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Текст книги "Die Ahnen"


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Автор книги: Gustav Freytag


Жанр: Классическая проза, Классика


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»Im Hofe des Heiligen sitze ich demütig an der Schülerbank, bei Euch, Herr, ziemt mir der Stuhl in Eurer Nähe.«

»Werft den Schamlosen von seinem Sitz«, befahl der Graf zornig.

»Dann führt mich zurück in den Turm,« rief Immo, »denn bei allen Heiligen des Himmels, an keiner Bank lagere ich, keinen Bissen und keinen Trunk nehme ich in diesem Saal, wenn mir nicht ein Ehrensitz bereitet wird, wie ihn mein Vater erhielt, wenn er diese Burg betrat.«

»Wer bist du, Knabe, daß du mir unter meinem eigenen Dache zu trotzen wagst?«

»Es ist Immo, Herr, Sohn des Helden Irmfried, welcher das Banner der Thüringe im Lande Italien trug,« bedeutete ein alter Dienstmann in der Nähe des Grafen, »und darin hat er recht, die Männer seines Geschlechts haben von je einen Herrenstuhl begehrt.«

»Jetzt erkenne ich dich, Immo,« versetzte der Graf ruhiger, »bei meinem Schwert, früh krümmt sich der Haken. Dennoch sollen meine Knaben dich abwärts führen, da du kein Krieger bist, sondern nur ein halber Mönch.«

Immo errötete vor Zorn. »Ich aber meine, daß Eure Reisigen meinen Arm gefühlt haben, fragt nach, wenn es Euch gefällt, ob die Stöße nur halb waren und in Mönchsweise gegeben, oder nach Art eines ehrlichen Kriegers. Und wenn ich wüßte, daß die Starken, gegen welche ich geritten bin, in diesem Saal wären, so würde ich sie gern friedlich begrüßen und sie bitten, daß sie ihren Groll gegen mich schwinden lassen. Denn ich habe nur getan, wozu ich als Geselle des Hugbald verpflichtet war, und ich hoffe, auch sie ehren den Spruch: Auf der Heide schlagen, beim Trunke sich vertragen.«

Da rief ihm ein junger Dienstmann von der Bank entgegen: »Hast du auch meinem Genossen das Haupt zerschlagen, lustiger Immo, so will ich dir doch Bescheid tun, wenn der Graf dir einen Trunk verstattet. Denn laut dröhnte dein Holz an meiner Eisenhaube, und ich schulde dir noch einen Dank vom letzten Kirchfest, wo ich allein gegen eine Anzahl Klosterleute rang und du mir zu Hilfe sprangst, damit der Kampf ehrlicher sei. Treffe ich dich mit einem Schwert aber später auf grünem Grunde, dann zahle ich dir die Streiche zurück, und du magst sie tragen.«

Ein beifälliges Gebrumm ging um die Bänke.

»Wohlan,« entschied der Graf, »da du dich vor meinen Mannen nach Gebühr zu entschuldigen weißt, so will auch ich heut an die Ehren deines Vaters gedenken. Siehe zu, ob du meine Tochter Hildegard erbitten kannst, daß sie deinen Stuhl in ihrer Nähe leidet, denn sie ist gleich dir vor kurzem aus der Klosterschule geschlüpft, und sie soll dir wie ein Abt in Latein dein Urteil sprechen. Wir anderen aber wollen ruhig zuschauen, wenn sie über dem Scholastikus zu Gericht sitzt.«

Das Mädchen saß unbeweglich und sah errötend vor sich hin.

»Sei mir hold,« bat Immo, »da du doch aus der Schule bist.«

Ein freundlicher Blick des Einverständnisses fiel auf ihn, dann sah sie wieder vor sich hin.

»Hast du das Sprechen verlernt, Hildegard?« fragte der Graf unwillig. »Sechs teure Rosse haben die frommen Frauen genommen, um dich in ihrer Zucht zu unterweisen, obgleich ich das Gewieher der Rosse lieber höre als das unverständliche Murmeln in fremden Zungen. Mich reut meine Spende, wenn du dem dreisten Schüler nicht zu antworten vermagst.«

»Cave ne iram augeas«, sprach das Mädchen leise, ohne den Schüler anzusehen.

»Nur dürftig rinnen die Worte wie aus versiegendem Quell, was hast du ihm gesagt, Mädchen?« fragte der Graf.

