Текст книги "Die Ahnen"
Автор книги: Gustav Freytag
Жанр: Классическая проза, Классика
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Auf einer Anhöhe hielt Wolf, der den Vortrab führte, und wies mit der Hand in die Ferne. Vor der reisigen Schar erhob sich aus der schneebedeckten Landschaft der mächtige Steinbau einer Königsburg, hohe Mauern, dicke Türme mit Zinnen, dazwischen die rotbraunen Ziegeldächer der Königshäuser, ein schreckhafter Anblick für die Landgenossen. »Leicht mögen die Vögel in solchen Käfig hineinkommen, aber herauszufliegen wird nicht jedem gelingen«, brummte Berthar. Ein kurzer Hornton klang von den fernen Zinnen. »Dort rührt sich der Türmer, jetzt trabt, damit sie unseren Eifer erkennen.«
Durch einen Hohlweg zwischen zwei Felsen ritten die Fremden dem steinernen Außenwerk zu, welches der Brücke vorgebaut und auf seiner Höhe mit bewaffneten Mannen besetzt war. »Die Knaben haben die Tore geschlossen, um sich auf unseren Besuch zu bereiten«, rief der Alte und schlug an den eisernen Klöpfel des Tores. Von der Höhe fragte der Türmer nach Namen und Begehr. Ingo antwortete. Aber lange harrte die Schar, und ungeduldig stampften die Rosse, bevor das schwere Tor sich knarrend öffnete und die Brücke dahinter zur Erde sank. Die Reiter sprengten in den Hofraum der Burg, an allen Türen drängten sich bewaffnete Männer; der Sprecher des Königs trat den Gästen entgegen, noch einmal klang Frage und Antwort, dann riet der Mann mit umwölkter Miene abzusteigen und geleitete die Helden, welche ihre Rosse am Zügel führten, vor die große Königshalle. »Wo weilt der Wirt?« rief Berthar unwillig gegen den Sprecher, »mein Herr ist nicht gewöhnt, die Schwelle des Hauses zu betreten, bevor der Hauswirt darauf steht.« Aber in dem Augenblicke öffnete sich die Tür der Halle, König Bisino stand im Kreise seiner Edeln am Eingang, neben ihm Frau Gisela. Ingo trat auf die Stufen und neigte sich. »Lange haben wir vergeblich auf dich gewartet, Fremdling, und säumig war der Lauf deines Rosses aus dem Walde zu meinem Sitz«, begann der König mit düsterem Blick. Sogleich aber trat Frau Gisela einen Schritt vor, sie bot dem Helden die weiße Hand zum Willkommen und winkte grüßend mit dem Haupt seinem Gefolge zu. »Da ich ein Kind war, nicht größer als hier mein Sohn, sah ich dich, Herr, in der Halle der Burgunden; aber wir denken vergangener Zeit und alter Freundschaft. Reiche dem Vetter die Hand«, befahl sie dem Knaben, »und siehe zu, daß du ein Held wirst, gerühmt in dem Volk wie er.«
Das Kind hielt dem Gaste die Hand hin, Ingo hob den Kleinen zu sich empor und küßte ihn, und der Knabe hing sich sogleich vertraulich um den Hals des Mannes. Jetzt trat auch der König näher; zwischen dem Königspaar schritt Ingo in die Halle und tauschte mit beiden Worte der Begrüßung, bis der König dem Sprecher befahl, die fremden Gäste zur Herberge zu führen. Ingo kehrte zu seinem Gefolge zurück, die Mienen der Thüringe wurden freundlicher, ein und der andere Krieger trat zu den Fremden, begrüßte sie und begleitete sie an den Saal, der zur Wohnung der Gäste bestimmt war. Die Diener trugen Speise und Trank, Polster und Decken. Und wieder kam der Sprecher des Königs und lud Ingo zum Königsmahle.
