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Текст книги "Durch die Wüste"


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Автор книги: Karl May


Жанр: Классическая проза, Классика


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»Faßt ihn!« gebot der Wekil seinen Soldaten, indem er auf mich zeigte.

Ich erwartete, daß sie mich sofort packen würden, sah aber zu meiner Verwunderung, daß es ganz anders kam. Der Unteroffizier nämlich trat vor die Fronte der Seinigen und kommandierte:

»Komyn silahlari – legt die Gewehre weg!«

Alle bückten sich zugleich, legten ihre Flinten auf den Boden und kehrten dann in ihre vorige Haltung zurück.

»Döndürmek sagha – rechts umgedreht!«

Sie machten halbe Wendung rechts und standen nun in einer Reihe hinter einander.

»Gityn erkek tschewresinde, koschyn-iz – nehmt den Mann in die Mitte, marsch!«

Wie auf dem Exerzierplatze erhoben sie den linken Fuß; der Flügelmann markierte »sol – sagha, sol – sagha – links – rechts, links – rechts!« sie marschierten um mich herum und blieben, als der Kreis gebildet war, auf das Kommando des Unteroffiziers stehen.

»Onu tutmyn – ergreift ihn!«

Zwanzig Hände mit gerade hundert braunen, schmutzigen Fingern streckten sich von hinten und vorn, von rechts und links nach mir aus und faßten mich am Burnus. Die Sache war zu komisch, als daß ich eine Bewegung zu meiner Befreiung hätte machen mögen.

»Dschenabin-iz, bizim – war herifu – Hoheit, wir haben den Kerl!« meldete der Oberstkommandierende der tapfern Truppe.

»Brakyn-jok onu tekrar azad – laßt ihn nicht wieder frei!« gebot der Statthalter mit strenger Miene.

Die hundert Finger krallten sich noch fester und tiefer in meinen Burnus als vorher, und gerade die steife, orientalische Würde, mit der das alles geschah, und die etwas urkomisch Marionettenhaftes hatte, war schuld, daß ich beinahe laut aufgelacht hätte.

Während dieses Vorganges hatte sich Abu en Nassr wieder erhoben. Seine Augen funkelten vor Wut und Rachgier, als er zum Wekil sagte:

»Du wirst ihn erschießen lassen!«

»Ja, er soll erschossen werden; vorher aber werde ich ihn verhören, denn ich bin ein gerechter Richter und mag niemand ungehört verurteilen. Bring deine Anklage vor!«

»Dieser Giaur,« begann der Mörder, »ging mit einem Führer und seinem Diener über den Schott; er traf auf uns und stürzte meinen Gefährten in die Fluten, so daß dieser elend ertrinken mußte.«

»Warum tat er dies?«

»Aus Rache.«

»Wofür wollte er sich rächen?«

»Er hat im Wadi Tarfaui einen Mann getötet; wir kamen dazu und wollten ihn festnehmen, er aber entwischte uns.«

»Kannst du deine Worte beschwören?«

»Beim Barte des Propheten!«

»Das ist genug! – Hast du diese Worte vernommen?« fragte er mich dann.

»Ja.«

»Was sagst du dazu?«

»Daß er ein Schurke ist. Er war der Mörder und hat in seiner Anklage die Personen geradezu verwechselt.«

»Er hat geschworen, und du bist ein Giaur. Ich glaube nicht dir, sondern ihm.«

»Frage meinen Diener! Er ist mein Zeuge.«

»Er dient einem Ungläubigen; seine Worte gelten nichts. Ich werde den großen Rat der Oase einberufen lassen, der meine Worte hören und über dich entscheiden wird.«

»Du willst mir nicht glauben, weil ich ein Christ bin, und schenkst dennoch einem Giaur dein Vertrauen. Dieser Mensch ist ein Armenier und also kein Moslem, sondern ein Christ.«

»Er hat beim Propheten geschworen.«

»Das ist eine Niederträchtigkeit und eine Sünde, für die ihn Gott bestrafen wird. Wenn du mich nicht hören willst, so werde ich ihn beim Rate der Oase verklagen.«

