Текст книги "Die Ahnen"
Автор книги: Gustav Freytag
Жанр: Классическая проза, Классика
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»Du, Jungfrau?« fragte Winfried erstaunt, »in die Wildnis, in ein fernes Land, zu einem verachteten Haupte?«
»Wo er auch atme, wie er auch lebe, in dem wilden Wald, unter dem Fels, bei Raubtieren und Raubgenossen, ich will zu ihm. Denn, Herr, ich bin‘s ihm schuldig.«
»Deinem Vater im Himmel bist du schuldig, nichts zu tun, was gegen seine Gebote ist. Auch Zucht und Sitte sind dem Weibe geboten, und waghalsiges Preisgeben des eigenen Lebens ist ihm Unrecht.«
»Ich verstehe die Lehre, ehrwürdiger Vater«, versetzte Walburg demütig. »Sonst habe ich mich züchtig gehalten und stolz gegen werbende Knaben, auch gegen ihn. Er aber hat seine Freiheit um mich gewagt und sein Leben. Frevelhaft war das Wagnis, ich weiß es, mein Vater, und allzu hart habe ich es ihm selbst gesagt, das reut mich jetzt. In Not und Elend ist er um meinetwillen gekommen, ich will gehen, ihn zu retten.«
»Vermagst du das, Mädchen?«
»Der liebe Gott wird mir gnädig sein«, antwortete Walburg.
»Weißt du schon,« fragte Winfried prüfend, »ob er sich deine Nähe begehrt? Baust du auf das Verlangen, das er einst hatte, dich zu besitzen? Walburg, mein armes Kind, das Angesicht, welches er holdselig fand, hast du verdorben.«
Walburg sah vor sich nieder, und um ihren Mund zuckte der Schmerz. »Bei Tag und Nacht habe ich daran gedacht, und ich fürchte sehr, mein Antlitz ist ihm verleidet. Aber mein toter Vater war sein Gastfreund, und er wird die Tochter als eine gute Bekannte aufnehmen, wenn er sich auch fortan ein anderes Weib begehren sollte.«
»Wo birgt sich der Heillose?«
»Oben im Bergwald, sein Diener Wolfram wird mich zu ihm führen.«
»Und wenn ich dir verbieten wollte, dein Leben und deine Seele an die Wildnis zu wagen, was würdest du dann tun?«
Walburg sank vor ihm auf die Knie, und die gerungenen Hände zu ihm aufhebend, antwortete sie leise: »Ich müßte doch gehen, ehrwürdiger Vater.«
»Walburg«, rief der Bischof drohend, und zornig blitzten seine Augen. Schnell erhob sich Walburg. »Was hat dich getrieben, Herr, als du hierherkamst unter die Heiden? Dein heiliges Haupt gibst du täglich dem Haß und der Bosheit deiner Feinde preis. Sorglos und fröhlichen Herzens reitest du durch die Dörfer der Heiden und fragst nie, ob dich ein Pfeil aus dem Dickicht treffe. So großes Vertrauen bewahrst du auf Gottes gnädigen Schutz, und du zürnst der Magd, die in deiner Nähe lebt, daß auch sie ihr Leben an die Gefahren der Wildnis wagt? Groß ist dein Amt, ehrwürdiger Vater, vielen Tausenden willst du Rettung bringen aus dem Verderben, ich bin ein armes Weib, ich habe nur ein Leben, um das ich bete und weine, aber den Mut habe ich wie du, einen Willen wie du; und solange ich frei auf meinen Füßen wandle, werde ich meine Schritte dorthin richten, wo er sein ruheloses Haupt birgt. Denn ich erkenne, arge Unholde schweben um ihn und bedrängen seine Seele, und darum muß ich eilen, ihn zu retten, wenn ich es vermag.«
»Als ein geschworener Mann des Himmelskönigs fahre ich über die Heide und durch den Wald,« versetzte Winfried ernst, »in meinem Amte wage und dulde ich, du aber, wenn du dich einem Unseligen gesellen willst, folgst der Leidenschaft, welche auf Erden das Weib an den Mann bindet. Nicht meines Amtes ist, dein Tun zu rühmen oder zu verdammen. Wäre ich in Wahrheit dein Vater und stünde mir zu, dir den Gemahl zu wählen, ich würde dich hindern oder dich selbst begleiten. Als dein geistlicher Berater sage ich dir, die Absicht kann ich nicht tadeln, die wilde Fahrt darf ich nicht loben.« Er wandte sich von ihr, da er aber die Jungfrau regungslos mit gesenktem Haupt stehen sah, trat er wieder zu ihr und nahm sie gütig bei der Hand. »So muß ich als Bischof sprechen, aber wenn du doch den Unholden Trotz zu bieten wagst, so werde ich darum nicht schlechter von dir denken, während der Fahrt will auch ich in deiner Sache zu dem Herrn beten, ob er mich gnädig erhört, und wenn du zu mir zurückkehrst, wie du gegangen bist, so will ich dich empfangen als mein wiedergefundenes Kind.« Walburg neigte ihr Haupt, und der Bischof betete über ihr.