»Sie hat mich gemahnt,« antwortete Immo, sich erhebend, »daß ich mit ehrerbietiger Bitte Euch nahen soll. Darum flehe ich, Graf Gerhard, daß ihr mir, wenn ich auch Euer Gefangener bin, den Sitz gestattet und mich nicht von Eurem Tische sendet. Denn um Euch alles zu sagen, gar nicht reichlich war heut die Mittagskost im Kloster, und der Ritt zwischen den Rossen Eurer Reisigen war auch einem fröhlichen Imbiß sehr ungleich, und gern würde ich Heil für Euch und die Jungfrau trinken, wenn ich es vermöchte.«

Da der Graf an dem beifälligen Murmeln seiner Dienstmannen erkannte, daß diesen die Art des Jünglings wohlgefiel, so lachte er und rief über die Bänke: »Wahrlich, dieser Schüler versteht nicht nur sich selbst, auch anderen Ehre zu geben. Darum gefällt mir, daß heut die beiden Lateiner zusammensitzen. Fülle deinen Becher, Hildegard, und biete ihm den Trunk, rücke ihm auch deinen Teller hin, denn als dein Geselle soll er heut von deinem Teller essen und aus deinem Becher trinken.«

Das Mädchen schob den Teller zögernd nach dem Fremden hin.

»Ich merke,« sagte Immo ärgerlich, »daß dir dein Geselle unwillkommen ist.«

»Wundere dich nicht, Immo,« spottete der Graf, »du bist wie ein Frosch aus dem Klosterweiher herangehüpft. Ihr aber geht es wie der Königstochter, welcher auch ein Frosch zum Gesellen gesetzt war, stolz sah sie auf den Quaker, kalt erschien ihr sein Fell, und nur mit zwei Fingern griff sie ihn an.«

»Ja, so tat sie, Herr,« versetzte Immo dreist, »aber zuletzt wurde der Quaker doch ihr Gemahl.«

Der Graf und seine Bankgenossen lachten laut. »Mißfällt dir auch seine ungefüge Stimme,« gebot der Graf ergötzt der Jungfrau, »so fülle ihm doch den Becher.«

»Trinke mir zu,« mahnte Immo, »dies ist mein Recht, da ich dein Geselle bin.«

Hildegard berührte den Becher mit ihren Lippen, schob ihm den Becher hin und sagte leise: »Stille ein wenig den lauten Gesang, denn der Reiher schwebt über dir.«

»Sieh zu, Frau Reiherin, ob meine Hand kalt ist wie eine Froschhand«, versetzte Immo, ihre Hand fassend.

»Du wirst dreist, Herr Frosch,« antwortete das Mädchen, die Hand zurückziehend, »tauche zurück in deinen Quell.« Sie hob die Kanne und goß ihm den Becher voll.

»Sei bedankt, Geselle«, sprach Immo. »Komme ich einmal aus dem Kloster, so sende ich auch dir etwas, das dir Freude macht.«

»Du weilst ungern im Kloster, mir aber wurde das Scheiden bitter,« begann Hildegard zutraulicher, »denn selig waren die Tage meiner Jugend unter den frommen Frauen, und wilde Reden höre ich hier unter den Männern.«

»Manches Vöglein, das aus dem Bauer kam, duckt sich furchtsam auf dem Aste, zuletzt lernt es doch unter dem blauen Himmel fliegen«, tröstete Immo.

»Als mir die Mutter starb, fand ich unter den frommen Frauen getreue Pflege.«

»Waren sie streng in der Schule?« fragte Immo teilnehmend.

»Am Vormittag durften wir nur lateinisch reden,« erklärte Hildegard, »und wir lasen im St. Augustinus und die Verse im Virgilius: › Conticuere omnes‹.«

»Infandum regina jubes renovare dolorem,« rief Immo, »manchmal hat mir der Heide den Kopf heiß gemacht«, und beide lachten vergnügt einander an.

»Auch andere Kunst lernten wir,« fuhr Hildegard mutig fort, »denn im Schreiben war Mutter Mechthild sehr geschickt, und sie vergönnte mir, daß ich die Hymnen für mich schrieb. Ich habe auch das Buch genäht, ich habe es auch selbst in Holz gebunden, und der Schmied hat acht Edelsteine in die Ecken gesetzt.«

»Diese Kunst vermag ich nicht zu üben«, versetzte Immo.

