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Автор книги: Курт Тухольский


Жанр: Юмористическая проза, Юмор


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Der Hellseher

Erschienen im April 1930

– „Sie… sind Hellseher?“

– „Ich bin von Haus aus[18]18
  von Hause aus – изначально, первоначально; по натуре


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eigentlich Schwarzseher – nun verbinde ich diese beiden Berufe…“

– „Erfolge?“

– „Im Mai des Jahres 1914 notierte ich im Büchelchen: ‚Was wäre, wenn…‘ und wollte dartun, was sich begäbe, wenn es zu einem Kriege käme. Begeisterung Unter den Linden, allgemeiner Umfall…“

– „Wo haben Sie diese Arbeit veröffentlicht[19]19
  eine Arbeit veröffentlichen – опубликовать труд


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?“

– „Ich war zu faul, sie niederzuschreiben.“

– „Das kann jeder sagen. Wussten Sie denn, dass es einen Krieg geben würde?“

– „So wenig wie ich sechs Tage vor Rathenaus Tod wusste, dass er gekillt werden würde. Trotzdem stieß ich am 22. Juni 1922 einen Kassandra[20]20
  Kassandra – персонаж греческой мифологии; жрица, чьим предсказаниям никто не верил, предсказала падение Трои


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-Ruf aus: Was wäre, wenn…“

– „Und – wie sehen Sie heute? Hell? Schwarz? Hell? Bitte setzen Sie sich. Aber legen Sie nicht die Hand auf die Augen… mit mir müssen Sie das nicht machen. Sagen Sie nur, was Sie wissen. Putsch?“

– „Putsch trocken. Ich sehe kein Blut. Ich sehe die aufgeregte Insel Deutschland. Fascismus Lagerbräu.“

– „Erklären Sie sich näher.“

– „Wozu ein Putsch? Die Herren haben ja beinahe alles, was sie brauchen: Verwaltung, Richter, Militär, Schule, Universität – wozu ein Putsch? Immerhin… es ist Frühling… in Deutschland geschieht nie etwas, aber in den Köpfen steht: es muss etwas geschehn. Es kann schon etwas geschehn. Was wäre, wenn…“

– „Nehmen Sie etwas Kaffee. Es ist gar kein Kaffee, aber nehmen Sie nur etwas Kaffee, also: der deutsche Fascismus. Was wäre, wenn…?“

– „Der Stahlhelm, sorgsam gepflegt unter dem freundlichen Patronat einer Regierung, in der die Sozialisten stets auf die Koalition hinwiesen und in der die Rechten so taten, als wären sie ganz allein… der Stahlhelm wird aufmarschieren. Geld hat er. Gedrillt ist er. Passieren kann ihm nichts.“

– „Warum nicht —?“

– „Weil er die Verwaltung wachsen hört. Weil er alles, was jemals eine Behörde gegen ihn unternimmt, wenn es eine wagte, etwas zu unternehmen, achtundvierzig Stunden vorher weiß.“

– „Durch wen?“

– „Durch seine Leute, die die Verwaltung durchsetzen wie der Schimmel den Käse.“

– „Die Regierung?“

– „Die Regierung weiß es, will nichts wissen, ahnt es, möchte nichts ahnen… der Stahlhelm weiß.“

– „Die Hitlerleute?“

– „Halb so schlimm[21]21
  Halb so schlimm – это еще полбеды


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. Furchtbar viel Geschrei; Brutalitäten; Freude an organisiertem Radau; Freude an der Uniform, den Lastwagen und dem Straßenaufmarsch… halb so schlimm. Vorspann – sobald sie den ersten Ruck gegeben haben, wird man sie bremsen, die armen Kerle. Es wird da große Enttäuschungen geben.“

– „Und was wird geschehen?“

– „Äußerlich nicht so sehr viel. Kleine lokale Widerstände der Arbeiter; die sind aber gespalten, desorganisiert, waffenlos, niedergebügelt von einer jahrelangen Vorbereitungsarbeit der Justiz. Die Besten sind nicht mehr. Die Zweitbesten hocken in den Zellen. Der Rest steht auf – und legt sich gleich wieder hin. Müde. Enttäuscht. Ausgehungert. Stempeln, stempeln, stempeln.“