Winfried kehrte in sein Gemach zurück, und nachdenklich sprach er zu sich selbst: »Mein Geselle Gerold ist der redlichste unter den Franken, die ich kenne. Auch die Magd, welche ihr Leben für einen Verschollenen hingeben will, mag wohl in diesem Lande eine der besten sein, und doch sind beide nicht echte Erben des Gottesreiches. Furchtbar ist es zu denken, wie gering die Zahl solcher ist, welche das Leben im Erdgarten nur als Vorbereitung betrachten für die Halle der Herrlichkeit. Komm, mein Sohn,« rief er dem eintretenden Gottfried zu, »ich ringe mit schweren Gedanken, und deine Nähe wird mir eine Erquickung. Doch mit Sorge sehe ich, daß dein Antlitz bleich und deine Miene verhärmt ist; was andere zu wenig üben, das tust du im Übermaß. Ich lobe nicht dein Entbehren der Speise, nicht dein nächtliches Wachen und nicht die Geißelschläge, die, wie ich durch die Wand höre, deinen Rücken treffen. Grüble nicht über Träume und ängstige dich nicht, daß flatternde Gedanken dir das reine Gewand deiner Seele verderben können. Zu einem arbeitsamen Gehilfen an hartem Werke hat dich der Herr bestimmt, und kraftvoll brauche ich dich, denn viel ist noch zu tun. Krieg steht bevor an der Grenze, aus unserer Friedenssaat ist er aufgegangen; und wir haben zu sorgen, daß die jungen Gemeinden nicht von den Unholden zerschlagen werden. Deinen Reisegenossen Ingram hat das Urteil getroffen, und wir wollen darauf sinnen, wie wir dem Friedlosen die Rückkehr in die Heimat bereiten, denn er gehört zu den Kindern unseres Gebetes. Fortan bete du auch für Walburg, die Jungfrau. Sie hat sich eigenwillig von uns gelöst und geht zu dem Friedlosen in die Wildnis.«
Gottfried schwieg, aber ein Schauer fuhr ihm über den Leib, und er stützte sich an die Wand, der Bischof sah erschrocken auf die gebrochene Gestalt. »Gottfried, mein Sohn,« rief er, »was ist mit dir?« Da ging der Mönch leise an die Truhe, in welcher die heiligen Gewänder lagen, nahm die Stola hervor und tat sie dem Bischof mit flehendem Blick um. Winfried setzte sich in den Stuhl, der Mönch kniete an seiner Seite und faltete die Hände über den Knien des Bischofs; fast unhörbar waren die Worte, welche er sprach, aber dem starken Mann klangen sie wie ein Schlachtruf in das Ohr, und als der Jüngling geendet hatte und mit seinem Haupte auf den Knien des Bischofs lag, saß dieser über ihn gebeugt und hielt die heiße Stirn des Betenden, so voll von Schmerz wie der Jüngling selbst.
7. Unter den SchattenAm nächsten Morgen schritt Walburg mit ihrem Führer dem Walde zu. Hinter ihr rief Gertrud traurig in die Flur: »Neig dich, Laub, und neig dich, Gras, denn eine freie Magd will sich vom Sonnenlicht scheiden.«
In dem lichten Gehölz über dem Dorfe weidete die Rinderherde. Die Kühe liefen neugierig aus dem Gebüsch und starrten die Jungfrau an, auch der Hirt trat an den Weg, bot den Gruß und fragte, wohin sie im Frühlicht wandle. »In die Berge«, antwortete Walburg leise, und der Mann schüttelte den Kopf. Ein vorwitziges Kalb trabte hinter ihr her und roch an ihrem Korbe. »Weiche von mir, Braunchen,« mahnte sie, »denn der Weg, den ich gehe, wäre dir gefährlich, du hast Frieden bei den Leuten, alle müssen dich beachten, wenn du auch nur ein Jährling bist, und wenn dich ein Fremder schädigt, so muß er es deinem Herrn schwer büßen. Der aber, den ich suche, ist ärmer als du, denn jeder darf ungestraft seinen heißen Mut an ihm kühlen, und schutzlos schweift er ohne Recht.« Sie faßte ihren Handkorb fester und eilte dem Führer nach.