»Ein Giaur kann keinen Gläubigen verklagen, und der Rat der Oase könnte ihm nicht das Geringste tun, denn mein Freund besitzt ein Bu-Djeruldu und ist also ein Giölgeda padischahnün, einer, der im Schatten des Großherrn steht.«

»Und ich bin ein Giölgeda senin kyralün, einer, der im Schatten seines Königs wandelt. Auch ich habe ein Bu-Djeruldu; du hast es in deiner Tasche.«

»Es ist in der Sprache der Giaurs geschrieben; ich würde mich verunreinigen, wenn ich es läse. Deine Sache wird noch heute untersucht werden; zunächst aber erhaltet ihr die Bastonnade: du fünfzig, dein Diener sechzig und dein Führer zwanzig Hiebe auf die Fußsohle. Führt sie hinab in den Hof; ich werde nachkommen!«

»Alykomün elleri – nehmt die Hände zurück!« gebot sofort der Unteroffizier.

Die hundert Finger ließen augenblicklich von mir ab.

»Alyn-iz tüfenkleri – hebt die Flinten auf!«

Die Helden stürzten auf ihre Gewehre zu und nahmen sie wieder an sich.

»Wirmyn hep – ütsch – umschließt alle drei!«

Im Nu hatten sie mich, Halef und Omar umringt. Wir wurden hinaus in den Hof geführt, in dessen Mitte sich ein bankartiger Block befand. Seine Beschaffenheit deutete darauf hin, daß er zur Aufnahme derjenigen bestimmt sei, welche die Bastonnade erhalten sollten.

Weil ich selbst mich ruhig gefügt hatte, waren auch meine beiden Gefährten ohne allen Widerstand gefolgt, aber ich sah es in ihren Augen, daß sie nur auf mein Beispiel warteten, um der Posse ein Ende zu machen.

Als wir eine Weile vor dem Blocke gehalten hatten, erschien der Wekil mit Abu en Nassr. Der Schwarze trug den Teppich vor ihnen her, breitete ihn auf dem Boden aus und reichte, als sie sich gesetzt hatten, ihnen Feuer für ihre ausgegangenen Pfeifen. Jetzt deutete der Wekil auf mich.

»Wermyn ona elli – gebt ihm Fünfzig!«

Jetzt war es Zeit.

»Hast du mein Bu-Djeruldu noch in der Tasche?« fragte ich ihn.

»Ja.«

»Gib es mir!«

»Du wirst es niemals zurückerhalten!«

»Warum?«

»Daß sich kein Gläubiger daran verunreinigen kann.«

»Du willst mich wirklich schlagen lassen?«

»Ja.«

»So werde ich dir zeigen, wie es ein Nemsi macht, wenn er gezwungen ist, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen!«

Der kleine Hof war an drei Seiten von einer hohen Mauer und an der vierten von dem Gebäude umschlossen; es gab keinen andern Ausgang als denjenigen, durch welchen wir eingetreten waren. Zuschauer gab es nicht; wir waren also drei gegen dreizehn. Die Waffen hatte man uns gelassen, so erforderte es der ritterliche Gebrauch der Wüste; der Wekil war völlig unschädlich, ebenso auch seine Soldaten, und nur Abu en Nassr konnte gefährlich werden. Ich mußte ihn vor allen Dingen kampfunfähig machen.

»Hast du eine Schnur?« fragte ich Omar leise.

»Ja; meine Burnusschnur.«

»Mache sie los!« Und gegen Halef fügte ich hinzu: »Du springst zum Ausgang und lässest keinen Menschen durch!«

»Verschaffe sie dir!« hatte indessen der Wekil geantwortet.

»Sogleich!«

Mit diesen Worten sprang ich ganz plötzlich zwischen den Soldaten hindurch und auf Abu en Nassr zu, riß ihm die Arme auf den Rücken und drückte ihm das Knie so fest auf den Nacken, daß er sich in seiner sitzenden Stellung nicht zu rühren vermochte.

»Binde ihn!« gebot ich Omar.

