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Автор книги: Эрнст Гофман


Жанр: Зарубежная классика, Зарубежная литература


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Prinz Hektor entfaltete nun vor der Prinzessin den bunten prahlenden Pfauenschweif seiner Galanterie, sie, beinahe verletzt durch den Ungestüm seiner süßlichen Verzücktheit, fragte nach Italien, nach Neapel. Der Prinz gab ihr die Beschreibung eines Paradieses, in dem sie als herrschende Göttin wandelte. Er bewährte sich als ein Meister in der Kunst, zu der Dame so zu sprechen, daß alles, alles sich gestaltet, als ein Hymnus, der ihre Schönheit, ihre Anmut preiset. Mitten aus diesem Hymnus sprang aber die Prinzessin heraus, und hin zu Julien, die sie in der Nähe gewahrte. Die drückte sie an ihre Brust, nannte sie mit tausend zärtlichen Namen, rief:»Das ist meine liebe, liebe Schwester, meine herrliche, süße Julia!«als der Prinz etwas betroffen über Hedwiga's Flucht, hinzutrat. Der Prinz heftete einen langen, seltsamen Blick auf Julien, so daß diese, über und über errötend, die Augen niederschlug, und sich scheu zur Mutter wandte, die hinter ihr stand. Aber die Prinzessin umarmte sie auf's Neue und rief:»Meine liebe, liebe Julia«, und dabei traten ihr die Tränen in die Augen.»Prinzessin«, sprach die Benzon leise,»warum dieses krampfhafte Benehmen?«Die Prinzessin, ohne die Benzon zu beachten, drehte sich zu dem Prinzen, dem wirklich über alles das der Strom der Rede versiegt, und war sie erst still, ernst, mißmütig gewesen, so schweifte sie beinahe jetzt aus in seltsamer, krampfhafter Lustigkeit. Endlich ließen die zu stark gespannten Saiten nach, und die Melodien, die nun aus ihrem Innern heraustönten, waren weicher, milder, jungfräulich zarter. Sie war liebenswürdiger als jemals, und der Prinz schien ganz und gar hingerissen. Endlich begann der Tanz. Der Prinz, nachdem mehrere Tänze gewechselt, erbot sich, einen neapolitanischen Nationaltanz anzuführen, und es gelang ihm bald, den Tanzenden die volle Idee davon zu geben, so daß sich alles gar artig fügte, und selbst der leidenschaftlich zärtliche Charakter des Tanzes gut hervortrat.



Niemand hatte aber eben diesen Charakter so ganz begriffen, als Hedwiga, die mit dem Prinzen tanzte. Sie verlangte die Wiederholung, und als der Tanz zum zweitenmal geendet, bestand sie, des Mahnens der Benzon, die auf ihren Wangen schon die verdächtige Blässe wahrnahm, nicht achtend, darauf, zum drittenmal den Tanz auszuführen, der ihr nun erst recht gelingen werde. Der Prinz war entzückt. Er schwebte hin mit Hedwiga, die in jeder Bewegung die Anmut selbst schien. Bei einer der vielen Verschlingungen, die der Tanz gebot, drückte der Prinz die Holde stürmisch an die Brust, aber in demselben Augenblicke sank auch Hedwiga entseelt in seinen Armen zusammen. —

Der Fürst meinte, eine unschicklichere Störung eines Hofballes könne es nicht geben, und nur das Land entschuldige vieles. —


Prinz Hektor hatte selbst die Ohnmächtige in ein benachbartes Zimmer auf ein Sofa getragen, wo ihr die Benzon die Stirne rieb mit irgendeinem starken Wasser, das der Leibarzt zur Hand gehabt. Dieser erklärte übrigens die Ohnmacht für einen Nervenzufall, den die Erhitzung des Tanzes veranlaßt, und der sehr bald vorübergehen werde.

Der Arzt hatte recht, nach wenigen Sekunden schlug die Prinzessin mit einem tiefen Seufzer die Augen auf. Der Prinz, sobald er vernommen, die Prinzessin habe sich erholt, drang durch den dichten Kreis der Damen, von dem sie umschlossen, kniete nieder bei dem Sofa, klagte sich bitter an, daß er allein schuld sei an dem Begegnis, das ihm das Herz durchschneide. Sowie die Prinzessin ihn aber erblickte, rief sie mit allen Zeichen des Abscheues:»Fort!«fort, und sank auf's Neue in Ohnmacht.

