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Текст книги "Die Ahnen"


  • Текст добавлен: 28 августа 2016, 01:14


Автор книги: Gustav Freytag


Жанр: Классическая проза, Классика


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»Ich und mein Roß begehren deines Schutzes nicht«, antwortete Ingram abweisend. Er hob den Mühlstein von seiner Stelle und trug ihn an den Rand des Gipfels weitab von den Fremden, dann sprang er zum Quell, löste seinem Roß die Beinfessel und führte es zu dem Steine, dort lagerte er neben seinem Tiere und schob den Stein unter sein Haupt.

In der Umzäunung band Gottfried zwei Holzstäbe zu einem Kreuz zusammen, küßte den Stab und übergab ihn ehrfurchtsvoll dem Fremden, dieser steckte ihn zu der Wurzel des Baumes, welche seinen Schatz bedeckte. Beide knieten nieder und erhoben den lateinischen Abendgesang, mit mächtiger Stimme sang der ältere die feierliche Weise, der Jüngling respondierte. Die melodischen Klänge tönten von der nahen Bergwand zurück und kämpften mit den wilden Stimmen der Nacht, welche kreischend und heulend aus dem Walde schallten. Der Führer erhob sich, da der Gesang begann, aber die vollen Töne der bewegten Menschenstimme bändigten ihm die Hast, er blieb abgewandt sitzen und starrte in den gelben Schein am Rande des Himmels.

Als der Gesang beendigt war, setzte sich der Fremde neben die Wurzel und schob die Tasche seinem Begleiter zu. »Iß,« sagte er befehlend auf die abwehrende Bewegung des Jünglings, »du bist der Wanderschaft ungewohnt, der Herr begehrt jetzt auch die Kraft deines Leibes.« Gehorsam nahm der Jüngling wenige Bissen, dann legte er sich zu den Füßen des Fremden nieder, der sorglich seinen Mantel über ihn deckte. Es wurde still in dem kleinen Gehege. Das letzte Abendlicht schwand in bleichem Schein, der langsam nach Norden zog, zuweilen rauschte der Nachtwind in den Blättern und die Eule schrie ihren Klageruf über den Wanderern; nur aus dem Walde tönten ferner und näher die Tierstimmen, dann hoben sich die müden Rosse vom Boden und schnoben ängstlich mit den Nüstern. Der Fremde saß unbeweglich, die Hände gefaltet; wenn es im Baume rauschte, sah er wie erwartend in die Äste und nach dem Himmel, über welchem sich tiefe Finsternis breitete.

Unterdes starrte der Führer hinunter in die Tiefe, wo über dem Bach im Dämmerschein der weiße Wasserdampf hinzog. »Ich schaue, wie sie dahinschweben über der Flut,« murmelte er leise, »gehüllt in weiße Gewande schaffen sie um das Wasser, sie sinnen Hilfe und Heil ihrem Getreuen, sie verhüllen seinen Pfad vor dem Verfolger, sie lösen ihn aus den Banden der Feinde; manchmal, wenn ich unter der Esche lag, hörte ich ihren Gesang in der Tiefe. Meine Väter sind hierher gewandert in schweren Tagen und haben Hilfe erfleht von den weißen Frauen. Und ich habe vernommen, daß sie die Schutzfrauen meines Geschlechts gewesen sind seit der Urzeit. Jetzt ängstigt mich der Mühlstein, den der fremde Mann mit seinem Zauber heraufgeholt hat unter dem Baume, was mir das Zeichen bedeute. Die Baumwurzel fuhr durch den Stein, uralt ist der Stein, wie der Fremde sagt, und er ist älter als der Götterbaum. Und bevor der Baum war, und die Götter walteten, lebten schon meine Ahnen. Welches war der Gott, der sie damals gnädig beschirmt hat? Längst ist Glück und Sieg von meinem Geschlechte gewichen. Den Großvater erschlugen die braunen Avaren, den Vater tötete ein Wende, da ich noch klein war, und die Mutter starb in Trauer. Überall ist jetzt geschwunden die Freude der Erde. Selten nur sinnen die Götter gutes Glück meinem Volke und ein fremder Gott zieht in die Täler. Das Haus ist verbrannt, das einst auf der Höhe stand und das Glück meines Geschlechtes ist verbrannt. Und mir wird das Herz kummervoll. Jene dort beten in fremder Weise und sie haben ein starkes Vertrauen zu ihrem Gott. Sind sie Toren, so mögen unsere Götter ihre Macht an ihnen erweisen.« Im Rücken des Betenden zuckte ein Blitz, der Donner rollte. Ingram rief seinen Kriegsruf. »Wohl mir, ich höre das Dröhnen seines Wagens, er kommt, die Frevel der Fremden zu rächen.« Er warf sich auf die Erde und verhüllte sein Haupt.