Auf dem Gipfel des Hügels wandte sie sich um und streckte die Hand grüßend nach der sonnigen Ebene aus, sie schaute über die Beute der Ackerflur, auf die grauen Dächer des Dorfes und auf den Meierhof, in dem sie Zuflucht gefunden hatte; sie dachte an die Kinder, wer ihnen das Frühbrot austeilen werde, und sah die Brüder mit heißen Wangen bei ihren Holztafeln in der Schule sitzen, und den kleinen Bezzo, der schreiend durch den Hof lief, sie zu suchen. »Wenn er schreit, wird er die Schule stören, und ich fürchte, sie werden ihn abstrafen, weil er um mich weint.« Und vor ihrem Auge erschien das ernste Angesicht Winfrieds, als er zu ihr sprach: »Du folgst irdischer Liebe, und auf diese Welt hast du deine Sache gestellt, ich aber auf jene.« Da seufzte sie: »Ob er mir im Herzen zürnte, das möchte ich wohl wissen. Aber er hat mich doch gesegnet«, tröstete sie sich. »Vielleicht bittet er gerade jetzt zum Himmelsherrn für mich, wie er mir verhieß, und unter seinem Gebet fahre ich sicher dahin; denn ich denke, er muß dem großen Gott sehr lieb sein, und ihm zu Gefallen werden mich die Himmelsboten beschützen. Doch meinetwegen fliegen sie schwerlich, weil der Friedlose sich so gröblich gegen den Bischof erhoben hat.«
Längs dem rauschenden Bach gingen sie wohl eine Wegstunde, bis sie dahin kamen, wo die letzten Markzeichen in den Grenzbaum gehauen waren und die Geleise der Holzwagen aufhörten. Dort begann die Wildnis, welche nur der Jäger betrat, ein scheuer Wanderer, der über die Berge zog, und der gesetzlose Räuber, welcher heimatlos über die Erde irrte. Vor ihnen erhob sich der wilde Wald, Urstämme mit langen Flechten umhangen glänzten silbergrau, gleich riesigen Säulen, welche hoch oben das Laubdach trugen. Dichter Schatten deckte den Grund, über dem Wurzelgeflecht und gestürzten Stämmen lag die grüne Moosdecke, und große Farnwedel breiteten sich in der Dämmerung. Wolfram zog die Mütze, wie dem Jäger geziemte, wenn er unter die Wildbäume trat, und Walburg neigte sich mit ehrfürchtigem Gruß gegen den Hochwald: »Ihr Gewaltigen wachst frei gegen den Himmel, Sonnenschein und Regen fühlt ihr auf den Gipfeln, und der Quell im Felsen netzt euren Fuß. Gönnt auch mir das Gute, das ihr uns Fremdlingen gewährt, wenn wir euch furchtsam nahen, die Waldfrucht als Kost, weiches Moos als Lager, eure Zweige als Decke und eure Stämme als eine Ringburg gegen die Feinde.« Noch einmal wandte sie sich zum Lichte zurück, dann trat sie beherzt in den Schatten.
Wohl eine Stunde führte Wolfram zwischen den Stämmen über Berg und Tal. Endlich hielt er auf der Höhe vor einer riesigen Buche und sprach mit gedämpfter Stimme: »Dies ist der Baum.« Er bog vorsichtig das Farnkraut zurück, hob ein Stück Buchenrinde ab, welches die Höhlung verdeckte und wies hinein. Dann spähte er vom Höhenrand ringsumher. Nichts war zu sehen. »Es ist noch nicht die Zeit, in welcher er kommt, doch bist du sicher, daß er heut nicht ausbleibt, denn er hofft auf sein Roß.«
Der Jungfrau pochte das Herz, als sie um sich sah, eine Riesensäule hinter der anderen, bis die fernsten sie dicht einhegten wie eine ungeheure Mauer. »Wir scheiden, Wolfram, weiche zurück nach dem Hofe und laß mich hier, daß ich ihn allein treffe.«
»Wie darf ich ein speerloses Weib unter dem wilden Gewächs zurücklassen!« versetzte Wolfram unwillig.