«Kommen Sie«, sprach der Fürst, indem er den Prinzen bei der Hand erfaßte,»kommen Sie, bester Prinz, Sie wissen nicht, daß die Prinzessin oft an den seltsamsten Reverien leidet. Weiß der Himmel, auf welche sonderbare Weise Sie ihr in diesem Augenblick erschienen sind! – Imaginieren Sie sich, bester Prinz, schon als Kind – entre nous soit dit! – hielt mich einmal die Prinzessin einen ganzen Tag hindurch für den Großmogul, und prätendierte, ich solle in Samtpantoffeln ausreiten, wozu ich mich auch endlich entschloß, wiewohl nur im Garten.«

Prinz Hektor lachte dem Fürsten ohne Umstände in's Gesicht, und rief nach dem Wagen.


Die Benzon mußte, so wollt' es die Fürstin aus Besorgnis für Hedwiga, mit Julien im Schlosse bleiben. Sie wußte, welche psychische Macht sonst die Benzon über die Prinzessin übte, und ebenso, daß dieser psychischen Macht auch Krankheitszufälle der Art zu weichen pflegten. In der Tat geschah es auch diesmal, daß Hedwiga in ihrem Zimmer sich bald erholte, als die Benzon ihr unermüdlich zugeredet mit sanften Worten. Die Prinzessin behauptete nichts Geringeres, als daß im Tanzen der Prinz sich in ein drachenartiges Ungeheuer verwandelt, und mit spitzer, glühender Zunge ihr einen Stich ins Herz gegeben habe.»Gott behüte«, rief die Benzon,»am Ende ist Prinz Hektor gar das mostro turchino aus der Gozzischen Fabel! – Welche Einbildungen! zuletzt wird es sich so begeben, wie mit Kreisler, den Sie für einen bedrohlichen Wahnsinnigen hielten!«—»Nimmermehr«, rief die Prinzessin heftig, und setzte dann lachend hinzu: wahrhaftig, ich wollte nicht, daß mein guter Kreisler sich so plötzlich in das mostro turchino verwandelte, wie Prinz Hektor!«—

Als am frühsten Morgen die Benzon, die bei der Prinzessin gewacht, in Juliens Zimmer trat, kam ihr diese entgegen, erblaßt, übernächtig, das Köpfchen gehängt, wie eine kranke Taube.»Was ist Dir, Julie«, rief ihr die Benzon, die nicht gewohnt, die Tochter in solchem Zustande zu sehen, erschrocken entgegen.»Ach Mutter«, sprach Julie ganz trostlos,»ach Mutter, niemals mehr in diese Umgebungen; mein Herz erbebt, wenn ich an die gestrige Nacht denke. – Es ist etwas Entsetzliches in diesem Prinzen; als er mich anblickte, ich kann Dir's nicht beschreiben, was in meinem Innern vorging. – Ein Blitzstrahl fuhr tötend aus diesen dunklen, unheimlichen Augen, von dem getroffen ich Ärmste vernichtet werden konnte. – Lache mich nicht aus, Mutter, aber es war der Blick des Mörders, der sein Opfer erkoren, das mit der Todesangst getötet wird, noch ehe der Dolch gezückt! – Ich wiederhol' es, ein ganz fremdes Gefühl, ich vermag es nicht zu nennen, bebte wie ein Krampf mir durch alle Glieder! – Man spricht von Basilisken, deren Blick, ein giftiger Feuerstrahl, augenblicklich tötet, wenn man es wagt, sie anzuschauen. Der Prinz mag solchem bedrohlichen Untier gleichen.«

«Nun«, rief die Benzon laut lachend,»muß ich in der Tat glauben, daß es mit dem mostro turchino seine Richtigkeit hat, da der Prinz, ist er gleich der schönste, liebenswürdigste Mann, zweien Mädchen erschienen ist als Drache, als Basilisk. Der Prinzessin traue ich die tollsten Einbildungen zu, aber daß meine ruhige sanfte Julie, mein süßes Kind, sich hingeben sollte, närrischen Träumen.«—»Und Hedwiga«, unterbrach Julie die Benzon,»ich weiß nicht, welch' eine böse feindliche Macht sie losreißen von meinem Herzen, ja mich hineinstürzen will in den Kampf einer fürchterlichen Krankheit, der in ihrem Innern wütet! – Ja, Krankheit nenne ich der Prinzessin Zustand, gegen den die Ärmste nichts vermag. Als sie gestern sich schnell abwandte von dem Prinzen, als sie mich liebkoste, umarmte, da fühlte ich, wie sie in Fieberhitze glühte. Und dann das Tanzen, das entsetzliche Tanzen! Du weißt Mutter, wie ich die Tänze hasse, in denen es den Männern vergönnt, uns zu umschlingen. – Es ist mir, als müßten wir in dem Augenblick alles aufgeben, was Sitte und Anstand erfordern und den Männern eine Übermacht einräumen, die wenigstens den zartfühlenden unter ihnen unerfreulich bleiben wird. – Und nun Hedwiga, die nicht aufhören konnte, jenen südlichen Tanz zu tanzen, der mir, je länger er dauerte, desto abscheulicher schien. Rechte teuflische Schadenfreude war es, die aus den Augen des Prinzen blitzte – «