Der Wetterwind schüttelte die Äste des Baumes und warf Blätter und Zweige auf die Reisenden. Diese aber erhoben noch einmal frommen Gesang, und unter Donner und rauschendem Regen klang es durch die Stille der Nacht wie ein Siegeslied über das Toben der Natur. Erst nachdem das Wetter hinter die Berge gezogen war, verstummte der Sang, und wieder ward es still im Gehege, nur die Regentropfen schlugen leise auf die Baumblätter. So verging die Nacht, beim ersten Morgengrau hob sich eine dunkle Gestalt vor dem Zaun, und der Führer sah spähend nach dem Fremden.

»Windig war dein Nachtlager unter freiem Himmel,« begann der Fremde, »deine Esche gab uns Schutz vor dem Sturm, nicht vor dem Wasser der Wolken. Bist du der Kunst mächtig, ein Feuer auf dem nassen Boden zu entzünden, so würdest du meinem Knaben und dir selbst guten Dienst leisten; wo nicht, so laß uns aufbrechen, damit Wärme in die Glieder meines Gefährten komme.«

»Es ist weite Tagfahrt bis in den Bergwald der Thüringe,« versetzte der Führer, »und Zeitverlust möchte Unheil schaffen.« Er befühlte neugierig den Mantel des Fremden. »Du bist doch naß,« setzte er frohlockend hinzu, »auch dich trifft der Regen.«

»Wenn Gott will«, antwortete der andere.

Schnell rüsteten die Männer den Aufbruch, der Fremde holte den Ledersack unter der Baumwurzel hervor und knüpfte die Riemen sorglich an den Sattel des Rosses, das der Jüngling unterdes aus dem Futtersack fressen ließ, dann neigten sich beide noch einmal an dem Holzkreuz und sprachen den Reisesegen. Ingram führte über den Wall und die Grabentiefe in den Bergwald. Heut ritt er schneller als am letzten Tage, aber sein scharfer Blick prüfte wieder jeden Busch und Stein. So oft sie aus dem Wald in ein Wiesental kamen, gab er den Fremden ein Zeichen, zurückzubleiben, und winkte nach einer Weile mit gehobener Hand, ihm zu folgen. Mühselig war der Weg über Baumwurzeln und durch das Sumpfwasser, welches sich an tiefen Stellen des Waldes gesammelt hatte, dann nahm er wohl selbst die Rosse beim Zügel und wies dem Jüngling die trittfesten Stellen. Er war schweigsam wie gestern, aber er war mehr um die Reisenden besorgt. Als sie einmal von der Höhe in ein weites Tal ritten, sagte er: »Hier müssen wir durch freies Land, hört ihr mich Hara rufen, dann wendet so schnell euch die Rosse tragen zum Walde zurück, vielleicht, daß euch die Flucht gelingt.«

Der Fremde lächelte. »Sei ohne Sorge um uns und denke an das eigene Heil.«

»Treibt das Pferd, daß es springe«, mahnte der Führer.