Dieser Befehl war eigentlich überflüssig, denn Omar hatte mich sofort begriffen und war bereits dabei, seine Schnur um die Arme des Armeniers zu schlingen. Ehe nur eine Bewegung gegen uns geschehen konnte, war er gefesselt. Mein plötzlicher Angriff hatte den Wekil und seine Leibwache so perplex gemacht, daß sie mich ganz konsterniert anstaunten. Ich zog jetzt mit der Rechten mein Messer und faßte ihn mit der Linken am Genick. Er streckte vor Entsetzen Arme und Beine von sich, als ob er bereits vollständig tot sei; desto mehr Leben aber kam in die Soldaten.

»Hatschyn, aramin imdadi – reißt aus, bringt Hilfe!« brüllte der Onbaschi, der zuerst die Sprache wiedergefunden hatte.

Sein Säbel wäre ihm hinderlich geworden, er warf ihn weg und rannte dem Ausgange zu; die andern folgten ihm. Dort aber stand bereits der wackere Halef mit schußfertigem Gewehre.

»Geri; durar-siz bunda – zurück! Ihr bleibt hier!« rief er ihnen entgegen.

Sie stutzten, wandten sich um und sprangen nach allen vier Richtungen auseinander, um Schutz in den Mauerecken zu suchen.

Auch Omar hatte sein Messer gezogen und stand mit finsterem Blick bereit, es Abu en Nassr in das Herz zu stoßen.

»Bist du tot?« fragte ich den Wekil.

»Nein, aber du wirst mich töten?«

»Das kommt auf dich an, du Inbegriff aller Gerechtigkeit und Tapferkeit. Aber ich sage dir, daß dein Leben an einem dünnen Haare hängt.«

»Was verlangst du von mir, Sihdi?«

Noch ehe ich antwortete, erscholl der angstvolle Ruf einer Weiberstimme. Ich blickte auf und bemerkte eine kleine dicke, weibliche Gestalt, welche vom Eingange her mit möglichster Anstrengung auf uns zuge–kugelt kam.

»Tut – halt!« rief sie mir kreischend zu. »Oeldirme onu; dir benim kodscha – töte ihn nicht; er ist mein Mann!«

Also diese dicke, runde Madame, welche unter ihrer dichten Kleiderhülle mit wahrhaft schwimmähnlichen Bewegungen auf mich zusteuerte, war die gnädige Frau Statthalterin. Jedenfalls hatte sie von dem mit einem Holzgitter versehenen Frauengemache aus der interessanten Exekution zusehen wollen und zu ihrem Entsetzen bemerken müssen, daß dieselbe jetzt an ihrem Ehegatten vollzogen werden solle. Ich fragte ihr ruhig entgegen:

»Wer bist du?«

»Im kary wekilün, ich bin das Weib des Wekil,« antwortete sie.

»Ewet, dir benim awret, gül Kbillinün – ja, sie ist mein Weib, die Rose von Kbilli,« bestätigte ächzend der Statthalter.

»Wie heißt sie?«

»Demar-im Mersinah – ich heiße Mersinah,« berichtete sie.

»He, demar Mersinah – ja, sie heißt Mersinah,« ertönte das Echo aus dem Munde des Wekil.

Also sie war die »Rose von Kbilli« und hieß Mersinah, d.i. Myrte. Einem so zarten Wesen gegenüber mußte ich nachgiebig sein.

»Wenn du mir die Morgenröte deines Antlitzes zeigst, o Blume der Oase, so werde ich meine Hand von ihm nehmen,« sagte ich.

Sofort flog der Jaschmak, der Schleier, von ihrem Angesichte. Sie hatte lange Zeit unter den Arabern gelebt, deren Frauen unverhüllt gehen, und war also weniger zurückhaltend geworden, als unter andern Verhältnissen die Türkinnen sein müssen. Uebrigens handelte es sich hier, wie sie dachte, um das kostbare Leben ihres Eheherrn.

