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Текст книги "Die Ahnen"


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Автор книги: Gustav Freytag


Жанр: Классическая проза, Классика


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10. Die Entführung

In der Halle standen die Brüder zum Aufbruch gerüstet, als Immo ihnen entgegentrat. »Den großen Goldschatz der Räuber hat der fahrende Mann mir angelogen, doch brachte ich reiche Beute und die Gastgeschenke der Sachsen heim; nicht die Wasserrosse führten meinen Kampfgewinn der Mühlburg zu, sondern die Packpferde, welche Brunico leitete. Für euch, Söhne Irmfrieds, sind die Ballen geöffnet, damit ihr daraus wählet, was jedem von euch gefällt, und ich bitte euch, diese Gabe anzunehmen anstatt der Schatzung, die ich den Gefangenen erließ, ohne euch zu fragen.«

»Solches Angebot ist gebührlich gegen Fremde, nicht gegen die Genossen des eigenen Geschlechts«, antwortete Odo finster, und Ortwin rief: »Du tust uns weh, wenn du uns Gold bietest, wo wir brüderlichen Gruß erwarten.«

Da flog helle Freude über Immos gramvolles Angesicht. »Wollt ihr freundlich zu mir reden und brüderlich gegen mich handeln, so wißt, meine Brüder, daß mein Herz sich viele Jahre nach eurer Liebe gesehnt hat. Schon im Kloster fühlte ich traurig unter Fremden die Einsamkeit und dachte mich täglich heim in eure Mitte, und auch jetzt unter den Gastfreunden vermochte ich nicht die frohen Spiele ihrer Knaben zu sehen, ohne daß sich mir das Herz in Gram zusammenzog. Denn wie ein Ausgestoßener lebte ich, weil mir eure Freundschaft fehlte. Begehrt ihr, liebe Knaben, daß ich euch brüderlich begrüße, so springt heran wie einst, denn die Arme des Bruders sind geöffnet, euch zu empfangen.«

Ortwin warf sich um seinen Hals und küßte ihn, und wie er taten die Jüngeren, nur Odo stand zur Seite. Gottfried aber ergriff Immos Hand und legte sie in die Hand des anderen. Odo drückte sie und begann: »Der Zorn ist geschwunden mit dem grünen Laub dieses Sommers, beide wollen wir vertrauen, daß in dem neuen Lenz unter uns sieben sich die Treue bewähre.« Und auf Gottfried weisend, fuhr er fort: »Du siehst, wir haben ihn gewappnet, und da du zu uns zurückgekehrt bist, vermögen wir jetzt in Frieden das Erbe zu teilen. Vor einem Jahre widerstand ich dir, als du das Recht des Ältesten fordertest, fortan bin ich gleich meinen Brüdern bereit, dir zu folgen, wenn du uns führst.«

Aber Immo rief mit ausbrechender Leidenschaft: »Leite du die Brüder und bewahre du die Ehre des Geschlechtes, denn ich kehre nicht zurück, um in Frieden unter euch zu leben. Ein großes Leid berge ich in meinem Herzen und mein Leben muß ich wagen in wilder Tat, noch bevor die nächste Sonne aufgeht. Wisset, der Tochter des feindlichen Mannes, den wir heute demütigten, habe ich heimlich mein Leben gelobt, der König aber will sie schleiern, ob es ihr und dem Vater lieb oder leid sei. Bevor sie morgen früh zu Erfurt die Klosterschwelle betritt, hole ich sie auf die Mühlburg, was mir auch darum geschehe. Dem Zorn des Königs trotze ich und dem Rechte des Landes widerstehe ich, um sie zu erwerben, denn ohne sie ist mir mein Leben verhaßt.«

Die Brüder sahen betroffen einander an. »Zu früh habt ihr mich brüderlich begrüßt, ihr Söhne Irmfrieds,« fuhr Immo heftig fort, »mich wundert nicht, wenn ihr euch von mir abwendet, wie von einem Kranken, dessen Berührung Unheil bringt. Meint auch nicht, daß ich euch mahnen will an die Hand, die ihr mir jetzt gereicht habt und an den brüderlichen Kuß. Denn eure Hilfe bei der Tat fordere ich nicht, den Raub wage ich wohl allein mit denen, die sich mir gelobt haben. Euch aber sage ich vorher, was ich tun werde, damit ihr mir tröstlich seid, soweit ihr es vermögt, ohne euch zu verderben. Doch nein, liebe Brüder,« unterbrach er sich selbst, »aus Klugheit und Vorsicht hätte ich‘s euch nimmer bekannt, aber eure Freundlichkeit hat mir die Seele weichgemacht. Denn Sommer und Winter habe ich die Last allein getragen. Selig macht der Gedanke an das geliebte Weib, aber furchtbar quält die Angst, sie zu verlieren, und manche Nacht habe ich in der Fremde auf meinem Lager die Faust geballt, oder kindisch geweint, wie mir jetzt geschieht.« Er wandte sich ab, hielt die Hände vor das Antlitz, und sein starker Leib bebte im Krampf.