Als sie wieder im Walde dahinritten, begann der Fremde dankbar: »Gutherzig erweisest du dich, und als treu rühmt man deines Volkes Art.«

»Der Thüring ist fest in Liebe und Haß«, sagte der Führer.

»Auch sein Haß ist nicht der eines hinterlistigen Mannes«, versetzte der Fremde lächelnd. »Nicht geradeaus nach Norden geht der Pfad, den du uns führst.«

»Wer Kampf vermeiden will, muß sich wenden, wie der Fuchs, wenn die Hunde bellen. Sieh dort den fernen Feuerschein,« er wies mit der Hand durch die Stämme, »was dort brennt, ist ein Hof.«

»Vielleicht tat‘s der Wetterschlag.«

»Die Röte stieg auf in stiller Nacht.«

Der Fremde sah finster nach dem schwachen Licht hinüber, das am Rand des Horizontes aus der Dämmerung blinkte.

»Du kennst den Hofherrn«, fragte der Fremde.

»Es ist ein Franke,« versetzte der Thüring kalt, »sein Großvater kam weit von Westen her in das Land.«

»Sieht der Thüring ruhig zu, wenn sein Landsmann erschlagen wird?«

»Frage den großen Herrn der Franken und nicht mich, weshalb er seine Volksgenossen von Fremden erschlagen läßt«, rief der Führer. »Einst waren wir Thüringe ein siegreiches Volk, da brachen die Franken ins Land, mit ihnen die Sachsen und Angeln, unsere Krieger fielen auf der Walstatt, und die Fremden teilten sich in die Fluren der Landgenossen. Sie sagen, daß damals der Mehrteil unserer Krieger den Pfad des Todes wandelte. Jetzt sitzt über uns ein Sendbote des fränkischen Königs, er ruft uns zu den Waffen, wenn es ihm gefällt. Ich sah, wie der letzte durch die Wenden erschlagen wurde, seitdem sind wir Waldleute schutzlos, und unsere Alten schlossen Frieden mit den Feinden, frage mich nicht, um welchen Preis, alljährlich sehe ich die Klauen unserer Herdentiere in das Slawenland gehen, aber wenige herauskommen.«

»Auch du trägst Speer und Schwert«, unterbrach ihn der Fremde hart.

»Willst du versuchen, ob sie schneiden?« brach der Thüring los. Er riß seine Jacke auf und wies auf lange rote Narben. »Ich meine, mehr habe ich gegeben als empfangen. Doch es bringt wenig Ehre,« murmelte er, »sich gegen einen Waffenlosen zu rühmen.«

»In guter Meinung rede ich«, begütete der Fremde. »Ich meine, ihr habt doch viele Rosse geschlachtet, denen zu Ehren, die ihr als Götter rühmt und die ich Unholde nenne, und ich fürchte, wohl noch anderes Blut ist geflossen vom Opferstein, noch greulicher dem Gott, dem ich diene, und doch waren eure Götter zu schwach, euch Sieg zu gewähren gegen die Pfeile der Wenden. Nicht für weise halte ich den Mann, der sich auf einen Rohrhalm stützt, wenn ihm die Knie wanken.«

»Der Gott der Schlachten wägt die Lose, wie es ihn gutdünkt, er spendet Sieg, wem er will«, versetzte der Führer.

»Töricht ist deine Rede, wenn ich recht berichtet bin. Denn andere Götter sind es, denen die Wenden opfern, und wenn sie die Leute aus euren Dörfern heimwärts treiben, dann singen sie, daß ihr Gott stärker ist als der eure.«

»Gibt der Christengott Sieg seinen Bekennern? Ich sah doch manchen meiner Landsleute, der das Zeichen des Kreuzes machte, erschlagen auf der Walstatt.«