Ich blickte in ein farbloses, mattes, verschwommenes Frauenangesicht, welches so fett war, daß man die Augen kaum und das Stumpfnäschen beinahe gar nicht unterscheiden konnte. Madame Wekil war vielleicht vierzig Jahre alt, hatte aber die Folgen dieses Alters durch hochgemalte, schwarze Augenbrauen und rot angestrichene Lippen zu paralysieren gesucht. Zwei schwarze, mittels einer Kohle je auf der Mitte der Wange hervorgebrachte Punkte gaben ihr ein pittoreskes Aussehen, und als sie jetzt die Vorderarme aus der Hülle streckte, bemerkte ich, daß sie nicht bloß die Nägel, sondern auch die ganzen Hände mit Henna rot gefärbt hatte.

»Ich danke dir, du Sonne vom Dscherid!« schmeichelte ich. »Wenn du mir versprichst, daß der Wekil ruhig sitzen bleibt, soll ihm jetzt kein Leid geschehen.«

»Kaladschak-dir – er wird sitzen bleiben; ich verspreche es dir!«

»So mag er es deiner Lieblichkeit danken, daß ich ihn nicht zerdrücke wie eine Indschir, wie eine Feige, die in der Presse liegt, um getrocknet zu werden. Deine Stimme gleicht der Stimme der Flöte; dein Auge glänzt wie das Auge der Sonne; deine Gestalt ist wie die Gestalt von Scheherezade. Nur dir allein bringe ich das Opfer, daß ich ihn leben lasse!«

Ich nahm die Hand von ihm; er richtete sich auf, indem er erleichtert stöhnte, blieb aber gehorsam in seiner sitzenden Stellung. Sie betrachtete mich sehr aufmerksam vom Kopfe bis zu den Füßen herab und fragte dann mit freundlichem Tone:

»Wer bist du?«

»Ich bin ein Nemsi, ein Fremdling, dessen Heimat weit drüben über dem Meere liegt.«

»Sind eure Frauen schön?«

»Sie sind schön, aber sie gleichen doch nicht den Frauen am Schott El Kebihr.«

Sie nickte, befriedigt lächelnd, und ich sah es ihr an, daß ich Gnade vor ihren Augen gefunden hatte.

»Die Nemsi sind sehr kluge, sehr tapfere und sehr höfliche Leute, das habe ich schon oft gehört,« entschied sie. »Du bist uns willkommen! Doch warum hast du diesen Mann gebunden; warum fliehen unsere Soldaten vor dir, und warum wolltest du den mächtigen Statthalter töten?«

»Ich habe diesen Mann gebunden, weil er ein Mörder ist; deine Soldaten flohen vor mir, weil sie merkten, daß ich sie alle besiegen würde, und den Wekil habe ich gebunden, weil er mich schlagen und dann vielleicht sogar zum Tode verurteilen wollte, ohne mir Gerechtigkeit zu geben.«

»Du sollst Gerechtigkeit haben!«

Da wollte sich mir die Ueberzeugung aufdrängen, daß der Pantoffel im Oriente dieselbe zauberische Kraft besitzt, wie im Abendlande. Der Wekil sah seine Autorität bedroht und machte einen Versuch, sie wieder herzustellen:

»Ich bin ein gerechter Richter und werde – – —«

»Sus-olmar-sen – du wirst schweigen!« gebot sie ihm. »Du weißt, daß ich diesen Menschen kenne, der sich Abu en Nassr, Vater der Sieger, nennt; er sollte sich aber Abu el Jalani, Vater der Lügner, nennen. Er war schuld, daß man dich nach Algier schickte, grad als du Mülasim werden konntest; er war schuld, daß du dann nach Tunis kamst und hier in dieser Einsamkeit vergraben wurdest, und so oft er hier bei dir war, mußtest du etwas tun, was dir Schaden brachte. Ich hasse ihn, ich hasse ihn und habe nichts dagegen, daß dieser Fremdling hier ihn tötet. Er hat es verdient!«

»Er kann nicht getötet werden; er ist ein Giölgeda padischahnün!«

»Tut aghyzi, halte den Mund! Er ist ein Giölgeda padischanün, das heißt, er steht im Schatten des Padischah; dieser Fremdling aber ist ein Giölgeda wekilanün, das heißt, er steht im Schatten der Statthalterin, in meinem Schatten, hörst du? Und wer in meinem Schatten steht, den soll deine Hitze nicht verderben. Steh auf und folge mir!«

Er erhob sich; sie wandte sich zum Gehen, und er machte Miene, sich ihr anzuschließen. Das war natürlich ganz gegen meine Absicht.

