Текст книги "Die Ahnen"
Автор книги: Gustav Freytag
Жанр: Классическая проза, Классика
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Nach dreitägiger Lehre und Festfeier waren die Gaugenossen heimgezogen, die Christen mit gehobenem Haupt, die Heiden in Kleinmut. Aber draußen in dem weiten Land der Thüringe wirkte die Bewegung fort, welche durch den Zauber eines kräftigen Mannes aufgeregt war, der Windstoß aus dem Waldtal wurde zum starken Sturme, er durchfuhr das ganze Land und warf alte Heidenbäume nieder.
Winfried wohnte nicht mehr in der Hütte des Memmo. Auf den Rat des Grafen war ihm beim Meierhof eine Halle errichtet worden, damit er würdiger das Volk empfange. Doch war er selten daheim, von Reisigen und von einem Gefolge ansehnlicher Männer begleitet zog er rastlos durch das Land, und wo er erschien, stritten die Männer über Opfermahle und ihr künftiges Heil in der Himmelsburg. Viele zogen das weiße Gewand der Täuflinge an, noch mehre standen unsicher zur Seite, ohne Waffen gegen das laute Wort aus Menschenbrust und gegen das Wesen des Mannes, der so sicher wie ein Gott Bescheid wußte, wo andere sich im Zweifel ängstigten. Fand er auch überall bittere Feinde, wider den ersten Andrang seiner Lehre vermochten sie sich nur wenig zu wehren, denn gütig und schonend sprach er zu dem einzelnen, und jedem gab er seine Ehre, er war freundlich zu den Frauen, sein Antlitz wandelte sich in helle Fröhlichkeit, wenn er mit den Kindern sprach, und wo er einen Bedrängten oder Darbenden fand, gab er alles, was er selbst gerade hatte und bat so feierlich und dringend, daß er oft auch die Harten zur Guttat beredete. Im ganzen Lande sagten die Leute, daß er ein milder und vornehmer Mann sei, und darum hörten sie ihn williger.
Aber auch das Dorf, in dem er zuerst eingekehrt war, wies nach wenigen Wochen die Verwandlung. Auf dem Meierhofe, welchen Frau Hildegard dem Christengott als Geschenk dargebracht hatte, erhob sich bei der Halle ein Turmgerüst und daran ein großer im Viereck eingehegter Raum, der dem Gottesdienste geweiht war. Außerdem mehre neue Blockhäuser: ein Schlafhaus für die losgekauften Frauen und Kinder, daneben ein Arbeitshaus, in dem sich an jedem Wochentage die Spindeln drehten und Webstühle klapperten; und gegenüber ein zweites Arbeitshaus mit einem großen Kreuz über dem Giebel, die erste Schule im Lande. Dort saßen die Knaben, deren Vormund der Bischof geworden war, auf niedrigen Holzbänken, sie lernten in ihrer Sprache das Vaterunser und den Glauben und im Latein Kirchengebete und Gesang, dabei auch ein wenig das Verständnis der lateinischen Worte. Denn Memmo erfand für sie wichtige Sprüche mit deutschen und lateinischen Wörtern in der Art wie: meus avus heißt mein Ahn, pater heißt der Vater, vir bin ich, der Mann, filius der Sohn. Memmo lächelte jedesmal stolz, wenn er den Knaben einen neuen Spruch beibrachte, er strich denen, welche gut lernten, so zart über das gelbe Kraushaar, wie seinem Stieglitz über das rote Käppchen, aber den Ungefügen zahlte er unerbittlich ihr Kerbholz mit einer großen Birkenrute, welche der Unartigste jeden Sonnabend neu liefern mußte, damit er selbst die ersten Streiche empfange. Auch Schreibgerät bereitete er, um den Knaben das Geheimnis der Schrift zu offenbaren. Er kochte den schwarzen Zaubersaft der Tinte, während ihn die Knaben ängstlich umstanden; er lehrte seine Schüler kleine Holztafeln schneiden und einrahmen und für den Gebrauch des Griffels mit einer dünnen Lage Wachs überziehen, für die Tinte aber mit weißem Birkenbast bekleiden. War Gottfried im Dorfe, so unterrichtete dieser im Kirchengesang, zu seiner Schule gehörten auch die Frauen und Mädchen. So oft die Weise des Abendliedes von der Höhe über das Dorf klang, hörten die Landleute mit der Arbeit auf und sahen furchtsam zu dem Hofe empor, wo dem neuen Gott der Nachtgruß geboten wurde. Und wenn Memmo mit seinen Schülern durch Wiese und Holz zog und ihnen die Tugenden der Bäume und Kräuter erklärte, dann wurden seine kleinen Gesellen von den Dorfknaben angeschrien wie gezähmte Vögel von wilden, und er hatte zuweilen mit seinem Stocke Arbeit, um die Köpfe der Raufenden auseinanderzubringen.