»Geh dennoch, du Treuer, was ich mit ihm zu reden habe, geht uns allein an und kein anderer soll es hören. Willst du mir freundlich sein, so kehre morgen um Mittag hierher zurück und frage den Baum, wie es um mich steht. Ich will es, Wolfram, und du kränkst mich, wenn du anders tust.«
Wolfram streckte ihr die Hand hin. »Fahre wohl, Walburg, ich ginge nicht, aber ich weiß, daß der andere nicht lange säumen wird.« Er schritt abwärts, solange die Jungfrau ihn sehen konnte, dann warf er sich auf den Boden. »Harren will ich, bis ich seine Gestalt merke, damit ihr jemand nahe bleibt, der den Waldbrauch kennt.«
Walburg saß allein unter dem Baum, sie legte die Hände zusammen und blickte empor nach der Höhe, wo sie den blauen Himmel nicht mehr sah, nur Äste und Blätter. Unter den grauen Stämmen herrschte tiefes Schweigen, selten tönte von hoch oben der Ruf eines Vogels. Da fuhr es leise am nächsten Baumstamm herab, ein Eichhorn setzte sich ihr gegenüber auf den Ast, neigte ihr zuweilen den kleinen Kopf zu und blickte sie mit den runden Augen an, während es eine Ecker in den Pfoten hielt und daran nagte. Auch Walburg grüßte das Waldtier und sprach rühmend: »Gut stehen dir deine Ohrbüschel und dein stolzer Schweif; sei mir freundlich, Rothaar, denn ich sinne dir nichts Böses, und könnte ich dir helfen mit Eicheln und Eckern in deinem Haushalt, ich täte es gern. Doch reicher bist du als ich, denn du hältst dein Wesen hoch in der Baumhalle, wir Menschenkinder aber schreiten beschwerlich über die Wurzeln. Ich kümmere mich um einen, den du leicht erspähst, wenn du durch die Wipfel schweifst, siehst du ihn auf seinem Wege, so laufe vor ihm, daß du ihn zu mir führst.« Das Eichhorn nickte mit dem Kopf, warf die Frucht auf den Boden und fuhr eilig den Stamm hinauf.
»Es tut nach meinem Willen«, sprach Walburg lächelnd. Da vernahm sie einen schnellen Schritt, sie hörte sich beim Namen rufen und sah den Friedlosen, der zwischen den Stämmen auf sie zusprang, sich neben ihr in das Moos warf und ihre Hand faßte. »Kommst du doch«, rief er, und in dem frohen Schreck versagte ihm die Stimme. »Dich noch einmal zu sehen, habe ich heimlich gehofft, und täglich wandelte ich über das Moos, wie gebannt an den Baum.« Walburg strich ihm liebkosend die Wange und das Haar. »So bleich das Antlitz, verworren die Locke und hager der Leib, du armer Schatten, der das Sonnenlicht meidet, dir war der Wald feindlich, denn dein Aussehen ist vergrämt und dein Auge starrt wild auf das Kind deines Gastfreundes.«
»Es ist unmenschlich im Walde, und fürchterlich ist die Einsamkeit für den Ausgestoßenen,« antwortete Ingram, »seinen Fuß klemmt die Baumwurzel, die Äste raufen ihm das Haar, und die Krähen in der Höhe reden mißtönend miteinander, ob er ihnen zum Fraß wird oder nicht.« Er fuhr empor. »Weiß ich doch nicht, ob ich mich freuen soll, da ich dich sehe; du kommst von den Priestern und du gehst zu ihnen zurück, um ihnen die gute Botschaft zu verkünden, daß du mich in Elend und Jammer gefunden hast.«
»Ich war bei den Priestern und ich komme zu dir,« antwortete Walburg feierlich, »aus dem Hof der Christen bin ich gegangen, um für dich zu sorgen, wenn ich es vermag; die Menschen habe ich verlassen und den wilden Wald habe ich gewählt, wenn du mich haben willst.«
»Walburg!« schrie der Friedlose, warf sich wieder neben ihr auf den Grund, er umschlang sie mit seinen Armen, drückte sein Haupt an ihren Leib und schluchzte wie ein Kind.
Walburg hielt ihm das Haupt, küßte ihn auf sein Haar und sprach ihm tröstend wie eine Mutter zu: »Sei ruhig, du Wilder, ist dein Schicksal auch schwer, du hast eine, die dir‘s tragen hilft. Auch ich bin aufgewachsen nahe der Wildnis und nahe den Räubern der Grenze; die Bedrängten rettet wohl geduldiger Mut. Setze dich dort mir gegenüber, Ingram, und laß uns bedächtig reden wie sonst, wenn wir am Herde meines Vaters zueinander sprachen.«
Ingram setzte sich gehorsam, aber er hielt ihre Hand fest.