Es war totenstill in der Halle. Endlich begann Odo: »Wenn unsere Eltern einen Rat hielten, der ihr Wohl und Wehe anging, so saßen sie vertraulich nebeneinander am Herdfeuer nieder. Führe auch du uns zum Herde der Burg, an dem unsere Vorfahren beraten haben, damit wir die Flamme aufzünden. Dort erzähle du uns von dem Weibe, welches dir lieb wurde, und wie alles gekommen ist bis heut, damit wir es wissen, denn auch das ist ein Recht der Deinen.«

Da führte Immo die Brüder über den Hof zu dem Flur des Saales, worin der Herd stand, er entzündete das Feuer und schloß die Tür. Die sieben Brüder lagerten am Herde und Immo begann leise seinen Bericht, zuerst, wie Hildegard unter den Buchen sein Geselle wurde, und wie er ganz plötzlich sich glückselig fühlte, und darnach alles andere. Und er zeigte ihnen auch das Pergament mit den Goldfäden, welches alle betrachteten, während er es in seiner Hand hielt, bis er es wieder im Gewande barg. Die stolzen Knaben Irmfrieds vernahmen vorgebeugt mit leuchtenden Augen die Kunde, welche auch ihr Leben nahe anging, und Gottfried saß zu den Füßen des Bruders, hielt die Hände über dem Knie desselben gefaltet und blickte ihm unverwandt in das bewegte Antlitz, während Odo zuweilen einen neuen Span in das Feuer legte. Immo aber wurde froh, daß er von Hildegard erzählen durfte, und lachte dabei treuherzig wie ein Kind, er schilderte ihr Aussehen und ihre Art, so daß sie auch seinen Brüdern gefiel, obwohl sie die Tochter eines wunderlichen Mannes war.

Als Immo geendet hatte und alle in warmer Teilnahme schwiegen, begann Odo nachdenkend: »Sage uns, welche Meinung hat Graf Gerhard zu dir?«

»Du kennst ihn ja auch,« versetzte Immo, »daß er hastig nach jedem Vorteil züngelt und schmeichelnde Worte nicht spart; aber ich fürchte, im Grunde seines Herzens ist er mir abgeneigt, da er schon mit unserem Vater in Unfrieden lebte.«

Odo nickte. »Klein ist der Funke, welcher ein großes Feuer entzündet, auch uns bedroht die Flamme. Gegen dich stehen der König und der Erzbischof, das Recht des Vaters und der Friede der Stadt, und es wird ein Kampf gegen große Übermacht um Gut und Leben, für dich und deine Helfer. Aber der König ist, wie wir hören, auf dem Wege nach Italien, das Recht des Erzbischofs beginnt erst mit dem nächsten Morgen, das Recht des Vaters werden wir alle ungern ehren, und wegen des gebrochenen Stadtfriedens werden die Erfurter vielleicht mit sich handeln lassen, zumal wir selbst einen Hof in ihren Mauern haben. Doch, wenn auch all diese Hoffnung trügt, hartnäckiger Wille eines Mannes vermag viel. Und zuletzt hast du noch deine Brüder. Denn ich denke nicht, daß diese hier den Bruder in der Not verlassen werden.«

Da sprangen die Jüngeren alle in die Höhe, zuckten an den Schwertern und riefen: »Nimm den Schwur.« Und Odo fuhr fort: »Lüfte dein Schwert, mein Bruder, damit wir alle unsere Hände zugleich darum werfen. Während das Herdfeuer lodert und das Dach unseres Hauses uns bedeckt, geloben wir, dir mit Leib und Leben, Gut und Ehre zu helfen, damit du die Braut heimführst. Denn wir alle wissen, daß wir im Tode zu dir gehören, wie du zu uns.«

So schworen die Sieben sich zusammen und küßten einander am Herdfeuer. Danach setzten sie sich wieder zu geheimer Beratung.