– „Ausrufung der Diktatur? Absetzung des Reichspräsidenten?“

– „Wo denken Sie hin! Mussolini hat seinen kleinen König; die hier haben ihren breiten Hindenburg. Der bleibt. Der Reichstag wird so gut wie nach Hause geschickt… niemand wird ihn vermissen. Denn was die da in den letzten Jahren getrieben haben: so etwas von Leerlauf, von Selbstzweck, von Insicharbeit… so etwas war noch nicht da. Eine Karikatur des Parlamentarismus. Der ist fertig. Ein Direktorium, ein Ausschuss, irgend etwas mit harmlos-hochtönendem Namen, das wird regieren.“

– „Und wie?“

– „Immer verfassungstreu, oho! Druck mit staatsfeindlichen[22]22
  staatsfeindliche Hetze – агитация, направленная против основ государственного строя, антигосударственная агитация


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Mitteln auf den Staat – und dann verfassungstreu. Wie sie regieren werden? Viel harmloser, als die maßlos enttäuschten, aber bald gebändigten Kleinbürger glauben. Deren radikale Flügel werden rasch unterdrückt; auch Herr Hitler hat seine Schuldigkeit getan und kann gehn. Es wird keine Revolution sein, so wenig wie die von 1918 eine gewesen ist – Personalböen werden sie machen…“

– „Bitte, klarer. Was sind Personalböen?“

– „Stürme in den Wassergläsern der Ressorts. Absägung der unbequemen Regierungssozialisten; Pensionierung von ein paar hundert Konzessionsschulzen, die sich schlecht und recht[23]23
  schlecht und recht – кое-как


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durchgebuttert hatten, bis zu diesem Augenblick – und die kindlich erstaunt waren, als es nun so weit war. Die Brüder hatten nie etwas andres gesehen als ‚Realitäten‘ – also gar nichts. Von der wahren Kräfteverteilung im Lande fühlten sie nichts; hier mussten ihre Informationen versagen, denn statistisch läßt sich dergleichen nicht erfassen. Die werden verschwinden. Nun wird Deutschland stramm natio-nalliberal.“

– „Mehr nicht?“

– „Mehr nicht. Mehr ist gar nicht zu erzielen. Das wussten Schacht, Nicolai, selbst Seldte längst, ein paar Nazis wussten es auch, brüllten aber um des liebes Krieges willen[24]24
  um… willen – ради чего-либо, кого-либо


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mit den andern mit. Außenpolitisch: eine Art Friede mit denen da draußen; verklausulierte Weiterzahlung der Schmachtribute, natürlich… wer kann denn auf den Mond fliegen? Platonische Liebe zu Italien, vergessen Südtirol; vage Noten an Frankreich, da geht Briand; Hin und Her; Verhandlungen mit England, mit Genf… und an alle: Versprechen der absoluten Bolschewisten-Feindschaft. Das beruhigt ungemein. Was glauben Sie: Deutschland als Hort gegen Russland! Eine sehr schöne Melodie.“

– „Also… innenpolitisch?“

– „Nicht, was Sie denken. Ein paar Zuchthausstrafen… ein paar Roheiten gegen die Juden… gegen eine Handvoll Republikaner… Beschränkung des Reichsbanners… Verbot der KPD[25]25
  KPD [ka’pe:de] – сокр Kommunistische Partei Deutschlands ист. КПГ, Коммунистическая партия Германии


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. – weiter nichts. Ja, und die Beamten werden wieder flegelhaft.“

– „Sozialversicherungen?“

– „Zeitweiser Abbau – aber auch der halb so schlimm in seiner Auswirkung. Das ginge ja gar nicht. Man wird einiges plakatieren und vieles stehen lassen. Was wirklich abgebaut wird, das wird die Kampfkraft der Arbeiter sein. Auch die zahmsten Gewerkschaften werden nichts zu lachen haben.“

– „Also… nehmen Sie noch etwas Kaffee, also Jubel im Lande?“

– „Gott, ja. Zunächst die übliche Verwirrung, an der Börse. Ach, diese Nase der Börse! Sie riecht alles, was in der Luft liegt – nachher. Übrigens ist es ihnen gleich. Die Börse wird nicht geschlossen werden, und der Kurfürstendamm, dessen Bewohner sich ein paar Tage ängstlich zu Hause halten oder verreisen, wird nicht gestürmt. Pogrome? Nein… Dann atmen sie wieder auf. Und alles geht weiter. Eigentlich, werden sie sagen, eigentlich ist ja alles gar nicht so schlimm.“