Es war später Abend, als Ingo von einem Kämmerer des Königs und dem Fackelträger geleitet zu der Herberge seiner Mannen zurückkehrte. An der Tür des Saales saß Berthar allein, das Schlachtschwert hielt er zwischen den Beinen, der Schild lehnte am Pfosten, im Fackellicht schimmerte sein grauer Bart und der Panzer unter dem Lodenrock. Ingo entließ grüßend die Diener des Königs, Berthar steckte die Fackel in die große Tülle des eisernen Leuchters, der mannshoch in der Mitte des Raumes ragte. Der Lichtschein fiel auf die Reihen der Männer, die auf den Polstern am Boden schliefen, das Schwert an der Seite, zu ihren Häuptern Helm und Panzerhemd. »Du hieltest treue Wache, Vater,« sprach Ingo, »wie behagen dir unsere neuen Wirte?«
»Sie schielen,« lachte der Alte, »das Sprichwort gilt, je größer ein König, um so wilder die Flöhe in der Schlafdecke, die er dem zugewanderten Gast breitet. Mager war die Abendkost, die der Wirt bot, aber die Königin sandte Wein und süßes Zubrot, und deine Knaben liegen satt und reisemüde bei ihrem Heerschild. Es ist ein geräumiger Bau,« fuhr er fort, in die dunklen Winkel spähend, »dort auf der Bühne ist dir in einer Laube das Herrenlager aufgeschlagen. Merke, mein König, unter den Steinwänden der Riesenburg ist dies der einzige hölzerne Saal, abseit steht er an der Mauer, die ihn im Rücken überragt, und wenn einer der Königsmannen etwa bei Nacht eine Fackel an das Holzwerk legt und die Tür schließt, dann lodert der Saal still in Flammen auf, und das Knistern wird die Ruhe des Burgherrn wenig stören.«
Ingo wechselte einen Blick des Verständnisses mit dem Alten und fragte leiser: »Wie war der Gruß der Königsmannen?«
»Sie schlichen wie Füchse um das Nest, wenig sind sie an Hofsitte gewöhnt, sie prahlten mit der Macht ihres Gebieters und betrachteten prüfend unsere Waffen. Ich merke, Herr, sie hoffen alle, daß sie mit uns scharfen Schwertschlag tauschen werden. Mein König war zuweilen von Feinden umringt, nie aber war das Gehege so fest.«
»Noch weiß König Bisino nicht, was er befehlen soll,« versetzte Ingo, »und die Königin ist uns wohlgesinnt.«
»Keiner vom Hofgesinde rühmte mir, daß die Königin schön sei,« versetzte der Alte, »daraus erkenne ich, daß sie ihre Herrin fürchten. Vielleicht hilft die Furcht meinem König diese Nacht zu ruhigem Schlaf. Ich lösche die Fackel, damit ihr Schein nicht einem Speer die Ruhestätte verrät. Stets ist dem Gaste die erste Nacht in der Herberge die sorgenvollste.«
»Vielleicht auch die letzte«, versetzte Ingo. »Mir ziemt die Wache, Vater, dich sende ich auf das Lager.«
»Meinst du, der Alte würde schlafen, wo sich dein Auge nicht schließt?« Er trug für Ingo einen Sessel in die Nähe des Eingangs, wo der Schatten den Sitzenden deckte, dann lagerte er selbst wieder auf seinem Schemel, legte die Hände auf den Schwertgriff, lauschte nach dem Geräusch im Hofe und schaute zuweilen nach dem Sternenhimmel der frischen Winternacht. »Auch die Sterne dort oben sitzen, wie man sagt, auf silbernen Stühlen und wehren das Unheil von dem bedrängten Manne, welcher flehend zu ihnen aufsieht«, begann Berthar fromm. »Ich bin ein alter Stamm, und es ist Zeit, daß ich gefällt werde; auch für dich, mein König, habe ich zuweilen den Kampf mit edlen Feinden ersehnt, als ruhmvolles Ende deiner Mühen. Jetzt aber schaue ich am Walde ein gutes Weib, das dir treu gesinnt ist, und jetzt fürchte ich für dich die finstere Nachtwolke, welche uns vom Sternenlichte trennt, und ich fürchte den Nachtsturm, wenn er um dies Holzdach fährt. Denn in der Finsternis wird, so denke ich, der König tun, was ihm sein arger Mut eingibt.«
»Du weißt, Vater, manches Mal haben wir die Gefahr kalter Gastfreundschaft überwunden«, antwortete Ingo.