Eine Stunde darauf ritten die Brüder den Mühlberg hinab, Immo mit Gottfried nach der Stadt Erfurt, die anderen nach dem Herrenhofe. Immos Seele hob sich in neuer Hoffnung, als der warme Frühlingswind um seine Wangen wehte, und als der Bruder, welcher ihm am vertrautesten war, ihn immer wieder an der Hand faßte und durch seine vertraulichen Fragen lockte, von Hildegard zu reden. Sie ritten durch das offene Tor in die große Marktstadt, die der ganzen Landschaft für ein Wunder galt, obgleich sie in vielem einem ungeheuren Dorfe ähnlich war. Denn hölzern waren die Häuser, neben den meisten öffnete sich ein Hoftor, durch welches man auf die Dungstätte und die Ställe sah, die Gänse wateten durch den Kot der Gassen, und das Borstenvieh lief schonungslos umher. Aber die Mauern und Tortürme ragten gewaltig, von den großen Kirchen und Kapellen läuteten fast den ganzen Tag die Glocken, auf den Marktbänken der freien Plätze war eine unendliche Fülle begehrungswerter Sachen zum Verkauf gestellt, und wer selten nach der Stadt kam, der wurde nicht müde, nach der Heimkehr von dem Unerhörten zu erzählen.

Diesmal achteten die Helden wenig auf die Waren und wenig auf die stattlichen Männer und Frauen, welche in den Gassen ihren Geschäften nachgingen, sie stiegen in dem Hofe ab, der dem Geschlecht seit alter Zeit gehörte, und eilten zu Fuß nach dem Hause des Goldschmieds.

Der Hof Herimans war leicht kenntlich durch das große Wohnhaus, welches sich neben dem verschlossenen Hoftor erhob. Denn ein Stockwerk ragte über dem Flur vorspringend in die Straße und trug noch einen Giebel mit mehreren Bodenräumen. Schon auf der Straße vernahm man Hammerschläge; als Immo das Gatter öffnete, welches bei Tage den unteren Teil der Türöffnung verschloß, fand er im Hausflur einen schlanken Knaben im Schurzfell, der mit Raspel und Feile an einem Metallgerät arbeitete. Auf die Frage nach dem Herrn führte der Knabe eine kleine Treppe hinauf in den hinteren Teil des Hauses, wo die Werkstatt des Goldschmieds sich nach dem Hofe öffnete. Heriman saß mit seinem Knappen über der Arbeit, im Takte schlugen die kleinen Hämmer, um glänzendes Silberblech zu runden. Als er die beiden Krieger im Kettenhemd erkannte, sprang er auf, warf den Hammer in eine Ecke, fuhr sich heftig durch die wallenden Haare und über sein mannhaftes Gesicht flog ein Schatten von Besorgnis. Aber er bot mit ehrlichem Gruß seinen Gästen die Hand und geleitete sie aus der Werkstatt nach dem oberen Stockwerk. Durch die Lichtöffnungen der verschlossenen Läden fielen die Sonnenstrahlen in ein großes Zimmer, auf viele Truhen und Schränke und auf die schmale Bettstelle, in welcher Heriman selbst als Wächter seiner Waren zu ruhen pflegte. Während Gottfried sich neugierig nach dem Silber– und Goldgerät umsah, welches der reiche Goldschmied in seinem Hause verwahrte, stieß Heriman einen Laden auf, doch so, daß das Innere des Zimmers den Nachbarn gegenüber verborgen blieb, und rief: »Bei Tageslicht will ich mit Euch verhandeln, obwohl es ein nächtliches Werk ist, an welches Ihr denkt.« Er holte tief Atem und fuhr sich wieder durch das Haar. »Bevor Ihr mir‘s sagt, weiß ich, weshalb Ihr im Kriegskleide kommt, denn durch meine Base Kunitrud erfuhr ich, daß heut abend ein Gast in der Stadt einzieht, um den Ihr Sommer und Winter gesorgt habt.«

»Sie darf die Schwelle des Klosters nicht überschreiten; und ich will es hindern oder meinen Leib in euren Mauern zurücklassen.«

Heriman setzte sich auf einen Schemel und neigte betäubt das Haupt. Aber gleich darauf erhob er sich. »Ihr fordert, daß ich heut meine Schuld bezahle? Ihr sollt Euch in mir nicht geirrt haben, was mir auch darum geschehe. Doch bevor ich Euch meinen guten Willen erweise, frage ich: Ist es nötig, daß Ihr im Frieden der Stadt wagt, was Ihr tun wollt?«

»Sie kommt mit reisigem Gefolge ihres Vaters und des Erzbischofs. Ganz unsicher wäre das Gelingen bei einem Speerkampf auf offener Heide.«

»Dann also muß es hier sein. Sie rastet heut nacht im Hessenhofe, wo ihr Vater immer einliegt, ein Reisiger hat die Ankunft gemeldet. Morgen reitet der große Erzbischof in unsere Stadt, er selbst soll sie nach dem Willen des Königs den frommen Müttern zuführen. Noch andere Neuigkeit weiß ich: Morgen früh wird die Heerfahne des Königs auf seiner Burg ausgesteckt, und die Boten werden durch das Land rennen, den großen Kriegszug nach dem Land Italien anzusagen. Denn der König will sich dort die Lombardenkrone holen. Das geht Euch an wie uns alle.«

»Dieser Abend aber gehört noch mir«, versetzte Immo finster.