Weit durch das Land lief das Gerücht von der neuen Schule und von der seltsamen Christenzucht. Obgleich das unkriegerische Wesen den Ansehnlichen mißfiel, so dünkte doch manchem vorteilhaft, einen jüngeren Sohn daran zu wagen, die armen Leute aber warben dringend um Aufnahme, und schon dachte Winfried daran, die Schule nach dem großen Markt der Thüringe zu verlegen.
Einige Frauen und Kinder waren durch ihre Freunde abgeholt worden, aber die Mehrzahl saß noch unter dem Schutz des Bischofs und begehrte sich kein besseres Glück, denn der Haushalt war wohlgeordnet, und aller Bedarf des Lebens wurde in fester Ordnung bereitet. Die Christen hatten nach der großen Versammlung auf die Mahnung des Bischofs freiwillige Spenden zugetragen: Lebensmittel, Flachs, sogar Viehhäupter. Anderes gewann eigener Fleiß der Hausenden. Was Wald und Flur von eßbaren Früchten bot, wurde gesammelt, die Ernte des Gutes von eifrigen Händen eingebracht, jedem einzelnen wußten die Väter nach seinen Kräften ein Amt zu geben, welches dem Haushalt nützlich war. Neben dem Meier und seiner Frau standen Walburg und Gertrud der Wirtschaft vor, die eine im Frauenhause, die andere in den Ställen und auf dem Felde. So oft Winfried von seinen Reisen heimkehrte, empfing er wie ein Gutsherr die Berichte seiner Getreuen, er stand fröhlich unter den Kindern, freute sich der guten Köpfe, welche Memmo lobte, und mahnte die Säumigen. Und jedesmal hatte er einen besonderen Gruß für Walburg und ihre Brüder.
Walburg war genesen. Memmo hatte seine ärztliche Kunst wohl an ihr bewährt, mehre Wochen hatte er ihr die Arbeit in freier Luft verboten, heut war ihr völlige Heilung verkündet und sie stand zum erstenmal im Hofe, das Antlitz zur Hälfte mit dem Schleiertuch bedeckt, welches nach dem Gebot des Paters die vernarbte Wange noch einige Zeit von der wehenden Luft scheiden sollte. Sie hielt eine Webe Leinwand an das Licht, prüfte die Fäden und maß an einem Stab die Länge, während zwei kleine Mädchen die rollenden Falten in ihren Schoß aufnahmen. »Es ist noch keine Herrenleinwand,« sagte sie in fröhlichem Eifer zu Gottfried, indem sie auf seinen stummen Gruß mit Kopfnicken antwortete, »denn der ehrwürdige Bischof wollte, daß wir zunächst für die Kinder arbeiten sollten. Denke, mein Bruder, jeder der Knaben soll zu seiner Wolljacke noch zwei Hemden und ein Paar Bundschuhe erhalten. Wie Söhne von Häuptlingen werden sie einhergehen, und das ist gut, damit sie jedermann achte, weil sie doch jetzt deine Schüler sind. Und dann sind noch Betten zu stopfen für Große und Kleine, und Inlett und Überzug zu nähen, und wir haben alle Hände voll zu tun, damit das Haus in Ordnung sei, wenn der kalte Winter kommt. Viele kleine Betten sind nötig, denn der Herr Winfried will wieder, daß jedes der Kleinen sein eigenes Bett habe, was hierzulande unerhört ist. Aber braunes Wolltuch ist bereits vorhanden, und gern möchte ich vor den anderen dir ein Hausgewand nähen; denn, verzeihe, Bruder Gottfried, wenn ich es sage, das, welches du trägst, wird fadenscheinig und wir bekümmern uns darüber.«
»Sorge nur für die anderen,« versetzte Gottfried, »wird mein Rock schlecht, so webe und nähe ich mir selbst einen, oder empfange einen anderen, den ein Bruder genäht hat; denn es ist nicht Brauch, daß ein Bruder Frauenarbeit trage.« Er sprach dies eifriger als not war und fuhr dabei dem kleinen Bezzo über den Kopf, der sich an den Füßen Walburgs anklammerte und, da sie ihn nicht beachtete, ungeduldig an ihrer Hüfte hinaufkletterte. »Sie drücken wieder«, rief Bezzo. »Er meint seine Schuhe,« erklärte Walburg, ihn auf den Arm nehmend, »er hat Heidenbeinchen, welche die Gebote des Bischofs nicht leiden wollen, und einen wilden Heidenkopf, und der Unhold weiß, daß er ein Liebling ist, weil er auf der Reise dir lieb wurde. Sei artig, Bezzo, und bitte den frommen Bruder, daß er ein Kreuz über dir schlägt gegen deine wilden Gedanken.«
Damit war Bezzo einverstanden, er strebte von dem Halse der Jungfrau heftig an den des Mönches und bat: »Ich will ein Kreuz auf den Kopf, denn da gibt uns Base Walburg Honigseim.« Walburg entschuldigte sich: »Man muß den Kleinen das Kreuz lieb machen.« Gottfried aber löste den Knaben errötend von Hals und Arm der Jungfrau, setzte ihn zur Erde und sprach ihm freundlich zu.