»Auch mit der Nadel lernten wir Bilder sticken aus Purpur und bunten Seidenfäden. Sogar Goldfäden für die Kunstreichen fehlten selten im Kloster. Sieh her, das habe ich mir selbst gestickt«, und sie wies ihm die Verzierungen am Ärmel ihres Gewandes.

Immo sah bewundernd darauf. »Dir ist es besser gelungen als mir. Aber beide sind wir Waisen, ich kam in das Kloster, weil mir der Vater starb, jetzt fürchte ich, daß bald einmal die Schere knipst, um mir das Haar zu scheren.«

»Du meinst wohl, es sei schade um deine Locken«, spottete Hildegard, aber sie sah doch teilnehmend auf sein Haar, welches im Lichte glänzte und länger herabhing, als strenge Klosterzucht sonst den Schülern gestattete. »Wenn der Mutter Mechthild einmal die Goldfäden fehlen, so kann sie deinen Haarschopf dazu verspinnen.«

»Lieber wäre mir, wenn dir gefiele, für mich einen Goldfaden aus deinem Gewande zu ziehen. Hier ist mein Finger, binde ihn mit deinem zusammen, da du doch heut mein Geselle bist. Denn wisse, das ist Brauch in der Welt.«

»Das ist übler Brauch,« versetzte das Mädchen errötend, »ich vermöchte dich doch nicht bei mir festzuhalten. Auch habe ich vernommen, daß treue Gesellen solche Gewohnheit haben, sie sitzen beieinander auf demselben Zweige und singen dieselben Lieder. Deine Weise aber ist, wie ich merke, sehr ungleich der meinen.« Sie neigte das Haupt ein wenig auf die Seite und lud ihn durch einen lustigen Blick zum Wortkampf ein. »Mir gefällt‘s, wenn das Glöcklein im Kloster klingt, dann singen wir fromme Hymnen.«

»Mir aber gefällt‘s, wenn das Waldhorn tönt,« antwortete Immo ebenso, »dann bellen die Hunde, dann springen die Hirsche, und lustig reitet der Jäger im wilden Wald. Was sagst du dazu, mein Geselle?«

»In deinem grünen Wald heult der Wolf und haust der wilde Bär, im Kloster aber ziehen wir mit Kreuz und Fahne und danken dem Himmelsherrn.«

»Mühselig ist es, immer den Kopf zu neigen und mit langsamem Fuße zu schleichen. Ich lobe mir den grünen Anger und bunten Klee, dort werfen die Knaben und Mädchen den Ball und springen den Reigen. Wie gefällt dir das, mein Geselle?«

»Beim wilden Reigen sah ich die Knaben das Messer ziehen, und blutige Streiche störten den Tanz; ich lobe mir, wenn das junge Geschlecht im Kreise sitzt und die Vorleserin Gutes aus den Büchern verkündet.«

»Leicht kommt der Schlaf, wenn man tatlos kauert. Viel lieber schwinge ich selbst den Speer und das Schwert und reite im Eisenhemd über die Heide. Was sagst du dazu, mein Geselle?«

»Ein Kriegsmann willst du werden,« rief das Mädchen erschrocken, »sie werden dich töten«, und sie vergaß das Redespiel.

»Wenn sie das vermögen; ich aber will sorgen, daß es ihnen nicht gelinge.«

Die Jungfrau sah scheu aus ihren großen Augen auf den Nachbar. Daß er nicht geistlich werden wollte, störte ihr die Sicherheit, sie schob ihr Gewand zusammen und schwieg.

Immo achtete in seinem Übermut nicht auf ihre Bewegung und rief: »Mir ist heut manches schlecht gelungen, die Schwertleute haben sich an mich gehängt und mich hart geschnürt, und ich weiß nicht, was mir dein Vater ersinnen wird. Dennoch bin ich froher als je in meinem Leben, und ich könnte auf meinem Stuhl hüpfen. Ich fühle auch gegen niemand Groll, und es ist mir ganz lieb, daß sie mich gefangen haben. Ich weiß nicht, woher das kommt, wenn mir nicht darum so wohl ist, weil ich neben dir sitze und mit dir aus einem Becher trinke. Wonnig ist mir zumute, und ich möchte wohl einmal aus Herzensgrund aufjauchzen oder auch singen. Aber mein Gesang würde nicht jedermann freuen, denn meine Stimme ist rauh. Noch anderes Recht habe ich als dein Geselle, und auch das sollst du wissen. Denn küssen darf ich dich, wenn ich will.«