»Die Burgmannen sind in Bewegung wegen der Kriegsreise, heut abend werden die Straßen und Schenken gefüllt sein. Das mag Euch frommen oder auch hindern. Wollt Ihr Eure Hand um die goldene Spindel legen, die Euch im fremden Hause gehört, so müßt Ihr sie nicht nur aus dem Hause holen, auch sicher aus Tor und Mauer schaffen. Die Erfurter aber halten an ihren Toren gute Wache und fordern Zoll von jeder Ware, die aus– und eingeht.«

»Kannst du mir helfen, was mein ist, aus dem Hause zu schaffen, so trage ich‘s mit meinen Schwurgenossen unter den Schilden durch das Tor.«

Heriman schüttelte den Kopf. »Kommt Ihr mit einem Haufen, so findet Ihr hier einen größeren, und bringt Ihr ein ganzes Heer, so werfen Euch meine Mitbürger Speer und Axt, den Sturmgesang vom Turme und ihre Lärmhörner entgegen.«

»Nicht mit einem Heerhaufen gedenke ich auszubrechen. Nur sieben haben ihr Leben für die Tat gelobt, und zwei davon stehen vor dir.«

»Und Ihr wollt, daß ich der achte sei?« fragte Heriman, »reicht das Kreuz Eures Schwertes, ich bin bereit.«

Immo zog das Schwert und hielt den Griff in die Höhe, Heriman murmelte sein Notgebet, dann legte er die Schwurfinger auf das Kreuz und sprach die Worte, durch die er sich Immo gelobte. Seine Unsicherheit war geschwunden, er warf das Schurzfell von sich, holte Mantel und Mütze vom Haken, gürtete sein Schwert um und begann: »Vertauscht auch Ihr den Eisenhut mit dieser Mütze, ich hoffe, sie soll Euch passen, und schlagt den Mantel zusammen, damit Ihr den Nachbarn weniger auffallt. Euch aber, junger Held, ersuche ich, die Helmkappe des Bruders in der Herberge zu bewahren, während wir beide durch die Straßen gehen, denn zwei Wölfe sind nur ein Paar, aber drei eine Rotte. Ich geleite Euch zu dem Hofe, in welchem die Jungfrau heut nacht rastet, damit Ihr die Gelegenheit selbst erkennt, denn lichtlos wird am Abend Hausflur und Treppe sein; seht scharf um Euch und achtet auch auf Kleines.«

Sie verließen das Haus. Mit Mühe hemmte Immo in den Gassen seinen Schritt zu dem langsamen Gange, in welchem sich Heriman, seiner Würde gedenkend, bewegte. »Dies ist der Hessenhof,« murmelte Heriman, »der Wirt ist ein Mann des Erzbischofs, aber ein redlicher Nachbar.« Immos Blick achtete forschend auf die Umgebung und auf das Haus, welches dem des Goldschmieds ähnlich, nur kleiner war, und auf das Hoftor, durch welches man die Hintergebäude und Ställe sah. Sie traten in den Flur, stiegen unaufgehalten die Treppe hinan, fanden die Tür eines Zimmers offen und darin eine kräftige Frau, welche mit dem Besen umherfegte und den Heriman vertraulich grüßte. »Dies ist Base Kunitrud, die Witwe eines wackeren Burgmanns, sie ist dem Wirt dieses Hofes befreundet und steht seinem Haushalt vor. Dir aber, Base, führe ich den edlen Helden Immo zu, weil er deinem guten Gemüt vertraut, das ich ihm gerühmt habe, und einen Dienst von dir begehrt.«

»Auch wir in Burg Erfurt haben von Held Immo mancherlei vernommen,« antwortete Kunitrud geschmeichelt, »und ich gedenke vor allem der Guttat, die Ihr diesem hier erwiesen habt.«

»Um dir alles zu sagen, Base,« fuhr Heriman auf einen bittenden Blick Immos fort, »der Held trauert, wie du ihm leicht ansiehst, darüber, daß das Grafenkind geschleiert werden soll. Denn er hat sie im Hause ihres Vaters und auch sonst liebgehabt, wie die Art junger Leute ist; und darum möchte er ihr durch deinen Mund noch einen Gruß sagen, bevor sie bei den frommen Schwestern eingeschlossen wird.«