»Wir Frauen sehen dich jetzt selten in unserer Nähe,« fuhr Walburg treuherzig fort, »und doch hängen die Herzen alle an dir; während der Sorbenfahrt sorgtest du eifriger um uns.«
»Der Mönch ist ein ungeschickter Ratgeber bei Frauenarbeit,« antwortete Gottfried, »aber dir darf ich es sagen, im nächsten Frühjahr kommt Kunitrud, meine Schwester, aus Angelland hierher, sie wird mit euch hausen. Sie hat sich dem Herrn gelobt, geht geschleiert und soll die Herrin einer Frauengemeinde werden, sie ist weiser als ich.«
»Versteht eine Geschleierte auch Latein?« fragte Walburg erstaunt.
»Die ich nannte, spricht es wohl besser als ich, der ehrwürdige Vater rühmt ihre Kunst in den Versen; manches heilige Buch hat sie gelesen.«
»Wie werden wir vor solcher Frau bestehen?« rief Walburg erschrocken.
»Sie ist jung wie du, und, wenn ich nicht irre, so ist sie dir ähnlich in Antlitz und Gebärde,« versetzte Gottfried befangen, »ich hoffe, sie wird dir eine gute Gesellin werden.«
»Sie ist jung und hat sich dem Herrn gelobt?« fuhr Walburg nachdenklich fort, »so Großes hat die Jungfrau auf sich genommen? Denn ich weiß wohl, ist sie geschleiert, so darf sie im Mai nicht mehr mit den Mädchen auf die Wiese gehen, sie darf keinen Mann mehr freundlich grüßen und gar nicht an ein Ehegemahl denken und an Kinder im Hause. Das ist hohe und schwere Pflicht für ein junges Herz. Verzeih, ehrwürdiger Bruder,« unterbrach sie sich, als sie in das gerötete Gesicht des Mönches sah, »ich vergaß, daß sie deine Schwester ist, auch du hast dein junges Leben dem Herrn geheiligt, und wir anderen sehen‘s mit Staunen.« Gottfried neigte das Haupt, grüßte sie schweigend und ging schnell nach der Schule. Walburg aber trat an das Wasserbecken des Laufbrunnens, hob den Schleier und betrachtete die rote Narbe ihrer Wange; mit einem Seufzer ließ sie den Schleier herunter. »Dem Mädchen steht die Narbe übel im Gesicht,« sagte sie bedauernd zu sich selbst, »und schwerlich wird noch jemand meine Wange rühmen. Ob die Schwester aus Angelland auch eine Maser im Antlitz trägt, daß sie der Erdenfreude entsagt hat?«
Sie fühlte einen Schlag auf der Schulter und wandte sich rasch um, Gertrud sah sie lachend an und drückte ihr einen Kranz von Eschenlaub und roten Beeren auf das Haupt, wie die Mädchen im Herbst beim Tanze trugen. »Besseres Glück für die Zukunft«, rief sie. »Recht wohl steht dir der Kranz, wenn man auch nur deinen halben Mund lachen sieht.«
»Die frommen Väter verstehen alles,« versetzte Walburg, »sie wissen sogar ein Mädchengesicht wieder ganz zu machen.«
»Gute Männer sind die Langröcke«, rief Gertrud. »Aber meinst du, daß einer von ihnen stark genug ist, eine wackere Magd im Reigen um seine Hüfte zu schwingen?«
»Rede nicht so wild«, bat Walburg und hing den Kranz an den Brunnen.