Der Alte lächelte bei der Erinnerung und fuhr gesprächig fort: »Immer lobe ich mir, wenn das Eisen in der Luft fliegt, ein freies Feld und ein besseres Licht als von flackerndem Holz. Dennoch sprichst du gut, König, denn vieles ist unsicher auf der Männererde, aber nichts trügt so sehr als die Erwartung vor dem Streit. Je länger man durch Speere und Schwerter gewandelt ist, desto weniger hegt man Gedanken über das Ende. Und um dir alles zu sagen, ich argwöhne, die hohen Schicksalsfrauen werfen uns vor dem Männerkampf die Lose mit lachendem Munde. Sie schleudern uns in die ärgste Todesgefahr wie zum Scherz und ziehen uns wieder lustig bei der Haarlocke heraus, und ein andermal berauschen sie den Sinn durch Träume des Sieges und legen uns tot auf die Heide. Wie sie aber auch das Herz des Mannes prüfen, zuletzt freuen sie sich doch über uns Schildknaben hier auf Erden und später anderswo.«
Die Rede unterbrach ein leises Schwirren und ein Schlag, ein Pfeil flog aus dem Hofe nach der Stelle, wo Ingo saß, das Eisen schlug an die Schwertscheide, der Pfeil sank auf die Diele. Die Männer blieben unbeweglich, aber kein Ruf und kein neuer Angriff folgte dem Überfall. »Suche dein Bette, du Narr«, rief Berthar und wies auf einen dunklen Schatten, der an den Häusern in der Finsternis verschwand. Er hob den Todesboten auf. »Der Pfeil ist aus einem Jagdköcher.«
»Es ist eine Ware, die Tertullus für uns zurückließ,« versetzte Ingo, »so schwächlichen Gruß sendet König Bisino nicht.«
Die Helden saßen harrend, nichts rührte sich weiter, die Sterne rückten auf ihren Stühlen langsam am Himmelsgewölbe dahin, lichtlos lag die Königsburg in tiefem Schweigen. Endlich begann Berthar: »Über den weintrunkenen Knaben des Wirtes liegt jetzt wohl der Schlaf, Zeit ist, daß auch du der Ruhe gedenkst.« Er trat zu den Schläfern und rüttelte Wolf, den Kämmerer, auf; der junge Krieger sprang behende auf die Füße und geleitete seinen Herrn zum Lager, dann ergriff er Schild und Speer und stand neben dem Alten an der Tür, bis der erste graue Tagschein über den Himmel flog.
Für den nächsten Tag war große Jagd verkündet. Auf dem freien Raum vor der Königshalle stampften die Rosse, die Meute der Rüden und Bracken schlug an, mühsam von den starken Weidgängern an den Riemen gehalten, die Mannen sammelten sich in fröhlichem Gewühl, den König zu erwarten. Auch Ingo stand mit einem Teil seines Gefolges an das Roß gelehnt, des Aufbruchs gewärtig. Endlich kam der König, der das Weidwerk noch mehr liebte als einen guten Trunk am Herde, im Jagdkleide, den schweren Jagdspieß in der Hand. Die Hörner bliesen den Morgengruß, und freundlich trat er zu Ingo und fragte laut: »Wie war die Nachtruhe, Vetter? nicht hörte ich vorher, daß du von den Vätern her ein Blutsfreund der Königin bist, sei mir willkommen auch als Verwandter an meinem Hofe.«
Die Mannen des Königs lauschten den Worten und sahen erstaunt einander an. Ingo aber antwortete ehrerbietig: »Ich danke dem König, daß er mir so huldreichen Gruß beut.«
»Wohlan,« fuhr Bisino fort, »versuche heut an unserer Seite die Kraft deines Speers.« Er bestieg sein Roß, das Tor flog auf, die Brücke schwebte herab, und hinaus ins Freie stoben die Hunde, hinter ihnen der reisige Zug. Auch Ingo tummelte fröhlich das Roß, welches sich wie sein Herr des freien Grundes unter den Füßen freute. Er ritt nahe dem König, und forschend sah sein Wirt auf die edle Gestalt und auf die sichere Kraft, mit welcher Ingo sein starkes Jagdpferd bändigte. Zuweilen rief er ihn an seine Seite und sprach zu ihm vertraulich wie zu einem alten Genossen, so daß wohl einer von den Königsknaben dem anderen zuraunte: »Wozu rühmt der Kater die Maus als Frau Base, wenn er sie doch in den Krallen hält.« Aber das war des Königs Meinung nicht, er fand Gefallen an Ingo und hörte in seinem Ohr noch günstige Worte, welche die Königin über den Fremden gesagt hatte und auch sein junger Sohn, der ihm das Liebste auf Erden war. Und der König dachte, er ist fürwahr ein freudiger Gesell, und es macht froh, ihm zuzusehen, warum soll ich ihm nicht Gutes erweisen, solange ich ihn noch unter den Lebenden hegen kann? es gibt andere, deren Tod mir bequemer wäre. So kam ihm seine Huld wirklich vom Herzen, und er ließ sich lustig berichten von der Kraft eines Löwen, den Ingo im Zwinger der Alemannenkönige gesehen hatte.