– „Die Zeitungen?“

– „Alle Obrigkeit kommt von Gott. Man muss sich nicht gegen das Gegebene auflehnen – das bekommt dem Inseratengeschäft nicht. Es sind Musterschüler; sie werden eine gute Zensur bekommen. Nach vier Wochen ist Ruhe im Lande… ‚Wenn auch… so doch immerhin…‘ “

– „Schlafen Sie nicht ein!“

– „Verzeihen Sie: ich sah im Geiste[26]26
  im Geiste – мысленно, в душе


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Leitartikel. Geben Sie mir bitte noch etwas Kaffee. Auch in den Provinzstädten wird man auf die Dauer nicht zufrieden sein. Gewiss, die Jugend ist verhetzter als je[27]27
  als je – чем когда-либо


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, die Studenten hochfahrender, die Umzüge zahlreicher… aber die Jugend hat im Grunde andre Sorgen. Und dann eben… langsam… die Enttäuschung…“

– „Worüber?“

– „Dass Berlin nicht dem Erdboden gleichgemacht[28]28
  dem Erdboden gleichmachen – сровнять с землей; разрушить до основания; стереть с лица земли


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ist. Dass die Not andauert. Dass auch jetzt nicht die Arbeitsgelegenheiten aus der Luft geflogen kommen. Dass die Butter nicht billiger wird. Leise, ganz leise kommt die Unzufriedenheit. Davon spricht aber kaum einer.“

– „Die öffentliche Meinung?“

– „Bewusst entpolitisiert, bei einem Höchstmaß von politischen Schlagworten. Bündischer[29]29
  Bündische Jugend – ист. молодежное движение в Германии (после I Мировой)


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Unfug… Demonstrationen… Fahnen… im übrigen lenkt uns eine hochwohlweise Regierung. Das haben die Deutschen immer so gehalten[30]30
  etw. ist so gehalten – так заведено


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. Verloren ist allerdings, wer in diesen Jahren der Justiz in die Finger fällt[31]31
  j-m in die Finger fallen – попасться в руки кому-л.


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. Mit dem ist es dann aus[32]32
  mit j-m ist es aus – ему труба, крышка


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. Kurz: es ist eine Nachahmung des Fascismus – so, wie sie alles nach-ahmen… wie sie nicht einmal fähig sind, sich eine Bewegung für sich und aus sich heraus zu schaffen. Der Marsch auf Rom! Das war ein faszinierender Filmtitel. Auf Berlin marschieren sie gar nicht. Nach Berlin werden sie nur fahren, wenn sie sich von der Mittelstadt erholen wollen. In Berlin fallen sie nicht auf, wenn sie auf die Weiber gehen. Widerstand —? Verzeihung… ich fühle, dass Sie das fragen wollen… Widerstand? Nein, den finden sie wohl kaum. Von wem denn auch? Von dem bisschen Republik? Die hat in zwölf Jahren nicht verstanden, echte Begeisterung zu wecken, Menschen zur Tat zu erziehen, nicht einmal in ruhigen Lagen, wie denn, wenn es Kopf und Kragen zu riskieren gilt? Widerstand? Lieber Herr, das Land ist so weit entfernt von jeder Revolution! Dies ist ein Volk, das noch nicht einmal liberal ist. Die vielgelästerte Verwestlichung ist gar nicht so tief eingedrungen… sie halten mildübertünchte Korruption für Parlamentarismus, wirres Geschwätz Aller für Selbstbestimmungsrecht, Ressortstank für Politik, Vereinsmeierei für Demokratie… sie sind nie liberal gewesen, auch 48 nicht. Sie spüren nicht, dass die Welt um sie herum anders denkt und anders fühlt… sie spielen ihren politischen Skat ohne Partner. Wirft der andre die Karten hin, dann glauben sie, sie hätten gewonnen. Es ist ein Inselvolk.“

– „Die deutschen Brüder im Ausland?“

– „Werden sich ein paar Unannehmlichkeiten mehr zuziehn. Und das bisschen Kulturfassade, das kleine bisschen deutscher Freiheit – es ist zum Teufel.“

– „Das ist alles?“

– „Das dürfte alles sein. Ob es geschieht, weiß ich nicht. Wenn aber —: dann so. Übrigens… ich bin Hellseher… ich hatte eine Vision: Sie werden mir diese Sitzung honorieren… Ich dachte an hundert Mark?“

– „Hier haben Sie ein Bildnis Hindenburgs. Und lassen Sie sich draußen in der Küche ein paar Butterbrote geben… Gott befohlen[33]33
  Gott befohlen! – с богом!