»Halt!« gebot ich, indem ich ihn nochmals beim Genick faßte. »Du bleibst da!«

Da wandte sie sich um.

»Hast du nicht gesagt, daß du ihn freigeben willst?« fragte sie.

»Ja, doch nur unter der Bedingung, daß er an seinem Platze bleibt.«

»Er kann doch nicht in alle Ewigkeit hier sitzen bleiben!«

»Du hast recht, o Perle von Kbilli; aber er kann jedenfalls so lange hier bleiben, bis meine Angelegenheit erledigt ist.«

»Die ist bereits erledigt.«

»Inwiefern?«

»Habe ich dir nicht gesagt, daß du uns willkommen bist?«

»Das ist richtig.«

»Du bist also unser Gast und sollst mit den Deinen so lange bei uns wohnen, bis es dir gefällig ist, uns wieder zu verlassen.«

»Und Abu en Nassr, den du Abu el Jalani genannt hast?«

»Er bleibt dein, und du kannst mit ihm machen, was du willst.«

»Ist das wahr, Wekil?«

Er zögerte, eine Antwort zu geben, doch ein strenger Blick aus den Augen seiner Herrin zwang ihn, zu sprechen:

»Ja.«

»Du schwörst es mir?«

»Ich schwöre es.«

»Bei Allah und seinem Propheten!«

»Muß ich?« fragte er Madame, die Rose von Kbilli.

»Du mußt!« antwortete sie sehr entschieden.

»So schwöre ich es bei Allah und dem Propheten.«

»Nun darf er mit mir gehen?« fragte sie mich.

»Er darf,« antwortete ich.

»Du wirst nachkommen und mit uns einen Hammel mit Kuskussu speisen.«

»Hast du einen Ort, an dem ich Abu en Nassr sicher aufbewahren kann?«

»Nein. Binde ihn an den Stamm der Palme dort an der Mauer. Er wird dir nicht entfliehen, denn ich werde ihn durch unsere Truppen bewachen lassen.«

»Ich werde ihn selbst bewachen,« antwortete Omar an meiner Stelle. »Er wird mir nicht entfliehen, sondern mit seinem Tode das Leben meines Vaters bezahlen. Mein Messer wird so scharf sein, wie mein Auge.«

Der Mörder hatte von dem Augenblick seiner Fesselung an nicht das kleinste Wort gesprochen; aber sein Auge glühte tückisch und unheimlich auf uns, als er uns nach der Palme folgen mußte, an welcher wir ihn festbanden. Es lag wahrhaftig nicht in meiner Absicht, ihm das Leben zu nehmen; aber er war der Blutrache verfallen, und ich wußte, daß keine Bitte meinerseits Omar vermocht hätte, ihn zu begnadigen. Ed d‘em b‘ed d‘em, oder wie der Türke sagt, kan kanü ödemar, das Blut bezahlt das Blut. Am liebsten wäre es mir trotz allem gewesen, wenn es ihm gelingen konnte, ohne meine Mitwissenschaft zu entwischen; aber so lange ich mich auf seiner Fährte befunden hatte und so lange er sich in meiner Gewalt befand, mußte ich ihn als Feind und Mörder betrachten und also auch als solchen behandeln. Gewiß war es auf alle Fälle, daß er mich nicht schonen würde, falls ich das Unglück haben sollte, in seine Hand zu fallen.