Hildegard erschrak und wandte sich ab: »Hüte dich, daß der Vater das nicht hört, schnell würde dein Ehrensitz dir genommen werden.«

»Um den Vater sorge ich nicht, nur um deinen Zorn,« versetzte Immo übermütig, »und daß ich dich vor den Kriegsleuten nicht beschäme. Aber wenn ich dich einmal allein wiedersehe, dann bestehe ich auf meinem Recht. Mögen die guten Engel fügen, daß dies bald geschehe.« Und er sang halblaut die Worte des Hymnus: »Audi, benigne Conditor, nostras preces cum fletibus.«

Das Mädchen nahm die Weise auf und sang halblaut andere Zeilen des Liedes entgegen: »Dona, per abstinentiam jejunet ut mens sobriaErhöre, gütiger Schöpfer, unser Gebet und Flehen. – Gib, daß durch Enthaltsamkeit sein Sinn mäßig und nüchtern werde. . Flehe zu den Heiligen, daß du nüchtern wirst, denn wie ich höre, redest du gleich einem Berauschten.«

»Wie du geschickt zu entgegnen weißt,« rief Immo begeistert, »du bist ein sinnvolles Weib, wenn du mich auch verhöhnst.«

Der Graf hatte unterdes mit seinen Mannen emsig dem Wildbret und starken Bier zugesprochen und nur einzelne Reden mit den Vertrauten, welche ihm zunächst saßen, gewechselt, jetzt lehnte er sich zufrieden auf dem Stuhle zurück und hörte die lateinischen Worte des Hymnus, welche seine Tochter sprach. »Merkt auf unsere Klosterleute,« rief er, »sie summen nach Art der Mönche mit geneigten Köpfen,« und da er im geheimen stolz auf das Wissen seiner Tochter war, fuhr er fort: »Fremde Worte sprechen mag jeder, aber das Gesprochene verstehen ist schwerer. Vermagst du einzusehen, Immo, was das Mädchen zu dir gesungen hat?«

»Ja, Herr,« versetzte Immo, »sie mahnt mich, mäßig zu sein, damit Euer Trank mir nicht das Hirn betäube.«

»Allzustreng ist Hildegard,« lachte der Graf, »dir soll auch einmal etwas Gutes gegönnt sein. Obwohl ich erkenne, daß es dir an Dreistigkeit nicht fehlt, du junger Zaunkönig. Denn Zaunkönige nennt ja wohl das Volk die Männer deines Geschlechtes.«

Immo bezwang mit Mühe den aufsteigenden Zorn. »Weil meine Vorväter als alte Landherren auf freiem Erbe saßen, deshalb haben die Mönche ihnen im Scherz den Namen Reguli, kleine Könige, gegeben.«

Da rührte sich auch Egbert, ein unfreier Dienstmann des Grafen, welcher stattlich im roten Gewande dasaß, weil er der Sprecher war und ein Liebling seines Herrn, und rief spottend in den Saal: »Eine Sage weiß ich. Als die Vögel den Genossen zum König wählen wollten, der sich am höchsten schwingen würde, barg sich ein Zwerg von Vogel in den Federn des Adlers und ließ sich hinauftragen bis dahin, wo er den Weltenherrn auf seinem Stuhle sah, dort flatterte er über das Haupt des Adlers und piepte: König bin ich. Da lachte oben der alte Gott in seiner Halle, und unten schrien die Vögel im Zorn, bis der Herr des Erdgartens gebot, daß der Betrüger seine Krone nur heimlich in den Waldhecken tragen dürfe, wo ihm niemand zusieht. Darum heißt auch ihr Zaunkönige, weil eure Herrlichkeit im Busch versteckt ist.«

Immo erhob sich im hellen Zorn und rief: »Nicht dem Diener antworte ich, sondern dem Herrn. Ihr selbst habt es ja wohl erfahren, Graf Gerhard, daß die Helden meines Geschlechtes ihr Haupt nicht in der Waldhecke bergen. Nie hat einer von meinen Ahnen sein Land vom König oder von der Kirche zu Lehen genommen, wie die erbelosen Franken und Sachsen, welche von der Dienerbank in das Land kamen, um bei uns Grafen zu werden. Manchen weiß ich, der sich jetzt rühmt, ein Edler zu sein, weil er als Diener eines Königs mit großem Gefolge reitet, obgleich seine Vorfahren aus der Küche und aus dem Stall geschlüpft sind.«