«Närrin«, sprach die Benzon,»was fällt Dir alles ein! – Doch! – ich kann Deine Gesinnung über das alles nicht tadeln, bewahre sie treulich, aber sei nicht ungerecht gegen Hedwiga, denke überhaupt gar nicht weiter nach, was mit ihr ist und mit dem Prinzen, schlage es Dir aus dem Sinn! – Willst Du, so werd' ich dafür sorgen, daß Du eine Zeitlang weder Hedwiga noch den Prinzen sehen darfst. Nein, Deine Ruhe soll nicht gestört werden, mein gutes, liebes Kind! Komm an mein Herz!«– Damit umarmte die Benzon Julien mit aller mütterlicher Zärtlichkeit.

«Und«, fuhr Julie fort, indem sie das glühende Antlitz an die Brust der Mutter drückte,»aus der entsetzlichen Unruhe, die ich empfand, mochten auch wohl die seltsamen Träume kommen, die mich ganz verstört haben.«

«Was träumtest Du denn?«fragte die Benzon.

«Mir war's«, sprach Julie weiter,»ich wandle in einem herrlichen Garten, in dem unter dichtem, dunklem Gebüsch Nachtviolen und Rosen durcheinander blühten, und ihr süßes Aroma in die Lüfte streuten. Ein wunderbarer Schimmer, wie Mondesglanz, ging auf in Ton und Gesang, und wie er die Bäume, die Blumen mit goldnem Strahl berührte, bebten sie vor Entzücken, und die Büsche säuselten und die Quellen flüsterten in leisen, sehnsüchtigen Seufzern. Da gewahrte ich aber, daß ich selbst der Gesang sei, der durch den Garten ziehe, doch sowie der Glanz der Töne verbleiche, müsse ich auch vergehen in schmerzlicher Wehmut! – Nun sprach aber eine sanfte Stimme: ›Nein! der Ton ist die Seligkeit und keine Vernichtung, und ich halte Dich fest mit starken Armen, und in Deinem Wesen ruht mein Gesang, der ist aber ewig wie die Sehnsucht!«– Es war Kreisler, der vor mir stand und diese Worte sprach. Ein himmlisches Gefühl von Trost und Hoffnung ging durch mein Inneres, und selbst wußte ich nicht – ich sage Dir alles, Mutter! – ja selbst wußte ich nicht, wie es kam, daß ich Kreislern an die Brust sank. Da fühlte ich plötzlich, wie mich eiserne Arme fest umschlangen, und eine entsetzliche, höhnende Stimme rief:»Was sträubst Du Dich, Elende, Du bist ja schon getötet und mußt nun mein sein.«– Es war der Prinz, der mich festhielt. – Mit einem lauten Angstgeschrei fuhr ich auf aus dem Schlafe, ich warf mein Nachtkleid über, und lief an's Fenster, das ich öffnete, da die Luft im Zimmer schwül und dunstig. In der Ferne gewahrte ich einen Mann, der mit einem Perspektiv nach den Fenstern des Schlosses schaute, dann aber die Allee hinabsprang auf seltsame, ich möchte sagen, närrische Weise, indem er von beiden Seiten allerlei Entrechats und andere Tänzerpas ausführte, mit den Armen in den Lüften herumfocht und, wie ich zu vernehmen glaubte, laut dazu sang. Ich erkannte Kreislern, und indem ich über sein Beginnen herzlich lachen mußte, kam er mir doch vor, wie der wohltätige Geist, der mich schützen würde vor dem Prinzen. Ja es war, als würde mir jetzt erst Kreislers inneres Wesen recht klar, und ich sähe jetzt erst ein, wie sein schalkisch scheinender Humor, von dem mancher sich oft verwundet fühle, aus dem treuesten, herrlichsten Gemüte komme. Ich hätte hinablaufen in den Park, ich hätte Kreislern alle Angst des entsetzlichen Traums klagen mögen!«—

«Das ist«, sprach die Benzon ernst,»ein einfältiger Traum und das Nachspiel noch einfältiger! – Du bedarfst der Ruhe, Julie, ein leichter Morgenschlummer wird Dir wohltun, auch ich gedenke noch ein paar Stunden zu schlafen.«

Damit verließ die Benzon das Zimmer und Julie tat, wie ihr geheißen.