Kunitruds Augen glänzten von Neugier und Teilnahme. »Verliert nur nicht den Mut, edler Herr, ich habe mehr als eine Nonne gekannt, welche vom Erzbischof Urlaub erhielt und als ehrliche Hausfrau lebte mit Kindern, so drall wie die Äpfel. Denn in dem Erdgarten ist alles möglich, wenn man‘s nur erlebt.«

Während ihr Immo für die Teilnahme zu danken suchte, fuhren seine Augen rastlos um die offene Tür, das Türschloß und die Treppe. Beim Herabsteigen mahnte Heriman leise: »Achtet auf die ausgetretene Stufe, ein falscher Schritt mag den Erfolg verderben. Und jetzt schnell vom Hause weg und in gerader Richtung dem Tore zu, durch das Ihr entrinnen sollt. Einreiten müßt Ihr bei Tage, solange das Tor geöffnet ist. Eure Brüder sind hier wohlbekannt, und ihre Ankunft wird in der Aufregung des Tages niemand auffallen. Mit Sonnenuntergang wird das Tor gesperrt und den Ausreitenden geöffnet; wenn die Nacht so weit heraufgestiegen ist, daß die Bürgerglocke zum zweitenmal läutet und die Schenken geschlossen werden, dann wird auch die Brücke gehoben, und von da vermögt Ihr nur mit Heeresmacht hinauszureiten. Ihr müßt also die Tat zwischen Sonnenuntergang und dem zweiten Glockenklang vollbringen. Ich sende, wenn die rechte Zeit gekommen ist, meinen Knappen nach Eurem Hofe, ich selbst warte Eurer in der Nähe des Hessen. Und noch eins habe ich auf dem Wege bedacht,« fuhr Heriman fort, »gelingt es Euch nicht, zum Tor hinauszuschlüpfen, so müßt Ihr die Hälse wagen auf einem anderen Wege, den schwerlich jemand ohne Not wählt. Ein Stück der Stadtmauer ist verfallen, gerade jetzt bessern sie an dem Schaden, die Stelle ist nicht auf Eurem Wege, sondern nordwärts und nahe der Königsburg. Dennoch sollt Ihr sie beschauen, ob sie in der Not Euch Rettung gewährt.« Er führte vom Tore längs der Mauer zu einem wüsten Platz, unter Schutthaufen. Die Trümmer der eingestürzten Mauerwand ragten aus dem Grabenwasser, und die Arbeiter hatten Bretter darübergelegt, auch an der Böschung der Außenseite sah man den Fußsteig, durch welchen sie aus– und einliefen.

»Lacht der Mond freundlich, so ist der Angstpfad wohl zu durchreiten«, entschied Immo. »Jetzt weiche von mir, Heriman, damit du dich nicht ohne Not gefährdest, denn deine Burgmannen werden bald mit Argwohn meiner gedenken.« Nach kurzem Gruß entfernte sich der Goldschmied, Immo eilte in die Herberge und sprengte gleich darauf mit dem Bruder aus dem Tor.

Eine gute Wegstunde von Erfurt lag unweit dem Grenzwall, welcher die Güter des Geschlechtes von der Stadtflur schied, ein Hügel, der, mit Eichen bewachsen, auf seinem Gipfel ein altes Blockhaus trug, in welchem die Jäger und Hirten zu rasten pflegten. Im Sommer war die kleine Lichtung von dichtem Schatten umhüllt, auch jetzt bot das Geflecht der Äste und Zweige einen sicheren Versteck. Zu dieser verborgenen Stelle hatte Immo die Brüder und die Getreuen von der Mühlburg geladen, wenn die Sonne die Mittaghöhe erreichen würde. Er fand bei seiner Ankunft Brunico mit den Waffen und frischen Rossen, und den Vogt der Mühlburg, welcher die letzten Befehle des Herrn empfangen sollte. Als Immo absprang und seinem Bruder Gottfried zunickte, erkannte er in dem erblichenen Antlitz des Jünglings die Erschöpfung, er hob ihn in seinen Armen vom Pferde und streichelte ihm die Wangen. »Zwei Tage und eine schlaflose Nacht im Eisenhemd waren für meinen Liebling zuviel, noch hast du Zeit, ein wenig zu ruhen, damit dir am Abende nicht die Kraft versagt.« Und mit freundlichem Zureden nötigte er den Widerstrebenden auf ein Lager von Waldheu, das er im Blockhaus breitete, er rückte ihm das Haupt zurecht und deckte ihn mit dem Wollmantel. Dann trat er ins Freie und blickte unverwandt nach dem Wege, der vom Herrenhofe herzulief.