»Drücke auch nicht so traulich meine Hand,« mahnte Walburg, »denn ich habe dir Schweres zu sagen, was der Mund eines Mädchens nicht gern spricht.« Ingram aber unterbrach sie: »Bevor du redest, höre auch meine Meinung.« Er hob einen Kiesel aus dem Moose und warf ihn hinter sich. »So tue ich ab, was uns trennte, vergiß auch du, Walburg, was dich an mir gekränkt hat, gedenke nicht der Sorbenfessel und nicht der Lösung durch die Fremden, und ich flehe, verstöre mich nicht durch strenge Rede, denn so selig fühle ich mich jetzt, da ich dich vor mir schaue und deine Treue erkenne, daß ich um Bann und Friede wenig sorgen will. Du bist meinem Herzen sehr lieb, und heut, wo du zu mir kommst, mag ich an nichts denken als an dich und mich deiner zu freuen.«
Der Schleier, welcher das halbe Antlitz der Jungfrau verhüllte, bewegte sich. »Sieh doch erst zu, Ingram, wen du lieb hast, wir loben den Freier, der vorher betrachtet, was er erwerben will.« Sie schlug den Schleier zurück, eine rote Narbe zog sich über die linke Wange, eine Hälfte des Gesichts war ungleich der anderen. »Das ist die Walburg nicht, deren Wange du einmal gestreichelt hast.« Er sah das Angesicht vor sich, welches ihn damals erschreckt hatte, wo er das Schwert gegen den Bischof hob. Sie blickte spähend nach ihm, und als sie sein Staunen sah, verhüllte sie die Wange wieder und wandte sich ab, um ihre Tränen zu verbergen.
Ingram rückte sich näher und rührte leise an die andere Wange. »Laß mich diese küssen«, sagte er treuherzig. »Ich bin erschrocken, denn wild steht die Narbe in deinem Gesicht, aber ich weiß, daß du sie erhalten hast, als ich ein Tor war; und die Männer und Frauen werden dich darum nicht weniger ehren.«
»Du sprichst ehrbar, Ingram, aber ich fürchte, mein Anblick wird dir dereinst mühselig, wenn du mich mit anderen vergleichst. Ich bin stolz, und wenn ich dein Weib werde, so will ich dich allein haben für Leben und Tod, denn das ist mein Recht. Auch ich will dir sagen, wie mir ums Herz ist. Als ich noch aussah wie andere Mädchen, hatte ich dich mir als Ehewirt gehofft, und wenn du nicht mein Gemahl wirst, so wird es schwerlich ein anderer Mann auf Erden, auch wenn mich einer begehren wollte. Vor kurzem aber hörte ich eine Stimme, die wie aus meinem Innern zu mir sprach, daß ich mich einem anderen Herrn verlobe, dem Himmelsgott, der selbst die Wundenmale trug. Den halben Schleier haben sie über mich gelegt, ob ich dereinst mein Haupt ganz verhülle oder nicht, darum sorgte ich in bitterer Angststunde.«
Ingram sprang auf. »Viel Böses wünsche ich den Priestern, denn sie haben deine Gedanken von mir abgewandt.«
»Das haben sie nicht getan,« versetzte Walburg eifrig, »du kennst sie nicht, die du schmähst. Setze dich wieder und höre ruhig, denn zwischen uns soll Vertrauen sein. Stündest du im Glück vor mir, so würde ich vielleicht mein Herz verbergen, und wenn du noch bei meinen nächsten Verwandten um mich werben wolltest, so wäre dir die Freite langwierig wegen der Narbe, denn ich würde deiner Beständigkeit nur schwer trauen. Jetzt aber sehe ich, daß dir ein Freund not tut und daß dein Leben in großer Gefahr ist, da ist die Angst um dich in mir übermächtig geworden, und ich bin zu dir gekommen, damit du unter den Raubtieren nicht verwilderst und, wenn ich‘s hindern kann, im Walde nicht vergehest. Denn ich weiß, und du weißt es auch, daß ich in der Not zu dir gehöre.« Sie nahm den Schleier ab: »Sehen sollst du mich fortan, wie ich bin, ich verstecke mein Gesicht nicht vor dir.«
Wieder warf sich Ingram an ihrer Seite nieder und umfing sie. »Sorge nicht um meine Rettung und nicht um meine Seligkeit, an beiden liegt mir wenig, wenn du mir nicht sagst, was ich hören will, daß du zu mir kommst, weil du mich lieb hast.«
»Ich will mich dir angeloben,« sprach Walburg leise, »wenn du mir dasselbe tust.«
Jauchzend zog er sie in die Höhe. »Komm, wo die milde Sonne scheint, daß wir die heiligen Worte sprechen.« Aber als er ihr in die Augen sah, die in Liebe und Zärtlichkeit an seinem Angesichte hingen, verwandelte sich seine Gebärde, die herbe Sorge fiel ihm auf das Herz, und er wandte sich ab. »Wahrlich,« rief er, »ich bin wert, unter Wölfen zu hausen, daß ich die Tochter des toten Gastfreundes dem Grauen der Wildnis preisgeben will. Vergessen habe ich, wer ich bin. Jetzt sehe ich um mich graues Holz und wildes Kraut, und ich höre über mir den Schrei der Adler. Übel habe ich mein eigenes Leben beraten, aber ein niedriger Mann bin ich nicht, und die Treue eines Weibes mag ich nicht mißbrauchen, damit auch sie verderbe. Geh, Walburg, es war nur wie ein lustiger Traum.« Er lehnte sich an einen Baum und stöhnte, Walburg hielt seinen Arm fest.