Mißtönender Lärm erhob sich an den Bänken, und die Hand des Grafen Gerhard griff nach dem Messer, das er an seiner Seite trug, der Jüngling aber sah mit blitzenden Augen über die Versammlung, stattlich stand er da trotz seinem Schülerkleide und rief laut in das Getöse: »Zürnt mir nicht, starke Helden, daß ich als ein unberühmter Jüngling vor euch meine Stimme erhebe, wenn man seinem Geschlechte durch stechende Worte die Ehre mindert. Auch zu Euch, Graf Gerhard, flehe ich, daß Ihr ohne Kränkung vernehmt, was ich nur zur Abwehr sprach. Heil trinke ich Euch und Euren Kindern, und Dank sage ich Euch, wie dem Gaste gebührt.« Er leerte den Becher und setzte sich.

Der Graf barg seinen Groll hinter gezwungenem Lachen. »Ich höre, du hast unter den Mönchen gelernt, mit zwei Zungen zu reden.«

»Überall rühmen die Leute,« versetzte Immo, »daß die Zunge eine gute Waffe ist, und wir Schüler haben, wie Ihr wißt, vor anderen darin Ruf.«

»Oft haben auch wir erfahren, wie scharf die Zunge der Mönche schneidet,« entgegnete der Graf, »vor anderen aber bei den Mönchen des Wigbert, und wir alle wissen, daß ihr dort sehr ungeistlich lebet und der Gebete für arme Seelen wenig gedenkt. Auch von dir selbst, Immo, erinnere ich mich, gehört zu haben, daß du wild in dem Kloster hausest und sogar den Mönchen üble Streiche spielst. Soll deine Rede mir besser gefallen als seither, so berichte ein wenig von deinem Streit mit den Geschorenen.«

»Verzeiht, Herr,« versetzte Immo ernsthaft, »die Rinder kämpfen oft mit ihren Hörnern gegeneinander, wenn aber der Bär naht, dann schließen sie sich einmütig zusammen und weisen ihm die bewehrte Stirn; so wäre auch mir Unrecht, an fremdem Tisch von den Vätern Übles zu berichten, denn als ein Kind des heiligen Wigbert hast du mich ergriffen.«

»Du sorgst schlecht für dein Wohl,« rief der Graf zornig, »wenn du dein Kloster in dieser Halle rühmst. Denn undankbar und treulos haben Wigberts Mönche an mir und meinem Geschlecht gehandelt. Oft habe ich mich enthalten, ihnen Übles zu tun, wo ich es doch vermocht hätte, und mühsam habe ich den Zorn meiner Mannen gebändigt, wenn sie die Rinder des Klosters begehrten und den Übermut eurer Dorfleute ansahen. Auch wegen der Wiesen und Fluren, von denen ich heut den geschorenen Schwarm vertrieben habe, ertrug ich schon lange das Unrecht. Denn meinem Vater gehörte der ganze Grund, und er hat ihn, wie die Mönche behaupten, dem Kloster zugeschrieben, da ich noch jung war, unter der Bedingung nämlich, daß sie seine arme Seele von dem Höllenfeuer frei beten sollten. Dies aber haben sie uns zum Unheil und zur Schmach versäumt. Und ihr alle sollt es wissen, was mir begegnet ist, damit ihr mein Recht gegen die Wigbertleute erkennt. Jämmerlich war das Gesicht, welches ich neulich hatte, da ich auf meinem Bette lag.« Er bekreuzigte sich heftig und fuhr fort: »Ich sah im Traum eine unselige Gestalt von Flammen umgeben und mit glühenden Ketten an den Beinen gefesselt, und ich erkannte, daß sie so gestaltet war wie mein Vater, da er lebte. Der traurige Geist wies auf den Grenzhügel, welchen die Mönche nach der Schenkung neu geschüttet haben, und seufzte: Mein war es, und dein soll es wieder sein. Mir fuhr das Entsetzen durch den Leib, bis die Gestalt verschwand. Daraus erkannte ich deutlich, daß die Geschorenen als Lügner an meinem Vater gehandelt haben, oder auch, daß ihr Gebet ganz unwirksam geworden ist, weil sie in Weltsünden leben; und darum beschloß ich, mein Eigentum wieder zurückzufordern. Vermag Wiese und Feld nicht meinem Ahn einen guten Sitz in der Himmelsburg zu erwerben, so soll dasselbe Land doch solchen, die mir treu sind, einen warmen Sitz auf Erden bereiten; denn es wird dazu helfen, zwei bis drei Kriegsleute mit ihren Rossen zu erhalten, wenn ich es ihnen als Lehn zuteile.«