Bald nahm ein hoher Eichwald die Jagdgenossen auf. Bis dahin hatte das Auge der Königin von der Zinne ihres Turmes den Ausfahrenden nachgesehen. Jetzt rief sie den Kämmerer und die Frauen und stieg hinab in den leeren Hof. Sie hielt zur Verwunderung ihres Gefolges bei der Küche an und sprach einige Worte über den Festbraten mit dem Koch, der solcher Ehre selten genoß und fröhlich gelobte, die Schüsseln des Jagdmahls mit bester Kraft zu rüsten. Als sie zum Saal kam, in welchem die Fremden lagen, hörte sie die Schläge eines Hammers. Berthar saß in der Tür, er dengelte mit dem Schärfhammer die Eisen der Wurfspeere auf einem Stein und sang dazu leise eine gute Beschwörung für scharfes Eisen. Die Königin hielt an, winkte gebieterisch ihrem Gefolge, zurückzutreten und stand nahe den Stufen, auf den schlagenden Mann schauend, bis dieser aufsah, sein Schurzfell und den Hammer wegwarf und der Königin huldigend entgegentrat. »Welches Wild gedenkst du mit dem Eisen zu fällen, Held des König Ingo?« fragte Frau Gisela, »daß du in der Burg weilst, während draußen die Jagdhunde rennen?«
»Den Vorrat schärfe ich für ein anderes Halageschrei,« versetzte Berthar, »weit rühmt man im Lande die Jagdlust des Königs.«
»Ungern wird dein Herr im Walde den alten Kampfgesellen missen.«
»Das Wild, welches im Sonnenlicht springt, erlegt mein Herr mit seinen Knaben wohl allein, bei der Wolfsjagd in der Nacht will ich ihm nicht fehlen.« Die Königin sah ihm fest ins Auge und trat einen Schritt näher: »Nicht zum ersten Male sehe ich dich, Berthar, ist auch seitdem Schnee auf dein Haupt gefallen, ich kenne dich wieder.«
»Unsicher ist das Gedächtnis des Alten, viele Menschen sah ich, seit mein Herr heimatlos wandert; in mein Auge flogen die Funken, da mein Hof in der Heimat brannte, daß ich das schöne Antlitz vor mir nicht erkenne.«
»Mit Grund zürnst du, Alter, meinem Geschlecht. Einst schlossen der Vater deines Königs und der meine einen Bund, aber Gundomar, mein Bruder, vergaß die alten Eide, er kämpfte als Bundesgenosse eurer Feinde an der Oder, und ich wurde, noch ein Kind, als Gemahl dem König der Thüringe gesandt. Kennst du mich jetzt, Berthar?«
»Das Reis wuchs zu stolzem Baume; andere Vögel singen jetzt in seinem Laube als vorzeiten.«
»Dennoch trägt der Baum jedes Jahr die gleichen Blüten. Und der alte Schlachtenheld findet an der Königin einen Freund. Bist du zufrieden mit deiner Herberge in der Burg und haben die Königsknaben dir höflichen Gruß geboten?«
»Am Hofe grüßt der Diener wie der Herr; deine Huld, Königin, ist Bürgschaft für den guten Willen der Deinen.«
Das Antlitz der Königin umwölkte sich: »Das ist die Sprache stolzer Gäste,« fuhr sie mit gezwungenem Lächeln fort, »lustiger, meine ich, war dir das Leben in den Waldhütten.«
»Wir sind Wanderer, Herrin. Wer heimatlos durch die Völker zieht, dem hilft behender Sinn; Hof und Gemahl sind ihm versagt, er nimmt, was der Tag ihm bietet: die Beute, den Trunk, die Frauen, er hat nicht Wahl und nicht Qual, und sorglos denkt er beim Scheiden an die Arbeit des nächsten Tages.« Der Alte sah, wie die Königin ihn wieder anlachte, sie trat näher und sprach: »Dort in dem Turm ist der Königin Gemach, wenn du einmal zu jenem Fenster aufschaust von deinen Speeren, so brennt dort vielleicht eine Leuchte, dir die Wolfsjagd vorher zu künden.« Sie winkte ihm grüßend und wandte sich zu ihrem Gefolge. Der Alte aber sah ihr staunend nach, dann ergriff er wieder den Hammer und pochte, aber er sang nicht mehr.