Als sie erwachte, strahlte die Mittagssonne in die Fenster hinein, und ein starker Duft von Nachtviolen und Rosen strömte durch das Zimmer.»Was ist das«, rief Julie voll Erstaunen,»was ist das! – mein Traum! – «Doch wie sie sich umschaute, lag über ihr auf der Lehne des Sofas, auf dem sie geschlafen, ein schöner Strauß jener Blumen! —

«Kreisler, mein lieber Kreisler, «sprach Julie sanft, nahm den Strauß, und geriet in träumerisches Sinnen.

Prinz Ignaz ließ anfragen, ob es ihm nicht erlaubt sei, Julien ein Stündchen zu sehen. Schnell kleidete sich Julie an, und eilte in das Zimmer, wo Ignaz sie schon mit einem ganzen Korbe voll Porzellantassen und chinesischer Puppen erwartete. Julie, das gute Kind, ließ es sich gefallen, stundenlang mit dem Prinzen, der ihr tiefes Mitleid einflößte, zu spielen. Kein Wort der Neckerei, oder wohl gar der Verachtung, entschlüpfte ihr, wie es wohl andern bisweilen, vorzüglich der Prinzessin Hedwiga, geschah, daher kam es, das dem Prinzen Julias Gesellschaft über alles ging, und er sie oft gar seine kleine Braut nannte. – Die Tassen waren aufgestellt, die Puppen geordnet, Julie hielt eben im Namen eines kleinen Harlekins eine Anrede an den Kaiser von Japan (beide Püppchen standen einander gegenüber) als die Benzon hereintrat.



Nachdem sie eine Weile dem Spiele zugeschaut, drückte sie Julien einen Kuß auf die Stirn und sprach:»Du bist doch mein liebes, gutes Kind! —«

Es war späte Dämmerung eingebrochen. Julie, die, wie sie gewünscht, bei der Mittagstafel nicht erscheinen dürfen, saß einsam in ihrem Zimmer und erwartete die Mutter. Da schlichen leise Tritte hinan, die Türe öffnete sich und totenbleich, mit starren Augen, in weißem Kleide, gespenstisch, trat die Prinzessin hinein.»Julia«, sprach sie leise und dumpf,»Julia! – nenne mich töricht, ausgelassen – wahnsinnig, aber entziehe mir nicht Dein Herz, ich bedarf Deines Mitleids, Deines Trostes! – Es ist nichts als der Überreiz, die heillose Erschöpfung des abscheulichen Tanzes, die mich krank gemacht hat, aber es ist vorüber, mir ist besser!«—»Der Prinz ist fort nach Sieghartsweiler! – Ich muß in die Luft, laß uns hinabwandeln in den Park!«—

Als beide, Julie und die Prinzessin, sich am Ende der Allee befanden, strahlte ein helles Licht ihnen aus dem tiefsten Dickicht entgegen, und sie vernahmen fromme Gesänge.»Das ist die Abendlitanei aus der Marien-Kapelle, «rief Julia.

«Ja«, sprach die Prinzessin, wir wollen hin, laß uns beten! – bete Du auch für mich, Julie! —«

«Wir wollen«, erwiderte Julie, vom tiefsten Schmerz über der Freundin Zustand ergriffen,»wir wollen beten, daß nie ein böser Geist Macht habe über uns, daß unser reines, frommes Gemüt nicht verstört werden möge durch des Feindes Verlockung.«

Eben zogen, als die Mädchen bei der Kapelle angekommen, die am äußersten Ende des Parks befindlich, die Landleute von dannen, die die Litanei vor dem mit Blumen geschmückten, und mit vielen Lampen erleuchteten Marienbilde gesungen. Sie knieten nieder in dem Betstuhl. Da begannen die Sänger auf dem kleinen Chor, der zur Seite des Altars angebracht, das» Ave maris stella«, das Kreisler erst vor kurzem komponiert.

Leise beginnend brauste der Gesang stärker und mächtiger auf in dem» dei mater alma«, bis die Töne in dem» felix coeli porta «dahinsterbend, fortschwebten auf den Fittichen des Abendwindes.

Noch immer lagen die Mädchen auf den Knien, tief versunken in brünstige Andacht. Der Priester murmelte Gebete, und aus weiter Ferne, wie ein Chor von Engelstimmen aus dem nächtlichen verschleierten Himmel, hallte der Hymnus:»O sanctissima«, den die hereinziehenden Sänger angestimmt.