Gertrud schlug ihre festen Arme übereinander und sah ihre Gefährtin spottend an. »Ich denke, du bist insgeheim ebenso gesinnt; denn alles hier ist sehr säuberlich, aber jauchzen habe ich noch niemanden gehört als etwa kleine Knaben, und auch die werden gemahnt, den Kopf zu neigen. In meinem Leben ging mir‘s niemals so gut als unter dem Kreuze, und ganz gern lernte ich das Kyrie und Amen rufen. Aber Mädchen, die ganze Herrlichkeit möchte ich in mancher Stunde dahingeben, wenn ich nur einmal mit einem frischen Knaben in der Sommermitte über das Nachtfeuer springen könnte.«
»Schweige von dem Heidenbrauch, daß dich nicht die Kinder hören«, mahnte Walburg.
»Bist du so ergeben, daß du keine Gedanken mehr hast, die über den Christenhof hinausgehen?« fragte Gertrud. Doch als sie den traurigen Blick der anderen sah, tat ihr die Frage leid und sie fuhr fort: »Wie kommt‘s, daß du nie zu mir von dem Manne sprichst, der deinetwegen an den Herd deines Vaters kam?«
»Ich scheue mich, andere nach ihm zu fragen,« versetzte Walburg traurig, »da ich nicht weiß, wie er gegen mich gesinnt ist. Die Frauen sagten mir, er reitet weit von hier im Heere der Franken. Immer stand sein Sinn nach einem großen Kriegszuge, und als er das letztemal am Main war, wollte er deshalb Kundschaft einziehen. Was siehst du mich so an, Gertrud?« rief sie heftig, »du weißt von ihm, was du mir nicht sagen willst; sei barmherzig und rede.«
»Hörtest du nicht, was viele wissen?« antwortete Gertrud, »das Grafengericht hat über ihn gesessen. Wenn sie ein Urteil gegen ihn gefunden haben, so mögen dir‘s andere künden, nicht ich.«
»Wo ist Wolfram?« rief Walburg. »Täglich habe ich nach ihm ausgesehen, aber verlassen liegt der Rabenhof.«
»Es geht dort still her,« antwortete Gertrud, »die Knechte und Mägde haben sich verzogen.«
»Wer füttert sein Vieh?« fragte Walburg schnell.
»Vielleicht, daß Wolfram noch dort verstohlen haust. Ist es dir Ernst, den Mann des Verschwundenen zu sehen,« fuhr sie leiser fort, »so will ich dir dazu helfen.«
»Schaffe ihn her«, bat Walburg angstvoll.
»In den Hof wagt er sich schwerlich, weil die Reisigen des Grafen um das Tor lauern. Da du jetzt in das Freie gehen darfst, so komm mit vor das Tor, doch verrate mich nicht, wenn ich dir helfe; denn was verstehen die Priester davon, wenn zwei einander liebhaben, sie werden klug tun, sich gar nicht darum zu kümmern«, und sie schwenkte ihren großen Sahnlöffel ohne Ehrfurcht gegen die Schule, in welcher Gottfried lehrte.
Als die Mädchen vor das Tor traten, sahen sie einen Haufen Volkes, wie er sich jedesmal sammelte, wenn der Bischof von einer Reise zurückerwartet wurde. Neben den Reisigen standen Arme und Kranke, welche sich Almosen und Heilung begehrten, Christen aus der Umgegend, die Segen oder guten Rat ersehnten. Seitwärts aber hielten Krieger in fremder Slawentracht; mit Abscheu erkannte Walburg die Mützen und den Pferdeschmuck der Sorben, unter ihnen den Weißbart aus dem Gefolge des Ratiz, stattlich angetan in langem Tuchrock mit glänzendem Schwertgürtel. Der Alte nahte den Frauen mit tiefen Verbeugungen und begann, die Pelzmütze in der Hand drehend: »Ganz gut gelang, wie ich merke, den Frauen die Fahrt über den Sorbenbach.« Walburg bezwang ihren Widerwillen, als sie antwortete: »Auch eure Reise zum großen Frankenherrn glückte in Frieden, soweit ich sehe.«
»Das Geleit deines Herrn des Bischofs war kräftig, wir sind wohlbehalten bis hierher zurückgekehrt. Aber mir ist damals vieles verbrannt, als ihr von uns wichet, und dem Alten tut eine Hilfe not.«
»Wir sahen auf der Fahrt die Röte, wenn wir uns rückwärts wandten.«
»Stroh brennt so leicht als Schindeln«, versetzte der Alte freundlich und blickte über die Holzdächer des Hofes. »Aber meine Landsleute bauen schnell, kommst du das nächste Mal zu uns, so findest du neue Strohdächer.«
»Nimmermehr begehre ich euer Dorf zu schauen«, rief Walburg in ehrlichem Abscheu.
