die Ziege rannte in der Angst hin und her, bis es den inzwischen hinzugekommenen Söhnen des Gutsbesitzers gelang, das Raubthier zu erschießen, ohne die Ziege zu verletzen.
   Als Beutestück scheint dem Luchse jedes Thier zu gelten, welches er irgendwie bewältigen zu können glaubt. Vom kleinsten Säugethiere oder Vogel an bis zum Reh und Elch oder Auerhahn und Trappen hinauf ist schwerlich ein lebendes Wesen vor ihm gesichert.
   In dem an Hochwild armen, an Niederwild reichen Norden verursacht der Luchs verhältnismäßig wenig Schaden; in gemäßigten Landstrichen dagegen macht er sich dem Jäger wie dem Hirten gleich verhaßt, weil er nicht allein weit mehr erwürgt, als er zur Nahrung braucht, sondern auch von einer Beute nur das Blut aufleckt und die leckersten Bissen frißt, das übrige aber liegen läßt, Wölfen oder Füchsen zur Beute. Der beste Rehstand wird von einem Luchse, welcher dem rächenden Blei des Jägers geraume Zeit sich zu entziehen weiß, vernichtet, die zahlreichste Schaf– oder Ziegenherde mehr als gezehntelt.
   Ueber die Fortpflanzung unseres Raubthieres fehlt noch genügende Kunde. Im Januar und Februar sollen die Geschlechter sich zusammenfinden, mehrere Luchskater oft unter lautem Geschrei um die Luchskatze kämpfen und diese zehn Wochen nach der Paarung in einer tief verborgenen Höhle, einem erweiterten Dachs– oder Fuchsbau unter einem überhängenden Felsen, einer passenden Baumwurzel und an ähnlichen versteckten Orten zwei, höchstens drei Junge bringen, welche eine Zeitlang blind liegen, später mit Mäusen und kleinen Vögeln ernährt, sodann von der Alten im Fange unterrichtet und für ihr späteres Räuberleben gebührend vorbereitet werden.
   Gefangene Thiere dieser Art zählen unbedingt zu den anziehendsten aller Katzen. Gelangen sie in den Besitz eines Pflegers, ohne in ihrer Jugend eine sorgfältige Erziehung genossen zu haben, so zeigen sie sich zwar nicht immer von ihrer liebenswürdigsten Seite, verfehlen aber nie, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Sie erscheinen«, so habe ich mich in meinen »Thieren des Waldes« ausgedrückt, »im Vergleiche zu ihren Familiengenossen mürrisch, eigensinnig und faul, liegen, einem in Erz gegossenen Bilde vergleichbar, fast bewegungslos halbe Tage lang auf demselben Aste und beweisen nur durch Zusammenrümpfen der Lippen, durch Bewegen der Lauscher und Lichter und endlich durch Wedeln und Stelzen der Lunte, daß der Geist an der Ruhe des Leibes nicht Theil nimmt, sondern ohne Unterlaß beschäftigt ist.«
   Nicht allein des großen Schadens halber, welchen der Luchs in wohlgepflegten Wildgehegen oder auf herdenreichen Alpen anrichtet, sondern auch um des Vergnügens willen, welches solches Weidwerk jedem zünftigen Jäger bereitet, wird der Luchs aller Orten, wo er vorkommt, eifrigst gejagt. Man erbeutet das Raubthier auf viererlei Weise: durch gestellte, gut geköderte Eisen, vermittels der Reize, auf Treibjagden und mit Hülfe der Koppelhunde. Mit dem Stellen von Eisen ist es ein misliches Ding; denn der Luchs streift, so sicher er auch einen passenden Wechsel einhält, im ganzen doch zu weit umher, als daß man auf sicheren Erfolg rechnen könnte. Gefangen verfällt er in beispiellose Wuth, ja in förmliche Raserei. »Diejenigen«, sagt Kobell, »welche lebende Luchse im Schlageisen getroffen haben, sind oft Zeugen ihrer Wildheit gewesen, besonders wenn das Eisen nur eine Vorderpranke gefaßt hatte. Kam der Jäger dazu, so zog der Luchs, rückwärts kriechend, das Eisen, welches immer mittels einer Kette an einem starken Baume oder einer Latschenwurzel befestigt ist, mit sich, soweit er konnte und richtete, furchtbar grinsend, seine wüthenden Blicke auf den Herannahenden. Glaubte er, den Feind erhaschen zu können, so versuchte er es, wenn er dessen noch fähig, mit einem so gewaltigen Satze, daß es gräulich zu schauen war. Meist hatte er sich die Krallen an einer freien Pranke von der gewaltigen Anstrengung, sich zu befreien, ausgerissen und die Fänge gebrochen.«
   Der Balg des Luchses gehört zu dem schönsten und theuersten Pelzwerke, obwohl die Haare spröde sind und nach längerem Gebrauche springen. Ein Balg kostet 45 bis 60 Mark, und die schönsten, nämlich die, welche aus Sibirien kommen, werden selbst an Ort und Stelle mit 6 bis 16 Rubeln bezahlt, weil die reichen Jakuten sehr gern damit ihr Kleid verzieren. Dabei sind die Häute der Vorderläufe noch nicht ein mal mitgerechnet; denn diese werden abgenommen und mit 4‘/2 bis 3‘ /2 Rubel das Paar bezahlt. Ein Fell des Luchses wird dort drei Zobel fellen (ohne Schnauze) oder sechs Wolfs-, zwölf Fuchs– und hundert Eichhornfellen im Werthe gleichgestellt.