In der nächsten Nacht störte kein Pfeil und kein Gebell der Königswölfe den Schlaf der fremden Gäste. Mit jedem Tage wurde der König freundlicher zu ihnen und rühmte vor seinen Mannen ihre Hofsitte und ihre Kunst, die Rosse im Kampfspiel zu treiben. Hermin, der junge Königsohn, kam oft zum Vetter Ingo in die Herberge, übte sich vor ihm mit seinen Kinderwaffen, strich dem Helden Berthar den grauen Bart und bat um lustige Mären. An einem Jagdmorgen wurde Ingo dem Wirt noch genehmer, als er ihm vorher gewesen war. Der König war in seiner Jagdlust den anderen weit vorausgeritten und an einer Bergsteile vom Rosse gesprungen, dort glitt er im Eise aus und lag einen Augenblick wehrlos vor den Hörnern eines wilden Ochsen. Da trat Ingo mit eigener Lebensgefahr über den Leib des Herrn und fällte das wütende Tier. Der König erhob sich, und hinkend von dem Sturze, sprach er: »Jetzt wo wir allein sind und keiner meiner Mannen in der Nähe, erkenne ich deine gute Gesinnung; denn wärest du nicht wie ein Rüde herangesprungen, so hätte der Zornige mich geschleudert zum Schaden meiner Rippen, und niemand hätte dir einen Vorwurf machen dürfen. Was keiner zu wissen braucht, weiß doch ich.«
An dem Tage saß der König fröhlich beim Mahl auf dem Herrensitz, neben ihm Frau Gisela, zur anderen Seite Ingo. »Heut freue ich mich des Jagdglücks,« begann der König, »ich freue mich meiner Herrschaft und des Goldschatzes, den ihr alle hier vor Augen seht, und ich trinke Heil dem Helden Ingo, weil er im Kampf mit dem Bergstier ein guter Genosse war. Freuet euch heut alle mit mir, wenn ihr die silbernen Becken und die Goldbecher seht, welche vor euren Augen aufgestellt sind mir und euch zur Ehre. Auch du, Ingo, hast manchen Hof mächtiger Gebieter besucht; sage mir, Held, ob du irgendwo besseres Gerät aus dem Schatzhause geschaut hast.«
»Gern preise ich deinen Reichtum, o König, denn wo das Schatzhaus gefüllt ist, da, meinen wir, waltet der Herrscher in Sicherheit, gefürchtet von feindlichen Nachbarn und von den Argen im Volke. Zwei Tugenden hörte ich immer rühmen an dem mächtigen Volksherrn, daß er versteht, den Schatz zur rechten Zeit zu sammeln und zu rechter Zeit an seine Getreuen zu spenden, damit sie ihm in der Not folgen.«
Diese Worte waren ganz nach der Meinung der Helden, welche am Königstisch saßen, und sie nickten und murmelten beifällig.
»Auch die Alemannen waren ein goldreiches Volk, bis der Cäsar ihnen das Land verwüstet hat«, fuhr Ingo fort. »Doch meine ich, sie gewinnen manches wieder, denn sie sind rührig nach Beute und verstehen den Handel mit den Krämern. Dazu leben sie römischer als andere Landgenossen, in Steinhäusern wohnen dort auch die Bauern, die Frauen sticken mit der Nadel bunte Bilder auf die Gewänder, und um sie hängen süße Trauben im Weinlaub.«
»Kennst du auch Frauen der Römer?« fragte die Königin. »Viel Wunderliches erzählen die Mannen des Königs von ihrer Schönheit, obwohl sie braun von Haut und schwarzhaarig sind.«
»Sie sind behend in Sprache und Bewegung der Glieder, und lieblich lockt der Gruß ihrer Augen, nur ihre Zucht hörte ich selten rühmen«, versetzte Ingo.
»Auch du warst im Römerlande?« fragte der König neugierig.
»Zwei Jahre sind es,« bestätigte Ingo, »da ritt ich als Begleiter des jungen Königs Athanarich friedlich in die Mauern der großen Kaiserstadt Trier. Ich sah hohe Wölbungen und Steinmauern, wie von Riesen errichtet. Dichtgedrängt lacht das Volk auf den Straßen, aber die Krieger, welche dort an den Toren stehen mit dem Römerzeichen auf ihren Schilden, haben unsere Augen und sprechen unsere Sprache, obwohl sie sich mit Unrecht rühmen, Römer zu sein.«
»Die Fremden geben uns ihre Weisheit, sie verkaufen uns Gold und Wein, wir aber leihen ihnen die Kraft der Glieder, ich lobe den Tausch«, versetzte Hadubald, dem es unlieb war, wenn man den Römerdienst verachtete.