»Möge dir alles werden wie du es begehrst,« antwortete der Weißbart demütig, »auch mir wäre lieb, wenn die Jungfrau dem Väterchen zu seinem Recht verhelfen wollte. Held Ingram, welcher unseren Banden entfloh, hatte, da er noch frei war, aus guter Meinung mir ein Stück rotes Tuch gelobt, damit ich ihm bewillige, dich zu sprechen. Ich habe es bewilligt; nach dem Tuche sehne ich mich noch. Dem Mann ist es seither auch hier übel gelungen, ich aber möchte nicht, daß sein Gelöbnis gegen mich unerfüllt bliebe. Vermag die Jungfrau mir zu meinem Rechte zu helfen, so wäre mir‘s lieb.«
»Ist Ingram um meinetwillen dir etwas schuldig, so will ich sorgen, wenn er es nicht vermag, daß du deine Gebühr erhältst«, antwortete Walburg und entwich dem beredten Danke des Sorben.
Die Mädchen gingen bis zu dem Vorsprung des Waldes, der sich nahe an die Wegscheide erstreckte, dort gebot Gertrud ihrer Gefährtin niederzusitzen, sie selbst breitete ein weißes Tuch am Saum des Gehölzes und wandelte als wenn sie Kräuter suchte am Holz entlang, bis sie langsam zu ihrer Gefährtin zurückkehrte. »Ist er im Hofe, so kommt er; harre, ob er das Zeichen sieht.«
Nicht lange saßen die Mädchen, vor den Blicken aus ihrem Hofe gedeckt, da schritt Wolfram aus dem Rabenhof in das Holz und wand sich hinter dem Baumland zu ihnen. Walburg eilte ihm entgegen. »Wo ist Ingram?«
»Er heißt nicht mehr Ingram, Wolfsgenoß nennen ihn jetzt die Leute, friedlos haben sie ihn gemacht wie ein Wildtier des Waldes.« Walburg rang die Hände. »Es freut mich, daß du seiner gedenkst,« fuhr Wolfram fort, »denn in dem Hofe, aus welchem du kommst, sinnen sie ihm nichts Gutes. Seinetwegen saßen die Alten unter den drei Linden um den Grafenstuhl. Ich stand an ihrem Gehege und es war ein bitterer Tag. Der Hauptmann des Grafen trat in den Ring und erhob die Klage, laut riefen sie den Namen meines Herrn gegen Hof, Acker und Weide. Aber er selbst antwortete nicht, sondern Bruno als sein nächster Freund trat für ihn in den Ring. Dreimal gab er Antwort auf die Klage und dreimal berieten die Landgenossen. Nach dem dritten Rat fiel der Spruch: Da mein Herr den Frieden des Frankenherrn und des Volkes durch die Schwerthand gebrochen habe, so solle er fortan Frieden haben wie der Wolf, wo ihn kein Auge sieht und kein Ohr hört. Und bei den Wölfen haust jetzt der Friedlose.«
Walburg schrie auf, Wolfram aber fuhr kummervoll fort: »Sie sagen, daß der Spruch ganz mild war, den Hof haben sie ihm nicht verbrannt, Bruno hat unterdes die Hand darübergelegt; und ehrlos haben sie ihn auch nicht gemacht, wohl möglich, daß ihn die wilden Tiere zu ihrem König wählen.«
»Wo weilt er selbst?« rief Walburg.
Wolfram sah sie bedeutsam an: »Vielleicht im wilden Wald, vielleicht unter hartem Stein, aus dem Licht der Sonne ist er geschwunden.«
Walburg winkte heftig ihrer Begleiterin zurückzuweichen und sprach leise: »Ich hoffe, er reitet namenlos im Frankenheere.«
»Ich hoffe nicht«, versetzte Wolfram.
»Du birgst ihn in seinem Hofe.«
»Sein Dach schützt ihn nicht mehr vor fremden Spähern.«
»Dann bekenne mir, wo er ist, Wolfram, bei deiner Seele und Seligkeit beschwöre ich dich«, rief sie feierlich.