»Ich stehe doch unversehrt an deiner Seite, und ich vertraue auf den mächtigen Schutz dessen, den wir Vater nennen, und dazu auch auf Speer und Schwert meines Helden, an dem ich mich festhalte.«
»Ich war ein Krieger, jetzt bin ich ein ruchloser Schatten. Es ist hart, Walburg, Feuer und Rauch zu meiden, noch härter, jedem Wanderer scheu aus dem Bereich seiner Augen zu weichen oder eines Kampfes gewärtig zu sein ohne Feindschaft und Grimm, nur weil der andere nach dem Friedlosen wie nach einem tollen Hunde schlägt. Aber härter als Leibesnot und Mord im Waldesdunkel ist es, feige das Haupt zu bergen und unrühmlich dahinzuleben wie das Ungeziefer unter den Bäumen, unerträglich ist solches Lungern, und die einzige Hilfe wird ein schnelles Ende im Schwertkampf. Geh, Walburg, und willst du mir deine Liebe erweisen, so sage einem, der einst mein Mann war, daß er mir ein gezäumtes Roß herführe, damit ich mir die letzte Rache suche.« Er warf sich auf den Boden und barg das Gesicht in dem Moos.
Walburg fühlte heiße Angst um den Liegenden, aber sie zwang sich zu mutiger Rede; neben ihm sitzend strich sie ihm die wirren Locken zurecht. »Tust du doch, als ob du niemand im Lande hättest, der noch um dein Wohl sorgte. Schon mancher, der den Frieden verloren hatte, gewann ihn zurück, wenn der Zorn geschwunden war. Es tat vielen leid, daß der Spruch gegen dich fiel. Herr Winfried selbst hat bei dem Grafen für dich gebeten.«
»Sage mir das nicht zum Troste,« fuhr Ingram zornig auf, »ganz widerwärtig ist mir solche Bitte und verhaßt jede Guttat des Priesters. Vom ersten Tage, wo ich ihn sah, hat er mich richten und schicken wollen wie einen Knecht, dich und mich wollte er hinterlistig für sich benützen. Als ich das Urteil über mich vernahm, da dachte ich besser von ihm als je zuvor, wenn ich ihn auch haßte, denn ich meinte, er hat doch den Mannessinn, sich an seinem Feinde zu rächen. Sein Mitleid aber ist mir das Unerträglichste von allem, denn ganz will ich ihm verleidet sein.«
Walburg seufzte. »Wie darfst du ihn schelten, er übt doch nur, was ihm der Glaube gebietet, Gutes zu tun seinen Feinden.«
»Vielleicht kommst auch du zu mir, Christenmädchen, um Gutes zu tun nach deinem Glauben, und im Innern verachtest du mich.«
Walburg schlug ihn leise auf das Haupt. »Dein Kopf ist hart und deine Gedanken sind ungerecht.« Und sie küßte ihn wieder auf die Stirn. »Nicht allein der Bischof ist dir wohlgesinnt, auch der neue Frankengraf hat dich gegen den Bruno bedauert, dein Schwert hat er hoch gerühmt und wie ungern er dich missen würde bei der nächsten Schwertreise gegen die Slawen. Denn vernimm, du Held der Thüringe, sie sagen, daß noch diesen Herbst nach der Ernte ein Volksheer gegen die Wenden geboten wird.«
Ingram fuhr auf. »Ha, das ist gute Kunde, Walburg, wenn sie auch mich Unseligen ausgeschlossen haben.«
»Höre noch anderes,« fuhr Walburg fort, »der große Frankenfürst liegt, wie sie sagen, selbst gegen die Sachsen im Felde, und überall rüsten die Helden zu neuem Streit.«
»Du machst mich toll; meinst du, ich werde überleben, von den Schwertgenossen getrennt zu sein, wenn sie sich Ehre erwerben?«
»Ich denke darauf, daß du in ihren Reihen kämpfen sollst, und auch darum bin ich hier.«
Ingram sah erstaunt zu ihr auf, aber ein Hoffnungsstrahl fiel in seine Seele, und er fragte: »Wie kannst du mir dazu helfen?«
»Noch weiß ich es nicht,« antwortete Walburg mutig, »aber ich hoffe Gutes für dich. Ich gehe zu dem Grafen, und wenn er nichts vermag, zum Frankenfürsten selbst in die Fremde, und ich flehe zu unseren Landsleuten. Von Hof zu Hof will ich wandern und bitten, vielleicht, daß sie mir günstig sind, weil sie dein Schwert jetzt gebrauchen.«
»Du treues Mädchen!« rief Ingram hingerissen.