»Nicht jeder, der das Kreuz schlägt, ist ein Krieger des ewigen Gottes«, antwortete der Fremde nachdrücklich. »Wer Sieg erfleht von dem großen Himmelsherrn, der muß vorher sein eigenes Leben würdig machen der Gotteshilfe, treu leben nach Gottes Geboten und jede niedere Tat meiden. Hoch ist und schwer der Dienst, aber herrlich der Lohn, hier Sieg und Freude, und Glück im Himmel. Und ich sage dir, nicht eher wird euer Volk der Fremden mächtig werden, als bis die Kreuzfahne vor euch zieht und jeder von euch Herz und Gedanken geheiliget hat dem großen Gott der Christen.«

»Lehre auch das den König der Franken oder wer sonst dort gebietet. Denn wir hören, daß der König durch den Christenglauben zu einem Mönch verdorben ist und daß einer seiner Helden die Lande regiert.«

Der Führer wandte sich ab, der Fremde aber sprach zu seinem Begleiter: »Du hörst seine Worte. Der Thüring haßt den Franken und beide den Sachsen, ein Stamm vertilgt den anderen, und die Ehre ihrer Helden ist, Männerblut zu vergießen und das wehrlose Geschlecht fortzutreiben, damit sie ihre Lust an ihm büßen und seine Rücken gebrauchen als Schemel für ihre Füße. Seit ich ein Knabe war in fernem Land, sah ich die Menschen wilde Frevel üben, Rauben und Töten war der Höllenschrei, der aus hunderttausend Kehlen kam. Wahrlich, der Erdgarten ist zu einer Wildnis geworden, überall Wustung und zertrümmerter Bau früherer Geschlechter, wie ein Rudel Wölfe bellen, die noch leben in der Einöde. Und wo noch ein Volk männerreich auf dem Boden haust, den es sich durch Brand und Mord gewann, da leben die Sieger zuchtlos, stets gierig nach Goldschatz und Fleischeslust. Gänzlich verderbt hat der üble Teufel dies Geschlecht, das er besitzt, und doch verstopfen sie die Ohren gegen die Botschaft der Gnade, auch wenn sie das Kreuz schlagen und sich Christen nennen. Keine Rettung gibt es für die, welche nach Gottes Ebenbild aufrecht gehen, als die eine, daß sie alle die harten Nacken beugen dem einen Herrn, von dem geschrieben steht: sanft ist mein Joch.«

In der Landschaft, welche sie jetzt betraten, lagen in den Tälern oder auf halber Höhe der Berge, wo ein kräftiger Quell aus dem Boden rann, hie und da Dörfer und einzelne Höfe fränkischer Ansiedler, die meisten Höfe klein, die Häuser zerfallen, notdürftig geflickt, daneben oft leere Brandstätten. Jeder Hof und jedes Dorf waren umwallt, aber auch Wall und Gräben waren verfallen und zerrissen. Nur wenig Leute sahen sie auf dem Felde, in den Dörfern rannten die Kinder und Frauen an den Hofzaun und starrten den Reisenden nach; stolz grüßte der Führer, und der achtungsvolle Gegengruß zeigte, daß er den Leuten für einen ansehnlichen Mann galt. Zuweilen war am Hausgiebel über dem Zeichen des Besitzers ein Kreuz gemalt, dann segnete der Reisende die Bewohner an der Tür mit dem Christengruß, erstaunt vernahmen ihn die Leute und eilten auf die Reiter zu. Aber der Führer trieb hastig vorwärts und im Trabe der Rosse verklangen die Zurufe und Fragen. Wieder kamen sie an ein Dorf, ohne Zaun standen die hohen Strohdächer, welche fast bis zum Boden reichten, selbst die Fliederbäume fehlten, welche ihre schwarzen Beeren sonst in jedem Hofe wiesen. Nackte Kinder, bräunlich und schmutzbedeckt, wälzten sich neben den Ferkeln auf der Dungstätte, kleiner waren die Leute, rundlich und platt die Gesichter und statt der bedächtigen Ruhe, mit welcher die Reiter anderswo von den Dorfbewohnern begrüßt wurden, tönten ihnen hier lautes Geschrei, Schelte und Verwünschungen in fremder Sprache entgegen.