»Für meine Seele und Seligkeit wünsche ich Günstiges,« versetzte Wolfram, »aber ich weiß nicht, ob sie gedeihen werden, wenn ich meinen Herrn verrate. Dennoch erkenne ich, daß ich allein ihm nicht zu helfen vermag. Willst du mir versprechen, daß du geheim bewahrst, was ich dir künde, so sollst du erfahren, was ich selbst weiß.« Walburg machte ein Kreuz und reichte ihm die Hand. »Unter den Urstämmen im wilden Wald wissen mein Herr und ich einen hohlen Baum, in dem wir Weidgerät und was man sonst für Waldfahrt bedarf zu bergen pflegen, wie Brauch der Jäger ist. Dorthin trug ich ihm am Morgen, nachdem er entwichen war, sein Jagdzeug, Waffen und Kleider und sang in der Nähe so laut ich vermochte den Jagdruf, welchen er von mir kennt. Als ich am zweiten Tag wiederkam, war der Baum geleert. Seitdem schrie ich dort öfter mein Lied, und als sein Urteil verkündet war, weilte ich in der Nähe, bis er selbst kam. Aber freudenlos wurde das Wiedersehen, seine Wangen waren fahl und wortkarg die Rede. Und als ich mich erbot, ihn zu begleiten, wies er das kurz ab und sprach: ›In der Halle der Götter hause ich, für einen, der im Sonnenlicht wandelt, ist dort kein Raum. Kehre nicht wieder, Wolfram, denn friedlos wird jeder, der sich dem Ausgestoßenen zuwendet.‹«
»Nannte er meinen Namen?« unterbrach ihn Walburg.
»Er fragte nicht einmal nach seinen Rossen«, versetzte Wolfram. Die Jungfrau senkte traurig ihr Haupt. »Nur von den Sorben sagte er mir etwas, woraus ich erkannte, daß er ganz verstört ist. Rotes Tuch forderte er für den Weißbart und daß ich darum eins unserer Rosse auf den Markt führen sollte, es sei gelobte Schuld.«
»Hast du nach seinem Gebot getan?« fragte Walburg.
»Das Tuch habe ich eingetauscht, aber die Gabe dem alten Diebe zu gewähren scheint mir ganz töricht und unsinnig, denn seine Speergesellen haben an meinem Herrn treulos gehandelt, und er lebt mit ihnen in tödlicher Fehde.«
»Tue dennoch nach dem Gebot, auch um meinetwillen«, bat Walburg.
»Die Hunde lagern jetzt im Dorfe wie Häuptlinge,« versetzte Wolfram, »ich sah den Alten; als ein Späher schleicht er einher, und nichts Gutes bedeutet seine Ankunft. Möge dies der letzte Gewinn sein, den er im Sacke heimträgt. – Seit jenem Tage erblickte ich meinen Herrn nicht mehr, doch was ich noch in dem Baume barg, wurde fast immer abgeholt. Gestern aber fand ich ein Stück Rinde in der Höhlung und auf der inneren Seite das Bild eines Rosses geritzt. Morgen denke ich ihm sein bestes Pferd hinzuführen und dazu noch eins für einen anderen, damit er nicht allein reitet.«
»Und wonach steht sein Sinn? Das sage mir noch, Wolfram, wenn du es weißt.«
»Wo soll er hin, wenn nicht gegen die Sorben. Denn die Weiden sind es, die ihm jetzt am meisten das Herz einschnüren. Als wilder Wolf will er dort beißen, bis ihn ein Keulenschlag trifft. Ich möchte lieber anderswohin. Aber mich treibt eine Vorbedeutung, da ich doch Wolfraban heiße. Ich erkenne, mein Name gibt mir die Weisung, daß ich ihn auf dem Wolfsprung begleite.«
»Führe nicht die Rosse in den Wald, auf denen er mit dir zum Tode reitet,« sprach Walburg feierlich, »denn ich will ihm helfen, daß er lebe, wenn ich‘s vermag. Gelobe mir, mich morgen an dieser Stelle zu erwarten, bevor du zu dem Baume wandelst, damit ich dir überbringe, was deinem Herrn nützen mag.«
Wolfram überlegte. »Ich weiß, daß du ihm wohlgesinnt bist, und du wirst ihn nicht seinen Feinden verraten.«
»Niemals«, rief Walburg.
»Wohlan, so erwarte ich dich hier, wenn die Sonne morgen früh über den Waldrand steigt.«
Die Mädchen eilten zum Hofe, denn vom Dorfwege nahte ein Reitertrupp, in seiner Mitte der Bischof. Ihn begrüßte Heilruf der harrenden Menge und der Hofgenossen. Wie ein Häuptling schritt er durch das Volk in die Halle, welche ihm errichtet war, und empfing dort nach der Reihe die Gesandten und die Flehenden. Zuletzt sprengte auf seinem Kriegsrosse Herr Gerold selbst in den Hof, ihm trat der Bischof auf der Schwelle entgegen, bot den Friedensgruß und geleitete ihn zu dem Herdsitz.