Die Brüder stoben in ihrer Rüstung heran; als sie den Bruder auf der Höhe erkannten, wirbelten die Jüngeren lustig die Speere. Odo führte sein Roß zu Immo und bot diesem den Zügel. »Nimm heut den Sachsen zurück,« sagte er, »denn die Braut, welche wir einholen, soll von diesem Tiere getragen werden, welches der Stolz des Hofes war. Die weiße Farbe ist gedeckt, damit es im Dunkeln nicht jedermann erkennbar schimmere.« Da schlang Immo den Arm um den Hals des Bruders und antwortete: »Die Gabe nehme ich nicht, edler Odo, denn größere Gunst fordere ich von dir selbst. Nicht meine Arme dürfen die Braut, um welche wir reiten, aus der Stadt tragen, sondern du selbst sollst es tun. Mir gebührt die Abwehr, der Kampf und die Nachhut auf der Flucht. Dir aber übergebe ich die Geliebte, daß du nur um sie sorgst und sie rettest, was uns anderen auch geschehe.« Da nickte Odo: »Es sei, wie du willst.«

Schweigend standen die Männer und schauten zuweilen durch die Baumäste nach dem Stand der Sonne. Endlich hob Immo den Arm nach dem Himmel, da neigten alle die Häupter und flehten leise zu den hohen Engeln um Rettung aus der Not, in welche sie ritten, dann traten sie an die Rosse. »Wo bleibt Gottfried?« fragte Odo.

Immo sprang in das Blockhaus. Der Bruder lag in festem Schlummer, er hielt die Hände gefaltet und lächelte. Als Immo das Kind so im Frieden liegen sah, wurde ihm plötzlich das Herz weich, er trat leise zurück, und zu den Brüdern kehrend sprach er: »Er liegt in süßem Schlaf, ich traue mich nicht, ihn zu wecken.«

»Bleibt er zurück, so wird er uns immerdar zürnen,« versetzte Odo und wollte hinein, aber Immo hemmte ihn und sprach: »Denket daran, Schwurgenossen, daß unsere Mutter einen Sohn behalte,« und dem Dienstmann Berthold die Hand zum Abschiede reichend, bat er: »Wenn er erwacht, so sage ihm, daß wir einen von uns gewählt haben, für unsere Mutter zu sorgen, und der eine sei er.« Wieder hob er den Arm zur Sonne, und die Helden sprengten den Berg hinab der großen Stadt zu.

Im Walde vor Erfurt teilte sich die Schar, denn nicht zu gleicher Zeit und zu einem Tor wollten sie einreiten. Die fünf Brüder zogen auf dem nächsten Wege durch dasselbe Tor, zu welchem sie die Geraubte hinausführen mußten, Immo aber mit Brunico betrat die Stadt durch das Tor im Osten. In der Herberge trafen alle zusammen, sie fanden viel Volk in den Straßen und in den Schenken, auch Bewaffnete aus der Umgegend klirrten einher. Die Brüder aber gingen einzeln und zu zweien durch die Menge und betrachteten die Gassen, durch welche sie reiten, und die Ecken, an denen sie sich aufstellen sollten.

Die Sonne sank, in den Straßen wurde es dunkel, die Gassen leerten sich, doch aus den Häusern glänzten die Herdfeuer, und aus den Schenken klang der Lärm lustiger Zecher. Die Brüder standen im Hofe ihrer Herberge bei den gesattelten Rossen, sie wechselten gleichgültige Worte, aber in der langen Erwartung hämmerte ihnen das Herz in der Brust. Und wenn ein Laden oder die Flurtür geöffnet wurde, so kam ihnen bei dem matten Lichtschein vor, als ob sie alle bleich wären wie Leblose. Da fuhr eine dunkle Gestalt von der Gasse in den Hof, und der Knappe des Goldschmieds flüsterte Immo zu: »Der am Idisbach lag, grüßt Euch und läßt Euch sagen, es sei an der Zeit. Der Graf und sein Gefolge sind beim Vogt des Erzbischofs zum Nachtmahle.« Gleich darauf ritten die Brüder langsam aus dem Hofe, voran Immo neben dem Boten, nach ihm Odo und Brunico, die anderen Brüder folgten ganz allmählich zu zweien.