Ich ließ ihn also in der Obhut Omars und begab mich mit Halef nach dem Selamlük. Unterwegs fragte mich der kleine Diener:

»Du sagtest, dieser Mensch sei kein Moslem. Ist dies wahr?«

»Ja. Er ist ein armenischer Christ und gibt sich da, wo er es für geboten hält, für einen Mohammedaner aus.«

»Und du hältst ihn für einen schlechten Menschen?«

»Für einen sehr schlechten.«

»Siehst du, Effendi, daß die Christen schlechte Menschen sind! Du mußt dich zum wahren Glauben bekennen, wenn du nicht in alle Ewigkeit in der Dschehenna braten willst!«

»Und du wirst selbst so lange darin braten!«

»Weshalb?«

»Hast du mir nicht erzählt, daß im Derk Asfal, in der siebenten und tiefsten Hölle, alle Lügner und Heuchler braten und die Teufelsköpfe vom Baume Zakum essen müssen?«

»Ja, aber was habe ich damit zu schaffen?«

»Du bist ein Lügner und Heuchler!«

»Ich, Sihdi? Meine Zunge redet die Wahrheit, und in meinem Herzen ist kein Falsch. Wer mich so nennt, wie du mich nanntest, den wird meine Kugel treffen!«

»Du lügst, Mekka gesehen zu haben, und heuchelst, ein Hadschi zu sein. Soll ich das dem Wekil erzählen?«

»Aman, aman, verzeihe! Das wirst du nicht tun an Hadschi Halef Omar, dem treuesten Diener, den du finden kannst!«

»Nein, ich werde es nicht tun; aber du kennst auch die Bedingung, unter welcher ich schweige.«

»Ich kenne sie und werde mich in acht nehmen, doch wirst du dennoch ein wahrer Gläubiger werden, du magst nun wollen oder nicht, Sihdi!«

Wir traten ein und wurden bereits von dem Wekil erwartet. Es war keineswegs die freundlichste Miene, mit welcher er mich empfing.

»Setze dich!« lud er mich ein.

Ich folgte seiner Aufforderung und nahm hart neben ihm Platz, während Halef sich mit den Pfeifen zu tun machte, welche man mittlerweile in einer Ecke des Raumes bereitgestellt hatte.

»Warum wolltest du das Angesicht meines Weibes sehen?« begann die Unterhaltung.

»Weil ich ein Franke bin, der gewohnt ist, stets das Angesicht dessen zu sehen, mit dem er spricht.«

»Ihr habt schlechte Sitten! Unsere Frauen verbergen sich, die eurigen aber lassen sich sehen. Unsere Frauen tragen Kleider, die oben lang und unten kurz sind; die eurigen aber haben Gewänder, welche oben kurz und unten lang, oft auch oben und unten zugleich kurz sind. Habt ihr jemals eine unserer Frauen bei euch gesehen? Eure Mädchen aber kommen zu uns, und weshalb? O jazik, o wehe!«

»Wekil, ist das die Gastfreundschaft, welche mir von euch geboten wurde? Seit wann ist es Sitte geworden, den Gastfreund mit einer Beleidigung zu empfangen? Ich brauche weder deinen Hammel noch dein Kuskussu und werde wieder hinuntergehen in den Hof. Folge mir!«

»Effendi, verzeihe mir! Ich wollte dir nur sagen, was ich dachte, aber ich wollte dich nicht beleidigen.«

»Wer nicht beleidigen will, darf nicht stets sagen, was er denkt. Ein schwatzhafter Mann gleicht einem zerbrochnen Topfe, den niemand brauchen kann, weil er nichts bewahrt.«

»Setze dich wieder nieder, und erzähle mir, wo du Abu en Nassr getroffen hast.«

Ich erstattete ihm ausführlichen Bericht von unserem Abenteuer. Er hörte schweigend zu und schüttelte sodann den Kopf.

»Du glaubst also, daß er den Kaufmann in Blidah ermordet hat?«

»Ja.«

»Du warst nicht dabei!«

»Ich schließe es.«

»Nur Allah darf schließen; er ist allwissend, und des Menschen Gedanke ist wie der Reiter, den ein ungehorsames Pferd dorthin trägt, wohin er nicht kommen wollte.«

»Nur Allah darf schließen, weil er allwissend ist? O Wekil, dein Geist ist müde von den vielen Hammeln mit Kuskussu, die du gegessen hast! Eben weil Allah allwissend ist, braucht er nicht zu schließen; wer schließt, der sucht ein Ergebnis seiner Folgerungen, ohne es vorher zu kennen.«