»Sind die Fremdlinge häufig auf eurem Grunde?« fragte der Fremde.

»Es sind Wenden von ostwärts, in mehren Dörfern hausen sie hier und in Thüringen, sie zahlen Zins dem Grafen des Frankenherrn, aber übelgesinnt bleiben sie und widerbellig.«

Er hielt das Pferd an und horchte auf die Verwünschungen, welche ihnen von einem häßlichen Weib nachgeschrien wurden, dann spornte er wieder das Pferd und rief: »Vorwärts!« Schnell fuhren sie dahin, der Führer richtete sich oft im Sattel auf und wandte die Augen rechts und links. Nach einer Weile ritt der Fremde an seine Seite: »Gefällt dir‘s, so sage mir, was unsere Rosse so flüchtig vorwärts treibt.«

»Nur wenig verstehe ich die Sprache der Wenden,« antwortete Ingram, »aber das Weib, der arge Lasterbalg, wünschte uns Unheil, wenn wir auf unserem Wege den Kriegern ihres Volkes begegnen würden. Unruhe ist in der Luft, schon seit dem Morgen fliegen die Habichte und Krähen nordwärts. Mich reut‘s, daß ich solche nicht gefragt habe, die in unserer Sprache reden.« Er rief seinem Rosse zu und flog voraus, die Reisenden hatten Mühe, ihm zu folgen; dem nächsten Hofe, welcher auf einer Höhe sichtbar wurde, ritt er in gestrecktem Laufe zu und winkte den anderen, zurückzubleiben. Die Reisenden sahen ihn auf dem Hügel halten, bald jagte er wild herunter und vor ihnen dahin. Als sie endlich einen steilen Aufstieg erreichten, fragte der Fremde: »Willst du uns nicht sagen, ob Gefahr droht?«

»Der Hof war leer, auch die Ställe leer, jedes Haupt entwichen, mich wundert, daß kein Flüchtling uns entgegenkommt«, versetzte der Führer finster.

»Vorwärts,« rief er, »wenn ich euch nicht verlassen soll.«

»Gedenkst du die Gefahr zu meiden, wenn wir vor dem Abend die Rosse ermüden?« bemerkte der andere ruhig.

»Ich will sehen«, versetzte Ingram kurz und ritt wieder vor.

So ging es eine Stunde vorwärts, durch Buschholz und über Wiesengrund, endlich sahen sie in der Entfernung seitwärts vom Wege einen großen Hof unter Lindenbäumen, das Roß des Führers flog wie ein Pfeil dem Hofe zu, sie erkannten, daß der Führer einigemal anhielt, dann mit weiten Sprüngen hinter den Bäumen verschwand. Langsamer folgten die Reisenden. Da sie herankamen, fanden sie das Dach zerrissen, die Tür eingeschlagen, die Kohlen eines Feuers vor dem Hause. Der Führer beugte sich über etwas, das im Grase lag. Es war ein toter Mann, das Haupt durch einen Keulenschlag gebrochen. »Dies war der Wirt des Hofes«, sprach der Führer mit zuckendem Munde. »Er war von Geschlecht ein Franke, aber ein gastfreier Mann. Und er ist gefallen als ein Krieger. Seht dorthin.« Erde war aufgewühlt und zu zwei runden Hügeln geschichtet. »Die Räuber haben ihre Toten begraben.«

»Wann ist es geschehen?« fragte der Fremde traurig.