Ein freudiges Geschrei ging um die Tische, und laute Heilrufe erklangen dem Sprecher. Der Graf tat einen herzhaften Trank und sah zufrieden über seine Bewaffneten. »Dies sage ich in deiner Gegenwart, Immo. Denn obgleich du dich heut trotzig an meinem Tische gebärdest, so will ich dich doch morgen zu deinem Abt entsenden, damit du ihm meine Beschwerde verkündest. Ich wähle aber dich, weil ich merke, daß du recht gut verstehst, deine Worte zu setzen, und weil ich dich als nutzlosen Schüler nicht im Kerker bewahren mag. Die Geschorenen, welche mein Gesinde fing, habe ich entlassen, damit sie nicht als Gefangene in meinen Mauern Unheil herabbeten, die Klosterknechte aber halte ich in Banden, bis dein Abt sie auslöst oder sich mit mir wegen der Wiesen verträgt. Und ich fordere, daß er sich mit der Lösung beeile, wenn er sie lebend wiedersehen will, da ich sie nicht lange zu füttern gedenke. Den Hugbald aber bewahre ich zu anderem Tausch. Denn zwei meiner Knechte, sattelfeste Knaben, liegen auf der Burg des Abtes verstrickt, weil sie neulich auf meinen Stuten beim Roßgehege des Abtes vorbeiritten. Da brachen die jungen Hengste des Herrn Bernheri aus und jagten eigenwillig hinter den Stuten her, und als meine Knaben den Füllen die Leine umwarfen, nur damit sich diese nicht in den Wald unter die Wölfe versprengten, da kamen Dienstmannen des Klosters herzu, schrien meine Leute trotz ihrer guten Meinung als Roßdiebe an, rissen sie von den Pferden und führten sie samt den Stuten nach dem Berg des Abtes. Mich aber kränkt dies Unrecht sehr, und ich fordere meine Knaben und Pferde gegen den Hugbald und sein Pferd; das magst du deinem Herrn verkünden.«

Immo hörte erstaunt die Rede des Wirtes, ihm fiel schwer aufs Herz, daß auch sein Geschlecht dem Kloster wertvolle Hufen verkauft hatte, und er fühlte nicht den Drang, die Mönche zu verteidigen. Er sah nach Hugbald, welcher mürrisch hinter seinem Becher saß, und begnügte sich, trotz der Freude über seine nahe Befreiung, ruhig zu sagen: »Alles, was Ihr mir auftragt, werde ich dem Herrn Abt berichten, auch Euer Traumgesicht, wenn Ihr das begehrt.«

Als er aber seitwärts nach Hildegard blickte, war ihr Antlitz gerötet, und große Tränen rannen aus ihren gesenkten Augenlidern herab. Da erkannte er, daß die Jungfrau bitteres Leid über die Reden ihres Vaters empfand, und sie wurde ihm dadurch noch lieber. Sie aber vermied, ihn anzusehen, stand schweigend auf, hob den Bruder von seinem Sitz und erbat leise vom Grafen die Entlassung, der ihr gleichgültig durch eine Handbewegung gestattete, aus der Halle zu scheiden. Und zu der Bank seiner Mannen gewandt, rief er: »Führt auch die Verstrickten in ihre Zelle zurück, wenn sie nüchtern abwärtssteigen, so ist es ihre Schuld.«

»Lebewohl, Hildegard«, sprach Immo leise und faßte heftig ihre Hand. »Denke mein, lieber als alles auf der Welt wird mir sein, wenn ich dich wiedersehe.«

»Sei auch du gesegnet«, antwortete Hildegard und verneigte sich vor dem Vater. Immo freute sich, daß sie die Mannen stolz als Herrin grüßte; die kleine Tür öffnete sich, und sie verschwand. Jetzt brannten die Fackeln dem Jüngling trübe, die wilden Mienen der Männer erschienen ihm unheimlich, und er folgte mit stummem Gruß dem Kämmerer. »Sorge dafür, daß die beiden Klosterkrähen einen besonderen Käfig erhalten und Stroh zu warmem Sitze«, rief der Graf unter dem Gelächter der Reisigen dem Kämmerer nach.