»Ich aber, o König,« begann Berthar, »halte wenig von der Weisheit der Römer, die andere rühmen. Auch ich war sonst schon in den großen Steinburgen, welche die Römer gemauert haben, zuerst damals, als mein Herr Ingo mich südwärts sandte über die Donau nach der Augustaburg, wo jetzt die Schwaben ihr Heimwesen einrichten. Über die zerbrochene Stadtmauer ritt ich mühsam hinein, dort habe ich viel Unsinniges gesehen, das auch für einen bewanderten Mann unheimlich ist. Die Römerhäuser standen so dicht gedrängt wie eine Schafherde im Gewitter, keines sah ich, wo Raum war für einen Hof, ja nur für eine Dungstätte. Ich fragte meinen Wirt, er sagte, sie hocken, wenn ihnen die Not ankömmt, schamlos wie Hündlein auf der Straße. Ich lag in solchem Steinloch, die Wände und der Fußboden waren glatt und schimmerten in vielerlei bunten Farben, als Decke hatten die treuen Schwaben ein Strohdach gerichtet: ich versichere euch, mir war es enge zwischen dem Stein während der Nacht, und ich war froh, als am Morgen die Schwalben im Stroh sangen. Es hatte zur Nacht geregnet, und in einer Wasserlache am Boden sah ich im Morgenlicht zwei Enten. Nicht leibhaftig, sondern auf dem Stein des Bodens, wie gemalt. Ich trat herzu, schlug mit meiner Axt in den Steinboden und fand ein lächerliches Werk aus vielen kleinen Steinen zusammengesetzt, jeder Stein war in den Boden gekittet und oben so glatt geschliffen wie eine Steinaxt; aus solchem bunten Gestein waren die zwei Vögel gemacht, die wir als Enten kennen. Und es war eine Arbeit, über der mehrere Männer viele Tage geschafft haben, nur um den harten Stein zu schleifen. Das erschien mir ganz unsinnig. Und mein Schwabe meinte das auch.«
»Vielleicht ist ihnen die Ente ein heiliger Vogel, welcher sich dort nicht häufig findet; denn manche Vögel sind überall auf der Menschenerde und andere nicht«, sagte Valda, ein verständiger Mann aus dem Gefolge der Königin.
»So meinte ich auch, aber mein Wirt wußte, daß sie dergleichen zu ihrem Vergnügen anfertigen, um darauf zu treten.«
Die Männer lachten. »Formen unsere Kinder nicht auch kleine Bären aus Lehm und Backöfen aus Sand und spielen tagelang mit Nichtigem? Die Römer sind geworden wie Kinder«, rief Valda.
»Du sprichst das Richtige. Kleine Steine haben sie zu Vögeln geschliffen, während in ihren Wäldern die Krieger der Schwaben ihre Blockhäuser zimmerten. Auch wenn sie essen wollen, liegen sie wie Frauen, die ihre Sechswochen halten.«
»Was du hier wegen der Enten vorbringst,« rief Wolfgang, der Königsknabe, unwillig, »ist ganz unrichtig und töricht. Denn den Römern ist eigen, daß sie alles nachmachen können in Farben und mit Stein, nicht nur Vögel, auch Löwen und kämpfende Krieger. Jeden Gott und jeden Helden verstehen sie zu bilden, daß er dasteht wie lebendig. Das tun sie sich selbst zur Ehre und ihm zum Gedächtnis.«
»Über den Steinen reiben sie, und aus unserem Blut sind die Helden, welche ihre Schlachten schlagen. Ist es ihre Weise, Knechtesarbeit zu lieben, so ist unsere Weise, über Knechte zu herrschen. Ich preise den Helden nicht, der sich einem Knechte zum Dienst gelobt«, versetzte der Alte.
»Knechte nennst du, die doch Herren sind fast über die ganze Männererde? Älter ist ihr Geschlecht und ruhmvoller ihre Sage als die unsere«, rief Wolfgang wieder.
»Haben sie dir davon geschwatzt, so haben sie gelogen«, entgegnete Berthar. »Ob der Ruhm echt ist und die Sage wahrhaft, das erkennt jedermann daraus, wenn sie denen, welche sich rühmen, den Mut beim Männerkampf erhebt. Darum vergleiche ich den Mut der Römer mit einem Wasserschwall, der einst das Land übergoß und dann zu einem Sumpf eintrocknete, den Ruhm unserer Helden aber mit einem Bergquell, der über die Steine rauscht und seine Flut in die Täler treibt.«
»Dennoch vertrauen die Weisen der Römer darauf,« warf Ingo ein, »daß ihre Macht stärker geworden ist, als sie ehedem war. Denn sie rühmen sich, daß zur Zeit ihrer Väter ein neuer Gott in ihr Reich gekommen ist, welcher ihnen Sieg verleiht.«
»Ich vernahm längst,« sprach der König, »daß sie ein großes Geheimnis in ihrem Christus haben. Auch ist ihr Glaube durchaus nicht eitel, denn sie sind in Wahrheit jetzt siegreicher als vorzeiten. Vielerlei hört man darüber, und niemand verkündet Genaues.«
»Sie haben ganz wenig Götter«, erklärte Berthar geheimnisvoll, »oder vielleicht nur einen mit drei Namen, einer heißt Vater, der andere Sohn, und einer heißt der dritte.«
»Der dritte heißt Teufel,« rief Wolfgang, »ich weiß das, ich selbst war zu meiner Zeit unter den Christen, und ich versichere dich, o König, mächtiger ist ihr Zauber als jeder andere. Ihr geheimes Zeichen lernte ich und einen Segen, sie nennen ihn Nosterpater, der Heilkraft hat gegen jeden Leibesschaden.« Und er schlug ehrfürchtig ein Kreuz über seinem Weinkrug.