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, junger Mann!“

– „Heißen Dank, gnädiger Herr. Wenn Sie wieder etwas brauchen: Nepomuk Schachtel, Hellseher und Original-Astrologe mit ff.[34]34
  сокр. от folgende (Seiten) следующие страницы


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indischen Erkenntnissen. Täglich von 9 bis 8, Sonntags geschlossen. Und empfehlen Sie mich in Ihrem werten Bekanntenkreise —!“

Übungen zur Erzählung

I. Übersätzen Sie ins Deutsch:

1. Мы всегда мысленно с вами.

2. Наш город стал красивее, чем когда либо.

3. Когда я напишу книгу, я сразу опубликую свою работу.

4. Первоначально он жил во Франции, но сейчас переехал в Бельгию.

5. Еще полбеды, что ее уволили, ведь теперь она лишилась вида на жительство (die Aufenthaltserlaubnis).


II. Sagen Sie anders:

1. Das Land ist in Begeisterung.

2. Die Gegenwirkung der Bevölkerung war stark.

3. Jeder hat sein eigenes Enttäuschung.

4. Was für eine Profession treiben Sie?

5. Die Gewalt brauchen Menschen um sein Gemeingut zu bewahren.


III. Welches Wort fehlt?

1. Sein Vater war außer sich vor Zorn und konnte die Wohnung dem Erdboden __________________.

2. Keine Katze will den Kindern in die ____________ fallen.

3. Schlecht und ____________ hatten sie überwintern.

4. _______ dieser Arbeit willen vergisst er seine Familie und Freunde.

5. Es ist so ______________, dass der Bräutigam seine Braut entführen soll.

Schlüssel zur Übungen:

I.

1. Wir sind immer mit euch im Geiste.

2. Unsere Stadt wurde schöner als je.

3. Wenn ich mein Buch fertigschreibe, werde ich meine Arbeit sofort veröffentlichen.

4. Er wohnte von Hause aus in Frankreich, aber nun zog er ins Belgien um.

5. Es ist halb so schlimm, dass sie entlassen wurde, weil jetzt sie auch die Aufenthaltserlaubnis verlor.


II.

1. Es ist Jubel im Lande.

2. Der Widerstand war stark.

3. Jeder hat seine eigene Unzufriedenheit.

4. Was sind Sie von Beruf?

5. Die Obrigkeit brauchen Menschen um sein Gemeingut zu bewahren.


III.

1. gleichmachen

2. Finger

3. recht

4. um

5. gehalten

Die brennende Lampe

Wenn ein jüngerer Mann, etwa von dreiundzwanzig Jahren, an einer verlassenen Straßenecke am Boden liegt, stöhnend, weil mit einem tödlichen Gas ringend, das eine Fliegerbombe in der Stadt verbreitet hat; er keucht, die Augen sind aus ihren Höhlen getreten[35]35
  Augen sind aus ihren Höhlen getreten – глаза вылезли из орбит


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, er verspürt einen widerwärtigen Geschmack im Munde, und in seinen Lungen sticht’s, es ist, wie wenn er unter Wasser atmen sollte —: dann wird dieser junge Mensch in einem verzweifelten Blick an den Häusern hinauf, zum Himmel empor, fragen:

Warum —?

Weil, junger Mann, zum Beispiel einmal in einem Buchladen eine sanfte grüne Lampe gebrannt hat. Sie bestrahlte, junger Mann, lauter Kriegsbücher, die man dort ausgestellt hatte; sie waren vom ersten Gehilfen fein um die sanft brennende Lampe herumdrapiert worden, und die Buchhandlung hatte für dieses ebenso geschmackvolle wie patriotische Schaufenster den ersten Preis bekommen[36]36
  ersten Preis bekommen – получить первый приз


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. Deswegen.