»Den Raben von drüben habe ich verscheucht,« begann der Graf, »du bist an ihm gerächt.«
»Ich danke dir nicht dafür, Gerold, du weißt, wie ich für ihn gebeten habe.«
»Nicht mein Vorteil war es,« versetzte der Franke unwillig, »das beste Schwert der Thüringe zu zerbrechen. Daß ich das Urteil gefordert habe, geschah nur darum, weil mir von meinem Herrn dein Heil auf die Seele gelegt ist. Denn du vermochtest nicht im Volke zu dauern, wenn der erste Mann ungestraft blieb, der gegen dein Haupt das Schwert gezückt hat. Verächtlich wurdest du vor jedermann, und von allen Seiten wären die Heidenmesser in dich gedrungen. Willst du den Thüringen deine Botschaft ferner verkünden, so mußt du ihnen erweisen, daß deine Feinde ausgetilgt werden.«
»Hast du jenen Mann ausgetilgt,« sprach Winfried, »weil er zuchtlos den Frieden des Volkes brach, so darf ich dir nicht widerstehen. Begehrtest du aber Rache für mich, so hast du mir wehe getan. Auch du kennst das hohe Gebot, welches geschrieben steht, daß wir unseren Feinden Gutes tun sollen.«
»Steht es geschrieben, so siehe du zu, ob die Männer hier dir‘s glauben,« rief Gerold unzufrieden, »ich aber hoffe, daß du nicht gekommen bist, um diesem Volke den Männermut zu nehmen, sondern zu stärken, denn hier tut nicht Geduld und Lammessinn not, sondern Krieg und scharfes Gefecht, dazu bin ich in dies Land gesandt, und ich erkenne, der Wille des erlauchten Helden Karl ist, daß du mir dabei hilfst. Als wir miteinander aus dem Angesicht des Frankenherrn schieden, da legten wir unsere Hände ineinander und gelobten, treue Gesellen in dem Volk der Thüringe zu sein, ich für meinen Herrn, du für den Christengott, denn verfallen lag dies Grenzland, und feste Führer waren ihm nötig.«
»Treu hast du bisher unseren Vertrag erfüllt«, versetzte Winfried herzlich. »Und gern gebe ich das Zeugnis, daß ich vor anderen Menschen dir dankbar bin, wenn es mir gelingt, die harten Nacken am Taufstein zu beugen. Denn die Furcht vor deinen Bewaffneten ist mein einziger irdischer Schutz, und glaube mir, kein Tag vergeht, wo nicht hier im Hofe von meinen Getreuen für dein Wohl gebetet wird.«
Herr Gerold neigte ein wenig das Haupt. »Ganz willkommen ist mir, wenn du mir im Himmel gutes Gemach bereitest, denn ich selbst habe wenig Geschick dazu. Aber nicht weniger lieb wäre mir, wenn du mir auch auf anderen Wegen deine Treue bewährtest; und daß ich dir‘s geradeheraus sage: mir gefällt nicht, daß du den Boten des Ratiz freies Geleit zu dem Helden Karl ausgewirkt hast, und daß du über die Grenze bis in das Wendenland geschorene Boten laufen läßt, denn du handelst gegen meinen Vorteil und wohl auch gegen den eigenen.«
»Erwäge auch,« versetzte Winfried ruhig, »daß ich nichts getan habe ohne dein Wissen. Mein Beruf ist, auf der Männererde den Frieden Gottes zu verkünden, wie durfte ich mich weigern, dem Helden Karl den friedfertigen Wunsch des Ratiz zu melden. Wir vernahmen, daß der Räuber mit manchem von seinem eigenen Volke verfeindet ist, und dem großen Frankenherrn selbst war willkommen, auch über die Slawen an der Grenze seine Herrschaft zu breiten.«
»War es ihm willkommen,« versetzte Gerold zornig, »mir und anderen, die an der Grenze gebieten, wäre es verhaßt und unleidlich. Meinst du, daß wir den Ratiz als Grenzgrafen neben uns dulden werden, zu unserem Schaden an Land und an Zehnten? Und heut sage ich dir, mich freut‘s, daß es mir und meinen Fürsprechern gelungen ist, ihn bei Herrn Karl zu hindern. Ohne günstigen Bescheid kehren die Sorben zurück, und dem Ratiz ist befohlen, über die Saale zurückzuweichen.«
»Und wenn er es nicht tut?« fragte Winfried.