»Gestern bevor der Tag warm wurde«, versetzte der Führer und wies auf den Leib eines Slawenrosses, das durch einen Speerwurf des Hofbesitzers getroffen, daneben lag. Der Fremde sprang ab und eilte nach dem Hause: »Komm, daß wir Hilfe bringen, wenn dort noch jemand atmet.«

»Du sorgst vergeblich«, versetzte der Führer. »Seine Tochter Walburg und seine kleinen Knaben sind fortgetrieben. Die Kuh mit der Blesse ist geschlachtet, auf seinem Rosse Goldfeder sitzt ein Slawe; die Wenden wissen aufzuräumen, sie lieben nicht halbes Werk.«

Der Fremde ergriff einen Spaten und begann ein Grab zu schaufeln. »Ratsam wäre dir, von dieser Stätte zu entweichen«, rief der Führer unruhig. Der andere wies auf ein Kreuz, das mit blauem Waid in den nackten Arm des Toten gezeichnet war: »Er ist von meinem Glauben und ich darf nicht gehen, bevor ich seine Hülle vor Wolf und Geier gesichert habe.«

Der Führer trat zurück und murmelte: »Mancher Mann, der das Kreuz geschlagen, liegt heut still auf blutigem Grunde.« Die Reisenden höhlten das Grab, legten den Toten hinein, knieten zum Gebet, deckten das Grab mit Erde und steckten ein Holzkreuz darauf. Dann winkte der Fremde den Jüngling hinweg und blieb allein vor dem Erdhaufen liegen.

Unterdes war der Führer vorwärts geeilt auf der Spur der Feinde, wie ein Jagdhund sprang er über den Grasgrund; schon harrten die Fremden seiner, als er mit glühendem Antlitz zurückkehrte. »Ich erkannte die Fährte, die Fußtritte des Weibes und der Kinder; nur eines der Rosse war beschlagen, ich meine, das ist ein Pferd des Ratiz, des Sorbenhäuptlings. Ich treffe ihn wohl in wenig Tagen«, rief er drohend. – »Beantworte mir eine Frage, Fremder: Würdest du dich freuen, den Ratiz erschlagen zu sehen mit seinem Haufen?«

»Nein«, versetzte der Fremde.

»Er hat Männer deines Glaubens getötet und führt ihre Kinder in elende Knechtschaft.«

»Nein, sage ich dir«, wiederholte der Fremde.

Der Führer raunte einen Fluch, plötzlich trat er zu dem Roß des Fremden: »Bekenne mir, was führst du in dem Ledersack, den du so sorglich hütest?«

»Nicht ziemt dir solche Frage,« versetzte der Reisende kalt, »und ich weigere dir die Antwort.«

»Ich meine, du hast Armringe darin und Silber, wie es die fremden Kaufleute in das Land bringen«, sprach der Führer und starrte begehrlich auf den Ledersack.

»Vielleicht ist darin, was du nennst,« sagte der Fremde, »vielleicht auch nicht, was kümmert‘s dich. Dein kann es nimmer werden.«

Der Führer sah ihn mit feindseligem Blick an, dann fuhr es über sein Gesicht wie ein Krampf, er warf sich auf den Boden und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Der Fremde ergriff seine Axt, stellte sich vor den Liegenden, zog ihm die Hand vom Antlitz und legte die Axt hinein. »Hier ist die Waffe, mein Sohn, und hier ist das Haupt eines wehrlosen Mannes, willst du treffen, so versuche den Schlag. Willst du lieber hören, so achte auf das Wort eines älteren Mannes.« Ingram ließ die Waffe ins Gras fallen und saß mit geneigtem Haupt auf dem Boden. »Ich weiß, was dich verstört,« fuhr der Fremde fort, »die Räuber treiben ein junges Weib in ihre Berge, du denkst daran, sie zu entledigen mit den Waffen oder durch Kauf, und du meinst, der fremde Mann soll dir dazu dienen. Spreche ich Wahrheit, so antworte.«

»Sie sprach stolz zu mir,« antwortete er leise, »weil ich nach dem Brauch meiner Väter beim Roßopfer unter der Eiche stand, aber mir ist greulich, daß sie in der Hand des Ratiz bleiben soll, und in meine Seele fiel es wie ein Strahl aus den Wolken, daß ich eilen muß, sie loszukaufen. Dann führe ich sie als Gefangene heim, sie wird mein eigen, und ich ihr Herr.«

»Und sie muß tun nach deinem Willen«, sprach der Fremde kalt; »wie aber, wenn dein Feind Ratiz ebenso denkt?«

Der Führer knirschte mit den Zähnen und warf sich wieder in das Gras.