Endlich erteilte ihnen der Priester den Segen. Da standen sie auf, und fielen sich in die Arme. Ein namenloses Weh, aus Entzücken und Schmerz gewoben, schien gewaltsam sich loswinden zu wollen aus ihrer Brust, und Blutstropfen, dem wunden Herzen entquollen, waren die heißen Tränen, die aus ihren Augen stürzten.»Das war er«, lispelte die Prinzessin leise.»Er war's«, erwiderte Julie. – Sie verstanden sich.


In ahnungsvollem Schweigen harrte der Wald, daß die Mondscheibe aufsteige, und ihr schimmerndes Gold über ihn ausstreue. Der Choral der Sänger, noch immer vernommen in der Stille der Nacht, schien entgegenzuziehen dem Gewölk, das glühend aufflammte, und sich über den Bergen lagerte, die Bahn des leuchtenden Gestirns bezeichnend, vor dem die Sterne erblaßten.


«Ach«, sprach Julia,»was ist es denn, das uns so bewegt, das so mit tausend Schmerzen unser Inneres durchschneidet? – Horche doch nur, wie das ferne Lied so tröstend zu uns herüberhallt? Wir haben gebetet, und aus den goldnen Wolken sprechen fromme Geister zu uns herab von himmlischer Seligkeit.«—»Ja, meine Julia«, erwiderte die Prinzessin ernst und fest,»über den Wolken ist Heil und Seligkeit, und ich wollte, daß ein Engel des Himmels mich hinauftrüge zu den Sternen, ehe mich die finstere Macht erfaßte. Ich möchte wohl sterben, aber ich weiß es, dann trügen sie mich in die fürstliche Gruft, und die Ahnherrn, die dort begraben, würden es nicht glauben, daß ich gestorben bin, und erwachen aus der Totenerstarrung zum entsetzlichen Leben, und mich hinaustreiben. Dann gehörte ich ja aber weder den Toten an, noch den Lebendigen, und fände nirgends Obdach.«

«Was sprichst Du, Hedwiga, um aller Heiligen willen, was sprichst Du?«rief Julie erschrocken.

«Mir hat«, fuhr die Prinzessin fort, in demselben festen, beinahe gleichgültigen Ton beharrend,»dergleichen einmal geträumt. Es kann aber auch sein, daß ein bedrohlicher Ahnherr im Grabe zum Vampyr geworden, der mir nun das Blut aussaugt. Davon mögen meine häufigen Ohnmachten herrühren.«

«Du bist krank«, rief Julia,»sehr krank, Hedwiga, die Nachtluft schadet Dir, laß uns forteilen.«


Damit umschlang sie die Prinzessin, die sich schweigend fortführen ließ.

Der Mond war nun hoch heraufgestiegen über den Geierstein, und in magischer Beleuchtung standen die Büsche, die Bäume, und flüsterten und rauschten, mit dem Nachtwinde kosend, in tausend lieblichen Weisen.

«Es ist doch schön«, sprach Julie,»o es ist doch schön auf der Erde, beut uns die Natur nicht ihre herrlichsten Wunder dar wie eine gute Mutter ihren lieben Kindern?«  —»Meinst Du?«erwiderte die Prinzessin, und fuhr dann nach einer Weile fort:»Ich wollte nicht, daß Du mich erst ganz verstanden hättest, und bitte, alles nur für den Erguß einer bösen Stimmung zu halten. – Du kennst noch nicht den vernichtenden Schmerz des Lebens. Die Natur ist grausam, sie hegt und pflegt nur die gesunden Kinder, die kranken verläßt sie, ja richtet bedrohliche Waffen gegen ihr Dasein. – Ha! Du weißt, daß mir sonst die Natur nichts war, als eine Bildergalerie, hingestellt um die Kräfte des Geistes und der Hand zu üben, aber jetzt ist es anders worden, da ich nichts fühle, nichts ahne, als ihr Entsetzen. Ich möchte lieber in erleuchteten Sälen zwischen bunter Gesellschaft wandeln, als einsam mit Dir in dieser mondhellen Nacht.«—

Julien wurde nicht wenig bange, sie bemerkte, wie Hedwiga immer schwächer, erschöpfter wurde, so daß die Arme all' ihre geringe Kraft anwenden mußte, um sie im Gehen aufrecht zu erhalten.