»Dennoch erachte ich in meinem Sinn,« versetzte Berthar hartnäckig, »auch den Römern kommt der Tag, wo sie trotz ihrer gemauerten Städte und trotz ihrer neuen Götter und trotz ihrer Kunst in steinernen Enten erkennen, daß anderswo stärkere Männer leben, welche ihr Holzdach frei in den Wind stellen.«
»Auch uns ist die Kunst der Römer nützlich«, entschied der König. »Es ist einem König Ehre, was die anderen klug erdenken, für sich zu gebrauchen. Doch freue ich mich deiner Worte, Held Berthar, denn verständig ist der Mann, der höher vom eigenen Volke denkt als von dem fremden.«
Und als das Mahl beendet war und der König mit Ingo allein beim Becher saß, da begann er redselig: »Ich sehe, Held, die Schicksalsfrauen haben dir bei deiner Geburt manches Leid angebunden, aber auch manche gute Gabe, denn sie haben gefügt, daß die Herzen der Menschen sich dir freundlich öffnen. Auch ich, wenn ich deine Rede höre und wenn ich beachte, wie du unter meinen Mannen dahergehst, möchte dir wohlgeneigt sein. Nur eines beschwert mir den Mut, daß du dich unter meine Bauern in den Waldhütten gelagert hast, denn ihr Sinn war von je aufsässig, und ich fürchte, daß du mir dort zum Schaden hausest.«
»Mein König sorgt ohne Grund,« versetzte Ingo ernst, »schwerlich werde ich je wieder am Herde des Herrn Answald ruhen.«
»So schnelles Ende nahmen Eide und Genossenschaft?« fragte der König vergnügt. »Soll ich dir glauben, da du mir Seltsames kündest, so berichte mir, wenn es dir gefällt, was dich von ihm geschieden hat.«
»Ungern erträgt der Wirt fremde Einlieger auf seinem Hofe«, sprach Ingo ausweichend. »Vertraulichkeit der Herren zwingt auch die Mannen, Frieden zu halten,« antwortete der König, »du sagst mir nicht alles, und darum vermag ich nicht, dir zu trauen.«
»Will der König mir huldvoll geloben bei seinem Schwert, daß geheim bleibe zwischen uns beiden der Grund meines Zwistes mit Herrn Answald, so will ich dir ihn wahrhaft künden, denn schädlich wäre mir dein Argwohn, und Heil hoffe ich von deinem guten Willen.« Der König hob schnell das Schwert, hielt die Schwurfinger darauf und gelobte.
»Wohlan denn, so wisse, o König, daß mir Irmgard, die Jungfrau, lieb ist und daß der Vater mir darum zürnt, weil er dem Geschlecht des Helden Sintram die Vermählung gelobt hat.«
Vergnügt lachte der König: »Unrecht hattest du, Ingo, wenn du auch ein schlachtenkundiger Mann bist, von dem Häuptling die Tochter zu begehren. Wie darf der Vater dem erbelosen Fremdling seine Erbtochter in die Hand geben? Unsinnig würde ihn das ganze Volk schelten, unleidlich wäre es, daß ein Landfremder auf dem Herrenstuhl der Waldlauben säße. Ja, wenn der Vater selbst dir die Tochter im Ringe der Zeugen angeloben wollte, ich, der König, dürfte das nimmer leiden, und ich müßte meine Knaben reiten lassen und ein Volksheer aufbieten, um euch zu hindern.«
Ingo sah wild auf den König, so daß dieser die Waffe an sich zog. »Feindliche Worte sagst du dem Gebannten. Vieles Leid habe ich erduldet als Gast auf den Bänken, aber schwer gewöhnt sich der Mut des Mannes, mißachtende Rede zu ertragen, und ich meine, der edle Sinn des Königs sollte dem Stolz eines Unglücklichen nicht wehe tun.«
»Besser bin ich dir jetzt gesinnt als je zuvor«, versetzte der König lustig. »Doch bleibt dir wohl noch die Hoffnung, den Groll des Vaters zu überwinden.«
»Gebunden ist der Fürst durch seinen Eid, und mächtig ist das Geschlecht des Sintram am Walde, auch die Hausfrau des Fürsten ist aus seiner Freundschaft.«