Vor dem Hessenhofe war die Straße leer, aus dem Hofraum aber vernahm man Stimmen und das Stampfen der eingestallten Pferde. An dem Kellerhals des Nachbarhauses tauchte ein Schatten auf und glitt neben Immo bis nahe zu der Haustür. Den Zügel des Rosses ergreifend, mahnte Heriman mit heiserer Stimme: »Steigt ab.«

Immo sprang in das Haus; langsam ritt Odo bis dicht vor die Haustür. Das Zeichen der Nachtglocke klang gellend vom Turme, in den Höfen rührte sich‘s, und vom Markte her vernahm man den schweren Tritt und das Klirren Bewaffneter. »Er ist verloren«, stöhnte Heriman. Da sprang Immo über die Schwelle, eine verhüllte Gestalt im Arme, er schwang sie dem Bruder auf das Roß, und der Sachsenhengst fuhr in gestrecktem Lauf die Gasse entlang dem Tore zu. Als Odo um die Ecke bog, war er nicht mehr allein, denn hinter ihm ritten Adalmar und Arnfried, und als sie dem Tor nahten, fanden sie Ortwin und Erwin schon in Verhandlung mit den Torwächtern, welchen Ortwin zurief: »Frisch, ihr guten Männer, beeilt euch aufzusperren, wir reiten zum Ehrentanze für eine Braut.« Odo hielt im Dunkeln, er hörte das Knarren der Torflügel und mahnte zurück: »Schließt dicht an.« Dann sprengte er hinter die vorderen Brüder, und die Schar ritt eilig durch das Tor auf die Brücke. »Haltet, halt! was tragt ihr hinaus?« schrie der Wächter, aber der Ruf verklang hinter den Flüchtigen. Sie stoben gerettet unter dem Nachthimmel dahin und sahen rückwärts nach dem Bruder aus.

Als Immo vor dem Sachsenhofe nach seinem Rosse sprang, schrie aus dem Oberstock eine helle Frauenstimme: Raub, Zeter und Waffen. Die Scharwächter stürmten heran, aus dem Hoftor drangen die Knechte, auch diese riefen Feuer und Rache. Im Nu erhob sich wilder Tumult und Waffengeklirr. Gegen Immo, der mit Mühe sein Roß gewonnen hatte, warfen sich die Scharwächter, er wehrte den Führer mit dem Speer ab, und als der Mann stürzte und die Genossen sich um ihn sammelten, riß Brunico das Pferd seines Herrn am Zügel und schrie: »Fort, die Bahn ist offen.« Aber indem Immo sich wandte, klang in seinem Rücken aufs neue Geschrei und Schwertschlag, und die Stimme Herimans rief flehend: »Verlaßt nicht Euren Helfer, der für Euch das Schwert hob.« Da merkte Immo, daß die Stunde gekommen war, in welcher eine Lehre des Mönches Gehorsam forderte, und daß dieser Gehorsam ihn von Freiheit und Glück schied. Aber seiner Ehre gedenkend, rief er entgegen: »Des Rosses letzter Sprung sei für dich«, und er warf sich zurück in den wütenden Haufen, stach und schlug, bis er den Heriman herausgehauen hatte und dieser hinter dem Roß in der Dunkelheit verschwand. Jetzt wandte sich Immo aufs neue zur Flucht und stob mit Brunico dem Tore zu. Aber die Stadt war geweckt, hinter ihnen stürmten mit lautem Hallo die Verfolger, aus aufgerissenen Fensterläden fiel hie und da ein Lichtschein auf die Flüchtigen, die Trinker sprangen mit gezückter Waffe aus den Schenken und warfen sich ihnen entgegen. Als sie das Tor vor sich sahen, erscholl auch von dort Alarmruf und Kampfgeschrei Bewaffneter, welche auf sie zurannten. Da fuhr Brunico in der Bedrängnis zur Seite in eine enge Gasse der gebrochenen Mauer zu, Immo folgte. Der größte Teil der Verfolger lief nach dem nächsten Tor, um die Flüchtigen dort abzuschneiden, die Gehetzten gelangten bis zu den Mauertrümmern. Dort hielt Brunico. »Voran«, befahl Immo. Keuchend klomm das Roß des Mannes hinab, dieser gelangte glücklich über den Bretterstieg, indem er unterwegs brummte: »Nicht umsonst habe ich dich zum Feierabend zurechtgelegt«, und fuhr auf der anderen Seite in die Höhe. Ihm folgte Immo. Er sah sich auf der wüsten Stätte um, noch waren die Verfolger zurück, aber sein verwundetes Roß hinkte; als er es hinabtrieb, brach es an dem Trümmerhaufen, welcher aus dem Wasser ragte, zusammen, warf den Reiter hart gegen die Steine und glitt in das Wasser, in dem es angstvoll stöhnte und um sich schlug. Immo erhob sich, betäubt vom Fall, er merkte jetzt, daß er selbst hart verwundet war; mühsam wankte er auf den Steg und wand sich an der anderen Seite des Grabenrandes empor. Dort blieb er liegen.