»Und doch willst du mir verwehren, dir zu helfen, du törichter Mann,« mahnte Walburg leise, »denn du weigerst dich, mein Gelübde anzunehmen. Wie kann die Jungfrau vor den Fremden für dich sprechen, wenn sie dir nicht verlobt ist.«
Ingram hob die Hand und rief: »Wenn ich leben soll und wenn ich jemals noch mit leichtem Mut über die lichte Flur wandle, dann will ich versuchen, ob ich deiner Gesinnung zu danken vermag.«
»Jetzt sprichst du, wie ich‘s gern höre,« sagte Walburg froh, »und wie mit meinem künftigen Hauswirt will ich alles mit dir bereden, damit wir ein besseres Glück für uns finden. Du behältst mich bei dir hier im Walde oder wo es sonst sei, solange ich dir tröstlich bin; und wenn es dir gut dünkt, sendest du mich in das Land, damit ich als deine künftige Hausfrau um deine Sachen sorge. Die Leute werden mir‘s glauben, wenn ich es ihnen sage, daß ich als deine Braut komme. Für den Rabenhof wird es gut sein, wenn eine Frau nach Ordnung sieht. Deine Dienerinnen haben sich verlaufen, und sie dürfen nicht wiederkommen, denn ich denke allein Herrin im Hause zu bleiben.« Ingram nickte zustimmend. »Auch das Vieh braucht Pflege, wie ich merke, und ich werde dir eine Magd werben; das bespreche ich mit Bruno, der ein bescheidener Mann ist. Seinen Rat höre ich auch, wie wir dir den Frieden wiederschaffen. Nicht ohne schwere Buße kannst du ihn gewinnen, wenn es dir glückt; die Buße wirst du leisten, wenn sie dich auch einen Teil deines Landes kostet, entweder an deinem Hofe oder an dem Erbacker deiner lieben Mutter im Tale.« Ingram seufzte. »Es war ein schwerer Spruch, den sie gegen dich ausriefen, daß du Friede haben sollst, wo dich niemand sieht und hört. Aber das harte Wort vermögen sie mild zu deuten. Auch die Christen werden nicht nach dir spähen und nicht horchen, bis du wieder sichtbar und ruchbar wirst im Volke, wenn du gleich in dem Rabenhofe weilst oder im öden Hofe meines lieben Vaters, in den ich gern zurückkehrte. Dies sind meine Gedanken, und jetzt sage mir die deinen.«
»Mein Gedanke ist,« rief Ingram, »daß ich ein gutes Weib haben werde, wenn das Schicksal mir verstattet, im Lichte zu leben, und eine Hausfrau, die verständiger für das Rechte sorgt als ihr Wirt.«
»So rühme ich dich, Ingram«, fuhr Walburg siegreich fort. »Wie wir aus der Not kommen, weiß der liebe Gott allein, aber ihm vertraue ich und ihm danke ich, daß ich dich im Walde gefunden und dein Herz erkannt habe, wie du gesinnt bist.« Sie neigte das Haupt und sprach das Vaterunser, Ingram saß still an ihrer Seite und hörte auf die Bitten, die sie raunte. Als sie darauf neben ihm saß mit gefalteten Händen und lächelndem Munde, rührte er leise an ihren Arm und bat: »Komm, Walburg, daß ich dich aus dem Schatten in die Sonne führe.« Das Mädchen wandte sich zu ihm: »Steht mir die Narbe häßlich?«
»Ich merke sie nicht mehr«, versetzte Ingram ehrlich.