»Dann soll er der erste sein, den wir fällen, damit Furcht das Slawenvolk bändige.«
»Wenn aber seine Landsleute ihm helfen?«
»Das gerade ist, was ich will«, rief Gerold. »Meinst du, ich habe Lust, diesen Sommer mein Schwert müßig in der Scheide zu tragen?«
»Und neu erhebt sich Mord und Brand und die Greuel des Grenzkrieges,« rief Winfried traurig, »zerstörte Höfe sehe ich, erschlagene Wirte, und die Wehrlosen gleich dem Vieh getrieben, verwildert auch die Herzen der Sieger.«
»Ich habe dich weise gefunden auch in weltlichen Dingen,« versetzte Gerold, »diese Rede aber dünkt mir töricht. Ob du die Thüringe deiner Lehre unterwirfst, das hängt jetzt nicht allein von den Gebeten ab, die du ihnen vorsprichst, sondern von den Schlägen, welche ich mit einem Volksheer den Wenden zuteile. Denn die Heiden werden dir nur dann ihre Hälse zuneigen, wenn sie unter dem Christenbanner Sieg erhalten. Und wenn du einst die Ostvölker bekehren willst, so werden auch diese erst auf deine Worte hören, wenn sie erkennen, daß ihre Götzen nicht mehr Sieg spenden.«
»Mein Werk ist es, den Völkern der Erde den Frieden des Gottesreiches zu verkünden,« antwortete Winfried, »dein Amt ist, die Feinde des Frankenherrn niederzuwerfen. Durch viele Jahre habe ich erfahren, daß die heilige Lehre nicht plötzlich Sinn und Gedanken der Männer wandelt, und manches Menschenalter mag vergehen, bevor die Christen selbst die Worte der Liebe und des Erbarmens begreifen. Ich weiß auch, daß nur ein Volk, welches den Heiden siegreich widersteht, sich den Christenglauben bewahrt, darum will ich, daß die Herrschaft der Franken sich so weit breite, als es mir gelingt, meinem Himmelsherrn Bekenner zu gewinnen. Mit dem hohen Fürsten Karl habe ich dies vereinbart, daß er der einzige weltliche Herr sein soll über alles bekehrte Heidenland, wie der Bischof zu Rom der einzige Vogt des Himmelsherrn. So weit wünsche ich dir Sieg, und ich darf zu dem Allwaltenden flehen, daß er ihn deiner Heldenkraft gewähre. Aber wenn du den Kampf begehrst aus Begierde nach Kriegsruhm und Beute, dann hüte dich, daß nicht auch dich die Strafe treffe, wenn du aus diesem kurzen Leben in das ewige hinübergehst.«
»Meine Sorge um das Himmelreich habe ich in deine Hände gelegt, Bischof,« versetzte der Graf mit geheimem Bangen, »und ich vertraue, du wirst meinen Vorteil dort wahrnehmen, wie auch ich hier für den deinen kämpfen will, obgleich du mir zuweilen widerstehst. Und so laß uns wieder gute Gesellen sein; ich reite an die Grenze, und bald mag deine Fürbitte mir heilsam werden.«
Er schritt klirrend aus der Tür, und Winfried sagte hinter ihm still zu sich selbst: »Ich hole mir bessere Freude bei meinen kleinen Pfleglingen.« Er wandelte in das Arbeitshaus, grüßte die Frauen und Kinder, schritt mit Walburg durch alle Räume, ließ sich berichten, was in seiner Abwesenheit getan war, und betrachtete die Werke des Webstuhls und die Schätze der Vorratskammer. Lächelnd rührte er an das Schleiertuch der Jungfrau, welches die eine Hälfte ihres Gesichtes deckte. »Ich muß die Kunst des Arztes rühmen, denn gut hat er dir die Wunde geheilt, und der Schade wird noch durch die Zeit gebessert. Bald kommt wohl einer und der andere und begehrt dich zur Hausfrau. Wir aber werden dich ungern missen, denn dein Sinn ist fest, und was deine Hand berührt, gedeiht. Du bist zur Hälfte geschleiert, vielleicht gibt Gott dir die Gnade, daß du dein ganzes Leben seinem Dienste weihst.«
Da errötete Walburg, aber sie sah dem Bischof offenherzig in das Gesicht, als sie antwortete: »Oft kam mir der Gedanke, für mein Leben hierzubleiben, als ich mit der Wunde saß; denn selig ist der Frieden in deiner Nähe, und viel Leidvolles habe ich erfahren. Aber, mein Vater, auch ohne Gelöbnis bin ich gebunden an das Schicksal eines anderen. Zürne nicht, wenn ich dich an den Mann mahne, welcher frevelhaft das Eisen gegen dein Haupt gehoben hat.«
Die Stirn des Bischofs umwölkte sich, war es Zorn gegen Ingram oder Unwille, weil jemand seinem Wunsche widerstand, im nächsten Augenblick sah er wieder gütig auf das Weib, welches flehend die Hände faltete. »Sie haben ihm den Frieden genommen, Walburg, nachdem er ihn vorher selbst verloren hatte.«
»Deshalb will ich zu ihm, ehrwürdiger Vater.«
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