Weil, junger Mann, deine Eltern und deine Großeltern auch nicht den leisesten Versuch gemacht haben, aus diesem Kriegsdreck und aus dem Nationalwahn herauszukommen. Sie hatten sich damit begnügt – bitte, stirb noch nicht, ich möchte dir das noch schnell erklären, zu helfen ist dir ohnehin nicht mehr – sie hatten sich damit begnügt, bestenfalls einen allgemeinen, gemäßigten Protest gegen den Krieg loszulassen; niemals aber gegen den, den ihr sogenanntes Vaterland geführt hat, grade führt, führen würde. Man hatte sie auf der Schule und in der Kirche, und, was wichtiger war, in den Kinos, auf den Universitäten und durch die Presse national vergiftet. So vergiftet, wie du heute da liegst: hoffnungslos. Sie sahen nichts mehr. Sie glaubten ehrlich an diese stumpfsinnige Religion der Vaterländer, und sie wussten entweder gar nicht, wie ihr eignes Land aufrüstete: geheim oder offen, je nach den Umständen[37]37
  je nach den Umständen – сообразно с обстоятельствами; смотря по обстоятельствам


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; oder aber sie wussten es, und dann fanden sie es sehr schön. Sehr schön fanden sie das. Deswegen, junger Mann.

Was röchelst du da —? „Mutter?“ – Ah, nicht doch. Deine Mutter war erst Weib und dann Mutter, und weil sie Weib war, liebte sie den Krieger und den Staatsmörder und die Fahnen und die Musik und den schlanken, ranken Leutnant. Schrei nicht so laut; das ist so gewesen. Und weil sie ihn liebte, hasste sie alle die, die ihr die Freude an ihrer Freude verderben wollten. Und weil sie das liebte, und weil es keinen öffentlichen Erfolg ohne Frauen geben kann, so beeilten sich die liberalen Zeitungsleute, brave Familienväter, die viel zu feige waren, auch nur ihren Portier zu ohrfeigen, so beeilten sie sich, den Krieg zu lobpreisen, halb zu verteidigen, jenen den Mund und die Druckerschwärze zu verbieten[38]38
  j-m (D) den Mund verbieten – заставить кого-л. молчать; заткнуть рот кому-л.


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, die den Krieg ein entehrendes Gemetzel nannten; und weil deine Mutter den Krieg liebte, von dem sie nur die Fahnen kann-te, so fand sich eine ganze Industrie, ihr gefällig zu sein, und viele Buchmacher waren auch dabei. Nein, nicht die von der Rennbahn; die von der Literatur. Und Verleger verlegten das. Und Buchhändler verkauften das.

Und einer hatte eben diese sanft brennende Lampe aufgebaut, sein Schaufenster war so hübsch dekoriert; da standen die Bücher, die das Lob des Tötens verkündeten, die Hymne des Mordes, die Psalmen der Gasgranaten. Deshalb, junger Mann.

Ehe du die letzte Zuckung tust, junger Mann:

Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen. Man hat ja noch niemals alle Schulen und alle Kirchen, alle Kinos und alle Zeitungen für die Propaganda des Krieges gesperrt. Man weiß also gar nicht, wie eine Generation aussähe, die in der reinen Luft eines gesunden und kampfesfreudigen, aber kriegablehnenden Pazifismus aufgewachsen ist. Das weiß man nicht. Man kennt nur staatlich verhetzte Jugend. Du bist ihre Frucht; du bist einer von ihnen – so, wie dein fliegender Mörder einer von ihnen gewesen ist.

Darf ich deinen Kopf weicher betten? Oh, du bist schon tot. Ruhe in Frieden. Es ist der einzige, den sie dir gelassen haben.

Kaspar Hauser

Die Bilderausstellung eines Humoristen

Wie es Sonntagsreiter gibt – so gibt es Sonntagsmaler. Deren Bilder hat der französische Schriftsteller Georges Courteline sein Leben lang gesammelt. Und diese Sammlung ist ausgestellt, bei Bernheim-Jeune in Paris in der Rue du Faubourg St. Honoré. Das ist die merkwürdigste Bilderausstellung, die ich seit langem zu sehen bekommen habe.