»Fünf Jahre habe ich dich gezogen,« klagte Brunico zu seinem Hengst, »und jetzt rinnt dir‘s heiß von der Hüfte, und du ziehst auf dem Wege eine Spur gleich dem verendenden Wild. Einem ruhmlosen Tölpel gehörte der Speer, welcher auf das Roß zielte statt auf den Reiter.« Hinter sich vernahm er einen leisen Ruf, er sprengte zurück. Unweit des Grabens lag ein Mann am Boden, Brunico sprang ab. »Der Schildarm ist getroffen,« seufzte Immo, »und er hängt nach dem Sturz machtlos in der Achsel.«

»Ein wunder Mann und ein wundes Pferd sind einander jämmerliche Gesellen«, rief Brunico. »Dennoch helfe ich dir auf mein Tier, mich birgt die Nacht und der nächste Graben.« Er hob den Wunden mit starker Anstrengung auf sein Roß, aber Immo schwankte wie betäubt. »Halt aus, Brauner, bis zum nächsten Wald,« ermunterte Brunico, »dort lade ich ihn auf meinen Rücken.« Er schwang sich hinter dem Verwundeten auf, die Hinterbeine des Pferdes knickten unter der Last, Brunico trieb es mit den Sporen dem Saum des Gehölzes zu, welches in der Dunkelheit schwarz vor ihnen lag.

»Die Hunde werden im nächsten Augenblick hinter uns sein,« brummte der Knappe, nach rückwärts spähend, »und unsere Kunst geht zu Ende.« Er sprang wieder ab.

»Birg mich seitwärts vom Wege und rette dich, vielleicht vermagst du Hilfe zu bringen«, mahnte Immo.

»Der Mond scheint über kahles Land, sie finden dich, bevor ich ein Pferd schaffe.«

Vor ihnen knarrte ein Karren und knallte eine Peitsche. »Der Wagen fährt auf unsere Dörfer zu,« rief Brunico erfreut, »ich meine, es ist ein Nachbar, der sich in der Stadt verspätet hat.« Er rief den Wagen an und führte das Pferd zu ihm hin. »He, Landgenoß, kennst du den Freien Balderich im Dorfe vor uns?«

»Vielleicht kenne ich ihn«, versetzte der Mann, mit der Peitsche knallend.

»Willst du helfen, einen Verwundeten heimlich nach seinem Hofe zu schaffen, so soll dir ein guter Lohn werden.«

»Es kommt darauf an, wer der Wunde ist«, versetzte der Mann auf dem Karren. Als aber Brunico ihm näher kam, wandte er sich heftig ab. »Dies Gesicht kenne ich, ich sah dich unter den Disteln, verflucht sei die Hand, die sich dir zur Hilfe rührt.« Brunico zog sein Schwert.

»Laß den Mann in Frieden«, befahl Immo, aber er selbst glitt kraftlos vom Roß in die Arme des Getreuen. Der Fuhrmann beugte sich über ihn. »Halt,« rief er, »auch diese Stimme erkenne ich. Kann Euch mein Wagen helfen, Herr, so hebe ich Euch herauf. Es sind dieselben Räder, die Ihr in meiner Not aus dem Wasser hobt.«

Immo nickte schwach mit dem Haupt. »Ladet mich auf.« Die beiden Männer hoben ihn auf den Wagen, der Fuhrmann Hunold breitete eine Decke und rückte die Strohbündel. »Euch schaffe ich in das Dorf, der andere möge sich fernhalten von meinem Messer.«

Immo streckte die Hand über das Wagengeflecht. »Fort mit dir, Gespiele.« Der Knappe warf sich mit einem Seufzer auf das Pferd und trabte dem Holze zu, während der Fuhrmann ihm zornig nachsah.

Hinter dem Wagen klang schneller Hufschlag, Hunold sah sich um und zog die Decke über den Liegenden. Bewaffnete sprengten heran und fragten barsch nach Namen und Fahrt. Auf die Antwort des Führers, daß er ein Mann des großen Bischofs sei, klang die Gegenfrage, ob er Reiter gesehen habe.

»Sicher sah ich sie, kaum ein Viertel Weges zurück am Kreuze, zwei Männer auf einem Pferde«, und er wies rachsüchtig dorthin, wo Brunico in der Dunkelheit verschwunden war. »Ihr mögt die Spur erkennen, denn sie liegt rot auf dem Wege.« »Sie sind es«, riefen die Reiter und stoben zurück bis zum Kreuzwege.

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