Der König schlug auf seinen Weinkrug, wie er pflegte, wenn ihm etwas nach Wunsche war. »Am liebsten wäre mir, die Jungfrau einem meiner Mannen zu vermählen, gar nicht willkommen ist mir, wenn das Geschlecht des Sintram einst die Höfe und den Schutz des Fürsten in seine Gewalt bekommt, denn ich kenne ihren tückischen Sinn. Aber am allerwiderwärtigsten wäre mir, wenn du mit gutem Willen des Vaters sein Eidam würdest. Denn wie der Geruch des Honigs die Bären zum Waldbaum lockt, so würde das Lob der Sänger alle streitlustigen Fäuste in deinen Höfen sammeln, Vandalen und andere schweifende Männer, und du würdest als ein Landherr der Thüringe mir schnell feindlich werden, auch wenn du nicht wolltest. Das bedenke«, schloß der König überredend und füllte mit eigener Hand seinem Gaste den Becher. »Trinke, Held Ingo, und begnüge dich. Wenn die Wölfe auf der Walstatt schmausen, dann rühmen sie die Gastfreundschaft deines Schwertes, welches ihnen reiches Mahl bereitete, aber denke nicht mehr darauf, meine Thüringe in den Waldlauben durch Gastgelage zu betören.«
»So höre auch du, König, den Rat des Fremdlings,« rief Ingo zornig, »denke auch du nicht daran, die Jungfrau einem anderen Manne zu vermählen, denn solange ich lebend die Arme rege, soll kein anderer sie heimführen. Schon einmal hat den Theodulf mein Schwert auf die Aue gestreckt, ein Zufall war‘s, daß er dem Tode entrann, ihm hemme ich den Brautlauf und ebenso jedem anderen aus deinem Volke.«
Jetzt lachte der König so laut, daß er schütterte. »Je länger du sprichst, desto lieber höre ich dich, wenn du auch trotzig gegen mich redest. Du denkst nach eines fahrenden Helden Weise und ich vertraue, du wirst dich auch bei der Tat so erweisen. Bezwinge den Vater, lege den Theodulf, den stelzbeinigen Narren, auf die blutige Heide und hebe dir das Weib in dein Brautlager. Von ganzem Herzen will ich helfen, daß dir dies alles gelinge.«
Ingo prüfte mißtrauisch die Gebärde des Königs, der so fröhlich vor ihm saß, ob ihm vielleicht der Wein die Gedanken verstöre, und er sprach: »Der Sinn deiner Worte, Herr, ist mir verborgen, du rühmst und schiltst mich um dieselbe Sache. Wie magst du gern hören, was dir unleidlich dünkt, und wie kannst du mir helfen bei einer Werbung, die du selbst hindern willst, auch wenn der Brautvater nicht hinderte?« König Bisino aber entgegnete mit Würde: »Setze dich wieder zu deinem Trinkhorn. Manches, was dem Mann zu Ehre gereicht, ist dir eigen; aber das Schwerste von allem vermochtest du nicht zu gewinnen, du hast nicht die Königskunst. Deine Gedanken eilen gerade vorwärts, wie der Hund auf der Spur eines Hirsches; ein König aber kann nicht einseitig sein in Gunst und Rache, vieles muß er bedenken, niemandem kann er völlig vertrauen, und jeden Mann muß er zu gebrauchen wissen in eigenem Nutzen. So gönne auch ich Irmgard, die Jungfrau, lieber dir als manchem anderen; die Jungfrau, verstehe mich, nicht aber ihr Erbe, und nicht nach dem Tode des Vaters den Herrensitz in den Waldlauben.«
Ingo setzte sich neben ihn und neigte gehorsam das Haupt, weiter zu hören. »Seit ich König bin,« fuhr der andere fort, »ist meine Herrschaft unsicher durch den Trotz der Waldleute und die Macht ihres Fürsten, des Herrn Answald. Und lange habe ich eine Gelegenheit gesucht, über sie Herr zu werden. Darum warst auch du mir unerträglich in den Waldlauben, weil du ein Führer sein konntest über ihre Haufen. Und wenn deine Vandalenbrut um den Herrensitz dort lagern wollte, so müßte ich dich austilgen als meinen Feind, wenn ich dir auch wohlgeneigt bin. Das bedenke, Held! Jedoch, gewinnst du die Tochter als Feind des Vaters durch Gewalttat, wie die Helden verüben, wenn die Sehnsucht sie treibt, so schwindet das Erbkind aus dem Hofe, und ich brauche nicht zu sorgen, daß die Herrschaft dort auf ein anderes Herrengeschlecht übergehe. Begreifst du jetzt, was ich meine, stierköpfiger Ingo?«
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