Courteline, ein Franzose mit Humor, ist Jahr um Jahr[39]39
  Jahr um Jahr – год за годом


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friedlich auf dem linken Ufer in die kleinen Antiquitätenläden gegangen, hat hier herumgestochert und hat da Zeit vertrödelt, hat Dilettanten besucht und malende Schutzleute, malende Gasarbeiter, malende Volksschullehrer – ja, sogar malende Zollbeamte. Denn er hat wirklich und wahrhaftig einige Rousseaus besessen, aber er hat sie zu früh verkauft, und weil er Humor sein eigen nannte, wird er wohl nicht geweint haben. Heute sind sie viel Geld wert. That is the humour of it[40]40
  That is the humour of it – вот в чем соль; вот так шутка (англ.)


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. Jedoch, was ihm geblieben ist, das ist schon heiter genug.

Die ganze Menschengüte dieses seltenen Mannes spricht aus der Bemerkung, mit der er jetzt in den französischen Zeitungen dagegen protestiert, dass man seine Sammlung ein „Schreckenskabinett“ benenne – und das ist sie auch wirklich nicht. Er hat diese Bilder Namenloser lieb gehabt, und tatsächlich ist ja solche Pinselei nur durch einen haardünnen Strich von manchen großen Werken getrennt. Sehr schwer zu sagen, wo die blinde Naivität aufhört und die Kunst beginnt. Perlen hängen da an den Wänden bei Bernheim.

Den malenden Laien reizt vor allem die Anekdote sowie das Gegenständliche. Diese Bilder erzählen entweder eine Geschichte, oder sie bilden die Natur, den Menschen, die Tiere, die Sachen mit einem solchen Respekt ab, dass nur das mangelnde Können zum Lachen reizt, nicht die Auffassung, nicht die Anschauung. Vom Auge bis zum malenden Arm war es einfach zu weit.

Eine Landschaft aus der Auvergne… ach, wenn die Natur so schön wäre! Wenn wir sie noch so sehen könnten! Eine Zwergenfamilie… das heißt: man weiß bei dieser Art Privatperspektive der Herren Sonntagsmaler nie, ob es Zwerge, Kinder oder Verzeichnete sind, die da stehen. Ganz ersten Ranges[41]41
  ersten Ranges – на высшем уровне; первосортный


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: die Ermordung der Familie Kink durch Herrn Mörder Troppmann.

Mörder Troppmann steht inmitten einer düstern Nachtlandschaft, in deren Hintergrund ein einsames, hohes, weißes Haus sehr unheimlich leuchtet. Auf dem Boden liegen blutig Vater, Mutter und viele Kinder, sie sind sämtlich sorgfältig rot angemalen, damit man auch weiß, was hier vor sich geht[42]42
  was hier vor sich geht – что здесь происходит


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. Mörder Troppmann ist grade im Begriff[43]43
  im Begriffe sein – собираться (что-л. делать); готовиться; быть готовым


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, einen Knaben, den er am Schlafittchen hat, niederzumachen; sogar seine Manschetten hat sich der Kerl besudelt, wie weit geht doch die menschliche Verworfenheit! Der Mond bricht – also darauf legt der Maler das größte Gewicht – der Mond bricht durchs Gewölk, das ist bei Morden so. Es ist ein sehr lehrreiches Bild.

Ein Badebild mit weißer Hosenromantik; wunderschöne Soldatenbilder – merkwürdig, wie oft das Militär, das bunte, dazu dient, leere Köpfe zu füllen; seltsame Anklänge an James Ensor, Bilder mit zahllosen kleinen visionären Männerchen[44]44
  Männerchen – человечки


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; am allerschönsten die Blumenstücke und die klaren Landschaften. Wir wollen uns nichts vormachen: so mancher snobistische Salon fiele brav herein, präsentierte man ihm diese Gemälde als letzte Neuheit.

Man kann diese Bilder kaufen; nun gehn sie in alle Welt und werden in Privatgalerien hängen und in Vorhallen, in Arbeitszimmern – sie werden lächeln machen und nachdenken.

Dass Georges Courteline so etwas gesammelt hat, wundert keinen, der diesen Mann kennt und liebt. Er ist übrigens nicht der einzige; so hat zum Beispiel der Maler Maurice Vlaminck etwas Ähnliches – aber Courteline ist kein Maler. Er ist ein Dichter, und was für einer!