»Sie sind wie die Bestien«, sagte der Fremde in lateinischer Sprache. »Steh auf, Führer,« befahl er mit ruhigem Tone, »und vollende vor allem, was du gelobt hast. Jetzt fordert deine Ehre, daß du uns sicher in deine Heimat bringst, wenn wir dir auch fremd und unwillkommen sind. Bist du erst frei von dieser Pflicht, dann erwäge, welches die nächste sein wird. Aber vergiß nicht, daß das Weib, welches du dir begehrst, unter mächtigem Schutz dahin zieht auf dornigen Pfaden. Denn sie wird geleitet durch die geflügelten Boten meines Gottes, die Engel, damit sie erhalten werde für diese Welt oder hinaufgeführt in den Himmelssaal der Christen. Trägt sie auch Sorbenbande, dennoch ist sie in der Hand eines gütigen Vaters, der alle hört, die in der Not ihn anrufen. Will er, daß sie gelöst werden soll durch dich, so wird es geschehen. Du aber tue, was jetzt deines Amtes ist.«

Der Führer stand auf, schüttelte sich und sprang stumm in seinen Sattel. So zogen die Wanderer weiter nach Norden, jeder mit sich beschäftigt, der Fremde sprach nur selten einige lateinische Worte zu seinem Begleiter. Als die Sonne sank, betraten sie die finstern Wälder des Gebirges, welches die Thüringe von den Franken scheidet.

Sie hörten hinter den Bäumen Hundegebell und dazwischen ein tiefes mißtönendes Gebrumm. »Führst du uns in eine Bärenhöhle?« fragte der Fremde.

»Hier wohnt Bubbo, der Landfahrer,« versetzte der Führer, »er fängt Bären, weiß ihre Wut zu bändigen und verkauft sie weit südwärts im Lande der Franken, an Herrenhöfe, zuweilen auch an fahrendes Volk. Sein Hof ist im ganzen Lande gefürchtet, er hat Frieden bei Freund und Feind und versteht manche geheime Kunst.«

»Er ist von deinem Glauben?« fragte der Fremde.

»Wenige wissen, zu welchen Göttern er fleht«, sagte der Führer.

»Dann laß uns den ungastlichen Hof meiden.«

»Sieh auf den Himmel, die Nacht bringt Regen, dein Knabe und eure Pferde bedürfen Nachtrast, denn morgen steigen wir über den Wald auf wildem Wege, wo kein Wirt uns aufnimmt.«

Der Mann blickte auf den Jüngling an seiner Seite und gab schweigend ein Zeichen der Gewähr. Da sie näher kamen, wurde das Gekläff der Rüden wilder, die grunzenden Stimmen einer Bärenfamilie mischten sich darein, und als Ingram an das Tor schlug, tobte der Lärm so arg, daß der Fremde ein Kreuz schlug. Lange pochte der Führer, endlich klangen Menschentritte und rauher Zuruf an die Tiere; Ingram rief seinen Namen durch das Tor, der Sperrbalken wurde zurückgeschoben, und eine riesige Männergestalt trat in den Türspalt. Der Führer sprach leise mit dem Wirt. Durch kurze Handbewegung lud dieser zum Eintritt, er faßte die zitternden Pferde am Zügel und zog sie in den Hof, den er hinter ihnen wieder verschloß. Die Reisenden entlasteten ihre Tiere im Dunkel, dann führten Ingram und der Wirt die Rosse nach einem Stall. Als die Männer auf den gestampften Lehmboden der Hausflur traten, hielt der Wirt eine Kienfackel an die züngelnden Kohlen des Holzklotzes, der auf dem Herde lag, und leuchtete mit der rußigen Flamme seinen Gästen in das Gesicht. Da er das Antlitz des Fremden erkannte, trat er zurück, die Fackel entglitt seiner Hand und sprühte auf dem Boden, bis der Führer sie faßte und in den Eisenring am Herde steckte.