Endlich hatten sie das Schloß erreicht. Unfern desselben, auf der steinernen Bank, die unter einem Hollunderbusch stand, saß eine finstere, verhüllte Gestalt. Sowie Hedwiga diese gewahrte, rief sie voll Freude:»Dank der Jungfrau und allen Heiligen, da ist sie!«und ging plötzlich erkräftigt, und sich von Julien losmachend auf die Gestalt los, die sich erhob, und mit dumpfer Stimme sprach:»Hedwiga, mein armes Kind!«– Julia gewahrte, daß die Gestalt eine von Kopf bis zu Fuß in braune Gewänder gehüllte Frau war, die tiefen Schatten ließen die Züge ihres Gesichts nicht erkennen. Von innern Schauern durchbebt, blieb Julia stehen.



Beide, die Frau und die Prinzessin, ließen sich auf die Bank nieder. Die Frau strich ihr sanft die Haarlocken von der Stirne, legte dann die Hände darauf, und sprach langsam und leise in einer Sprache, die Julie sich nicht erinnern konnte, jemals gehört zu haben. Nachdem dies einige Minuten gewährt, rief die Frau Julien zu:»Mädchen, eile nach dem Schloß, rufe die Kammerfrauen, sorge, daß man die Prinzessin hineinschaffe! Sie ist in sanften Schlaf gesunken, von dem sie gesund und froh erwachen wird.«


Julie, ihrem Erstaunen nicht einen Augenblick Raum gebend, tat schnell, wie ihr geheißen.

Als sie mit den Kammerfrauen ankam, fand man die Prinzessin, sorgsam in ihren Shawl eingehüllt, wirklich im sanften Schlaf, die Frau war verschwunden.

«Sage mir«, sprach Julie am andern Morgen, als die Prinzessin ganz genesen erwacht, und keine Spur innerer Zerrüttung sich zeigte, was Julie befürchtet,»sage mir um Gott, wer war die wunderbare Frau?«


«Ich weiß es nicht«, erwiderte die Prinzessin,»ein einziges Mal in meinem Leben habe ich sie gesehen. Du erinnerst Dich, wie ich einmal, noch ein Kind, in eine tödliche Krankheit verfallen, so daß die Ärzte mich aufgaben. Da saß sie in einer Nacht plötzlich an meinem Bette, und lullte mich, wie heute, ein in süßen Schlummer, von dem ich ganz genesen erwachte. – In der gestrigen Nacht trat zum ersten Mal das Bild dieser Frau mir wieder vor die Augen, es war mir, als müsse sie mir wieder erscheinen, und mich retten, und so hat es sich wirklich begeben. – Tu' es mir zur Liebe, und schweige ganz von der Erscheinung, laß Dir auch nichts merken durch Wort oder Zeichen, daß uns etwas Wunderbares begegnet. Denke an den Hamlet, und sei mein lieber Horatio! – Es ist gewiß, daß es mit dieser Frau eine geheimnisvolle Bewandtnis haben muß, aber, mag das Geheimnis mir und Dir verschlossen bleiben, weiteres Forschen bedünkt mir gefährlich. – Ist es nicht genug, daß ich genesen bin, und froh, frei von allen Gespenstern, die mich verfolgten?«—

Alles verwunderte sich über der Prinzessin so plötzlich wiedergekehrte Gesundheit. Der Leibarzt behauptete, der nächtliche Spaziergang nach der Marienkapelle habe durch die Erschütterung aller Nerven so drastisch gewirkt, und er nur vergessen denselben ausdrücklich zu verordnen. Die Benzon sprach aber in sich hinein:»Hm! – die Alte ist bei ihr gewesen – mag das dies Mal hingehen!«– Es ist nun an der Zeit, daß jene verhängnisvolle Frage des Biographen:»Du —

(M. f. f.) liebst mich also, holde Miesmies? O wiederhol' es mir tausendmal, damit ich noch in ferneres Entzücken geraten und soviel Unsinn aussprechen möge, wie es einem von dem besten Romandichter geschaffenen Liebeshelden geziemt! – Doch Beste, du hast meine erstaunliche Neigung zum Gesange, sowie meine Kunstfertigkeit darin, schon bemerkt, würd' es dir wohl gefällig sein, Teure! mir ein kleines Liedchen vorzusingen?» Ach«, erwiderte Miesmies,»ach, geliebter Murr, zwar bin ich auch in der Kunst des Gesanges nicht unerfahren; aber du weißt, wie es jungen Sängerinnen geht, wenn sie zum erstenmal singen sollen vor Meistern und Kennern! – Die Angst, die Verlegenheit, schnürt ihnen die Kehle zu, und die schönsten Töne, Trillos und Mordenten bleiben auf die fatalste Weise in der Kehle stecken, wie Fischgräten. – Eine Arie zu singen ist dann pur unmöglich, weshalb der Regel nach mit einem Duett begonnen wird. Laß uns ein kleines Duett versuchen, Teurer! wenn's dir gefällig!«– Das war mir recht. – Wir stimmten nun gleich das zärtliche Duett an:»Bei meinem ersten Blick, flog dir mein Herz entgegen «usw. Miesmies begann furchtsam, aber bald ermutigte sie mein kräftiges Falsett. Ihre Stimme war allerliebst, ihr Vortrag gerundet, weich, zart, kurz, sie zeigte sich als wackre Sängerin. Ich war entzückt, wiewohl ich einsah, daß mich Freund Ovid wiederum im Stich gelassen. Da Miesmies mit dem cantare so herrlich bestanden, so war es mit dem chordas tangere gar nichts, und ich durfte nicht erst nach der Guitarre verlangen. —