Das Schönste, das Allerschönste an dieser Ausstellung steht im Katalog, den Robert Rey, der Kunsthistoriker vom Luxembourg, sehr klug eingeleitet hat. Das ist das Wappen, das sich Courteline selbst entworfen hat. Ein heraldischer Scherz mit Spaßlöwen und Scherzornamenten, nichts Bedeutendes. Aber unten, unter dem Wappen, zieht sich ein gemaltes Band, und auf dem steht ein Spruch.

Auf dem steht, Georges Courteline, der Spruch Ihres Lebens, und – verzeihen Sie – der des meinen auch. Nie wird mir einer glauben, dass dieselben Worte, genau dieselben Worte, seit Jahren in meinem Arbeitsbuch stehn, vorn auf der ersten Seite. Ihr ganzes Wesen ist darin, Courteline, genau das, um dessentwillen wir Sie lieben. Es sind nur zwei Worte und eine ganze Welt. Die Worte heißen:

„Et après —?[45]45
  Et après? – И что дальше? Ну и что? (фр.)


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Na und —?

Die Welt verachten – das ist sehr leicht und meist ein Zeichen schlechter Verdauung. Aber die Welt verstehen, sie lieben und dann, aber erst dann, freundlich lächeln, wenn alles vorbei ist —: das ist Humor. Courteline, Sie sind „nur“ in der Académie Goncourt gewesen, und nicht in der „großen“ Akademie, nicht in der richtigen – et après? Ich weiß auch, dass manche meiner Landsleute Sie viel lieber haben als manche Franzosen. Die Franzosen, die so sagen: „Ja, aber immer diese Geschichten von Soldaten und von solchen Häusern und von Rauchtabak und dem kleinen Café – das ist gewiss sehr amüsant, ja, ja…“ und dann sprechen sie von ihrer gebildeten Literatur, von ihrer feinen, so psychologischen Literatur. Viele aber lieben Sie.

Ich weiß nicht, ob Ihre Geschichten auf deutsch wirken, und ob das herauskommt, was in ihnen an Weisheit ist, an Güte, an Skeptizismus, an Schmerz, an optimistischer Hoffnungslosigkeit. Wie im „Train de 8 h 47“[46]46
  Train de 8 h 47 – Поезд на 8 ч 47 мин (фр.)


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die Soldaten, die endlich, endlich eine Dienstreise machen dürfen, sich im Coupé benehmen wie die losgelassenen Jungens, unanständige Lieder braven Damen, die einsteigen wollen, ins Gesicht brüllen: Braaaah! – und durch ihr tölpelhaftes Geschrei überhören, dass sie umsteigen müssen und sich verfahren… und wie das alles vor Echtheit blinkt und knallt… wie das fugenlos stimmt! Oder wie in der einzigen Geschichte von den „Ronds-de-Cuir“[47]47
  Ronds-de-Cuir – секретарь и другие работники офиса; чиновники, бюрократы (фр.)


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(den Bureaukraten) der kleine Roman auf der Erde anhebt, ganz real, o so wirklich! und sich dann langsam in den hellen Wolken des Wahnsinns verliert, um wieder zurückzukehren… Möglich, dass man das überhaupt nicht übersetzen kann, nur nachdichten, vor allem: nur nachfühlen. „Un homme de mon age…!“[48]48
  Un homme de mon age! – Человек моего возраста! (фр.)


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protestiert ein Beamter während eines Streites. Und der Gegner: „Taisez-vous, homme de votre age!“[49]49
  Taisez-vous, homme de votre age! — Заткнитесь, в вашем-то возрасте! (фр.)


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Das ist ein blitzender Kreisel an Ironie. Wie in den zahllosen Ausgaben der kleinen Szenen („Théâtre“) fast in jedem Dialog, fast in jeder kleinen Szene ein Satz, eine Wendung weit, weit über den Ulk hinausgeht, wie auf einmal ein Herz klopft, wo eben nur noch ein lachender Mund war – das bringt uns Deutschen den Courteline so nahe. Ich habe „Boubouroche“[50]50
  Boubouroche – театральная пьеса (фр.)