»Nimmer hätte ich geglaubt, dein Angesicht in meiner Hütte zu finden. Unhold war der Gruß, den du mir botest, da ich dich das erstemal sah; mit meinen Bären ließest du mich weghetzen von dem Haus deiner Gastfreunde.«

»Und da ich dich zum zweitenmal sah,« antwortete der Fremde ruhig, »löste ich deinen Hals von der Weide, die für dich gedreht war. Und da ich dich zum drittenmal sah, standest du als Täufling vor mir im weißen Hemd, und das heilige Wasser rann über dein Haupt.«

»Das Taufhemd ist lange zerrissen, es war das letztemal weniger wert als sonst wohl in früheren Jahren, wo ich mich in euer Wasser tauchen ließ; und ungern denkt der Mann an die Stunden der Not, in denen er ein Haupt vor fremdem Zauber gebeugt hat«, versetzte der Wirt scheu. »Du hast mir weh getan und du hast mir wohl getan. Dennoch meine ich, du bist ein Mann, großer Geheimnisse kundig, und auch mich rühmen die Leute als einen, der manches weiß. Und wenn ich dir Frieden gebe unter meinem Dach, so magst du zum Dank mich wohl noch manch Geheimnis lehren.«

»Ich will dich lehren,« sagte der Fremde, »wenn du Ohren hast zu hören.«

»Wohlan, so soll das Frühere ausgeglichen und vergessen sein und ich will dich halten als meinen Gast, dich und deine Begleiter mit Abendkost und Herberge, und ich grüße dich an meinem Herde, dich, Herr Winfried, vor dem die Leute knien und den sie Bonifazius und einen Bischof nennen.«

Als die Reisenden am Abend des nächsten Tages aus dem dunklen Fichtenwald ritten, schauten sie von der Berghöhe niedrige Hügel, in der Ferne offenes Land. Vor ihnen lag am Fuße des Berges ein Dorf, grau die Dächer, grau die Balken, rund herum ein Zaun aus Pfahlwerk und ein breiter Graben. Eng gedrängt standen die Häuser in den Dorfgassen, damit die Abwehr eines feindlichen Überfalls leichter sei. Außerhalb des Zaunes erhoben sich an der Berglehne zwei einzelne Höfe wenige Bogenschüsse voneinander entfernt. Zu jedem führte ein Fußpfad von dem Dorfwege ab. An dieser Wegscheide hielt Ingram und sagte kurz: »In das Land der Thüringe habe ich euch geleitet, dies ist das Dorf, dort ist der Hof des Franken, den sie einen Meier des Grafen nennen, und dort steht er selbst. Vollbracht ist, was ich gelobt, fahret dahin.«

Während die Fremden mit geneigtem Haupt ihrem Gott dankten und um Segen für ihren Eintritt flehten, jagte Ingram von dannen und war bereits hinter einem Vorsprung des Holzes verschwunden, als Winfried nach ihm aufsah. Von der anderen Seite aber kam der fränkische Verwalter ihnen entgegen, ein Mann mit grauem Haar und ernster Miene. Winfried bot ihm den Christengruß, und das Gesicht des Mannes rötete sich vor Freude, als er antwortete: »In aller Ewigkeit.« Und als ihm Winfried ein ausgeschnittenes Pergamentblatt hinhielt, das Erkennungszeichen, welches die Herrin dem Meier sandte, da nahm dieser ehrerbietig den Hut vom Haupte, ergriff selbst die Zügel der Rosse und führte die Fremden nach seinem Hofe.


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