Während Hugbald schweigend auf der Streu lag, bis er im Schlafe seines Kummers ledig wurde, saß Immo neben ihm in seligen Gedanken, er überlegte jedes Wort und jede Miene der Jungfrau, spät sank er in Schlummer.

Am nächsten Morgen wurde er in den Hof geführt und vernahm noch wie im Traume ungnädige Entlassung und harte Worte aus dem Munde des Grafen. Als er aber auf das Pferd steigen wollte, das ihm ein Reisiger zuführte, ging eine junge Magd aus dem Frauengemach bei ihm vorüber, legte ihm verstohlen etwas in die Hand und sagte leise: »Nimm zurück, was dir gehört.« In ein großes Lindenblatt war ein Blättchen Pergament gewickelt, auf dem Pergament stand mit schöner Schrift der Reisegruß: »Die lieben Engelein sollen dich hüten und segnen auf allen deinen Wegen«; rings um die Schrift war mit der Nadel ein Goldfaden durch das Pergament gezogen. Er drückte das Blatt an seine Brust und barg es in seinem Gewande.

Immo ritt aus den Buchen, von einem Reisigen des Grafen bis an die Grenze begleitet. Er fand das Tor St. Peters geschlossen, die Brücke gehoben, wurde von Bewaffneten angerufen und mußte längere Zeit harren, bevor ihm der Eingang gestattet wurde. Herr Bernheri, welcher im Klosterhofe vor seinen Dienstmannen saß, vernahm unwirsch die Botschaft des Grafen und entsandte den Boten mit dem Mönch Eggo sogleich zur Fulda hinab in das Kloster. Auch das Kloster war in ein Kriegslager verwandelt, am Eingang des Dorfes standen die Weiber in Haufen, sie schrien dem Kommenden entgegen, umringten sein Roß und forderten Kunde von den Gefangenen. In dem Hof der Reisigen drängten sich Kriegsleute und Knechte, das Rüsthaus war geöffnet, und die Knechte trugen Eisenhemden und Waffen zu langen Reihen. In den Arbeitshöfen schwärmten die Brüder, aus der Klausur entlassen, aufgeregt durcheinander; bei der Mauer und dem Pfahlwerk zimmerten Arbeiter an den Treppen und Bänken für die Bogenschützen, und im Vorhof der Kirche stand Tutilo, ein Schwert über der Kutte, als Hauptmann der großen Burg, welche zur Verteidigung gerüstet wurde. Unfreundlich sah er auf Immo: »Hugbald liegt gefangen. Leichter hätte das Kloster dich entbehrt als seinen Dienstmann.«

»Nicht mein ist die Schuld,« versetzte Immo, »daß Hugbald gegen die Feinde keine andere Hilfe fand als meinen Stab.«

Finster wies ihn Tutilo mit einer Handbewegung zur Seite, Immo aber eilte zu seinen Genossen, welche vor allem froh waren, daß sie heut nicht durch den neuen Lehrer in die Schule gerufen wurden. Von ihnen umdrängt, berichtete Immo seine Fahrt und führte die Willigen vor das Rüsthaus, wo die älteren gewappnet wurden, um mit den Knechten die Mauer und die Umgegend des Klosters zu bewachen. Eggo aber verkündete den Mönchen, daß Herr Bernheri am nächsten Morgen herabkommen werde, um die Brüder im großen Konvent zu versammeln. Mit düsteren Mienen vernahmen die meisten die Botschaft.

Der ganze Tag verging im Getümmel; trotz der Nachricht, welche Immo gebracht hatte, sorgten die Mönche, daß der Graf einen Anlauf gegen das Kloster wagen oder daß seine Dienstmannen in Herden und Dörfer einbrechen würden. Bis zum Abend kamen von allen Seiten Flüchtlinge mit ihrer wertvollsten Habe, auch das Herdenvieh wurde herangetrieben von Anger und Weide, zuletzt kam noch der Sauhirt mit seiner Herde, und die Brüder hatten Not, die Menge der Menschen und Tiere in den Höfen zu bergen. Als die Sonne unterging, war in dem Kloster, das sonst am Feierabend so still in der Landschaft stand, ein wirres Getöse und Geschrei, die Rinder brüllten, die Schweine grunzten, die Schmiede schlugen auf die Speereisen, und die Zimmerleute hieben Balken und Bretter für die Verschanzung.


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