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in der „Comédie Française“ gesehen und habe auf die Bühne springen wollen, den Leuten zu sagen, wie man das spielt. Also fühlen wir es anders, also legen wir in diese Vase andre Blumen hinein – und wenn sie tausendmal nicht auf französischem Boden gewachsen sind: Victor Arnold hat den Boubouroche gespielt, und da wollen wir eine kleine Minute Schweigen einlegen.

Ja, Courteline. Alles, was ich von ihm weiß, entspricht genau seinem Wappenspruch. Er war unneugierig, er schrieb nicht sehr viel, man durfte ihn, wenn man will, getrost faul nennen – aber das, was er gemacht hat, ist voll von Leben. Und bei allem Gefühl für das nötige Pathos, das um eine Geburt, um einen Schicksalsschlag, um Geld und um den Tod ist, er ist so schön pathoslos. Es ist nicht die flaue und billige Überlegenheit des Spießers – es ist die echteste Überlegenheit des großen Künstlers.

Sie malen und malen. Sie dichten, komponieren, schmieren Papier voll und streiten sich um Richtungen, das muss sein. Sie sind expressionistisch und supranaturalistisch; sie sitzen neben dicken Damen auf dem Sofa, kriegen plötzlich lyrische Kalbsaugen und sprechen mit geziertem Mündchen, sie sind feige und lassen sich verleugnen oder lügen telephonisch; sie dirigieren Sinfonien und fangen einen kleinen Weltkrieg an, und sie haben für alles eine Terminologie. Welche Aufregung —! Welcher Eifer —! Welcher Trubel —! Horch sie leben.

Du aber, Georges Courteline, sitzt wie ein Buddha, eine Handbreit über der Erde, die du so genau kennst, träumst Tarock und hörst schläfrig aus dem Nebenraum des kleinen Cafés die Billardkugeln klappern. Zu Hause wartet deine Frau – die gute. Es ist spät, nun wirst du bald heimgehen. Aus einem Augenwinkel aber, man sollte es gar nicht glauben, blitzt es wie ein Blick über die Erde, weit über die Erde, über die Académie Française, die so fein ist, und über die kleinen Damen der Straße, die gar nicht fein sind – du hörst das Leben. Und ein Lächeln rieselte dünn unter deinem Schnurrbart hinweg. Du denkst deinen Wappenspruch. Du denkst:

„Et après? Na und —?“

Übungen zur Erzählung

I. Übersätzen Sie ins Deutsch:

1. Сегодня я буду смотреть конкурс, в котором участвует моя любимая певица. Я надеюсь, она получит первый приз.

2. Мы остановимся в отеле или в хостеле, смотря по обстоятельствам.

3. Что здесь происходит?

4. Твой друг как раз собирался рассказать тебе об этом.

5. Затыкать другому рот очень неприлично.


II. Welches Wort fehlt?

1. Für seine Hochzeit wünschen sie alles erster _____________; der Preis spielt keine Rolle.

2. Es gibt so viel, was Menschen aus verschiedenen Ländern _________ bringt.

3. Jahr ______ Jahr kauft er zum Weihnachten Apfelsinen und Zitronen.

4. Du findest nichts hier, du ______________ bloß die Zeit!

5. Dieser Film ist ein Schreckenskabinett. Mir traten vor Angst die Augen aus ihren __________ .


III. Wählen Sie die richtige Form:

1. Alles, was ich mit-von-über ihn wusste, war dass er aus Frankreich kam.

2.Meine Zwillinge haben aus-auf-an Kindesalter noch nicht herausgekommen. Sie sind erst vier Jahre alt.

3. Begnügst du dich von-nach-mit einem Geringem?

4. Was glaubst du an-zu-bei?

5. Siehst du die schöne Kirche an-am-auf dem rechten Ufer?

Schlüssel zur Übungen:

I.

1. Heute werde ich den Wettbewerb zuschauen, an den meine Lieblingssängerin teilnimmt. Ich hoffe, dass sie den ersten Preis bekommt.

2. Wir werden uns im Hotel oder in einer Herberge aufhalten, je nach den Umständen.

3. Was geht hier vor?

4. Dein Freund war grade im Begriffe, dir darüber zu erzählen.

5. Es ist unanständig, einem anderen den Mund zu verbieten.


II.

1. Range

2. nahe

3. um

4. vertrödelst

5. Höhlen


III.

1. von

2. aus

3. mit

4. an

5. auf


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