Walburg seufzte. »Vielleicht wirst du sie gewohnt. Du aber, mein Held, harre noch ein wenig. Wie du jetzt bist, darf dich die Sonne nicht sehen, denn sie scheint ungern durch Löcher im Gewande auf die bloße Haut, und auch das wilde Haar steht einem Bräutigam schlecht. Zieh erst die Jacke aus, daß ich dir sie nähe, und suche unterdes den Quell, damit du dir daran das Haupt schmückest, wie sich‘s gebührt.« Sie öffnete ihren Korb und holte emsig Faden und Nadel hervor. »Allerlei habe ich mitgebracht, was kein Mensch unter den Bäumen findet und was doch jeder braucht, wenn er anderen gefallen will. Hier ist dein Bräutigamshemd, ob du es meinetwegen tragen willst, ich habe es unter Schmerzen genäht, als ich krank saß. Denn du lebst jetzt nicht mehr für dich allein, auch für mich hast du zu sorgen, und vor allem hast du darauf zu denken, daß du mir immer gefällst.« Sie trieb ihn fort und besserte eifrig die Risse in dem braunen Wollkleide.
Als er wieder aus der Tiefe auf sie zusprang, riß sie den letzten Faden ab und half ihm die Jacke anziehen und vom Moose säubern: »So gefällst du mir, denn ganz verwandelt stehst du unter den Bäumen. Und jetzt, Ingram, bin ich bereit, dir zu folgen, wohin es auch sei.« Sie packte ihr kleines Gerät zusammen, und als er den Korb heben wollte, wehrte sie es. »Das geziemt dem Krieger nicht, nur mich selbst darfst du tragen, wenn mich die Kraft verläßt. Gib mir deine Hand, damit ich mich darauf stütze.«
So schritten sie schweigend nebeneinander über den Moosgrund bis zu einem Felshaupt, das sich zwischen den Bäumen erhob. Der Stamm, welcher einst darauf gestanden hatte, war gefallen, und auf der Stätte blühten im Sonnenlicht wallende Gräser, Heidenröschen und blaue Glockenblumen. Da drückte sie seinen Arm und mühte sich, ihre Bewegung unter einem Lächeln zu verbergen: »Halt an, Ingram, und vernimm noch das letzte. Deine Braut will ich werden zu dieser Stunde, aber dein Ehegemahl wird die Tochter deines Gastfreundes erst im Ringe der Verwandten, wenn mein Oheim die Frage der Vermählung tut. Denn der Sitte gedenken wir, auch wenn wir allein sind. Bis dahin liegt zwischen uns ein blankes Messer, das du mir einst geschenkt.« Sie zuckte in ihr Gewand und hob die Klinge heraus, die sie in der Halle des Ratiz gegen sich gebraucht hatte. »Denke an das Messer, Ingram, wenn du meine Wange nicht siehst.«
»Leidig ist das Messer«, rief Ingram unwillig.
»Ein guter Warner ist es«, rief Walburg und faßte bittend seine Hand. »Mahnen soll es dich, damit du dein lebelang deine Hausfrau ehren kannst.«
Ingram seufzte, aber gleich darauf sprach er mit gehobenem Haupt: »Du denkst, wie meinem Weibe gebührt.«
Beide traten in das Licht und sprachen vor der Himmelssonne ihre Namen und die Worte, durch welche sich jedes dem anderen verlobte für das Leben und den Tod. Als Ingram das Weib nach der Sitte durch ein Zeichen binden wollte und zurück sah, um ein Reis zu brechen, das er ihr um den Arm winde, da sagte sie leise: »In deiner Tasche barg ich das feste Band, welches mich an dich bindet.« Er faßte den harten Gurtriemen des Messers, das er ihr in der Todesnot gereicht hatte. Und als er sie nach dem Verlöbnis umschlang, da fühlte sie, wie sein starker Leib in der Aufregung bebte, und sie sah, daß die Sonne ein bleiches und trauriges Antlitz beschien. Lange hielt sie ihn fest und ihre Lippen bewegten sich. Aber gleich darauf begann sie heiter: »Jetzt lagere, Held, damit ich dir das Brautmahl bereite, denn das ist eine Ehre der Braut und sie läßt sich‘s nicht nehmen. Fehlt‘s heut an anderen Gästen, so laden wir die kleinen Waldvögel, wenn diese hier auf der Höhe bereit sind uns Freundliches zu singen.« Sie zwang ihm die Kost ein, welche sie mitgebracht hatte, und legte ihm die guten Bissen vor, wie einem Kranken. Dabei erzählte sie ihm gleichmütig ihre Sorbenfahrt, und von dem Fleiß auf dem Meierhofe, auch von dem Kranz der wilden Gertrud, bis er sie wieder mutig anlachte.
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