»Ich höre, daß du ein Taleb bist, ein Gelehrter, der viele Schulen besucht hat, denn du sprichst in Worten, die niemand verstehen kann. Und du glaubst auch, daß er den Mann im Wadi Tarfaui getötet hat?«

»Ja.«

»Warst du dabei?«

»Nein.«

»So hat es dir der Tote erzählt?«

»Wekil, die Hammel, welche du verzehrtest, hätten gewußt, daß ein Toter nicht mehr sprechen kann!«

»Effendi, jetzt sprichst du selbst eine Unhöflichkeit! Also du warst nicht dabei, und der Tote konnte es dir nicht sagen; woher also willst du wissen, daß er ein Mörder ist?«

»Ich schließe es.«

»Ich habe dir bereits gesagt, daß nur Allah schließen darf!«

»Ich habe seine Spur gesehen und verfolgt, und als ich ihn traf, hat er mir den Mord eingestanden.«

»Daß du seine Spur gefunden hast, ist kein Beweis, daß er ein Mörder ist, denn mit einer Spur hat noch niemand einen Menschen erschlagen. Und daß er dir den Mord eingestanden hat, das macht mich nicht irre; er ist ein Kusch-schakanün, ein Spaßvogel, dessen Absicht es war, sich einen Scherz zu machen.«

»Mit einem Morde spaßt man nicht!«

»Aber mit einem Menschen, und der warst du. Und du glaubst auch endlich, daß er den Führer Sadek erschossen hat?«

»Ja.«

»Du warst dabei?«

»Allerdings.«

»Und hast es gesehen?«

»Sehr deutlich. Auch Hadschi Halef Omar ist Zeuge.«

»Nun wohl, so hat er ihn erschossen; aber willst du wirklich deshalb sagen, daß er ein Mörder sei?«

»Natürlich!«

»Sihdi, Allah stärke deine Gedanken, denn du sollst gleich einsehen, daß der Mensch nicht schließen soll!«

»Nun?«

»Weil du Zeuge bist, daß er den Führer erschossen hat, schließest du, daß er ein Mörder sei?«

»Das versteht sich doch ganz von selbst.«

»Falsch! Wenn es nun eine Blutrache gewesen wäre. Gibt es in deinem Lande keine Blutrache?«

»Nein.«

»So sage ich dir, daß der Bluträcher niemals ein Mörder ist. Kein Richter verdammt ihn; nur diejenigen, zu denen der Tote gehörte, haben das Recht, ihn zu verfolgen.«

»Aber Sadek hat ihn nicht beleidigt!«

»So wird ihn der Stamm beleidigt haben, zu welchem Sadek gehörte.«

»Auch das ist nicht der Fall. Wekil, ich will dir sagen, daß ich meinerseits mit diesem Abu en Nassr, der eigentlich Hamd el Amasat heißt und schon vorher wohl auch noch einen armenischen Namen getragen hat, gar nichts zu schaffen haben mag, sobald er mich in Ruhe läßt. Aber er hat den Führer Sadek erschlagen, dessen Sohn Omar Ben Sadek ist, und dieser letztere hat also, wie du vorhin selbst erklärtest, ein Recht auf das Leben des Mörders. Mache es mit ihm ab, doch sorge auch dafür, daß mir dieser Vater der Sieger nicht wieder begegnet, sonst rechne ich mit ihm ab!«

»Sihdi, jetzt trieft deine Rede von Weisheit. Ich werde mit Omar sprechen, der ihn freigeben soll; du aber bist mein Gast, so lange es dir gefällt.«

Er erhob sich und schritt nach dem Hofe. Ich wußte voraus, daß alle seine Bemühungen bei Omar vergeblich sein würden. Wirklich kehrte er nach einer Zeit mit finsterer Miene zurück und blieb auch schweigsam, als der am Spieße gebratene Hammel aufgetragen wurde, den die lieblichen Hennafinger der »Rose von Kbilli« zubereitet hatten. Ich und Halef, wir langten wacker zu, und eben hatte mir der Wekil gesagt, daß Omar seine Mahlzeit hinaus in den Hof bekommen solle, da er nicht zu bewegen sei, von seinem Gefangenen fortzugehen, als draußen ein lauter Schrei erscholl. Ich horchte auf, und der Ruf wiederholte sich:

»Breh, Effendina, zu Hilfe!«

Dieser Ruf galt mir. Ich sprang auf und eilte hinaus. Omar lag an der Erde und balgte sich mit den Soldaten herum, der Gefangene aber war nicht zu sehen. Am andern Ausgange aber stand der Schwarze und grinste mir mit schadenfroher Miene entgegen:

»Fort, Sihdi – dort reiten!«

Drei Schritte brachten mich vor das Haus, und ich sah Abu en Nassr eben zwischen den Palmen verschwinden. Er ritt ein Eilkamel, welches einen ganz famosen Schritt zu haben schien. Ich erriet alles. Der Wekil war erfolglos im Hofe gewesen, aber er wollte Abu en Nassr retten; er hatte dem Schwarzen den Befehl gegeben, das Kamel bereit zu halten, und den Soldaten befohlen, Omar zu halten und den Gefangenen loszuschneiden. Die elf mutigen Helden hatten sich an diesen einen gewagt, und der Streich war gelungen.

Freilich hatten sie dieses Gelingen teuer bezahlt. Omar hatte sein Messer gebraucht, und als ich den Knäuel, den die Kämpfenden bildeten, auseinanderbrachte, sah ich, daß mehrere von ihnen bluteten.

»Er ist fort, Sihdi!« keuchte der junge Führer vor Wut und Anstrengung.

»Ich sah es.«

»Wohin?«

»Dorthin.«

Ich deutete mit der Hand die Himmelsrichtung an.

»Strafe du diese hier, Effendi, ich aber werde dem Entflohenen nachjagen.«

»Er saß auf einem Reitkamele.«

»Ich werde ihn dennoch ereilen.«

»Du hast kein Tier!«

»Sihdi, ich habe hier Freunde, welche mir ein edles Tier geben werden, und Datteln und Wasserschläuche. Ehe er am Horizonte verschwindet, werde ich auf seiner Spur sein. Du wirst auch die meinige finden, wenn du mir nachkommen willst.«

Er eilte von dannen.

Halef hatte alles gesehen und mir auch geholfen, Omar aus den Händen der Soldaten zu befreien. Er glühte vor Zorn.

»Warum habt ihr diesen Menschen befreit, ihr Hunde, ihr Abkömmlinge von Mäusen und Ratten – – —«

Er hätte sicherlich seine Strafpredigt fortgesetzt, wenn nicht die Wekila auf dem Platze erschienen wäre. Sie war wieder dicht verschleiert.

»Was ist geschehen?« fragte sie mich.

»Deine Truppen sind über meinen Führer hergefallen —«

»Ihr Schurken, ihr Buben!« rief sie, mit dem Fuße stampfend und die roten Fäuste durch die Hülle zwängend.

»Und haben den Gefangenen befreit – – —«

»Ihr Spitzbuben, ihr Betrüger!« fuhr sie fort, und es hatte allen Anschein, als ob sie sich an ihnen vergreifen werde.

»Auf Befehl des Wekil,« fügte ich hinzu.

»Des Wekil? – Der Wurm, der Ungehorsame, der Unnütze, der Trotzkopf! Meine Hand soll über ihn kommen, und zwar sogleich, in diesem Augenblick!«

Sie wandte sich um und ruderte in vollem Zorne nach dem Selamlük.

O du beglückende Pantoffelherrschaft, dein Zepter ist ganz dasselbe im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen!

Halef machte ein sehr befriedigtes Gesicht und meinte:

»Sie ist der Wekil und er die Wekila, und wir stehen uns hier besser im Giölgeda wekilanün, im Schatten der Statthalterin, als wenn wir ein Bu-Djeruldu hätten und der Giölgeda padischahnün, der Schatten des Großherrn, uns beschützte. Hamdulillah, Preis sei Allah, daß ich nicht so glücklich bin, der Wekil dieser Statthalterin zu sein!«


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