Miesmies sang nun mit seltener Geläufigkeit, mit ungemeinem Ausdruck, mit höchster Eleganz das bekannte:»Di tanti palpiti «usw. Von der heroischen Stärke des Rezitativs stieg sie herrlich hinein in die wahrhaft kätzliche Süßigkeit des Andantes. Die Arie schien ganz für sie geschrieben, so daß auch mein Herz überströmte und ich in ein lautes Freudengeschrei ausbrach. Ha! – Miesmies mußte mit dieser Arie eine Welt fühlender Katerseelen begeistern! – Nun stimmten wir noch ein Duett an, aus einer ganz neuen Oper, das ebenfalls herrlich gelang, da es ganz und gar für uns geschrieben schien. Die himmlischen Rouladen gingen glanzvoll aus unserm Innern heraus, da sie meistenteils aus chromatischen Gängen bestanden. Überhaupt muß ich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß unser Geschlecht chromatisch ist, und daß daher jeder Komponist, der für uns komponieren will, sehr wohl tun wird, Melodien und alles Übrige, chromatisch einzurichten. Leider hab' ich den Namen des trefflichen Meisters, der jenes Duett komponiert, vergessen, das ist ein wackrer lieber Mann, ein Komponist nach meinem Sinn. —

Während dieses Singens war ein schwarzer Kater heraufgestiegen, der uns mit glühenden Augen anfunkelte.»Bleiben Sie gefälligst von dannen, bester Freund, rief ich ihm entgegen, sonst kratze ich Ihnen die Augen aus, und werfe Sie vom Dache hinab, wollen Sie aber eins mit uns singen, so kann das geschehen.«– Ich kannte den jungen, schwarz gekleideten Mann als einen vortrefflichen Bassisten, und schlug daher vor, eine Komposition zu singen, die ich zwar sonst nicht sehr liebe, die sich aber zu der bevorstehenden Trennung von Miesmies sehr gut schickte. – Wir sangen:»Soll ich dich Teurer nicht mehr sehen!«Kaum versicherte ich aber mit dem Schwarzen, daß die Götter mich bewahren würden, als eine gewaltige Ziegelscherbe zwischen uns durchfuhr, und eine entsetzliche Stimme rief:»Wollen die verfluchten Katzen wohl die Mäuler halten!«– Wir stoben, von der Todesfurcht gehetzt, wild auseinander in den Dachboden hinein. O der herzlosen Barbaren ohne Kunstgefühl, die selbst unempfindlich bleiben bei den rührendsten Klagen der unaussprechlichen Liebeswehmut, und nur Rache und Tod brüten und Verderben!«—

Wie gesagt, das, was mich befreien sollte von meiner Liebesnot, stürzte mich nur noch tiefer hinein. Miesmies war so musikalisch, daß wir beide auf das anmutigste miteinander zu phantasieren vermochten. Zuletzt sang sie meine eignen Melodien herrlich nach, darüber wollte ich denn nun ganz und gar närrisch werden, und quälte mich schrecklich ab in meiner Liebespein, so daß ich ganz blaß, mager und elend wurde. – Endlich, endlich, nachdem ich mich lange genug abgehärmt, fiel mir das letzte, wiewohl verzweifelte Mittel ein, mich von meiner Liebe zu heilen. – Ich beschloß, meiner Miesmies Herz und Pfote zu bieten. Sie schlug ein, und sobald wir ein Paar worden, merkte ich auch alsbald, wie meine Liebesschmerzen sich ganz und gar verloren. Mir schmeckte Milchsuppe und Braten vortrefflich, ich gewann meine joviale Laune wieder, mein Bart kam in Ordnung, mein Pelz erhielt wieder den alten schönen Glanz, da ich nun die Toilette mehr beachtete als vorher, wogegen meine Miesmies sich gar nicht mehr putzen mochte. Ich fertigte demunerachtet, wie zuvor geschehen, noch einige Verse auf meine Miesmies, die um so hübscher, um so wahrer empfunden wahren, als ich den Ausdruck der schwärmerischen Zärtlichkeit so immer mehr und mehr heraufschrob, bis er mir die höchste Spitze erreicht zu haben schien. Ich dedizierte endlich der Guten noch ein dickes Buch, und hatte so auch in literarisch-ästhetischer Hinsicht alles abgetan, was von einem honetten treuverliebten Kater nur verlangt werden kann. Übrigens führten wir, ich und meine Miesmies, auf der Strohmatte vor der Türe meines Meisters, ein häuslich ruhiges, glückliches Leben. – Doch welches Glück ist hienieden auch nur von einigem Bestand! – Ich bemerkte bald, daß Miesmies oft in meiner Gegenwart zerstreut war, daß sie, wenn ich mit ihr sprach, verwirrtes Zeug antwortete, daß ihr tiefe Seufzer entflohen, daß sie nur schmachtende Liebeslieder singen mochte, ja daß sie zuletzt ganz matt und krank tat. Fragte ich dann, was ihr fehle, so streichelte sie mir zwar die Wangen und erwiderte:»Nichts, gar nichts, mein liebes, gutes Papachen«, aber das Ding war mir doch gar nicht recht. Oft erwartete ich sie vergebens auf der Strohmatte, suchte sie vergebens im Keller, auf dem Boden, und fand ich sie denn endlich und machte ihr zärtliche Vorwürfe, so entschuldigte sie sich damit, daß ihre Gesundheit weite Spaziergänge erfordere, und daß ein ärztlicher Kater sogar eine Badereise angeraten. Das war mir wieder nicht recht. Sie mochte wohl meinen versteckten Ärger gewahren, und ließ es sich angelegen sein, mich mit Liebkosungen zu überhäufen, aber auch in diesen Liebkosungen lag so etwas Sonderbares, ich weiß es nicht zu nennen, das mich erkältete, statt mich zu erwärmen, und auch das war mir nicht recht. Ohne zu vermuten, daß dies Betragen meiner Miesmies seinen besonderen Grund haben könne, wurde ich nur inne, daß nach und nach auch das letzte Fünkchen der Liebe zu der Schönsten erlosch, und daß in ihrer Nähe mich die tötendste Langeweile erfaßte. Ich ging daher meine Wege und sie die ihrigen; kamen wir aber einmal zufällig auf der Strohmatte zusammen, so machten wir uns die liebevollsten Vorwürfe, waren dann die zärtlichsten Gatten, und besangen die friedliche Häuslichkeit, in der wir lebten.

Es begab sich, daß mich einmal der schwarze Bassist in dem Zimmer meines Meisters besuchte. Er sprach in abgebrochenen geheimnisvollen Worten, fragte dann stürmisch, wie ich mit meiner Miesmies lebe – kurz, ich merkte wohl, daß der Schwarze etwas auf dem Herzen hatte, das er mir entdecken wollte. Endlich kam es denn auch zum Vorschein. Ein Jüngling, der im Felde gedient, war zurückgekehrt, und lebte in der Nachbarschaft von einer kleinen Pension, die ihm ein dort wohnender Speisewirt an Fischgräten und Speisabgang ausgeworfen. Schön von Figur, herkulisch gebaut, wozu noch kam, daß er eine reiche fremde Uniform trug, schwarz grau und gelb, und wegen bewiesener Tapferkeit, als er mit wenigen Kameraden einen ganzen Speicher von Mäusen reinigen wollen, das Ehrenzeichen des gebrannten Specks auf der Brust trug, fiel er allen Mädchen und Frauen in der Gegend auf. Alle Herzen schlugen ihm entgegen, wenn er auftrat keck und kühn, den Kopf emporgehoben, feurige Blicke um sich werfend. Der hatte sich, wie der Schwarze versicherte, in meine Miesmies verliebt, sie war ihm ebenso mit Liebe entgegengekommen, und es war nur zu gewiß, daß sie heimliche verliebte Zusammenkünfte hielten allnächtlich hinter dem Schornstein oder im Keller.

«Mich wundert«, sprach der Schwarze,»bester Freund! daß Sie bei Ihrer sonstigen Sagazität das nicht längst bemerkt; aber liebende Gatten sind oft blind, und es tut mir leid, daß Freundespflicht mir gebot, Ihnen die Augen zu öffnen, da ich weiß, daß Sie in Ihre vortreffliche Gattin ganz und gar vernarrt sind.«


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